The Project Gutenberg eBook of Unser täglich Gift: Gedichte

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Title: Unser täglich Gift: Gedichte

Author: Otfried Krzyzanowski

Release date: May 29, 2016 [eBook #52183]
Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK UNSER TÄGLICH GIFT: GEDICHTE ***

OTFRIED KRZYZANOWSKI

UNSER TÄGLICH GIFT

GEDICHTE

LEIPZIG
KURT WOLFF VERLAG

BÜCHEREI „DER JÜNGSTE TAG“ BAND 67

GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRÜCKNER IN WEIMAR

PHANTASIA DESPERANS

Anmutig, leicht, lebendig!

Einsam auf schneebedecktem Feld:

Doch ist der Hunderthändig

Meines Gedichtes Held.

Der Hunderthändig ohne Kopf!

Doch spielt er mit — einem Schädel.

Macht ihm aus welkem Gras einen Schopf,

Gelb wie der welke Nebel.

Was gilt der Schopf? Nichts gilt der Kopf!

Und ich bin gut und edel.

Der Hunderthändig ohne Kopf

Spielt Ball mit einem Schädel.

FRAGE

Ist deine Liebe wie eine Herde von Wölfen!

Lautlos rennt sie durch die endlose Steppe;

Ihnen heißt der Himmel, der endlos grau

Über den Wütigen hängt, ihr Hunger.

Oder lauerst du auf Beute:

Im Geröll als Natter verborgen?

Wer bist du? Gib acht: eine flüchtige Katze

Nimmt deine Seele mit sich.

CANTATE

Ach, dir gehört die Liebe,

Leichter Flieder!

Und dir gehört die Jugend,

Leben! Tod!

Und zwischen hohen Häusern

Schreiten Mädchen,

Sie schreiten unter blauem

Himmel hin.

Und zwischen grauen Häusern

Spielen Buben.

Dir gelten Mut und Bangen:

Hohe! Welt!

Und dir gehört die Liebe,

Leichter Flieder!

Ach, dir gehört die Jugend,

Leben! Tod!

ABEND

Wenn der Abend uns bezwingt

Und die Klage in uns singt:

Fühlst der bangen Seele Flug,

Weißer Mädchen Atemzug.

Fremd ist Friede, fremd der Streit,

Wann entrinnen wir der Zeit?

Und kein Alter macht uns klug:

Fühlst der Seele Abendflug.

ERFÜLLUNG

Was tun? Du Ranke! Danken!

Dir und der Stunde danken.

Das Glück gibt Demut: Fleisch und Brot

Und Wein — und Tod!

Als hätte ich Sehnsucht gelitten,

Machst du mich traurig.

O Gott, die traute Stunde

Verrät mir, wie böse mein Stolz war.

Glück gibt uns Demut: Fleisch und Brot,

Wein, Weib: von Gott kommt Stolz und Tod!

Was tun? Man darf nur danken

Dir und der frohen Stunde.

ES GIBT DOCH SÜSSE

Es brennt die Scham: denn grabhin zieht

Uns Torheit durch die Stunden.

Ich hätte bald ins böse Lied

Ins Urteil mich gefunden.

Es gibt doch Süße! Zu gestehn

Fällt schwer: ein Kind kann zwingen.

Es bleibt die Scham: denn grabhin sehn

Wir Furcht und Klagen schwingen.

BALLADE

Ein geschändeter Leichnam

Erschlagen im Walde.

Seinen Feinden wehe zu tun

Hat keiner verstanden wie er.

Nacht war’s und einsam der Weg,

Da horcht er: Sie lauern ihm auf.

Narrheit ist Betteln, ist Angst,

Verlangt es die Wölfe nach Blut.

Tauch auf! Es enttauchte der Furcht

Seine Seele und lachte der Kälte.

Enttaucht! Wie lüsternen Grimms

Er nach seinem Dolche griff!

Ein geschändeter Leichnam

Erschlagen im Walde.

UNLUST

Die Begierde hat sich schlafen gelegt,

Es bleibt das Fieber.

Der köstliche Mut der Entsagung

Er wäre mir heute gegeben.

Die Liebe aus. Was ich liebte, gelöst.

Die weiblichsten Glieder

Versagend an meiner Ermattung,

Ich sehe sie über mir schweben.

WERBUNG

Durch Hoffen und durch Warten wird

Der Sinn gemein.

Du Holde! Frag nicht lang!

Will dich befrein.

Auf junge Blüten fällt

Nacht: nicht so wunderbar,

Wie gegen deinen Hals

Dämmert dein Haar.

Dein Auge fragt: Mein Wort

Klang fremd: es klang doch rein.

Oh, ich will ewig fremd

Deinem Bangen sein.

Das Müssen und das Leiden schenkt

Kein Abend so klar.

Demütig reicht die Freude

Den Becher dar.

SPÄT NACHTS

Woher dein Licht, entlaubter Hain?

Du schimmerst in tiefem Blau.

Wie Adern sind Deine Äste.

Ist’s von der Stadt: der Widerschein?

Ich kam dorther. Die Nacht war trüb und die Gassen

Klangen vom Regen: beim matten Glanz der Laternen

Und sonst von allem Licht verlassen.

O Hain, du nimmst dein Licht aus weiten Fernen!

GESTÄNDNIS

Ich hasse vor allen Dingen den Tod

Und will mich töten.

Dies letzte, verzweifelte Wagen

Ist mir bis heute geblieben.

Wo fährst du hin, verfahrener Sinn

Auf polterndem Wagen?

Es müßte in Scham jetzt erröten

Die Wange mir, könnte ich lieben.

Man wirft sich in die Arme des Tods

Noch immer am besten.

Den Bettel den Bettlern lassen.

Den Tod im Sturze noch hassen!

ERINNERUNG

Es will kein Baum

So wie die Linde blühen!

Und ist: Die Zeit und ist

Der Duft. O Traum.

Es war ein Morgenwind,

Sollt’ ich dich küssen:

Ich hätte weinen müssen

Im Morgenwind!

MORGENTRÄUME

Mit der Morgenröte erstem Lohen

Ist ein braunes schlankes Pferd entflohen:

Klingt sein Hufschlag in den hohlen Gassen,

Hat uns alter tiefer Gram verlassen.

Dringt der Hall an unsre Träumerohren,

Weckt er Drang und Lust, die neugeboren

Aller Not entkamen: Ein Versöhnen

Wiegt uns in der Erde dumpfes Dröhnen.

Lassen wir uns wiegen: fort uns tragen —

Fern im Saal, wo Raum und Wände ragen

Wandeln wir dahin mit leichten Schritten,

Alle Schwere ist vom Kleid geglitten.

MELANCHOLIE

Ein nacktes Jungfräulein hängt

An einem Galgen: das Blut, das von Mund und Nase

Und sonst herunter geflossen, bildet im Rasen

Eine rote Lache, die mählich schwarz gerinnt

So wie das Blut der lehmigen Pfützen umher

Mit der sterbenden Abendröte vergeht.

Sie sind: die Pfützen, die Augen der Dämmerung.

Doch gegen das weiße ungeküßte Knie des Weibes

Fliegt ein Rabe: Wie unmelodisch

Ein Rabenflügel sich gegen den Rasen zeichnet

Ehe die Dämmerung ganz herein ist.

UNMUT

Spart euch den Trost! Der Wahnsinn ist

Der Gläubiger der Geschlagenen.

Und ihm verfällt des Elends wache Brut.

Spart euch den Spott.

Denn wie ein Schiff der sturmzerpeitschten Flut

Sind Worte mir zur Last: verhaßt die Blicke

Der Gütigen.

Ich hasse: wenn weit durch das zitternde Land

Der Frühling mit grünschattenden Pfeilen zielt.

Ich liebe es, wenn um der Männer Stirn

Das Grün des Elends spielt.

Ihr seid mir Brüder: in Todes Hirn

Begraben will ich allen freien Mut.

DER EINSAME

Und bald erlischt der Kerze Flackerlicht.

O meine Seele! Jetzt noch ein Gedicht!

Die Welt ist grau und bleiern wog der Tag,

Wie er oft kommt und wie ich ihn nicht mag.

Das Leben ist mir wie die Liebe weit

Und bald umfängt mich tiefe Dunkelheit.

Auf eines Knaben Schulter mein Knabenkuß

Mir Leben noch und Tod durchleuchten muß.

DER INDIVIDUALIST

Ein Weib zu suchen! Wozu? Das Geschäft

Besorgen noch immer hundert und aberhundert.

Sterben! Warum? Die Arbeit

Wird heute von tausend gesunden Männern getan.

Was kann ich Besonderes tun? Ohne Sorge sein.

ABEND

Was wünscht die Seele? Tod zu spenden oder

Sich dem Abend preiszugeben, wie das Rohr

Dem Wind die schwanken Rispen preisgibt: schlanke Rehe

Schmiegen sie sich. Nieder auf sie

Sinkt im Dämmern

Furcht.

TANZLIED

Es gibt kein Schmeichelwort, hold wie dein Tanz.

Und ich muß hier sein, dich zu sehn und frage mich:

Du Schöne, muß ich sein und frage dich

Wie komme ich her? Nicht Leben noch Tod

Ist Trost für mich. Verloren, verloren.

Ich fühle mein Gerippe, hasse mich.

Es gibt kein Wort so traurig wie dein Tanz.

MORGEN

Es hebt sich, senkt sich des Windes Flüstern.

In des Morgens ragende Räume

Stechen die goldenen Zweige der Bäume

Unbewegt: so leicht sind die Blätter.

Trinke! Die Kühle des Morgens in durstigen Zügen,

Süß: wie den Vertrauenden betrügen.

Tausend Lockungen

Tanzendes, springendes

Lichtes, strahlendes Gold!

Traue dem Freund nicht!

Alles sind Lügen.

Einsam ist der Genuß,

Ist die Lust am Gold

Allen gemeinsam die Gier, ich bin nach Einsamkeit lüstern.

SORGE

Schwarzgraue Wolken hangen hernieder,

Das Gewicht der Wolken an der Himmelswage

Vermag die Sorge nicht zu heben,

Die Sorge, die mich zermalmen wird.

Und die Gedanken fliehn

Vor der Not in die Irre.

Und ich spreche zum Freunde, zum guten: Wie alt,

Wie alt und gestorben grau diese Wolken sind!

Keine Glut noch Farbe in ihnen. Ein Totenschädel,

Ein alter Schädel, der nicht mehr im Dunkel leuchtet,

Wäre noch hell gegen sie wie der glimmende Mond.

ERWACHEN BEI DER GELIEBTEN

Die Holde schläft: zu früh bin ich erwacht:

Ein Wort ist süß und gelte diese Nacht.

Ich werd’ es heute nicht, nicht morgen tun

Doch irgendwann und selig kann ich ruhn.

Ich töte dich.

WUNSCH

Ein einfaches, leichtes Kleid!

Ein leichter Gang!

Ein Mädchen, das hie und da

Meine Lenden geschmeidiger macht,

Ihm dankbar sein dürfen und eins!

Verschont die Seele.

FREUDE

Durch den blauen See zu schwimmen! Du feuchtes Vergessen,

Durch den klaren Tag zu wandeln! O holdes Erwachen!

Durch eisigen Sturm zu schreiten! Du ewiges Bangen!

O munteres Leben!

WEINLIED

Starker, goldener Wein! Du bist

Wie das Glück im Spiel.

Ewig gleich aus deinem Innern, ob

Wir wild werden, toll werden, bös werden,

Strahlt die Verlockung.

Du und ein fragendes Kind! Ihr weckt

Das arge Wissen in uns, doch ihr

Gebt auch das Vergessen.

Du bist die Lust zu gestehen, bist

Die Lust zu verhehlen, dein

Ist Klarheit und Heimlichkeit.

Ewig gleich aus deinem Innern, ob

Wir traurig sind, ob wir froh sind,

Strahlt die Verlockung.

Und du bist wie die großen Geister.

Du machst uns stolz, bis wir

Hintaumeln, machst uns stark, bis du

Uns umwirfst. Freund, Verführer und Herr!

Denn dein heiliges Sein

Ist nicht erkannt, nicht gewürdigt.

ARISTOGEITON

Drei Frühlingstage war ich bang um dich.

Ich wußte nichts. Doch ahnte ich — Böses.

Schöner Knabe, folgsam der Sünde!

Später vergaß ich.

Drei Wochen später! Da erzähltest du mir.

Ich dachte: daß diese Dinge

Ewig die gleichen sind!

Das ist das Schöne.

Daß er dir Gift geschickt hat!

Weil — du ihn batest darum

In der Stunde der Scham,

Ist schön. Ich mußte doch lachen.

Das Gewissen tilgt den Dünkel nicht.

Und die Götter müssen uns verdammen.

Alles Tun und unsre Einsicht ist

Furchtbare Frechheit.

Einst war mir der Gedanke traurig,

Daß diese Dinge ewig die gleichen:

Jugend, Sünde, Scham, Verwirrung, Erwachen.

Dann fand ich das Ewige schön.

Jugend, Sünde, und: daß du mir all das

Erzählen mußtest: folgsam den Göttern,

Schöner Knabe, dem Tode entronnen!

Wie ich dich liebe!

ZWEIFEL

Ach, wir wissen von keinem Gedanken, wann er

Neu war, von keiner Schönheit, wann sie

Schwand und erschien, von keiner Tat, wir erkennen

Unsre Schuld nicht.

Darum laßt uns verehren, es wäre ja schmählich,

Wollten wir deshalb verehren, weil wir wüßten:

Denn von jeher liebte ein Mensch, ins Hirn dem

Andern zu spucken.

KLAGE UM DEN WEIN

Der Wein, wo kam er hin? Er gab uns Glut,

Dem Geist Besinnung und dem Toren Mut.

Der gute Wein, wo ist er hingekommen?

Ich glaube: die Klugen haben ihn fort genommen.

Die Männer starben. Weiber halten haus.

Der Trost der Klugen hielte den Wein nicht aus.

Der Wein, der würde verraten: es weint das Land,

Es trauert der Geist, nur Bureaumädchen blieb noch Verstand.

ELEND

Komm, schneller Tod. Der Morgen blaut so heiter.

Ich wandle durch die Gassen, Tod, so matt.

Mich stiert ein Kind an. Flammen über die Stadt!

Ein welkes Kind nicht weit von seinem Vater.

Der bange Mann hofft immer weiter.

Tod, leichter Reiter! Flammen über die Stadt!

Komm, schneller Tod!

ERNÜCHTERUNG

Gestorben ist das Abenteuer

Und auch mein Hürchen hat es satt.

Der Morgen graut: Erloschen ist das Feuer,

Das Hündchen Liebe liegt zu Tode matt.

Es mag das Tier nichts Rechtes wittern

Wie wir: seitdem die Lust entflog.

Noch lacht in uns der Spott: ein armes Zittern!

Des Morgens Drohn lügt, wie die Nacht uns log.

ÄSTHETIK DES KRIEGS

Nur der erschaut die schönen Berge wirklich,

Der keine Zeit hat, sie zu bewundern.

Die Soldaten im Süden, nicht die Touristen sehn

Die Dolomiten am besten.

Denn die Natur, ob sie schön oder grausam sei:

Für unsre leere Zeit ist sie nicht gemacht.

Und wirklich sieht den Krieg nur einer, der irgendwie

Keine Zeit für ihn hat.

Der Soldat vielleicht, wenn er daheim

Bei seinem Weibe ruht.

HERBST

Der Abendhimmel, grau und taub

Sei Tafel meinem Stift.

Der starren Bäume fahles Laub

Sei meines Liedes Gift.

Das Spiel von Liebe und von Tod

Kann warten keine Stund’.

Noch leuchtet ihm des Waldes Rot,

Noch sind die Karten bunt.

STIMMEN

Er:

Laß mich allein, ich falle zur Beute

Dem, was die tiefste Schmach du nennst.

Das „Morgen“ gilt mir nicht, nicht mehr das „Heute“,

Nur eine Stunde noch, die du nicht kennst.

Staub bin ich dann und fremder Stürme Raub und Erde:

Auf mir lastet die Nacht.

Bald schlummert ein Schmerz: Was in mir wacht,

Ist Kummer, Angst, Beschwerde.

Sie:

Du reißt dich los. Ich höre noch: Du sinkst.

Weiß nicht, in welchem Meer du ertrinkst.

Bin ich jetzt die Verlassene, Befreite?

War stets doch die zu jedem Schmerz Bereite.

REUE DES DICHTERS

Meine Gedichte —

Alle miteinander

Verbrennen!

Nur eines schrieb ich

Einstens! das feiert den Mut

Des Helden und heißt: Keine Furcht!

Keine Furcht vor dem Wein!

LIED DER HELDEN

Ob wir liegen und harren oder den Tod

Zu belauern, — hinaus schreiten:

Wir fühlen das Schöne, daß wir nicht wissen, woher

Uns der Mut kommt.

Wir müssen siegen.

Dann haben wir im Frieden mehr zu essen!

Ach, jeden überkommt einmal die Stunde

Der Furcht.

Wo der Tod uns treffe! Einsam oder bei den andern:

Nicht zu wissen, ist gut.

Das göttlich Schöne ist, daß wir nicht wissen, woher

Uns der Mut kommt.

DER UNTAUGLICHE

Es liegt doch ein köstlicher Spott darin,

Sage ich es der Einsamkeit oder einem holden Mädchen?

Es ist doch ein eigentümlicher Hohn Gottes,

Daß ich lebe, wenn Tausende sterben.

Es ist doch ein köstliches Ausruhn,

Sage ich es der Einsamkeit oder einem holden Mädchen.

Ich danke es der ewigen Hoheit

Der Nacht, daß ich froh bin zu atmen.

DER TRINKER AUF DEM SCHLACHTFELD

Du! schläfst im fließenden Wein!

Du! rufst im Traum.

Hier, Tod, hat dein Spiel

Lichten freien Raum.

Resignation.

Du große Stille! Der Ruf nach Heldentum ist

Verzweiflung des Herzens. Und doch gibt es Männer.

Ihr leuchtenden Sterne! Der Ruf nach Schönheit ist nur

Verzweiflung der irren Sinne. Du große Stille!

RUF

Du hoher Ton der Geige! Diese Zeit

Ist nicht die meine und die Tage fliehn.

Du Jubelton der Geige! Ach, es starb

Die Jugend und mich freut kein Siegen mehr.

Du Siegeston der Geige! Ewig frißt

Der Gram! Ihr Armen! Laßt die Bäume blühn.

BEKENNTNIS

Um des Geistes Morgenschlummer

Aufzuwecken, schreibe ich das Gedicht.

Da aus all dem toten Kummer

Eine Stimme meinem Glühen Antwort spricht.

Stimme eines schlanken, frohen

Mädchens, das kein andres Opfer kennt

Als ein Lachen, kühlend: die da lohen

Nachtgeborne Flammen, sonst kein Opfer kennt.

Nimm den ewig grünen dunkeln

Lorbeer auf dein Haupt, wie Feuer brennt,

Berge ragen und die Sterne funkeln:

So bekenne: ob man stolz dich nennt.

Dem erstummt die Welt und Einsamkeiten

Dich im Fragen sternengleich umziehen

Wie im Traume, wenn du meinst zu schreiten

Über hohe Dächer, Türme hin.

MAHNUNG

Stille! Freund! Es lernt sich alles.

Wer die Scham verlernt hat, ist

Jeglichen Verbrechens fähig.

Längst begehrt mein Herz: zu sehen

Wie im Kampf der Feige kühn wird

Und wie aus dem kältesten Grauen

Jäh die Grausamkeit erwacht.

Preist nicht den Gewinn der Arbeit!

Ja: der Durst begehrt nach Säure!

Wohl! Bedenk: Das Herz verlangt nicht

Obst: es will gestohlene Früchte.

Meide Worte, die uns rühren:

Sie verführen, und im Herzen,

Das Verführung schon gekostet

Und verspürt hat, wacht die Tücke.

Schweigt von Gott! Schweigt von der Plage!

Glaubens Reden stört die Andacht,

Stört die stille Scham des Mannes.

Schweigt von Tugend und von Sünde.

Darum still! Und müßt ihr reden,

Sprecht in leichten lockern Worten,

Die den Tänzer nicht beschweren,

Nicht des Weines Licht verdunkeln.

ABSCHIED

Es ertrinken die Sterne

In tiefem Blau.

Des Morgens Kahn ziehn ferne

Schimmernde Segel,

Zeigen uns, wie unergründlich tief

Die schwindende Nacht ist.

Freund! Gefahr und Weib

Gilt. Was? Kopf hoch und munter.

Torheit ist unser Wundern,

Torheit ist das Verachten.

Freund!

INHALTSÜBERSICHT

  Seite
Phantasia desperans 5
Frage 5
Cantate 6
Abend 6
Erfüllung 7
Es gibt doch Süße 7
Ballade 8
Unlust 8
Werbung 9
Spät nachts 9
Geständnis 10
Erinnerung 10
Morgenträume 11
Melancholie 11
Unmut 12
Der Einsame 12
Der Individualist 13
Abend 13
Tanzlied 13
Morgen 14
Sorge 14
Erwachen bei der Geliebten 15
Wunsch 15
Freude 15
Weinlied 16
Aristogeiton 17
Zweifel 18
Klage um den Wein 18
Elend 19
Ernüchterung 19
Ästhetik des Kriegs 20
Herbst 20
Stimmen 21
Reue des Dichters 21
Lied der Helden 22
Der Untaugliche 22
Der Trinker auf dem Schlachtfeld 23
Ruf 25
Bekenntnis 24
Mahnung 25
Abschied 26

Anmerkungen zur Transkription

Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert.