The Project Gutenberg eBook of Ludwig Tieck This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Ludwig Tieck Author: Rudolf Köpke Release date: January 3, 2019 [eBook #58607] Language: German Credits: Produced by Karl Eichwalder, Günter Jürgensmeier for OCR and text preparation, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LUDWIG TIECK *** Produced by Karl Eichwalder, Günter Jürgensmeier for OCR and text preparation, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1855 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert. Die Schreibweise einiger Personennamen (z. B. Stael bzw. Staël) wurde harmonisiert, ansonsten wurden abweichende Schreibweisen belassen, sofern die Verständlichkeit des Texts dadurch nicht berührt wird. In der Buchvorlage wurden ‚deutsche‘ Anführungszeichen („…“) verwendet, ‚Zitate in Zitaten‘ wurden dagegen von Guillemets, mit der Spitze nach außen («…»), umschlossen. Letzteres kann allerdings auf einigen Lesegeräten zu unvorhersehbaren Zeilenumbrüchen führen, daher wurden in diesen Fällen einfache Anführungszeichen (‚…‘) verwendet. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö und Ü) werden durch ihre Umschreibungen (Ae, Oe und Ue) dargestellt. Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen von Rudolf Köpke. Ludwig Tieck. Erster Theil. Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen von Rudolf Köpke. Erster Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1855. Inhalt des ersten Theils. Seite +Vorwort+ VII +Erstes Buch.+ Jugendbilder. 1773-1792. 1 1. Das Vaterhaus 3 2. Schule und Straße 14 3. Die Breter, die die Welt bedeuten 28 4. Der Genius 37 5. Ein hoffnungsvoller junger Mensch 46 6. Jugendgefährten 63 7. Kunstleben 75 8. Ein Weltereigniß 90 9. Verlust und Versuchung 95 10. Dichter und Schriftsteller 109 11. Der Abschied 124 +Zweites Buch.+ Dichterleben. 1792-1800. 127 1. Halle. Katheder und Offenbarung 129 2. Göttingen. Studien 145 3. Erlangen. Abenteuer 154 4. Lebensaufgaben und Pläne 172 5. Die Vaterstadt 187 6. Der Altmeister und der junge Dichter 198 7. Alte und neue Freunde 218 8. Romantische Dichtungen 236 9. Jena und Weimar 245 +Drittes Buch.+ Kampf und Leiden. 1800-1819. 269 1. Bewunderer und Gegner 271 2. Zweifel und Verlust 286 3. Ein alter Freund 299 4. Ein Naturdichter 309 5. Schmerz und Krankheit 311 6. Der italienische Himmel 317 7. Die Heimat 327 8. Wanderleben 337 9. Phantasus 346 10. Auswanderung 351 11. Visionen in Berlin 358 12. Neue Freunde 363 13. London und Paris 371 14. Uebersiedelung 382 Vorwort. Jedes Jahr bringt neue Schriften, die es unternehmen, die reichste Zeit unserer dichterischen Literatur kritisch aufzuklären oder übersichtlich darzustellen, und jedes Jahr lichtet stärker die Reihen ihrer Theilnehmer und Zeugen. Der Bücher, welche über die neuere deutsche Poesie und ihre großen Charaktere reden wollen, sind immer mehr, der Menschen, welche aus eigener Anschauung davon reden können, immer weniger geworden. In den kritischen Gesammtausgaben, Varianten und Nachlesen, in den Erklärungen und Denkwürdigkeiten der Dichter hat sich bereits ein gelehrter Niederschlag jener vollen Bewegung angesammelt. Das lebendige Heute ist zum stillen Gestern geworden, von dem wir erzählen, damit der kommende Morgen, über dem eine andere Sonne scheint, sich seiner erinnern möge. Das sind die Zeichen der Zeit. Die letzten Jahre haben wiederum zwei Männer mit sich genommen, welche Führer der romantischen Periode gewesen sind. Im Jahre 1853 starb Tieck, 1854 Schelling. Ihr Leben liegt abgeschlossen vor uns, und für den Dichter wie für den Philosophen der Natur beginnt die Geschichte. Dieses Buch ist dem Andenken Tieck’s gewidmet. Ludwig Tieck gehört zu den hervorragendsten Erscheinungen unserer neuern Literatur, der eigenthümliche und selbständige Dichter neben und nach Goethe und Schiller, der Zeitgenosse und Freund großer und bedeutender Männer, der Mitstreiter merkwürdiger Kämpfe, der Zeuge aller folgereichen Wandlungen, welche der deutsche Geist seit dem Ausgange des vorigen Jahrhunderts erfahren hat. Als er starb, blickte er auf sechzig Jahre literarischer Thätigkeit zurück. Wie Klopstock und Wieland von Bodmer bis auf Tieck und Heinrich von Kleist, wie Goethe von Gottsched und Klopstock bis auf Heine und Börne, so reichte sein Leben von dem Jahre, wo der „Götz von Berlichingen“ erschien bis auf Hebbel und Redwitz herab. Er war ein seltener und eigen gearteter Mensch, dessen Wesen man nicht besser bezeichnen kann, als mit dem Worte, welches er selbst oft anwandte: er hatte nicht nur gesehen, gehört, geschrieben und gedichtet, er hatte gelebt, in sich erlebt. Das Leben eines solchen Mannes erscheint merkwürdig genug, um auch die Erinnerungen zu sammeln, welche nicht unmittelbar in seinen Werken liegen. Diese Aufgabe hat sich das folgende Lebensbild gestellt. Freilich sind ihm sehr fühlbare Schranken gesetzt, innerhalb deren es sich halten muß. Nicht etwa durch das, was ich von meiner Kenntniß Tieck’s zurückzuhalten hätte, dessen ist nur wenig, und dieses Wenige nicht eben erheblich; vielmehr sind es die Lücken dieser Kenntniß selbst, welche sich bemerklich machen. Die Grundlage der gegebenen Darstellung ist eine Reihe gelegentlicher mündlicher Mittheilungen Tieck’s, auf deren Vervollständigung aus andern Quellen, wenigstens für die frühern Abschnitte seines Lebens, nicht mehr zu rechnen ist. Es lebt Niemand mehr, der von Tieck’s Jugend, seinem Bildungsgange und ersten Eintritt in die Literatur aus eigener Erfahrung Kunde hätte; die Wenigen, welche von der Zeit der romantischen Dichtungen zu sagen wissen, lassen sich mit Namen aufzählen; in den Denkwürdigkeiten älterer Zeitgenossen erscheint er nur vorübergehend, und auch diese Andeutungen reichen kaum über den Aufenthalt in Jena zurück. Einige Mal erwähnt seiner Goethe in Briefen, Jahresheften, Kritiken und Gesprächen, dann Schiller, Fichte, F. Schlegel, Gries, Körner, Philipp Otto Runge, Solger, dieser allerdings ausführlich, Bettina in ihren Briefen, Steffens, Laun, Oehlenschläger, der Schauspieler Lange, Karl Förster, Carus, Holtei, Strombeck und Immermann in ihren Denkwürdigkeiten und Tagebüchern. Die letzten Fünf kannten ihn in der dresdener Zeit, die Andern begegneten ihm früher, doch fast alle erst in dem Lebensabschnitte zwischen Jena und Dresden. Zahlreicher sind die Berichte literarischer Touristen über einzelne Besuche bei Tieck und oberflächliche Berührungen mit ihm; sie gehören sämmtlich der spätern Zeit an. Nach diesen Angaben ein Bild zu entwerfen, ist nicht möglich; wer es dennoch unternehmen wollte, würde kaum einen matten Umriß erhalten. Was Tieck’s Freunde so oft mit Bedauern ausgesprochen haben, kann auch hier nur wiederholt werden: er selbst hat keine Denkwürdigkeiten hinterlassen. Und warum gerade er nicht, in einer Zeit, die so manches Buch dieser Art aufzuweisen hat, in dem Vieles breit erzählt wird, was kaum des Erlebens, geschweige denn des Andenkens werth war? Warum er nicht, bei seiner Schärfe und Feinheit der Beobachtung, bei dieser Meisterschaft der Charakteristik und Erzählung? Die Antwort auf diese Frage liegt in seiner eigensten Natur, in der Verkettung von Umständen, die manche seiner liebsten Pläne über die ersten Versuche der Ausführung nicht hinauskommen ließ. Er war durchaus frei von der eiteln Absichtlichkeit, die von Allem, was sie thut, auch von dem Kleinsten, der Welt glaubt Rechenschaft schuldig zu sein, die spricht, um von sich zu schreiben, und schreibt, um von sich sprechen zu machen. Solange er noch dichterisch schuf, und mit jeder neuen Erfahrung immer neue Gestalten in ihm aufstiegen, solange er mit zahlreichen Freunden in ununterbrochenem geistigen Austausche stand, war ihm die Gegenwart viel zu gehaltvoll und wichtig, als daß er von der Vergangenheit hätte ausführlich sprechen sollen. Dafür hatte er noch keine Ruhe gewonnen. Aeltere Freunde bezeugen, daß er in der frühern Zeit in Dresden nur selten, und zufälliger Veranlassung oder dringender Aufforderung folgend, auf seine jüngern Jahre zurückgekommen sei, und auch dann meistens nur kurz, ohne in genauere Schilderungen einzugehen. Er war darin vielleicht zu sorglos. Dennoch konnten Anregungen, über einzelne Lebensabschnitte zu sprechen, nicht ausbleiben. Die nächste lag in seiner Dichtung selbst. Die Novellen enthielten überall Erlebtes, sie wurden mitunter zu persönlichen Bekenntnissen; die Gespräche im „Phantasus“, ein Theil der lyrischen Gedichte waren reich an einzelnen Zügen aus seinem Leben. Aber man mußte damit bereits vertraut sein, um die Denkwürdigkeiten in dieser Gestalt zu erkennen. Auch der Briefwechsel mit Solger, den er mit dessen Nachlaß herausgegeben hatte, enthielt manches merkwürdige Zeugniß über seinen Bildungsgang. Endlich begann er seine Schriften zu sammeln, eine Durchsicht derselben und ein Rückblick auf die Vergangenheit ward nothwendig. Zu manchen hatte er sich öffentlich nie bekannt, andere waren verschollen, andere gemisdeutet worden. Von einer Gesammtausgabe der Dichtungen ließ sich die Pflicht über ihre Entstehung, d. h. über einzelne wichtige Punkte seines Lebens Erläuterungen zu geben, kaum trennen. In den Jahren 1828 und 1829 schrieb er daher die Einleitungen zu dem ersten, sechsten und elften Bande der Schriften, die auch in dieser fragmentarischen Form für Theile seiner Denkwürdigkeiten gelten können. Nur sind sie mehr literarisch als rein historisch, sie schließen sich der aufgestellten Reihenfolge der Schriften an, welche nicht die chronologische ist, man bewegt sich daher mehr im Kreise, als daß man auf der geraden Linie der Lebensentwickelung fortschritte. Nachdem Tieck das sechzigste Jahr zurückgelegt hatte, scheint ihm der Gedanke, sein Leben zum Gegenstande besonderer Darstellung zu machen, zum ersten Male näher getreten zu sein. Die früheste Andeutung findet sich 1838 in einem Briefe an seinen Bruder, den er auffordert, zu diesem Zwecke die Erinnerungen ihrer Kindheit und der spätern Jahre zu sammeln, und ihm die darauf bezüglichen Notizen zu übersenden. Die schiefen und einseitigen Urtheile, die er zu allen Zeiten erfahren hatte, die böswilligen Verdächtigungen, die abgeschmackten Märchen, die nicht ohne Erfolg über ihn in Umlauf gebracht worden waren, wollte er durch eine einfache Darstellung des Thatsächlichen widerlegen. Leider kam es nicht dazu, nicht einmal zu einer vorläufigen Sammlung des Stoffs für eine spätere Bearbeitung. Die ihm auch damals noch näherstehende dichterische Production, häusliches Unglück, Krankheit, der Wechsel des Wohnsitzes und altgewohnter Verhältnisse, Mangel an Entschluß traten hemmend entgegen. Dennoch lag ihm dieser Plan bis in die letzten Jahre am Herzen. Immer noch hoffte er auf den Augenblick, wo er sich kräftiger fühlen werde, und zur Ausführung schreiten könne. Früher als dieser Augenblick ist der Tod gekommen. Zum Glück reicht Tieck’s Wort über das Grab hinaus. Er hinterließ ein Vermächtniß, das wenigstens einen theilweisen Ersatz gewährt. Mag dieser immerhin dürftig und mangelhaft erscheinen im Vergleiche mit dem, was Tieck selbst hätte geben können; er wird beachtenswerth, wenn man darin die Reste eines unwiderbringlich verlorenen Reichthums sieht. Hier ist der Punkt, wo die eigenthümliche Beschaffenheit des Stoffs, der in diesem Buche niedergelegt ist, von meinen persönlichen Beziehungen zu Tieck zu reden gebietet. Im Anfange des Mai 1849 hatte ich das Glück, ihn zum ersten Male zu sehen. Mit allgemeiner Spannung blickte man in diesen Tagen auf den Ausgang des revolutionären Kampfes in Dresden; die gemeinsame Theilnahme für dortige Zustände hatte mich zu ihm geführt. Die außerordentlichen Verhältnisse erleichterten die Bekanntschaft; man hatte damals das Bedürfniß, über gewisse Punkte, namentlich über die politischen Tagesfragen sich in der Kürze zu verständigen, und so erfolgte auch hier die Annäherung leicht. Mehr noch that Tieck’s wohlwollendes Entgegenkommen. Ich habe erfahren, was Alle erfahren haben, die ihm ohne vorgefaßte Meinung und ohne Ansprüche genaht sind. Seine edle Natürlichkeit und Unbefangenheit, die vollkommene Freiheit von Allem, was falscher Würde ähnlich sah, oder der Absicht, ein Uebergewicht fühlbar zu machen, seine Wahrheit und reine Güte, der einfache und geistig befreiende Ton seines Gesprächs, Alles trug dazu bei, die Fesseln der Zurückhaltung, durch die der Unbekannte dem berühmten Manne gegenüber sich leicht gehemmt fühlt, bald zu lösen. Aus den ersten Berührungen erwuchs ein Verkehr, der bis zu seinem Tode ohne Unterbrechung fortgesetzt wurde, der mich vier Jahre hindurch wöchentlich mehrere Male, zuletzt fast täglich, oft Stunden lang in sein Haus führte. Als die politische Spannung sich gelegt hatte, traten in der Unterhaltung immer mehr die Gedanken und Gegenstände hervor, welche die schönste Zeit seines Lebens erfüllt hatten, und auch jetzt noch seine wärmste Theilnahme besaßen. Es waren Dichtung und Literatur, die heimische wie die fremde, die vergangene wie die gegenwärtige, das Verständniß und die Kritik der Dichter und ihrer Werke, die Kunst, die Wissenschaft, und alle große Fragen, die vom Tage nicht abhängen, und stets neu erscheinen, weil sie uralt sind. Bald nahmen diese Gespräche noch einen andern Charakter an. Unbemerkt gewannen sie die Farbe historischer Erinnerungen, deren Mittelpunkt Tieck selbst war. Zufällige Veranlassungen, naheliegende Erörterungen der Novellen oder der ältern Dichtungen leiteten zuerst darauf hin, einzelne Züge in leichten Andeutungen oder humoristischen Anekdoten mitzutheilen. Allmälig gestalteten sich diese Umrisse zu festern Bildern, besonders seit er die tödtliche Krankheit im Frühjahr 1851 noch einmal überwunden hatte. Jetzt wurden ihm diese Rückblicke auf die frühere Zeit fast zum Bedürfniß, und die mündliche Erzählung vor Zuhörern, von deren aufrichtigster Theilnahme er überzeugt sein konnte, ersetzte seinem Gefühle wenigstens entfernt, was ihm eine Aufzeichnung der Erinnerungen gewesen wäre. Absichtslos, wie Stimmung und Gedächtniß den Stoff zuführten, hatte er zuerst einzelne Punkte aus seinem Leben besprochen, nun begann er auf Ergänzung und Abrundung, und nach manchen Seiten hin auf eine gewisse Vollständigkeit zu denken. Endlich hatte er in mannichfach verschlungenen Episoden eine Reihe von Bildern aus seiner Jugendzeit, seiner Aeltern und Lehrer, Gefährten und Freunde, seiner innern Kämpfe, seiner Verbindungen mit den Dichtern des vorigen und des gegenwärtigen Jahrhunderts gegeben. Es waren gesprochene Novellen, ein unendlich reiches Leben entfaltete sich in ihnen, und wie überall bei ihm paarte sich auch hier der anmuthig spielende Scherz mit dem tiefen Ernste. Wer den Zauber der Rede Tieck’s jemals selbst erfahren hat, wird es erklärlich finden, daß im Genusse des Augenblicks die schriftliche Aufzeichnung dieser Gespräche nicht der nächste Gedanke war. Doch gemahnt durch die wiederkehrende Todesgefahr, entschloß ich mich noch zu rechter Zeit zu dem schweren Versuche, der jetzt zur historischen Pflicht ward. Während der letzten zwei Lebensjahre Tieck’s habe ich alle wichtigen Unterhaltungen mit ihm aufgezeichnet, und es wird kaum einen bedeutendern Punkt geben, der in dieser Zeit nicht wiederholt zur Sprache gekommen wäre. Ich darf behaupten, daß durch den spätern Beginn der Aufzeichnung am Stoff nichts Wesentliches verloren gegangen ist. Auf Tieck’s Erzählungen selbst hat sie keinen Einfluß gehabt, er wußte nichts davon, der Gedanke einer künftigen Veröffentlichung dieser Gespräche lag ihm bis kurze Zeit vor seinem Tode fern. Sie waren durchaus unbefangen; von einer Absicht, einem bewußten Vorbereiten oder Zurechtmachen ist nie die Rede gewesen. Aber darum entbehren diese Erinnerungen nicht der Autorisation. Als ich mir im April 1853 die wachsende Todesgefahr nicht länger verhehlen konnte, ward es Pflicht, ihm eine vollständige Mittheilung über die niedergeschriebenen Notizen zu machen. Ich sagte ihm, daß ich diese kleinsten Theile seines Lebens aufgelesen und gesammelt hätte. Lächelnd erwiderte er: „Das freut mich zu hören. Sie sind ein wahrhafter Mann, und werden es so wiedererzählen, wie ich es Ihnen gesagt habe. Es werden dadurch viele Lügen widerlegt werden, die über mich in Umlauf gekommen sind.“ In diesen Worten liegt die Berechtigung der folgenden Darstellung. Ich habe sie als einen letzten Willen, als ein Vermächtniß angesehen, dessen Vollziehung für mich nicht allein zur Pflicht der Pietät, sondern auch der historischen Gerechtigkeit ward. So faßte er es selbst auf, und schloß die Augen in der Zuversicht, daß diese Erinnerungen ein Bild seines Lebens geben würden, wenn er selbst auch über diesen letzten Wunsch hinweggehoben sei. Schon früher hatte Tieck die mündlichen Erzählungen in anderer Weise ergänzt. Lange beschäftigte ihn der Gedanke, eine Auswahl des reichhaltigen Briefwechsels herauszugeben, in dem er während eines langen literarischen Lebens mit den verschiedensten Männern gestanden hatte. Diese Sammlung, soweit sie ihn persönlich betrifft, beginnt mit dem Jahre 1792 und enthält der großen Mehrzahl nach Briefe, die an ihn gerichtet sind. In chronologischer Reihenfolge theilte er mir die einzelnen Bände mit zur Durchsicht und vorläufigen Bezeichnung des etwa Auszuwählenden. An jeden wichtigen Brief knüpften sich Erläuterungen und häufig neue Erzählungen. Dies war in den Wintermonaten von 1852 auf 1853. Als ich den letzten Band zurückzugeben kam, war er wenige Stunden zuvor gestorben. * * * * * So ist es zu verstehen, wenn ich dieses Buch „Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen“ genannt habe. * * * * * Tieck’s Erzählungen waren nicht vollständig, aber durchaus glaubwürdig. Nicht von jedem Lebensabschnitte sprach er mit gleicher Ausführlichkeit und gleichem Behagen. Mit besonderer Vorliebe verweilte er bei dem Knaben- und Jünglingsalter, in allgemeinern Zügen stellte er die spätere Zeit hin. Dort war Alles neu, frisch, glänzend, er selbst noch ein Werdender, den auch der Kampf förderte; hier hatte das Leben eine festere Gestalt gewonnen, und zwanzig Jahre gleichmäßigen Daseins erschienen in der Erinnerung wie der ruhige Fluß mit sanften Ufern, den man still hinabgefahren ist. Manches, was ihn zu tief bewegte, erwähnte er selten, und dann nur mit wenigen Worten, so den Tod seiner Tochter Dorothea; Anderes mochte seinem Gedächtnisse ganz entschwunden sein. Einfach, arglos und edel erscheint er in diesen Erinnerungen; wie über seine Dichtungen, urtheilte er über sich und sein Leben durchaus unbefangen. Welchen Grund hätte er auch haben können vor Zuhörern, deren Beifall oder Misbilligung für ihn eine geringe Bedeutung haben mußte, am Rande des Grabes, in dieser absichtslosen Selbstbetrachtung sich anders darzustellen, als er im Augenblicke sich wirklich erschien? Im Einzelnen blieben sich die Grundzüge der Erzählungen immer gleich, so oft er auch auf denselben Punkt zurückkommen mochte. Führte er Personen redend ein, so geschah es in den Wiederholungen stets mit denselben Worten. Manche kleine Züge finden in den ebenso absichtslosen Aufzeichnungen Anderer eine unerwartete Bestätigung. Von dieser Seite könnte nur der übertriebene Zweifel die historische Treue und Aufrichtigkeit in Frage stellen. Doch Tieck selbst kannte das eigenthümliche Wesen der historischen Ueberlieferung sehr wohl. Von ihr sagt er in der Einleitung zu seinem Shakspeare-Buche („Ludwig Tieck’s nachgelassene Schriften“, II, 119): „Wenn wir uns nur sichere Rechenschaft geben könnten, daß unser Standpunkt selbst nicht viel bestimmt und richtet, und doch aus unserm Auge die Perspective der Linien und der Luft sich bildet.“ Konnte der Greis die Zustände seines jugendlichen Lebens so wiedergeben, wie sie wirklich waren, oder vielmehr nur so, wie sie ihm nach vielen dazwischenliegenden Wandlungen erschienen, wie er sie aus seinem jetzigen Standpunkte sah? Es ist dieselbe Frage, welche Goethe ebenso tiefsinnig als vorsichtig beantwortete, wenn er auf dem Titel seines Buchs „Aus meinem Leben“ den Zusatz machte: „Wahrheit und Dichtung.“ Schwerlich wird der Mensch sich und die Dinge, bei denen er betheiligt ist, durch ein vollkommen reines Medium zu sehen vermögen; bald wird es zu hell, bald zu dunkel gefärbt sein. Zuerst betrachtet er sie mit Leidenschaft, nachher versteht er seine eigene Leidenschaft nicht mehr. Glücklich, wer im hohen Alter gehaltvolle Erlebnisse mit einem so treuen, durch Lust und Schmerz befestigten Gedächtnisse, mit so viel jugendlichem Feuer und Theilnahme, mit so überzeugender Gegenständlichkeit darzustellen vermag, wie es Tieck in diesen Gesprächen gethan! Für den Nacherzähler ist es unendlich schwer, solche Mittheilungen ohne den geringsten Verlust an Zuverlässigkeit, doch mit gleicher Frische und Lebendigkeit wiederzugeben. Das Letzte wird kaum Jemand verlangen. Um wie Tieck, wenn auch aus seinem Munde zu erzählen, müßte man Tieck selbst sein. Schon das wörtlich treue Aufzeichnen eines Gesprächs, das vielleicht bei einem Bücherkatalog anfing, und bei der Resignation aufhörte, die ihm der Anfang der Weisheit war, erschien in hohem Grade schwierig. War es doch bisweilen schon, wenn die Hausthür sich schloß, kaum mehr möglich, den Faden wiederaufzufinden, der durch diese verschlungenen Gänge geführt hatte. Zwar hatte sich mir alles Wichtige, oft die Worte selbst wol eingeprägt, aber bei dieser Fülle mußte auch das treueste und willigste Gedächtniß eine gewisse Einbuße erleiden. Und wie sollte dieser Stoff benutzt werden? An Vorbildern fehlte es nicht. Am nächsten lag es, an „Eckermann’s Gespräche mit Goethe“ zu denken. Aber diese Gespräche mit Tieck waren zum großen Theil historische Erinnerungen. Sollte ich jede Unterhaltung unter ihrem Tagesdatum mit dialogischer Treue wiederzugeben versuchen, eine an die andere reihen, um so eine dennoch nur zweifelhafte Authentie herzustellen? Ich konnte mich nicht dazu entschließen. Ich hätte im Dialog als zweite Person neben Tieck treten, ich hätte eine ungeordnete Masse biographischen Materials geben müssen, in dem der Erzähler chronologisch vorwärts und rückwärts ging, Episoden einschaltete, sich häufig unterbrach, durch literarische Kritiken, durch humoristische oder tiefsinnige Beobachtungen, die an das Nächste wie an das Fernste anknüpften. Durch den Geist, mit dem der Sprechende Alles zu durchhauchen wußte, durch Ton und Blick, durch die Dramatik des Vortrags erhielt dieses scheinbar wirre Gewebe einen unendlichen Reiz, um so reizender, je mannichfaltiger es sich verschlang. Wie schwerfällig, wie breit und dennoch dürftig würde sich dies Alles in dem geschriebenen Worte des Nacherzählers dargestellt haben! Es wäre gewesen, was die kalte, harte, farblose Type ist im Vergleiche mit dem bewegten Leben. Man würde mir schließlich gesagt haben, es sei ein schätzbares Material, dessen Verarbeitung zu einem lesbaren Buche eine geschicktere Hand übernehmen müsse. Der Bearbeiter würde sich bald gefunden haben, wahrscheinlich ein solcher, der den vollen Eindruck der Persönlichkeit, wie ich ihn empfangen hatte, nicht besaß, der Tieck vielleicht gar nicht einmal gekannt hätte. Endlich eine Sonderung der Gespräche nach Stoffen wäre einer halben Verarbeitung gleichgekommen, es wäre auch damit nichts gewonnen gewesen. Es blieb somit nur Eines übrig, den Weg zu gehen, den ich gegangen bin, erfüllt von der lebendigen und dankbaren Erinnerung an den befreundeten Dichter, geleitet von meinen Aufzeichnungen, die Bearbeitung des Stoffs selbst zu übernehmen. Dies empfahl sich umsomehr, da mir außer den mündlichen Mittheilungen Tieck’s noch andere Quellen zu Gebote standen. Ich kannte nach seinen eigenen Angaben die biographischen Bestandtheile der Dichtungen; aus den Briefen ergaben sich manche werthvolle und charakteristische Züge, und zugleich gestaltete sich aus ihnen ein chronologisches Fachwerk, in welches sich die einzelnen Erzählungen mitunter trefflich einfügten; in den letzten vier Jahren seines Lebens hatte ich ihn selbst oft genug gesehen und beobachtet, um seine Eigenthümlichkeit kennen zu lernen. Endlich über manche frühere und spätere Momente war ich im Besitze der glaubwürdigsten Zeugnisse und Notizen, die ich seinen Freunden und den Personen verdankte, die Jahre lang zu seiner nächsten Umgebung gehört hatten. Wenn ich hier von der Unterstützung und Förderung spreche, welche ich durch Andere erfahren, habe ich vor Allen Friedrich von Raumer auf das dankbarste zu nennen, der in der warmen Theilnahme an diesen Erinnerungen die treue Freundschaft, die ihn mit dem Dichter im Leben verband, auch nach dessen Tode bewahrt hat. Ihm verdanke ich die Benutzung seines höchst gehaltreichen Briefwechsels mit Tieck, eine Anzahl Briefe Tieck’s an F. Schlegel, mündliche Ueberlieferungen und Berichtigungen, Rath und Hülfe aller Art, wie sie nur der Freund und historische Augenzeuge zu geben vermag. Für Anderes bin ich einem zweiten ältern Freunde Tieck’s, F. von der Hagen, seinem Neffen G. Waagen, und seinen spätern Freunden Loebell und Carus dankbar verpflichtet. Den beiden Letzten doppelt, da sie mir verstattet haben, ihre Mittheilungen meinem Buche unmittelbar beizufügen. Auch aus diesen Quellen ergab sich eine nicht unbeträchtliche Masse des Stoffs. Bei der Bearbeitung war es zunächst gerathen, die Gespräche allgemeinen, nicht biographischen Inhalts auszusondern und in einem eigenen Abschnitte zu sammeln. Hier habe ich Tieck’s Worte getreu wiedergegeben, wie ich sie aufgezeichnet und im Gedächtnisse bewahrte. Ich glaube nicht, daß sie durch die Umwandlung des Dialogs in den Monolog, die sich aus dem eingenommenen Standpunkte mit einer gewissen Nothwendigkeit ergab, irgendwie erheblich gelitten haben. Hoffentlich wird das sechste Buch den Reichthum dieser Unterhaltungen wenigstens ahnen lassen. Die Jugendbilder im ersten Buche ruhen ausschließlich auf Tieck’s Erzählungen. Diese bilden auch den Hauptbestandtheil des zweiten, doch kommen hier manche Ergänzungen aus den Briefen hinzu, welche bei der fragmentarischen Beschaffenheit der Erzählungen aus der spätern Zeit im dritten und vierten Buche besonders wichtig wurden. Das fünfte hat sich vorzugsweise aus mündlicher Ueberlieferung und eigener Anschauung ergeben. Die Darstellung im Einzelnen war durch die verschiedene Natur des Stoffs bedingt. Wenn das eng begrenzte, doch tief bewegte Jugendleben, und das berliner Kleinleben jener Zeit interessiren sollte, so mußte ich es mit vollstem Eingehen, so weit es mir erinnerlich war, zu schildern versuchen, während die spätere Zeit weder nach dem vorliegenden Stoffe, noch ihrem Charakter nach ein gleiches Verfahren erlaubte. Daher die fast novellistische Haltung der ersten, die literarhistorische der letzten Bücher. Ich bemerke ausdrücklich, in jene Bilder ist kein Zug aufgenommen, der nicht von Tieck selbst angedeutet worden wäre; das gilt namentlich durchgehend von den geschilderten Seelenzuständen. Man halte sie nicht für psychologisirende Phantasiegemälde; gerade in dieser Weise pflegte er seine frühesten innern Kämpfe zu schildern. Spätere Darstellungen ähnlicher Zustände sind aus Briefen geschöpft. Wo Personen redend eingeführt sind, gehören ihre Worte Tieck an, ebenso die bisweilen vorkommenden Urtheile über mehr oder minder bekannte Charaktere seiner Jugendzeit. Dagegen die Verbindung des Einzelnen, die chronologische Gruppirung zerstreuter Bestandtheile, die oft nicht leicht war, weil Tieck bei der freien Bewegung des Gesprächs an ein chronologisches Aufreihen am wenigsten dachte, die Sammlung unter leitende Gesichtspunkte, die Herstellung eines historischen Charakterbildes, welches an einigen Stellen in einen fernen Hintergrund blicken läßt und sich zum Zeitbilde erweitert, dies Alles gehört mir ausschließlich an. Also nicht Tieck’s Denkwürdigkeiten, seine Lebensgeschichte gebe ich; ich gebe sie unter der Verantwortlichkeit, wie sie überall dem Geschichtschreiber zufällt, der einen überlieferten Stoff darzustellen versucht. Bei der abweichenden Natur des meinen, schien diese Auseinandersetzung unerläßlich. Noch ein Wort habe ich zu sagen. Wenn ich eine Charakteristik Tieck’s zu entwerfen versuchte, konnte ich ihn nur so darstellen, wie er mir in einem mehrjährigen Umgange als Mensch, und in seinen Werken als Dichter erschienen war, deren höchste Werthschätzung seit frühen Jahren bei mir feststand, lange vorher, ehe ich eine Ahnung davon hatte, ihm jemals persönlich nahe zu treten. Diese Lebensgeschichte ist somit unbeabsichtigt zu einer literarhistorischen Würdigung und Vertheidigung Tieck’s geworden. „Oder vielmehr zu einer Verherrlichung“, werden Andere hinzusetzen. Ich habe nichts dawider, denn ich bin mir bewußt, meinen Stoff gegeben zu haben, wie ich ihn fand und wie er sich mir darstellte. Immerhin aber wird es gut sein, auch einmal den andern Theil zu hören, nachdem so manches ungerechte und verkehrte Urtheil im Namen der Kritik und der historischen Gerechtigkeit mit der Miene der Unfehlbarkeit über ihn gefällt worden ist. Seine Beurtheiler sind in vielen Fällen Verurtheiler gewesen. Es ist nicht zu viel behauptet, kein anderer großer deutscher Dichter ist härter, undankbarer behandelt worden. Es wäre wol der Mühe werth, eine Galerie der Kritiken zu sammeln, die von der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ bis auf die „Halleschen Jahrbücher“ über ihn erschienen sind, und bis auf den Augenblick, wo die Feuilletonisten ihm die Grabrede gehalten haben. Haben doch manche Kritiker erst durch seinen Tod die beruhigende Ueberzeugung gewonnen, daß nunmehr auch die Romantik wirklich todt und völlig überwunden sei! Ein ähnlicher Ton wird in vielen Literaturgeschichten, berühmten und unberühmten, angeschlagen. Während es bei andern Dichtern eine Pflicht ist, von der man nicht gern abweicht, die Anerkennung der Kritik, das Positive dem Negativen vorangehen zu lassen, ist bei Tieck die umgekehrte Praxis zur Regel geworden. Man beginnt mit dem Tadel, man entwickelt, wie seine Richtung von Hause aus eine falsche gewesen sei, Mängel und Schwächen werden ausgemalt, bald gibt er zu viel, bald zu wenig, endlich läßt man unter neuen Clauseln eine halbe Anerkennung schmollend hinterherhinken. Den Dichterischen ist er zu kritisch, den Kritischen zu dichterisch, den Protestanten zu katholisch, den Katholiken zu protestantisch, den Aufgeklärten seiner Jugend zu religiös, den Frommen seines Alters zu aufgeklärt, den Liberalen galt er für servil, den Legitimen für einen Oppositionsmann. Sehr Wenigen hat er es recht machen können. Man sage nicht, in der Einstimmigkeit der verschiedensten Kritiker liege der Beweis für die Richtigkeit des Urtheils. Gerade die gleichlautende Verwerfung durch entgegengesetzte extreme Meinungen kann die Anerkennung enthalten. Und woher diese auffallende Erscheinung? Ihr Grund ist nicht schwer aufzufinden. In einer von heftigen Parteikämpfen bewegten Zeit wollte er als Dichter frei bleiben, er wollte festhalten an der Poesie, die in keines Herrn äußerm Dienste steht; er verschmähte es, ein geläufiges Stichwort zu gebrauchen, um damit Anhänger und Bewunderer zu werben. „Und so fühle ich“, schreibt er im Jahre 1816 an Solger, „daß bei uns immer Alles, was ich das Rechte nennen möchte, sei es in Philosophie, Kunst oder Religion, als ein Eremit wohnt, dessen Pflicht es ist, keiner Gemeinde anzugehören“ („Solger’s nachgelassene Schriften“, I, 392). Man hätte ihm Manches verziehen, wenn er nur zu irgendeiner Fahne geschworen hätte, aber unabhängig sein, und dennoch mitreden zu wollen, das konnten Parteien, Schulen und Sekten nicht ertragen. Darum haben sie ihn schließlich selbst zu einem Parteihaupte gemacht. Er ist stets er selbst geblieben, und wie man sich auch anstellen möge, weiter als sich selbst hervorzubringen, bringt es am Ende kein Mensch, sagt der Altmeister. Also die Acten über Tieck und seine Dichtungen sind nicht geschlossen, wie oft das auch behauptet worden ist. Es lebt noch Mancher, der über die spätere Zeit auch nach diesem Buche wird berichten können. Dazu aber, daß man ihn in seiner eigenen und vielseitigen Natur kennen lerne, wollen die Erinnerungen beitragen. Von seiner Jugendgeschichte und frühesten Stellung zum damaligen berliner Leben wußte man bisher wenig oder nichts. Sie ist zugleich ein Stück der Geschichte Berlins in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts, und der Vaterstadt liegt es ob, nicht allein sein Grab oder das Geburtshaus zu bezeichnen, eine Straße, wie es geschehen, mit seinem Namen zu benennen, oder sein Bild zu errichten, sondern ihn in der deutschen Geisterwelt auf seiner hervorragenden Stelle anzuerkennen. Berlin nennt keinen größern Dichter den seinen. Hiermit gebe ich dieses Buch aus der Hand, dessen Vollendung mir eine Pflicht der Pietät war, und das einen Theil meines eigenen Lebens enthält. Mir ist am besten bewußt, daß ich nicht Alles zu leisten vermochte, was die Aufgabe erfordert. Niemals bin ich mehr davon durchdrungen gewesen als jetzt, wo mir das edle Bild, in dessen Augen ich so oft geblickt habe, wiederum klar vor der Seele schwebt. Es ist der Uebergang vom unmittelbaren Dasein zur Geschichte, den ich erlebt habe. Wie es zu den erschütterndsten Erfahrungen gehört, das Leben, welches man als ein gegenwärtiges empfunden hat, erblassen, sich auflösen und zur Vergangenheit hinschwinden zu sehen, so ist es die schwerste Probe aller Geschichtschreibung, die Grundzüge desselben im Bilde herzustellen und von neuem zu beleben. Doch in dem Geiste wohnt eine Kraft, die über Mängel und Schwächen hinweghilft. Ich habe das Vertrauen, etwas von jenem frischen Lebenshauche, der die mündlichen Erzählungen durchwehte, werde auch noch in meiner Darstellung fühlbar sein. So mag denn heute, an demselben Tage, an welchem Tieck vor zweiundachtzig Jahren das Licht der Welt erblickte, der Schlußstein diesem Denkmale eingefügt werden, welches ich auf seinem Grabe zu errichten unternommen habe. =Berlin=, am 31. Mai 1855. =Rudolf Köpke.= Erstes Buch. Jugendbilder. 1773-1792. 1. Das Vaterhaus. Am Eingange der Roßstraße zu Berlin, unfern des Kölnischen Rathhauses, in einem engen, betriebsamen und geräuschvollen Theile der Stadt, wo in niedrigen Kramläden Gewerbe und Kleinhandel ihren Sitz haben, liegt ein dunkles Haus, das in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu den stattlicheren der Nachbarschaft gehören mochte. In diesem Hause wohnte um jene Zeit ein Bürger und Handwerker; das war Meister Johann Ludwig Tieck, der Seiler. Es war ein einfacher, aber auch frischer und kräftiger Mann, der mit geradem Sinne und hellem Auge seines Weges zu gehen pflegte. Ein Leben voll Arbeit und Erfahrung war seine Schule gewesen, und hatte in ihm jene ehrenfeste, altbürgerliche Verständigkeit und Tüchtigkeit ausgebildet, die ohne viel Worte den Nagel auf den Kopf trifft, und in den Zeiten Friedrich’s des Großen bei den Genossen des kleinen Handwerks nicht selten war. Auch sein Vater mochte ein Handwerker gewesen sein. Das Familiengedächtniß hat es nicht aufbewahrt, woher er stammte, doch rühmte man sich zuweilen nicht unansehnlicher Verwandtschaft, zu der man sogar einen General zählen wollte. Wie es die Ordnung des Gewerbes vorschrieb, hatte Meister Tieck in seinen jungen Jahren, als er losgesprochen worden, zum Wanderstabe gegriffen, und war als Handwerksgesell in die Fremde gezogen. Er hatte Deutschland durchwandert, war nach Ungarn gekommen und dann weiter bis an die Grenze der Türkei. Dabei fehlte es nicht an Abenteuern. So hatte sich einst in diesen Gegenden ein Reisegefährte zu ihm gesellt, der die Lage einer jener ungarischen Grenzfestungen so anmuthig fand, daß er sich niedersetzte und die Umrisse in seinem Buche nachzuzeichnen begann. Von der Festung aus bemerkte man seine Absicht, glaubte in den beiden Wanderern Spione zu erkennen, und that einige Schüsse auf sie, die zum guten Glück ihr Ziel verfehlten. Nach der Heimkehr setzte sich Tieck als Meister, wie es Brauch war, und begründete einen Hausstand. Seine Frau holte er sich aus Jeserig, einem Dorfe bei Brandenburg. Sie war die Tochter des Schmiedemeisters Schale, doch im Hause des dortigen Predigers, Namens Latzke, erzogen, der sie frühzeitig als eine Waise zu sich genommen hatte. Darauf betrieb der Meister unter seinen Mitbürgern eifrig sein Gewerbe, und nahm Antheil an Allem, was Handwerk und Bürgerwesen anging. Bei den Zunftgenossen war er angesehen als ein strengrechtlicher Mann, der seinem Stande ergeben sei, und nicht allein das Herz, sondern auch die Zunge auf dem rechten Flecke habe, und zur guten Stunde ein gutes Wort ohne Scheu zu sagen wisse. Darum wählten sie ihn auch in mancher wichtigen Sache zum Sprecher und Vertreter. Unter den Handwerkern selbst gab es schon allerlei Widerspruch gegen die Zünfte und ihre engen Regeln. Manche meinten, es könne mit dem Gewerbe erst besser werden, wenn diese alten Ordnungen aufgehoben würden. Darüber war ein Streit entstanden, und zu den Vertheidigern der Zünfte gehörte auch Meister Tieck, der von der Auflösung des Verbandes nichts als Unordnung erwartete. Doch wollte er darum nach eigener Erfahrung nicht in Abrede stellen, daß Vieles anders und besser sein könne. Nun hatte sich das Gerücht verbreitet, auch der König sei den Zünften nicht geneigt. Darum beschlossen die Freunde derselben, ihn selbst unmittelbar anzurufen, daß er sie bei dem alten Rechte schütze. Eine Anzahl von Meistern sollte ihm eine Bittschrift überreichen und Tieck ihr Sprecher sein. Den kürzesten Weg schlug man ein, das Geschäft auszurichten. Zu einer bestimmten Stunde des Tages pflegte Friedrich an einem Fenster des Schlosses Sanssouci zu stehen, dann stellten sich die Bittenden unter einen Baum im Garten, auf den der Blick des Königs fallen mußte; nicht selten ließ er sie zu sich hereinrufen und hörte ihre Anliegen. So geschah es auch hier. Friedrich erblickte die Meister, und ließ sie zu sich bescheiden. Tieck durfte ihm die Bittschrift überreichen und noch einige Worte zum Schutze der Zünfte sagen. Der König hörte ihn gnädig an, und entließ ihn mit der Versicherung, auch er sei kein Feind derselben und werde sich der Sache annehmen. Aber solche Erfahrungen und die Thätigkeit des Tages reichten für die Bedürfnisse des begabten und mit mancherlei Kenntnissen ausgestatteten Mannes nicht hin; er führte dabei auch ein nach innen gekehrtes Leben. In kirchlichen wie in politischen Dingen war er gut Friederichisch gesinnt. Er hielt es mit dem moralischen Wandel und einem redlichen und tüchtigen Handeln, im Uebrigen war er ein Freund der Aufklärung, und pflegte sich die Dinge ohne viele Wunder auszulegen. Doch in diesem Punkte trat auch die eigenthümliche Sinnesart der Hausfrau hervor. Von ganzem Herzen war sie der alten kirchlichen Gläubigkeit zugethan. Hier am ersten kam es zu gereizten Gesprächen, in denen jeder Theil sich zeigte, wie er war. Der Mann verständig, eifrig, auffahrend, oft derb und handfest, im Hause die rauhe Seite herauskehrend; die Frau sanft, schüchtern, in sich gekehrt, dem Manne gegenüber duldend und beschwichtigend, aber beharrlich. Vor allem war ihr durch Gemüthsart und Erziehung der Glaube eine Herzenssache geworden, und sie ließ sich durch den bald rauhen, bald spottenden Widerspruch des Mannes nicht irre machen. Wenn er sie in den Stunden ihrer stillen Sammlung im Porst’schen Gesangbuch lesend fand, so ging das selten ohne eine Gegenbemerkung von seiner Seite ab. Dann zog er mit seiner hausbackenen Moral ganz ernstlich gegen die alten Kirchenlieder zu Felde, warf ihnen Lüge und Unwahrheit vor, und erklärte sie für überflüssig oder gar schädlich. Am meisten ärgerte er sich an den Liedern, in welchen Christus als Bräutigam der Seele dargestellt wird, besonders wenn sie etwa von Frauen gedichtet waren. Oder mit platter Verständigkeit bemerkte er in Paul Gerhard’s Liede „Nun ruhen alle Wälder“ gegen den Vers: „Es schläft die ganze Welt“: „Wie kann man dergleichen abgeschmacktes Zeug behaupten! Die ganze Welt schläft nicht! In Amerika scheint die Sonne, da wachen die Leute.“ Solchen Einwürfen gegenüber schloß die Frau ihre stille Frömmigkeit nur umsomehr in die Tiefen ihres Gemüths ein. War gleich diese Art der Aufklärung bei dem Meister Tieck in Fleisch und Blut übergegangen, so fehlte es ihm doch keineswegs an Sinn und Verständniß für höhere Dinge, nur wandte er sich der weltlichen Seite zu. Die ersten glücklichen und kühnen Versuche der deutschen Dichtung seit dem Anfange der siebenziger Jahre hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht und bald sein Herz gewonnen. Wie eine neue Morgenröthe war Goethe’s Poesie über der deutschen Literatur aufgegangen. Die einfachen und offenen Gemüther empfanden es alle, hier quelle der Born einer unverfälschten Dichtung. Es spricht für das natürliche Gefühl des alten Tieck, das sich in der harten Schale des werkthätigen Bürgerstandes lebendig erhalten hatte, wenn der schlichte Handwerker erkannte, Goethe sei doch ein ganz anderer Mann als Gellert, Kleist und Gleim. Als später der Streit über die Anerkennung der neuen Poesie heftiger entbrannte und auch dem alten Meister zu Ohren kam, sagte er voll Verdruß: „Was reden denn die Leute, sie verstehen ja diese Bücher gar nicht!“ Oder wenn von „Werther“ oder „Götz“ die Rede war: „Die Andern mögen sich anstellen, wie sie wollen, so etwas können sie doch nicht machen!“ Bei diesem lebhaften Antheil an den neuen Dichterwerken und dem regen Triebe, sich unausgesetzt zu belehren und zu unterrichten, wurde manches gute und nützliche Buch nicht nur gelesen, sondern auch gekauft, und allmälig sammelte sich ein kleiner Hausschatz an, auf den man mit Recht stolz sein konnte. Da fanden sich neben der Bibel, die auch die Aufklärung des Vaters als Grundbuch des Hauses und Lebens in Ehren hielt, und neben der nützlichen Belehrung, die Guthrie’s und Grey’s „Weltgeschichte“ und einige andere historische Bücher gewährten, die erste Ausgabe des „Götz von Berlichingen“, Goethe’s Schriften in dem Himburg’schen Nachdruck, die ersten Abdrücke der verwegenen Dichtungen von Lenz, der „Rheinische Most“, einige Wochenschriften und manches Andere der Art. Auch an dem deutschen Schauspiele, das eben damals selbständig zu werden suchte, fand er vielen Geschmack. Der Zufall hatte ihn sogar mit den Schauspielern zusammengeführt, die er auf den Bretern in der Behrenstraße des Abends tragiren sah. Die Arbeit forderte Ruhe und Erholung, und so war denn Meister Tieck auch den bürgerlichen Vergnügungen nicht abhold. Nachmittags ging er hinaus in eine jener bescheidenen Anlagen vor den Thoren Berlins, wo man bei einem Glase Kottbuser Bier ein sogenanntes Gartenvergnügen, etwa eine Kegelbahn und einige Gevattern und Stammgäste vorfand. Da wurde geraucht, gekegelt, gelacht, mancher handfeste Spaß lief mit unter, und zufrieden mit seinem Dasein, schlenderte man Abends schwatzend und plaudernd wieder nach Hause. Zu den Stammgästen hatten sich auch einige Schauspieler gesellt, mit denen man auf der Kegelbahn näher bekannt wurde. Meister Tieck war vorurtheilsfrei genug, den Verkehr mit der verrufenen Kaste nicht zu meiden. Machte es ihm Vergnügen, die tragischen Helden einmal als gewöhnliche Menschen zu sehen, oder mochten sie durch ihre Späße die Heiterkeit der Gesellschaft erhöhen, genug er stand auf gutem Fuße mit ihnen. Doch bemerkte er an den lockern Gesellen auch Vieles, was seinen strengen Bürgersinn beleidigte, Leichtsinn, Prahlerei, Lüge, Ausschweifung. So kam er denn oft mit der Bemerkung nach Hause: „Die Komödianten (anders nannte er sie nicht) sind doch schlechte, unmoralische Gesellen. Es ist kein Verlaß auf sie!“ Dagegen standen die Gelehrten bei ihm um so höher im Ansehen. Es war nicht das dumpfe Staunen vor einer Masse fremder und unverständlicher Kenntnisse, was ihn erfüllte, sondern die Ueberzeugung, der gelehrte Stand sei nicht nur der Hüter geistiger Schätze, sondern solle sie auch als Lehrer des Volks verwenden. Darum schien es ihm natürlich, daß der Lehrstand in der öffentlichen Achtung hochstehen und sich in ihr erhalten müsse. Er erkannte den Gelehrten selbst noch im Zerrbilde an. Eines Abends fand er in seiner Bürgergesellschaft den berüchtigten Magister Kindleben. Dieser Mann, nicht ohne Talent und Kenntnisse, war ursprünglich auf einem Dorfe bei Berlin Prediger gewesen, hatte aber wegen grober Unsittlichkeiten seines Amts entsetzt werden müssen. Seitdem lebte er von gelehrten Lohnarbeiten in Leipzig und Halle, und schrieb schlechte Gedichte und Romane, in denen er zum Theil seine eigenen Abenteuer erzählte; denn bald war er in allen Schenken wie auf den Straßen eine bekannte Erscheinung geworden. An jenem Abende hatten ihn einige Bürger mitgebracht; er sollte dem spießbürgerlichen Spotte preisgegeben werden. Stets hungeriger und noch mehr durstiger Gelehrter, possenreißender Pedant, literarischer Landstreicher, schien er denselben weit mehr herauszufordern als zu fürchten. Sein unverschämtes Wesen, seine schmuzige Bettelhaftigkeit zeigte den Gelehrten in tiefster Versunkenheit. Der rohe Spaß begann damit, daß man ihn betrunken machte. Voll Entrüstung verließ darauf Meister Tieck seine Ressource. So sollte man mit der Gelehrsamkeit nimmer umgehen, selbst wenn sie in so gemeiner Gestalt auftrat, wie hier. Inzwischen hatte sich im Hause Vieles verändert. Eine Familie war entstanden und begann heranzuwachsen. Der Raum war enger, die Sorgen größer geworden. Im Laufe von vier Jahren hatte die Mutter drei Kinder geboren. Es war ein hoffnungsvoller Tag, als am 31. Mai des Jahres 1773 um elf Uhr Morgens das älteste Kind in der schmalen, dunkeln Hinterstube, in die nur ein kärgliches Licht vom Hofe hineinschimmerte, zur Welt kam. Dieses Kind, das dem Meister Johann Ludwig Tieck, dem Seiler, geboren wurde, war Meister Johann Ludwig Tieck, der Dichter. Als ältester Sohn empfing er am 6. Juni in der Taufe, zu der mehrere hochadelige Gönner der Familie als Zeugen eingeladen waren, die Namen des Vaters. Am 28. Februar 1775 folgte eine Tochter, Anna Sophie, und am 14. August 1776 der jüngere Sohn, Christian Friedrich. So wuchsen denn drei Kinder im Hause heran, zwei Söhne und zwischen ihnen eine Tochter, und mit ihnen manche schwere und gewichtige Sorge. Denn bald mußte der Vater ahnen, mit diesen Kindern habe ein anderer, neuer Geist in seinem engen Hause Wohnung gemacht. Unter den Augen des Vaters und der Mutter verlebten sie die ersten Jahre. Nur dunkel erinnerten sie sich der Großmutter, die im Hause des Sohnes still als Matrone lebte und bald verschwand, ohne an der Erziehung theilgenommen zu haben. Bei Ludwig, dem Aeltesten, zeigten sich Vorstellungskraft und Empfindungsvermögen ungemein früh. Die Bilder und Eindrücke, welche er empfing, erweckten in ihm bald eine dunkle Ahnung der Leiden und Freuden, denen das menschliche Herz unterworfen ist, solange es schlägt. Diese ersten Erschütterungen der Seele müssen in dem Kinde ein tief schmerzliches Gefühl hervorgerufen haben, denn im hohen Alter erzählte der Greis davon mit der vollen Lebendigkeit eines gegenwärtigen Eindrucks. Ein Hausfreund hatte einst ein eigenthümliches Schaustück mitgebracht. Es war eine Dose, auf deren Deckel man unter einer Krystalleinfassung ein strahlendes Farbenmuster sah. Von diesem bunten Bilde wurde das Kind mit unwiderstehlicher Macht angezogen. War es eine erste Ahnung der Schönheit der Welt, die es erfüllte? Auf den Augenblick kurzer Freude folgte das Gefühl des ersten Verlustes, als man das glänzende Spielzeug aus seinen Händen nahm. Es war untröstlich, und der Greis Tieck versicherte, schon da zuerst den Schmerz des Lebens empfunden zu haben. Ein anderes Mal hatte die Wärterin das Kind auf die Stufen vor der Stechbahn am Schloßplatze niedergesetzt. Vergnüglich sah es über den Platz nach der Brücke und dem Standbilde des großen Kurfürsten hinüber. Alles machte ihm den heitersten Eindruck, als es plötzlich bemerkte, daß die Wärterin verschwunden sei. In schlecht verstandenem Scherze war sie hinter einen Pfeiler getreten. Da wurde das Kind mitten unter diesen Gestalten von dem Gefühle tiefster Einsamkeit ergriffen. Wenig half das Zureden der hervortretenden Wärterin, und lange konnte es diese dunkle, schreckliche Empfindung nicht vergessen. Nicht minder früh wollte das Kind in geregelter Weise beschäftigt sein. Auf dem Schoose der Mutter lernte es die Buchstaben kennen, um so schneller, je mehr die Phantasie zu Hülfe kam. Sie schienen zu leben, sie wurden zu lustigen Gestalten aller Art. Kaum vierjährig, konnte der Knabe lesen, und schon trat an die Stelle der Fibel die Bibel, die in ihren geschichtlichen und poetischen Theilen bald sein Lieblingsbuch wurde. Es überkam ihn ein Gefühl von der Hoheit des hier wehenden Geistes; der wunderbar erhabene und doch wieder kindliche Ton, Verstandenes und Unverstandenes, Alles fesselte ihn gleich sehr. Er konnte sich nicht sättigen an diesen rührend-einfachen Geschichten der Erzväter, und schon im Lauf der ersten Knabenjahre hatte er die Bibel mehr als einmal ganz durchgelesen. Wenn dann Nachbarn und Verwandte ihn, auf seinem Fußbänkchen sitzend, in der Bibel eifrig lesen hörten, so schüttelten sie über so frühreifes Wesen bedenklich den Kopf, oder Mancher meinte auch: „Wie geschickt doch das Kind thut, als wenn es lesen könnte!“ Neben der Bibel hatte auch das Gesangbuch der Mutter eine große Anziehungskraft für ihn. Es hatte einen stark vergoldeten Einband, der an den Seiten mit kunstvollem Schnitzwerk in Elfenbein ausgelegt war. Es mochte ein Erbstück ihrer Aeltern oder ein Geschenk des Pfarrers sein, das er seinem Pflegekinde als Andenken mit auf den Weg gegeben hatte. Wie hoch hielt es nicht die Mutter! Und wenn das Kind sie jene alten Lieder lesen hörte, wie hallte der kaum geahnte Inhalt, die bilderreiche Sprache, die doch so einfach war, der Gleichklang des Reimes in seiner Seele wider! So wurde es bald auch mit den Liedern der lutherischen Kirche vertraut. Doch zu diesen Büchern, die prophetisch die ersten und ursprünglichsten menschlichen Empfindungen erweckten, gesellte sich ein anderes, welches die junge Seele nicht minder mächtig ergriff und ihr den tiefsten Eindruck für das Leben gab. Dies war Goethe’s „Götz von Berlichingen“. Abends, nach gethaner Arbeit, wenn die Kinder schliefen, oder der Aelteste im Winkel kauernd lauschte, pflegte der Vater ein Buch aus seiner Hausbibliothek hervorzulangen, oder auch irgendein entliehenes der Mutter vorzulesen. Freilich fiel die Wahl mitunter auf ziemlich abgelegene Bücher, deren Verständniß in diesem Kreise zweifelhaft war. Er las Fontenelle’s Schrift von der Mehrheit der Welten in der Bode’schen Uebersetzung vor; doch häufiger eins von jenen Dichterwerken, von denen man jetzt soviel reden hörte. So wurde Ludwig in die deutsche Dichtung eingeführt, und es dauerte nicht lange, so bemächtigte er sich selbständig der Bücher, aus denen er den Vater hatte vorlesen hören. Vor allen aber blieb er bei einem stehen, beim „Götz“. Wie an die Bibel, glaubte er mit ganzer Seele an dieses Gedicht. Es war der erste Eindruck des geheimnißvollen Zaubers der Poesie, den er erfuhr; die Welt der Phantasie wurde ihm zur sinnlich wirklichen. Wie die Patriarchen, Helden und Könige des Alten Testaments lebendig gegenwärtig vor ihm standen, meinte er, auch diese mannhaften Ritter, Götz selber, müßten noch unter den Lebenden sein. Es waren Menschen, mit denen er lebte und verkehrte, wie mit Vater und Mutter und seinen Geschwistern. Wie bestürzt war er nicht, als man seiner kindischen Einfalt lachend, ihn später darüber belehrte, weder dieser Götz, noch irgendeiner seiner Gefährten sei eine lebende Person, diese Geschichte sei eine erdichtete; der Mann, der sie geschrieben habe, heiße Goethe und lebe in Weimar. Für eine Art von Offenbarung hatte er den „Götz“ gehalten, und nun hörte er, sie sei ein Buch, wie alle Bücher sind. Wie gern hätte er diese Aufklärung für die Welt hingegeben, die er dadurch verlor! Fürs erste ahnte er von solchen Enttäuschungen noch nichts, und gehend und stehend, in allen Winkeln des Hauses, wachend und schlafend trug er sich mit den Gestalten dieser Ritter und Frauen, und ihre herzhaften Reden klangen in ihm unaufhörlich nach. Nur durch Eins konnten sie zu Zeiten zum Schweigen gebracht werden, durch die Erzählungen der Mutter. Wenn im Dämmerlichte des Abends die sonst wohlbekannten Spielstätten die Kinder fremd und geheimnißvoll anblickten, und das laute Treiben allmälig verstummte, dann sammelten sie sich still am Schoose der Mutter, und manche oft gehörte Geschichte mußte sie erzählen. Die Erinnerungen ihrer eigenen Kindheit erwachten. So gleichförmig auch ihre Jugend in dem Pfarrhause verflossen war, dennoch wußte sie Manches davon zu erzählen. In ihrem Munde wurde das Einfache und Natürliche für die Kinder zum Märchen und Wunder, das sich ihrem Gedächtnisse tief einprägte. Von einer alten, unheimlichen Frau in ihrem väterlichen Dorfe erzählte sie, die für die Jugend ein Gegenstand geheimen Schauers gewesen war. Häßlich und böse saß sie allein und schweigsam in ihrer Stube am Spinnrocken, nur einen kleinen Hund litt sie um sich. Ungern entschloß man sich, sie anzureden, und geschah es, so antwortete sie zornig und in einem nur halbverständlichen Kauderwelsch, das den Kindern schauerlich wie böse Zauberformeln in die Ohren klang. Am schrecklichsten erschien sie, wenn ihr einziger Gefährte, der Hund, ihr entsprungen war. Dann stand sie an der Thür und blickte spähend das Dorf hinab, oder lief mit wunderlichen Geberden durch die Straßen und rief mit gellender Stimme nach dem Hunde: „Strameh! Strameh! Strameh!“ So waren die Menschen und Umgebungen, unter denen Ludwig Tieck, der Dichter, geboren wurde und aufwuchs. Es war der enge Kreis des kleinbürgerlichen Lebens. Arbeit, Sparsamkeit, Redlichkeit waren die Hausregeln. Man lebte beschränkt, aber darum nicht ärmlich oder gar kümmerlich; man hatte sich eng eingerichtet, ohne von der Welt abgeschnitten zu sein; man brauchte sich nicht ängstlich jede kleine Freude zu versagen. Es herrschte in dem Hause die Zufriedenheit des tüchtigen Handwerkers, der mit Verstand auszugeben weiß, was ihm seiner Hände Arbeit erworben hat, und auch die Mittel erschwingen kann, seinen Kindern eine Erziehung zu geben, die ihnen einst breitere, sonnigere Wege zu öffnen vermag. Dieses dunkle, bürgerlich eingerichtete Zimmer zu ebener Erde, dieser lange, schmale Hausflur, der kleine Hof dahinter, auf den nur ein spärlicher Himmel herabblickte, die Schwelle an der Hausthür, das waren die Räume, die Ludwig zuerst mit den Gebilden seiner jungen Phantasie bevölkerte, die ihm zum Schauplatze seiner kindischen Leiden und Freuden wurden. Aber schon war die geheimnißvolle Ahnung darüber hinausgeflogen, und träumte von einer andern wunderbaren Welt, die jenseit der Schwelle des Vaterhauses lag. 2. Schule und Straße. Bald mußte ein großer Entschluß gefaßt werden. Es hieß: „Der Junge muß in die Schule!“ Die tägliche Arbeit ließ den Aeltern keine Muße ihn hinreichend zu beschäftigen, oder auch nur ihn stets zu beaufsichtigen. Zunächst brachte man den kaum fünfjährigen Knaben zu einem alten gutmüthigen Ehepaar, das in der nahegelegenen Fischerstraße eine A-b-c-Schule für Knaben und Mädchen im ersten Kindesalter hielt. Noch mußte man Morgens bei regnigem und trübem Wetter das Kind auf dem Arme in die Schule tragen. Da gesellte sich als erster Gespiele ein Pudel zu ihm, in dessen zottigen Haaren es die rothen, erstarrten Hände wärmte. Die beiden guten Alten, das hohe Zimmer mit seinen Bänken, die Kinderscharen, der Pudel erschienen ihm so anziehend, daß es jeden Morgen nach dieser neuen Welt sehnlichst verlangte. Die Zeit dieses spielenden Versuchs ging bald vorüber. Kraft und Muthwille des Knaben begann in Ludwig zu erwachen, er konnte sich jetzt ältern Spielgenossen zugesellen. Der Vater übergab ihn der sogenannten Französischen Schule für Knaben, die ebenfalls in der nächsten Nachbarschaft, in der Grünstraße lag. Hier wurde neben dem gewöhnlichen ersten Unterrichte auch Französisch gelehrt, freilich ohne sonderliche Gewähr für seine Richtigkeit. Der Schulhalter war ein ehemaliger Schneidergeselle, den sein Gewerbe nach Paris geführt hatte. Hier meinte er hinreichende Kenntnisse der Sprache erworben zu haben, um die berliner Schuljugend im Französischen abrichten zu können, und da er es einträglich genug fand, von seinen Zöglingen einen Thaler Schulgeld monatlich zu erheben, so hatte er ein für alle mal die Nadel mit der Ruthe vertauscht. Aber nun folgte der wichtigste, entscheidende Schritt, der in ein reiferes Leben hineinführen sollte. Dies war der Uebergang zur gelehrten Schule, zum Gymnasium. Mit dem Entschlusse, den Sohn das Gymnasium besuchen zu lassen, hatte der Vater stillschweigend seine Anerkennung des unverkennbaren Talents ausgesprochen. Diese Anlagen sollten, wenn auch mit Opfern, ausgebildet werden; der Sohn sollte etwas Besseres werden als der Vater gewesen. Die Wahl unter den gelehrten Anstalten war nicht schwer. Einen merkwürdigen und hervorragenden Mann gab es damals unter den berliner Schulmännern, welcher sich bereits ein allgemein anerkanntes Ansehen erworben hatte, Friedrich Gedike. Es war ein rastloser und eigenthümlicher Mann, der durch seine trefflichen Anschläge, seine planmäßigen und erfolgreichen Einrichtungen, allmälig zum Reformator des gesammten Schulwesens geworden war. Man pries sich glücklich einen so aufgeklärten Gelehrten zu besitzen, der ganz den Beruf hatte, die veralteten Formen des Unterrichts nach den Anforderungen der neuen Zeit, die auf dem Gebiete der Schulen an Lehren und Versuchen so reich war, neu zu gestalten. Seit 1779 Director einer städtischen höhern Lehranstalt, des Friedrichsgymnasiums auf dem Werder, hatte er durch seine Geschicklichkeit der früher verwahrlosten Schule binnen wenigen Jahren einen ungewöhnlichen Ruf verschafft. Es war um Johanni 1782, als der Vater den neunjährigen Knaben dem berühmten Lehrer zuführte, der ihn feierlich für Quinta reif erklärte. Somit war Ludwig ein Gymnasiast, ein Quintaner geworden; er trat in die gelehrte Welt ein. Lateinisch sollte getrieben werden, Griechisch stand in Aussicht, die Anforderungen steigerten sich auf allen Seiten. Er gesellte sich zu einer Schar älterer Knaben, die gewitzigt durch alle Listen und Abenteuer des Schülerlebens, stets bereit waren, ihren jungen Muth an Jedem zu kühlen, der nicht im Stande war ihnen handgreiflich zu beweisen, selbst Quintanermuth könne seinen Meister finden. Wie sauer machten sie nicht manchem Lehrer das Leben; wie manchen Kampf fochten sie nicht in der Schulstube oder auf Straßen und Plätzen aus! In diesen Strudel wurde auch Ludwig hineingerissen. Anfangs hatte seine Frühreife, seine Altverständigkeit und Zierlichkeit, denn er galt für ein schönes Kind, ihn zum Gegenstand der Bewunderung und Liebkosung, zum kindischen Spielwerke der ältern Schüler gemacht. Bald aber ward er dieser duldenden Rolle überdrüssig, und begann ebenfalls seine Fäuste zu regen. Da sollte er den gefeierten Director auch als furchtbaren Donnerer kennen lernen. Einst war in den Lehrstunden ein schriftlicher Aufruf zum Kampfe gegen die elenden Collegiaten, d. h. gegen die Zöglinge des benachbarten französischen Collège, von Hand zu Hand gegangen. Jeder brave Quintaner wurde darin aufgefordert, sich um vier Uhr Nachmittags, mit einem Rohrstocke bewaffnet, auf dem Lustgarten einzufinden. Die Einstimmenden sollten ihre Namen unterzeichnen. Ludwig glaubte nicht zurückbleiben zu dürfen, auch er war ein braver Quintaner. Wirklich traf man zur bestimmten Stunde auf den Feind. Doch plötzlich nahm die Schlacht eine für beide Heere unerwartete Wendung. Auf dem Lustgarten lagen zahlreiche Quadersteine verstreut, die bearbeitet werden sollten. In diesen Engpässen war man sich kaum begegnet, als höhere Kräfte in den Kampf der Helden eingriffen. Hinter jenen Steinen erhoben sich einige handfeste Steinmetzgesellen, die blindlings zufahrend aus der Schar der Collegiaten Einzelne herausgriffen, und an den Zöpfen mit starker Faust in die Lüfte erhoben. Die Werderschen, so unvermuthet durch ein gigantisches Geschlecht unterstützt, nahmen ihres Vortheils wahr, und hieben auf die zappelnden Collegiaten unter lautem Jubel unbarmherzig ein. Einer der Kämpfer, der Sohn eines Bauraths Moser, hatte diese furchtbaren Bundesgenossen in der Stille angeworben. Ludwig konnte in das allgemeine Siegesgeschrei nicht einstimmen. Nie hatte er braven Quintanern solche Tücke und Hinterlist zugetraut. Voll Entrüstung verließ er sogleich den Kampfplatz und ging nach Hause. Auch ereilte die Nemesis die Verräther früh genug. Das Actenstück, welches den Beweis der Verschwörung enthielt, war in des Directors Hand gefallen. Untersuchung, strengste Strafe waren zu erwarten. Am nächsten Morgen trat Gedike als Richter in die Classe Quinta, der Pedell hinter ihm mit dem Blitze bewaffnet. Nach einer donnernden Strafrede wurden die Uebelthäter nach der Reihenfolge ihrer Unterschriften aufgerufen, verhört und die Strafe an ihnen vollzogen. Mit innerstem Zagen sah sich auch Ludwig von den Schwingungen des verhängnißvollen Stockes näher und näher umkreist. Endlich hörte er auch seinen Namen. „Und Er, einfältiger Mensch“, donnerte Gedike ihn an, „der erst seit wenigen Monaten in der Schule ist, hat sich auch zu solchem Unfug verleiten lassen? Schämt Er sich nicht?“ Die handgreiflich drohende Gefahr gab dem bestürzten Knaben einen unerwarteten Muth. Mit angstvoller Entschlossenheit rief er: „Herr Director, ich bitte Sie, hören Sie mich an!“ Wirklich hielt der Richter in seinem Strafgericht inne, und lieh der Vertheidigungsrede ein geneigtes Ohr. Mit altkluger Beredtsamkeit stellte Ludwig dar, wie sich die Sache eigentlich verhalten habe, und schloß mit einer Berufung auf das Zeugniß seiner Mitschüler. Da diese seine Aussage unterstützten, entließ ihn Gedike mit den Worten: „Das ist sein Glück!“ denen sich eine eindringliche Warnung für die Zukunft anschloß. So gewichtige Erfahrungen brachte Ludwig nicht umsonst nach Hause. Hier wurde er der Führer der jüngern, gelehrigen Geschwister zu manchem kecken, muthwilligen Streiche. Bruder und Schwester, nur durch einen geringen Unterschied der Jahre von ihm getrennt, wurden die selbständigen Gefährten seines Lebens. Nicht minder früh, nur nach einer andern Seite hin, entwickelte sich Friedrich’s Talent. Auch er wurde später Schüler des Werderschen Gymnasiums, doch das schulgerechte Lernen war nicht seine Sache. Man klagte über seine geringe Gelehrigkeit, seine Trägheit. Konnten ihm die Schulkünste keine sonderliche Theilnahme abgewinnen, so zeigte er dagegen viel Anstelligkeit und Geschicklichkeit nach außen hin, namentlich eine entschiedene Gabe für Zeichnen und künstlerisches Gestalten. Die Schwester war in ihren Anlagen dem ältern Bruder ähnlich. Sie war heiter und lebhaft, keck und leichtsinnig, schnell und scharf in ihrer Auffassung, schlagend in ihren Antworten, besaß einen frühreifen Witz und eine unwiderstehliche Neigung zum Spott. Sie war eine stets bereite und helfende Theilnehmerin der Späße und Anschläge ihrer Brüder, mit denen sie auch muthig die Leiden theilte. Die Kinder stritten und zankten, jagten sich in Haus und Hof mit Katzen und Hunden umher, prellten die geängstigten Thiere in auf- und zuklappenden Regenschirmen, und übten tausend Eulenspiegeleien aus. Es waren die Jahre gekommen, in denen die Strenge der väterlichen Zucht immer fühlbarer wurde. Auch hier zeigte sich der Vater als Mann von altem Schlage, von ganzem Schrot und Korn. Die volle Gewalt des Vaters und Meisters, Furcht und Gehorsam, das galt in seinem Hause als oberstes Gesetz. Wehe dem Untergebenen, über den sich das Ungewitter seines Zorns entlud, der nicht selten unerwartet in jäher Weise hervorbrach. Da ruhte die Hand väterlicher Züchtigung oft schwer auf Ludwig. Ueberhaupt schien es eine Erziehungsregel des Vaters, gegen die Kinder kurz, streng und abweisend aufzutreten. Niemals lobte er; er ließ gewähren, und seine Billigung sprach er meist durch Stillschweigen aus. Mit scharfem Tadel konnte er bei kleinen Dingen herausfahren, aber doch wieder mit jenem verhüllten Gefühle väterlicher Liebe, das auch durch die Züchtigung hindurchschimmerte. War er einmal bei besonders guter Laune, so zog er die Kinder wieder heran und erlaubte ihnen wol, sich in kleinen Wortwechseln mit ihm zu versuchen, nur mußten sie in den gesetzmäßigen Schranken bleiben. Dazu reizten ihn namentlich Ludwig’s altkluge Fragen und Antworten, den er dadurch als seinen Liebling auszeichnete. Von einem solchen Vorzuge hatte dieser unter der züchtigenden Hand des Vaters keine Ahnung, und er staunte nicht wenig, als ihm in späterer Zeit, da er zum Jünglinge geworden war, der Vater das Geständniß ablegte, er sei eigentlich sein Liebling gewesen. Indessen fehlte es im fernern Verlaufe des Schullebens nicht an manchem glänzenden Erfolge, der Ludwig bei Lehrern und Schülern in den Ruf eines Genies brachte. Das verdankte er zunächst der Lebhaftigkeit seiner Phantasie und seinem ungewöhnlichen Gedächtnisse, das auch nur einmal Gehörtes oder flüchtig Aufgefaßtes leicht und sicher bewahrte. Erst auf dem Wege zur Schule pflegte er die Lehrstücke zu überlesen. Wie die Buchstaben wurden ihm die Zahlen lebendig. Die Figuren, welche durch verschlungene Rechenexempel gebildet wurden, jede einzelne Ziffer darin, schwebte ihm deutlich vor der Seele. Den Rücken gegen die große Wandtafel gewendet, konnte er sie Stelle für Stelle ohne den mindesten Anstoß wiederholen. Dergleichen hatte der Lehrer in seiner Schulerfahrung noch nicht erlebt, er sah darin eine psychologisch merkwürdige Erscheinung. Er ließ Ludwig in die Mitte des Zimmers treten, auf seinen Befehl erhoben sich die übrigen Schüler von ihren Sitzen und mußten sich drei mal tief verneigen. Es war die erste Huldigung, welche dem Genius dargebracht wurde. Ob diese Huldigung angemessen sei, war freilich eine andere Frage. Doch scheint erziehende Weisheit eben nicht die Stärke dieses Lehrers gewesen zu sein. Er gehörte zu jenen wunderlichen Originalen der ältern Schulwelt, deren Gewissen weit, und deren Art und Weise oft die sonderbarste war. In seinen Händen blieb Ludwig fürs erste; die untern Lehrstufen hatte er schnell zurückgelegt, nun fing er an langsamer seines Weges zu gehen, je mehr die Anforderungen, die gemacht wurden, mit seinen Kräften in das rechte Gleichgewicht traten. Viel Veranlassung zu bedenklichen Zweifeln gab dem Knaben zunächst der Subrector Stilke; das war jener Lehrer, dessen Liebling er im Anfange zu sein schien. Es war ein Mann der strengen, kirchlichen Form. Mit den Schülern pflegte er in der Regel im Tone demüthiger Frömmigkeit und väterlicher Milde zu sprechen. In sanftester Weise rief er die Sträflinge zu sich heran. Wie zufällig klemmte er den Frevler zwischen seinen Knien ein, liebkosend streichelte er ihm die Backen mit den Worten: „Siehst du, mein Kind, das mußt du nicht wieder thun. Du kränkst und betrübst damit deinen guten, alten Lehrer, der dich doch so sehr liebt!“ Diese liebevollen Ermahnungen unterbrach er dann durch einige plötzlich treffende Backenschläge von rechts und links, die unter sanftem Zureden und liebkosendem Streicheln in regelmäßigem Takte wiederkehrten. Wie die Milde des guten, alten Lehrers, ward auch bald seine Frömmigkeit verdächtig. Des Morgens wurde der Unterricht mit einem Gebete, das der Lehrer sprach, eröffnet. Einst kam der Subrector Stilke, der die erste Lehrstunde zu halten hatte, statt um acht, kurz vor neun Uhr. Mit feierlicher Miene trat er vor die versammelten Schüler hin, legte seine Taschenuhr auf den Tisch, und begann das Gebet mit folgenden Worten: „Allwissender Gott, vor dessen Blicken nichts verborgen ist, du weißt, daß meine Uhr heute Morgen unerwartet stehen geblieben ist, und daß ich darum nicht zu rechter Zeit kommen konnte.“ Die heller sehenden Schüler durchschauten bald dieses Wesen. Die Einen bequemten sich ihm augendienerisch, die Andern trieben übermüthig ihren Spott damit. Auch Ludwig blieb in kecken Bemerkungen nicht zurück. Bald hatte er die Gunst seines Subrectors verscherzt, und der Zorn des Lehrers ging endlich in eine Art von Haß über, der keinen Anstand nahm, den leichtfertigen Knaben in allem Ernste des Atheismus anzuklagen. Da diese und andere Anklagen auf alle möglichen Schulfrevel endlich auch zu des Directors Ohren kamen, zog sich allmälig kein geringes Unwetter über Ludwig’s Haupte zusammen. Während des Unterrichts machte Gedike regelmäßig die Runde durch das Schulgebäude. Im Vorübergehen warf er einen spähenden Blick in die Schulzimmer durch ein in der Thür angebrachtes Schiebefenster. Nicht selten erschien er zum Troste und zur Rettung manches bedrängten Candidaten, und griff als ~deus ex machina~ mit gewaltiger Schicksalshand die hervorragenden Häupter der Schulhelden heraus. So stand er auch eines Tages plötzlich in der Mitte der Tertianer, als das Völkchen lustig über Tisch und Bänke setzte. Der Erste, der als Sühnopfer fiel, war Ludwig. Sein Maß war voll; zur Strafe mußte er nach Quarta ins Exil wandern. Für die Schulzeugnisse hatten solche Frevel nicht die besten Folgen. Es gehörte zu Gedike’s eigenthümlichen Mitteln, die Stufenfolge derselben durch grelle Farben zu versinnlichen. So brachte Ludwig zum großen Zorn des Vaters die schmachvolle gelbe Nummer vier nach Hause, auf welche natürlich ein neues, härteres Strafgericht folgte. Wenn Ludwig den Zorn des großen Schulherrn zu leiden hatte, so wurde ihm dafür auch einmal die Genugthuung zu sehen, daß unter Umständen auch diese Macht in ein bedenkliches Schwanken gerathen konnte. Oft geschah es, daß auswärtige Schulmänner den berühmten Reformator besuchten, um seine Weise an Ort und Stelle kennen zu lernen. Einst erschien, von Gedike selbst begleitet, ein ernster stattlicher Mann, in einem langen, grauen Rocke. Er setzte sich als Zuhörer auf eine der Banken nieder, und breitete dabei die bauschigen Schöße seines Rocks mit vieler Würde aus. Einige Buben, die vorher mit einem Kaninchen ihren Muthwillen getrieben hatten, schoben ihm dieses leise in die Tasche, während er aufmerksam dem Gange des Unterrichts folgte. Mit Schrecken fühlte er plötzlich in seinem Rocke etwas Lebendiges rascheln. Entsetzt fährt er in die Höhe und mit den Händen in die Tasche. Die Gegenwart des Schulherrschers konnte einen allgemeinen Aufstand, in den Spott und Schrecken sich mischten, nicht hemmen. Glühend vor Zorn und Beschämung donnerte er dazwischen. Voll Verwirrung bemühte sich der Fremde das Kaninchen aus dem Abgrunde der Tasche heraufzuholen. Da trat einer der boshaften Uebelthäter, sich zierlich verneigend, auf ihn zu und sagte: „Erlauben Sie, mein Herr, daß ich Ihnen behülflich bin. Kaninchen faßt man immer bei den Ohren.“ Dergleichen Vorfälle hemmten indeß weder Ludwig’s Wissenstrieb noch seine fernere Entwickelung. Vielmehr war er dem Schulunterrichte in manchen Punkten voraus. Er hatte bereits die Anfangsgründe des Griechischen von einem nachhelfenden Primaner erlernt. Es war sein sehnlichster Wunsch, den Homer, namentlich die „Odyssee“, von der er Mancherlei gehört hatte, was seine Phantasie ungemein anregte, in der Ursprache lesen zu können. Der Vater, der an Lehr- und Bildungsmitteln herbeischaffte, was ihm in seiner Lage irgend möglich war, ruhte nicht eher, als bis er seinen Ludwig mit der Damm’schen Uebersetzung des Homer überraschen konnte. Dieser nahm das Buch mit Dank an, sagte aber voll altkluger Selbstüberwindung: „Ich bitte Sie, lieber Vater, dieses Buch für jetzt zurückzulegen. Binnen kurzer Zeit werde ich die ‚Odyssee‘ in griechischer Sprache bei Herrn Griese lesen, dann hoffe ich diese Uebersetzung besser nutzen zu können.“ Herr Griese war nämlich ein alter Candidat der Theologie, der kümmerlich von Privatunterricht lebte. Halb aus Mitleiden hatte der gutmüthige Vater ihm die Aufsicht über die häuslichen Arbeiten des Sohnes und die griechischen Lehrstunden übertragen. Dafür aß denn Herr Griese einige Male in der Woche an dem Tische des gastfreien Bürgers. Nur war es übel, auch seine Kenntnisse waren ziemlich kümmerlich, und es dauerte nicht lange, so zeigte sich die volle Ueberlegenheit des Schülers. Vor allem gab der Lehrer bei dem Lesen des Homer, worauf er sich aus einer halbverstandenen lateinischen Uebersetzung vorbereitete, die kläglichsten Blößen. Einst erzählte er seinem Zögling ausführlich, wie Aegisth den Orestes ermordet habe, und dafür nach seinem Tode göttlich verehrt worden sei. „Bester Herr Griese“, rief der Knabe, „das ist unmöglich! Umgekehrt war es!“ Herr Griese stutzte, machte aber doch einige nicht ganz glückliche Versuche, seine eigenthümliche Meinung zu vertheidigen. Im Hintergrunde des Zimmers saß der Vater behaglich in seinem Lehnstuhle, und lachte in sich hinein über seinen klugen Sohn, der bereits den Lehrer aus dem Felde schlug. Neben dem Griechischen sollte aber das Französische nicht vernachlässigt werden. Auch dafür wußte der Vater ein Mittel. Ludwig mußte den Gottesdienst der französischen Colonie besuchen. Von früher Zeit an hatten die Aeltern mit Strenge auf einen regelmäßigen Besuch der Kirche gehalten. Zuerst hatten sie die Kinder alle Sonntage in die Petrikirche geführt, in deren Sprengel sie wohnten; dann hatte man sie im Vertrauen auf ihren Gehorsam dorthin allein gehen lassen. Endlich meinte der Vater auch diese Stunden nützlich machen zu können. Die Erbauung war hier freilich gering. Oft bestand die hörende Gemeinde aus keinem Dutzend Menschen. In späterer Zeit, als der sogenannte junge Ancillon anfing einen größern Kreis von Zuhörern um sich zu sammeln, zog auch Ludwig diesen geistvollen und feurigen Redner allen Andern vor. Doch nicht nur in Haus und Schule, zu Zeiten mehr noch draußen, auf Straßen und Plätzen, vor den Thoren sammelten sich die Kinder. Da gab es allerlei lustige Abenteuer, da sah und hörte man, was Alle anging, die Stadt, das Land, man sah das öffentliche Leben jener Tage. Zu den Volksfesten, an denen die Knaben mit vollstem Jubel theilnahmen, gehörte das Weihnachtsfest und der Weihnachtsmarkt, der Mittelpunkt des berliner Volkslebens. Dann streiften sie einzeln und in ganzen Scharen zwischen den hell erleuchteten Verkaufsbuden auf dem Schloßplatze und in der nahgelegenen Breiten Straße umher. Tausendfaches gab es zu sehen und zu bewundern, manche Gelegenheit zu kleinen Erwerbungen, wenn es auch nur ein Pfefferkuchen oder ein Waldteufel gewesen wäre, und endlich fehlte es auch nicht in dem nächtlichen Dunkel hinter den Buden an stets willkommenen Kämpfen. Bei aller muthwilligen Stimmung hatte das Ganze dennoch einen zauberhaften, geheimnißvollen, ja rührenden Ausdruck. Wie glänzte Alles in dem Lichte festlicher Erwartung! In ihr ging schon Wochen vorher alles Wünschen und Hoffen der Kinderwelt auf. Auch beim Meister Tieck war das Weihnachtsfest eine große häusliche Freude. Es gab einen festlich geschmückten Tannenbaum mit brennenden Lichtern besetzt, und Näschereien, nach denen man sonst das ganze Jahr vergeblich lüstern spähte. Unter allen Geschenken aber strahlten die unerläßlichen Soldaten von Zinn als das Anziehendste hervor, die unter Ludwig’s Händen bald zu belebten Wesen wurden, zu einem ernsten Spielzeug, zu dem er auch in spätern Tagen in heiterer Laune gern zurückkehrte. Gedanken ganz anderer Art wurden erregt, wenn diese bleiernen Heere in der That lebendig geworden schienen, und die Trommel in den Straßen Berlins die Soldaten Friedrich’s zu Paraden und Revuen rief. Wenn die Garnison sich in allem Waffenglanze und ihrer ganzen Mustergültigkeit entfaltete, dann fühlte sich der Stolz des berliner Bürgers gehoben, und auch bei den Kindern erwachte die Ahnung, einem noch größern Ganzen als Schule und Haus anzugehören. Unter allen Gestalten, die bei solchen Gelegenheiten öffentlich auftraten, blieb immer die volksthümlichste der alte Fritz selbst. So oft er mit dem dreieckigen Hute und dem großen Krückstocke auf seinem alten Schimmel in bequemem Trabe durch die Straßen ritt, stürzte die Schul- und Straßenjugend von allen Seiten herbei. Eine Schar vorlauter Knaben überschlug sich in tausend tollkühnen Purzelbäumen unmittelbar vor dem Pferde, Mützen und Hüte flogen in die Luft, und unaufhörlich schrie Alles: „Der olle Fritz! der olle Fritz!“ So geleiteten ihn die Scharen die Straßen auf und ab, ohne daß der König eine Miene verzog. Mit demselben Löwenauge, dessen zorniges Blitzen man sehr wohl kannte, sah er gleichmüthig auf das Treiben eines dreisten, aber doch nicht bösartigen Volkswitzes herab. Prächtiger, aber auch steifer ging es her, wenn er sich in seiner großen gläsernen Staatscarrosse zeigte, was nur einige Male im Jahre geschah. In langsam feierlichem Schritte fuhr er dann mit vollem Prachtgespann durch die Straßen; voran die aufgeputzten Läufer, hinten auf der Carrosse die fremdartigen Haiducken, zu beiden Seiten des Kutschenschlages zahlreiche königliche Diener. Ernst und streng saß er selbst hinter den Glaswänden. Jedermann sollte seinen König sehen können. Auch in die Nähe der Roßstraße, des väterlichen Hauses kam dieser Prunkzug; er lenkte die Breite Straße hinab, am Kölnischen Rathhause vorbei. Als großer Kriegsfürst, der dem verbündeten Europa siegreich widerstanden hatte, erschien der König an der Spitze seiner Truppen, die so manche Schlacht geschlagen, bei Paraden und Revuen. Wenn es vor einem der Thore Berlins, etwa vor dem Halleschen oder dem Prenzlauer, Heerschau und Manöver gab, dann strömte die berliner Bürgerwelt scharenweise hinaus. Auch Meister Tieck nahm sich die Zeit, seine Kinder zu solchen volksthümlichen Schauspielen zu führen. Zwischen der drängenden Menschenmasse, den einherjagenden Ordonnanzen und den manövrirenden Truppen trotzte man stundenlang dem Staube und der Sonnenglut, um den alten Fritz, umgeben von dem glänzenden Gefolge seiner berühmten Generale zu sehen. Einst war Ludwig bei einem solchen Volksfeste vor dem Prenzlauer Thore durch die hin- und herwogenden Scharen der Zuschauer von seinem Vater getrennt worden. In demselben Augenblick erscholl ein tausendstimmiger Vivatruf; er kündete den König an. In der Mitte seiner Generale ritt er auf dem Feldwege heran, der zwischen höherliegenden Sandhügeln hohlwegartig dem Thore zuführte. Auch Ludwig wollte den alten Fritz sehen und in seinem Eifer nicht zurückbleiben. Behende schwang er sich an der schrägablaufenden Seitenwand des Hohlweges in die Höhe, und faßte in einer Vertiefung festen Fuß, welche der Regen geklüftet hatte. Abgesondert von der Menge stand er Allen sichtbar, wie in einer Nische, über den Häuptern der Andern. Da nahte der König. Unter lautem Rufen schwenkte Ludwig seinen Hut. Plötzlich, in der vollen Begeisterung des Augenblicks, weicht der Sand unter seinen Füßen, er verliert das Gleichgewicht. Wenig fehlte, so wäre er aus seiner Grotte auf die vorbeireitende Generalität gestürzt. Sein lauter Ruf, die unwillkürliche Heftigkeit seiner Bewegungen erregten die Aufmerksamkeit des Königs. Dieser wendete sich halb von der Seite, und ein voller, fragender Blick des großen blauen Auges fiel auf Ludwig. Voll Schrecken gelang es ihm noch zu rechter Zeit das Gleichgewicht wiederzugewinnen, während der König mit seinen Generalen vorüberritt. Es war ein Erlebniß. Ludwig hat diesen tiefen Blick des alten Fritz, der auch auf ihn gefallen war, nie vergessen. 3. Die Breter, die die Welt bedeuten. Diese Welt, welche sich hier dem knabenhaften Sinn entfaltete, die er bald verwundert anstaunte, bald handelnd oder leidend seinen Theil daran hinnahm, wollte das sein und bedeuten was sie schien. In ihr lebte man unmittelbar. Aber es gab noch eine Welt, die etwas Anderes bedeuten wollte, und um so mächtiger die Phantasie ergriff und das Gefühl erregte. Dies war die Welt der Breter. In dem Vater lebte etwas von dem Kunstsinne der alten Handwerksmeister. Wie jene Nürnberger fand er Gefallen an der bunten Welt, welche die Dichtung erschließt, an Scherz und Ernst in gebundener und ungebundener Rede, und ihrer Darstellung auf den Bretern. Wie hätte eine solche Vorliebe des Vaters nicht auf den Sohn wirken sollen, in dem Phantasus noch halb träumerisch die Flügel regte, und ihm seine Märchen ins Ohr zu flüstern begann. Die Erinnerungen an scenische Darstellungen gehen in Ludwig’s frühestes Kindesalter zurück. Einst hatte der Vater das Kind in die Bude eines Puppenspielers mit sich genommen. Auch dergleichen harmlos volksthümliche Kunstgenüsse liebte er. Hanswurst begann seine Späße, er erschien als Schäferknecht, der bei dem Verkaufe der Wolle in der Stadt seinen Vortheil zu machen hoffte. Dann trat ein prächtig gekleideter Prinz auf. Mit den wildesten Geberden der Verzweiflung rief er zu wiederholten Malen: „O Cupido! Cupido! welch ein Tyrann bist du!“ Im Schmerze unglücklicher Liebe überschlug sich die Holzpuppe in eckigen, steifen, seltsamen Bewegungen, daß Arme und Beine klappernd gegeneinanderrasselten. Das fratzenhafte Gebaren dieses Prinzen machte einen entsetzlichen Eindruck auf die Phantasie des Kindes. Es brach in lautes Weinen aus, und um den Ernst des Spiels nicht zu stören, verließ der Vater mit dem Kinde die Bude. Erst als es durch die dunkeln, stillen Straßen getragen wurde, und sich jene bunte, und doch so schreckhafte Welt plötzlich geschlossen hatte, fand es sich wieder. Als später dieses Grauen vor dem Fremdartigen überwunden war, trat an die Stelle des ersten Entsetzens das lebhafteste Vergnügen an der Welt der Breter. Ludwig war sechs Jahre alt, es war im Sommer des Jahres 1779, als er zum ersten Male in das große berlinische Theater geführt wurde. Mit Pracht wurde eine Oper, „Die neue Arsene“ von Favart, zum ersten Male gespielt. Aber schon rührte sich die Kritik. Das Singen schien ihm verkehrt und langweilig, er wollte Handlung. Ludwig war in eine neue Welt eingeführt; er hatte eine gewaltige Anregung erhalten, die durch wiederholte Besuche des Theaters lebendig blieb. Die Lust solche Darstellungen in irgendeiner Weise selbst zu versuchen, begann sich unaufhaltsam zu regen. Zuerst griff er nach den Werkzeugen, die dem kindischen Alter am nächsten lagen. Die zinnernen Soldaten, des Vaters deutsche Spielkarten mußten redend und handelnd auftreten. Den herrlichsten Stoff gab sein geliebter „Götz“, den er endlich aus dem Gedächtnisse herzusagen wußte. Dann kamen Papierpuppen an die Reihe, die den Charakteren schon mehr entsprachen. Die Kinder ruhten nicht eher, als bis sie ein vollständiges Puppentheater hergestellt hatten. Friedrich versuchte sich dabei in Malereien und Decorationen, Ludwig entwarf kleine Dramen, und fing auch wol an sie niederzuschreiben, wenn seine Ungeduld die Sachen fertig zu sehen, ihm Zeit ließ. Endlich geschah der letzte Schritt. Wie, wenn man an die Stelle der Puppen trat, und statt sie darstellen zu lassen, selbst darstellte? Wieder wurde Ludwig Führer der jüngern Geschwister. Die Kenntniß dramatischer Dichtungen hatte sich erweitert; was die Kinder der Art irgend gesehen oder gelesen hatten, versuchten sie sogleich auf frischer That wiederzugeben. Siegreich führte die Phantasie über alle Schwierigkeiten hinweg. Entweder lasen die jugendlichen Schauspieler eine oder mehrere Stellen mit rednerischem Ausdruck aus dem Buche ab, oder irgendein Winkel wurde zur Bühne, auf der sie in abenteuerlichem Putze, den der Kleiderschrank des Vaters oder der Mutter liefern mußte, auftraten. Meistens wurden die dunkelsten und entlegensten Winkel zur Schaubühne ausersehen. Nur in der tiefsten Stille und Einsamkeit konnte man diese Freuden ganz genießen. Nichts störte den Zauber mehr, als wenn das nüchterne Tageslicht diese Helden beleuchtete, oder ihr Spiel durch kritische oder zweifelnde Bemerkungen unterbrochen wurde. Da glaubte Ludwig einmal einen Schlupfwinkel gefunden zu haben, der an Stille und Sicherheit alle andern übertreffe. Eines Sonntags, als er dem väterlichen Befehle folgend die Petrikirche hatte besuchen müssen, durchstreifte er nach Knabenart, müßig und gelangweilt, die unbesetzten Theile der Kirche. Bei solchen Streifereien wurde in der Regel irgend etwas Merkwürdiges entdeckt, was bei weitem wichtiger erschien als die Predigt. Er kam in einen entfernten, düstern Winkel des Chors, wo kein Andächtiger saß, weil es unmöglich war, die Worte des Predigers zu verstehen; sie verhallten in weiter Ferne, und selbst Gesang und Orgel tönten nur gedämpft herüber. Hier schien tiefe Stille zu herrschen. Sogleich stieg bei Ludwig, der nur sein Komödienspiel im Kopfe hatte, der abenteuerliche Gedanke auf, hier sei der sicherste Ort dafür. Voll Jubel verkündete er seine Entdeckung den Geschwistern, und sogleich wurde beschlossen, am nächsten Sonntage den neuen Schauplatz zu versuchen. Freilich konnte man nicht mit allem scenischen Zubehör in der Kirche auftreten, darum wollte man sich mit dramatischem Lesen begnügen, und von allen Decorationsstücken nahmen die Kinder nur das unverfänglichste mit, den großen Familienregenschirm, der zugleich als Deckung dienen sollte. Bei der Wahl des Stücks fiel man diesmal nicht auf den „Götz“, sondern ein jüngerer, nicht minder mächtiger Mann bekam den Vorzug, Karl Moor. Es war die Zeit, wo Schiller’s „Räuber“ alle Gemüther erschütterten. Auch Ludwig’s Phantasie wurde von der überwältigenden Macht der kolossalen Dichtung fortgerissen. Er überließ sich diesen Eindrücken um so lieber, als alle Schauer und Entsetzen des Schrecklichen in ganz anderm Maße als durch den „Götz“ entfesselt wurden. Jetzt träumte er nur von Karl Moor und seinen Räubern. An Ort und Stelle fand man Alles, wie er gesagt hatte. Was konnte einladender sein als dieser vergessene Winkel voll Staub und herabhängender Spinnweben? Wie aus weiter Ferne hörte man die Worte des Predigers herüberschallen. Es war der Propst Teller, der an diesem Sonntage predigte; seine Stimme galt ohnehin für etwas undeutlich. Im Gefühle vollster Sicherheit wurde der Regenschirm aufgespannt; die Kinder kauerten unter demselben nieder, und die Tragödie nahm ihren Anfang. Ungeduldig schlug man gleich die Lieblingsstellen auf. Mit aller Gewalt des tragischen Zornes stimmte Ludwig die verzweifelten Verwünschungen Karl Moor’s aus dem ersten Acte an: „O Menschen, Menschen! heuchlerische Krokodilenbrut!“ Kaum waren die ersten Worte ausgestoßen, als die Kinder vor Schreck über die Wirkungen ihrer Tragik meinten in die Erde sinken zu müssen. Wie rollender Donner hallten die Worte Karl Moor’s aus allen Winkeln der Kirche zurück. Aber von nicht geringerm Entsetzen wurde die Gemeinde ergriffen. Der Prediger stockte, die Kirchendiener liefen voll Bestürzung hin und her, die Ursache dieses furchtbaren Getöses zu erforschen. Die Kinder erholten sich noch rasch genug von ihrem Schrecken, um schleunigst die Flucht zu ergreifen. Wie vom bösen Feinde gejagt, stürzten sie die Treppe hinunter, hinaus auf den Platz, und in vollem Laufe über die Straße. Immer noch meinten sie die Tritte der verfolgenden Kirchendiener hinter sich zu hören. Erst an der Schwelle der väterlichen Wohnung wagten sie wieder Athem zu schöpfen. Angstvoll krochen sie in den heimlichsten Winkel des Wohnzimmers; erst hier hielten sie sich gesichert. Doch wie wuchs ihr Entsetzen, als eine halbe Stunde darauf ein ehrbarer Hausfreund erschien, der auch in der Kirche gewesen war, und unter Kopfschütteln, mit bedenklichem Gesicht, dem staunenden Vater zu erzählen begann: „Herr Nachbar, es ist heute in der Kirche etwas sehr Sonderbares vorgefallen.“ -- Er berichtete darauf, die Predigt sei durch ein ungewöhnliches Brausen unterbrochen worden, durch donnerähnliche Töne, die sich kein Mensch erklären könne. Er sprach von Zeichen und Wundern; ob es eine Heimsuchung, ein Erdbeben, oder was es sonst gewesen sei, Niemand vermöge es zu sagen. Der aufgeklärte Vater suchte den besorgten Nachbar zu beruhigen, wenngleich es ihm selbst in diesem dunkeln Falle an jeder Aufklärung fehlte. Nur die Kinder wußten sie; aber sie hielten sich mäuschenstill, und lachten bei aller Angst über den trefflichen Spaß in sich hinein. Inzwischen war Ludwig als Tertianer selbständig genug geworden, um ihm hin und wieder den Besuch des Schauspiels auf eigene Hand zu erlauben. Neben vielem Gleichgültigen und Vorübergehenden sah man Lessing’s Dramen, Goethe’s und Schiller’s erste Dichtungen mit der frischesten, vollsten Theilnahme auf dem Theater. Hin und wieder machte man sich bereits an die Bearbeitung und Darstellung Shakspeare’scher Tragödien. Unter dem Drucke besonders ungünstiger Verhältnisse hatte sich das deutsche Schauspiel in Berlin emporgearbeitet, im Kampfe gegen die begünstigten französischen und italienischen Bühnen, gegen das Vorurtheil der höhern Classen. Aber gerade dies stärkte seine Kraft. Man wollte zeigen, daß man auch eine volksthümliche Dichtung und Bühne habe. Mit gleicher Begeisterung begrüßten Schauspieler und Zuschauer die jungen Dichtungen, welche die Bühne umzugestalten verhießen. Döbbelin, der Begründer des deutschen Schauspiels in Berlin, war selbst erfüllt von deutschem Sinne und einem aufrichtigen Streben für seine Kunst. Nur trat Alles noch in dem bescheidensten Gewande auf. In dem Hintergebäude eines Hauses in der Behrenstraße lag das Theater. Der Eingang führte über einen Hof. Die Räume der Bühne selbst waren eng, klein, auf das einfachste eingerichtet. Doch rührte sich hier ein muthiger, jugendfrischer Geist; die große Zeit der deutschen Bühne begann sich hier vorzubereiten. Wie heimisch war Ludwig bald in diesem dürftigen Kunsttempel! So oft es irgend ging, vertauschte er sogleich die Schulbank mit der Zuschauerbank. Mit unwiderstehlichem Zauber zog ihn die Welt der Breter an. Alles, was irgend damit in Verbindung stand, war wunderbar und Gegenstand ehrfurchtvollen Staunens. Welche Wonne, wenn er als einer der ersten Zuschauer in dem leeren, noch halb dunkeln Hause saß, und Hoffnung und Ungeduld in ihm kämpften! Wie steigerten sich allmälig die Schauer geheimnißvoller Erwartung, wenn ein bleicher Stern in der Nacht, ein Talglicht nach dem andern aufging, wenn die Musikanten klimpernd ihre Geigen zu stimmen anfingen, wenn der Vorhang, der noch schweigend die Wunder verdeckte, sich im Zugwinde hin und wieder bewegte. Endlich enthüllten sie sich, und wie erklangen da in der jungen Brust alle Töne von Freude und Leid, Lust und Schmerz, ja des Grausens und Entsetzens! Unter den Schauspielern selbst aber machte schon damals keiner einen größern Eindruck auf ihn als Fleck, der seit 1783 der Döbbelin’schen Gesellschaft angehörte, wenn er etwa den Othello oder Shylock, Karl Moor, Otto von Wittelsbach oder den Herzog Albrecht in der „Agnes Bernauerin“ spielte. Alles Geld, was Ludwig von dem Vater erhielt, verwandte er jetzt, ohne dessen Zorn zu fürchten, auf das Theater. Endlich schien das Wunder die Breter zu verlassen und in die wirkliche Welt hineinzutreten. Ludwig selbst war der Günstling einer geheimen Macht, welche seine Theaterlust wohlwollend schützte. Durch eine Unaufmerksamkeit des Logenschließers war einst der Zettel, welcher die Pforten der geweihten Räume öffnete, in seinen Händen geblieben. Welche frohe Aussicht, darauf hin noch eine zweite Vorstellung sehen zu können! In höchster Spannung, zwischen Begierde und innerer Angst schwebend, trat er andern Tages, sein Billet in der Hand, an den Eingang des Zuschauerraums. Und in der That, es eröffnete ihm nicht nur den Eintritt, sondern wurde ihm auch diesmal nicht abgefordert. So ein drittes, ein viertes Mal und öfter, immer übersah ihn der Logenschließer. Wie Fortunat’s Hut schien hier das Billet die Kraft zu besitzen, ihn unsichtbar zu machen, und kaum wäre ihm jener ein größerer Schatz gewesen. Wie einen räthselhaften Talisman hütete er nun seinen theuern Zettel, immer zuversichtlicher erprobte er dessen geheime Kräfte. Indeß bald sollte der Schleier des Wunders durch die prosaische Aufklärung gehoben werden. Eines Abends, als Ludwig bereits seinen Platz eingenommen hatte, versuchte ein anderer Knabe mit Hülfe natürlicher Unverschämtheit ein ähnliches Wunder zu thun; den Hut unter dem Rocke verborgen, um den Schein zu erregen, als habe er das Parterre nur soeben verlassen, drängte er sich in der Mitte anderer eintretender Zuschauer an dem Logenschließer vorüber. Doch dieser bemerkte ihn. „Halt, Musje! Wohin?“ rief er ihm zu. Der Eindringling schwieg verblüfft. „Du mußt einen alten Mann nicht zum Narren machen wollen“, schalt der Schließer und trieb ihn zum Tempel hinaus. Zitternd hatte Ludwig diese sonderbare Begebenheit von seinem Platze aus angesehen, als er plötzlich zu seinem nicht geringen Schrecken selbst hineingezogen wurde. Unerwartet wandte sich der Schließer zu ihm. „Ihnen, Musje“, sagte er, „erlaube ich es gern, ohne Billet einzutreten; denn ich sehe, Sie sind ein stilles und artiges Kind, das am Theater seine Freude hat.“ Ludwig war aus allen seinen Himmeln gestürzt. Also kein Wunder, kein geheimer Talisman hatte ihm den freien Zutritt verschafft, sondern die ganz menschlich gewöhnliche Gunst eines Logenschließers. Das Geheimniß war verschwunden, und mit ihm ein großer Theil des Reizes. Das unheimliche Gefühl, daß er mit Unrecht hier sitze, beschlich ihn. Endlich drängte er sein Billet dem Schließer wieder auf, und war froh, in die Reihen der gewöhnlichen Zuschauer zurückzutreten. Doch auch von einer andern Seite nahte die Enttäuschung. Er begann die Armseligkeit der Theaterwelt zu ahnen. Trotz seiner Geringschätzung der Komödianten hatte der Vater dennoch den Verkehr mit denselben fortgesetzt, ja er machte sogar den Beschützer. Es besuchte ihn öfters ein junger Schauspieler, Namens Heinzius, der eine Anstellung beim berliner Theater suchte, und einstweilen mit Frau und Kindern hungerte. Mitleidig lud ihn der kunstsinnige Handwerker zu seinem Mittagstische ein, damit er sich ab und zu satt essen könne. Dann kam der Künstler, um vor seinem Gönner würdig zu erscheinen, mit reiner Halskrause, die er vorher mit Schlemmkreide sauber geweißt hatte. Während er der derben Hausmannskost tapfer zusprach, pflegte er zum Danke allerlei lustige Geschichten zu erzählen, die den Vater in seiner ungünstigen Meinung von den Komödianten meistens bestärkten. Nach langen Jahren sah Ludwig diesen Heinzius wieder. In kummervoller Gestalt, die Guitarre am Bande über der Schulter, durchstreifte er als Improvisator die Tabagien und Vergnügungsgärten Berlins. 4. Der Genius. Gewann schon Ludwig’s Freude am Theater durch das Geheimniß, welches er darüber auszubreiten suchte, einen ganz besondern Reiz, so gab es eine andere Saite, deren innerste Bewegung sich den Augen noch viel mehr entzog. Wenn er als Schauspieler aufzutreten suchte, so war dies keineswegs allein gewöhnliche Kinderlust an possenhafter Mummerei, der Dichter war es, der sich in ihm regte, und zu diesem ersten, unmittelbarsten Werkzeuge griff. Doch wie ungefügig und schwerfällig waren diese Mittel, wie bleich diese Farben im Vergleich mit den glänzenden Bildern, welche die kindisch spielende, doch rastlos arbeitende Phantasie heraufführte! Wie sank hier jede Schwere des Stoffes zu Boden, wie wichen Zeit und Raum zurück, wie frei schaltete der Knabe in dieser Bilderwelt, die ihn umgab, wo er ging und stand, in der das Gewöhnliche im Glanze des Wunderbaren und Außerordentlichen erschien. Hier schwieg jeder Schul- und Lehrzwang, hier war er sein eigener Herr. Die ersten Schauer jener Verzückungen, in denen sich schöpferische Kraft und Genuß verbanden, durchbebten seine Seele. Stärker und stärker begann der Genius anzuklopfen. Fürs erste sprach er sich in kindischer Weise aus. Früh hatte Ludwig angefangen, nach Reim und Tonfall spielend Verse zu machen. Natürlich entging das dem Auge des Vaters nicht. Stillschweigend ließ er ihn gewähren, und schien es als etwas Gewöhnliches zu nehmen. Doch trat Ludwig früh genug öffentlich als Dichter auf. Als sein gefürchteter Schuldirector sich im Jahre 1784 verheirathete, drückten die Schüler in glückwünschenden Reden ihre Theilnahme aus. Auch Ludwig mußte zur Feier einige Verse machen. Ein junger Mensch, der in des Vaters Hause verkehrte, hatte sie regelrecht zugestutzt, er selbst sprach sie vor dem Director und seiner jungen Frau. Einige Küsse und ein Stück Hochzeitskuchen waren der erste Dichtersold, den er gewann; und die Schulkameraden staunten ihn wegen solcher Künste und Erfolge nur umsomehr an. Kühner traten diese Versuche in Verbindung mit dem dramatischen Spiele hervor, das unaufhörlich zu Planen und Ausführungen Veranlassung gab. Auch an andern Uebungen in verschiedenen Versmaßen fehlte es nicht, namentlich seit die zunehmende Bekanntschaft mit alten und neuern Dichtern selbst in der Schule dazu führte. Den tiefsten Eindruck hatte die „Odyssee“ auf ihn gemacht. In den klarsten dichterischen Formen fühlte er den Zauber der Mythenwelt auf sich wirken. Dieser Wechsel der anschaulichsten Gestalten, die bunten Abenteuer in einer fabelhaften und wunderbaren Natur, die siegreiche Kraft menschlichen Witzes im Kampfe mit allen Schrecken der Elemente und des Zaubers, diese Fülle der Phantasie, alles Das übte einen unendlichen Reiz aus. Er konnte diese tönenden Verse nicht oft genug lesen. Auf seine Weise suchte er dem Stoffe näherzukommen. Zwei mal übersetzte er die „Odyssee“ schriftlich, einmal in Prosa, dann in Hexametern. Glaubte Ludwig in solchen Uebungen etwas Besonderes geleistet zu haben, so übergab er es dem Vater, der diese überraschenden Zeugnisse der Frühreife in der Regel mit gleichgültiger Miene hinnahm. Sein Lob beschränkte sich meistens auf die trockene Bemerkung: „Nun, es geht an.“ Dagegen faßte er die kindischen Blößen mit scharfem Tadel auf und benutzte sie, um die junge Zuversicht zu demüthigen und vor sich selbst lächerlich zu machen. Einst war Ludwig Huber’s französische Uebersetzung von Kleist’s „Frühling“ in die Hände gefallen. Die Naturschilderungen in dem Gedichte gefielen ihm. Spielend fing er an, es zurückzuübersetzen, und zwar in gereimten Versen. Einzelnes davon überreichte er dem Vater, der es ihm mit einem lakonischen, aber vieldeutigen „Hm! So!“ zurückgab. Ohne sich irre machen zu lassen, hatte er seine Rückübersetzung fast vollendet, als er nicht minder zufällig das Gedicht selbst kennen lernte. Er zweifelte keinen Augenblick, dies sei eine deutsche Uebersetzung, und Huber’s Uebersetzung, die er ja früher hatte kennen lernen, das Original. Er konnte seine Verwunderung über die sonderbaren Verse nicht unterdrücken, und eilte mit seinem Funde zum Vater. „Sehen Sie, lieber Vater“, rief er ihm zu, „den dummen Mann hier, der das französische Gedicht in solchen Versen übersetzt hat!“ Mit ironischer Trockenheit erwiderte der Vater: „Du bist und bleibst ein dummer Junge! Ich habe dich in deinem Thorenwerke nicht stören wollen; nicht einmal den Titel deines Buchs hast du angesehen, sonst hättest du es sogleich bemerken müssen. Dieses hier, Kleist’s ‚Frühling‘, ist das ursprüngliche Gedicht, und jenes eine französische Uebersetzung. Du bist einfältig genug gewesen, ein deutsches Buch ins Deutsche zu übersetzen.“ Beschämt stand der jugendliche Schriftsteller vor dem strengen Kritiker. Gegen einen so bündigen Beweis ließ sich nichts vorbringen. Schweigend zog er sich mit seinen Versen, auf die er keinen geringen Werth gelegt hatte, zurück. Keine geringere Beschämung erfuhr er bei einer andern Gelegenheit. Unfern der Petrikirche war er einst einem schlanken jungen Manne von stattlicher Haltung begegnet. Ernst, wie es schien, tief in Gedanken versunken, schritt dieser würdevoll einher; unbewußt ließ er dabei sein zierliches spanisches Rohr taktmäßig auf das Pflaster der Straße niederfallen. Wo hatte Ludwig dieses blasse Gesicht, diese gewölbte Stirn, diese Nase gesehen? Diese edeln Züge, in denen soviel Kraft und Anmuth, aber auch soviel schmerzliche Erfahrung zu liegen schien? Wie ein Blitz durchzuckte es seine Seele: „Es ist Goethe!“ Wie oft hatte er nicht in Lavater’s „Physiognomik“ Goethe’s Schattenriß mit Bewunderung betrachtet und dieses edle, hohe Antlitz seinem Gedächtnisse eingeprägt! Es waren dieselben Züge. Ja, das konnte nur Goethe sein! Trunken von seinem Glücke, den größten Dichter gesehen zu haben, eilte er nach Hause. Doch wie steigerte sich seine Wonne, als er demselben jungen Manne bald darauf wieder begegnete, als er gar entdeckte, daß er in der Nähe der Petrikirche wohne. Jetzt legte er sich vollkommen in den Hinterhalt, um Goethe vorübergehen zu sehen. Bald ging er in einiger Entfernung neben ihm, oder er suchte ihm entgegenzukommen. Er vertiefte sich in seinen Zügen, den Götz, den Werther entdeckte er darin. „Ach, wie muß doch einem so großen Dichter zu Muthe sein!“ seufzte er sehnsüchtig für sich. Endlich konnte er die Freude seines Herzens nicht mehr allein tragen. Er theilte das große Geheimniß seinem Vater, seinen Freunden mit. Man lächelte ungläubig; man sah den Goethe, der in der Nähe der Petrikirche wohnen sollte, man stellte Nachforschungen an. Aber welche Enttäuschung erfolgte auch hier! Nicht Goethe war der blasse Räthselhafte, sondern der Kammergerichtsassessor Kircheisen, der Sohn des berlinischen Stadtpräsidenten. Die spöttische Zurechtweisung des Vaters blieb nicht aus, und lange noch hatte Ludwig wegen seines Goethe-Traums die Neckereien der Geschwister und Gefährten zu erdulden. Wenn sich die Gegenbemerkungen des Vaters auf so schlagende Thatsachen gründeten, so ließ sich dagegen nichts sagen; desto weniger überzeugend waren für Ludwig seine dichterischen Urtheile. Nicht nur sein eigener Dichtergenius regte sich, er fing auch an das Verständniß Anderer zu ahnen, deren Anerkennung ihm allmälig zum Lebensbedürfniß wurde. Aber der Vater schien viele gar nicht so anzuerkennen, wie sie es verdienten. Oft war er hart in seinen Urtheilen, und in seinem rücksichtlosen Spotte verletzend. Aus einem tiefen, unabweisbaren Gefühle erwuchsen Ludwig’s Ueberzeugungen. So klar wie der Tag, so sicher wie sein eigenes Dasein stand Manches vor ihm, und dennoch sollte er im Unrechte sein? Nicht ohne Selbstgefühl vertheidigte er daher seine Ansichten gegen den Vater. Er wagte es sogar, diesen bisweilen in Dem zu durchkreuzen, was er sich als Ergebniß seiner Lebenserfahrung ausgebildet hatte. Bei solchen Widersprüchen pflegte der ganze Zorn des Vaters plötzlich aufzulodern. Bald zeigte sich hier ein Gegensatz der Geister, der schwer auszugleichen schien. Der Sohn war voll Phantasie und neigte zum Gemüths- und Gefühlsleben; der Vater war seiner poetischen Liebhaberei ungeachtet nüchtern und verständig. Immer häufiger trat diese Verschiedenheit hervor. So hatte Ludwig das alte Gesangbuch der Mutter mit seinen Liedern in hohem Grade liebgewonnen, und nahm sie lebhaft in Schutz, wenn der Vater darauf schalt. Diese einfachen und tiefen Klänge ergriffen ihn gewaltig. Ebenso malerisch als rührend schien ihm in jenem Abendliede Paul Gerhard’s die tiefe, schweigende Ruhe der Wälder, die heilige Stille, welche die ganze Welt mit ihrem Schleier bedeckt. Er bot seine ganze Beredtsamkeit auf, um den Vater von der Schönheit dieser alten Lieder zu überzeugen. Warum nicht auch solche Gefühle sich aussprechen dürften, woher man das Recht nehme, sie zu verurtheilen? Solche Versuche hatten in der Regel keine andere Folge, als daß der Vater sie mit steigendem Unwillen abwies. „Du machst dir eine Menge einfältiger Faxen zurecht“, sagte er, „und siehst darüber die Dinge nicht, wie sie sind.“ Indessen ging Ludwig, ohne sich irre machen zu lassen, seines Weges weiter, und nur um so sicherer, als er um diese Zeit einen dichterischen Führer und Freund fand, der ihn durch das Leben begleiten sollte. Dies war Shakspeare. Seine Theaterlust wurde vielleicht nur noch durch seine Leselust übertroffen. Längst war des Vaters kleine Büchersammlung erschöpft. Kein Buch, das in das Haus kam, war vor ihm sicher. Auch die Leihbibliothek, aus der Manches für die Abendvorlesungen entliehen wurde, genügte kaum mehr. Dann kamen die mehr oder minder ergiebigen Büchervorräthe der Schulgefährten an die Reihe. Mit der Unersättlichkeit des Heißhungers verfolgte er Alles, was in dramatischer oder dialogischer Form geschrieben war. Wo er irgendein unbekanntes Buch witterte, ruhte er nicht eher, als bis er sich seiner bemächtigt und es verschlungen hatte. Da fiel ihm eines Tages bei einem sonst ziemlich gleichgültigen Schulkameraden ein Theil des Eschenburg’schen „Shakspare“ in die Hand. Es war „Hamlet“. Sogleich eilte er mit seiner Beute nach Hause. Voll Ahnung und gespannter Erwartung konnte er die Ungeduld nicht länger zügeln. Sein Weg führte ihn über den Lustgarten durch eine der Pappelreihen, die denselben damals umschlossen. Es war ein nebeliger Abend im Spätherbste; ein feiner, durchdringender Schlagregen begann soeben zu fallen. Unter den Bäumen glommen einige kümmerliche Oellaternen. Ludwig trat hinzu. In dem matten, unsichern Schimmer wollte er wenigstens das Personenverzeichniß ansehen. Kaum hatte er einen Blick in das Buch geworfen, als er sich auch schon gefesselt fühlte. Die nächtliche Scene, die ersten Reden der Wachen, das Erscheinen des Geistes, Alles erfüllte ihn mit zauberischem Grausen und doch mit unendlichem Entzücken. Er fühlte nichts von dem Herbstwinde, der ihm den Regen entgegentrieb, nicht daß er Schirm und Buch unbewußt im Gleichgewicht erhalten mußte, nicht daß er auf feuchtem Laube stand. Er sah und hörte nur Hamlet. Er las und las; erst mit dem Todtenmarsche hörte er auf. Durchnäßt, an Händen und Füßen erstarrt, fand er sich wieder. Er war nicht zu Helsingör; aber aus der Tiefe der Vergangenheit war auch ihm ein Geist wiedergekommen, größer und gewaltiger als die Majestät des ermordeten Dänemark, der zu ihm gesprochen hatte; er hatte in nächtlicher Stunde den Ruf des Geistes vernommen. Jetzt endlich eilte er nach Hause, nicht ohne Ahnung einer irdischen väterlichen Zurechtweisung. Aber was waren ihm alle Befürchtungen im Vergleich mit der Erscheinung, die er heute gehabt hatte! Nun wurde Shakspeare sein Losungswort. Von allen Seiten wurden einzelne Bände von Freunden zusammengeborgt, von Antiquaren aufgekauft. Unwillig folgte der Vater dieser neuen Wendung der jugendlichen Begeisterung. Er war ein Bewunderer Goethe’s, aber gegen Shakspeare war er sehr mistrauisch. Wie fast das ganze ältere Geschlecht sah er in ihm ein wildes, halbbarbarisches Genie, fand seine Trauerspiele roh und blutig, seine Späße abgeschmackt, das Ganze unverständlich und verworren. Eines Tages traf er den Sohn wiederum in ein Buch vertieft. Er beugte sich über seine Schulter nieder. Es war Shakspeare’s „Maß für Maß“. Aergerlich brach er in die Worte aus: „Nun ja, das hat noch gerade gefehlt, um dich vollends verrückt zu machen!“ Ludwig sprang von seinem Sitze auf und erwiderte schnell gefaßt: „Erlauben Sie, lieber Vater, gerade so, wie es hier ist, habe ich mir immer gedacht, müsse ein Gedicht geschrieben werden. Das ist es, was ich lange gesucht habe.“ Barsch erwiderte der Vater: „Ach, du bist und bleibst ein dummer Junge!“ Zu Shakspeare gesellten sich ungefähr um dieselbe Zeit zwei andere Geister, die kaum eine geringere Bedeutung für ihn gewinnen sollten, Cervantes und Holberg, die Gefährten seiner heitersten Stunden. Jener trat Shakspeare unmittelbar an die Seite. Eines Mittags aus der Schule heimkehrend, fand Ludwig die Bertuch’sche Uebersetzung des „Don Quixote“ in der Wohnstube auf dem Fensterbret liegen. Mehr zufällig als absichtlich war sie aus der Leihbibliothek entliehen. Er griff nach dem Buche, ohne von dem Titel und dem Namen des Verfassers je gehört zu haben. Auch hier entschied der erste Blick. Stehenden Fußes begann er zu blättern, zu lesen. Die Lustigkeit dieser sonderbaren Gestalten, ihre Abenteuer, die Schlagwörter Sancho’s ergötzten ihn unendlich. Auch Dergleichen hatte er noch nicht gehört. Er konnte das Buch nicht wieder aus der Hand legen. Um seine Lesegier sogleich zu stillen, nahm er seine Zuflucht zu einer beliebten Schullist. Unter dem Vorgeben einer starken Migräne, von welcher er ab und zu befallen wurde, erklärte er es für unmöglich, Nachmittags die Lehrstunden zu besuchen, und warf sich auf sein Bett, um ungestört den Ritterzügen des sinnreichen Junkers von La Mancha zu folgen. Da trat unerwartet der Vater ein. „Mein Sohn“, sagte er, „das hast du nicht gut gemacht. Solche Kopfschmerzen werden durch Lesen nur schlimmer. Gib das Buch her, und bleib ruhig in deinem Bette liegen.“ Mit betrübter Miene sah er den Schatz seinen Händen entrissen, und sich selbst zum Bette verurtheilt. Doch die Freundschaft mit Cervantes war fürs Leben geschlossen, und wirkungslos gingen die spöttischen Bemerkungen des Vaters vorüber, der auch hier nicht begreifen konnte, wie es möglich sei, an diesen Thorheiten Gefallen zu finden, und kopfschüttelnd sagte: „Wenn du so fortfährst, wirst du als ein Narr und verdrehter Mensch durchs Leben laufen.“ Holberg verdankte Ludwig abermals einem Schulgefährten, in dessen Familie er viele ausgesuchte und schön eingebundene Bücher gefunden hatte. Von diesen Kostbarkeiten durfte er Manches entleihen, ja man verstattete ihm sogar, die Schränke selbst zu durchstöbern. Mitten unter den zierlichen Bänden fand er einige sehr übel aussehende. Es war die alte Uebersetzung von Holberg’s Lustspielen. Auch hier fühlte er sogleich dem gleichartigen Geiste begegnet zu sein, und auch diesen Freund hielt er fest. Auf seine Frage, was das für ein herrliches Buch sei, antwortete der Schulgenosse: „Es ist eine nichtswürdige Scharteke, die zufällig hier hineingerathen ist. Macht Ihnen das Ding Spaß, so wird es Ihnen mein Schwager nicht nur leihen, sondern auch gern schenken.“ Welche Fundgrube von guten Späßen hatte Ludwig hier nicht entdeckt! Es war nicht die kindische Freude an diesen, jener sonderbare und launige Geist des Humors, der oft die muthwilligsten Sprünge machte, war längst in ihm erwacht, und schaute oft schelmisch aus seinen Reden und Handlungen hervor. Der Genius hatte ihn zu den größten verwandten Geistern der Vergangenheit und Gegenwart hingeleitet. Der Bund mit Goethe, Shakspeare und Cervantes war für das Leben geschlossen. Und war es nicht eine verheißungsvolle Weihe des Jüngers, wenn sie seine Führer zum Garten der Poesie wurden? 5. Ein hoffnungsvoller junger Mensch. Unter solchen Anregungen und den wiederholten Versuchen, seine noch unklaren Empfindungen Andern begreiflich zu machen, hatte er sich allmälig eine gewisse Mündigkeit gewonnen, die immer zuversichtlicher hervortrat. Er war den mittlern Schulkreisen entwachsen. An die Stelle des wunderlichen Subrector Stilke und des Prorector Pleßmann, welcher durch seine unbedachten Aeußerungen im Geschmack der irischen Bulls zur Zielscheibe des allgemeinen Schulwitzes geworden war, traten andere Lehrer, die anregender wirkten, vor Allen Gedike selbst. Es war ein bedeutender Abschnitt in diesem Stillleben, als Ludwig im Jahre 1788, funfzehn Jahre alt, in die oberste Classe des Gymnasiums, die sogenannte Prima, hinaufrückte. Hier hörte die geringschätzige Anrede mit „Er“ auf; sie wurde durch das rücksichtvollere „Sie“ ersetzt. Nur Gedike wandte diese höflichere Form ungern an. Sie schien mit seiner Würde unvereinbar, und er suchte sich damit zu helfen, daß er zu dem Angeredeten wie von einer dritten Person sprach. Auch genoß man sonst mancher Vergünstigung. Man erschien mit dem Stocke in der Hand, kam auch wol gestiefelt und gespornt in das Lehrzimmer. Genug, die Kinderschuhe waren ausgezogen, und nicht ohne hohes Selbstgefühl faltete man das Gesicht zu männlichem Ernste. Denn man war ja ein hoffnungsvoller junger Mensch geworden, der sich für die tiefern Studien der Wissenschaft vorbereitete. In Allem herrschte größere Freiheit, und selten griffen die Lehrer mehr ein, als unbedingt nothwendig war. Wichtig war es, daß man nun auch den Herrn Rath, das war Gedike’s amtlicher Schultitel, von einer mildern Seite kennen lernte. Hatte man ihn früher nur als Donnerer gesehen und gehört, so war er jetzt Lehrer und Führer im innersten Heiligthume. In den obersten Classen ertheilte er eine Reihe von Lehrstunden, in denen er einen griechischen Dichter oder Geschichtschreiber erklärte, Uebungen in freier Rede anstellte, und auf die allgemeine Durchbildung seiner Zöglinge hinzuwirken suchte. Und hier erschien er doch als eine bedeutende, in hohem Grade anregende Persönlichkeit. Man fühlte seine überwiegende Kraft, die bei allen Sonderbarkeiten auch den Widerstrebenden zur Anerkennung zwang. Seine Aeußerungen waren scharf, entschieden und zutreffend. Was er that und sagte, prägte sich bis in die kleinsten Züge seiner Schüler für die Lebenszeit ein. War er bisweilen rauh, ja hart und ungerecht, so hatte er auch Augenblicke, in denen er vom Kothurn herabstieg. Wie ein alter Löwe ließ er dann in halb humoristischer, überdreister Weise fast mit sich spielen. Doch nichts machte einen tiefern Eindruck, als wenn Gefühlserschütterungen den starken Mann unerwartet überkamen, und gegen seinen Willen den Damm steifer Haltung durchbrachen. Er, der sonst so abgemessen, war dann weich und liebenswürdig. Als er den Schülern einst Engel’s „Traum des Galilei“ vorlas, überwältigte ihn die steigende Rührung, seine Stimme schwankte; nur mit Mühe konnte er die Vorlesung zu Ende führen. In solchen Augenblicken söhnte man sich mit seinen Härten aus. Ludwig wagte in diesen freien Gebieten mit seinen eigenen Gedanken mehr ans Licht zu treten, und streifte die letzten Wahrzeichen kindischer Unreife ab. Zu den schwersten Prüfungen des Schullebens gehörten für ihn die sogenannten deutschen Aufsätze. Unbefangen schrieb er zu Hause seine Verse und Komödien, sie gingen ihm trefflich von der Hand; aber jene deutschen Abhandlungen, die nach einer Aufgabe des Lehrers gearbeitet wurden, blieben für ihn, wie für viele seiner Genossen, lange Zeit ein Gegenstand des Schreckens und eine reiche Quelle geistiger Martern. Die Anforderungen schienen so unerschwinglich, seine eigenen Kräfte so gering. Er hatte nicht den Muth, sich dem Zuge seines Geistes zu überlassen, und in kindischer Angst, die etwas von sittlicher Scheu hatte, hütete er seine innersten Gedanken wie einen verborgenen Schatz. Sie erschienen ihm bald zu erhaben, bald zu kindisch, um sie preisgeben zu können. In diesen Nöthen nahm er seine Zuflucht zum Vater. Der verständige und gutmüthige Mann ließ sich auch in der Regel bereit finden, die Arbeit bei Seite zu legen, um mit dem Sohne deutsche Aufsätze zu schmieden. In seiner Weise zog er sich aus dem Handel. Meistens kleidete er den gegebenen Satz in einen Brief ein, und im Geschmacke der moralischen Wochenschriften begann er gut bürgerlich mit den Worten: „Werthgeschätzter Freund! Sie haben gewünscht, meine Gedanken über die Nachtheile und Vortheile des Kriegs kennen zu lernen, ich theile Ihnen dieselben in diesen Zeilen in der Kürze mit.“ Diesmal sollten Gedanken über die Einsamkeit niedergeschrieben werden. In seiner gewohnten Weise hob der Vater an. Plötzlich unterbrach er sich mitten im Satze: „Was weiß ich von der Einsamkeit! Was für Gedanken soll ich auch darüber haben? Ich habe immer mit Menschen gelebt und verkehrt. Der dumme Junge schreibt nichts als Verse und Komödien und anderes thörichtes Zeug, und nun weiß er nicht einmal etwas über die Einsamkeit zu sagen. Mach’ deine Geschichten allein, und laß mich ungeschoren!“ Damit wandte er sich um. Bestürzt blieb Ludwig zurück; er glaubte sich verloren. Aber was half es? Bis zum andern Morgen mußten die Gedanken über die Einsamkeit herbeigeschafft werden. Voll verzweifelten Muthes legte er allein Hand ans Werk. Die Angst entfesselte seine Kräfte, er überließ sich den Bildern seiner Phantasie, und die steife Abhandlung gestaltete sich unwillkürlich zu einer kleinen Erzählung. Er schilderte einen Edelmann, der sich im Winter auf sein neugekauftes Landgut begibt, und in der erstarrten Natur in tiefer Abgeschiedenheit lebt. Der Frühling erwacht und verleiht der Einsamkeit hellere Farben und heitere Züge, und glücklich im Genusse einer friedlichen Natur durchlebt jener Mann auf seiner Scholle Sommer und Herbst. In diesen Naturbildern waren die Gedanken über die Einsamkeit lebendig geworden. Mit Zittern sah Ludwig dem Urtheile entgegen. Die Verdammung seines Machwerks stand ihm als unausweichliches Verhängniß fest. Endlich erschien die schwere Stunde. Seine Arbeit wurde für die Letzt verspart; offenbar sollte ein abschreckendes Beispiel für alle Schwachmatiker aufgestellt werden. Mit steigendem Herzklopfen vernahm er endlich die Worte des Lehrers: „Ich habe hier noch eine Arbeit von ganz besonderer Art.“ Er war auf das Schrecklichste gefaßt. Doch wie staunte er, als er seine Erzählung über alles Erwarten gut, ja musterhaft nennen hörte. Eine schwere Last fiel von seinem Herzen; er war vor sich selbst gerechtfertigt. Jetzt verwandelte sich die kindische Zaghaftigkeit in spielende Keckheit und Uebermuth. Mit der kühnen Sicherheit des Gelingens war er in jedem Augenblick bereit, was er irgend dachte und fühlte auf das Papier zu werfen. Seine Gabe phantasievoller Auffassung und Darstellung fand Anerkennung, und bald wurde er der allgemeine Helfer in der Noth. In den tausendfachen Aengsten und Plagen der Aufsätze und freien Reden sollte er helfen, rathen, Pläne und Entwürfe, ja ganze Abhandlungen und Reden machen. Selten ließ er sich lange bitten. Zu seiner Gutmüthigkeit gesellte sich die übermüthige Lust, die Lehrer irrezuführen und in immer neuer Gestalt vor ihnen zu erscheinen. In Zwischenminuten und Freistunden war er bereit, seine Gedanken frischweg niederzuschreiben für Andere, denen schon die Zumuthung, überhaupt Gedanken haben zu sollen, schmerzliches Kopfweh verursachte. In Zeiten dringender Noth lernte der Tagesredner in der Nacht vorher Seite für Seite auswendig, was soeben aus Ludwig’s Feder geflossen war, und hatte dann wol, wenn er im entscheidenden Augenblicke vor Gedike’s Richterstuhl stand und die Versammlung feierlich anreden sollte, Alles vergessen, was er seinem harten Kopfe mit Mühe aufgenöthigt hatte. Zuweilen spielte Ludwig selbst die schadenfrohe Rolle des Zufalls. In eine Schulrede, die er ebenfalls für einen minder schlagfertigen Genossen gearbeitet hatte, ließ er einen starken Anachronismus einfließen. Zu allgemeinstem Beifalle wurde die Rede gehalten. Der Richter erklärte sich befriedigt; die Schüler wurden aufgefordert, ihre Einwürfe vorzutragen. Von jenem Anachronismus war keine Rede. Mit vollster Anerkennung der trefflichen Rede erlaubte sich Ludwig, bescheiden darauf hinzudeuten. Unwillig wies ihn Gedike zurück. „Ich habe den Anachronismus auch bemerkt, aber bei solchen Leistungen hängt man sich nicht an Kleinigkeiten. Tieck mag erst eine solche Rede halten, dann kann er sie so kritisiren!“ Mit schweigender Ironie gab Ludwig zu, er freilich könne eine solche Rede nicht zu Stande bringen. Solche Aeußerungen und manches kecke Urtheil, welches er sich über die Gegenstände des Unterrichts erlaubte, wenn er z. B. den Virgil für einen Manieristen erklärte, brachte ihn mit der Zeit in den Ruf eines eigensinnigen Sonderlings, der ein Gelüste habe, die Lehrer zu durchkreuzen und durch wunderliche Meinungen irrezuführen. In vielen Fällen hielt man für Eitelkeit, was nur eine unbewußte Kundgebung der eigensten Natur war, die man nicht zu fassen wußte. Spielend hatte er sich die Masse stofflichen Wissens angeeignet, die den minder Fähigen nach einem folgerechten Lehrgange beigebracht werden mußte. Dieser aber langweilte und ärgerte ihn. Es war ihm verdrießlich, zu sehen, wie die große Mehrzahl seiner Schulgenossen die Worte des Lehrers so lange nachsprachen, bis sie den Sinn derselben begriffen zu haben wähnten. Noch ärgerlicher waren ihm die Begabteren, welche mit Beflissenheit ihre eigene Ueberzeugung verbargen, um sich durch ein gläubiges Annehmen der Lehrsätze in Gunst zu setzen. Jenes schien ihm einfältig, dieses verächtlich. Auf keine Weise aber konnte er sich selbst dem hergebrachten Verfahren anbequemen. Er hielt es für äußerlich, geistlos, ja tyrannisch. Nicht nach einem allgemeinen stehenden Grundrisse können Leben und Bildung mitgetheilt werden, nur aus der innersten Natur des Einzelnen gehen sie hervor. An sich selbst muß der Mensch die Dinge erleben, an sich selbst ihr Wesen und ihre Einwirkung erfahren, sie zu seinem Eigenthume machen. Nur was man innerlich erlebt hat, lernt und weiß man in Wahrheit; dies allein steht fest für alle Zeiten und führt zur rechten Bildung. Leeres Nachbeten kann nur eine erheuchelte, falsche Bildung geben, welche den Geist ertödtet, während sie ihn zu wecken vorgibt. Diese und ähnliche Gedanken bildeten sich bei ihm zu einer immer klarern Ueberzeugung aus. Freilich galt dies bald für ketzerisch, und mußte einer Schulweisheit gegenüber doppelt anstößig sein, die in ihrem Aufklärungsstolze meinte, das Geheimniß der Bildung entdeckt zu haben, und durch unfehlbare Mittel dazu zwingen wollte. Aber er besaß für die Schwächen der Lehrer ein schärferes Auge als seine Mitschüler. Schnell faßte er sie auf und in vorwitzigem Humor spielte er mit ihnen. Schon war ihm der Herr Rath keine über allem Zweifel stehende Macht mehr. Gedike’s hochgespannte Würde, sein steifer Ernst, dessen die kleinen menschlichen Schwächen zu spotten schienen, machte einen komischen Eindruck auf ihn. Mit seinem dichterischen Geschmacke und ästhetischen Urtheilen war er längst nicht mehr einverstanden. Es ging ihm in der Schule wie mit den Ansichten seines Vaters. Oft wurde das wahrhaft dichterisch Empfundene und Ausgesprochene gewöhnlich gescholten, um das in der That Gewöhnliche für Poesie zu erklären. Bei dem Lesen der griechischen Tragiker wollte ihm weder aus den allgemeinern Versicherungen und Anpreisungen der edeln Simplicität der Alten, und noch weniger aus der trockenen Weise, in der man sie behandelte, ihre Größe und Erhabenheit einleuchten. Stets hörte er in unbedingtem Tone davon reden, und doch wußte man nicht anschaulich oder fühlbar zu machen, worin diese eigentlich bestehe. Denn einzelne schöne Züge, die ihn wirklich tief ergriffen, wollte man als solche nicht anerkennen, oder schien sie nicht hinreichend zu würdigen. In diesem Sinne trat er einmal als Vertheidiger des Aeschylus gegen Gedike’s ästhetische Kritik auf. Man las den „Gefesselten Prometheus“. Es wurde jener Monolog besprochen, in dem der gefesselte Titan den heiligen Aether, die Winde und Ströme und das ruhelose Lachen der Meereswellen zu Zeugen seines Leidens anruft. Gedike schloß die Erklärung damit ab, daß diese Anrufung des lachenden Meeres undichterisch, ja geschmacklos sei. Ludwig wollte darin gerade im Gegentheil eine dichterische, tiefe Naturanschauung eines großen Geistes finden, und wies zugleich auf die sinnlich anschauliche Malerei hin, die in diesem Verse liege. Abermals unterbrach ihn Gedike mit den Worten: „Unser Tieck will Alles besser wissen, selbst als die gelehrten Commentatoren. Er muß immer etwas Apartes haben!“ Tiefer, bis zum Gefühle schmerzlichster Kränkung empfand Ludwig andere Misverständnisse, die er umsoweniger begreifen konnte, als er in bester Ueberzeugung seine innersten Gedanken ausgesprochen hatte. Einer der beliebtesten Lehrer war der Conrector Weißer. Der einfache, natürliche Ton, den er anschlug, die ungezwungene Freundlichkeit, mit welcher er auf die Gedanken der Schüler einging und ihr Herz zu öffnen wußte, wirkte auf diese wohlthuend und gewinnend, während Gedike’s befehlende Strenge sie auf ihre Grenzen zurückwies. Ursprünglich Theolog, war er ein entschiedener Anhänger der Aufklärung, und stand wegen seines Rationalismus bei manchen Amtsgenossen, auch bei Gedike selbst, nicht im besten Ansehen. Einst hatte er in den deutschen Stunden den Tod des Sokrates zu schildern aufgegeben. Ludwig hatte die Aufgabe in dichterisch darstellender Weise gelöst, und sie zugleich für eine Verherrlichung der griechischen Heroenmythen benutzt. In dem kindlichen und phantasievollen Glauben an ein hohes, gewaltiges Heldengeschlecht, das, wenn auch menschlich geboren und leidend, dennoch in die Götterwelt einzutreten vermag, schien ihm in dichterischem Sinnbilde die Vermittelung zwischen Gott und Mensch angedeutet zu sein. Tiefsinnig hatte der griechische Volksglaube die Nothwendigkeit einer solchen Vermittelung geahnt, während der nüchterne Verstand diese Kluft als eine nicht auszufüllende ansah. Aehnliche Ansichten hatte Ludwig seinem sterbenden Sokrates in den Mund gelegt, und ihn zu jenem Volksglauben sich bekennen lassen. Weißer war über die Reife und Durchbildung, welche aus dieser Abhandlung sprach, nicht wenig erstaunt. Er erkannte den werdenden Dichter darin, und glaubte sie Gedike mittheilen zu müssen. Dieser wollte sie indeß keineswegs loben und, vielleicht gerade auf Grund jener Empfehlung, sonderbarerweise Spuren des Atheismus darin finden. Bald darauf geschah es, daß Ludwig in einer Lehrstunde, in welcher Gedike mit den Schülern den Plutarch las, zum Erklären des Textes aufgefordert wurde und dabei ziemlich schlecht bestand. Der Schluß der Stunde befreite ihn endlich aus der peinlichen Lage, und Gedike endete seine eindringliche Strafrede mit den Worten: „Nun, wer nicht an Gott glaubt, braucht sich ja auch auf den Plutarch nicht vorzubereiten!“ Dieser Vorwurf, bei dieser Gelegenheit gemacht, wirkte auf Ludwig vernichtend. Seine tiefste Ueberzeugung fühlte er in der ungerechtesten Weise verkannt, und der schneidende Hohn, der sich beigesellte, verletzte ihn bis zur Empörung. Er brach in heftiges Weinen aus. Theilnehmend sprachen ihm die Mitschüler zu, ohne seine leidenschaftliche Bewegung zu begreifen. Endlich sagte er: „Ihr versteht mich nicht! Die persönliche Kränkung, die mir widerfahren ist, könnte ich verschmerzen; daß aber eine solche Roheit möglich sei, habe ich nicht geglaubt.“ Wie auch immer Anerkennung und Misverständniß, Erfolg und Kränkung miteinander wechseln mochten, darin mußten am Ende alle, auch die ungünstigsten Stimmen sich vereinen, daß, wenn Ludwig auch schwer zu leiten sein mochte, man doch ein seltenes, mit sich selbst ringendes Talent vor sich habe, welches seinen Weg suche, und für die Zukunft Großes zu versprechen scheine. Gewiß, wenn irgend Einer den Namen eines hoffnungsvollen jungen Menschen verdiente, den man sonst mit einem gewissen Nachdruck nur sogenannten wohlgesitteten Schülern zu ertheilen pflegte, so war es der funfzehnjährige Ludwig Tieck. Ein hoffnungsvoller junger Mensch gehörte nicht mehr der Schulstube allein an. Auch das gesellige Leben machte Ansprüche an ihn. Man verlangte nicht allein Kenntnisse, er sollte sie geltend machen können. Er sollte mit Menschen verkehren, gesellschaftliche Kreise betreten, eine Unterhaltung in artigen Wendungen führen, durch gesellige Künste das Seine zur allgemeinen Heiterkeit beitragen, und allen diesen Anforderungen in sichern und zierlichen Formen genügen können. Mit einem Worte, der hoffnungsvolle junge Mensch sollte in die Welt eintreten. Dazu war aber Ausbildung geselliger Eigenschaften, und körperliche Haltung und Gewandtheit unerläßlich. Auch darauf war der sorgsame und verständige Vater bedacht. Eines Tages fragte er: „Nun, Ludwig, hast du nicht Lust, Musik zu lernen?“ Für einen hoffnungsvollen jungen Menschen war das zuerst nöthig. In der Frage des Vaters schien sich die Aussicht auf Abwechselung, eine angenehme Unterhaltung und manche neue Erfahrung darzubieten. Ohne weiter zu wissen, worauf es ankomme, antwortete er, mit der Geige möge er wol einen Versuch machen. Gesagt, gethan. Ein Musikmeister erschien bald darauf; der Unterricht nahm seinen Anfang. Es war ein guter, stiller und in seiner Kunst sehr tüchtiger Mann, aber der Weg, welchen er einschlug, war der sonderbarste. Sei es, daß er die Langeweile des musikalischen A-b-c scheute, oder daß er eine ungemessene Vorstellung von der Fähigkeit seines Schülers hatte, ohne ihn über Werth und Bedeutung der Noten aufzuklären, legte er ihm in einer der ersten Stunden die bekannte Melodie: „Blühe, liebes Veilchen!“ vor. Er selbst spielte sie so lange ab, bis Ludwig sie mit dem Gehör aufgefaßt hatte und leidlich nachzuspielen vermochte. Mit einigen Griffen, die er nothdürftig erlernt hatte, sollte er sich nun weiterhelfen. Sogleich ging man zu schwerern Stücken über. Da es ihm an allem Verständniß fehlte, auch sein Gehör keineswegs sicher war, so lahmte der Unterricht bald in der kläglichsten Weise. Die Uebungen, das ihm ganz räthselhafte Notenschreiben setzte seine Geduld auf eine harte Probe; das Instrument selbst ward ihm verhaßt. Die dabei nothwendige Haltung des Kopfes kam ihm abgeschmackt vor, die sägende Bewegung der Hand lächerlich, der schrillende Ton der Geige, seinem Ohre so nahe, schnitt ihm durch Mark und Bein. Unwillkürlich verzog er bei gewissen Tönen den Mund grimassenhaft, die sonderbarsten Gesichtsverzerrungen wurden ihm zur Gewohnheit. An eine Beendigung dieser musikalischen Leiden war nicht zu denken, die Kunstübungen waren einmal begonnen, streng mußten sie daher nach dem Willen des Vaters durchgeführt und erduldet werden. Eines Sonntags, ein Tag, den der Vater durch allerlei häusliche Untersuchungen auszuzeichnen pflegte, wollte er sich auch von den Fortschritten seines Sohnes in der Musik überzeugen. Ludwig sollte vorspielen. Im guten Glauben an das, was er im Schweiße seines Angesichts gelernt hatte, trug er einige beliebte Melodien vor, mit denen er sich am besten abzufinden meinte. Schweigend hatte der Vater zugehört, endlich sagte er: „Mein Sohn, du hast in der That Fortschritte gemacht; freilich nicht im Violinspielen, aber doch im Gesichterschneiden. Wo in aller Welt hast du diese abgeschmackten Fratzen her?“ Zuletzt behauptete er gar, in Folge dieser heillosen Musik heftige Zahnschmerzen bekommen zu haben. Ludwig hatte sich durch sein Kratzen auf der Geige auch dem Ohre der übrigen Hausbewohner bemerklich gemacht, und bald galt er für einen Violinvirtuosen. In dem obern Stockwerke wohnte der Stadtsecretär Laspeyres, dessen aufwachsende hübsche Tochter als Hausgenossin auch seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Sonntags pflegte sie Besuche einiger jungen Freundinnen zu empfangen, und so erging einmal die Bitte, ob Monsieur Tieck nicht die Güte haben wollte, mit seiner Violine heraufzukommen. Da der Geburtstag der Mademoiselle sei, wünschten die jungen Damen ein Tänzchen zu machen. Gern folgte er dieser schmeichelhaften Einladung. Die Mutter empfing ihn mit Entschuldigungen und artigen Worten über sein Spiel. Bei diesen hohen Erwartungen wurde ihm schon unheimlich zu Muthe. Mehr noch, als er in vollem Lichterglanze, in dem Kreise der jungen, zierlichen Damen stand, die ihn über sein Spiel, welche Tänze er vorzutragen wisse, auszufragen anfingen. Zagend setzte er seine Geige an, und unter obligatem Gesichterschneiden begann er seine Tänze abzuspielen. Man fand die Manier des jungen Künstlers höchst eigenthümlich. Ohne Takt haspelte er seine Stücke ab, nichts wollte passen. Man wunderte sich, man kicherte, unwillig mußte man den eben begonnenen Tanz aufgeben; er endete mit der vollsten Verwirrung. Endlich dankte man Ludwig für seine Bemühungen und bat ihn, sie einzustellen. Voll Zorn über diese Demüthigung, die ihn in einem so anmuthigen Damenkreise treffen mußte, die Geige und seinen Meister verwünschend, zog er sich still und ohne Geräusch zurück. Von diesen musikalischen Leiden befreite ihn erst eine spätere Zeit. Er mußte die Schule zweier Meister durchmachen, obgleich es dem Vater nicht entgehen konnte, daß es dem begabten Sohne an jedem Berufe für die Ausübung der Musik und, bisjetzt wenigstens, auch an dem äußern Sinne für dieselbe fehlte. Besser ging es in der ebenfalls unerläßlichen Tanzstunde, in der Haltung und Anstand gelehrt werden sollte. Der Tanzmeister führte Ludwig sogar als einen seiner besten Scholaren vor, wenngleich dieser auch hier das Plagen mit dem Takte unerträglich fand, und die Musik eher für die Feindin als die Begleiterin des Tanzes halten wollte. Neben diesen gefälligen Künsten kamen die ritterlichen an die Reihe. An die Stelle knabenhafter Raufereien trat auch hier der Unterricht. Ludwig war gesund, kräftig, hoch aufgeschossen. In den sanften, ja weichen Zügen seines Gesichts würde man weder die bedeutende Körperkraft, die er besaß, noch den aufflammenden Muth gesucht haben, mit dem er sie zu Zeiten zur Anwendung brachte. Zuerst leitete ihn das Vergnügen an der Ausbildung seiner Kräfte, dann die bestimmte Absicht, auch in diesen Künsten sich frei und sicher zu bewegen. Frühzeitig hatte er seine erste Ritterprobe nicht ohne Gefahr bestanden. Auch darin hatte der Vater einen freiern Sinn, daß er hin und wieder einen Philistergaul bestieg, um Ausflüge und kleine Geschäftsreisen in der Umgegend Berlins zu machen. Eines Abends war Ludwig hinausgegangen, den Vater, der mit einem andern Meister von einem benachbarten Städtchen zurückkehrte, am Brandenburger Thore zu erwarten. Zur bestimmten Stunde trafen die beiden Reiter ein. Der Vater stieg von seinem Gaul ab, und da ängstliche Sorge nicht seine Sache war, forderte er den Sohn auf, sich auch im Sattel zu versuchen. Dieser ließ sich das nicht zwei mal sagen, schwang sich kecklich auf, und ohne die nöthigen Anweisungen abzuwarten, begann er das Pferd übermüthig in die Weichen zu stoßen. Der Gaul warf sich mit einem gewaltigen Sprunge herum, in weitem Bogen flog Ludwig’s Hut auf die Erde, und das scheue Thier jagte auf dem Wege nach Charlottenburg an Wagen und Spaziergängern in gestrecktem Laufe vorüber. „Wohin so eilig, junger Herr?“ rief man dem verwegenen Reiter aus einem Wagen zu, an dem er hinstreifte. „Das weiß Gott allein!“ rief er zurück. Endlich auf dem Platze bei den Puppen, wie ihn die Volkssprache wegen der dort aufgestellten Bildsäulen nannte, gelang es einigen hülfreichen Händen, des Thieres Herr zu werden. Athemlos vor Angst und Eile, keuchten jetzt auch die beiden Meister heran. So rasch als es ihre stattliche Leibesfülle erlaubte, waren sie dem jungen Heißsporn gefolgt. Unsanft riß ihn der Vater vom Gaule herab mit seiner beliebten Anrede: „Du bist und bleibst doch ein dummer Junge! Wie unbesonnen war es, das Pferd so zu reizen! Es konnte dir das Leben kosten!“ Nach diesen ersten wenig ermuthigenden Erfahrungen wurde Ludwig später ein eifriger Kunde der berliner Pferdeverleiher, und bald galt er für einen kühnen und sichern Reiter. Einige Zeit darauf machte er eine Bekanntschaft, die ihm bei allen Uebungen dieser Art trefflich zu Statten kam, ihm aber auch zugleich einen überraschenden Blick in die tiefern Schatten des Lebens eröffnete. In der Nachbarschaft des Vaterhauses lag ein Soldat von einem der berliner Grenadierregimenter im Quartier. Ludwig hatte ihn häufig an der Thür vorübergehen sehen, und das blasse ausdrucksvolle Gesicht war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. Die größere Sauberkeit der Uniform, die ganze Haltung verrieth einen Menschen, der offenbar weit über der großen Masse gewöhnlicher Soldaten stand. Weitere Nachforschungen ergaben, es sei ein Gemeiner, der sogenannte Freidienste thue, was schon auf bessere Verhältnisse schließen ließ. Bei der nächsten günstigen Gelegenheit knüpfte Ludwig ein Gespräch mit dem Grenadier an. Er hieß Daschieri und stammte aus einer gebildeten Familie in Modena. Mit Gewandtheit, geselliger Bildung und manchen Kenntnissen ausgestattet, hatte er als junger Mann den abenteuernden Cavalier gespielt, sich an Badeörtern und Spielbanken aufgehalten, und war schließlich in allerlei ärgerliche Händel verwickelt worden. Ohne Mittel, von Gläubigern verfolgt, fiel er in Strasburg preußischen Werbern in die Hände. Man hatte ihm die Möglichkeit vorgespiegelt, in kurzer Zeit Offizier zu werden, er hatte Handgeld genommen, und war auf das preußische Gebiet abgeführt worden. Jetzt begann die Enttäuschung. Als Gemeiner wurde er in ein Grenadierregiment in Berlin eingereiht, und zu einer Capitulation von sieben Jahren genöthigt. Nun erst war er völlig unglücklich, in einem fremden Lande, abgeschnitten von jeder Verbindung mit den Seinen. Bei einer gewissen Bildung an einen Haufen Menschen gefesselt, der zum Theil der Auswurf der verschiedensten Länder war, körperlichen Anstrengungen und den Mishandlungen roher Unteroffiziere preisgegeben, verfiel er in einen verzehrenden Gram. Aber alles Streuben gegen die eiserne Strenge der Zucht konnte seine Lage nur verschlimmern; er mußte seinen Nacken beugen. Da er sich pünktlich im Dienste, und außerdem still, ordentlich und gewandt zeigte, auch durch kleine Nebenverdienste im Besitz einiges Geldes war, so behandelte man ihn als einen Soldaten besserer Art, und ließ ihm einige Erleichterungen zu Theil werden. Nach Ablauf der Capitulation hoffte er seiner Dienste entlassen zu werden, aber halb mit Ueberredung, halb mit Gewalt hatte man ihn genöthigt sie zu erneuern. In diesen aufreibenden Leiden fand Daschieri unerwartet in seinem jungen Nachbarn einen warmen und ergebenen Freund, der ihm mit dem vollen Gefühle der Theilnahme entgegenkam. Konnte er von ihm auch keine Hülfe erwarten, so war es doch eine große Erleichterung, in stillen Freistunden sein Herz ausschütten zu dürfen, denn auch Klagen waren streng untersagt, und er hatte doch soviel zu klagen, wie er aus Furcht vor Desertion auf Schritt und Tritt belauert werde, ja nicht einmal nach Hause schreiben dürfe. In minder trüben Stunden wußte er auch manches Anziehende von Ländern und Menschen zu erzählen. Immer vertraulicher verkehrte Ludwig mit dem eigenthümlichen Manne, und beschloß endlich, in den mancherlei nützlichen Künsten, in denen er bewandert war, sein Schüler zu werden. Er lernte die Anfangsgründe des Italienischen von ihm und kam bald so weit, den Tasso lesen zu können. Da sein Lehrer kein ungeschickter Flötenbläser war, so wurde er zu neuen musikalischen Versuchen angeregt, und griff selbst zur Flöte. Mit aller Lust des Jünglings aber ließ er sich in das Waffenhandwerk einweihen. Er lernte das Stichrappier führen, das ihm eine edlere und zierlichere Waffe schien als der Hieber, und ließ sich auch in andern militärischen Handgriffen unterweisen. Dafür wurde dem Lehrer im älterlichem Hause manche Unterstützung und Erleichterung zu Theil. Endlich war Daschieri’s Capitulation abermals abgelaufen. Jetzt hoffte er befreit zu werden, doch sein Capitän war anderer Meinung. Es kam zwischen Beiden zu einem heftigen Wortwechsel, und Daschieri wurde wegen Widersetzlichkeit zu einer bedeutenden Anzahl von Fuchtelhieben verurtheilt. Er erlag unter der Klinge des Unteroffiziers, und wurde halbtodt in das Lazareth gebracht, wo er heftig erkrankte. Ludwig und der Vater waren von diesem neuen Misgeschick tief ergriffen. Soweit es erlaubt war, suchte man die Lage des Unglücklichen zu erleichtern. Ludwig besuchte ihn und saß tröstend und unterhaltend an seinem Bette. Endlich hörte auch dies auf. Daschieri verfiel in eine Frieselkrankheit; bald darauf starb er. Es war ein Ereigniß, welches Ludwig auf das tiefste erschütterte. Was er hier als unmittelbarer Zeuge gehört, gesehen, erlebt hatte, warf einen breiten, dunkeln Schatten auf sein so empfängliches Gemüth, auf seine rege Phantasie, auf das Leben selbst. Solche Erfahrungen dienten dazu, in seiner Seele schwermüthige Betrachtungen vollends heraufzuführen, die wie ferne Gewitterwolken am Himmel des Jugendlebens hingen. Wie verhaßt erschien ihm jetzt das Soldatenwesen, dessen glänzende Außenseite er bisher knabenhaft angestaunt hatte; wie tyrannisch diese eiserne Ordnung, die jeden Willen mit unerbittlicher Strenge zerbrach; wie todt und nüchtern dieses tägliche Herumdrehen im Kreise einförmiger Thätigkeit! Wie hatte er sich dagegen gewöhnt, in freiester Ungebundenheit nach Laune und Willkür sich zu bewegen, nur auf Das zu horchen, was sein Genius ihm zuflüsterte, nur die Bilder zu sehen, die seine Phantasie ihm vorzauberte. Manche andere Erlebnisse steigerten noch diesen Widerwillen. Wenn er in der Abendstunde die Stadt verlassen wollte, hatte man ihn am Thore angehalten und genöthigt, sich auszuweisen. Man sah in dem schlanken Primaner einen jugendlichen Rekruten, der in Civilkleidern desertiren wolle. Beleidigend wurden für ihn die übermüthigen Reden junger Offiziere, mit denen er bisweilen in dem Italienerladen von Sala Unter den Linden zusammentraf. Da hieß es in den Stunden der Parade: „Die Kerle draußen haben lange genug Ruhe gehabt; wir wollen ihnen mit der Fuchtel Motion machen.“ Alle diese Erfahrungen ließen einen tiefen Eindruck für Ludwig’s Leben zurück. Niemals hat er sich mit dem militärischen Wesen auszusöhnen vermocht. 6. Jugendgefährten. Es war eine schöne, ahnungsvolle Zeit, als der Knabe zum Jüngling ward. Noch sah er halb träumerisch in das Leben hinein, das vor ihm lag wie eine Morgenlandschaft, über welcher die Sonne golden und funkelnd aufgegangen ist. Durch die zerreißenden Nebelschleier öffneten sich helle Blicke in die Tiefen der Ferne, und die fremdartigen Schatten der Wolkenstreifen, welche in wechselnden Lichtern und Farben darüber hingleiten, lassen sie noch wunderbarer und lockender erscheinen. Indem sich das Knabenauge diesem Anblicke erschloß, war er selbst ein Anderer geworden. Wie regten sich seine geheimsten Kräfte, und die Quellen seiner Gefühle und Phantasien drängten sprudelnd zu Tage empor. Tausendfach stiegen unbekannte Gedanken und Empfindungen in ihm auf; Sehnsucht und Zuversicht, Zweifel und Hoffnung, Trauer und Freude durchkreuzten sich in seiner Seele. Er war wie ein junger Baum, über den der erste warme Frühlingshauch hingeht, und dessen gährender Saft sich durch alle Adern und Zweige ergießt und zu vollen Knospen emporschwillt. Sein Herz war zum Ueberfließen voll. Er hatte soviel zu sagen von seinen Träumen und Ahnungen, von seinen Gefühlen, die ihn selig machten und ängstigten zugleich. Er dürstete nach Freundschaft. Mit der Kraft leidenschaftlichen Wollens suchte er ein Herz, in welches er das seine ganz ausschütten könne. Vor dem strengen Vater zitterte er, seine Geschwister sahen zu ihm hinauf, und fremd standen ihm seine Lehrer gegenüber. Sie Alle dachten, fühlten anders als er. Er wollte ein Herz, das mit dem seinen in gleichem Pulse schlage, das ihn verstehe, das seiner Liebe und Freundschaft ausschließlich lebe, das er sein Eigenthum nennen könne. Schon früher war Ludwig auf einen seiner Mitschüler aufmerksam geworden, der um diese Zeit einen ihm selbst räthselhaft anziehenden Eindruck auf ihn machte. Dies war Friedrich Heinrich Bothe aus Berlin, eben jener, welchem er die Bekanntschaft mit Holberg’s Lustspielen verdankte. Mit Eifer und Erfolg hatte sich Bothe auf das Studium der alten Sprachen und Literatur geworfen; schon damals nahm er, dem Anstoße Gedike’s folgend, eine philologische Richtung. Er war fähig und nicht ohne Geschmack und Sinn für die sprachliche Seite der Poesie; den Versuchen, welche er gemacht hatte, fehlte die Anerkennung der Lehrer nicht. Auch besaß er ein angenehmes Aeußere. Aber das Bewußtsein seines Strebens und der Ernst, mit welchem er zu Werke ging, gab ihm eine etwas steife Haltung, und nicht ohne Altklugheit fand er die männliche Würde in einem kalten, abgemessenen Wesen. Ludwig, stets leidenschaftlich bewegt, war unendlich verschieden von ihm. Aber gerade auf ihn fiel der vollste und heißeste Strahl seiner Freundschaft. Er sah die natürlichen Einseitigkeiten dieses Geistes nicht, und ohne es zu ahnen, stattete er ihn mit allen Vorzügen eines Ideals aus, welches ihm seine eigene dichtende Phantasie vorgebildet hatte. Bothe war in seinen Augen der begabteste, liebenswürdigste Jüngling; nur er war würdig, ihm seine Gedanken und Empfindungen mitzutheilen, nur er sollte und durfte sein Freund sein. Mit überschwänglichem Gefühlssturm hatte er dem Auserwählten das innige „Du“ angetragen, welches den Seelenbund besiegeln sollte. Doch wie bestürzt war er, als Bothe den schwärmerischen Antrag mit der kühlsten Ruhe aufnahm, zuerst ausweichend antwortete und ihn endlich geradezu ablehnte. Er begriff diese verzehrende Glut nicht, welche sich plötzlich auf ihn warf, denn er fand bei sich selbst nichts, was jenen Gefühlen entsprochen hätte. Er verstand die tiefe Natur nicht, der es ein Bedürfniß war, von ihren Schätzen mitzutheilen, und endete damit, Ludwig’s Benehmen sonderbar und unerklärlich zu finden. Diese Entdeckungen machten Ludwig in einem hohen Grade unglücklich. Er hatte nicht anders denken können, als so stürmische Liebe müsse Erwiderung finden, jener müsse sich ebenso sympathetisch bewegt fühlen. Er begann an sich selbst irre zu werden, und doch zog es ihn mit der Gewalt eines geheimen Zaubers zu seinem spröden Gefährten hin. Aber je dringender er ward, desto kälter, abweisender zeigte sich jener. Ein brennend heißer Schmerz durchbohrte seine Seele. Er sah sich verkannt, das Beste, was er geben konnte, verschmäht. Eine bittere Selbstverachtung bemächtigte sich seiner. Wie niedrig mußte er nicht stehen, wenn ein so hochbegabter Jüngling ihn mit voller Absicht verwerfen konnte! Die leidenschaftlichsten Auftritte erfolgten. Schmerz, Zorn, Wuth arbeiteten in seiner Seele. Oft brach er in Thränen aus, er bat, flehte, beschwor. Umsonst! Jener blieb altklug, kalt und verschlossen. Zwar wurde der literarische Verkehr nicht abgebrochen, ja sogar zu Spaziergängen und kleinen Wanderungen ließ sich der Gefährte bereit finden, aber überall blieb er sich gleich. Ein längeres Beisammensein machte ihn nicht vertraulicher, und manche Entbehrungen und Abenteuer, die sie miteinander theilten, öffneten sein Herz nicht. In den Ferien pflegte Ludwig seine mütterlichen Verwandten zu besuchen. Ein Bruder seiner Mutter war Schmiedemeister in Golzow bei Brandenburg, und auch in Lehnin hatte man Freunde und Bekannte. Auf einer solchen Ferienreise geschah es, daß die Gefährten sich in den Haiden hinter Potsdam verirrten. Sie glaubten im heimischen Sande verschmachten zu müssen, bis sie nach manchen Irrfahrten nach Potsdam zurückkamen, von wo sie ausgegangen waren. Endlich mußte sich Ludwig mit Schmerzen überzeugen, sein stürmisches Liebeswerben sei vergeblich. Er verfiel in Trübsinn, in Schwermuth. Er, sonst so frisch und heiter, ward finster, wortkarg und gleichgültig gegen das Zureden der Aeltern und Geschwister; sein sonst so offener Sinn schien für die Außenwelt verschlossen. Neue heftige Ausbrüche der Leidenschaft rissen ihn aus dieser Abspannung empor, um ihn dann nur tiefer versinken zu lassen. In gewohnter Weise hatte er den feindseligen Freund eines Nachmittags auf dem Heimwege aus der Schule begleitet. Abermals hatte er ihn mit vergeblichen Bitten bestürmt. Da ergriff ihn eine verzweifelte Wuth; er war sich selbst zur Last, zum Ueberdrusse. In diesem Augenblick gingen sie über die Gertraudtenbrücke. Ludwig durchzuckte ein Gedanke. Er wollte das verhaßte Leben von sich werfen, sich vor den Augen des Freundes in das Wasser stürzen. Sein Tod sollte das felsenharte Herz rühren und ihn überzeugen, wie sehr er ihn geliebt habe. Er trat an den Rand der Brücke, und verzweifelt und kindisch zugleich stieß er einen schweren Stein, welcher dort als Brückenbeschwerer lag, in den Fluß. Mit großem Geräusch stürzte der Stein hinab. Aber ohne den Kopf zu wenden, ging der Andere seines Wegs weiter. Ludwig’s Zorn über diese neue Härte steigerte sich zum Ingrimm. Er stürzte dem Freunde nach und ereilte ihn auf dem Dönhoffsplatze. Die Stimme versagte ihm vor innerer Bewegung. Endlich rief er: „So, jetzt habe ich Sie erkannt! Ist das auch nur menschlich gehandelt? Was würden Sie denn gethan haben, wenn ich mich nun wirklich in das Wasser gestürzt hätte?“ „Ich würde Sie unaussprechlich verachtet haben“, erwiderte jener ruhig. Ludwig verstummte, und ging weinend nach Hause. Aber er täuschte sich. Er hatte keineswegs den störrischen Freund erkannt, und noch Manches sollte er leiden, ehe er zur wirklichen Erkenntniß kam. In seinem Zimmer hatten sich die leidenschaftlichen, nie zu schlichtenden Kämpfe zwischen dichterischer Täuschung und altkluger Verständigkeit wiederholt. Erschöpft war er endlich auf das Bett gesunken, und während Bothe gleichgültig neben demselben saß, in einen tiefen Schlaf verfallen. Diesen Augenblick benutzte der Ungetreue, um sich in der Stille zu entfernen. Als Ludwig nach einiger Zeit erwachte, und sich auch um den Abschied betrogen sah, packte ihn eine wildere Wuth als jemals. In einer Art von Raserei sprang er empor, er schlug um sich, er zertrümmerte die Fensterscheiben, und zerbrach was ihm unter die Hände kam. Ermattet stürzte er endlich unter krampfhaftem Schluchzen wieder auf das Bett, und begrub sein Gesicht in die Kissen. Mit Schrecken sah die herbeieilende Mutter die Verwüstung, welche er angerichtet hatte. Ihr erster Gedanke war das Strafgericht, das hereinbrechen mußte, sobald der Vater nach Hause kam. Beschwichtigend redete sie dem Sohne zu; er ward stiller, an die Stelle des Zorns trat die Furcht. Als der Vater zurückkehrte, hörte er den Bericht über den sonderbaren Vorfall schweigend an. Er schalt nicht, er strafte nicht, er hieß Ludwig zu Bette gehen und ausschlafen. Zagend trat er am andern Morgen vor den Vater. Ohne des angerichteten Schadens mit einem Worte zu gedenken, sagte dieser ruhig, doch mit tiefem Ernst zu ihm: „Ich sehe, du erwartest Strafe. Auch hast du sie hinreichend verdient, doch soll sie dir diesmal erlassen sein. Aber nun bitte ich dich, besinne dich! Wohin ist es mit dir gekommen? Du bist ein anderer Mensch geworden! Du zeigst dich nichtachtend gegen deine Aeltern, vernachlässigst deine Geschwister, und bist gleichgültig gegen unsere Liebe. Und das Alles, weil du einen Menschen mit deiner Liebe verfolgst, der von dir nichts wissen will! Siehst du denn nicht, daß du ihm nichts bist? Er hat kein Herz für dich, er begreift nicht einmal deine Liebe zu ihm! Und wohin wird dich diese Leidenschaft und blinde Wuth noch führen? Ich fürchte, sie wird einmal sehr unglücklich machen!“ So mild, so überzeugend hatte Ludwig den strengen Vater noch nicht sprechen hören. Diesen Ton kannte er kaum an ihm. Und gerade bei dieser Veranlassung verfehlte er seinen Eindruck am wenigsten. Er war tief erschüttert; er fühlte die Wahrheit der väterlichen Worte, und kam allmälig zur Besinnung. Endlich sollte er diese Bande ganz sprengen. Wiederum hatten die Genossen eine gemeinsame Fußreise unternommen. Soeben hatten sie Brandenburg verlassen, als Bothe plötzlich erklärte, er müsse noch einmal dahin zurückkehren, und zwar allein. Dessen ungeachtet trug Ludwig in dringender Weise seine Begleitung an. „Ich kann Sie nicht brauchen“, erwiderte jener kalt, „und werde allein gehen!“ Nochmals flammte die ganze Leidenschaft auf. Weinend und beschwörend, ihm wenigstens Gründe für diesen unerwarteten Entschluß anzugeben, ging er eine Zeit lang neben Bothe her. Da dieser schweigend seinen Weg verfolgte, so riß seine Geduld, und plötzlich schien die Liebe in Haß umzuschlagen. „So geh’ denn, dummer Junge!“ rief er trotzig. Aber schon in demselben Augenblicke ergriff ihn Schrecken über die Lästerung, die er auszustoßen gewagt hatte. Er wollte den Gekränkten um Verzeihung bitten, aber dieser ging ohne auf die Schmähung zu achten weiter. Beschämt blieb Ludwig stehen. Dann machte er sich schmollend und trotzend allein auf den Heimweg. Mit jenem knabenhaften Ausrufe hatte er sich befreit; er gedachte der Worte des Vaters, der Schleier, der auf seiner Seele gelegen hatte, war zerrissen. Er fing an zu zweifeln und zu prüfen, und endlich sah er den harten Freund mit andern Augen an. Der verklärende Schimmer, mit dem er ihn umgeben hatte, war verschwunden, er erschien ihm gleichgültig und gewöhnlich, wie viele seiner Schulgefährten. Zuletzt war seine Leidenschaft ihm selbst zum Räthsel geworden. So war ihm gerade aus der Fülle seines Herzens das bittere Gefühl menschlicher Schwäche bis zur Selbstverachtung entsprungen, und seine überschwellende Seligkeit hatte ihm einen Schmerz geboren, wie er ihn tiefer und schneidender nicht erlebt hatte. Mit den bittern Erfahrungen, die sie mit sich brachte, hatte er sich auch Das erkauft, die Geister prüfen und unterscheiden zu lernen. Wie er Freundschaft da gesucht hatte, wo er sie nicht fand, so hatten die besten unter den Schulgefährten um seine Freundschaft geworben, aber in seiner blinden Neigung für den Einen hatte er es nicht erwidert, ja kaum beachtet. Und er war dazu geschaffen, der Mittelpunkt eines Freundeskreises zu werden. Voll Geist und Feuer, aufbrausend in jugendlicher Lust und Laune bis zum Uebermuth, kühn und sicher in seinen Urtheilen, reich an Kenntnissen, bereit zu jeder Hülfe in Wort und That, gutmüthig, offen und hingebend, ja zu Zeiten weich, körperlich kräftig, in seiner Gesichtsbildung schön, wie hätte er da nicht die Aufmerksamkeit und Neigung gerade der begabtesten unter seinen Schulgenossen sich gewinnen sollen? Mehr noch als durch einzelne hervorstechende Eigenschaften schien er durch einen stillen und unerklärlichen Zauber, der aus seinem ganzen Wesen sprach, mächtig anziehend auf sie zu wirken, und so bildete sich ein Kreis von Jugendgefährten um ihn, unter denen er mehr als einen Herzensfreund fand. An Geist, Talent und Streben ihm der Verwandteste, als Freund der treueste und hingebendste war Wilhelm Heinrich Wackenroder. Er war eines Alters mit Ludwig, wie er geboren im Jahre 1773, und gehörte einer der angesehensten Familien Berlins an. Sein Vater, der Geheime Kriegsrath und Justizbürgermeister Wackenroder, war ein strenger und ehrenfester Beamter, ganz im Geiste des Zeitalters Friedrich’s des Großen gebildet, klar, nüchtern und pflichtgetreu, umsichtig und unermüdlich, erfüllt von dem Gedanken der Bürgertugend, und von warmer Hingebung an den jungen, wachsenden Staat und den großen König, der ihn geschaffen hatte. In den schweren Zeiten des Siebenjährigen Krieges, als Berlin durch Russen und Oestreicher besetzt wurde, hatte er im Namen der Stadt mit den feindlichen Generalen verhandelt, und später in Stadt- und Staatsämtern durch seinen Eifer sich hervorgethan. Mit größter Sorgfalt ließ er seinen einzigen Sohn erziehen. Zuerst hatte er ihn durch häuslichen Unterricht bilden lassen, und dann der anerkannten Schule seines Freundes Gedike übergeben. In der zweiten Classe des Friedrich-Werderschen Gymnasiums war es, wo Ludwig und der junge Wackenroder zuerst sich begegneten. Sogleich fühlte dieser sich angezogen, und nach den schmerzlichen Erfahrungen, die er gemacht hatte, hielt nun auch Ludwig den neugewonnenen Freund um so fester. Wackenroder war eine ahnungsvolle, prophetische Natur. Still und träumerisch schien er den Blick nur in die Tiefen seines Innern zu senken, und den Sinn für die Außenwelt weder zu besitzen noch zu vermissen. Im täglichen Verkehr war er linkisch und unbehülflich, daher weltklügere Genossen nicht selten über ihn lächelten, und ihn mit wohlfeiler Mühe zum Gegenstande ihres Witzes machten. Sie begriffen das Weiche, Zarte, ja Rührende nicht, das wie ein geheimnißvoller Schleier auf seiner ganzen Erscheinung ruhte. Es lebte in ihm der einfache, unschuldige Kinderglaube, dem es ein unbewußtes Bedürfniß ist, sich an Höheres hinzugeben. Um seinetwillen konnte er auch das mit dem größten Vertrauen hinnehmen, was seiner eigenen Natur zuwider war. Darum war nichts leichter, als ihn in gewöhnlichen Dingen zu täuschen und irrezuführen. Das Wunder schien die Welt zu sein, in der er eigentlich lebte, während das Alltägliche für ihn zum Wunder wurde. Aus diesen Träumen zuckten dann Blitzen gleich tiefsinnige Auffassungen hervor; er konnte zu Zeiten schwärmerisch scheinen. Als wenn er dunkel gefühlt hätte, daß diese innere Welt eines äußern Gegengewichts bedürfe, wenn er nicht ganz in ihr verloren gehen wolle, klammerte er sich ängstlich an gewisse Ordnungen. Sobald sie ihm einmal zur Gewohnheit geworden waren, gab er sie nicht wieder auf. Er war ein peinlich fleißiger Schüler, und in aller Ueberschwänglichkeit hielt er mit Zähigkeit an einer bestimmten Zeiteintheilung fest, die ihm anerzogen worden war. Wer ihn nur in solchen Augenblicken sah, konnte ihn für nüchtern, ja pedantisch halten. Die bürgerliche Natur des Vaters schien dann die Oberhand zu gewinnen. Allmälig entwickelte er die glücklichsten Anlagen. Vor allem schien die Musik sein ganzes Wesen zu durchdringen. Ein elektrischer Stoff hatte sich hier angesammelt, der nur auf die rechte Art der Berührung wartete, um durch seine sprühenden Funken zu blenden. Zwei Geister waren zusammengeführt worden, die für einander geschaffen zu sein schienen. Beide wandten sich mit ganzer Kraft dem Leben in der Phantasie und Dichtung zu. Aber sie waren doch darin verschieden, daß Ludwig seine Kreise weiter zu ziehen, mehr zu umfassen strebte, Wackenroder still beschaulich in die Tiefen des Einzelnen sich versenkte, daß jener kritisch humoristisch, dieser glaubensvoll war, der Eine mehr schöpferisch, der Andere mehr empfänglich. Dies führte zu manchen Meinungsverschiedenheiten im Einzelnen, die sich aber in den gleichen Grundtönen ihrer Seelen immer wieder auflösten. Wackenroder hielt z. B. Ramler, der in dem Hause seines Vaters verkehrte, lange Zeit für einen der ersten und größten Dichter, während Ludwig’s keckes Urtheil ihn als Poeten alten Stils bezeichnete, dem die eigentlich dichterische Ader fehle. Nur sehr schwer ließ sich Wackenroder diesen Glauben durch die schonungslosen Ausführungen seines Freundes entreißen. Von jetzt an theilten sie alle Leiden und Freuden des innern Lebens wie des Schulverkehrs, und Ludwig wurde ein gern gesehener täglicher Gast und Freund in dem Hause des Bürgermeisters von Berlin. Eine entgegengesetzte Natur war Friedrich Toll, der Sohn eines Beamten der berliner Porzellanfabrik. Er war fest und sicher, strebsam und eifrig, voller Ehrgeiz. Ganz und vollständig suchte er die Dinge zu erforschen. Mit eisernem Fleiße, aber fern von Kleinlichkeit, warf er sich auf die Schulwissenschaften, die ihm den Weg ins Leben bahnen sollten. Auch er besaß bedeutende Anlagen, war jugendlich schwungvoll und poetisch begeistert. Seine Erscheinung war edel und einnehmend; sie hatte etwas Ritterliches. In allen Künsten körperlicher Gewandtheit galt er seinen Genossen als Vorbild. Zu diesen gesellte sich Wilhelm von Burgsdorff, der Sohn eines märkischen Edelmanns. Zuerst nach den Grundsätzen der damaligen neuen Lehre im Philanthropin zu Dessau erzogen, war er erst in späterer Zeit Gedike’s Schüler geworden. Er war frisch, natürlich und lebhaft, von schneller Auffassung und glücklichen Gaben, gutmüthig, aber auch leichtsinnig und hochfahrend. Der Humorist in diesem jugendlichen Kreise war Viering, der Sohn eines Landpredigers. Er lebte in dem Hause des Kriegsraths Müller, dessen Obhut er anvertraut war. Reich an launigen Einfällen und immer neuen Anschlägen, besaß er einen nicht unbedeutenden Sinn für das Komische und dessen Auffassung und Darstellung. Was er schrieb, trug oft einen so eigenthümlich frischen Humor an sich, daß Ludwig in späterer Zeit, als man Jean Paul zu lesen anfing, an seinen Jugendfreund erinnert wurde. Einst war eine moralische Abhandlung über das Sprüchwort: „Wie man’s treibt, so geht’s“, verlangt worden. Viering gab eine lebendige und gefühlte Schilderung des einfachen Natur- und Landlebens, in der er zuletzt mit überraschender Wendung zwei Gänsejungen erscheinen ließ, die auf verschiedenen Wegen und in verschiedenen Zeiten ihre Heerden dem gemeinsamen Weideplatze zutreiben. Der Lehrer schüttelte über solche Abgeschmacktheit den Kopf, während Ludwig’s ganze Theilnahme durch die satirische Keckheit des Tons gewonnen wurde. Oft theilte der neue Freund sein helles und geräumiges Zimmer mit Ludwig. Hier arbeiteten sie miteinander, und ersannen auch manchen muthwilligen Anschlag. Auf diesem Wege lernte Ludwig auch Adam Müller, den Sohn des Kriegsraths Müller, kennen. Doch gehörte dieser, wie Wilhelm von Schütz, bereits einem jüngern Geschlecht an. Ohne damals in diesen Kreis eintreten zu können, schlossen sich Beide an einzelne Glieder desselben erst in späterer Zeit an. Dagegen hatten die Freunde einen andern Genossen gefunden, der, um mehrere Jahre älter, unter diesen kecken Geistern die alltägliche Mittelmäßigkeit vertrat, sich aber doch mit einem aufrichtigen und gründlichen Eifer für Alles zu begeistern suchte, was jene bewegte. Es war dies ein gewisser Piesker, dessen Vater Verwalter auf dem nahe bei Berlin gelegenen Gute Fredersdorf gewesen war. Er liebte es, den altklugen Mentor, das Gewissen in diesem Kreise zu spielen. Mit Verdruß sah er dem muthwilligen Treiben der Andern zu, denen es in ihren wilden Launen auf ein Mehr oder Weniger nicht sonderlich ankam. Zu ihrer großen Erheiterung konnte er sich dann ungemein ereifern; er hielt ihnen die eindringlichsten Strafreden über ihre Thorheit, ihren Leichtsinn, vor allem über ihre Neigung zur Lüge. Denn unter diesem Namen verfolgte er mit komischem Ernst jede Flüchtigkeit in der Auffassung, jede jugendliche Uebertreibung, jede ironische Wendung. Dann belehrte er die Freunde, er werde ihnen zeigen, was thatsächliche Wahrheit sei, und ihnen eine einfache Darstellung geben, wie die Sache wirklich gewesen sei. Daraus ergab sich in der Regel, daß er weniger gesehen und gehört hatte als alle Andern. Sein Aeußeres war abstoßend; er hatte eine plattgedrückte Nase, einen wulstigen, aufgeworfenen Mund, sein Gesicht war von Blatternarben entstellt. Dennoch war er allgemein geliebt, trotz seiner Steifheit und seines ungerechten und mürrischen Scheltens. Man kannte seine Treue, seine Zuverlässigkeit, man fühlte in ihm die Sicherheit einer geraden, einfachen Natur heraus. Niemand schloß sich fester an ihn als Ludwig, der ahnen mochte, daß er bei seiner abspringenden Reizbarkeit und seinen wechselnden Stimmungen der Ergänzung durch einen nüchternen und wohlmeinenden Freund bedürfe. Auch besuchte er ihn auf dem Gute Fredersdorf. Hier streifte man durch Wald und Feld, brachte die Sommernächte unter freiem Himmel zu, machte sich Herzensbekenntnisse, und verlor sich in tausend hochfliegenden Plänen für die Zukunft. 7. Kunstleben. Wenn die Freundschaft mit Wackenroder von hoher Bedeutung für Ludwig’s innere Entwickelung war, und die mit Burgsdorff später wichtige Folgen für sein äußeres Leben hatte, so kam endlich noch ein drittes Verhältniß hinzu, welches sogleich einen entscheidenden Einfluß auf sein Schicksal nach beiden Seiten hin gewinnen sollte. Dies war die Verbindung mit Wilhelm Hensler, dem Stiefsohn des Kapellmeisters Reichardt. Auch er war eine offene, muntere und bewegliche Natur, für jeden bedeutenden Eindruck fähig und empfänglich. Erst später war er nach Berlin in das Haus seines Stiefvaters gekommen, um auf Gedike’s Anstalt seine Ausbildung zu vollenden. Hier wurde er Ludwig’s unmittelbarer Nachbar auf der Schulbank. Man gefiel sich gegenseitig, entdeckte manche Uebereinstimmungen in Wesen und Neigung, und knüpfte endlich ein vertrauliches Verhältniß an. Hensler unterließ es nicht, den neugewonnenen Freund in das Haus des Stiefvaters einzuführen, wo jener so allgemeine Theilnahme und Zuneigung erweckte, daß er bald in demselben vollständig heimisch wurde. Zu Zeiten übersiedelte sich Ludwig ganz dorthin, und wie Arbeit und Zerstreuungen theilte Hensler auch das Zimmer mit ihm. Er konnte mehr für den Sohn als den Freund des Hauses gelten. Der Vater legte diesem Verkehr keinerlei Hinderniß in den Weg. Mit voller Befriedigung sah er die Anlagen des Sohnes immer selbständiger hervortreten; es schien rathsam, ihm größere Freiheit zu gestatten, ihn gewähren zu lassen. Auch gab es in Berlin vielleicht kein Haus, das für die Fortbildung einer emporkeimenden Dichterkraft eine bessere Schule gewesen wäre als das des Kapellmeisters Reichardt. Es war ein Sammelplatz für Künste und Künstler. Der frische Geist der dichterischen und künstlerischen Erhebung, der Deutschland seit zwei Jahrzehnden durchzog und es fast zu verjüngen schien, wirkte hier lebendiger als irgendwo. Man besaß Geist und Geschmack, verfolgte mit Antheil jede neue Wendung in Kunst und Literatur, und nahm eifrig für und wider Partei. Mit dem Nachdruck des tiefern Kunsteifers wurde Musik getrieben, Goethe verehrte man als den Genius der neuern Zeit und Poesie, und allgemeine künstlerische Ausbildung galt für unerläßliche Pflicht. Hier war der Kreis, in dem Ludwig’s jugendliches Talent seiner Reife entgegengeführt werden konnte. Reichardt selbst war ein Mann, ganz geeignet, Jüngere anzuregen, zu bilden, in das Verständniß der Poesie und Musik einzuführen. Er stand im Mittelpunkte des musikalischen Lebens, welches in den letzten Jahren einen glänzendern Aufschwung genommen hatte. Im Jahre 1775 war er an Graun’s Stelle nach Berlin berufen worden, er hatte einige Opern componirt, und war seit dem Regierungsantritte Friedrich Wilhelm’s II. als Director des neubegründeten Orchesters der Italienischen Oper in einen umfassendern Wirkungskreis getreten. Mit Sängern und Schauspielern, mit Künstlern aller Art brachte ihn sein Beruf in Berührung, mit vielen wissenschaftlichen und dichterischen Namen hatte er Verbindungen, fremde Künstler und Gelehrte versäumten es nicht, sein Haus zu besuchen. Er selbst war voll Geist und Beweglichkeit. Auf die Entwickelung seines musikalischen Talents legte er keinen ausschließlichen Werth. Durch eine vielseitige, allgemeine Bildung, durch Kenntnisse in den verschiedensten Fächern, durch lebhafte Theilnahme an allen Aufgaben des Lebens wollte er sich von seinen einseitigen Fachgenossen unterscheiden, er wollte kein dürftiger, halbgebildeter Musikmeister sein. Er war ein eifriger Anhänger Kant’s und der neuen kritischen Philosophie. Er hatte eine Zeit lang in dem Fache der Verwaltung gearbeitet. Später hatte er bedeutende Reisen unternommen, hatte Italien gesehen, war in Paris und London gewesen, und war mit Goethe in Berührung gekommen, dessen „Claudine von Villa bella“ er componirt hatte. Auch als Schriftsteller war er aufgetreten. Er war Virtuos und Componist, theoretischer und schriftstellender Musiker. Aber diese unruhige Vielthätigkeit zersplitterte doch seine Kräfte und beförderte ein starkes Selbstvertrauen, welches, da er Alles kennen und verstehen wollte, ihn bisweilen über seine Grenzen hinausführte. Auf Ludwig wirkte zunächst die Frische der anregenden Kraft, der bedeutende Name in der Kunstwelt, die angesehene Stellung des Mannes. Zum ersten Male blickte er hier in ein anerkanntes, von Geist getragenes, glänzend erscheinendes Kunstleben. Wovon er sonst nur einzelne Seiten aus der Ferne gesehen hatte, das trat ihm hier als ein Ganzes, in sich Fertiges entgegen. An diesen neuen Vorbildern begann er seine Kräfte zu messen. Aus der allgemeinern Vorbereitung der Schule ging er nun in die künstlerischen Lehrjahre über, welche ihm schon jene Richtung geben sollten, die ihn einige Jahre später in die Literatur hineinführte. Zunächst fand seine Neigung für das Theater hier nicht nur neue Nahrung, sondern auch Ausbildung. Es war die Zeit, wo in Berlin die Theaterliebhaberei immer mehr Boden gewann. Die Bühne galt für ein hauptsächliches Mittel allgemeiner und volksthümlicher Bildung, die Anregungen großer Talente in der Schauspielerwelt kamen hinzu, die dem früher verachteten Stande Anerkennung zu erobern anfingen. Man eiferte ihnen nach, las in Gemeinschaft dramatische Dichtungen nach Rollenvertheilung, und stellte endlich zu eigener Uebung in geselligen Kreisen Versuche in den mimischen Künsten an. In Reichardt’s Hause sah man es daher nicht ungern, als sich um den Stiefsohn eine Anzahl fähiger Jünglinge sammelte, und aus kindischen Anfängen ein Liebhabertheater hervorging, das zuletzt die Haltung ernster Studien annahm. Bis dahin hatte Ludwig sein Theatertreiben in alter Weise fortgesetzt. Zu Hause, im Freien, wo es irgend anging, hatte er mit seinen Geschwistern auf improvisirter Bühne wie ehemals gespielt. Wie früher in der Kirche, hatte er später einmal in einem abgelegenen Theile des Thiergartens einen freien Platz entdeckt, der von Bäumen und dunkelm Gebüsch umschlossen, durch seine tiefe Stille und die Sicherheit vor Ueberfällen störender Spaziergänger zur Darstellung irgendeiner Tragödie einzuladen schien. Sogleich begann man Gerstenberg’s „Ugolino“ abzuspielen, der sich damals besonderer Gunst erfreute, weil er mit dem geringsten Personenaufwande im Gräßlichen das Höchste leistete, was zu erreichen war. Natürlich spielte Ludwig den Ugolino, die Uebrigen thaten ihr Bestes, als zu ihrer großen Ueberraschung aus dem Seitengebüsche ein Mann hervortrat, welcher die Schauspieler unbemerkt belauscht hatte. „Sie haben Ihre Sache recht brav gemacht, junger Mann“, wandte er sich zu Ludwig; „aber wie kommen Sie bei Ihrer Jugend schon zu diesem gräßlichen Stücke?“ Ein Vorwurf, welchen man bei der Anerkennung, die man gefunden hatte, sehr gern in den Kauf nahm. Alles gewann ein anderes Ansehen, als man unter Reichardt’s Augen zu spielen anfing. Es sollte kein Spiel mehr bleiben; es sollte eine Gelegenheit zur Ausbildung des guten Geschmacks und feiner Sitten, eine Schule für glückliche Anlagen werden. Zu der leitenden Einsicht gesellten sich bedeutendere Hülfsmittel. Ein ziemlich zahlreiches, für die Sache begeistertes Personal fand sich beisammen. Alle Freunde Hensler’s und Ludwig’s wurden dazu herangezogen, die irgend Lust und Neigung hatten, an diesen Versuchen theilzunehmen. Durch Kauf und Geschenk erwarb man eine Art von Garderobe, und für manchen andern Bedarf sorgte die Geschicklichkeit Friedrich Tieck’s, den der Vater 1790 zu dem Bildhauer Bettkober in die Lehre gab. An den Darstellungen selbst nahm er weniger Antheil, aber für die Ritterstücke wußte er die unentbehrlichen Helme und Panzer mit kunstgeübter Hand aus Pappe, Gold- und Silberpapier anzufertigen, und den edeln Rost des Alterthums so täuschend nachzuahmen, daß auch er in seiner Kunst allgemeinen Beifall erwarb. Endlich konnte man auf ein, wenn auch nicht zahlreiches, doch gebildetes und urtheilsfähiges Publicum rechnen, das zugleich durch seine persönliche Theilnahme ermuthigend einwirkte. Man wagte sich an die Darstellung großer, ja classischer Schauspiele. Vor keiner Schwierigkeit bebte man zurück, je unübersteiglicher die Hindernisse schienen, desto lieber suchten die jungen Künstler sie zu überwinden. Ihre Phantasie nahm den höchsten Flug, und dem Schwersten glaubten sie sich gewachsen. Neben einigen geläufigen Bühnenstücken spielten sie Lessing’s „Schatz“ und „Philotas“. Dann gingen sie zu den beliebten Ritterstücken über, in denen sie in allem Waffenschmucke prangen konnten, und endlich im Sturmschritte zu Shakspeare. Man theilte sich in Rollen und Rollenfächer; ein wahrhafter Künstlerwetteifer entstand, ein Jeder suchte sich von der besten Seite zu zeigen. Wackenroder schien durch sein ernstes Wesen für die Darstellung von Königen und Fürsten geeignet, Toll und Hensler spielten die jugendlich kriegerischen Helden, Bothe die Greise, Viering und Piesker übernahmen die komischen Rollen. Die schwierigsten Charaktere im Trauerspiele wie im Lustspiele hatte man Ludwig mit voller Anerkennung seiner Ueberlegenheit abgetreten. Und in der That, neben der kindischen Unbehülflichkeit der Einen und der leichten Liebhaberei der Andern trat bei ihm die glückliche Anlage für mimische Charakterdarstellung unzweideutig hervor. Auch besaß er Alles, was dazu erforderlich war; eine edle, schlanke Gestalt, eine klangvolle, umfassende Stimme, die von den feinsten Wandlungen bis zum gewaltigen Donner der Leidenschaft anschwellen konnte, ein ausdrucksvolles Gesicht, das mit ungesuchter Kunst jede Bewegung des Innern widerspiegelte. Doch seine Hauptstärke lag in einem andern Punkte; der Dichter machte bei ihm den Schauspieler. Es war nicht die nachahmende Darstellung des gewöhnlichen Schauspielers, welche er gab, sondern er schuf selbst, wenn er spielte, er ging dem Dichter nicht allein nach, er ergänzte und überholte ihn oft. Es leitete ihn ein tieferes, ahnendes Verständniß der Dichterwerke. Mit den ersten Worten, die er sprach, erfüllte ihn seine Rolle ganz, die Täuschung wurde zur Wahrheit, er wandelte sich in den fremden Charakter um. Er glaubte die Person zu sein, welche er darstellte, und war es auch nach dem Eindrucke zu schließen, welchen er auf seine Freunde, auf die Zuschauer machte. In dem Augenblicke, wo Otto von Wittelsbach (er spielte diese Rolle in dem damals beliebten Stücke dieses Namens von Babo) von dem Gefühle tödtlicher Beleidigung und schwarzen Undanks gestachelt zum Mörder wird, ergriff ihn bei den sonderbar dunkeln Worten: „Was wollen die Hunde mit ihrem Bellen?“ eine innere Wuth, ein solches Außersichsein im eigentlichen Sinne des Worts, daß Wackenroder, der den Kaiser spielte, und seine Umgebung sich scheu vor ihm zurückzogen, weil sie im Ernst fürchteten, er könne ein Unheil anrichten. Einen nicht geringern Erfolg hatte er in humoristischen Rollen, in denen er seiner komischen Laune den vollen Zügel schießen ließ; so als Falstaff, wo Wackenroder wiederum als König, Hensler als Prinz, Toll als Percy neben ihm auftraten. Beachtete er dagegen das Spiel seiner Freunde, so schien es ihnen nicht voller Ernst mit der Sache, als seien sie in ihren Rollen Doppelwesen, deren äußere Hälfte zu der innern nicht passen wollte. Hatte er selbst bei seinen Darstellungen ein Vorbild, so war es Fleck, und er mochte versuchen, die Eindrücke hervorzurufen, welche er von jenem in seinen Hauptrollen empfangen hatte. Frühzeitig hatte Reichardt Ludwig’s hervortretenden Beruf erkannt, er folgte ihm mit Aufmerksamkeit, und durch ein eingehendes und wohlmeinendes Urtheil leitete er ihn allmälig von seinem kühnen Naturalismus zu einer bewußtern Kunstübung an. Zunächst wies er ihn auf die Nothwendigkeit hin, seine Stimme zu bilden und zu beherrschen. Als er einst allgemeinen Beifall dadurch geerntet hatte, daß er unerwartet die Stimme wechselte, und in einem fremden, bis zur Täuschung nachgeahmten Ton gesprochen hatte, sagte Reichardt zu ihm: „Junger Freund, Sie misbrauchen und gefährden Ihr Organ. Jedes musikalische Instrument ist auf einen gewissen Ton gestimmt, und die Aufgabe des Virtuosen ist, diesen immer reiner und voller herauszuarbeiten. Je mehr dies geschieht, um so sicherer ist auch die Wirkung. Nicht anders ist es mit der Stimme des Menschen. Jedes Organ hat seinen eigenthümlichen Grundton. Es kommt darauf an, diesen nach allen Nüancen hin auszubilden, deren er fähig ist. Vertauscht man willkürlich diesen natürlichen Ton mit einem fremden, unnatürlichen, erzwungenen, so geräth man in Gefahr, jenen zu verlieren, und um eines eiteln Kunststücks willen das Organ zu Grunde zu richten.“ Auch führte er wol weiter aus, wie es nicht darauf ankomme, durch eine gewaltsame Anstrengung desselben die Zuhörer in Staunen zu setzen, es vielmehr zu beherrschen, es nicht verschwenderisch auszugeben, sondern im rechten Zeitpunkte mit aller Kraft wirken zu lassen. Die durch die Stimme selbst gebotene Art der Anwendung schütze sie nicht nur vor krankhaftem Reiz, sondern stärke und erweitere sie. Den Werth dieser einfachen und natürlichen Regeln lernte Ludwig durch ihre Befolgung bald genug anerkennen. Gern achtete er daher auch auf manchen andern Wink Reichardt’s. Zugleich begann er mit Eifer Engel’s „Mimik“ zu lesen, welche damals in hohem Ansehen stand. Endlich hatte Reichardt auch dafür Sorge getragen, daß sein Kunstjünger Gelegenheit fand, die großen Vorbilder, die er sich gewählt hatte, fortgesetzt in eigener Anschauung zu studiren. Er hatte bei Engel, der im Verein mit Ramler das sogenannte Nationaltheater seit 1787 leitete, für ihn und seinen Stiefsohn ein Freibillet ausgewirkt. So wurde Ludwig durch Anlage und Eifer bald über die Grenzen der gewöhnlichen Liebhaberei und jugendlichen Begeisterung hinausgeleitet, und es schien in der That, als ob die Vorbereitung für die Bühne seine stille Absicht sei. Indessen gewannen diese Darstellungen noch einen Reiz anderer Art, der freilich nicht aus dem Kunsteifer hervorging. Zu den Spielen vor den Coulissen gesellte sich ein zweites hinter denselben, das mindestens ebenso anziehend war als jenes. Zu dem Publicum gehörte auch Reichardt’s Frau und deren Schwestern, Töchter des hamburgischen Pastors Alberti, der ein Freund Lessing’s gewesen war und in der theologischen Welt keinen unbedeutenden Namen hatte. Die beiden jüngern Schwestern, ein paar heranwachsende Mädchen, waren mit den Kunstgenossen bald bekannter geworden, und wurden von diesen trotz ihrer Jugend und Anmuth mit dem ehrwürdigen Namen der „Tanten“, den sie in der Familie führten, scherzweise bezeichnet. Anfangs hatten die Tanten den dramatischen Spielen mit vollem Beifalle zugesehen, dann ließen sie sich bereit finden, auf ihre Stellung zu verzichten, und zur Unterstützung dieser Kunstübungen einige passende Rollen zu übernehmen. Nun erhielten die Vorstellungen einen verdoppelten Schwung; man spielte mit dem feurigsten Eifer, und unter der Hülle der gemalten Leidenschaft fing die wirkliche an lebendig zu werden. Es konnte nicht fehlen, daß der Ruf dieser werdenden Kunstschule über die bescheidenen Grenzen der Familie und des Hauses hinausging. Reichardt mochte das nicht ungern sehen, und bald fand sich eine Gelegenheit, die gewonnene Virtuosität auf einem ganz andern Schauplatze zu zeigen. Auch mit dem Hofe stand Reichardt in Verbindung. Seine Stellung als Kapellmeister führte das mit sich; es fehlte ihm nicht an Freunden, und sein Talent hatte ihm die besondere Gunst des Königs erworben. Er verkehrte auch in dem Hause der damals immer noch einflußreichen Frau des Kämmeriers Rietz. Diese hatte ein geschmackvolles Haustheater errichten lassen, auf welchem vor dem Könige und dessen nächster Umgebung bisweilen Vorstellungen gegeben wurden. Bei den Singspielen wurde auch Reichardt zu Rathe gezogen. Bei einer festlichen Veranlassung sollte von einigen Sängern des großen Theaters „Erwin und Elwire“ dargestellt werden. Reichardt hatte die Leitung übernommen, und selbst einen auf die Tagesfeier bezüglichen Prolog gedichtet. Sein Stiefsohn sollte ihn sprechen, und die Vorstellung mit malerischen Gruppirungen schließen, welche von seinen jüngern Kindern ausgeführt werden sollten. Das Ganze sollte den Charakter eines Familienfestes tragen. Hensler wies indeß die ihm zugetheilte Rolle mit Entrüstung zurück, er stimmte dem Urtheil der öffentlichen Meinung über die Festgeberin vollkommen bei, und betheuerte, er werde sich niemals dazu hergeben, vor ihr, in ihrem Hause als Declamator und Lobredner aufzutreten. Der Stiefvater war in nicht geringer Verlegenheit. Endlich aber wurde der Widerstrebende dennoch durch Nützlichkeitsgründe bestimmt, sich der verhaßten Aufgabe zu unterziehen. Die jungen Schauspieler hofften nämlich durch Reichardt’s Vermittelung die zu dieser Vorstellung angefertigten glänzenden Gewänder für ihre eigene Garderobe erwerben zu können. Wirklich kam das Festspiel, wie es Reichardt beabsichtigt hatte, zu Stande. Hensler sprach seinen Prolog vor dem Könige und dessen Umgebung. Die trockene, gezwungene Weise, in der es geschah, wurde ihm entschuldigend als jugendliche Befangenheit und Ungeschick des Anfängers ausgelegt, und er war zufrieden, nicht weiter in Anspruch genommen zu werden. Dagegen gingen die Gruppirungen am Schlusse unter allgemeinem Beifall von Statten. Der König sprach seine Zufriedenheit aus, ließ sich die Kinder vorführen, und lobte ihre Geschicklichkeit und Anstelligkeit. Auch Ludwig hatte zu dieser Vorstellung Zutritt erhalten. Er hatte seinem Freunde hinter den Coulissen mit Spannung zugehört, und hier seinen Standpunkt so gewählt, daß er den Blick auf den Zuschauerraum, den König und den Hofkreis frei hatte. Nach dem Schlusse betrat er den Saal, und wurde der mächtigen Frau als hoffnungsvoller junger Mensch vorgestellt. Spiele, welche mit so großem Ernst betrieben wurden und zu solchen Folgen führten, waren allerdings den Studien nicht eben förderlich. Wie gern vergaßen die tragischen Helden die demüthigere Rolle, welche sie den Tag über auf der Schulbank spielten! Auf solche Erregungen der Phantasie und Anspannung aller Kräfte folgte die Ermattung, die in den Lehrstunden übel vermerkt wurde. Endlich wurden diese Spiele selbst bei Gedike verdächtigt. Zu untergeordneten Rollen hatte man hin und wieder einen Schulgefährten, Namens Schmohl, den Sohn eines wohlhabenden Bauern, herangezogen, der nun an den Freunden zum Verräther wurde, und nicht ohne Scheinheiligkeit Gedike auf den übeln Einfluß solcher Theaterliebhaberei aufmerksam machte. In der nächsten Lehrstunde blieben Verhör und Strafrede nicht aus. Es sei stadtkundig geworden, daß man Schauspielerei treibe, wie es damit stehe. Man versäume darüber seine Schulpflichten, und komme auf unnütze Gedanken und üble Angewohnheiten. Dagegen trat Ludwig als Vertheidiger seiner Liebhaberei und seiner Freunde auf. Er könne dem Herrn Rath die Versicherung geben, Alles sei in bester Ordnung. Es hätten sich zu diesen Uebungen eine Anzahl seiner Schüler verbunden, welche er selbst zu den besten zu rechnen pflege. Auch sei weder ihm noch seinen Freunden eine grobe Pflichtverletzung nachgewiesen worden. Endlich fänden diese Aufführungen in dem Hause und unter den Augen eines angesehenen und geachteten Mannes, des Herrn Kapellmeisters Reichardt, statt, der seinen Kindern und deren Freunden dieses Vergnügen erlaubt habe, darin eine nützliche Uebung erkenne, und alle Zeit nach dem Rechten gesehen habe. Durch diese altkluge Rede schien der Herr Rath zufriedengestellt, und so war denn der Sturm für diesmal glücklich abgeschlagen. Zu den einstudirten Schauspielen gesellten sich endlich improvisirte Aufführungen, die bei Schauspielern und Zuschauern fast noch mehr Beifall fanden, weil man sich hier freier bewegen konnte. Es waren dramatische Darstellungen von Sprüchwörtern. Der Gang der Handlung wurde dem Thema gemäß gemeinschaftlich verabredet, dann überließ man es dem Einzelnen, die Andeutungen auszufüllen und zu lebendiger Wirkung zu bringen. Hier konnte sich nicht nur ein gewandtes Spiel, sondern ein schlagfertiger Witz, Erfindungskraft und Phantasie, Fluß der Rede, überhaupt Geistesgegenwart auf das glänzendste zeigen. Dichter und Schauspieler traten in unmittelbarer, ursprünglicher Verbindung hervor. Eben das war Ludwig’s Stärke. Fast leidenschaftlich liebte er diese Spiele, zu denen er auch in spätern Jahren gern zurückkehrte. Reichardt’s Haus war für ihn zur Kunstschule geworden. Nicht nur sein Talent für Poesie und Schauspiel war ihm selbst bewußter geworden und zu einer gewissen allgemeinen Anerkennung gekommen, sein Sinn und Geschmack für die Künste, für Kunst überhaupt, wurden angeregt, geweckt, geläutert. In einem Kreise, wo man nur Musik athmete, mußte sich endlich auch sein bisher noch geschlossenes Gefühl öffnen. Wie oft hörte er nicht musikalische Aufführungen, Gespräche über Musik, Urtheile über Werth oder Unwerth einzelner Compositionen. Gewann er auch jetzt keine Neigung, selbst ausführend theilzunehmen, so fing er doch an, in den classischen Werken die Geheimnisse der Musik zu ahnen. Auch hier hatte er, durch Eingebung geleitet, im Gegensatz zum Modegeschmack sich zu Mozart’s großen Tondichtungen hingewandt, ohne sich durch die Tageskritiken, und selbst so gewichtige Stimmen wie Reichardt’s, irre machen zu lassen. Mozart’s siegreicher Gegner war Dittersdorf, dessen komische Opern auch in Berlin unter großem Andrange des Publicums gegeben wurden. Man zog den „Doctor und Apotheker“ dem „Figaro“ und „Don Juan“ vor, und „Die Liebe im Narrenhause“ konnte in öffentlichen Anzeigen als das erste musikalische Kunstwerk angepriesen werden. In überraschender Weise sollte Ludwig’s Anerkennung Mozart’s belohnt werden. Als er eines Abends, es war im Jahre 1789, seiner Gewohnheit nach lange vor dem Anfange der Vorstellung die halbdunkeln, noch leeren Räume des Theaters betrat, erblickte er im Orchester einen ihm unbekannten Mann. Er war klein, rasch, beweglich und blöden Auges, eine unansehnliche Figur in grauem Ueberrock. Er ging von einem Notenpult zum andern, und schien die aufgelegten Musikalien eifrig durchzusehen. Ludwig begann sogleich ein Gespräch anzuknüpfen. Man unterhielt sich vom Orchester, vom Theater, der Oper, dem Geschmacke des Publicums. Unbefangen sprach er seine Ansichten aus, aber mit der höchsten Bewunderung von den Opern Mozart’s. „Sie hören also Mozart’s Opern oft und lieben sie?“ fragte der Unbekannte. „Das ist ja recht schön von Ihnen, junger Mann.“ Man setzte die Unterhaltung noch eine Zeit lang fort; der Zuschauerraum füllte sich allmälig, endlich wurde der Fremde von der Bühne her abgerufen. Seine Reden hatten Ludwig eigenthümlich berührt, er forschte nach. Es war Mozart selbst gewesen, der große Meister, der mit ihm gesprochen, ihm seine Anerkennung ausgedrückt hatte. Hatte die Neigung zu musikalischer Bildung in Berlin, durch manche Umstände begünstigt, in dieser Zeit offenbar zugenommen, so ließ sich vom Geschmacke für die bildenden Künste umsoweniger sagen. Es fehlte an bedeutenden Anregungen, an Gelegenheit, durch häufigen Anblick von Gemälden und Bildwerken Auge und Sinn zu üben und zu bilden. Zwar hatte man die Akademie der Künste, auch war Schadow bereits hervorgetreten, und außerdem gab es noch manchen Künstler; doch hatte man des Nothwendigen und Unentbehrlichen noch zu viel zu thun, um einen großen Luxus mit den Künsten treiben zu können. Die einzige Sammlung, welche es gab, die aber weder an Meisterwerken ersten Ranges reich war, noch einen unbedingten Zutritt gestattete, war die des königlichen Schlosses. Die Möglichkeit, Gemälde nebeneinander zu sehen und zu vergleichen, gewährte nur die Kunstausstellung, welche die Akademie veranstaltete. Die Sehnsucht nach einem tiefen Blick in die Kunstwelt der Farben war indeß bei Ludwig erwacht, und zu fast schmerzlicher Höhe stieg sie bei seinem Freunde Wackenroder. Mit ihrem Durst nach Kunst und Kunsterkenntniß schienen sie in dieser Dürre fast allein zu stehen, als sie die Einwirkungen eines Mannes erfuhren, der für künstlerische Bildung in weitern Kreisen eifrig zu wirken suchte, nämlich von Karl Philipp Moritz. Der Hofrath Moritz war als ein sonderbarer, launenhafter, aber geistvoller Mann bekannt. Er galt für einen Archäologen und Kunstkenner, für einen Kritiker und Sprachforscher, für einen vielseitigen, thätigen Schriftsteller und feinen Stilisten. Gelegentlich wollte er auch wol Dichter sein, in allen künstlerischen Dingen erkannte man ihn als Autorität an. Auch war er ein Stimmführer der kleinen Gemeinde, welche in Berlin eine unbedingte Anerkennung Goethe’s forderte. Mit diesem selbst hatte er in Rom in freundschaftlichem Verkehr gestanden. Seine kühnen Reisen nach England und Italien, und manche andere theils unbewußte, theils gemachte Sonderbarkeit hatte ihn in den Ruf eines Originals gebracht, den er sich nicht ohne Eitelkeit gefallen ließ. Man erzählte manche komische Geschichte von ihm, und konnte deren alle Tage erleben. Auch die Verbindung mit diesem Manne verdankte Ludwig Reichardt, welcher mit ihm in freundschaftlichem und literarischem Verkehr stand. In Reichardt’s Auftrage hatte er Moritz besuchen müssen. Er traf den kränklichen Mann, der stets fröstelte und sich nach dem Sonnenhimmel Italiens sehnte, an einem warmen Tage im geheizten Zimmer. Im dicken Pelze saß er unmittelbar am glühenden Ofen. Auch auf der Straße war er eine sonderbare Erscheinung. Er behauptete, nicht mehr zu Fuß gehen zu können, und hatte sich, obgleich seine äußere Lage nicht glänzend war, einen Wagen und mindestens ein Pferd angeschafft. Einst sah Ludwig diesen Einspänner mitten auf dem Straßendamme halten; der Kutscher war abgestiegen und saß auf einer steinernen Bank vor einem nahegelegenen Hause. Auf die Frage, was vorgefallen sei, antwortete der Kutscher, der Herr Hofrath habe ihm befohlen, hier anzuhalten, weil er im Wagen etwas schlafen wolle. Ein anderes Mal hörte Ludwig ihn predigen. Denn bisweilen ließ sich Moritz beikommen, die Kanzel zu besteigen. Angstvoll hatte er in seiner Jugend zwischen Theater und Kanzel geschwankt. Jetzt schmeichelte es ihm, sich auch auf dieser Stelle zu zeigen. Die Predigt war ihm eine Gelegenheit, seine Rednergabe und Herrschaft über die Sprache wirken zu lassen. In diesem Sinne behandelte er sie mit dramatischem Ausdruck, er begleitete sie mit lebhaften, absichtlichen Bewegungen. Er sprach mit untergeschlagenen Armen, trat einen Schritt zurück, dann wiederum vor, dann plötzlich wie hingerissen vom Feuer der Rede, streckte er die Arme heftig nach vorn aus, und traf die vor ihm liegende Bibel, daß sie über den Rand der Kanzel in das Schiff der Kirche hinabfiel. Auch sagte man ihm nach, daß er in der Regel eine oder die andere Bitte des „Vaterunser“ auslasse. Trotz aller Sonderbarkeiten war Moritz eine sehr anregende Persönlichkeit. Seine Vorlesungen, welche er als Professor an der Akademie der Künste über Alterthümer und Kunstgeschichte hielt, wurden von Liebhabern viel besucht und waren nicht ohne Einfluß und Bedeutung. Auch Ludwig und Wackenroder hatten sich Zutritt verschafft, und wenn sie auch nicht überall fanden, was sie suchten, so wurde doch Manches in ihnen erweckt, was in späterer Zeit zur Klarheit kommen sollte. 8. Ein Weltereigniß. Das Leben, welches Ludwig im Hause des Kapellmeisters Reichardt kennen lernte, waren die Gedanken, Gefühle und Neigungen, welche die jüngere gebildete Mittelclasse Berlins beherrschten und leiteten. Es war ein künstlerisches Stillleben voll Sicherheit, Genuß und Selbstzufriedenheit. Der Gedanke einer allgemeinen, humanen Bildung, welche in der Literatur einen so siegreichen Ausdruck gewonnen hatte, erfüllte die Gemüther. Diese Bildung zu erwerben, war die vornehmste Pflicht. Aber um sich zu bilden, sich weiterzuentwickeln, mußte man sich kennen und das eigene Herz ergründen, in dem die Geheimnisse der Menschheit verschlossen ruhten. So wurde man auf Selbstbeobachtung hingeführt. Gewiß hatte man Recht, die Selbsterkenntniß und die aufrichtige Arbeit an sich selbst als die schwierigste und wichtigste aller Aufgaben zu bezeichnen; aber wie schmeichelte es nicht der Eigenliebe, als der Gegenstand tiefer und merkwürdiger Forschungen zu erscheinen! Die bedeutendsten Bildungsmittel fand man weniger in einzelnen Fachwissenschaften, als in einer populären Philosophie, in dem Gangbarsten, was man sich aus Kant’s Lehren anzueignen suchte, in der Poesie und Literatur, in der Kunst und besonders in dem Theater. Das Kunstwerk studirte man, an ihm bildete man sich. Man mußte sich Rechenschaft geben von seinen Bedingungen, von seinem Wesen, seinen Einwirkungen auf die Bildung. Man mußte ein ästhetisch-philosophisches Urtheil haben, das war unerläßlich. Und was konnte zugleich angenehmer sein als ein Studium, welches die Genüsse der Kunst zur Pflicht machte? Aber indem man sich ihnen eifrig ergab, geschah es, daß man sich die Mühen des Studiums immer leichter machte, bis zuletzt der selbstgenugsame Genuß ausschließlich an seine Stelle getreten war. Die Gebildeten gewöhnten sich, auf diesen einen Punkt Alles zu beziehen, von ihm aus die Welt zu betrachten, und so verwandelte sich Alles in einen verfeinert idealisirten oder auch mehr sinnlichen Genuß, der sich und Andere mit dem Namen von Wissenschaft und Bildung in gefährlicher Weise täuschte. Bei solchen Ansichten mußte die Außenwelt an Wichtigkeit und Bedeutung verlieren. Sie schien nichts zur Lösung der Räthsel, welche im Bereiche des Herzens lagen, beitragen zu können, und wo sie mit rauher Hand eingriff, war sie störend und unbequem, am liebsten bekümmerte man sich gar nicht um sie. Und lebte man nicht in seinem Staate in vollster Sicherheit nach innen und außen? War man nicht im Besitze der Erbschaft Friedrich’s des Großen und hatte seinen Ruhm, seine Verwaltung, sein Heer? Die Staatsmaschine, wie er sie hinterlassen hatte, schien unverbesserlich; mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks lief sie ab. Der Gedanke an Kriegsgefahr war, wie die Erinnerung an den Krieg, in weite Ferne zurückgetreten. So machte der Eintritt eines gewaltigen, weltgeschichtlichen Ereignisses auf diese Gemüther keinen mächtigen Eindruck. In die eigenen Gefühle zu sehr versenkt, empfand man den Stoß der ausbrechenden Französischen Revolution auf das alte Europa nicht als drohende Ankündigung einer tiefen Umwälzung. Man meinte nichts weniger, als daß hier ein Brand sich entzündet habe, der im nächsten Augenblicke auch das eigene Haus ergreifen könne, in dem man sich so bequem eingerichtet hatte. Manchem mochte es scheinen, als könne man diesen Kämpfen mit derselben Gemächlichkeit zusehen, mit welcher man Ritterstücke und Familiendramen auf dem Nationaltheater sich vorspielen ließ. Freilich fehlte es auch nicht an solchen, und es waren oft gerade die bedeutendsten Persönlichkeiten, welche den neufränkischen Ideen entgegenjubelten, und in ihnen den Anbruch eines neuen Zeitalters in Prosa und Versen begrüßten. Es war dies nur eine andere Art des Idealismus. Unbefangen revolutionirten sie auf dem Papiere. Eine politische Bedeutung hatte es kaum, wenn man sich für Menschenrechte und Freiheit begeisterte, sich in Demokraten und Aristokraten theilte, die „Marseillaise“ sang, auf die Tyrannen schalt und die Jakobiner pries. An die möglichen Folgen dachten gewiß die Wenigsten. Die Meisten kehrten am Ende doch wieder zu ihren Neigungen des Herzens und der Kunst zurück. Aber mit innerster Befriedigung erkannten sie die freimüthige Derbheit an, mit welcher der wackere deutsche Biedermann in einem Iffland’schen Familiendrama dem tyrannischen Minister die Wahrheit sagte, ränkevollen Kammerjunkern und blutsaugerischen Steuerbeamten die Larve abriß, und den wohlwollenden, aber getäuschten Fürsten unsanft aus seinem Nachmittagsschlafe aufrüttelte. Daß die jüngere Welt von diesen neuen Vorstellungen zumeist und am lebhaftesten ergriffen wurde, daß es hier an überschlagender Stimmung nicht fehlte, war natürlich. Auch Ludwig wurde vorübergehend davon berührt. Schon vor dem Ausbruche der Revolution hatte eine eigenthümliche Gunst des Geschicks ihm einen Helden der künftigen Tragödie im voraus gezeigt. Eines Nachmittags war er mit einem Lieblingsbuche in der Tasche zum Halleschen Thore hinausgewandert. Sein Weg führte ihn nach einem etwas abgelegenen Vergnügungsorte, welcher in der berliner Volkssprache der dustere Keller heißt. In einem Winkel des kleinen Gartens warf er sich mit seinem Buche bei einem Glase Milch ins Gras. Um einen benachbarten Tisch war eine Gesellschaft von Stammgästen versammelt, die sich lebhaft in französischer Sprache unterhielten. Sie gehörten der Französischen Colonie an, und höflich wie sie waren, forderten sie ihn auf, unter ihnen Platz zu nehmen. Er folgte der Einladung und hörte ihren Gesprächen zu, die politischen Inhalts waren. Vom ersten Augenblicke an hatte ein Mann seine Aufmerksamkeit erregt, welcher der Wortführer der Gesellschaft zu sein schien. Er sprach mit einer Stentorstimme und flutenden Beredtsamkeit, der gegenüber Alles verstummen mußte. Was er sagte, begleitete er mit dem ausdrucksvollsten Mienenspiele und gewaltsamen Geberden. Einen solchen Menschen, ein solches Gesicht meinte Ludwig noch niemals gesehen zu haben. Es war eine starke, stämmige Figur, aus der ein eigenthümlicher Trotz sprach. Aus dem Kopfe blitzten ein paar Augen mit einem stechenden, kaum zu ertragenden Blicke. Im Ausdrucke des Gesichts, das von Blatternarben zerrissen war, herrschte ein sonderbarer Widerspruch. Von vorn gesehen, hatte es etwas Abschreckendes, Rohes, ja Gemeines, während es von der Seite edle Umrisse darbot, welche an einen antik geschnittenen Kopf erinnerten. Mit großer Zuversicht verkündete der Redner die Nothwendigkeit und den baldigen Beginn einer politischen Umgestaltung. Diese Zusammenkünfte und Unterhaltungen wiederholten sich mehrere Male, und Ludwig, angezogen durch die Neuheit solcher Eindrücke, verfehlte nicht, daran theilzunehmen. Eines Tages fehlte die Hauptperson. „Wo bleibt denn heute unser Demokrat?“ hieß es. Ludwig wagte endlich die Frage, wer dieser gewaltige Redner sei. „Wie, junger Mann“, entgegnete man, „so kennen Sie den Mann nicht? Es ist der Graf Mirabeau.“ Für Ludwig war die Sache mit dieser Entdeckung vorbei. Er sah den Mann nicht wieder, und bald darauf hieß es, Mirabeau habe die Stadt verlassen. Erst später hörte er den verhängnißvollen Namen wieder und erinnerte sich jener Begegnung. In dieser Zeit fing es auch an, in den Köpfen der Schüler zu gähren. Man eiferte gegen den Adel und die Tyrannen, wie man diese etwa aus dem Plutarch kannte. Unterhaltungen, Reden und Aufsätze hallten nun von diesem Tone wider. In einer der üblichen Reden hatte sich ein Schüler, welcher selbst dem Adel angehörte, sehr bestimmt gegen denselben erklärt. Auf Gedike’s Bemerkung, daß das Worte seien; ob er sich den Entschluß zutraue, den Adel in der That abzulegen, betheuerte jener feierlich, daß er dazu mit Freuden bereit sei. Auch Ludwig wurde von diesen Gedanken ergriffen. Als er sich indeß zu Hause in der Weise neufränkischer Begeisterung vernehmen ließ, wurde er von dem Vater nicht eben glimpflich zurechtgewiesen. Dergleichen weltreformirende Reden mochten diesen im Munde des kecken Sohnes doppelt verdrießen. Er war ein zu guter Bürger und zu sehr Freund strenger Herrschaft, um sich mit dem Umsturze bürgerlicher Ordnung befreunden zu können. Er ahnte das Zerstörende solcher gewaltsamen Bewegungen, und pflegte diese politischen Erörterungen mit den Worten zu enden: „Dabei kann nur Verkehrtes und Thörichtes herauskommen. Das ganze Volk taugt zu solchen Dingen nicht. Der Erfolg wird es lehren!“ Der Erfolg lehrte es in der That. Als die Zeiten des Schreckens kamen, wurden auch die kühnen Sprecher stumm; und als der Vater voll Genugthuung fragte: „Nun, habe ich es nicht gesagt? Wer hat nun Recht?“ hatte Ludwig dem nichts entgegenzusetzen. Vor diesen Gräueln schauderte seine innerste Natur zurück. Die Erregung für Revolution und Politik erlosch, und er wandte sich wieder den Kreisen des innern Lebens zu, die er eigentlich nie verlassen hatte. 9. Verlust und Versuchung. Doch auch jenes künstlerische Stillleben sollte ein Ende nehmen. Hier zuerst hatte sich den Freunden eine Welt erschlossen, in welcher sie sich dem Alltäglichen entrückt fühlten. Innig verbunden durch Talent und Freundschaft, im Bewußtsein der ersten frischen Kraft, getragen von überschwellender Begeisterung für Dichtung und Kunst, hatten sie Augenblicke reinen Glücks und jugendlicher Seligkeit genossen. Aber es war nur ein Augenblick, in dem die Strahlen zum vollen Farbenspiele sich verbanden, und dieser Augenblick war entflohen, als man ihn am sehnlichsten zu halten gewünscht hätte. Langsam und allmälig hatte dieser Freundeskreis sich zusammengefunden, rasch löste er sich wieder. Schon hatte der Tod seine Hand über ihn ausgestreckt, und schmerzliche Erfahrungen kamen an die Reihe. Viering, der Freund, dessen Witz und Laune die Gefährten so oft erheitert hatten, schied zuerst aus. Er wurde das Opfer eines knabenhaften Vorwitzes, dessen Versuchungen er mitten im künstlerischen Aufschwunge nicht widerstehen konnte. An einem Winternachmittage hatte Ludwig seine Freunde Viering und Hensler auf einem Spaziergange vor das Kottbuser Thor begleitet. Scherzend und lachend kam man an einen Graben, den bereits eine leichte Eisrinde deckte. Voll Uebermuth rief Viering, ob man sich wol entschließen würde, in das eisige Wasser zu springen. Hensler antwortete zweifelnd; man ereiferte sich, und sobald Ehrgeiz und Eitelkeit sich einmal verletzt fühlten, überboten sich Beide in knabenhafter Weise. Jeder wollte den Andern überführen, er besitze männliche Entschlossenheit genug, um dieses Probestück des Muthes und der Abhärtung auf der Stelle zu wagen. Ludwig stellte ihnen das Kindische, das Lächerliche eines solchen Ehrgeizes vor, er bat, ermahnte, schalt. Ohne daß er es hindern konnte, warfen sich Beide in das Wasser. Durchnäßt, erstarrt eilten sie dann nach Hause. Viering erkrankte gleich darauf heftig; er verfiel in ein hitziges Fieber, in acht Tagen war er todt. Hensler kam ohne erheblichen Nachtheil für seine Gesundheit davon. Aber auch andere Lücken traten ein. Schon früher war Piesker nach Wittenberg gegangen, um dort die Rechte zu studiren. Zu gleichem Zwecke hatte sich Toll Ostern 1790 nach Frankfurt begeben. Mit angestrengtem Fleiße hatte er auf der Schule gearbeitet, und da er auch an den künstlerischen Spielen lebhaften Antheil nahm, manche Nacht geopfert. Durch starke körperliche Uebungen suchte er dann das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen. Schon damals war sein Gesicht von einer unheilkündenden Blässe überzogen. Als Student setzte er diese Lebensart fort. Aber noch etwas Anderes zehrte an ihm. Er hatte eine heftige Neigung zu Reichardt’s älterer Schwägerin, Marie Alberti, gefaßt. Zwar blieb sie nicht unerwidert, aber für jetzt hatte sie wenig Aussicht auf Erfüllung. Die Trennung steigerte seine Leidenschaft, die Sehnsucht trieb ihn nach Berlin zurück. Seine Gesundheit wankte. Darauf wurde er in Frankfurt von einem Nervenfieber ergriffen und erkrankte tödtlich. Seine Freunde eilten Ludwig von dem drohenden Verluste zu benachrichtigen; zugleich baten sie ihn, bei Reichardt zu vermitteln, daß er seiner Schwägerin nach Frankfurt zu reisen erlauben möge. Von ihrem Erscheinen hoffte man eine günstige Wendung für den Kranken. Ludwig that, was man gewünscht hatte. Für ihn selbst war diese Nachricht ein Donnerschlag. Wie hatte er gerade diesen Freund geliebt, sich an ihn gelehnt, in dem sich Geist und Anmuth der Form mit einem festen, männlichen Charakter verband! Mit jeder Stunde stieg die bange quälende Erwartung. Er trug es nicht länger. Wie er ging und stand, zu Fuß, machte er sich auf den Weg nach Frankfurt. Er dachte nicht an die Folgen dieses eigenmächtigen Entschlusses, nicht an die Anstrengung des Weges. Er wollte Gewißheit haben, womöglich den Freund noch einmal sehen. Es war im Herbst des Jahres 1790. Trübe und kalte Wolken bedeckten den Himmel, es regnete. In athemloser Eile trieb ihn der Gedanke an den sterbenden Freund unaufhaltsam vorwärts. Nicht genug konnte er seine Schritte beschleunigen; zuweilen brach er in lautes Weinen aus. Erst spät in der Nacht gönnte er sich Ruhe in einer gewöhnlichen Herberge. Kaum graute der Tag, so eilte er weiter. Es gab für ihn keinen Schlaf, er fühlte keine Ermattung, keinen Durst oder Hunger. Bei Madlitz, dem Schlosse des Grafen Finkenstein, kam er vorüber. Er warf einen halben Blick auf den Park, der in Nebelregen gehüllt, trüb und entblättert vor ihm lag. Ahnte er, daß ihm dieses Haus einst eine heimatliche Stätte sein werde? Abgemattet von Anstrengung und innerer Angst, durchnäßt von dem strömenden Regen, mit beschmuzten Kleidern kam er endlich in Frankfurt an. Er eilte nach Toll’s Wohnung. Da fand er den Freund bereits auf der Bahre. Man hatte die Leiche ausgestellt; eine feierliche Bestattung ward vorbereitet. Marschälle mit Stäben umgaben den Sarg. Ludwig trat hinzu, sie wehrten ihn ab. Wild und wüst, wie er aussah, hielt man ihn für einen unbefugten Eindringling. Voll Schmerz zog er sich zurück. Verwandte seines verstorbenen Freundes nahmen ihn für die nächsten Tage auf. Das Begräbniß erfolgte mit allem studentischen Prunke. Ludwig wohnte ihm als Leidtragender bei. Am Grabe sprach ein Student einige Worte der Erinnerung, Heinrich Zschokke aus Magdeburg. Früher Theaterdichter bei der Schauspielertruppe in Landsberg, hatte dieser sich erst spät entschlossen, zu studiren. Seine mannichfachen Erfahrungen, sein männlich ausgebildetes Wesen und Derbheit hatten ihm unter den Studenten bedeutendes Ansehen erworben. Ludwig machte seine persönliche Bekanntschaft, doch weder die Stimmung noch der Augenblick waren zu weiterer Annäherung geeignet. In trauriger Leere des Herzens kehrte er nach Berlin zurück. Es war der schwerste Verlust, welchen er noch erlitten hatte, und lange Zeit dauerte es, ehe diese Wunde sich schloß. Die Erfahrungen der letzten Zeit hatten überhaupt einen erschütternden Eindruck auf ihn gemacht; sie gewannen einen tiefen, bleibenden Einfluß, der sein Wesen umzugestalten schien. Oder vielmehr eine andere dunklere Seite desselben, die bisher von manchen glücklichen Erfolgen bedeckt worden war, fing an hervorzutreten. In der Stille war mit der Lust auch der Schmerz, mit dem Uebermuthe auch die Schwermuth gewachsen. Mit immer düsterern Blicken begann er das Leben zu betrachten. Seit jene ernste, heftig freundschaftliche Neigung abgewiesen worden, waren trübe Stimmungen und rascher Wechsel von ausgelassener Laune und finsterer Selbstpeinigung bei ihm häufig geworden. Seitdem hatte er jenen unglücklichen Soldaten einer Grausamkeit erliegen sehen, welche in der Gestalt des Rechts auftrat; einen Freund hatte er als Opfer kindischer Thorheit, den andern in der Fülle der Kraft und Hoffnung verloren. Warf er einen Blick auf das, was man Bildung und Aufklärung nannte, auf das Glauben und Wissen der Zeit, wie armselig erschien ihm beides! Er sah, wie Dünkel und Hochmuth sich blähten, wie die Unwissenheit Orakel ertheilte, welche man gläubig aufnahm, während man die wirklich Einsichtigen verhöhnte; wie man zu wissen wähnte oder vorgab, wo man wie die Menge im Dunkeln tappte. Auch ihn hatte man misverstanden, verkannt, seine tiefsten Ueberzeugungen gebieterisch abgewiesen. Und was wußte er am Ende von diesen selbst zu sagen? Wie oft trat nicht der Zweifel an die Stelle der Zuversicht! Wenn in einem Augenblicke die Welt zu seinen Füßen zu liegen schien, wie schwach, ohnmächtig, vernichtet fühlte er sich oft nicht im nächsten! Ueberall, wohin er blickte, ein Jagen und Rennen, ein Kämpfen und Ringen, ein Jauchzen und Klagen, unaufhörlich, immer wieder von neuem beginnend! Was wollte das Alles? Wo war der Mittelpunkt, um welchen dieser dunkle und wirre Knäuel von Arbeit und Mühsal, Kampf und Schmerz, Wahn und Thorheit sich drehte? Es gab Zeiten, wo das Gefühl alles Jammers und Elends seine Seele mit furchtbarer Gewalt ergriff, wo ein dumpfer Schmerz sich seiner bemächtigte, durch welchen immer wieder die Frage hindurchhallte, auf die er keine Antwort hatte, Wozu? Warum? Ist es ein ewig in sich wiederkehrender Kreislauf, oder gibt es ein Ziel für diese verschlungenen Wege? Und wenn das, wo liegt es? Wo gibt es Aufschluß und Gewißheit? So stand er vor den Grundfragen des Daseins, und mühte sich vergebens sie auszudenken. Aber Gott, Gott lebte doch! Zeugte nicht sein eigenes Herz von ihm? In sich fühlte er eine tiefe Bewegung, das Bedürfniß, den Gedanken Gottes sich näher zu bringen, ihn zu fassen, festzuhalten. Aber wie sollte er ihn bewältigen? Mit niederschmetternder Gewalt, mit unendlicher Furchtbarkeit stand er vor ihm; das Gefühl der tiefsten Schwäche, der vollständigsten Unzulänglichkeit warf ihn zu Boden. Je mehr er sich in den Gedanken des einen, ewigen, unendlichen Gottes zu versenken strebte, desto unergründlicher zeigte er sich; je mehr er ihn mit tödtlicher Angst suchte, desto tiefer schien er in eine ungewisse und nebelhafte Ferne zu entweichen. Es war ihm, als stehe er am Rande eines unabsehbaren, schwarzen Abgrundes, in den er hineinstürzen müsse. Dann wieder, als blicke er zu der schwindelnden Höhe eines unerreichbar steilen Gipfels empor, bis er selbst von jähem Schwindel ergriffen niederfalle. Diese Angst steigerte sich bis zum wirklichen Schwindel, zum körperlichen Schmerz. Wenn seine Seele, Zeit und Raum vergessend, lange über diesen Abgründen geschwebt hatte, fühlte er es plötzlich wie einen nervenzerreißenden Stoß durch das Gehirn dröhnen. Unter den Schauern tiefsten Grausens fuhr er aus seinen Träumereien empor; er war erschöpft, ohnmächtig. Auf diesem Wege lag der Wahnsinn! Konnte denn der Mensch die Fülle und Tiefe der göttlichen Gedanken überhaupt in sich aufnehmen? Mußte der unfaßbare Inhalt nicht das schwache Gefäß zersprengen? Die Kluft war so unermeßlich tief, so unausfüllbar; es schien so unmöglich, von der menschlichen Seite nach der Gottes hinüberzureichen, daß schon darum die göttliche Liebe eine Vermittelung geben mußte, um ihr Geschöpf nicht der vernichtenden Verzweiflung zum Raube werden zu lassen. Aber nur selten gelang es ihm, diese tröstliche Ueberzeugung festzuhalten, und immer wieder von neuem fühlte er sich in jene tödtliche Angst hineingeschreckt. So ergriff ihn denn zu Zeiten die vollste Trostlosigkeit, ja Verzweiflung. Er wurde sich selbst ein unlösbares Räthsel, ein Gegenstand des Schreckens, des Entsetzens. Fremd, unkenntlich, als ein Anderer stand er sich selbst gegenüber. Mit diesen schwindelnden Gedanken verbanden sich die entsetzlichen Bilder seiner Phantasie. Sie warf ihre finstern, grauenhaften Schatten vor ihm her. Gespenstisch sah er von außen die Gestalten auf sich zuschreiten, welche aus der Tiefe seines Innern aufstiegen. Dann packte es ihn mit der Fiebergewalt des Wahnsinns, gleichviel wo er war, ob allein oder unter Menschen. Die Balken schienen über ihm zusammenzubrechen, es jagte ihn hinaus auf die Straßen, ins Freie. Da erst schöpfte er Athem. Als er einmal im Begriff war, in das Theater zu gehen, um den „Macbeth“ zu sehen, überfiel ihn plötzlich jenes Grauen. Er konnte es nicht über sich gewinnen, einen Schritt weiterzugehen; er kehrte um. Athemlos lief er belebtern Straßen zu, um sich selbst zu entfliehen. Auch das helle, nüchterne Schulzimmer war keine Freistatt, die ihn vor seinen Furien schützte. Freunde und Mitschüler erschienen ihm plötzlich fremd und verwandelt, ihre Gesichter verzerrten sich zu grinsenden Larven. Mit jedem Augenblicke stieg seine Angst; sie umringten ihn, sie schienen sich seiner zu bemächtigen. Er stürzte hinaus; in gewaltsam hervorbrechenden, unaufhaltsamen Thränen machte er seinem, von starrem Entsetzen zusammengepreßten Herzen Luft. Erst nach einer halben Stunde oder später vermochte er zu seinen Mitschülern zurückzukehren. Nach solchen Anfällen versank er stets in tiefere Hoffnungslosigkeit. Er verzweifelte an seinem Leben, am Dasein, an jeder höhern ordnenden und leitenden Macht. Alles schien ihm gleich nichtig, gleich widersinnig, der Mensch gehetzt wie ein scheues Wild, eine Beute qualvoller Widersprüche, endloser Plagen, geistigen und körperlichen Elends. Nur der Tod war ein sicheres Heilmittel. Die Versuchung des Selbstmords stieg in ihm auf. Oder andere verzweiflungsvolle Gedanken umdrängten ihn. Nicht das Gute, das Böse beherrscht die Welt! Ein Ausfluß dieser herrschenden Macht sind die Qualen, denen der Mensch unterworfen ist. Wie, wenn es möglich wäre, sich mit dieser Macht in irgendeine unmittelbare Verbindung zu setzen? Sollte es ihr nicht möglich sein, sich in sinnlicher Erscheinung zu zeigen? Gibt es einen bösen Dämon, einen Teufel, einen sinnlich wahrnehmbaren Vertreter des Bösen, sollte es dann kein Mittel geben, welches ihn zwänge, aus seiner Verborgenheit hervorzutreten? Mit seinen gräßlichen Phantasien verband sich nun das zur fixen Idee steigende Verlangen, den Teufel mit eigenen Augen zu sehen. Eine wahnwitzige Tollkühnheit ergriff ihn. Schon früher hatte er angefangen, auf einsamen, nächtlichen Spaziergängen umherzuirren. In den entlegenen Theilen der Stadt, vor den Thoren suchte er die Kirchhöfe auf. Bis in die Nacht hinein saß er dumpf brütend auf den Gräbern, bis ihm die Glieder erstarrten. Gibt es einen bösen Dämon, dachte er, so muß er dem Rufe einer Seele folgen, die mit voller, innerster Willenskraft seine Erscheinung fordert. In steigendem Wahnwitze rief er dann durch die Nacht, der Teufel solle ihm erscheinen. Aber Alles blieb still, nur sein eigener Ruf hallte gespenstisch zu ihm zurück. Er erwachte voll Entsetzen und eilte nach Hause. So führte er Tage und Nächte lang ein angstvolles Traumleben, und nachtwandlerisch streifte er hin am Abgrunde des Wahnsinns. Aus diesen wiederkehrenden Anfällen entwickelte sich endlich ein Zustand innerer Versunkenheit, dauernder Schwermuth, welche auch die freien Augenblicke mit einer ihm wohlthuenden Dumpfheit umspann, aus der er gewaltsam aufgerüttelt werden mußte. Sein Wesen war verändert. Er war zerstreut, vergeßlich, er sah und hörte nicht, von einem Gedanken war alles Andere verschlungen. Seinen Gefährten erschien er sonderbar, unerklärlich. Zuweilen nahmen sie zu komischen Mitteln ihre Zuflucht, um ihn ins Leben zurückzurufen. Wenn er in ihrem Kreise in sich versank, seine Umgebung, Zeit und Ort vergaß, dann ließen sie eine Weckeruhr schlagen, deren unaufhörlich gellendes Hämmern ihn endlich wieder zu sich brachte. Solche Augenblicke der Bewußtlosigkeit bereiteten ihm auch nicht selten halb lächerliche, halb grauenhafte Verlegenheiten. Als ihn einst sein Weg durch die Markgrafenstraße führte, fiel es wieder wie ein Schleier auf ihn. Er wußte nicht, wo er war. Mit voller Deutlichkeit sah er die Menschen an sich vorübergehen, er wußte, daß ihm diese Häuser, diese Straßenecken bekannt seien, dennoch konnte er sich nicht sagen, wo er eigentlich sei. War er in Frankfurt, in Brandenburg oder in Potsdam? Dies waren die bedeutendsten Städte, die er außer Berlin gesehen hatte. In welcher von diesen war er? Dieses Gefühl der Unsicherheit, der Bewußtlosigkeit steigerte sich bis zur quälenden Angst. Er mußte ihr ein Ende machen. Es durchzuckte ihn der Gedanke, daß er sich dem Verdachte des Irrseins aussetze, dennoch beschloß er, irgendeinen der Vorübergehenden anzureden, um sich aus diesem Zustande zu retten. Aber nicht Jedem durfte er mit seiner Frage kommen. Schüchtern trat er auf einen ältlichen Mann zu, dessen Mienen ihm Zutrauen einflößten. „Sie sind in der Markgrafenstraße“, lautete die Antwort. Seine Verlegenheit stieg; das hatte er auch gewußt. Stammelnd, unter manchen Entschuldigungen brachte er endlich heraus, er wisse nicht, in welcher Stadt er sei. Der Angeredete maß ihn mit großen Augen und rief dann unwillig: „Das geht zu weit, sich solchen Spaß zu erlauben!“ Ludwig wollte reden; jener ließ ihn nicht zu Worte kommen. „An Ihrer Sprache höre ich, Sie sind ein berliner Kind, und Sie sind dreist genug, mir einbilden zu wollen, Sie wüßten nicht, daß Sie in Berlin selbst sind?“ Als Ludwig zu betheuern fortfuhr, nichts habe ihm ferner gelegen, als ein schaler Spaß dieser Art; in einer augenblicklichen Zerstreutheit habe er sich in der That nicht zurechtfinden können, sagte der Andere: „Schämen Sie sich, junger Mann! Wie kommen Sie in Ihrem Alter zu einer so unleidlichen Affectation? Versuchen Sie dergleichen nicht wieder, Sie könnten zum zweiten Male schlimmer ankommen!“ Tief beschämt blieb er stehen. Er kam sich in diesem Augenblicke unendlich abgeschmackt vor. Jener hielt ihn für einen muthwilligen Possenreißer oder einen eiteln Thoren. Das Bedenkliche seines Gemüthszustandes trat ihm klar entgegen; er erkannte, wohin solche Abirrungen führen müßten. Er legte sich das Gelübde ab, ihnen, wie den Stimmungen, aus welchen sie hervorgingen, mit aller Kraft entgegenzuarbeiten. Freilich durch einen einfachen Act des Willens allein ließ sich seine schwere Seelenkrankheit nicht heben. Aber öffnete sich denn aus diesen grauenhaften Irrgängen kein Weg der Rettung? Gab es kein Heilmittel, welches ihn seinen Leiden entrissen hätte? Wie tief sehnte er sich nicht in freien Augenblicken nach Ruhe, nach der Stille innern Friedens! Was konnten ihm in solchen Zuständen die gewöhnlichen sogenannten Zerstreuungen sein, oder auch das oberflächliche Zureden der meisten seiner Gefährten, die seine Stimmung nicht begriffen, und kaum eine Ahnung davon hatten, worum es sich hier handle! Die Fesseln der geregelten Thätigkeit hatte er abgeworfen. Der Vater, so streng er früher gewesen, ließ ihn jetzt seines Weges gehen. Bei einem so seltsamen, unberechenbaren Wesen mochte er oft rathlos sein. Unter seinen Lehrern hatte vor andern der Conrector Weißer sein Vertrauen erweckt. Dieser versuchte es, in seine Stimmungen einzugehen und sie zu leiten. So waren Beide miteinander bekannter geworden, und Ludwig sprach bisweilen dem ältern Manne gegenüber seine Gefühle rücksichtlos aus. „Seit einiger Zeit“, klagte er einmal zu Weißer, „fühle ich mich tief in innerster Seele bewegt. Tausend verschiedenartige Gedanken erfüllen mich. Wechselnde Gefühle und Leidenschaften stürmen auf mich ein, neue bedeutende Eindrücke machen sich geltend, deren ich vergeblich Herr zu werden suche. Von alle dem fühle ich mich so betäubt, ich bin so unruhevoll, so friedlos! Es war doch eine schöne Einrichtung des Mittelalters, daß man dem verwirrenden Lärm der Welt entfliehen konnte! Man ging in ein Kloster und war von allen Sorgen der Welt befreit. Welche tiefe Ruhe muß es geben, einem großen Gedanken das ganze Leben zu widmen, in ihn alle andern, die uns tausendfach quälen, versenken zu können! Ich wünschte, auch wir hätten unsere Klöster!“ So schloß er seine Rede voll tiefer Bewegung. Mit stummem Erstaunen hatte ihn Weißer angehört. Endlich platzte er heraus: „Tieck, für dieses eine Wort verdienten Sie gehängt zu werden!“ Soweit er sich auch mit der Empfindungsweise seines Schülers vertraut gemacht hatte, diese katholisirende Versündigung am gesunden Menschenverstande war ihm doch zu stark. Sein ganzer Aufklärungseifer erhob sich dagegen; nicht entschieden genug glaubte er dergleichen Grillen abweisen zu können. Abermals war Ludwig wie vernichtet. Das Wort erstarb ihm auf der Zunge. Im überwallenden Gefühle hatte er sich geäußert, und so roh und verletzend konnte ihm der Mann entgegentreten, der ihn sonst noch am meisten zu verstehen pflegte. Solche Erfahrungen scheuchten ihn immer mehr in sich selbst zurück, und allmälig bildete sich in jener finstern Versunkenheit eine gewisse überlegene Ironie gegen seine Umgebung aus, welche sich mit so großer Sicherheit und Behaglichkeit in ihren Grenzen bewegte. Natürlich wäre es gewesen, eine so in Verzweiflung ringende und kämpfende Seele auf Religion und Glauben zu verweisen, und gerade jetzt in dieser Zeit, wo Ludwig als selbständiges Mitglied in die Gemeinde eintreten sollte. Aber was er hier zu erwarten hatte, sah er an seinem Lehrer, der selbst ein Theolog war, und in das Predigtamt überzugehen gedachte. Was hatte dieser auf jenen Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach Frieden zu erwidern gewußt? Er hatte ihm statt des Brotes einen Stein gereicht! Der Unterricht des Geistlichen, der ihn auf die Einsegnung vorbereiten sollte, des Predigers Lüdecke an der Petrikirche, ging spurlos an ihm vorüber. Dieser, ein wohlwollender, freundlicher, aufgeklärter Mann, hatte von den Seelenzuständen seines Schülers keine Ahnung. Er trug die Glaubenslehre nach seinen Grundsätzen vor und ließ es damit genug sein. Ludwig sah in dem ganzen Verfahren nur eine herkömmliche Form, die einmal innegehalten werden mußte. Im Unterrichte selbst half ihm seine leichte Auffassung und die Bibelfestigkeit, welche er sich als Kind erworben hatte. Niemand wußte besser Bescheid in der Bibel als er, und konnte die verlangten Sprüche geläufiger hersagen. Wurde er nicht in dieser Weise in Thätigkeit gesetzt, so hing er seinen Gedanken nach. Aber in dieser Verzweiflung ward ihm doch ein Trost zu Theil, der gerade in den schmerzlichsten Augenblicken wie ein milder Thau auf die Glut niederfiel, die ihn verzehrte. Er fand ihn in der Natur. Es war ein nicht minder tiefer Zug seiner Seele, der ihn zur Natur, in die geheimnißvolle Stille ihres Lebens führte. Auch hier fühlte er sich einem mächtigen und dunkeln Zauber hingegeben, der alle seine Sinne bewältigte, und ihn mit unwiderstehlicher Kraft in Busch und Wald und in die Mondnacht hinaustrieb. Wie hätte er widerstreben können, da hier eine geheime Gewalt den Bann, welcher auf ihm lastete, zu lösen schien! Stunden lang konnte er auf einsamen Wegen in den wildern Gegenden des Thiergartens umherirren. So einfach dieses Naturleben auch war, dennoch konnte er bis zur Selbstvergessenheit darin versinken. Hier, in der Abgeschiedenheit des Waldes, unter rauschenden Bäumen, wenn im dämmernden Zwielichte zerrissene Wolkengestalten durch die Wipfel herniederblickten, wo nur der Ruf eines einsamen Vogels die tiefe Stille unterbrach, hier war er freier, er lauschte auf den Athemzug der Natur, er fühlte in ihr ein verwandtes Herz schlagen. Allein mit den ersten reinsten Kräften des Lebens vergaß er sich selbst und der Larven, welche ihn ängstigten. Träumerisch lag er im Grase, die Sonne ging hinter den Bäumen unter, und er konnte unter dem Nachthimmel den Morgen heranwachen, bis der feuchte Thau seine Kleider überzog, ihm erstarrend in die Glieder drang und kalte Schauer ihn erweckten. Diese einsamen Spaziergänge wurden allmälig zu kleinen Fußreisen. Allein durchstrich er die Flächen, in denen Berlin liegt. Die Einförmigkeit, welche die Natur hier zeigt, störte ihn nicht; er lebte doch in ihr. Er wanderte nach den benachbarten Dörfern, er rastete in den ungastlichen märkischen Krügen, er fühlte keine Entbehrungen. Tage lang streifte er allein, in Wind und Regen, in den öden Kiefernhaiden umher. Tröstend gesellte sich zur Natur die Poesie. Abermals griff Goethe in Ludwig’s Leben ein. Diesmal war es der „Faust“. In Reichardt’s Bibliothek hatte er das 1790 erschienene Fragment des „Faust“ gefunden. Er wohnte damals auf einige Zeit bei Reichardt. Es war spät Abends, als er im Bette liegend zu lesen begann. Mit Jubel rief er seinem Freunde Hensler zu, er müsse ihm eine Dichtung Goethe’s vorlesen, welche in aller Literatur ihres Gleichen nicht habe. Er begann, doch bald hörte er den Freund laut schnarchen. Mit gespanntester Erwartung, mit stockendem Athem las er weiter. Die ersten Monologe, die Erscheinung des Erdgeistes, wie groß, wie übermächtig war das Alles! Und doch wieder wie rein menschlich! Waren nicht ähnliche Gedanken und Zweifel auch durch seine Seele gegangen? Es zuckte ihm durch alle Fibern und Nerven. Ein voller Mondstrahl fiel durch das Fenster. Sah er nicht auch auf seine Pein? Eine unendliche Sehnsucht ergriff ihn, das Zimmer wurde ihm zu eng. Er sprang aus dem Bette, er stürzte hinaus in den Garten. Im hellen Mondenlichte streifte er ruhelos zwischen Bäumen und Hecken umher. Vergeblich rang er danach, dieser Eindrücke Herr zu werden. Da graute der Morgen. Ermattet, in traumhaftem Zustande kehrte er zu dem schlafenden Freunde zurück. Auch schien der böse Geist vor den Klängen der Dichtung zurückzuweichen. Wenn er zu irgendeinem Gedichte griff, welches sonst Eindruck auf ihn gemacht hatte, so fühlte er, wie die dumpfe Bewegung in seinem Innern sich legte, und Ruhe und Gleichgewicht der Kräfte kehrten ihm auf einige Zeit wieder. Nicht anders, wenn er Selbstbeherrschung genug gewann, um sich selbst dichterisch auszusprechen. Dann war er wieder mit sich eins. Hier war es, wo die Wurzeln seines Lebens lagen. Wie ein mildes, versöhnendes Licht war auch der Strahl der ersten Liebe in sein Herz gefallen. Sie zog ihn in das Leben zurück. Schon früher hatte er sich mit der vollen Leidenschaft eines jugendlichen Dichters Reichardt’s jüngerer Schwägerin, Amalie, zugewendet. Bald war die aufkeimende Neigung kein Geheimniß mehr. Reichardt sah und billigte sie, und der Bund der Herzen wurde geschlossen. 10. Dichter und Schriftsteller. Ein wichtiges Ereigniß für die kunstliebenden Freunde war es, als Reichardt’s Haus aufhörte, ihr Sammelplatz zu sein. Zuerst waren einzelne Glieder des Kreises ausgeschieden, jetzt löste er sich vollends auf, da er seinen Mittelpunkt verlor. Reichardt hatte in der letzten Zeit manche unangenehme Erfahrung gemacht. Er kam in den Verdacht revolutionärer Gesinnung, und das gute Einverständniß mit dem Hofe hörte auf. Verstimmt und seines Amts überdrüssig hatte er endlich den Abschied nachgesucht. Ohne ihn indeß förmlich erhalten zu haben, zog er sich auf seinen Landsitz in Giebichenstein bei Halle zurück, den er damals angekauft hatte. Sein Stiefsohn, Hensler, hatte sich Ostern 1791 ebenfalls dorthin begeben, um das juristische Studium zu beginnen. Durch Reichardt’s Abgang von Berlin verlor unter den Freunden keiner mehr als Ludwig. Für ihn schloß damit ein kurzer, aber inhaltsschwerer Abschnitt, in welchem sich sein Leben umgestaltet hatte. Reichardt hatte er Vieles zu danken. Durch ihn hatte er mittelbar oder unmittelbar eine vielseitige künstlerische Anregung erhalten in Poesie, Musik und dramatischer Darstellung, sein Geschmack hatte sich geläutert, an Urtheil hatte er gewonnen. Er begann die Künste und künstlerisches Leben zu überblicken, und mit Sicherheit auf diesem Gebiete sich zu bewegen. Im Vergleiche mit dem Reichthume des Lebens, den er in jenem befreundeten Hause gefunden, war jetzt eine fühlbare Leere eingetreten. Auch Amalie Alberti hatte Berlin verlassen, um zu ihren Verwandten nach Hamburg zurückzukehren. Die Zahl der Freunde, mit denen er früher lebte, war zusammengeschmolzen. Aber schon bereiteten sich neue Verhältnisse vor. Ein Jüngling, der sich mit glänzenden Gaben über die Menge der Genossen erhob, mußte Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit werden, und eine reiche Natur, wie die seine, welche bei allen Anfechtungen das tiefste Bedürfniß geistigen Verkehrs und der Mittheilung hatte, konnte sich auf die engen Grenzen eines einseitigen Umgangs nicht beschränken. Er suchte und wurde gesucht. Wichtig war es, daß er jetzt Freunde fand, welche seinen Beruf nicht nur anerkannten, sondern ihn auch in die Literatur einführten. Er hörte auf, ein versuchender Schüler zu sein, als Dichter und Schriftsteller trat er auf. Unter den Kämpfen, die er zu bestehen hatte, war nicht nur der Mensch, auch der Dichter war in ihm gewachsen und gereift. Sein Dichten war der unbefangene Ausdruck der Natur; es war etwas Ursprüngliches, aus tiefster Lebensquelle kam es herauf. Er war frei von jeder Absicht, und ließ es mehr geschehen, als daß er es gemacht hätte. Jetzt hatte er eine klare Einsicht in sein Thun gewonnen, er begann die Poesie als eine innere Nothwendigkeit zu erkennen, sie schien sich zur Lebensaufgabe zu gestalten. Mit unendlicher Leichtigkeit dichtete er. Mit dem eigenen Triebe, der ihn nicht ruhen ließ, verbanden sich äußere Aufforderungen. Rasch wuchsen ihm unter den Händen die verschiedensten Gebilde empor, ohne daß er selbst ihnen einen besondern Werth beilegte. In den Stunden tiefer Schwermuth hatte ihn diese Kraft vom Rande der Verzweiflung zurückgezogen. Die Poesie war ihm nicht blos Lust, sondern auch Trost, sie hatte ihm Ruhe und Sammlung gegeben. Hatte er die innere Freiheit soweit errungen, seine Phantasie zu beherrschen, statt sich von ihren Larven angstvoll aus einem Schrecken in den andern jagen zu lassen, dann strömten ihm Bild, Wort, Vers in reichster Fülle zu. Alle Farben ließ er mit gleicher Leichtigkeit spielen. Er malte jenes Grausen, in dem er selbst erbebte, oder er eilte den muthwilligen Sprüngen seiner humoristischen Laune nach, oder willig und gern verlor er sich in den Irrgängen des phantastischen Märchens. Unter allen Formen, in denen er sich versuchte, blieb ihm die dramatische die anziehendste und willkommenste. Selbst die Stoffe, welche ihm die Schule darbot, kleidete er in dieselbe ein. Manche Dichtung verdankte ihre Entstehung dem unbescheidenen Drängen seiner Mitschüler, die nicht müde wurden die Hülfe des gutmüthigen Genossen für die verzweifelten deutschen Arbeiten in Anspruch zu nehmen, und sich kein Gewissen daraus machten, mit erbetteltem Ruhme zu prunken. Der Willigkeit seines Genius gewiß, überließ er sich dann dem Zuge desselben getrosten Muthes. Oft ward ihm erst während des Schreibens klar, wohin er geführt werde, und die eilende Feder vermochte den raschfließenden Versen kaum nachzukommen. Und keineswegs war es das Unbedeutendste, was auf diese Weise entstand. Wie es im ersten Entwurfe niedergeschrieben war, blieb es in der Regel; spätere Veränderungen waren selten Verbesserungen. Als er in der Zeit der politischen Aufregung Linguet’s „Geschichte der Bastille“ gelesen hatte, gab ihm dies Veranlassung zu einer kleinen dramatischen Dichtung, in welcher er die Erhebung des Volks, den Bruch der Fesseln und den Sturz der tyrannischen Mauern in begeisterter Rede verkündigen ließ. In andern finstern Gemälden stellte er seine Zweifel und Kämpfe dar, oder er versuchte sich auch, doch mit geringerer Neigung, in antiken Stoffen und Versmaßen. Am mächtigsten aber wirkte Shakspeare ein, den er zu lesen und zu studiren nicht müde wurde. Erst unter dem Einflusse dieser Sonnenstrahlen schien sich die eigene Kraft ganz zu entfalten. Shakspeare war ihm Vorbild und Lehrer, Dichter und Gedicht zugleich. Ihn verherrlichte er schon im Jahre 1789 in einigen dramatischen Scenen, in denen er anknüpfend an den „Sommernachtstraum“ die Weihe des Dichters schilderte, wie es selbst nur der Dichter vermag. Denn vornehmlich waren es die wunderbaren Zauberspiele Shakspeare’s, die seine Phantasie erfüllten. Der „Sturm“ mochte ihm bei einem dramatischen Feenmärchen: „Das Reh“, vorgeschwebt haben, welches er 1790 für seinen wenig zuverlässigen und begabten Schulgefährten Schmohl mit gewohnter Gutmüthigkeit in kurzer Zeit geschrieben hatte. Demselben gab er 1791 die ersten Capitel des „Abdallah“. Und gerade diese Dichtung gehörte ihm am eigenthümlichsten, denn sie war ein Ausfluß seiner trüben und verzweiflungsvollen Stimmungen. Schon früher hatte er diese in mehr gemäßigter Weise in dem Idyll „Almansur“ darzustellen versucht, und mit dem Ergebniß abgeschlossen, daß die Rettung vor dem Zweifel nur im Verzichten auf das Wissen liege. In beiden Erzählungen hatte er den Osten zum Schauplatz seiner grausigen Phantasien gemacht. Dieser galt einmal für das Land der Wunder und Märchen. Was die Aufklärung auf dem heimischen Boden als Trug verlachte, hörte sie in den Wüsten und unter den Palmen des fernen Asien gläubig an. In dieser Welt einer vollen und üppigen Natur und uralten Weisheit verweilte er gern. Seine Belesenheit hatte ihn hier heimisch gemacht. Wie er sich als Kind dem Zauber orientalischer Feenmärchen überlassen hatte, so waren später die Reisebeschreibungen von Mandelsloh und Olearius und Sadi’s „Rosenthal“ seine Lieblingsbücher geworden. Aus ihnen machte er sich den bilderreichen Ton, die phantastischen Wunder des Orients zu eigen. So entstand in den ersten Grundzügen schon auf der Schule jenes schaurige Nachtgemälde „Abdallah“, das seinen Dichterruf begründen sollte. Eine eigenthümliche Ironie war es, daß gerade diese Dichtung, die in der Verwegenheit des Zweifels und im gewaltigen Schwunge der Phantasie Schiller’s „Räubern“ sich nähert, zuerst den Namen eines phantasielosen Gesellen trug, der dadurch bei Lehrern und Mitschülern den Ruf eines Genies und starken Geistes erlangte. Mit unverschämter Einfalt prangte er unter Ludwig’s Augen mit den Federn, welche er von ihm erborgt hatte. Gutmüthig ironisch lachte dieser der gelungenen Täuschung, besonders als er hörte, daß Rambach, für dessen Stilstunden diese Arbeit angefertigt war, sich mit zuversichtlicher Miene habe vernehmen lassen: „Was wollen Tieck’s Arbeiten im Vergleich mit denen von Schmohl sagen! Gegen die kommen sie gar nicht auf.“ Der Neigung, seine Gedanken und Empfindungen mitzutheilen, folgte er auch darin, daß er Andere zu dichterischen Versuchen aufforderte. Geselligkeit war für ihn Bedürfniß, sobald seine Seele frei und unumwölkt war. Nichts war ihm lieber, als mit Andern gemeinschaftlich zu arbeiten, eine Aufgabe zu haben, die er im Verein mit einem Freunde zu lösen suchte. Seine Dichterlust ging dann auf diesen über. Mittelmäßige Köpfe gewannen in seiner Nähe an Zuversicht und Selbstvertrauen; auch er glaubte an ihren Beruf, und konnte gutmüthig genug für ursprüngliches Feuer halten, was nichts als der Widerschein seines eigenen war. So hatte er seinen trockenen und nüchternen Freund Piesker für den Plan, ein großes Trauerspiel gemeinschaftlich zu bearbeiten, mächtig begeistert. Dieser, von dem Anstoße des begeisterten Freundes fortgerissen, mühte sich redlich ab, dem guten Glauben Ehre zu machen. Als beide einst auf dem Schlosse Fredersdorf zusammen waren, fanden sie in der Hausbibliothek Rapin de Thoyras’ „Geschichte von England“. Wie glücklich waren sie, als sie hier die Geschichte der Königin Anna Boleyn in breiter Ausführlichkeit lesen konnten! Gab es für ein Trauerspiel in großem Stile eine bessere Heldin als eine junge, schöne, tugendhafte Königin, welche als Opfer der Hinterlist und tyrannischer Eifersucht fällt? Sogleich entwarf man den Plan der Tragödie, und theilte die Arbeit. Ludwig sollte die leidenschaftlichen Scenen ausführen, Piesker übernahm die Stellen, wo mehr kalte Berechnung hervortreten sollte. Indeß verließ der Freund bald darauf Berlin, und so blieb das wunderliche Werk unvollendet. Um diese Zeit schloß er sich einigen jungen Männern reiferen Alters an, die bereits als Lehrer am Werderschen Gymnasium angestellt waren, und zu deren Schülern er selbst gehörte. Der Unterschied der Jahre und die Schranken der Schule verschwanden vor der ausgleichenden Kraft des Genies, das im Augenblicke eroberte, was Andere mühselig erwerben mußten. Diese jüngern Lehrer hatten sich bereits unter den Einflüssen der Literatur herangebildet, welche auch seine Richtung bestimmte. An Goethe, an die neue Philosophie schlossen sie sich an. Die engen Schranken im Wissen und Leben sollten fallen. Beides sollte nicht mehr durch eine steife und ängstliche Stubengelehrsamkeit getrennt werden, es sollte sich vielmehr durchdringen. Es war der Gegensatz des jüngern Geschlechts, das erobern will, gegen das ältere besitzende, welcher Ludwig diesen Männern zuführte. Dagegen lösten sich die nähern Verhältnisse zu den frühern Lehrern auf. Der Subrector Stilke, dessen Zucht Ludwig in den ersten Schuljahren erfahren hatte, war seit längerer Zeit Prediger in Ruhlsdorf bei Berlin. In alter Anhänglichkeit hatte er ihn mit einigen Gefährten bisweilen auf seiner Pfarre besucht. Mit humoristischem Behagen fand er, daß er noch immer der Alte sei. In weinerlich-näselndem Tone klagte der wunderliche Mann über das Kreuz und die Plagen der Welt, die Verfolgungen schlechter Menschen, die ihn seiner Frömmigkeit wegen träfen. Auf die Bemerkung, daß das Kreuz ihm wohl zu bekommen scheine, da er ja an Leibesfülle ansehnlich zugenommen habe, antwortete er: „Ach, liebe Freunde, das thue ich allein meiner theuern Gemeinde wegen.“ Bei diesen Worten zog er ein Polsterkissen hervor, welches er unter die Weste zu knöpfen pflegte, um sich ein ehrwürdiges Ansehen zu geben. Zu den jüngern Lehrern, denen Ludwig schon früher nähergetreten war, gehörte der geistvolle Uhden, der eine Zeit lang den geschichtlichen Unterricht in der obersten Classe ertheilte, dann Rambach und Bernhardi. Beide waren im Laufe des Jahres 1791 Mitglieder des von Gedike geleiteten Seminars für gelehrte Schulen geworden, und hatten als solche eine Anzahl von Lehrstunden am Werderschen Gymnasium übernommen. Zunächst wurde der Verkehr mit Rambach für ihn erfolgreich. Ohne gründliches Wissen zu besitzen, hatte sich dieser der Literatur und den Alterthumswissenschaften zugewendet, es aber bald anziehender gefunden, sein Talent einer leichten und oberflächlichen Darstellung in der Schriftstellerei für die eben beliebte Unterhaltung geltend zu machen. Voll von Plänen und Entwürfen, beweglich, nicht ohne Phantasie, aber innerlich seicht, schrieb er mit stets bereiter Feder, was man irgend verlangte, Romane, Dramen, Schauergeschichten und Festspiele. Auf dem Gymnasium ertheilte er deutschen Unterricht in der obersten Classe in einer Weise, die ihm die bequemste war, ihn aber den ältern Lehrern als einen dilettantischen Neologen verrieth. Er las nämlich die neuesten Gedichte vor. Als Gedike ihn einst in der Lehrstunde Schiller’s „Künstler“ vorlesen hörte, konnte er eine laute Aeußerung des Misfallens nicht unterdrücken; er hielt das für Allotrien. Aber gerade dies brachte Rambach seinen Schülern näher. Auch fand es großen Beifall, daß er ihnen in der Art der schriftlichen Arbeiten freie Hand ließ, und ihnen sogar die Aufgabe stellte, diesen oder jenen Stoff dramatisch zu behandeln. Das war ja das Feld, auf welchem man sich am liebsten bewegte und am meisten zutraute. In einem Stücke des „Deutschen Museum“ las man damals mit vielem Antheil die Geschichte eines Insulanerhäuptlings von Manilla, der in die Hände spanischer Jesuiten gefallen war. Rambach hielt diesen Stoff für eine dramatische Bearbeitung sehr geeignet. Ob der Schluß versöhnend oder tragisch gewendet werden solle, überließ er der dichterischen Erfindungskraft seiner Schüler. Der Gegensatz natürlicher Unverdorbenheit und verfeinerter Bosheit und roher Glaubenswuth verfehlte seinen Eindruck nicht, und Ludwig brachte in kurzer Zeit sein dreiactiges Schauspiel „Allamoddin“ zu Stande. Im Sinne der Zeit, welche in dem Naturzustande wilder Völker das Urbild der Unschuld und Tugend fand, machte er den Häuptling zum Träger naturalistischer Ansichten in Religion und Politik, wie sie in Berlin galten, und ließ das ferne Suhlu in der Südsee als eine Freistatt vor europäischer Verderbtheit erscheinen. Rambach war durch die Sicherheit und Leichtigkeit der Behandlung überrascht. Geschmeichelt, unter seinen Schülern solche Talente zu haben, versprach er das Schauspiel an Schröder zu senden, und ihn für dessen Darstellung auf der Bühne zu gewinnen. Während diese Versprechungen vergessen wurden, hatte indeß die beginnende Freundschaft mit Rambach andere nicht unerhebliche Folgen. Lehrer und Schüler verkehrten bald auf gleichem Fuße miteinander. Ohnehin war dieser nur um fünf Jahre jünger als jener. Rambach erkannte Ludwig’s Gewandtheit und Gutmüthigkeit, und machte ihn zu seinem literarischen Vertrauten. Zunächst leitete er ihn zu allerlei Dienstleistungen an, die jenseit der Grenzen der Schule lagen. Rambach’s Schnellfertigkeit in schriftstellerischen Darstellungen, die er unter eigenem Namen, einem angenommenen, oder auch namenlos erscheinen ließ, erregte das Erstaunen seiner Bekannten. Auf die Frage, wie er es denn möglich mache, soviel zusammenzuschreiben, hatte er, wie man sich erzählte, geantwortet: „Wenn ich einmal stecken bleibe, knirsche ich nur mit den Zähnen, und es geht wieder frisch weiter!“ Bei diesen Arbeiten wurde Ludwig zuerst als Schreiber angestellt. Er mußte die schnellaufschießenden, oft dickleibigen Manuscripte ins Reine bringen. Manche Stunde des Tages, ja der Nacht verwandte er darauf. Es machte ihm schon Vergnügen, ein zierlich geschriebenes Heft dieses Inhalts herzustellen. Bald sah der Meister, daß er die Kräfte des Jüngers angemessener und vortheilhafter nutzen könne, wenn er ihn an seinen Arbeiten selbständig theilnehmen lasse. Derbe, handfeste Stoffe liebte das große Publicum. Die Leser mußten sich gewaltig erregt, und ihre Nerven von Schrecken und Schauern aller Art durchbebt fühlen, wenn sie mit dem Beifall freigebig sein sollten. Je abenteuerlicher das Gräßliche auftrat, desto besser; nach dem Ganzen pflegte man nicht viel zu fragen. In diesen Verzerrungen wirkten die misverstandenen Vorbilder, der „Götz“, „Die Räuber“, „Der Geisterseher“ fort. Ritterromane verlangte man, die vom Sporngeklirr und dem Gepolter deutscher Kraft und Biederkeit widerhallten, in denen der mannhafte Ritter, wenn er nüchtern ist, in die Netze des Pfaffentrugs und der Weiberlist mit eiserner Faust hineinschlägt. Nicht minder waren Räubergeschichten beliebt, gleichviel ob erfunden, oder aus den Criminalacten entlehnt. Es erschien irgendein heruntergekommener und ausgestoßener Held, der wie Karl Moor sich berufen fühlte, die Menschheit an der Menschheit zu rächen. Hier gab es Beiträge zur Erfahrungsseelenkunde. Als merkwürdige psychologische Erscheinungen wurden Gauner und Spitzbuben studirt, und zu großen Männern gestempelt, denen die Verkehrtheit der bürgerlichen Einrichtungen keinen freien Spielraum gönne, und sie aus der Heldenbahn in die nah angrenzenden Diebeswege hinüberdränge. Nur wenig fehlte, und auch dieser Räuber wäre ein Alexander, ein Cäsar geworden. Nicht an ihm lag es, wenn er es nicht ward. Eine seicht moralisirende Pragmatik gefiel sich darin, die welthistorischen Personen als Räuber im Großen, und wirkliche Räuber als Helden im Kleinen darzustellen. Oder endlich Magier und Zauberer, geheime mystische Orden, im Finstern schleichende Mächte mußten ihr räthselvolles Spiel entfalten. Je nach Umständen beschützen sie wie Sarastro in der „Zauberflöte“ die Tugend, und wirken in unterirdischen Kellern für Menschenwohl, oder mit sinnverwirrenden Spielen und trügerischen Künsten umgarnen sie ihr ahnungsloses Opfer von fernher. Hier spiegelten sich die Einwirkungen der Freimaurer, der Rosenkreuzer, Goldmacher und Geisterbeschwörer mit ihrer Geheimnißkrämerei wider, der Cagliostro, Schröpfer und Anderer, die mit kecker Stirn behaupteten, ihre Geheimlehren und Kräfte von den Pyramiden Aegyptens unmittelbar hergeholt zu haben. Hier, so träumte man, sollte sich eine uralte Mystik erhalten haben. Man schien der gepriesenen Aufklärung müde zu sein, und den Glauben abgethan zu haben, um sich einem plumpen Aberglauben kopfüber in die Arme zu werfen. Die Phantasie mußte aus einem Schrecken in den andern hineingehetzt werden, gleichviel ob durch Spuk oder Blut. Die zahmgewordenen Schrecken der Revolution schienen sich in der deutschen Unterhaltungsliteratur festgesetzt zu haben. Aber wenn eisige Schauer den Rücken des Lesers hinabglitten, dann fühlte er mit doppeltem Genusse das Glück bürgerlicher Ruhe und Sicherheit. Außer Rambach arbeiteten in diesem Fache noch viele Schriftsteller, und mit mehr Erfolg als er. Da gab es die Rittergeschichten von Spieß und Schlenkert, von Veit Weber, Cramer und Feßler; die Spuk- und Schauergeschichten von Meißner und Große, der die grobe Täuschung so weit trieb, vor dem Publicum als spanischer Marquis Vargas oder gar Marquis Große, selbst den Geheimnißvollen zu spielen. Auf diesen Geschmack war ein Buch berechnet, das 1790 im Himburg’schen Verlage unter dem Titel erschien: „Thaten und Feinheiten renommirter Kraft- und Kniffgenies.“ Es enthielt eine Auswahl von Lebensbeschreibungen bekannter Diebe und Räuber, zu der verschiedene Verfasser beitrugen, es aber gerathen fanden, sich nicht zu ihren Helden zu bekennen, und ihre Namen zu verschweigen. Rambach hatte es übernommen, die Geschichte des berüchtigten Wilddiebes und Räubers Matthias Klostermayer, genannt der Bairische Hiesel, zu bearbeiten. Dieser hatte nach dem Siebenjährigen Kriege in Baiern und den angrenzenden reichs- und stiftsländischen Gebieten ein vollkommen eingerichtetes Raubhandwerk getrieben. Als Rächer und Schützer gegen drückende Forstgesetze war er ein Liebling des Landvolks geworden. Die Geschichte seines Räuberlebens war als Volksbuch durch Deutschland gewandert, und hatte einen beliebten Stoff für die Puppentheater geliefert. Nun sollte für die Leser von Fach ein schmackhaftes Gericht daraus bereitet werden. Das nächste Vorbild, welches man hier hatte, war Schiller’s „Sonnenwirth“. Rambach unterließ auch nicht, den Hiesel zu einem Helden zu stempeln. Er nahm den Mund nicht wenig voll. Er erklärte ihn für einen Wilddieb aus Grundsätzen, einen Verbrecher durch die Einrichtung des Staates, und naseweis hofmeisterte er die Vorsehung, daß sie aus diesem Stoff, der zu einem Alexander ausreichend gewesen wäre, nur einen Straßenräuber gemacht habe. Doch er selbst vermochte nur die ersten Capitel zu Stande zu bringen, die er Ludwig in die Feder gesagt hatte. Dann ward er der Arbeit müde, und fand es bequemer, die Fortsetzung seinem Gehülfen auf eigene Gefahr zu überlassen. Dieser mußte nun dem weitschweifigen Volksbuche, das aus endlosen Berichten stets wiederkehrender Diebereien und Raufereien bestand, Schritt vor Schritt nachgehen, und lieferte eine Erzählung, welche die eintönige Weise des Vorbildes ziemlich getreu wiedergab. Da hier Geschichte geschrieben werden sollte, so war eine freie Bewegung nicht erlaubt. Mit großem Ernst hielt er bei diesen rohen und widerwärtigen Auftritten die Miene des Menschenkenners und psychologisirenden Geschichtschreibers fest. An einer Stelle suchte er gar durch eine kühne Vermuthung wahrscheinlich zu machen, daß Schiller’s Sonnenwirth seine ersten Studien unter dem Bairischen Hiesel gemacht habe. Mit Selbstverleugnung führte er die lästige Aufgabe glücklich durch. Nur auf der letzten Seite konnte er es sich nicht versagen, hinter der steifen Maske ironisch lächelnd hervorzusehen. Er schloß mit der Versicherung, daß ihm mit der Beendigung dieser Hieseliade ein schwerer Stein vom Herzen falle, denn es sei ihm sauer genug geworden, diesen Kerl als Helden darzustellen. „Warum? Weil er nichts mehr und nichts weniger war als ein Spitzbube!“ Mit diesem Epigramm stieß er die gespreizten Reden Rambach’s über den Haufen, und übte eine scharfe Kritik des ganzen Buchs aus. Rambach war mit der gelieferten Arbeit zufrieden, dachte aber nicht daran, seinem Zöglinge das Honorar zu überlassen. Dagegen hatte Ludwig die Genugthuung, in einem kritischen Blatte zu lesen, daß dieser letzte Abschnitt des Buchs (der zweite Theil war 1791 erschienen) einen gewandten Schriftsteller verrathe. Gleichzeitig schrieb Rambach einen Schauerroman: „Die eiserne Maske“, den er 1792 unter dem Namen Ottokar Sturm herausgab. Hier benutzte er noch einmal die schon erkaltende Vorliebe für Ossian, und verlegte die modernen Schreckensscenen in die Felsenthäler und Nebel Hochschottlands. Die eiserne Maske, eine Art Panzer, in den die Menschen wie in einen Kasten hineingesteckt werden, trieb unter Ossian’s Heldengestalten Toskar, Carno und Ullin ihr spukhaftes Wesen. Rambach’s Schreckensmaschinerien spielten bis zum letzten Capitel. Hier ermüdete er und überließ es Ludwig, den Schluß hinzuzufügen. Er sagte ihm: „Ich habe mich in Erfindung und Darstellung des Gräßlichen so erschöpft, daß ich nichts weiter zu sagen weiß. Mögen Sie einmal Ihr Heil versuchen.“ Ludwig setzte eine Nacht daran und beendete den Roman. Es galt Ryno, den Bösewicht, in den Folterqualen des Gewissens, und seinen verzweifelten Untergang zu schildern. Wie überflügelte hier der Schüler den Lehrer! Während sich dieser nur auf die gewöhnliche Decorationsmalerei des Schreckens verstand, die auf den groben Eindruck berechnet war, entfaltete jener eine Welt des Grausens, in die er selbst hineingeschaut hatte. Dieselbe Ueberlegenheit zeigte sich auch in einigen eingeschalteten lyrischen Gedichten, in denen er bis zur vollen Wirkung den Ton Ossian’s getroffen hatte. In ähnlicher Weise suchte ein anderer jüngerer Lehrer, Seidel, sich Ludwig’s Kräfte dienstbar zu machen. Dieser, der ebenfalls als Seminarist am Werderschen Gymnasium unterrichtete, war sein Lehrer im Englischen gewesen. Die Sprache Shakspeare’s mußte Ludwig kennen lernen, das schien ihm Pflicht. Sobald als irgend thunlich, war man zum „Macbeth“ übergegangen. Diesen wußte er nach Eschenburg’s Uebersetzung fast auswendig, sodaß er zweifelhaft ward, ob er das Verständniß seinen Fortschritten, oder seinem Gedächtniß zu danken habe. Seidel übersetzte damals Middleton’s „Leben des Cicero“. Die beiden ersten Bände hatte er bearbeitet. Auch er ermüdete und überließ seinem Schüler die Vollendung, sobald er ihn sicherer geworden sah. Doch erschienen die letzten Bände erst 1793. Aber wichtiger noch ward die Verbindung mit Bernhardi. Nur um drei Jahre älter als Ludwig, hatte er dessen ausgezeichnetes Talent bald herausgefunden, und war rasch mit ihm vertraut geworden. Er war einer der eifrigsten Vorkämpfer des jüngern Geschlechts. In Halle war er für die Philologie durch F. A. Wolf angeregt worden, er wandte sich Fichte’s neuer Philosophie zu, und war ein begeisterter Bewunderer Goethe’s. Er besaß Scharfsinn, den er in wissenschaftlichen Untersuchungen und Kämpfen oft siegreich bewährte. Spott und treffender Witz standen ihm zu Gebote, und machten ihn zu einem ebenso gefürchteten Gegner als beliebten Unterhalter. Mit Leichtigkeit wußte er sich auf den verschiedensten Gebieten des Wissens zurechtzufinden, und durch geschickte Anwendung zu verdecken, was ihm an gelehrten Kenntnissen abging. Er liebte Laune, Ironie und Mystification, und konnte mit Nachdruck und Anstrengung arbeiten, um hinterher eben das zu verspotten, woran er seine ganze Kraft gesetzt, und nicht minder diejenigen, welche daran geglaubt hatten. Gewandt und überlegt wußte er sich in die verschiedensten Stimmungen zu versetzen; stets blieb er Herr der Form, auch in der Rede und Schrift, und wußte für sich zu gewinnen und zu blenden. Damals von Bernhardi aufgesucht, durch die Hingebung an die neue Literatur mit ihm verbunden, sah ihn Ludwig fast täglich, und sie theilten einander mit, was sie im Augenblicke bewegte. War der Eine der Begabtere, so wurde das durch die größere Durchbildung und den schärfern Blick des Andern für jetzt aufgewogen, und beide fanden in diesem Verkehr ihre Befriedigung. 11. Der Abschied. Ludwig gehörte kaum mehr der Schule an. Die Schranke, welche ihn von seinen Lehrern trennte, war zum Theil durch einen gleichstellenden Umgang aufgehoben, er selbst hatte sich als Schriftsteller versucht. Die Lehrjahre waren abgelaufen; er konnte freigesprochen werden. Vier Jahre hatte er in der obersten Classe der Lehranstalt zugebracht. Es waren vielleicht an innerer Entwickelung die reichsten seines Lebens. Als Knabe war er eingetreten, jetzt war der Dichter des „Abdallah“ und „Lovell“ vollendet. Die meisten seiner Freunde hatten die Schule früher verlassen. Nur Wackenroder war ihm noch geblieben. Endlich schickten sie sich an, Ostern 1792 als sogenannte Abiturienten das Gymnasium zu verlassen. Zu besonderer Auszeichnung hatte Gedike die feierliche Abschiedsrede, in welcher der scheidende Zögling seine Pietät gegen die Lehranstalt auszusprechen pflegte, Wackenroder übertragen. So natürlich ein solcher Dank war, so widrig erschien der Ton persönlicher Schmeichelei, der in diesen Reden üblich geworden war. Ludwig hatte seinem Freunde gesagt, er werde es hoffentlich verstehen, seine Dankbarkeit anders auszusprechen. Es sollte von den Verdiensten der Griechen um die Wissenschaften geredet werden, und wirklich suchte Wackenroder in seinem Entwurfe einfachere und natürlichere Ausdrücke des Dankes zu gebrauchen. Wie aber erstaunte er, als er sah, daß Gedike, dem er die Rede zur Censur überreicht hatte, die herkömmlichen Wendungen und Lobpreisungen mit eigener Hand eingeschaltet hatte. Dem Willen seines Vaters gemäß mußte Wackenroder einen Bildungsgang einschlagen, der nicht der gewöhnliche war. Er sollte die Rechte studiren, obwol seine volle Neigung der Kunst gehörte. Alles, was mit dieser zusammenhing, ergriff er mit tiefster, sehnsüchtigster Innigkeit, während er sich den strengeren Wissenschaften gegenüber verschlossen zeigte. Darum mochte es dem Vater trotz Gedike’s glänzender Abschiedscensur gerathen erscheinen, ihn noch ein Jahr lang durch Privatunterricht für die Universität vorbereiten zu lassen. Neben dem juristischen Fache blieben die allgemeinen Wissenschaften nicht unberücksichtigt. Der Prediger Erduin Julius Koch, der gelehrte Kenner der altdeutschen Literatur und Verfasser des bekannten „Compendiums“, hielt Wackenroder Vorlesungen über deutsche Literatur, die für seine spätere Richtung von großer Bedeutung waren. Wenige Wochen vor Ablauf des neunzehnten Lebensjahres verließ Ludwig Gedike’s Schule. Das übliche Examen bestand er zur Zufriedenheit, ohne daß man ihm gerade ein glänzendes Zeugniß auf den Weg gegeben hätte. In der Mathematik hatte er auf jeden Erfolg verzichten müssen. Er hatte nicht einmal das Heft zu gebrauchen gewußt, mit welchem ihn seine Freunde, denen er so oft geholfen, ausgerüstet hatten. Man staunte über den höchst sonderbaren Weg, den er bei der Lösung der gegebenen Aufgabe einzuschlagen versucht hatte. Sobald Phantasie und Gefühl bei ihm hervortraten, war ihm die Mathematik ein lästiger Gegenstand des Unterrichts geworden. Dem allgemein Menschlichen gegenüber schienen ihm ihre Lehrsätze höchst gleichgültig und der innern Bedeutung zu entbehren. Dafür war er sonst um so vielseitiger. Er überschaute ein weiteres Feld des Wissens als seine Genossen. Die alte und neue Literatur hatte er durchstreift, seine Kritik mannichfach geübt, und sich ein sicheres Urtheil gebildet. Wie er einen scharfen Blick für die Erkenntniß des Schiefen und Hohlen hatte, so einen nicht minder tiefen für das wahrhaft Bedeutende und Große. Mit den Anfängen der Kunst hatte er sich vertraut gemacht und seine Kräfte in der verschiedensten Weise geübt. Und reich war er an innerer Erfahrung. Schon hatte er die Grenzen berührt, vor denen der menschliche Geist zurückweicht. Wie manchen Kelch des Schmerzes hatte er nicht geleert, wie oft zu sterben gewünscht! Auch darin war er als eine große Kraft ausgezeichnet worden. Früher und in vollerem Maße als viele Andere hatten schwere innere Leiden ihn betroffen, denn um einen nicht geringen Preis waren ihm die Gaben geworden, welche ihn vor Vielen erhoben. Aber jetzt war er dem Leben zurückgegeben, wenn ihn die vernarbenden Wunden auch noch oft schmerzten. Die Lust am Leben war am Ende doch mächtiger als die Bande finstern Trübsinns, die ihn rückwärts zogen in die schwarze Höhle. Waren nicht Dichtung und Kunst sein? Breitete ihm nicht die Natur die Arme entgegen? Auch war er reich an wohlmeinenden Freunden. Der frische, unverwüstliche Muth der Jugend stieg in ihm empor. Er konnte, er wollte leben, kämpfen, siegen. Jetzt verließ er das Vaterhaus, das ihn so lange treu geschirmt hatte. Verheißungsvoll lag die Ferne vor ihm, sie schien ihm zu winken, ihm glänzender als je zu zeigen, was er früher nur geahnt hatte. In ihr schien die Offenbarung des Geheimnisses, die Erfüllung der Wünsche zu liegen! Ihr eilte er voll Hoffnung und Jugendmuth entgegen, und wol mochte er mit seinem ausziehenden Sternbald rufen: „O Jugend! Du lieber Frühling, der du so sonnenbeschienen vorn im Anfange des Lebens liegst! wo mit zarten Aeuglein die Blumen umher, des Waldes neugrüne Blätter wie mit fröhlicher Stimme dir winken, dir zujauchzen! Du bist das Paradies, das jeder der spätgeborenen Menschen betritt, und -- das für jeden immer wieder von neuem verloren geht!“ Zweites Buch. Dichterleben. 1792-1800. 1. Halle. Katheder und Offenbarung. Es war im Frühlinge des Jahres 1792, als sich Ludwig Tieck auf dem Wege nach Halle befand. Mancher Kampf hatte noch bestanden, mancher schwere Entschluß gefaßt werden müssen, bevor er zum Wanderstabe greifen konnte. Endlich war auch das überwunden. Er fühlte sich frei und leicht, und wie die Thürme der Vaterstadt hinter ihm am Horizonte verschwanden, schienen die letzten Wolken des Kummers zu versinken. Frisch und wohlgemuth eilte er der Akademie und ihrer goldenen Freiheit in Leben und Wissen entgegen. Aber auch um der Freiheit zu genießen waren Beschränkung und Selbstverleugnung nothwendig, und nicht ohne Opfer war sie zu erkaufen gewesen. Um zu studiren ging Ludwig nach Halle. Wollte er akademischer Bürger werden und dessen Vorrechte ausüben, so mußte er sich für einen Beruf, für ein gediegenes Fachstudium entscheiden, er mußte eine Facultät wählen. Aber welche von allen vieren sollte es sein? Das war eine schwere Frage für ihn, der jeder äußern Bestimmung seiner geistigen Richtung widerstrebte, und sich stets ungehemmt, in eigenster Weise bewegen wollte. Seine Natur, das Persönliche wollte er frei ausbilden, und es nicht mit der Schere nach gewöhnlichem Maße zuschneiden lassen! Und nun sollte er studiren um des Brotes willen, um in einer fernliegenden Zeit leben zu können, sein Auskommen zu haben. Wußte er doch nicht einmal, ob er sie erleben werde! Wie kläglich erschien ihm ein solches Brotstudium! Wie grau und farblos war das Leben, wenn er an die alternden und verstaubten Candidaten dachte, die ihr kümmerliches Dasein durch das wissenschaftliche Handwerk fristeten, und armselig vom A-b-c lebten; oder an jene Geistlichen, die er kannte, welche ihr Amt wie eine Last trugen. Selbst wie mancher seiner Lehrer wäre am Ende lieber alles Andere gewesen als Schulmeister! Und wenn er ehrlich gegen sich selbst sein wollte, stiegen nicht ganz andere Wünsche in seinem Herzen auf? Noch immer sehnte er sich nach jener bunten Welt der Breter, welche ihn schon als Kind unwiderstehlich anzog. Er hatte gewünscht, allen Fachstudien den Rücken für immer zu kehren, und dem Theater ausschließlich zu leben. Oft glaubte er allein dafür Beruf zu haben, und in Augenblicken der Begeisterung traute er sich Kraft genug zu, als darstellender Künstler das Bühnenwesen umschaffen zu können. Das waren keine leeren Träume, keine eiteln Einbildungen, wie sie dem Alter der erwachenden Kunstbegeisterung leicht zu kommen pflegen. Er hatte, wenn auch nur in kleinen Kreisen, manchen Erfolg für sich aufzuzeigen. Reichardt hatte ihn ermuntert, vielleicht mit Absicht auf die Bühne hingeleitet. Endlich hatte er es gewagt, dem Vater seine Wünsche anzudeuten. Soviel Theilnahme dieser aber dem Theater zuwendete, so sträubte sich doch der Stolz des Bürgers dagegen, seinen Sohn unter den unmoralischen Komödianten zu wissen, oder gar seinen Namen auf dem Theaterzettel an den Straßenecken zu lesen. Es kam zu heftigen Erörterungen, und je mehr der Vater widerstrebte, desto klarer schien es dem Sohne zu werden, daß ihn sein Beruf allein auf das Theater führen könne. Endlich sprach der Vater ein entscheidendes Wort. „Wenn du unter die Komödianten gehst, so gebe ich dir meinen Fluch!“ Also Ausstoßung aus der Familie war der Preis, um welchen er seine Wünsche erfüllt sehen konnte. Doch vor diesem letzten Schritte bebte er zurück. Er suchte seiner leidenschaftlichen Neigung Herr zu werden, und beschloß bei den Studien zu bleiben. Da man so viel von ihm erlangt hatte, ließ man ihm in ihrer Wahl und Art volle Freiheit. Auch war sein äußeres Leben durch ein städtisches Stipendium, welches man für ihn ausgewirkt hatte, hinreichend gesichert. Für Halle, als die bedeutendste Landesuniversität, hatte er sich entschieden. Damals hatte es einen neuen Aufschwung genommen, den es der genialen Persönlichkeit F. A. Wolf’s verdankte. Mit Kühnheit führte er die Philologie ihre eigene Bahn, und seine Vorlesungen über den Homer hatten bereits Ruf gewonnen. Auch fand Tieck Reichardt auf seinem Landsitze in Giebichenstein wieder, und konnte das Haus betreten, welches ihm schon in Berlin eine heimische Stätte gewesen war. Auf der Reise nach Halle begleitete ihn sein Schulgefährte Schmohl, der dort ebenfalls seine Studien beginnen wollte. In Belzig, wo der Vater desselben als begüterter Bauer wohnte, verlebten sie einige Tage ländlicher Idyllen. Dann gingen sie nach Coswig, wohin sie an den Amtmann Caletzki empfohlen worden waren. Dieser war ein braver, einfacher, wohldenkender Mann, der die jungen Studenten auf das gastlichste empfing. Als er hörte, sie seien auf dem Wege nach Halle, hielt er es für Pflicht, sie eindringlich zu ermahnen. Er zitterte für ihr Seelenheil, wenn er daran dachte, daß sie in die Hände Bahrdt’s gerathen, und zu Anhängern seiner gottlosen Lehren werden könnten. Er schloß sich mit den beiden fahrenden Schülern in ein abgelegenes Zimmer ein, und beschwur sie unter Thränen, auf ihrer Hut zu sein vor den Netzen der Verführer und falschen Propheten. Er endete seine Ermahnung mit einem Gebete voll Eifer und Salbung. Auf Tieck machte diese wohlgemeinte Warnung einen rührenden und doch komischen Eindruck. Für ihn hätte es ihrer nicht bedurft, denn er wußte von Bahrdt’s bisheriger Laufbahn genug, um ihn zu verachten. Die plumpe Gemeinheit, mit welcher er in seinen letzten Schriften aufgetreten war, hatte ihm moralischen Ekel erregt. Das Böse konnte keine abschreckendere Gestalt annehmen, als diese der schmuzigen Roheit. Auch war Bahrdt selbst in den letzten Abschnitten seiner Irrfahrten. Er hauste auf seinem Weinberge bei Halle, wo auch Tieck den kaffeeschenkenden Professor später aus Neugier besuchte. Die ganze Erscheinung desselben bestärkte ihn im Widerwillen. Er hörte seine platten Prahlereien an, konnte sich aber nicht entschließen, mit ihm auch nur ein Wort zu wechseln. Ein viel wichtigeres Ereigniß war es für ihn, in Coswig die Mutter Matthisson’s kennen zu lernen. Wer las und feierte nicht Matthisson, den zarten und gefühlvollen Dichter der Natur? Auch er war seiner Bewunderung voll; nun konnte er aus dem zuverlässigsten Munde hören, wie jener sich gebildet, wie er geworden, was er war. Die gesprächige alte Frau wurde nicht müde, allen Fragen Rede zu stehen. Stunden lang konnte sie von ihrem Sohne erzählen, von seiner Kindheit, seinen Gedichten, seiner Schwermuth. Weinend bat sie Tieck, er möge sich doch ja bewaffnen, daß er nicht in eine ähnliche Melancholie verfalle, offenbar habe er mit ihrem Sohne eine große Aehnlichkeit. Eine solche Anerkennung hatte er nicht erwartet, er war dadurch ebenso gerührt als gehoben. Einen Schattenriß Matthisson’s, den er geschenkt erhielt, hütete er so lange als einen theuern Schatz, bis er Gelegenheit hatte, ihn mit dem Original zu vergleichen und zu erkennen, daß dieses hinter dem Bilde, welches er sich gemacht hatte, zurückbleibe. So traf Tieck mit einem doppelten Segen in Halle ein. Ueblicherweise ließ er sich in die theologische Facultät einschreiben, obgleich ihm die Theologie selbst sehr fern lag. Fürs erste wollte er Literatur und Alterthumswissenschaften studiren. Sobald er mit den Persönlichkeiten und Wirkungskreisen der Professoren vertrauter geworden war, fühlte er, nur F. A. Wolf mit seiner lebensvollen Auffassung der alten Welt habe für ihn Bedeutung und Anziehungskraft. Hier fand er, was er schon auf der Schule als wahre Bildung erkannt hatte. Wolf’s Ansichten über das Alterthum waren sein innerstes Eigenthum, er hatte es in sich durchlebt, und darum wirkte er auf das Leben. Auch mit der Philosophie konnte sich Tieck nicht befreunden. Voll Gefühl und Leidenschaft, überwiegend in der Welt der Phantasie lebend, und einem geheimen Zuge zum Unerklärlichen, Mystischen folgend, war ihm das strenge Urtheilen und Abschließen, das weitläufige Deduciren, die zuversichtliche Systematik gleich sehr zuwider. Nichts hatte ihn tiefer erschüttert, als jene Lebensfragen, welche die Philosophie behandelte, aber er fühlte, diese Weise sei geeignet, ihm den Gegenstand zu verleiden. Was die eifrigen Jünger der Wissenschaft als tiefen Aufschluß und Erklärung räthselvoller Fragen verkündeten, schien ihm höchstens nur eine andere Art sie auszusprechen, ohne sie dadurch der Lösung näherzubringen. Diese Lehrbegriffe waren ihm nur eine Beschränkung der Freiheit, ein Gefangennehmen des eigenen Denkens und Seins unter ein fremdes Gesetz. Es wurde bei ihm Ueberzeugung, wer sich der Dichtung, der Kunst mit ganzer Seele ergeben habe, müsse auch in ihren Offenbarungen die vollste Befriedigung finden, und könne dann der philosophischen Hülfen und Stützen gar wohl entbehren. Schon in Berlin waren ihm Reichardt’s Versuche, die Musik mit dem Studium der Philosophie zu verbinden, bedenklich erschienen. „Welch ein großer Mann ist Kant!“ hatte dieser einst in seiner Gegenwart ausgerufen; „es gibt keinen Gegenstand, über den er uns in seinen Schriften nicht den Kopf zurechtsetzte!“ Tieck hatte dagegen eingewandt, ein Musiker, der von seiner Kunst ganz erfüllt sei, müsse an ihr vollständig genug haben, er werde die Zurechtweisungen der Philosophie weder vermissen noch aufsuchen. Auch wollten ihm die Männer vom Fach, die Kantianer in Halle, gar nicht behagen. Ein philosophisches Collegium, welches er in der frühesten Morgenstunde bei Jacob zu hören anfing, ließ er bald im Stiche. Das Opfer an Schlaf, welches er bringen mußte, die Unbequemlichkeit, in aller Frühe mit einem wohlgewickelten Zopf in dem Philosophicum erscheinen zu müssen, wurde nicht aufgewogen durch den Gewinn, der ihm hier an Erkenntniß und Lebensweisheit versprochen wurde. Seine Genossen, die fast alle Kantisch philosophirten, fanden die Hartnäckigkeit, mit welcher er sich diesen Lehren verschloß, unverzeihlich, und ließen es an manchen Angriffen und Verspottungen nicht fehlen. Auch mit Eberhard, dem Apologeten des Sokrates, war er abgefunden, als er ihn in der Aesthetik auseinandersetzen hörte, Engel’s „Eid und Pflicht“ sei das vollendetste neue Drama, weil darin die drei Einheiten auf das genaueste beobachtet seien. Noch weniger zog ihn Knapp’s Exegese an; und so blieben denn schließlich Wolf’s Vorlesungen über die römischen Antiquitäten allein übrig, die einigen Ersatz gewährten. In Reichardt’s gastfreiem Hause erhielt er Gelegenheit, in das Innere der gelehrten Welt Halles zu blicken. Wie in Berlin war es auch hier ein geistiger Mittelpunkt geworden. Er lernte die berühmtesten der Professoren kennen, und mancher von ihnen zeigte sich hier, wo er sich ungezwungen gehen lassen konnte, anziehender oder mindestens eigenthümlicher, als wenn er auf dem Lehrstuhle saß. Jedoch traten auch Härten, Eifersüchteleien und Feindschaften unverhohlener hervor, die dem angehenden Studenten diese ersten Größen der Wissenschaft bisweilen in zweifelhaftem Lichte erscheinen ließen. Namentlich sah er Reinhold Forster, Niemeyer und Matthias Sprengel. Die beiden Letzten lebten fortwährend in offener Fehde, und gaben durch den Widerwillen, welchen sie bei jeder Gelegenheit laut gegeneinander aussprachen, zu manchen komischen Vorfällen Veranlassung. Niemeyer war würdig, gemessen und salbungsvoll, nicht ohne Süßlichkeit; stets wollte er der durchgebildete, der feine und humane Mann sein. Sprengel dagegen war kurz und sonderbar, schneidend, voll Spott, und häufig durchfahrend grob. Niemeyer’s wohlrednerischer Ton war ihm geradezu verhaßt. Einst war in einer Professorengesellschaft bei Reichardt von den Romanen des angeblichen Marquis Große die Rede, der behauptet hatte, in Spanien gebe es keine Windmühlen. Scherzend meinte Jemand, es scheine dem Don Quixote gelungen zu sein, sie auszurotten, als Sprengel dazwischenfuhr: „Es ist elendes, dummes Zeug!“ Niemeyer, dessen Humanität solche scharfe Urtheile nicht vertragen konnte, entgegnete einlenkend: „Aber, Herr College, sollte denn nicht etwas Gutes daran sein können?“ „Bewahre! Nichts, gar nichts, sage ich!“ schrie jener; „wenn Sie sich ein Jahr lang Mühe geben, können Sie auch dergleichen dummes Zeug schreiben!“ Ein anderes Mal traf Tieck mit den beiden Streitern in einer Tischgesellschaft zusammen. Sprengel nahm sogleich seinen Platz zwischen ihm und einem andern jungen Manne ein. Dieser, durch solchen Vorzug geschmeichelt, konnte als Mann von Welt einige höfliche Worte über die Ehre nicht unterdrücken, welche ihm widerfahre, neben einem so berühmten Gelehrten zu sitzen. „Ach was! dummes Zeug!“ unterbrach ihn Sprengel, „ist mir ganz gleich, neben welchem Narren ich sitze, wenn ich nur nicht neben dem Racker da sitzen soll!“ Bei diesen Worten zeigte er auf Niemeyer, der am andern Ende des Tisches seinen Platz hatte. Auch war Tieck Zeuge jener bekannten Geschichte, die zwischen Sprengel und Ebert vorfiel. Dieser bewunderte Sprengel’s umfassende Belesenheit. „Wie Vieles müssen Sie nicht für Ihre gelehrten Werke lesen!“ sagte er. „Man gewinnt Methode!“ antwortete Sprengel. „Wenn ich z. B. ein Journal vor mir habe, so lese ich was mich interessirt. Kommt etwa mal eine Ode von Klopstock dazwischen, werden einige Seiten überschlagen. Fort mit dem Racker, heißt es da!“ Ebert erstarb vor Entsetzen das Wort im Munde. Endlich stammelte er zwischen Zorn und angeborener Höflichkeit schwankend: „Ach, Sie liebenswürdiger Barbar!“ Weder die Entdeckungen, welche Tieck in der gelehrten Welt machte, noch seine Erfahrungen in den geselligen Kreisen, waren geeignet ihn zu befriedigen. Auch Reichardt’s Haus wollte nicht ganz das wieder werden, was es ihm in Berlin gewesen war. Hatte sich doch so Manches seit jener Zeit geändert! Er fand in Halle Gelehrsamkeit, Reichthum an Kenntnissen, Lehrsätze und auch Wichtigthuerei. Vieles hörte er, was er in Gedike’s Schule bereits für immer abgethan zu haben meinte; aber vergebens suchte er nach dem, was seinem Herzen Befriedigung gegeben hätte. Abermals begann er mitten in dieser selbstzufriedenen und behaglichen Welt der Meister und Jünger der Wissenschaft sich unendlich einsam zu fühlen. Zwar fand er unter den Studiengenossen einen alten Bekannten, selbst einen Freund wieder, aber keinen, der seinem Herzen so nahe gestanden hätte wie Wackenroder, nach dessen Anblick und Rede ihn oft eine heiße Sehnsucht ergriff. Es gab keinen, dem er sich so rücksichtlos hätte hingeben können, der ihn so ganz verstanden hätte. Ein zweideutiger Charakter, wie sein Stubengefährte Schmohl, hatte von dem, was sein Herz bewegte, keine Ahnung, und war offenbar unzuverlässig. Ein älterer Genosse, mit dem das frühere, freundschaftliche Verhältniß wieder angeknüpft wurde, war Wilhelm von Burgsdorff, der seit einem Jahre in Halle studirte. Soviel Anlagen, gewinnende Frische und Gutmüthigkeit dieser auch besaß, so traten doch manche Gegensätze hervor. Im geselligen Verkehr wie in wissenschaftlichen Fragen schlug er gern einen hohen und vornehmen Ton an, und reizte dadurch seine Freunde, die nur zu gut wußten, wie es im Grunde mit ihm stehe. Er hatte sich einem wilden Studentenleben ergeben, in dem er Genialität und den Ausdruck innerer Kraft sah, und gerieth in Verbindungen, in welche Tieck ihm nicht folgen mochte. Schon früher hatte Burgsdorff eine Vorschule in diesem Sinne durchgemacht. Er war als Schüler in Berlin sich selbst überlassen gewesen, und in schlimme Hände gerathen. Ein älterer Gefährte, Namens Wiesel, der auf den ersten Blick anziehend und gewinnend erschien, hatte sich ihm angeschlossen. Mit Leichtigkeit bewegte sich dieser in den verschiedensten Lebensformen, er war heiter, entgegenkommend, witzig und sicher überall Beifall und Anhänger zu finden. Hinter dieser gefälligen Außenseite lauerte Herzlosigkeit, kalte Berechnung und ein schneidender Hohn, mit welchem sich in wahrhaft Mephistophelischer Weise eine sinnlich verzehrende Glut verband. Er war ein jugendlicher Anhänger jener sinnlichen Starkgeisterei, welche in der Literatur in Heinse und Goltz ihre Vertreter fand. Dieses Treiben ward um so widerlicher, als Wiesel daraus eine Art von dämonischer Philosophie der Sinnlichkeit entwickelte, die von beschränkten Genossen als Tiefsinn angestaunt wurde. Zuweilen ließ er sich in orakelhaftem Tone vernehmen, welcher tiefe Sinn in diesen Orgien sei, in der sinnlichen Hingebung sollte die Offenbarung einer göttlichen Kraft liegen. Seiner falschen Weisheit gelang es, sie mit dem Schimmer einer mystischen Geheimlehre zu umgeben, die schwache Köpfe vollends in Verwirrung brachte. Hatten sich dann die Jünger im sinnlichen Taumel vollständig selbst verloren, so rüttelte der Meister sie schonungslos auf, und konnte ihnen mit schneidendem Spott ihre Schwäche und den Mangel an Selbstbeherrschung vorrücken. Wer dagegen bedenklich ward, dem schloß er den Mund mit bitterm Hohn über solche Engherzigkeit; nichts pflegte er mit seinen geifernden Reden zu verschonen. Für Tieck hatte Wiesel’s Erscheinung etwas Feindseliges, Abschreckendes, ja Grausenhaftes; nicht ohne Schauder verweilte er in seiner Nähe. Ja vielleicht war dieser der Einzige, auf den er einen wahrhaften Haß geworfen hatte. Dennoch versuchte er es, diese Gesellschaft für höhere Dinge zu gewinnen, und hatte die Gutmüthigkeit, ihnen die Größe Shakspeare’s anzupreisen, ja fühlbar machen zu wollen. Er wagte es eines Abends, den „Sturm“ vorzulesen, und da das bunte Zauberspiel Beifall gefunden hatte, ließ er, dadurch ermuthigt, den „Sommernachtstraum“ folgen. Doch das war zu viel. Kaum hatte er die ersten Scenen gelesen, als man ihn dringend bat aufzuhören, das sei nicht zu ertragen. Wiesel meinte, er begreife nicht, wie ein vernünftiger Mensch, wie Tieck doch sonst sei, an diesen abgeschmackten Possen Gefallen finden könne. Seit dieser Erfahrung gab er dergleichen Bekehrungsversuche auf. Außer Burgsdorff fand er auch seinen alten Schulgefährten Bothe in Halle wieder, dessen Starrsinn ihn früher so viel Thränen gekostet hatte. Aber nach jenen ersten schmerzlichen Erfahrungen erschien er ihm auch jetzt kalt und steif, und ein freundschaftlicher Verkehr ließ sich auch hier nicht erwarten. Es ward ihm klar, er werde wiederum seines Wegs allein gehen müssen, mochte er immerhin den Altverständigen für einen Träumer und Sonderling gelten, und mochten die Klugen selbstgefällig über ihn die Köpfe schütteln. In dieser Vereinsamung kehrte er zur Natur zurück, die ja in den schwersten Augenblicken ihre heilende Kraft an ihm bewährt hatte. Ganz anders, voller, freundlicher trat sie ihm in dem grünen Saalethale entgegen, als in den flachen Haiden um Berlin. Mit doppelter Gewalt ergriff ihn jenes Gefühl unendlicher Sehnsucht, das bis zur schmerzlichsten Erregung sein Herz erfüllte, wenn er im Frühlinge durch den Wald streifte. Dann kehrte ihm jene Naturtrunkenheit wieder, eine geheimnißvolle Macht schien ihn vorwärtszutreiben. Nirgends weilte er lieber als auf der sogenannten Höltybank in der Nähe des Giebichensteins. Hier überblickte er Fluß und Thal. Wie oft sah er die Sonne hinter den Abendwolken versinken, den Mond in tausend goldenen Strahlen in den sanft bewegten Wellen sich widerspiegeln oder träumerisch durch Busch und Zweige blicken! Hier hatte er in verzückter Selbstvergessenheit in mancher Sommernacht gesessen und Natur getrunken in vollen Zügen. Er hörte es nicht, wie die Glocken der Stadt eine Stunde nach der andern anschlugen, er sah nicht, wie Alles um ihn her in tiefere Nacht versank. Endlich erhob er sich, durch dunkle Büsche, an einsamen Häusern vorüberstreifend, überließ er es dem Zufall, welcher Weg ihn nach der Stadt führen werde. Sah er ein Licht durch die Nacht blitzen, hallte der Laut einer menschlichen Stimme aus der Ferne zu ihm herüber, so erregte es wunderbar sein Gefühl. Wie fern, wie räthselhaft, wie unverstanden lag die Welt vor ihm, wie einsam fühlte er sich in ihr, und doch wieder wie nah und verwandt! Ihre Leiden und Freuden, waren sie nicht auch die seinen? Die Gefährten wollten diese nächtlichen Fahrten, auf denen er bisweilen Einen und den Andern durch Naß und Trocken mit sich zog, nicht sonderlich rühmen. Einst hatte er mit Bothe bis nach Mitternacht auf der Höltybank gesessen, als ein ferner Donner Beide aus ihren Träumen weckte. Ein Gewitter war im Anzuge. Eilig, in tiefer Finsterniß, drängten sie sich durch Busch und Strauch, und retteten sich endlich in den Garten von Giebichenstein, wo sie einen Zufluchtsort vor dem strömenden Regen zu finden hofften. Sie tappten nach dem Wege suchend umher, als plötzlich der Boden unter ihnen schwand, und sie in eine Tiefe von mehrern Fußen hinunterstürzten. Nicht ohne Gefahr, aber doch auf dem kürzesten Wege erreichten sie eine schützende Stelle. Es war eine ihnen sonst wohlbekannte künstliche Grotte, die sie aber so nahe nicht vermuthet hatten. Bothe schalt und zürnte über solche Thorheiten. Aber was war zu thun? Man mußte froh sein, ein Obdach gefunden zu haben, und ausharren, bis das Gewitter ausgetobt hatte und der Morgen anbrach. Bei solchen Stimmungen stiegen auch jene finstern Bilder und Gedanken wieder auf, die ihn mehr als einmal bis zum Abgrunde des Wahnsinns hinzureißen gedroht hatten. Nicht gebannt waren die Furien, sie schliefen nur, jetzt erwachten sie, und jagten ihn von neuem in Angst und Entsetzen. Es steigerten sich diese Anfälle zu einer Höhe, daß seine Gefährten von Grausen erfüllt meinten, er sei wirklich wahnsinnig geworden. Eifrig hatte er sich eine Zeit lang mit dem soeben erschienenen Spukromane von Große: „Der Genius“, beschäftigt. Mit seinem Stubengefährten Schmohl und einem andern Bekannten verabredete er daher, ihnen jenes Nachtstück vorzulesen. Um vier Uhr Nachmittags begann die Sitzung. Ohne sich einen Augenblick Erholung zu gönnen, las er das ganze Buch in einem Zuge durch. Es war zwei Uhr Morgens, als er es beendete. Längst waren seine Zuhörer eingeschlafen, während er mit steigendem Antheil las. Jetzt warfen sie sich in der anstoßenden Kammer auf das Bett. Tieck konnte nicht schlafen. Er war überwacht, geistig und körperlich erschöpft. Er vergaß sich und seine Umgebung, seine Seele weilte noch in jener Welt, von der er gelesen hatte. Wunderliche Bilder wogten in ihm auf und ab, Traum und Wirklichkeit begannen ineinander zu verschwimmen. Plötzlich rüttelte ihn ein jäher Schrecken aus dieser Betäubung auf. Abgründe schienen sich zu öffnen, riesige Gestalten drohend auf ihn loszuschreiten, von der Decke des Zimmers, von den Wänden her streckte es grauenhaft die Arme nach ihm aus. Mit einem furchtbaren Schrei stürzte er auf die Kammer zu, in der die Gefährten schliefen. Er tobte, er schien von Sinnen. Mit dem Ausrufe: „Ich werde rasend!“ sank er fast ohnmächtig zu Boden. Voll Schreck fuhren die Schlafenden empor, mit Mühe bewältigten sie ihn, und legten ihn aufs Bett. Er verfiel in das heftigste Phantasiren. Er glaubte sich bereits gestorben, sein eigener Körper ward ihm fremd, er meinte eine Leiche zu berühren, wenn die eine Hand auf die andere traf. Dieser Zustand hielt mehrere Stunden an, man befürchtete ein Nervenfieber. Endlich kam er wieder zu sich, er fühlte sich matt an Leib und Seele. Von allen Schreckbildern aber blieb ihm eins, das furchtbarste, zurück, der Gedanke, daß er wahnsinnig werden könne, ja werden müsse, wenn sich solche Anfälle wiederholen sollten. Lichtpunkte waren Wackenroder’s Briefe und die Erinnerung an seine Freundschaft. In den zärtlichsten Ausdrücken bat und flehte dieser, der Freund möge sich ermannen, er möge sich den finstern Mächten entwinden, und Herr seiner Kräfte werden. Es war ein Fest der Freundschaft, als er endlich auf einige Tage nach Halle kam, und sie auf einer gemeinsamen Reise nach Leipzig und Wörlitz sich aneinander stärken konnten. Auch durch andere kleine Ausflüge suchte sich Tieck zu zerstreuen. Er sah in Lauchstädt die weimarische Schauspielergesellschaft, oder er ging nach Coswig, wo man in dem Hause des befreundeten Amtmanns in Augenblicken der Heiterkeit das Theaterspiel hervorsuchte, für das er kleine Stücke und dramatische Scherze entwarf. Dieser vorüberrauschenden Lust folgten um so trübere Stimmungen. Aber diese Gährung, diese erregten Zustände führten endlich zu einem entscheidenden Wendepunkte. Es war im Juli des Jahres 1792, als er eine Reise nach dem Harze unternahm. Zum ersten Male wollte er das Gebirge betreten, um eine langgefühlte Sehnsucht zu stillen. Der reinste, herrlichste Sommerhimmel war über ihm, als er die Stadt verließ. Kaum hatte er sich jemals leichter und glücklicher gefühlt als in diesem Augenblicke; Sonne, Feld, Wald, Alles wirkte erfrischend. Er schlug den Weg nach Eisleben ein. In den Dörfern, durch die er kam, herrschte freudige Bewegung. Es war Johannistag, und Mädchen und Burschen banden den durchziehenden Wanderer unter üblichen Sprüchen an, der sich dann loskaufen mußte. Unfern Eisleben begegnete ihm ein Leichenzug. Ein Bergmann wurde zur Ruhe bestattet. Eine tiefe Rührung ergriff ihn; in seinen ersten und einfachsten Formen trat ihm das Leben entgegen. In vollem Mondenschein legte er den letzten Theil des Weges zurück. In der Schenke, wo er übernachten wollte, ging es laut und fröhlich zu. Mit Spiel und Tanz wurde das Johannisfest gefeiert. Auf dem Hausflur, vor seinem Zimmer, lärmte und wogte es durcheinander. Halb träumend blickte er von seiner Lagerstätte auf das bunte Gewirr. Endlich ward es still, aber er fand keinen Schlaf. Alle Lebensgeister pulsirten, die Sehnsucht nach der Natur ließ ihm keine Ruhe. Im Morgengrauen wanderte er weiter. Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Fahl und bleifarben, eine eben erglühende Kugel, stieg sie am Rande des Himmels empor. Da durchbrach sie den Dunstkreis, und plötzlich mit stechendem Glanze schossen die ersten einzelnen Strahlen über die Ebene daher. Sie trafen ihn unmittelbar; ihm war, als hätten sie bis in sein tiefstes Herz hineingeblitzt. In ihm zerriß es wie ein Schleier; eine innere Erleuchtung war es, die ihn erfüllte; Himmel und Erde sah er in nie geahntem Glanze verklärt. Ihm war, als träte Gott selbst auf ihn zu, als schaue er in sein Angesicht. „Das ist Gottes Erscheinung!“ so durchbebte es sein ganzes Wesen. Die Gewißheit Gottes, die höchste Seligkeit, ein himmlischer Schmerz durchströmte ihn. Aus seinem Herzen quoll das Gefühl unendlicher Gottesliebe. Ja, der ewige Gott liebte auch ihn! Er brach in lautes Weinen aus; es waren Thränen der Seligkeit, die unaufhaltsam flossen. „Ich habe keine Worte für diesen einzigen Zustand“, so erzählte der Greis Tieck voll tiefer Bewegung im hohen Alter. „Weder vorher noch nachher habe ich je Aehnliches erlebt; es war die unmittelbarste Gewißheit Gottes, das Gefühl, mit ihm eins zu sein; an meinem Herzen fühlte ich ihn. Es war eine Stätte der Offenbarung. Ein Patriarch des alten Testaments würde hier einen Denkstein errichtet haben!“ Nur einen Augenblick dauerte diese Entzückung. Aber die Gewißheit, Gottes Geist habe ihn durchschauert, blieb ihm, und wie ein Nachhall jener Seligkeit erfüllte der reinste Friede sein Herz. Lange noch flossen seine Thränen, er konnte ihrer nicht Meister werden. Nach mehrern Stunden warf er sich auf die Bank vor der Thür einer Dorfschenke. Der Wirth brachte ihm Frühstück, wies aber, als er ihn weinen sah, jede Bezahlung zurück. „Ich sehe ja“, meinte er, „Sie sind ohnehin unglücklich genug.“ Es war der Humor, der ihn wieder in das alltägliche Leben zurückrief. Halb lachend, halb weinend zog er weiter. Als er um Mittag bei einem Wirthshause anlangte, schallte ihm wüster Lärm aus demselben entgegen. Eine Schar hallescher Studenten, die auch nach dem Harze wanderte, hatte sich einquartiert. In ihrer Mitte traf er den Mephistophelischen Wiesel. Er hatte das Gefühl der Entweihung, als er den rohen Kreis betrat. Auf die höchste Entzückung folgte die gemeine Ernüchterung. Er legte sich das Gelübde ab, die Offenbarung, die er heute erfahren, als sein heiligstes Geheimniß im Herzen zu verschließen, und Jahre sind vergangen, ehe er davon zu sprechen wagte. Unter den Nachklängen jener Verzückung durchzog er das Gebirge. Er fühlte sich der Natur noch näher als sonst, und auf einsamen Pfaden emporklimmend, verlor er sich gern in jene Nebelwolken, die an den Felsenspitzen hingen. 2. Göttingen. Studien. Halle, das hatte Tieck in dem ersten halben Jahre erkannt, vermochte ihm nicht zu gewähren, was er suchte. Weder im Allgemeinen noch im Einzelnen war er gefördert. Für die Kenntnisse, in denen er sich nach seiner Neigung hätte weiter bilden mögen, gab es kaum Lehrer und wissenschaftliche Hülfsmittel; der Ton, welcher bei Professoren und Studenten herrschte, misfiel ihm höchlich. Er wollte es mit einer andern Universität versuchen. Burgsdorff hatte ihm Göttingen vorgeschlagen, und bald stand der Entschluß fest, sich für den kommenden Winter dorthin zu übersiedeln. Göttingen hatte neben dem ältern Halle und dem neu aufstrebenden Jena den glänzenden Ruf einer ebenso gelehrten als eleganten Universität behauptet. Die Namen Heyne’s und Spittler’s, Schlözer’s, Pütter’s und Lichtenberg’s strahlten als erste Sterne. Es war Aussicht, Bürger’s Bekanntschaft zu machen, dessen Balladen Tieck schon als Knabe auswendig gewußt hatte, und die er wegen des einfachen, echt volksthümlichen Tons bewunderte. Und eine andere Ausbeute für seine beginnende Bücherliebhaberei versprach die reiche göttinger Bibliothek. Im September 1792 verließ er Halle, und nachdem er Aeltern, Geschwister und Freunde in Berlin wiedergesehen hatte, zog er in freier Studentenweise durch Sachsen und Thüringen nach Nordhausen. Wo es irgend thunlich war, besuchte er das Schauspiel; auch in den kleinsten Landstädten verschmähte er die Vorstellungen herumziehender Truppen nicht. Er sah die Kunst in ihrer demüthigsten Gestalt, und ergötzte sich an diesen Possen in heiterster Laune. Von Nordhausen machte er sich nach Göttingen auf, und Anfangs November zog er hier als echter Musensohn stattlich zu Roß ein. In Göttingen fühlte er sich heimisch. Die feinere Sitte der Georgia Augusta, das wissenschaftliche Leben behagten ihm mehr, als die hallesche Renommisterei. Bei den Professoren fand er freundliche Aufnahme, namentlich zeigte sich Heyne entgegenkommend. Dieser erkannte sogleich, es sei kein Student gewöhnlichen Schlags, der sich ihm vorgestellt habe; auch mochte ihm Tieck’s literarischer Eifer gefallen. Heyne’s freundlicher und feiner Ton machte einen gewinnenden Eindruck, wenngleich seine Vorlesungen ihm nicht genügen wollten. Er fand, daß die alten Dichter auch hier zu sehr in der Schulweise behandelt würden. Heyne dagegen machte den Versuch, ihn für das Studium des classischen Alterthums zu gewinnen. Er veranlaßte ihn, seinem philologischen Seminar beizuwohnen, in dem die Jünger in das innerste Heiligthum eingeführt wurden. Er entfaltete den ganzen Vorrath seiner umfassenden Gelehrsamkeit, und Tieck mußte sich gestehen, daß seine philologische Vorbereitung nicht überall ausreichend sei, um gleichen Schritt halten zu können. Freilich ging es Andern ebenso, und schlimmer. An die Erklärungen des Textes sollten sich Disputirübungen anschließen. Heyne wünschte, daß man Fragen, auch wol Einwürfe versuche. Einst glaubte er von einer hintern Bank des Hörsaals einige Worte gehört zu haben. „Ich bitte Sie, deutlicher zu sprechen“, sagte er; „ich habe Ihre Bemerkung nicht verstanden.“ Als Entgegnung erfolgte derselbe dumpfe, schnarrende Ton. Empfindlich wiederholte der Professor seine Aufforderung, mindestens deutlich zu sprechen, wenn man etwas zu sagen habe. Da auch dies fruchtlos blieb, näherte er sich unwillig der Stelle, wo der hartnäckige Gegner saß; da fand er einen Alterthumsforscher, der fest eingeschlafen war, und dessen auf- und abrollendes Schnarchen er für Widerspruch gehalten hatte. „Ach so!“ sagte er, „darauf habe ich freilich keine Antwort.“ Auch in das Studium der alten Kunst wurde Tieck durch Heyne eingeführt. Er übergab ihm die unlängst erschienenen Vasenbilder von Tischbein und wünschte, er solle deutsche Erklärungen derselben schreiben. Eine Aufgabe, welche Tieck indeß ablehnte. Auch Pütter war eine eigenthümliche Erscheinung. In dem feinen, zierlichen, kleinen Manne hätte Niemand den grundgelehrten Reichs- und Rechtshistoriker vermuthet. Stets erschien er im saubersten Anzuge, schneeweiß gepudert, in sammetnen Hosen mit goldbrocatenen Bändern, und seidenen Strümpfen. Er war ein echter Vertreter des gelehrten und eleganten Göttingen. An einem bestimmten Tage in der Woche veranstaltete er mit Hülfe einiger Liebhaber und Stadtmusiker in seinem Vorsaale kleine Concerte. Er selbst ließ sich dann als Violinspieler hören. Er führte seine Sache auch hier im feinen Stile, und spielte für einen Reichs- und Rechtshistoriker geschmackvoll genug. Mit dem Philosophen Buhle kam Tieck in nähere Berührung, dessen Vorlesungen über Geschichte der Philosophie er nicht ohne Theilnahme hörte. Es war eine Theilnahme, für welche ihm jener wenig Dank wissen mochte. Er folgte ihnen mit einer Art von Ironie, denn er fand eine Bestätigung seiner Ansicht von aller systematischen Philosophie in dem schattenspielartigen Wechsel der verschiedensten Schulen, die sich gegenseitig verdrängten, und von denen jede allein Recht haben wollte. Noch mehr bestärkte ihn in seinen Zweifeln die Bemerkung, daß er nicht umhin könne, einer jeden, deren Grundsätze er darlegen hörte, Recht zu geben. Aber eben, weil sie alle bis auf einen gewissen Punkt Recht zu haben schienen, hatten alle in demselben Maße Unrecht. Er fühlte es von neuem, seine innerste Natur widerstrebte dem System; es misfiel ihm, weil es System war. Bei Buhle hatte Tieck die Freude, den geliebten Matthisson persönlich kennen zu lernen. Dieser war kürzlich aus Frankreich zurückgekehrt, und hielt sich einige Zeit in Göttingen auf. Philosoph und Dichter standen im Verhältnisse gegenseitiger Bewunderung. Jener hatte die Gedichte dieses, so behauptete er, auf seinem Arbeitstische stets aufgeschlagen vor sich, und ward nicht müde, zu versichern, daß er Matthisson für den ersten Dichter halte. Der Dichter war höflich genug, die Gegenversicherung zu geben, nur Buhle’s Philosophie könne er verständlich finden. Als Tieck dem Dichter voll Bewegung erzählte, er habe seine Mutter in Coswig kennen gelernt, wie rührend ihm der Ausdruck ihrer Liebe zu dem berühmten Sohne gewesen sei, nahm Matthisson das ziemlich kalt und gleichgültig hin, und der gefühlvolle und empfindsame Dichter erschien ihm in diesem Augenblicke herzlos, ja beinahe roh. Lichtenberg’s beißender Spott und sein dennoch leichter und gefälliger Umgangston waren für ihn sehr anziehend. Sie machten ihn kühn genug, offen heraus zu sagen, wie wenig er von Hogarth und dessen Charakterbildern halte, deren Erklärungen Lichtenberg schon seit längerer Zeit alljährlich in dem „Göttingenschen Taschenkalender“ zu geben pflegte. Für Tieck’s eben erwachenden Kunstsinn waren diese Bilder abstoßend und grauenhaft. Lichtenberg mochte auf die kühne Kritik des jungen Studenten nicht viel geben; er begnügte sich mit der Gegenbemerkung, daß er die Sache anders ansehe. Bürger, der gefeierte, volksthümliche Dichter, war kaum noch ein Schattenbild dessen, was er einst gewesen. An Geist und Körper durch Kummer und Leiden aller Art abgemattet und erschöpft, siechte er einem frühen Tode entgegen. Immer noch hatte sein Name neben dem Goethe’s und Schiller’s einen guten Klang. Wie hätte man seine „Lenore“ vergessen können? Noch kamen manche Studenten nach Göttingen, um den berühmten Dichter zu sehen, der als Lehrer wenig wirkte und wirken konnte. Der Katheder war nicht für den leidenschaftlichen Mann, und die strenggeregelte Thätigkeit, die er mit Mühe seinem Genius abgewann, konnte ihn nicht einmal von den drückendsten Nahrungssorgen befreien. Dazu nagte der verzehrende Gram häuslichen Elends am letzten Reste seiner Lebenskraft. Als Tieck ihn kennen lernte, hatte er sich vor einiger Zeit von seiner dritten Frau getrennt. Er war hager, bleich, zusammengefallen, der Kummer sprach aus seinen Zügen. Die Stimme hatte den Klang verloren, er konnte nicht mehr auslauten und sich nur mit Anstrengung verständlich machen; und doch sollte und mußte er sprechen. Hin und wieder pflegte er auszureiten. Es hatte etwas Gespenstisches, den bleichen Mann zu sehen, wenn er auf seinem steifen, magern Schimmel durch die Straßen von Göttingen trabte. Man mochte dabei an den Todtenritt denken, von dem er so ergreifend gedichtet hatte. Hin und wieder fiel ein Sonnenstrahl in sein umdüstertes Gemüth, wenn es gelang, ihn wider seinen Willen in den alten Kreis guter Freunde hineinzuziehen, den er jetzt, wie allen Umgang mit Menschen, fast ängstlich vermied. Hier hatte auch Tieck Zutritt gewonnen. In günstigen Augenblicken konnte dann Bürger ungezwungen, theilnehmend, ja heiter erscheinen. Er hatte etwas gemüthlich Liebenswürdiges, Kindliches. Die Formen, in denen er sich am liebsten bewegte, waren rücksichtlos und gewöhnlich. Es lag in ihnen eine derbe Einfachheit; ein Mann der feinen Welt war er nicht. Eine zusammenhängende, scharfe Durchführung eines Gedankens war auch nicht seine Sache. Selten gingen seine Urtheile über Poesie und Literatur von höheren Gesichtspunkten aus; sie waren meistens hausbacken. Doch liebte ihn Tieck darum nicht weniger. Ihn gewann die Treuherzigkeit und Aufrichtigkeit, die aus seinem Wesen sprach. Auch Bürger’s Arzt und spätern Lebensbeschreiber, den Professor Althoff, lernte er in diesen Kreisen kennen, einen gebildeten und liebenswürdigen Mann, der ihm selbst in viel späterer Zeit in Dresden als Freund und ärztlicher Rathgeber zur Seite stehen sollte. An Verkehr mit Studenten fehlte es ebenso wenig. Seiner eigenen feinen Bildung sagte ihr geselliges Leben bei weitem mehr zu, als der hallesche Burschencomment. Es war mehr wissenschaftliches Leben und Eifer für allgemeine Durchbildung, der gelehrte Handwerkssinn trat minder unangenehm hervor. Bald wurde eine literarische Gesellschaft gestiftet, an der außer Tieck und Burgsdorff eine Anzahl anderer Studenten Theil nahmen. Man las Abhandlungen, ästhetisirte, stritt und übte die jugendliche Kraft an Allem, was vorkam. Nicht nur Menschen, auch Bücher lernte er kennen, und das war ihm mindestens ebenso viel werth. Die Bibliothek öffnete sich ihm und ward sein Lieblingsaufenthalt. Mit Vergnügen hatte der gelehrte Bibliothekar Schönemann seinen literarischen Eifer bemerkt. Freundlich beantwortete er seine vielfältigen Fragen, unterstützte seine beginnenden Studien, und gab ihm endlich die Erlaubniß, die Büchersäle selbst zu betreten, und die Gebiete der Gelehrsamkeit nach Herzenslust zu durchstreifen, und sich in ihnen zu verirren. Besonders zog ihn die englische Literatur an, für deren Kenntniß er die trefflichsten Hülfsmittel fand. In ihr war das ältere Drama der Mittelpunkt seiner Studien, und als letztes, höchstes Ziel stand Shakspeare da. Ihn zu erforschen, ganz zu kennen, in den Dichter aller Dichter sich zu versenken, war der Arbeit eines Lebens werth. Hier verband sich die innerste Neigung mit den gelehrten Studien; auf diesem Felde, das fühlte er, konnte er mit ungetheilter Kraft arbeiten. Schon war er der allgemeinen Entwickelung um einen Schritt voraus, denn jetzt erst begann man in Deutschland Shakspeare’s Größe zu ahnen, die für ihn hell und klar leuchtete, wie die Sonne am Himmel. Wollte er seinen Dichter erkennen, so mußte er in der Geschichte der Zeit und der gleichzeitigen Literatur heimisch werden. Vor Andern war Ben Jonson merkwürdig wegen seines vollendeten Gegensatzes gegen Shakspeare. Ben Jonson hatte nichts von Allem, was diesen groß machte, und dennoch waren seine Dichtungen sehr achtungswerth. Vornehmlich erregte der „Volpone“ seine Aufmerksamkeit, den er noch in Göttingen unter dem Titel „Die Fuchsprelle“ übersetzte. Auf manchen andern bedeutenden Stoff sah er sich hingewiesen. Durch Webster’s Drama lernte er die Geschichte der Vittoria Accorombona kennen, und faßte den Gedanken, sie dichterisch zu bearbeiten. In das Spanische führte ihn Tychsen ein, der eine Vorlesung über diese in Deutschland wenig gekannte Literatur hielt. Außer ihm und Burgsdorff, der durch ihn bestimmt worden war, fanden sich dazu nur wenig lernbegierige Jünger. Tieck selbst wollte den Cervantes, den „Don Quixote“ in der Ursprache lesen. Sobald es seine Kräfte irgend erlaubten, machte er sich an diesen, und lange Zeit war er sein täglicher Begleiter. Eine mehr nach außen gewandte, geordnete Thätigkeit dieser Art mußte läuternd und regelnd auf sein Inneres und seine dichterischen Versuche zurückwirken. In Halle hatte er noch unter Rambach’s Einfluß gestanden, und auf dessen Betrieb Manches zu bearbeiten unternommen. Sogar den knabenhaften Plan, eine Tragödie „Anna Boleyn“ im Verein mit seinem Freunde Piesker zu schreiben, hatte er wieder hervorgesucht. Unleugbar hatte er seitdem an Durchbildung, an innerer Freiheit und Selbständigkeit, an Gleichgewicht der Kräfte gewonnen. Jene dämonischen Anwandlungen, wie er sie in Halle gehabt, kamen seltener und in minderer Stärke. Verstummten gleich die Zweifel und das Entsetzen, das sie mit sich führten, keineswegs ganz, so war er doch seiner Phantasien und schmerzlichen Bewegungen so weit Herr geworden, um auf einzelne Punkte derselben ruhigen Auges zurückblicken und ihre Darstellung versuchen zu können. Zum „Abdallah“ war er schon in Halle zurückgekehrt. Manches, was er dort erlebte, wirkte darauf ein. Die materialistische Philosophie des Genusses und der Sinnlichkeit, in der sich jener Wiesel gefiel, dessen frecher Hohn hatten einen so grauenvollen Eindruck zurückgelassen, daß es nicht zu verwundern war, wenn einzelne Anklänge in Omar’s teuflischer Weisheit wiederkehrten, mit der er das jugendlich unbefangene Opfer, welches er der Hölle bringen will, umgarnt. Im Spätherbst 1792 nahm er die Bearbeitung wieder auf. Das Ganze gestaltete sich jetzt anders; nun wollte er es zu Ende bringen. Es war kurz vor Weihnachten, als er seine grausige Erzählung schloß. Er hatte die Nacht hindurch gearbeitet, und das letzte Capitel, in dem alles früher geahnte Entsetzen zu gräßlicher Erfüllung kommt, vollendet. In steigender Erregung hatte er geschrieben. Als er die Feder niederlegte, dämmerte der Tag. Er trat an das Fenster. Ein Streif hellen, winterlichen Morgenlichtes leuchtete über die niedrigen Dächer herüber. Langsam und schläfrig begann sich das Alltagsleben auf der Straße zu regen. Bewegt blickte er in den Morgen hinaus. Dennoch fühlte er sich still und beruhigt, ja friedlich. Eine schwere Last war von seinem Herzen genommen. Im „Abdallah“ hatte er ausgesprochen, was ihn ängstigte. Nirgends vielleicht haben Schiller’s „Räuber“ einen furchtbareren Nachklang gefunden, als in dieser Dichtung. Mit dem schreiendsten Mislaute schloß sie ab. Die höllische Lügenkunst hatte gesiegt, mit furchtbarem Hohne wird jede bessere Kraft zu Boden getreten; der Mensch scheint nur geboren, um das Opfer dunkler Gewalten zu werden. Aber in diesem Nachtstücke schienen sich nur die schwersten Wetterwolken entladen zu haben. Noch grollte der Donner in der Ferne. Kaum war der „Abdallah“ abgeschlossen, als die ersten Gestalten des „Lovell“, welche ihm schon länger ungewiß vor der Seele schwebten, sich festzustellen anfingen. Nebenher waren einige minder bedeutende Kleinigkeiten entstanden. Auf Bernhardi’s Verlangen schrieb er ein Trauerspiel in zwei Acten „Der Abschied“ in kürzester Zeit nieder. Mit den geringsten Mitteln sollte eine tragische Wirkung erreicht werden. Im Kreise der berliner Freunde wollte man das Stück darstellen, und mit Selbstverleugnung ließ er es geschehen, daß Bernhardi es für sein Werk ausgab. Minder glimpflich nahmen die berliner Kritiker, Tieck’s Schwester und Wackenroder, eine kleine Erzählung auf, in welcher er den Sagenton Veit Weber’s anstimmte, „Das grüne Band“, oder wie es zuerst hieß „Adalbert und Emma“, eine leicht hingeworfene Arbeit. Dagegen hatten sie sich mit dem ersten Theile des „Abdallah“, den er ihnen zu Anfang des Jahres 1793 zusandte, einverstanden erklärt. 3. Erlangen. Abenteuer. Ostern des Jahres 1793 war herangekommen. Es eröffnete für Tieck einen hellen Blick in die Zukunft. Das war nach manchen Entsagungen die Aussicht auf den lebensfrischen Genuß eines Sommers im Wald und Gebirge, in Natur und Kunst, an der Seite des Freundes, dem sein ganzes Herz gehörte. Wie oft hatte er seinen Wackenroder herbeigewünscht, um alle Zweifel und düstere Gedanken in seine treue Brust ausschütten zu können, neue Anschauungen und Entdeckungen unmittelbar mit ihm zu theilen. Ihr fortgesetzter Briefwechsel war für das Alles nur ein geringer Ersatz gewesen. Jetzt endlich sollte er den Freund zur Fortsetzung seiner Studien nach Erlangen begleiten. Schon lange vorher hatten sie diesen herrlichen Plan in ihren Briefen ausführlich besprochen, und in jugendlicher Ueberschwänglichkeit mit der Hoffnung einen Theil der Wonne vorweggenommen. Das Leben, welches sie in Berlin miteinander geführt hatten, sollte nicht nur fortgesetzt, es sollte ein innigeres, und doch freieres, weiteres werden. Hier sollte endlich alles Große und Schöne in Erfüllung gehen, wovon sie in den Augenblicken kühnster Begeisterung geträumt hatten. Jetzt erst sollten sich die Schranken des Lebens öffnen. Besonders Wackenroder seufzte nach dieser schönen Zeit; sie schien alles Glück, alle Freiheit einzuschließen. Noch immer hatte der sorgsame und strenge Vater an ihm gebildet und erzogen; vielleicht nur zu viel. In der Sorge für den einzigen Sohn konnte er sich nicht genug thun; sie ging am Ende in einen geistigen Druck über, der diesem die Freiheit eigener Bewegung raubte und ihn noch mehr einschüchterte. Nicht ohne den geheimen Wunsch der Selbständigkeit hatte Wackenroder es bisher getragen; umsomehr, da der Vater in der Strenge seiner Anforderungen schwer zufriedenzustellen war, und Alles auf seine Weise aufgefaßt wissen wollte. Ein volles Jahr später als Tieck beendete er seine Vorbereitung. Nun erst meinte der Vater ihn freigeben zu können, nun erst habe der Sohn die erforderliche Reife erlangt, um die Universität beziehen zu können. Nach Erlangen sollte er gehen, der neuerworbenen Landesuniversität, die mit den fränkischen Fürstenthümern an Preußen gefallen war, und sich dem Studium der Rechte widmen. Als Sitz der Studien wollte Erlangen nicht viel bedeuten, doch wünschte es die neue Regierung zu heben. Unter den ältern Professoren waren Harleß und Meusel die namhaftesten, jener für Philologie, dieser für Geschichte und Literaturgeschichte. Für Aesthetik hatte Hardenberg, der Statthalter der neuen Provinzen, seinen ehemaligen Hofmeister Mehmel angestellt. Tieck konnte daher kaum in Versuchung kommen, das reiche Göttingen mit dem ärmlichen Erlangen zu vertauschen. Aber es lockte ihn die Natur des fränkischen Landes, der Name jener alten, ehrwürdigen Stätten deutscher Kunst und Art. Eine Fülle des Lebens versprach sich hier dem Norddeutschen zu eröffnen, der an eine karge und eintönige Natur, an das künstlich gemachte Wesen einer neuen, durchsichtigen und aufgeklärten Stadt gewöhnt war, und doch innerlich nach Natur und Kunst dürstete. Zunächst wandte er sich nach Berlin, um den Freund zur frohen Fahrt abzuholen. Zum zweiten Male seit der ersten Trennung sah er die Seinen wieder. Vielleicht hatte Niemand seine Abwesenheit schmerzlicher empfunden, als seine Schwester. Der geistige Verkehr mit dem geliebten Bruder war ihr zum unentbehrlichen Bedürfniß geworden. Er hatte ihren Geist geweckt, durch Rath und Beispiel ihre Bildung geleitet, ihren Blick für Poesie und Literatur erschlossen. Manche Genüsse hatten sie in der Beschränkung ihres Lebens neben den Schmerzen desselben miteinander getheilt. Rasch, kühn, nicht ohne Eigenthümlichkeit war sie auf die Lehren des Bruders eingegangen. Schon übte sie nicht nur eine scharfe Kritik aus, die sich auch gegen ihn und seine Dichtungen wandte, sie fing selbst an zu dichten. Sie war über die Schranken der Bildung hinausgegangen, die ihr das väterliche Haus setzte. Sie fühlte sich gehemmt, beengt, und hatte mit der ganzen Kraft eines glühenden und liebebedürftigen Herzens den Bruder umfaßt, der ihr Alles ersetzen sollte, was ihr in diesem engen Kreise fehlte. Er war ihr Eins und Alles, mit Eifersucht hätte sie ihn für sich allein bewahren mögen. Sie lebte wieder auf, als sie jetzt in alter Weise einige Zeit mit ihm zusammen sein konnte. Endlich brachen die Freunde von Berlin auf. Wackenroder, der Sohn des wohlhabenden und angesehenen Bürgermeisters, wohlausgerüstet mit allen Reisemitteln, und trefflichen Empfehlungen an gelehrte und ungelehrte Autoritäten des obern Deutschland. Minder günstig war Tieck versorgt, aber er durfte sich unter allen Umständen auf sich und seine Kraft, schnell und glücklich zu arbeiten, verlassen. Drakendorf bei Jena, wo der junge Prediger Schuderoff lebte, ein vertrauter Freund der Wackenroder’schen Familie, war das nächste Ziel. In ihm lernte Tieck einen eifrigen Kantianer kennen, und was ihm lieber war, einen freundlichen Mann, der sich bemühte, den Reisegefährten den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Dann ging es nach Jena. Hier wurde Schiller aufgesucht. Die Freunde waren in hohem Grade bestürzt, als sie ihn nicht fanden, und keine Zeit hatten, ihren Besuch zu wiederholen. Eine Entschädigung war es, daß sie die Bekanntschaft von Reinhold machten. Dann reisten sie nach Weimar und Erfurt, wo sie das erste Kloster betraten. Ueber Gotha und Koburg erreichten sie Erlangen. Das Städtchen machte einen freundlichen Eindruck, und bald hatten sie sich in den vorsorglich von Berlin aus gemietheten Zimmern häuslich eingerichtet. Bei Harleß und Meusel fanden sie die beste Aufnahme. Die beiden gelehrten alten Herren suchten den jungen Aesthetikern gegenüber den tiefsten Ton der Leutseligkeit anzuschlagen. Man bat um ihren Besuch, machte einen Spaziergang mit ihnen, ließ sich über dies und jenes in ein Gespräch ein, und suchte ihnen in gelehrten Dingen gelegentlich auf den Zahn zu fühlen. Harleß war ein freundlicher alter Herr, der trocken und zusammengeschrumpft, voll steifer Würde, in seinem gelben Sommerrock mit geblümtem Muster eine eigenthümliche Figur spielte. In seinen Vorlesungen wie im gewöhnlichen Leben war er der gelehrte Originalmann der ältern Zeit, dessen Worte und Bewegungen den Stempel wissenschaftlicher Hoheit an sich trugen. Eine Einführung in den Geist der alten Poesie vermochte auch dieser Philolog nicht zu gewähren, weder in seinen Collegien noch in dem Seminar, wo er griechische Dichter erklären ließ. Vielmehr kamen Dinge vor, die den Geschmack des Professors zweifelhaft erscheinen ließen. In einer Schilderung des Thales Tempe, die man las, war von den summenden Bienen das Wort συρίζειν gebraucht. Harleß legte darauf besondern Nachdruck; hier könne man zeigen, ob man treffend zu übersetzen verstehe. Die Studenten thaten ihr Bestes, und schlugen diesen und jenen Ausdruck vor. Der Eine meinte Summen. „Ei bewahre, das ist nichts!“ schnarrte ihn der Professor mit hartem fränkischem Accent an. Ein Anderer glaubte es mit Brummen, ein Dritter mit Säuseln zu treffen. „Warum nicht gar! Noch viel weniger!“ rief Harleß. Da der Vorrath endlich erschöpft war, begann er: „Ich begreife nicht, wie Ihnen das rechte Wort entgehen kann; es liegt ja so nahe! Hat denn Keiner von Ihnen an unser treffliches Schnürfeln gedacht?“ Hin und wieder begleitete Tieck den gelehrten Mann auf seinen Spaziergängen. Einst führte sie ihr Weg vor dem Thore bei einem Gartenhause vorbei, in welchem ein Mann wohnte, der mit der fixen Idee behaftet war, predigen zu müssen. Dieser stand in der Mitte des Gartens, und ließ sich voller Eifer folgendermaßen vernehmen: „Wie wir das, andächtige Zuhörer, in den neuesten Komödien gesehen, und durch die neuesten Komödienzettel erfahren haben!“ Diese laut herausgeschriene Anrede machte auf Tieck einen wunderlichen Eindruck, und ohne Umstände wollte er den gelehrten Professor im Stiche lassen, um den Redner näher zu sehen. Voll Schreck und Entrüstung hielt ihn Harleß zurück. „Ei bewahre, mein Lieber“, rief er; „das schickt sich nicht für Sie! Der Mensch dort ist ja ein Narr; da können Sie nichts profitiren!“ Ein Gegenbild zu Harleß war Meusel, das gelehrte Deutschland in Person, der in altfränkischer Höflichkeit nie unterließ, das Sammetkäppchen zu lüften, und mit einer Verbeugung zu antworten, wenn man ihn mit seinem Amtstitel anredete. Auch den Professor Breyer hatten die Freunde aufgesucht, und durch einige andere Studenten unterstützt, ihn in wohlgemeintem Eifer ersucht, eine besondere Vorlesung über Pindar zu halten, den sie nur aus Gedike’s Lehrstunden kannten. Nach den Versicherungen, die sie auf dem Gymnasium gehört hatten, daß Pindar in der That ein großer Dichter sei, hofften sie, jetzt werde ihnen auf der Universität das Verständniß eröffnet werden. Doch sie täuschten sich, auch hier hörten sie nur eine Wiederholung der alten Redensarten, die in der Regel mit dem näselnden Schlußsatz endeten: „Wie das der Herr Consistorialrath Gedike so trefflich gesagt hat!“ Was aber der zu sagen pflegte, wußten sie selbst am besten; daher löste sich das Collegium nach einigen Wochen auf. Mehr als alle Vorlesungen versprach das Fichtelgebirge, das Mainthal, dann die alten Städte, wie Bamberg, und vor allen das kunstreiche Nürnberg. Hier stand man auf dem Boden des deutschen Reichs, im gesegneten Frankenlande. Da gab es Ruinen und Ritterburgen, und auf diesem Hintergrunde bewegten sich jene kraftvollen Gestalten des Götz und seiner Genossen, mit denen man seit den Kinderjahren vertraut war. Nürnberg ward ein Hauptwallfahrtsort für die Freunde. Je öfter sie es sahen, mit um so größerer Theilnahme, ja Andacht kehrten sie dahin zurück. In seiner ganzen Fülle trat ihnen das alte deutsche Kunstleben entgegen. Was sie früher dunkel geahnt hatten, war hier längst zur lebendigen Wirklichkeit geworden. Wie reich an Denkmalen aller Künste war nicht diese Stadt, mit ihren Kirchen von St.-Sebald und St.-Lorenz, mit ihren Werken von Albrecht Dürer, von Vischer und Krafft! Hier war das Handwerk durch Kunstsinn und ämsigen Fleiß zur Kunst geadelt worden. Da war jedes Haus ein Denkmal der Vorzeit, jeder Brunnen, jede Bank ein Zeugniß für das stille, einfache und sinnvolle Leben der Väter. Noch hatte die blasse Kalktünche die Häuser nicht gleich gemacht. Stattlich prangten sie mit bunten Bildern, die aus der Sage und Poesie des Volkes entlehnt waren. Da sah man Ortnit und Siegenot, Dietrich und andere Helden als Schützer und Hüter über den Thüren. Es ruhte auf der alten, ehrenfesten Reichsstadt mit ihren Wundern und Wunderlichkeiten ein Duft der Poesie, den der Zugwind neuer Politik und Aufklärung an andern Orten längst verweht hatte. In voller Kunsttrunkenheit durchsuchten die Freunde Kirchen und Kirchhöfe. Mit Rührung standen sie an den Gräbern Albrecht Dürer’s und Hans Sachs’, sie sahen die Burg, Bürgerhäuser und Sammlungen, was nur irgendeinen Namen hatte. Eine versunkene Welt stieg vor ihren Augen wieder empor, und unwillkürlich bevölkerten sie diese Straßen und Plätze mit den Gestalten ihrer Phantasie. Von selbst ward das Leben des alten Nürnberg zu einem Kunstroman. Da hätte man zugleich Gelegenheit gehabt, das Wesen der altdeutschen Kunst, die Vorzeit darzustellen, von deren Werth und tiefem Ernst die Gegenwart keine Ahnung hatte, und die Undankbarkeit eines spätgeborenen, klügelnden Geschlechts in ein helles Licht zu setzen. Hier tauchten die ersten Ideen zum „Sternbald“ auf, und jene innigen Klänge, welche die Herzensergießungen des Klosterbruders und die Schilderungen der deutschen Kunst und des stillen Schaffens der alten Meister durchziehen. Doch auch Nürnbergs Gegenwart, seine Gelehrsamkeit und Alterthumsforscher mußten sie kennen lernen; besonders Wackenroder durfte sie nicht versäumen. Da folgte auf die Begeisterung die Abkühlung. In ihren Forschern nahm sich die Vergangenheit keineswegs poetisch aus. Als sie respectvoll den grundgelehrten Panzer besuchten, sagte dieser mit steifem Ernste zu ihnen: „Als eifrige Scholaren werden Sie Ihre kleinen Ferienreisen gewiß nicht machen, ohne den Horatium in der Tasche zu führen.“ Darauf kam der berühmte Alterthumsforscher Murr an die Reihe, der gelehrte Theolog Strobel, Mannert der Geograph, manche Kunstkenner und Händler, und Andere, darunter der junge Kant’sche Arzt Erhardt. An alle war Wackenroder bestens empfohlen. Dann ging es zu Pferde nach Pommersfelde, wo alle frühern künstlerischen Genüsse zurücktraten, als sie in der Gemäldegalerie zum ersten Male eine Madonna von Rafael, wie man damals glaubte, sahen. Später erlebten sie in Bamberg an einem Festtage ein katholisches Hochamt in vollem Glanze, Processionen mit Fahnen und Lichtern. Es vollendete die wunderbaren Eindrücke, die sie hier erhielten. Wackenroder hatte nicht unterlassen, mit gläubigem Sinne die namhaften Gelehrten aufzusuchen, jetzt mußte er auch die Natur, Land und Leute kennen lernen. Er wußte wol, daß sein Vater mit der Strenge des Geschäftsmannes ein nachweisbares Ergebniß dieser Reisen verlangen werde. Er sollte als junger Mann, der sich bilden will, die Welt kennen lernen und mit Nutzen reisen, etwa wie Nicolai eine Anleitung dazu in seinen bekannten Reisen gegeben hatte. Darum machten sich die Freunde in den Pfingstferien auf den Weg in das Baireuthsche. Sie sahen Hüttenwerke und Zinngruben, fuhren in die Bergwerke, streiften in das böhmische Gebiet hinein, und verloren sich endlich auf den Waldpfaden des Fichtelgebirges. Nie glaubten sie einen herrlicheren Baumwuchs und frischeres Grün gesehen zu haben. Da wanderten sie hin durch die Gründe, wo aus dem malerischen Gewirr düsterer Tannen hellschimmernd das junge Laubholz hervorblickte, und „dicht von Felsen eingeschlossen“, unter Stein und Moos die Bäche still und einsam gingen. Für einen der höchsten Punkte im Fichtelgebirge galt der Ochsenkopf; der sollte erstiegen werden. Kühn genug wollten die Freunde unter der Leitung eines Führers den schwierigen Weg zu Pferde machen. Anfangs ging Alles trefflich. Bald aber änderte sich die Scene. Man kam in den sogenannten Fichtelsee, einen morastigen Grund, wo auch im Sommer das Wasser in Lachen stand, von kriechenden Schlingpflanzen bedeckt, aus denen sich Buschwerk und niederes Baumgestrüpp erhob. Hervorragende Steine, Strauchwerk, hin und wieder ein Bret, bildeten den Weg, auf dem man sich mühselig und nicht ohne Gefahr fortarbeiten mußte. Es war kaum möglich, die Pferde ohne Schaden von der Stelle zu bringen, man mußte sie am Zügel hinter sich herziehen. Als die Wanderer wieder festen Boden unter sich fühlten, hatten sie die Richtung des Weges verloren. Da standen sie zwischen hohen Felsenwänden und rauschenden Bäumen! Der Führer ward kleinlaut, dann still. Jetzt brach er unter Flüchen aus: „Ich muß verhext sein! Ich habe den Weg hundert mal gemacht und bin nie irregegangen. Ich muß verhext sein! Das kommt oft vor hier im Fichtelgebirge.“ Endlich schlug er vor, einen höhern Punkt zu ersteigen, von wo ein heller Lichtstreif durch den Wald blickte. Dort schien sich das Dickicht zu öffnen; vielleicht konnte man einen freien Ueberblick gewinnen. Aber hier galt es, neue Schwierigkeiten zu überwinden. Man mußte mit den Pferden einen schmalen Felsenweg emporklimmen, den Gießbäche ausgehöhlt hatten. Endlich war man oben angelangt. Es war eine kleine Hochebene, mit kurzem Grase bedeckt, von dunkeln Bäumen und engverwachsenem Gestrüpp eingeschlossen. Nirgends eine Aussicht ins Freie, nirgends ein Pfad; nur Bäume und Felsen, und über ihnen der Himmel. Fern ab schienen Welt und Menschen zu liegen; hier verhallte jeder Laut in der tiefsten Waldeinsamkeit. Zurück konnte man mit den Pferden nicht, ebenso wenig vorwärts. Wieder begann der Führer seine Verwünschungen, daß er behext sei. Endlich versuchte er es mit einem Handbeil, das er bei sich trug, durch das Gestrüpp einen Weg zu bahnen. Auf gut Glück folgte man ihm. Zwischen krachenden Zweigen wanden sich die Verirrten mit Mühe hindurch. Jetzt kam man wieder auf einen Pfad; aber welcher Weg war das! Schmal und steinig zog er sich am Rand eines Bergrückens hinab. Ein falscher Tritt, und die Pferde sammt den zu Fuß wandernden Reitern stürzten in die Tiefe hinab. Mit steigender Angst setzten sie ihren unheimlichen Marsch fort. Zu ihrer nicht geringen Freude erreichten sie eine Glashütte, wo man ihren Berichten kaum trauen wollte, als sie erzählten, welchen halsbrechenden Weg sie mit den Pferden zurückgelegt hätten. Zugleich erfuhren sie, daß man erst von diesem Punkte aus den Ochsenkopf besteigen könne. Trotz aller Kämpfe beschlossen sie auch dieses Abenteuer zu bestehen, fanden aber nach ihren Erfahrungen das Ersteigen der Höhe weder so schwierig, noch so belohnend, als man es geschildert hatte. Nach so schweren Mühen des Tages waren sie froh, am späten Abend eine gastfreie Aufnahme auf dem Eisenhammer des Commerzienraths Müller, an den sie empfohlen waren, unfern des Dorfes Bischofsgrün, zu finden. In einem Flügel des weitläufigen Fabrikgebäudes hatte man die ermatteten Reisenden untergebracht. Wackenroder, der Anstrengungen ungewohnt, warf sich sogleich auf das Bett. Tieck war zu bewegt, er konnte nach Allem, was er heut erlebt hatte, nicht schlafen. Die Naturgeister wachten auf. Er öffnete das Fenster. Es war die laueste, herrlichste Sommernacht. Das Mondenlicht floß in vollen Strahlen auf ihn nieder. Da lag sie vor ihm die mondbeglänzte Zaubernacht, die Natur mit ihren uralten und ewig jungen Märchen und Wundern! Wieder schwellte es sein ganzes Herz. Zu welchem fernen, unbekannten Ziele zog es ihn mit unwiderstehlicher Kraft? Mild und beruhigend klangen die schwebenden Töne eines Waldhorns durch die Nacht herüber. Er fühlte sich wehmüthig bewegt und doch unendlich glücklich. So träumerisch er in solchen Augenblicken versinken konnte, so sehr dann die tiefe Natureinsamkeit seine Seele füllte, so trieb ihn doch die eigene Art seines Wesens aus dieser Stille hinaus, nach ganz entgegengesetzten Seiten hin. Es regte sich seine Theaterliebhaberei, die trotz ihrer kritischen Ansprüche, doch nicht ohne eine gewisse Selbstironie auch mit sehr Gewöhnlichem vorlieb nehmen konnte. Ihr zu Gefallen ließ er sich in ein seltsames Abenteuer verlocken, das leicht den unerfreulichsten Ausgang hätte haben können. In der Gegend von Fürth hatten Reichstruppen, die nach dem Rhein vorrücken sollten, ein offenes Lager bezogen, welches von Nürnberg, Erlangen und andern benachbarten Städten von Neugierigen und Reiselustigen besucht wurde. Dies hatte den Director einer wandernden Schauspielertruppe auf den Gedanken gebracht, es sei ein gutes Geschäft, im Lager selbst eine theatralische Vorstellung zu geben. Nachdem er die Erlaubniß des Generals erhalten hatte, glaubte er ganz seinem Vortheile und den Anforderungen des guten Geschmacks gemäß zu handeln, wenn er in der Mitte der Soldaten eines jener Soldatenstücke, welche seit „Minna von Barnhelm“ allgemein beliebt waren, zur Aufführung bringe. Er hatte dazu ein Hauptspectakelstück „Graf Waltron“ ausersehen. Der militärische Glanz des Lagers sollte ihm dabei zu Hülfe kommen, Zelte und Bäume die natürliche Decoration bilden, die große Masse der Reichssoldaten den belebten Hintergrund darstellen, und zugleich einen Theil des Publicums abgeben. Für Tieck war dieses sonderbar angekündigte Schauspiel viel zu anziehend, als daß er nicht hätte nach Fürth hinüberreiten sollen. Im Lager fand er einen Platz abgesteckt, um den sich eilig zusammengeschlagene Bänke stufenweis erhoben. Die Zuschauer fingen an die hintern Plätze zu füllen, die vordern sollten für die noch zu erwartenden Honoratioren aufgespart werden. Einige Reichssoldaten waren beordert, die Polizei in diesem neuen Kunsttempel zu handhaben. Da indeß dieses Amt der kriegerischen Ehre Eintrag zu thun schien, so hatte man die Uniformen der dienstthuenden Soldaten an Kragen und Aermeln mit Streifen rothen Papiers besetzt, und so eine Art von phantastischer Uniform geschaffen. Tieck hatte seinen Sitz auf dem ersten Platze eingenommen, und sah vertrauensvoll und heiter dem wunderlichen Schauspiele entgegen, in dem in ungeschickter Weise Natur und Kunst verbunden werden sollten. Diese gab sich selbst auf, indem sie sich in kläglich verzerrter Gestalt unmittelbar neben jene stellte. Inzwischen begann das Publicum voll Ungeduld und Erwartung ein eigenthümliches Vorspiel aufzuführen. Man drängte und lärmte durcheinander. Die entfernter Sitzenden versuchten es zuerst mit List, dann mit offenbarer Gewalt, ohne sonderliche Achtung vor der soldatischen Polizei, in die vordern Reihen der Honoratioren einzudringen. Einige waren sogar unverschämt genug, im Bühnenraume selbst sich niederzulassen. Unter diesen drohenden Anzeichen begann das Stück. Die Soldaten im Stücke, die den wirklichen gegenüber eine armselige Figur spielten, fingen an ihre Rollen herzusagen. Da aber bei der um sich greifenden Unordnung jede Kunsttäuschung vollends aufhörte, so wurden die Schauspieler durch die Eindringlinge unterbrochen und verhöhnt, und mußten endlich unter dem Jubel der barbarischen Kunstfeinde beschämt abziehen. Der Director rief in seiner Noth die bisher ziemlich unthätige Polizei zu Hülfe. Ein Reichssoldat versuchte unter Flüchen und Schimpfreden das Publicum in die Schranken zurückzutreiben, und schwang dabei seinen eisernen Ladestock, den er als Amtsstab in der Hand hatte, rücksichtlos über den Häuptern der Aufrührer, von denen er den einen und den andern unsanft berührte. Mit Verdruß hatte Tieck diese Scene angesehen. Zuerst ärgerte ihn die Unverschämtheit des Publicums, das sich selbst den Spaß verdarb, dann die Fuchtel des Soldaten. Plötzlich fühlte auch er sich von dem Zauberstabe am Hute getroffen. Eine wahre Berserkerwuth ergriff ihn. Blindlings stürzte er über die Schranken fort, auf den züchtigenden Soldaten los. Als die erste Wuth von ihm gewichen war, sah er nicht ohne Verwunderung, daß er auf der Brust des Soldaten kniee, der dem unerwarteten Angriffe erlegen und sammt dem Angreifer zu Boden gestürzt war. Jetzt erst erfolgte der allgemeinste Aufruhr; mit Mühe trennten die herbeieilenden Wachen die Kämpfer, und führten den Hauptübelthäter vor den commandirenden General. Dieser empfing ihn mit zornigen Begrüßungen; er habe sich meuterisch an dem Reichssoldaten vergriffen, das sei ein Verbrechen gegen Kaiser und Reich, eine exemplarische Strafe und Satisfaction sei nothwendig. Während dieses Unwetters hatte Tieck seine Besonnenheit wiedergefunden. Nach einigen Gegenreden riß er dem dabei stehenden Soldaten ein Stück des papiernen Uniformbesatzes ab mit der Frage, welcher Truppentheil denn eine solche Uniform trage, an der er sich vergriffen haben solle. Diese unerwartete Wendung machte den General stutzig. Er hieß ihn seiner Wege gehen, und ergoß den Rest der Zornesschale über den unglücklichen Director, der nun seinerseits Zuschauer dieses Schauspiels gewesen war. Beschämt eilte Tieck, der plötzlich zum Haupthelden des Tages geworden war, durch die gaffende Menge nach Fürth zurück, in den Gasthof, wo er sein Pferd eingestellt hatte. Er dachte sich nach diesem unangenehmen Handel durch ein Glas Wein zu stärken, bevor er nach Hause eilte. Aber neue Beschämungen warteten seiner. Als er in dem Saale Platz nahm, war die Unterhaltung über die Rolle, die er heute gespielt hatte, bereits in vollem Gange. Nur scheu wagte er umherzublicken, und bemerkte in einiger Entfernung einen ihm wohlbekannten Buchhändler aus Erlangen mit seiner jungen, hübschen Frau. Diese pflegte er zierlich und nicht ohne huldigenden Eifer zu grüßen, so oft er sie am Fenster sah, was eben nicht selten der Fall war. Der Mann in der Voraussetzung, daß Tieck ihn nicht verstehe, sagte auf Englisch zu seiner Frau: „Das ist der junge Mensch, der sich draußen auf dem Naturtheater in so sonderbarer Weise bemerklich zu machen suchte.“ Das war zu viel! In welch lächerlichem Lichte mußte er nicht vor der Schönen erscheinen! In verbissenem Ingrimm über seine Heftigkeit eilte er, unter dem kaum verhaltenen Lachen der Umhersitzenden, zur Thür hinaus. Er warf sich aufs Pferd, und jagte verhängten Zügels, ohne rechts und links zu sehen, in das Abenddunkel hinaus. Doch das Abenteuer war noch nicht zu Ende. Er hatte gewähnt, auf dem Wege nach Erlangen zu sein; als er sich abzukühlen anfing, erkannte er, daß er in seinem Zorn die Richtung verloren hatte. Es war Nacht geworden; er befand sich in einem Gehölze, in dem er sich nicht erinnerte, gewesen zu sein. Umsonst suchte er in der Dunkelheit nach einem Wege. Es blieb nichts übrig, als über Stock und Stein auf gut Glück durch das Dickicht zu dringen. Da öffnete sich ihm unvermuthet eine malerische, aber doch besorgliche Scene. Um ein lustig loderndes Feuer hatte sich ein Zigeuner- und Kesselflickervölkchen gelagert, das unter dem Schutze der milden Reichspolizei auf den sich durchkreuzenden Gebieten ungestört sein Wesen trieb. Schon hatte die unheimliche Gesellschaft den Reiter bemerkt, und forderte ihn gastfrei auf, vorlieb zu nehmen und sich wahrsagen zu lassen. Es war ihm bei dieser unerwarteten Einladung nicht wohl zu Muthe. Indeß mit unbefangener Miene suchte er ihr zu folgen, um nicht aus einem Ehrengaste ein Gefangener zu werden. Man bot ihm zu essen; er mußte seine Hand hinreichen, und sich große Dinge verkünden lassen. Er war froh, als man ihn endlich ziehen ließ, ohne sein Pferd zurückzubehalten, und ihn sogar auf den rechten Weg geleitete. Doch hatte er die genossene Gastfreundschaft reichlich bezahlen müssen. Gegen Morgen kam er in Erlangen an. So wechselte in dieser heitern und bewegten Zeit studentischer Ungebundenheit ein wunderliches Abenteuer mit dem andern. Die buntesten und sonderbarsten Gestalten drängten sich an ihm vorüber, die verschiedensten Eindrücke machten sich geltend. Wie oft hatte er nicht von solchen und ähnlichen Vorfällen gelesen, oder sie beschrieben. Bisweilen schienen seine Phantasien zur Wirklichkeit zu werden, und in einer nüchternen Zeit stand er plötzlich mitten in Abenteuern, und ward gar zum Haupthelden. Kunst, Natur und Menschen zeigten sich ihm in den verschiedensten und zum Theil grellsten Beleuchtungen. Es waren auch Studien, die er in Erlangen machte. Freilich ganz andere als in Göttingen. Endlich ward er noch aus der Ferne Zuschauer, und mittelbar auch Theilnehmer eines andern Abenteuers, das minder harmloser Natur war, und einer rauhern Welt als der deutscher Dichterträume angehörte. Die Revolution jenseit des Rheins hatte unterdessen ihren blutigen Gang vollendet. Das Haupt Ludwig’s XVI. war gefallen. Es gab manche jugendliche Schwärmer, welche meinten, mit diesen dämonischen Mächten, deren zerstörende Gewalt sie nicht kannten, spielen zu können. Schon in Göttingen hatte man sich in Parteien getheilt. Man stritt, zankte und erhitzte sich aneinander. Brandes’ und Rehberg’s Namen wurden fast als Ekelnamen behandelt, die Siege der Franzosen nicht ohne Theilnahme verfolgt. Auch Tieck hatte sich wol einen Demokraten genannt, und von Freiheit und Menschenrechten gesprochen, ohne zu ahnen, in welchem Gegensatze das, was er hier zu vertheidigen schien, zu seinem Wesen stand. Bei den Meisten ging die Neigung für die Revolution überhaupt nicht tief. Thatsächlich beschränkte sie sich nur auf polizeiliche Plackereien und einige gesellige Unbequemlichkeiten in dem steifen Verkehr der Stände untereinander. Andere, heftiger und unbesonnener, wurden freilich tiefer in den Strudel hineingezogen. Zu diesen gehörte Burgsdorff. Wie manche junge Edelleute jener Zeit, hatte er sich für die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit begeistert. Von ganzem Herzen meinte er die heimische Tyrannei zu hassen, und mit lautem und herausforderndem Trotze gegen die eigenen Verhältnisse pflegte er seine Ansichten auszusprechen. Endlich ward es ihm zu eng in Göttingen. Im Frühjahre 1793, während Tieck sich anschickte, nach Berlin und Erlangen zu gehen, beschloß er nach Strasburg zu eilen, um die großen Bewegungen, von denen er das Heil der Welt erwartete, in der Nähe zu studiren. Doch hatte er nicht den günstigsten Augenblick gewählt. Er traf das französische Heer unter Custine in vollem Rückzuge vor den Preußen begriffen, und schon in Speier bekam seine Reise eine unerwartete Wendung. Hier traf er eine Berlinerin, die an einen Deutschen verheirathet war, der als Offizier bei den Franzosen stand. Sie begrüßte den alten Bekannten, und machte sich sogleich anheischig, ihm durch ihren Mann den gewünschten Paß zu verschaffen, ohne den es unmöglich war, die französische Grenze zu überschreiten. Doch als Burgsdorff sich bei dem Landsmann meldete, ließ ihn dieser, statt ihm den Paß auszustellen, ohne weiteres verhaften. Er hielt den eifrigen Demokraten für einen preußischen Spion, und da er sich in geläufigem Französisch zu vertheidigen begann, witterte man gar einen verkappten Emigranten in ihm. So ward der Freiheitsmann unvermuthet zum Gefangenen. Mit andern wurde er darauf im Gefolge der zurückgehenden Armee nach Landau abgeführt. Hier verhörte ihn Custine persönlich, und ließ ihn ohne eine Entscheidung zu treffen, einstweilen zu weiterer Haft nach Strasburg bringen. Auf dem Wege ward er als Aristokrat verhöhnt, man drohte mit dem Laternenpfahl, der Guillotine und Abführung nach Paris. Das keck begonnene Abenteuer schien den schlimmsten Ausgang nehmen zu wollen. Da Burgsdorff, aus Rücksicht auf seine Familie, Namen und Absicht verschwieg, damit man nicht in Berlin auf irgendeinem Umwege erfahre, wo er sei, ward seine Haltung immer verdächtiger, und seine Lage mit jedem Tage gefährlicher. Endlich beschloß man ihn nach dem Fort Belfort bei Basel abzuführen. Auch jetzt noch war er keck genug, mehrere Briefe, die man ihm heimlich für französische Emigranten in der Schweiz zugesteckt hatte, mitzunehmen. Er glaubte das einigen Leuten, deren Bekanntschaft er in Strasburg gemacht hatte, schuldig zu sein. Im Augenblicke des Abganges wickelte er unbefangen eine Anzahl von Buttersemmeln, mit denen er sich versah, in die gefährlichen Papiere, und brachte sie ohne Verdacht zu erregen in Sicherheit. Solange das Geld vorhielt, führte er auch in Belfort ein leidliches Leben. Unbekümmert um die Gefahr, in welcher er schwebte, machte er leichten Blutes lustige Gesellschaft mit den übrigen Gefangenen, fand in den Schildwachen ganz andere Leute, als er sie in der Heimat gekannt, und meinte selbst im Gefängnisse die Luft der Freiheit zu athmen. Doch die Verlegenheit wuchs, als das Geld ausging. An seine Familie konnte und wollte er sich nicht wenden; er beschloß die Hülfe seines Freundes Tieck in Anspruch zu nehmen. Er entdeckte ihm brieflich seine Lage, forderte ihn auf Geld, soviel und so schnell als möglich, zu senden, und machte ihm das tiefste Geheimniß in der ganzen Sache zur Pflicht. Da er in der Haft allein zurückgeblieben war, suchte er sich die Zeit so gut als möglich zu kürzen, bis die Antwort aus Erlangen eingetroffen sein würde. Er warf sich aufs Lesen, und begann endlich ein Trauerspiel zu schreiben, mit dem er sich schon lange getragen hatte. Aber auch für Tieck war guter Rath theuer. Woher sollte er jene Summen nehmen, da er selbst des Geldes bedurfte? Auf diesem Wege würde kaum zu helfen gewesen sein, wenn er nicht einen einflußreichen Freund Burgsdorff’s auf dessen Verlangen in das Geheimniß gezogen hätte, den Herrn von Bielfeld, der bei der preußischen Gesandtschaft im Haag stand. Die Schritte, welche dieser that, hatten endlich Burgsdorff’s Freilassung zur Folge. Durch solche Widerwärtigkeiten in seiner neufränkischen Begeisterung noch nicht abgekühlt, durchwanderte er ohne Geld einen Theil der Schweiz und Süddeutschlands, und traf endlich in unerschütterlich guter Laune Anfangs August in Erlangen ein. Der Sommer ging zu Ende. Man kannte Natur und Land; die Aussicht auf einen Winter in Erlangen war nicht gerade reizend, daher beschlossen die Freunde nach Göttingen zurückzukehren. Burgsdorff, der so Vieles von seinen Abenteuern zu erzählen wußte, hatte durch die Schilderungen der herrlichen Rheinlande den Freunden Lust erregt, auf diesem Wege nach Göttingen zu gehen. Er, der Menschen und Länder gesehen hatte, und es liebte, den dichterischen Freunden als der Mann des wirklichen Lebens entgegenzutreten, übernahm die Leitung der Reise. Kaum hatte man einen Tageweg zurückgelegt, als Tieck sich überzeugte, daß man stillschweigend die Richtung geändert habe. Offenbar ging es statt dem Rheine zu, nach Göttingen. Als er den Reisemarschall eindringlich zur Rede stellte, mußte der kluge Führer eingestehen, er habe die gemeinschaftliche Kasse theils verspielt, theils sonst verausgabt, es sei noch eben genug darin, um nach Göttingen zu kommen. Was half es? Zürnend und lachend fügten sich die Freunde in das Unabänderliche, suchten in Eilmärschen Göttingen zu erreichen, und trafen daselbst im Herbste ein, früher als sie gehofft und gewünscht hatten. 4. Lebensaufgaben und Pläne. Nach manchen Erfahrungen waren die Freunde, reicher an Kenntnissen der Welt und Menschen, in die Heimat zurückgekehrt. Jene wenigen aber inhaltvollen Monate in Erlangen hatten sie wesentlich gefördert, und statt der nüchternen Gestalten des Nordens und der Schatten der Bücherwelt, hatten sie ein reiches Leben kennen gelernt, das manchen dichterischen Gedanken erweckte. Ein solcher Stoff wollte verarbeitet sein; dazu war das gelehrte und aufgeklärte Göttingen, das von dem Schauplatze der Weltbegebenheiten entfernt genug lag, mit seinen Vorlesungen, seiner Bibliothek und seinem wohlgeordneten Leben der geeignete Ort. Die Lieblingsstudien wurden wieder hervorgesucht, und bald gewannen sie die Gestalt einer gelehrten Aufgabe, an deren Lösung man die Kraft des Lebens zu setzen bereit ist. Tieck kehrte zu seinem Helden Shakspeare zurück. Allmälig stand der Gedanke eines größern Werkes über den Dichter und seine Zeit in allen Theilen abgeschlossen da. Es sollte die Größe Shakspeare’s verkündigen, welche Deutschland, trotz Wieland’s Uebersetzung und Lessing’s und Goethe’s Hinweisung, nur sehr unvollkommen kannte, oder bezweifelte. Es war ihm zur Ueberzeugung geworden, der Weg, welchen man in Theater und Literatur zur Erkenntniß des Dichters eingeschlagen hatte, konnte niemals zum Ziele führen. Allzu sehr von dem Werthe der eigenen Bildung erfüllt, hofmeisterte man ihn überklug, man schalt ihn einen Barbaren, ein wildes Waldgenie, das gereinigt und geputzt werden müsse, um in der Gesellschaft anständiger und aufgeklärter Männer erscheinen zu können. Man verstümmelte barbarisch die Werke, welche man schon aus historischer Rücksicht hätte achten sollen, und auf deren Erkenntniß es eben ankam. Nicht minder flach erschien die unaufhörlich wiederholte Meinung, Shakspeare sei, trotz seiner Wildheit und Regellosigkeit, dennoch ein großes Genie. Worin anders aber hätte sich dieses zeigen sollen, als in seiner innern wahren Kunstvollendung? Zu wiederholten Malen hatte er Shakspeare’s sämmtliche Dichtungen durchstudirt. Dann war er zu historisch-kritischen Forschungen über den Dichter, die Geschichte seines Lebens, seiner Zeit und Werke übergegangen. Hier ließ sich eine neue Wissenschaft aufbauen. Was die Bibliothek an Ausgaben und Commentaren besaß, war ihm bekannt und geläufig. Doch wenn die deutschen Kunstrichter ihm nicht Genüge thaten, so gaben die englischen Kritiker und Erklärer durch ihre Dürre und die übermäßige Nüchternheit, mit der sie nur bei dem Außenwerke stehen blieben, keinen geringern Anstoß. Neben Ben Jonson hatte er auch Beaumont und Fletcher, Massinger und Andere in den Kreis seiner Studien hineingezogen. Unter Shakspeare’s Dramen zog ihn wegen seines phantastisch-märchenhaften Charakters der „Sturm“ besonders an. Er vollendete um diese Zeit eine Bearbeitung, in welcher er noch die allgemein geltenden Gesichtspunkte festhielt, weil er an die Möglichkeit einer Darstellung auf der Bühne dachte. Zugleich sollte ihm dieses Stück Veranlassung geben, seine Ansichten über Shakspeare in einer Reihe von Abhandlungen darzulegen, und eine richtigere Auffassung des Dichters vorzubereiten. Zuerst beschränkte er sich auf die Behandlung des Wunderbaren und dessen Darstellung im „Sturm“. Diese Arbeit sandte er mit einer Probe seiner Uebersetzung an Schiller mit dem Wunsche, daß beides in die „Thalia“ aufgenommen werden möge. An das umfassende Werk über Shakspeare sollten sich dann mehrere Dramen anderer Dichter aus jener Zeit anschließen, namentlich der vier genannten. Die bedeutendsten dachte er zu übersetzen, die andern, um dem Publicum nicht zu viel zuzumuthen, im Auszuge oder in freier Bearbeitung zu geben; historische und kritische Anmerkungen sollten das Ganze begleiten. Schon sah er sich nach einem Verleger um, dem er sein kritisches Erstlingswerk übergeben könne. Wackenroder, der die Pläne des Freundes mit keinem geringern Eifer als die eigenen verfolgte, hatte sich deshalb bereits an seinen Lehrer, den Prediger Koch in Berlin gewandt, mit dem er noch in wissenschaftlichem Verkehre stand. Hieran schloß sich eine verwandte Arbeit, die unter Fiorillo’s Augen entstanden war, dessen Vorlesungen über Malerei und Kunstgeschichte Tieck hörte. Es war eine Beurtheilung der in England herausgegebenen Sammlung von Kupferstichen nach der „Shakspeare-Galerie“. Bereits 1794 erschien sie auf Heyne’s Vermittelung in der „Bibliothek der schönen Wissenschaften“. Zugleich eröffnete sich ihm um diese Zeit ein Weg in die Literatur. Von Göttingen aus kam er mit dem alten Nicolai, dem er in Berlin fern gestanden hatte, in nähere Berührung. Entscheidend war eine Reise, die er mit Wackenroder um Ostern 1794 nach Braunschweig und Wolfenbüttel machte, um die dortigen Bibliotheken und Sammlungen kennen zu lernen. Er erneuerte die Bekanntschaft Ebert’s, welcher ein behagliches wissenschaftliches Stillleben führte, und den jungen Dichter mit herzlichem, fast väterlichem Wohlwollen empfing. Ebenso entgegenkommend zeigte sich Eschenburg; er nahm besonders an Tieck’s Arbeiten über Shakspeare Antheil. Die beiden ältern Freunde überzeugten sich, daß hier eine Kraft sich Bahn zu brechen suche, die jede Unterstützung und Aufmunterung verdiene. Bei nächster Gelegenheit wiesen sie daher ihren Freund Nicolai auf seinen Landsmann hin. Nicolai war eine Macht in der deutschen Buchhändlerwelt, und unterstützte junge Talente gern in mäcenatischer Weise. Nachdem er sich von Tieck’s Arbeiten und literarischen Plänen unterrichtet hatte, erklärte er sich nicht nur bereit den „Abdallah“ und Anderes in Verlag zu nehmen, sondern er übersandte ihm sogar eine Abschlagssumme des verabredeten Honorars. Endlich begann sich auch Anderes zu gestalten. Schon 1793 war im ersten Entwurf eine Tragödie „Karl von Berneck“ entstanden. Unter den fränkischen Burgen hatte keine einen tiefern Eindruck zurückgelassen als die Ruinen von Berneck, deren düsterer Anblick trefflich zu der Sage paßte, welche dort lebte. Ein Sohn sollte die Mutter ermordet haben, um den durch sie und ihren Verführer gefallenen Vater zu rächen. Es war ein deutscher Orest, der sich in die Mitte zwischen den griechischen Helden und den englischen Hamlet stellte. Der schon am Orte selbst gefaßte Gedanke, einen tragischen Helden aus ihm zu bilden, kam jetzt zur Ausführung. Die Sage, der Schauplatz des deutschen Mittelalters, Alles schien sich zu vereinen, um dem Dichter einen Stoff zu geben, der seiner Eigenthümlichkeit ganz zusagen mußte. Inzwischen hatte auch Wackenroder einen nicht minder unbetretenen Pfad der Studien eingeschlagen, den er mit Eifer verfolgte. Freilich wußte er nur zu gut, im Sinne seines Vaters war es ein Irrweg. Er hatte sich der ältern deutschen Literatur zugewendet, die sich wie ein Wunderland in fernen dunkeln Umrissen erhob, welches man in zaghaften Versuchen wieder zu entdecken trachtet. Sein Aufenthalt in Erlangen und Nürnberg hatte gezeitigt, was sein Lehrer Koch angeregt hatte. Die Manesse’sche Sammlung der Minnelieder, die Müller’schen Ausgaben der Heldengedichte, die Anfänge des deutschen Dramas, namentlich Hans Sachs, studirte er mit Eifer, meistens nur auf sich und seine Begeisterung angewiesen. Zugleich übernahm er manchen gelehrten Auftrag für Koch, zu dessen Compendium der deutschen Literatur er auf den reichen Bibliotheken in Göttingen und Kassel Notizen über altdeutsche Handschriften sammelte. Dies gab Veranlassung, den Rath Casperson kennen zu lernen, der ebenfalls für die ältere deutsche Poesie eine lebhafte Theilnahme hatte. Auch wurde er dem als Staatsmann und Forscher bekannten hessischen Minister von Schlieffen vorgestellt. So gleichmäßig das Leben war, welches die beiden angehenden Gelehrten führten, so fehlte es doch nicht an lustigen Vorfällen und studentischen Abenteuern. Bei aller Freundschaft liebte man es sich gegenseitig durch übermüthige Neckereien zu stören oder zu hintergehen, um dann zu allgemeinem Jubel eine unerwartete Enttäuschung herbeizuführen. Zu solchen Komödien forderte zunächst Wackenroder’s Gutmüthigkeit und Leichtgläubigkeit in den alltäglichen Dingen heraus. Leicht suchte und fand er Wunder und Geheimnisse, und seine Neigung für das Tiefsinnige, Mystische, Sonderbare ward oft genug Gegenstand des Spottes und Angriffs. Besonders Burgsdorff liebte es ihm in übermüthiger Keckheit schonungslos entgegenzutreten. Einmal ward Wackenroder das Opfer einer Täuschung, welche über die Grenzen des Erlaubten fast hinausging. Burgsdorff besaß einen Hund Namens Stallmeister. Er war sein treuer Gefährte auf abenteuerlichen Fahrten gewesen, und zeigte sich in allen Dingen als der Studenten gelehrigen Scholar. Da man die Anstelligkeit des Thieres oft gepriesen und sein Genie scherzend anerkannt hatte, so beschloß man übermüthigerweise, Wackenroder einzubilden, der Hund habe es in der Stille bis zum Lesen und zur Theilnahme an den Studien seiner Herren gebracht. Wackenroder war ein eifriger Collegiengänger. Nie hätte er eine Vorlesung ohne die dringendste Veranlassung versäumt, auf das eifrigste schrieb er nach. Minder gewissenhaft waren die beiden andern Freunde. Sie benutzten eine Stunde, in welcher er im Collegium war, um auf seinem Zimmer den Hund in die gehörige Verfassung zu setzen. In aufrechtsitzender Stellung banden sie ihn auf dem Stuhle vor Wackenroder’s Arbeitstische an; die beiden Vorderpfoten ruhten auf einem mächtigen Folianten, welchen man vor ihm aufgeschlagen hatte. Das gelehrige Thier, das solcher Kunststücke gewohnt war, machte auf dem Sessel des Gelehrten eine ganz überraschende Figur. Die beiden Muthwilligen verbargen sich darauf in der anstoßenden Kammer, um den Erfolg ihrer List abzuwarten. Früher als gewöhnlich kehrte Wackenroder zurück. Er benutzte eine Pause, um ein vergessenes Heft zu holen. Voll Ueberraschung blieb er stehen; sein Auge war auf den Hund und dessen tiefsinnige Stellung gefallen. Er warf noch einen scheuen Blick auf das Thier, und steckte dann die vergessenen Blätter geräuschlos zu sich. Die Furcht seine Pflicht zu versäumen, und die Besorgniß die wunderbare Erscheinung durch längeres Verweilen zu stören, trieben ihn fort. Eilig und leise verließ er das Zimmer. Die lauschenden Freunde erkannten, er sei mit der Ueberzeugung, den Hund in Studien vertieft gesehen zu haben, gegangen. Sie erlösten den unfreiwilligen Gelehrten aus seiner peinlichen Lage, und warteten den Erfolg ab. Als sie Wackenroder wiedersahen, war er ungewöhnlich still und in sich gekehrt. Sie hielten es nicht gerathen ihn mit Fragen zu beunruhigen, sondern ehrten rücksichtvoll sein Schweigen. Endlich, als sie Abends in gewöhnlicher Weise beisammensaßen, und kein Gespräch in Gang kommen wollte, brach er das Schweigen, und begann mit vielsagender tiefsinniger Miene: „Freunde, ich muß euch eine geheimnißvolle Begebenheit mittheilen, deren Zeuge ich heute gewesen bin. Ich sage euch, es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich eure Schulweisheit träumen läßt. Unser Stallmeister kann lesen!“ Er erzählte darauf im Tone der vollsten Ueberzeugung die Scene, welche die Freunde ihm aufgeführt hatten. Anfangs hörten sie ihm mit kaum unterdrücktem Spotte zu, doch bald machte dieser einer ernstern Stimmung Platz. Daß ihr Scherz so vollständig gelingen könne, hatten sie selbst nicht erwartet. Sie erschraken, ihn jene außerordentliche Erscheinung so glaubensvoll beschreiben zu hören. Fast schien er in das Gebiet der phantastischen Visionen hinüberzuschweifen. Endlich machte man der Sache ein Ende, und bat ihn die Geschichte jener Erscheinung aufmerksam anzuhören. Die Auflösung des Räthsels war zu schlagend, um etwas dagegen einzuwenden, aber Wackenroder konnte seine Empfindlichkeit nicht ganz unterdrücken, daß man ihm so schonungslos mitgespielt. Aber auch an Tieck kam die Reihe, durch äußere Zufälligkeiten und kleine Erlebnisse, die seine Phantasie erregten, in die Welt der Schauer zurückgezogen zu werden, aus welcher er sich gerettet zu haben meinte. Wenn er zu Zeiten Tage und Nächte hindurch von seinen Stoffen erfüllt bis zur höchsten Aufregung arbeitete, dann bewährte sich Wackenroder’s besonnene Freundschaft. Bei einer solchen Gelegenheit sagte ihm dieser einst: „Wie kann man sein Talent so leichtsinnig verschwenden! Das heißt sich ruiniren, sich geistig an den Bettelstab bringen! Wer so ohne Sammlung arbeitet und auf sich einstürmt, kann nur mit Geisteszerrüttung enden!“ Wie es öfter geschah, war einst beim Studium des Shakspeare Mitternacht herangekommen. Er las den „Macbeth“, und folgte mit steigender Bewegung der erschütternden Scene, in welcher der eben vollführte Mord geschildert wird. Er glaubte Zeuge der blutigen That zu sein. Mit angehaltenem Athem hörte er den Rächer an das Thor des Schlosses pochen. Und klopfte es nicht in diesem Augenblicke wirklich? „Es ist Wackenroder!“ dachte er, dessen Rückkehr aus einer Gesellschaft er erwartete. Unwillig über die Störung, die er für einen unzeitigen Scherz hielt, rief er „Herein!“ Plötzlich traf ihn ein kalter Luftstrom von hinten her. Die Thür mußte sich leise geöffnet haben. Er fühlte eine eisige Hand über sein Gesicht gleiten. Voll Entsetzen fuhr er in die Höhe. Neben seinem Stuhle stand ein runzelvolles, gnomenhaftes altes Weib, das ihn grinsend anblickte, und ihm die geöffnete Hand murmelnd entgegenstreckte. Fast schien es, eine der Hexen Macbeth’s sei plötzlich in seinem Zimmer wie eine Erdblase aufgestiegen, und komme auch ihn zu verwirren. Zwischen Täuschung und Wirklichkeit angstvoll schwebend, rief er dem Weibe zu, wer sie sei, was sie wolle. Sie gehörte, wie sich später zeigte, zu einem Haufen Bettelvolkes, das man Nachts durch die Stadt geführt hatte. Sie war den Hütern entkommen, und hatte durch die für Wackenroder geöffneten Thüren den Weg in Tieck’s Zimmer gefunden. Mit einem Almosen kaufte er sich los; aber er mußte sich gestehen, einen tiefern Schreck hatte er seit langer Zeit nicht empfunden. Besonders aber öffnete sich die Welt der Abenteuer, sobald die Freunde die Mauern des gelehrten Göttingen verließen. Auch jene Reise nach Braunschweig war nicht frei davon. Als Tieck durch die Straßen der Stadt ging, erblickte er an einem Fenster ein schönes junges Mädchen, welches ihn durch Zeichen als einen alten Bekannten zu grüßen schien. Einem neugierigen Zuge folgend, betrat er das Haus. Bereits auf der Treppe kam sie ihm in höchster Aufregung entgegen. „Gut, daß Sie kommen“, rief sie ihm zu, „ich habe Sie lange erwartet! Ich komme sogleich zurück, ich will nur meinen Schmuck anlegen.“ Betroffen über diesen seltsamen Empfang, blieb er nicht ohne Spannung zurück, wie das enden werde. Die Schöne kehrte nach einigen Augenblicken zurück, aber wie verändert! Ophelia! hätte er ausrufen mögen. Phantastisch mit einem Kranze geschmückt, statt des Gürtels und über den Schultern Gewinde von Stroh und Blumen, trat sie ihm mit irrem Lächeln entgegen. „Da bin ich!“ sagte sie. „Und nun fort! Meine Verwandten verfolgen mich!“ Staunend blickte er die Unglückliche an. Jene wunderbare und räthselhafte Gestalt seines Dichters schien aus der Welt der Phantasie in die sinnliche Wirklichkeit getreten zu sein. Da vernahm er ein Geräusch. Eilig kamen mehrere Personen aus dem Innern des Hauses, sie bemächtigten sich der Unglücklichen, und führten sie ohne auf ihr erschütterndes Geschrei zu achten, zurück. Es war eine Irrsinnige, die sich ihren Wächtern entzogen hatte. Voll Entsetzen eilte er aus dem Hause. Jenes grauenhafte und doch rührende Bild, wie jene schrecklichen Töne verfolgten ihn noch lange. Ein anderes Mal war es in der Abenddämmerung, als er allein über Land fuhr. Bald bemerkte er, daß ein wandernder Handwerksgeselle mit dem Wagen gleichen Schritt halte. Gutmüthig bot er ihm einen Platz in demselben an, und dankbar wurde der Vorschlag angenommen. Schüchtern saß der Reisegefährte eine Zeit lang neben ihm. Endlich brach er das Schweigen. Soviel Ursach er habe zu danken, sei es doch auch ein Glück mit ihm zusammenzutreffen. „Denn Sie werden es nicht glauben“, fuhr er fort, „aber doch ist es so. Ich bin der Sohn Friedrich’s des Großen.“ Unwillkürlich rückte Tieck von der Seite seines Begleiters fort; ihm wurde unheimlich zu Muthe. So unbefangen als möglich suchte er auf diese fixe Idee einzugehen. Er bemerkte, er habe immer geglaubt, Friedrich habe keine Kinder hinterlassen. „Das ist es eben, was meine Gegner verbreiten“, erwiderte der Andere, „um mich und meine gerechten Ansprüche zu unterdrücken. Sie können ihre Bosheit erkennen, wenn ich Ihnen sage, daß man mich erst in Spandau eingesperrt, und dann noch obenein unter die Juden gesteckt hat! Wer glaubt nun an meine hohe Abkunft? Ueberall lacht man und ruft: das ist ja ein Jude!“ Tieck betrachtete jetzt seinen Begleiter genauer, und entdeckte allerdings an ihm jüdische Gesichtszüge. Er unterhielt sich noch eine Zeit lang mit ihm in gleichgültigem Tone, und war froh, den unheimlichen Gefährten auf dem nächsten Haltpunkte abzusetzen. Heiterer Art war das Abenteuer, welches die Freunde auf der Bibliothek zu Wolfenbüttel zu bestehen hatten. Der Bibliothekar Langer stand im Rufe, die Besuchenden nicht zu allen Zeiten glimpflich zu empfangen. Vorsorglich hatten sie sich daher ankündigen lassen; außerdem vertrauten sie auf Heyne’s Empfehlung, die wol für einen Freipaß in der gelehrten Welt gelten konnte. Sie hatten sich an Ort und Stelle eingefunden, als nach längerm Zögern der Bibliothekar in feierlicher Amtswürde erschien, in Schuhen und Strümpfen und dem besten gelehrten Putze. Mochte er nun die Meldung falsch verstanden, oder bessere Leute erwartet haben, als er sah, daß die angekündigten Fremden nichts mehr und nichts weniger waren, als ein paar göttinger Studenten, trat er ihnen barsch mit der Frage entgegen, was ihr Begehren sei. Wackenroder, der es übernommen hatte mit dem borstigen Gelehrten zu sprechen, wurde durch diesen Empfang in nicht geringe Verlegenheit gesetzt. Schüchtern brachte er endlich heraus, der Herr Hofrath Heyne habe die Güte gehabt, ihnen eine Empfehlung an den Herrn Bibliothekar aufzutragen. „Ich weiß gar nicht“, fuhr Langer ärgerlich dazwischen, „was mir der Herr Hofrath Heyne für Empfehlungen schickt, bei denen niemals etwas herauskommt.“ Tieck hatte unterdessen einen alten Druck auf einem der Bücherbreter ins Auge gefaßt, und da der Zorn des Bibliothekars sich noch weiter ergießen wollte, trat er respectvoll mit der Bemerkung vor, man habe um die Erlaubniß bitten wollen, jenen alten Druck auf kurze Zeit außer der Bibliothek zu benutzen. Dies wurde nach einigem Widerstreben gewährt, und die Freunde waren froh, der gelehrten Löwenhöhle zu entkommen. Es näherte sich nun die Zeit, wo ein Entschluß gefaßt werden mußte. Zwei und ein halbes Jahr war Tieck von Hause entfernt. Die akademische Freiheit ging dem Ende entgegen, und hatte er auch ein entschiedenes Studium gefunden, so wollten ihm doch die regelrechten Formen des Lebens jetzt fast noch weniger zusagen als damals, wo er die Vaterstadt verließ. Er konnte zu keinem andern Ergebniß kommen, als sich unabhängig in seiner Weise ausbilden zu wollen. Aber wie war es möglich, sich von den gewöhnlichen Lebensbedingungen frei zu machen? Mit nicht geringern Sorgen sah Wackenroder in die Zukunft. Sobald er nach Hause zurückgekehrt war, stand ihm der Eintritt in den Justizdienst, in das Amt unausbleiblich bevor. Nach allen Studien, denen er sich mit Fleiß und voll moralischen Entschlusses unterzogen hatte, stand es in der That fest, für die Rechtswissenschaft hatte er keinen Beruf. Er konnte sich diesen trockenen Stoff nicht aneignen, manche Verhältnisse und Lehrsätze blieben ihm trotz wiederholter angestrengter Versuche, sie aufzufassen, vollkommen unbegreiflich. Dagegen versenkte er sich immer mehr in Betrachtung und Studium der Kunst, ja er versuchte ihre Ausübung. Farbe und Ton waren sein Element. Er war ausübender Musiker. Reichardt hatte sein Talent erkannt, und ihm Leitung und Anweisung gegeben; unter seinen Augen hatte er sich gebildet, und sich in eigenen Compositionen versucht. In der Zeit der Unabhängigkeit war er noch fester und entschiedener geworden. Indem für beide Freunde die Zukunft zweifelhaft erschien, entstand bei ihnen ein abenteuerlicher Plan, welchen der dritte Freund, Burgsdorff, der schon einmal eine ähnliche Fahrt durchgemacht hatte, mit Vorliebe weiter ausspann. Sie wollten in der Stille Göttingen verlassen, und nach Italien, dem Lande der Kunst und der dichterischen Sehnsucht gehen, um dort ein neues Leben anzufangen. In Rom sollte Wackenroder frei von allen Fesseln Musik studiren, und dereinst, so träumten sie, dem Vater als Meister von Ruf und Namen selbständig entgegentreten. Tieck sollte als Dichter und Schriftsteller wirken. Freilich wie man sich durchschlagen wollte, bis man das gelobte Land erreicht habe, welche Kämpfe es auch dort noch kosten werde, daran hatte man kaum gedacht. Endlich, als die Freunde anfingen, sich ernstlich mit diesem Gedanken vertraut zu machen, sprang Burgsdorff zuerst wieder ab, weil er sich inzwischen in Verhältnisse eingelassen hatte, die seine Rückkehr nach Berlin forderten. Auch die beiden Andern ließen den Plan fallen, und so blieb nichts übrig, als nach Ablauf des Sommers ruhig nach Hause zurückzukehren, und abzuwarten was sich weiter begeben werde. Aber wenigstens nicht auf geradem Wege wollten sie zurückkehren. Noch einen Hauptpunkt des Nordens beschlossen sie zu besuchen, Hamburg. Wenn es auch die Sehnsucht sein mochte, nach langer Zeit die Alberti’sche Familie wiederzusehen, welche Tieck dorthin führte, so hatte doch die Stadt auch manches andere Anziehende. Der Ruf des hamburger Theaters war allgemein verbreitet. Schröder war als darstellender Künstler, wie als leitendes Talent und dramatischer Schriftsteller für ihn eine der merkwürdigsten Erscheinungen. Ohne Zweifel war Schröder neben Fleck der größte Mann der deutschen Bühnenwelt. Nicht ohne Besorgniß hatte Wackenroder Tieck’s Absicht vernommen, in Hamburg auch Schröder besuchen zu wollen. Er hatte den Verdacht, der Freund verbinde mit diesem Besuche den Plan, jetzt endlich die Bühne wirklich zu betreten. Die Lage, in welcher Tieck sich befand, gab dieser Vermuthung viel Wahrscheinlichkeit. So sehr Wackenroder die Theaterliebhaberei des Freundes theilte, hatte doch der Gedanke, ihn auf den Bretern unter den Schauspielern zu sehen, für ihn etwas Widerwärtiges, ja Schmerzliches. In dem Augenblicke, als Tieck sich zu seinem Besuche anschickte, eilte ihm Wackenroder voran und verschloß die Thür des Zimmers. „Ich weiß, was du jetzt beabsichtigst!“ rief er ihm voll Erregung zu. „Du willst zu Schröder gehen, um dich bei ihm für das Theater zu melden. Ich bitte, ich beschwöre dich“, fuhr er fort, indem er ihn unter ausbrechenden Thränen umarmte, „bedenke, was du thust, welche Folgen dein unbesonnener Schritt nothwendig haben muß!“ Voll Staunen über diesen fast leidenschaftlichen Ausbruch der Freundesliebe, bat ihn Tieck sich zu beruhigen. Er habe dem Gedanken, die Bühne zu betreten, längst entsagt; er gebe ihm sein Wort, daß er nur die Absicht habe, Schröder persönlich kennen zu lernen. Wie dem auch sein mochte, es hatte mindestens die Folge, daß der Besuch entweder ganz unterblieb, oder doch kein weiteres Ergebniß hatte. Dagegen wünschte Wackenroder lebhaft, Klopstock, den Patriarchen der deutschen Poesie, zu sehen. Zurückgezogen lebte dieser in dem abgeschlossenen Kreise seiner Bewunderer, und schon seit langer Zeit betrachtete er die spätere deutsche Dichtung aus mistrauischer Ferne. Glänzendere Namen hatten seinen einst gefeierten in den Hintergrund gedrängt. Wackenroder war zu pietätsvoll, als daß er sich einer solchen Größe nicht hätte nahen sollen, auch wenn er nicht überall im Einverständniß mit ihr war. Tieck ging nur mit Widerstreben auf den Wunsch des Freundes ein. Er fühlte sich dem alten Dichter viel zu fremd, um in der That die Miene des Bewunderers annehmen zu können. Klopstock’s hochgespannte Oden widersprachen zu sehr dem einfachen Volkstone, den er zu suchen begann. Diese fremdartigen verschlungenen Versmaße, die dem Ohre kaum noch verständlich waren, die jüdische und die germanische Urwelt, alles das schien für eine volksthümliche Auffassung in viel zu weiter Ferne zu liegen. Schon der erste Eindruck war kein günstiger. Es war kein Barde der Telyn, noch weniger ein alttestamentarischer Prophet, der ihnen entgegentrat, sondern ein deutscher Gelehrter im Schlafrock, mit der Tabackspfeife in der Hand. Ein kleiner zusammengetrockneter Mann mit schneeweißem Haar, doch mit hellen lebhaften Augen, der in kurzen und hastigen Bewegungen im Zimmer hin- und herschoß. Er sprach laut und rasch im höchsten Tone, fast schneidend. Im Gespräche sprang er ungeduldig von einem Gegenstande zum andern über. Man kam auf den gegenwärtigen Zustand der deutschen Literatur, und auf Goethe. „Nun“, fragte Klopstock spottend, „hat sich denn Goethe immer noch nicht todtgeschossen?“ Er war noch auf dem Standpunkte der Wertherperiode, und hielt die damals ausgesprochene Meinung fest, Goethe müsse seiner Ansicht gemäß wie sein Held enden, und sich eine Kugel vor den Kopf schießen. Auch von der französischen Revolution war die Rede. „Sehen Sie hier!“ sagte er indem er auf eine Büste der Charlotte Corday hindeutete, „das ist meine Heilige!“ Eine danebenstehende wunderliche Büste mit drei Köpfen erklärte er für das Sinnbild der Unparteilichkeit. Er betrachte sie häufig, um sich stets die Nothwendigkeit eines freien und unabhängigen Urtheils zu vergegenwärtigen. Im Verlaufe des Gespräches äußerte er, die französische Revolution habe doch ein Gutes gehabt, die „Messiade“ sei in das Französische übersetzt worden, das wäre ohne sie nimmer geschehen. Die zur „Messiade“ gegebenen Kupfer seien elend; namentlich sei es den Künstlern nicht gelungen, die himmlischen Gestalten so darzustellen, daß auch zugleich ihre Unsichtbarkeit angedeutet werde. Als die Freunde sich entfernten, mußten sie sich gestehen, der Sänger der „Messiade“ habe eher einen komischen als erhabenen Eindruck gemacht. Er schien nicht frei von Eitelkeit, und seine Bedeutung für die Literatur zu überschätzen. Fast hätten sie es bereuen mögen, ihn aufgesucht zu haben. 5. Die Vaterstadt. Im Herbste 1794 war Tieck wieder in Berlin. Er sah das väterliche Haus, die Freunde, die Kreise wieder, in denen er seine erste Bildung erhalten hatte. Es war noch der alte, ihm wohlbekannte Zuschnitt der Dinge; nur wenig hatte sich geändert. Aber er war ein anderer geworden. Als Schüler war er gegangen, als durchgebildeter Mann kehrte er zurück, mit dem vollen Entschlusse selbständig, nach eigener Ueberzeugung einzugreifen. Seine Ansichten waren fester, sein Urtheil sicherer, sein Blick schärfer geworden; Muth und Zuversicht, der Glaube an seinen Beruf waren gewachsen. Im Gefühle der vollsten Jugendkraft war er wenig geneigt zu schonen oder sanft aufzutreten. Der Abgeschmacktheit und Albernheit erklärte er offen den Krieg, und war entschlossen ihn schonungslos zu führen, wo er sie auch finden mochte. Auf dem Gebiete der Dichtung, der Kritik und Literatur begegnete er ihr so häufig! Der Ton der kritischen Zuversicht, Unfehlbarkeit und Kunstrichterei war in Berlin zu Hause; er mochte sich eher gesteigert als gemildert haben. Die alten Kunstrichter schienen ihr Amt hier um so entschiedener behaupten zu wollen, je mehr sie auf andern Punkten allmälig aus ihrer frühern Stellung hinausgedrängt worden waren. Die meisten angesehenen und namhaften Männer Berlins, welche bisher die öffentliche Meinung geleitet hatten, insofern von einer solchen überhaupt die Rede sein konnte, waren in den Zeiten Friedrich’s des Großen gebildet. Die Ansichten, welche in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die herrschenden waren, hatten sie in sich aufgenommen, sie waren in Fleisch und Blut übergegangen. Es waren moralische, pflichttreue Männer in allen Fächern des Wissens und der Verwaltung, die mit ernstem und hingebendem Amtseifer und oft mit eiserner Kraft arbeiteten. Sie waren klar, scharf, nüchtern und doch nicht frei von idealer Täuschung. Wie sie an sich selbst arbeiteten, wollten sie auch die moralische Verbesserung der Menschen. Durch ein äußerliches Machen und Eingreifen glaubten sie dies zu erreichen, durch Maßregeln und Verordnungen die Menschheit erziehen zu können. Sie hatten die Zuversicht, nur in den Formen, wie sie sich in dem Zeitalter Friedrich’s entwickelt hatten, sei eine heilsame Wirksamkeit möglich. In diesen Ansichten begegneten sich die Richter und Räthe der Collegien, die Theologen der sächsischen Schule, welche bis dahin die Kanzeln fast allein beherrscht hatten, und deren Predigt das Christenthum nützlich zu machen suchte, die Schulmänner, welche die Bildung in dem Gemeinverständlichen fanden, die Kritiker, Popularphilosophen und sogenannten Dichter, welche das Theater leiteten, die wenig zahlreichen öffentlichen Blätter herausgaben, und die Literatur in Händen hatten. Der Gedanke, von dem alle diese Männer beseelt waren, ließ sich in dem einen Worte „Aufklärung“ zusammenfassen. Gewiß war es ein edles und anerkennenswerthes Streben, die höchsten Güter des Geistes allen Menschen zugänglich machen zu wollen, und die Schranken einer anmaßenden und selbstsüchtigen Ausschließlichkeit aufzuheben. Aber indem diese Männer danach trachteten, Allen mitzutheilen, was nur nach dem verschiedenen Maße der Kräfte von den Einzelnen aufgefaßt werden kann, entging es ihnen, daß nothwendig eine Verflachung eintreten mußte. Ein gewisses durchschnittliches Maß des allgemein Verständlichen mußte gesucht werden, das für Viele gerecht und passend sein konnte, aber darum nur die Mittelmäßigkeit selbst war. Diese aber ist die geborene Gegnerin alles Höhern, und sie mußte eine doppelt widerliche Haltung annehmen, wenn sie sich mit Dünkelhaftigkeit paarte, die sich entweder in innerstem Selbstbehagen, oder in dem Glauben an halbverstandene Autoritäten sicher und unangreifbar fühlte. So mangelte es denn auch hier an Widersprüchen nicht, und im Namen des Wohles und der Aufklärung der Menschen hörte man nicht selten mit derselben Unduldsamkeit und demselben rücksichtlosen Eifer reden, welchen die Aufklärer sonst zum ersten Klageartikel gegen die Altgläubigen machten. Und was war am Ende das Ergebniß aller dieser Kenntnisse, dieser Aufklärung und Abklärung? Ein gewisser einförmig bürgerlicher Wandel, ein äußerlich gesetzmäßiges Verhalten, von dem man nicht mit Unrecht sagen konnte, es sei nur eine neue, eine aufgeklärte Art der verrufenen Werkheiligkeit. Denn der Inhalt des überlieferten historischen Wissens und Glaubens mußte unter diesen Händen zusammenschrumpfen. Im Gegensatze zum religiösen Glauben gingen diese Männer zuversichtlich von der Voraussetzung aus, dieser selbst sei weit entfernt, eine geistige Kraft zu sein, vielmehr nur ein Mangel an Kraft und moralischem Muthe, eine Ungeschicklichkeit, wo nicht eine Unfähigkeit des Denkens und der Anwendung des Verstandes. So ward es ihnen leicht, eine ganze Reihe eigenthümlicher Lebenserscheinungen zu beseitigen, weil sie die Grundlage, auf der sie ruhten, in Abrede stellten, und gerade das Tiefsinnigste wurde zum Oberflächlichsten gemacht. Die Vertreter dieser aufgeklärten Nützlichkeitslehre und verwandter Richtungen waren auf kirchlichem Gebiete Männer wie Teller, Zöllner, Irwing, in der Schule Gedike, in der Wissenschaft Biester, in der Kritik und Poesie Nicolai, Engel, Ramler, denen sich eine Anzahl kleinerer Geister anschloß. In der That beherrschten sie noch in Berlin die öffentliche Ansicht in Literatur und Kunst, sie standen in mannichfachen Verbindungen, hatten bedeutende und vielgeltende Namen aufzuweisen, und meinten vor allen Dingen die Ueberlieferungen Lessing’s für sich zu haben. Um Lessing hatten sie sich bei seinen Lebzeiten geschart, sie rühmten sich seiner Freundschaft, und wurden nicht müde, auf ihn als höchstes Vorbild hinzudeuten. Die unbestechliche Nüchternheit und Schärfe seines Urtheils, seine Verständlichkeit, die Knappheit seines Stils hatten sie zunächst aufgefaßt. Sein Bestreben, Alles auf die reinsten und einfachsten Linien zurückzuführen, wodurch jede überfließende Empfindung streng ausgeschlossen, jeder Auswuchs der Phantasie abgeschnitten wurde, war bei ihm der Ausdruck eines männlichen und starken Geistes, der diese Selbstzucht an sich ausübte. Seine Freunde und Anhänger fanden diese Form als eine abgeschlossene vor, und eigneten sie sich an, weil es bequem war, sie nachzuahmen, weil die natürliche Mittelmäßigkeit und geistige Armuth sich mit ihrer Hülfe leicht den Schein der Selbstbeherrschung und künstlerischen Beschränkung geben konnte. Diese Formen sollten die höchsten in der Kunst sein. Dies zu bezweifeln galt für Impietät gegen Lessing, für einen Frevel an seinen Manen. Seine Freunde leiteten von ihm ein Ansehen her, und suchten es in einer Weise zur Geltung zu bringen, die sicher nicht in seinem Geiste war, und gegen die er zuerst die Waffen seiner Kritik gewendet hätte. Die Zuversicht dieser Kunstrichter war zuerst durch die Anerkennung erschüttert worden, welche Goethe’s Poesie zu Theil geworden war. Jetzt ward diese auch in Berlin zum unterscheidenden Kennzeichen einer literarischen Gegenpartei, die zwar noch keinen bedeutenden Umfang hatte, aber bald unerwartete Kräfte entwickelte. Die Aufnahme, welche die ersten Dichtungen Goethe’s bei den Wortführern der Kritik gefunden hatten, war nur eine kühle und bedingte gewesen. Mit dem kleinen Zollstocke, welchen sie sich gemacht hatten, ließ sich diese großartige Erscheinung, die alles Frühere überragte, nicht messen. Dieses tiefe, leidenschaftliche Fühlen, diese Dichtertrunkenheit, diese Größe und Kühnheit der Auffassung und Darstellung, die unbekümmert um alles Andere ihre Welt von neuem aufbaute, mußte jener nüchternen und wohlgezogenen Poetik unbegreiflich erscheinen. Wie unbändig trat nicht dieses Genie mitten hinein in die wohlabgezirkelten, gepflegten Sandwege und Heerstraßen, welche die Kunstrichter zu eigenem und Anderer Nutzen auf dem Gebiete der Poesie angelegt hatten! Unter seinen Füßen öffneten sich neue Springquellen, die Alles fortzureißen drohten, was jene mühselig aufgebaut hatten. Am liebsten hätten sie Goethe wie Shakspeare für ein wildes Waldgenie erklärt. Die Urtheile mancher Kritiker kamen darauf hinaus, Goethe’s Größe bestehe nur darin, daß er sage, was ihm gerade in den Mund komme, daß er rücksichtlos jeder Laune den Zügel schießen lasse, und es verschmähe, die kritische Feile anzuwenden, von der sie doch einen so sorgfältigen und erfolgreichen Gebrauch machten. So ins Blaue hinein könne leicht ein Jeder dichten. In diesem Sinne hatte sich Nicolai geäußert, als der „Egmont“ erschien; dergleichen zu machen sei keine Kunst; er werde es auch können, wenn er sich verstatten wolle niederzuschreiben, was ihm eben durch den Kopf gehe. Auch Engel, der unter den damaligen berliner Freunden Lessing’s der bedeutendste war, und von dessen kritischen Studien man ein besseres Urtheil hätte erwarten sollen, hatte sich in seiner „Mimik“ fast nur auf ältere, mittelmäßige Dramen gestützt. Ueber die Bruchstücke des „Faust“ ließ er sich ähnlich vernehmen, wie Nicolai über den „Egmont“, und als der „Wilhelm Meister“ erschien, wunderte er sich darüber, was denn nach Scarron’s Roman über das Komödiantenleben noch zu sagen sein könne. Manche hatten, wie Klopstock, voll moralischen Abscheus ihre Goethe-Kenntniß mit dem „Werther“ ein für alle Mal abgeschlossen. Zu diesen gehörte Elise von der Recke, der man nachsagte, daß sie aus Entrüstung über Werther’s Lotte ihren ersten, bis dahin gewöhnlich gebrauchten Vornamen Charlotte mit dem zweiten, Elise, vertauscht habe. Diesen gegenüber sammelten sich diejenigen, denen Goethe der Anfänger und Begründer einer neuen Poesie war, die einen innern Unterschied zwischen seinen Dichtungen und allen frühern behaupteten, und immer lauter und entschiedener die Anerkennung derselben verlangten. Schon Moritz hatte sich seit seiner Rückkehr aus Italien so ausgesprochen, doch gerade um diese Zeit (1793) war er gestorben. Auch fehlte es an kleinern stillen Kreisen nicht, in denen man diese Ansichten theilte. War doch selbst Tieck’s Vater, ein einfacher Handwerker, noch viel früher ein eifriger Verehrer Goethe’s gewesen. Aber einige geistvolle und gebildete Frauen waren es, welche auf die siegreiche Durchführung der neuen Kritik in ihren gesellschaftlichen Kreisen einen bedeutenden Einfluß ausübten. Zu diesen gehörte Rahel Levin. Sie war ein höchst eigenthümlicher Geist; sie besaß einen durchdringenden Blick, tiefen Wahrheitsinn und die Kraft, ihre Ansichten mit rücksichtloser Schärfe auszusprechen. War sie selbst auch keine Dichterin, so hatte sie doch Verständniß für Poesie und Alles, was dem Gebiete geistigen Lebens angehörte. Ohne schön zu sein, hatte sie einen glänzenden Kreis um sich gesammelt, in dem sie durch schlagenden Witz, Schnellkraft und Freiheit des Tons herrschte. Neben ihr stand eine andere, welche sich ebenfalls der neuen Poesie zugewendet hatte, die Frau des Bankiers Veit, die Tochter eines der Meister der berliner Aufklärung, Moses Mendelssohn’s. Auch sie war ein eigenthümlicher Charakter. Die Aehnlichkeit mit ihrem Vater gab ihrem Gesichte einen keineswegs schönen, aber auffallenden, fast männlichen Ausdruck. Sie hatte etwas scharf Ausgeprägtes, nahm an den Fragen der Literatur eifrig Antheil, und war eine Verehrerin Goethe’s. Ebenso Henriette Herz, die Frau des jüdischen Arztes Marcus Herz, eines Kantianers und eifrigen Anhängers der alten Schule. Sie war eine gefeierte Schönheit, aber weniger originell; doch war sie gescheit und wußte sich rasch und leicht anzueignen, was sie hörte. Sie besaß das Talent des Lernens, und war kenntnißreich, ja gelehrt zu nennen. Mit allen diesen trat jetzt auch Tieck in geselligen Verkehr oder in literarische Beziehungen. In Rahel’s Hause hatte er Zutritt, ohne gerade zu ihren nähern Freunden zu gehören. Es war nicht allein Goethe’s Poesie, in der sie sich begegneten, sondern auch in der gemeinsamen Anerkennung der künstlerischen Größe Fleck’s. Bei ihnen stellte sich die Ansicht fest, das berliner Publicum wisse diesen merkwürdigen Mann nicht nach dem ganzen Umfange seines Talents zu schätzen. Eine besondere Gunst des Glücks war es, als er Fleck’s persönliche Bekanntschaft machte. Die Veranlassung dazu war heiter genug. In der Gegend des Invalidenhauses gab es eine öffentliche Speiseanstalt, welche den Ruhm behauptete, das beliebte berliner Nationalessen, Erbsen, in einer Vollkommenheit herzustellen, die auch den Kenner befriedigte. Hier fand sich jeden Donnerstag Mittag eine ausgewählte Gesellschaft zusammen, Schadow der Bildhauer, Zelter der Musiker, Fleck der Schauspieler, und der Jüngste unter diesen, Tieck der Dichter. Wo so entschiedene Geister aufeinandertrafen, konnte es an freier, anregender Unterhaltung nicht fehlen. Für Tieck aber war Fleck die anziehendste Erscheinung. Fleck war eine großartig zugeschnittene Natur. Seine Haltung, jede Bewegung, jede Miene hatte etwas Edles, Würdevolles. Natürliche, angeborene Grazie und Hoheit sprachen sich darin aus. Alles Gemachte und Gespreizte lag ihm ebenso fern wie alles Unedle. Selbst wenn er es gewollt hätte, er würde nicht unedel oder gemein haben erscheinen können. Auch ohne Schwert und Mantel erkannte man den geborenen Heldendarsteller in ihm. Hatte er am Abend eine hochtragische Rolle zu spielen, so beherrschte ihn dieses Bild schon lange vorher. Man durfte ihn nur über die Straße gehen sehen, um anzuerkennen, so könne nur ein König schreiten. Er war in seinem Kreise ein Genie, ein echter Künstler aus tiefem geistigen Instinct, aber darum nicht ohne Bewußtsein seines Werthes und künstlerischen Stolz. Nichts hatte Tieck mehr gewünscht, als mit ihm über seine Hauptrollen zu sprechen. Von Fleck’s Ansichten glaubte er bedeutende Aufschlüsse erwarten zu dürfen. Hier aber trat die Künstlernatur hervor. Wohlwollend hörte Fleck an, was der junge Kritiker ihm zu sagen hatte. Dagegen war dieser nicht wenig überrascht, Fleck’s eigene Auseinandersetzungen über seine Rollen nicht anders als geringfügig zu finden. Hätte ihn allein die Einsicht geleitet, welche er entwickelte, so konnte er nur ein mittelmäßiger Schauspieler sein. Hier stand hinter dem Bewußtsein eine höhere Kraft, die im Augenblicke der begeisterten Darstellung siegreich hervortrat und alle Mängel der Erkenntniß zudeckte, indem sie sich selbst derselben entzog. Es war eine Wahrnehmung, welche dazu diente, Tieck in seinen ursprünglichen Ansichten über Geistesleben und Wirken zu befestigen. Ungefähr um dieselbe Zeit, es war im Jahre 1796, lernte er im Hause des Bankiers Veit Friedrich Schlegel kennen, und ein Verhältniß begann sich zu bilden, welches für beide die größte Bedeutung gewann. Friedrich Schlegel gehörte zu denen, welche sich voll Jugendkraft und Selbstvertrauen den alten beschränkten Theorien entgegenstellten. Seine Studien galten damals noch der alten Literatur. Er beschäftigte sich mit seiner „Geschichte der Literatur der Griechen und Römer“, und hatte den Plan gefaßt, in Verbindung mit seinem Freunde Schleiermacher den Plato zu übersetzen. Er war als Talent und Charakter ein räthselhaftes Gemisch der entgegengesetztesten Eigenschaften, und schon dadurch anziehend. Wenn er im Kreise der Freunde sich unbefangen hingab, konnte er eine gewinnende Liebenswürdigkeit entwickeln, in der er mit naiver Offenheit aus seinen Schwächen kein Hehl machte. So vieles Tieck auch anerkennen mußte, entging ihm doch nicht, daß er von Selbsttäuschung und Eitelkeit nicht frei sei. Dies äußerte sich in fast komischer Weise. Auf einem Spaziergange durch den Thiergarten setzte Schlegel eines Tages alles Ernstes auseinander, daß er sein Leben für ein verfehltes halten müsse, weil er sein wahres und eigenthümliches Talent nicht ausbilden könne. Eigentlich sei er zum Feldherrn berufen, und wenn es ihm an Gelegenheit fehle, dies zu zeigen, so verliere die Welt dabei nicht wenig. Durch Schlegel kam Tieck mit Schleiermacher in Berührung, der damals Prediger an der Charitékirche war. Auch er war ein entschiedener Gegner der alten Schule, und Tieck lernte in ihm bald den tiefsinnigen Theologen anerkennen. Unter den ältern Freunden blieb ihm dagegen Rambach fern, dessen Oberflächlichkeit und unbefriedigende Vielthätigkeit ihm immer klarer ward. Die Zeiten, wo er von diesem lernen konnte, waren vorüber. Einen letzten äußern Beziehungspunkt gab das berliner „Archiv der Zeit“, welches seit 1795 bei Maurer erschien, und dessen Herausgeber Rambach war. Diese Monatsschrift, die Politik, Literatur und Kritik umfassen sollte, war ein Sammelplatz für die bedeutendsten und verschiedensten Kräfte Berlins. Es war ein neutrales Gebiet, auf dem alte und neue Literatur sich begegneten. Hier erschienen auf der einen Seite Nicolai, Gedike, Ramler, Zöllner, Bendavid, Jenisch; von der andern Bernhardi, Bothe, Hirt, dann Zschokke, Feßler, Veit Weber. Bernhardi führte eine Zeit lang das Fach der Theaterkritiken. Auch Tieck gab eine Beurtheilung der neuesten Musenalmanache, namentlich von Schmidt, Voß, Becker, Falk und Schiller, in der er sich entschiedener aussprach, als es dem Herausgeber lieb war, welcher es mit der ältern Schule keineswegs zu verderben wünschte. Durch Bernhardi’s Vermittelung erneuerte er vorübergehend Zschokke’s Bekanntschaft, dem er früher in einem schmerzvollen Augenblicke begegnet war. Zschokke hatte sich in der Tagesliteratur einen Namen gemacht. Er war als Docent an der Universität Frankfurt aufgetreten, und bald darauf mit dem Wöllner’schen Ministerium in einen verdrießlichen Zwist gerathen. Mit den heimischen Zuständen zerfallen, war er jetzt im Begriff, nach der Schweiz auszuwandern. Sein Wesen war hart, schroff, vierkantig. Er zeigte sich als demokratischen Parteimann bis auf die schweren, mit eisernen Nägeln beschlagenen Schuhe, welche er trug. Auf Tieck machte er einen abstoßenden Eindruck. Die demokratischen Grundsätze, welche er selbst hin und wieder vertheidigt hatte, erschienen ihm hier in unangenehmer Form. Er konnte ein völliges Aufgeben des Vaterlandes wegen augenblicklicher Uebelstände und einiger persönlicher Unbilden weder für politisch noch patriotisch halten. Nur im Vaterlande selbst könne der Mensch auf eine volle Entwickelung seines Wesens rechnen, war seine Ansicht. Zwischen diesen anziehenden und abstoßenden Kräften bildete sich Tieck zunächst seinen eigenen Kreis, dem Wackenroder, Bernhardi, der junge Arzt Bing, der Musikdirector Wessely und sein Bruder Friedrich angehörten, welcher sich inzwischen als Bildhauer ausgebildet hatte, und für eine Kunstreise vorbereitete. In die Enge des väterlichen Hauses konnte auch er nicht mehr zurückkehren. Er wie seine Geschwister waren über diese beschränkten Verhältnisse hinausgewachsen. Das mußte der Vater selbst erkennen, der in alter Weise fortschaltete, wenngleich nicht ganz in alter Kraft und Frische, und nicht frei von krankhaften Anwandlungen und Sorgen. Besonders drückend war dies für die Schwester geworden, die mit steigender Leidenschaft auf die endliche Rückkehr des Bruders gehofft hatte. Als ein Ideal hatte sie die Erinnerung des frühern Zusammenlebens festgehalten. In der Zeit seiner Abwesenheit, als er sich in den verschiedensten Studien und Verhältnissen befand, glaubte sie sich vernachlässigt und vergessen. Jetzt endlich sollte ein lang gehegter Plan in Erfüllung gehen. Um ganz sich selbst zu leben, bezogen Bruder und Schwester in den Jahren 1795 und 1796 eine Sommerwohnung auf dem sogenannten Mollard’schen (nachher Wollank’schen) Weinberge vor dem Rosenthaler Thore. Da gab es freilich weder Wein noch Berge, wol aber versammelte sich auf einer zwischen Sandhügeln liegenden Oase von Kastanienbäumen die elegante Welt Berlins. Hier besprachen die Geschwister und Freunde in Scherz und Ernst die gemeinsamen Interessen in Poesie, Literatur und Kunst; neue Entwürfe wurden gemacht, alte Pläne gediehen zur Reife, und tiefere Einwirkungen der Dichtungen Tieck’s bereiteten sich vor. 6. Der Altmeister und der junge Dichter. Aber auch den Führern der alten Schule konnte Tieck nicht fern bleiben. Schon von Göttingen aus hatte er Verbindungen mit ihnen angeknüpft. In dem Hause des alten Wackenroder lernte er Ramler kennen, der Hausfreund und literarischer Rathgeber war. Ein feiner alter Herr, stets sorgfältig gekleidet, in seiner Haltung elegant, nicht ohne scharfe, fast spitze Züge. In geselligen Kreisen pflegte er als Vorleser aufzutreten, und gern gehört zu werden. Man bewunderte die Kunstfertigkeit, mit welcher er auch prosaische Erzählungen zu dramatisiren pflegte. In den dialogischen Partien trug er die Frauenrollen mit fistulirender Stimme vor, und plötzlich fiel er dann in den tiefsten Baß hinab. Tieck hörte ihn in dieser Weise einige Capitel aus dem „Don Quixote“ vorlesen. Doch schien ihm sein Vortrag ebenso wenig wie seine Gedichte lobenswerth. Ramler stand noch an der Spitze des berliner Theaters. Tieck übergab ihm daher seine Bearbeitung des „Sturm“ mit der Bitte, einen Versuch damit auf der Bühne zu machen, wobei er den Wunsch nicht unterdrückte, sie keinen Veränderungen zu unterwerfen. Er kannte und fürchtete die berühmte Ramler’sche Feile. Der Dichter nahm diese Andeutung nicht ohne Empfindlichkeit auf, und der „Sturm“ kam natürlich nicht zur Darstellung. Engel hatte bereits Berlin verlassen; erst später begegnete ihm Tieck im Hause des Buchhändlers Unger. Am wichtigsten für ihn blieb Nicolai. Da sich dieser bereit erklärt hatte, seine Dichtungen in Verlag zu nehmen, so suchte er ihn bald nach seiner Rückkehr auf. Gleich der erste Eintritt war sonderbar. Nicolai, ein hagerer, trockener Mann, war im eifrigen Gespräche mit seinem Sohne Karl und Bernhardi. Ihre Unterhaltung schien fast unverständlich; sie bewegte sich in Schiller’schen Reminiscenzen, und endlich bemerkte Tieck, daß jeder in einem angenommenen Charakter spreche. Sie improvisirten eine Scene aus dem „Don Carlos“. Der alte Nicolai stellte den König Philipp, sein Sohn den Don Carlos dar, Bernhardi sprach im Tone des Marquis Posa. Es war überraschend, den kühlen, nüchternen Kunstrichter und Buchhändler in einem phantastischen Spiele dieser Art zu finden. Die Lust der Zeit am Theater beherrschte auch ihn. Als man sich nähergekommen war, erwarb Tieck unerwartet die Gunst des sonst schwer zufriedenzustellenden Kritikers. Seit vierzig Jahren war Nicolai daran gewöhnt, nicht allein zu verlegen, sondern auch in allen Dingen der Literatur mitzureden, zu urtheilen und seine Stimme auch da abzugeben, wo man wenig Neigung hatte, darauf zu hören. Da er sich eines aufrichtigen Strebens bewußt war, und Erfolge, und mehr noch Erfahrungen und praktische Kenntnisse der Literatur für sich hatte, die er in einem langen Geschäftsleben sammeln konnte, so hatte er keinen geringen Begriff von seiner Würde und Bedeutung. Es war ihm zum Bedürfniß geworden, Rath zu geben und den Mäcen zu spielen. Gern theilte er jungen strebsamen Männern und Anfängern seine Erfahrungen und Lehren mit, sie zu warnen, zu leiten und zu bilden. Auch in den Gesprächen mit Tieck legte er seine Meinungen ausführlich dar; er begann ihn zu belehren, und auf diesen und jenen wichtigen Punkt aufmerksam zu machen. Niemals hatte es Tieck für möglich gehalten, auf so abgeschlossene und festwurzelnde Ansichten Einfluß auszuüben. Ohnehin mehr zum Schweigen als zum Reden aufgelegt, hielt er jeden Widerspruch für überflüssig, und begnügte sich, den Nestor der Literatur schweigend anzuhören. Nicolai fand darin ein Zeichen der Anerkennung, der Ehrfurcht, welche seinem Alter und seiner Ueberlegenheit gebühre, und unterließ nicht, dem jungen vielversprechenden Manne seine besondere Gunst zuzuwenden. Er glaubte einen Jüngling gefunden zu haben, den Eifer und Bescheidenheit gleich sehr auszeichne, und der sich unter seiner Leitung zu einem nützlichen Schriftsteller heranbilden wolle. Und gleich hatte er für ihn Arbeit bei der Hand. Er übertrug ihm die Fortsetzung der „Straußfedern“. Seit 1787 war unter diesem gesuchten, aber ironisch gemeinten Titel eine Sammlung von Erzählungen erschienen, deren Verfasser der durch seine Volksmärchen beliebt gewordene Musäus war. Als dieser nach dem Abschlusse des ersten Bandes starb, übernahm Johann Gottwert Müller die Fortsetzung, dessen „Siegfried von Lindenberg“, wie seine übrigen komischen Romane, nicht minder gern gelesen wurde. Er lieferte den zweiten und dritten Band, ward aber der Sache überdrüssig. Seit 1791 ruhte das Unternehmen; jetzt war in Tieck eine frische, fähige und bereitwillige Kraft gewonnen. Diese Erzählungen sollten unterhaltend und belehrend zugleich sein; sie sollten die satirisch-moralische Richtung verfolgen. Es waren theils Originale, theils Nachbildungen und Umarbeitungen. Im Ganzen gab Nicolai diesen den Vorzug, da sie eine größere Sicherheit darboten. Nach den ersten Verabredungen übersandte er Tieck das Material in ganzen Waschkörben zur Verarbeitung und Zubereitung. Es bestand aus bändereichen Sammlungen älterer französischer Anekdoten und Erzählungen, wie die „~Amusemens des eaux de Spa~“. Für Tieck hätte es keine verdrießlichere Aufgabe geben können, als aus diesem Haufen Spreu die noch genießbaren Körner herauszusuchen. Er fühlte Kraft und Bedürfniß, sich frei und selbständig auszusprechen, und jetzt wurden ihm Vorbilder und Stoffe gegeben, welche kaum der Betrachtung werth waren. Sogar der Ton der Erzählungen war ihm vorgeschrieben; er sollte sich soviel als möglich der Art und Weise seiner Vorgänger anbequemen. So sehr er auch Musäus als feinen, gewandten Schriftsteller anerkannte, und es ihm als Verdienst anrechnete, die alten Volksmärchen wieder aufgefrischt zu haben, so wenig einverstanden war er mit der Art, wie dies geschehen war. Für diese einfachen und unbefangen natürlichen Erzeugnisse des dichtenden Volksglaubens schien ihm der Ton der directen Ironie oder des rationalistischen Spottes, in den seine anmuthige Erzählung überging, der unpassendste. In den „Straußfedern“ war dieser Ton zur Manier geworden. Weniger noch als Musäus’ feine Weise wollten ihm die groben Holzschnitte Müller’s zusagen, dessen gepriesene Naturwahrheit am Ende nur ein Abschreiben der Natur in niederländischer Art, in plumpen und rohen Strichen war. Indeß, wollte er das Vertrauen seines literarischen Mentors nicht verscherzen, so mußte er sich dem Geschäft unterziehen. Er begann zu sichten, zu lesen, auszuwählen. Mit Widerstreben bearbeitete er einige dieser französischen Anekdoten für das deutsche Lesepublicum. Doch bald ward er der undankbaren Arbeit müde. Es war kürzer, für ihn selbst fördernder, und im Erfolge mindestens ebenso sicher, eigene Erfindungen an die Stelle jener Trivialitäten zu setzen. Es entstand die größere Erzählung „Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmund’s Leben“, in welcher er ein satirisches Bild gewisser gesellschaftlicher Verhältnisse nach eigenen Beobachtungen gab. Als er seine Erzählung Nicolai zur Censur überreichte, war dieser durch ihre Vorzüge vor den frühern nicht wenig überrascht. Er lobte die Wahl, welche er getroffen habe, und wünschte eine genaue Nachweisung des Originals. Tieck’s Antwort, er habe sein Eigenthum gegeben, wies er mit ungläubigem Lächeln ab. Als später einmal beide allein waren, kam er auf dieselbe Frage zurück, und begann im Tone väterlicher Ermahnung: „Jetzt, lieber junger Mann, sind wir allein; nun können Sie es mir, dem älteren Freunde, offen gestehen, woher Sie jene Geschichte genommen haben. Wo steht das Original?“ Auf Tieck’s Versicherung, daß er nichts zu gestehen habe, die Geschichte sei Original und sein Eigenthum, erwiderte er: „Für so eitel hätte ich Sie doch nicht gehalten!“ und brach das Gespräch nicht ohne Empfindlichkeit ab. Eine so große Genugthuung hatte Tieck kaum erwartet; er gab daher auch für die folgenden Bände statt der verlangten Bearbeitungen eigene Erzählungen. Es waren rasch und keck hingeworfene Skizzen des geselligen und literarischen Lebens der Gegenwart, die keinen Anspruch auf bedeutende Tiefe machten, in denen er aber mit steigender humoristischer Laune und offener Satire die Verkehrtheiten darstellte, an denen er sich schon als Schüler geärgert hatte. Er griff schonungslos die unwahre Empfindsamkeit an, die seit der Siegwartperiode immer noch ihr klägliches Gewinsel fortsetzte, die seichte und dünkelhafte philanthropische Erziehung, welche die Kinder mit Aufklärung und Philosophie auffüttern wollte, die falsche Naturempfindelei, den abgeschmackten Kunstenthusiasmus, die Starkgeisterei der Kraftmenschen und Genialen, die in den angeblich altdeutschen Ritterromanen, und in den Räuber- und Spukgeschichten ihr Wesen trieb. Manche Züge entnahm er aus seinen eigenen Kreisen. In einer Erzählung: „Die gelehrte Gesellschaft“, ironisirte er in flüchtigen aber scharfen Strichen sein und seiner Freunde literarisches Treiben. Einige Verse, die Wackenroder im pathetischen Tone der ältern Schiller’schen Gedichte 1795 auf Arkona gemacht hatte, fanden darin eine Stelle, um eine strenge Kritik zu erfahren. Er zeigte, daß er für die Schwächen seiner Freunde kein minder scharfes Auge habe. In den Jahren 1795-98, wo die Sammlung abgeschlossen wurde, lieferte er sechzehn verschiedene Beiträge, die den größten Theil der fünf letzten Bände füllten. Da es darauf ankam, Stoff herbeizuschaffen, so begann auch seine Schwester an diesen Arbeiten übersetzend und erfindend Theil zu nehmen. Geschützt durch die Anonymität des Buches, trat sie hier zuerst als Schriftstellerin auf. Mit Ausnahme einer kleinen Erzählung, deren Verfasser Bernhardi war, gehörten die übrigen ihr. Neben diesen Arbeiten hatte Tieck noch Zeit und Laune gefunden, einen alltäglichen Stoff, den er jenen französischen Sammlungen verdankte, frei zu gestalten. Es war „Peter Lebrecht, eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten“, die ihm ebenfalls unerwartet den höchsten Beifall seines kritischen und väterlichen Freundes erwarb. Nur hatte er auszusetzen, daß Tieck dem Helden den Namen Friedrich gegeben habe, den er mit dem witziger scheinenden Peter vertauschte. Der Ton der schärfern Ironie, welcher in den frühern Skizzen herrschte, war um ein Bedeutendes herabgestimmt, eine gewisse gutmüthige Zahmheit war an die Stelle der Kühnheit getreten. Eine nüchterne, einfache Geschichte wurde benutzt, um ebenso nüchtern gewisse Ansichten auszusprechen, die auf das Mittelmaß des Verständnisses berechnet waren, mit welchem die Aufklärer sich zu begnügen pflegten. Nur hin und wieder blitzte die satirische Laune auf, und ebenso überraschend klangen einzelne tiefe Töne der Volks- und Naturpoesie durch, in denen der Dichter seinem gepreßten Herzen Luft machte. In der Freude, einmal ein Werk ganz nach seinem Geschmack gefunden zu haben, schien sie der alte Kritiker ganz zu überhören, sonst hätte er erkennen müssen, daß er es hier mit einem andern Geiste zu thun habe, als er meinte. Sein Sohn theilte die Freude über den Fund, und da dieser sein eben eröffnetes buchhändlerisches Geschäft durch einen bedeutenden Artikel empfehlen wollte, so überließ ihm der Vater den Verlag. Noch im Jahre 1795 erschien die abenteuerlose Geschichte des Herrn Peter Lebrecht im Druck. Früher schon hatte er den „Abdallah“ übernommen, und zugleich alles, was Tieck sonst noch etwa unter der Feder haben mochte. In diesen zahlreichen kleinen Arbeiten hatte der Dichter zum ersten Male den humoristisch-satirischen Ton mit Erfolg angeschlagen. Er begann damit die Kehrseite seines Wesens herauszuwenden, die bisher von den finstern Schatten des „Abdallah“ bedeckt worden war. Aber er konnte darum jenen schwermüthigen Gedanken nicht untreu werden, auf ihnen ruhte seine Natur. In dem größern Romane „William Lovell“ vollendete er jetzt eine neue Gestaltung derselben. Seit dem Sommer 1792 hatten ihn diese Charaktere und die psychologischen Räthsel, deren Träger sie sein sollten, beschäftigt. Gleich nach dem Abschlusse des „Abdallah“ war er an die Ausarbeitung gegangen, jetzt war sie beendet, und noch 1795 erschien der erste Theil des neuen Romans. Er war minder phantastisch als der frühere. Weder die übliche Maschinerie der Feenmärchen war angewendet, noch sollte der Leser durch die sinnlichen Farben des Orients bestochen werden. Aber eben darum wirkte das Nachtgemälde, welches der Dichter aufrollte, um so erschütternder. Unmittelbar aus der Gegenwart, aus seiner eigenen Erfahrung, aus den Stimmungen höchster Verzweiflung, die ihn früher so oft ergriffen hatte, waren diese scharfen und düstern Züge hergenommen. Ein Seelenleben und Leiden war geschildert, wie es Jeder, der die Gegensätze der Geisteswelt nicht ganz oberflächlich ansah, an sich selbst erfahren konnte; Verhältnisse und Charaktere gehörten unmittelbar der Zeitgeschichte an. Die Folgen der prahlerischen Starkgeisterei und des falschen Tugendprunks verfolgte er durch die ganze Reihe ihrer unheilvollen Wirkungen, bis zum letzten Punkte hin. Das unaufhörliche Betrachten und Studiren der Seele, das einem geistigen Selbstverzehren gleichkam, das Großthun mit Kraft, Tiefe, Genie und Enthusiasmus stellte er dar, diese moralische Gedunsenheit, welche nur die geistige Armuth und Selbstsucht verbirgt und mit dem Verbrechen endet. Er wollte die Nothwendigkeit einer nüchternen Selbstbeschränkung anschaulich machen, einer Resignation, ohne welche der Mensch nicht leben kann. Niemals vielleicht hatte ein jugendlicher, kaum zwanzigjähriger Dichter, der selbst von Enthusiasmus erfüllt war, an seinem Helden ein furchtbareres Gericht vollzogen. Schonungslos riß er ihm ein Stück nach dem andern von jener moralischen Garderobe ab, mit welcher Anfänger so gern ihre idealen Tugendhelden prunken lassen. Unbewußt übte er hier jene vielbesprochene Ironie aus, welche er in späteren Jahren als erste Bedingung jeder darstellenden Dichtung forderte. Es war zugleich eine Selbstwarnung, die er seinen eigenen Abirrungen entgegenstellte, eine scharfe Kritik, welcher er sich und seine jüngern Genossen unterwarf, die sich so gern genial, groß und kühn dünkten. Es war eine Auseinandersetzung der wahren sittlich-dichterischen Begeisterung, und der falschen, welche die Züge jener heuchlerisch nachbildet. Dieser Roman war ein Zeugniß staunenswerther Reife, aber sie war auch mit schmerzlichen Erfahrungen erkauft. Stellung und Gruppirung der Charaktere erinnerten an den „Abdallah“. Lovell und Abdallah, Andrea und Omar entsprachen einander. War der „Lovell“ in manchen Partien noch dunkel und schwerfällig, so war er doch das viel gereiftere Product. In einzelnen Zügen und Schilderungen hatte sich auch der Einfluß des „Geistersehers“ von Schiller geltend gemacht, dessen Werth Tieck bei weitem höher anschlug als der Dichter selbst. Ein solches Buch war weder eine leichte noch eine erfreuliche Lectüre; es konnte nur einen peinlichen, düstern Eindruck machen. Er durfte sich kaum wundern, wenn es die Einen ganz abwiesen, die Andern misverstanden, und er es am Ende weder Freund noch Feind recht gemacht hatte. Er nahm darin eine eigene, freie Stellung ein, und zeigte, daß er sich der neuen Schule ebenso wenig unbedingt zu ergeben geneigt sei als der alten. Die kritischen Urtheile, welche das Buch öffentlich erfuhr, waren zum Theil sonderbar. So wies ihm der überkluge Recensent der „Jenaischen Literaturzeitung“ aus einigen misverstandenen Anglicismen, die er gefunden haben wollte, nach, der Roman sei aus dem Englischen übersetzt, und er verschweige den Namen des Verfassers absichtlich. Ebenso hatte ein anderer Kritiker in Folge der trefflichen Erzählungen im fünften Bande der „Straußfedern“ dem Witz und der unerschöpflichen Laune des Verfassers des „Siegfried von Lindenberg“ seine volle Anerkennung zu Theil werden lassen. Der aufgeklärte Herr Peter Lebrecht hatte den wohlwollenden Lesern doch besser gefallen, und so sollte denn sein Name einigen andern Dichtungen zur Empfehlung dienen, mit deren phantastischem Inhalte seine biedere Verständigkeit wenig übereinstimmte. Schon in dem zweiten Theile seiner Geschichte, den der jüngere Nicolai ausdrücklich verlangt hatte, kündigte er die beabsichtigte Erneuerung einiger alten Volksmärchen an. Zugleich warnte er, man möge doch ja nicht jene Volksromane, die man auf der Straße für einen Groschen von alten Weibern kaufe, verspotten. „Siegfried“ und die „Haimonskinder“, „Herzog Ernst“ und „Genoveva“ seien reiner und enthielten mehr Poesie als die Misgeburten einer wahnwitzigen Phantasie in den angeblichen Ritterromanen. Die Herausgabe von „Peter Lebrecht’s Volksmärchen“ wurde vorbereitet. Kaum hätte es einen glücklichern Stoff für Tieck geben können. Sein Talent hatte um diese Zeit eine neue reichere Entfaltung erfahren. Er hatte Gelegenheit gehabt es auszusprechen, im Tone des spielenden Humors wie des tiefsten Ernstes. Manches, was früher Gegenstand trübsinniger Betrachtung gewesen war, erschien ihm jetzt in hellerem Lichte, und war es auch nicht möglich, die Räthsel zu lösen, so waren doch Humor und scherzhafte Laune eine angenehmere und willkommenere Form dafür. Ueber Dichtung und Dichterwerke ging ihm eine neue Offenbarung auf. Entferntes trat ihm näher, Vereinzeltes strebte zueinander hin und rundete sich zum Ganzen ab, Verschlossenes eröffnete sich. Ein nie geahnter wunderbarer Glanz schien über das Leben hinzugehen, überall sah er es keimen und blühen, in anderm erhöhten Sinne kehrte ihm die Naturtrunkenheit der ersten Jünglingsjahre zurück. Zu Zeiten konnte er meinen er habe jetzt zuerst das Auge aufgeschlagen. Dies alles sollte nun in seinen Dichtungen Gestalt gewinnen. Wie hätten Tiefsinn und Leidenschaft, Humor und Witz, die Begeisterung für das einfach Volksthümliche, das echte Naturgefühl, und die ruhelos bildende Phantasie einen bessern Stoff finden können als in den alterthümlichen Volksmärchen? In diesen halb tiefsinnigen, halb kindlichen Erzeugnissen einer unbefangenen und phantastisch-spielenden Volks- und Naturpoesie, die sich harmlos ihrem Witze wie ihrem Schmerze überließ, lagen alle jene Elemente beisammen. Diese Schätze schienen nur des Dichters zu harren, der im Besitze des Zauberwortes war, das sie zu heben vermochte. Dem aufgeklärten Lesepublicum lagen diese alten Volksgeschichten sehr fern. Längst glaubte man über die Zeiten hinaus zu sein, wo sie um ihrer selbst willen irgendeine Beachtung verdient hätten; man behandelte sie als altes Weibergeschwätz, dem höchstens noch eine Stelle in den Spinnstuben zu gönnen sei. Musäus’ Erneuerung hatte zum Theil deshalb Beifall gefunden, weil sie jene Dichtungen mit der Ironie einer höherstehenden Bildung betrachtete. In Tieck’s Umdichtungen wandte sich nun diese Ironie gegen die Besserwissenden, gegen die Aufgeklärten selbst. Während sie Alles wissen und erklären wollten, erschien in diesen Märchen, deren Entstehung gar nicht nachzuweisen war, das natürlich Ergreifende, das Tiefsinnige und Dichterische als ein Räthselhaftes und Unerklärliches, das aller Definitionen spottet. Häufig ist es die unbewußte Naturkraft, in deren geheimnißvollem Zuge allein Hülfe und Rettung liegt, während das überweise, selbstzufriedene und vorwitzige Handeln und Machen der Menschen hemmend und verneinend eingreift. So erschien als Thorheit was für Weisheit gegolten hatte, und in dem kindischen ahnungslosen Spiele der Thoren erschloß sich ein tiefer Sinn. Nicht ohne beißenden Spott nannte Tieck diese alten Bilder, welche er seinen klugen Zeitgenossen vorhielt, Ammen- und Kindermärchen. Eine verdoppelte Ironie war es, wenn seine kritischen Verleger, indem sie sich an einzelne ihnen zusagende Züge hielten, diesen Bearbeitungen der Volksmärchen Beifall schenkten, ohne zu ahnen, welche Satire auf sie und ihre Meinungsgenossen darin liege. Im Jahre 1796 entstand die Dramatisirung des alten Märchens vom Blaubart. Er hatte es fast zu einer Tragödie erweitert, in der die Lösung von den Ahnungen ausgeht, welche von den Klugen als Thorheit verspottet werden. In treuherziger Einfalt erschien der alte Sagenton in den „Haimonskindern“, während die „Geschichte von den Schildbürgern“ in dem Aberwitz der Ueberweisheit, die Alles ergründen will und schließlich den Wald vor Bäumen nicht sieht, eine deutliche und derbe Satire der herrschenden Richtung gab. Kühn griff er die Aufklärer fast auf allen Punkten an. In der Charakteristik der schildaschen Dichter waren Iffland und Kotzebue nicht zu verkennen; auch an einigen Anspielungen auf des alten Nicolai berühmte Beschreibung seiner Reise durch Deutschland fehlte es nicht. Bald darauf, 1797, entstand die „Geschichte von der schönen Magelone“, und die dramatisirte Sage von „Karl von Berneck“, deren Herausgabe der jüngere Nicolai besonders wünschte, schloß sich in umgearbeiteter Gestalt diesem Märchenkreise trefflich an. Eine der anziehendsten dieser volksthümlichen Erzählungen war Tieck’s eigene Erfindung, „Der blonde Ekbert“. Sie verdankte ihre Entstehung einer augenblicklichen Inspiration. Der jüngere Nicolai wünschte nichts sehnlicher, als das Erscheinen der Märchen zu beschleunigen. Häufig hatte er ungeduldig die Anfrage wiederholt, wie weit das Manuscript vorgerückt sei, oder was er unter der Feder habe. Um den Dränger zufriedenzustellen hatte Tieck einmal auf gut Glück geantwortet: „Der blonde Ekbert!“ Es war ein Name, der ihm in den Mund gekommen war. Später fiel ihm die Leichtfertigkeit auf die Seele, mit welcher er eine Dichtung angekündigt hatte, für die er bisjetzt weder Fabel noch Idee habe. Er setzte sich zum Schreiben nieder. Da fand sich zu dem Namen ein Mann. Aus der Erinnerung an die Erzählungen seiner Mutter tauchte das Bild jenes alten unheimlichen Weibes auf, das mit dem Hunde in menschenscheuer Abgeschiedenheit in der Hütte saß. Es verband sich mit den Bildern der einsamen und schauerlichen Waldgründe, welche er oft durchstrichen hatte, und eine ergreifende Erzählung erwuchs, die der volksthümlichen Sage irgendeines Waldgebirges anzugehören schien. Als Tieck sein Märchen im Kreise der Freunde aus den Correcturbogen vorlas, erfuhr das Wort, welches im Mittelpunkte desselben stand, Waldeinsamkeit, eine scharfe Kritik. Wackenroder erklärte es für unerhört und undeutsch, wenigstens müsse es heißen Waldeseinsamkeit. Die Uebrigen stimmten bei. Umsonst suchte Tieck sein Wort, das er unbefangen gebraucht hatte, durch ähnliche Zusammensetzungen zu vertheidigen. Er mußte endlich schweigen, ohne überzeugt zu sein, strich es aber nicht aus, und gewann ihm das Bürgerrecht in der Literatur. Im Jahre 1797 ward der „Gestiefelte Kater“ vollendet. Es war ein genialer Wurf, und er gelang auf das glänzendste. Freilich schloß sich weder dieser Stoff noch die Behandlung an die frühern treuherzigen Erzählungen unmittelbar an. Aus Perrault’s Märchen war eine scharfe literarische Satire geworden. Aber schon die Keckheit des Contrastes mußte überraschen, und mehr noch, daß ein junger Autor, der sich erst bilden sollte, dieses kindische Märchen, das in der That aus der Ammenstube zu kommen schien, einem erleuchteten Publicum vorzuführen wagte. Es war eine Kriegserklärung, nicht allein gegen das Theater, sondern auch, was bedenklicher war, gegen die Autorität des Publicums. In diesem phantastischen Lustspiel erschienen Bühne und Publicum auf der Bühne, sie ironisirten sich gegenseitig, und das aufgestellte Bild beider war nicht eben schmeichelhaft. In die Philisterwelt der zärtlichen Väter und unschuldigen Landleute Iffland’s und Kotzebue’s trat dreist und zuversichtlich, als könne es nicht anders sein, der „gestiefelte Kater“, der allein schon dadurch die gutgemeinte, aber beschränkte Ernsthaftigkeit jener Gestalten verspottete. In dem bürgerlichen Schauspiele sollte die gemeine alltägliche Wahrscheinlichkeit für dichterische Wahrheit gelten; jetzt erschien es in dem grellsten Lichte des Lächerlichen, indem es nicht nur das Unwahrscheinliche, sondern sogar das Widersinnige dulden mußte. Der einzige Witzige, ja Vernünftige in dieser ehrbaren Gesellschaft war der mit Schimpf und Schande vertriebene und geschmähte Hanswurst, dessen gemeiner Name allein schon dem gebildeten Publicum Ekel erregte, und der nun wieder zu Ehren gebracht werden sollte. Und abgeschmackt erschien das Publicum selbst, die Kunstrichter von Fach, die privilegirten Hüter des guten Geschmacks, die dessenungeachtet gerührt, belehrt und gebessert sein wollen, und in jedem Augenblick bereit sind, ihre Anforderungen an Geschmack und Wahrheit mit Hülfe der Füße durchzusetzen. Hier gab es alle Arten der Thorheit und Anmaßung, von dem hochmüthigen Kunstenthusiasmus bis zur reinen Dummheit. Der Vertreter jenes war ein Mann, dessen Lobrednerei Tieck vor allem verdrossen hatte, Böttiger, welcher in seinem unlängst erschienenen Buche, „Entwickelung des Iffland’schen Spiels in vierzehn Rollen“, dem Publicum in breiter Ausführung die Künstlergröße Iffland’s begreiflich machen wollte. Diesem verwegenen Spiele folgte 1797 ein zweites, vielleicht noch kühneres, welches er herausfordernd ein historisches Schauspiel nannte, „Die verkehrte Welt“. Veranlassung und Namen hatte eine Posse in Weise’s vergessenem „Zittauischen Schultheater“ gegeben. Der Dichter selbst lebte ja in einer ähnlich verkehrten Welt, wo die Thorheit sich als Weisheit breit machte, um den Tiefsinn als Thorheit zu verschreien, wo man die reinste Prosa Poesie nannte, um diese für immer zu exiliren. Apoll und der Poet sind verbannt, während ein Nützlichkeitsregent auf dem Parnaß backen und brauen läßt, und die Musen sich bequemen müssen, zu brauchbaren Personen zu werden, um die Hochachtung des guten Bürgers zu verdienen. Während endlich das Spiel mit dem Theater so weit ging, daß Zuschauer und Schauspieler ihre Plätze miteinander tauschten, begleitete die in Worte übersetzte Musik diese tolle Welt mit dem Adagio ihrer schwermüthigen Töne, und durch jenes betäubende Geschrei des Unverstandes klangen die vollen Accorde des tiefsten dichterischen Ernstes. Hier fand sich auch die Andeutung, man solle die verkehrte Welt nur noch einmal umkehren, so werde schon die rechte zum Vorschein kommen. Nach solchen Ausbrüchen des Humors durfte der Dichter nicht mehr hoffen, mit seinen Beschützern und Verlegern im Einverständnisse zu bleiben; jetzt mußten ihnen die Augen aufgehen. Tieck hatte gewünscht, mit dem letzten Lustspiel die „Straußfedern“ abzuschließen. Schon früher hatte er es gewagt, ein kleines, unbedeutendes Drama einzuschwärzen. Jetzt übersandte er Nicolai die drei ersten Acte der „Verkehrten Welt“, dann ließ er nach einiger Zeit die beiden letzten folgen. Doch die Geduld des kritisirenden Verlegers war erschöpft. In eine wohlgemeinte Sammlung moralischer Erzählungen, wie seine „Straußfedern“, gehörten so excentrische Ausgeburten der Phantasie nicht hinein; und er sollte nun gar noch zwei solche Stücke gutheißen! Auch war der bescheidene junge Schriftsteller, der seinen Lehren so aufmerksam zu folgen schien, offenbar nichts weniger als sein Jünger, sondern ein arger Ketzer, erfüllt von allen verpönten und gefährlichen Phantastereien. Doch zu des jungen Mannes eigenem Besten beschloß er, ihm diesmal seine Meinung gründlich zu sagen. Er sandte das Manuscript mit einem Briefe zurück, in welchem er ihn vor den Irrwegen phantastischer Excentricität väterlich warnte, wie vor übermüthiger Verspottung des Publicums, und ihm zu Gemüthe führte, daß Anlagen nur durch Fleiß und Strenge zu bilden seien. Aber der muthwillige Geist des Lustspiels hatte den gründlichen Kritiker gerade in diesem Augenblicke der Belehrung arg geneckt. Er hatte in seinem Eifer völlig übersehen, daß es sich hier um ein einziges Drama handle. Weil es ihm in zwei Sendungen zugegangen war, hatte er zwei verschiedene Lustspiele daraus gemacht! Den Vermittelungsvorschlag Nicolai’s, eines davon diesmal noch passiren zu lassen, konnte Tieck natürlich nicht annehmen; er eilte ihn über seinen Irrthum aufzuklären, und erbat sich sein Lustspiel zurück. Die Verleger waren mistrauisch geworden. Sie begannen seine Dichtungen zu durchmustern, und fanden bald genug in ihren eigenen Verlagsartikeln deutliche Spuren, daß ihr Schriftsteller ein Gegner der Aufklärung, wol gar der Moral sei. Man hatte also im eigenen Heerlager einen Feind beherbergt. Nach solchen Erfahrungen war an eine Ausgleichung nicht mehr zu denken. Sie war auch nicht möglich. Die Zeitalter der vorgoethischen und nachgoethischen Poesie waren in ihren entschiedensten Vertretern aufeinandergestoßen. Eine ganze Periode der deutschen Literatur lag zwischen beiden, sie konnten sich nicht verstehen. Die Verbindung mit dem jüngern Nicolai ging ihrem Ende entgegen. Nicht zufrieden mit dem, was Tieck ihm geliefert hatte, wünschte er voll unruhiger Vielthätigkeit bald diesen bald jenen Plan ausgeführt zu sehen, von dem er einen glücklichen Erfolg für sein Geschäft erwartete. Unter Anderm hatte er eine Anzahl von englischen Moderomanen zusammengebracht, welche übersetzt werden sollten. Da Tieck mit so schlechter Waare sich nicht befassen mochte, so ruhte jener doch nicht eher, als bis er die leidlichsten ausgesucht, und ihm einige Freunde nachgewiesen hatte, die bereit waren, sich der Arbeit zu unterziehen. Wackenroder mußte das „Kloster Netley“, der Musikdirector Wessely „Schloß Montfort“ übersetzen. Gleich darauf kam er mit einem andern Plane zum Vorschein. Elise von der Recke, die aus einer Anhängerin der Mystik eine Freundin Nicolai’s geworden war, stand in den geselligen Kreisen, welche sich bei diesem versammelten, in hohem Ansehen. Hier hatte sie Tieck’s „Blaubart“ kennen gelernt, und den Gedanken hingeworfen, es müsse eine treffliche Aufgabe für den Dichter sein, die frühere Geschichte des Blaubart und seiner sechs Weiber zu schreiben. Er könne sich als Menschenkenner und Charakterdarsteller bewähren, es gelte Leidenschaften zu zeichnen, das Ganze werde ein trefflicher Stoff zu feinen psychologischen Gemälden sein. Diese Aeußerung faßte der jüngere Nicolai auf, und Tieck sollte auf der Stelle ans Werk gehen. Diesem war indeß weder die Aufgabe, noch die Art, wie sie gelöst werden sollte, genehm. Das pedantische Anatomisiren aller Fibern und Fasern, wie es in den psychologisirenden und moralisirenden Romanen an der Tagesordnung war, war ihm widerlich. Dennoch ging er auf den Vorschlag ein, weil er einen Stoff gefunden zu haben meinte, der ihm Veranlassung gebe, seine Ansicht über die Beschränktheit der Moralpoesie noch einmal darzulegen. Doch während der Arbeit erlahmte er; nur eine matte Geschichte hatte er zu Stande gebracht. Ein Streit, in den er mit dem Censor gerieth, verdarb den Spaß vollends, da dieser ihm vorwarf, in dem einleitenden Capitel die Moral lächerlich gemacht zu haben. In einem Gespräche darüber kam man auf Voltaire’s „Candide“, und da Tieck dieses Buch als wahrhaft unmoralisch bezeichnete, zürnte jener noch mehr über die Anmaßlichkeit, mit welcher der junge Schriftsteller ein weltberühmtes Buch anzugreifen wage, das ihm doch zum Vorbilde gedient habe. Tieck mußte sich bequemen, seine Einleitung zum Besten der Moral umzuarbeiten. Diese Verzögerungen machten auch Nicolai ungehalten; er maß das Mislingen Tieck’s Eigensinn bei, und um die Sache zum Abschluß zu bringen, gab er selbst die Erzählung unter einem geschmacklosen Titel heraus, der sie witziger und anziehender machen sollte. Er nannte sie: „Eine wahre Familiengeschichte, herausgegeben von Gottlieb Färber, Istambul bei Heraklius Murusi, Hofbuchhändler der hohen Pforte, im Jahre der Hedschrah 1212.“ Allmälig war aus dem Verleger ein Kritiker geworden. Er lobte, tadelte, schalt, und war schon mit den frühern Dichtungen keineswegs zufrieden gewesen. Der „Kater“ und die „Schildbürger“ waren ihm zu übermüthig, sie durchbrachen zu rücksichtlos die sichern kritischen Gehege. Er fürchtete, man könne am Ende gar ihn selbst für Peter Lebrecht halten; er hatte daher jede Verantwortlichkeit für diese excentrischen Producte abgelehnt. Bedenklicherweise aber hatte er der „Geschichte der Schildbürger“ die Erklärung angehängt, daß er nicht der Verfasser dieses Buches sei, vielmehr den Inhalt desselben erst nach dem Abdrucke kennen gelernt habe. Auch hatte er aus ähnlichen Gründen die „Volksmärchen“ gegen den anfänglichen Plan bereits mit dem dritten Bande abgeschlossen. Endlich kam es zu einem völligen Bruche. Wenngleich es den Volksmärchen nicht an Beifall fehlte, während der Verleger selbst ihnen denselben versagte, so hatte er dennoch ungeduldig einen bessern Erfolg erwartet, und griff nun in seinem Zorn über Dichter und Gedicht zu einer Maßregel, die ebenso eigenmächtig als unberechtigt war. Er kündigte 1799 Tieck’s sämmtliche Werke an, in zwölf Bänden, zu einem bedeutend herabgesetzten Preise, und ließ es dabei an spöttischen Bemerkungen nicht mangeln. Tieck’s Freunde, denen diese Dichtungen inzwischen liebgeworden waren, hatten wol gesagt, sie seien nicht für den gewöhnlichen Leser, sondern für den höhern Menschen geschrieben. Diese Wendung faßte Nicolai auf. Eben um dem höhern Menschen den Ankauf zu erleichtern, habe er den Preis dieser Bücher herabgesetzt. Aber diese erste Gesammtausgabe war in keiner Hinsicht was sie sein wollte. Weder enthielt sie alles, was Tieck geschrieben hatte, noch war alles, was sie enthielt in der That von ihm, noch war sie endlich überhaupt eine neue Ausgabe. Hierin lag nicht allein eine doppelte Beeinträchtigung des Verfassers, sondern auch eine Täuschung des Publicums. Es fehlten die Erzählungen in den „Straußfedern“, „Allamoddin“, „Der Abschied“ und „Herr von Fuchs“, drei dramatische Jugendversuche, welche Wackenroder während Tieck’s Abwesenheit 1797 hatte in Leipzig drucken lassen, um den Freund zu überraschen; es fehlte der „Sternbald“ und die „Phantasien über die Kunst“, die sämmtlich in den Händen anderer Verleger waren. Dagegen mußte Tieck es sich gefallen lassen, als Uebersetzer jener schlechten Romane zu erscheinen, vor denen er gewarnt hatte. Endlich waren an dieser sogenannten neuen Ausgabe nur die Titelblätter neu, welche als lockendes Aushängeschild den alten Drucken vorgesetzt worden waren. Nach solchem Verfahren blieb nur der Rechtsweg übrig. Es kam zur Klage beim Stadtgericht. Nicolai verlor den Proceß, und der fernere Verkauf dieser unechten Ausgabe wurde ihm untersagt. Noch in demselben Jahre starb er, nachdem sein Geschäft in der letzten Zeit mannichfach gelitten hatte. Mit den Resten seiner Verlagsartikel gingen auch jene Titelblätter in den Besitz einer leipziger Buchhandlung über, und noch später ist diese erste angebliche Gesammtausgabe von Tieck’s Werken hin und wieder auf dem Büchermarkt aufgetaucht, um die Kunde von den Anfängen seiner dichterischen Laufbahn zu verdunkeln und zu verwirren. 7. Alte und neue Freunde. Das Jahr 1798 war für Tieck ein entscheidendes. Manches alte feste Band sollte sich lösen, manches neue bedeutungsvoll geschlungen werden. Zuerst wurde der treuste und bewährteste der Freunde von Tieck’s Seite gerissen, Wackenroder, mit dem er vom Knaben zum Jünglinge aufgewachsen war und jetzt das männliche Alter erreicht hatte. Gerade in diesem Augenblicke entfaltete sich Wackenroder’s tiefer Sinn vollständig. Auch er hatte sich in der Stille zum Dichter herangebildet. Seine Gedanken über die Kunst waren zu einem Abschlusse gekommen, und gestalteten sich nun zu einer Reihe dichterischer Bilder. Schüchtern hatte er sein Geheimniß bisher bewahrt, und selbst seinem Freunde nicht mitzutheilen gewagt. Tieck war daher sehr überrascht, als er die ersten Blätter erhielt. Er mußte sich eingestehen, bei aller Anerkennung des tiefen Gemüths und Talents hatte er Wackenroder so Bedeutendes nicht zugetraut. Seine frühern Versuche waren nicht glücklich ausgefallen. Noch hatte er den Ton nicht finden können, der seinem eigenthümlichen Wesen entsprach. Er schwankte in seinen Gedichten zwischen dem Pathos Schiller’s und dem nüchternen Tone der ältern Schule. Noch weniger wollte es mit dem Drama gelingen. Eine Tragödie schloß damit, daß die Geliebte ohnmächtig in die Arme des Geliebten sinkt. Dieser, um sie ins Leben zurückzurufen, greift zu einigen Kräutern (die Scene ist im Garten), er hält sie ihr an den Mund, aber unglücklicherweise sind sie giftig, und er tödtet dadurch die Geliebte mit eigener Hand. Die Kunst war es, durch welche Wackenroder auch in der Poesie mündig werden sollte. Eine Reise, welche die Freunde im Sommer des Jahres 1796 nach Dresden machten, führte zur Entdeckung des Geheimnisses. Endlich wollten sie die größten Werke der alten italienischen Meister sehen. Es war eine Pilgerfahrt nach dem gelobten Lande, das nur durch einen Zug durch die Wüste zu erreichen war. Denn die Poststraße nach Dresden war kaum minder beschwerlich. Tage und Nächte lang schleppte sich die Fahrpost mühselig durch den Sand und die trübseligen Haiden der Mark und der Lausitz. Diese endlosen Nachtfahrten durch finstere Kieferwaldungen waren geeignet Gedanken zu erwecken und mitzutheilen. So entstanden auf dieser Reise bei Tieck zwei Gedichte im ersten Entwurfe, welche den düstern Charakter jener Einsamkeit widerspiegelten. In der Nacht sahen die Reisenden weiße Steine zwischen den Bäumen hervorschimmern, welche als Wegweiser, als Zeichen im Walde, gelegt sein mochten. Um sie sammelten sich jene schaurigen Phantasiegebilde, denen Tieck in dem bekannten Gedichte dieses Namens Leben gab. Diese Steine verwandelten sich ihm in rächende Zeichen, die einen schweren Frevel verbargen und zugleich verriethen. Mit diesen Bildern wechselten dann die Gefühle schmerzlicher Verlassenheit und Einsamkeit, die er in jenem Nachtliede des Wanderers aussprach, der still weinend seines Weges zieht und die Sterne anruft. Auf dieser Reise theilte auch Wackenroder sein Geheimniß dem Freunde mit. Diese Darstellungen waren die Frucht der künstlerischen Studien, des Aufenthaltes in Nürnberg, der Besuche der Galerien zu Pommersfelde, Kassel und Salzthal. Alles was er gesehen, was ihn entzückt und begeistert hatte, drückte er in dem einen Gedanken aus, der für ihn die vollste Wahrheit war, es sei ihm die Kunst eine andere Religion, zum Gegenstande eines heiligen Glaubens geworden. Niemals konnte sich eine solche Ueberzeugung mit den Theorien der Kunst und der Kritik versöhnen, welche auf dem Boden der Aufklärung gewachsen war. Wie Tieck in der Poesie, forderte Wackenroder in der Kunst das Einfache, Ursprüngliche. Nichts war ihm verhaßter als das hergebrachte Kunstraisonnement, mochte es nun auftreten als Zergliedern des Ganzen, als verständiges Herzählen von Einzelheiten, in denen die Kunstrichter den Geist zu fassen vermeinten, oder mit der Miene der Unfehlbarkeit, als System und Herleitung aus obersten Grundsätzen. Die damals häufig genannten Schriften von Ramdohr, „Venus Urania“ und andere hatten den Freunden manchen Anstoß gegeben. Wie konnten diese Kunstrichter so zuversichtlich sprechen, da sie weder Kunst noch Begeisterung besaßen? Dem allwissenden System stellte Wackenroder die Begeisterung entgegen, als eine geheimnißvolle Offenbarung, von welcher der Künstler selbst nicht zu sagen wisse, woher der Geist wehe. Zu der Quelle jener Gefühle führte sie Wackenroder zurück, welche die Theoretiker aus der Seele wie aus ihren Lehrbüchern hinaus demonstriren wollten. Aus dem geheimnißvoll Göttlichen im Menschen stieg auch die Kunst empor, und ihr Ausdruck war das Werk des Meisters. Aber diese Offenbarung in der Kunst ist nicht zu fassen wie der Paragraph eines Lehrbuchs, die Versenkung in das Kunstwerk muß zur religiösen Erhebung werden. Den Machtsprüchen unduldsamer Systematiker, die das nicht verstehen wollten, setzte er ein kühnes und entschiedenes Wort entgegen, Aberglaube sei besser als Systemglaube. Solche Gedanken und Gefühle wollte Wackenroder anschaulich machen in einer Reihe von Bildern, die er aus dem Leben und Wirken der alten großen Meister entlehnt hatte. Er wollte zeigen, wie jeder von ihnen dem Genius getreu, kräftig und einfach gebildet, und das Göttliche in seiner Weise dargestellt habe, der große Rafael in seiner Herrlichkeit, der kunstvolle Leonardo da Vinci, und vor allen Albrecht Dürer, der Vater der deutschen Kunst, still und ämsig, rein und fromm; wie ihnen allen die Religion ein erklärendes Buch gewesen für das ganze Leben, und dieses selbst unter ihren Händen zum Kunstwerke geworden sei. Viele dieser charakteristischen Züge hatte Wackenroder aus Vasari’s Malerchronik entlehnt. Als Tieck jene Blätter durchgelesen hatte, wollte es ihm trotz alles Beifalls in seiner damaligen kritischen Stimmung scheinen, Manches könne vielleicht noch wirksamer gesagt werden. Er begann daher den ersten Abschnitt „Rafael’s Erscheinung“ umzuarbeiten, ein rasches Verfahren, welches er später als voreilig misbilligte, da die ursprüngliche Darstellung seines Freundes ohne Zweifel besser gewesen sei. Ebenso machte er den Versuch, das über Leonardo da Vinci Gesagte in Verse umzusetzen. Als er darauf von Dresden nach Halle ging, Reichardt zu besuchen, theilte er ihm die Dichtungen des Freundes mit. Auch dieser stimmte in den Beifall ein, und nahm sogleich eine der Skizzen, „Das Ehrengedächtniß Albrecht Dürer’s“ in sein Journal „Deutschland“ auf. Reichardt fand auch den Titel, unter dem diese Bilder dem Publicum übergeben werden sollten. Sie waren durchweht von dem Geiste eines frommen Kunstglaubens, der einer vergangenen Zeit angehörte, in welcher die Begeisterung dem zersetzenden Verstande noch das Gleichgewicht hielt; eine solche Betrachtung des Kunstwerkes schien in der Zeit geräuschvoller und selbstbewußter Thätigkeit kaum möglich. Sie wurde daher einem einfachen Mönche zugeschrieben, der seine Jugend der Kunst widmete, und in klösterlicher Stille das Leben zu beschließen gedenkt. Hinter ihm liegen Welt und Jugend, aber die Begeisterung für die Kunst durchglüht ihn noch wie damals, sie ist ihm zu einem Theile seines Glaubens selbst geworden. In kunstlosen, aber ergreifenden Worten spricht er diesen Glauben aus, mit jener Ruhe, welche den festen Ankergrund gefunden hat, der nicht mehr entrissen werden kann. Diese fromme Einfalt hatte an Lessing’s Klosterbruder im „Nathan“ erinnert, daher schlug Reichardt für diese Betrachtungen den treffenden Titel vor: „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders.“ Tieck fügte die Vorrede und einige kleinere Aufsätze hinzu; dann erschien das Buch 1797 in Unger’s Verlag. Mehr als einen Grund mochte Wackenroder haben, sich nicht als Verfasser zu nennen. Manchen Kampf hatte er in dieser Zeit zu bestehen, davon gaben diese Herzensergießungen Zeugniß; sie waren es für ihn in vollem Sinne des Wortes. Auch für die Musik hatte er einen leitenden und rathenden Freund in Zelter gefunden. Doch je mehr sich sein Ohr der innern Harmonie öffnete, desto verletzender wurden die Misklänge des äußern Lebens. Er war in die juristische Praxis eingetreten. Aber wenig war er für eine solche Thätigkeit geeignet. Er sollte Acten lesen oder selbst abfassen über geringfügige Dinge des Lebens, die er verachtete, die für ihn nicht da waren. Wie oft klagte er nicht dem Freunde seine Leiden, wenn der Augenblick drängte, und Actenstöße abgearbeitet werden sollten, und er weder Sammlung noch Uebersicht finden konnte, um die verhaßte Arbeit zum Abschlusse zu bringen. Wie Tieck manches Mal in den Schülerjahren aus der Noth geholfen hatte, so bewährte er sich auch jetzt. Schnell entschlossen setzte er sich nieder, und brachte so gut er es vermochte das Referat zu Stande. Es war klar, auf diesem Wege mußte der Freund zu Grunde gehen. An den Wurzeln seines Lebens nagte der geheime Gram, seinem wahren Berufe nicht folgen zu können. Auch nach Tieck’s Meinung war dies die Kunst. Da er bei dem alten Wackenroder etwas galt, so unternahm er mit mehr Zuversicht als Erfolg das schwierige Werk ihn umzustimmen. Dieser hatte von dem Freunde seines Sohnes eine günstige Meinung, als von einem verständigen jungen Manne, an dessen Unterhaltungen man wol Gefallen finden könne. Tieck suchte ihm begreiflich zu machen, wie es das Heil des Sohnes erfordere, daß er sich für die Musik ausbilde. Nicht ohne Staunen hörte der alte Wackenroder diese dreiste Rede an. Von einem Musiker hatte er die geringsten Begriffe, und seinen Sohn hatte er zu einem nützlichen Bürger erzogen. „Sie meinen wol gar, mein Sohn soll so ein Musikant werden, der zu Hochzeiten aufspielt?“ fragte er mit schneidender Schärfe dagegen. Bei solchen Ansichten hörte jede Hoffnung auf Verständigung auf. So verzehrte sich Wackenroder in innerm Widerstreite. Während er von Musik und Malerei träumte, zogen Pflichtgefühl und Kindesliebe ihn nach der andern Seite hin. Das Geschäftsleben aufzugeben, war ohne seinen Vater tief zu kränken, nicht möglich. Aber er fühlte, trotz seines guten Willens werde er den Anforderungen, die gemacht wurden, nicht genügen können. Diesen schmerzlichen Seelenzustand hatte er in seinen Herzensergießungen in dem musikalischen Leben Joseph Berglinger’s geschildert. Er war jener Knabe, der mit seiner Musiksehnsucht und Begeisterung dem thätigen und verständigen Vater gegenübersteht, der ihn nöthigen will sich nützlich zu beschäftigen wie er selbst. Er war es, der jede Seite in seinen Lehrbüchern zehn mal überlesen mußte, ohne sie zu fassen, während die Seele ihre innerlichen Phantasien fortsang. Es waren Erinnerungen an die Träume der Studentenzeit, wenn er den Leidenden aus dem Vaterhause entfliehen ließ, um sich seiner Kunst in die Arme zu werfen. Dann mochten ihn wol geheime Zweifel beschleichen, ob er den höchsten schöpferischen Beruf habe, wenn er seinen Berglinger mit dem Gefühl bitterer Enttäuschung gestehen läßt, daß Sehnsucht und Phantasie mehr versprechen, als Talent und Leben gewähren, daß die Begeisterung, die den Widerstand des Lebens schöpferisch überwinden soll, von stärkerem Metall sein müsse, daß sein Beruf vielleicht mehr der Genuß als die Ausübung der Kunst sei. Seine Begeisterung war eine stille Glut, die Alles durchzog, was er dachte und sprach, aber auch seine Jugend und sein Leben verzehrte. Er war zerfallen mit sich und seiner Art zu sein, der Gegenwart überdrüssig, ohne Hoffnung für die Zukunft. Leicht würde eine zarte Natur wie die seine Schwereres ertragen haben, wenn sie mit sich einig geworden wäre; an diesem quälenden Widerspruche ging sie zu Grunde. Seine Gesundheit wankte; er kränkelte, es entwickelte sich ein Nervenfieber. Am 13. Februar 1798 starb er fünfundzwanzig Jahre alt. Es war ihm gegeben, unter Kampf und Streit die höchsten Entzückungen der Kunst in sich zu erleben, er hatte sie ausgesprochen, dann war er gestorben. Sein Leben war ein kurzes, aber darum nicht schmerzenfreies; doch war es still, rein und voll künstlerischen Glaubens gewesen, wie das jener alten Meister, von deren Bildern seine Seele erfüllt war. Nächst dem Vater traf dieser Schlag Niemand härter als Tieck. Zehn Jahre der reichsten Entwickelung hatte er mit diesem Freunde verlebt. Es gab nichts in Leben, Poesie und Kunst, was sie nicht besprochen hätten. Es war eine Freundschaft hervorgegangen aus der Gleichheit der höchsten Seelenstimmungen. In der letzten Zeit hatten sie für eine tiefere Auffassung der Poesie und Kunst gemeinschaftlich gekämpft. Und in diesem Sinne wirkte Tieck weiter. Er setzte dem hingeschiedenen Freunde ein Denkmal, das ein Zeugniß ihres gemeinsamen Lebens in der Kunst sein sollte. In einer eigenen Dichtung führte er die Ideen des Klosterbruders weiter aus. Dies war der „Sternbald“. Schon in Nürnberg hatten die Freunde den Gedanken gefaßt die alte volksthümliche Kunstwelt wieder zu beleben. Unter den verschiedenartigsten Arbeiten hatte Tieck diesen Plan festgehalten. Zu den „Herzensergießungen“ hatte er einen Beitrag gegeben, in dem der Charakter des „Sternbald“ bereits vollständig ausgebildet war. Es ist der Brief des jungen deutschen Malers, der aus der Schule seines Meisters Albrecht Dürer nach Rom gegangen ist, und unter den Werken Rafael’s und der großen Italiener ein neues Leben in der Kunst beginnt. In dem letzten Lebensjahre Wackenroder’s hatte er diese Gedanken mit verdoppeltem Eifer wieder aufgenommen, und mit dem Freunde auf manchem Spaziergange im Thiergarten besprochen. Er wünschte lebhaft, auch dieser möge an der Ausführung Theil nehmen. Zögernd willigte endlich Wackenroder ein, und übernahm die Bearbeitung gewisser Capitel. Auch diese altdeutsche Geschichte sollte dann unter dem Namen des Klosterbruders erscheinen. Doch gleich darauf erkrankte Wackenroder, bevor er noch an die Lösung seiner Aufgabe gehen konnte. Die Gestalten der deutschen Kunstwelt und der Gedanke an die eben entworfene Dichtung erfüllte die Phantasie seiner letzten Tage. Unterdessen hatte Tieck bereits begonnen, und unter den Schmerzen jenes herben Verlustes vollendete er die ersten Bücher. Er konnte sie nur mit der Klage abschließen, daß er ohne den Beistand des Freundes habe ausführen müssen, was in der Idee beiden gehörte. Er führte in seiner Dichtung den Jünger durch die verschiedenen Stufen der Kunst bis nach Rom. Aus der Werkstatt Albrecht Dürer’s geht der einfache und schlichte Schüler hervor. Er sieht die deutschen und italienischen Kunststätten in Leyden, Strasburg und Florenz; in Rom mit dem Anblick von Michel Angelo’s jüngstem Gericht schließt der erste Theil seiner Lehrjahre. Tieck’s Gedanken über deutsche Art und Kunst, seine Erinnerungen an Nürnberg, seine Gespräche mit dem Freunde, Alles hatte hier eine dichterische Gestalt gewonnen. Der innige und warme Ton des Klosterbruders klang auch durch diese Malergeschichte. Den Abschluß dieser Thätigkeit machte die Herausgabe von Wackenroder’s Nachlaß, in dem sich Manches fand, was für einen zweiten Theil der „Herzensergießungen“ bestimmt gewesen war. Es waren die Skizzen aus Dürer’s Leben, und Einiges was unter Berglinger’s Namen geschrieben war. In Verbindung mit eigenen Aufsätzen ähnlichen Inhalts gab sie Tieck 1799 als ein Vermächtniß Wackenroder’s heraus unter dem Titel: „Phantasien über die Kunst.“ Das geistige Leben der Freunde hatte in drei verschiedenen Werken einen dauernden Ausdruck gewonnen, welcher für die Poesie wie für die Kunst nicht ohne bedeutende Folgen blieb. In der Zeit dieses Verlustes gestaltete sich auch das Verhältniß zu Bernhardi anders. An die Stelle der Offenheit, welche früher zwischen ihnen geherrscht hatte, begann eine vorsichtige Zurückhaltung zu treten. Fast hatte es den Anschein, als wenn sich Bernhardi in eben dem Maße von Tieck entfernte, als er sich dessen Schwester Sophie näherte, mit der er sich später verlobte. Auch Tieck hatte sich 1796 mit der Schwägerin Reichardt’s in Giebichenstein verlobt. Es fehlte nicht an kleinen Neckereien und Angriffen, die den Charakter der Gereiztheit annahmen. Bernhardi warf Tieck, dem Goethe-Enthusiasten, in den wiederkehrenden Kämpfen gegen die alte Schule Lauigkeit vor, oder wol gar, daß er seine Ansicht verleugne. Wie bei Nicolai hatte er sich auch manchem andern Würdenträger der Aufklärung gegenüber schweigend und hörend verhalten; sie waren nicht zu bekehren, und zu seiner Beruhigung eine Tirade über Goethe zu geben, erschien ihm nutzlos und lächerlich. Niemand kannte und würdigte die Meinungen der Gegner besser als er, davon hatte er mannichfache Beweise gegeben; immerhin mochte er ihnen das Vergnügen lassen sich in breiter Ausführlichkeit Luft zu machen. Aber diese ruhige Sicherheit galt für Kälte, Zweideutigkeit und Mangel an Begeisterung. Dies gab Bernhardi sogar zu einigen satirischen Bildern Veranlassung, deren treffliche Ausführung Tieck bereitwillig anerkannte, wenngleich er einsah, man habe ihm damit einen Spiegel vorhalten wollen. Fink, aus dessen Leben sechs Stunden geschildert wurden, war Niemand anders als er. Der enthusiastische Anbeter Goethe’s erschien hier aus kluger, hinterhaltiger Berechnung vor dem mächtigen Gegner des Dichters als zweideutiger Kritiker. Und nichts lag Tieck’s offenem Charakter ferner als diese berechnende Weltklugheit. Man konnte nicht rückhaltloser und uneigennütziger sein, als er gegen Bernhardi gewesen war. Er hatte ihm früher das kleine Trauerspiel „Der Abschied“ überlassen, für dessen Verfasser jener zu gelten wünschte. Dann hatte Bernhardi das Märchen „Die Versöhnung“ dem „Archiv der Zeit“ als seine Arbeit überschickt, und die Erzählung „Almansor“ nahm er in ein Buch auf, welches er „Nesseln“ nannte, und unter dem Namen Falkenhayn herausgab. Als er den „Abdallah“ im Manuscript gelesen hatte, schrieb er davon angeregt einen Ritterroman „Die Unsichtbaren“, der 1794 in zwei Bänden in Halle erschien. Hier hatte er sich Ernst Winter genannt. Es war eine Nachbildung des „Abdallah“, die um mehrere Monate früher durch den Druck bekannt ward als das Vorbild, freilich ohne einen irgend merklichen Eindruck zu machen. Ja auf den „Abdallah“ selbst erhob er eine Art von Anspruch, indem er Tieck einmal andeutete, daß ohne große Opfer, welche er gebracht habe, und ohne seine Beihülfe dieser Roman wol niemals zum Abschluß gekommen sein würde. Doch bei dieser Behauptung riß Tieck’s Geduld. Es war auf einem Spaziergange; ohne ein Wort erwidern zu können, wandte er Bernhardi den Rücken und schlug einen andern Weg ein. Endlich ließ dieser es sich gefallen, als der Verfasser der „Verkehrten Welt“ aufzutreten. Durch den „Klosterbruder“ und den „Sternbald“ war Tieck mit dem Buchhändler Unger in nähere Verbindung gekommen. Dieser Mann erfreute sich eines nicht unbedeutenden Rufes unter Künstlern und Gelehrten. Neben seinem buchhändlerischen Geschäfte, mit dem eine Druckerei verbunden war, übte er selbst den Holzschnitt und fand Anerkennung. Seine Frau war liebenswürdig, talentvoll, vielseitig gebildet und als Schriftstellerin aufgetreten. Manches hatte sie aus fremden Literaturen übersetzt, sich aber auch in eigenen Darstellungen versucht. Ihre Pensionsgeschichte „Julchen Grünthal“ wurde gern gelesen, und war von A. W. Schlegel günstig beurtheilt worden. Unger’s Haus war ein sehr geselliges; man traf stets die beste Gesellschaft, und Tieck hatte manche heitere und angenehme Stunde daselbst verlebt. Unger wünschte, eine von Tieck’s neuesten Dichtungen in Verlag zu nehmen. Dieser beschloß ihm die von Nicolai zurückgewiesene „Verkehrte Welt“ zu übergeben. Unger, ein heiterer Mann, versprach sich das Beste davon, und hatte eine kleine Gesellschaft von Freunden eingeladen, vor denen das Lustspiel gelesen werden sollte. Er selbst kannte es noch nicht. Der Dichter begann zu lesen. Er hatte in voller Laune geschrieben, und glaubte diesmal seines Erfolges sicher zu sein. Doch war es schon eine unangenehme Enttäuschung, als bei den Stellen, wo er ein unauslöschliches Gelächter erwartet hatte, sich kein Mund öffnen wollte. Als er zu Ende gelesen hatte, sah er nur ernste, lange Gesichter. Ein frostiges Schweigen herrschte, Niemand wußte ein Wort zu finden. Endlich kam der verlegene Verleger schüchtern mit der Sprache heraus. Auch er fand diese Dichtung doch zu sonderbar und abweichend vom Gewöhnlichen, um sich zur Uebernahme derselben entschließen zu können. Verdrießlich über diese zweite Abweisung des Scherzes, warf Tieck das Manuscript bei Seite, und schenkte es nach einiger Zeit Bernhardi. „Mache damit was du willst!“ sagte er. Dieser gab soeben eine Sammlung satirischer Skizzen und Erzählungen heraus, „Die Bambocciaden“, deren erster Theil 1797 anonym bei Maurer erschienen war. 1799 folgte der zweite Theil, der außer einigen Erzählungen von Tieck’s Schwester auch die „Verkehrte Welt“ enthielt. Auf Bernhardi’s Wunsch schrieb Tieck diesmal die Vorrede, unter die jener dann seinen Namen setzte. Er war gutmüthig genug zu versichern, Bernhardi habe den Plan zu diesem Lustspiel mit ihm gemeinsam entworfen, und dasselbe zum Theil auch ausgearbeitet. Mit der Freigebigkeit des Reichen, die er schon in früher Jugend gezeigt hatte, gab er seine Schätze hin, und überließ es gern Andern, sich ihrer zu rühmen. Nicht im stolzen Besitze, sondern in dem ununterbrochenen lebendigen Schaffen fand er seine Befriedigung. Um diese Zeit entwarf er einen kecken Plan zu einem satirischen Feldzuge gegen die aberwitzigen Ritterromane, an dem auch seine Schwester und Bernhardi Theil nehmen wollten. Das Publicum sollte auf die Probe gestellt werden. Bei Maurer war ein grausiges Machwerk dieser Art unter dem abgeschmackten Titel erschienen: „Er nahm die Silberlocke des Enthaupteten und zerstörte das Femgericht.“ Als Verfasser wurde Zschokke genannt. Diese Albernheiten sollten nicht nur fortgesetzt, sondern womöglich überboten werden. Ohne einen gemeinsamen Plan gemacht zu haben, begann jeder der drei Mitarbeiter für sich zu schreiben; später wollte man die Theile aneinandersetzen und irgendeinen Zusammenhang hineinbringen. Tieck suchte den Tyrannen zu übertyrannen, und durch eine Reihe von Uebertreibungen die vermeintliche Heldengröße jener prahlerischen Klopffechter in ihrer ganzen Lächerlichkeit zu zeigen. Der Held sitzt eingekerkert in einem Thurme. Sein Freund klettert an demselben hinauf, und da er sonst kein anderes Werkzeug bei sich führt, zerbeißt er tapfer mit seinen gewaltigen Zähnen das eiserne Gitterwerk vor dem Fenster, und entführt den gefangenen Helden. Schon hatte sich der Verleger bereit erklärt, die Fortsetzung des beliebten Romans zu übernehmen, als ihm noch zeitig genug der Muthwille, welcher dahinter steckte, durch Bernhardi verrathen wurde, und nun unterblieb die ganze Sache. Endlich hatte Friedrich Tieck 1797 Berlin verlassen. Er hatte seine erste Kunstreise angetreten, und Wilhelm von Humboldt und Burgsdorff nach Dresden begleitet, dann nach Wien. Die ursprüngliche Absicht, nach Italien zu gehen, war bei den damaligen Verhältnissen nicht durchzuführen; man war daher nach Paris gegangen, wo er seine künstlerischen Studien fortsetzte. Doch gewann Tieck zwei neue Freunde, welche mit ihm für das Leben verbunden bleiben sollten, A. W. Schlegel und Steffens, deren Hinzutritt mit andern bedeutenden Momenten seines Lebens zusammenfällt. Obwol er mit dem jüngern Schlegel seit einigen Jahren befreundet war, so hatte doch seine persönliche Verbindung mit dem ältern Bruder einen literarischen Ursprung. A. W. Schlegel hatte einen kritisch-genialen Blick für Alles, was der Kunst und Poesie angehörte, und ein nicht minder großes Talent für die vollendete Form. Witzig und schlagfertig, war er ein scharfer Gegner aller pedantischen Geschmacklosigkeit und Beschränktheit. Ein seltenes gelehrtes Wissen in den alten und neuen Sprachen, und ein klarer Ueberblick ihrer Literatur stand ihm zu Gebote. Er war ein Verkündiger Goethe’s, und seine Kritiken in der „Jenaischen Literaturzeitung“ hatten nicht wenig dazu beigetragen, deren wissenschaftliche Bedeutung zu heben; die ersten Bände seiner Uebersetzung Shakspeare’s waren bereits 1797 in Unger’s Verlag erschienen. Er war auf Tieck’s Dichtungen aufmerksam geworden. Die Bearbeitung des „Sturms“ hatte er in der „Jenaischen Literaturzeitung“ von 1797 beurtheilt, und wenngleich er an der jugendlichen Arbeit Manches auszusetzen fand, so schien sie doch zu bedeutenden Hoffnungen zu berechtigen. Liebe und Kenntniß seines Dichters konnte er dem Verfasser nicht absprechen. Gleich darauf hatte er in der Anzeige der Einzelausgabe des „Blaubart“ und des „Gestiefelten Katers“ den Dichter als einen solchen, als einen wirklich dichtenden, willkommen geheißen, und in den ernsten wie in den humoristischen Zügen bereits eine Meisterhand erkannt. Dies führte zu einem Briefwechsel. Tieck übersandte dem Kritiker die „Volksmärchen“, und noch vor Ablauf des Jahres sprach Schlegel den Wunsch aus, seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Zugleich fügte er eine kurze Kritik der „Volksmärchen“ selbst hinzu. In dem „Blonden Ekbert“ fand er Goethe’s reizenden Ueberfluß wieder bei gleicher Klarheit und Mäßigung, ebenso in einigen Liedern der „Magelone“. Es schien ihm das nicht minder eine Folge ursprünglicher Verwandtschaft der Geister als tiefen Studiums. Dieselbe Ansicht sprach er auch im „Athenäum“ aus. Anfang Sommers 1798 kam A. W. Schlegel auf einige Wochen nach Berlin. Man verständigte sich nach allen Richtungen. Shakspeare, das gemeinsame Studium der ältern englischen und spanischen Literatur, ward eine Quelle des fruchtbarsten Gedankenaustausches. Schlegel trat ganz den Freunden bei, welche sich um Tieck gesammelt hatten. Die hier herrschenden Ideen gewannen in ihm einen gefürchteten Vertreter in der kritischen Welt. Er wohnte bei seinem Verleger Unger, der in einem nahegelegenen Theile des Thiergartens, im sogenannten Schulgarten, ein Haus bezogen hatte, wo man unter schattigen Bäumen den Staub und das Geräusch der großen Stadt vergaß. Hier hatte auch Tieck seine Wohnung. Täglich sah man sich, im geistigen Verkehr wuchsen Kühnheit und Zuversicht. Indeß gesellten sich diesem Kreise auch andere Elemente bei, die zu demselben nicht zu passen schienen. Schlegel stand in näherer Beziehung zu Iffland. Er wünschte die Aufführung des „Hamlet“ nach seiner Uebersetzung, und konnte Iffland seine Bewunderung als Schauspieler nicht versagen. Auch Tieck suchte er für den gefeierten Künstler zu gewinnen; doch dieser vermochte jenen weder als dramatischen Schriftsteller anzuerkennen, noch konnte er in die Bewunderung seines Spiels einstimmen; hatte er doch den Commentator desselben diese Bewunderung übel entgelten lassen. Es war ihm unbegreiflich, wie man Iffland’s großes, aber doch immer kleinlich berechnendes Talent der kühnen Genialität Fleck’s vorziehen konnte. So meisterhaft er auch in mittlern, gemäßigten oder komischen Rollen sein konnte, so war sein Spiel doch ein aus vielen kleinen Strichen mühsam zusammengesetztes Bild, das überall Absicht verrieth. Unter diesen künstlichen Einzelheiten ging die Natur verloren. Obgleich Iffland sich freundlich und entgegenkommend zeigte, und auch seine Anerkennung des „Sternbald“ glaubte aussprechen zu müssen, so konnte Tieck doch kein Zutrauen zu ihm fassen. Er meinte auch hier Berechnung und Manier zu erkennen, und wiederholte seine Ansicht, ihn nicht in ihren Kreis hineinzuziehen, zu dem er nicht passe; er sei eine doppelseitige Natur, der es an innerer Wahrheit fehle. Da indeß auch Reichardt von Halle aus in dauernder Verbindung mit Iffland geblieben und ihm nicht minder günstig gesonnen war, so kam es zu einem gemeinsamen Plane, in welchen sich auch Tieck hineinziehen ließ. Reichardt wünschte eine neue Oper auf das berliner Theater zu bringen, und nicht minder angelegentlich, Tieck möge den Text dichten. Zuerst hatte er Shakspeare’s „Was ihr wollt“ vorgeschlagen, ihm dann aber freie Hand gelassen. Die Märchenwelt, welche Tieck wieder aufgeschlossen hatte, seine phantastisch-lyrische Richtung, manche seiner ältern Lieder, die in ihrer rhythmischen Freiheit der Musik entgegenzukommen schienen, alles mußte für einen solchen Versuch sprechen. Er selbst war schon früher auf den Gedanken gekommen, in einem Schauspiele die Recitation mit der Musik zu verbinden. Er nahm einen Plan aus frühester Zeit wieder auf, welchen er in ähnlicher Weise in dem Lustspiel „Das Reh“ zu bearbeiten versucht hatte. Shakspeare’s „Sturm“, Gozzi war dabei nicht ohne Einfluß gewesen. Jetzt gestaltete sich daraus das musikalische Märchen, „Das Ungeheuer und der bezauberte Wald“, in welchem sich wiederum die Alltagswelt und das Wunder, Prosa und Poesie in dem Dialoge und im musikalischen Theile entgegentraten. Componist und Schauspieler waren damit einverstanden, schon wurden Verabredungen im Einzelnen getroffen. Iffland und Fleck sollten die beiden Hauptvertreter der prosaischen Welt, den König und seinen Minister spielen. Alles schien im besten Gange zu sein, als plötzlich von der eifrig gewünschten Oper nicht mehr die Rede war. Man hatte Anstände gefunden, welche man nicht aussprechen wollte oder konnte. Nach längerer Zeit gab man Tieck das Manuscript stillschweigend zurück, und Reichardt componirte statt dessen ein gewöhnliches Zauberstück von Kotzebue. Nicht besser ging es später einmal mit dem Trauerspiel „Karl von Berneck“, welches ein beliebter Schauspieler zu seinem Benefiz ausersehen hatte, um es dann ebenfalls ohne Angabe eines Grundes fallen zu lassen. Nicht minder scheiterten andere Pläne, an denen auch Schlegel Antheil genommen hatte, wie man auf die Bühne einwirken könne. Namentlich hatte man an die Einrichtung antiker Dramen, z. B. des „Oedipus“, für die Darstellung gedacht. Ein Jahr später, 1799, kam Steffens nach Berlin. Schon in Jena hatte er Tieck’s Namen gehört, und war mit seinen Dichtungen bekannt geworden. Jetzt wünschte er ihn persönlich kennen zu lernen. Eines Morgens suchte er ihn in seiner Wohnung auf, den Abend desselben Tages trafen sie wiederum in einer Gesellschaft zusammen, welche Reichardt, der sich vorübergehend in Berlin aufhielt, veranstaltet hatte. Obgleich diese erste Berührung zwischen Tieck und Steffens kaum mehr als ein äußerliches Begegnen war, so theilten sie doch genug miteinander, um daraus ein dauerndes Verhältniß zu gewinnen. Denn auch Steffens, der begeisterte Anhänger der neuen Naturphilosophie, suchte nur auf einem andern Wege das Einfache, das Ursprüngliche, die Natur. Endlich noch in anderer Hinsicht war für Tieck das Jahr 1798 ein bedeutendes geworden. Eine lang gehegte Hoffnung ging in Erfüllung. Er heirathete Amalie Alberti, und trat somit in den Kreis der Verwandtschaft Reichardt’s ein. In welchem erregten, ja visionären Zustande er in dieser Zeit war, bewies ein sonderbares Ereigniß, welches er erlebte. Voll Sehnsucht, seine Braut wiederzusehen, ging er ihr auf der Poststraße nach Hamburg, von wo sie kommen sollte, entgegen. In einer einsamen Waldschenke hinter Tegel, einige Meilen von Berlin, beschloß er sie zu erwarten. Früher, als sie in ihre Vaterstadt zurückkehrte, hatte er ihr bis zu derselben Stelle das Geleit gegeben. Er kannte das Haus, seine Umgebungen, den Weg dahin genau. Ungeduldig, in der Ahnung nahen Glückes, singend und Verse hersagend, wie die Ueberschwänglichkeit des Augenblicks sie ihm eingab, eilte er vorwärts. Da erblickte er früher, als er erwartet hatte, die Schenke an dem Graben auf der rechten Seite des Weges. Er stutzte; das Haus lag hinter Tegel, und seiner Meinung nach hatte er diesen Ort noch nicht erreicht; irrte er nicht, so lag es links, nicht rechts am Wege, und doch sah er es deutlich vor sich! Er sah den Zaun, der es umgab, den wohlbekannten dicken Wirth in der Thür, die Hühner auf dem Hofe. Es konnte kein Irrthum sein; nur suchte er vergeblich einen Weg über den Graben, der ihn von dem Hause trennte. Er entschließt sich zum Sprunge; aber er springt zu kurz und fällt. Er blickt auf, sieht sich im Graben liegen, und weit umher nichts als Feld; das Haus sammt Wirth und Hühnern war verschwunden. Es war eine Vision gewesen; seine Sehnsucht hatte die Wirklichkeit vorweggenommen. Bis zur Waldschenke selbst mußte er noch eine bedeutende Strecke Weges zurücklegen. 8. Romantische Dichtungen. Nach manchen Unterbrechungen war endlich auch der „Zerbino“ zum Abschluß gekommen; bei Frommann in Jena sollte er erscheinen. Die erste Idee, der Entwurf und ein Theil der Ausführung gehörten einer frühern Zeit an. Diese Dichtung war vor dem „Gestiefelten Kater“ entstanden und dann neben der „Verkehrten Welt“ hergegangen; später als beide wurde sie jetzt beendet. Schon 1796 hatte er die drei ersten Acte niedergeschrieben, 1797 die beiden folgenden, im nächsten Jahre endlich den Schluß hinzugefügt. Nach Form und Inhalt reihte sie sich den beiden andern satirischen Spielen an. Noch schärfer, noch kühner drückte sie dieselben Gedanken aus. Sie verbreitete sich über einen größern Raum, und war fast noch phantastischer. Ursprünglich für die „Volksmärchen“ bestimmt, bezeichnete er sie als eine Art von Fortsetzung des „Gestiefelten Katers“. Die aufgeklärte Welt der Prosa erscheint in dem Staate König Gottlieb’s, welcher dem patriotischen Eifer des Katers den Thron verdankt, vollständig organisirt. Auf allen Gebieten der Thätigkeit ist hier die schildaische Ueberweisheit zu Hause, die Thorheit der Klugheit mit allen ihren Abgeschmacktheiten. Der Dichter hatte den Kreis vollständig beschrieben, aus welchem die früheren Lustspiele nur Einzelnes herausnehmen. Der Hof und der Staat mit seinem Mechanismus, das Theater und die Schule, die Gelehrten und die Schriftsteller, die Philosophie und die Poesie waren als Träger einer eiteln, selbstgenügsamen und beschränkten Aufklärung hingestellt. Wiederum der Hanswurst und der alte König, bei dem im kindischen Greisenalter statt der patentirten Bildung und Verständigkeit die Poesie sich eingefunden hat, sind die Vertreter einer tiefern Ansicht, und gelten darum allen Aufgeklärten und den nützlichen Bürgern für unheilbare Narren. Sie sind mit einem gefährlichen Wesen behaftet, welches als epidemische Krankheit um sich zu greifen droht. Diesem Staate der klappernden Betriebsamkeit, der fabrikartigen Thätigkeit, in welchem die Bildung producirt, und als Artikel des Handels vertrieben wird, tritt die stille idyllische Welt der Poesie gegenüber mit ihren natürlichen, ursprünglichen Klängen der Liebe und Unschuld, des Schmerzes und der Leidenschaft. Zu jenem Bilde des aufgeklärten Lebens hatten sich einzelne Züge, Farben und Gestalten in Fülle herzugedrängt. Manches hatte Tieck gesehen und gehört, was bezeichnender war, als die Erfindung es hätte geben können. So kam eine grelle Localfarbe hinein, obgleich bittere persönliche Satire dem Charakter des Dichters fern lag, und er nur das Vorrecht des phantastischen Scherzes für die Poesie in Anspruch nahm. Mit diesem Lustspiele hatte jener jugendliche, stürmende Humor sich gesättigt. Noch einmal ergoß er sich in seinen muthwilligsten, sonderbarsten Einfällen. In die reizende Wildniß dichterischer Begeisterung, in den Garten der Poesie führte er die irrenden Ritter des guten Geschmacks, um sie dann neckend und höhnend auf öde Steppen und Sandflächen hinauszutreiben, wo der Wind den klugen Hellsehern die wirbelnden Staubwolken in die Augen jagt und sie mit Sandregen überschüttet. Aber dieser jugendlich kühnen Behandlung des Lebens, der heitern Anschauung und der phantastischen Lust, welche den Dichter aus den trübsten Stimmungen gerettet hatte, stand eine bedeutende Wendung bevor. In den Stunden der Versuchung hatte Tieck Trost in seinem Talente, in dem Glauben an die Poesie gefunden, in der innern Selbstgewißheit, ohne welche sie nicht denkbar ist. Gerade da erkannte er sie, wo die gebildeten Tonangeber sie nicht sehen wollten. Dieser Gegensatz hatte seinen Humor herausgefordert, und verwegen im Besitze eines Schatzes, von dessen Werthe jene keine Ahnung hatten, verspottete er die leere und schale Weisheit der Welt. Er glaubte an die sittliche Macht, die siegreiche Gewalt der reinen Begeisterung, welche aus der Volkspoesie, aus den Werken der großen Dichter, aus den Schöpfungen der alten Meister laut und vernehmlich sprach. Er deutete auf die ewigen Grundgesetze des Lebens, der Natur hin. Schon war in seinen wie in Wackenroder’s Dichtungen die Kunst zur Religion geworden. Was die Poesie für die Kunst forderte, mußte sie in höherm Maße für sich selbst in Anspruch nehmen; sie konnte nicht zu allen Zeiten nur verneinend oder angreifend auftreten. Mit der Ueberzeugung dieses dichterischen Glaubens wuchs das Bedürfniß zu glauben. In der geltenden Fassung des Christenthums erzogen, hatte sich Tieck, wie viele, gegen das Religiöse, gegen die hergebrachten kirchlichen Formen gleichgültig verhalten. Das Bedürfniß des Trostes hatte ihn wol nach dieser Seite hingeführt. Aber die Stillung des Schmerzes, welche er suchte, hatte er nicht gewinnen können. Nur in der Poesie hatte er göttliche Ahnungen gefunden, welche ihm weder die Schule, noch die theologischen Systeme zu geben vermochten. Um so entschiedener wandte er sich nun von den ungenügenden Formen und Formeln ab, welche sein Herz leer ließen und sein Gefühl nicht befriedigten. Sein Dichten war ein unaufhörliches Suchen nach jenen tiefen Gedanken und ihrem entsprechenden Ausdrucke gewesen, welchen die herrschenden Systeme nicht kannten, oder für etwas Alltägliches erklären wollten. In dieser Stimmung kam ihm ein Buch in die Hände, das diese Bewegung vollendete. Es war Jakob Böhme’s „Morgenröthe“. Ihre glühenden Strahlen fielen auf dunkel Geahntes, als eine andere, neue erschien in ihrem Glanze die Welt. Den Aufgeklärten galt Jakob Böhme’s Name als eine allgemeine Bezeichnung religiöser Schwärmerei, verbunden mit Abgeschmacktheit, Barbarei und Aberwitz aller Art. Tieck hatte in diesen Ton spottend eingestimmt, ohne daß er eines seiner Bücher gelesen hätte. Der Geist des Widerspruchs wurde von neuem in ihm aufgeregt, als er jene Schrift in der Maurer’schen Buchhandlung fand. Er meinte darin eine reiche Fundgrube des Witzes und Scherzes entdeckt zu haben. Doch dieser geheimnißvolle Geist ließ sein nicht spotten, und ungestraft sollte ihm Niemand nahen. Bald mußte er erkennen, daß er nicht der Herrschende, sondern der Beherrschte sei. Diese Gedankenkette ließ ihn nicht los, er mußte ihr folgen, auch wenn er nicht gewollt hätte. Er schloß mit der vollsten Verehrung und Hingebung an diesen Tiefsinn, diese ursprüngliche Philosophie, welche zugleich auch Poesie war. Nie hatte er sich mehr hingerissen und zugleich gedemüthigt gefühlt. Auch dies war ein System, aber ein ganz anderes, als was man sonst so zu nennen pflegte. Es war kein künstlich aufgeführtes Gebäude von Paragraphen, in denen zuletzt nur beschränkte Geister zu Hause waren; es schien die Welt selbst zu sein. Hier verschwanden alle Gegensätze zwischen Glauben und Wissen, Verstand und Phantasie, es war alles in allem Eins, ein ungetheiltes Ganze, in dem Gottes Geist lebte und athmete. Von hier aus glaubte er das Christenthum, die Natur, die Philosophie zu verstehen. Sein Glaube war früher ein poetischer gewesen, jetzt ward er ein religiöser. Sein Bewußtsein ruhte in diesem Elemente; Wunder und Geheimniß wurden ihm deutlich, während sich das, was der Welt als das Gewöhnliche galt, zum Wunder erhob. Nun erregten auch die philosophischen Systeme seine Theilnahme; er begann sich mit der neuern Philosophie bekannt zu machen, und las die Schriften Fichte’s und Schelling’s. Und auch die Poesie mußte dieser neue Strom befruchten. Zu den deutschen Philosophen traten dann die spanischen Dichter. Vorzugsweise hatte er bisher den Cervantes gelesen, und seiner humoristischen Neigung folgend, sich hier heimisch zu machen gesucht. Er wünschte das Meisterwerk in der echten Gestalt in der deutschen Literatur herzustellen. Cervantes war es nicht viel besser ergangen als Shakspeare. Man kannte ihn nicht in seiner Größe, und der „Don Quixote“ wurde nur in Bertuch’s Bearbeitung oder in Florian’s Abschwächung gelesen. Zwar dieser Stoff war nicht zu verwüsten, aber der Duft der Poesie, der darüber schwebte, mußte unter den Händen der Bearbeiter sich verflüchtigen. Schon 1797 hatte A. W. Schlegel von Tieck’s Vorhaben gehört, und sich schriftlich aufmunternd ausgesprochen. Auch Unger wünschte einen Verlagsartikel dieser Art zu übernehmen. So begann Tieck gutes Muths, oder wie er es später ansah, nicht ohne Leichtsinn, die Uebersetzung. Zwar hatte er den „Don Quixote“ viel gelesen, aber die Kenntniß der spanischen Sprache und Literatur war in Deutschland höchst dürftig. Als Literatur des Katholicismus und der Legende lag sie der allgemeinen Theilnahme unendlich fern. Spanische Bücher waren eine große Seltenheit; um sie zu erlangen, bedurfte es der weitläufigsten Vermittelungen; auf Spanien selbst mußte man zurückgehen. Ueberall fehlte es an zuverlässigen Ausgaben, und an den gewöhnlichsten Hülfsmitteln. Dennoch hatte Tieck den ersten Band der Uebersetzung 1798 im Manuscript vollendet, und im folgenden Jahre erschien er bereits im Drucke. Doch wollte man Cervantes verstehen, so war es nothwendig, nicht ihn allein, sondern auch die frühere und spätere Poesie kennen zu lernen. Eine Zeit mußte die andere erklären. Er ging daher zu den dramatischen Dichtern, zu Lope de Vega, Calderon und den Lyrikern über, und hier lebte eine Fülle dichtender und schaffender Phantasie, welche nicht nur die Natur in ihrer ganzen sinnlichen Pracht, sondern auch die im höchsten Glanze strahlende Welt des Glaubens in ihren Zauberkreis hineinzog. Hier, wo Sinnliches mit Uebersinnlichem sich in mystischer Weise verband, flossen die Wunder der Poesie und des Glaubens in der Legende in Eins zusammen, das Wunder war noch Wunder, noch Gegenstand des Glaubens und der Anbetung. Diese Gedichte paßten ganz zu den religiösen Bewegungen, welche den Dichter mehr als je ergriffen hatten. Früher war es die Naturkraft und Frische, die Volksthümlichkeit und Unmittelbarkeit, welche in dem Mittelalter und seinen Sagen herrscht, die ihn ahnungsvoll angesprochen hatte; jetzt wandte er sich in der Poesie dem kirchlichen Glauben der Vergangenheit zu. Aber auch der Reichthum der Formen, die Fülle der verschiedenartigsten Versmaße überraschten ihn, in den mannichfaltigsten Strahlenbrechungen ließen sie Gefühl und Leidenschaft erscheinen. Es erweiterte sich die abgemessene dramatische Form durch epische und lyrische Einschaltungen; der volle Erguß der verschiedensten Gefühle durchbrach die engen Schranken des Dramas. Aehnliches fand sich auch bei Shakspeare, wenigstens trat in einigen Stücken die erzählende Episode als eine Art von Chor ein, wie im „Perikles von Tyrus“, für welchen Tieck besondere Vorliebe hatte. In diesen Augenblicken ward er auf einen Stoff aufmerksam, welcher geeignet war, alle diese Empfindungen zur Darstellung zu bringen, auf die Legende der Genoveva. In erster jugendlicher Kraft erschien hier das ritterliche, kämpfende Christenthum, aber in noch höherm Glanze strahlte der leidende, im Dulden siegende Glaube, der das Wunder vom Himmel herabruft. Das Heidenthum, die Wildheit der natürlichen Leidenschaft stehen auf der andern Seite. Die ganze Gewalt dieser streitenden Kräfte konnte sich entfalten. Schon einmal war Tieck daran erinnert worden. Als er im Jahre 1797 Hamburg zum zweiten Male besuchte, theilte ihm der Maler Waagen ein Manuscript mit, eine Tragödie enthaltend, welche denselben Stoff behandelte. Sie gehörte dem Maler Müller, dessen Name in der Jugendzeit Goethe’s häufig genannt worden war, und der einst Muth genug gehabt hatte, sich neben diesen zu stellen. Seitdem hatte er mit dem Vaterlande gebrochen; er war nach Italien gegangen und für Deutschland verschollen. Jenem Freunde hatte er während dessen Aufenthalt in Rom das Trauerspiel mit dem Wunsche übergeben, nach zwanzig Jahren sein Andenken in der deutschen Literaturwelt zu erneuern. Das Drama war jedoch nicht neu, sondern noch unter dem unmittelbaren Einflusse des „Götz“ entstanden. Tieck hatte das Manuscript zu lesen versucht, aber andern Verhältnissen hingegeben, und durch die schwierige Beschaffenheit desselben abgeschreckt, war er über eine oberflächliche Durchsicht nicht hinausgekommen. Nur das schwermüthig und volksthümlich gehaltene Lied Golo’s: „Mein Grab sei unter Weiden“, hatte Eindruck auf ihn gemacht, und sich seinem Gedächtnisse umsomehr eingeprägt, als der Verfasser diese Worte als Motto auf das Titelblatt gesetzt hatte. Ohne indeß diese Gedanken weiter zu verfolgen, gab Tieck das Drama dem Besitzer zurück. Ein Jahr später lernte er unter den Volksbüchern, denen er stets eifrig nachspürte, die „Geschichte vom Leben und Tode der heiligen Genoveva“ kennen. Die Legende erweckte seine ganze dichterische Kraft. Schon am Ende des zweiten Theils des „Sternbald“ führte er vorübergehend die Gestalt der Heiligen ein. Nun ward sie die leidende Heldin eines dramatisch-religiösen Gedichts. Der Stoff erfüllte und beherrschte ihn, er trieb ihn vorwärts. Es entstand ein episch gehaltenes Drama, dem es auch an reichen lyrischen Elementen nicht fehlte, das von allen Anforderungen des Theaters absah und nur die Stimmung des Moments zum Ausdrucke bringen wollte. Im Sommer des Jahres 1799 war Tieck nach Halle gegangen, um hier einige Wochen bei Reichardt zu verleben. In Giebichenstein schrieb er den Prolog, in welchem er den heiligen Bonifacius die Klage aussprechen ließ, daß Niemand mehr Gott vertraue, daß man seinen und der Apostel Namen mit Spott und Hohn nenne, weil sie dem Rufe gefolgt seien, der sie als Prediger in die Wüste gesendet habe. Dann folgten die ersten Scenen. Noch vor Ablauf des Jahres wurde das Ganze in Jena vollendet. Eine eigenthümliche Fügung war es, daß er in dieser Zeit, wo er in den Wundern der romantischen Poesie lebte, in Halle mit Voß zusammentraf, der seiner Natur nach nur der entschiedenste Gegner derselben sein konnte. Er hatte einen Ausflug nach Weißenfels gemacht, um Novalis, den er bereits kannte, zu besuchen, als Reichardt’s alter Freund Voß, damals noch Rector in Eutin, auf einer Ferienreise in Giebichenstein eintraf. Dieser Zufall war für Reichardt nichts weniger als angenehm. Schon war die Feindseligkeit zwischen Voß und Schlegel bekannt. Dieser hatte in der „Jenaischen Literaturzeitung“ von 1796 und 1797 die Uebersetzung des „Homer“ und Voß’ „Musenalmanach“ einer Kritik unterworfen, die jenen höchlich verletzte. Tieck war Schlegel’s Freund, und hatte sich im „Archiv der Zeit“ über den Almanach ebenso wenig unbedingt anerkennend ausgesprochen. Voß war durch das classische Alterthum gebildet, er war in der Kenntniß desselben einer der ersten Meister, er lebte in den einfachen antiken Grundgedanken und Formen. In der deutschen Literatur hatte er sich besonders an Klopstock und Gleim angeschlossen. Seine Uebersetzungen und Idyllen fanden bei Vielen Anklang; auch hier hatte er sich eine strenge Behandlung der Form zum Gesetz gemacht, während der Inhalt seiner Dichtungen nüchtern war. Es war eine tüchtige rationalistische niederdeutsche Natur. Wie Nicolai fürchtete er überall Katholicismus und Obscurantismus. Für ihn gab es weder jene Mystik der gläubigen Poesie, noch den übermüthigen Humor, welcher in den romantischen Dichtungen herrschte. Reichardt wollte unangenehme persönliche Beziehungen vermeiden, und schickte daher an Tieck eiligst einen Boten ab, mit der Bitte, nicht nach Giebichenstein zurückzukehren, bevor es Voß verlassen habe. Doch der Bote traf Tieck bereits auf dem Rückwege, und dieser war nicht gesonnen, der Begegnung auszuweichen. In der Nähe von Giebichenstein traf er gar auf Voß selbst und Reichardt, der sehr überrascht war, seine wohlgemeinte Vorsicht vereitelt zu sehen. Man wechselte einige Worte, dann ging jeder Theil seines Weges. In der nächsten Unterredung mit Reichardt erklärte Tieck, er möge sich beruhigen, er werde nicht nur Voß’ Freundschaft gewinnen, sondern diesen sogar nöthigen, ihn aufzusuchen, und ihm durch den ganzen Garten zu folgen. Als darauf die beiden Gegner zusammenkamen, zeigte sich Voß zuerst kalt und zurückhaltend. Tieck konnte sich nicht verhehlen, dieser hagere, trockene und steife Mann, der in dem scharf absprechenden Tone des Gelehrten redete, mache keinen günstigen Eindruck. Dennoch ließ er sich nicht abschrecken. Höflich und zuvorkommend, nicht ohne Ironie näherte er sich ihm. Endlich überwand er sein sprödes Wesen. Bald war von Goethe die Rede. Voß konnte nicht unterlassen, die Hexameter in „Hermann und Dorothea“ zu tadeln. Tieck hörte diese Bemerkungen ruhig an, dann entgegnete er trocken, es finde sich auch ein siebenfüßiger darunter. „Was?“ fuhr Voß auf, „das wäre! Da lassen Sie uns gleich nachsehen.“ Das war der Augenblick, welchen Tieck erwartet hatte. Sie waren im Garten; indem er dem Hause zuging, um das Buch zu holen, folgte ihm Voß mit hastigen, ungeduldigen Schritten. Der Beweis für die Behauptung ward in der That geführt, und Voß’ gute Laune war völlig hergestellt. „Sie sind ein vortrefflicher junger Mann!“ rief er aus. „Wie danke ich Ihnen das!“ In freundlichem Verkehr verlebten sie darauf die folgenden Tage ihres gemeinsamen Aufenthalts in Giebichenstein. 9. Jena und Weimar. Seit einem Menschenalter war Weimar der Mittelpunkt des geistigen Lebens in Deutschland. Eine neue Zeit war von hier ausgegangen, seit Goethe es zu seinem Wohnsitze gewählt hatte. Wieland hatte er dort gefunden, Herder nach sich gezogen, und Schiller war im Begriffe, sich ebendahin zu übersiedeln. Selten waren bedeutendere Kräfte auf einem engern Raume vereint gewesen; dem großen Talente schien sich in der That das größere nachzudrängen. Welch ein reiches Leben war nicht in diesem Zusammenwirken! Reich an tiefen Gedanken, an dichterischen Schöpfungen, an umgestaltenden volksthümlichen Einwirkungen! Das kleine Weimar war zu einem classischen Boden geworden; von hier empfing die deutsche Poesie ihre Gesetze. Neben Weimar stand Jena. Die alte Universität hatte neue Jugendfrische gewonnen. Hatte Weimar die Poesie für sich, so gehörte Jena die Wissenschaft. Hier glänzten kaum weniger große Namen. Hier hatte die Kantische Philosophie ihren Sitz aufgeschlagen, dann war Fichte gefolgt, zuletzt hatte Schelling die neue Philosophie der Natur verkündigt. Neben ihnen stand manche andere bedeutende Autorität. Griesbach der Theolog, Eichstädt der Philolog, Woltmann der Historiker, A. W. Schlegel der Kritiker und Aesthetiker. Und welche Kraft konnte eine größere Anziehung ausüben als der Geist? Kaum gab es ein hervorragendes Talent, welches von dieser Welt nicht wäre angezogen worden, und wenigstens für eine kurze Zeit in ihr geweilt hätte, so Jean Paul, Friedrich Schlegel, Novalis. Jetzt gesellte sich zu den großen deutschen Dichtern der jüngste in dieser Reihe, Tieck. Man könnte sagen, es lag eine Nothwendigkeit darin, wenn die Naturpoesie der Naturphilosophie begegnete. Was jene dichterisch gestaltend darstellte, wollte diese wissend erkennen, das geheimnißvolle Leben, die innere Kraft der Natur, ihren Geist. Schon vor seiner Begegnung mit Voß hatte Tieck von Halle aus eine Fahrt nach Jena unternommen. Es war ein erster Blick in diese Welt; hier dachte er in dem kommenden Winter zu leben. Bereits erwartete ihn A. W. Schlegel, und führte ihm einen neuen Freund zu, welcher auf diesen Augenblick lange gehofft hatte. Ein Jahr früher schrieb F. Schlegel an Tieck, zwei neue Freunde seien ihm durch seine „Volksmärchen“ gewonnen, Novalis und Schelling. Jetzt traten ihm beide entgegen. Die Begegnung zwischen Tieck und Novalis war für beide entscheidend. Zwei Geister trafen zusammen, die nur aufeinander gewartet zu haben schienen. In der Zeit, wo er Jakob Böhme ergriffen hatte, fand Tieck auch Novalis. Dieser sagte später einmal, mit Tieck’s Bekanntschaft beginne ein neues Blatt in seinem Leben. Neigung, Studium, schmerzliche Erfahrungen hatten ihn von einer andern Seite her denselben Weg geführt. Auf die Erforschung der Natur leitete ihn äußerer Beruf, auf die Naturphilosophie innerer Trieb. Auch war er in Schlegel’s „Athenäum“ als Schriftsteller aufgetreten; er hatte seine Ebenbürtigkeit erwiesen, und die Ausführung des „Ofterdingen“, in dem er eine Verherrlichung der Poesie geben wollte, begonnen. Eifrig hatte er den „Wilhelm Meister“ studirt, und Vieles daraus seinem Gedächtnisse vollständig eingeprägt; er bewunderte ihn zuerst ebenso sehr, als er sich später davon abwandte. Dann hatte er mit nicht geringerem Eifer den „Sternbald“ gelesen. Nach dem Tode seiner Braut versenkte er sich in eine stille befriedigte Mystik, welche ihn aufrecht hielt, und zu dem religiösen Glauben zurückführte, in dem er erzogen worden war. Er war um ein Jahr älter als Tieck. Novalis war ein Ersatz für Wackenroder, an den er in mancher Beziehung erinnern konnte. Beide waren fein organisirte Naturen, beide tief und eigenthümlich; glaubensvolles Hingeben war ihnen Bedürfniß. Doch war der spätere Freund dem früheren in vielen Punkten überlegen. Mit der mystischen Richtung vereinte Novalis verstandesmäßige Schärfe und Klarheit, er war philosophisch geschult, er besaß Blick und Urtheil für die Welt, mit Gewandtheit bewegte er sich in ihren Verhältnissen. An seiner Stelle mußte er Jedes anerkennen, ohne dem Höchsten etwas zu vergeben. Er war freier, sicherer, durchgebildeter als Wackenroder. Es war ein schöner Abend, als die Freunde während des Besuchs, den Tieck im Sommer 1799 in Jena machte, zum ersten Male vereint waren. Novalis war aus Weißenfels gekommen. A. W. Schlegel hatte den Vermittler gemacht. In bewegten Gesprächen hatten sie die Herzen gegeneinander aufgeschlossen, geprüft und erkannt; die Schranken des alltäglichen Lebens fielen, und beim Klange der Gläser tranken sie Brüderschaft. Mitternacht war herangekommen; die Freunde traten hinaus in die Sommernacht. Wieder ruhte der Vollmond, des Dichters alter Freund seit den Tagen der Kindheit, magisch und glanzvoll auf den Höhen um Jena. Sie erstiegen den Hausberg, und eilten weiter über die Hügel. Endlich begleiteten sie Novalis nach Hause; der Morgen war nicht mehr fern. Als man Abschied nahm, sagte Tieck: „Jetzt werde ich den ‚Getreuen Eckart‘ vollenden.“ „Wenn du das kannst nach diesem Abende, nach diesem Spaziergange“, erwiderte Schlegel, „dann will ich dich hoch in Ehren halten!“ Tieck löste sein Wort. In den Morgenstunden vollendete er die Erzählung, und noch an demselben Tage theilte er sie den Freunden mit. Sogleich wurde die Verabredung getroffen, Tieck solle nach seiner Rückkehr, von Halle aus den neuen Freund in Weißenfels besuchen. Er verlebte hier einige Tage. Der Eintritt in diese Familie machte einen tiefen Eindruck. Ein ernstes, stilles Leben, eine prunklose, aber wahre Frömmigkeit herrschte hier. Die Familie war der Lehre der Herrnhuter zugethan, und lebte und wirkte in diesem Sinne. Der alte Hardenberg, früher ein rüstiger Soldat, eine hohe, ehrwürdige Natur, stand wie ein Patriarch in der Mitte talentvoller Söhne und lieblicher Töchter, denen sich Julie von Charpentier, Novalis zweite Braut, zugesellte. Der neue Freund wurde von dem Vater herzlich willkommen geheißen, und bald fanden sie mehr als einen Einigungspunkt. Neuerung und Aufklärung waren ihm in jeder Form verhaßt; die alte verkannte Zeit liebte und lobte er, und wenn die Gelegenheit es bot, konnte er derb und rückhaltlos seine Ansichten aussprechen, oder in plötzlichem Jähzorn auflodern. Die komischen Gegensätze, welche dabei bisweilen zum Vorschein kamen, thaten seiner ursprünglichen Würde keinen Eintrag. Einst hörte Tieck den alten Herrn im Nebenzimmer in nicht eben glimpflicher Weise schelten und zürnen. „Was ist vorgefallen?“ fragte er besorgt einen eintretenden Bedienten. „Nichts“, erwiderte dieser trocken. „Der Herr hält Religionsstunde.“ Der alte Hardenberg pflegte Andachtsübungen zu leiten, und auch die jüngern Kinder in Dingen des Glaubens zu prüfen, wobei es mitunter stürmisch herging. Im October übersiedelte sich Tieck mit seiner Frau und der eben geborenen Tochter Dorothea nach Jena. Er wohnte in dem Hause A. W. Schlegel’s, welches für ihn und andere Freunde der Mittelpunkt des gemeinsamen Lebens ward. Er lernte Schlegel’s Frau, Karoline, und deren Stieftochter, Auguste Böhmer, kennen. Diese war siebzehn Jahre alt; unleugbar eine der anziehendsten Erscheinungen in diesem Kreise. Sie war rasch, lebhaft, geistvoll, durchaus originell. Man konnte sie nicht schön nennen, denn sie hatte einen etwas schielenden Blick; doch weit entfernt, störend oder abstoßend zu wirken, gab es ihren tiefen Augen einen eigenthümlichen Ausdruck. Es lag darin eine Gewalt, der man sich kaum zu entziehen vermochte. Als Tieck in das Zimmer trat, rief sie ihm entgegen: „Sie kommen durch die Thür? Ich meinte, Sie müßten, wie Ihr Kater, über die Dächer einherspazieren.“ Andere Freunde traten diesem Kreise bei, Friedrich Schlegel und Dorothea Veit, dann Fichte, Schelling. Oft kam auch Novalis aus Weißenfels. Brentano, der in Jena studirte, Gries, die Künstler Bury und Genelli, und noch mancher Andere gesellte sich vorübergehend zu ihnen. In heiterer Weise vereinte man sich in dem Hause des ältern Schlegel zum gemeinsamen Mittagstisch; Tieck wenigstens und die Seinen regelmäßig. Hier fanden sich jene geistig angeregten Gesellschaften in Wirklichkeit, welche er in den spätern Novellen so meisterhaft zu schildern verstand. Daß sie so reich waren, konnte zum großen Theil für sein Werk gelten. Abends kam man wieder zusammen, war es bei Schlegel, oder bei Frommann dem Buchhändler, der an Allem den lebhaftesten Antheil nahm. Tieck las etwas Dramatisches, jeder theilte mit, was er eben vollendet hatte, oder worüber er den Rath, das Urtheil der Freunde zu vernehmen wünschte. Poesien, Studien und Entwürfe, Meinungen und Ansichten kamen zur Besprechung. Hier las Tieck sein damals niedergeschriebenes Gedicht „Die Zeichen im Walde“. Er hatte es zuerst in verschlungenen Reimen, dann in durchgehender Assonanz bearbeitet, die als Probe gewandten Versbaus aufgegeben war. Treffend bemerkte einmal Schlegel, wem die größern Dichtungen Tieck’s zu lang seien, dem müsse man die Verse von der Waldeinsamkeit im „Blonden Ekbert“ zu lesen geben; diese seien die Quintessenz seiner Poesie und der wahre Inhalt seines Wesens. Schlegel selbst las sein Gedicht auf die Schauspielerin Bethmann. Ein anderes Mal hielt Novalis einen Vortrag, der einen eifrigen Streit hervorrief, weil man fand, daß er sich darin zum Katholicismus bekannt habe. Brentano trug seine „Naturgeschichte des Philisters“ vor, als auch Fichte zugegen war. Nach beendigter Vorlesung erhob sich dieser mit den Worten: „Nun werde ich euch aus dieser Geschichte beweisen, daß eben der Brentano hier der erste und ärgste unter allen Philistern ist!“ Worauf dann eine schlagende Kritik folgte. Der Erinnerung an dieses Leben widmete Brentano einige bewegte Zeilen am Schlusse seines verwilderten Romans „Godwi“, den er unter diesen Einwirkungen schrieb. Vornehmlich war es die spanische Poesie, mit deren Studium sich Tieck und A. W. Schlegel eifrig beschäftigten. Sie gedachten für deren Einführung in die deutsche Literatur miteinander zu wirken. Während Tieck den „Don Quixote“ übersetzte, erwuchs daraus der Plan, mit Schlegel gemeinschaftlich den Cervantes vollständig zu übertragen. Soeben hatte er auch den Band des Calderon erhalten, in welchem „Die Andacht zum Kreuze“ stand, eine Tragödie, die ihm mehr als irgendeine zusagte. Er erzählte von dem Eindrucke, welchen sie auf ihn gemacht habe, und forderte Schlegel auf, sie ebenfalls zu lesen. Dies geschah; am andern Tage tauschte man die Meinungen aus. Schlegel konnte diese Bewunderung nicht theilen. Manches fand er nicht hinreichend motivirt, die langen Reden unnatürlich, es war ihm zu katholisch; erst durch Abkürzungen und Umarbeitungen könne dergleichen für den deutschen Geschmack genießbar gemacht werden. Dagegen nahm Tieck das Gedicht in Schutz. Vor allem müsse man sich die Fähigkeit aneignen, an die Legende zu glauben; darum sei es noch nicht nöthig, die Legende selbst zu glauben, aber es sei die Bedingung, unter der allein ein Verständniß solcher Dichtungen möglich sei. Diese Anregung war für Schlegel bedeutend genug, ihn zur Uebersetzung des Calderon zu veranlassen. Später ging er so vollständig auf den eigenthümlichen Geist des Dichters ein, daß er Tieck’s Ansichten zu den seinen machte, während dieser sie gegen eine kühlere Betrachtung des spanischen Dramas aufgab. Einige Jahre darauf war der Bewunderer zum Tadler geworden, und der strenge Kritiker zum Lobredner. „Schreibe erst solche Dramen“, bemerkte Schlegel gegen Tieck, „dann will ich deinen Tadel gelten lassen.“ So arbeiteten in dichterischem Wetteifer die Freunde mit- und nebeneinander. Damals entstand ein großer Theil jener Sonette, in denen Schlegel ältere Dichter und Meister der Kunst feierte. In eigenthümlicher Laune wünschte er seinen Gedichten auch eines von Tieck hinzuzufügen, und dieser schrieb darauf das Sonett auf die „Galathea“ des Cervantes, welches Schlegel mit den seinen herausgegeben hat. Auch Tieck’s „Arion“ war kurz vorher entstanden. Mit gewohnter Schärfe hatte sich Herder über Schlegel’s „Arion“ geäußert. Es schien ihm eine undankbare Arbeit, einen so oft behandelten Stoff nochmals zu bearbeiten, er bezweifelte die Möglichkeit, ihm eine neue Seite abzugewinnen. Durch diese Behauptungen wurde Tieck gereizt, sich ebenfalls an der Dichtersage zu versuchen. Schlegel’s Gedicht war ihm ohnehin zu glatt, zu elegant. Er suchte seinem „Arion“ eine mehr dramatische Farbe zu geben. Auch als begeisterter Verkündiger Jakob Böhme’s trat er auf. Vollen Anklang fand er bei Novalis, welcher den deutschen Philosophen zuerst durch ihn kennen lernte und mit gleicher Begeisterung erfaßte. In ihm sah er den wahren Mikrokosmus, den gewaltigen Frühling mit allen seinen quellenden, bildenden Kräften, der eine neue Welt aus sich zu gebären ringt; Ansichten, die er bald darauf in einem an Tieck gerichteten Gedichte aussprach. Andere verhielten sich zweifelhafter oder abweisend; Niemand aber war weniger geeignet, sich mit Böhme zu befreunden, als Fichte. Diesen hatte Tieck schon in Berlin zu Anfang des Jahres 1799 kennen gelernt. Dorthin hatte sich Fichte begeben, als die Anklage auf Atheismus gegen ihn erhoben wurde, und war mit Friedrich Schlegel und Bernhardi in nähern Verkehr getreten. Als bald darauf Tieck Berlin verließ mit der Absicht, über Halle nach Jena zu gehen, gab ihm Fichte einen Brief mit an seine zurückgebliebene Frau. Er selbst war noch einmal nach Jena gekommen, um seine Verhältnisse aufzulösen, und verweilte dort in den Wintermonaten von 1799 auf 1800. Kaum konnten zwei Naturen entgegengesetzter sein als die Fichte’s und Tieck’s. Es war der Gegensatz der verstandesmäßigen Consequenz und der Phantasie, der Philosophie und der Poesie. Fichte’s scharf ausgeprägtes Wesen, die Strenge, die Rücksichtlosigkeit, mit der er zu urtheilen pflegte, wollte Tieck nicht überall zusagen. Wenn auch Manches solchen Aeußerungen zu widersprechen schien, namentlich Fichte’s Kindererziehung, so konnte er dennoch diesem festen, männlichen Charakter seine Achtung nicht versagen. Er nannte ihn später öfter den eisernen Fichte. Die Gespräche über Jakob Böhme wollten zu keinem Frieden führen. Tieck blieb dabei stehen, daß er ein Prophet, Fichte, daß er ein verworrener Träumer sei. Als jener wiederum auszuführen suchte, wie in Böhme philosophisches Denken mit dichterischer Anschauung sich unmittelbar verbinde, fiel Fichte mit den Worten ein: „Lieber Freund, Sie sind ein Dichter, und wenn Sie mir die Versicherung geben, Jakob Böhme sei ein großer Dichter, so will ich Ihnen das aufs Wort glauben; dagegen aber müssen Sie mir auch glauben, wenn ich Ihnen sage, er ist kein Philosoph, sondern ein großer Narr!“ „Dann machen Sie mir erst deutlich“, erwiderte Tieck, „wie man ein großer Narr, und zugleich ein großer Dichter sein kann!“ Fichte meinte, das würde zu vieler Demonstrationen bedürfen, und brach das Gespräch ab. Nicht immer war es möglich in schöpferischer Thätigkeit im dichterischen Genusse, im Austausche der Gedanken ohne Widerspruch zu leben. Es mußten Augenblicke der Abspannung eintreten; der Duft der Poesie konnte die Gegensätze menschlicher Schwäche wol verschleiern, aber nicht aufheben. Auch dieser Welt des Geistes fehlte es weder in Jena noch in Weimar an Gegnern. Es war die Mittelmäßigkeit, welche sich schon durch das Dasein derselben unangenehm berührt, in ihrer Behaglichkeit gestört fand, und darin einen Vorwurf für sich selbst sah. Der Anerkennung setzte sich der Neid und die Misgunst entgegen; sie scheute sich nicht zu Klätscherei und Ränken ihre Zuflucht zu nehmen. Feinde dieser Art konnte man verachten, oder mit den Waffen des Geistes und Witzes bekämpfen, oder stillschweigend dulden. Der Führer jener platten und niedrigen Opposition war Kotzebue, der Bühnenherrscher, für den neben Goethe und Schiller auf dem classischen Boden Weimars noch Raum war. Mit ihm verbündet war der Publicist Garlieb Merkel. Dazu kam die Feindschaft zwischen A. W. Schlegel und Schütz, dem Führer der „Jenaischen Literaturzeitung“, seit sich ihr das „Athenäum“ als Ausdruck einer neuen Kritik entgegengestellt hatte. Schon im Herbst 1799 hatte Schlegel von der fernern Mitwirkung an jener Zeitung sich öffentlich losgesagt. An solchen Gegnern übte er die schärfsten Waffen. Tieck nahm an diesen Kämpfen keinen persönlichen Antheil; er war der Meinung, Schlegel beachte diese Gegner und ihre Angriffe mehr als nöthig, und gebe ihnen dadurch einen Werth, den sie nicht hätten. Bedenklicher war es, daß in dem Freundeskreise selbst Misklänge und Irrungen nicht fehlten. Dies ging zunächst von den Frauen der beiden Schlegel aus, die sich miteinander nicht verständigen konnten. Dorothea überließ sich dem rücksichtlosen Zuge Friedrich Schlegel’s, und rief dadurch manche Kritik ihrer gemessenern Schwägerin hervor. Tieck konnte sich nicht verhehlen, daß sie ihm in ihrer männlichen, oft unschönen Weise widerlich sei. An dem Romane „Florentin“, mit dem sie sich beschäftigte, fand er ebenso wenig Gutes, als er die „Lucinde“ seines Freundes, welche soeben erschienen war, anzuerkennen vermochte. Er konnte sich weder mit diesen Ansichten, noch mit der Art ihrer Ausführung befreunden. Das Buch wollte ihm fast abgeschmackt scheinen. Noch weniger begriff er Schleiermacher’s Kritik in den vertrauten Briefen über diesen Roman. Geheim waren sie nach Jena geschickt worden, um gedruckt zu werden. Durch einen Zufall hatte er bald erfahren, wer der Verfasser sei. Aber F. Schlegel selbst zeigte sich zu Zeiten abstoßend und unbillig. Seine Art sich zu äußern, wenn er einmal zu sprechen begann, war stets ein überfließender Erguß, seine Beredtsamkeit wandelte jedes Gespräch in einen Monolog um, der tiefsinnig sein konnte, aber doch schließlich ermüdete. Und Tieck liebte nichts mehr als den freien Austausch des Gebens und Nehmens im Gespräch. Ward Schlegel in einem solchen Monologe durch irgendeinen Einwand, einen leichten Zweifel unterbrochen, so konnte er ungerecht, ja leidenschaftlich werden. Wenn er nicht unbedingten, fast blinden Glauben fand, so sah er darin eine Verletzung der Freundschaft, zog sich beleidigt zurück, und war dann wochenlang kalt und mistrauisch. Doch auch mit A. W. Schlegel war Tieck nicht überall eines Sinnes. Dies trat auch in ihren Ansichten über Schiller hervor. Bereits war das Verhältniß zwischen diesem und den Schlegel ein gespanntes, und gereizt wie er war, beurtheilte Schlegel die Dichtungen Schiller’s schonungslos, ja ungerecht. In diesen Ton konnte Tieck nicht einstimmen, wenn freilich auch seine Ansichten und Beziehungen zu Schiller seit seiner Jugend andere geworden waren. Während man allgemein von der größern und reichern Entwickelung des Dichters in der spätern Zeit sprach, erkannte er nur eine Beschränkung, eine Verengerung, eine Furcht vor der Anwendung der vollen Kraft. Das Streben nach dem Idealen war ihm eine Verwischung des Individuellen, ein Hineinziehen des Eigenthümlichen in das Allgemeine, Unbestimmte. Er wollte in seiner Poesie das Besondere, das Nationale zum Ausdruck bringen, Schiller entwickelte dagegen ein grandioses, aber allgemeines, tragisches Pathos. Auch von der Fruchtbarkeit der philosophischen Studien konnte er sich nicht überzeugen. Weder mit ihren Ergebnissen stimmte er überein, noch mit dem Eindringen der philosophirenden Reflexion in die Poesie. Dagegen erfüllte ihn immer noch die unbedingteste Bewunderung vor Schiller’s ältester Dichtung, den „Räubern“. Hier herrschte ein gewaltiger, kolossaler Geist, der mit einer Kühnheit, einem Trotze auftrat, wie er kaum seines Gleichen hatte. Er nahm den Dichter nicht nur gegen seine Gegner, sondern auch gegen ihn selbst und seine Kritik in Schutz. Die spätern Bearbeitungen galten ihm für Abschwächungen, ja für eine Verleugnung der eigenen geistigen Gewalt. Tieck hatte den Freunden viel von den „Räubern“, und der schon damals seltenen ersten Ausgabe gesprochen; auf diese müsse man zurückgehen, wenn man die wunderbare Dichtung ganz würdigen wolle. Zum guten Glücke fand man diese Ausgabe in einem unbedeutenden Bücherladen, und sogleich begann Tieck sie den Freunden vorzulesen. Günstig schien es, daß der ältere Schlegel verhindert war zugegen zu sein. Unerwartet indeß trat er während des Lesens ein, und fing an Tieck durch hingeworfene Bemerkungen, dann durch Angriffe auf das Stück zu unterbrechen. Er könne nicht begreifen, wie man an einem so rohen Producte Gefallen finden, wie man es nur lesen könne. Wie man es denn überhaupt nennen solle? Es sei weder ein Drama noch ein Epos, noch gehöre es irgendeiner Kunstgattung an. Voll Verdruß über diesen Tadel schlug Tieck endlich das Buch nicht ohne Heftigkeit zu. „Das ist das Beste, was du thun kannst“, sagte Schlegel ironisch. Auch an Tieck’s Vorlesen fand er viel zu tadeln, obgleich dieser mit entwickelter Virtuosität und dem entschiedensten Erfolge las. Er sprach ihm sogar die Fähigkeit ab Tragisches zu lesen, sein natürlich einfacher Ton sei für das Pathos der Tragödie viel zu schwach, nur für das Komische wollte er ihn gelten lassen. Er selbst pflegte Tragisches in einem unangenehmen Gurgelton zu lesen, der von der Bescheidenheit der Natur weit entfernt war, und eine Wirkung hervorbrachte, welche der beabsichtigten ganz entgegengesetzt war. In äußere Beziehung zu Schiller war Tieck bereits durch den „Musenalmanach“ von 1799 getreten, für welchen er durch Schlegel’s Vermittelung einige Gedichte geliefert hatte. Bei dem ersten Aufenthalte in Jena im Juli hatte er ihn in seinem Gartenhause besucht. Schiller kannte Tieck’s nahe Verbindung mit den Schlegel, und mochte ihn vielleicht schon deshalb nicht ohne Zurückhaltung empfangen. Er war hager und groß, der Oberleib langgestreckt, die Gesichtsfarbe bleich; die graublauen Augen hatten für gewöhnlich einen kalten Ausdruck, der jedoch schwand, wenn er in der Unterhaltung warm wurde. Er sprach nicht ohne Pathos. Von Shakspeare und der spanischen Literatur war die Rede. „Meinen Sie denn auch, daß Lope de Vega eine so große Aehnlichkeit mit Shakspeare hat?“ war eine Frage, auf welche Schiller besonders Antwort zu haben wünschte, die aber Tieck nicht so kurzweg zu ertheilen wußte. Auch bei wiederholten Besuchen blieben ihre Gespräche auf der Oberfläche. Es schien etwas Fremdes zwischen ihnen zu stehen. Tieck fühlte sich erkältet gegen Schiller, ihre Wege gingen zu sehr auseinander. Eine letzte Begegnung hatten sie in Dresden 1801. Auch diesmal kamen sie nicht weiter. Tieck machte aus der Gemäldegalerie ein Studium; auch Schiller hatte sie besucht. Sie kamen im Gespräche auf Malerei. In seinen Kunsturtheilen war Schiller durch den Einfluß Goethe’s und Meyer’s bestimmt. Von diesen hatte er Manches angenommen, so die unbedingte Bewunderung der alten Kunst und Plastik, welche seiner eigenen Natur fern stand. Er sprach sich daher gegen die Malerei aus. Er fand den Eindruck der Farbe unangenehm; er habe keine Dauer, es sei unmöglich ihn festzuhalten und zu bestimmen. „Sie sehen z. B. dieses Tuch“, sagte er, indem er auf ein rothes Umschlagetuch seiner Frau hinwies, das in der Nähe des Fensters lag. „In diesem Augenblicke erscheint es roth, lassen Sie das Licht wechseln, und dasselbe Roth wird sich dann lila oder grau zeigen, und damit wird auch der Eindruck ein anderer werden müssen. Dagegen wie viel sicherer und entschiedener ist er nicht in der plastischen Kunst. Am höchsten möchte das Basrelief stehen, das die Festigkeit der Plastik mit der Bewegung der Malerei verbindet.“ Tieck machte die Gegenfrage, ob sich diese Beobachtungen über den Eindruck der Farbe auch vor Correggio’s Bildern behaupteten. „Gerade hier finde ich sie am meisten bestätigt!“ antwortete Schiller. Dagegen führte Tieck aus, wie in der Vertheilung von Licht und Schatten, in dem unendlichen Wechsel und Spiel der Farbe, in den Mitteln der Zeichnung, der nicht zu erschöpfende Zauber der Malerei liege. Endlich schieden sie voneinander, ohne sich überzeugt zu haben. Zugleich war eine andere Hoffnung im Sommer 1799 in Erfüllung gegangen. Tieck war dem Altmeister der Poesie genaht, er hatte Goethe gesehen. Schlegel, der bei Goethe als metrischer Rathgeber in Ansehen stand, und Novalis hatten es übernommen ihn einzuführen. Sicherer und unbefangener, als er selbst geglaubt hatte, trat er nun endlich jenem Dichter entgegen, dessen Gestalten ihn seit den Tagen frühester Kindheit begleitet hatten, der zu einer großen geistigen Macht in seinem Leben geworden war. Diesen Augenblick hatte er als Knabe geahnt, und ihn mit heißer Sehnsucht als Jüngling herbeigewünscht, darauf schien eine Seite seines Lebens angelegt. Jetzt endlich war er da! Goethe stand wirklich vor ihm. Das war er selbst, Götz, Faust, Tasso! Aber auch der Herrscher im Reiche der Poesie, in abgeschlossener Hoheit stand vor ihm. Ein gewaltiges, erschütterndes Gefühl erfüllte ihn beim ersten Anblicke. „Das ist ein großer, ein vollendeter Mensch, du könntest bewundernd vor ihm niederfallen!“ Zugleich erhob sich aus dem Grunde seiner Seele wie ein Wolkenschatten der leise aufsteigende Zweifel: „Könntest du ihn zu deinem Freunde, deinem Vertrauten machen?“ Und er mußte sich antworten: „Nein, das könntest du nicht!“ Auf diese erste Begegnung folgten mehrere Besuche, bei denen man sich etwas näher kam. Tieck erzählte von seinen Studien des Shakspeare und dessen Zeitgenossen. Dies führte auf Ben Jonson. Er schilderte dessen durchgehenden Gegensatz gegen Shakspeare, und endete mit der Frage, ob Goethe nicht einen Versuch mit dem sonderbaren Schriftsteller machen wolle. Da Goethe bereitwillig darauf einging, schlug er ihm den „Volpone“ vor, und überbrachte ihm die Folioausgabe. Als er ihn nach einiger Zeit wieder besuchte, hatte Goethe das empfohlene Drama soeben durchgelesen. Das Buch lag noch vor ihm. „Hören Sie, verehrter Freund“, rief er ihm besten Humors entgegen, indem er mit der Hand auf den Deckel des Buches schlug, „das ist ja ein ganz verfluchter Kerl! ein wahrer Teufelskerl!“ Tieck sprach seine Freude aus, daß seine Empfehlung sich bewährt habe. „Ja, das ist ein Schwerenothskerl!“ fuhr Goethe mit derselben Handbewegung fort, „was hat der für Kniffe im Kopfe!“ Auf die Frage, ob er nicht noch einiges Andere lesen wolle, um ihn ganz kennen zu lernen, antwortete er abwehrend: „Nein, verehrter Freund, nun ist es genug, nichts weiter. Ich kenne ihn jetzt, und das reicht hin!“ Im November kam darauf Goethe nach Jena. Tieck hatte die „Genoveva“ vollendet, und sie den Freunden mitgetheilt, jetzt kam die Gelegenheit, das Gedicht auch ihm vorzulesen. Goethe wohnte auf dem Schlosse. Da der erste Abend nicht ausreichte, so konnte die Vorlesung erst am folgenden beendet werden. Aufmerksam und theilnehmend war Goethe ihr gefolgt. Er sprach sich wohlwollend und anerkennend aus. Dann wandte er sich zu seinem neunjährigen Sohne, der am zweiten Abend zugegen war. Indem er ihm mit der Hand über das Haar hinstrich, sagte er: „Nun, mein Söhnchen, was meinst du denn zu allen den Farben, Blumen, Spiegeln und Zauberkünsten, von denen unser Freund uns vorgelesen hat? Ist das nicht recht wunderbar?“ Einige Einwendungen, welche Goethe machte, wurden später berücksichtigt. Auch den „Zerbino“ lernte er kennen. Er schenkte den ernsten Charakteren und den lyrischen Partien vollen Beifall, und forderte Tieck auf, diese zusammenzuziehen, und zu einem Ganzen abzurunden, welches alsdann auf der weimarischen Bühne dargestellt werden sollte. Obgleich es Goethe war, von dem dieser Vorschlag ausging, konnte sich Tieck doch nicht entschließen darein zu willigen. Beide Theile, der satirische wie der dichterische, gehörten unmittelbar zusammen, sie gewannen erst durcheinander ihre Bedeutung. Ein Streichen des einen Theils würde einem Zerstören des Ganzen gleichgekommen sein. Vor allem wünschte Tieck den Meister auch im Reiche der Bühne kennen zu lernen, auf einem Gebiete, welches er selbst so allseitig studirt hatte, und dem noch immer seine Neigung angehörte. Konnte ihm doch selbst damals noch der Gedanke kommen, Goethe um die Erlaubniß zu ersuchen die Bühne zu betreten. Wäre es auch nur einmal gewesen, er wünschte wenigstens den Versuch eines öffentlichen Spiels gemacht zu haben. Indeß gab er diesem Einfalle keine weitere Folge. Die weimarische Gesellschaft hatte er früher in Lauchstädt spielen sehen, und in ihre unbedingte Anerkennung nicht einstimmen können. Seiner Meinung nach verdienten manche Schauspieler nicht den Ruf, in welchem sie standen. Graff’s Pathos unterschied sich wenig von dem verrufenen tragischen Gurgelton. Jetzt wohnte er an Goethe’s Seite einer Vorstellung der „Maria Stuart“ bei, die soeben auf die Bühne gebracht worden war. Auch diesmal konnte er nicht anderer Meinung sein. Den künstlerischen Instinct, welchen er an Fleck bewunderte, fand er hier nicht wieder. Alles war auf ein gewisses durchschnittliches Mittelmaß zurückgeführt. Ein ihm aus Berlin bekannter Schauspieler gab den Leicester in so ungeschickter Weise, daß er die Bemerkung nicht unterdrücken konnte, wie dieser das Ganze entschieden störe. „Ich kann es nicht finden“, antwortete Goethe trocken, „er thut seine Schuldigkeit gleich allen Andern.“ Bei den wiederholten Besuchen in Weimar lernte Tieck auch Herder kennen. Dieser empfing ihn in freundlicher Weise, doch nicht ohne abgemessene Würde. Nach den ersten Wechselreden trat der Kritiker aus dem „Gestiefelten Kater“ ein, Böttiger, den Tieck hier zum ersten Male sah, und dem er später noch öfter begegnen sollte. Böttiger stand mit Herder in gelehrter Verbindung, und pflegte ihn häufig zu besuchen. Eingedenk der Rolle, welche Tieck ihn spielen ließ, hatte er Herder erzählt, wie man in Berlin jeden abgeschmackten Einfall schlechtweg mit den Worten bezeichne: „Das ist gerade so thöricht wie der ‚Gestiefelte Kater‘.“ Nicht ohne Ironie stellte Herder dem Eintretenden den jungen Dichter des „Gestiefelten Katers“ vor. Böttiger, welcher das Bedürfniß hatte Complimente zu machen, und stets einige in Bereitschaft zu haben pflegte, gerieth in sichtbare Verlegenheit. Mit einem komischen Auf- und Niederzucken der Augenbrauen, das ihm eigenthümlich war, beschränkte er sich darauf, mit sauersüßem Lächeln zu wiederholen: „Ei! Ei! das ist ja recht schön!“ Weniger erfreulich war ein späterer Besuch. Herder litt seit längerer Zeit an tiefer Misstimmung. Er stand nicht mehr mit Goethe in gutem Einvernehmen. Der scharfe kritische Ton der jüngern Schule hatte ihn verletzt, und die Kantische Philosophie, die in seiner Nähe namhafte Verehrer hatte, regte ihn zu heftigem Widerspruche auf. Seine „Metakritik“ war bereits erschienen, ein Buch, das selbst seine Anhänger nicht gutheißen wollten. In muthwilligem Scherze hatte Tieck die Allegorie von Hugo und Hägesa, welche die Metakritik einleitet, in den „Zerbino“ hineingezogen, und sie durch den Epilog als ein deutsches Nationallustspiel ankündigen lassen, das nächstens zur Aufführung kommen solle. Herder war nicht der Mann, einen solchen Spaß durchschlüpfen zu lassen, oder ihn mit Humor aufzunehmen. Tieck hatte genug von seiner Empfindlichkeit gehört, um zu wissen, wie er jetzt gegen ihn gesonnen sein werde. Ungern folgte er daher einer Aufforderung von Novalis, ihn zu Herder zu begleiten, der unmöglich einen leichten Scherz schwerer nehmen könne, als er gemeint sei. Dennoch hatte Tieck Recht. Herder war gekränkt, und verfehlte nicht es merken zu lassen. Er erschien kalt und fremd, fast umgewandelt. Seine Frau, die eine unangenehme Schärfe besaß, zeigte sich noch abstoßender. Nur der Gegenwart des Freundes mochte es Tieck zu danken haben, daß eine Einladung, den Thee mit ihnen zu trinken, erfolgte. Eine peinlich verlegene Scene entstand, welche durch das trübselige Helldunkel des Zimmers für Tieck einen noch grausigern Charakter annahm. Kein freies offenes Gespräch wollte in Gang kommen, alle fühlten sich gedrückt. Eine Art Befreiung war es, als endlich ein neuer Gast, der Kunst-Meyer, eintrat. Dieser mußte nun die Kosten der Unterhaltung übernehmen. Er wußte Mancherlei zu erzählen. Dem jüngern Stolberg sei durch seine Freunde eine ganz absonderliche Weihnachtsbescherung bereitet worden. Man habe ihm eine Krippe mit einer Puppe darin aufgebaut, und diese habe er dann angebetet. Solchen und andern spöttischen Reden machte Herder durch ein entschiedenes Wort ein Ende, das auch in dieser peinlichen Stimmung auf Tieck Eindruck machte. „Lassen wir das, mein Freund“, sagte er, „man muß einem Jeden seine Hausreligion lassen!“ Da indeß der Einklang nicht wieder herzustellen war, so verabschiedeten sich Tieck und Novalis bald darauf. Auch später zeigte sich Herder nicht versöhnlicher. Als er im Jahre 1803 auf der Bibliothek in Dresden seine Studien für den „Cid“ machte, traf er wiederum mit Tieck zusammen, aber er blieb fremd wie zuvor. Ein schadenfroher Zufall war es, daß sie sich noch einmal bei der Frau von Berg begegnen mußten, die in der Hoffnung einiger genußreicher Stunden die beiden Dichter allein zu Mittag eingeladen hatte. Herder ließ auch hier nichts von jener Liebenswürdigkeit ahnen, die ihm, wenn er wollte, zu Gebote stand. Er war einsylbig, verschlossen und mürrisch. Eng verbunden mit ihm war Jean Paul, der sich ebenfalls in Weimar aufhielt. Die Schriften des humoristischen und sonderbaren Dichters hatte Tieck bereits vor Jahren kennen gelernt, als er mit Wackenroder einige Tage in Braunschweig war. Zufällig fand er damals bei einem Bücherhändler die „Unsichtbare Loge“. Der von allem Bekannten abweichende Ton bestimmte ihn, das Buch mit sich zu nehmen. Er begann Wackenroder daraus vorzulesen, bei dem es aber nur eine kühle Aufnahme fand. Noch übler erging es Jean Paul’s ersten Schriften bei den berliner Kunstrichtern, denen solche humoristische Sprünge gar nicht behagen wollten. Auch für ihn hatte Tieck manche Lanze zu brechen, und die aufgeklärten Gegner unterließen nicht ihm auch die Anerkennung Jean Paul’s zum Verbrechen zu machen. Indeß war diese Verehrung nicht so unbedingt, daß er die Schwächen, ja Unbegreiflichkeiten mancher Dichtungen hätte übersehen sollen. Vieles erklärte sich ihm jetzt erst aus der Persönlichkeit des Dichters. Mit tiefem Humor und Gefühl verbanden sich Laune und grillenhaftes Wesen, das an eine Kindernatur erinnerte, und oft in den bizarrsten und sonderbarsten Aeußerungen zum Vorschein kam. Merkwürdig wiederholte sich mit Jean Paul eine Scene, wie sie Tieck früher mit Nicolai gehabt hatte. Unter den Volksmärchen stellte er den „Blonden Ekbert“ allen andern voran. Er sprach seine volle Bewunderung aus, und schloß endlich mit der Frage: „Gestehen Sie es nur, wo haben Sie die Geschichte her?“ Auf Tieck’s Versicherung, er habe sie erfunden, antwortete er: „Nein, nein! Sagen Sie was Sie wollen! Dergleichen erfindet sich nicht! Das muß schon vorher dagewesen sein!“ Unter so verschiedenartigen Anregungen steigerte sich Tieck’s eigene Dichterlust, und nach allen Seiten hin erwies er sich thätig. „Zerbino“ und „Genoveva“ waren zum Abschluß gekommen, der „Treue Eckart“ und der „Tannhäuser“ wie „Melusine“ reihten sich im Tone der Volksmärchen an. Diese Dichtungen erschienen bei Frommann als „Romantische Dichtungen“, ein Titel, der mit vollster Unbefangenheit gewählt, bald allgemeine Bedeutung als literarischer Parteiname erhalten sollte. Eine neue oder gar höhere Art der Poesie damit bezeichnen zu wollen, war seine Absicht nicht im mindesten. Höchstens wollte er andeuten, daß der Leser in die entgegengesetztesten Regionen des Gefühls, der Leidenschaft, der Phantasiewelt in raschem Wechsel eingeführt werden solle. Daneben gab er ein poetisches Journal heraus, dessen Aufgabe sein sollte, in die ältere englische und spanische Literatur einzuführen. Dafür übersetzte er Ben Jonson’s „Epicöne“, nahm in den Briefen über Shakspeare die Kritik über den Dichter wieder auf, und gab eine Anzahl von kleinern Beiträgen. Tieck stand in der Mitte geistvoller, strebender und theilnehmender Freunde, der Schöpfer einer glänzenden Welt der Poesie und Phantasie, reich an Gedanken und Gefühlen, an Hoffnungen und Entwürfen. Siebenundzwanzig Jahre alt, war er bereits ein anerkannter Dichter. In die Reihe der edelsten Geister des Volkes war er eingetreten, und von ihnen als ebenbürtig anerkannt. Die kühnsten Träume seiner Jugend waren zur Wirklichkeit geworden, der Genius hatte den Jüngling bereits auf die Höhen des Lebens geführt. Er stand auf jenem Gipfel, zu dem er früher sehnsüchtig hinaufgeschaut hatte. Es war die Fülle geistiger und sinnlicher Kraft, in der er lebte, noch wirkte Alles zusammen, um ein Dasein zu schaffen, wie es dem Menschen nur in erhöhten Augenblicken verstattet ist. Mit diesem Gefühl blickte er später auf die schöne Zeit in Jena zurück. Aber schon gingen diese sonnenhellen Tage vorüber; in den Frühling wehte ein rauher Herbstwind hinein, und künftige lange und schwere Leiden kündeten sich an. Tieck war gewohnt auf seine Gesundheit und die volle Stärke seines Körpers sich zu verlassen. Noch in Jena hatte er die alten ritterlichen Künste geübt, und durch Gewandtheit und Unerschrockenheit die Freunde zu Zeiten überrascht. Als er einst mit Schlegel und Schelling in der Nähe von Jena einen Spazierritt machte, führte er sein Pferd über einen Balken, der als Steg über einen zwar trockenen, aber doch mehrere Fuß tiefen Graben gelegt war. Mitten auf dem schmalen Pfade scheute das Thier, und er stürzte mit demselben bügellos in den Graben hinab. Seine Begleiter glaubten ihn verunglückt, aber lachend erhob er sich, klopfte den Staub von den Kleidern, und saß im nächsten Augenblicke wieder im Sattel. Rastlose geistige Arbeit und Nachtwachen wechselten bei ihm mit starken Körperanstrengungen. Als Knabe und Jüngling hatte er sich Stunden lang dem Sturm und Regen preisgegeben, und die Nächte unter freiem Himmel zugebracht; schon damals mochte seine Gesundheit gelitten haben. In der letzten Zeit begannen rheumatische Schmerzen ihn zu quälen. Da fühlte er sich eines Tages heiterer und freier als je. So leicht, so aufgelegt zu Humor und Dichtung war er lange nicht gewesen. Es war als wenn Jugendkraft und Gesundheit mit diesem letzten erfrischenden Hauche hätten auf immer von ihm Abschied nehmen wollen. Tages darauf erkrankte er ernstlich. Die rheumatischen Schmerzen zeigten sich als ausgebildete Gicht im Knie. Eine langwierige Cur begann; er blieb auf sein Zimmer beschränkt, nur mit Mühe und Schmerzen vermochte er zu gehen. Schwäche und Abspannung machten das Arbeiten auf längere Zeit unmöglich. Als der Frühling kam, erholte er sich allmälig. Er brachte ihm mit den warmen Lüften Schmerzensfreiheit und Arbeitslust wieder. Ein Ausdruck der wiederkehrenden Heiterkeit war die Tragödie „Rothkäppchen“ und das Märchen „Melusine“. Neu belebt durch den ersten vollen Sonnenschein schrieb er sie, in einer blühenden Laube sitzend, im Frühling des Jahres 1800. Endlich schied er von den Freunden; es war zu Ende des Monats Juli. Er ging nach Hamburg, dann nach Berlin, die Angehörigen seiner Frau wie seine eigenen wiederzusehen. In Hamburg fand er Veranlassung zu einem letzten großen Gedichte, welches die Reihe mystischer Poesien abschloß. Auf dem Wege nach einem Vergnügungsorte an der Elbe, wo sich eine Gesellschaft versammeln sollte, fand er in einem Bücherkram an der Straße das Volksbuch vom Kaiser Octavianus. Er kannte es noch nicht, und die Freunde erwartend, las er es sogleich durch im Angesichte des heitern Flusses, in der herrlichsten Sommerluft. Es war ein reiner und voller Zug, den er that. Schon während des Lesens erhob sich ihm der Gedanke, diesen bunten Stoff dramatisch zu bearbeiten; klar und deutlich traten ihm die einzelnen Gestalten entgegen. Mit Vorliebe und planvoller Ueberlegung ging er an das Werk. Im Jahre 1801 hatte er den ersten Theil, gegen Ende des Jahres 1802 das Ganze beendet. Noch wirkten die Vorbilder der spanischen Poesie. Sie zeigten sich in dem Inhalte, wie in der freien Behandlung der Form, die neben dem Dramatischen auch Lyrisches und Episches in reichem Maße enthielt. Wieder trat die christliche Welt der heidnischen entgegen. Das siegreich fromme Dulden und die Leidenschaft, der Glaube und die Naturgewalt, das Wunder der Legende und der Zauber des Märchens standen einander gegenüber. In dem allegorischen Vorspiele erschienen die Mächte, welche diese Welt bewegten. Der Glaube und die Liebe, der Scherz und die Tapferkeit, und in ihrer Mitte die Romanze. Noch einmal erfüllte sie das Herz ihres Dichters mit trunkener Begeisterung, und eine versunkene Welt beschwor er herauf mit dem geheimnißvollen und mächtigen Rufe: Mondbeglänzte Zaubernacht, Die den Sinn gefangen hält, Wunderbare Märchenwelt, Steig’ auf in der alten Pracht! Drittes Buch. Kampf und Leiden. 1800-1819. 1. Bewunderer und Gegner. Fünf Jahre waren verflossen, seit der Name des Dichters durch die Nachtstücke „Abdallah“ und „Lovell“ bekannt geworden war. In überraschenden Wendungen war er dann zum Humor, zum volksthümlichen Märchen und den romantischen Dichtungen übergegangen. Hier hatte er die vergessene Sage des Mittelalters neu belebt, und der Sehnsucht nach dem dichterischen und religiösen Glauben Worte gegeben. Die dämonischen Romane fanden nicht die Theilnahme, welche er erwartet haben mochte. Es fehlte an ungünstigen Beurtheilungen nicht. Das Publicum verhielt sich diesen Erscheinungen gegenüber gleichgültig. Dann hatte der abweichende Ton der Volksmärchen überrascht und gereizt. Wenn Manche bedenklich wurden oder sich zu leidenschaftlicher Kritik hinreißen ließen, so gab es doch auch Solche, deren Beifall um so entschiedener war. Im Allgemeinen mußte man anerkennen, man habe es mit einem eigenthümlichen Dichtergeiste zu thun, der Glauben genug an sich selbst besitze, um seine eigenen Bahnen zu suchen und zu verfolgen. Die romantischen Dichtungen, die Verbindung mit den Schlegel und Novalis brachte Tieck’s Stellung zum Abschlusse. Ein bedeutender Erfolg blieb dieses Mal nicht aus, und die Poesie, welche wechselsweise den Humor und die Verherrlichung des Wunders voranstellte, fand auch in weitern Kreisen ihr Echo. In der literarischen Meinung des deutschen Nordens, mindestens in der Berlins, bereitete sich ein Umschwung vor. Das Ansehen der ältern Schule, ihrer Philosophen und moralischen Dichter war in ein bedenkliches Schwanken gerathen. Aus Kritikern und Richtern wurden sie Kritisirte und Gerichtete. Schon ihr Gegensatz gegen alle großen und glänzenden Erscheinungen der letzten Jahrzehnde mußte ihre innere und ursprüngliche Dürftigkeit klar machen. Die neue Wendung der Philosophie, Goethe’s und Schiller’s Siege, die schonungslosen Urtheile der Schlegel, die Dichtungen Tieck’s, Alles wirkte zusammen. Aber schon ward auch die Aufklärung zum Stichwort des Spottes, Bezeichnung des Seichten und Oberflächlichen. Die Angriffe auf ihre Vertheidiger wurden zahlreicher, und die Unberufenen fingen an, von dem Tiefsinnigen und Geheimnißvollen viel zu reden. Unverkennbar hatte die „Genoveva“ großen Eindruck gemacht. Je glänzender die verklärenden Strahlen der Dichtung waren, in denen dieses Heiligenbild sich zeigte, um so ärmlicher erschien die ältere nüchterne Poesie. Das jüngere Geschlecht sah die Stellung der Parteien mit andern Augen an. Wie ganz anders wurden nicht Gefühl und Phantasie durch die neuen Dichtungen angeregt! Zunächst in Berlin bildeten sich neben den Kreisen der Freunde, der Anhänger und Bewunderer, auch die der Nachahmer und Nachsprecher. Als Tieck im Herbste des Jahres 1800 aus Hamburg zurückkehrte, mußte er bereits mehr, als ihm lieb war, von Mystik und Wunder, von Mittelalter und Romantik reden hören. Es waren Wendungen und Formen, die man ihm und seinen Freunden abgelernt hatte. Andere, die keinen Beruf dazu hatten, stimmten in den abschreckenden Ton der neuen Kritik ein. Sie gebrauchten deren Stichworte fleißig, gleichviel ob sie passen mochten oder nicht. Eine Wendung der Schlegel vornehmlich ward zur beliebten und stehenden Redensart. Bis zur Religion sollte Alles getrieben werden, nicht allein Kunst und Poesie, sondern zuletzt auch jede Trivialität des gewöhnlichen Lebens. So entstand eine Parteisprache, die für Niemand verdrießlicher war als für Tieck selbst. Das jüngere Geschlecht, das genial und erhaben sein wollte, war um nichts besser als das ältere pedantische. Wieder waren es unwahre Gefühle, nachgesprochene Redensarten, angelernte Gedanken, denen er begegnete. So ernst seine Stimmung damals war, so regte sich doch bei diesen Wahrnehmungen die humoristische Laune. Die freie Bewegung des Dichters hatte er gegen den alten Schul- und Parteizwang in Schutz genommen, jetzt wollte er auch des jüngern vorlauten und zudringlichen Geschlechts nicht schonen, dem er selbst die Waffen in die Hände gegeben hatte. In Jena hatte er für sein poetisches Journal eine Parodie: „Der neue Hercules am Scheidewege“, geschrieben, in welcher er seinem Unwillen, seiner Verachtung der seichten und unmündigen Bewunderer Luft machte. Er war jener Autor, der am Scheidewege zwischen dem falschen und dem wahren Ruhme steht, und dem sich die verschiedensten Stimmen und Meinungen aus dem Publicum aufdrängen. Das Gegenbild zu den kindischen Huldigungen des Bewunderers gaben die platten Einwürfe des alten Mannes, der als eifriger Vorfechter der alten Schule den Dichter mit der Autorität Lessing’s zu schrecken sucht. Indessen erhoben sich auch die Gegner. Seit langer Zeit hatten sich infolge der kritischen Neckereien Verdruß und Aerger angesammelt, endlich mußte es zum Ausbruche kommen. Seit ihrem ersten Auftreten als Kritiker und Dichter hatten die Schlegel eine Reihe neuer Ansichten und Behauptungen aufgestellt, die durch Schärfe und Paradoxie reizten. Persönliche Angriffe, die sich damit verbanden, hatten erbittert. Zwei Namen waren es, für deren unbedingte Anerkennung sie kämpften, Goethe und Fichte. Die Beschränktheit und Engherzigkeit der Gegner vermehrte die Misverständnisse, die Furcht vor dem Neuen machte sie um ihre Stellung besorgt, das scharf Ausgesprochene, das Eigenthümliche ward lästig und unbequem. Seit 1798 war das „Athenäum“ der Träger dieser neuen einschüchternden Kritik. Nur auf eine geringe Zahl von Mitarbeitern beschränkte man sich. Außer den beiden Schlegel hatten Novalis, Schleiermacher, Bernhardi und Hülsen Beiträge gegeben, und sie trafen schonungslos eine nicht unbedeutende Anzahl von Namen, die in der Literatur bisher gegolten hatten. Am meisten verletzten A. W. Schlegel’s satirische Ausfälle in seinem literarischen „Reichsanzeiger“. Nicht nur Nicolai und Kotzebue, Jenisch und Schmidt von Werneuchen wurden verspottet, auch Kästner, selbst Wieland blieb nicht unangetastet, ebenso wenig als Matthisson und Voß verschont wurden. Wußte man doch, daß Schlegel auch mit Schiller nicht in gutem Vernehmen stehe. Wenn aber die Neuerer Männer, welche einen unleugbaren Einfluß auf die Literatur gehabt hatten, in dieser Weise behandelten, wenn sie Zweifel erhoben, wo man bisher nur zu bewundern gewohnt war, so lag darin für die kleinen Geister kein geringer Trost, dergleichen Mishandlungen nicht allein erfahren zu haben. Nun konnten sie die glänzenden, allgemein anerkannten Namen voranschieben. Eine noch bessere Waffe für die Gegner war die „Lucinde“. Dieser Roman machte durch seinen Cultus der Sinnlichkeit, durch die Zügellosigkeit, welche die sittlichen Schranken durchbrach, auch die Freunde irre, er drohte praktisch in das Leben einzugreifen. Jetzt appellirte man an den Richterstuhl der öffentlichen Moral. Es handelte sich nicht mehr um philosophische oder ästhetische Kritiken und Lehrmeinungen. Auf dies Buch hin glaubte man alle diese jüngern Schriftsteller als eine Sekte gefährlicher Bilderstürmer angreifen zu können. Tieck hatte sich von dem fachmäßigen Betriebe der literarischen Kritik fern gehalten. Einige übernommene Aufträge für die „Jenaische Literaturzeitung“ hatte er später abgelehnt, und sich bei dem „Athenäum“ nicht betheiligt. Nur in einigen Jahrgängen des berlinischen „Archivs der Zeit“ hatte er die neuesten Musenalmanache besprochen. Somit blieben allein die humoristischen Scherze und Angriffe in seinen Dichtungen übrig. Hier waren viele einzelne Züge von bekannten Persönlichkeiten entlehnt, die meistens Berlin angehörten. Außer Kotzebue, Böttiger und manchem Modeschriftsteller, fand man auch Nicolai, Iffland, Gedike, Biester und Engel wieder. In der Vision „Das jüngste Gericht“, hatte Tieck eingeräumt, sie verspottet zu haben. Dennoch konnte er mit Recht sagen, nicht das Persönliche, sondern das Allgemeine in diesen Charakteren habe er dargestellt. Eine bestimmte Richtung der Zeit hatte er in ihnen angegriffen, den unverbesserlichen Prosaismus geschildert. Nicht als privilegirter Satiriker, nicht als schwerfälliger oder gallsüchtiger Moralist war er aufgetreten, als Dichter hatte er die Waffen des Spiels und der Phantasie gebraucht. In seiner rein humoristischen Laune war er des Vorrechts der Poesie, den Scherz um des Scherzes willen treiben zu können, so gewiß, daß er mit dem besten Gewissen versichern konnte, nichts habe ihm ferner gelegen als persönliches Uebelwollen; die Schuld des Misverständnisses liege zum Theil an dem schwerfälligen Ernste seiner Landsleute, die überall Räthsel suchen und lösen wollten, und nicht im Stande seien, den Scherz ohne irgendeine hinterhaltige Absicht zu denken. Wirklich war er über die Grenzen des literarisch Erlaubten nicht hinausgegangen. Er sprach nicht von dem moralischen Charakter dieses oder jenes bekannten Mannes, sondern von Zuständen, von Ansichten, die in Büchern offen vor Aller Augen lagen. Wie harmlos seine Angriffe waren konnte ihre Vergleichung mit denen Schlegel’s am besten zeigen. Mit dem kältesten Blute und der ruhigsten Ueberlegung waren diese ausgeführt und mitunter giftig zu nennen. Ein komischer, aber entschiedener Beweis der schlagenden Kraft seiner Dichtungen war es, wenn Personen sich für angegriffen erklärten, an welche er nicht gedacht hatte, die er kaum kannte. Durch Einiges im „Gestiefelten Kater“ war ein fernstehender Bekannter, der Maler Darbes, verletzt worden. Die eifrigsten und aufrichtigsten Versicherungen des Gegentheils hatten den Zürnenden nicht zu besänftigen vermocht. In schildaischer Weise wollten andere Ueberkluge in dem „Prinzen Zerbino“ den Kriegsrath Zerboni wiedererkennen, der infolge seiner Händel mit dem Minister Hoym als des Jakobinismus verdächtig, zur Untersuchung gezogen und auf die Festung abgeführt worden war. Freilich nur dunkle, aber für den Eingeweihten doch kenntliche Anspielungen auf diese vielbesprochene Tagesgeschichte sollten sich in Tieck’s romantischer Dichtung finden. Aus diesem Spähen nach einem verborgenen satirischen Sinne ergaben sich nicht geringe persönliche Belästigungen. Zudringliche ließen keine Gelegenheit vorübergehen, um ihm vertraulich näher zu rücken und ihn auszuforschen, wen er wol mit diesen Gestalten gemeint haben könne. Inquisitorische Examina hatte er zu bestehen, die in der Regel mit dem Vorwurfe der Verschlossenheit und des Mangels an freundschaftlichem Vertrauen endeten. Nichts aber war ihm verhaßter als das plumpe und täppische Zufahren der Biedermänner, welche in ihrer treuherzigen Offenheit vertrauliche Mittheilungen und Geständnisse als Pflicht der Freundschaft in der ersten halben Stunde oberflächlicher Bekanntschaft in Anspruch nahmen. Zu diesen kleinen Quälereien kamen auch literarische Angriffe, die einen ärgerlichen Charakter trugen. Zuerst griff Johannes Falk der Satiriker zu den Waffen. Mit einem gewissen Geräusch war dieser Schriftsteller in die Literatur eingetreten. Wieland hatte ihn als neuen Aristophanes proclamirt; sieben große satirische Geister der Vorzeit sollten in ihm versammelt sein. Seit dem Jahre 1797 speicherte er für die Freunde des Scherzes und der Satire seine Einfälle in jährlich wiederkehrenden Taschenbüchern auf. Trotz Wieland’s schützender Privilegien konnte Tieck in diesen Satiren nichts von dem finden, was darin liegen sollte. Er vermißte den pomphaft angekündigten Scherz. In seiner Kritik des „Taschenbuchs für 1798“ im „Archiv der Zeit“ führte er aus, wie schwerfällig Falk die Satire als eine überlieferte literarische Stilgattung, als ein nützliches Geschäft moralischer Besserung nach der Definition älterer Lehrbücher betreibe; sein breiter und selbstgefälliger Witz beruhe nur auf einigen allbekannten und verbrauchten Kunstgriffen, und sei der Poesie ebenso fern, als er sich dem Pasquillantischen nähere. Er greife mit seinem gewichtigen Apparate nur unwesentliche und gleichgültige Dinge auf von rein localer Bedeutung, während er den Charakter der Zeit im Ganzen weder aufzufassen noch darzustellen vermöge. Diese Bemerkungen waren geeignet, Tieck’s eigene Scherze im rechten Lichte erscheinen zu lassen, und ihr Verständniß im Gegensatze zu der absichtsvollen sogenannten moralischen Satire zu eröffnen. Falk indeß fühlte sich durch diese ernste Kritik, wie durch die scherzhafte im „Zerbino“ gleich sehr verletzt. Es schien mit seiner Freundschaft für Scherz und Satire kein rechter Ernst zu sein. Im „Taschenbuch für 1799“ antwortete er in zornig-höhnischen Angriffen auf Rambach, den Herausgeber des „Archivs der Zeit“, der an jenem Urtheile unschuldig war. In den nächsten Jahrgängen wandte er sich gegen die Schlegel, das „Athenäum“ und ihre Freunde. Auf einem beigegebenen Bilde hatte er sogar Tieck, auf seinem „Gestiefelten Kater“ reitend, darstellen lassen. Auch Garlieb Merkel, der vorlaute und oberflächliche Publicist, ergoß sich in seinen „Briefen an ein Frauenzimmer über die schöne Literatur“, dann später in seinem „Freimüthigen“ in den niedrigsten Schmähungen über Tieck. Zu der beliebten Anklage des Obscurantismus, der Bänkelsänger- und Sachs-Poesie kamen Verdächtigungen der gemeinsten Art. Selbst die Uebersetzung des „Don Quixote“ wurde in diesen Parteistreit hineingezogen. Gleichzeitig mit derselben war auch die von Soltau erschienen. Dieser hatte in Schlegel’s anerkennender Beurtheilung der Tieck’schen Arbeit in der „Literaturzeitung“ von 1799 eine Herabsetzung seiner eigenen Leistungen gefunden, und es nöthig gehalten, in dem Jahrgange von 1800 sich dagegen zu verwahren. Es sollte die keineswegs unbedingte Anerkennung, welche Tieck’s Uebersetzung zu Theil geworden, ein berechnetes Verfahren einer Partei sein, deren Absicht war, kein anderes Verdienst als ihr eigenes gelten zu lassen. Auch an sonstigen gelegentlichen Ausfällen ließ er es nicht fehlen. Im nächsten Stücke des „Athenäum“ erfolgte darauf eine Gegenkritik Schlegel’s, welche nun die Schwächen der Soltau’schen Arbeit offen darlegte. Soltau war in Spanien gewesen, er kannte die Sprache aus lebendigem Gebrauche, und hatte gewiß mit bessern Mitteln gearbeitet als Tieck. Dennoch war auch er von Irrthümern nicht frei geblieben. Aber seine Uebersetzung litt an prosaischem Unverständniß des Cervantes überhaupt. Wenn er Tieck in manchen Punkten übertraf, so hatte er doch sicher nichts von dem nachdichtenden und umbildenden Geiste, der für den Uebersetzer des Cervantes unerläßlich ist. Unzweifelhaft war unter diesen Händeln der ärgerlichste der mit Iffland. In Berlin hatten neben Tieck’s Dichtungen und Schlegel’s Kritiken Bernhardi’s Theaterrecensionen keinen geringen Anstoß gegeben. Auch er war des scharfen, kritischen Stils vollkommen Meister, und hatte durch den bestimmten, abschreckenden Ton im „Archiv der Zeit“ die Schauspieler und den Führer der Bühne gegen sich aufgebracht. Er erkannte Iffland’s großes mimisches Talent an, aber nicht unbedingt, nur innerhalb gewisser Grenzen; auch er wollte es nur für die mittlern und gemäßigten Rollen gelten lassen. Als dramatischen Schriftsteller hatte er ihn in seiner Posse „Seebald, der edle Nachtwächter“, die ein treffendes Abbild der rührenden Familiengeschichten ist, kritisirt. Bernhardi’s Verhältniß zu Tieck war bekannt, in ihrer Verbindung mit den Schlegel galten sie als Partei, die es auf gegenseitige Lobpreisung und Erhebung, auf ein Tyrannisiren des Geschmacks und der Literatur abgesehen habe. Ein Vorwurf, der, soweit er Tieck betraf, vollkommen unbegründet war. Wiederholt war Iffland Gegenstand kritischer Zweifel und satirischer Neckereien geworden. Er war gereizt, und dachte seinerseits einen Schlag gegen die lästigen Angreifer zu führen, der nicht ihn allein, sondern zugleich alle, die überhaupt gekränkt worden waren, rächen sollte. Gegen Ende des Jahres 1800 ward ein Lustspiel, „Das Chamäleon“, auf die Bühne gebracht, das sich in veränderter Gestalt bis in die spätern Zeiten auf den Bretern erhalten hat. Verfasser war der Schauspieler Beck, ein ehemaliger College Iffland’s. Dieses schwache Machwerk, das ursprünglich harmlos gemeint sein mochte, war zu einer persönlichen Satire gegen Tieck und seine Freunde ausersehen. Es erschien darin ein hungeriger Schriftsteller und Gelegenheitsdichter, der sich durch trügliche Annahme des Adels in das Haus eines vornehmen Mannes einschleicht, um sich satt zu essen und womöglich Bezahlung seiner Schulden zu erlangen. Er spricht in mystischen und sonderbaren Redensarten, die an ähnliche Wendungen Friedrich Schlegel’s erinnern; er ist Verfasser eines schmuzigen Romans, betitelt „Lorraine“; er hat romantische Dichtungen herausgegeben, er hat unter dem Namen Peter Walter geschrieben. Mit diesen Producten hat er einen ehrbaren Buchhändler an den Bettelstab gebracht. Er gehört einer Clique von Fünfen an, in welcher man sich gegenseitig in Sonetten preist, und in der ganzen deutschen Literatur nur einen großen Dichter anerkennt, um alles Andere desto rücksichtloser in den Staub ziehen zu können. Dies geschieht in einem Journal, das sich durch seinen impertinenten Ton auszeichnet; es heißt der Wahrheitsrachen. Aber zum Troste der Biedermänner und Freunde der ältern literarischen Autoritäten erscheint der hungerige Poet in der jammervollsten Verfassung. Er ist die Zielscheibe aller seichten Witze der Gebildeten und Ungebildeten. Willig läßt er sich als Spielball der rohesten Neckereien und Verhöhnungen gebrauchen. Er streift an der bedenklichen Grenze der Prügel hin; Nachts bringt er auf der Straße, in leeren Portechaisen und Schilderhäusern zu. Es war nicht zu verkennen, die ganze neuere ästhetische Kritik sollte in diesem elenden Sudler der Verhöhnung öffentlich preisgegeben werden. Nur aus literarischen Anspielungen war diese Figur zusammengesetzt. Bei der Clique von Fünfen hatte man an Tieck und Bernhardi, an die beiden Schlegel und etwa noch an Novalis gedacht, der ebenfalls Beiträge zum „Athenäum“ geliefert hatte. Soweit sich diese plumpen Ausbrüche auf literarischem Gebiete hielten, hätte Tieck sie ruhig ertragen mögen; aber man suchte den bürgerlichen Charakter der Angegriffenen verdächtig zu machen, und sie moralisch vor dem Publicum an den Pranger zu stellen. Dieser hungerige Poet war ein literarischer Gauner. Tieck erkannte bald, daß Iffland’s eigenes Spiel nicht frei von feindseliger Absicht war. Er gab den alten Grafen, der ein Bewunderer Gellert’s ist; dessen „Leben der schwedischen Gräfin“ kann er nicht oft genug lesen. Die Behauptung des Poeten, Gellert sei kein Genie, beantwortet er mit einem Wuthausbruche. „Aber er war ein ehrlicher Mann!“ schreit er, indem er mit einer ausdrucksvollen Bewegung, in der Iffland Meister war, sich auf die Taschen klopft. Um Gellert’s Manen zu rächen, will er am Ende den armseligen Kritiker mit Hunden vom Hofe hetzen lassen. Bei diesem Acte gemeiner Rache fiel ein großer Theil der Schuld auf Iffland, unter dessen Leitung das Stück einstudirt worden war. Er hätte alle Veranlassung gehabt, die rohesten und schreiendsten Farben zu mildern. Aber er war ein glücklicher Improvisator, und der Verfasser lebte fern von Berlin. Die Vermuthung war nicht abzuweisen, manche von diesen Zügen seien ihm erst von hier aus an die Hand gegeben, oder während der Darstellung von den Schauspielern hineingelegt worden. Bei einer so pasquillantischen Beleidigung glaubte Tieck nicht schweigen zu dürfen, obgleich man bei spätern Wiederholungen des Stücks die anstößigsten Stellen gestrichen hatte. In einem Besuche bei Iffland forderte er die Auslieferung des Manuscripts, um sich zu überzeugen, wieviel von diesen Gemeinheiten auf Rechnung des Verfassers komme. Mit unerwarteter Bereitwilligkeit ging Iffland auf dies Verlangen ein. Er gab zu, Einiges könne vielleicht auf ihn und seine Freunde gedeutet werden; er bot sogar die Unterdrückung des Stücks an, wenn er es wünsche, und lieferte ihm schließlich das Manuscript zur Durchsicht aus. Doch als Tieck darauf schriftlich eine öffentliche Ehrenerklärung verlangte, zog Iffland nicht nur die gemachten Zugeständnisse zurück, sondern stellte auch in Abrede, daß man in diesem Lustspiele auf ihn oder irgendeinen seiner Freunde habe zielen wollen. Bisher hatte Tieck an keiner literarischen Fehde Theil genommen, doch jetzt, von den verschiedensten Seiten angegriffen, verlästert und roh geschmäht, schien es ihm an der Zeit, seine Stimme zu erheben. Er schrieb einige polemische Blätter, die unter den unverständigen und böswilligen Gegnern von Falk bis Merkel aufräumen sollten. Da man seine Sprache des dichterischen Humors nicht verstand, so wollte er versuchen, in der offenen und unumwundenen Sprache der kritischen Grobheit sich deutlich zu machen. Auch er wollte zeigen, daß er Lessing mit Erfolg studirt und gelesen habe. Und diese Blätter bewiesen, er verstehe das Schwert der Polemik zu führen. Schon näherte sich die Schrift dem Abschlusse. Bernhardi verband in dem Decemberhefte des „Archivs der Zeit für 1800“ mit dem Abschiede, den er vom Publicum als Theaterkritiker nahm, die Anzeige, daß im Namen derer, welche in dem Lustspiele „Das Chamäleon“ angegriffen worden, Tieck in einer besondern Schrift nächstens antworten werde. Dennoch kam es anders. Es widerstrebte ihm zu sehr, in den wüsten Lärm der literarischen Tageszänkereien einzustimmen, auch wenn ihn selbst diese Schmähungen trafen. Der augenblickliche Zorn verrauchte, und machte der schweigenden Verachtung Platz. Jene Blätter blieben unvollendet liegen und wurden vergessen. Gehässiger als diese öffentlichen Schmähungen waren die geheimen Verdächtigungen und Einflüsterungen Kotzebue’s. Die einen waren darauf berechnet, Tieck in der öffentlichen Meinung zu verderben, ihn vor dem Publicum um Ehre und Ansehen zu bringen, die andern wollten den politischen Verdacht erregen, und den literarischen Gegner durch die Gewalt der Polizei zu Boden schlagen. Niemals hatte Tieck mit den Aeußerungen seiner sittlichen und kritischen Abneigung gegen Kotzebue zurückgehalten. Auch im „Zerbino“ kamen Hindeutungen dieser Art vor. Dennoch hatte Kotzebue früher einen Versuch der Annäherung gemacht. Im Gefühle seiner unvortheilhaften Stellung in Weimar, mit allen Größen in Feindschaft zu stehen, hatte er den Wunsch, in dem Anschluß an irgendeinen bedeutenden Namen Schutz zu suchen. Freilich galt sein Lob für ein bedenklicheres Zeichen als sein Tadel, und denen, welche davon betroffen wurden, mochte gar nicht wohl dabei zu Muthe sein. Eine Zeit lang machte er Miene, auf Goethe’s Kosten Schiller zu verherrlichen. Dann schien er Tieck huldigen zu wollen, und die frühern Verspottungen großmüthig zu vergessen. Als die „Genoveva“ erschienen war, schlug er sich unerwartet auf die Seite der Bewunderer der Romantik, und er, der Rationale und Aufgeklärte, wollte den Heiligenschein gelten lassen. Er erklärte Schiller’s Mortimer für das Abbild des Golo, und ließ durch einen Bekannten bei Tieck anfragen, ob er etwas dagegen habe, wenn man seine Tragödie in Weimar zur Aufführung bringe. Er verspreche nur solche Abkürzungen zu machen, die durch die Bühne geboten seien, im Uebrigen aber sich jeder Aenderung zu enthalten. Dies war kein unpraktischer Vorschlag, der vielleicht Tieck’s dramatischen Dichtungen den Zugang zum Theater eröffnet hätte. Später, als diese Gegensätze erloschen waren, bedauerte er selbst, ihn so entschieden abgewiesen zu haben. Der Gedanke einer Verstümmelung seines Gedichts, und zwar durch diese Hand, war ihm unerträglich. Hatte er doch einen ähnlichen Vorschlag in Betreff des „Zerbino“ abgelehnt, und der kam von Goethe! Er antwortete daher mit scharfer Betonung, sein Gedicht sei gedruckt und öffentliches Eigenthum, es könne ein Jeder damit thun was ihm gutdünke. Die Darstellung unterblieb, und Kotzebue, der sich hatte wohlwollend zeigen wollen, war doppelt gekränkt. Im Jahre 1802 ging er auf einige Zeit nach Berlin. Er erlangte Zutritt bei Hofe, und bald schien sich eine treffliche Gelegenheit der Rache darzubieten. Er erdreistete sich, die Paradescene im „Zerbino“ nicht ohne unverschämte Andeutungen dem Könige vorzulesen. Aber der unwürdige Versuch mislang. Großartig überhörte der König die Insinuation, und sie blieb ohne weitere Folgen. Tieck hatte die Absicht, welche ihm hier untergelegt werden sollte, nicht einmal haben können. Denn jene Scene war bereits 1796 unter ganz andern Verhältnissen geschrieben. Es waren die Eindrücke seiner Jugend, die Gefühle, welche das straffe Militärwesen ihm erregte, die er hatte darstellen wollen. Auf den unmittelbaren literarischen Streit mit seinen zahlreichen Gegnern hatte er verzichtet, die Waffen, welche hier geführt wurden, waren zu plump. Umsomehr kam ihm die Lust, die unverbesserlichen Philister mit dichterischem Scherze anzugreifen, der bisjetzt noch nie die Wirkung versagt hatte. Im Sommer 1801 entstand der Plan eines umfassenden humoristischen Lustspiels, in welchem er noch manches Andere auszusprechen dachte, was er auf dem Herzen hatte. Die Fabel war aus Ben Jonson’s „~The devil is an ass~“ entlehnt. Es war die Geschichte eines dummen Teufels, welcher sich vermißt, der alterschwachen Hölle, die in Folge der Bildung ihren Einfluß vollständig verloren hat, die klug gewordene Welt wiederzugewinnen, aber die Probe mit Schimpf und Schanden besteht. Er nannte diese Dichtung „Anti-Faust“. Da er sich und seine Werke nicht schonte, so konnte es für erlaubt gelten auch über Andere frei und offen zu sprechen. Und er durfte den Aristophanes selbst einführen, denn vielleicht nie hatte sich sein Witz zu dieser Aristophanischen Kraftfülle und Schlagfertigkeit erhoben. Leider verrieth er das Geheimniß zu früh. Er hatte einigen Buchhändlern von dem neuen Gedichte erzählt, doch als diese hörten, auch Herder’s Humanitätsbriefe würden nicht verschont, erschraken sie, und wiesen einen so gefährlichen Verlagsartikel ab. Verstimmt und unlustig legte er das Begonnene für bessere Zeiten bei Seite; aber die glückliche Stimmung, welche es vollenden sollte, kehrte nicht wieder. Durch die Kämpfe mit Iffland und andere unangenehme Erfahrungen war ihm der Aufenthalt in der Vaterstadt verleidet. Nach dem reichen Leben in Jena konnte sie überhaupt nichts gewähren, was ihm genügt hätte. Die Eintönigkeit der Natur erdrückte ihn, er hielt sich für einen Gefangenen, den man bei armseliger Kost eingeschlossen habe. Nach der Poesie der Berge, Bäche und Wälder sehnte er sich. Viel mehr schon gewährte Dresden. Dorthin übersiedelte er sich im Frühlinge des Jahres 1801. Auf sein dichterisches Schaffen hatten die letzten Zeiten hemmend eingewirkt. Durch Misverständniß und Angriffe gereizt, zwischen Zorn, Verachtung und satirischer Laune schwankend, von Zweifeln umdrängt und beunruhigt, vermochte er den Octavian, der das Erbtheil einer frischeren Zeit war, nur langsam dem Abschlusse entgegenzuführen. 2. Zweifel und Verlust. Aber er hatte überhaupt das Behagen an seinen Schöpfungen verloren. Die lebensvollen Gestalten des Humors begannen ihm kalt und matt zu erscheinen, die Lust am dichterischen Schaffen sank, die heitere und unbefangene Freude der Jugend war von ihm gewichen. Zu Zeiten dünkte es ihm ein leeres unerquickliches Treiben, ein frevelhaftes Spiel mit dem Leben. Wenn die Schwermuth auf der Seele des Knaben und Jünglings lastete, dann war es die ihrer selbst bewußt werdende Kraft des Talentes, die Hoffnung auf die Erfolge der Zukunft, die Trost gewährten und ihn aufrecht hielten. Jetzt war die Zukunft zur Gegenwart geworden, er hatte ausgesprochen, was damals sein Herz dunkel bewegte, und nach dessen Gestaltung Sinn und Phantasie rangen; konnte er sagen, er sei darum glücklicher, mehr mit sich selbst eins und im Frieden? Bisweilen meinte er nur an bitteren Erfahrungen reicher, an schönen Hoffnungen ärmer geworden zu sein. Zu den Anfeindungen kamen Verluste, schmerzliche Todesfälle und unglückliche Verhältnisse in seiner Familie. Gleichzeitig hatte sich die Mystik seiner Seele ganz bemächtigt. Nie hatte ihn Jakob Böhme mehr erfüllt. Das Studium des deutschen Philosophen führte ihn zurück auf die Mystiker des Mittelalters, auf Tauler, auf die Mystiker anderer Völker, endlich auf die Kirchenväter. Mit Eifer las er die Schriften des Augustinus, seine Bekenntnisse, sein Buch vom Reiche Gottes. Unmerklich hatten sich diese Kreise erweitert, immer mehr wurde er hinabgezogen in ihre Tiefen. Wie anders zeigten sich ihm Philosophie und Religion, Welt und Leben, seit er sich gewöhnt hatte sie in diesem Lichte zu sehen! Schien sich manches Räthsel zu lösen, so kamen dafür andere und vielleicht schwierigere hervor. Die Unbefangenheit, mit welcher er hineingetreten war in das grüne, jugendliche Leben, war vorüber. Was er von seinem Sternbald gesagt hatte, war auch ihm geschehen; er hatte das Paradies der Jugend verloren. Was war er, sein Leben in diesem großen Zusammenhange? War es nicht leichtsinnig sich an einem Talente zu erfreuen, das die Kluft nicht auszufüllen, nur mit seinen Blüten zu verdecken wußte? Ja oft erschien ihm dieses Talent selbst als das Böse, als die Sünde. Er glaubte sich von einer finstern Magie umgarnt, die ihn ins Verderben reißen müsse. Vor dieser Macht sank alle Poesie unter, das Leben und Alles, was sonst als Schönheit, Glück und Liebe erschienen war. Dann aber erhob sich wieder die Frage, warum war ihm dieses Talent geworden? War es nicht das seine? Gehörte es nicht zu seinem Wesen? So drehte er sich im Kreise von Zweifeln und Fragen umher, die ihn wie Gespenster verfolgten. Er las, er studirte, er suchte Gesellschaft auf, um der innern Angst zu entfliehen, dieser fieberischen Erregung, die mit trüber Gleichgültigkeit wechselte. Es war umsonst. Wie in der Jugend wünschte er in einem stillen Kloster sich verbergen zu können. Er sehnte sich, der Welt, sich selbst zu entfliehen, nach dem Frieden der Versenkung in den ewigen Gedanken Gottes. Und um diese Zeit trafen ihn neue, schwere Verluste. Zuerst entriß ihm der Tod Novalis, den kaum noch gefundenen Freund. Seit dem Sommer 1800 kränkelte Novalis. Neue Erschütterungen, der plötzliche Tod eines Bruders hatte seine wankende Gesundheit auf das tiefste angegriffen. Ein Blutsturz folgte; immer mehr neigte sich sein Leben abwärts. Am Neujahrstage 1801 schrieb er im Gefühle unheilbarer Krankheit zum letzten Male an Tieck. Darauf verfiel er in ein abzehrendes Fieber. Am 25. März entschlief er sanft und schmerzlos in den Armen Friedrich Schlegel’s, der gekommen war, um ihn noch einmal zu sehen. Achtundzwanzig Jahre war er alt geworden. Nicht ganz zwei Jahre waren verflossen, seit Tieck und Novalis sich zum ersten Male begegnet waren. Sogleich verband sie die innigste Freundschaft; sie hatten das Gefühl, sich vorausahnend ohne Worte zu verstehen. Ueberraschend sprach einer oft die Gedanken des andern aus. Es war eine gemeinschaftliche Wurzel, aus der sie emporwuchsen. Vieles war bei Tieck erst in diesem Elemente lebendig geworden, er fühlte, Novalis sei seinem Wesen nothwendig. Er klagte, es sei ihm, als habe durch diesen Tod die Liebe selbst in ihm einen Riß bekommen. In der Ahnung eines frühen Todes hatte Novalis gewisse Papiere bezeichnet, die von Tieck oder F. Schlegel eröffnet werden sollten. Ihnen allein traute er das rechte Verständniß seiner Gedanken zu. Sie waren dadurch zu Vollziehern seines literarischen Testamentes bestimmt, das freilich nur zu zeigen vermochte, was der Dahingeschiedene bei längerm Leben der deutschen Dichtung hätte werden können. Von dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ war der erste Theil vollendet. Aus seinen Erinnerungen und den Gesprächen mit dem Freunde versuchte Tieck ergänzend auszuführen, wie ungefähr der Dichter dieses Buch abzuschließen gedachte. Dazu kamen seine nicht zahlreichen lyrischen Gedichte, und einige zerstreute Fragmente aus dem „Athenäum“ und andern Zeitschriften. Im Jahre 1802 erschien dieser Nachlaß unter dem Namen, welchen sich der Dichter nach einem Landgute, das seiner Familie gehörte, beigelegt hatte. Um Ostern desselben Jahres starben Tieck’s Aeltern, Vater und Mutter in einer Woche, an einer Krankheit. Zwei ihrer Kinder konnten sie zu Grabe geleiten. Die Tochter Sophie, die seit zwei Jahren an Bernhardi verheirathet war, und Friedrich, der nach mehrjähriger Abwesenheit soeben zurückkehrte. Friedrich Tieck hatte die künstlerischen Lehrjahre vollendet, und war auf dem Wege sich zu einem Meister der Kunst auszubilden. Das letzte Ziel jener Reise, welche er als Begleiter Wilhelm’s von Humboldt und Burgsdorff’s unternommen hatte, war Paris. Die großen Schätze alter und neuer Zeit, die sich hier angesammelt hatten, machten es zur Kunstschule. Zu Anfang 1798 trat er in die Akademie ein, um einen Lehrgang der Bildhauerei, dann der Malerei durchzumachen. Er arbeitete eine Zeit lang unter David’s Leitung; doch fand er in diesem Institute Eifer, Kunstsinn, Methode, ja selbst die Einrichtungen weit hinter dem zurückstehend, was er von der berliner Akademie kannte. Im Verkehre mit Humboldt und seiner Familie fehlte es ihm an bedeutender Anregung nicht. Auch lernte er manche interessante Persönlichkeit kennen. Er lebte im Umgange mit Gustav von Brinckmann, der bei der schwedischen Gesandtschaft stand, dem Baron Bielfeld, und Baggesen, der bald darauf nach Paris kam. Auch die Bekanntschaft der Staël machte er. Dennoch hatte er mitten in dieser reichen Welt Stunden und Tage des Kampfes, die an ähnliche Zustände seines Bruders erinnerten. Ihn erfüllte wie eine höhere Macht die Begeisterung für seine Kunst. Aber sie war zu stiller, zu friedlicher Natur, als daß sie in dem Strome großer politischer Bewegungen, in der Welt eines rastlosen Ehrgeizes sich hätte entfalten können. Die Politik widerte ihn an; er fühlte sich als einen Gegner dessen, der sie beherrschte, Bonaparte’s. Aber auch in sich selbst fand er keine Befriedigung. In das Studium der großen Meisterwerke wünschte er sich ganz zu versenken. Doch hier ergriffen ihn Muthlosigkeit, ja Verzweiflung. Er fühlte sich von ihrer Größe überwältigt, vernichtet. Seine Studien schienen ihm leerer Tand und Spielerei, ein nutzloses Ringen nach einem Ziele, das stets in weitere Ferne rückte. Er glaubte seinen Beruf verfehlt zu haben, und fühlte sich unverstanden und allein; das Heimweh ergriff ihn oft mit unwiderstehlicher Gewalt. Er sehnte sich nach dem geistigen Austausche, in dem er mit seinen Geschwistern gelebt hatte, doch nur selten erhielt er Nachricht von Hause; er glaubte sich vergessen. Seine Einsamkeit ward noch drückender, als Humboldt nach Spanien, Burgsdorff nach England reiste. Er dachte daran, die Anerbietungen Alexander’s von Humboldt anzunehmen, ihn nach Amerika zu begleiten. Sein ganzes Leben würde eine andere Wendung erhalten haben. Aber der Wunsch Italien, die Antiken auf dem classischen Boden selbst zu sehen, der Gedanke an seine Familie hielt ihn zurück. Endlich 1801 kehrte er heim. Er ging nach Weimar und Jena, machte die Bekanntschaft der Schlegel, und schloß mit dem ältern eine enge Freundschaft. Er lernte Goethe kennen, begann dessen Büste zu modelliren, und wurde durch diese und andere Arbeiten für einige Zeit an Weimar gefesselt. Nun kam er nach Berlin zurück, um der Mutter, deren Liebling er gewesen war, die Augen zuzudrücken. Sie starb an einer entzündlichen Brustkrankheit, die zuletzt in ein Nervenfieber überging. Der Tod der Mutter wirkte tödtlich auf den Vater. Er war in sich gebrochen. Laut klagend ging er Tage und Nächte lang im Zimmer auf und nieder. Still und lautlos folgte er dem Sarge, dann stellten sich ähnliche Krankheitszeichen bei ihm ein, bald war sein Zustand hoffnungslos. Acht Tage nach dem Tode seiner Frau that auch er den letzten Athemzug. In Folge dieses zwiefachen Todesfalls erkrankte die Tochter so heftig, daß man an ihrem Leben verzweifelte. Als Tieck in Dresden die erste Nachricht von der schweren Erkrankung der Mutter erhielt, war sie bereits gestorben. Gleich darauf folgte die Trauerkunde von dem Tode des Vaters. Der Lebensabend des alten Tieck war nicht ohne Leiden und Sorgen gewesen. Doch eine Genugthuung war ihm geworden. Er sah das reiche Talent seiner Kinder, für deren Erziehung er gearbeitet hatte, in voller Entfaltung, und zu den berühmten Namen des Vaterlandes hörte er auch den seinen zählen. Aus den engen Schranken des Handwerks, wo man nur ängstlich für das Heute arbeitete, waren sie hinausgetreten in den weiten Kreis des geistigen Lebens, um die kleinen und stillen Freuden und Leiden mit größern zu vertauschen. Unter diesen Eindrücken und Kämpfen ermattete bei Tieck die Kraft des dichterischen Schaffens. Auf die hochgehende Strömung der ersten zehn Jahre schien die Ebbe einzutreten. Zwar regten ihn Freunde und manche Ereignisse vorübergehend an. Aber meistens blieb es bei Entwürfen, es waren Ansätze und Versuche ohne Abschluß, ohne Lust, ohne Vertrauen. Im Jahre 1801 sah er Steffens in Dresden wieder. In lebhaftem Umgange bildete sich erst jetzt ein entschiedenes Verhältniß zwischen ihnen aus. Steffens wohnte in Tharand, häufig kam er nach der Stadt Tieck zu besuchen, in dessen Hause er bald heimisch ward. Auch bei dem Hofsecretär Ernst, einem sächsischen Beamten, der die Schwester der Schlegel geheirathet hatte, sahen sie sich oft. Steffens’ naturphilosophische Richtung kam ihm entgegen. Die Natur und ihre Geheimnisse, Poesie, Philosophie und Religion waren Gegenstände häufiger stundenlanger Unterhaltungen. Sie trafen zusammen in Jakob Böhme und den Mystikern. Aus diesen Gesprächen bildete sich jenes schauerliche Märchen „Der Runenberg“, in dem die Natur als dunkle und unwiderstehliche Macht erscheint, die den freien sittlichen Entschluß des Menschen vernichtet. Es war das Abbild der damaligen Stimmung Tieck’s. Im Walde, in der Pflanzenwelt wehte ein verwandter Hauch, der ihn geheimnißvoll durchschauerte. Er glaubte hineinzublicken in ferne, untergegangene Riesenwelten, und sie in ihren Erinnerungen wiederzuerkennen. In sich erfuhr er die uralten Wandlungen der Natur, von der Sage und Mythos dunkel erzählten; sie waren ihm nichts Vergangenes, sondern ein Gegenwärtiges. Natur, Geschichte, Poesie floß in eins, und es blickte ihm entgegen mit einem Auge der Liebe und des Schreckens zugleich. Der „Runenberg“ erschien in einem Taschenbuche für das Jahr 1802 im Druck. Durch Steffens war er früher in Giebichenstein mit einem jungen Landsmann desselben, Namens Möller, bekannt geworden, der ebenfalls, für deutsche Wissenschaft und Literatur begeistert, nach dem Süden gekommen war. Erzogen und aufgewachsen in dem strengsten Lutherthum, erfüllte ihn eine leidenschaftliche Abneigung gegen die katholische Kirche, welche er nur aus Büchern und den im Vaterlande herrschenden Ansichten kannte. In Gesprächen mit Tieck und Andern, ging er oft zur heftigsten Polemik über. Kaum ein christliches Element wollte er in ihr anerkennen, er meinte sie verhalte sich zum protestantischen Bewußtsein nicht viel anders als der Mythos der Griechen. Gegen so einseitige Angriffe vertheidigte Tieck die katholische Kirche von seinem Standpunkte aus. Auch sie sei eine Form des Christenthums, und zwar eine nicht minder berechtigte, außerdem sei sie die ältere. In den einzelnen Theilen des katholischen Cultus liege ein Sinn, der historisch wol anzuerkennen sei. Uebrigens werde das wahre Wesen der Frömmigkeit dadurch kaum berührt, denn zu allen Zeiten, wie auch jetzt noch, habe es unter den Katholiken fromme und wahrhafte Christen gegeben. Der junge Norweger wies diese Entgegnungen hartnäckig ab; er behauptete sogar, nur in seiner Heimat könne man das Abendmahl in voller Reinheit empfangen, und schickte sich bereits an deswegen dahin zurückzukehren. Plötzlich erkrankte er. Eine Umwandlung ging mit ihm vor. Alles was er über die Anerkennung der katholischen Kirche gehört und gelesen hatte, kam zu einem unerwarteten Durchbruch. Mit demselben ausschließlichen Eifer, mit welchem er vorher an dem Lutherthum gehangen hatte, umfaßte er nun den Katholicismus. Nur hier war die Wahrheit, nur im Schoose dieser Kirche Friede und Seligkeit. Bald darauf trat er über, und verbannte sich dadurch aus seinem Vaterlande für immer. Er heirathete eine ältere Schwägerin Tieck’s, und zog auch diese zu sich herüber. Sein Bekehrungseifer war erwacht. Alles was er je aus Tieck’s Munde gehört hatte, wandte er nun gegen ihn. Er sah in ihm einen schwachen und unentschiedenen Anhänger des Glaubens. Mündlich und schriftlich forderte er ihn auf wiederzukehren in den Schoos der wahren Kirche, als berühmter Mann ein großes Beispiel der Bekehrung zu geben, das von den glänzendsten Folgen begleitet sein werde. Nur mit Mühe erwehrte sich Tieck dieser Zumuthungen. Auf die Anerkennung des tiefen Sinnes, der in jeder echten Frömmigkeit ruht, welche Formen sie haben möge, war es ihm angekommen. Seine Neigung zum Mystischen, ein lebhaftes Gefühl der Gerechtigkeit hatten ihn getrieben, den alten Glauben der von den Aufgeklärten geschmähten katholischen Kirche anzuerkennen. Aber weil er dies that, sollte er darum seine Freiheit dem System, das jene Schätze bewahrte, aber in drückender Weise verwaltete, unterwerfen? Aus diesen Erfahrungen ging im Jahre 1802 der Entwurf einer Dichtung hervor, welche einen ähnlichen Bildungsgang darstellen sollte. Ein Jüngling begegnet den Verkündigungen des Wunders und der Heiligkeit der Religion, die er aus dem Munde eines Greises vernimmt, mit Spott und Zweifel. Niemals sind ihm ähnliche Gedanken gekommen. Aber seine Augen öffnen sich, die neue Offenbarung erfüllt bald sein Herz. Als ein Umgewandelter kehrt er zu dem Greise zurück, und verlangt die Aufnahme in die Kirche, welche er jetzt erst hat schätzen lernen. Aber nun eröffnet ihm der Greis zum zweiten Male ein neues Verständniß. Er klärt ihn darüber auf, wie er im Begriffe sei statt des Ewigen eine andere endliche, dem Mangel und Irrthum unterworfene Form zu ergreifen; er heißt ihn heimgehen und den gefundenen Schatz in seinem Innern bewahren. Um diese Zeit machte Tieck auch die Bekanntschaft einiger Maler, die eine ähnliche Richtung hatten; es waren Hartmann, Fridrich, und Philipp Otto Runge. Die beiden letzten, aus Schwedisch-Pommern gebürtig, in der Malerei vornehmlich der Landschaft zugewendet, machten diese zum Träger einer mystischen Symbolik. Besonders Runge hatte einen eigenthümlichen Mysticismus der Farben ausgebildet, in dem Kunst, Religions- und Naturphilosophie ineinander verschwammen. Er war tiefsinnig, streng gläubig, doch fern von aller Kopfhängerei, jugendlich kräftig, witzig und heiter. Schon früher hatte der „Sternbald“ einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; er schätzte sich glücklich, jetzt mit dem Dichter selbst befreundet zu sein, denn so gestaltete sich bald das Verhältniß beider. Tieck bewunderte ebenso sehr seinen Tiefsinn wie sein Talent, und nahm lebhaften Antheil an den berühmten symbolischen Kupferstichen, die vier Tageszeiten, die damals eben im Entstehen waren. Später sagte er von ihm, er habe die spielende Arabeske zu einem philosophisch-religiösen Kunstausdruck erziehen wollen. Auch Lafontaine, den er zur Zielscheibe seiner literarischen Satire gemacht hatte, lernte er während eines kurzen Aufenthaltes in Leipzig kennen. Eines Abends war er bei Mahlmann, dem Buchhändler und Schriftsteller, der auch zu den Gegnern Kotzebue’s gehörte. Hier traf er, außer F. Schlegel und einigen andern Bekannten, einen Mann, den nur der Zufall in diese Gesellschaft geführt haben konnte, da er mit den Wortführern unter den Anwesenden offenbar unbekannt, sich mit großer Unbefangenheit über seine eigenen schriftstellerischen Leistungen aussprach. In diesem fetten, rothen Manne hätte Niemand Lafontaine, den Verfasser so vieler thränenreicher Romane vermuthet. Endlich mußte ihm klar geworden sein, in welche bedenkliche Gesellschaft er gerathen sei, denn er entfernte sich stillschweigend. Kaum war er gegangen, als eine Flut des Gelächters und der Spottreden hinter ihm losbrach, über seine Romane, seine Persönlichkeit und Autoreitelkeit. Plötzlich aber wurde dieser Muthwille durch eine wohlbekannte Stimme mit den Worten unterbrochen: „Lieber Mahlmann, ich kann aus Ihrem Hause nicht hinausfinden!“ Es war Lafontaine, der unerwartet wie der steinerne Gast in der lustigen Gesellschaft wieder erschien. Da er die Hausthür verschlossen gefunden hatte, war er zurückgekehrt, und hatte, unbemerkt hinter den Kritikern stehend, ihre schonungslosen Reden eine Zeit lang schweigend angehört. Schnell unterbrach Schlegel die augenblickliche Bestürzung mit den Worten: „Da geht es Ihnen hier gerade so wie in Ihren Romanen, da können Sie sich auch nicht hinausfinden.“ Und nun fand Lafontaine den Weg aus dem Hause um so rascher. Es war stets eine Erholung für Tieck, wenn er dem steifen Ernste der großen Bühne, die er in Dresden nicht besser fand als in Berlin, entfliehen und sich an den harmlos volksthümlichen, oft auch wahrhaft albernen Spielen der Bretertheater in den Vorstädten erheitern konnte. In Dresden erwies ihm das Sommertheater auf dem Linke’schen Bade, wo eine wandernde Truppe spielte, diesen Dienst. Hier sah er das in seiner hohen Abgeschmacktheit kindisch unbefangene Liederspiel „Das Donauweibchen“, welches zu den beliebtesten Stücken des Tages gehörte. Einige von diesen Gestalten faßte er auf, und suchte sie zu Trägern eines phantastischen Märchens umzubilden. Auch entwarf er den Plan zu einer dramatischen Bearbeitung der „Magelone“, die zwischen „Octavian“ und „Genoveva“ in die Mitte treten sollte, und eine Tragödie „Niobe“ wollte er im Wettkampfe mit den Schlegel, die diesen Stoff ebenfalls zu behandeln dachten, schreiben. Zugleich trug er sich seit 1797 mit dem Gedanken eines Romans „Alma“, in dem er die Liebe, wie im „Sternbald“ die Kunst, verherrlichen wollte. Rasch, wie wechselnde Bilder, gingen diese Pläne durch seine Seele. Endlich kam ein anderer Gedanke zur Ausführung, den er schon 1800 mit A. W. Schlegel gemeinschaftlich gefaßt hatte, die Herausgabe eines Musenalmanachs. Daß dieser für das Jahr 1802 wirklich zu Stande gebracht wurde, war die Folge von Schlegel’s Thätigkeit und gewandter Geschäftsführung. Schiller’s „Musenalmanach“, der dem Werthe nach bei weitem die erste Stelle eingenommen hatte, war 1800 zum letzten Male erschienen. Hier hatten auch die Freunde Manches beigetragen. An den andern zahlreichen Almanachen fand sich Vieles auszusetzen. Bei der Art, wie man sie beurtheilt hatte, bei den hohen Anforderungen, die man machte, war es unmöglich, sich irgendeinem anzuschließen. Es entstand daher der Wunsch, einen eigenen Musenalmanach herauszugeben, zu dem nur die besten Freunde das Beste beisteuern sollten. Es lieferten außer den Herausgebern Friedrich Schlegel, Schelling unter dem Namen Bonaventura, Tieck’s Schwester und Bernhardi die hervorragendsten Beiträge. Was außer einigen Gedichten von Novalis von Andern herrühren mochte, war von geringerer Bedeutung. Zugleich ward diese Sammlung zu einem zwiefachen dichterischen Todtenopfer. Es galt nicht allein der Erinnerung an Novalis, den geschiedenen Dichter und Freund, sondern auch an Auguste Böhmer, jenes geistvolle junge Mädchen, das in hoffnungsvollster Jugend im Jahre 1800 dem Tode verfallen war. Zur Herstellung ihrer Gesundheit hatte Schlegel seine Stieftochter nach Boclet ins Bad begleitet, wo sie statt der Gesundheit den Tod fand. Ihrem Andenken widmete er unter dem Namen „Todtenopfer“ eine Reihe von Sonetten, die den Haupttheil des Musenalmanachs bildeten. Durch das Studium der Mystiker war Tieck mit den allgemeinen Gedanken des Mittelalters vertrauter geworden, es lag daher der Uebergang zur altdeutschen Poesie in ihrer ursprünglichen Gestalt nahe. Er hatte sie von seinem Freunde Wackenroder gewissermaßen geerbt; jetzt nahm er sie, etwa 1801, selbständig auf. Es war ein Seitenweg des dichterischen Lebens, den er einschlug. In diesen Werken fand seine Richtung auf das Tiefsinnige und Eigenthümliche, die Vorliebe für das Althistorische und für literarische Gelehrsamkeit ihre Befriedigung. Bald kam es zu Versuchen der Uebersetzung, Nachbildung und Umdichtung. Die fremde Dichterkraft beschäftigte ihn, während die eigene ruhte. Zunächst zog ihn das schwäbische Zeitalter an. In der Vergessenheit alter Drucke und Handschriften, von deren Dasein nur wenige Gelehrte Kunde hatten, und deren noch wenigere sie werthachteten, erkannte er die Schöpfungen einer volksthümlichen Dichtung, die aus dem Staube hervorgezogen, dem Verständnisse der Gegenwart wieder zugänglich gemacht werden müsse. Es kam darauf an, dem Volke die Denkmale seines Geistes, seine eigene Sprache zu deuten. Ein solches Unternehmen war damals, wo die Herbeischaffung der unentbehrlichsten Hülfsmittel mit großen Schwierigkeiten verbunden war, wo man nicht ahnte, daß sich auch hier eine Wissenschaft aufbauen könne, doppelt kühn und anerkennenswerth. Seine Begeisterung gehörte dazu, dieses Leben aus langem Schlafe wiederzuerwecken. An ihr haben sich dann jüngere Kräfte entzündet. Wie auch eine spätere, klüger gewordene Kritik über diese Versuche urtheilen möge, Tieck’s großes Verdienst ist es, den ersten einladenden Pfad durch die romantische Wildniß, durch den grünen, rauschenden Wald der ältern deutschen Poesie gebahnt zu haben, durch welchen jetzt manche befahrene Heerstraße führt. Die erste Frucht dieser Thätigkeit war die Uebersetzung der Minnelieder, die er 1803 dem Publicum übergab. 3. Ein alter Freund. Seit er Berlin verlassen hatte, dachte er daran, eine neue Heimat zu suchen. Aber wie lange dauerte es, ehe er sie fand! Während die Schwierigkeiten des Lebens wuchsen, Leiden und körperliches Ungemach zunahmen, fehlte es ihm an einem festen Herde. Und doch wollte er sich nicht binden. Einen Augenblick eröffnete sich die Aussicht auf eine dauernde Stellung und einen Wirkungskreis, der seinen Neigungen entsprach. Bei dem Stadttheater in Frankfurt a. M. suchte man 1801 einen Regisseur, der nicht Schauspieler, sondern dramaturgisch gebildeter Kenner des Theaters sein sollte. Brentano, seit den Zeiten in Jena ein warmer Freund Tieck’s, faßte den Gedanken, ihm diese Stelle zu verschaffen. Auch Frommann, der in Frankfurt Verbindungen hatte, nahm sich der Sache an. Durch ihn kam sie an Goethe, dessen Rath man schon bei ähnlichen Gelegenheiten eingeholt hatte. Doch wollte dieser in einem an Tieck gerichteten Briefe keineswegs zureden, die schwierige und schwankende Stellung anzunehmen. Während der Verhandlungen aber eilte eine Gegenpartei, das Amt in ihrem Sinne zu besetzen. Bald darauf kam ihm sein alter Freund Burgsdorff wieder nahe. Seit längerer Zeit hatten sie einander aus den Augen verloren; jeder war seines Weges gegangen. Während Tieck dichtete und mit sich kämpfte, hatte Burgsdorff die innere Unruhe, die Lust am vollen Leben und seinem Genusse in die Welt hinausgetrieben; er hatte das westliche Europa durchkreuzt. Nicht auf die gewöhnlichen Gebiete des Ehrgeizes führte ihn seine Neigung, nicht Aemter oder Stellen zogen ihn an. Auch er wollte frei und unabhängig sein, Erfahrung und Studium, Bildung und Genuß miteinander vereinen, das Leben in seinen wechselnden Gestalten an den Quellen kennen lernen. Sein abenteuerndes Reiseleben erinnerte an jene deutschen Edelleute des siebzehnten Jahrhunderts, die erst dann, wenn sie den reichern Süden und Westen kennen gelernt hatten, in dem eintönigen Vaterlande, auf ihren abgelegenen Landsitzen Ruhe fanden. Nach der Rückkehr aus Göttingen hatte er abwechselnd in Berlin und Dresden gelebt. Er gehörte zu den geistreichen und eleganten jungen Männern, die sich um Rahel sammelten. Dann begleitete er Wilhelm von Humboldt mit Friedrich Tieck nach Wien und Paris. Hier lebte er mitten im Strudel der gewaltigsten Weltbegebenheiten als stiller und genießender Beobachter. Der Verlauf der Revolution hatte seinen frühern Enthusiasmus abgekühlt. Im Jahre 1799 ging er nach Spanien, im Spätherbste nach London, wo er den Winter und den Sommer des folgenden Jahres in angenehmen Verhältnissen verlebte. Die Empfehlungen, die er mitbrachte, die Verbindungen, welche er in der Heimat hatte, eröffneten ihm die höhern Kreise. Mit Engländern, mit Deutschen und Franzosen verkehrte er. Im Hause des preußischen Gesandten Jakobi fanden sich die in London lebenden Preußen zusammen, zu denen sich auch andere Deutsche gesellten. Hier sah er den Grafen Neal, der mit den Verhältnissen des preußischen Hofes wohl bekannt war, die Grafen Degenfeld und Einsiedel und den dänischen Gesandten Wedell. Ein anderer Sammelplatz der Preußen war der kleine Hof, welchen der Markgraf Karl Alexander von Ansbach und Baireuth in seiner Zurückgezogenheit hielt. Nachdem er die Regierung seiner Stammlande niedergelegt, und als der Letzte der markgräflichen Linie an Preußen abgetreten hatte, heirathete er die Witwe des Lord Craven, und schlug seinen Wohnsitz in England auf. Brandenburgh-House, in Benham in Berkshire an der Themse, war als Fürstensitz von Geschmack und Eleganz auch bei den Engländern bekannt; man rühmte den Park, die Galerien, die trefflichen Pferdeställe. Der Markgraf führte seinen Hof mit dem üblichen Glanze kleiner deutscher Fürsten, aber ohne Sorge und Anspruch in einem Lande, wo man eben nicht geneigt war, Rücksicht auf ihn zu nehmen. Hier wurde auch Burgsdorff eingeführt. Der erste Empfang geschah am Spieltische. Der Ton war frei und ungezwungen, und gern verweilte er einige Tage in diesem gastlichen Hause. Der Markgraf war bequem, gesprächig, doch nicht ohne fürstliche Haltung. Nach dem ersten Diner zog er Burgsdorff in ein Gespräch über Deutschland und die Revolution. Mit Heftigkeit äußerte er sich über die deutschen Universitäten; er nannte den Geist ihrer Gelehrten einen revolutionären, besonders schalt er auf Schlözer und dessen Staatsanzeigen. Die Markgräfin hielt die Mitte zwischen der englischen Lady und der emporgekommenen deutschen Prinzessin. Sie sprach sich im Sinne aristokratischer Opposition aus. Sie klagte über den steigenden Druck der Taxen, über das damit verbundene Herabkommen der Gentry, von dem auch ihre Familie betroffen werde. Auch mit ihrem Sohne erster Ehe, Mr. Keppel, und einigen andern ihrer Verwandten ward Burgsdorff bekannt. Ein alter Kammerherr, ein Freund des Markgrafen, dessen Resident er lange Zeit in Italien gewesen war, das Abbild eines deutschen Hofbeamten des vorigen Jahrhunderts, geleitete ihn durch Schloß und Park. Alles war reich, bequem, fast verschwenderisch eingerichtet. Ein kleines Theater gab es, das nach dem Muster von Drurylane erbaut war. Auch an einer Jagdpartie fehlte es nicht, an welcher der Gast Theil nahm. Später wurde Burgsdorff durch den preußischen Gesandten dem Herzoge von York, dann dem Könige Georg vorgestellt. Dies verschaffte ihm Gelegenheit, Zeuge eines längern Gesprächs zwischen dem Könige, dem preußischen, und dem russischen Gesandten Woronzow zu sein. Es betraf die Revolution und einige Einrichtungen, die zu ihren Folgen gehörten, die Departementseintheilung, den neuen Kalender und Anderes der Art. Vor allen Dingen wünschte der Reisende Pitt, den Führer des Kampfes gegen die Revolution, zu hören. Im Januar 1800 wurde das Parlament eröffnet. Nach manchen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, den großen Mann auf seinem Schlachtfelde zu sehen. Der Gegenstand der Verhandlungen war nicht von Bedeutung, doch redete Pitt ausführlich. Umsomehr konnte die Aufmerksamkeit bei dem Redner verweilen. Beim ersten Anblicke entsprach er den Erwartungen nicht, die der Beobachter mitbrachte. Sein Wesen trug weder den Stempel des Edeln oder des Schönen, noch hatte sein Gesicht die charakteristische Häßlichkeit mancher anderer ausgezeichneter Menschen. Seine Bewegungen waren steif und eckig, zuweilen streiften sie an die Caricatur. Die Stimme war kräftig und volltönend, fast schien sie zu seinem Körper nicht zu passen. Es war der sittliche Anstand, die Würde, die Alles durchdrang, und ihm einen hohen Ausdruck verlieh. Er zeigte sich als Meister der Rede im großen Stil, Inhalt und Form beherrschte er, er stand hoch über ihnen. Seine Gründe waren schlagend; von den mildesten Aeußerungen stieg er bis zu den kräftigsten, je nachdem es der Augenblick erforderte. Mitunter nahm seine Rede den Lehrton an; aber dies schien nothwendig, da er einem großen Theile des Hauses die Sache erst nahebrachte und die leitenden Gesichtspunkte angab. Einen merkwürdigen Kreis bildeten die französischen Emigranten, die in großer Anzahl in London lebten. Burgsdorff verkehrte mit ihnen, ohne in ihre übertriebenen Ansichten einzustimmen. Der bedeutendste Mann war ohne Zweifel der Genfer Ivernois, bekannt als politischer und nationalökonomischer Schriftsteller. Aus Frankreich verbannt, stand er jetzt bei der schwedischen Gesandtschaft in London. Er war allseitig gebildet und besaß hohes Talent. Ihm am nächsten kam Montansier, ein ehemaliger Constitutioneller; der altfranzösische Emigrant in seiner vollen carikirten Einseitigkeit war ausgebildet in dem Abbé de Lisle. In ihrem hoffnungslosen Exil lebten diese Emigranten im sonderbarsten Hader untereinander, der bisweilen einen erbitterten Charakter annahm. Für sie war die wichtigste Frage, wer ~pur~ sei und wer nicht, wie weit Jemand mit der Revolution gegangen, wie früh oder wie spät er ausgewandert sei, oder ob er gar eine Zeit lang Dienste genommen habe. Bei den verschiedenen Erklärungen des ~pur~ kamen politischer Glaube und Fanatismus im vollsten Umfange zu Tage. Nach de Lisle’s Meinung konnte Niemand darauf Anspruch machen, ~pur~ zu sein, der je etwas von der englischen Verfassung gehalten, oder gar an die Möglichkeit ihrer Einführung in Frankreich gedacht hatte. Diese galten ihm höchstens für Moderantisten. Bailly hieß kurzweg ~scelerat~, Bonaparte ~homme infame~. Ueberwiegend aber nahmen Kunst und Leben im Großen den Reisenden in Anspruch. Die Neigung der jüngern Generation in Berlin für Theater und Literatur verließ ihn auch in London nicht. Im bunten Wechsel eines geräuschvollen Weltlebens behielt er Zeit genug, den Shakspeare mit Eifer zu lesen. Häufig besuchte er die Theater; er sah Kemble als Richard III., die Siddons in ihren Hauptrollen in Shakspeare’schen Stücken. Er besuchte Kirchen, Galerien und Fabriken, versäumte Märkte und Ausstellungen nicht, war Zuhörer bei den Proceßverhandlungen, und Zuschauer, wenn Gehenkte vom Galgen losgeschnitten wurden. Nach allen Seiten hin machte er sich mit dem Leben der Weltstadt bekannt. Endlich folgte eine Reise in die Provinzen und nach Schottland. Dazu hatte er sich mit Ivernois und einem Landsmanne, dem Landrathe von Vincke aus Minden, verbunden. Man besuchte Oxford und Birmingham, die Höhle von Castleton, sah die alterthümlichen Schlösser und Landsitze reicher und kunstliebender Lords, und hielt sich einige Zeit in Edinburg auf. Von hier gingen sie nach den Hochlanden. Bald darauf kehrte Burgsdorff nach der Heimat zurück, die er seit mehreren Jahren nicht gesehen hatte. Er wollte versuchen, auf seiner Scholle das stillere Leben des Ackerbauers, des Jägers zu führen. Ihm gehörte das Gut Ziebingen in der Neumark. Bald indeß verkaufte er es an seinen Oheim, den Grafen Finkenstein. Im Jahre 1801 sah er nach langer Trennung seinen melancholischen Jugendfreund in Dresden wieder. Beide hatten Vieles und sehr Verschiedenes erlebt, beide waren in mancher Hinsicht anders geworden, und doch im Grunde dieselben geblieben. Aber auch die alte Freundschaft war dieselbe. Dringend forderte Burgsdorff den Freund auf, ihm nach Ziebingen, wo er noch wohnte, zu folgen, und eine Zeit lang seine Heimat bei ihm aufzuschlagen. Tieck nahm diese Einladung an, und sie ward für ihn Veranlassung zu einer neuen Freundschaft. Im Jahre 1802 lernte er den Grafen Finkenstein in Madlitz bei Frankfurt an der Oder kennen. Der Graf war ein gebildeter und würdiger Mann. Ein Sohn jenes bekannten Ministers Friedrich’s des Großen, hatte er früher die juristische Laufbahn eingeschlagen, als Rath an dem berühmten Processe des Müllers Arnold Antheil genommen und sich fest und unerschrocken gezeigt. Jetzt hatte er den Staatsdienst verlassen, und lebte auf seinen Gütern, deren Verwaltung neben literarischen Studien und Liebhabereien seine Muße füllte. In Madlitz legte er einen berühmten Park an. Den Landbau übte er praktisch, dabei las und studirte er die ländlichen Dichter der Römer und Griechen, und versuchte sie sogar zu übersetzen. Seine Familie war eine der liebenswürdigsten, die Mutter wie ihre drei Töchter. Alles schien sich vereint zu haben, um ihre Erscheinung zu einer harmonischen zu machen. Nichts, was Kunst, Poesie und Literatur darbot, war ihnen fremd. Wie Goethe’s Bedeutung hier eine anerkannte und abgemachte war, so hatten auch schon die jüngern Dichtungen Eingang gefunden. Man las Tieck’s „Romantische Dichtungen“, und die Lieder aus dem „Sternbald“ wußte man auswendig. Die ernste Musik der alten italienischen Meister des strengen kirchlichen Stils war hier heimisch. Man hörte die im Norden Deutschlands sonst unbekannten Werke Marcello’s, Lotti’s und Palestrina’s. Mit der liebenswürdigsten und reinsten Gastfreundschaft nahm man den Dichter auf, und ein geistiger Verkehr entspann sich, der gerade in dieser Zeit beruhigend und erhebend auf ihn zurückwirkte. Der alte Graf, offenen und freien Blicks, verschloß sich den Anregungen des jüngern Zeitalters nicht, weil ihn keine gelehrten Theorien und Vorurtheile beschränkten. Gern ging er auf Tieck’s Ansichten ein, nachdem er ihn näher kennen gelernt hatte, und folgte dessen begeistertem Lobe Shakspeare’s und des Mittelalters in die ältere englische und deutsche Poesie. Gegen Ende des Jahres 1802 übersiedelte sich Tieck auf Burgsdorff’s Einladung mit Frau und Kind auf längere Zeit nach Ziebingen. Von den Erinnerungen an die alte Freundschaft und der Gegenwart kam man auf die Zukunft, und es entstand der Plan einer gemeinschaftlichen Rundreise durch Deutschland. Seit den Studienjahren hatte sich Tieck nur zwischen Berlin und Jena, Hamburg und Dresden bewegt. Im Juni 1803 brachen sie auf. Sie gingen über Guben nach Dresden, wo Tieck Fouqué sah, der damals noch preußischer Lieutenant, durch A. W. Schlegel angeregt, sich den jüngern Dichtern angeschlossen hatte. Eben fing er an, mit der ältern deutschen Poesie und den nordischen Sagenkreisen sich bekannt zu machen. Darauf schlugen sie den Weg nach Böhmen ein. Bei dem herrlichsten Wetter überstiegen sie die Nollendorfer Höhen, und blickten in das reiche böhmische Land hinab, das sich zu ihren Füßen ausbreitete. Doch als die Sonne sank, folgte auf den ersten Rausch des Entzückens ein verdrießliches Abenteuer. Statt, wie sie wünschten, Teplitz mit dem Abend zu erreichen, langten sie erst in der Nacht daselbst an. Des Weges unkundig, hielt der Fuhrmann in tiefer Finsterniß vor einem großen Thore, das die Einfahrt zum Gasthofe sein sollte. Nach mancherlei Fragen und Untersuchungen ergab sich, man stand vor dem Kirchhofe und hatte Einlaß begehrt. In Karlsbad trafen sie Novalis’ jüngern Bruder, Karl von Hardenberg, der sich unter dem Namen Rostorf als Dichter versucht hatte, ohne das Talent und den Tiefsinn des Bruders zu besitzen. Ein trefflicher Charakter, lebte er in der Erinnerung des Geschiedenen. Die Verbindung, in welche Tieck durch die Herausgabe des Nachlasses mit ihm gekommen war, ward zu einer persönlichen und freundschaftlichen. Dann betraten sie das Fichtelgebirge und den wohlbekannten Boden des Frankenlandes. Sie sahen die Ruine von Berneck, Erlangen, Pommersfelde wieder, und das geliebte Nürnberg. Ueberall wurden alte Erinnerungen aufgefrischt, und alte Bekanntschaften erneuert. Dann ging es nach Bamberg, weiter nach Würzburg und durch den Spessart nach Heidelberg, wo sie Daub und Creuzer sahen. In Heilbronn kehrten sie um. Sie gingen durch das Kocherthal, und im Andenken an Götz und Goethe, den Helden und den Dichter, besuchten sie Jaxthausen. In Kissingen standen sie am Grabe der Auguste Böhmer, und kamen endlich nach Liebenstein, wo sie, wie verabredet worden, mit Hardenberg wieder zusammentrafen. Durch diesen wurden sie dem Herzoge von Sachsen-Meiningen vorgestellt. Diesem begegnete Tieck bald darauf in einer Breterbude, wo ein Marionettentheater aufgeschlagen war, das er selbst nicht unbesucht lassen konnte. Hier saß der Herzog als Zuschauer, um einen rohen Kunstgenuß mit Badegästen, Soldaten und Bauerndirnen zu theilen, mitten in einem undurchdringlichen Tabacksdampfe, den er selbst nicht wenig vermehrte. Zufällig ward Tieck in einem öffentlichen Garten auch mit dem Schriftsteller Cramer bekannt, der als Forstmeister im Meiningischen lebte. Als unerschöpflicher Autor roher und geschmackloser Ritterromane, war dieser Mann oft Gegenstand seiner humoristischen Angriffe gewesen, wie ein Anderer desselben Schlages, den er früher in Tharand gesehen hatte, Schlenkert. Im eifrigen Gespräche saß Cramer im Kreise seiner Bekannten. Das Gesicht war pockennarbig, der Ausdruck platt und gewöhnlich, die Stimme hart und rauh. Die Pausen der Rede füllte er durch lange Züge aus einer großen Meerschaumpfeife; in dicken Qualmwolken blies er den Rauch umher. Er sprach in einer sonderbaren Mischung der überschwänglichsten und niedrigsten Redensarten, Schimpfwörter wurden in seinem Munde zum Ausdrucke der Anerkennung. Er erzählte von seinen alten Freunden. Es waren alle herrliche, erhabene, idealische Kraftmenschen; sie schienen die Urbilder seiner Ritter und Kämpen zu sein. Leider hatten die meisten von ihnen im Gefängnisse oder im Krankenhause ein elendes Ende genommen. Einen pries er vor Allen, welcher die größten undenkbarsten Gedanken gedacht habe; er würde ein ganz idealischer Mensch gewesen sein, wenn er nicht einen übelriechenden Athem gehabt hätte. Doch die Reise sollte mit einem Abenteuer enden, dem Schiffbruche ähnlich, welcher zehn Jahre früher die studentische Fahrt durch das westliche Deutschland beschlossen hatte. An der Bank zu Liebenstein wollte Burgsdorff sein Glück versuchen. Doch binnen kurzer Zeit verlor er bis auf einen dürftigen Rest das gesammte Reisegeld. So schnell als möglich eilte man nach Dresden, wo man Freunde und Unterstützung zu finden hoffte. Aber das Geld schmolz noch schneller. In Chemnitz mußten die Reisenden ihr Gepäck als Pfand zurücklassen, doch zum Glück fanden sie in der letzten Nacht in einem einsam gelegenen Forsthause gastfreie Aufnahme. Sie waren froh, Dresden endlich zu erreichen. Noch einmal war es ein Abenteuer aus der Jugendzeit, und wenn auch reich an Unbequemlichkeiten, dennoch unterhaltend und in der Erinnerung ein trefflicher Spaß. 4. Ein Naturdichter. Als Tieck in den folgenden Monaten in Dresden verweilte, gab es ein heiteres Erlebniß, welches sich den Reiseerinnerungen wohl anschloß. Er machte die Bekanntschaft des gefeierten Naturdichters Hiller. Es war eine eigenthümliche Fügung, daß dieser Mann ihm gewissermaßen gegenübergestellt wurde. Wenn Jemand, war Tieck ein Dichter von Natur und der Natur. Er hatte die Poesie geübt, ehe er ihre Bedeutung kannte, sie war sein Leben selbst. Jetzt fand sich ein Mann, den viele Aesthetiker von Fach für einen wirklichen Dichter erklärten, wie er unmittelbar aus der Hand der Natur hervorgegangen sei. Sie staunten ihn wie ein Wunder an, weil er, ohne den Schulcursus der Bildung durchgemacht zu haben, darauf verfallen war, einige Reime miteinander zu verknüpfen, um gewöhnliche Betrachtungen auszusprechen, die sich in schlichter Prosa hätten besser sagen lassen. Die Verherrlichung eines solchen Naturtalents hätte trefflichen Stoff für ein Capitel in der Literatur der Schildbürger gegeben. Hiller war nacheinander Fuhrmann, Strohflechter und Ziegelstreicher gewesen, als er in die Hände bildungseifriger Menschenfreunde gerieth, die ihn für ein Genie hielten, weil er Wieland’s Schriften las und zu einigen Reimen angeregt wurde. Seine Gönner erwiesen ihm einen zweideutigen Dienst, als sie ihn aus dem engen Leben herausrissen und nach Berlin brachten. In ihrem Eifer ruhten sie nicht eher, als bis er bei Hofe vorgestellt wurde. Dadurch wurde sein Ruf in weitere Kreisen verbreitet; nur ein ausgezeichneter Mann konnte so geehrt werden. Auch die Wissenschaft, die eben aufkommende Schädellehre, deren Orakel man anzustaunen begann, nahm sich des Genies an. Gall hatte an diesem Dichter seine Demonstrationen gemacht, und seine Lehre wurde durch die Natur selbst bestätigt. Er fand das Dichterorgan an ihm ausgebildet. Hiller, so erzählte man, hatte vor dem Katheder Gall’s gesessen, und dieser sollte die Zuhörer darauf angeredet haben: „Sie werden an diesem Manne durchaus nichts Bemerkenswerthes finden; es könnte sogar scheinen, er sei ein dummer Mensch. Dennoch ist er im Gegentheil ein großer Dichter!“ Tieck sah den bewunderten Naturdichter zuerst in Dresden im Theater, wo er Gegenstand der Neugier ward. Man gab ein schlechtes Ritterstück, „Kunz von Kaufungen“, dessen Verfasser ein gewisser Naumann war. Es machte auf den Natursohn einen bedeutenden Eindruck. Er erklärte es für ein treffliches Werk, und meinte, der Verfasser müsse ein Genie sein; er habe nicht geglaubt, daß ein berühmter Kapellmeister zugleich ein großer Dichter sein könne. Einige Tage darauf kam er zu Tieck, das Handwerk zu grüßen. Er sammelte Subscribenten für seine Gedichte, die als Beweis seines Talents herausgegeben werden sollten. Mit naiver Zuversicht behandelte er Tieck als seines Gleichen. Als dieser bemerkte, wie lästig das Sammeln von Subscribenten sei, ein Zeichen der Abhängigkeit des Schriftstellers vom Publicum, das ihn schließlich vergesse, antwortete mit schlauer Miene der Naturdichter zu seinem Troste: „Neh! Hören Se, wir zwee Beede sind dadrüber weg!“ 5. Schmerz und Krankheit. Die Sommerreise im Jahre 1803 war eine geistige Erfrischung gewesen, deren Tieck in seinem Trübsinn gar sehr bedurfte. Er litt nicht allein; schon seit längerer Zeit sah er auch seine Schwester leiden. Ihre Ehe mit Bernhardi war keine glückliche; man wünschte auf beiden Seiten eine Trennung. Auch Tieck zerfiel jetzt mit dem alten Freunde. Die Gesundheit seiner Schwester war tief erschüttert; sie mußte sich aus der Lage, in der sie sich befand, herausreißen. Ein südliches Klima sollte sie aufsuchen, am liebsten zu ihrer Herstellung nach Italien gehen. Sie wünschte dringend, der Bruder möge sie begleiten, der wie sie der Stärkung bedurfte. Zunächst beschloß Tieck, mit der Schwester nach München zu reisen, wo man dem ersehnten Lande des Südens soviel näher war. Hier verschlimmerte sich ihr Zustand seit dem Herbste 1804. Ihr Leben war in Gefahr, eine weitere Reise unmöglich; man mußte sich, so gut es gehen wollte, heimisch zu machen suchen. Manche Bekanntschaft ward indeß angeknüpft, mit Radlof, dem wunderlichen Sprachforscher, mit Sailer, dem frommen Bischofe, endlich mit Franz Baader, der für Tieck durch seine theosophische Weisheit der Merkwürdigste war. Als er den Philosophen zum ersten Male aufsuchen wollte, führte ihn der Zufall irre; statt zu Baader kam er zu Babo, der als Verfasser des „Otto von Wittelsbach“ damals der Bekanntere war. Früher würde ihm der Mann anziehender gewesen sein als jetzt. Er fand den Schriftsteller mitten unter den Apparaten für seine ritterlichen Dramen sitzend. An den Wänden des Zimmers hingen Waffen des Mittelalters. Nach einem gleichgültigen Gespräche verließ er ihn, um den rechten Baader zu suchen. Selten mag Jemand ein größeres Talent für die augenblickliche Rede besessen haben als Baader, und niemals trat es glänzender hervor, als wenn es Gegenstände tiefsinniger Wissenschaft, der Religion, der Philosophie betraf. Unaufhaltsam flossen dann seine Worte, jeden Einwurf brachte er zum Schweigen, die Gewalt seiner Ueberredung riß mit sich fort. Das nächste Thema, was beiden am Herzen lag, war Jakob Böhme. In einem dreistündigen Monologe ergoß sich Baader; die Unterhaltung hörte auf. Alles Verwandte aus andern Mystikern, was er sonst über sie gelesen hatte, war ihm gegenwärtig. Er zeigte eine umfassende Gelehrsamkeit in dieser Literatur, und Fülle der Gedanken, mystischen Tiefsinn. Doch war es selbst für Tieck’s damalige Ansichten des Geheimnisses, der orakelmäßigen Dunkelheit zu viel. Er vermochte ihm in die verschlungenen Gänge seiner Speculation nicht zu folgen. Später zeigten sich auch Schwächen, Widersprüche und Sonderbarkeiten. Er war ein erregbarer, schwer zu fassender Charakter, der oft unerklärlichen Einflüssen unterlag. Philosophischer Tiefsinn und Aberglaube, Haß und Liebe verbanden und durchkreuzten sich. Größere persönliche Wichtigkeit erhielt die Freundschaft mit Rumohr. Im Frühjahr 1805 kam dieser nach München. Enthusiastisch, rasch wechselnd in Gefühlen und Ansichten, schwankte er, weniger unentschlossen als zu lebhaft erregt, stets zwischen entgegengesetzten Richtungen. Doch für das Studium der Kunst und ihrer Geschichte hatte sich sein Talent bereits entschieden. Tieck’s Dichtungen kannte er, und als er dessen Anwesenheit in München erfuhr, eilte er ihn zu sehen. In der Begeisterung für die deutsche Kunst begegneten sie sich. Beim Abschiede schenkte ihm Rumohr als erstes Zeichen der neuen Freundschaft ein Bild Albrecht Dürer’s in altem Holzdruck. Bei wiederholten Besuchen glaubte Tieck zu erkennen, daß auch Rumohr sich in gedrückter Stimmung befinde. Endlich erfuhr er, sein neugewonnener Freund sei im Augenblicke in nicht geringer Verlegenheit. Er habe die Heimat verlassen, um katholisch zu werden und in ein Kloster zu gehen, da er der Welt überdrüssig sei; in einem zurückgelassenen Briefe habe er dies den Seinigen angezeigt. Diese schienen sich in Folge dessen von ihm losgesagt zu haben, und er sei für jetzt mittellos. Den raschgefaßten Entschluß mochte er schon bereuen, denn er ließ sich von Tieck, der zu helfen versprach, soweit er es vermöge, bereden, durch einen versöhnenden Brief an seine Familie den Frieden herzustellen. Auch er war ein unberechenbarer Charakter. Ein Gedanke, ein Gefühl beherrschte ihn stets ausschließlich. Dann gab es für ihn kein zweites. Er schien nie anders gewesen zu sein, nie anders sein zu können. Doch eine unscheinbare Veranlassung reichte hin, ihn in die entgegengesetzte Stimmung hineinzuwerfen, und es wiederholte sich auf der andern Seite dieselbe Erscheinung. Er war gutmüthig, liebenswürdig, aufopfernd; dann plötzlich kalt, fremd, abstoßend. Es war nicht mehr derselbe Mensch. Er war bescheiden und anmaßend, nachgiebig und hochfahrend, wankelmüthig und eigensinnig, Cyniker und Elegant, Demokrat und Aristokrat zugleich. Gegen Tieck zeigte er die freundschaftlichste Ergebenheit, und bald fand er Gelegenheit, sie durch die That zu bewähren. Noch war Tieck’s Schwester nicht hergestellt, als er selbst lebensgefährlich erkrankte. Die Gicht, die ihn seit Jena heimsuchte, trat mit nicht gekannter Heftigkeit auf. Wahrscheinlich hatte schon früher eine äußere Veranlassung die Krankheit vollständig entwickelt. Ohne ein Jagdliebhaber zu sein, hatte er einmal an einer Entenjagd Theil genommen. Mit durchnäßten Kleidern mußte er sich dem Zugwinde aussetzen; auf dem Leibe waren sie ihm getrocknet. In den verschiedensten Gestalten erschien jetzt die Krankheit, bald als reißender Gliederschmerz, bald warf sie sich auf die innern Theile. Auch der Gesundheitszustand der Schwester verschlimmerte sich. Es hieß, nur in Italien werde sie Rettung finden, sobald irgend thunlich, sollte sie abreisen. Er selbst stimmte diesem Rathe bei. Man hatte den jüngern Bruder gebeten, ebenfalls nach München zu kommen. In dieser Hoffnung trat die Schwester die Reise an. Jetzt nahm sich Rumohr, der mit Tieck zusammenwohnte, des Kranken mit unermüdlicher Sorgfalt an. Nicht Tag, nicht Nacht wich er von seinem Lager, er schaffte herbei, was ihm Erleichterung gewähren konnte, er bewachte und pflegte ihn mit der Treue eines Bruders. Tieck litt wie noch nie. Des Gebrauchs der Glieder war er beraubt, Schmerzen, Fieberhitze, die furchtbarsten Träume quälten ihn unablässig. Die ganze Gewalt seiner Phantasie war entfesselt. Mit zerschlagenen Gliedern, als Leiche sah er sich auf weitem Schlachtfelde, in tausendfacher, grausiger Wiederholung. Sein Arzt war ein Brownianer, und behandelte ihn mit den stärksten Mitteln. Während den Kranken ein unauslöschlicher Durst quälte, war ihm jedes Getränk auf das strengste untersagt. Seinen lauten Klagen setzte der Arzt die Forderung der Geduld und die Vertröstung auf einen baldigen bessern Erfolg entgegen. Aber er lechzte nach einem Tropfen Wasser, er sah und träumte nichts als kühlende Getränke, Citronen und Orangen. Endlich beschloß er, der Sache auf eigene Hand ein Ende zu machen. Eines Morgens ließ er sich ein großes Glas frischen Wassers bringen, eine Limonade mußte bereitet werden. Mit unersättlicher Gier trank er in wenigen Zügen die ganze Masse aus. Ein solcher Trank konnte nicht ohne Wirkung bleiben; er fing an sich leichter, ruhiger zu fühlen. Als der Arzt erschien und seinen Zustand sah, verkündete er mit triumphirender Miene, das sei der verheißene Erfolg seines Systems. Das war dem Kranken zu viel. Nicht ohne Ingrimm erzählte er, nicht seinem Systeme, sondern der Limonade verdanke er die Erleichterung. Voll Verwunderung meinte der Arzt jetzt, in Folge der Menge genossenen Wassers hätte er eigentlich den Tod haben müssen, worauf ihm Tieck andeutete, daß er nach solchen Erfahrungen auf seinen fernern Rath mit Vergnügen verzichte. Trotz der Schmerzen erwachte doch die Sehnsucht nach literarischer Beschäftigung. Zuerst nahm er die altdeutschen Studien wieder auf. Schon früher war er von den Minnesängern zu den Nibelungen übergegangen, er hatte sie eifrig gelesen und sich an den nationalen Heldengestalten gestärkt. Mit A. W. Schlegel war mancher Brief darüber gewechselt worden. Bei vorschreitendem Studium zog er die nordischen Poesien, die Edda, die Wilkinasage in seinen Kreis. Zuletzt war ihm der Gedanke entstanden, auch dieses Heldenlied nachzudichten. Da er Lücken zu entdecken glaubte, beschloß er nach Anleitung der verwandten Sagen zu ergänzen und abzurunden. In erneuter Gestalt sollte das alte Volksgedicht erscheinen. Schon im Winter 1804 las er in Ziebingen die ersten Proben dieser Umarbeitung dem Grafen Finkenstein vor. In München hatte er die Schätze der Bibliothek benutzt. Von dem schlechten Abdrucke bei Müller war er auf die dortige Handschrift zurückgegangen, und erkannte nun die strophische Form, auf welche A. W. Schlegel schon früher aufmerksam gemacht hatte. In der Genesung begann er die Arbeit von neuem. Noch war er zu schwach, die Feder selbst zu führen, seine Hand war gelähmt. Daher übernahm es Rumohr, nach seinem Dictate die Verse niederzuschreiben. Aus den Unterhaltungen mit diesem ergab sich für ihn ein neuer Stoff. Viel und eifrig beschäftigte sich Rumohr mit italienischer Literatur, besonders mit der ältern Novelle. In Bandello’s Sammlung fand er eine Erzählung, die ihn anzog; sie behandelte die Geschichte Balduin’s, des ersten lateinischen Kaisers von Konstantinopel. Unter dem Titel „Der griechische Kaiser oder die hochgehängte Hoffart“ wollte er sie in Versen bearbeiten. Aber abspringend, wie er war, ward er bald des Dinges überdrüssig; dagegen fing Tieck an, diesen Stoff zu gestalten. Zuerst wollte er ihn in der Weise der spanischen Dramen darstellen. Indeß auch er kam in seinem krankhaften Zustande zu keinem bestimmten Ergebnisse, und dieser Plan blieb liegen, bis er dreißig Jahre später in ganz anderer Gestalt in der bekannten Novelle zur Ausführung kam. Endlich traf Friedrich Tieck in München ein, und übernahm die Sorge für den Kranken, der allmälig zu genesen begann. Jetzt trat auch der Gedanke, der Schwester nach Italien zu folgen, in den Vordergrund. Die Aerzte verordneten den Gebrauch der Bäder von Pisa, und verhießen Herstellung unter dem lauen italienischen Himmel. Längst waren Friedrich Tieck’s sehnlichste Wünsche dahin gegangen. Auch Rumohr, der den Plan mit Eifer ergriff, hoffte seine Kunststudien dort fortzusetzen. Auf seinen Betrieb gesellten sich die Gebrüder Riepenhausen, als Zeichner und Maler bekannt, zu ihnen. Eine vollständige Reisegesellschaft hatte sich zusammengefunden. Aber unvermuthet schlug es bei Rumohr um. Er, der die Sache am eifrigsten betrieben hatte, erhob allerlei Einwendungen. Die neugeworbenen Reisegefährten misfielen ihm, er zeigte sich verletzt und empfindlich, und erklärte endlich, zur Reise jetzt keine Zeit zu haben. Längst habe er gewünscht, gründlich Hebräisch zu lernen, es biete sich nun eine treffliche Gelegenheit dar, die er nicht dürfe vorübergehen lassen; er habe einen gelehrten alten Juden kennen gelernt, der bereit sei, ihn zu unterrichten. Nun beschloß Friedrich Tieck, den Reiseplan um jeden Preis zu retten. Er besaß die Gabe eines nachdrücklichen Freimuths, der, wo es erforderlich war, in die offenste Grobheit übergehen konnte. Mit der ganzen Kraft dieser Beredtsamkeit setzte er Rumohr auseinander, wie es seine Pflicht sei, bei der getroffenen Verabredung zu bleiben, wie er sich überhaupt ändern müsse, wenn er sich durch sein unstetes, abspringendes Wesen nicht zu Grunde richten wolle. Auf diese Ermahnungen ging Rumohr wirklich in sich. Endlich waren alle Vorbereitungen glücklich beendet, und im Sommer 1805 brachen sie nach dem gelobten Lande auf, in dem sie Kunst, Heilung und Frieden zu finden hofften. 6. Der italienische Himmel. Ihr Weg führte sie durch Tirol nach Trient, dann nach Verona, dessen Mauern schon die reichsten Erinnerungen einschlossen. Hier war die große Arena. In einem armseligen Ausschnitte, der mit Bretern abgeschlagen war, sahen sie Werther’s und Lottens Geschichte, die zum italienischen Familienstücke umgewandelt war, unter reichlichem Thränenergusse der Zuschauer darstellen. Sie sahen die prächtigen Denkmäler der Scaliger und den dürftigen Stein, welchen man als Julia’s Grab zeigt. Dann gingen sie über Mantua nach Florenz. Der Gebrauch der Bäder in Pisa mußte aufgegeben werden, da man den Aufenthalt daselbst in der heißen Jahreszeit allgemein widerrieth. Endlich betraten sie Rom. Tieck war in jener ewigen Stadt, wo die Strömungen des christlichen und antiken Lebens zu einem gewaltigen Weltstrome sich verbinden! In Begleitung des Bruders und ergebener Freunde war er gekommen, die Schwester und andere Freunde sollte er finden; unter diesem Himmel war ihm Genesung verheißen, nach dieser Natur, nach diesen Kunstwerken hatten alle Wünsche hingedrängt, wie hatte er sich gesehnt, aus dieser Quelle des Lebens den heißen Durst zu löschen! Hier, so schien es, wenn irgendwo auf der Erde, mußte er finden, was er suchte. Noch auf der Reise hatte er mit heftigen Anfällen der Krankheit gekämpft und einige Male gefürchtet, zurückbleiben zu müssen. Die Wohnung, welche er am Monte-Cavallo bezog, trug den heitern italienischen Charakter. Schon der Blick aus dem Fenster auf den kleinen Garten vor der Thür, wo zwischen Orangen- und Citronenbäumen friedlich und still zwei Springbrunnen rauschten, erquickte ihn. Wie anders war es hier, als unter den Kiefern der Heimat! Aber er war derselbe mit seiner Krankheit und seinem Grame. Hier im Lande seiner Sehnsucht, mitten in dem Reichthume dieses Lebens, ergriff ihn wieder ein schmerzliches Heimweh nach dem dürftigen und geschmähten Boden, an dem dennoch sein Herz hing, und auf dem so Vieles lebte, was ihm theuer war. So ward ihm auch die erste Zeit in Rom zu einer unendlich traurigen. Mit Schmerzen ringend, schlich er am Stocke durch die Straßen, über die Plätze. Oft trat die Gicht in den Arm, in die Hand, welche, auf dem Stocke ruhend, die ganze Wucht des schweren und hinfälligen Körpers zu tragen hatte. Durch die Eindrücke, welche er erhielt, wurden ihm diese mühseligen Spaziergänge zur zwiefachen Qual. In den Straßen Roms kehrten ihm die angstvollen Empfindungen seiner Jugend wieder. Wenn er zwischen den Palästen und Ruinen hinging, von denen er oft geträumt hatte, und sich sagte, jetzt stehe er auf dem Boden Roms, wenn er auf sich und seine Hülflosigkeit sah, wie die Last der Krankheit ihn zu Boden drückte, dann erfaßte ihn eine unnennbare Angst, ein Entsetzen vor sich selbst, vor den Dingen, die ihn umgaben. Fremd, gespenstisch, traumartig erschienen sie. Alles verkehrte sich. Seine Jugend mit ihrer Sehnsucht war die Wirklichkeit, die Gegenwart ein Traum, aus dem er vergeblich zu erwachen rang. Mußte er so hier erscheinen, gebrochen, das Herz von Gram erfüllt, er, der einst kräftige, begeisterte Jüngling? War er es wirklich? Schadenfroh erhob sich aus seinem Innern eine Stimme: „Was du einst so inbrünstig gewünscht hast, ist dir jetzt zu deiner Pein gewährt.“ Qualvoller noch waren die Nächte, wenn er umsonst die Augen schloß, und der Schmerz ihn wach erhielt, bis der Morgen graute. Da murmelten die Springbrunnen so traurig, und in das Rauschen des Windes hallten eintönig klagend die Glocken der nahen Klöster hinein. Es war die schwermüthige Begleitung seiner trüben Gedanken. Jeder alte Gram stieg wieder in seinem Herzen auf, und er ward ihm von neuem zur Beute. Oft brach er in heiße Thränen aus, die doch keine Linderung brachten. War er endlich eingeschlafen, so begann eine neue schrecklichere Qual. Die gräßlichsten Bilder kamen ihm in seinen Träumen. Sie verfolgten ihn am Tage; er wagte nicht daran zu denken, noch weniger davon zu sprechen, und doch standen sie vor ihm und wichen keinem Wechsel der Gegenstände. So begann sein Tag und endete mit Schmerzen; Furcht und Entsetzen lösten einander ab, er schien gekommen um ganz elend zu werden. Und dieser grauenhafte Zustand dauerte Wochen, Monate lang. Genesung sollte er unter dem italienischen Himmel finden! Und er fand sie trotz jener furchtbaren Angst, die ihn wieder bis zum Wahnsinn fortzureißen drohte. Seine ursprünglich starke Natur arbeitete sich durch Krankheit und Schwermuth durch. Dazu that die italienische Sonne das Ihre; allmälig erweckte sie die gesunkene Lebenskraft. Instinctmäßig suchte er sonnige Plätze und Straßen auf. Stunden lang setzte er sich mit Behagen den vollen Sonnenstrahlen aus, und ließ sich durchwärmen, niemals konnte es ihm zu heiß sein. Mit Verwunderung sahen selbst Römer dem kranken Spaziergänger nach, der an der Spanischen Treppe in der Mittagssonne unermüdlich auf- und niederging. Diese Cur schlug endlich an. Mit der allmäligen Befreiung kehrte die Theilnahme am Leben wieder. Sein Auge, das der Schmerz geschlossen hatte, öffnete sich der großen Gegenwart, die ihn umgab. Jetzt erst sah er im Vatican die Werke Rafael’s, und alle Denkmale, zu denen er schon vor Jahren seinen Sternbald geführt hatte; Michel Angelo’s jüngstes Gericht und die Peterskirche, die er verherrlicht hatte, ohne sie gesehen zu haben. Auf dem Capitol und in den Riesenbauten des Colosseums trat ihm der alte Römergeist näher als jemals zuvor. In diesen Trümmern fand er jene Größe, welche moderne Forscher ihm bisher vergebens gepriesen hatten. Auch das Grab der Cäcilia Metella suchte er auf, jene Gegend, die er zum Schauplatz einer furchtbaren Episode im „Lovell“ gemacht, und die er als Jüngling zu beschreiben gewagt hatte. Hier mußte er staunen, wie nahe er der Wirklichkeit gekommen war, er glaubte nicht zum ersten Male unter diesen Ruinen zu stehen. Mit der Kunst und Natur verbanden sich die Wirkungen des kirchlichen Lebens. Beruhigend und erhebend kamen sie ihm entgegen; er sah den Cultus im vollen Glanze, welchen er in der Heimat oft gegen die Angriffe der Eiferer in Schutz genommen hatte. Alle Stufen der hohen kirchlichen Feste machte er durch; die heilige Woche mit ihren Musiken und Messen bis auf den Segen, welchen der Papst vom Altan herab der gläubigen Menge ertheilt. Auch in die gesellige Welt trat er ein. Hier fand er seine Schwester bereits heimisch. Mit bedeutenden Personen stand sie in Verbindung, obgleich auch sie noch stets leidend war. Der Erzherzogin Marianna von Oestreich, der Schwester des Kaisers, die in Rom in Zurückgezogenheit lebte, war sie bekannt geworden. Helfend und schützend hatte diese sich ihrer angenommen, und sie in die Kreise ihres Umganges hineingezogen. Tieck lernte in der Prinzessin eine edle und geistvolle Frau kennen. Auch mit einigen hohen Würdenträgern der Kirche ward er bekannt, mit dem Cardinal-Großvicar, einem angenehmen und unterrichteten Manne, und dem Cardinal Somaglio, der ihm manche Freundlichkeit erwies. Für die Deutschen war das Haus des Prinzen von Sachsen-Gotha ein gastlicher Sammelplatz. Dieser Fürst liebte es, Gesellschaften, ausgezeichnete Reisende und Landsleute um sich zu versammeln. In seinen Cirkeln verlebte man heitere Stunden. Indeß war die deutsche Theaterliebhaberei auch hier zu Hause, und selbst in Rom, unter den mächtigsten Eindrücken, konnte man das kleine heimische Vergnügen, und den Lieblingsschriftsteller, an dessen Umgang man gewöhnt war, nicht vergessen. So geschah denn das Unerhörte. In Rom, wo Tieck von den Thorheiten des Vaterlandes weit entfernt zu sein meinte, mußte er seinem Antipoden Kotzebue begegnen. Und nicht allein das; er mußte ihn feiern helfen, wenn er gegen den Prinzen, der ihn auszeichnete, nicht undankbar scheinen wollte. In dieser deutschen Hofgesellschaft war beschlossen worden Kotzebue’s Lustspiel, „Der Wirrwarr“, aufzuführen. In Tieck hatte man eine bühnenkundige Autorität gefunden, er wurde daher aufgefordert die Rolle des Regisseurs und Souffleurs zu übernehmen. Von der Pflicht selbst als Schauspieler aufzutreten, rettete ihn sein Leiden. Aber die wiederholten Proben wurden ihm nicht erspart, die man mit allem pedantischen Kunsteifer anstellte, um schließlich eine gewöhnliche Darstellung eines noch gewöhnlichern Stückes zu eigenem Vergnügen zu Stande zu bringen. Sonderbar mischte sich mit der Frivolität naive Frömmigkeit. Eine Hauptrolle war einer jungen Gräfin zugetheilt. Mit sichtlicher Lust, und doch niemals ohne die unerläßliche Angst, spielte sie ihr Theil ab. So oft sie aus den Coulissen trat, unterließ sie nicht das Kreuz zu schlagen. So gerüstet glaubte sie muthiger an das Thorenwerk gehen zu können. Tieck sah es als reichliche Buße an, die er in Rom für alle literarischen Sünden zu leisten habe, daß er als Einhelfer verdammt ward, ein Lustspiel gerade dieses Mannes nicht in einer, sondern in allen Rollen auswendig zu lernen. Ihm wurde in der That eine Strafe auferlegt, die er in seinem „Jüngsten Gericht“ muthwilligerweise seinen Gegnern zuerkannt hatte. Auch im Hause Wilhelm’s von Humboldt, der in Rom preußischer Resident war, fand er freundliche Aufnahme. Ebenso sah er Elise von der Recke wieder, die sich von ihrem Freunde Tiedge hatte nach Rom führen lassen. Auch in die Kreise der Künstler wurde er durch seinen Bruder und Rumohr eingeführt. Doch unter allen Deutschen war ihm keiner merkwürdiger als der Maler Müller, dessen Dichtungen ihn früher in hohem Grade angezogen hatten. Als er sich nach der Vollendung der „Genoveva“ im Sommer 1800 in Hamburg aufhielt, hatte er Müller’s Manuscript zum zweiten Male zur Hand genommen. Er las die Arbeit des Vorgängers mit doppelter Theilnahme, und erkannte wie verschieden beide Gedichte seien, und daß sie darum wol nebeneinander stehen könnten. Erschien Manches in Müller’s Tragödie übertrieben, fast roh, so hatte sie dennoch große dichterische Züge, und er sah es als ein Unrecht an, ein so eigenthümliches Werk der öffentlichen Kenntniß zu entziehen. Dann war er zu den verschollenen Idyllen übergegangen. Es waren Naturbilder im kräftigsten Stile, fern von der gezierten Natürlichkeit, welche seit Geßner den sogenannten ländlichen Dichtungen eigen war. Voll Eifer, das Andenken des Dichters herzustellen, ließ er später durch den Architekten Genelli wiederholt bei Müller anfragen, ob er die Herausgabe der „Genoveva“ verstatte, ohne daß er eine Antwort erhalten hätte. Auf der Sommerreise 1803 machte er in Erlangen die Bekanntschaft des reformirten Predigers Le Pique. Dieser Mann, der für Poesie und Literatur eine lebhafte Theilnahme zeigte, war ein Bewunderer Müller’s. Wie dieser ein geborener Pfälzer, war er mit den Verhältnissen in Manheim und der dortigen Buchhandlung, in deren Verlag die ersten Drucke erschienen waren, bekannt. Er erbot sich, die erforderlichen Schritte zu einer Erneuerung des literarischen Andenkens Müller’s zu thun. Jetzt sah Tieck in Rom den sonderbaren Mann selbst. Hier war Müller seit fast dreißig Jahren eine bekannte Figur. Früher hatte er von einer kurpfälzischen Pension gelebt, die jedoch in Folge der Kriegswirren nicht weiter gezahlt worden war. Ohne als Künstler productiv zu sein, hatte er sich mit antiquarischen und kunsthistorischen Studien beschäftigt. In Folge seiner Bekanntschaft mit Rom und dessen Schätzen pflegte er bei angesehenen Fremden den Cicerone zu machen. Er gehörte zu den Deutschen, welche mit dem Vaterlande gebrochen hatten. Manche Hoffnungen und Erwartungen waren ihm daheim unerfüllt geblieben. Dazu waren noch persönliche Verwickelungen gekommen. Er glaubte sich zu wenig anerkannt. Ein Altersgenosse Goethe’s, selbst leidenschaftlich bewegt, ward er durch diesen in den Schatten gestellt. Verstimmt schied er vom deutschen Boden. Jetzt fast verschollen, rächte er sich durch Vergessen und Geringschätzung an der Heimat. Dennoch hatte er der Poesie und Schriftstellerei nicht ganz entsagt, nur waren seine spätern Producte von dem naturwahren Charakter der frühern weit entfernt. In Rom kannte man Müller’s Schwächen und Sonderbarkeiten aus langer Erfahrung. Zu manchen komischen Anekdoten hatte er Veranlassung gegeben durch seine Neigung zu lächerlichen Uebertreibungen und Prahlereien; auch der Bekanntschaft, ja der Freundschaft Goethe’s hatte er sich früher gerühmt. Als nun die Nachricht kam, Goethe werde nächstens in Rom eintreffen, baten ihn einige Deutsche vorsorglich, sie mit dem großen Dichter bekannt zu machen, was er auch willig zusagte. Eines Tages hieß es, Goethe sei wirklich angekommen, man wollte ihn bereits einige Male zu einer bestimmten Stunde des Tages an der Spanischen Treppe gesehen haben. Müller wurde aufgefordert sein Wort zu lösen. Man begab sich an Ort und Stelle. Goethe kam, doch Müller, der voreilig vermuthet haben mochte, man wolle ihn irreführen, sagte mit entschiedenem Tone: „Ich kenne Goethe! Der da ist es nicht!“ In dieser Weise lernte ihn auch Tieck kennen. Er zeigte sich zuerst mistrauisch, dann absprechend und rechthaberisch; alles kannte er besser oder hätte es besser machen können. Er verfiel nicht selten in einen aufschneiderischen Ton, und die Wahrheit war schwer zu ermitteln, da es kaum zu erkennen war, ob er täuschen wolle oder sich selbst täusche. Später kam er mit seiner Ansicht über Goethe offener hervor. Er kritisirte ihn scharf, und war weit entfernt in die allgemeine Bewunderung einzustimmen; ihn erfüllte Eifersucht, seine Stimmung war herb, fast bitter. Als einst von der „Iphigenia“ die Rede war, meinte er, das sei nichts, auch er habe eine Iphigenia gedichtet, das sei ein ganz anderes Werk, da werde man erkennen, wie das antike Drama zu behandeln sei; gelegentlich werde er es Tieck einmal mittheilen. Obgleich dieser wußte, was er von solchen Reden zu halten habe, unterließ er doch nicht Müller an das gegebene Versprechen zu erinnern. Er erhielt indeß nie einen andern Bescheid, als daß er zu seiner Zeit jenes geheimnißvolle Drama schon kennen lernen solle. Doch kam diese Zeit nicht, solange Tieck sich in Rom aufhielt. Ein anderes Mal erzählte Müller mit der größten Zuversicht, einst sei ihm in Manheim der Teufel erschienen; die Gesichtszüge des Bösen hätten sich ihm so fest eingeprägt, daß es ihm gelungen sei, ein wohlgetroffenes Porträt zu entwerfen. Zugleich brachte er die Skizze eines Kopfes zum Vorschein, der in der That eigenthümlich genug aussah. Ein besserer Gegenstand der Unterhaltungen waren Müller’s ältere Dichtungen. Tieck erzählte ihm, sie seien in Deutschland keineswegs vergessen, vielmehr habe sich ein jüngeres Geschlecht mit Theilnahme dem Anfange der deutschen Poesie in den siebenziger Jahren zugewendet. Gewiß werde eine Sammlung derselben, da sie bereits zur literarischen Seltenheit geworden seien, mit großem Beifall aufgenommen werden. Müller ging darauf ein, und ermächtigte ihn eine neue Ausgabe zu veranstalten, und die „Genoveva“ darin aufzunehmen. Auch verwies er ihn auf eine bedeutende Anzahl alter Papiere, welche er in einen Koffer gepackt, bei der Abreise aus Deutschland auf dem Lager der Schwan’schen Buchhandlung in Manheim zurückgelassen habe. Endlich war Tieck auch zu den eigenen altdeutschen Studien zurückgekehrt, sobald es seine Gesundheit erlaubte. Nicht ohne Unterbrechungen vermochte er zu arbeiten, aber der glückliche Augenblick förderte ihn doppelt. Auf der Vaticanischen Bibliothek fand er reiche Schätze dieser Literatur. Dem Cardinal Somaglio verdankte er eine seltene Begünstigung. Man wies ihm ein eigenes Zimmer zur Arbeit an, und verstattete ihm selbst während der Ferien den Zutritt. Seine gelehrten Forschungen wurden zum heilsamen Gegengewichte gegen körperliche und geistige Leiden. Indem er Handschriften abschreibend, vergleichend und ausziehend, eine reiche Ernte hielt, bildete sich der Gedanke aus, eine umfassende Nachricht von den deutschen Handschriften im Vatican, dann eine Geschichte der altdeutschen Poesie aus denselben zu geben. Zunächst blieb er bei dem Heldenliede und den Nibelungen stehen. Das Gedicht vom „König Rother“ und andere Stücke der Heldensage schrieb er ab; auch die karolingische Sage, „Tristan und Isolde“, den „Titurel“ und anderes zog er herbei. Als er sicherer geworden war, entwickelte er eine unermüdliche Ausdauer. Vom Morgen an konnte er nüchtern bis weit über Mittag hinaus, halbe Tage lang, unter Handschriften und alten Drucken sitzen, ohne Abspannung zu fühlen. Neben diesen strengern Arbeiten sprach er seine Empfindungen und Erlebnisse in einer Reihe kleinerer Gedichte aus, die sich allmälig zu einem dichterischen Tagebuche zusammenschlossen. Fast ein Jahr war um. Er mußte an die Heimkehr denken. Der wohlthuende Einfluß des italienischen Himmels hatte sich bewährt. In den letzten Monaten fühlte er sich genesen, die Schmerzen hatten ihn verlassen, die Herrschaft über den Körper war ihm wiedergekommen. Die politischen Wirren machten es unmöglich nach Neapel zu gehen. Dagegen unternahm er einen glücklichen Reiseversuch in die Romagna und das Gebirge. Zuletzt sah er Subiaco und das Kloster des heiligen Benedict; dann wurde die Rückreise vorbereitet. Bruder und Schwester ließ er in Rom zurück, aber Rumohr, der sorgsame Freund, der ihn nach Italien geleitet hatte, führte ihn im Sommer 1806 wieder der Heimat zu. Ueber Siena gingen sie nach Florenz und Fiesole, dann nach Pisa, Bologna und Mailand. Nicht ohne Anstrengung überstiegen sie den Gotthard, aber auch dieses bestand Tieck glücklich. Er war wieder auf deutschem Boden. 7. Die Heimat. In Deutschland war zunächst St.-Gallen wichtig wegen seiner Handschrift der Nibelungen. In Manheim nahmen Müller’s Papiere seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Er trat mit der Götze’schen Buchhandlung, auf welche der Schwan’sche Verlag übergegangen war, in Unterhandlung. Sein Freund Le Pique, der inzwischen nach Manheim versetzt worden war, unterstützte ihn dabei. Der von Müller bezeichnete Koffer fand sich. Er enthielt alte Papiere, Briefe, Entwürfe und Zeichnungen, eine Masse unzusammenhängender und schwer zu lesender Blätter, über welche in kurzer Zeit keine Uebersicht zu gewinnen war. Erst später konnte er die Sichtung und Anordnung durchführen. Das Ergebniß war kein so bedeutendes als er erwartet hatte. Unterdeß war das Vorhandensein der Müller’schen „Genoveva“ weiter bekannt geworden, und schon ließen sich böswillige Stimmen vernehmen, Tieck verdanke seine eigene Dichtung der Kenntniß derselben, und habe daher Grund mit der Bekanntmachung zu zögern, oder sie dem Publicum ganz vorzuenthalten. Nachdem er daher den Stoff geordnet hatte, überließ er die Besorgung der neuen Ausgabe seinem Freunde Le Pique. Doch die Verhandlungen mit Müller gingen nur langsam. Misverständnisse mit der Verlagshandlung kamen hinzu. Erst 1811 erschien die neue Sammlung von Müller’s Schriften in Heidelberg. Von Manheim ging man nach Heidelberg, wo Tieck Creuzer wiedersah, und auch Voß besuchte, der kurze Zeit vorher dorthin versetzt worden war. Voß empfing seinen alten Bekannten von Giebichenstein her mistrauisch; wie er selbst später drucken ließ, sah er in ihm einen Angehörigen jenes Ordens, dessen Bekämpfung seine Lebensaufgabe war, einen Obscuranten und heimlichen Katholiken. Ueberhaupt bemerkte Tieck, daß man seinem Aufenthalte in Italien die wundersamsten Deutungen unterlegte. Glaubte man früher ihn für die katholische Kirche gewinnen zu können, so war man jetzt überzeugt, er sei wirklich übergetreten. In Frankfurt verweilte er einige Zeit. Er sah Brentano und dessen Schwester Bettina, die eigenthümlich und excentrisch erschien. Tieck und seinen Dichtungen wie der jüngern Literatur hatte sie ihre Theilnahme zugewendet. Ihr verdankte er die Bekanntschaft mit Goethe’s Mutter. Es war eine noch im höchsten Alter regsame und theilnehmende Frau, die selbst an manchen kleinen Eitelkeiten des Lebens Gefallen fand. Von dem Sohne wußte sie natürlich vieles zu erzählen. Auf einem Bücherbrete in ihrem Zimmer habe sie lange sechs Bände Manuscript aus Goethe’s früherer Zeit bewahrt, welche die älteste, später verworfene Bearbeitung des „Wilhelm Meister“ enthielten. Von dem Inhalt theilte sie manches mit; hier sollte die Heirath Wilhelm’s und Marianens den Abschluß machen. Leider gelangte Tieck nicht zur Einsicht dieser merkwürdigen Papiere. Von der Mutter ging er den Sohn in Weimar zu besuchen. Auch diesmal verlebte er einige Abende mit Goethe. Doch wenn er an seine Jugendliebe dachte, fühlte er sich ihm fremder geworden. Dazu hatte namentlich der erkältende Eindruck der „Natürlichen Tochter“ beigetragen. Kurz zuvor hatte Goethe Oehlenschläger kennen gelernt. Der nordische Dichter, der nach Weimar gekommen war, der deutschen Poesie seine Huldigungen darzubringen, hatte ihn ganz für sich gewonnen. Auch sprach Goethe schon von den „Nibelungen“, wie er im Vereine mit Oehlenschläger den Versuch gemacht habe, sie zu lesen, was denn freilich nicht sonderlich habe von Statten gehen wollen. Ueberraschend war es ihm in einer Mittagsgesellschaft bei Goethe mit einem Landsmanne, dem Kapellmeister Himmel aus Berlin, dem Componisten des gefeierten Singspiels „Fanchon“ zusammenzutreffen. Die Eitelkeit und Selbstgenügsamkeit dieses Mannes war bekannt. Er schlug seinen Werth sehr hoch an, und wirkte durch die naive Art, dies auszusprechen, mitunter komisch. Auch dem Dichterfürsten gegenüber verließ ihn seine Sicherheit nicht. Er suchte zu beweisen, er sei ebenso sehr Sprachtalent als Musiker; dadurch habe er sogar die Beamten der Vaticanischen Bibliothek in Staunen gesetzt. Hebräische, chaldäische und andere orientalische Handschriften habe er in rascher Folge durchgesehen und Stellen daraus laut gelesen. Endlich fragt einer der Beamten, wer er denn sei. „Der Kapellmeister Himmel aus Berlin!“ Voll Schrecken aber ruft jener aus: „Sie mögen wol der Teufel sein, aber kein Kapellmeister aus Berlin!“ Mit stillem Lächeln, in olympischer Ruhe, hörte Goethe diese Märchen an. Ohne zu wissen in welchen Beziehungen Tieck zu Reichardt stehe, unterwarf Himmel seinen ehemaligen Amtsgenossen als Musiker wie als Menschen einer scharfen Kritik. Auch Tieck kannte Reichardt’s Schwächen, aber er hielt es für Pflicht ihn gegen ungerechte Angriffe zu schützen. Himmel stutzte. Er lenkte ein, und gutmüthig suchte er Tieck in seiner Weise zu versöhnen. Als Tabacksraucher schätzte er ein treffliches Weichselrohr, das er besaß, ganz besonders hoch, er bot es Tieck als Friedenspfeife an. Dieser mußte des gutgemeinten Geschenks lachen, das für Niemand weniger paßte als für ihn, den abgesagtesten Feind des Rauchens. Endlich im Herbste traf er in Dresden ein, wo er die nächsten Wochen zu bleiben beschlossen hatte. Sogleich erzählte ihm der Maler Hartmann, Oehlenschläger sei angekommen und wünsche seine Bekanntschaft zu machen, bald darauf traf er diesen selbst auf der Galerie. Oehlenschläger war eine reichbegabte und überschwängliche nordische Natur. Voll erregten Gefühls und Phantasie, jedem Eindrucke offen, ließ er sich in Verehrung und Abneigung leicht bestimmen. Doch er war auch voll starken Selbstbewußtseins, das als hoher nordischer Nationalstolz, und bald als kleinliche persönliche Eitelkeit erschien. Er überschätzte seine Originalität, und hielt manches für Eigenthum, was er deutschen Anregungen verdankte. Widerspruch konnte er nicht vertragen, noch viel weniger Tadel. Eine leise Andeutung war hinreichend, ihn in heftigen Zorn zu versetzen. Er besaß eine Beredtsamkeit, gegen die man vergeblich ankämpfte. Er hörte auf keinen Einwurf, und beachtete keinen Versuch des andern Theils, zu Worte zu kommen. Nächst Goethe, den er schwärmerisch verehrte, hatte er Tieck’s Poesien mit Eifer studirt, und in ihnen vielleicht ein noch verwandteres Element gefunden. Am Abend desselben Tages sahen sie sich in einer Gesellschaft wieder, die Hartmann bei einem Italiener versammelt hatte. Im Sturme suchte Oehlenschläger Tieck’s Freundschaft zu erobern, und trug ihm mit leidenschaftlichem Enthusiasmus Brüderschaft an. Seitdem sahen sie sich öfter. Oehlenschläger theilte dem neuen Freunde seine nicht längst vollendete Tragödie „Hakon Jarl“ mit; obgleich Tieck sie als einen Beweis des Talents anerkannte, war er doch mit dem fünften Acte nicht einverstanden. Sogleich suchte der Dichter im Gegentheil zu beweisen, wie gerade dieser der beste sei. Bald darauf verließ er Dresden. Während dieses harmlosen Verkehrs waren kriegerische Stürme losgebrochen, unter denen die deutsche Erde erbebte. Der verhängnißvolle October des Jahres 1806 war gekommen. Preußen war in den Sturz der ältern Staaten hineingerissen worden. Mit dem dichterischen und literarischen Stillleben war es zu Ende. Schon von Italien hatte Tieck auf die politische Lage des Vaterlandes den Blick voll Besorgniß zurückgewendet. Man konnte sich dem drückenden Gefühle nicht entziehen, daß man einer entscheidenden Zeit entgegengehe. Während der Rückreise waren die Dinge rasch gereift. Mit jedem Schritte, weiter gegen Norden, mehrten sich die drohenden Anzeichen. Als er in Weimar eintraf, waren die Häuser mit preußischer Einquartierung gefüllt. Alles war voll ängstlicher Erwartung. Die Schlacht entschied Preußens Schicksal, und die Eroberung ergoß sich jetzt über die fernen Provinzen. Der Sturz des Staates bedrohte die Existenz der Einzelnen; auch manche Freunde Tieck’s wurden betroffen. Zu diesen gehörte Reichardt. Von den neuen Lehren erfüllt war er nach Frankreich gegangen, und hatte die Revolution in verschiedenen Entwickelungspunkten kennen gelernt. Zuerst 1792. Die Frucht dieser Reise waren seine „Vertrauten Briefe über Frankreich“ gewesen; dann abermals 1802. In Paris hatte er mannichfache Verbindungen angeknüpft, auch mit dem Grafen Schlaberndorf, dem bekannten Sonderlinge. Wie dieser war auch Reichardt ein Gegner des neuen Herrschers. Hier entstand jenes Buch: „Napoleon Bonaparte und das französische Volk unter seinem Consulate“, zu dem ihm Schlaberndorf manche Daten gab. Es erschien 1804. Seine kühne Sprache machte Aufsehen; bald begannen die Nachforschungen französischer Agenten nach dem unbekannten Verfasser. Jetzt, da die feindlichen Truppen vorrückten, mußte Reichardt auf seine Sicherheit denken. Er hatte beschlossen nach den östlichen Provinzen zu gehen; nur mit großer Vorsicht konnte er sich in die Nähe der Franzosen wagen. In dieser Zeit hatten sich Tieck und einige Andere in Sandow, dem Gute seines Freundes Burgsdorff, vereint. Hier traf auch Achim von Arnim ein. Er brachte einen Begleiter mit, der für seinen Bedienten gelten sollte. Es war Reichardt. Solche Vorkehrungen schienen um so nothwendiger, da auch dieses Gut mit französischer Einquartierung belegt worden war. Man hatte einen Husarenoffizier als Gast erhalten. Es war ein Mann von straffer, militärischer Haltung; des Deutschen schien er nicht mächtig zu sein. Man saß bei Tische und unterhielt sich unter so eigenthümlichen Umständen gut genug. Tieck fand, daß Herr Richard, so hieß der französische Offizier, ein ganz angenehmer Mann sei. Da fiel ihm eine häufig wiederkehrende Bewegung des Fremden auf. Lachend hatte er im lebhaften Gespräche mit der Hand auf die Lende geschlagen. Mit voller Gewißheit trat eine alte dunkle Erinnerung vor seine Seele. Der Franzose war Niemand anders als Hensler, Reichardt’s Stiefsohn, sein Jugendfreund, der seit Jahren für ihn verschollen war. Auch Hensler’s Lebensgang war kein gewöhnlicher. Ein Jahr früher als Tieck, 1791, hatte er Gedike’s Schule verlassen, als Reichardt mit seinen berlinischen Verhältnissen unzufrieden, sich nach Halle übersiedelte. Hier begann er die Rechte zu studiren; doch begleitete er schon zu Anfang des folgenden Jahres seinen Stiefvater nach Frankreich. Er sah Lyon und Paris, und obgleich diese Reise nur wenige Monate dauerte, waren diese Eindrücke doch hinreichend, ihn in einen französischen Demokraten umzuwandeln. In Kiel setzte er seine Studien fort, aber bald ward es ihm zu eng in Deutschland; 1796 ging er abermals nach Paris. Er brach mit dem Vaterlande, um sich dem neuen politischen Leben ganz hinzugeben. Obgleich Schlaberndorf und andere Freunde sich seiner mit Rath und That annahmen, zeigte sich doch, wie schwer es einem Fremden sei, eine Stellung zu gewinnen. Endlich warf er alle deutschen Träume hinter sich, und trat als Commis in ein Handelsgeschäft. Sogar den deutschen Namen legte er ab, nannte sich Richard, und ward zum Franzosen. Mit dem gesammten Frankreich machte er den Uebergang vom revolutionären Freiheitsschwindel zum militärischen Despotismus durch. Er ward mit dem nachmaligen General Guilleminot bekannt, und trat in die Armee. Als sein Stiefvater 1802 nach Paris kam, hatte er eben das Patent als Offizier erlangt. Vier Jahre später kehrte er mit dem Heere des Eroberers in das Vaterland zurück. So führte ein gewaltiges Weltgeschick nach langer Trennung die Freunde zusammen, die in der Jugend dichterisch und künstlerisch miteinander geschwärmt hatten, und dann ihre verschiedenen Wege durch die Welt gegangen waren. Bald schlug die Stunde der Trennung wieder; Hensler mußte dem Commando weiter folgen. An den spätern Feldzügen nahm er Antheil. Er ging nach Spanien, stieg durch Avancement, und starb nach geschlossenem Frieden als Oberst im Hôtel der Invaliden. Jener Aufenthalt in Sandow im Spätherbste 1806 führte auch zu einer nähern Beziehung zwischen Tieck und Arnim, die sich schon früher in Halle gesehen hatten. Um mehrere Jahre jünger als Tieck, gehörte auch Arnim zu denen, welche der neuen Richtung der Poesie folgend statt des Ideales Volksthümlichkeit und Natürlichkeit verlangten. Er hatte zuerst in Halle Naturwissenschaften studirt, nicht ohne Hinneigung zur mystischen Seite; dann war er zur Poesie übergegangen. Später hatte er in Göttingen gelebt und im Hause des jüngern Buchhändlers Dietrich viel verkehrt. Im Verlage desselben erschienen 1804 die „Offenbarungen Ariel’s“ in denen er seine naturphilosophischen Ansichten mit den Ergebnissen der Studien der germanischen Urzeit verband. Denn er beschäftigte sich lebhaft auch mit der ältern deutschen Dichtung. Während des Aufenthalts in Sandow ward sie in wiederholten Gesprächen zwischen Tieck und Arnim eine Quelle der Kräftigung und Hoffnung für die Zukunft, deren man in dieser schmerzlichen nationalen Niederlage doppelt bedurfte. Tieck theilte seine Bearbeitung der Nibelungen mit. Dagegen verhieß Arnim ihn mit einem Werke der ältern Literatur bekannt zu machen, über das er staunen werde. Ohne sein Geheimniß zu verrathen, suchte er Tieck’s Neugier aufs höchste zu spannen. Erst am folgenden Tage kam er mit dem verheißenen Schatze zum Vorschein. Es war das Trauerspiel des Andreas Gryphius „Cardenio und Celinde“, welches er später zur Grundlage seiner phantastischen Dichtung „Halle und Jerusalem“ machte. Für Tieck war diese Mittheilung keine überraschende, denn die Anfänge des deutschen Dramas hatten längst seine Aufmerksamkeit erregt. Die sorglich vorbereitete Bearbeitung der Nibelungen hatte inzwischen für ihn die erste Frische verloren. Je nachdem ihm neue Hülfsmittel zugekommen waren, hatte er sie mit unermüdlichem Eifer umgestaltet. Er hatte sie auf fünf Bücher berechnet, die in eine Reihe von Gesängen zerfielen. Die Klage sollte das letzte Buch beschließen. Mit dem jüngern Dietrich waren Verabredungen über den Verlag getroffen, der Meßkatalog für 1805 kündigte bereits die neue Bearbeitung an, und A. W. Schlegel sprach in der „Jenaischen Literaturzeitung“ öffentlich darüber. Dennoch gab Tieck den Plan auf. Ein anderer Bearbeiter war ihm zuvorgekommen. Im Jahre 1807 erschien F. v. d. Hagen’s Uebersetzung der Nibelungen. Mit gleicher Begeisterung für älteres deutsches Volksthum und Dichtung, und mit allen Mitteln der damaligen Gelehrsamkeit ausgerüstet, war auch dieser an die Bearbeitung des alten Heldenliedes gegangen. Im Herbste sah Tieck die Vaterstadt wieder, nachdem der zerschmetternde Schlag gefallen war. Auch jetzt fehlte es nicht an Bewegung und bedeutenden Persönlichkeiten. Johannes Müller hatte dem preußischen Ruhme die Grabrede gehalten. Tieck lernte den berühmten Geschichtschreiber kennen, und auch den damals nahe mit ihm verbundenen Karl von Woltmann, einen Gelehrten von vornehmer und anspruchvoller Haltung, der sich als Diplomat und Weltmann zu bewegen versuchte. Dieser pflegte ungemein graciös und kostbar zu thun, und ward dadurch für Andere verletzend. Beide Geschichtschreiber hatten an den Gesellschaften des Prinzen Louis Ferdinand Theil genommen, der dem Kriege als eines der ersten Opfer gefallen war. Tieck hatte den genialen und unglücklichen Prinzen früher aus der Ferne gesehen. Im Theater saß er zu Zeiten seiner Loge gegenüber. Es war eine glänzende und doch wehmüthige Erscheinung. Ein dauernder Gewinn war Hagen’s Bekanntschaft, die durch die Nibelungen vermittelt worden war. Ein literarischer und freundschaftlicher Verkehr entspann sich, und beide beschlossen auf ihrem gemeinsamen Wege miteinander zu gehen. Später ergab sich daraus ein neuer literarischer Plan, den sie im Vereine ausführen wollten, eine Erneuerung der gesammten Heldensage, wie sie in dem jüngern Heldenbuche vorlag. Zu diesem Zwecke gab Tieck seine früher angefertigte Bearbeitung des „König Rother“, und fügte den kleinen „Rosengarten“ und andere Theile der Dietrichssage hinzu. Schon 1808 erschien ein Bruchstück des „König Rother“ in Arnim’s Einsiedlerzeitung. Indeß ließen Krankheit und wechselnde Verhältnisse auch dieses Unternehmen nicht zum Abschlusse kommen. Um diese Zeit tauchten noch einmal Erinnerungen an den „Zerbino“ und die kleinen Plagen auf, die ihn begleitet hatten. Der holländische Gesandte in Berlin, Goldberg, wünschte durch Hagen’s Vermittelung Tieck kennen zu lernen. Bei diesem trafen daher Diplomat und Dichter eines Abends zusammen, man unterhielt sich angenehm, und als man aufbrach, machte der Gesandte Tieck das Anerbieten, ihn in seinem Wagen nach Hause zu fahren. Arglos nahm dieser es an, doch fiel ihm auf, daß der Kutscher die Weisung erhielt, eine andere Richtung als die gewöhnliche einzuschlagen. Als beide im engsten Raume nebeneinander saßen, begann der Diplomat: „Jetzt habe ich Sie sicher! Nun müssen Sie mir ausführlich erzählen, wen und was sie in Ihrem ‚Zerbino‘ gemeint haben; ich lasse Sie nicht los!“ Und zugleich nahm der Staatsmann, der in dem literarischen Scherze politische Satire witterte, den Dichter in ein scharfes Kreuzverhör. Von Allem, was jener meinte, war Tieck weit entfernt gewesen. Als er daher mit der Forderung antwortete, einen Scherz doch einfach nur als solchen zu nehmen, setzte ihn der Gesandte nach einer langen und peinlichen Fahrt endlich vor seinem Hause ab. 8. Wanderleben. In stiller Zurückgezogenheit lebte Tieck im Winter des Jahres 1808 auf dem einsamen Landgute bei Frankfurt seinen Freunden und den Studien. Doch führte ihn der Sommer nach Dresden. Dieses Mal wollte er weiter gehen, nach Wien, welches er schon auf der Rückkehr aus Italien zu sehen gehofft hatte. Die literarischen Schätze, die künstlerische Bedeutung und politische Wichtigkeit gerade in diesem Zeitpunkte forderte zu einem längern Besuche auf. Wenige Wochen in Dresden reichten hin, den Kreis bedeutender Männer, die er kennen gelernt hatte, um einen merkwürdigen Charakter zu erweitern. Dieser war Heinrich von Kleist. Noch war der geniale Dichter dem größern Publicum kaum bekannt. Im Jahre 1803 war seine Tragödie, „Die Familie Schroffenstein“, erschienen, in der sich echt Tragisches und Großes mit Plattem, ja Rohem mischte, und soeben hatte für ihn sein Freund, Adam Müller, das Lustspiel „Amphitryon“ herausgegeben. Aber man wußte, wie anerkennend sich die ersten Dichter über Kleist’s großes dramatisches Talent ausgesprochen hatten. Auch hatte man allerlei von seinen Reisen und Sonderbarkeiten gehört. Kürzlich erst war er aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt. Als ihn Tieck kennen lernte, stand er in vertrautem Umgange mit Adam Müller, einem seiner eigenen frühesten Schulgefährten. Diese Entdeckung hätte ihn von der neuen Bekanntschaft fast abgeschreckt. Adam Müller war F. Schlegel’s mystisch-kritischer Richtung gefolgt und übertrug sie auf das Gebiet der Politik. Auf Tieck machte er stets einen abstoßenden Eindruck. Er war rechthaberisch, hochfahrend, und vornehm geheimnißvoll. Trotz seines sonderbaren Wesens war Kleist liebenswürdig. Wenn auch scheu und schroff, war er doch bieder, wahr und aufrichtig, aber wechselnden und zweifelvollen Stimmungen unterworfen. In guten Stunden nahm er unbefangen und lebhaft an der Unterhaltung Theil. Dann fiel ein unbedeutendes Wort, auf welches Niemand Werth legte, aber ihn berührte es in unbegreiflicher Weise, und sogleich ward er stumm, finster, und zog sich mistrauisch Tage lang in sich selbst zurück. In solchen Augenblicken des Schweigens schien er geistig abwesend. In seiner Bildung hatte er die verschiedenartigsten Gegensätze durchgemacht, ohne sie zu überwinden. Kantische Philosophie und Militärdisciplinen, Poesie und Naturwissenschaften, Skepsis und gläubige Mystik hatten ihn angezogen und erfüllt. Namentlich glaubte er Kant’s Philosophie trefflich zu kennen. Von allen Seiten her suchte er die Räthsel des Lebens aufzufassen, und angstvoll arbeitete er sich an ihrer Lösung ab, ohne weiter zu kommen. Seine äußere Stellung war eine unsichere; die Hoffnungslosigkeit Deutschlands drückte ihn vollends nieder. Der Sturz Preußens erschütterte ihn heftig. Ein tiefer sittlicher Unwille, ein bitterer Ingrimm erfaßte ihn, der sich sarkastisch und schlagend äußerte. Und oft warf sich dieser Haß auf einzelne Personen. Bisweilen war er fixen Ideen unterworfen. So glaubte er einmal Adam Müller’s Frau leidenschaftlich zu lieben, und sagte offen, daß er diesem das Leben nehmen müsse. Wirklich machte er einmal den Versuch, seinen Freund von der Elbbrücke in den Fluß zu stürzen. In dieser Zeit war er bereits mit seinem Hauptwerke „Käthchen von Heilbronn“ beschäftigt. Er gewann Zutrauen genug, es Tieck mitzutheilen. Auch dieser erkannte das bedeutende dramatische Talent, aber zugleich auch, wie der Dichter im Kampfe mit den Zweifeln und Versuchungen zu unterliegen drohe, deren Gewalt er an sich selbst erfahren hatte. In den nächsten Sommermonaten lebte Tieck in Wien. Bekanntschaften, Geselligkeit, Kunst und Literatur wirkten anregend. Freundschaftlich kamen ihm die beiden Brüder Collin entgegen, die als literarische Vertreter Oestreichs einen Namen zu gewinnen anfingen. Mit Ernst und Eifer, welche tief in seinem Charakter lagen, hatte sich der Aeltere, Heinrich, auf das Drama geworfen. Sein „Regulus“ war erschienen, andere Stoffe suchte er zu gestalten, darunter auch „Coriolan“. In wiederholten Gesprächen bemerkte Tieck mit Staunen, daß Collin nicht wußte, auch Shakspeare habe eine Tragödie dieses Namens gedichtet. So stand es hier noch mit der Kenntniß seines Lieblings! Collin’s eigene Trauerspiele waren bei weitem mehr Producte des reflectirenden Verstandes, als der Phantasie, kalt, steif und frostig. Um so anspruchsloser zeigte sich der Dichter im persönlichen Umgange, ebenso sein jüngerer Bruder Matthäus. Ihren Wünschen nachgebend, nahm Tieck den Entwurf zu dem phantastisch-dramatischen Spiele, „Das Donauweib“, wieder auf, und fügte den in Dresden verfaßten Scenen einige neue hinzu, da der ältere Collin eine Art nationaler Vorliebe dafür hatte. In Hormayr, dem vielseitigen Staatsmanne und Geschichtsforscher, gewann er einen eifrigen Freund, und Karoline Pichler, die Schriftstellerin, fand er angenehmer als ihre Romane. Auch das Theater machte sein Anrecht an den Liebhaber wieder geltend. Merkwürdig war der Schauspieler Lange, ein Veteran der alten Schule, der eine lebhafte Erinnerung an die beste Zeit der deutschen Bühne erweckte, welche für Tieck bereits damals eine vergangene war. Da man jenen oft gerühmt hatte, suchte er ihn auf. Ein einfacher, älterer Mann trat ihm in gewöhnlicher Hauskleidung entgegen. Im Gespräche kamen sie auf die frühere Zeit der Bühnenwelt. Lange erzählte von seinen Rollen, und machte das Anerbieten, eine Probe seiner Darstellungsweise zu geben. Ohne Vorbereitung, im Schlafrocke, begann er die leidenschaftliche Rede des Herzog Albrecht vor den Turnierschranken aus Törring’s „Agnes Bernauerin“ zu recitiren. Er sprach nicht, sondern er spielte mit so unmittelbarer Wahrheit, daß er zum Jünglinge zu werden schien. Gleich darauf wiederholte er dieselbe Rede, aber nun in ganz anderer Weise. Jetzt war es mehr der Ton der Mäßigung, der sich zügelnden Kraft. Tieck war zweifelhaft, welcher Auffassung er den Vorzug geben solle, als Lange ihn mit der Ankündigung überraschte, er werde nun eine dritte, mittlere folgen lassen, die er für die angemessenste halte. Und auch dieses Mal löste er seine Aufgabe vortrefflich. Fast wäre Tieck hier an das Theater gefesselt worden. Collin wünschte für ihn eine Anstellung am Burgtheater zu gewinnen, und that dafür einige vermittelnde Schritte. Auch der Graf Palfy, der eine entscheidende Stimme hatte, war ihm günstig. Dennoch war dieser Plan nicht sogleich durchzuführen. Man hatte kurze Zeit zuvor Iffland die Leitung der kaiserlichen Bühne unter vortheilhaften Bedingungen angetragen. Seine Antwort mußte abgewartet werden, und die Entscheidung verzögerte sich. Schon vorher war Tieck nach München gegangen, wo man ihm einen ähnlichen Antrag machte. Gleich darauf erkrankte er von neuem, und so scheiterten auch diese Verhandlungen. Im Herbst 1808 sah er in München Baader und Rumohr, seinen treuen Pfleger, wieder; auch Bruder und Schwester trafen ein. Zu diesen gesellten sich noch Friedrich Jacobs, Wiebeking und Jacobi, in deren Familien er die gastfreundlichste Aufnahme fand. In Jacobi begegnete er einem Meinungsgenossen. Aehnlich, wie er selbst, stand dieser zur systematischen Philosophie. Auch Jacobi war bei den Thatsachen des Bewußtseins stehen geblieben. Die Schilderungen, welche man Tieck von dem Philosophen gemacht hatte, waren ungünstig. Ein empfindlicher und krankhaft reizbarer Mann war ihm angekündigt. Er war erfreut, weder das Eine noch das Andere zu finden. Einfach und natürlich kam ihm Jacobi entgegen. In ihren Gesprächen herrschte der Ton der ruhigen und offenen Erörterung, die der Sache gilt, und jedes zeigte den Denker, den wahrhaft gebildeten Mann. Nie war Tieck bis jetzt einem Philosophen näher gekommen als diesem. Mit vollster Unbefangenheit sprach Jacobi von seinen Schriften; ruhig hörte er Einwürfe und Bedenken an. In spätern Unterhaltungen war die Rede von Baader und F. Schlegel. Mit jenem stand Jacobi in keinem guten Vernehmen, obgleich es an Berührungspunkten nicht fehlte. Baader konnte in Jacobi den Fremden und Protestanten nicht vergessen, und dieser glaubte Veranlassung zu haben, seine Aufrichtigkeit zu bezweifeln. Einst erzählte Tieck, mit welcher Verehrung Baader zu ihm über Schlegel gesprochen habe, wie er ihn eine prophetische Natur, einen zweiten Apostel Paulus genannt habe. Ruhig erwiderte Jacobi: „Halten Sie mich für einen ehrlichen Mann? Nun wohl, treten Sie hierher“, sagte er, indem er auf einen Punkt hindeutete. „Sehen Sie, auf dieser Stelle hat Baader zu mir gesagt, Schlegel sei ein wahrer Judas Ischarioth!“ Bald war Tieck in Jacobi’s Hause heimisch. Er las dramatische Dichtungen vor, machte Mittheilungen aus seinen Papieren, und verlebte hier manche angenehme Stunde. Zugleich hatte er auch Gelegenheit zu sehen, wie Jacobi Gegenstand feindseliger Angriffe und Verdächtigungen ward. Von einer andern Bewegung war indessen Rumohr ergriffen worden. Die Gährung, welche Deutschlands Befreiung herbeiführen sollte, hatte begonnen. Es glühte unter der Asche. Die Bewunderung, welche man früher Napoleon’s dämonischer Größe zollte, wich der steigenden nationalen Erbitterung. Tieck hatte nie in jenen Ton eingestimmt. Er konnte das Genie nicht für eine Berechtigung zur Tyrannei halten. Der eiserne Druck, der alles Eigenthümliche zermalmte, empörte ihn. Das deutsche Volksleben schien geknickt und zerbrochen. Leidenschaftlicher hatte Rumohr ähnliche Gesinnungen kundgegeben. Dazu war München, wo französische Politik herrschte, nicht der Ort. Uebereilte Aeußerungen, welche an Revolution erinnerten, brachten ihn in den Ruf eines Demokraten; er galt für verdächtig und gefährlich. Als unruhiger Kopf sollte er verwiesen werden. In dieser Bedrängniß riefen seine Freunde die Vermittelung des östreichischen Gesandten, Grafen Stadion, an, mit dem auch Tieck bekannt war. Erst auf dieses mächtige Fürwort ward es Rumohr verstattet, in München zu bleiben. Bald zeigte sich, daß Tieck das wechselnde Klima nicht ertragen könne. Im Winter 1809 erkrankte er zum zweiten Male schwer. Doch standen ihm dieses Mal seine Geschwister zur Seite. Es traten Augenblicke vollständiger Lähmung ein, in denen er kein Glied zu regen vermochte, ja selbst die Sprache verlor. Es war ein Starrkrampf, auf den nervöse Abspannung und Schwäche folgte. Als er so weit hergestellt war, um an der Unterhaltung Theil zu nehmen, dachte man auf Zerstreuungen. Erfinderisch benutzte Friedrich Tieck das Nibelungenlied. Er fertigte ein Spiel Karten an, in dem jedes der zweiundfunfzig Blätter einen Charakter aus dem Heldenliede darstellte, während der Spielwerth der Karte am Rande angedeutet war. Zu den Freunden, welche in dieser Krankheit um Tieck Sorge trugen, gehörte auch Brentano’s Schwester, Bettina. Oft besuchte und unterhielt sie ihn in ihrer humoristischen Weise. Langsam erholte er sich. Aber welche Veränderung war in dieser schweren Zeit mit ihm vorgegangen! Kaum kannte er sich selbst wieder. Der jugendfrische Dichter hatte sich zum entsagenden Leidensträger umgewandelt. Die Hand des Schmerzes hatte seinen Körper vor der Zeit gebeugt und niedergedrückt. Erst jetzt fühlte er sich krank, schwach und elend. Ein Leiden hatte begonnen, das fortan mit seinem Leben Eins sein sollte. Endlich war der Kranke in erträglicher Weise hergestellt. In Begleitung seines Bruders erprobte er die wiederkehrenden Kräfte in weitern Spaziergängen. Auch die alten Liebhabereien erwachten, und er hatte Muth genug gewonnen, ihnen selbst mit Gefahr für seine Genesung nachzugehen. Auf einem Volkstheater in der Vorstadt spielte ein Hanswurst, oder wie man ihn kurzweg nannte, der Lipperle, mit großem Beifall. Tieck konnte der Versuchung nicht widerstehen, diese gerühmten Späße kennen zu lernen. An einem heißen Sommertage wallfahrtete er daher mit seinem Bruder zum Lipperletheater hinaus. Während er sich in der Bude an dem Witze des Lipperle mit Behagen ergötzte, kam ein drohendes Gewitter herauf. Es war in vollem Anzuge, als die Vorstellung endete. Eilig machte man sich auf den Weg. Aber schon brach es los. Nach einigen Stößen heftigen Wirbelwindes ergoß sich unter steigender Finsterniß ein rauschender Regen. Tieck vermochte sich im Sturme nicht aufrecht zu halten, er mußte sich an den stärkern Bruder anklammern, der ihn mehr trug als führte. Nirgends gab es ein Obdach. Endlich erreichte man das Haus. Der Kranke wurde in ein erwärmtes Bett gebracht; man wandte alle Mittel an, um der vielleicht tödtlichen Erkältung zu begegnen. Während der Bruder diesen Dienstleistungen sich mit ängstlichem Eifer unterzog, machte er zugleich seinem Zorne in einer Flut von Vorwürfen Luft. Er schalt auf die thörichte Vorliebe für abgeschmackte Theaterpossen, denen Tieck am Ende noch sein Leben opfern werde. Diese Scheltworte standen zu der sorglichen Hülfe in einem so komischen Contraste, daß der Kranke trotz der eigenen Besorgniß, sich des Lachens und der Lust an seinem unbesonnenen Streiche nicht erwehren konnte. Zum Glücke ging die Erkältung ohne schlimmere Folgen vorüber. Während er zwischen Genesung und Rückfällen schwankte, kam der Winter in München zum zweiten Male heran; auch der Frühling des folgenden Jahres fand ihn leidend. Schon zwei Jahre war er von den Seinen getrennt, und noch war an die Heimreise nicht zu denken. Für den Sommer 1810 sollte der Gebrauch eines nicht allzu fernen Bades eintreten. Er ging daher nach Baden-Baden. Auch der Kronprinz von Baiern hielt sich hier auf. Schon in München war er von diesem ausgezeichnet worden, jetzt sah und sprach er ihn fast täglich, und freute sich seiner Begeisterung für deutsche Kunst und Dichtung. Auch mit Sulpice Boisserée trat er hier in nähere Verbindung. Endlich im Herbste kehrte er nach Ziebingen zurück, wo indessen die Seinen gelebt hatten. Der Zustand seiner Gesundheit war kein besserer. Er war empfindlicher und schwerfälliger geworden, er bedurfte der Hülfe und des Beistandes. Bald ward es klar, es werde auf die Cur in der Fremde eine zweite daheim folgen müssen. Ein frankfurter Arzt rieth ihm im Sommer 1811 den Gebrauch von Warmbrunn. Aber dies vermehrte seine Leiden. Die gichtischen Schmerzen behaupteten sich hartnäckig, und das Bad führte neue Gebrechen herbei, von denen er früher nichts gewußt hatte. Kraft und Gesundheit waren für das Leben dahin, sein Körper schwach und gebrechlich, von jedem Luftzuge abhängig. Von der Natur, mit der er von Jugend auf im innigsten Verkehr gelebt hatte, mußte er Abschied nehmen. Die Tage des dauernden Leidens und der Entsagung waren gekommen. 9. Phantasus. Seit dem Abschlusse des „Octavian“ war beinah ein Jahrzehnd verflossen. Wie verschieden war es nicht von dem ersten, in dem jene Werke entstanden waren, welchen er seine Stelle unter Deutschlands Dichtern verdankte. War das frühere reich gewesen an Muth und Zuversicht, an Streben und Erfolg, und vor allem an dichterischen Schöpfungen, so war das zweite reich an Zweifeln, Schmerzen und Krankheit, an bittern Erfahrungen und Entsagung. Der Dichter war zum Dulder geworden. Die Poesie, welche ihm sonst tröstend zur Seite gestanden hatte, schien verstummt. Was hätte auch Großes unter diesen unaufhörlichen Schmerzen entstehen sollen? Bei einzelnen Gedichten, Versuchen und Entwürfen war es geblieben. Mehr in den Werken Anderer als in den eigenen lebte er. Das Studium, welches sich mit gelehrter und literarischer Forschung verband, hielt ihn aufrecht, und gewährte ihm Trost und Zerstreuung. Zwei Bücher gingen daraus hervor. Im Jahre 1811 erschien das „Altenglische Theater“, im folgenden Jahre „Ulrich’s von Lichtenstein Frauendienst“. Diese Bearbeitung gab ein Lebensbild aus dem deutschen Mittelalter, und jene Sammlung verwirklichte endlich einen Theil des Plans, den er in frühern Jahren in Göttingen entworfen hatte. Die Uebersetzung älterer englischer Dramen sollte das Verständniß der Zeit Shakspeare’s eröffnen; doch nahmen seine Arbeiten jetzt eine andere Stellung ein. In diesen zwanzig Jahren war Schlegel’s Uebersetzung des Shakspeare erschienen. Aber umsomehr Veranlassung gab es, in die unbekannteren Gegenden einzuführen. Man sollte den großen Dichter im Zusammenhange mit seinem Lande, mit Vorzeit und Mitwelt auffassen und würdigen lernen. Nur aus der Vergleichung mit dem, was Andere vor und neben ihm gethan, konnte die volle Erkenntniß hervorgehen. Doch auch Tieck’s dichtende Kraft ließ sich nicht verleugnen und noch weniger ertödten. Sie konnte gehemmt, aber nicht gebrochen werden. Zuerst warf er einen Blick rückwärts, auf die Versuche und Dichtungen seiner Jugend. Sie waren ihm fremd geworden. Mängel und Einseitigkeiten ließen sich nicht verkennen. Vieles würde er jetzt anders aufgefaßt und dargestellt, Anderes gar nicht geschrieben haben. Dennoch schienen ihm manche der minder gelungenen als Zeugnisse seines Lebens des Erhaltens und Sammelns werth. Schon 1810 hatte er den Plan zu einer solchen Sammlung gemacht, die auch äußerlich die Periode, welche hinter ihm lag, als eine abgeschlossene darstellen sollte. Einen Theil der verständigen Erzählungen, die ohne seinen Namen in den „Straußfedern“ erschienen waren, die „Volksmärchen“, was er später im Tone derselben gedichtet, und die humoristisch-satirischen Spiele beabsichtigte er zusammenzustellen. Ausgeschlossen blieben die großen dramatischen Werke. Dagegen sollte eine Anzahl neuer Erzählungen und Dramen hinzukommen, und manches ältere Stück einer vollständigen Umarbeitung unterworfen werden, z. B. „Die sieben Weiber des Blaubart“. Diese Erzählung war bestimmt, den satirischen Stoff, der sich inzwischen angesammelt hatte, aufzunehmen. An den „Gestiefelten Kater“ und die „Verkehrte Welt“ sollte sich der „Anti-Faust“ anschließen, und die Zahl aller Stücke, der Erzählungen und Dramen, auf funfzig gebracht werden. Sie alle wurden durch einen gemeinsamen und novellistischen Rahmen zu einem Ganzen verbunden. In einem Kreise befreundeter Männer und Frauen werden diese Dichtungen vorgetragen. Der lesenden Personen sind sieben, verschieden nach Charakter und Ansichten, Neigung und Empfindungsweise. Dem entsprechen ihre Vorträge und die Art, wie sie an der allgemeinen Unterhaltung Theil nehmen. Indem sie sich gegenseitig bedingen, anziehen und abstoßen, entstehen unter ihnen selbst mannichfache Verhältnisse, die sich allmälig zu einem Ganzen runden. Aus den Gesprächen der Gesellschaft bildet sich eine neue Novelle, welche alle übrigen in sich schließt. Sie knüpfen die einzelnen Stücke aneinander, und ziehen sich als lyrisch begleitende Musik zwischen ihnen hindurch. Sie geben dem Dichter Gelegenheit, seine Ansichten über Kunst, Literatur und Alles, was ihm an Herzen liegt, auszusprechen, und Lebenserfahrungen und Episoden ungezwungen einzuflechten. Zu den ältern Märchen und Volkssagen fügte er einige neue hinzu, die ähnlich zwar, doch schon ein anderes Element in sich trugen. Er selbst bezeichnete sie später als in seinem neuen Stile geschrieben. Waren die „Elfen“ anmuthig und natürlich, so ging der „Liebeszauber“ bis zur höchsten Steigerung des Entsetzens. Im „Pokal“ verband sich das menschlich Rührende mit dem Wunderbaren. Den Stoff der beiden letzten Erzählungen verdankte er zum Theil äußern Umständen, die er zur dichterischen Wirkung zu erheben wußte. Als er in München lebte, hatte ein Haus, welches seiner Wohnung gegenüber lag, seine Aufmerksamkeit erregt. Ueber die enge Gasse blickte er in ein Zimmer, an dessen Fenster sich zuweilen ein junges Mädchen mit einem Kinde auf dem Arme zeigte. Sie pflegte mit demselben zu spielen und zu tändeln. Abends wurden die Fensterladen sorglich geschlossen, doch aus den Spalten drangen helle Lichtstreifen hervor. Auch jetzt noch war es möglich, in das Innere des Zimmers zu sehen. Schattenhaft glitt sie am Fenster vorüber, oder saß mit dem Kinde beschäftigt hinter dem Lichte am Tisch. Der Einblick in die enge Häuslichkeit, die sich einfach gab, wie sie war, zog ihn an und beschäftigte ihn. Aus diesen abgerissenen Bildern gestaltete die dichtende Phantasie jene grauenvolle Geschichte, in welcher der Lichtstrahl aus den Fugen der Fensterladen hervorquillt und todtbringend auf den Beobachter fällt, der jenseit der Straße in nächtlicher Stille lauschend steht. Die zweite Erzählung, „Der Pokal“, war aus einigen Nachrichten entstanden, welche ihm über die frühern Schicksale des Malers Müller zugegangen waren. Zu den Widerwärtigkeiten, welche diesen aus Deutschland vertrieben hatten, sollte die Auflösung eines Liebesverhältnisses gehört haben, in dem er mit einem jungen Mädchen höhern Standes gewesen war. Ränke und Zwischenträgereien hatten darauf hingearbeitet, und Müller’s schroffes Wesen und Wunderlichkeit mochte die Folge eines so verbitterten Lebens sein. Einen geringfügigen Vorfall, den er selbst erlebt hatte, verflocht er in den Eingang der Erzählung. Als er eines Sonntags in Florenz bei herrlichem Wetter vor der Thür der Hauptkirche stand, und auf die Menge hinsah, welche über den Platz von verschiedenen Seiten heranströmte, fiel ihm die jugendliche Gestalt einer schönen Frau auf. Niedergeschlagenen Blicks ging sie die Stufen hinan. Doch bevor sie die oberste erreicht hatte, trat sie fehl. Er eilte der Strauchelnden entgegen, um sie zu unterstützen. Erröthend dankte sie und eilte in die Kirche. „Phantasus“ nannte er in einem einleitenden Gedicht diese Sammlung. Es war eine Erinnerung an ein ähnliches, in welchem er schon im „Sternbald“ die Phantasie verherrlicht hatte, die Macht, aus der ihm seine Leiden und Freuden kamen. Als der erste Band im Jahre 1812 erschien, erweckten die Personen des dialogischen Zwischenspiels bei Einigen mehr Theilnahme als die Erzählungen. Bei Bekannten und Unbekannten kehrte die Frage wieder, ob diese Charaktere aus dem Leben genommen seien. Wen stellen sie vor? Ist nicht Dieser oder Jener dahinter zu suchen? Schon wollten Manche herausgefunden haben, wer gemeint sei; Andere glaubten sich selbst wiederzuerkennen. Hatte er bei diesen Charakteristiken eine bestimmte Absicht, so war es die, die verschiedenen Seiten seiner Eigenthümlichkeit auszusprechen. Er selbst war der krankhaft reizbare Phantast, der Humorist, der Freund deutscher Poesie und Alterthums, der Enthusiast für Theater und dramatische Kunst. Daher hatte er eine Reihe einzelner Episoden aus seinem Leben eingeschaltet, und den Erzählern als Selbstbekenntnisse in den Mund gelegt. Als er endlich den Fragenden einige Aufschlüsse darüber gab, wie er es gemeint habe, waren sie wenig zufrieden. Hatten sie vorher Rechenschaft von ihm gefordert, warum er sie dargestellt habe, so hätten sie nun eine Geringschätzung darin finden mögen, daß er diese Absicht überhaupt nicht gehabt habe. Die begonnene Sichtung der ältern Gedichte führte zu dem Plane, auch die größern einer nachträglichen Kritik zu unterwerfen. Eine zweite Ausgabe des „Lovell“ erschien im folgenden Jahre. Nahe lag die Frage, ob auch der „Zerbino“ einer Erneuerung bedürfe. Die Zustände der literarischen Welt, welche damals Bedeutung gehabt hatten, waren vorübergegangen, und die alten Thorheiten fast verschollen. Es konnte gerathen scheinen, das ganze Gedicht in die Gegenwart zu übersetzen. Auch hier gab es reichen Stoff. Aber das würde eine völlige Umgestaltung erfordert haben; das Gedicht selbst wäre ein anderes geworden. Herausgerissen aus dem natürlichen Boden, in dem es gewachsen war, hätte es Ursprünglichkeit und historischen Charakter verloren. Daher schien es besser es bestehen zu lassen, wenn auch nicht ohne Commentar verständlich, doch eigenthümlich. So war es ein Zeugniß der Zeit, in welcher es entstand. 10. Auswanderung. Während Tieck in ländlicher Stille sich mit seinen Jugenddichtungen beschäftigte, rückte der große Kampf der Entscheidung näher. Die Zeit der Befreiung war gekommen. Geräuschlos hatte sich ein großer Umschwung vorbereitet. Als die mittlern Provinzen im Sommer 1813 zu Schlachtfeldern wurden, hielt er es bei seinem unbehülflichen Zustande gerathen, sich und die Seinen den Wechselfällen des Kriegs, die nothwendig auch den nicht kriegerischen Theil treffen müssen, nicht zum zweiten Male auszusetzen. Wie viele Andere beschloß er nach Prag zu gehen. Durch Wilhelm von Humboldt, der preußischer Gesandter in Wien war, hatte er einen Paß und Empfehlungen an den Oberst-Burggrafen Kolowrat erhalten. Dort verlebte er den größten Theil des Sommers. Die alte Stadt hatte ihren Charakter geändert. Der Friedenscongreß war eröffnet worden. Sie war der Sammelplatz der verschiedensten Personen, ihrer Hoffnungen und Befürchtungen. Wer dem unmittelbaren Drange des Krieges sich entziehen, wer den Ausgang in der Nähe beobachten, oder auf die weitere Entwickelung der Dinge einwirken wollte, Alles floß hier zusammen. Hohe Staatsmänner, Diplomaten, Agenten aller Art, Schriftsteller, Künstler und Auswanderer bewegten sich durcheinander, alle von gleicher Spannung beherrscht. Einzelne bedeutende Erscheinungen erregten allgemeine Aufmerksamkeit und Theilnahme. Auch Tieck kam der staatsmännischen Welt näher. Er sah Stein, Humboldt kam von Wien, Niebuhr’s Bekanntschaft, mit dem er schon früher zusammengekommen war, erneuerte er. Doch die weiten Kreise dieser Männer waren nicht die seinen; es blieb bei gelegentlichen und vorübergehenden Berührungen. Niebuhr’s stark ausgeprägter Charakter, seine Sicherheit, Gelehrsamkeit und umfassendes Gedächtniß, welches ihm in jedem Augenblicke Massen des verschiedensten Wissens darbot, erregten Tieck’s Bewunderung. So theilnehmend und freundlich sich auch Niebuhr zeigte, trat doch die Verschiedenheit der Naturen und Anschauungsweisen bald hervor. Es war der Gegensatz des strengen, realistischen Geschichtsforschers, des Staatsmanns und des Dichters. Wo dieser Phantasie und Kunst voranstellte, setzte jener die Anforderungen der praktischen Moral entgegen. In den Gesprächen und Kritiken über Dichter ward dies deutlich. Tieck schloß einmal eine Vorlesung des „Macbeth“ mit einer Darlegung seiner Ansicht der beiden Hauptpersonen, wie sie ursprünglich edle und großartig angelegte Charaktere seien. Eine Verkettung eigenthümlicher Umstände wandelt ihre Naturen um, und sie verfallen in eine Bösartigkeit, die sich zum Wahnwitze steigert. Diese Darstellung, welche den Entwickelungsgang Macbeth’s erklären wollte, schien seine Frevel zu entschuldigen. Niebuhr dagegen legte den historisch moralischen Maßstab an, und sah in Macbeth nur den verwerflichen Usurpator und Tyrannen. Er brach in die Worte aus: „Ich bitte Sie, liebster Freund, sprechen Sie doch nur so nicht! Es sind die abscheulichsten Charaktere, die es geben kann!“ Unter den ältern Freunden, welche Tieck wiedersah, war auch Brentano, mit dem er nach langer Unterbrechung hier in vertrauterem Umgange lebte. Brentano hatte sich in seiner Weise ausgebildet. Einige phantastische Dichtungen hatte er herausgegeben, im Geschmacke der romantischen Poesie, für deren bedeutendsten jüngern Vertreter er bereits galt. Ebenso geistvoll als sonderbar, war er doch eine ursprüngliche Natur. In Tieck sah er seinen Meister, mit ihm fühlte er sich in mehr als einem Punkte in Uebereinstimmung. Durch wiederholte Versuche, für ihn eine Stellung ausfindig zu machen, hatte er seine Freundschaft thatsächlich bewährt. Brentano’s erster Eindruck war ein liebenswürdiger und gewinnender. Er war frisch, heiter, voll des besten Humors; schlagende Einfälle, unerwartete Wendungen standen ihm in Fülle zu Gebote. Es war schwer seinen Scherzen auf die Dauer Unmuth entgegenzusetzen. Er wußte trefflich zu erzählen, und hatte die anmuthig überredende Beredtsamkeit in seiner Gewalt; alles trug den Charakter der natürlichen Aufrichtigkeit, der man unmöglich zürnen konnte. Sah er sich des Irrthums überwiesen, so war Niemand bereitwilliger zu bereuen als er. Laut und heftig klagte er sich der Verkehrtheit an, und versprach mit sichtlicher Bewegung sich zu bessern. Bei längerem Umgange fielen indeß wiederholte Erfahrungen dieser Art auf. Er war weder so einfach, noch so unbefangen, als viele meinten. Er pflegte sonderbare Geschichten zu erzählen, die er erlebt haben wollte. Im Anfange glaubte man ihm, dann stiegen Bedenken auf, endlich kam man dahinter, er habe seinen Zuhörern Märchen aufgebunden. Ward er zur Rede gestellt, so erfolgten jene bewegten Versicherungen der Besserung, die nicht länger vorhielten als bis zur nächsten Geschichte derselben Art. Für den Kundigen, der Brentano’s Verfahren kannte, war dieses Spiel eine Probe glänzenden Talents, aber auch eine merkwürdige psychologische Erscheinung. Tieck glaubte nie einen bessern Improvisator gesehen zu haben, aber auch Niemand, der graziöser und anmuthiger zu lügen verstanden hätte. Diese Verbindung von Witz und Schelmerei erinnerte ihn an die Charaktermasken des italienischen Lustspiels. Dies schien Truffaldin in seiner Urgestalt zu sein. Schon in Jena als Student hatte Brentano dergleichen Geschichten aufgetischt. Er erzählte von einer kostbaren Ausgabe des Shakspeare, die er besessen und durch einen sonderbaren Zufall verloren habe. Eines Abends habe er eifrig in einem Bande gelesen, die übrigen standen vor ihm aufgereiht. Vom Lesen ermattet fallen ihm die Augen zu, er schläft ein. Plötzlich weckt ihn ein heller Lichtschein, er ist in Gefahr zu verbrennen. Das Licht hat die Bücher ergriffen, und sein kostbarer Shakspeare geht in Flammen auf. Ruhig ließ sich Tieck die Geschichte erzählen, dann fragte er: „Heißen Sie etwa davon Brentano?“ Bedenklicher ward es, wenn diese Abenteuerlichkeiten mit dem Anspruche sittlichen Ernstes, oder als moralische Beichte auftraten. Nirgends brachte er dergleichen lieber an als bei Frauen. Gern und viel unterhielt er sich mit gebildeten und empfindungsvollen Frauen, dann entfaltete er mit Behagen alle glänzenden Seiten seines Talents, man hing an seinem Munde, und bald war er der erklärte Liebling der Damengesellschaften. Er wußte nicht nur zu unterhalten, sondern auch das Herz leicht zu rühren, und die Thränen in Fluß zu bringen. Nichts that er lieber als das. Das nächste und bequemste Thema für solche Gespräche war er selbst. Er begann mit Selbstanklagen, er schilderte seine Seelenzustände. Viele Vorwürfe habe er sich zu machen, und vieles zu bereuen, er sei ein schlechter Mensch. Aber es habe ihm an der nöthigen Leitung gefehlt; wie ganz anders würde sein Leben geworden sein, wenn er immer in so trefflicher Gesellschaft hätte sein können. Doch noch sei es nicht zu spät; er werde sich bessern, wenn es edle Frauen übernähmen ihn auf den rechten Weg zu leiten. Ein solcher Aufruf an den Tugendeifer verfehlte selten die Wirkung. War es endlich zur Rührung gekommen, so brach er ab und ging seines Erfolges froh von dannen. Er lachte seiner weichherzigen Zuhörerinnen und rief im nächsten Augenblicke aus: „Nun glauben die Gänse dort wirklich alles, was ich ihnen erzählt habe!“ Tieck hielt es für gerathen, sein Haus durch ein bestimmtes Abkommen vor diesen magischen Einwirkungen zu schützen. „Lügen Sie den Frauen vor, soviel Sie wollen, nur eine Bedingung mache ich, lassen Sie es heiter sein!“ Brentano versprach die Rührung nicht in Anwendung zu bringen. Dennoch konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Eines Tages benutzte er Tieck’s Abwesenheit, um seine gewöhnlichen Künste spielen zu lassen. Als dieser nach Hause kam, fand er die Frauen in Thränen, und Brentano in ihrer Mitte. „Plagt Sie denn der Teufel?“ rief er dem Improvisator zornig zu. „Sie haben ja unsere Verabredung vergessen!“ Dieses Talent bewährte sich auch in anderer Weise. Später als gewöhnlich kehrten beide eines Tages vom Spaziergange zurück. Brentano hatte die Entschuldigung übernommen, und sich anheischig gemacht, die absonderlichsten Dinge vorzubringen und Glauben zu finden. Er erzählte mit dem Anscheine reinster Wahrheit eine abenteuerliche Geschichte, die ihnen widerfahren sein sollte. Als er die Zuhörerinnen überzeugt sah, wendete er um. Er wolle es eingestehen, er habe sich einen Scherz erlaubt, doch jetzt werde er ihnen sagen, wie sich die Sache in der That verhalten habe. Nun begann ein zweites Märchen, dem endlich noch ein drittes folgte, und alle drei fanden Glauben, obgleich eines das andere Lügen strafte. Jedes Mal war seine Erfindung neu und eigenthümlich, und endete mit einem vollständigen Siege, bis er selbst dieses Spiels müde ward. Es war ein gefährliches Talent, denn oft spann er sich so in seine Erfindungen ein, daß er selbst daran glaubte. Dämonisches Wesen, Phantasie, Reizbarkeit des Gefühls, Selbsttäuschung und Lust an der Täuschung gingen ineinander über; es war schwer, seinen Seelenzustand klar zu erkennen. Später wurden die wiederkehrenden Vorwürfe und Anklagen bei ihm stehend. Diese Gemüthsanlage bekam eine andere Richtung, er war in einem Zustande dauernder Selbstpeinigung, und suchte endlich Ruhe in streng kirchlicher Frömmigkeit und katholischer Ascetik. Auch Ludwig Robert aus Berlin näherte sich Tieck freundschaftlich. Flüchtig hatte er diesen jungen Mann früher in den Gesellschaften seiner Schwester Rahel gesehen. Jetzt führten die Kriegswirren auch ihn nach Prag. Es war eine kleine, feine Gestalt, das Gesicht häßlich, aber charakteristisch. Er besaß Geist und Talent, doch seine dichterischen Versuche hatten etwas Hartes, Sprödes. Er war mehr reflectirt und absichtsvoll als einfach und unmittelbar. Früh war er mit den Wortführern der neuern Schule bekannt geworden. Doch diese phantastische Richtung, in der er sich anfänglich bewegte, entsprach seinem Wesen nicht. Dann ward er ein entschiedener Anhänger Fichte’s. Eine gewisse Herbigkeit blieb ein Grundelement seines Charakters; Sarkasmen und schneidende epigrammatische Schlagworte waren in Rede und Schrift seine Lieblingsform. Diese Bitterkeit wuchs durch seine persönliche Stellung. Obwol zum Christenthum übergetreten, war doch ein Stachel in ihm zurückgeblieben. Vergebens suchte er einen Punkt, wo er die Kräfte angemessen entfalten konnte. Die Formen des öffentlichen Lebens genügten ihm nicht. Er sagte wol von sich, er mache Opposition gegen Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft. Seine Stimmung war unbefriedigt und ruhelos; er ward mistrauisch und empfindlich, gereizt und bitter. Als Dichter hatte er sich dem Drama mit Vorliebe zugewendet, und suchte nach einer realistischen Poesie; zugleich ward sie der Ausdruck seiner Verstimmung. So entstand das bürgerliche Trauerspiel „Die Macht der Verhältnisse“, welches er in Prag Tieck vorlas, auf den es den peinlichen Eindruck eines Tendenzstücks machte. Zu den merkwürdigsten Bekanntschaften gehörte die Beethoven’s. Mozart hatte einen Nachfolger gefunden, um den sich zahlreiche Bewunderer reihten. Nicht unbedingt vermochte Tieck einzustimmen, er gehörte der ältern Richtung an. Wenngleich er die Genialität, die gewaltige und erschütternde Kraft des jüngern Meisters in der Instrumentalmusik erkannte, so sprachen ihn doch weder seine Liedercompositionen noch selbst seine Oper an. Er vermißte in beiden das eigentlich Gesangmäßige, die einfachsten Töne der Musik, jene hohe und klare Heiterkeit, die den Tonwerken Mozart’s den Charakter der abgeschlossenen und vollendeten Kunst verlieh. Auf Beethoven’s Musik lastete der Druck der Schwermuth, der Schmerz einer gewaltigen Natur. Er selbst machte einen unheimlichen Eindruck. Er war finster, auffahrend, jähzornig und unberechenbar in den Ausbrüchen seines Gefühls. Dennoch gestaltete sich das Verhältniß zwischen ihm und Tieck freundlich; dieser besuchte ihn nicht selten. Dann setzte er sich an das Instrument, phantasirte Stunden lang, und entfaltete eine staunenswerthe Gewalt. Doch plötzlich ergriff es ihn wie eine fremde, dämonische Macht, mitten im Takte sprang er auf, und stürmte zur Thür hinaus. Heftiger noch brach ein anderes Mal die Leidenschaft hervor. Tieck hatte auf dem Schreibtische einen zierlichen Gypsabguß bemerkt. Es war der Porträtkopf eines vornehmen östreichischen Magnaten, mit dem Beethoven in Verbindung stand. Er machte einige gleichgültige Bemerkungen über die Arbeit; da springt Beethoven zornig auf, ergreift die Statuette, stürzt in den Vorsaal, und schleudert sie unter lauten Verwünschungen über das Geländer der Treppe, daß sie zerschellend auf dem gepflasterten Boden der Hausflur niederfällt. An eine Fortsetzung der Unterhaltung war für heute nicht zu denken. Gemüthlicher war der Umgang mit Liebich, dem Director des ständischen Theaters. Er gehörte zu den maßvollen und verständigen ältern Schauspielern. Künstlerische Einsicht verband sich bei ihm mit Anspruchslosigkeit und Einfachheit. Im bürgerlichen Schauspiele und feinern Lustspiel war er ausgezeichnet. Er besaß Iffland’s sicheres und wirksames Spiel, ohne in dessen Manier zu verfallen, und auch als Mensch war er achtungswerth. 11. Visionen in Berlin. Sommer und Herbst des Jahres 1813 waren verflossen; der Norden Deutschlands war frei. Tieck war wiederum in Ziebingen. Hier erwartete ihn sein alter Feind. Im Winter erkrankte er am Scharlachfieber, und kaum war er hergestellt, als schwere Erkrankungen in seiner nächsten Umgebung ihn mit Sorgen erfüllten. Ein Fall, der tödtlich zu werden drohte, rief ihn im Sommer 1814 unerwartet nach Berlin. Der Eintritt in die Stadt war von dem sonderbarsten Abenteuer begleitet, das ihn fast in die träumerische Zeit seiner Jugend versetzte. In angestrengter Eile legte er den Weg zurück. Tag und Nacht war er in drückender Hitze gefahren. Ermattet traf er in den Mittagsstunden bei seinem Schwager, dem Staatsrath Alberti, ein. Nach den ersten Begrüßungen und Erkundigungen zog er sich zurück. Ueberwacht, von Anstrengung, Hitze und Spannung abgemattet, bedurfte er der Ruhe. In einem obern Stockwerke des Hauses wies man ihm ein Zimmer an. Es lag mitten in einer Reihe weitläufiger zusammenhängender Gemächer, die vor kurzem nach dem Tode des letzten Bewohners geräumt worden waren. Die Dienerschaft erhielt Befehl, jeden unzeitigen Besuch abzuwehren, und jede Störung zu vermeiden. Zu größerer Sicherheit schloß er selbst die Thüren. Noch einen Augenblick trat er an das Fenster. Er sah auf den Hof hinab. Eine schwüle Mittagshitze brütete auf dem engen Raume. Die Diener waren mit den Pferden beschäftigt; man putzte und ordnete, klapperte und schwatzte durcheinander. Ohne die Kleider abzulegen, warf er sich auf das Bett. Er blickte im Zimmer umher. Es war wüst und unheimlich; die Wände verstaubt, hin und wieder Nägel darin. Einst waren sie mit Gemälden und Kunstgegenständen geschmückt gewesen. Abgespannt und gleichgültig lag er, verworrenes Geräusch tönte vom Hofe herauf; noch schlief er nicht. Da ward plötzlich die nach innen führende Thür mit Heftigkeit geöffnet. Aufgeschreckt fuhr er in die Höhe. Ein hagerer ältlicher Mann in blauem Frack und altmodischer Haltung tritt ein. Sein Gesicht ist blaß, die Züge fest und markirt, starke weiße Brauen überschatten die Augen. Eine Hand hatte er unter den Brusttheil des Rockes geschoben, er schien etwas verbergen zu wollen. Tieck glaubte einen kleinen Gipsabguß zu erkennen. Indem der Eintretende mit dem eiligen Schritte eines Beschäftigten durch das Zimmer ging, streifte ein gleichgültiger Seitenblick über Tieck hin. Bevor dieser fragen konnte was ihn herführe, hatte er die zweite Thür aufgerissen, und war in den Vorsaal hinausgetreten. Unwillig über diese Störung warf sich Tieck zurück, um jetzt zu schlafen. Doch bald wird die Thür abermals geöffnet, in derselben Haltung kehrt der Alte zurück und verschwindet. Nach einiger Zeit schreitet der Eindringling zum dritten Male durch das Zimmer. Jetzt sprang Tieck zornig auf. Er will ihn zur Rede stellen, aber der Alte wirft ihm einen festen und scharfen Blick zu, öffnet die Thür nach dem Vorzimmer, und verschwindet abermals. Endlich hatte er Frieden und schlief ein. Nach einer Stunde festen Schlafes kehrte er zur Gesellschaft zurück. Die Unterhaltung begann, er hatte den störenden Vorfall vergessen. Erst später erinnerte er sich desselben, und erzählte scherzend, wie er trotz der Vorsichtsmaßregeln nicht weniger als drei mal gestört worden sei. Die Möglichkeit wurde in Abrede gestellt. Man verhörte die Dienerschaft. Kein Besuch war gekommen, man hatte Niemand gesehen, Niemand war nach dem obern Stockwerk hinaufgegangen. Man fing an zu zweifeln; die Störung sei ein Traum gewesen. Aber Tieck glaubte beschwören zu können, den Alten mit wachenden Augen gesehen zu haben, er war vollkommen klar und seiner bewußt gewesen. Er beschrieb ihn, den Anzug, die Haltung, das markirte Gesicht; die Gesellschaft ward stumm, eine Pause trat ein. Endlich hieß es, diese Beschreibung passe allein auf den alten Beeren, den neulich verstorbenen Bewohner des obern Stockwerks. Dieser Mann gehörte zu den Sonderlingen Berlins. Schon sein Name war eigenthümlich; er hieß Geist genannt von Beeren. Tausend wunderliche Geschichten wurden von ihm erzählt. Er war reich, hatte eine geräumige Wohnung in der Stadt, und in der Nähe derselben einen Landsitz, der heute seinen Namen trägt. Im bürgerlichen Leben galt er für einen Rechthaber und Querulanten, mit allen Behörden stritt er, mit aller Welt processirte er. Seine Erwiderungen waren nach Umständen grob, sarkastisch, oder abenteuerlich sonderbar. Er war Sammler und Kunstkenner, und hatte in seinen Zimmern Gemälde und Gypsabgüsse aufgehäuft, auf die er einen hohen Werth legte. Niemals hatte Tieck diesen Mann gesehen, doch früher Manches von seinen Wunderlichkeiten gehört. Beim Eintritt in das Zimmer hatte er nicht an ihn gedacht, aber er erinnerte sich jetzt, im Vorsaal einige Gypsabgüsse gesehen zu haben. Es waren Reste der Sammlung, welche man einstweilen zurückgelassen hatte. Diese Erörterungen hinterließen einen unangenehmen Eindruck. Es wurde beschlossen, Tieck sollte ein anderes Zimmer beziehen. Doch er widersprach, er fing an auf den weitern Verlauf der Geschichte begierig zu werden. Nicht ohne Schauer betrat er am Abend das spukhafte Zimmer, doch die Nacht verging ohne Störung, er schlief nach allen Anstrengungen trefflich, und hat den alten Beeren nie wieder gesehen. Es schien damals in Berlin eine geisterhafte Atmosphäre zu herrschen. Die Erscheinungen des thierischen Magnetismus fingen an Aufsehen zu erregen. Sie setzten Aerzte, Naturforscher und Philosophen in Bewegung. Man hatte Beobachtungen und Erscheinungen, zu denen man kein Gesetz auffinden konnte. Man stritt und haderte, und Gläubige und Zweifler theilten sich in feindliche Heerlager. Es hatte sich ein früher nicht geahntes Geheimniß aufgethan. Die berufene berlinische Aufklärung war alterschwach geworden, sie wußte mit diesen Dingen nichts anzufangen. Auch für Tieck waren diese Wunder anziehend; immer hatte er die geheimnißvolle Seite der Natur im Auge gehabt. Dennoch stand er diesen Dingen kühler gegenüber. Ohne über die Erscheinungen an sich aburtheilen zu wollen, waren die Ergebnisse derselben häufig sehr geringfügig. In der Mitte der Gläubigen stand ein als Magnetiseur bewunderter und gesuchter Arzt, der Medicinalrath Wolfardt. Als Tieck ihn einst besuchte, sah er ein junges Mädchen im magnetischen Schlafe auf dem Sopha liegen, mehrere beobachtende Personen standen umher. In einem entfernten Nebenzimmer war Wolfardt; er suchte nach einem Recepte, dessen er im Augenblicke bedurfte. Da erschien die Hellseherin unerwartet an der Schwelle des Zimmers. „Sie suchen rechts!“ sagte sie, „das Recept liegt in dem Schubfache links, oben.“ Und wirklich fand es sich hier. Bisweilen konnte Tieck sich kaum des Gedankens erwehren, dieser Mann übe auf ihn selbst einen magnetischen Einfluß aus. Von heftigen Kopfschmerzen geplagt, mußte er eine Gesellschaft besuchen. Als er eintrat, stand der Magnetiseur in der Mitte aufmerksamer Zuhörer, er sprach eifrig und unter lebhaften Bewegungen der Hände. Tieck trat hinzu und blieb längere Zeit in seinem Bereiche. Die Schmerzen verschwanden allmälig, und er fühlte sich frei und leicht. Ueberhaupt gehörte sein Aufenthalt in Berlin diesmal zum großen Theil den Aerzten. Er sah Hufeland, Behrens und Reil. Als er Behrens wegen seines Leidens befragte, gab ihm dieser den praktischen Rath, viel Burgunder und Champagner zu trinken, dann werde er ohne Zweifel das Podagra bekommen, und von allen andern Uebeln befreit werden. Anders fiel seine Unterredung mit Reil aus, dessen Scharfblick und Originalität bekannt war. Beobachtend und ohne ihn zu unterbrechen, hörte dieser die Geschichte seiner Krankheit an. Dann sagte er: „Gehen Sie im Zimmer auf und nieder, aber fest und schnell!“ Tieck folgte dem Befehle. „Nun sprechen Sie so laut Sie können!“ Es geschah. „Holen Sie tief Athem, und hauchen Sie mich an!“ „Jetzt lesen Sie eine halbe Seite aus diesem Buche!“ So folgte eine Weisung der andern. Endlich schwieg er und sah Tieck durchdringend an. „Ich habe in meinem Leben viel unverschämte Kranke gesehen“, begann er, „aber keinen der unverschämter gewesen wäre als Sie. Alle diese Bewegungen können Sie sicher ausführen und sind noch nicht zufrieden? Was verlangen Sie denn noch mehr bei Ihrem Zustande? Danken Sie Gott, daß Sie soviel Kraft und Gesundheit haben!“ Es war der Trost der Trostlosigkeit, den ihm der große Arzt gab, doch er erschien im Gewande des Humors und verfehlte seine Wirkung nicht. 12. Neue Freunde. Einen Wendepunkt in Tieck’s Leben bezeichnete die Freundschaft mit Solger. Dieser war fast um acht Jahre jünger. Ursprünglich Kameralist lebte er doch allein dem Studium der Philosophie, der alten Sprachen und der neuen Literatur. In der Zeit des ersten Eindrucks der Kritik der Schlegel und der Dichtungen Tieck’s hatte er sich gebildet. Wie er Goethe verehrte, entschied er sich auch für Tieck, dessen weitere Entwickelung er mit Theilnahme verfolgte. Endlich begann er in der Philosophie nach Schelling einen eigenen Weg zu gehen. Er wurde als Professor nach Frankfurt an der Oder berufen, und von da an die neu begründete Universität zu Berlin versetzt. Im Frühjahr 1808, vor seiner Reise nach Wien, sah ihn Tieck zum ersten Male bei dem gemeinschaftlichen Freunde Hagen. Zwei Jahre später, als er nach dem Norden Deutschlands zurückkehrte, besuchte er ihn in Frankfurt. Es kam zu einer Annäherung, und aus allgemeinen literarischen Berührungen entstand ein geistiger Verkehr, der durch Briefwechsel und Besuche unterhalten und gesteigert wurde. Entscheidend war eine gemeinsame Reise im Jahre 1811. Tieck hatte soeben seine Badecur in Warmbrunn beendet, als Solger auf einer Gebirgsfahrt begriffen dort eintraf. Bis Schmiedeberg reisten sie zusammen, und seit diesen Gesprächen stand ihre Freundschaft fest. In keinem entscheidendern Augenblicke hätte sie eintreten können. Tieck fühlte, die frühere Richtung in Poesie und Wissenschaft konnte er nicht mehr verfolgen, er suchte nach einer andern, neuen. Noch schien es zweifelhaft, wohin seine Natur ihn führen werde. Durch das Studium Jakob Böhme’s war das Dunkle und Mystische in ihm, dem er früher unbewußt, als einer ursprünglichen Kraft seines Wesens gefolgt war, zur Entfaltung gekommen. Immer mehr hatten ihn diese wunderbaren Gedanken umsponnen, sie erwuchsen zu einer furchtbaren Macht, welche alles Andere zu verschlingen drohte, sie beherrschten Talent, Gefühl und Stimmung. Aus ihm selbst hatte sich etwas erhoben, das nicht mehr er selbst war. Während seiner Krankheit in Italien fing er an sich den alten Zauberkreisen zu entziehen. Hatte Jakob Böhme in der That die letzten Räthsel gelöst? Wie wollte er seinen Lucifer mit Gott ausgleichen? Gerieth er nicht in die Gefahr eines furchtbaren Dualismus? Mit diesen Zweifeln kehrte auch die alte Unsicherheit zurück, aber nicht der jugendliche Muth, der früher siegreich darüber hingegangen war, und in seinen Schöpfungen Genüge gefunden hatte. Es war ein festes geschlossenes System, das ihn beherrschte, ein philosophischer Glaube, den er aufgeben mußte, wenn er frei werden wollte. Aber nun wurden Zweifel und Schwankungen doppelt quälend. Da trat ihm Solger entgegen, ein Charakter wie er ihn suchte; klar und vielseitig, gelehrt und tiefsinnig, forschend und sicher ohne absprechend zu sein, offen und voll Antheil an jeder Seite menschlichen Daseins. Er sah die Welt in Religion und Geschichte, in Kunst und Poesie, er wollte sie nicht construiren, nicht von neuem schaffen, er suchte nach den gestaltenden Principien. Er war ein Bewunderer der alten, aber nicht minder der großen modernen Dichter. Mit Shakspeare und der spanischen Literatur war er vertraut. Hier war nichts von dem, was Tieck bei Philosophen und Philologen fürchtete, und weshalb er sie stets mit einer Art Scheu betrachtet hatte; nichts von der herrschsüchtigen Zuversicht des Systems, von einseitiger Schärfe und zersetzender Splitterrichterei, keine fertige Schulmanier, die für Alles ein Schlagwort in Bereitschaft hat; es war überall Erlebtes. Er fand wieder, was ihn selbst erfüllte. Mit keinem seiner Freunde vermochte er ein so offenes, eingehendes und allseitiges Gespräch zu führen als mit Solger. Es war ein ruhiges Versenken in den Gegenstand, ein wahres Zwiegespräch, ein Austausch der Geister. So große persönliche Anregungen hatte Tieck seit Novalis nicht empfangen. Aus dem „Erwin“ und den „Dialogen“ machte er ein Studium. Der Genuß wurde für ihn dadurch erhöht, daß ihm Solger die eben beendeten Gespräche im Manuscript zuschickte, und seine Bemerkungen darüber erbat. Stets sah er diesen Sendungen mit Spannung entgegen. Mit derselben Begeisterung, wie in der Jugend die Dichter, las er jetzt den Philosophen. Ergänzend kamen Solger’s Briefe hinzu. In diesen Werken erkannte er seine innersten Gedanken und Erfahrungen. Mit keinem Philosophen war er so weit gekommen, auch mit Jacobi nicht, der ihm noch am nächsten gestanden hatte. Immer war es ihm gewesen, als wenn sie über eine trennende Kluft zueinander hinübersprächen. Das unmittelbare Leben, welches er bei großen Dichtern und Mystikern fand, das er in seinen Dichtungen darzustellen suchte, von dem er sprach als von etwas Geheimnißvollem, hatten manche als Träume seiner Poesie behandelt, und wollten es nicht kennen. Hier war ein Philosoph, der ihn verstand; nicht in unsichern Umrissen, oder versetzt mit fremden und trüben Mischungen, sondern in festen Formen fand er seine Gedanken wieder. Es war die innere Blutsverwandtschaft der Religion, der Philosophie, der Kunst, an welche er stets geglaubt hatte, und die ihm in andern Systemen im abstracten Gegensatze, in feindlicher Trennung erschienen waren. Seine Ahnungen wurden zum gesetzmäßig Gedachten, und die Denkformen erfüllten sich mit einem realen Inhalte. Jetzt war ihm die Philosophie weder eine bloße Gymnastik des Denkens, noch ein Construiren und Entstehenlassen Gottes. In einen neuen Zusammenhang rückte Alles ein, er lernte im wahren Sinne des Worts. Bisher hatte er in einem instinctiven Zustande gelebt, und sich dem Eindrucke der Kunst und des Schönen hingegeben, ohne das philosophische Bedürfniß zu haben, sich über das Wesen desselben klar zu werden. Was es an sich war, was es in ihm wirkte, war ihm unterschiedlos Eins; er nahm Eines für das Andere. Aus dieser Quelle war in seinen Phantasien und Dichtungen manches entsprungen. Der unmittelbare Verkehr mit Solger hielt diese Bewegung in stetem Flusse. Kein Jahr verging, wo sie sich nicht gesehen hätten, wo Tieck nicht auf einige Tage in Berlin gewesen, oder der Freund ihn nicht im Frühlinge oder Herbste besucht hätte. Oft begannen ihre Unterhaltungen am frühen Morgen, und nach kurzen Unterbrechungen fand der späte Abend sie noch im tiefen Gespräche. Einzelne, oft nur leichte Andeutungen Solger’s durchzuckten ihn mit der Gewalt des Blitzes, und warfen vor- und rückwärts auf ganze Gedankenreihen ein neues, helles Licht. So wirkte eine Aeußerung über das Böse als das reale Nichts wie eine plötzliche Offenbarung auf ihn, und von hier aus entwickelten sich ihm neue fruchtbare Gedanken, die er später mannichfach verarbeitete. Kein Gedanke aber ergriff ihn tiefer vom ersten Augenblicke, wo er ihm bei Solger begegnete, und beschäftigte ihn länger als der der Ironie, über die am Schlusse des „Erwin“ einige Andeutungen gegeben waren, und von der Solger ihm später einmal im Jahre 1818 schrieb: „Die Mystik ist, wenn sie nach der Wirklichkeit hinschaut, die Mutter der Ironie, wenn nach der ewigen Welt, das Kind der Begeisterung oder Inspiration. Sie haben das, was ich Mystik nenne, Poesie genannt; ich nenne es auch so, auch Religion, je nachdem sie sich ihrer nach beiden Seiten bewußt oder unbewußt ist. Was ich aber Mystik für sich nenne, ist die lebendige und unmittelbare Einsicht, die sie auf allen Stufen in sich selbst hat, und deren Entwickelung wieder die Philosophie ist.“ Das waren Gedanken, die ihn seit früher Zeit dunkel erfüllt hatten, und denen er bei seinen ersten Dichtungen unbewußt gefolgt war; schon beim „Lovell“, dann bei seinen satirischen Dramen. Um die unmittelbare Gegenwart des Göttlichen zu offenbaren, mußte die menschliche Wirklichkeit verschwinden; dies war die tragische Seite der Ironie, während das Göttliche aufgehend in das Leben der Zerstückelung und Widersprüche, in die menschliche Sphäre verpflanzt, zum Gegenstand der Komödie wird; darum ist auch in dem Komischen von der Ironie der Ernst unzertrennlich. Zu ihnen gesellte sich auch Friedrich von Raumer, der früher schon mit Solger in freundschaftlicher Verbindung gestanden hatte. Unter der Leitung des Staatskanzlers Hardenberg hatte er im Fache der Verwaltung gearbeitet; doch entsagte er dieser Laufbahn, um eine Professur der Geschichte und Politik in Breslau anzunehmen. Schon 1810 besuchte er Tieck in Ziebingen. Auch hier ergab sich aus den ersten Unterredungen ein näheres Verhältniß, das durch Briefe und Besuche fortgesetzt wurde, und zu einer wahren und dauernden Freundschaft führte. Mit Interesse verfolgte Tieck die historischen Forschungen Raumer’s. Er sah das Werk über die Hohenstaufen entstehen, und las es, nicht ohne eine bedeutende Rückwirkung zu erhalten, zum großen Theil bereits im Manuscripte. So traten ihm Politik, Geschichte, die historische Gegenwart ebenfalls näher. Ausschließlich hatte er früher der Vergangenheit gelebt, soweit sie der Sage und Literatur angehörte, die thatsächlichen Zustände der Gegenwart im Einzelnen beschäftigten ihn wenig. Andere Kräfte und Elemente kamen jetzt hervor, und indem der Dichter in der Mitte zwischen dem Philosophen und Geschichtsforscher stand, und in ein neues Verhältniß zur idealen und realen Welt trat, vollendete sich seine Umbildung. Der Verkehr der drei Freunde war der innigste und reichste. Sie ergänzten und förderten sich gegenseitig, da jeder eine eigenthümliche Seite des Lebens darstellte. Daraus ergab sich der Gedanke einer Zeitschrift für Philosophie, Poesie und Geschichte, deren Herausgeber Solger sein sollte, und in der sie die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Thätigkeit niederlegen wollten. Aber auch in der engern Umgebung fehlte es nicht an Freunden, bei denen Tieck in seinen Studien und Dichtungen Anregung und Theilnahme fand. Außer seiner Familie waren Graf Finkenstein, Burgsdorff und dessen Angehörige, und Wilhelm von Schütz, einer seiner frühesten Schulfreunde, der seit einiger Zeit in Ziebingen lebte, die nächsten; selbstthätig nahm dieser an der romantischen Poesie Theil. Nach spanischen Musterbildern war sein Trauerspiel „Lacrimas“ gearbeitet, das eine Zeit lang neben F. Schlegel’s „Alarcos“ unter den Dramen der Romantiker einen gewissen Ruf hatte. Er war enthusiastisch aber unklar. Auch in Kadach, dem Prediger in Ziebingen, einem verständigen und wissenschaftlichen Manne, hatte Tieck einen Freund gefunden. So lebte er in diesen Jahren ein einfaches Stillleben, das ohne bedeutende äußere Unterbrechung zwischen Freunden, dichterischen Productionen, geistiger Arbeit, und körperlichen, niemals ganz ruhenden Leiden, sich auf- und abbewegte. Es war ein enger Kreislauf, von dem die Welt nur selten wie von einem fern entlegenen Dasein Kunde erhielt. Fast schien er in einem zeitlosen Zustande zu leben. Mit Befriedigung sah er Auf- und Niedergang der Sonne, Frühling und Herbst an sich vorüberziehen, und was er einst als Knabe über ländliche Einsamkeit geschrieben hatte, erfüllte sich hier. Wenn er die Mitwelt vergaß, so blieb ihre Rache nicht aus, indem sie ihn als einen Verschollenen zu betrachten anfing, der schon mehr der Literaturgeschichte als dem gegenwärtigen Leben angehöre. Sonderbare Gerüchte waren über ihn in Umlauf gekommen. Früher hatte es geheißen, er denke daran in Ziebingen Prediger zu werden. Ein anderes Mal übersandte ihm ein Durchreisender einen Zettel mit der Aufforderung, durch die Kraft seiner Muse das vergessene Ziebingen wieder in Ruf zu bringen. Seit dem Erscheinen des ersten Theils des „Phantasus“ waren mehrere Jahre verflossen. Jetzt kam diese Sammlung zu einem gewissen Abschlusse. In den Jahren 1815 und 1816 vollendete er den „Fortunat“. Es war ein alter, im Jahre 1800 entworfener Plan, der endlich ausgeführt wurde. Zum letzten Male behandelte Tieck einen dem Mittelalter entlehnten Sagenstoff dramatisch. Aber schon dieses Werk gab Zeugniß von der eingetretenen Umwandlung, es war weder so mittelalterlich gläubig wie „Genoveva“, noch so bunt wie „Octavian“. Er suchte sich in den Grenzen der Bühne zu halten; auf eine mehr dramatisch wirksame Concentrirung war er ausgegangen. In dem zweiten Theile, den er für den vollendetern ansah, bewältigte die Dichterkraft den Märchenstoff. Hier hielten sich Humor und Tragik das Gleichgewicht; hier wehte der Geist Shakspeare’s. Zugleich gab die 1817 erscheinende Sammlung „Altdeutsches Theater“ und die Vorrede dazu einen neuen Beweis seiner allseitigen dramaturgischen Studien. 13. London und Paris. Längst hatte er gewünscht das Vaterland seines Dichters kennen zu lernen, den Boden, der zugleich Schauplatz der meisten und gewaltigsten Tragödien desselben war. Es war von Wichtigkeit, in die Hülfsmittel Englands für diese Literatur Einsicht zu gewinnen. Im Verlaufe einer fünfundzwanzigjährigen Erforschung Shakspeare’s und des englischen Dramas, hatte er eine umfassende Kenntniß dessen erworben, was die deutschen Bibliotheken darin aufzuweisen hatten. Aus eigener Anschauung oder durch Vermittelung von Freunden wußte er was Göttingen, Dresden, Berlin und Kassel besaß. Viele ältere englische Dramen, selbst solche, die unter Shakspeare’s Namen gingen, suchte man hier vergeblich. Es schien nicht möglich sie in Deutschland herbeizuschaffen. Mit Freuden ergriff er daher auch diesmal einen Plan seines reisefertigen Freundes Burgsdorff, ihn 1817 nach England zu begleiten. Endlich war ein allgemeiner und dauerhafter Friede gewonnen. Mit dem Gefühle der Sicherheit kehrten auf allen Lebensgebieten die alten, lang zurückgedrängten Neigungen wieder. Es war anziehend, jetzt im ersten Augenblicke friedlicher Beruhigung London und Paris, denn auch dieses sollte besucht werden, zu sehen. In den ersten Tagen des Mai 1817 traten sie die Reise an. Sie nahmen ihren Weg durch das nördliche Deutschland nach den Rheingegenden und den Niederlanden, die Denkmäler der alten Kunst wurden zunächst Gegenstand der Betrachtung, soweit es die Eile verstattete. Die Augen des lebenden Geschlechts hatten sich für die Größe nationaler Vergangenheit geöffnet, die Kunstwerke der deutschen Vorzeit, über die man kalt und gleichgültig hinweggesehen hatte, erschienen jetzt in neuem, glänzenden Lichte. Die Freunde betraten zuerst die alten Dome in Magdeburg und Halberstadt, und rasteten dann in Göttingen. Es war ein bewegtes Wiedersehen nach der Studienzeit, die nun schon ein Vierteljahrhundert hinter ihnen lag. Sie besuchten die Bibliothek, die jetzt unter der Leitung des in der neuen Literatur gelehrten Beneke stand, sie sahen Hugo, Heeren und einige andere Notabilitäten der Universität, auch Fiorillo, ihren alten Lehrer. In Marburg erfreuten sie sich der alten Kirche, dann der herrlichen Lage Wetzlars und Limburgs und der dortigen Alterthümer. In Koblenz verweilten sie bei Görres, der auch der altdeutschen Kunst lebte. Er besaß nicht unbedeutende Sammlungen, mit denen er seine Wohnung geschmückt hatte, und hielt es für Pflicht den Dichter der „Genoveva“ zur Kapelle der heiligen Genoveva bei Andernach zu führen, die sammt der Quelle beim Volke im Rufe heilbringender Kraft stand. Wichtiger war es für Tieck Max von Schenkendorf kennen zu lernen, den Dichter der Freiheitskriege, dessen schönes lyrisches Talent er achtete. Görres begleitete sie nach Köln, dem deutschen Rom, wo sie mit Walraf, Grote und andern Alterthumsforschern bekannt wurden. Weiter ging es nach Brüssel, Mecheln, Antwerpen, Gent und Brügge. Es waren zum Theil die Kunstwanderungen seines Sternbald, welche Tieck zwanzig Jahre später nachholte. In diesen Städten war noch das alte deutsche Leben in ursprünglicher Fülle zu Hause. Hier gab es Kathedralen, Bilder von Eyck, Hemlink, Rubens. Auch der Menschenschlag trug den festen, sichern Zuschnitt eines wohlgegründeten, althistorischen Daseins. Von Calais gingen sie über den Kanal. Am Morgen des 29. Mai sahen sie die Küste von England. Im Nebel, zwischen grauer See und Wolken, lagen die Kreidefelsen von Dover vor ihnen. Es war trübes Wetter, und der erste Anblick kein heiterer. Doch für manche Unannehmlichkeiten entschädigte schon der Besuch der Kathedrale von Canterbury. Tages darauf waren sie in London. Bald fanden sich alte und neue Bekannte zusammen; Burgsdorff’s alter Freund, der Baron von Bielfeld, Leopold von Buch, der geniale Naturforscher und Reisende, der durch sein schroffes, aber immer originales Wesen anzog. Für Tieck gab es in London zwei Punkte, die vor andern seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, das Museum und das Theater. Bald überzeugte er sich, wie unentbehrlich die Kenntniß der Schätze des ersten für seine Shakspearestudien sei. Aus Handschriften und seltenen Drucken copirte er manches alte Drama. Eine freundliche Unterstützung dieser Arbeiten fand er bei dem jüngern Schlichtegroll, der auf dem Britischen Museum beschäftigt war, und auch später manchen Auftrag für ihn ausführte. Auf der Bühne war es Tieck vergönnt, Kemble und Kean nebeneinander zu sehen. Der erste war im Begriffe, seine theatralische Laufbahn zu schließen. Tieck sah ihn in den größten Rollen Shakspeare’s, als Brutus, Percy, Wolsey, Hamlet, endlich als Coriolan, worin man sein Spiel stets am meisten bewundert hatte. Lange war er der Liebling des Publicums gewesen. Unter ausbrechenden Thränen nahm er nach der letzten Vorstellung von den Zuschauern und der theatralischen Wirksamkeit Abschied. Wahrhaft wüthende Ausbrüche der Verehrung folgten, mit denen das Publicum den berühmten Schauspieler überschüttete. Es war eine Scene des ungeheuersten Lärms und Tumults. Kemble war ein bedeutender Schauspieler, dennoch entsprach er nicht dem, was Tieck von der Kunstvollendung forderte, und selbst gesehen hatte. Früher mochte Kemble’s Spiel wirksamer gewesen sein; jetzt im vorgerückten Alter hatte er an Kraft und Stimme eingebüßt. Für jugendliche Rollen reichten beide nicht mehr aus. Er declamirte mehr als er spielte. Doch in der Herrschaft über Sprache und Ton zeigte er sich als Meister. Seine Rede glich einem klaren, gleichmäßigen Flusse, der aber endlich ermüdet. Um so größer war die Wirkung, die er durch einzelne, unerwartet und selten angewendete Accente hervorrief. Oft glaubte Tieck Iffland wieder zu hören. Mit andern Mitteln wirkte Kean als Hamlet und Richard III. Er war der vollendete Gegensatz Kemble’s, und bei weitem mehr Manierist. Sein Ton war scharf, eindringend, zum Humoristischen neigend. Er zerschnitt und zerriß die Rede, er war in steter Unruhe; heftig fuhr er auf der Bühne hin und her. Die wirklich bedeutenden Momente waren bei ihm seltener. Man kam nicht zum ruhigen Genusse. Talma zu sehen gelang nicht. Mit der George gab er einzelne Scenen auf dem Theater der großen Oper bei einem nach deutschen Begriffen ungeheuer hohen Eintrittsgelde. Im Ganzen stand das englische Theater tiefer als das heimische. Die Manier herrschte, der letzte Ton der Naturwahrheit war verloren gegangen. Ohne Verständniß und Achtung des Dichters verarbeitete man Shakspeare’s Dramen durch Abkürzungen und Zusammenziehungen wahrhaft barbarisch, oft bis zur Unkenntlichkeit. Von der Bedeutung und Wirkung des Ganzen hatte man keine Idee. Was neben den Studien an Zeit übrig blieb, gehörte den Kirchen und Galerien, dem Tower, der Stadt, dem Leben im Allgemeinen. Auch bei der Einweihung der neuen Waterloobrücke waren sie zugegen. Doch war für Tieck dies Treiben nicht eben leicht. Oft seufzte er über die weiten Entfernungen in der großen Stadt, und die Eigenthümlichkeiten der Sitte gaben ihm, der an deutsche Hausordnung gewöhnt war, in Scherz und Ernst zu mancher Aeußerung des Unmuths Gelegenheit. Er fand, das Leben werde bei allen Vorrichtungen zur Bequemlichkeit wieder unbequem; und wer Deutschland in seiner Weise wolle schätzen lernen, müsse ins Ausland gehen. Auch London wollte ihm nicht gefallen. Der alterthümlichen Reste waren weniger als er geglaubt hatte, und diese wurden durch neue Bauwerke, und das Handels- und Fabriktreiben der modernen Welt verdrängt. Doch mußte er die Freundlichkeit der Engländer, deren Bekanntschaft er machte, rühmen. Man wußte mehr von ihm, als er erwartet hatte. Das Lob, welches ihm die Staël ertheilt hatte, war nicht ohne Wirkung geblieben. Seine Schriften waren bekannt, und die Arbeiten über Shakspeare konnten auf Zustimmung und Förderung rechnen. Unter den englischen Schriftstellern fand er einen Bekannten wieder, Coleridge, den Kenner der deutschen Literatur und Uebersetzer des „Wallenstein“. Er hatte ihn zehn Jahre früher in Rom gesehen, und in freundlichen Beziehungen zu ihm gestanden. Auch schätzte Coleridge Tieck als Dichter und Kritiker. Shakspeare war Gegenstand ihrer häufigen Unterhaltungen. Coleridge kannte seine Ansichten über die englischen Commentatoren, und daß er über den Entwickelungsgang des Dichters und die Reihenfolge der Stücke eine andere Meinung aufgestellt habe. Eines Abends bat er ihn um ausführliche Mittheilung derselben. Tieck erklärte sich bereit, wenn er sie im Zusammenhange und ohne Unterbrechung vortragen könne. Es war zehn Uhr Abends, als er begann, Mitternacht vorüber, als er schloß. Schweigend hatte Coleridge zugehört; ohne ein Wort der Erwiderung sagte er gute Nacht. Am andern Abende kam man wieder zusammen. „Ich habe“, fing er an, „Ihre Ansichten die ganze Nacht hindurch überlegt; und Neues daraus gelernt. Ich finde, Sie haben in vielen Punkten Recht.“ Auf eine so unumwundene Zustimmung hatte Tieck nicht gehofft. „Dennoch“, fuhr er fort, „kann ich sie nicht annehmen!“ „Und warum nicht?“ fragte Tieck überrascht. „Weil ich sie nicht annehmen will, denn sie widersprechen Allem, was man bisher in England über Shakspeare gedacht und geschrieben hat.“ Gegen einen so nationalen Gesichtspunkt auch in der Kritik war schwer anzukämpfen. Doch erwies sich Coleridge freundlich und behülflich, und durch seine Vermittelung kam Tieck in Berührung mit Southey und dem Novellisten Godwin. Endlich wünschte man England außerhalb Londons kennen zu lernen. Wohin anders konnte dieser Ausflug gehen, als nach dem Geburtsorte Shakspeare’s? Zuerst nach Oxford. Aber auch der Natur konnte Tieck keinen Geschmack abgewinnen. Es war ein üppig grünendes, ein herrlich bestelltes Land, durch das sie fuhren; aber es war eine gemachte, eine zugeschnittene Natur, den Charakter der Ursprünglichkeit hatte sie verloren. Es fehlte ihr die Unmittelbarkeit, jene Heiligkeit, wie er es nannte, welche das Gefühl anspricht, und die ihn selbst in den ärmlichen Gegenden der Heimat oft gerührt hatte. Durch die Industrie war sie des dichterischen Duftes beraubt worden. In Warwickshire standen sie auf dem Boden Shakspeare’s und seiner Helden. Herrlich war die Wirkung des alten Schlosses von Warwick, mit seinen Mauern, von dichtem Epheu umsponnen. Die reiche Sammlung alter Waffen, die hier aufbewahrt wurde, erhöhte den lebendigen Eindruck. Man bestieg einen der mächtigen Thürme, der einen überraschenden Blick auf das Land gewährte. Dann besuchten sie die Ruinen des einst glänzenden Schlosses Kenelworth, an dessen Namen sich viele bedeutende Erinnerungen knüpften. Zuletzt waren sie in dem kleinen Stratford am Avon, das ein Dichter zum berühmten Wallfahrtsorte gemacht hatte. So waren die Dinge in Erfüllung gegangen! Er, der Dichter, stand in frommer Verehrung an der Wiege des Dichters, an dessen Geiste im fernen Lande und nach Jahrhunderten sich der seine entzündet, dessen Namen er im Herzen getragen hatte, seit er seiner selbst bewußt geworden. Ueber die Felder von Glocestershire, wo die blutigen Schlachten der beiden Rosen geschlagen worden waren, über Bristol und Bath, reisten sie nach Salisbury, wohin sie außer der alten Kathedrale auch das fabelreiche Feld von Stonehenge zog, welches die Sage zum Schauplatze Merlin’s macht. Mit diesem Ausfluge schloß ihr Aufenthalt in England. In den ersten Tagen des Juli trafen sie in Paris ein, wo sie von Alexander von Humboldt, Oelsner und Andern freundlich empfangen wurden. Die eigenthümlichste Erscheinung unter den Deutschen in Paris war Schlaberndorf, der seine heimischen Verhältnisse zum Opfer gebracht hatte, um hier als Einsiedler und Weltmann zugleich zu leben. Seine Sonderbarkeiten hatten die Revolution überdauert. Von den herkömmlichen Gesetzen des geselligen Lebens befreit, beschränkte er sich auf den Raum eines dürftigen Zimmers, das er nicht mehr verließ. Schon aus dem Bette aufzustehen, war ihm eine wichtige Veränderung; oft blieb er Tage lang liegen. Dennoch war er mitten in den Dingen. Es fehlte ihm nicht an Berichten aus der politischen und literarischen Welt. Die ausgezeichnetsten Personen besuchten den Sonderling. Er war eine lebendige Chronik der französischen Revolution, und überschaute die politische Lage mit dem Blicke eines Staatsmanns und der Ruhe eines Diogenes. Tieck suchte ihn in seiner Einsiedlerhöhle auf. Er fand einen alten Mann mit starkem grauen Barte, von verwildertem Ansehen. Das Hauptstück seines Anzugs war ein zerrissener Schlafrock, der die Blöße des Körpers, und den Mangel der gewöhnlichsten Unterkleider nur unzureichend bedeckte. Es war das Bild eines Anachoreten; aber seine volle Theilnahme gehörte dem Leben und der Gegenwart. Beredt sprach er von der Revolution. Er ging mit dem Gedanken um, seine Erinnerungen aufzuzeichnen. In seinem Kopfe war das Buch fertig. Auch hatte er es auszuführen angefangen. Zum Beweise brachte er einige Bogen Papier zum Vorschein, auf deren erster Seite der zierlich geschriebene Titel des Buches stand. Weiter war er noch nicht gekommen. Tieck wiederholte diese merkwürdigen Besuche, erregte aber dadurch den Zorn Leopold’s von Buch, der nur spottend und verwerfend von dem sonderbaren Manne sprechen konnte, der in seinen Augen ein vollkommener Revolutionär war. Auch in Paris war die Bibliothek das Wichtigste, über deren Besitz in der ältern deutschen und dramatischen Literatur Tieck sich zu unterrichten suchte; dann die Theater. Hier ereignete sich ein merkwürdiges Abenteuer. Wiederholt bemerkte er, daß er unter den zunächst Sitzenden eine gewisse Aufmerksamkeit und eine Bewegung hervorrief, die sich weiter verbreitete, so oft er eintrat. Was konnte es sein? Als deutscher Dichter war er sicherlich nicht Gegenstand der Neugier. Endlich kam es an den Tag. Es bestätigte sich, was ihm früher schon Freunde gesagt hatten; seine auffallende Aehnlichkeit mit dem Kaiser war es, die Aller Blicke auf ihn lenkte. Diese großen dunkeln, schwermüthigen Augen, die hohe Stirn, die obere Hälfte des Gesichts erinnerte lebhaft an Napoleon in späterer Zeit. Ein Nordamerikaner, der den König Joseph persönlich kannte, meinte, diesem sähe er noch ähnlicher. Tieck, kein Bewunderer Napoleon’s, hatte dergleichen scherzende Bemerkungen immer halb unwillig abgewiesen, jetzt mußte er sich von ihrer Wahrheit überzeugen. Aeltere Offiziere des Kaiserreichs nahten sich ihm forschend, selbst auf der Bibliothek umgab man ihn, sodaß es ihm zuletzt lästig ward, Gegenstand dieser neugierigen Betrachtung zu sein. Nach einem Aufenthalte von mehreren Wochen trat man die Rückreise an. Durch das Lothringische und über Trier gingen sie nach Koblenz, wo sie bei Görres den Präsidenten von Meusebach, den bekannten Sammler für ältere deutsche Literatur, sahen. In Frankfurt a. M. trafen sie F. Schlegel. Unerwartet begegneten sie darauf in Heidelberg Jean Paul. Zu den ältern Freunden, Daub und Creuzer, kam noch der Mediciner Nägele, ein heiterer, humoristischer Mann, und Hegel, dessen Ruf als Philosoph um diese Zeit begann. Auch bewunderten sie Boisserée’s Sammlung altdeutscher Gemälde, die an Werth und Umfang Alles übertraf, was sie auf der Reise an Denkmälern alter Kunst gesehen hatten. Endlich verwandten sie noch einige Tage auf das südliche Deutschland. Ueber Karlsruhe gingen sie nach Baden-Baden, Stuttgart und Würzburg, dann durch Thüringen nach Weimar. Wie konnte Tieck hier sein, ohne Goethe wenigstens begrüßt zu haben? Denn mehr verstattete dieses Mal der kurze Aufenthalt nicht, da er noch an demselben Tage weiter reiste. Goethe meinte später von Tieck’s Besuche, es sei ja diese Zusammenkunft ganz gut abgelaufen. In Weißenfels besuchten sie Müllner, einen Dichter neuen Schlages, dessen schnell erworbener Ruhm für ein Zeichen der Zeit gelten konnte. Tieck hatte ihn früher einmal gesehen, jetzt wünschte auch Burgsdorff, den Schicksalstragöden kennen zu lernen. Im Gefühle reichlich genossener Anerkennung war Müllner so zuversichtlich, daß er einen komischen Eindruck machte. Man unterhielt sich einen ganzen Abend lang. Tieck wagte einige Zweifel über „Die Schuld“ zu äußern. Müllner überhörte sie, oder fertigte sie mit der wiederholten Versicherung ab, in der Vorrede zur bevorstehenden vierten Auflage werde er diese und andere Einwürfe widerlegen. Dies kehrte so häufig wieder, daß es klar ward, er hielt die vierte Auflage seiner „Schuld“ für eine Waffe, an der alle Kritik zunichte werden müsse. Nach einem flüchtigen Besuche bei Adam Müller in Leipzig langten sie im September in Berlin an. Hier sah Tieck viele Freunde älterer und neuerer Zeit, Brentano, Arnim, Solger, Schinkel, mit dem er in froher Gesellschaft zusammenkam, auch F. A. Wolf und Schleiermacher. Seit seiner Studentenzeit war er Wolf hin und wieder begegnet. Er fand den schlagfertigen, epigrammatischen Alterthumsforscher wieder, der die Alten auch praktisch wohl studirt hatte. Schleiermacher besuchte er in seiner Kirche. Mit Bewunderung hörte er den großen Redner. Seine Predigt war einfach, klar, treffend, belehrend. Dennoch genügte sie dem, was Tieck von kirchlicher Erbauung forderte, nicht ganz. Am Mittage desselben Tages war er in einer Gesellschaft bei seinem Verleger Reimer. Im eifrigen Gespräche begriffen, fühlte er einen leichten Schlag auf der Schulter. Es war Schleiermacher, der ihn am Morgen von der Kanzel aus bemerkt hatte. Originell rief er ihm zu: „Wie Teufel, Tieck, kommen Sie denn in meine Kirche?“ Auch Oehlenschläger hielt sich in Berlin auf. Ueber Wien war er aus Paris zurückgekehrt, wohin er einen vornehmen jungen Dänen begleitet hatte. Er war ganz der Alte, gutmüthig, aber reizbar und blindlings zufahrend. Dies führte zu einer komischen Täuschung. Er war ein Bewunderer Shakspeare’s, und „Hamlet“ nahm bei ihm auch darum die erste Stelle ein, weil er darin eine Verherrlichung des skandinavischen Nordens sah. Kühn trat ihm Tieck mit der Behauptung entgegen, eben in dieser Tragödie habe der Dichter mit klaren Worten ausgesprochen, daß die Dänen keine Vernunft besäßen. Aufbrausend rief Oehlenschläger, das sei unmöglich. Tieck versprach den Beweis zu führen, und zeigte ihm jenen Vers, in dem der König sagt: „Ihr könnt nicht von Vernunft dem Dänen reden.“ Oehlenschläger brach in eine Flut von Verwünschungen aus. Solche Einseitigkeit, ja Barbarei sei unerhört! Ein ganzes Volk der Vernunftlosigkeit anzuklagen! Wer so spreche, sei gewiß kein Dichter! Aber er sage sich jetzt von Shakspeare los; öffentlich werde er die leichtgläubige Welt darüber aufklären, welchen Götzen sie angebetet habe. Sein Zorn steigerte sich zur Berserkerwuth, der die Freunde umsonst Einhalt zu thun suchten. Am andern Tage, als man wieder zusammenkam, schalt er in demselben Tone weiter, als wenn er soeben erst aufgehört hätte. Jetzt mußte der Sache ein Ende gemacht werden. Solger und Schleiermacher, die zugegen waren, ergriffen den Widerstrebenden an den Armen, und drückten ihn auf den Stuhl nieder. Den Shakspeare in der Hand, trat Tieck vor ihn und schrie ihm in die Ohren: „Mensch, bist du unsinnig geworden? Höre an! Laß dich bedeuten!“ Schon der folgende Vers erkläre ja, wie es zu verstehen sei; nur aus dem Zusammenhange gerissen, gebe jener Vers einen so verkehrten Sinn. Der Däne sei der König, dieser bestimmte König von Dänemark, nicht die Dänen, das Volk überhaupt. Allmälig ward Oehlenschläger stiller, er fing an zu begreifen, warum es sich handle. Erschöpft saß er auf dem Stuhl; der Schweiß lief ihm von der Stirn. Endlich sagte er: „Böses Volk ihr! Einem so zuzusetzen!“ Doch seine Gutmüthigkeit ließ ihn nicht lange zürnen, und bald stimmte er in das Gelächter der Freunde ein. 14. Uebersiedelung. Mit reicher Ernte war Tieck nach Ziebingen zurückgekehrt. Es war eine Reise, wenn auch nur von kurzer Dauer, doch von höchstem Werthe. An Kenntniß der Literatur, des gegenwärtigen Kunstzustandes, an Ueberblick seines Stoffes hatte er gewonnen. Er fing an, diese neuen Eindrücke in sich zu verarbeiten. Er fühlte sich frisch und angeregt; die nächste Zukunft versprach reichhaltige und belehrende Arbeit. Doch anders gestalteten sich die Dinge. Im Frühjahr 1818 starb der alte Graf Finkenstein, das Oberhaupt der Familie, mit welcher Tieck in naher Verbindung stand. Er war der Mittelpunkt des geselligen Zusammenlebens gewesen. Theilnehmend und vielseitig, war er für Tieck ein väterlicher Freund, und dieser Verlust berührte auch ihn schmerzlich. Es war eine nicht wieder zu füllende Lücke. Diese Verhältnisse, welche zu gewohnten geworden waren, neigten der Auflösung zu. Seit funfzehn Jahren gehörte ihnen Tieck an, in der zweiten Hälfte dieses Zeitraums hatte er fast ausschließlich in ihnen gelebt, Ziebingen war seine Heimat geworden. Aber es war nur eine Seite des Lebens; auch fehlte es an Beschwerden nicht. Er war abgeschnitten von dem literarischen Verkehr. Hatte er auch eine nicht unbedeutende Bibliothek zur Hand, so konnte diese doch unmöglich überall ausreichen. Nicht ohne Schwierigkeiten wurden die Hülfsmittel durch Freunde von Frankfurt, später von Berlin gesendet. In dem bewegten Leben einer größern Stadt lag an sich schon eine bedeutende Anregung; selbst der Gegensatz, auf den man hier gefaßt sein mußte, ward zur treibenden Kraft. Anderes boten die Künste dar. Endlich war bei einem dauernd leidenden Zustande die Stadt an Aushülfen reicher als das Land. Im Sommer 1819 übersiedelte er sich nach Dresden, das sich vor andern Städten zu längerm Aufenthalte empfahl. Es kehrte ihm die Erinnerung früherer Jahre zurück, die er hier verlebt hatte, wo trübe Schwermuth ihn gefangen hielt, und die heitere, freundliche Natur ihre Kraft für ihn verloren hatte. Jetzt sah er die Welt mit andern Augen an. Er war ruhiger, er erwartete weniger, und fand mehr. Die bekannten und doch neuen Gegenstände bewegten ihn. Diese Gärten und Weingelände, dieser Strom mit seinen Bergen, Alles rollte sich wie ein altes, lange nicht gesehenes, und darum doppelt frisches Bild vor ihm auf. Dazu die Galerie mit ihren Meisterwerken, die sich auch jetzt noch, nach Italien und England, in altem Glanze behaupteten, die Bibliothek, das Theater, freundschaftlicher Umgang; Alles gestaltete sich günstig. Kaum aber war Tieck heimisch geworden, als ihn ein neuer Verlust traf. Vor Ablauf des Jahres starb Solger. Noch im Frühlinge hatte er ihn gesehen, und unter den ersten heitern Eindrücken im September zum letzten Mal an ihn geschrieben. Nicht ohne Besorgniß sah er, wie der Freund, der im jugendlichen Mannesalter stand, seit einiger Zeit zu kränkeln anfing. Beim letzten Wiedersehen fand er ihn verändert und niedergeschlagen, der sonst so klar und sicher die Dinge überschaute. Oft hatte er sich an dieser festen Natur aufgerichtet, jetzt mußte er den Zuspruch übernehmen. Ein Besuch Karlsbads gewährte in diesem krankhaften Zustande nur eine vorübergehende Hülfe. Im November starb Solger nach kurzer Krankheit an einem entzündlichen Halsübel. Für Tieck war es ein schwer zu verschmerzender Schlag. Dieser Freund machte einen Theil seines eigenen Lebens aus. Sein Umgang, sein Wort, seine Schriften übten eine tiefe Einwirkung aus, und hatten die Zeit innern Ringens zum Abschluß gebracht. Er war ihm mehr als Freund gewesen; mit aufrichtigster Dankbarkeit nannte er ihn seinen Lehrer. Zu der freudigen Erhebung gesellte sich jetzt der Schmerz, und erst durch beide ward ihm der neue Wohnort zur Heimat. Ludwig Tieck. Zweiter Theil. Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen von Rudolf Köpke. Zweiter Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1855. Inhalt des zweiten Theils. Seite +Viertes Buch.+ Ruhm und Anerkennung. 1820-1841. 1 1. Restauration und romantische Schule 3 2. Dresden 14 3. Amt und Würden 28 4. Die Kunstreise 36 5. Die Novellen 42 6. Das Haus des Dichters 57 7. Das alte und das junge Deutschland 73 8. Anerkennung 83 9. Auflösung 91 +Fünftes Buch.+ Tod des Dichters. 1841-1853. 101 1. König und Dichter 103 2. Theater, Literatur und Politik 111 3. Lebensweise und Eigenthümlichkeiten 120 4. Die letzten Tage 134 5. Tieck’s Werke 149 +Sechstes Buch.+ Unterhaltungen mit Tieck. 1849-1853. 167 1. Tieck über sich und seine Werke 169 Individualität 169 Ueberzeugung 169 Scherz und Ernst 170 Aufklärung 170 Kritiker 171 Sternbald 171 Romantische Dichtungen 172 Romantische Schule 173 Ironie 173 Der junge Tischlermeister 175 Vittoria Accorombona 175 Das junge Deutschland 176 Pietät 177 Theater 177 Vorlesen 178 Resignation 180 2. Deutsche Literatur 180 1. Klopstock 180 2. Wieland 182 3. Lessing 183 4. Herder 185 5. Bürger 186 6. Goethe 187 7. Schiller 193 8. Sturm- und Drangperiode 198 9. Lenz 199 10. Klinger 201 11. Heinrich von Kleist 201 12. Fouqué 202 13. Achim von Arnim 203 14. Brentano 204 15. Z. Werner 205 16. Zschokke 205 17. Hoffmann 206 18. Immermann 206 19. Platen 207 20. Heine 208 21. Moderne Literatur 208 3. Fremde Literatur 211 1. Die Alten 211 2. Dante 213 3. Camoens 214 4. Shakspeare 214 5. Ben Jonson 223 6. Alfieri 224 7. Goldoni 224 8. Rousseau 225 9. Byron 225 10. Walter Scott 226 4. Theater 226 Fleck 228 Schröder 230 Iffland 231 Wolff 232 L. Devrient 232 5. Aesthetisches 234 Die Novelle 234 Das Tragische 235 Das Komische 236 Humor 236 Romantisch 237 Ironie 238 Ideal 240 6. Gegenwart und Vergangenheit 241 Instinct 241 Individualität 241 Bildung 242 Erziehung 243 Falsche Humanität 244 Gewerbefreiheit 244 Emancipation der Juden 245 Fortschritt 245 Kosmopolitische Ideen 247 Geschichte 247 7. Religion 249 Systematik 249 Glaube und Forschung 250 Das Wunder 251 Ebenbild Gottes 251 Mittler 251 Baum der Erkenntniß 251 Ahnungen des Christenthums 251 Versuchung Christi 252 Reden Christi 252 Christenthum 253 Lehrformeln 253 Frömmigkeit 254 Das Elend 254 Die Skepsis 254 Unsterblichkeit 255 Resignation 256 +Beilagen.+ 257 1. Geheimer Rath Loebell in Bonn an den Verfasser 259 2. Geheimer Rath Carus an den Verfasser 266 3. Anmerkungen 267 4. Chronologisches Verzeichnis von Tieck’s Werken 285 Viertes Buch. Ruhm und Anerkennung. 1820-1841. 1. Restauration und romantische Schule. Das sechsundvierzigste Lebensjahr hatte Tieck zurückgelegt, als er sich nach Dresden übersiedelte. Er stand auf der Höhe des Lebens, die Mittagssonne über seinem Haupte. Durch den mannichfaltigsten Wechsel der Menschen, ihrer Kämpfe, Leiden und Hoffnungen war er gegangen. Deutschland hatte sich in dem letzten Vierteljahrhundert umgestaltet. Throne und Staaten waren gestürzt und wieder aufgerichtet worden, auf Schmach und Unterdrückung waren Sieg und Erhebung gefolgt, und neue Stimmungen und Bedürfnisse, Wünsche und Neigungen rasch emporgewachsen. Wer hätte in diesem Deutschland von 1820, jenes von 1807, oder gar das von 1792 wiedererkennen mögen? Selten hatte sich im Völkerleben ein größerer und gewaltigerer Umschwung in kürzerer Zeit vollzogen. Die deutsche Dichtung seit Goethe und die Wissenschaft durften einen Theil dieser Siege für sich in Anspruch nehmen; auch mit ihren Waffen waren Schlachten geschlagen worden. In diesen Kämpfen hatte Tieck in erster Reihe gestanden. Wo aber war jenes Geschlecht geblieben, gegen das er in den letzten Jahren des verflossenen Jahrhunderts die schärfste Spitze des Witzes und humoristischer Dichtung wenden mußte? Die Aufklärung war vorübergegangen und vergessen. Nur noch dunkel erinnerte man sich ihrer als eines alten Hausgeräthes, das man einst nicht entbehren zu können glaubte, und das nun längst bei Seite gestellt worden war. Man nannte die Namen der Kritiker, Moralphilosophen und Dichter, die früher das große Wort führten, nicht mehr; kaum daß man ihnen einen stillen Platz in der Literaturgeschichte gönnen wollte. Wer hätte sich jetzt nicht geschämt in dem einst gefürchteten Nicolai einen Kritiker zu erkennen? Wer hätte Ramler noch für einen Dichter gehalten? Wem galt Engel’s Philosoph für die Welt noch für einen Philosophen, oder Moses Mendelssohn für den modernen Sokrates? Sie alle waren in den Hintergrund getreten. Hier war seit Fichte und Schelling alles neu geworden. Aber auch das geniale Geschlecht der Stürmer und Dränger, dessen Einbruch die Aufklärer umsonst abzuwehren suchten, war nicht mehr, der Kreis der großen Dichter hatte sich aufgelöst. Schon war manches Jahr über Schiller’s Grab hingegangen, der durch sein gewaltiges Wort die Nation zuletzt erschüttert hatte. In Weimar war es still geworden. Nur einer noch war übrig, der Erste, der Größeste, Goethe. Es war der alte Goethe, der unmittelbar einzuwirken aufgegeben hatte, der der stillen Poesie des Orients, seinen eigenen Lebenserinnerungen und den Naturstudien zugewendet, in einsamer Hoheit thronte und in mystischer Beschaulichkeit die wechselnden Gestalten der Zeit an sich vorüberziehen ließ. Er war der Erhabene, der in aller Welt Anerkannte. Daß es Zeiten gegeben hatte, wo auch er sich durchkämpfen mußte, und die jüngeren Kritiker jene Anerkennung zuerst aussprachen, war vergessen, wie fast alle literarischen Kämpfe, welche die deutsche Welt beschäftigten, als Tieck zuerst auftrat. Selbst von jenen Gefährten, mit denen Tieck im engen Bunde gestanden hatte, nannte er kaum Einen mehr den Seinen. Sie waren gestorben oder das Leben hatte sie von seiner Seite gerissen. Rambach, der ihn in die Literatur eingeführt hatte, war im fremden Lande verschollen; Reichardt, dem er die erste Kunsterziehung verdankte, war todt, und in seiner Kunst überflügelt. Bernhardi hatte sich der praktischen und gelehrten Thätigkeit hingegeben; jetzt war auch er gestorben. Wackenroder und Novalis waren ihm längst vorangegangen. Nur zwei Männer aus jenem Kreise lebten noch, eben die, welche im Vereine mit Tieck jene Bewegung geleitet hatten, die beiden Schlegel. Aber das alte Einverständniß hatte aufgehört. Alle drei hatten verschiedene und weit auseinander führende Wege eingeschlagen. A. W. Schlegel war zum weltmännischen Gelehrten und Kunstkritiker geworden; statt des deutschen hatte er einen universellen Charakter angenommen. Mit der Staël hatte er in Genf und Coppet gelebt und den Dolmetscher deutscher Dichtung und Wissenschaft gemacht. Dann verkehrte er an den Höfen der Fürsten und in den Heerlagern der kämpfenden Parteien, wo er sich in der Theilnahme an politischen Verhandlungen zum Diplomaten zu machen versuchte. Er war in Wien und Stockholm zu finden gewesen, er schrieb vortrefflich französisch wie er vortrefflich deutsch geschrieben hatte, und politische Pamphlets wie früher Kritiken. Er bespiegelte sich in der Eleganz dieser Formen. Er ward Ritter mehrerer Orden und in den Adelstand erhoben. Dann begleitete er die Staël nach Italien, und lebte in Pisa und Florenz künstlerischen und antiquarischen Studien. Er hielt sich in Paris auf, und nach dem Tode der Staël nahm er einen Ruf als Professor an die neu begründete rheinische Universität an. Der deutsche Gelehrte kam wieder zum Vorschein. Mit kalter und diplomatischer Haltung, doch nicht ohne eine gewisse Bitterkeit sah er auf die meisten Genossen seines ersten jugendlichen Strebens in Dichtung und Wissenschaft zurück. Er war innerlich überzeugt, ihr Bestes hätten sie mehr oder minder ihm und seinen Anregungen zu verdanken. Immer tiefer hatte sich F. Schlegel in seine mystische Weisheit hineingearbeitet, er war zur katholischen Kirche übergetreten und dann wie Gentz und Adam Müller, östreichischer Diplomat geworden. Sein früheres kritisch dichterisches Wirken lag in dunkler Vergangenheit hinter ihm. Nach tausendfachen Kreuzfahrten in Poesie und Philosophie war er endlich in einen Hafen eingelaufen, wo er Ruhe zu finden glaubte. Niemand machte es anschaulicher als er, welche vollständige, vorher nicht zu ahnende Umwandlung die Welt in den letzten zwanzig Jahren erfahren hatte. Auf die Umstimmung der literarischen Ansichten in Deutschland hatte er selbst wesentlich eingewirkt, indem er den Gedanken des Romantischen als einer besondern geheimnißvollen Poesie und Wissenschaft entwickelte. Schon in den Zeiten, wo die neue Kritik mit den kühnen Lehrsätzen des „Athenäums“ sich Bahn machte, zeigte F. Schlegel bei allen Paradoxien ein bei weitem mehr mystisches und positives Element als sein Bruder, der überwiegend scharf und verneinend auftrat. Es war seine Sturm- und Drangperiode, als er nur die Originalität für moralisch gelten ließ, die wahre Tugend in die Genialität setzte, und in der Sinnlichkeit die Unschuld, ja Kunst und Religion fand, und dennoch den heiligen Müßiggang quietistisch verherrlichte und ihn zur Religion machen wollte. Schon im „Athenäum“ von 1798 suchte er die Bedeutung der romantischen Poesie systematisch darzulegen. Wenn er sagte, ihr erstes Gesetz sei, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide, sie sei die Dichtkunst selbst, und alle Poesie sei romantisch, so konnten seine Freunde ihm darin noch beistimmen. Doch bedenklich ward es, wenn er behauptete, die romantische Dichtart werde Poesie und Prosa, Philosophie und Rhetorik, Genialität und Kritik, Kunst und Natur mischen und verschmelzen, sie solle die Poesie lebendig und gesellig, das Leben und die Gesellschaft poetisch machen. Nur sie allein könne ein Spiegel der Welt sein, ihr Wesen sei ewig zu werden, nie vollendet zu sein, sie sei unerschöpflich und unendlich. Dieser neuen Poesie, die Alles in Allem sein sollte, gab er bald darauf einen andern Namen; als ihren Kern bezeichnete er die Mythologie. In dem Mangel dieser sah er die Schwäche der gegenwärtigen Dichtung, und zugleich sprach er in prophetischem Tone aus, die Zeit sei nicht mehr fern, wo man eine neue Mythologie gewinnen werde. Aus der tiefsten Tiefe des Geistes sollte sie hervorgehen, ein neues Gefäß des alten ewigen Urquells der Poesie, und ein unendliches Gedicht sein, welches die Keime aller andern in sich trage, ein hieroglyphischer Ausdruck der Natur in der Verklärung von Phantasie und Liebe. Dazu sollte die Kenntniß Indiens beitragen, und das Höchste des Romantischen nur im Orient gefunden werden. Damals war ihm der Katholicismus noch das naive, der Protestantismus das sentimentale Christenthum, er fand in diesem noch ein revolutionäres Verdienst, er war ihm eine universelle und progressive Religion. Anders dachte er wenige Jahre später. Seit 1802 studirte er in Paris mittelalterliche, mehr noch orientalische Poesie. Dorthin drängte ihn das dunkle, mystisch-mythische Element. Im Jahre 1804, als er die „Anthologie“ aus Lessing herausgab, war ihm der Katholicismus schon die positive, der Protestantismus die negative Religion, eine Religion des Krieges, bis zur innern Feindschaft und zum Bürgerkriege. Der katholischen Religion war es gelungen, den künstlerischen Glanz, Reiz und Schönheit der alten Mythologie sich zu eigen zu machen. Eine esoterische Poesie sollte entstehen, deren Aufgabe es war, die unnatürliche Trennung von Dichtung und Wissenschaft aufzuheben, die Mythologie herzustellen, den alten Fabeln ihre Bedeutung wiederzugeben und das gemeine Leben zu poetisiren. Eine Wiedergeburt der Welt sollte vor sich gehen, in welcher die Eisenkraft des Nordens mit der Lichtglut des Orients verschmolz. In diesem Sinne versuchte er in der Restaurationsperiode nicht nur am Aufbau der alten Kirche, sondern auch an der Herstellung des alten Staates Theil zu nehmen; er gab diesem eine religiöse Weihe, und nannte das die legitime Ansicht der Geschichte. In einem Propheten- und Orakeltone, der an Dunkelheit zunahm, predigte er die neue Philosophie in verschiedenen Schriften und Vorlesungen. Er ward der Oberpriester aller philosophischen, politischen und poetischen Mystiker. Unter diesen verschiedenartigen Einwirkungen hatte sich ein drittes Geschlecht herangebildet, dem die Gegenwart gehörte. Es waren diejenigen, welche die Poesie Goethe’s und seiner Zeitgenossen, die Dichtungen Tieck’s und die frühern kritischen Urtheile der Schlegel als ein anerkanntes und ausgesprochenes Erbe überkommen hatten. Für sie war zum ruhigen Besitz geworden, was jene erkämpft hatten. In einem ganz andern Luftkreise waren sie aufgewachsen. War man früher aufgeklärt gewesen, so war man jetzt gläubig, und an die Stelle des freigeistigen Rationalismus sollten Mystik und Tiefsinn treten. Früher glaubte man in der Moral die Religion entbehren zu können, jetzt war die Moral in Verruf gekommen; früher verlachte man das Wunder und den Glauben als eine geistige Schwäche und Trägheit, jetzt sah und fand man das Wunderbare überall. Hatte sonst die breite Altklugheit das Wort geführt, so hörte man jetzt fast nur das Stammeln und Lallen der Natur, der Unschuld und sogenannten Kindlichkeit. Einst war Alles weltbürgerlich, human, von Freiheitsgedanken erfüllt gewesen; aus abstracten Grundsätzen construirte man einen allgemeinen Kosmopolitismus, nun war Alles historisch, volksthümlich, germanisch, mittelalterlich und kirchlich geworden. Die einst verspotteten Gedanken hatten ihre frühere Verachtung gerächt. Das Streben, eine geschmälerte Nationalität herzustellen, und die Sehnsucht nach einer einst glänzenden Vergangenheit war auch Inhalt der Poesie geworden. Volksthümliche Lieder, die in der Zeit des Kampfes entstanden waren, sangen von ritterlichem Streiten und Siegen der Ahnherren, von ihrem treuen Glauben, von Kaiser und Reich, von der Kirche und ihren Wundern. Nun aber waren die Siege errungen, das Joch zerbrochen, und um die Lösung anderer Aufgaben handelte es sich jetzt. Aber das Singen und Sagen von ritterlichen Thaten wollte nicht enden. Die Zeit der Rittergedichte brach herein. Die tölpelhaften und ungeschlachten Kämpen der Spieß’schen und Cramer’schen Romane hatten sich in tugendhafte Fouqué’sche Nordlandsrecken, in blonde, tapfere, sittige und wohlgezogene Jünglinge umgewandelt. Da war alles ritterliche Ehre, Minne, Biederkeit und Frömmigkeit, selbst die lichtbraunen Rößlein und die Rüden und Bracken waren verständig. Schien es doch als wenn die Dichtung nur im Mittelalter, im deutschen Mittelalter, im ritterlich frommen deutschen Mittelalter ihre Heimat habe, und hier allein ebenbürtige Formen finden könne. Aber nicht allein die deutsche Dichtung älterer Zeiten, auch die der südwestlichen Völker war wieder entdeckt worden. Früher war ausschließlich von der Mustergültigkeit antiker Poesie die Rede gewesen, jetzt sollte die romantische mindestens ebenso viel, ja noch mehr gelten. Seit Schlegel’s Uebersetzung war Shakspeare’s Name in aller Munde, fast gewöhnte man sich ihn neben den eigenen großen Dichtern als einen Deutschen anzusehen. Die Voß’sche Uebersetzung folgte, und ihr manche andere. Rascher noch war man von der ersten dürftigen Kunde der spanischen Literatur, von schwachen Versuchen zu umfassenden Studien, Uebersetzungen, Nachbildungen und einer schwärmerischen Bewunderung fortgeschritten. In den spanischen Romanzen und im Drama lebte noch der echt ritterliche Geist, die alte Frömmigkeit und eine alte Kunst. Calderon sollte wie Shakspeare, ja mehr noch Inbegriff und Muster aller wahren dramatischen Dichtung sein. An allen schwierigen romanischen Versmaßen, nicht an Sonetten allein, mühte man sich ab, und Sterne, Perlen, Jasmin und narkotische Blumendüfte durfte der Dichter nicht sparen. Gerade die reichsten Talente wurden von diesem dunkeln Zuge am stärksten ergriffen. Arnim und Brentano, mit denen Tieck in mannichfacher persönlicher Verbindung gestanden hatte, verloren sich in phantastischer Willkür, bei Werner war alles Traum und Vision, und weiter noch gingen Andere. Es war die Frage, ob die ältern Meister, welche die neue Kunst eingeführt hatten, diese allerneuesten Künste gutheißen würden. Wenn Tieck diese Bewegung überschaute, welche in dem letzten Jahrzehnd eine allgemeine geworden war, so mußte er sich gestehen, er und seine Freunde hatten dazu einen ersten Anstoß gegeben. Unendlich oft hörte er die Worte wiederholen, die er als Jüngling ausgesprochen hatte, aber hatte man sie damals nicht verstanden, so schien man sie heute zu misverstehen. Es war dasselbe, was er gewollt hatte, und doch etwas ganz Anderes; es waren die Farben, welche er gebraucht hatte, und doch ein fremdartiges Bild. Oft wollte es ihm als eine Caricatur seiner Jugend erscheinen; und er war über die Jugend hinaus. Diesen neuen Genies gegenüber kam er sich nicht selten wie ein Philister aus der Vergangenheit vor, und fast lächerlicher noch als die Aufklärung waren ihm jetzt diejenigen, welche auf sie schalten, nachdem sie dieselbe von ihm verachten gelernt hatten. Die allgemeine Ansicht des Publicums war jetzt ungefähr auf dem Punkte angekommen, wo er vor zwanzig Jahren gestanden hatte. Wenn man ihm von vielen Seiten zurief, nun stimme man mit ihm überein, man wolle nur was er gewollt habe, so war ihm diese Anerkennung mitunter bedenklicher, als alle frühern Angriffe. Jetzt konnte er mit größerm Rechte seinen Nachahmern entgegenrufen, was er schon 1800 im „Neuen Hercules“ den Autor zum Bewunderer sagen ließ: „So streut man nur Worte in den Wind, die nachher zum Misbrauch gut genug sind.“ Die Standpunkte hatten sich geändert, die Entfernung, welche sie voneinander trennte, war dieselbe geblieben. Nachdem er Jahre lang die mystische Philosophie studirt, und mit ihr gerungen hatte, waren seine Kräfte in ein mehr harmonisches Gleichgewicht getreten. Die Idee der Ironie als der höchsten und klarsten Beherrschung des Stoffes war ihm aufgegangen. Ein freier und leidenschaftsloser Ueberblick des Lebens und ein reineres künstlerisches Gestalten war damit verbunden. Es lag darin der Gedanke, sich sittlich über den Erscheinungen zu halten, sich nicht von ihnen unterwerfen oder fortreißen zu lassen. Eben das aber war bei den meisten der Fall. Man hörte nur von Geheimniß, Dunkel und Mystik, und Freund und Feind schienen darin einig zu sein, daß ein consequentes Fortschreiten auf diesem Wege zur katholischen Kirche führen müsse. Brentano war katholisch, F. Schlegel war es geworden, andere folgten dem Beispiele, und Werner hatte seine Feder der Mutter Gottes geopfert. Die Eifrigsten forderten laut die Unterwerfung aller Poesie unter das katholische System. Konnte aber Tieck geneigt sein, als Mann gutzuheißen, was er unter ganz anderen Einflüssen und Stimmungen schon als Jüngling von sich abgewiesen hatte? Er hatte die historische katholische Kirche als eine alt begründete, als frühere Bewahrerin der Legende, der Poesie und aller Künste, gegen unverständige Angriffe vertheidigt; aus dichterischem Gefühlsdrange, aus innerer Gerechtigkeit, aus freier Ueberzeugung hatte er es gethan, folgte daraus die Nothwendigkeit sich dem gegenwärtigen Katholicismus unterzuordnen? In der Poesie lag an sich schon das Wunderbare, Religiöse, aber das hatte man ihm nicht glauben wollen, darum hatte er den spießbürgerlichen Utilismus der ältern Zeit bekämpft, aber den modern überspannten, den katholisirenden konnte er ebenso wenig gutheißen. Ganz anders sahen viele der jüngern Dichter die Sache an. Sie wollten aus der dichterischen Wahrheit eine praktische machen, und waren Dichter und Helden ihrer Romane und Epen zugleich. Die Einen wollten Mönche, die Andern kreuzfahrende Ritter sein. Dichtung und Leben verschwammen hier in Eines, die Dichter verloren sich an ihre Stoffe, dies konnte schließlich nur Zerrbilder geben. Oft genug ward Tieck an Don Quixote erinnert; diesem war es mit seinen Thaten nicht mehr Ernst als den neuen ritterlichen Dichtern, die nicht daran dachten, daß diese Minne, diese Rittertugend, dieses Vasallenthum, welches sie verherrlichten, weder jetzt noch jemals existirt habe. Er stand hier auf Goethe’s Standpunkte, das heißt auf dem aller wahren Dichter. Aus dem Leben selbst mußte die Poesie quellen; aber eine angebliche Poesie, was der Einzelne dafür hielt, in das Leben hineintragen zu wollen, konnte nur mit Verkehrtheit und Abgeschmacktheit enden. Ueberall vermißte er die unverfälschte Wahrheit der Natur, ohne welche keine Kunst bestehen kann; überall blickte das Gemachte, das Willkürliche durch. Dieses neue System nannten Anhänger und Gegner die romantische Schule, und Tieck galt ihnen für das Haupt derselben. Aber dies war ein großes Misverständniß. Stets hatte er die Schule bekriegt, nun sollte er selbst der Stifter einer solchen sein. Niemals hatte er daran gedacht; zu einem Partei- und Sektenhaupte, zu einem literarischen Agitator fehlte ihm nicht mehr als Alles. In seiner Weise kämpfte er, aber in die Tagesliteratur hatte er sich nie gemischt. Er hatte zu viel mit sich selbst zu thun, um an eine bewegliche und sich zersplitternde Thätigkeit zu denken; er war zu tief, wenn man will zu schwerfällig, zu bequem. Alles Parteiwesen haßte er; er haßte es auch darum, weil es Unterordnung und Aufgeben des Individuellen verlangte. Als er mit den Schlegel und Novalis verbunden war, hatte man auch von einer neuen Partei, von einer kritischen oder einer Schlegel’schen Schule gesprochen. Allerdings waren sie durch ein freundschaftliches Verhältniß miteinander verknüpft, wie überall diejenigen, welche in gewissen Grundansichten übereinstimmen. Schon damals wurden sie von den Gegnern als unterschiedslose Masse behandelt und Einer für den Andern verantwortlich gemacht. An ein planmäßiges Machen und Organisiren dachten sie selbst nicht, auch wenn man sich im „Athenäum“ vereinte und auf einander Sonette dichtete. Und was bewiesen am Ende diese Sonette? Hatten nicht Klopstock, seine Freunde und die ältern Dichter des achtzehnten Jahrhunderts genug Oden und Lieder auf einander gemacht? Niemand hatte Anstoß daran genommen. Auch ging Tieck von Anfang an so selbständig seinen Weg, daß dies mehr als ein Mal Veranlassung ernstlicher Entzweiung mit dem ältern Schlegel zu werden drohte. Jetzt aber noch viel weniger als früher wollte er eine romantische Schule anerkennen. Er konnte nicht einstimmen, wenn man ihm von der Romantik, als einer besondern Gattung der Poesie, reden wollte. Unter wechselnden historischen Bedingungen konnte diese erscheinen, an sich aber mußte sie immer dieselbe sein und bleiben. Damit war seine Stellung in jener Zeit, als er seinen Wohnsitz in Dresden aufschlug, entschieden. In dem Augenblicke, wo man ihn als zweites dichterisches Haupt Deutschlands begrüßte, war er dennoch innerlich isolirt. Es konnte nicht anders sein. Wie alle bedeutenden Naturen war er zu eigen gebildet, zu allseitig, als daß er jemals in den allgemeinen Ruf des Tages hätte einstimmen können, auch wenn seine Worte zum Feldgeschrei gemacht wurden. Im Munde Anderer wurden es andere Worte. 2. Dresden. Gegensätze und Meinungsverschiedenheit dieser Art waren in Dresden nicht zu befürchten. Die literarischen Kreise, welche hier herrschten, und mit denen eine Berührung nicht ausbleiben konnte, waren ganz anderer Natur; sie stammten zum Theil noch aus jenen Zeiten, die längst für abgethan galten. Es gab eine locale Tagesliteratur, welche, durch bekannte Männer geleitet, auf die öffentliche Meinung keinen geringen Einfluß ausübte, und als eine Art von Macht auftrat. Eine Anzahl mittlerer, gewandter, federfertiger Talente war hier vereinigt. Ohne Tiefe und entschiedene Richtung waren sie zufrieden, dem Bedürfnisse und Geschmacke des Tages zu dienen, und das Publicum zu unterhalten. Sie stimmten darin überein, nicht entschiedene Anhänger der romantischen Schule zu sein. Nach Bildung und Neigung gehörten sie vielmehr der alten Aufklärung an, doch je nach Umständen ließen sie sich auch in dem neuen Tone vernehmen. Die anerkannteste und geehrteste Autorität war Böttiger, mit dem Tieck fast fünfundzwanzig Jahre nach dem „Gestiefelten Kater“ durch ein eigenes Geschick dauernd zusammengeführt wurde. Nach Herder’s Tode nach Dresden berufen, machten ihn Gelehrsamkeit, Vielseitigkeit und Vielthätigkeit bald zum Führer und Lehrer der öffentlichen Meinung in gelehrten und künstlerischen Dingen. Als eleganter Philolog und Alterthumsforscher hatte er eine entsprechende Stellung bei dem Antikencabinet; aber auch über Literatur, Schauspiel und Kunst im Allgemeinen ließ er sich nicht selten öffentlich vernehmen. Wie Böttiger stammte der namhafteste der dortigen Dichter ebenfalls aus der ältern, ja ältesten Schule her, Tiedge, der Freund Elisa’s von der Recke, der vielgefeierte und bekränzte Sänger der „Urania“. Seine Poesie war noch vor Goethe’schen Datums, denn in Gleim’s Freundeskreisen war er gebildet. Der Kern dieser Ansichten und Dichtungen war die gute, alte, nüchterne Prosa, die bis auf den „Werther“ Vielen für mehr gegolten hatte. Tiedge war dabei nicht stehen geblieben. Nicht ohne Formtalent hatte er sich den sentimental-declamatorischen Ton späterer Zeiten angeeignet, und unter bilderreichen, wohltönenden, schäumenden Versen verbarg sich die ursprüngliche Trockenheit. Wenig wurde hier durch Vieles ausgedrückt; aber diese rednerische und nüchterne Tugend fand ungemeinen Beifall. Seine „Urania“ erlebte Auflage nach Auflage, und alte fromme Damen und junge Mädchen wallfahrteten, um den sinnigen Dichter zu verehren. Tieck und Tiedge, aus früherer Zeit miteinander bekannt, hatten beide gleichzeitig im Jahre 1819 sich nach Dresden übersiedelt. Ohne nähere Beziehungen zu haben, setzten sie den geselligen und literarischen Verkehr in bequemer Weise miteinander fort. Als Tiedge mit seinem letzten Lehrgedichte, „Der Markt des Lebens“, beschäftigt war, bat er Tieck, ihm irgendeinen lesbaren neuern Philosophen nachzuweisen, da er in dieser Literatur unbekannt sei, in seinem Gedichte aber doch davon zu sprechen wünsche. Tieck schlug ihm Solger’s Schriften vor, ohne damit große Ehre einzulegen. Denn als Tiedge auf eine scharfe Kritik Klopstock’s stieß, warf er das Buch mit Abscheu von sich. Zu komischen Verwechselungen gab nicht selten die Aehnlichkeit der Namen Veranlassung. Tieck behauptete bisweilen im Scherze, er habe manche Huldigung übereifriger Bewunderer stillschweigend und duldend hinnehmen müssen, die eigentlich seinem Collegen gegolten habe. Einmal kam es sogar vor, daß ein bekannter, aber in der Literatur wenig heimischer Arzt, der seine Hochachtung vor Dichtern beweisen wollte, in einer Gesellschaft Tieck’s Wohl mit den Worten ausbrachte: „Vivat Oranien!“ „Das war ein großer Held“, erwiderte Tieck, heiter darauf eingehend, „den können wir schon leben lassen!“ Ein dritter vielbeliebter Romanschriftsteller war Friedrich Schulze, in der Bücherwelt Laun genannt. Schon im Jahre 1801 hatte Tieck seine Bekanntschaft gemacht, und ein Sonett von ihm im Schlegel’schen Tone hatte, ohne daß man den Verfasser kannte, durch die dritte Hand Eingang in den Musenalmanach für 1802 gefunden. Es war ein stiller, anspruchsloser Charakter, und ein gewandtes, leichtes Talent. In zurückgezogener Aemsigkeit sorgte er schon seit den neunziger Jahren durch eine lange Reihe von Romanen und Erzählungen, in denen er bald in das gewöhnliche Kleinleben, bald in die Ritterzeit oder in die Gespensterwelt hineingriff, für die Unterhaltung des Publicums. Eine wahre Fabrikthätigkeit auf diesen Gebieten entwickelte Gustav Schilling, der es bis auf hundert Bände brachte, und Richard Roos gab ihm darin wenig nach. Die Inhaber der Tagespresse waren Friedrich Kind und Theodor Hell. Der erste war als Erzähler aufgetreten und hatte das Publicum nach und nach mit seinen „Malven“, „Tulpen“ und „Lindenblüten“ beschenkt, zu denen noch das „Vergißmeinnicht“ von Hell kam. Kind versuchte sich auch im Schauspiele und gewann bald darauf durch seinen „Freischütz“ eine rasch vorübergehende Berühmtheit. Hell arbeitete im Lustspiel; er hielt sich an die Vaudevilles der Franzosen. Zu diesen gesellte sich später als tragischer Schriftsteller Eduard Gehe. Einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt besaßen sie in dem früher von Laun, Hell und Kuhn gestifteten literarisch-geselligen Verein, der Liederkreis, und ihr Tagesblatt war die „Abendzeitung“, welche Kind und Hell seit 1817 gemeinschaftlich herausgaben, an der auch Böttiger Antheil nahm. Alle diese Schriftsteller gingen in Ansichten und Begabung über die behagliche Mittelmäßigkeit nicht hinaus. Die meisten von ihnen waren in Dresden geboren, sie waren untereinander mannichfach verbunden, und bildeten eine geschlossene Reihe. Die Uebersiedelung eines Mannes wie Tieck nach Dresden war für sie ein wichtiges Ereigniß, ihre Stellung mußte eine andere werden, sobald sie eine große dichterische Autorität neben sich hatten. Reibungen konnten nicht ausbleiben. Ohnehin war es eine Zeit, wo man in politischer Abspannung literarischen Parteikämpfen, Personalien und Localinteressen eine übermäßige Wichtigkeit beizulegen anfing. Fühlte sich Tieck schon im Gegensatze gegen diejenigen, welche sich seine Freunde und Anhänger nannten, wie hätte er sich mit denen verständigen können, die weder das eine noch das andere waren, und gelegentlich den modernen Spuk mit dem alten Rationalismus zu verbinden wußten. Wie in frühern Jahren, fand er daher auch jetzt Veranlassung genug, immer wieder von Goethe und Shakspeare als den großen Mustern der Dichtkunst zu sprechen. Es erregte auf jener Seite ein unbehagliches Gefühl, wenn er Meisterwerke vorlas, über sie schrieb und sprach, und das Alltägliche, Flache und Mittelmäßige beim rechten Namen nannte oder ganz übersah. Dagegen vernahm man den literarischen Stoßseufzer, man dürfe nicht mehr lachen, wenn Kotzebue kitzele, nicht mehr weinen, wenn Iffland’s Ernst rühre, beide würden gemein gescholten, und deutsche Originale weggewitzelt, um Holberg’s Nuditäten und unverstandene Briten und Spanier zu bewundern. Dennoch wurden beide Theile erträglich miteinander fertig. Böttiger war ein höflicher und auch gutmüthiger Mann, mit dem sich leben ließ. Auch mit den Uebrigen kam ein Einvernehmen insoweit zu Stande, daß Tieck seit dem Jahre 1820 dramatische Kritiken für die „Abendzeitung“ schrieb. Dagegen schlossen sich einige jüngere Dichter, die mit wärmstem Eifer der Romantik huldigten, in persönlicher Freundschaft an, und machten ihn zum Mittelpunkte eines eigenen Kreises. Zuerst Ernst Otto von der Malsburg, ein junger Mann, der, ganz erfüllt von dem Gedanken der modernsten Poesie, durch Schlegel zum Studium der spanischen Dichtung und zur Uebersetzung Calderon’s angeregt worden war. Mit Glück lieferte er eine Fortsetzung des spanischen Theaters; sie erschien seit dem Jahre 1817. Die Atmosphäre spanischer Ritterlichkeit und Gläubigkeit entsprach seinem Charakter und Talente, und in seinen lyrischen Dichtungen reproducirte er mit Empfindung, was er dort aufgenommen hatte. Er war nicht original oder schöpferisch, doch warm, innig, überschwänglich. Persönlich war er liebenswürdig, treu und hingebend als Freund, gewandt, heiter und voll gutmüthigen Humors als Gesellschafter. Auf seine Kenntniß des Spanischen legte Tieck hohen Werth, und seiner Uebersetzung des Calderon gab er vor der Gries’schen den Vorzug. Für beide war das Studium der spanischen Literatur ein Einigungspunkt. Beide waren Liebhaber und Sammler alter Drucke, und scherzweise verabredeten sie, daß der zuerst Sterbende seine spanische Bibliothek dem Ueberlebenden als Erbe hinterlassen solle. Durch Malsburg’s frühen Tod ward dieser Scherz nur zu bald zum Ernst. Im Jahre 1817 war er als kurhessischer Geschäftsträger nach Dresden gekommen, wo er mit einigen Unterbrechungen die letzten Jahre seines Lebens zubrachte. Gleich an Jahren, aber als Schriftsteller älter und bekannter, war der Graf Heinrich Loeben, der unter dem Namen Isidorus Orientalis Mancherlei in Vers und Prosa geschrieben hatte. Neben Fouqué war er der allseitigste Vertreter der neuesten Romantik. Durch seinen ersten Roman „Guido“ zog sich ein wunderlicher und verworrener Nachhall von Novalis’ „Ofterdingen“. Zu der mittelalterlichen Ritterlichkeit kam ein unklarer und mit sich selbst ringender Sinn, der oft mit Gleichnissen nur spielte, und katholisirende Neigungen. Bald war er der andächtige Pilgersmann, bald ein irrender Ritter oder ein klagender Schäfer. Der Karfunkel, die Hyacinthe und Narcisse, alle Blumen und Edelsteine der spanischen Dichter gingen durch seine Hand. Mit ungemeiner Leichtigkeit producirte er. Sein beweglicher Vers war der Ausdruck einer unruhigen und überreizten Phantasie. In schweren Krankheiten und anhaltenden Leiden schienen sich diese Seelenkräfte auf Kosten der Gesundheit zu steigern. Befreundet mit beiden war Karl Förster, Lehrer an der dresdener Cadettenanstalt, eine offene, einfache und weiche Natur. Mit vielseitiger Gelehrsamkeit ausgerüstet, war er besonders Kenner der italienischen Literatur und Kunst. Seine Uebersetzungen des Petrarca und Tasso zeigten, wie seine eigenen Gedichte, ein nicht unbedeutendes Formtalent. Zu ihnen kam der Graf F. Kalkreuth, Sohn des Feldmarschalls; auch er hatte Manches im romantischen Ton geschrieben; und endlich Tieck’s älterer Freund, Wilhelm von Schütz, welcher als ein eifriger Anhänger F. Schlegel’s, die Ueberschwänglichkeit der jüngern Romantiker noch überbot. Diese bildeten den engeren Kreis, der sich ohne Tieck’s Zuthun um ihn sammelte. Alle waren jüngere Männer, begabt, begeistert für eine eigenthümliche Auffassung der Poesie, als deren Meister sie Tieck anerkannten. Reine Hingebung und aufrichtige Bewunderung seiner Dichtungen brachten sie ihm entgegen. Durch die Einfachheit und vollendete Durchbildung, die es ihm unmöglich machte, irgendeinen geistigen Druck auf Andere ausüben zu wollen, durch die feine Sitte und gesellige Form, die seine Natur war, wurden sie gefesselt. Sie selbst bedurften eines Mittelpunktes, eines Namens, an den sie sich anschlossen; so erhoben sie Tieck auf den Schild und nannten ihn ihren Meister. In seiner mittelalterlichen Sprache bezeichnete Loeben ihn als seinen Ritter und sich als getreuen Knappen. Gewann es für die Gegner den Anschein, als wenn sich Tieck wirklich zu einem Sektenhaupte erheben wolle, so konnte doch nur der so urtheilen, der ihn nicht kannte. Unbekümmert um die Deutungen, welche dies Verhältniß erfuhr, ließ er geschehen, was sich von selbst machte. Weder stimmte er mit seinen Freunden in allen oder den wichtigsten Punkten überein, noch verkannte er ihre Einseitigkeiten und Schwächen, aber nicht minder schätzte er ihre Treue und liebenswürdige Hingebung. Ungesucht bildete sich eine literarische Gesellschaft, die sich regelmäßig versammelte, in der man eigene oder fremde Dichtungen vorlas und mit freundschaftlicher Kritik beurtheilte. Zu den Freunden, welche in Dresden lebten, kamen vorübergehend auch auswärtige, welche Abwechselung und manche neue Anregung brachten. Nach langer Trennung sah Tieck im Jahre 1820 seine Schwester, jetzt Frau von Knorring, wieder, welche einen ihrer Söhne aus Livland nach Heidelberg begleitete. Noch beschäftigte sie sich eifrig mit Poesie und Literatur. Ihre Gedichte und Dramen trugen den Charakter der modernen bunten Romantik, welche märchenhafte Stoffe in klingende romanische Versmaße einkleidete. Auch sein Bruder Friedrich kam, der nach einem unruhigen Wanderleben in der Schweiz, lange in Carrara gelebt hatte, und jetzt bei der Kunstakademie in Berlin angestellt war. Im Sommer 1822 erschien Jean Paul, mit dem Tieck heitere Tage verlebte. Im Anfange hatte sich eine gewisse kühle Rückhaltung und Befangenheit zwischen beide gelagert; sie mochten sich erinnern, daß sie bei aller Anerkennung nicht immer glimpflich über einander geurtheilt hatten. Doch endlich wurde das Eis gebrochen; offen und unbefangen besprachen sie ihre Dichtungen und ihre gegenseitige Stellung, und zu Jean Paul’s großem Ergötzen las Tieck den „Attila Schmelzle“ vor. Dem engern Freundeskreise schloß sich auch Wilhelm Müller an, der mit Loeben befreundet war. Seine „Müller- und Waldhornistenlieder“ fanden allgemeinen Anklang; einen tiefen Eindruck machten bald darauf die „Griechenlieder“. Die Verständigung mit ihm war leicht. Er war gesund, frisch, wahr, von allem Grillenwesen entfernt, und für die einfache Liederpoesie in hohem Grade begabt. Als er einst Tieck einen dramatischen Versuch mittheilte, und dieser ihm auseinandersetzte, daß das Drama nicht sein Beruf sei, verwarf er ohne Empfindlichkeit und mit voller Anerkennung der dargelegten Gründe seine Dichtung, und hielt sich seitdem von dieser Gattung fern. Auch Ludwig Robert und Holtei kamen zeitweise nach Dresden. Eine der seltsamsten Erscheinungen tauchte von anderer Seite auf, die auf Tieck einen überraschenden Eindruck machte. Unter vielen dichterischen Erstlingswerken, welche ihm zugesendet wurden, empfing er im Herbst 1822 ein Manuscript, das schon äußerlich durch Umfang und Gewicht gegen die übrigen nicht wenig abstach. Es war eine Tragödie, betitelt „Theodor von Gothland“. Der Verfasser hieß Grabbe, und bat um Tieck’s richterliches Urtheil. Auf den ersten Blick erkannte er die große, aber rohe und verwilderte Kraft. Da war nichts von Schwächlichkeit, nichts von dichterischer Koketterie, es war das Arbeiten eines ungebändigten, dunkel bewußten Talents. Der Verfasser hatte Shakspeare studirt und in sich aufgenommen, aber die dichterische Wuth führte ihn weit hinaus über Alles, was die ältern Genies sich erlaubt hatten. Die Weichlichkeit des herrschenden Geschmacks bestärkte ihn in seiner natürlichen Richtung. Es fehlte nicht an tragischen Momenten und Gedanken, aber Vieles war hart, bizarr, ja blutig und entsetzlich. Mit der Raserei der Leidenschaft, die sich selbst zerfleischte, paarte sich bisweilen ein widerlicher Cynismus; die Kraft schlug in ein krampfhaftes Wüthen, in einen unpoetischen Materialismus über. So konnte nur ein großes Talent und ein unglücklicher Mensch sich darstellen. Voll Theilnahme sprach sich Tieck in einem Briefe in diesem Sinne aus, und sogleich antwortete der Dichter mit der Uebersendung eines zweiten Stücks. Dieses Mal war es ein Lustspiel. Tieck hatte Recht. Ein unglücklicher Mensch hatte dies geschrieben; es war ein Talent, das schon im Augenblicke des Auslaufens zu scheitern drohte. Grabbe studirte damals in Berlin. In Detmold, wo sein Vater Zuchthausbeamter war, empfing er unter drückenden Verhältnissen die erste Ausbildung. Doch seine Anlagen zeichneten ihn aus; man erwartete von ihm Bedeutendes, und nahm sich seiner an. Auf verschiedene Weise suchte man auf ihn zu wirken und ihn nutzbar zu machen. Eine Zeit lang sollte er Prediger, dann Archivar und Diplomatiker werden. Er häufte Massen entgegengesetzter und verworrener Kenntnisse auf, die ihn zuletzt anwiderten und ihm die gelehrten Studien verleideten. Aber er spürte etwas vom Dichter in sich, und bald schien das Gefühl in ihm Oberhand zu gewinnen, daß man die Kraft in ihm am wenigsten würdige, auf die er stolz war. Er zeigte sich abspringend und reizbar, wunderlich, hochmüthig und voll Leidenschaft. Endlich ging er nach Leipzig und Berlin, um die Rechte zu studiren; hier vollendete er seine früher begonnenen Dichtungen. Jetzt suchte er nach irgendeinem Mittel des Unterhalts. Bei seiner Vorliebe für das Drama glaubte er auch Beruf für dessen Darstellung zu haben; er beschloß Schauspieler zu werden. Er glaubte mit den größten Naturmitteln ausgestattet zu sein; seine Einbildung spiegelte ihm vor, auf der Bühne müsse er ungeheuern Eindruck machen. Inzwischen war er nach Leipzig zurückgegangen, von wo er Tieck seine Wünsche und Absichten im März 1823 mittheilte. Er schilderte seine unwiderstehliche Neigung für das Theater; er besitze eine Stimme, die aller Modulationen fähig sei; sein Talent sei das vielseitigste, Hamlet, Lear und Falstaff vermöge er darzustellen. Er beschwor ihn, seine Anstellung bei der dresdener Bühne zu vermitteln, und ihn dadurch zugleich einer drückenden Lage zu entreißen. Durch diese Ankündigungen ward Tieck auf das höchste gespannt. Es war im Frühling 1823, als ein Fremder zu ihm ins Zimmer trat; eine schwächliche Figur, ein bleiches Gesicht, von Sorge und Leidenschaft zerstört. Verlegen und unbehülflich, kündigte er mit polternder Stimme an, er sei Grabbe. Kaum konnte es eine größere Selbsttäuschung auf der einen, und Enttäuschung auf der andern Seite geben. Von allen Talenten, die Grabbe von sich gerühmt hatte, besaß er keines, weder Stimme, noch Haltung, noch Wandlungsfähigkeit. Alles beruhte auf einer Einbildung, die sein Unglück vermehrte. Für nichts paßte er weniger, als für ein öffentliches Auftreten auf den Bretern. Der Druck enger Verhältnisse, und das trotzige Gefühl seiner Kraft hatten ihm etwas Störrisches gegeben. Einige Leseproben, auf denen er bestand, fielen ungünstig aus, und bestätigten, daß er für das Theater keinen Beruf habe. Auch ergab sich, daß durch häufigen Genuß geistiger Getränke seine Gesundheit zerrüttet sei. Bei seiner Zügellosigkeit paßte er in kein bürgerlich geordnetes Verhältniß. Er war schwer unterzubringen; seine Dramen, auf die er hoffte, ließen sich nicht darstellen. Auf Tieck’s Verwenden suchte indeß die Intendanz des dresdener Theaters ihn anderweitig zu unterstützen. Aber dies konnte ihm nicht genügen. Er vermochte von seinen Einbildungen nicht zu lassen, und glaubte sich verkannt und zurückgesetzt. Er hatte sich Tieck in die Arme geworfen, von ihm erwartete er Hülfe, Erleichterung seines Zustandes und Erfüllung phantastischer Wünsche, in der er eine Anerkennung seines Werthes sah. Tieck that, was in seinen Kräften stand; er behielt ihn in seiner Nähe, und zog ihn zu seinen Gesellschaften. Aber es war schwer mit ihm zu verkehren. Die Gegenwart Anderer war ihm lästig; er war bald scheu, bald hochfahrend. An keinem Gespräche nahm er Theil; oft stand oder saß er stumm auf einer Stelle, oder sah, unbekümmert um die Gegenwärtigen, zum Fenster hinaus. Es war ein seltsames Gemisch von Stolz und Unbehülflichkeit. Am beredtesten war er in der Mitte ungebildeter Leute. Als Tieck einst zufällig an einer gewöhnlichen Schenkwirthschaft vorüberging, sah er Grabbe in der Mitte mehrerer Spießbürger beim Biere sitzen, denen er erhitzt und großsprecherisch von sich und seinen Dramen erzählte, obgleich sie schwerlich je etwas von Poesie, und von seinem Namen gewiß nichts gehört hatten. Endlich zeigte sich, daß er auch in Dresden nicht finde, was er suchte. Mit erhöhter Bitterkeit schied er, um sein Glück anderweitig zu versuchen. Tieck gab ihm Empfehlungen an einige Freunde mit. Zuerst bot Grabbe seine Dienste dem braunschweiger Theater an. Aber Klingemann, der Vorsteher desselben, wußte ihn nicht zu beschäftigen. Er schrieb an Tieck, es sei eine heraustobende Natur, die bei allem Drange für die Bühne gar nicht passe. Ein ähnliches Schicksal hatte er in Hannover. Man bot ihm ein Gehalt, das einem Almosen gleich kam. Hoffnungslos und verzweifelt kehrte er nach Detmold zurück. In der Nacht schlich er sich in das Haus seiner Aeltern, denen er von seinem Berufe so viel erzählt, und die an ihn geglaubt hatten. Im August 1823 rief er Tieck’s Hülfe von neuem an; er sei bereit Allem zu entsagen, und mit einer Schreiberstelle zufrieden zu sein. Später nahm Grabbe’s Schicksal für einige Zeit eine günstigere Wendung. Seinem Andenken an Tieck mischte sich aber ungerechterweise eine gewisse Gereiztheit bei. Sie war nicht zu verkennen in den halb widerlegenden Anmerkungen, mit denen er fünf Jahre später Tieck’s Brief über den „Theodor von Gothland“ begleitete, als er seine dramatischen Dichtungen herausgab. Noch minder in der Abhandlung über Shakspearomanie, in welcher er in absichtlichem Gegensatze zu Tieck Shakspeare’s nachtheiligen Einfluß auf die deutsche Poesie zu beweisen suchte. Und doch war Grabbe selbst eine Zeit lang ein so exaltirter Bewunderer Shakspeare’s gewesen, daß Tieck hatte mäßigen und zügeln müssen. Im Herbste des folgenden Jahres 1824 kam F. Schlegel nach Dresden. Manches Jahr war verflossen, seit sie sich nicht miteinander ausgesprochen hatten. Auf der Rückkehr von England sah Tieck den Freund flüchtig in Frankfurt a. M., Briefe waren nur gelegentlich gewechselt worden. Ein Blick auf ihre gegenwärtige Stellung und ihr Verhältniß zueinander, und die Erinnerung an frühere Zeiten erweckte ernste Betrachtungen. Schon äußerlich war Schlegel bedeutend verändert. Er war corpulent geworden, sein Gesicht hatte breite, zerfließende Züge angenommen; man erkannte den Feinschmecker, dem bei aller Prophetik die Freuden der Tafel keineswegs gleichgültig waren. Er war wortkarg und bequem, nicht ohne Vornehmheit; in Gegenwart minder Bekannter schweigsam. Er schien nur Bedeutendes, Tiefsinniges sagen zu wollen. Gleich in den ersten Gesprächen zeigte sich, daß sie das frühere persönliche Wohlwollen, das vollständig kaum je erlöschen konnte, zwar noch bewahrten, aber eine Verständigung schien nicht erreichbar. In den Zeiten des Idealismus hatte Schlegel das Wissen und die Kunst vergöttert, jetzt wollte er sie kaum noch dulden. Die Kirche und ihre Formen sollte Eines und Alles sein. Doch weder damals noch jetzt konnte Tieck diesen Ansichten beistimmen. Die Philosophie als Wissenschaft verachtete Schlegel, besonders die Dialektik. Zum Theil verwarf er hier, was er nicht kannte, und im stolzen Gefühle, zu besitzen, was noththue, hielt er es für überflüssig, die einzelnen Erscheinungen kennen zu lernen. Als Tieck Solger rühmte, sprach er von diesem als einem unfertigen jungen Manne, aus dem vielleicht mit der Zeit hätte etwas werden können. Alles Studium hielt er für zu umständlich, zu weitläufig und für unnöthig, da man dies Alles auf kürzerm Wege haben könne. In der Poesie erkannte er nur Calderon an, höher noch standen ihm die Orientalen, sie enthielten Alles in Allem. Seine Urtheile über Tieck’s neuere Dichtungen waren daher nichts weniger als schmeichelhaft. Er bestritt die Möglichkeit, das moderne Leben dichterisch zu behandeln; überhaupt jede Gegenwart entziehe sich dem Dichter, nur die Vergangenheit könne er darstellen. Von den Novellen meinte er, sie seien schwacher Wein der Poesie mit vielem Wasser des Verstandes vermischt. Als er hörte, Tieck beschäftige sich mit dem „Aufruhr in den Cevennen“, und denke einen religiösen Stoff zu behandeln, rieth er besorgt von einem solchen Vorhaben ab; hier dürfe nichts übereilt werden, in so wichtigen Dingen könne Unreife oder Verstimmung leicht zur Sünde werden. Tieck dachte zu billig, um Schlegel Vorwürfe zu machen, aber es war eine Geduldprobe, wenn dieser stets nur aus dem höchsten Tone sprach, wenn er überall voraussetzte, Alles um ihn her liege im Argen, oder sei im Traume befangen, er allein kenne die Zeit und wisse, wie ihr zu helfen sei. Besonders gegen Tieck liebte er, im untrüglichen Orakeltone zu reden. Stellte er ihn gleich als Dichter hoch, so sprach er ihm doch jede Einsicht in die Philosophie ab, und pflegte ihn mit der zuversichtlichen Ueberlegenheit anzuhören, mit welcher der Meister die schwachen Versuche eines eben geweihten Schülers oder eines Laien geduldig erträgt. In das eigenthümliche Wesen seiner Ansichten und Dichtungen einzugehen, hielt er nicht der Mühe werth, er glaubte sie ohne das zu erkennen. Jedes Gespräch ließ bei Tieck das tiefe Bedauern zurück, daß ein so reiches Talent der Verblendung maßloser Selbstüberschätzung gerade in dem Augenblicke verfallen mußte, wo es sich der größten Selbstverleugnung rühmte. 3. Amt und Würden. Tieck’s Leben in Dresden hatte sich jetzt fester gestaltet. Sein dauernder Aufenthalt daselbst blieb nicht ohne Einfluß. Als mittlere Residenzstadt, im Besitze großer künstlerischer und wissenschaftlicher Hülfsmittel, gewährte es bedeutende Anregungen, aber es war nicht groß genug, um eine solche geistige Macht zu neutralisiren oder in den Hintergrund zu drängen. Viele Verhältnisse waren angeknüpft, Anerkennung und Widerspruch hatten sich eingestellt, dichterisch schaffend und studirend führte Tieck ein Leben, welches ihm ganz zusagte. Sich selbst, seiner Kraft verdankte er Alles. Durch keine Schranke beengt, wollte er sich diese Freiheit bewahren. Auch war Niemand weniger geeignet, sich äußern Dienstverhältnissen zu fügen; er kannte keine andere Ordre als die seines Genies, und keine andere Arbeit als die dichterische Muße. Anders dachten seine Freunde. Manche wünschten ihm eine sorgenfreie Existenz, welche der Staat sicherstellte; andere wollten ihn in eine geregelte Thätigkeit des bürgerlichen, oder wenigstens des wissenschaftlichen Lebens hineinziehen. Sie dachten sein kritisches Talent, seine künstlerische Erfahrung, seine Kenntniß der neuern Literatur und ausgedehnte Buchgelehrsamkeit dem praktischen Nutzen dienstbar zu machen. Sie meinten ihm eine Wohlthat zu erweisen, selbst gegen seinen Willen. Man wollte ihn bei der Leitung des Theaters beschäftigen, oder als Lehrer auf das Katheder stellen. Schon 1804 wünschten ihm Einige an der reorganisirten Universität Heidelberg eine Stellung zu schaffen. Auch Creuzer war dafür gewonnen worden; vorbereitende Schritte geschahen, aber sie führten zu keinem Ergebniß. Im Jahre 1812 trug ihm der Minister von Wietersheim die Stelle eines Oberbibliothekars in Dresden an, und 1816 ward ihm die unvermuthete Anerkennung einer wissenschaftlichen Corperation zu Theil, indem die Universität Breslau ihm das Ehrendiplom eines Doctors der Philosophie übersandte. Später wurde eine mögliche Anstellung Tieck’s im Dienste des Staats und der Wissenschaft von Solger eifrig betrieben. Mit der Wärme des Freundes und dem Nachdrucke des Geschäftsmannes nahm er sich der Sache an. Schon in der Zeit des Aufenthalts in Ziebingen war Tieck dem Fürsten Hardenberg bekannt geworden. Er hatte auf diesen einen günstigen Eindruck gemacht. Der Mann war für ihn, welcher Alles durchsetzen konnte. Wiederholt hatte Hardenberg ihn zu Tische eingeladen. Es war eine ebenso gewinnende als imponirende Erscheinung. Er mußte früher schön gewesen sein; in der vollendeten Bildung des vornehmen Aristokraten und mächtigen Staatsmannes trat er ihm entgegen. Die würdigste Haltung verband sich mit einnehmender Freundlichkeit, fern von beleidigender Herablassung. Auch waren in Hardenberg’s Nähe Personen, welche diese wohlwollende Stimmung für den Dichter zu nutzen suchten. Zu diesen gehörte Koreff, der selbst ein Romantiker sein wollte; auch Stägemann. Mit Solger vereinigte sich F. v. Raumer, der 1819 von Breslau als Professor nach Berlin berufen worden war. Auch wollte man wissen, daß der Kronprinz, ein Gönner und Liebhaber der Poesie, Tieck’s Dichtungen besonders günstig sei. Der Staatskanzler forderte darauf den Cultusminister v. Altenstein auf, für Tieck’s Anstellung geeignete Vorschläge zu machen. Dieser hielt es gerathen, den Dichter selbst zu hören. Er fragte bei ihm an, ob er eine Stellung bei der Universität, der Akademie der Wissenschaften oder der Künste wünsche, wobei zugleich die Aussicht auf eine dramaturgische Thätigkeit beim Theater eröffnet wurde. Aber auch hier lagen manche Schwierigkeiten in der Sache selbst; noch schlimmer war es, daß durch Solger’s plötzlichen Tod dieser Plan im entscheidenden Augenblicke seinen eifrigsten Beförderer verlor. Nun faßte man den Gedanken, Tieck an Solger’s Stelle zum Professor der Aesthetik zu berufen. Aber dagegen sträubte sich seine Pietät; er fühlte sich durch den Antrag erschüttert und verletzt. Wie hätte er daran denken können, den Lehrstuhl eines Mannes einzunehmen, als dessen Schüler er sich bekannte, und jetzt, wo er den Verlust mit dem tiefsten Schmerze empfand? Er war Dichter und nicht Philosoph; das Katheder erforderte ein System, und er hatte keines. Niemand sprach trefflicher als er, aber die Stimmung mußte ihn leiten, und diese ließ sich durch keinen Lectionsplan gebieten. Ein solcher Lebenswechsel, eine so fremdartige, bisher nie geübte Thätigkeit noch im reifern Mannesalter zu übernehmen, war bedenklich. Erwog er dann seine Kränklichkeit, die Schmerzen, die ihn oft plötzlich und heftig überfielen, seine Schwerfälligkeit und Abhängigkeit von äußern Dingen, so ward er vollends unsicher und zaghaft. Er gestand sich, auf dem fremden Gebiete, als Professor, der dociren solle, werde? er immer nur ein Stümper und halber Mensch bleiben. Nur widerstrebend hatte er sich durch seine Freunde in diese Sache verwickeln lassen. Er hatte gezögert und ihre Geduld auf die Probe gestellt; endlich ward Solger’s Tod die Veranlassung, den Plan ganz fallen zu lassen. Bald darauf, es war 1822, hatten andere Freunde in Breslau eine ähnliche Absicht. Nun wollte man ihn zum Professor der neuern Literatur und Dramaturgen des Theaters machen, aber auch dies zerschlug sich. Tieck kannte seine Natur besser als die Freunde, die ihn versorgen wollten. Er wußte, daß ein festes amtliches Verhältniß für ihn nicht geeignet sei; es konnte fraglich sein, ob es irgendein Amt gebe, welches er zu führen im Stande sei. Das Talent, die Kunst dienstbar und nützlich zu machen, war ihm platterdings versagt; er hatte es so oft verspottet und verlacht. Er zog es daher vor, frei zu bleiben und aus eigener Kraft die Bedrängnisse zu überwinden, die von der Stellung eines modernen und eines deutschen Dichters nicht zu trennen sind. Doch es gab noch einen Lehrstuhl, der für ihn der entsprechende war, eben der, welchen er längst schon inne hatte, der kritische beim Theater. Endlich trat auch hier eine glückliche Wendung ein. Schon früher hatte die berliner Bühne, welche unter der Leitung des Grafen Brühl stand, Tieck’s Rath für Einzelnes zu nutzen gesucht. Als Ludwig Devrient 1816 „Richard III.“ einstudirte, wollte man ihn darüber hören, und als darauf Wolff den „Blaubart“ zur Darstellung zu bringen dachte, gab dies Veranlassung zu neuen Besprechungen. Später, als der Fürst Radziwill in seinem engern Kreise die Aufführung einiger Scenen aus dem „Faust“ mit seiner Composition veranstaltete, lud er Tieck ein, derselben beizuwohnen. Er wünschte sein Urtheil zu hören, und obgleich Tieck sonst ein Gegner der Versuche der Faustdarstellungen war, fand er dennoch Vieles anzuerkennen. Nächst der Musik machte der Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz als Mephistopheles einen bedeutenden Eindruck. Nie hatte er einen Schauspieler diese Rolle besser auffassen und darstellen sehen. Endlich eröffnete sich die Aussicht, von Dresden einen größern Einfluß auf die berliner Bühne auszuüben. In Berlin war das königliche Theater das allein herrschende. Es gab kein vorstädtisches, volksthümliches, wie in den südlichen Städten. Zum Charakter dieser ruhigen, genießenden Friedensjahre gehörte eine gesteigerte Theaterlust. Man sah in der Bühne zwar keine Erziehungsanstalt für das Volk, aber das wichtigste Kunstinstitut. Es waren die einzigen öffentlichen Interessen, die öffentlich besprochen werden konnten; alles drehte sich um diesen Mittelpunkt. Man entwarf den Plan zu einer zweiten unabhängigen, nur von Privatleuten unterstützten Bühne. Endlich war die Concession gewonnen. Es war für Berlin ein großes Unternehmen, welches Schauspieler, Kunstkenner und Liebhaber, Beamte, Journalisten und officielle Kritiker gleich sehr in Aufregung setzte. Die durch das Privilegium geschützte Kunst sollte aufhören, und eine Volksbühne gegründet werden. Das war die Meinung der Enthusiasten, und die Freunde Tieck’s wünschten, in ihm eine Autorität dafür zu gewinnen. Die erste Nachricht gab ihm Ludwig Robert. Einer der Hauptleiter des Unternehmens erschien selbst in Dresden, und 1823 erfolgte die amtliche Einladung der Direction des neuen Königstädtischen Theaters, an dessen Einrichtung Theil zu nehmen, ein Repertoire aufzustellen, und für die Eröffnung ein Vorspiel zu schreiben. Einen Augenblick glaubte auch Tieck an diese Entwürfe. Er dachte sich eine wirkliche Volksbühne, ein mittleres bürgerliches Theater, wie er es in seiner Jugend gesehen hatte; er hielt es für möglich, ein solches herzustellen. Bei mäßigen Mitteln konnten übertriebene Ansprüche nicht gemacht werden, der blendende, für den Geschmack verderbliche Pomp sollte fern bleiben, damit das einfache, bürgerliche Schauspiel, welches mit Unrecht jetzt ganz verachtet wurde, das harmlose Singspiel und der Volkswitz wieder Raum gewinne. Nicht ein kritisch nasenrümpfendes und überbildetes Publicum dachte er sich, sondern ein bürgerliches, wie es in den entlegenern Theilen der Stadt inzwischen entstanden war. In die Zeiten ihrer Jugend und Unbefangenheit sollte die Bühne zurückkehren, um von neuem heranzuwachsen. Er stellte ein Verzeichniß älterer Lustspiele zusammen, auf dem Schröder, Jünger, Holberg, Gozzi standen, auch Kotzebue und Iffland waren nicht ausgeschlossen. Doch bald ward es klar, auf so schlichtem Wege waren die Dinge nicht mehr zu führen. Die Leiter des Unternehmens waren mit der anspruchslosen Hausmannskost der Väter, welche ihnen zugemuthet wurde, nicht zufrieden. Auch verlangten sie, Tieck solle auf Bestellung Verse machen und Stücke schreiben. Damit durfte man ihm am wenigsten kommen. Er eilte sich zurückzuziehen und bereute das umsoweniger, als auch hier Alles die verkehrte Bahn einschlug, gegen die er unaufhörlich eiferte. Keine Volksbühne, sondern eine glänzende Oper entstand, und jener unerhörte Sturm der Theaterwuth brach los, den der Kritiker als das Zeichen einer abgespannten und an großen Interessen armen Zeit nicht ohne Bitterkeit belächelte. Am nächsten stand Tieck die dresdener Bühne; sie war auf ihn angewiesen. Schon sein vollendetes Vorlesen dramatischer Werke mußte unwillkürlich einen bildenden Einfluß ausüben. Für den Schauspieler konnte es keine bessere Schule geben. Und er las nur, was vollendet war, oder mindestens nach einer Seite hin bedeutenden Werth hatte. Auch für die Darstellung größerer dramatischer Dichtungen erholte man seinen Rath. Schon 1821 war der „Kaufmann von Venedig“ nach seinen Angaben in drei Acten zur Aufführung gekommen. Bald darauf setzte er es durch, daß Kleist’s „Prinz von Homburg“ gegeben wurde. Zugleich hatte er Veranlassung, als Dramaturg öffentlich aufzutreten. Seine Kritiken fanden Eingang in die „Abendzeitung“, und bildeten in den Jahren 1823 und 1824 einen stehenden Artikel derselben. Ueber dem Standpunkte des gewöhnlichen Tageskritikers stehend, hatte er stets das Ganze der Kunst und Literatur, und ihre Entwickelung im Auge. Das Niedere und Mittelmäßige fertigte er kurz ab, oder übersah es, zum Verdrusse der Verfasser, um das wirklich Classische um so allseitiger zu besprechen. Wie Lessing, kam er von den Künstlern auf die Kunst, und seine Kritiken erwuchsen allmälig zu einer dresdener Dramaturgie. Ungesucht, aus den Verhältnissen hatte sich diese Stellung gebildet. Zu seinem und des Theaters Vortheil wünschten die Freunde sie in eine ausgesprochene und dauernde zu verwandeln. Auf diesen Punkt wiesen ihn Talent, Gelehrsamkeit und Vorliebe gleichmäßig hin. Bei Hofe war man ihm günstig gesonnen; die Königin, die Prinzen und andere einflußreiche Personen wollten ihm wohl, so kam es zur Entscheidung. Mit Beginn des Jahres 1825 wurde er bei der Hofbühne als Dramaturg mit einem jährlichen Gehalt von 700 Thalern und dem Titel eines Hofraths angestellt. Den Kreis seiner Pflichten hatte man weit und allgemein gezogen, sie sollten keine Last für ihn sein. Als literarischer Rathgeber trat er dem neuen Chef des Theaters, Herrn von Lüttichau, an die Seite. Bei Besetzung, Anordnung und Einstudirung der Stücke sollte er gehört werden, an der Aufstellung des Repertoires Theil nehmen. Vor allem hofften seine Freunde, er werde durch das Vorbild, welches er gab, durch Kritik, Einsicht und edle Humanität auf die allgemeinere Durchbildung und künstlerische Erziehung der Schauspieler wirken. So war denn endlich in Erfüllung gegangen, was er schon früher als seinen Beruf erkannt hatte. Von Amtswegen wurde ihm eine Stelle in jenem Kunsttempel angewiesen, in den er sich als Knabe heimlich zu schleichen suchte; Alles, was er studirt und erfahren hatte, kam zur Anwendung. Dazu erhielt er noch den Titel eines Hofraths, und die Hofräthe waren gerade die Personen, deren er in seinen jugendlichen Dichtungen oft genug gespottet hatte. Diese Ironie hob er nicht ohne Selbstbefriedigung hervor. Er hatte Recht gehabt, eine solche Wendung abzuwarten, und voll des besten Humors schrieb er bald darauf: „Nun werde ich doch endlich einmal dafür bezahlt, daß ich reise und Komödie sehe! Es ist meine verdammte Schuldigkeit, daß ich mich amüsire, und Dienst. Prügel dafür in der Jugend bekommen, im Alter Hofrath geworden; so gebührt es sich!“ 4. Die Kunstreise. Also ein Amt hatte Tieck, und dieses Amt legte Pflichten auf, welche erfüllt sein wollten. Eine der ersten und angenehmsten war eine Kunstreise. Er sollte den Intendanten bei einer theatralischen Rundreise durch Deutschland begleiten. Freundschaft, Neigung und Humor, ja selbst Gesundheit, Alles kam zusammen, ihm diese Amtshandlung so leicht als möglich zu machen. Er fühlte sich frisch und kräftig, wenngleich er manchen Anfall zu bestehen gehabt hatte. Die Krankheit war mit ihm nach Dresden gewandert und mußte ebenfalls heimisch werden. Wochen, Monate lang war er leidend gewesen. Zu Zeiten lähmte die Gicht Arm und Hand, sie machte das Schreiben fast unmöglich; er fühlte sich in allem gehemmt, was ihm Lebensbedürfniß war. Von neuem duldete er, trug die Schmerzen mit Ruhe, ja Heiterkeit, und benutzte die Pausen, die ihm gegönnt waren. Wiederum ward ein regelmäßiger Besuch der Bäder nothwendig. Das nächste und geeignetste war Teplitz. Mit Erfolg brauchte er es in den Jahren 1821, 1823 und 1824. Diese Leiden waren jetzt so weit zurückgedrängt, daß er an eine weitere Reise denken konnte. Mit seinem Vorgesetzten, den er begleiten sollte, verband ihn ein näheres Verhältniß. Das Haus desselben war ein Sammelplatz der gebildeten und künstlerischen Gesellschaft Dresdens. Hier hatte er nicht nur Anerkennung und Verständniß seiner Dichtungen, sondern auch bedeutende Anregungen und vor allem die edelste Freundschaft gefunden. So gestaltete sich die Amtsreise doppelt angenehm. In den ersten Tagen des Mai 1825 brachen sie auf. Der nächste Zielpunkt, wo man länger verweilen wollte, um die Theaterzustände kennen zu lernen, war Wien. Der Weg führte über Teplitz und das wohlbekannte Prag. Bei jeder Meile, welche sie weiter zurücklegten in diesen heitern, oft gesehenen und doch immer neuen Landschaften, fühlte er sich freier, und erlebte wieder jene Empfindungen, welche ihm früh das Gedicht eingegeben hatten, „über Reisen kein Vergnügen, wenn Gesundheit mit uns geht!“ Es war ihm eine Probe dafür, daß er noch nicht so alt und hinfällig sei, wie er oft in den Stimmungen der Krankheit und des Unmuths geglaubt hatte. Er konnte die zweiundfunfzig Jahre seines Alters und die trüben Erfahrungen vergessen, und mit freudigem Staunen schrieb er nach Hause, er fühle, daß er seit 1819 jünger geworden sei. In einen weiten Kreis alter Freunde, neuer Bewunderer und Kunstgenossen, und aristokratisch glänzender Gesellschaften trat er in Wien ein. Auch hier ging der literarische Enthusiasmus über die engern Grenzen hinaus. Ein Jeder wollte gelesen haben, wollte gebildet sein und Verständniß für die Literatur zeigen. Alles, was dazu gehörte, ward zur öffentlichen Frage, ein berühmter Dichter mußte Aufsehen erregen. Tieck lernte die wiener Literatur kennen; Grillparzer, dessen liebenswürdige Persönlichkeit ihn fast mit seinen Trauerspielen aussöhnte, den vielgenannten Castelli, West, Kurländer und Deinhardstein, die schnellfertigen Theaterschriftsteller. Er machte die Bekanntschaft des Grafen Dietrichstein und des Hofraths von Mosel, die an der Spitze des Theaterwesens standen. Noch manchen wohlbekannten Schauspieler fand er wieder, darunter Lange; neue Talente sah er in Anschütz und Sophie Müller, und das kaiserliche Burgtheater bewährte auch vor ihm seinen Ruf. Die reichen Kunstschätze bewunderte er wie früher, die Stadt, den Prater mit seiner bunten Menschenmenge. Auch F. Schlegel suchte er in den eigenen Zauberkreisen auf, und erkannte bald, daß auch hier seine Prophetie nicht so viel gelte, als er selbst glaubte. In den höhern Gesellschaften empfing ihn sein alter Bekannter Hormayr mit voller Ueberschwänglichkeit. Bei der Fürstin Hohenzollern, der Gräfin Salm, den Grafen Zichy, Palfy und Andern wurde er eingeführt. Er ward der Mittelpunkt ihrer Gesellschaft, er sollte vorlesen, conversiren, diniren und soupiren. Er ging von einer Hand in die andere, um sich bewundern zu lassen, und überall mußte er die Seite feinster geselliger Bildung und dichterischer Liebenswürdigkeit herauskehren. Mit aufrichtig gemeinten Huldigungen kam man ihm überall entgegen; man wollte zeigen, daß man einen Dichter zu ehren verstehe. Doch mitten unter dieser Bewunderung, im glänzenden Kreise der Damen, in den strahlenden Salons ergriff ihn bisweilen eine dichterische und menschliche Selbstironie, die um so unwiderstehlicher zu werden drohte, je weniger er sie äußern durfte. In der sonderbaren Stimmung hätte er über sich selbst lachen mögen, wo er sich ernsthaft mußte feiern lassen. Das gewaltsame Niederkämpfen dieses schadenfrohen Kitzels erregte ihm beinahe körperliches Unbehagen. Jetzt erstickte er im Lehnsessel fast an der Fülle des Ruhms, nach dem er als heranwachsender Jüngling oft sehnsüchtig geseufzt hatte. Nächst Wien war München das bedeutendste Reiseziel. Sie gingen über den Traunsee, Ischl, durch das Salzburgische. München war für Tieck ein Ort schmerzlicher Erinnerungen; kaum erkannte er es wieder. Manche, mit denen er damals verkehrt hatte, waren gestorben, andere ihm entfremdet; die Stadt selbst trug ihren alten Charakter nicht mehr. Seitdem hatte sich das neue Baiern erhoben, und neben dem alten München war ein neues entstanden. Auch hier trat das Alterthümliche, das Volksmäßige, Vieles, was an die Vergangenheit erinnerte, vor einer glänzenden Gegenwart zurück. Prachtbauten im griechischen Stile standen neben altbairischen Kirchen, Galerien und Sammlungen wurden geöffnet, eine Kunstschule gebildet, München sollte eine großstädtische Residenz werden. Auch ein glänzendes Theater gab es; die volksthümlichen Spiele waren herabgekommen. Man war stolz darauf, in Eßlair den ersten tragischen Schauspieler Deutschlands zu besitzen. Bei einem der ersten Besuche des Theaters wurde Tieck dem Könige Max und der Königin in ihrer Loge vorgestellt. Der König war noch ganz der einfache, bürgerlich-schlichte Mann, wie er ihn früher gesehen hatte. Mit wohlwollender Gutmüthigkeit unterhielt er sich eine Zeit lang mit Tieck. Tags darauf hatte dieser eine Audienz bei dem Kronprinzen Ludwig, den sein enthusiastisches Interesse für Kunst und Literatur längst ausgezeichnet und beliebt gemacht hatte. Der Prinz begrüßte ihn als alten Bekannten, und begann ein literarisches Gespräch, in dem er zuletzt sagte: „Eine große Ehre für mich, Ihren Namen zu haben! Heiße auch Ludwig. Große Ehre für mich, ebenso zu heißen, wie ein ordentlicher Dichter.“ Von den neugeordneten Kunstschätzen wurden die Reisenden nicht minder in Anspruch genommen, als von dem geselligen Verkehr. Tieck sah seinen literarischen Freund Schlichtegroll wieder, er lernte Thiersch und Klenze, den Schöpfer der münchener Prachtbauten, kennen, und in dem Ministerialrath Schenk einen liebenswürdigen Dichter, der ihn ganz für sich einzunehmen wußte. Von München ging die Reise nach Stuttgart, wo man abermals die Boisserée’sche Gemäldesammlung bewunderte. Dann über Konstanz, Winterthur und Zürich nach Schaffhausen und Strasburg. Hier sahen sie die französische Schauspielerin George in zwei der größten tragischen Rollen, als Mutter der Makkabäer und Lady Macbeth, an einem Abend auftreten. Endlich erreichten sie Karlsruhe und Manheim. Winterthur hatte Tieck zu berühren gewünscht, um den schweizerischen Schriftsteller Ulrich Hegner persönlich kennen zu lernen. Alles, was dieser Mann geschrieben hatte, sprach ihn in hohem Grade an, besonders das treffliche Buch „Saly’s Revolutionstage“, welches Hegner bereits zu einem Briefe an Tieck Veranlassung gegeben hatte. Der einfache und natürliche Zug dieser Schriften hatte ihn gewonnen. Er glaubte darin etwas von seinem eigenen Wesen zu erkennen, und wünschte nun in mündlicher Unterredung manche Andeutung weiter ausgeführt zu hören. Erwartungsvoll eilte er, den unbekannten Freund aufzusuchen. Er fand ihn in seinem altväterischen Hause, dessen ganze Einrichtung die Erinnerung an altschweizerisches Leben erweckte, und eine überlieferte feststehende Sitte verkündete. Als er ins Zimmer trat, erhob sich ein starkgliederiger und corpulenter Mann, der in den Sechzigen sein mochte, schwerfällig vom Sessel. Er hatte ein breites, bleiches Gesicht und einen kalten Blick. In ruhiger phlegmatisch massiver Haltung trat er auf ihn zu. Doch als er hörte, wer der Ankömmling sei, belebte sich sein Gesicht, ein eifriges Gespräch begann, welches mit der Einladung endete, längere Zeit zu verweilen, damit man sich ganz aussprechen könne. Tieck mußte dies natürlich ablehnen, bat aber für heute mit seinem Reisegefährten wiederkehren zu dürfen. Auf dieses unbefangene Wort hin änderte sich plötzlich die Scene. Die Aussicht, einen ihm unbekannten, hochgestellten Mann ohne Vorbereitung bei sich zu sehen, machte den an altfränkische Höflichkeit gewöhnten Schweizer stutzig. Er ward verlegen, kalt und einsilbig, das Gespräch stockte, er ließ die Einladung fallen; Tieck erkannte, daß es Zeit zum Rückzuge sei. Er ging nicht ohne Verstimmung über den wunderlichen Mann, der sich um einer Aeußerlichkeit willen in demselben Augenblicke eigensinnig verschloß, wo er sich mitzutheilen wünschte. In Karlsruhe sah Tieck den rheinischen Hausfreund Hebel, dessen großes Talent volksthümlicher Dichtung er bewunderte. Wer Hebel recht kennen lernen wollte, that am besten, ihn im Wirthshause aufzusuchen, wo er bürgerlich bei Bier und Pfeife Abends zu sitzen pflegte. Er fand den schlichten, kindlichen Mann wieder, den er aus den Gedichten kannte. In der Unterhaltung kam man auf die Anekdoten des „Rheinischen Hausfreundes“. In zutraulichem Tone fragte Tieck: „Aber, lieber Mensch, warum schreiben Sie denn nicht mehr solche hübsche Sachen?“ Mit naiv trocknem Humor antwortete Hebel: „Jo, i wees nischt mehr.“ Während eines kurzen Aufenthalts in Manheim fand Tieck auch seinen ältesten Freund Bothe wieder, der ihm die ersten Seelenschmerzen verursacht hatte. Dieser war als rühriger Philolog bekannt. Wol seit dreißig Jahren mochte ihn Tieck nicht gesehen haben. Wie jener sich auch äußerlich verändert hatte, selbst in der freundschaftlichen Aufregung erkannte er ihn innerlich wieder. Das Gespräch kam auf das Sonett, welches Tieck an ihn gerichtet hatte, und wie er ihn jetzt beurtheilte, sah er wohl, daß nur schwärmerischer Jugendenthusiasmus eine Freundschaft zwischen zwei so entgegengesetzten Naturen für möglich halten konnte. Der nächste Besuch galt den Theatern von Darmstadt und Frankfurt a. M., wo Tieck zugleich den Rath Schlosser und manchen andern Bekannten wiedersah. Darauf folgte ein Ausflug in den Rheingau, dann wandten sie sich nach Kassel zurück, dessen Bühne ebenfalls zu berücksichtigen war. Kurze Zeit verweilten sie in Hannover und Braunschweig. Ende Juni war Tieck wiederum daheim. Ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in Teplitz schloß sich zur Stärkung und Erholung sogleich an. So endete diese inhaltvolle Reise. In den Raum weniger Wochen drängte sich das Bedeutendste zusammen. Die böhmischen Gebirge, die Tiroler- und Schweizeralpen und den Harz, die Donau und den Rhein hatte er in raschem Fluge gesehen. Die mannichfaltigsten Erscheinungen in Kunst und Natur waren an ihm vorübergegangen; er hatte einen Ueberblick des neuen deutschen Lebens gewonnen. 5. Die Novellen. Die Rundreise durch Deutschland hatte den Beweis geliefert, daß Tieck’s dichterisches Ansehen in der allgemeinen Meinung fest stehe. Ueberall hatten sich alte und neue Freunde um ihn geschart; es sprach sich der Gedanke aus, nächst Goethe verehre man in ihm den größten der lebenden Dichter Deutschlands. Man erkannte, er sei es gewesen, der nach Goethe der Literatur noch einmal eine neue eigenthümliche Wendung zu geben vermocht habe. Aber man feierte nicht allein den Dichter einer glänzenden Vergangenheit. Denn in den letzten Jahren war er mit einigen Werken hervorgetreten, welche bewiesen, der neuen Zeit werde er sich in anderer Weise gegenüberstellen. Soeben hatte das Publicum den ersten Eindruck seiner Novellen empfangen. Die Wirkung dieser neuen Erscheinungen war überraschend. Man war geblendet, befremdet; man zweifelte, wie man diese Novellen zu verstehen habe, mochte man dabei den Dichter oder die Literatur im Auge haben, in welche sie eingriffen. Und diese stand in einem wunderbaren Gegensatze zu denselben. In neuerer Zeit ist die erzählende Dichtung für die mannichfaltigen Wandlungen des öffentlichen Geistes immer am empfänglichsten gewesen. Häufig geht sie allein aus dem Bedürfnisse des Tages hervor, und hat kaum einen andern Zweck, als der Unterhaltung zu dienen. Keine dichterische Form sinkt leichter zum Mittelmäßigen, Gewöhnlichen, ja Gemeinen herab. In seiner Jugend hatte es Tieck mit Spieß und Cramer, Schlenkert und Meißner zu thun. Sie waren mit dem Tage vorübergegangen. Aber das Bedürfniß einer leichten Nahrung, einer augenblicklichen Zerstreuung, das Wohlgefallen am Gewöhnlichen war geblieben. Es machte keinen Unterschied, daß die größten Geister die Literatur umgewandelt hatten; es gab Viele, die nichts gelernt und nichts vergessen hatten. Mit dem Jahre 1820 neigte sich die Glanzzeit der neuen Ritterromane und Nordlandshelden ihrem Ende zu. Fouqué’s Stelle als Beherrscher der Modeliteratur theilte mit ihm ein anderes bizarr neckendes und irregehendes Talent, E. T. A. Hoffmann. In der Region der Erzählung, wo das Furchtbare und das Grausen heimisch war, welches vorzugsweise für romantisch galt, war er der Erste. Hier gab es alle erdenkliche Zerrgebilde krankhafter Phantasie, den bis zum Schwindel gesteigerten Wechsel brennender Farben. Alles verwandelte sich in Alles; der Wahnwitz war zuletzt der wahre Tiefsinn, und das Leben erfüllte sich mit Gespenstern, die ebenso gräßlich als scurril waren. Die Fieberhitze dieser Nachtstücke und Teufelselixire ging auf das Publicum über; durch den nervösen Schreck wollte es ergriffen und geängstigt werden. In den „Serapionsbrüdern“ gab Hoffmann eine Nachbildung des „Phantasus“, aber nur die Caricatur davon vermochte Tieck wiederzuerkennen. Andere schrieben abgeschwächt in Hoffmann’s Weise; doch auch die Erzählungen Contessa’s und Weißflog’s wurden gern und viel gelesen. Auf die Krämpfe folgte Abspannung. Jetzt war das wässerige Gebräu der trivialen Geister sehr willkommen. Mit gleicher Gier verschlangen die Leser die seichten, unsittlichen Erzählungen von Clauren, dessen Taschenbücher Deutschland überfluteten. Seine „Mimilis“ und „Lislis“, seine „Dijonröschen“ und „Christpüppchen“, die hungerigen und lüsternen Schilderungen von Dinées und Toiletten; die breite Darstellung gemeiner Sinnlichkeit fand nicht allein in den Leihbibliotheken, sondern auch bei denen, die für gebildet galten, reichen Beifall. Endlich stellte sich der historische Roman mit seiner ganzen Schwere in den Vordergrund. Er vorzugsweise war das Product der Poesie, welche sich der Vergangenheit zuwendet. Die Romane des großen Unbekannten, die Waverley-Novellen, hatten einen Eindruck ohne Gleichen gemacht, und drohten alles Andere zu verdrängen. Die deutschen Uebersetzer und Buchhändler waren haufenweise zur Arbeit bereit, und die Nachahmer eilten, auf dem neugebahnten Wege zu folgen. Historisches Leben und Charaktere wurden verlangt; Schlachtstücke, Burgen, Costüme bis auf die Strumpfbänder, Alles sollte historisch sein. In van der Velde und Tromlitz war mehr als ein deutscher Walter Scott gefunden, der ebenso schnell producirte wie der englische, ohne zu besitzen, was diesen groß machte, die nationale Grundlage. Diesen Erscheinungen der Tagesliteratur fehlte, was allein einen bleibenden Werth verleihen kann, die schöpferische Idee, der tiefere geistige Gehalt, der das Leben zum Leben macht. Und eben hier lag die Stärke der Novellen Tieck’s. Seit dem zweiten Theile des „Fortunat“ hatte er keine eigenen Dichtungen herausgegeben. Jetzt erschien in Wendt’s Taschenbuche „Zum geselligen Vergnügen“ von 1822 die erste Novelle, „Die Gemälde“; gleich darauf eine zweite, „Die Verlobung“ im „Berliner Taschenkalender für 1823“, mehrere andere kamen in rascher Folge hinzu. War der Tieck, welcher hier die Verhältnisse der Gegenwart in hellem und scharfem Lichte darstellte, derselbe, welcher einst den Heiligenschein, das mystische Dämmerlicht des Mittelalters und die mondbeglänzte Zaubernacht in trunkener Begeisterung besungen hatte? War es wirklich der Dichter der „Genoveva“, des „Octavian“ und „Phantasus“, der hier mit nüchterner Dialektik und Ironie die Verkehrtheiten der neuesten Zeit nachwies? so fragte man sich zweifelnd und bedenklich. Kaum daß man die alten, wohlbekannten Züge in diesem Bilde wiedererkennen wollte. Er schien ein Anderer geworden, von sich abgefallen. In ihm selbst mußte irgendwo ein Widerspruch, eine Inconsequenz liegen, so wenig begreiflich schien diese überraschende Wandlung. Oder sollte sie etwa ihren Ursprung in eigensinniger Laune und Willkür, in der offenbaren Caprice des Romantikers haben? Es mußte überraschen, wenn er gewissen Modeneigungen, welche sich gerade auf ihn beriefen und in seinen ältern Dichtungen ihre Quelle zu haben behaupteten, den Krieg erklärte. In der Novelle, „Die Gemälde“, wurde die Ansicht der Malerei, welche Genie und Beruf aus der Frömmigkeit und andächtigen Verehrung der alten Kunst herleiten wollte, von der unzweideutigsten Ironie getroffen. Es war die Zeit der Deutschthümelei, der altdeutschen Röcke und breiten Spitzenkragen, der langen, wallenden Haare und Sammetbaretts. Der fromme und biderbe Sinn der Altvordern sollte mit ihrem harten Kunststile wieder lebendig werden. Eine Caricatur war entstanden, die sich vaterländisch und altdeutsch, in der Kunst fromm und heilig begeistert nannte. Noch mehr Entrüstung erregte es, als er es wagte, in der zweiten Novelle, „Die Verlobung“, das neumodische, ausschließende Christenthum in seiner Zweideutigkeit darzustellen. Es hatten sich Kreise gebildet, in denen man die Geheimnisse der christlichen Lehre besser zu verstehen und tiefer zu fühlen meinte, als die außerhalb Stehenden, wo man durch besondere Erleuchtungen und Begnadigungen zu besitzen wähnte, was die nicht Erweckten in der Irre gehend umsonst suchen. In eine allein gültige Form des christlichen Lebens sollte Alles hineingezwängt werden, und Kunst, Wissenschaft und Philosophie glaubte man nicht allein entbehren zu können, sondern auch verfolgen zu müssen, weil sich in ihnen die Weisheit und Eitelkeit der Welt bespiegele. Wenn die Schilderung solcher Zustände die Anklage hervorrief, daß Tieck den religiösen Geist jetzt selbst verfolge, den er in der Zeit des Abfalls habe erwecken helfen, so mochte Vielen, die seine Entwickelung nicht kannten, dieser Vorwurf annehmlich scheinen. Er und sein Freund Wackenroder hatten zuerst von dem frommen Glauben, der Einfalt der alten deutschen Kunst mit jugendlicher Begeisterung gesprochen. Sein „Sternbald“ war das Abbild dieser alten Meister, und ward nun das Urbild dieser jungen altdeutschen Künstler, die alle zu sternbaldisiren anfingen. Aber weil man Kunst und Kunstsinn zuerst in den Formen des Mittelalters wiedergefunden hatte, folgte daraus, daß man sich von dem griechischen Kunstwerke, als einem heidnischen Gräuel, mit frommem Schauder abwenden mußte? War denn die altdeutsche Kunst die einzige, die Kunst überhaupt? Wenn in einer Zeit der Unbefangenheit Glauben und Kunst miteinander verschwistert waren, wenn fromme Männer treffliche Maler gewesen waren, hatten darum die Nachahmer Recht, welche Künstler zu sein behaupteten, weil sie fromm waren, und fromm zu sein wähnten, weil sie eckige und hölzerne Heiligenbilder malten? Weil Wackenroder’s künstlerischer Glaube tief und wahr gewesen war, hatten darum die Recht, welche ihm gedankenlos nachsprachen? War es eine nothwendige Folge, alle Zerrbilder gutzuheißen, weil man das Urbild anerkannte? Keinem Freierblickenden konnte es zweifelhaft sein, daß bei diesem Pochen auf Genie und Frömmigkeit, bei dieser Verehrung des Einseitigen in der altdeutschen Malerei, die Kunstbildung selbst gefährdet war. Ebenso stand es mit Tieck’s Widerspruch gegen die ausschließliche und anmaßliche Frömmigkeit. Er hatte den Katholicismus von sich abgewiesen, sollte er sich jetzt einem puritanischen Systeme gefangen geben, welches viel inconsequenter als jener, die Freiheit im Glauben aufzuheben, und aller Wissenschaft und Kunst den Krieg zu erklären drohte? Den Quell des ewigen, unveräußerlichen religiösen Gefühls suchte er wieder aufzudecken, als er im Sande zu verrinnen schien, und jetzt wollten Manche unter dem Vorgeben, ihm ein neues Bette zu graben, ihn von neuem verschütten. Die beschränkten Aufklärer hatten das Christenthum herabgesetzt, weil sie seinen Inhalt glaubten entbehren zu können; die beschränkten Eiferer setzten es herab, weil sie allein in seiner äußern Gestalt es in Wahrheit zu besitzen wähnten. Es waren zwei entgegengesetzte Systeme, welche nur Eines miteinander gemein hatten, die Intoleranz. Andere Tadler wollten die Ironie, mit welcher Tieck diese Fragen behandelte, verwerflich finden. Man vergaß, daß die schärfsten Waffen des Dichters gegen die verhaßte Aufklärung Witz und Ironie gewesen waren. Hätte er als Mann, bei soviel reiferer Entwickelung und freierm Blicke nicht wagen dürfen, was er als Jüngling unter Beifall und Anerkennung der Unbefangenen gewagt hatte? Oder waren etwa die Vorurtheile der Gegenwart soviel besser, als die der Vergangenheit? Aus den Verhältnissen erwuchsen ihm die ergiebigsten Novellenstoffe, welche die Ironie in sich selbst trugen. Der Gemäldesammler, der auf seine Kennerschaft stolz ist, läßt sich durch einen groben Betrug täuschen; in einer musikschwelgerischen Zeit, wo Alles singt und musicirt, sind die Unmusikalischen die Lautesten; die selbstgerechten Frommen erscheinen als unfromm; oder wenn endlich der Hüter der Thoren mit ihnen selbst zum Thoren wird, so war das nicht willkürlich gesucht, sondern eine Ironie, für welche sich Hunderte von Beispielen aus dem Leben herausgreifen ließen. In diesen Novellen entwarf er eine Reihe von Zeitbildern, die man ironisch oder dialektisch, oder social nennen konnte, denn sie enthielten alle diese Bestandtheile zusammen. Die musikalische Ueberschwänglichkeit der zwanziger Jahre stellte er in den „Musikalischen Leiden und Freuden“ dar; die Vorliebe für Hoffmann’sche Spukgeschichten im „Zauberschloß“; die wiederauftauchende Wundersucht in den „Wundersüchtigen“; das Selbstbelügen, das für seine Truggebilde zuletzt mit gläubigem Eifer auftritt, in dem „Geheimnißvollen“ und der „Gesellschaft auf dem Lande“. Die Frage, auf welchem Wege das sittliche Element im Menschen sich entwickeln könne oder müsse, ob und welche Zwischenstufen durchzumachen seien, behandelte er in einer andern Novelle, deren Anfänge in seine früheste Zeit zurückgingen. Schon 1819 waren die ersten Bogen des „Jungen Tischlermeister“ gedruckt, doch erst viel später kam er zum vollständigen Abschluß. Aber diese Novelle hatte noch eine andere Seite. Sie übernahm die Darstellung und Vertheidigung des ältern deutschen Handwerkslebens, das sich in stiller Selbstbeschränkung durch ämsigen Fleiß und künstliche Arbeit zur Kunst erhebt. In ihm wie in den Zünften sah er ein altehrwürdiges und nothwendiges Element des deutschen Lebens, das er gegen die mechanische Gleichmacherei des wachsenden Fabrikwesens gewahrt wissen wollte. Den Novellen lag überall ein bestimmter Inhalt und eine feste Ansicht zu Grunde, die fast vorsätzlich verkannt wurde, wenn man behauptete, daß die Ironie in ihrem dialektischen Spiel die Dinge und zuletzt sich selbst auflöse, um den Leser auf ödem und unfruchtbarem Boden unbefriedigt zurückzulassen. Vielmehr diente die Ironie dazu, das Positive zu entwickeln. Man that ihm Unrecht, wenn man ihm Kälte, Zurückhaltung und ein gleichgültiges Spielen mit seinen Stoffen zum Vorwurfe machte. Wenn er sich an diese nicht aufgab und verlor, so bekundete das seine volle dichterische Reife. In diesem sicheren und schöpferischen Wirken, das die Natur des Stoffes zugleich in der künstlerischen Form offenbart, lag ihm die höchste, die künstlerische Ironie selbst. Welchen Antheil er menschlich an den tiefsinnigsten Fragen unausgesetzt nahm, bewiesen schon die Stoffe selbst, welche er für die Novellen wählte. Wie ihn in der Jugend die religiösen Räthsel erfüllt hatten, so noch jetzt, nur war es natürlich, daß der Mann, der an sich und Andern so viel erfahren hatte, sie in anderer Weise zu lösen suchte, als der Jüngling. Hatte er sie damals mit größerer Glut aufgefaßt, so war er jetzt im Stande, sie mit größerer Tiefe und Milde zu beantworten. In verschiedener Beleuchtung kehrte dieser Inhalt in der „Verlobung“, „Dichterleben“, den „Wundersüchtigen“, im „Alten vom Berge“ und vor allen im „Aufruhr in den Cevennen“ wieder. Schon im Jahre 1806 war er auf diesen merkwürdigen Stoff, der alle jene dunkeln Elemente in sich schloß, aufmerksam geworden, doch erst 1820 begann er die Bearbeitung. Das Verhältniß des Menschen zum Göttlichen war der eine Punkt, auf den alles ankam. Früher hatte er dessen Ausdruck in der Legende und Mystik gefunden. Auch jetzt war er weit entfernt Wunder und Geheimniß anzugreifen, wie man ihm Schuld gab; vielmehr faßte er es tiefer und unmittelbarer auf. Das Gesetz, von dessen scheinbaren Ausnahmen wir als von einem Wunder sprechen, ist selbst das Wunder, hier liegt das Geheimniß, es umgibt uns, in ihm leben wir, aber wir nehmen es nicht wahr. Darum kann und soll die vereinzelte Thatsache eines Wunders niemals zum ausschließlichen Mittelpunkte des religiösen Bewußtseins oder Bedürfnisses gemacht werden. Die Offenbarung bedarf dessen nicht, und die unruhige Wundersucht, welche immer nach neuen Bestätigungen des Ewigen sucht, ist am Ende Irreligiosität oder Schwärmerei. Das höchste aller Wunder aber begibt sich in dem Menschen selbst, wenn das Herz des Bereuenden oder Gleichgültigen sich unwiderstehlich zu Gott hingezogen fühlt. Denn hier geht der Schöpfungsproceß zum zweiten Male vor sich, in dieser Wiedergeburt wird aus Nichts Etwas geschaffen. Der Mensch ist ewigen Ursprungs, aber das Böse ist in ihn eingedrungen, es ist die Unkraft, der Ungrund, das reale Nichts. Ist er dagegen absolut schlecht, so hat alles von vornherein ein Ende. Aber ohne die Offenbarung und ihre Aufnahme gibt es keinen Sinn im Tiefsinn, keinen Geist in der Geschichte, keinen Trost in der Natur, keinen Scherz, keine Kunst, keine Liebe. Er, der Quell und Keim aller Liebe ist, kann sich dem Herzen nicht entziehen, das ihn mit seinen heiligsten Kräften sucht und ihm entgegenstrebt. Doch die höchste Entzückung kann nicht gleichmäßig fortdauern; der gewonnene Besitz wird durch den Zweifel angefochten, er scheint sich uns wieder zu entziehen, das ist die Schwäche und Beschränktheit der menschlichen Natur. Aber der Zweifel ist der Diener des Glaubens; wer nie gezweifelt hat, wird auch nicht im vollen Sinne glauben können. Der Sichere wird nur um so eher zu Falle kommen. Wer vor der in Entzückung erkannten Wahrheit nicht in Ehrfurcht zurücktritt, wird in geistiger Schwelgerei untergehen, oder sich zu fanatischer Verfolgungssucht verhärten. Die abschreckendsten Verzerrungen treten aber da hervor, wo die höchsten göttlichen Erhebungen der nichtigen Leidenschaft dennoch verfallen und sich mit den dunkeln Naturkräften und dem dämonischen Nichts verbinden. Hier entsteht wilde Schwärmerei. Jede Schwärmerei aber ist die Zwillingsschwester der ihr scheinbar unähnlichsten, und die ewige Wahrheit wird herabgezogen und entweiht. Vor diesen Verirrungen bewahrt nur Demuth, Entsagung, einfacher Wandel und Gebet. Das Christenthum aber in seiner unendlichen Milde weist kein wahres Bedürfniß und keine wahre Sehnsucht ab. Wie es ein unendliches und allgemeines ist, so ist es auch für Jeden ein besonderes; darin liegt seine Freiheit. Beschränktheit ist es, seinen ganzen tiefen Inhalt auf eine Silbe stellen, und diese Silbe aller Welt aufdrängen zu wollen, und Profanation des Heiligen, es unaufhörlich im Munde zu haben. Es gibt viele Wege, die zu Gott hinführen. Das Höchste, Unsichtbare suchte Tieck hier dichterisch faßlich und gegenständlich zu machen. Denn das war ihm die Aufgabe der Poesie, daß die wahre Begeisterung auch im Geringen das Hohe, im Irdischen das Ueberirdische wiedererkenne, und Gott auch da sehe, wo das blöde Auge verschlossen bleibt. Auf diesen Gipfel wahrhaft prophetischer Seherkraft erhob er den Dichter in den Novellen „Dichterleben“, und dieser Seher trug den Namen Shakspeare. Wie in der Jugend war ihm die Poesie auch jetzt noch eine Offenbarung, welche das Göttliche in ihrer Weise aussprechen sollte. In den frühern Naturdichtungen und Sagen hatte er stets das altkluge bewußte Thun und Machen der Menschen im Gegensatze zu der instinctiven Macht des Geistes dargestellt. Während die Klugen und Weisen zu Schanden werden, fällt den Kindlichen und geistlich Armen das Höchste ungesucht zu. Das war die ewige Ironie der Weltordnung. Auch in den Novellen faßte er sie so auf. Nichts anderes war es, wenn im „Funfzehnten November“ der dunkle Instinct des Blödsinnigen die Todesgefahr lange vorher ahnt, und die Klugen, die ihn verspotten, daraus errettet, und wenn dieser Instinct die Macht Gottes genannt wird. An diesen Stoffen bildete sich die dialektische Entwickelung und sinnlich gegenständliche Darstellung zur Meisterschaft. Wo hätte man ausgeprägtere mannichfaltigere Charaktere gefunden? Es war eine Galerie der eigenthümlichsten Menschen, die aufgestellt wurde. Aber es waren keine Bilder, sondern Menschen von Fleisch und Blut. Man sieht sie sinnlich, handgreiflich vor sich, in ihrem Thun und Lassen, in allen ihren Bewegungen. Selten hatte sich das große Talent der Menschendarstellung glänzender bewährt. Wie behaglich in ihrer Selbstzufriedenheit trat nicht die Thorheit auf, und hier wie überall zeigt sich die ungetrübte Komik, die von jeder böswilligen Absicht fern, sich nur um ihrer selbst willen gibt, und so zu reiner Wirkung gelangt. Und wie schwebte über Allem, was scharfe Beobachtung des Lebens, reife und allseitige Erfahrung gesammelt hatte, die versöhnende Milde des Urtheils, der Tiefsinn, die verklärende Kraft der Dichtung. Freilich war es eine andere Strahlenbrechung der Poesie als in der „Genoveva“, im „Octavian“ und „Phantasus“, aber es war Poesie hier wie dort; und wo das reichere Licht sei, darüber konnte man kaum zweifelhaft sein. Konnte man die ältesten Erzählungen in den „Straußfedern“ grobe aber charakteristisch derbe Holzschnitte nennen, die Märchen im „Phantasus“ schaurige Nachbtilder, so waren die Novellen vollendete Gemälde, auf denen das helle Tageslicht des Kunstwerkes ruhte. Muster und Vorbilder waren ihm Boccaz und Cervantes, dann Goethe, der in der deutschen Literatur die ersten Beispiele reiner novellistischer Kunstform gab. Durch Tieck kam sie jetzt zum Abschlusse, und den ältern Meistern der Novelle gesellte er sich als der jüngste zu. Diese Gattung der Erzählung, die bisher schwankend und zweideutig gewesen war, ward nun fast die populärste. Die Idee der Novelle bildete sich schärfer und klarer aus. Auch seine Theorie derselben enthielt nichts Anderes, als was er zu allen Zeiten in den Dichtungen darstellen wollte. Eine hervortretende Spitze, einen Brennpunkt sollte die Novelle haben, in welchem ein bestimmtes Ereigniß in das hellste und schärfste Licht gesetzt wird. Dieses Ereigniß mag alltäglicher, ja scheinbar geringfügiger Natur sein, und dennoch ist es wunderbar, ja vielleicht einzig, weil es nur unter diesen Umständen geschehen, und nur diesen Personen widerfahren kann. Es erscheint somit das Wunder in unserer gewöhnlichen Umgebung, und doch in der eigenthümlichsten und überraschendsten Weise ausgeprägt. Von nicht minder wunderbarer Einwirkung ist es auf die Welt der Geister. Es bildet den dialektischen Wendepunkt der Handlung, und um ihn sammelt sich die gespannteste Theilnahme des Lesers. Die Novelle, welche das Wunder im täglichen Laufe der Dinge zu enthüllen sucht, ist mehr auf die Stoffe der Gegenwart, als der Vergangenheit angewiesen. Daraus folgte der Uebergang von den Legenden und Sagen der Vorzeit zu den Problemen des Tages. Er, der einst das romantische Land eröffnete, wollte nun zeigen, die wahre Poesie sei frei und unbedingt; daß sie den romantischen Glanz wol annehmen könne, aber zu ihrem Wesen seiner nicht nothwendig bedürfe. Die Verhältnisse und Eigenthümlichkeiten der neuen Zeit erschließen sich dem klaren dichterischen Auge nicht minder als die Vergangenheit; ward doch auch für Cervantes seine Zeit zum Stoffe reicher und tiefsinniger Darstellung. Nicht allein die Lebensfülle der Gegenwart in ihren besondern Gestalten und Charakteren war darzustellen, auch die großen Fragen, welche die Parteien in Staat, Kirche und Literatur beschäftigten, die oft in Familien und häusliche Verhältnisse zerstörend eingriffen, gerade sie vorzugsweise mußten zur Sprache kommen. Die Gegensätze der Geister, die scharfen und schneidenden Contraste der Ansichten konnten sich in der Handlung bis zur Wirkung der Tragödie erheben; aber sie ließen sich auch zum Gegenstande der ruhigen Erörterung und des Dialogs machen. In diesen Gesprächen, welche tiefsinnig ernst, oder leichtscherzend und humoristisch große Stoffe behandelten, bewährte sich die Meisterschaft künstlerischer Dialektik. Es war eine bestimmte, aber doch höchst dehnbare Form der Erzählung gewonnen, die jeder Erweiterung fähig war, und jedem Gegenstande sich anschmiegte. Immer aber sollte die Novelle den höchsten Standpunkt des Dichters festhalten, sie sollte die Welt nicht allein abspiegeln, sondern die Widersprüche des Lebens, die Wirren und Kämpfe der Leidenschaft auflösen und zur versöhnenden Auffassung erheben. In derselben Zeit entwickelte Tieck auch als literarischer Sammler und Forscher eine ungemeine Thätigkeit. Es hatte sich ihm eine Reihe von Aufgaben gebildet, welche er allmälig zu lösen hoffte. Immer noch stand hier sein Shakspeare voran; was er für diesen that, galt ihm nur für eine Vorbereitung, für einen Abschlag auf das Hauptwerk, dessen Gedanke der Mittelpunkt aller seiner Studien war. Unterstützt durch das Talent jüngerer Freunde, gab er seit 1823 eine Reihe altenglischer Stücke, unter dem Titel „Shakspeare’s Vorschule“ heraus, und begleitete sie mit einer historisch-kritischen Einleitung. Da Schlegel von der Uebersetzung des Shakspeare sich vollständig zurückgezogen hatte, übernahm er es sie zu vollenden. Diese neue Ausgabe des sogenannten Schlegel-Tieck’schen Shakspeare erschien seit 1825; die einzelnen Stücke begleitete er mit kritischen Anmerkungen und Excursen. 1827 gab er die Uebersetzung von Espinel’s „Leben des Marcos Obregon“ heraus, und führte in der umfassenden Vorrede in die gleichzeitige spanische Literatur ein. Ebenso thätig war er für die deutsche Literatur, wo er durch Sammlung und Herausgabe anderer Dichter und Schriftsteller eine persönliche Schuld abtragen, eine Pflicht der Pietät erfüllen wollte. Von dem hohen Talente H. v. Kleist’s überzeugt, von seinem tragischen Geschicke tief erschüttert, sah er in der Erhaltung des Andenkens des halbvergessenen Dichters eine unerläßliche Pflicht. Er wollte die Nachwelt zu der Anerkennung nöthigen, welche die Mitwelt verweigert hatte. Ihm verdankt man die Erhaltung von Kleist’s bestem Werke, des „Prinzen von Homburg“. Er erinnerte an das einzige noch vorhandene Manuscript, welches unter den Papieren einer hohen Person, die sich einst dafür interessirt hatte, vergessen worden war. Schon 1821 gab er Kleist’s hinterlassene Schriften, 1826 die gesammelten Werke heraus, und in demselben Jahre vereint mit Raumer, Solger’s Nachlaß und Briefwechsel. Auch Lenz war damals ein verschollener Dichter. Er zog ihn aus der Vergessenheit hervor und sammelte seine Dramen, für deren derbe Natürlichkeit er seit der Jugend eine große Vorliebe hatte, aufs neue. Die Einleitung dazu gestaltete sich zu einer literarhistorischen Darstellung der Epoche, in welcher Goethe zuerst auftrat. Auch schrieb er manche Kritik oder Vorrede, oft auf Bitten der befreundeten Verfasser, und seine dramatischen Recensionen in der „Abendzeitung“ gab er 1826 unter dem Titel „Dramaturgische Blätter“ gesammelt heraus. Endlich legte er Hand an die erste Gesammtausgabe seiner Schriften. Sie sollte zugleich der Weiterverbreitung der verschiedenen unrechtmäßigen Ausgaben (eine solche war zuletzt in Wien erschienen) entgegentreten. Die erste Lieferung von fünf Bänden wurde 1828 ausgegeben. Ihr, wie den beiden folgenden, ging ein ausführliches Vorwort voran. Hier erläuterte er Veranlassung und Entstehung seiner ältern Werke, die schon in den Hintergrund getreten waren. Es waren zugleich die ersten Ansätze, die er zu einer Geschichte seines Lebens- und Bildungsganges machte. Leider sind es die einzigen geblieben. 6. Das Haus des Dichters. Vielleicht niemals war Tieck’s Leben in sich befriedigter gewesen und gleichmäßiger verflossen als in dem Jahrzehend von 1820 bis 1830. Die Schwermuth, welche ihn früher oft lange niederdrückte, hatte sich gemildert, er war zu einer abgeschlossenern und zugleich heiterern Auffassung des Lebens gekommen. Die aufsteigenden Zweifel fanden ein siegreiches Gegengewicht in der stillen Resignation, die immer mehr der Mittelpunkt seiner Gedanken ward. In dieser Seelenruhe öffneten sich die Quellen der Dichtung von neuem, und in der raschen Production der Novellen schienen ihm die Jugendkräfte wiedergekehrt. Nicht mit Unrecht mochten Freunde und Fernerstehende über diese zweite, fast reichere Ernte staunen, welche nach längerer Ruhe eingetreten war. Es war eine späte und glänzende Verjüngung des Dichterruhms, den er zuerst vor einem Menschenalter gewonnen hatte. Auch die Krankheit hatte mit ihrer Dauer an Kraft verloren, und es war möglich, ihr zeitweise den Stachel abzubrechen. Anderes, was ihn früher bedrängte, war ausgeglichen, seine äußere Stellung gesichert, bedeutende Verhältnisse nach allen Seiten hin angeknüpft, und sein Haus der Sammelplatz eines reichen literarischen und künstlerischen Lebens und edelster Geselligkeit. Der Kreis der nächsten Angehörigen und Freunde trug wesentlich dazu bei, seinem Hause den für alle geistigen Kräfte so anziehenden Charakter zu geben. Neben Tieck’s Frau standen seine beiden Töchter, und die Gräfin Finkenstein, eine alte Freundin des Hauses, war der Familie nach Dresden gefolgt. Frau von Lüttichau und die Witwe seines Freundes Solger hatten sich ihnen in treuer Ergebenheit angeschlossen. Eigenthümlich entwickelte sich die ältere Tochter Dorothea. Sie war ein so bestimmtes geistiges Element in diesem Verkehre, daß sie bald nicht allein den Freunden und Verehrern des Vaters eine merkwürdige und anziehende Erscheinung war. Bei der Uebersiedelung nach Dresden war sie etwa zwanzig Jahre alt gewesen. Schon früh zeigte sie reiche Fülle des Talentes und eine Kraft, die ihren eigenen Weg gehen wollte. An den Dichtungen des Vaters bildete sie sich heran und wußte deren besondern Charakter aufzufassen. Mit reger Theilnahme verfolgte sie seine Thätigkeit, und ward die Genossin seiner Studien. Unter seiner Anleitung lernte sie die neuern Sprachen kennen und ihre Dichter lieben. Schon vor dem zwanzigsten Lebensjahre war sie mit Shakspeare und Calderon vertraut. Kaum bedurfte es der Anregung durch solche Geister, um sie in die Tiefen des Lebens blicken zu lassen. Früh genug waren schmerzliche Gefühle in ihr erwacht. Nicht allein ein Theil des Talentes und der schnellen Auffassungskraft des Vaters war auf sie übergegangen, sie war auch Erbin seines Tiefsinns und seiner Schwermuth. Wie reich ihr Leben nach einer Seite hin ausgestattet war, immer vermochte sie es nur mit dem Blicke des Ernstes zu betrachten. Und dieser Blick war schärfer für die schneidenden Contraste, welche das Auge verwunden, als für die hellern wohlthuenden Farben. Dieselben Zweifel, mit denen Tieck so oft gekämpft hatte, wiederholten sich bei ihr, und warfen früh einen dunkeln Schatten auf ihr Leben. Aber das war es nicht allein. Die geistigen Schwingungen, welche die Romantik hervorgerufen hatte, setzten sich hier in einer spätern Generation fort. Die dichterische Stimmung, welche die Legende wiederbelebte und sich zum Glauben des katholischen Mittelalters neigte, war bei ihr zur Ueberzeugung geworden und in das Leben übergegangen. Das sehnsüchtige Bedürfniß der Religion fand nur in diesen Formen Ruhe und Frieden. Schon als Kind war sie mit ihrer Mutter zur katholischen Kirche übergetreten. Doch was ihr Frieden gab, war von manchen Gegensätzen unzertrennlich. Tieck’s eigene religiöse Ueberzeugung war wesentlich protestantisch, das sprachen alle seine neuern Dichtungen aus. So kamen Augenblicke, wo sie sich von den Nächststehenden nicht verstanden glaubte, und bei der kindlichsten Liebe zu ihren Aeltern sich dennoch einsam fühlte. War es doch als wenn gerade aus dem Verkehre mit den Menschen, mit welchen man am innigsten verbunden ist, die man am meisten liebe, auch die reichsten Schmerzen erwachsen müßten. Und was wollte dieses Leben überhaupt, in dem Freude wie Schmerz, wenn sie vorübergegangen waren, nur wie ein dunkler und fernliegender Traum erschienen? Wie bunt trieb alles durcheinander! Mit welchem Eifer jagten die Menschen dem Geringfügigen, Vergänglichen nach! In solchen Augenblicken konnte sie alles für ein leeres Spiel halten. Aber dennoch machte die Gegenwart immer wieder ihre Ansprüche geltend. Hatte man denn kein Recht auf Glück? War es wirklich ein leerer Traum, wenn die Kindheit sich ein solches Bild ausmalte? Von einer tiefen und mit den Jahren steigenden Sehnsucht nach innerer Ruhe wurde sie ergriffen, in der sie diese verwirrenden Netze von sich abstreifen und den Gedanken, die einander anklagen und freisprechen, auf immer entfliehen könne. Nur die Einsamkeit eines Klosters erschien als ein Hafen der geängstigten Seele, als letzte Lösung aller Fragen der Tod. Doch sie fühlte, diese Seelenstimmung bedürfe eines Gegengewichts, wenn sie nicht zu Grunde gehen wolle. In diesem einsamen Zurückziehen auf sich selbst schien ein geistiger Egoismus zu liegen. Auch bot ihr das Leben manches Mittel der Entwickelung mehr als Andern. Mit aller Kraft begann sie dann gegen die Schwermuth zu kämpfen; ruhiger wollte sie werden. So gewann sie sich Zeiten gleichmäßiger Stimmung ab, in denen sie mittheilend, selbst heiter erschien. Sie unternahm geregelte Studien und literarische Arbeiten, die ihr Zerstreuung und geistige Sammlung gewährten. Von den neuern Sprachen ging sie auf die alten zurück, und gewann einen reichen Schatz von Kenntnissen, die man Gelehrsamkeit nennen konnte. Die Homerischen Gedichte und den Virgil, die griechischen Tragiker und den Horaz, den Herodot und den Livius las sie, und nicht ein Mal, sondern zu wiederholten Malen. Es war keine Neugier, kein gewöhnlicher Dilettantismus; eine Zeit lang lebte sie in diesen Schriftstellern, und suchte sich mit dem antiken Charakter vertraut zu machen. Aber sorgfältig verbarg sie diese Studien, kein Fremder hätte eine Ahnung davon haben dürfen; sie waren ihr Sache des Herzens wie ihre innern Kämpfe. Darum war sie fern von der kokettirenden Vielwisserei gelehrter Frauen. Alles Prunken mit Kenntnissen, alles was als moderne Emancipation hätte gedeutet werden können, haßte sie in tiefster Seele. Nur die vertrautesten Freunde wußten darum, allen Andern wollte sie eine Frau sein, die sich durch nichts über das hergebrachte weibliche Dasein erhebe. Mit demselben Eifer unterzog sie sich daher auch den kleinen weiblichen Arbeiten. Dennoch konnte sich eine so eigenthümliche Erscheinung nicht verleugnen, selbst wenn sie es wollte. Die Art ihres Seins war nicht die gewöhnliche. Jedes Urtheil, jede Meinung trug das Gepräge ihrer ernsten Stimmung. Wer so Vieles in sich selbst durchgearbeitet hatte, konnte Menschen und Verhältnisse nicht in gewöhnlicher Weise ansehen. Die Wahrheit war ihr Bedürfniß; alles gemachte, alles falsche Scheinwesen haßte sie, aber sie sprach die Wahrheit nicht ohne Schärfe aus, und erschien Fremden oft streng, herb, ja schroff. Auch das gehörte zu den Prüfungen ihres Lebens. Alle diese Gegensätze waren schwerer zu überwinden für die Frau, welcher eine große praktische Einwirkung auf die Welt versagt war. Auch war ihr literarisches Talent ein receptives; wol zum Nachbilden, nicht zu eigenen dichterischen Hervorbringungen fühlte sie sich befähigt. Vielleicht waren ihre Empfindungen zu tief und verzehrend, um sie schöpferisch zu gestalten. So blieb ihr Wesen räthselhaft, unverstanden, aber eigenthümlich und anziehend. Bald nach dem Jahre 1820 begann die Tochter an der literarischen Thätigkeit des Vaters Theil zu nehmen. Sie übersetzte die Sonette Shakspeare’s und die altenglischen Stücke des ersten Bandes der „Vorschule Shakspeare’s“, mit Ausnahme der „Hexen von Lancashire“. Im Publicum schrieb man diese Arbeiten längere Zeit Tieck selbst zu. Als er die Fortsetzung des Schlegel’schen Shakspeare übernahm, führte sie einen großen Theil derselben aus, während ein jüngerer Freund das Werk nicht minder eifrig förderte. Der Graf W. Baudissin hatte sich seit 1827 in Dresden niedergelassen, und theilte bald Tieck’s Studien des englischen Theaters. Dieser selbst hatte schon früher manches aus den von Schlegel zurückgelassenen Dramen nach Stimmung und Laune übersetzt. Einzelne Bruchstücke des „Macbeth“, „Othello“ und des Lustspiels „Der Liebe Müh umsonst“, waren da. Jetzt vollendete seine Tochter das erste dieser Stücke, und übersetzte den „Coriolan“, „Cymbeline“, „Timon von Athen“, „Die beiden Veroneser“ und „Das Wintermärchen“ vollständig. An einigen andern hatte sie keinen unwesentlichen Antheil. Ueberhaupt sah man diese Arbeit als eine gemeinschaftliche an. Die Uebersetzungen wurden vorgelesen, mit dem Originale verglichen, geprüft und verbessert. Schwierige Stellen besprach man gründlich, und bisweilen nahm die endgültige Feststellung weniger Verse einen ganzen Vormittag ein. Ein zweiter Kreis theilnehmender und mitstrebender Freunde war in dieser Zeit entstanden. Denn schon hatte der erste sich aufgelöst. Nach einem bewegten Leben war Burgsdorff, der dem Freunde nach Dresden gefolgt war, 1822 gestorben. In ihm verlor Tieck einen der ältesten Jugendgenossen, der bei aller Verschiedenheit des Charakters ihm stets treu ergeben gewesen war. Zwei Jahre später wurde Malsburg daheim auf seinem Gute Escheberg vom Nervenfieber unerwartet fortgerafft. Im Jahre 1825 erlag Loeben langen und schweren Leiden; einige Jahre später folgte ihnen Wilhelm Müller. Keiner dieser jüngern Dichter erreichte das vierzigste Lebensjahr. Dem neuen Kreise gehörte Rehberg an, der in Staatsgeschäften alt geworden war, und noch spät eine aufrichtige Freundschaft mit Tieck schloß. Er kam 1823 nach Dresden, nachdem er der öffentlichen Thätigkeit entsagt hatte. Bekannt als einer der ersten und geistreichsten Gegner der französischen Revolution, faßte er die Dinge überall scharf mit eindringendem Blicke auf. Der Verschiedenheit der Stellungen, und zum Theil auch der Ansichten, ungeachtet, einigte sich Tieck in den Hauptsachen dennoch mit dem realistischen Staatsmanne. So gingen z. B. ihre Urtheile über Goethe weit auseinander; Tieck hatte aber vor dem Scharfblick Rehberg’s eine so hohe Achtung, daß er einem Briefe, den dieser, angeregt durch die Einleitung zu Lenz’ Schriften, über Goethe an ihn geschrieben hatte, eine Stelle in derselben einräumte. Immer sah er es als ein freudiges Ereigniß an, noch in spätern Jahren einen wahren Freund gewonnen zu haben. Zu den heimischen Freunden Tieck’s gehörten K. M. Weber, der Hofmarschall von Lüttichau, Carus, Quandt, der Kunstkenner, Ungern-Sternberg, Karl Förster, Graf Baudissin, die Maler Dahl und Vogel. Eine Zeit lang versammelte man sich regelmäßig zu literarischen Mittheilungen und Vorlesungen. Eine reiche geistige Anregung gewährten die literarischen Cirkel, welche der Prinz Johann um sich versammelte. Es war die sogenannte Dante-Gesellschaft, in der die Kenner der italienischen Literatur, Förster, Tieck, Carus und Baudissin, sich unter dem Vorsitze des Prinzen zur Lectüre und Erklärung des Dichters in Dresden oder Pillnitz vereinten. In der Regel ließ der Prinz die einzelnen Abschnitte seiner Uebersetzung des Dante von Tieck vorlesen. Ueberall zeigte er ein tiefes Verständniß des Dichters und eine seltene Gelehrsamkeit in der scholastischen Philosophie. Mit Unbefangenheit und Freimuth besprach man den Gegenstand allseitig, eine vollkommene Debatte entspann sich. Ganz als Gelehrter, dem es allein um die Sache zu thun ist, erschien der Prinz; er nahm Kritik an, wie er sie ausübte, und ließ das Uebergewicht, welches ihm seine Stellung gab, vollständig vergessen. Frei und ungezwungen bewegte man sich. Heimische und fremde, alte und neue Literatur, Kunst und Wissenschaft boten einen unerschöpflichen Inhalt, an dem man Geist und Kenntnisse förderte. Es war ein behagliches, heiteres Leben damals in Dresden. Es gibt Zeiten der Ruhe, wo Noth und Mühsal vergessen scheinen, und die geistige Entwickelung, die oft nur im heißen Kampfe zu gewinnen ist, zum befriedigenden Genusse wird. Dresden konnte an das reiche Leben in Weimar und in jenen italienischen Städten erinnern, welche sprüchwörtlich geworden sind. Da eilen die Maler, Kenner und Kunstfreunde des Morgens nach den Galerien. Vor der Sixtinischen Madonna oder den Gemälden Correggio’s sind sie versammelt; mit Eifer tragen sie ihre Ansichten vor, sie vertheidigen ihre Lieblinge, und suchen einander zu überzeugen. Dann hält der alte Böttiger im Antikencabinet eine Vorlesung über Pallas oder Artemis, man geht in die Werkstätte eines befreundeten Malers, um irgendein eben vollendetes Gemälde zu betrachten, oder man sitzt im Laden des Italieners beim Glase Wein und unterhält sich tiefsinnig, oder schwatzt gemüthlich über Kunst, Welt und Leben. Am Abende wird es im Theater ein neues Trauerspiel oder eine neue Oper geben, das beschäftigt die Gemüther und hält sie in Spannung. Tieck wird vor auswärtigen Gästen ein Drama von Shakspeare, eine Dichtung aus seiner ältern Zeit, oder im Kreise der vertrautesten Freunde eine neue Novelle aus dem Manuscript lesen. Dann gibt es irgendein Fest zu feiern, ein Liederfest, ein Künstlerfest, den Geburtstag des Dichters. Man besingt und bekränzt ihn, man stellt in scenischen Versuchen Einzelnes aus seinen Dichtungen dar, und versammelt sich abermals an seinem Sessel, oder macht am Frühlingsabende eine Fahrt in das Elbthal. Man wird nicht müde zu sprechen von Poesie und Malerei, von Drama und Novelle, von Shakspeare und Goethe. Dann kommen auf längere oder kürzere Zeit auch auswärtige Freunde. Schon früher hatte Uechtritz seine ersten dramatischen Arbeiten dem Urtheile Tieck’s unterworfen, und 1827 gab dieser das Trauerspiel „Alexander und Darius“ mit einer Vorrede heraus. Auch Eduard von Schenk hatte durch seine liebenswürdige Persönlichkeit Tieck schon während des Aufenthalts in München für sich eingenommen. Als Dichter wünschte er seine Kritik, und als Staatsmann suchte er für ihn zu wirken. Bei der Begründung der neuen Universität in München zählte König Ludwig auch Tieck zu den Autoritäten, die gewonnen werden sollten. Dieses Mal wiederholte sich die Zumuthung, das Katheder zu besteigen, unter glänzenden Bedingungen. Man bot ihm eine Professur der neuern Literatur mit einem Gehalte von 2500 Gulden. In der Wahl und Anordnung der Vorlesungen sollte er die vollste Freiheit behalten, und in seinen literarischen Arbeiten in keiner Weise gestört werden. Doch dieses Anerbieten lehnte er ab; er war in Dresden heimisch geworden, und fühlte sich nicht geneigt, nachdem er das funfzigste Lebensjahr überschritten, eine neue Laufbahn zu beginnen. Auch war seinen körperlichen Leiden das wechselnde Klima von München nicht zuträglich, das ihn zwei Mal an den Rand des Grabes gebracht hatte. Außer diesen jüngern Freunden besuchten ihn in regelmäßiger Wiederkehr auch manche der ältern. Einen lebhaften Briefwechsel unterhielt er mit F. von Raumer, der an Allem, was Tieck berührte, den wärmsten Antheil nahm, und im Frühjahr und Herbst einige Wochen bei ihm zu wohnen pflegte. Mit treuer Freundschaft stand er diesem in den Zeiten heftiger und ungerechter politischer und literarischer Angriffe zur Seite. Auch Steffens kam, der mit seinem vielgelesenen Roman „Walseth und Leith“ Tieck auf das Gebiet der Novellendichtung folgte; nicht minder Tieck’s Bruder und sein Neffe Gustav Waagen. Rumohr schlug zu Zeiten seinen Wohnsitz in Dresden auf. Er war noch der Alte; geistreich, sanguinisch, unruhig und abspringend. Aber immer kehrte er wieder. Heiter und durch ihre eigenthümliche Küche ausgezeichnet waren die Gesellschaften, die er in seinem Gartenhause auf einem Weinberge bei der Stadt gab; obgleich er stets behauptete, in ganz Dresden sei kein Bissen genießbares Essen zu finden. Denn längst hatte er den Geist der Kochkunst praktisch studirt. Später las er die „Deutschen Denkwürdigkeiten“ Tieck vor, und zeigte sich auch hier reizbar und wunderlich. Ein leichter Tadel, den er eines vereinzelten Wortes wegen erfuhr, erregte seinen heftigen Zorn, und lange war er nicht von dem Gedanken abzubringen, Tieck verfolge ihn feindselig, und wolle ihm seine Schriftstellerei verleiden. Dagegen räumte er gutwillig ein, daß seinem Buche der Schluß fehle, und auf Tieck’s Aufforderung fügte er einen vierten Theil hinzu. In diesen glänzenden und bewegten Kreis älterer und neuerer Freunde trat 1827 als Zeuge einer längst entschwundenen Zeit Tieck’s ältester, fast vergessener Jugendfreund Piesker, jener altkluge Mentor, der unter den Jünglingen die Rolle des strafenden Gewissens zu übernehmen liebte. Seinem verständigen und ehrenfesten Wesen gemäß war er in die Beamtenlaufbahn eingetreten, und war dann nach Polen verschlagen worden; endlich hatte ihn Tieck während seiner Sturm- und Drangperiode ganz aus den Augen verloren. Der dürftige Briefwechsel war eingeschlafen; Tieck wußte nicht einmal, ob der alte Freund noch lebe. Jetzt kündigte er plötzlich nicht nur sein Leben, sondern auch seinen Besuch in Dresden an, und zwar mit einem Theile seiner ziemlich zahlreichen Familie. Er war unterdeß als arbeitsamer Actenmann Landgerichtsrath in Meseritz geworden. Es war die freudigste Ueberraschung, den ältesten Jugendfreund so unerwartet wiederzusehen, den einzigen von jenen Genossen, der noch lebte. Alte Zeiten wurden in diesem Wiedersehen neu. Doch bald wich die überschwängliche Freude andern Betrachtungen. Der Landgerichtsrath aus Meseritz war ein guter und pflichteifriger Mann, dessen Geist in dem kleinen Beamten- und Stadtleben zusammengeschrumpft war. In der ersten Begeisterung las ihm Tieck Einiges von seinen Dichtungen vor, und führte den wenig Gereisten in Dresden umher. Doch statt aller theilnehmenden Aeußerungen hörte er stets nur die eine Gegenbemerkung, daß, dies und jenes ausgenommen, Alles in Meseritz ebenso sei. Es war vergeblich, aus ihm einen Funken herauszuschlagen, und Tieck konnte schließlich nicht begreifen, wie er in der Jugend im Verein mit diesem gutmüthigen, aber trockenen Gefährten Trauerspiele hatte schreiben wollen. Einen anziehenden Charakter gewann dieses freundschaftliche und literarische Zusammenleben durch Tieck’s dramatische Vorlesungen. Längst waren sie mehr gewesen als eine anregende Unterhaltung für die Familie und die nächsten Freunde. Sie waren eine Vermittelung für Fernerstehende, ein künstlerisches Vorbild für Schauspieler, Gegenstand der Bewunderung oder Neugier für Fremde, und Mittelpunkt der Geselligkeit. Ihr Ruf ging weit über Dresden hinaus, und Tieck’s Meisterschaft im dramatischen Lesen trug vielleicht ebenso viel dazu bei, ihn zur öffentlichen Person zu machen, als sein dichterischer Ruhm. Seine Vorlesungen wurden zu Dresdens Merkwürdigkeiten gezählt. Bisweilen fragten sogar die Lohnbedienten der Gasthöfe im Namen angekommener Fremden an, ob heute Abend Vorlesung sein werde. Man sprach von ihnen, wie von der Gemäldegalerie, von der Kapelle der katholischen Kirche, oder dem Theater. Wer nach Dresden kam, mußte Tieck besucht, irgendeine seiner Vorlesungen gehört haben, das war unerläßlich. Sie vollendeten den künstlerischen Charakter der Stadt. Wie Goethe zu Weimar, gehörte Tieck zu Dresden. Dem Huldigungseifer der Fremden kam er mit Unbefangenheit, Gutmüthigkeit und der edelsten Liberalität entgegen. Selten mag eine uneigennützigere Gastfreiheit ausgeübt worden sein. Er empfing seine Gäste wie der feingebildete Mann, der zugleich Dichter ist. Wenn in der deutschen Geselligkeit irgend etwas den vielgerühmten literarischen pariser Salons entsprach, so fand es sich im Hause Tieck’s. Nur mit den mäßigen Mitteln eines deutschen Privatmannes und Gelehrten ausgestattet, sah er dennoch fast an jedem Abende Gäste; außerdem galt der Sonnabend als officieller Empfangstag. Die Versammlung in seinem Lesezimmer war in der Regel sehr zahlreich. Mitunter stellten sich gegen die Sitte des Hauses noch um zehn Uhr Abends Fremde ein. Die verschiedensten Menschen und Gestalten fanden sich zusammen; die nächsten Freunde, Reisende, Bekannte und Unbekannte, Künstler, Schriftsteller und Gelehrte, neben den Deutschen oft Franzosen, Dänen, Engländer, Russen oder auch Nordamerikaner. Es war eine bunte Menge, wie sie Freundschaft, Verehrung, Neugierde oder fremde Empfehlung zusammengeführt hatte. Denn ein Wort, eine Zeile irgendeines Bekannten, eine anspruchslose Selbsteinführung reichte hin, diesen Kreis jedem Gebildeten zu öffnen. Man fühlte nichts von der Herrschaft, welche die geistige Größe auf ihre Umgebung unwillkürlich ausübt. Er dachte nicht daran, daß er der Mittelpunkt sei, und war weit entfernt, das Gespräch an sich zu ziehen. Die Vorlesung erfüllte ihn jedes Mal ganz; er ging persönlich so vollständig in seinen Dichter auf, daß er der Gesellschaft umher oft entrückt wurde, und nach dem Schlusse nur allmälig zu seiner Umgebung zurückkehrte. Die künstlerische Vollendung, mit der er las, mochte damals den höchsten Punkt erreicht haben. Während man früher Vorlesen für ein Leichtes hielt, was sich von selbst verstehe, zeigte er, auch der Vorleser vermöge ein Kunstwerk zu schaffen, welches die Wirkung der Bühne überbiete. Unter den Stücken, die er zu lesen pflegte, standen die Shakspeare’schen obenan; häufig las er auch Goethe oder Schiller, Calderon oder Holberg, ein älteres deutsches Lustspiel, oder er griff zu einer neuesten dramatischen Dichtung eines jüngern Freundes. In ausgewähltern Kreisen ging er nicht selten auf Sophokles zurück, stets nach Solger’s Uebersetzung. Gern und unter tiefem Eindrucke las er den Euripides, nur vor Männern, in der Regel im Hause eines der Freunde auch den Aristophanes. Diese eigenthümliche Mischung von kühnem Witz und Phantasterei schien ihm besonders zusagend. Die Theilnahme der Zuhörer stieg, wenn er eines seiner eigenen Werke vortrug, und als Dichter und Vorleser zugleich auftrat. Fühlte er sich ganz kräftig, so konnte er wol zwei fünfactige Dramen, eine Tragödie und ein Lustspiel ohne größere Pause oder merkliche Ermattung hintereinander lesen. Die Jahreszeit machte keinen Unterschied; an den Sommerabenden fanden sich die Fremden vielleicht noch zahlreicher ein. Das Lesepult ward aufgestellt, man sammelte sich mit einer gewissen Andacht, und bald nach sechs Uhr begann die Vorlesung. Manches gleichgültige Gesicht, welches er nie wiedergesehen hat, ging damals an ihm vorüber, und mancher Name wurde ihm genannt, dessen er sich nicht wieder erinnerte. Doch auch die berühmtesten Männer saßen vor seinem Lesepulte. Fast jeder Abend erweiterte den Kreis der persönlich Bekannten. Schon 1820 besuchte ihn Hegel, den er auf der Rückreise von England in Heidelberg kennen gelernt hatte. Dieser hatte seitdem sein System im ganzen Umfange entwickelt, er war eine Autorität geworden, welche die Stimmung der Wissenschaft zu beherrschen anfing. Eine innere Annäherung oder Ausgleichung zwischen beiden war unmöglich. Bei Tieck’s Stellung zur Philosophie konnte er sich am wenigsten mit der Strenge und scharfen Dialektik Hegel’s befreunden, und diesem lag die Plastik antiker Kunst näher, als das moderne Gefühl. Später wurde Tieck durch Hegel’s Kritik über Solger verletzt. Er sah darin ein Verkennen der tiefsten Gedanken seines Freundes, die auch sein eigenes Leben gebildet hatten. Diesmal kamen Dichter und Philosoph auf dem neutralen Boden dramatischer Vorlesung zusammen. Tieck las im Kreise seiner Freunde den „Othello“. Am Schlusse machte Hegel einige Bemerkungen über den Charakter des Jago; er sah darin einen Beweis des unbefriedigten Gemüths des Dichters selbst. Bei Tieck stand der Gedanke der reinsten künstlerischen Stimmung Shakspeare’s fest. Im Eifer herausfahrend, rief er: „Professor, sind Sie denn des Teufels, so etwas zu behaupten?“ ein Gefühlsausbruch, der auf Hegel keinen günstigen Eindruck machte. Zu den Vertretern der deutschen Kunst- und Dichterwelt, welche bei Tieck erschienen, und mit denen er zum Theil im brieflichen Verkehr blieb, gehörten Thorwaldsen, Cornelius, Schadow, Jean Paul, Robert, Häring, Holtei, Hauff, Schall, Immermann, Eduard Devrient, die Uebersetzer Gries, Kauffmann und Regis. Ein unbequemer Gast war Müllner. Er war absprechend und hochfahrend, umsomehr, da er Tieck’s Widerwillen gegen seine Trauerspiele kannte, und sich nicht hinreichend geehrt glaubte. Er hielt es überwiegend mit den Gegnern, und ließ es in seinem „Mitternachtsblatte“ an Ausfällen nicht fehlen. Unter den Gelehrten schloß sich ihm in naher Freundschaft Loebell an, der neben seinen Fachstudien an den Geschicken der deutschen Literatur und Tieck’s Einwirkung auf dieselbe lebhaften Antheil nahm. Auch mit Ottfried Müller war er in nähere Verbindung getreten, dessen Liebenswürdigkeit und geistvolle Gelehrsamkeit gleich sehr fesselte. Er stand mit Thorbecke, Hormayr, A. Wendt, Adolf Wagner im Briefwechsel; gelegentlich auch mit A. von Humboldt, Schleiermacher, Neander. Herbart, Ranke und andere Gelehrte sah er in seinem Hause. Als er 1828 Teplitz mit Baden-Baden vertauschte, lernte er auf der Reise durch das Würtembergische Wolfgang Menzel kennen, der mehr als einmal seine Vertheidigung gegen ungerechte Angriffe übernahm; dann Kerner und Eschenmaier, welche ihm die Seherin von Prevorst nicht erließen. Durch die Schweiz über Strasburg ging er nach Bonn, um nach langer Zeit seinen alten Freund Schlegel zu besuchen. Hier hielt er sich vierzehn Tage auf, und obgleich ihm die indische Gelehrsamkeit durchaus fern lag, verständigten sie sich doch bald. Schlegel misbilligte die mystische Richtung seines Bruders in so harten Ausdrücken, daß Tieck mäßigen mußte. Auf der Rückreise, es war in den ersten Tagen des October, berührte er Weimar. Zehn Jahre waren verflossen, seit er Goethe nicht gesehen hatte. In dieser Zeit waren ihre Berührungen nur vorübergehender Natur gewesen. Als Goethe Tieck’s Novelle, „Die Verlobung“, gelesen hatte, dankte er ihm schriftlich dafür, und öffentlich sprach er seine Anerkennung aus. Jetzt war Tieck mit seiner Familie einen Mittag bei Goethe, den Dorothea durch eine gelungene Recitation eines Theiles der „Iphigenia“ aus dem Gedächtnisse überraschte. Am folgenden Abend las Tieck in einem größern Kreise bei Goethe’s Schwiegertochter den „Clavigo“. Goethe selbst erschien nicht; er hatte sich entschuldigen lassen. Indeß war Tieck auch dem Auslande als Dichter bekannt geworden. Zuerst vielleicht im skandinavischen Norden, wo die nationalverwandten Gemüther für die romantische Poesie große Vorliebe zeigten. Die Einwirkungen von Steffens und Oehlenschläger waren nicht ohne Erfolg geblieben. Selten ging ein namhafter Däne nach Deutschland, ohne Tieck aufzusuchen. Noch 1831 kam Oehlenschläger nach Dresden; zu andern Zeiten Heiberg, Ingemann, Hauch, Herz und Anderssen; später die Schweden Atterbom und Beskow. Seit die deutsche Literatur in Frankreich Gegenstand eifrigen Studiums geworden war, fehlte es auch an französischen Besuchern nicht. Ampère und Marmier, welche Deutschland in Deutschland kennen lernen wollten, verweilten bei Tieck. Obgleich er sich mit Abscheu von der neufranzösischen Romantik abwandte, die ihm nicht als Poesie, sondern als Krankheit galt, ward der literarische Verkehr doch nicht gestört. Auch brachte die „~Revue des deux Mondes~“ einen eingehenden und anerkennenden Artikel über seine dichterische Entwickelung. Später kamen Barante, Montalembert, der Marquis Cubières, der, wie Marmier, ihn in französischen Versen besang, Carnot, der Schauspieler St.-Aubin und mancher Andere. Mit England blieb er durch Shakspeare in steter Verbindung, durch die Kenner der altenglischen dramatischen Literatur Coleridge, Dyce, Hayward und Colliers. Auch besuchten ihn die Russen Schukowski, Uwarow und Stackelberg. Von Nordamerikanern lernte er den Theologen Robinson und den Literarhistoriker Ticknor kennen. 7. Das alte und das junge Deutschland. Mit dem Ablauf des dritten Jahrzehends ging dieses gleichmäßige künstlerische Stilleben zu Ende. Neue Ereignisse traten ein, denen Verstimmung und Unruhe, Schmerz und Erschütterung in den engen Grenzen nächster Verhältnisse wie im öffentlichen Leben folgten. Für Tieck wurde dieser Lebensabschnitt durch zwei Todesfälle bezeichnet, die ihn tief ergriffen. Zu Anfang des Jahres 1829 starb Friedrich Schlegel, dann folgte der Tod Goethe’s. Von dem Wunsche getrieben, den wohlbekannten Boden des nördlichen Deutschland auf längere Zeit wiederzusehen, kam Schlegel im Spätherbste 1828 nach Dresden. Er beabsichtigte in den Wintermonaten eine Reihe von öffentlichen Vorlesungen in alter Weise zu halten. Er wollte darin die Ergebnisse seiner philosophischen und historischen Studien, seine Lebensphilosophie, wie er es nannte, vortragen. Mehr als je erschien er von dunkler Mystik und Prophetik erfüllt. Er sprach mitunter glänzend, es war ein Aufblitzen des alten Talents, öfter sophistisch, unklar und verworren; Paradoxie und Anmaßung waren vorherrschend. Seine neuen Vorlesungen waren bei weitem mehr Gegenstand der Neugier und des Staunens, als der wahren Theilnahme. Für Tieck waren sie ungenießbar. Es gab Augenblicke, in denen er nicht ohne Schrecken die apokalyptischen Verkündigungen seines Freundes anhörte. Fast gespenstisch erschien er ihm. Wie hatte sich dieser reiche Geist aus den weitesten Räumen in die engste Dürftigkeit zusammengezogen! Im Willkürlichen, Abenteuerlichen, Verkehrten fand er Genügen, und gerade jetzt meinte er auf der Höhe der Weisheit angelangt zu sein. Dem reinsten Aberglauben war er verfallen; jedes Gespräch zeigte nur die immer größer werdende Kluft. Er behauptete wirklich prophetisch in die Zukunft zu blicken, die er aus einzelnen Bibelsprüchen deuten wollte. Diese nahm er aber nur aus der Vulgata. Wenn Tieck sich erlaubte, bescheidene Zweifel zu äußern, wies er ihn pathetisch mit den Worten ab: „Mein Sohn, auf deinem Standpunkte verstehst du das nicht.“ Als ihm Tieck einmal einen phantastischen Traum erzählte, erkannte Schlegel darin einen Wink der heiligen Jungfrau, die es gut mit Tieck meine, und ihn in den Schoos der Kirche zurückführen wolle. Ein anderes Mal kündete er die Nähe des jüngsten Tages an, dann würden die Gestirne des Himmels sich gegeneinander bewegen, und die Gestalt eines Crucifixes bilden. Unwillkürlich brach Tieck bei diesem Orakel in den Ruf aus: „Mensch, sage einmal, glaubst du denn wirklich das Alles?“ Nach solchen Zweifeln sprach dann Schlegel sein tiefes Bedauern aus, daß der Freund, der doch alle Elemente des Glaubens in sich trage, sich zum Glauben selbst nicht erheben könne. Schlegel sollte seine Vorlesungen nicht beenden. Es war am 10. Januar, als er noch einmal in heiterer Geselligkeit mit den Freunden vereint war; in der Nacht darauf wurde er vom Schlagfluß getroffen. Am 22. März 1832 starb Goethe. Die letzte Berührung hatte Tieck mit ihm, als 1829 zur Feier von Goethe’s Geburtstage auf der dresdener Bühne der „Faust“ zur Aufführung gebracht wurde. Er war mit diesem Plane nicht einverstanden, weil er darin eine Beeinträchtigung des Gedichts fand, dennoch schrieb er für die Darstellung einen Prolog. Wenige Tage später erhielt er ein danksagendes Schreiben von Goethe’s Hand. Jetzt war auch er dahingegangen, der in dem Reiche deutscher Dichtung sechzig Jahre lang als König geherrscht, an dem sich die spätern Geister alle gemessen oder emporgerankt hatten. Es war eine tiefe Lücke im deutschen Leben selbst. An Goethe’s Dichtungen hatte Tieck in kindischem Spiele gelernt, von ihm als Knabe geträumt, für ihn als Jüngling voll Begeisterung gekämpft. Unaufhörlich hatte er seine frühern Werke studirt, in ihnen lebte er. Wie viel hatte er nicht seit dreißig Jahren über Goethe’s dichterischen Genius gedacht, gesprochen und geschrieben! Doch nie war es zu einer dauernden persönlichen Verbindung zwischen ihnen gekommen. Sie standen einander zu nah und doch auch fern. Aber nur um so klarer ward Tieck’s reine und uneigennützige Pietät. Es war ein innerstes Verständniß, welches das Zufällige von dem Unvergänglichen trennte, und deshalb in den hergebrachten Ton der Bewunderung nicht überall einstimmen konnte. Goethe’s Tod wirkte auf ihn mit schmerzlicher Gewalt. Wochen lang war er in schwermüthiger Trauer, und vermochte seiner Rührung nicht Herr zu werden. Familie und Freunde fingen an für seine Gesundheit zu fürchten. Ergreifend sprach er das Gefühl seiner tiefen Wehmuth aus, als er einmal sagte, Goethe sei der Stern gewesen, der seiner Jugend vorgeleuchtet habe; wie Ferdinand für Egmont, habe er für Goethe gefühlt. In dem Epilog zum Andenken Goethe’s, der nach der Darstellung der „Iphigenia“ gesprochen wurde, legte er ein letztes Zeugniß für ihn als Vorbild, Lehrer, Freund und hohen Meister ab, indem er ihn mit Dante und Shakspeare zusammenstellte, und sie als das leuchtende Dreigestirn der Poesie bezeichnete. Es war, als wenn mit dem Scheiden Goethe’s, des Schöpfers der nationalen Poesie, und Schlegel’s, des Vorkämpfers der Mystik, eine große Zeit hätte abschließen sollen. Denn jetzt drängte gewaltsam ein jüngstes Geschlecht nach, in dessen Augen die alten Lorbern längst vertrocknet waren, welches Talent, geistige Kraft und Bedeutung allein für die Gegenwart und für sich selbst in Anspruch nahm. Die Julirevolution war ausgebrochen, und der Widerhall der heftigen Explosion erschütterte zunächst Deutschland. Eine fieberhafte Bewegung durchzuckte das Leben. Alle Unzufriedenheit, alles gesellschaftliche Misbehagen, dessen Aeußerungen die Restaurationspolizei bisher niedergedrückt hatte, brach hervor, und suchte sich einen politischen Ausweg zu bahnen. Aber seit lange lag es im Charakter des deutschen Geistes, die Schlachten, die er sich selbst liefert, vorzugsweise auf dem Gebiete der Literatur zu schlagen. So geschah es auch jetzt. Die Jahre der Ruhe gehörten überwiegend den jüngern Romantikern, deren Letzte die Nachzügler Walter Scott’s waren. Sie priesen unaufhörlich die gute alte Zeit, und suchten sie auf allen Wegen. Man war sicher und stolz geworden im Besitze der wiedergewonnenen Güter. Aber die ausschließende Einseitigkeit bereitete sich selbst den Fall. Nicht Alle dachten so, wie die Tonangeber. In der Stille erhoben sich andere Kräfte, deren Erbitterung mit ihrer Unterdrückung wuchs, und die um so begieriger waren, sich hören zu lassen, je weniger man sie zu Worte kommen ließ. Lord Byron war das Urbild der literarischen Oppositionsmänner neuester Zeit, der Dichter des Schmerzes, der sittlichen Zerfallenheit, der Verzweiflung und auch der Koketterie mit der Verzweiflung. Er war das Ideal der modernen Fauste und himmelstürmenden Titanen, der volle Ausdruck der durchbrechenden Zeitverstimmung, welche die Selbstgenügsamkeit der herrschenden Restauration verspottete, nichts mehr glaubte, an Allem zweifelte, Alles bestritt, und dem Misbehagen der Welt durch eine radicale Umwandlung abhelfen wollte. Vorher war Alles positiv und althistorisch gewesen, jetzt sollte Alles negativ und jung sein. Raum sollte gemacht werden für das Neue. Aber was war das Neue? Was den deutschen Nachahmern Byron’s an Kraft und Tiefe fehlte, ersetzten sie durch Systematik. In der lyrischen Poesie hatte sich mit Heine’s Liedern ein verneinender Geist in glänzender und populärer Hülle erhoben, deren bestes Theil von Goethe entlehnt war. Der scharfe, fressende Hohn, der Alles, was über dem einzelnen Menschen steht, angriff, das Gefühl verspottete und endlich sich selbst vernichtete, war in diesen leichten Versen durch Deutschland getragen worden. Börne’s Kritiken, die sich mit Zerstörungslust auf alles Deutsche warfen, wurden das Signal zu heftigen und maßlosen Angriffen. Die Literatur schien übersättigt, von Ekel vor sich selbst ergriffen. Solange hatte man gedichtet und Bücher geschrieben, jetzt wollte man Thaten; man hatte Dichter bewundert und gepriesen, jetzt sollte die Zeit gekommen sein, wo man sie hassen und sich selbst verhaßt machen müsse, um zu wirken. Hatte man bisher an Autoritäten geglaubt, so sollte jetzt die Axt an die Götzenbilder gelegt werden. Goethe’s Name war der erste, der fallen mußte. Was man hier verlor, behaupteten die Neuerer durch die Einwirkung auf Volk, Staat und Gesellschaft tausendfach zu ersetzen. Dem Leben sollte im Leben selbst zu seinem Rechte verholfen werden. Das junge Deutschland wollte diese Thaten ausführen. Unter seinen Händen nahm die bisher so harmlose Tagespresse einen andern Charakter an, und bald erscholl in Zeitungen und Journalen in allen Tonarten der Ruf nach Emancipation. Aber es war keine dichterische Schule, es war eine halb politische, halb literarische Partei, dieses junge Deutschland. Die Freiheit sah sie auch in der Zerstörung dessen, was seit fast einem Jahrhunderte das Eigenthümlichste des deutschen Lebens gewesen war, und die Anerkennung ihrer Gedanken forderte sie mit einem Terrorismus, der alles Frühere überbot. Es hatte eine Zeit gegeben, wo Lessing und Goethe gegen Gottsched, wo Tieck und die Schlegel gegen Nicolai das junge Deutschland gewesen waren. Sie hatten die Poesie, das Genie für sich, aber niemals war es ihnen eingefallen, sich das junge Deutschland zu nennen. Man war sehr wenig, wenn man nichts weiter war, als jung; es war bedenklich, von dem allgemeinsten und vergänglichsten aller Vorzüge, von der Jugend, das Parteizeichen herzunehmen. Auch Goethe’s und Tieck’s Polemik war eine scharfe gewesen; aber ihre Werke zeigten, daß sie nicht im Zerstören ihre Aufgabe fanden. Goethe’s dichterisches Schaffen war ein urkräftiges Behagen, Tieck erklärte, nur in der Poesie sein höchstes Gesetz zu finden; die neue Partei wollte nicht diese, sondern in ihr Politik und sociale Reform. Dem System der neuen Freiheit, des Staats, der Gesellschaft sollte die Poesie unterthan sein. Diese Politik war keine deutsche, keine volksthümliche, vielmehr bekämpfte sie, was bisher dafür gegolten hatte. Französische Schriftsteller hatten ein allgemeines, patentirtes Schema einer kosmopolitischen, socialen Politik aufgestellt. Die Nationalität war auch nur eine Schranke; der Mensch sollte sich erweitern. An das eigenthümliche Leben des deutschen Volks hatte Tieck in Kunst und Poesie sich angeschlossen. Niemand studirte auch die Literaturen fremder Völker eifriger als er; er that es um ihres besondern Charakters willen, und diesen achtete er. Aber der Gedanke einer allgemeinen Weltliteratur lag ihm fern. Von einer solchen hatte Goethe in der Zeit seiner letzten allegorisirenden Dichtung öfter gesprochen, und diesen Gedanken griff die neue Partei auf, und beutete ihn aus. Doch das Allgemeinste im Menschen, was jedem verständlich sein mußte, war die sinnliche Kraft, der Naturtrieb; dieser sollte in sein Recht eingesetzt werden. Es war die Emancipation des Fleisches. Tieck hatte den Freiheitstaumel der französischen Revolution, an seinen eigenen Freunden den älteren Kosmopolitismus erlebt, und wußte welche Emancipationsideen schon damals zu Tage gekommen waren. Die neuen Schriften dieser Art besaßen nicht die Originalität von Schlegel’s „Lucinde“. Nur wer diese vergessen hatte, konnte jene für neu halten. Man wiederholte in tumultuarischer Weise, was in der Sturm- und Drangperiode und später gesagt worden war. Auch die literarischen Productionen der jüngsten Schule bewegten sich nur auf engem Raume. Es waren lyrische Lieder oder Kritiken, immer wieder Charakteristiken von Personen und Zuständen der Gegenwart, ein unaufhörliches Sprechen über die Literatur. Oder man benutzte die Novelle, weil man hier den ganzen Inhalt politischer und socialer Polemik ausschütten konnte. Die Novelle lernte man von Tieck behandeln und gebrauchen, wie man das literarische Raisonnement von den Schlegel gelernt hatte. Während die Neuerer Goethe als einen höfischen Dichter anklagten, der des Sinnes für Freiheit und volksthümliche Entwickelung entbehre, machten sie vorzugsweise Schiller, als den Dichter der Sittlichkeit und des Fortschrittes der Menschheit, zu ihrem Helden. Noch heftiger waren die Angriffe auf die romantischen Dichter, die jetzt den vollen Rückschlag ihrer eigenen Einseitigkeit erfuhren. Sie hatten Ritterthum und Mittelalter besungen und oft carikirt, dafür wurden sie als Träger des Servilismus, als Feinde des Volks bezeichnet. Sie galten für Kryptokatholiken, Vertheidiger der geistigen Unfreiheit und Obscuranten. Romantisch hieß alles, was der freien Entwickelung zuwider war, und Romantik war planmäßige Verfinsterung. Diese Anklagen nahmen einen systematischen Charakter an, je mehr sich ihrer die letzten Jünger der Philosophie bemächtigten. Hier sollte der neueste Fortschritt logisch erwiesen und die Nothwendigkeit dargethan werden, daß vorerst unter den alten Größen aufgeräumt werden müsse. Der philosophische und politische Radicalismus trat auf. In voller Stärke erschien er in dem Kriegsmanifest, welches die „Hallischen Jahrbücher“ gegen die Romantik, und Alles was damit zusammenhing, erließen. Diese Feindseligkeit der jüngern Schriftsteller sammelte sich immer entschiedener auf Tieck. Manche mochten bei ihm Sympathien erwartet haben, eine Voraussetzung, die sich als irrthümlich erweisen mußte. Er hatte das Wort gegen die falsche Frömmigkeit ergriffen, andere Thorheiten der Gegenwart gelegentlich berührt, und von seinen eigenen überfrommen Anhängern sich abgewendet. Noch viel kecker war der Ton seiner Jugenddichtungen. Aber niemals hatte er dem politisch literarischen Radicalismus gehuldigt. Die Ueberzeugung, daß Misbräuche vorhanden seien, welche Abhülfe erforderten, gab noch kein Recht, die Grundlagen des Staats selbst anzutasten. Eben weil der Mensch nur in der geordneten Gesellschaft zum echten Menschen werden kann, ist es nothwendig, ihre Formen mit heiliger Scheu zu behandeln. Wer immer nur das Einzelne tadelte und angriff, bewies, daß er für das Ganze keinen Sinn hatte, und löste auf, ohne etwas besseres dafür geben zu können. Diese Ansichten sprach er wiederholt mündlich und schriftlich aus. Die jüngern Kritiker behandelten den Glauben an Tieck’s dichterischen Genius als Aberglauben, seinen Einfluß auf die Literatur als ein Unglück, ihn selbst als einen Abtrünnigen, als gewandten aber gesinnungslosen Taschenspieler, der mit seiner Ironie ein kindisches, oder boshaft perfides Spiel treibe. Alle möglichen Schmähungen, aus allen Winkeln hergeholt, wurden auf ihn gehäuft. Er selbst ließ sich durch dieses wüste Geschrei nicht beirren. Er kannte diese Anklagen und Vorwürfe aus alter Zeit, sie erschienen nur mit neuen Stichwörtern ausgerüstet. Die vergessene Aufklärung war diesmal im Bunde mit dem neuen Liberalismus und darum doppelt intolerant. Jede Gelegenheit ward von den Parteiblättern zu Verunglimpfungen oft der niedrigsten Art benutzt. Selbst seine körperliche Gebrechlichkeit wurde nicht geschont. Dennoch geschah es, daß er die Gegner in seinem Hause sah, um Erfahrungen mit ihnen zu machen, die noch weniger erbaulich waren. Offen und unbefangen, häufig auch unbekannt mit dem augenblicklichen Einflusse der gefürchteten Tagesschriftsteller, nahm er manchen auf, der sich dem berühmten Manne demüthig nahte. Nicht selten las er bald darauf in irgendeinem öffentlichen Blatte das Gespräch, welches er geführt hatte. Man conterfeite ihn und seine Umgebung, man schalt ihn absprechend, hochmüthig, unfähig andere Meinungen zu ertragen, man verdrehte seine Worte, kritisirte sie, oder hatte sie misverstanden. Da alles öffentlich sein sollte, mußte auch das unbefangene Wort, das ein bekannter Mann gesprochen hatte, sogleich in die Oeffentlichkeit kommen. Einst übersandte ihm ein Tagesschriftsteller ein Drama mit der Bitte um ein anerkennendes Urtheil und Darstellung auf der dresdener Bühne. Wirklich äußerte er sich beifällig darüber. Doch bald änderte der Verfasser seine Politik und ließ nun drucken, er selbst sei an seinem Stücke irre geworden, als er gehört habe, es sei von Tieck gelobt worden. Ein anderes Mal lehnte er den Besuch eines Publicisten den er früher in seinem Hause gesehen, ab, weil er sich, wie oft, in einem leidenden Zustande befand, der die Unterhaltung mit Fremden nicht erlaubte. Sogleich schrieb dieser einen drohenden Brief, mit der Anzeige, er werde dieser Beleidigung zu seiner Zeit eingedenk sein. Ein anderer wollte gar eine Art von Conspiration gegen ihn zu Stande bringen. Er besuchte einen namhaften Mann im südlichen Deutschland, dessen Verbindung mit Tieck er nicht kannte, und trug ihm vor, wie alle literarischen Kräfte sich einigen müßten, um Tieck in der Meinung des Publicums zu stürzen. Mit nichtachtender Großartigkeit ließ er diese Flut von Verunglimpfungen über sich ergehen. Nur den heitern Gleichmuth und die scherzende Laune der Poesie setzte er ihr entgegen, und auch hier führte er nicht allein seine, sondern auch Goethe’s Vertheidigung. Die nüchternen Philister alten Schlages waren ausgestorben, nun war es nöthig ihn gegen die modernen Philister in Schutz zu nehmen, welche seinen Standpunkt längst überwunden zu haben glaubten. Den Vandalismus der kritischen Bilderstürmer, das Literatenthum, die Einseitigkeit dieser politischen Glaubenssätze, die Intoleranz und dichterische Unfruchtbarkeit, dies Alles stellte er in Andeutungen oder Ausführungen in einigen spätern Novellen dar. Zu diesen gehörten „Der Mondsüchtige“, „Die Reise ins Blaue“, „Die Vogelscheuche“, „Der Wassermensch“, „Liebeswerben“. So oft behaupteten die neuen Kritiker, daß es mit ihm und seinen Dichtungen vorüber sei. Neben den polemischen bewiesen andere Novellen, daß die Dichterquelle immer noch frisch und reich sprudele. Einen wahrhaft volksthümlichen Dichter verherrlichte er in Camoens, der getragen von einem glänzenden, ritterlichen und ruhmreichen Volksleben, in dessen Mitte verkannt, still und einfach, ja als Bettler lebt, der zufrieden, den Ruhm seines Vaterlandes, das sich nicht dankbar erwies, besungen zu haben, mit dessen Unabhängigkeit stirbt. Die Sehnsucht des Phantasus erkennt man wieder in der „Reise ins Blaue“. Wie die Cevennen, eröffnet „Der Hexensabbath“ die Abgründe religiöser Schwärmerei, und tiefsinnig und versöhnend ist „Der Schutzgeist“. Daneben vollendete er andere literarische Arbeiten. Er übersetzte die vier altenglischen Schauspiele, welche er gegen die hergebrachte Kritik Shakspeare zuschrieb. Auch war er immer noch bereit, jüngeren Freunden den Eintritt in die Literatur durch ein empfehlendes Wort oder ausgeführtere Einleitungen zu erleichtern. In dieser Zeit gab er Eduard von Bülow’s literarische Sammlungen und Uebersetzungen heraus. Er erneuerte das Andenken seiner im Jahre 1833 gestorbenen Schwester, deren letzten Roman „St.-Evremont“ er veröffentlichte. Endlich empfahl er die ersten novellistischen Versuche eines vielversprechenden jugendlichen Talentes, welches unter dem Namen Franz Berthold auftrat. 8. Anerkennung. Zu allen Zeiten war Tieck von den Wortführern und Anhängern herrschender Richtungen in Philosophie, Religion und Politik angegriffen worden, weil er stets der überflutenden Strömung entgegentrat und jeder einseitigen Gleichmacherei sich widersetzte. Um so häufiger fand er Freunde unter den Naturen, welche, wie er selbst, ihr eigenes Wesen der im Augenblicke geltenden Stimmung nicht unterordnen wollten. Die scharf ausgeprägten Persönlichkeiten konnten sich in manchen Punkten um so eher verständigen und einander nähern, je weniger sie darauf rechneten sich gegenseitig zu bestimmen. Das Eigene und Originale, das wodurch der einzelne Geist gerade das war, was er war, hatte ihn überall am meisten angezogen. Auch jetzt gewann er manchen neuen Freund. Schon früher war er mit einem Manne in Berührung gekommen, dessen Gegensatz gegen die Richtung der Zeit der schärfste war. Vereinzelt, und trotz zahlreicher Productionen wenig beachtet, war die Stellung S. Wiese’s, der es sich zur Aufgabe machte, das christliche Dogma in Drama und Roman darzustellen. Es war eine bestimmte Auffassung des Christenthums, welche zugleich das höchste Kunstprincip sein sollte. Obgleich Tieck hier Talent und Ernst anerkannte, so war er, fortgesetzter Ausgleichungsversuche ungeachtet, nicht im Stande, diese Ansichten zu theilen. Doch es bestand zwischen beiden ein freundschaftliches Verhältniß, welches auf gegenseitiger Anerkennung des Eigenthümlichen ruhte. Ein männlich kräftiger und stark ausgeprägter Charakter war Immermann. Auch seine Stellung war eine abgesonderte und eigenthümliche. Obgleich angeregt durch die Nachwirkungen der romantischen Poesie, war er weit davon entfernt, sich ihren hergebrachten Glaubensartikeln zu beugen, oder Anhänger irgendeines Systems zu sein. Seine Dichtung, das ihm verliehene Talent wollte er ausbilden, und fern von dem allgemeinen Strome suchte er seinen eigenen Weg zu gehen. Darum fanden seine ersten Werke keinen Anklang, sie erschienen hart, dunkel und schwerfällig. Im Jahre 1820 besuchte er Tieck zum ersten Male, bald darauf übersandte er ihm eines seiner Trauerspiele. Sogleich erkannte Tieck in dem damals noch sehr jungen und bescheiden auftretenden Manne eine eigene Natur. Indem Immermann unter manchen Angriffen sein Talent weiter ausbildete, ward er zu einem markirten Charakter, der sich Anerkennung erzwang. Nach längerer Unterbrechung knüpfte er die Verbindung mit Tieck wieder an, und aus fortgesetztem Briefwechsel und wiederholten Besuchen erwuchs eine Freundschaft zweier verschiedener aber ebenbürtiger Geister. Er besaß ein männliches starkes Selbstvertrauen, in seinem Wesen lag etwas Kampfbereites, Zornglühendes. Er konnte schroff und bitter sein, Manche wollten ihn dämonisch unheimlich finden. In steigendem Maße gewannen seine Dichtungen Tieck’s Theilnahme, besonders der zweite Theil des „Alexis“, an dessen Aufführung man in Dresden dachte, die indeß aus manchen Rücksichten unterbleiben mußte. Seinen „Merlin“ las Immermann während eines Besuches 1831 vor. Später übersandte er die „Epigonen“, dann den „Münchhausen“, in dem Tieck den ausgezeichnetsten Roman der Gegenwart anerkannte. Einen andern Einigungspunkt bildete das Theater, an dessen Hebung und künstlerische Fortbildung Immermann glaubte, und für die er mit eifriger und aufopfernder Thätigkeit arbeitete. Als er die Leitung der düsseldorfer Bühne übernommen hatte, ließ er 1835 Tieck’s „Blaubart“ aufführen, was ihm Dichter und Schauspieler ebenso sehr wie die Zuschauer dankten. Schon vor 1830 hatte Tieck’s geselliger und freundschaftlicher Kreis ein neues Mitglied in der Verfasserin der Novellen gewonnen, welche später unter dem Namen Franz Berthold erschienen. Unter den zahlreichen deutschen Schriftstellerinnen ist Adelheid Reinbold eine der begabtesten, und doch ist kaum eine weniger anerkannt worden. Was sie besaß und vermochte, selbst ihre Dichtungen, hatte sie dem Leben in hartem Kampfe abgerungen. Schon als junges Mädchen war sie auf sich selbst, auf ihre eigene Kraft angewiesen. Sie stammte aus einer hannoverischen Beamtenfamilie, in der, wie nicht selten in den mittlern Ständen, Bildung, Anlage und Lebensansprüche nicht durch genügende Mittel unterstützt werden konnten. Früh machte sie manches verborgene Leiden durch. Dennoch erwarb sie reiche Kenntnisse in Sprachen und Wissenschaft, und suchte sich dadurch eine selbständige Stellung zu schaffen. Zuerst hatte sie in Rehberg’s Familie eine freundschaftliche, und für ihre Ausbildung folgenreiche Aufnahme gefunden, dann ging sie nach Wien, wo sie im Hause des Bankiers Pereira sieben Jahr als Erzieherin lebte, und zugleich in die Welt der großen Gesellschaft eingeführt wurde. Als sie ihre Aufgabe gelöst hatte, schied sie mit einer Pension aus, und ging nach Dresden, wo sie Tieck kennen lernte. Sie war eine glänzende Erscheinung, schön, lebhaft, geistreich, von seltener Schnellkraft und Thätigkeit, und im vollsten Besitze der modernen geselligen Bildung. Berufen für das Leben in der großen Welt, war sie an die engsten und beschränktesten Verhältnisse gebunden. Sie war fern von jeder Weichheit und Sentimentalität, und besaß eine männliche Kraft des Talentes. Zu weiterer Fortbildung, zu eigenen Schöpfungen fühlte sie sich hingedrängt, sie wollte aussprechen, was sie in sich und unter schweren Verhältnissen erlebt hatte. Zuerst theilte sie Tieck ein Trauerspiel „Saul“ mit, welches sie auf seinen Rath mehrfach umarbeitete, dann ein zweites „Semiramis“. Auch in der Novelle versuchte sie sich mit dem besten Erfolg. Sie verstand es Gestalten zu schaffen, die Bewegung anschaulich zu machen, was sie darstellte, lebte; manches war von ergreifender Wirkung. Auch Malerin war sie, indeß eine eintretende Schwäche der Augen machte ihr eine weitere Ausbildung unmöglich. Mit den künstlerischen und literarischen Studien wußte sie auch praktische und häusliche Gewandtheit zu verbinden. Zu ihrer Familie nach Mariensee zurückgekehrt, empfand sie das Drückende ihrer Lage tief. Sie wollte vorwärts und wurde bei jedem Schritte gehemmt. An der Seite einer hinsterbenden Mutter, eines kränkelnden und aus dem Dienste geschiedenen Vaters, unter zahlreichen jüngern Geschwistern, für die gesorgt werden sollte, führte sie ein Leben des Leidens und Kummers. Von jedem anregenden geistigen Verkehr, von den gewöhnlichsten literarischen Hülfsmitteln war sie abgeschnitten. Dennoch ergriff sie das Anerbieten, welches ihr gemacht wurde, für einige öffentliche Blätter, namentlich für das „Morgenblatt“, Artikel zu schreiben. In diesem erschienen unter angenommenem Namen ihre ersten Novellen. 1831 ging sie nach München, wo sie eine Zeit lang in der Familie Schelling’s lebte. Doch nahm sie bald nachher abermals eine Stelle an als Erzieherin in einem fürstlichen Hause in Sachsen. Aber diese Verhältnisse erforderten ein volles Aufgeben ihrer Selbständigkeit und ihres Talents, und beide wollte sie sich bewahren. Sie wagte es, sich eine unabhängige literarische Stellung zu begründen. Da sie an allgemeinen und wissenschaftlichen Fragen den lebhaftesten Antheil nahm, so begann sie auch Kritiken zu verfassen, die sich durch reifes Urtheil, Schärfe und schlagenden Witz auszeichneten. Sie erschienen in den „Blättern für literarische Unterhaltung“. Der politische Umschwung des Jahres 1830 machte auch auf sie tiefen Eindruck. Mit gespannter Erwartung folgte sie den auswärtigen Verhältnissen und den Verfassungskämpfen im südlichen Deutschland. Unter diesem Einflusse stellte sie in der erst später erschienenen dramatisirten Novelle „Der Prinz von Massa“ einen Volkshelden dar, den die Popularität zum Führeramte erhebt, ihn aber vernichtet, als er sich ihm nicht gewachsen zeigt. Daran schloß sich ein zweites Drama „Masaniello“, welches sie anonym an Rotteck schickte, mit der Bitte den Druck zu vermitteln, weil sie in ihrer Heimat nicht hoffen könne, die Strenge der Censur zu überwinden. Rotteck’s Antwort bewies, daß er in dem Verfasser einen liberalen Parteigenossen vermuthete. Seit 1834 lebte sie in Dresden, wo sie einen ihrer jüngern Brüder auf die Militäranstalt gebracht hatte. Mit voller Selbstverleugnung und Aufopferung verwandte sie ihr Talent, um die Ihren zu unterstützen; sie selbst beschränkte sich auf das Nothwendigste. In der Familie eines einfachen Handwerkers hatte sie sich eingemiethet, deren kleines häusliches Leben sie theilte. Auf ihrem Zimmer schrieb sie Dramen, Novellen und Kritiken, und in der Gesellschaft erschien sie als Weltdame. Jetzt ward sie in Tieck’s Familie heimisch. Ihm selbst fast leidenschaftlich ergeben, war sie ein belebendes Element der Kreise, welche sich bei ihm versammelten. Sie beherrschte die Unterhaltung vollkommen, mochte ihr der Diplomat oder Philosoph, der Engländer, Franzose oder der deutsche Dichter gegenüberstehen. Stets erschien sie heiter, witzig, sprühend. Sie war ein Gegenbild zu Tieck’s Tochter Dorothea, die nicht minder talentvoll, ja gelehrt, einfach und tiefsinnig neben dieser glänzenden Erscheinung stand. Als treuer Hausfreund schloß sich um diese Zeit auch Eduard von Bülow an, der auf manche Seiten von Tieck’s literarischen Studien eifrig einging und sie auszuführen suchte. Im Spätherbst 1834 gewann Tieck einen andern Freund in dem Bildhauer David, der selbst Gegenstand der Theilnahme und Bewunderung ward. Es konnte überraschen, daß ein ausgezeichneter französischer Künstler allein durch seine Neigung für deutsche Literatur und die entschiedene Vorliebe für einen Dichter nach Dresden geführt worden war. Tieck’s ältere phantasievolle Dichtungen hatte er sich mit künstlerischer Wärme angeeignet. Es lebte in ihm deutsches Gefühl. Man konnte den Franzosen leicht vergessen; auch seine äußere Erscheinung verrieth ihn kaum. Er war untersetzt, blond und hatte blaue Augen. Sein Gesicht hatte durch Blatternarben gelitten, aber es war weder entstellt noch abstoßend, eine tiefe Glut zuckte darüber hin, wenn er lebhaft ward. In Dresden selbst ließ er ein Denkmal seiner Kunst zurück. Er modellirte Tieck’s Kopf in kolossalem Maßstabe, die in Marmor ausgeführte Büste übersandte er ihm zwei Jahr später als Geschenk zu seinem Geburtstage. Es war ein Kunstwerk, welches durch Großartigkeit der Auffassung und Ausführung allgemeine Bewunderung gewann. Zugleich war es ein Denkmal der edelsten Gesinnung und der Versöhnung, welche selbst in Zeiten feindlicher Aufregung die nationalen Gegensätze auf dem höhern Gebiete der Kunst finden. Tieck schenkte später die Büste der königlichen Bibliothek in Dresden, in deren großem Saale sie aufgestellt ist. Ein zweites Exemplar übergab der Künstler seiner Vaterstadt Angers, wo schwerlich je ein deutscher Dichter in dieser Weise gefeiert worden ist. Auch fertigte er eine kleine Statuette an, Tieck in ganzer Figur auf dem Sessel sitzend. Diese Kunstwerke veranlaßten zugleich die Entstehung eines andern. Der Maler Vogel, in dessen Atelier David gearbeitet hatte, entlehnte daraus das Motiv zu einem Genrebilde. Er stellte Tieck und David nebeneinander dar. Jener sitzt auf einem erhöhten Stuhle, hinter dem seine Tochter Dorothea steht, vor ihm David an dem fast vollendeten kolossalen Kopfe formend. Beide sind umgeben von einem Kreise zahlreicher Freunde, welche die Arbeit des Künstlers aufmerksam verfolgen. In einer Ecke steht der Maler, er ist im Begriff, die ganze Gruppe aufzunehmen. Bald darauf vollendete Vogel ein zweites Bild Tieck’s in Lebensgröße. Auch Friedrich Tieck modellirte um diese Zeit eine Büste seines Bruders, und auch ein zweites Porträt von Stüler folgte. Zu diesen Anerkennungen gesellten sich andere. Die königliche Familie zeichnete ihn durch Aufmerksamkeiten in mancher Weise aus. Auch am Hofe schätzte man die Kunst des Vorlesers, und es geschah wol, daß er vor dem Könige Friedrich August oder auch bei der Anwesenheit fremder Fürsten las. Auch in weitern Kreisen besaß er immer noch Freunde, welche trotz aller Angriffe jüngerer Kritiker in ihm das Haupt der deutschen Dichtung ehrten. Ein Jahr nach dem Tode Goethe’s, am 31. Mai 1833, wurde in Berlin eine öffentliche Feier seines Geburtstages veranstaltet. Er war jetzt sechzig Jahre alt. Mehrere Hundert seiner Freunde und Verehrer hatten sich zu diesem Acte der Huldigung versammelt. An ihrer Spitze standen Raumer, Rauch, Häring und Holtei; den Haupttoast brachte Steffens aus und begleitete ihn mit einer längern Rede, in welcher er Tieck’s Einfluß auf die deutsche Dichtung entwickelte. Der Mittelpunkt der Feier war die Recitation des Vorspieles zum „Octavian“, zu der sich die bedeutendsten Schauspieler der beiden berliner Bühnen vereint hatten. Der Dichter, der so oft die Romanze besungen hatte, wurde jetzt von ihr gefeiert. Ein Jahr später, abermals an seinem Geburtstage, ließ ihm der König von Baiern durch seinen Geschäftsträger den Civil-Verdienstorden mit einem eigenhändigen Schreiben, König Ludwig dem Meister Ludwig, überreichen. Später folgten andere Orden, Patente und Ehrendiplome. Es waren reiche äußerliche Ehren, die ihm bewiesen, daß er nicht vergessen sei. Diese Auszeichnungen deuteten auf ein Leben voll reicher Wirksamkeit, aber sie wiesen auch darauf zurück als auf ein vergangenes, hinter ihm liegendes. Wenn er alle diese zusammentreffenden Anerkennungen überblickte, so schien es ihm, als wenn sie ihn an den Abschluß mahnen sollten, und der Kreislauf sich erfüllt habe. 9. Auflösung. Eine trübe Stimmung beherrschte ihn, als er sich im Sommer 1836 zur Reise nach Baden-Baden anschickte, das er schon 1830 und 1834 besucht hatte. Bei seiner stets regen Reiselust, war es ihm nie widerfahren, daß er unter so ängstigender Beklemmung gegangen wäre, als damals. In bedenklichem Krankheitszustande ließ er seine Frau zurück. Er glaubte sie nicht wiederzusehen, denn er schied fast mit der stillen Ueberzeugung, daß er selbst von dieser Reise nicht zurückkehren werde. Wenig fehlte, so hätte diese Ahnung Recht gehabt. Bei Wiesloch hinter Heidelberg auf dem abschüssigen Straßendamme gingen die Pferde durch, der Wagen wurde gegen eine Mauer geschleudert, und bewußtlos zog man ihn unter den Trümmern desselben hervor. An der rechten Seite der Stirn und im Nacken war er lebensgefährlich verwundet. Man schaffte ihn zunächst nach dem Wirthshause in Wiesloch, wo mit Hülfe des dortigen Arztes der erste Verband angelegt wurde, einen zweiten Arzt holte man aus Heidelberg herbei. Sobald es sein Zustand verstattete, setzte man in Begleitung eines Arztes die Reise fort. In Baden-Baden konnte für alle erforderlichen Hülfsmittel gesorgt werden. Sechs Tage wurden unter Fieber und Schmerzen die Eisumschläge fortgesetzt, denn bei der Stärke des Falles fürchtete man eine Gehirnerschütterung. Auch dieses Mal kämpfte sich seine gute Natur durch, und der Gebrauch der Bäder förderte die Genesung. Doch behielt er ein Wahrzeichen dieses Unglücks. Den Halswirbeln blieb eine Steifigkeit zurück, die eine etwas schräge Stellung des Kopfes verursachte, und zugleich an der Stirn eine Narbe. Es war ein trauriges Wiedersehen, als er im Herbst schwächer, leidender und mit vermehrten Schmerzen zu den Seinen zurückkehrte. Auch hier fand er Krankheit. Schon seit Jahren hatte sich bei seiner sonst so kräftigen Frau ein Krankheitszustand entwickelt, der mit Wassersucht endete. Mit günstigem Erfolge überstand sie mehrere Operationen, man glaubte auf Besserung hoffen zu dürfen, doch Schwäche und Entkräftung wuchsen, ihr Leben neigte dem Ende zu. Die langwierige Krankheit der Mutter, das gesteigerte Siechthum des Vaters, der Verlust mancher Freunde, und die wachsenden geistigen Wirren gaben auch dem Ernste, welcher in Dorothea’s Charakter lag, reichen Stoff. Eine dunkle Schwermuth legte sich um ihre Seele. Sie sah in dem Leben eine Schule fortgesetzter Entsagung, und in dem vernichtenden Wechsel alles Irdischen und dem Verluste dessen, was dem Herzen am theuersten ist, fand sie nur einen Trost, der Stand halte, und nur Eines, was noth sei. Denn welche Sicherheit vermochte dieses glänzende, eine Zeit lang blendende Leben zu gewähren? Jugend und Gesundheit, mit ihren reichen Hoffnungen waren dahingeschwunden. Hatten Poesie und Kunst den innern Zwiespalt heben, die Wunden heilen können? Ein herbstlicher Reif war auf den Frühling der Poesie gefallen, und öde, kalt und traurig lagen die einst reichen Blumengefilde da. Und gab es denn überhaupt eine Zukunft auf Erden? Jede Zukunft wird einst Vergangenheit. Nur in Einem heben sich alle Gegensätze auf, nur in Einem hört Freude und Leid auf ein schmerzlicher Wechsel zu sein, im Glauben. Unermüdlich pflegte sie ihre Mutter; sie stand ihr zur Seite während der schmerzhaften Operationen, sie saß an ihrem Bette, sie umgab sie Tag und Nacht, und freute sich jedes freiern und erträglichern Augenblicks. Er ward ihr stets ein neues göttliches Geschenk, und darum schien es ihr eine Wohlthat, daß es auf Erden keinen dauernden Besitz gebe. Sie sah in den Leiden eine fortwährende Erlösung, und in jedem Schmerze eine tiefere Einführung in die göttlichen Geheimnisse. Endlich fiel der lange gefürchtete Schlag. Am 11. Februar 1837 erlag Tieck’s Frau ihrer Krankheit. Für alle war es ein schwerer Verlust. Dorothea fühlte, eine Hälfte des Lebens sei von ihr losgerissen. Sie wußte, was sie ihrem kranken, tiefgebeugten Vater sei, daß sie für ihn leben müsse, daß er sie nicht entbehren könne, dennoch ward es bei ihr zur Ueberzeugung, daß auch ihr Tod nicht mehr fern sei. Ihr Leben war eine fortgesetzte Vorbereitung darauf. Nicht, daß sie jede Thätigkeit aufgegeben hätte, vielmehr eifriger ward sie als je, jede Minute Zeit kaufte sie aus, aber alle Thätigkeit hatte nur einen Zweck, nur ein Ziel. Ihre literarischen Arbeiten und Studien sah sie als eine ihr auferlegte Pflicht an. Nicht lange vor dem Tode der Mutter hatte sie die Uebersetzung der „Leiden des Persiles und der Sigesmunde“ beendet. Jetzt übernahm sie auf Raumer’s Rath, und unter seiner Leitung, die Bearbeitung von Spark’s „Leben und Briefen Washington’s“. Auch die Beschäftigung mit den alten Sprachen setzte sie fort, aber immer mehr gewann dieses Studium einen religiösen, kirchlichen Charakter. Sie las die Schriften des heiligen Bernhard, der heiligen Therese, dann das neue Testament im Urtexte, endlich lernte sie Hebräisch. Auch ihre Theilnahme an den Künsten, besonders der Musik, hatte diese Richtung. Sie studirte Generalbaß, um die alten kirchlichen Meister zu verstehen. Mit tiefster Erschütterung hörte sie Bach’s Passion; dann glaubte sie, wie sie sagte, am Kreuze Christi selbst zu stehen. Denn was war alles Wissen? Ihr Wahlspruch ward: „Christum lieb haben ist besser denn alles Wissen.“ Eine kirchlich praktische Thätigkeit wollte sie sich schaffen. Mit der Frühmesse begann sie ihren Tag. Die erste im Hause erhob sie sich, und eilte jeden Morgen um sechs Uhr zur katholischen Kirche. Mit der Laterne ging sie im Winter über die dunkeln Plätze und Straßen; die Jahreszeit machte keinen Unterschied, nicht Wind, nicht Wetter scheute sie. Dann erst fing ihr weltlicher Tag an. Sie ward Mitglied eines katholischen Frauenvereins, und übernahm in einer Armenschule den Unterricht in weiblichen Handarbeiten. Hier saß sie oft des Nachmittags in der Mitte verwildeter Mädchen, und suchte sie in den ersten Handgriffen zu unterrichten. Für die Aermsten unter ihnen fertigte sie zu Hause die nothwendigsten Kleidungsstücke an. Sie that abermals einen tiefen Blick in das menschliche Leben. Wie viel leibliches Elend, wie viel geistige Noth und Versunkenheit gab es in diesen dunkeln Regionen. Den Lehren und Heilsmitteln ihrer Kirche gab sie sich ganz hin, Symbole und Cultus umfaßte sie mit vollem Glauben, die Kirche war das Heil und der Trost, sie der Fels, der Rettung verhieß, wenn die Welt um sie her versank. Während sie so auf den Tod bedacht war, riß er ein anderes volles, blühendes Leben von ihrer Seite. Unerwartet starb am 14. Februar 1839 Adelheid Reinbold. Auch sie trug manchen Kummer im Herzen, aber sie stellte der Noth des Lebens den Kampf entgegen, und suchte die Welt in der Welt zu bezwingen. Obgleich niedergedrückt durch die geringe Anerkennung, welche ihre Dichtungen im Allgemeinen fanden, hoffte sie dennoch, und jetzt mehr als früher. Ihre letzte Novelle in der „Urania“ war beifällig aufgenommen, und die ersten Bogen ihres „König Sebastian“ ihr soeben zugesandt worden. Da nahm ein leichtes und wenig beachtetes Halsübel plötzlich eine lebensgefährliche Wendung. Es ward zur brandigen Bräune; in acht Tagen war sie todt. Ein jäher Schreck traf alle Freunde. Mitten aus einer vollen, wenn auch oft angestrengten Thätigkeit, in der Blüte der Jahre war sie hingerafft worden. Durch ihre Heiterkeit, ihre lebhafte und geistvolle Unterhaltung, ihre hülfreiche und entgegenkommende Theilnahme bei allen Vorfällen des Lebens hatte sie sich ihren Freunden unentbehrlich gemacht. Eine zweite nicht zu füllende Lücke war entstanden. In Tieck’s geselligen Kreisen begann es stiller zu werden. Ihre Grenzen zogen sich enger zusammen, mehr auf die ältesten und vertrautesten Freunde beschränkte man sich. Das sonst an Abwechselungen reiche Leben nahm eine eintönige und dunkle Farbe an. Todesfälle, steigende Kränklichkeit, das Unbefriedigende der literarischen Verhältnisse vereinten sich, um die trübe Stimmung zur herrschenden zu machen. Auch das Theater gewährte keine Zerstreuung mehr. Einen Kunstgenuß, selbst ein augenblickliches Vergnügen hatte Tieck seit vielen Jahren dort nicht mehr gesucht, aber immer noch hatte er ihm seine Theilnahme erhalten. Er suchte zu fördern, zu helfen, er wünschte das Gute zu entwickeln, wo es sich noch zeigte, er warnte vor Uebelständen, die der Verderb der Bühne werden mußten. Die glänzenden Gestalten, welche seine Jugenderinnerung bewahrte, waren freilich nicht herzustellen, aber er ward doch nicht müde, darauf hinzuweisen und eine Annäherung zu versuchen. Immer noch sah er in dem Theater eine wichtige, und für das Volk bedeutsame Anstalt, welcher er durch seine Erfahrung und Kenntniß zu nützen dachte. Aber auch dies Interesse erlosch. Er begann sich von der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen zu überzeugen, er ward gleichgültig und theilnahmlos. Sonderbares Geschick der größten deutschen Dichter, die in glaubensvoller Begeisterung einen Theil ihres Lebens an dieses Institut setzten, um es zu einer künstlerischen und sittlichen Schule zu machen, und sich dann enttäuscht, verstimmt, voll Entrüstung, ja Verachtung von demselben abwandten! Voll Bitterkeit hatte Lessing über den gutherzigen Einfall gelacht, ein nationales Theater haben zu wollen, da wir Deutsche ja noch keine Nation seien; umsonst hatte Schiller sich gemüht, Goethe hatte die Breter vor einem Hunde räumen müssen, und Immermann gab seine mit jugendlichem Muthe unternommenen Versuche bald wieder auf. Keiner von ihnen hatte an der ausübenden Kunst des Theaters selbst mehr Antheil, Keiner hatte einen größern Glauben gehabt als Tieck, und wie er das Theater ein ganzes Leben hindurch verfolgt; und auch er nahm die Ueberzeugung von der vollständigen Versunkenheit der Bühne mit sich fort. Siebzig Jahre nach Lessing, nach Schiller, nach Goethe und seiner eigenen langen Thätigkeit kam er auf die Grundfrage zurück, ob die Deutschen überhaupt eine dramatische Nation seien. Er war geneigt, diese Frage mit Nein zu beantworten! Dichter und Schauspieler, Publicum und Kritiker sah er einer gleichen Verwilderung entgegengehen. Wie viel schlimmer war es nicht in den letzten dreißig Jahren seit Müllner geworden! In Müllner erkannte Tieck ein starkes, fast massives und handfestes Talent; um so übler war es, wenn es sich verirrte und das Publicum mit allen Schreckmitteln bearbeitete. Die Flut der Schicksalstragödien brach ein. Auf Müllner folgten Grillparzer und Houwald und andere Nachahmer. In diesen Dramen, wo die sittliche Freiheit aufhörte, sollte das Verbrechen als solches interessiren, es sollte Tragik, Poesie sein! Das Rohe, das Gräßliche verband sich mit dem Abgeschmackten, und sich selbst überschlagend, machte es beinahe eine komische Wirkung. Sonderbar ging die antike Schicksalsidee mit Calderon’s Wunderglauben zusammen, und beides wurde in das alte pedantische Schema der drei Einheiten hineingezwängt. In grellerm Contraste stand damit die leichte Fabrik- und Dutzendarbeit der französischen Vaudevilles, mit denen der deutsche Markt nicht minder überschwemmt wurde, und die trocken docirenden historischen Trauerspiele der folgenden Jahre. Der Prunk in Oper und Ballet, die Pedanterie des sogenannten historischen Costüms trugen dazu bei, die Phantasie des Zuschauers träger zu machen. Und was sollte Tieck von einem Publicum denken, das Stücke von Calderon und Shakspeare, die er einstudirt hatte, auspochte? Eine armselige Rolle spielte die Kritik. Ueberall Oberflächlichkeit, Halbwisserei, oft Unkenntniß des Ersten und Unerläßlichsten. Um eine Theaterkritik zu schreiben, brachte, wer soeben der Schule entlaufen war, immer noch genug mit. Nirgend galt es der Sache. Schmähungen, durch irgendein Parteiinteresse eingegeben, wechselten mit abgeschmackten Liebeserklärungen, und Klatschgeschichten wurden in den Correspondenzen gelesener Journale und obscurer Winkelblätter breitgetreten. Mit Ueberdruß wandte sich Tieck von diesem Treiben ab. Auch seine persönliche Wirksamkeit am dresdener Theater erfuhr manche Hemmung. Vieles davon kam auf Rechnung der allgemeinen Stimmung und des Zeitgeschmacks, Anderes lag in Verhältnissen, die sich mit dem besten Willen nicht ändern ließen. Er selbst war nicht immer im Stande, mit gleichmäßiger Kraft einzugreifen. Der Vorwurf ward laut, er erfülle die Erwartungen nicht. Dann stieß er bei Schauspielern und Kritikern auf entschiedenen Widerspruch. Einige schlossen sich ihm freundschaftlich an, Andere zeigten sich reizbar, rechthaberisch und eitel; sie glaubten einer Leitung nicht zu bedürfen, und die Sache mindestens ebenso gut zu verstehen. Sprach er einmal ein entschiedenes Wort, so erhob sich der Ruf, daß er tyrannisch verfolge und unterdrücke, und durch alle Instanzen hindurch, bis hinauf zu den höchsten, verklagte man ihn. So fanden seine Ansichten, sein Vorlesen, sein Einstudiren der Rollen bei denen, auf die er zunächst wirken sollte, vielleicht die geringste Anerkennung. Der Gedanke, sich aus allen diesen Verwickelungen zu befreien, und ein undankbares Geschäft aufzugeben, kam zur Reife. Unter diesen Verlusten und Widerwärtigkeiten sammelte er dennoch Kräfte zu einem größern Werke. Im Juli 1840 vollendete er die 1836 begonnene „Vittoria Accorombona“. Es war seine letzte Dichtung. Er nannte es nicht Novelle, sondern Roman; es war ein ausgeführtes Zeitbild, das dem historischen Roman nach Walter Scott eine neue Richtung gab. Die volle schöpferische Phantasie trat noch einmal hervor und führte in die Welt verzehrender Leidenschaft und schwarzen Verbrechens ein. Dies Bild Italiens am Ausgange des sechzehnten Jahrhunderts war ein furchtbares Nachtstück, das an manche seiner Jugenddichtungen erinnerte. Auch in dieser letzten seines Alters lag etwas Herbes, Gewaltsames, Dämonisches. Er schilderte einen hohen, starken Charakter, der inmitten einer verderbten und ruchlosen Zeit sich im Bewußtsein der Kraft überhebt, und in den allgemeinen Sturz hinabgezogen wird. Auch hatte dieser Stoff zuerst in der Jugend, vor fast funfzig Jahren, seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein altenglisches Drama in Dodsley’s Sammlung hatte ihn 1792 in Göttingen darauf hingeleitet. Der Eindruck war ein getheilter. Indem man die frische Kraft des Dichters anerkannte, wurde Einzelnes sittlich anstößig, das Ganze im Geschmacke der sogenannten französischen Romantik gefunden. Die strengsten Kritiker sahen ihn auf dem Wege, zu den Feinden überzugehen, zu den Schriftstellern der Emancipation und des gesellschaftlichen Radicalismus. Von Allem, was die Anklage so zuversichtlich gegen ihn aussprach, wußte er sich frei, nichts davon hatte er gewollt oder beabsichtigt. Auch das Jahr 1840 war durch einen Todesfall bezeichnet. Immermann, der fast dreißig Jahre jüngere Freund, starb in einem Augenblicke, wo er zum ersten Male allgemeine Anerkennung fand. In seinem letzten Briefe hatte er Tieck mitgetheilt, daß er mit der Erneuerung von „Tristan und Isolde“ beschäftigt sei. Es war ihm nicht vergönnt, dieses Werk zu vollenden. Endlich erfüllte sich auch die Todesahnung, welche sich bei Dorothea Tieck zur festen Ueberzeugung gesteigert hatte. Die Studien, die häuslichen Beschäftigungen, ihre Wohlthätigkeit hatte sie ununterbrochen fortgesetzt. Weder innere Bewegungen noch wankende Gesundheit konnte sie bestimmen, von dem streng geregelten Gange ihrer Zeiteintheilung abzuweichen. Im Anfange des Februar 1841 erkrankte sie an den Masern. Als dies überwunden schien, trat plötzlich ein Nervenfieber hinzu. Sie starb am 21. Februar, vierzehn Tage nach der Erkrankung. Es waren dieselben Wochen, in denen vor zwei Jahren Adelheid Reinbold, vor vier Jahren die Mutter gestorben war. Vom ersten Augenblicke hatte Tieck das Schlimmste gefürchtet. Eine tödtliche Angst und Unruhe quälte ihn. Mit diesem Leben wurde Vieles von ihm losgerissen, sein eigenes wankte. Wie nimmer war seine Natur in ihren Grundlagen angegriffen worden, es faßte ihn ein krampfhaftes, zusammenpressendes Schmerzgefühl, das vergebens nach einem Ausdrucke rang. Kalt, starr, thränenlos, ohne ein Wort oder irgendeinen Laut zu finden, verbarg er sich in dem entlegensten Zimmer. Keinen Menschen wollte er sehen, keinen Zuspruch hören; die Stunden, Tag und Nacht gingen gleichgültig und unbemerkt an ihm vorüber. Für seine Umgebung hatte dieses stumpfe Hinstarren etwas Schreckenerregendes. Am Tage der Beerdigung übersandte die Königin einen reichen Blumenkranz. Als man ihm davon Nachricht gab, fand er die ersten Thränen. Tief bewegt waren seine zahlreichen Freunde, und die wenigen, welche die schweren Kämpfe der Hingeschiedenen gekannt hatten. Wer wußte, was sie dem Vater gewesen war, konnte zweifeln, ob er diesen Schlag verschmerzen, und im Stande sein werde, das Leben noch fernerhin zu tragen. Wie ihre Gesichtszüge ein Abbild der seinen waren, so besaß sie einen Theil seines reichen Geistes; seine Liebe für Dichtung, Sprachen und Literatur, die Beweglichkeit des Talents, die tiefe Empfindung, den sinnenden Ernst und die dunkle Schwermuth, die ihm so oft das Leben verhüllte. Sie hatte ihm zur Seite gestanden, sie theilte seine Arbeiten und Studien und den dichterischen Ruhm. Konnte er auch die Abgeschlossenheit ihres kirchlichen Glaubens weder annehmen noch überall billigen, so war dieser Gegensatz doch nur selten hervorgetreten, da sie bei aller Stärke der Ueberzeugung von Unduldsamkeit fern war. Seine Kränklichkeit nahm zu, das Alter war da, die besten Kräfte dahingeschwunden; seine Arbeiten widerstanden ihm, das Leben ward ihm zur Last. War es möglich, es noch lange in dieser Weise zu tragen? Aber noch war das Ende nicht da. Noch ein letzter Act sollte beginnen. Wenige Tage nach dem Tode der Tochter traf ein Brief aus Berlin ein. Er brachte eine königliche Einladung, den Sommer in Potsdam zu wohnen. Tieck’s Entschluß war gefaßt; er folgte diesem Rufe. Er wurde Berlin, seiner Vaterstadt, wiedergegeben. Fünftes Buch. Der Tod des Dichters. 1841-1853. 1. König und Dichter. Friedrich Wilhelm IV. hatte die Regierung angetreten. Es war ein Ereigniß, dem man mit Spannung entgegengesehen hatte, und an welches sich eine neue geistige Bewegung knüpfte. Auch auf die gegenwärtigen Zustände der wissenschaftlichen und künstlerischen Welt konnte es nicht ohne Einwirkung bleiben. Bekannt war die persönliche Theilnahme, welche der König vornehmlich diesen Seiten des Lebens zuwandte. Man sah bedeutenden Veränderungen entgegen, und hörte, daß er die berühmtesten Männer, welche die deutsche Wissenschaft und Kunst aufzuweisen hatte, in Berlin um sich zu versammeln gedenke. Kein Augenblick war günstiger, um auch an Tieck zu erinnern, und die oft besprochene Rückberufung nach seiner Vaterstadt endlich durchzusetzen. Man wußte, daß der König schon in früherer Zeit sich über seine Dichtungen mit voller Anerkennung ausgesprochen hatte, daß er in ihm den letzten großen Vertreter einer glänzenden Literaturperiode sehe, und an dem Menschen keinen geringern Antheil nehme als an dem Dichter. Schon im Sommer 1840 hegten Tieck’s Freunde in Berlin den Wunsch, daß diese Umstände zu einer Veränderung seiner Stellung führen möchten. Soeben hatte er die „Vittoria Accorombona“ geendet. Es schien angemessen, daß er den neuesten Roman dem Könige als Zeichen der Huldigung gerade in dieser Zeit übersende. Da er dessen günstige Gesinnungen kannte, überwand er die natürliche Scheu, welche ihn von allen Schritten der Art zurückgehalten hatte, um so eher. Es war das erste Mal, daß er eine seiner Dichtungen einem regierenden Fürsten überreichte. Aber dieser Fürst war der König seines Vaterlandes und ein Bewunderer seiner Poesie. Zugleich hatte der König selbst den Gedanken gefaßt, Tieck wenn nicht dauernd zu berufen, ihn doch als Gast an seinen Hof einzuladen. Schon im August machte der preußische Gesandte in Dresden, Jordan, in diesem Sinne Eröffnungen. Die Frage war nur, ob Tieck bei seiner Kränklichkeit das ruhigere Leben in Dresden mit einem längern Aufenthalte am Hofe in Sanssouci werde vertauschen können; ob die mannichfachen Verhältnisse, in denen er zu Sachsen stand, dies überhaupt verstatten würden. Der König entschied in der edelsten Weise. Er wollte ihm keinen Zwang, am wenigsten auf Kosten der Gesundheit, auferlegen; nur seine äußere Lage wünschte er günstiger zu gestalten. Die nächste Absicht war, ihm zu der sächsischen Pension eine jährliche Zulage zu geben; erlaube es seine Gesundheit, so solle er zum Besuch nach Sanssouci kommen, wo im Schlosse eine passend eingerichtete Wohnung bereit stehen werde. Man werde seine Zimmer mit den Bildern älterer Dichter und Meister schmücken, und in jeder Weise für ihn Sorge tragen. Es war die wohlwollendste königliche Gesinnung, die humanste Rücksicht, welche ihm überall entgegenkam, und ihm noch jetzt das Leben erfreulicher zu gestalten wünschte. Tieck selbst fühlte sich schon in näherer Beziehung zu den neuen Zuständen. Als man am 15. October das Huldigungsfest und zugleich den Geburtstag des Königs feierte, verfaßte er für die glänzende Vorstellung im Opernhause den Festprolog. Im Winter endlich nahten die Dinge einem ersten Abschlusse. Bei seiner Anhänglichkeit an hergebrachte und gewohnte Verhältnisse möchte er sich vielleicht doch nur schwer entschlossen haben; aber Eins gab den Ausschlag, der Tod seiner Tochter Dorothea. Tief erschüttert durch die Leiden der letzten Zeit, richtete er sich allmälig an dem Gedanken der neuen Aussicht wieder auf, welche sich ihm unerwartet im Alter eröffnet hatte. Er wünschte seinen bisherigen Wohnort wenigstens auf einige Zeit zu verlassen; er mußte sich mit dem Leben von neuem befreunden. Die Einladung, welche er wenige Tage nach dem Tode seiner Tochter erhielt, war entscheidend. Der König wünschte die Darstellung einer griechischen Tragödie auf dem Theater des Neuen Palais in Potsdam; Tieck als bühnenkundige Autorität erhielt die Aufforderung, sie durch Rath und That zu unterstützen, und mit andern gelehrten Männern des Fachs leiten zu helfen. Zunächst aber bedurfte er der Stärkung. Er hoffte sie wieder in Baden-Baden zu finden. Im Mai reiste er ab. In Heilbronn verweilte er einige Zeit bei Kerner, dann in Baden; im Sommer kehrte er zurück. Als er durch Heidelberg kam, in dessen Nähe er auf der letzten Reise jenen fast tödtlichen Unfall gehabt hatte, brachten ihm die Studenten ein Lebehoch und einen Fackelzug. Endlich traf er in Sanssouci ein. Der König empfing ihn huldvoll. Er wünschte vor allem einen freien, ungezwungenen geistigen Verkehr, und freie Bewegung allein konnte diesen gewähren. Tieck sollte zu nichts verpflichtet sein, und sich nur als befreundeten Gast ansehen. Ohne die üblichen Förmlichkeiten sollte er, so oft es seine Gesundheit erlaube und so oft er wolle, an der königlichen Tafel, wie des Abends in den engern Kreisen erscheinen. Er fühlte sich kräftig genug, noch einmal in ein neues Leben, welches königliche Gunst ihm bot, einzutreten. Ein Verhältniß entwickelte sich, welches den edelsten dieser Art an die Seite gesetzt werden kann. Hier ging in der That der Dichter mit dem König. In den freien Unterhaltungen, deren Mittelpunkt nur die höchsten Interessen bildeten, herrschte ein unbefangenes Geben und Nehmen. Nächstdem machten auch hier Tieck’s Vorlesungen, die eine Zeit lang regelmäßig fortgesetzt wurden, den größten Eindruck. Er las die „Antigone“, dann Tragödien des Euripides und Shakspeare, oder auf Verlangen seine eigenen Dichtungen. Auch zu einer bestimmten Thätigkeit kam es. Es sollte der Versuch gemacht werden, die „Antigone“ durch eine Darstellung dem Verständnisse der Gegenwart näher zu bringen. Nicht das Stück in seiner tragischen Wirkung allein, auf der antiken Bühne sollte es hergestellt werden. Es war eine großartige Studie des Alterthums. Nachdem Tieck die Tragödie mehrere Male nach der Uebersetzung von Donner vorgelesen hatte, begannen mit den dazu auserlesenen Schauspielern Einstudirung und Proben. Felix Mendelssohn hatte die Chöre componirt, die Herstellung der Bühne war nach den Angaben von Böckh versucht worden. Am 28. October fand die Aufführung im Neuen Palais zu Potsdam in einem Kreise eingeladener Zuschauer statt. Sie gelang über Erwarten gut; die Wirkung war eine so großartige, so unbedingt für sich selbst sprechende, daß man es später unternehmen konnte, die Tragödie vor dem großen Publicum zu wiederholen. Auch hier bewährte sich die Gewalt des antiken Dichters. Tieck’s nächste Aufgabe war jetzt erfüllt. Mit dem Beginn des Winters kehrte er nach Dresden zurück. Zugleich aber zeigte sich, es war nicht möglich, dieses doppelte Verhältniß zu Dresden und Berlin dauernd aufrechtzuerhalten, sich zwischen beide zu theilen und Pflichten und Rücksichten gegen zwei Höfe zu erfüllen. Tieck’s Natur war auf nichts weniger als auf einen Hofmann angelegt. Schon seine Gesundheit, sein Alter, geistige und körperliche Lebensweise machten es unmöglich. Er fühlte jetzt erst, wie viel ihn an Dresden fessele. Es war die Gewohnheit von fast einem Vierteljahrhundert; die reichsten und ruhigsten Jahre des Lebens hatte er hier zugebracht. Die freundschaftlichen und künstlerischen Verbindungen, selbst die Erinnerung waren Mächte, die ihn hätten halten können. Auf der andern Seite bot sich die Aussicht auf ein zwar ungewohntes, aber inhaltvolles und durchaus sorgenfreies Leben dar, vielleicht auf eine nochmalige bedeutende Wirksamkeit. Endlich war es seine Vaterstadt, in der ihm dies geboten wurde, wo er seinen Bruder, Raumer und noch manchen Freund wiederfand. Nach vierzigjähriger Abwesenheit in Folge des ehrenvollsten Rufes zurückzukehren, hier wieder heimisch zu werden, nachdem er so lange ein Fremdling gewesen war, darin lag eine innere Ausgleichung und Gerechtigkeit, ein künstlerischer Abschluß seines Lebens. Auch das war von Bedeutung und der Berücksichtigung wol werth. Im April 1842 erfolgte eine zweite Einladung zum Besuche in Sanssouci, welche einer förmlichen Berufung gleichkam. Ein bedeutendes Jahrgehalt wurde verheißen, und nur im Allgemeinen der Wunsch ausgesprochen, Tieck möge sich des Theaters annehmen, und in Verbindung mit dem Intendanten der königlichen Schauspiele Mittel und Wege berathen, wie der gesunkenen Bühne aufzuhelfen sei. Für gewisse Stücke, namentlich Shakspeare’s, sollte er völlig freie Hand behalten, sie sollten ganz nach seinen Anordnungen dargestellt werden. Er beschloß dem ehrenvollen Rufe zu folgen, und ging für den Sommer nach Sanssouci. Hier wurden ihm neue Anerkennungen zu Theil. Schon früher hatte ihm der König den Rothen Adlerorden dritter Classe und den Titel eines Geheimen Hofraths verliehen. Um diese Zeit war der neue Orden für Verdienst in Wissenschaft und Kunst gestiftet worden, dessen geschlossene Mitgliederzahl nur die hervorragendsten Notabilitäten umfassen sollte. Am 31. Mai, dem Geburtstage Tieck’s, überreichte ihm der König persönlich in einer Versammlung im Neuen Palais die Decoration dieses Ordens. Ein Jahr früher hatte ihm Guizot das Kreuz der Ehrenlegion übersandt. Im September kehrte er zum letzten Male nach Dresden zurück, um Abschied zu nehmen und sein Hauswesen aufzulösen. Der große Umfang seiner Bibliothek erschwerte die Uebersiedelung nicht wenig. Endlich war man so weit. Aber den Eintritt in das neue Leben mußte er mit Krankheit erkaufen. Auf der Reise wurde er von einem Schlaganfalle getroffen. Noch erreichte er Potsdam, aber sein Zustand schien lebensgefährlich. Die Sprache versagte ihm und die rechte Seite war gelähmt. Ein langwieriges Krankenlager folgte. Erst in den nächsten Monaten wurde er hergestellt, doch blieb eine Schwäche in der Hand zurück, die zu Zeiten das Schreiben erschwerte. Vor Ablauf des Jahres 1842 konnte er indeß die Winterwohnung in Berlin beziehen. In der Folge wurde ihm auf Befehl des Königs eine eigene Wohnung in Potsdam eingerichtet. Sie war in einem Hause vor dem Brandenburger Thore, das unmittelbar an der Hinterseite des Parks von Sanssouci und nicht fern vom Schlosse lag. Ueber der Thür war die Gestalt einer Muse nach einem Modell von F. Tieck angebracht. Hier erholte er sich vollständig. Es war für ihn eine schöne Zeit; Poesie, Natur, und dieses Mal auch die weltliche Ehre, nahten ihm vereint. Der Schein eines glänzenden Abendroths ging über sein Leben dahin. Berathungen über künstlerische Fragen, Vorlesungen der Lieblingsdichter wechselten mit Gespräch und Geselligkeit. Auch an den Lustpartien des Königs in der Umgegend Potsdams und auf der Havel nahm er Theil. Er erfuhr die mannichfachsten Beweise königlicher Huld. Bis auf den Stuhl, auf dem er saß, und den Mantel, den er trug, erstreckte sich die vorsorgliche Rücksicht auf sein Alter und seine Gesundheit. War er unwohl, so geschah es, daß der König selbst ihn in seiner Wohnung besuchte. Da auch ein Wagen zu seiner Verfügung stand, so lernte er jetzt die anmuthigen Havelufer nach langer Entfremdung von neuem kennen. Hier traten die Bilder der frühesten Jugend wieder hervor. In den Havelgegenden lebten die Verwandten seiner Mutter, und länger als funfzig Jahre war es her, daß er als wandernder Schüler in diesen Waldungen und Hügeln umhergestreift war. Er erinnerte sich jener verklungenen Gefühle und Rührungen, die ihn damals erfüllten, und der Menschen, welche sie mit ihm getheilt hatten. Zu diesen gehörte ein Freund, wie er ihn zu jener Zeit nannte, der Sohn des Schulmeisters in Lehnin, den er als Knabe häufig besuchte. Später heirathete dieser eine Tochter von Tieck’s mütterlichem Oheim, aber nie hatte er von ihm etwas gehört; er wußte nicht, ob er noch am Leben sei. Jetzt erfuhr er, der Jugendgenosse lebe noch, und sei ebenfalls Schulmeister in Lehnin. Er beschloß ihn aufzusuchen. Es erregte nicht wenig Aufsehen, als der königliche Wagen erschien, und die darin Sitzenden nach dem Cantor Hinneberg fragten. Bei dem Superintendenten stieg Tieck ab, und durch diesen wurde der alte Schulmeister citirt. Voll Erwartung, was eine so außerordentliche Vorladung zu bedeuten habe, kam er. Welch ein Wiedersehen war es! Es war ein alter, stumpf gewordener Mann, der bei der Verwunderung stehen blieb, daß der Herr Superintendent ihn habe rufen lassen. Es überraschte ihn nicht, unvermuthet einen Jugendfreund zu finden, obgleich er nie wieder von ihm gehört hatte; er wußte nichts von seinen Dichtungen, nichts von seinem Ruhme, nichts von der Rückkehr nach Potsdam. Als er von Tieck’s Stellung beim Könige hörte, und daß er ihm vorläse, erregte es nur sein Staunen, daß Tieck bei so vorgerücktem Alter feinen Druck zu lesen im Stande sei; er selbst habe das längst aufgegeben und beschränke sich nur noch aufs Grobe. Im engsten Raume war sein Leben verflossen, für Alles, was darüber hinauslag, hatte er Sinn und Kraft verloren, oder nie besessen. Aehnliche Gefühle bewegten Tieck, als um dieselbe Zeit auch die Erinnerung an seinen ältesten Jugendfreund Piesker wieder auftauchte. Auf jenes erste Wiedersehen in Dresden war eine lange Pause gefolgt. Dann hörte er einmal, der Freund sei gestorben. Jetzt brachte ihm ein Mitglied von Piesker’s Familie die Nachricht, er lebe noch, habe aber seinen Abschied genommen. Mehrere Briefe von ihm selbst bestätigten es gleich darauf. Zum zweiten Male war es eine erschütternde Freude, welche ihn bei dieser Auferstehung, wie er es nannte, erfüllte. Da er gerade damit umging, für seine Denkwürdigkeiten zu sammeln, so forderte er den Freund auf, ihm Alles zu schreiben, was er von ihrem jugendlichen Zusammenleben noch wisse. Doch lächeln mußte er, als jener ihm nicht nur mancherlei Notizen schickte, sondern auch den gutgemeinten Vorschlag machte, da sie jetzt beide Zeit genug hätten, die vor mehr als funfzig Jahren begonnenen Tragödien gemeinschaftlich zu beenden. Es war in der That eine Rückkehr in die Kindheit, welche das ganze dazwischenliegende Leben und die Kluft vergaß, welche das Talent des Dichters von dem engen Sinne des Kleinbürgers trennte. Wohl mochte Tieck sein Geschick trotz aller Leiden preisen, welches ihn über die staubigen Heerstraßen auf die freien Höhen des Lebens gehoben hatte. 2. Theater, Literatur, Politik. Eine nicht unwichtige Frage war, ob es in Berlin, selbst bei den reichsten Mitteln und einem entgegenkommenden Willen, möglich sein würde auf das Theater einzuwirken. Zunächst fuhr man mit der Herstellung der antiken Tragödie fort. Am 7. August 1843 wurde Euripides’ „Medea“ mit der Musik von Taubert, am 1. November 1845 „Oedipus? in Kolonos“ mit der Musik von Mendelssohn im Schlosse zu Potsdam aufgeführt. An der Einstudirung beider hatte Tieck Antheil. Aber schon blieb der allgemeine Eindruck hinter dem der „Antigone“ zurück. Manches lag in diesen Stücken der Gegenwart ferner, und konnte für das moderne größere Publicum nicht ansprechend sein. Glücklicher war der Erfolg des „Sommernachtstraums“, der zuerst am 14. October 1843 mit Mendelssohn’s Composition aufgeführt wurde. Man hatte Shakspeare’s Bühne zum Theil hergestellt; Alles griff wohl ineinander, und auch dieses Drama des großen Dichters wurde dadurch dem Theater dauernd gewonnen. Anders fielen die Versuche aus, welche man mit einigen von Tieck’s ältesten Stücken zu machen wagte. Am 20. April 1844 kam „Der gestiefelte Kater“, am 1. Februar 1846 „Der Blaubart“ zur Darstellung. Nicht auf Tieck’s Wunsch, vielmehr gegen denselben fanden die Aufführungen statt. Er wußte, welche Schwierigkeiten diesen eigensinnigen Dichtungen entgegenstanden, darum hatte er in Dresden, wo es in seiner Macht gewesen wäre, nie daran gedacht sie auf die Bühne zu bringen. Es war eine höchst misliche Aufgabe, ein humoristisches Spiel wie „Der gestiefelte Kater“ aus der Phantasie in die sinnliche Wirklichkeit zu übersetzen. Vollends die der Breter mit ihren Maschinerien war zu eng dafür. Die Phantasie wurde überall auf ein geringeres Maß herabgesetzt. Alles hatte man voller, frischer erwartet und war geneigt die Dichtung entgelten zu lassen, daß man sich getäuscht sah. Aber man bedachte nicht, daß man Ansprüche machte, die sie weder erfüllen wollte noch konnte, daß ihre Darstellung auf der Bühne eine Vergröberung war, bei der sie nothwendig verlieren mußte. Auch war Manches ohne Commentar kaum verständlich, obgleich die historischen Anspielungen für die allgemeine Auffassung nicht die Wichtigkeit besaßen, welche einige Kritiker ihnen beilegten. Doch in Einem behielt der Kater Recht, die Zuschauer von vor funfzig Jahren waren noch ein lebendiges und getreues Abbild des Publicums, welches im Augenblicke vor den Coulissen saß, und sich selber darstellen sah, ohne sich zu verstehen. Man hörte diesseits dieselben Kunsturtheile wie jenseits. Als die Katergeschichte zu Ende war, entfernte sich der größte Theil, ohne den Epilog der Zuschauer abzuwarten. Auch mit der Darstellung des „Blaubart“ konnte man nicht den Erfolg erreichen, der noch unter Immermann’s Leitung in Düsseldorf möglich gewesen war. Die matte Haltung der meisten Schauspieler, die Gleichgültigkeit des Publicums und die kritische Opposition gegen dergleichen Erneuerungen hemmten auch hier den Erfolg. Tieck selbst hatte von diesen Versuchen nichts erwartet. Zwar fehlte es ihm nicht an Freunden in der Theaterverwaltung, doch auch Widerspruch und Misverständnisse erhoben sich. Die glänzenden Mittel der berliner Bühne waren nicht im Stande, ihm eine andere Meinung vom Theater überhaupt zu geben; vielmehr traten manche Uebelstände erst hier in ein grelles Licht. Vor der schweren Aufgabe einer durchgreifenden Reform würde selbst eine jüngere Kraft zurückgeschreckt sein, sein Zustand erlaubte ihm solche Anstrengungen nicht mehr, er beschränkte sich daher allmälig nur auf gelegentliche Rathschläge und Gutachten, wenn sie ausdrücklich verlangt wurden. Diese Theaterversuche waren zugleich für sein Verhältniß zum Publicum wichtig. Freilich war es nur ein einseitiges, soweit die öffentliche Meinung und die, welche in ihrem Namen sprachen, Gelegenheit fanden, über seine Berufung und Wirksamkeit zu urtheilen. Ihm selbst war es durch die Umstände geboten, diesen Aeußerungen gegenüber zu schweigen, die zum Theil ein deutliches Echo jener Ansichten waren, die sich seit 1830 kundgegeben hatten. Sahen Viele in seiner Berufung einen Act königlicher Liberalität, so fragte doch auch manche laute Stimme, was Gegenwart und Zukunft von einem Dichter zu erwarten habe, der an der Grenze des Lebens stehe; seine Dichtungen seien zum größten Theile veraltet und unverständlich, die Zeit sei über ihn und sie hinweggegangen, sie verlange anderes als dichterische Spielerei, romantisches Geflimmer und mittelalterliches Halbdunkel. Ihn und seinen Einfluß machte man für vieles verantwortlich, was ganz außerhalb desselben lag. In der Aufführung seiner Stücke wollte man das Gelüsten romantischer Reaction erkennen; seine Auffassung der englischen Bühne und Shakspeare’s galt für willkürlich, sonderbar und grillenhaft, und erfuhr wie seine dramaturgische Kritik harte Angriffe, in welchen der Meister meistens mit den eigenen Waffen bekämpft wurde. Andere hatten von Tieck’s Einwirkung auf Theater und Publicum bedeutenderes erwartet, und bestätigten nun jene feindlichen Ansichten. Sie hatten geglaubt, er werde einen Kreis um sich bilden und die geistige Herrschaft, die er in Dresden geübt, fortsetzen. Aber weder das Eine noch das Andere war möglich; sie übersahen, daß in Berlin Alles anders stand als in Dresden. Ihm selbst war es ein fremder Ort geworden. Nur auf kurze Zeit und als Fremder hatte er es in den verflossenen Jahrzehnden besucht, er mußte auf dem alten und doch neuen Boden erst wieder heimisch werden. Ihm schwebte das Berlin aus dem Anfange des Jahrhunderts vor, welches kaum zur großen Stadt zu werden anfing. Wie sehr war es seitdem räumlich und geistig gewachsen! Zu den Erinnerungen an Friedrich waren die Wirkungen der Freiheitskriege hinzugekommen, die Universität war begründet, auf die Romantiker und Fichte war Hegel, auf Teller und Zöllner Schleiermacher gefolgt, und viele bedeutende Persönlichkeiten herbeigezogen worden. Ueberall war System und Organisation, eine Masse gelehrter Kenntnisse und scharfer Kritik hatte sich angesammelt. Dazu kamen die tausendfach gespaltenen Interessen der großen Haupt- und Residenzstadt, welche die verschiedenartigsten und oft feindlichsten Elemente in sich vereinigt. Trotz aller Centralisation und der augenblicklichen Anstöße, welche die öffentliche Meinung bald nach der einen oder der andern Seite hin trieben, war es doch unmöglich die bedeutendsten Kräfte um einen Mittelpunkt zu sammeln. Es gab hier eine Art von Republikanismus der Geister, der keine Herrschaft eines Geistes anerkannte. In jedem Augenblick war man mit einer schlagfertigen Kritik, mit einem Witzworte bei der Hand, und stets geneigter Fehlendes zu vermissen als Vorhandenes anzuerkennen. Die kritisirenden Gebildeten hatten Alles längst besser gewußt, die Frommen kreuzigten sich vor dem weltlichen Treiben, welches auf Wissenschaft und Kunst einen hohen Werth legte, und die politischen Reformer riefen immer lauter auf, das Spielzeug bei Seite zu werfen, weil man der Männer und Thaten bedürfe. Und in diese Bewegungen hätte ein greiser Dichter mit harmlosen dramatischen Vorlesungen und Kritiken eingreifen sollen? Auch er war nicht mehr derselbe wie in Dresden; er war alt, von Leiden gebeugt, die letzten Jahre des Lebens setzte er ein. Schon darum konnte er nicht mehr, wie er früher gethan, ein offenes Haus halten. Um so gehässiger war der Vorwurf, daß er sich absichtlich mit kleinen Geistern umgäbe, welche ihm nichts Fremdes und Unbequemes nahe zu bringen vermöchten, und ihm die Mühe jedes Streites und der Vertheidigung seiner Autorität ersparten. Es verrieth sich darin die kleinliche Eitelkeit, die sich zurückgesetzt glaubte und seine einfache Weise nicht kannte. Der Zutritt stand auch jetzt noch einem Jeden offen, und wer sich ihm in unbefangener Weise nahte, konnte der freundlichsten Aufnahme gewiß sein. Aber er war darum nicht vereinzelt. Immer sammelten sich genug der Geister um ihn, und es waren die bedeutendsten darunter, und die zahlreichen Sendungen, Briefe und Anfragen, die er empfing, bewiesen, daß er noch im Mittelpunkte der literarischen Welt stehe. Sein Verhältniß zum Theater brachte ihn in nähere Berührung mit Felix Mendelssohn, Meyerbeer; er verkehrte mit Rauch und Kaulbach. Mit Wärme hatte A. v. Humboldt das alte freundschaftliche Verhältniß aufgenommen. Auch andere berliner Gelehrte, namentlich v. d. Hagen, standen ihm nahe. Fremde, besonders Engländer, darunter Carlysle und der Negerschauspieler Aldridge, versäumten es nicht ihn aufzusuchen; ebenso viele Schriftsteller und Dichter der jüngern Literatur. Seine literarische Thätigkeit hatte in dieser Zeit einen sichtenden und sammelnden Charakter. Zunehmende Kränklichkeit, dann wieder nach außen ablenkende Zerstreuungen ließen es zu nichts Anderm kommen. Zwar war er immer noch reich an Plänen und literarischen Stoffen, die er bearbeiten wollte, oft mahnte ihn auch die Fortsetzung der „Cevennen“ als eine Schuld, die abzutragen sei, doch dies Alles trat vor einem andern Gedanken zurück. Er dachte ernstlich daran, die Denkwürdigkeiten seines Lebens zu schreiben. Mehr als funfzig Jahre, voll der gewaltigsten Umwälzungen, überblickte er; so vieles hatte er in sich und mit Andern erlebt und mit bedeutenden Männern in naher Verbindung gestanden. Es war ein Leben, wohl würdig, daß davon ausführlicher gesprochen werde. Schon im Jahre 1838 hatte er diesen Plan. Er hatte es, wie er damals an seinen Bruder schrieb, als eine Pflicht erkannt, in unserer verwirrten Zeit, Umstände und Personen, soweit sie ihn angingen, in das gehörige Licht zu setzen. Zu demselben Zwecke ordnete er mit Hülfe eines jungen Beamten, den der König ihm als Secretär zugegeben hatte, seine umfassende Briefsammlung, die von 1792 bis auf die Gegenwart herabging. Seine literarhistorischen Schriften, die gelegentlich als Vorreden und Einleitungen erschienen waren, gab er gesammelt unter dem Titel „Kritische Schriften“ in zwei Bänden heraus. Eduard Devrient, der sich ihm schon früher in freundschaftlicher Verehrung angeschlossen hatte, fügte ihnen später die „Dramaturgischen Blätter“, durch eine Nachlese vermehrt, als dritten und vierten Band hinzu. Außerdem fand sich öfter Gelegenheit, hier und da ein empfehlendes oder einleitendes Wort öffentlich zu sagen. Er führte ein ehrenvolles und gleichmäßiges literarisches Stillleben. Da kam das Jahr 1848. Fünfundsiebzig Jahre war er alt geworden, als er diesen jähen politischen Umsturz erlebte. Er erinnerte sich der Aufregungen beim Ausbruch der Französischen Revolution, der Napoleonischen Herrschaft und ihres Falles, der Kämpfe von 1830, aber keine Revolution war unerwarteter und unter drohendern Zeichen hereingebrochen als diese. Am 18. März erbaute man Barrikaden und schoß und schlug sich unter seinen Fenstern. Mit seinen Büchern beschäftigt blieb er die Nacht über aus dem Bette. Für das Dasein irgendeiner staatlichen Ordnung wurde in den nächsten Monaten gestritten, und alles was die Gemüther vorher harmlos beschäftigt hatte, war von einer vernichtenden Flut fortgerissen. Wen kümmerten jetzt noch die Streitfragen der Romantik! Der regelmäßige Besuch des Hofes ward unmöglich, obgleich Tieck, um den fortwährenden Unruhen zu entgehen, die Sommerwohnung in Potsdam frühzeitig bezogen hatte. Mit tiefer Empörung betrachtete er diese Ereignisse. Verhaßter, widerwärtiger war ihm nichts als ein anarchisches Straßenregiment, in dessen wilden Strudeln Staat und politische Vernunft, Sitte und Ordnung, Dichtung und Wissenschaft gleichmäßig unterzugehen drohten. Herangewachsen im Zeitalter Friedrich’s des Großen hatte er, wenn sonst auch nichts, doch Eines aus demselben mit herübergenommen, die Ueberzeugung eines strengen Monarchismus. Dennoch hatte er bei Gelegenheit des „Gestiefelten Katers“ von übereifrigen Royalisten den Vorwurf gehört, durch jenen marionettenhaften König das Königthum erniedrigt zu haben. Was er dagegen in dem kurzen Bericht über die Aufführung des Lustspiels sagte, war seine vollste Ueberzeugung: „Ich behaupte, daß die Macht des Königs die natürlichste, begründetste und wohlthätigste von allen politischen Einrichtungen ist. Dem Poeten ist nun vollends die Erscheinung eines Königs groß und bedeutend; er wird seinen poetischen Standpunkt völlig einbüßen, wenn ihm diese natürlichste Würde und Hoheit nicht mehr mit Glanz entgegentreten sollte. Die Republik ist der Prosaismus, und wenn sie auch große Erscheinungen bietet, wie es im Alterthum der Fall war, so kann sie sich poetisch nicht mit dem Königthum messen.“ So war ihm Alles zuwider, was in jenen Tagen geschah. Vom Liberalismus erwartete er nichts, den Kosmopolitismus in seiner nebelhaften Allgemeinheit verachtete er, die rohen Ausbrüche der Tagesdemokratie haßte er. Es war ihm höchst zweifelhaft, ob die Kammern mit ihren Debatten und oft schwierigen Beschlüssen das Wohl des Landes zu fördern vermöchten. Er sah in ihnen kein Gegengewicht monarchischer Allgewalt. Ueberall wollte er strenge, feste Ordnung. Für das bürgerliche Kleinleben, und auch das war eine jugendliche Erinnerung, liebte er die Zünfte. Ein fester, vernünftiger Wille sollte die Dinge entscheiden. Nächst den wohlbegründeten Ordnungen der Verwaltung fand er nur in dem offenen, wohlmeinenden und unerschütterlichen Freimuth der Räthe und guten Patrioten eine politische Schranke. Auch hier war ihm die tüchtige, durchgebildete Persönlichkeit Alles. Obgleich er nichts mehr floh als politischen Streit, so war es doch bei der herrschenden Aufregung unmöglich, ihm selbst in engern Kreisen zu entgehen. Ward er durch heftigen Widerspruch, oder unverständige und übertriebene Aeußerungen allzu sehr gereizt, so schlug sein gewöhnlicher Gleichmuth in heftigen Zorn um. Alter und Lage würden ihn völlig entschuldigt haben, wenn er sich von allen öffentlichen Handlungen ferngehalten hätte. Dennoch konnte er sich nicht versagen für die gute Sache seine Stimme als Urwähler abzugeben. Das war für ihn kein kleines Opfer. Große Versammlungen, lautes und leidenschaftliches Durcheinanderreden, der Aufenthalt in stickiger Luft waren ihm physisch unerträglich. Aber er überwand Alles und hielt mehrere Stunden, eingehüllt von dichten Tabackswolken, in einem Wahllocale aus, bis er seine Stimme abgegeben hatte. Als er an der Treppe seiner Wohnung anlangte, ward er fast ohnmächtig, und erreichte das Zimmer nur mit Mühe. Auch andere Opfer brachte er bereitwillig. Als nach dem Eintritt des ersten Rückschlags fast alle Häuser mit militärischer Einquartierung belegt wurden, wies man ihm einen jungen Lieutenant zu, der höchlich erfreut war, auf diesem Wege die Bekanntschaft des Dichters zu machen. Mittags aß Tieck mit ihm und lud ihn, so oft es der Dienst erlaubte, auch Abends zu den Vorlesungen ein. Obgleich entschieden monarchisch gesinnt, sah er doch die rückwärts drängende Bewegung, welche auf den demokratischen Sturm folgte, nicht ohne Besorgniß. In den Uebertreibungen eines einseitigen Parteipatriotismus konnte er das Heil ebenso wenig finden, als in der formalen Strenge der Kirchlichkeit. Indeß nur selten sprach er seine abweichenden Ansichten aus, aber stets ebenso entschieden und freimüthig als maßvoll und würdig, nie im Tone der politischen Partei, die für ihn überhaupt keine Bedeutung hatte. 3. Lebensweise und Eigenthümlichkeiten. Die Katastrophe von 1848 machte einen Abschnitt in seinen letzten Lebensjahren. Die Verhältnisse und Kreise, in denen er zuerst gestanden hatte, waren dadurch zum großen Theil aufgelöst worden. Anderes, was ihn persönlich berührte, war hinzugekommen. Schon 1843 hatte sich seine zweite Tochter nach Schlesien verheirathet, 1847 war die langjährige Freundin seines Hauses, die Gräfin Finkenstein, gestorben. Er, für den Gespräch und geistiger Verkehr eine Nothwendigkeit geworden, war jetzt allein, und saß manche Stunde einsam unter seinen Büchern. Die Pflege und Hülfe, deren er in jedem Augenblick bedurfte, übernahm nun eine treue Haushälterin, welche seit mehr als fünfundzwanzig Jahren seinem Hause angehörte. Je weniger es die oft lang anhaltende körperliche Abspannung erlaubte, seine Freunde aufzusuchen, um so lieber versammelte er sie in jedem günstigen Augenblicke um sich. Häufig geschah es Mittags, und wenn seine Stimmung irgend heiter war, so belebte er durch anmuthigen Witz und manche Mittheilungen aus seinem Leben die Unterhaltung. Die vieljährigen Leiden und das Alter hatten seine innerste Kraft angegriffen, aber nicht vernichtet. Das bewiesen die dramatischen Vorlesungen, die er auch jetzt noch fortsetzte. Sie waren ihm geistiges, fast auch körperliches Bedürfniß geworden. Er konnte die lange Gewohnheit nicht missen, und die Anstrengung eines drei- bis vierstündigen lauten und affectvollen Vorlesens vertrat zuletzt die Stelle körperlicher Bewegung, welche er ganz aufgegeben hatte. Freilich mußte er sich engere Grenzen ziehen als früher. Der Kreis der Zuhörer war kleiner geworden; selten waren es mehr als zehn oder zwölf Personen, meistens nähere Freunde, von denen manche wie sein Bruder stehende Gäste waren. Doch fanden sich auch Fremde ein, und oft waren es die berühmtesten Männer. In der Wahl des Stückes richtete er sich häufig nach den Wünschen der Anwesenden. Nur eines verweigerte er entschieden, Tragisches oder Shakspeare zu lesen; dazu reiche seine Kraft nicht mehr aus, auch greife es ihn innerlich zu sehr an. Er beschränkte sich daher auf Komisches; die Lustspiele von Schröder und Holberg, Goethe’s kleinere Singspiele und seine eigenen satirischen Dramen lagen ihm zunächst. Bisweilen zog er auch eine Novelle oder seine Briefe vor. Noch las er mit alter Meisterschaft; an diesem kräftigen, vollen Tone hätte Niemand den siebenundsiebzigjährigen Mann erkannt. Wer ihn wenige Male auch nur diese leichtern Stücke lesen hörte, wie er beinahe alle mimische Mittel, die der gewandte Vorleser zu brauchen pflegt, verschmähte, mußte bald erkennen, daß das Geheimniß seines Lesens auf einer ganz andern Stelle zu suchen sei. Der Dichter that mehr als der Vorleser, den oft verblaßten Gestalten hauchte er Leben ein, und indem er las, schaffte er dichterisch von neuem; wie die einzelnen Charaktere ward das Ganze in ihm lebendig. Es gab eine einfache Probe. Wer später im Buche nachlas, was er zuerst aus seinem Munde gehört hatte, erkannte es nicht wieder, und fand nur todte und langweilige Buchstaben, wo er vorher Leben und Bewegung gesehen und gehört hatte. Nichts war ihm lieber als mit zwei oder drei Freunden allein zu sein. Das unbefangene, ruhige, eindringende Gespräch zog er jeder bewegtern Unterhaltung vor. Den wahren Austausch der Gedanken, die Wechselwirkung der Geister wollte er. Kaum mag es je einen größern und zugleich liebenswürdigern Meister des Gespräches gegeben haben. Es war ihm ein Zauber eigen, dem auch entschiedene Gegner selten zu widerstehen vermochten, wenn sie in seine Nähe kamen. Alle seine Freunde, in welchen Lebensperioden sie auch mit ihm verbunden sein mochten, haben diese Gewalt kennen gelernt. Es war nicht das lebendige, leicht und anmuthig fließende Wort allein, welches diesen Eindruck machte, es war sein bald tiefsinniger, bald humoristischer Inhalt, diese geistige Durchsichtigkeit, die Bewegung, welche man überall fühlte und die sich dem Zuhörer mittheilte. Was er erzählte, auch das Kleinste, gestaltete sich zum anschaulichen Bilde, zu einer mündlichen Novelle. Doch nur zum Theil lag der hohe Reiz dieser Unterhaltungen in dem, was er im Zusammenhange gab, vielmehr darin, wie er die Gedanken des Mitsprechenden aus der Tiefe der Seele hervorzuholen wußte. Kann man von einer Sokratischen Kunst reden, die dunkel geahnten Gedanken Anderer zur Klarheit zu bringen, so besaß er sie, aber nicht als angelernte, sondern als angeborene Kunst. Da war nichts von Ueberhebung, von drückender oder abweisender Vornehmheit, nichts von Bevormundung und gemachter Würde. Mit ungetheilter Aufmerksamkeit folgte er der Gegenrede. Ohne Empfindlichkeit hörte er Ansichten, welche den seinen entschieden widersprachen, ja er forderte dazu heraus. Auf jeden Einwand und leisen Zweifel ging er ein. Er erwog ihn, gewann ihm überraschende Seiten ab, und baute daraus eine Brücke, auf der das Gespräch sich weiter bewegte, und jenseits that sich eine neue, vorher nicht geahnte Gegend auf. Unterredungen, in denen ihm Befangenheit oder Phlegma nur beistimmte, langweilten ihn, machten ihn verlegen, verdrießlich und endlich stumm. Dieselbe Wirkung hatte auch das unruhige Durcheinander der gewöhnlichen Unterhaltung, wo jeder nur spricht um sich selbst zu hören. Manche Besucher glaubten sich vor ihm in die beste geistige Toilette werfen zu müssen, erhitzten sich, wollten genial erscheinen, und überschütteten ihn mit langen Auseinandersetzungen fertiger Gedanken. Nichts brachte ihn sicherer zum Schweigen als das. Sein Gespräch belehrte, hob und befreite unmerklich; in diesen geistigen Regionen fühlte man sich zu eigenem Erstaunen fähiger, klarer, kräftiger. Es wirkte schon anregend, ihm während er sprach, in das geistvoll bewegte Gesicht zu sehen. Auf dieser hoch gewölbten, glänzenden Stirn sah man die Gedanken aufsteigen; schwarze anliegende Haare bedeckten noch den Hinterkopf bis zum Scheitel. Eine unergründliche Tiefe schien sich in den großen, dunkeln braunen Augen zu öffnen, aus denen bald die Schwermuth, bald die Schalkheit hervorblickte. Hier ruhte der Zauber des Phantasus neben der Ironie der Novelle. Die Nase war edel, etwas langgezogen, der Mund anmuthig, er hatte einen weichen, fast weichlichen Ausdruck. Bei der Beweglichkeit der Züge war das Gesicht der unmittelbare Spiegel jeder Stimmung; sie wechselten mit den Gedanken, die ihn beherrschten. Oft schien es kaum dasselbe Gesicht zu sein. Wenn er das Kinn mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand stützend, unbeweglich saß und sinnend in sich hineinschaute, wurde man unwillkürlich an einen ruhenden alten Löwen erinnert. Dann trat auch die Aehnlichkeit mit den Porträts Napoleon’s aus dessen späterer Zeit, etwa mit denen von Vernet, überraschend hervor. Dagegen ging ein helles Licht über seine Züge, sie nahmen einen schalkhaft graziösen Ausdruck an, wenn er einen ironischen Gedanken verfolgte, oder dessen Eintritt und Wirkung erwartungsvoll vorhersah. Sein Lächeln hatte etwas Glänzendes; er lachte gern, aber nichts verabscheute er mehr als den Ton des rohen Gelächters, das ihm als Zeichen höchster Unbildung galt. Fühlte er sich matt und leidend, so veränderte sich die Scene völlig; wie ein trüber Schleier lag es auf seinem Gesicht, die Züge hängend, der Mund schlaff und heruntergezogen. Doch selbst in der Krankheit reichten wenige Minuten der Unterhaltung, ja ein treffendes Wort hin, ihn zu erwecken; man kannte ihn nicht wieder, sobald er geistig Theil nahm. Die Umgebung, in welcher man sich bei ihm befand, machte den behaglichsten Eindruck. In den letzten zehn Jahren seines Lebens wohnte er in einem ältern geschlossenen Hause in der Friedrichstraße 208. Auf der Hausflur und der breiten Treppe herrschte noch die bequeme Raumverschwendung früherer Zeiten. Das Geländer der Treppe lief in eine kolossale Lyra aus, auf welche der Blick des Eintretenden zuerst fiel. Seine Wohnung war weitläufig, die ganze Zimmerreihe eines Stockwerkes hatte er inne. Schon seine große Bibliothek erforderte einen bedeutenden Raum; Bücher waren sein Hauptbesitzthum, und ein Hauptschmuck der Zimmer. Bis zur Decke hinan erfüllten sie die Wände. Die seltenern waren in dem eleganten Salon aufgestellt, in welchem er Abends die Vorlesung hielt. Hier war Alles einladend, nichts prahlerisch, oder überladen. Auf Repositorien und freien Postamenten standen die Büsten Holberg’s, F. H. Jacobi’s, Solger’s und seines Bruders Friedrich, über dem Sopha hing sein eigenes lebensgroßes Bild von Stieler. Im Studirzimmer umgaben ihn die Bücher, mit denen er sich vorzugsweise beschäftigte. Alles war auf Bequemlichkeit berechnet; Lehnstühle von verschiedenen Formen und Größen waren hier vertheilt. Ueber dem Schreibtisch hing das jugendliche Gemälde von Novalis, welches E. von Bülow wiederaufgefunden hatte, daneben ein Gypsmedaillon Wackenroder’s, eine der ersten Arbeiten seines Bruders, auf der andern Seite ein Bild seiner Tochter Dorothea. Außerdem sah man einige Kupferstiche nach Rafael und aus der Boisserée’schen Sammlung. In der Regel fand man ihn im schwarzen Sammetrocke hinter einem niedrigen Tischchen, das mit Papieren bedeckt war, im Lehnstuhl sitzen. Fremde empfing er stehend, und wer ihn nicht kannte, folgte den Bewegungen der gebeugten Gestalt mit Besorgniß; doch diesen Eindruck vergaß man, sobald er im Stuhle aufrecht saß. Für den befreundeten Besucher war schon sein gewöhnlicher Gruß, „Ah, da sind Sie ja, lieber Freund!“ der helle Blick, die Handbewegung, womit er ihn begleitete, erheiternd. Man setzte sich und das Gespräch begann. Es ist mehr als einmal bemerkt worden, daß in seiner Haltung sich eine ruhige und bequeme Vornehmheit ausgesprochen habe, ein aristokratischer Zug, durch den der Besucher sich bald angezogen, bald abgewiesen fühlte. Es war eine Vornehmheit im edelsten Sinne des Wortes, welche der Ausdruck der wahren Durchbildung und des Seelenadels ist. Eben darum ist sie Vornehmheit, weil sie äußerlich weder angeeignet noch auch verloren werden kann. Daher das wohlthuende Gleichmaß im Thun und Lassen, seine Sicherheit, niemals die Grenzen des Erlaubten und Ziemlichen zu überschreiten. Zeichen der Unbildung und Roheit machten ihn scheu und verstimmt. Zu den ungeselligen und übeln Angewohnheiten rechnete er auch das Tabackrauchen, das er bei Freunden nur widerwillig ertrug. Er schilderte es als ein verderbliches Laster, und kämpfte mit allen ästhetischen und moralischen Gründen dagegen, der unausbleibliche Raucherzug um den Mund gebe jedem Gesichte einen rohen Ausdruck, ihn selbst mache der Rauch krank u. s. w. Wie unzertrennlich die feine Form von seinem Wesen war, spricht er charakteristisch in einem Briefe aus, den er 1825 von Wien nach Hause schrieb: „Vornehm und reich, heißt es hier, können nicht Alle sein, aber was ich begehre, kann auch der Geringste sich verschaffen, die Entfernung alles Widerwärtigen, Gemeinen, was uns das Leben so erbärmlich erscheinen läßt. Noch im Gefängniß und in Ketten wird man den Gentleman vom gemeinen Menschen unterscheiden können. -- Ueber jene Bosheit der Menschen und alle Schlechtigkeit will ich bald hinwegkommen, weil es mich nur berührt, soviel ich davon zulassen will; aber jene Kläglichkeit und Gemeinheit, die sich im Sitzen und Stehen, Gähnen und Sprechen, Schweigen und Schwatzen, Essen und Trinken kundgibt, kann mich so elend machen, weil es sich mir immerdar aufdrängt, daß es mein ganzes Leben zerstört. -- Gute Erziehung, Feinheit des Betragens ist mir immer das nothwendigste Element gewesen, um nur zum Bewußtsein zu kommen, daß ich eine Seele im Leibe habe.“ Auch wer es aus seinen Dichtungen nicht gewußt hätte, würde aus jeder Unterredung, die über die nächsten Grenzen hinausging, erkannt haben, daß es in ihm eine geheimnißvolle, dem gewöhnlich Verstandesmäßigen abgekehrte Seite gab. In plötzlich aufleuchtenden Geistesblitzen und Anschauungen, in Ahnungen und Träumen, sah er eine höchste, und darum räthselhafte geistige Macht. Auf Träume gab er viel. Er meinte, statt sie zu verlachen, solle man mehr auf sie achten; in ihnen kämen verborgene Seiten der menschlichen Natur zum Vorschein, die für den nüchternen Verstand des Tages gar nicht da seien. Von sich selbst, der im Leben der Humanste und Gutmüthigste war, behauptete er, in Träumen sei er schadenfroh, ja diabolisch grausam und blutdürstig, sodaß ihn in der Erinnerung daran ein Grauen erfasse. Wirklich waren sie noch in spätern Jahren entsetzlich, und wiederholten sich oft, genau in derselben Gestalt, mehrere Nächte hintereinander. Eine Zeit lang wurde er durch einen kalten Luftzug geweckt, der über die Augen hinstrich. Er blickte auf, sah das Zimmer erhellt und an seinem Bette drei leichenhafte Mönchsgestalten, die soeben dem Grabe entstiegen schienen. Jedes Mal wurde er von Fieberschauern ergriffen. Doch hatten seine Träume auch einen sehr bestimmten geistigen Inhalt. Als er Correggio’s Gemälde kennen lernte, konnte er ihre gepriesene Trefflichkeit nicht einsehen, und mühte sich vielfach um ihre Auffassung. Da träumte er, er sei auf der Galerie, der Meister selbst träte zu ihm, und rede ihn kurzweg mit den Worten an: „Bist du nicht ein dummer Mensch, das Treffliche nicht zu erkennen?“ Darauf habe er ihn vor die Gemälde geführt, und ihm ihre Schönheit eröffnet. Er erwachte, und voll von diesen Gedanken, konnte er die Zeit des Eintritts in die Galerie kaum erwarten. Sogleich eilte er zu Correggio’s Gemälden. Wie ein Blitz leuchteten sie ihm entgegen, die Augen waren ihm aufgegangen, und seit der Zeit war er ihr größter Bewunderer. Auch hier spielte Shakspeare eine große Rolle. Einmal entdeckte er im Traume ein neues, völlig unbekanntes Stück desselben; deutlich bis ins Einzelne hinein lag es vor ihm, es war vortrefflich. Wie verstimmt war er, es beim Erwachen seinen Händen entschwunden zu sehen, und sich keines einzigen Wortes entsinnen zu können. Dann war er gestorben. Die erste Frage in jener Welt war, wo er Shakspeare, den Vielbewunderten, treffe. Man antwortete ihm, der große Geist sei nicht mehr hier, sondern in einer noch höhern Welt zu suchen, er aber werde ihn schwerlich jemals erreichen. So habe er ihn von Stufe zu Stufe vergebens verfolgt. Dieser mystischen Seite gehörte auch der Zahlenaberglaube an, den er sich öfter scherzend vorwarf. Vor den Zahlen 7 und 9 hatte er eine dunkle Furcht, in deren humoristischer Ausmalung er sich gefiel. Er lebte in der Welt der Phantasie und Anschauung. Lange konnte er lautlos sitzen, und der Bewegung seiner Gedankenwelt und den auftauchenden Gestalten zuschauen. In solchen Augenblicken war er dichterisch am thätigsten; er producirte innerlich, wenn er äußerlich unthätig schien. Freilich hatte dieses Versinken oft auch andere Ursachen. Fast mit periodischer Regelmäßigkeit kamen Zeiten, in denen die alte Schwermuth ihn immer wieder ergriff, wo ihn Muthlosigkeit, ein Verzweifeln an sich und seinen Kräften, und wahrer Lebensüberdruß überfiel. Er klagte, seine Seelenkräfte seien dann wie erlahmt, die Fäden seines Innern zerrissen. Jede Störung war ihm unbequem, und es war fast unmöglich, ihn diesen Krisen zu entziehen. Er fuhr jähzornig auf. Er schalt sich selbst, daß in jüngern Jahren oft eine blinde Wuth wie eine unwiderstehliche Gewalt über ihn gekommen sei, von der er sich nur mit Mühe, und immer noch nicht ganz frei gemacht habe. Der geheimnißvolle Instinct stand ihm überall obenan, er lauschte auf seine Stimme und wartete darauf, mitunter auch da, wo das Leben zur That drängte. Mit dieser Eigenthümlichkeit hing es zusammen, daß er sich vor jedem unmittelbaren und entscheidenden Handeln scheute. Ebenso wenig liebte er ein abwägendes, verstandesmäßiges Ueberlegen. Selbst in kleinen Dingen vermied er nothwendige Entschlüsse solange als möglich, und endlich im Drange des Augenblicks that er nicht, was er wollte, sondern was er mußte. Selbst das Briefschreiben schob er Monate, in manchen Fällen Jahre lang hinaus, während er sich des Lasters des Aufschiebens unaufhörlich bitter anklagte. Viele Unannehmlichkeiten seines Lebens flossen aus dieser Quelle, und ließen ihn vor der Welt ganz anders erscheinen, als er war, die ihn dafür durch schonungsloses Verurtheilen hart genug strafte. Am heftigsten zürnten ihm jüngere Dichter und Schriftsteller, welche ihm zwei, drei Manuscripte nacheinander zusandten, und auf keines Antwort erhielten, während sie in verzeihlicher Autorenungeduld brannten, irgendein anerkennendes Wort aus dem Munde des Meisters zu hören. Sie sahen darin Laune, Geringschätzung, oder gar literarische Eifersucht, die unlautersten Beweggründe schoben sie ihm unter, und es war nur der Widerwille, sich seinen Gedanken zu entreißen, die Furcht, einen Brief schreiben zu müssen. Zu diesen Gegnern gehörte auch der unglückliche Skepsgardh, der das Wohlwollen, welches ihm Tieck bewiesen hatte, durch hämische Angriffe und Verdächtigungen in seinem Romane vergalt. Ueberhaupt beurtheilten Fernstehende ihn oft falsch, und entwarfen sich nach einzelnen Zügen in seinen Schriften ein Bild, das mit der Wahrheit nichts gemein hatte. Man hielt ihn für scharf, absprechend, intolerant, oder auch für böswillig. Man hatte aber, wie er selbst darüber an Solger schrieb, das Unabsichtliche, Arglose, ja Leichtsinnige in den Dichtungen nicht herauserkannt. Es war eben seine volle und reine Unbefangenheit, die man ihm nicht zutraute. Er konnte auch über Freunde scherzen, und Niemand stellte seine wahren Freunde höher als er; nur da könne man wahrhaft lieben, wo man das Menschliche auch in den Schwächen erkenne. Ebenso mit Recht sagte er, daß er die Schriftsteller, welche er früher angriff, niemals gehaßt habe. Güte, ja Weichheit des Herzens waren Grundzüge seines Wesens. Keiner Bitte, keiner Forderung, die seine Unterstützung in Anspruch nahm, vermochte er zu widerstehen. Ueberall war er bereit, mit Rath, Verwendung oder Geld zu helfen. Er ermüdete nicht, selbst einem häufig wiederkehrenden, und mehr als dreisten Ansinnen zu genügen. Praktische Freunde suchten oft zu seinem Vortheile dieser Wohlthätigkeit ein Ende zu machen. Aber er selbst kannte die kleinlichen und drückenden Verlegenheiten, die das Leben bereitet, aus frühern Zeiten nur zu gut. Geld hatte nur als ein leidiges, aber unentbehrliches Mittel der gegenwärtigen Subsistenz Werth für ihn, darum gab er mit vollen Händen und ohne Berechnung, um der augenblicklichen Noth Anderer abzuhelfen. Es ließ ihm innerlich keine Ruhe, bis er weggegeben hatte, was er selbst irgend entbehren konnte. Manchen alten Schulbekannten, manches darbende Talent befreite er aus der dringendsten Noth, ohne dafür Dank zu ernten oder zu erwarten. Großartig vergaß er, was er gethan hatte. Auch seinen Einfluß machte er zum Vortheile Anderer geltend, während er für sich selbst nichts wünschte. Gegen äußere Ehren war er gleichgültig. Obgleich Inhaber des bairischen Civilverdienstordens pflegte er doch sarkastisch über Diejenigen zu lächeln, welche von dem persönlichen Adel, der damit verbunden ist, Gebrauch machten. Auf die Frage, welche Orden er habe, wußte er kaum zu antworten. Bei der praktischen Beurtheilung der Menschen leitete ihn seine Milde in späterer Zeit mitunter irre. Der Herzenskündiger in der Novelle, vor dessen klarem Blicke die feinsten Schattirungen des Charakters und die Beweggründe des Handelns offen dalagen, übersah im Leben die augenscheinlichsten Mängel und Fehler. Unbefangen setzte er überall das Beste voraus; es war daher in gewöhnlichen Dingen leicht, diesen Glauben zu täuschen und zu misbrauchen. Bis auf den letzten Augenblick hielt er an seiner guten Meinung fest, und in den Versuchen der Freunde, ihn aufzuklären, sah er übertriebenen Eifer oder gar Verfolgungssucht. Wie das dichterische Talent wurzelte in seinem dämonischen Wesen manche andere Eigenthümlichkeit, ja Sonderbarkeit, die den außerordentlichen Menschen verrieth, der die gerade gezogenen Linien des Lebens unbewußt oder mit humoristischer Keckheit überschritt. Aus seiner Wandlungsfähigkeit ergab sich das schauspielerische Talent. Es war nicht allein die mimische, sondern die dichterische Kraft sich in die verschiedenen Stimmungen, Leidenschaften und Charaktere zu versetzen und sie wiederzugeben. Die Größe derselben hat Niemand treffender gewürdigt als Brentano, der in einem Briefe sagt: „Ludwig Tieck ist allein beauftragt, der Mimik ein Licht aufzustecken, da er das größte mimische Talent ist, was jemals die Bühne +nicht+ betreten. Dieser Dichter, der als darstellender Künstler die Bühne zu einer Ehre gebracht haben würde, deren sich wenige diesseit oder jenseit der Lampen träumen, ist kein Schauspieler geworden, worüber Thalia und Melpomene mit inniger Beschämung trauern sollten, denn er hat den innersten Beruf und ein Talent zur Bühne, wie es sich alle Jahrhunderte einmal hinauf verirrt.“ Aus der Zeit des frühern Mannesalters wußten seine Freunde von den Wirkungen dieses Talents Staunenswerthes zu erzählen. Ergötzlich berichtet Steffens, wie er ein höchst drastisches Lustspiel: „Der Affe als Liebhaber“, improvisirt und in allen Rollen allein aufgeführt habe. Auf einem Stuhle sitzend oder liegend parodirte er zu allgemeinstem Jubel der Zuschauer die mimischen Darstellungen der Händel-Schütz als Sphinx oder Ariadne. Es kam vor, daß er in den Kreis wohlbekannter Freunde trat, und in einem angenommenen Charakter längere Zeit sprach, ohne erkannt zu werden, oder daß er in der Menge zudrängender Menschen, etwa im Theater, von ihrer Seite fortgerissen schien, während er nur einen fremden Ausdruck des Gesichts angenommen hatte. Noch aus dem Jahre 1806, wo er durch Krankheit bereits geschwächt war, erzählt er in seinen italienischen Reisegedichten eine ähnliche List. Um in Rom einem lästigen Schwätzer zu entgehen, den er aus der Ferne heraneilen sah, erhob er seine Gestalt und änderte die Züge so vollständig, daß der Herzutretende stutzig ward, den Hut zog und ihn mit der Entschuldigung verließ, daß er sich in der Person geirrt habe. Die Lust, mimisch zu agiren, zeigte sich auch in der Liebhaberei für Bleisoldaten. An diesem phantastischen Spiele nahm früher Bernhardi, später Dorothea Theil. Durch Kauf und Geschenk kam er in den Besitz eines bleiernen Heeres, für das eigene Kisten und Tische angefertigt werden mußten. Auch das war eine Selbstironie; während ihm im Leben das militärische Wesen zuwider war, unterhielt er sich mit den Abbildern desselben im Spiele. Die letzten Trümmer dieser großen Armee gab er in den Kindergesellschaften preis, welche er noch in Berlin ab und zu veranstaltete. Hier präsidirte er unter großem Freudengeschrei der Theilnehmer, und das Fest endete gewöhnlich damit, daß er „Rothkäppchen“, „Die Elfen“ oder sonst ein Märchen vorlas. Diesen Eigenthümlichkeiten stand ein anderes Element seines Charakters gegenüber, das er als angeborene Pedanterei und Philisterei bezeichnete. Es war ein heilsames Gegengewicht der dunkeln Naturkräfte, und seinen gelehrten Neigungen und Arbeiten verdankte er oft Zerstreuung und Rettung in innern Kämpfen. Er behauptete, zu Zeiten Tabellen und registrirende Schriften mit dem größten Vergnügen angefertigt zu haben; schon das mechanische Schreiben sei ihm dann angenehm gewesen. Zu den gelehrten Liebhabereien gehörte vor allen das Ankaufen und Sammeln von Büchern. Schon in Dresden war er im Besitze einer Bibliothek, die mit Recht berühmt genannt werden konnte, und deren Umfang endlich auf 16000 Bände stieg. Für alle Zweige der philologischen, historischen und dichterischen Literatur sammelte er, jedoch für keine mehr als für das Drama, und am liebsten für das altenglische und spanische. Er besaß eine bedeutende Anzahl sehr seltener Drucke Shakspeare’s, Cervantes’, Lope de Vega’s und Calderon’s, und eine fast vollständige Literatur dieser Dichter. Mit den namhaftesten Antiquaren und Buchhändlern stand er in Verbindung, und nie ließ er einen Freund nach Frankreich oder England reisen, ohne ihm Aufträge mitzugeben. Für den alten Druck eines dramatischen Werks war ihm kaum ein Preis zu hoch, und manches Vergessene brachte er durch seine wiederholte Nachfrage wieder in Gang. In früherer Zeit in Dresden besuchte er selbst die Bücherauctionen, die ihm zu einem Glücksspiele wurden, an dem er mit Eifer und Leidenschaft Theil nahm. Schon die Lectüre von Auctionskatalogen gewährte ihm besonderes Behagen. Auf dem Zimmer verfolgte er die Bücherauctionen in Halle oder Leipzig mit dem Katalog in der Hand, indem er sie sich dramatisch ausmalte, und im Stillen mitbot. „Jeder Mensch“, sagte er, „hat seine Narrheit und seinen Wahnsinn; ich bin ein unverbesserlicher Büchernarr.“ Zu seinem Vergnügen gehörte es auch, die Bücher stets nach neuen Gesichtspunkten zu ordnen oder durch seinen Diener ordnen zu lassen. Mehr als einmal drohte ihn die Masse derselben aus der Wohnung zu verdrängen. Im Jahre 1849 ward er ihrer plötzlich überdrüssig. Was er Jahre lang umsichtig und sorgfältig gesammelt hatte, ward ihm zu einer Last, von der er je eher je lieber befreit zu sein wünschte. Ein namhafter Antiquar kaufte die Bibliothek und brachte sie zur Versteigerung. Mit Recht fürchteten seine Freunde, er werde den Eindruck der kahlen Wände nicht ertragen, und seine geliebten Bücher schmerzlich vermissen. Kaum war er die erste Bibliothek los geworden, so begann er eine zweite zu sammeln, die in kurzer Zeit ebenfalls 11000 Bände betrug. Bei dieser Gelegenheit ward ihm ein neuer Beweis königlicher Huld zu Theil. Der König ließ eine bedeutende Anzahl der seltensten alten spanischen Drucke aus der ersten Bibliothek zurückkaufen, und überraschte ihn am nächsten Weihnachtsfeste mit diesem Geschenke. 4. Die letzten Tage. Seit der schweren Krankheit und lebensgefährlichen Operation, die er 1845 bestanden, hatte die körperliche Schwäche zugenommen. Spaziergänge in freier Luft hatte er schon früher selten gemacht, jetzt gab er sie ganz auf; nur an den heißesten Sommertagen pflegte er auszufahren. Im Jahre 1850 bezog er zum letzten Male seine Wohnung in Potsdam. Hier saß er fast den ganzen Tag auf dem geschützten Balkon in der Sonne. Dieser Luftgenuß gewährte ihm große Stärkung. Der Blick auf den grünen Park von Sanssouci war der letzte in jenes Naturreich, das ihn oft unwiderstehlich an sich gezogen hatte. Er, der einst die Nächte unter freiem Himmel, im Walde durchwachte, war des Waldesrauschens so entwöhnt, daß er freie Luft und Bewegung scherzweise ein Vorurtheil schalt, und über den leisesten Zugwind in heftigen Zorn ausbrach. Damit und seinen übrigen körperlichen Gebrechen hing es zusammen, daß er auf Reisen die Eisenbahnen soviel als möglich vermied. Der schneidende Luftzug, der Kohlenstaub, das Gerassel der Schienen, das Menschengewirr, die Eile, Alles war ihm unerträglich und übertäubte ihn nervös bis zur Krankheit. Ihn verdroß die fabrikmäßige Hast, mit der das Reisen betrieben wurde, der Untergang aller Reisepoesie, in der ihm das Leben stets am glänzendsten erschienen war. Darum blieb er bei dem alten Reisewagen, und der Eisenbahn zum Trotz fuhr er nach Potsdam nie anders als auf der einsamen Poststraße. Am 7. Januar 1851 las er in einer kleinen Gesellschaft Goethe’s Singspiel: „Scherz, List und Rache.“ Wie öfter in dieser Zeit wurde er von heftigem Husten unterbrochen, der sich krampfhaft steigerte. Verstimmt schlug er nach dem dritten Acte das Buch zu. Es war seine letzte Vorlesung. Zustände nervöser Abspannung, besonders nach lebhafter Unterhaltung, wurden jetzt häufiger. Zugleich war eine Verschleimung der Brust eingetreten, die den Athem versetzte. Im März verfiel er in eine langwierige Krankheit, welche ihn dem Tode nahe brachte. Die Lebensfunctionen schienen aufgehört zu haben. Einmal erwartete man mit Gewißheit vor Anbruch des Morgens seinen Tod. Aber es war die Krisis; auch jetzt noch rang sich die starke Lebenskraft durch. Man bewachte und pflegte ihn mit unermüdlicher Sorgfalt. Der König schickte einen seiner Leibärzte, den ~Dr.~ Grimm, durch den er sich über Tieck’s Befinden Bericht abstatten ließ. Sein unermüdlicher Hausarzt war der Regimentsarzt ~Dr.~ Hauck. Nach Monate langem Schwanken genas er so weit, als es noch möglich war. Zum Alter gesellte sich die Schwäche der Krankheit; sie war unüberwindlich. Er vermochte ohne Unterstützung nicht mehr zu gehen, und befand sich nur einen Theil des Tages außerhalb des Bettes. Immer später erhob er sich, immer früher verlangte er dahin zurück; zuletzt verließ er es nur in den Mittagsstunden, endlich gar nicht mehr. Sobald er es sich im Bette bequem gemacht hatte, ward er wieder gesprächig und heiter, und leuchtend blitzte die geistige Kraft auf. Es machte einen trüben Eindruck, den Mann auf den ärmlichsten Raum des Daseins beschränkt und in jeder freien Bewegung schmerzlich gehemmt zu sehen, dem einst das Leben nicht weit genug schien. Doch längst war er im Leiden geübt, und auch mit dieser Weise befreundete er sich. Von der letzten Höhe des Wegs schaute er aus einem andern Gesichtspunkte auf das Leben zurück, das in neuer Beleuchtung wie ein durchmessenes Land, von dem der Wanderer Abschied nimmt, hinter ihm lag. Noch einmal machte er seinen Umkreis durch. Zunächst in der Lectüre; Shakspeare und Ben Jonson, Calderon und Lope, Tasso und Goethe, alle Geister seiner Jugend rief er auf. Er sagte, er habe versuchen wollen, welchen Eindruck das Buch in seiner jetzigen Lage auf ihn machen werde. Auch die Bibel las er von Anfang an durch. Abwechselungen gewährten die neuesten Erscheinungen der Literatur, die er flüchtig durchlief, seine Bücherkataloge und die Zusendungen von Freunden. Auf einem kleinen Tische, neben dem alterthümlichen Himmelbette, an dessen unterm Ende ein Lehnstuhl für den Besuchenden stand, lagen die nächsten Bücher, sein unentbehrlicher Rothstift und das übrige gelehrte Handwerkszeug. Noch 1850 dictirte er eine freie Uebersetzung von Sheridan’s „Nebenbuhlern“. Dann begann er die Revision der Novellen für die neue Gesammtausgabe, deren erste Lieferungen er noch sah. Sein letzter literarischer Plan war, eine Auswahl seiner Briefe zu geben, die er zu diesem Zwecke nochmals durchging. Das Letzte, was er für den Druck schrieb im Spätherbst 1852, war das kurze Vorwort zu den Märchen von Wahl. Der herzliche Zuruf: „So fahre denn wohl, du liebes Büchelchen!“ war sein Abschiedswort für die Literatur. Seit er keine geselligen Kreise mehr bildete, ward die Zahl der Freunde, die sich an seinem Bette versammelten, immer geringer. Die Gegenwart von mehr als etwa Dreien konnte er ohnehin nicht ertragen. Dennoch blieb er mit der Außenwelt in Verbindung. Regelmäßig gegen Abend kam früher sein Bruder, der die letzten Stunden des Tages bei ihm zubrachte. Es war interessant zu hören, wie ihre Erinnerungen sie in Scherz und Ernst auf alte Zeiten zurückleiteten. Auch er war geistvoll, in den verschiedensten Zweigen des Wissens reich an Kenntnissen, sicher in seinem Urtheile, mit den ausgezeichnetsten Personen hatte er Umgang gehabt, seine Unterhaltung war beredt und anziehend. Man mußte es tief bedauern, daß Schwäche des Charakters und ungünstige Umstände ein so reiches Talent nicht hatten zur vollen Entwickelung kommen lassen. Nach schwerer Krankheit war er 1851 gestorben. Auch Tieck’s ältester und treuester Freund, F. von Raumer, besuchte ihn täglich. Oft kam er unmittelbar von parlamentarischen oder literarischen Kämpfen, und lebendig und frisch wußte er stets Neues zu berichten, wie es draußen in der Welt hergehe, und manches bewegte Gespräch zu veranlassen. In allen praktischen Dingen war er seit langer Zeit der vertrauteste Rathgeber. Aehnlich stand der Graf York-Wartenburg, ein Freund aus der dresdener Zeit, der in Leben und Dichtung an Allem, was Tieck betraf, den lebhaftesten Antheil nahm; so oft er in Berlin war, besuchte er ihn. Sein Neffe, G. Waagen, Director bei dem Museum, berichtete ihm von Kunstsachen; andere treue Freunde, der Hofrath Teichmann vom Theater, der Professor Werder von Philosophie und Literatur. Auch manche Jüngere fanden sich ein, und Alle brachten herbei, was sie vermochten. So ward er mit Allem, was den Tag beschäftigte, auch mit dessen Launen und Wunderlichkeiten bekannt, und selbst über das eben auftauchende Unwesen des Tischrückens und der Klopfgeister lächelte er noch sarkastisch. Gern und oft führte er aus, wie er immer reich an Freunden gewesen sei, und wie es zum Wesen der Freundschaft gehöre, mit einem jeden ein besonderes und eigenthümliches Leben zu führen; wie sich das auch auf Gleichgültigeres erstrecke, denn was er dem Einen leicht, fast unwillkürlich mittheile, komme ihm bei der Unterhaltung mit einem Andern nicht in den Sinn. Dann ließ er alle bei sich vorüberziehen, Wackenroder, Novalis, Fr. Schlegel, Solger, und wie er so lange sie alle überlebt habe. In diesem Sinne schrieb er schon 1832 an Raumer: „Ist es nicht die Seligkeit der Freundschaft, daß wir von jedem echten Freunde auf eine ganz eigene, andere Art geliebt werden, wie wir jedem denn auch mit einer eigenthümlichen Liebe entgegenkommen? -- -- Wie hätte z. B. A. W. Schlegel die Liebe brauchen können, mit welcher ich Novalis zugethan war? Wackenroder hätte mit meinen Solger’schen Geistesergüssen nichts anzufangen gewußt, und Solger hätte sich gewiß zurückgezogen, wäre ihm eine Freundschaft wie zu Wackenroder in mir entgegengetreten. -- Je mehr wahre Freunde der Mensch hat, je reicher gestaltet und entwickelt er sich selbst. Nur der selbst reiche Mensch kann auch viele reichbegabte Freunde haben.“ Die angenehmste Unterhaltung, vielleicht der letzte Genuß, der ihm geblieben, waren im vertrauten Gespräche seine Erinnerungen. Das ganze Leben rollte sich vor dem Blicke auf, und in der Erzählung jugendlicher Kämpfe und Abenteuer, von seinem ersten Dichten und Ahnen ward er wieder jung. Jene ältern Männer, die er damals gesehen und gekannt hatte, standen in seiner Phantasie als Greise da; er war der Jüngling, er war kühn, unternehmend und hoffnungsvoll. Die Zeiten verschwanden in dieser Entzückung, seine Umgebung vergaß er, und übertrug die Bezeichnung „der alte Herr“ auf lebende Personen, welche jünger waren als er. Neben den Freuden der Jugend durchlebte er auch alle Schmerzen und Verluste, die er erlitten, jeden Kummer, den er an und mit Freunden und Verwandten erfahren hatte, und alte Wunden brachen auf. Dann vergrub er sich in verzehrenden Gram und Schwermuth. Indem er der Geschlechter gedachte, welche an ihm vorübergegangen waren, sagte er: „Ich fühle, was die Schrift sagen will, wenn sie die Patriarchen alt und lebenssatt nennt. Man hat endlich auch des Lebens genug. Welche Augenblicke kommen nicht in einsamen und schlaflosen Nächten, wo alle Erfahrungen und Verluste an uns vorübergehen! Ich habe meine nächsten Angehörigen und Freunde verloren. Alles, was ich mit ihnen erlebt habe, wie ihr Verlust, ist mir wie gestern. Man kann wol zu Zeiten heiter sein, aber dergleichen verschmerzt sich nicht.“ Diese gramvollen Erinnerungen, die ihn Tage und Nächte lang beschäftigten, führten ihn wieder auf wohlbekannte allgemeine Betrachtungen. Wie räthselhaft waren nicht Talent, Glück und Unglück im Leben vertheilt! Was wollte das Uebel, das Böse in der Welt, was war Gottes Rathschluß mit ihr? Es waren dieselben Fragen, vor denen er als Jüngling gestanden hatte. Doch zwischen jetzt und damals lag ein langes Leben, sein Ergebniß war eine fromme und demüthige Weisheit. Stets schloß er mit dem Gedanken hingebender Resignation ab. Wohin immer Zweifel und Forschung führen, was er auch erlebt habe, oder die Zukunft ihm bringen möge, er stehe in der Macht und Hand Gottes, was sein unendlicher Rathschluß ihm zutheile, sei das Beste. Seit er diese Hingebung an einen heiligen Willen gewonnen, könne er die ruhige und versöhnte Stimmung nie ganz verlieren, auch wenn sie von Zweifeln angefochten werde, sie sei der Anfang der wahren Weisheit. In diesem Glauben söhnte er sich mit allen Schmerzen aus, die ihm so reichlich zu Theil geworden waren. Es war dieselbe Ansicht, die er 1832 in einem Briefe an Raumer aussprach: „Und warum sollen wir denn unsere Schmerzen nicht ausdulden, sind sie nicht unser kostbarstes Gut? Ohne die echten wäre ja unser Leben nur ein Spiel und die Freude nüchtern.“ Blickte er auf die hellen Seiten des Lebens, auf das, was ihm vor vielen Andern geworden war, wog er Schmerz und Freude, Verlust und Besitz gegeneinander ab, so schloß die Rechnung mit tiefster Demuth und der frommsten Dankbarkeit gegen Gott. Was hatte er gethan, um diese reichen Talente, diese Entzückungen zu verdienen? Warum war es gerade ihm gegeben? „Alles ist Wohlthat und unverdiente Gnade“, sagte er. Diese Frömmigkeit war stets eine Grundstimmung seines Herzens, aber niemals hatte er sie auf der Zunge getragen, sondern als sein Heiligstes, was er nur den vertrautesten Freunden zeigte, in sich verschlossen. Nach der Feier seines sechzigsten Geburtstags schrieb er an Raumer: „Wesentlich ist mein Leben ein glückliches gewesen. Diese tödtlichen Krankheiten habe ich überstanden, und bin gesunder und kräftiger als Viele meines Alters. Mir ward es vergönnt, das Schöne und Große zu sehen und zu erkennen. Der Enthusiasmus, der mich auf meine Bahn getrieben hat, war kein vorübergehender Jugendrausch, die Vorzeit ist mir verständlich geworden, die Natur mir befreundet, und viele große Geister der Weltgeschichte und Kunst sind mir kein stummes Räthsel. Meine Arbeiten haben auf meine Zeit und edle Gemüther eingewirkt.“ Im Jahre 1831 schrieb er an denselben Freund: „So viele Menschen wissen ihres Jammers und der Anklage kein Ende, und ich weiß in Dankbarkeit gegen Gott keine Ausdrücke zu finden, über so unermeßliches Glück, dessen er mich gewürdigt hat; -- daß weder Andacht, noch Idee, noch Kunstverständniß, ohne Gnade, ohne jene unmittelbare Vereinigung mit dem Göttlichen, zu dem mein Ich nichts thun kann, in mir aufgeht, und daß ich doch täglich so in verschiedener Gestaltung, die Ewigkeit in dem Unnennbaren in meinem Innern fühle. Wodurch habe ich es verdient, daß die Gnade mich so vor Tausenden, vor Millionen ausgewählt hat? Dies Geheimniß bleibt unerforschlich. Der also, der so viel für mich unwidersprechlich gethan hat, wird mich nicht fallen lassen, wenn ich seine Gnade nicht sündlich misbrauche. Das Innerste, der Geist dessen, was ich gedacht, gearbeitet, geschaut, jede Begeisterung und Entzückung folgt mir nach, oder vielmehr, ich finde sie da wieder, von wo sie mir auf Augenblicke in meine Seele herabstieg.“ Wenn er in den letzten Tagen in einem ähnlichen erhabenen Tone sprach, schien eine höhere Weihe und Entzückung auf ihm zu ruhen; er hatte mit der Erde abgeschlossen. Diese tiefe Ruhe theilte sich allmächtig mit, und wer an seinem Bette saß, fühlte sich auf einer geistigen Höhe, zu der das verworrene Geschrei des gewöhnlichen Lebens nicht mehr hinaufreichte. In solchen Gesprächen kam er häufig auf die Lehren des Christenthums. Er beugte sich vor ihrer Heiligkeit und Einfachheit, ihrem Tiefsinn und ihrer reinigenden Kraft; sie waren ihm das Höchste, was die Welt gesehen. Wenn er am Gemeindeleben keinen Antheil nahm, so hatte das den nächsten Grund in seiner Kränklichkeit. Die dröhnenden Töne der Orgel übten einen Druck auf die Nerven aus, dem er nicht widerstehen konnte. Auch manche Predigt fand er trivial und gewöhnlich. Sein Standpunkt konnte kein anderer sein, als der evangelischer Freiheit, darum erhob er sich über den confessionellen Kampf. Allein aus einer echt protestantischen Ueberzeugung ging früher seine Anerkennung des Katholicismus hervor, welche ihm so oft die Anklage, daß er ein heimlicher Katholik sei, zugezogen hatte. Nichts war unwahrer. Geistige Freiheit und Selbstbestimmung vertheidigte er zu allen Zeiten, und vor allem im Heiligthum religiöser Ueberzeugung und des Glaubens. Die Herrschaft und amtliche Bevormundung durch Priester, die Verketzerung und Verfolgungssucht war ihm als beschränkt und unchristlich in allen Gestalten zuwider. Das Höchste sah er in der christlichen Milde und Duldung, welche allein den Zwiespalt des Lebens thatsächlich auszugleichen vermag. Im März 1853 besuchte ihn der Prediger Sydow, den er von Potsdam her kannte. Tieck hatte manche persönliche Berührung mit ihm gehabt, und ihm bei seiner Reise nach England Empfehlungen an einige Würdenträger der dortigen Kirche mitgegeben. Die theologische Richtung desselben war ihm bekannt; er wußte, daß er der Schule Schleiermacher’s angehöre. Das Gespräch, welches jetzt geführt wurde, faßte er im Hinblick auf sein vielleicht nahe bevorstehendes Ende auf. „Ich wünsche“, sagte er, „daß Sie an meinem Grabe sprechen, und nicht etwa einer von den Zeloten.“ Nachdem ihm die Zusicherung des letzten Dienstes geworden, sprach er bald darauf denselben Wunsch gegen Raumer aus, den er als nächsten Freund verpflichtete, für die Vollziehung seines Willens Sorge zu tragen. Das letzte Wort, das über ihn als Mensch gesagt wurde, sollte ein Wort der Versöhnung sein. Immer näher rückte der Augenblick des Scheidens, auf den er sich innerlich seit Jahren vorbereitet hatte. War doch sein Leben seit lange nur ein Abschied vom Leben gewesen! Oft wenn er den Freunden die Hand drückte, war es ihm, als sei es zum letzten Male geschehen. Und jetzt schlug die Stunde. In den Wintermonaten hatten die körperlichen Kräfte abgenommen. Die gewohnten Nahrungs- und Stärkungsmittel widerstanden ihm, oder versagten ihre Dienste. Der Austern und Spargel, die er leidenschaftlich gern gegessen hatte, ward er überdrüssig; der leichte Frankenwein, den er zu trinken pflegte, erhitzte und machte ihm Beschwerde. Seit der letzten Krankheit war das, was er zu sich nahm, auf das geringste Maß herabgesunken, und die Appetitlosigkeit stieg bis zum Widerwillen gegen das Essen überhaupt. Da häufig dabei ein Verschlucken, dann lang anhaltender und heftiger Krampfhusten eintrat, war es ihm zur Pein und ein Gegenstand ängstlicher Besorgniß geworden. Den Mangel der Nahrungsmittel ersetzte noch ein gesunder und regelmäßiger Schlaf; nach einer ruhigen Nacht fühlte er sich immer zu heiterm Gespräch aufgelegt. Es war in der Osterwoche, als sich ähnliche Anzeichen, wie sie der letzten schweren Krankheit vorangegangen waren, einstellten; Beklemmungen, starke Schleimansammlung auf der Brust, Luftlosigkeit, Beschwerde beim Sprechen und steigende Schwäche. Aber das Leben siegte noch für einen Augenblick. Am 29. März dictirte er einen Brief, in dem er die Hoffnung auf literarische Arbeiten aussprach. „Diese Krankheitsstimmung wird vorübergehen“, sagte er darin. Schon am folgenden Tage kehrte sie mit verdoppelter Gewalt zurück. Die krankhaften Beklemmungen stiegen bis zur Gefahr des Erstickens, die Schwäche ging in Ohnmacht über, eine tödtliche Erstarrung trat ein. Als der herbeieilende Arzt einen Aderlaß verordnete, floß das Blut erst nach wiederholten Versuchen an beiden Armen. Mehrere Stunden währte die Todesgefahr. Endlich trat eine Gegenwirkung ein; die sinkenden Kräfte sammelten sich, aber die Hoffnung, das fliehende Leben festzuhalten, war gering. Noch kämpfte der Frühling mit einem rauhen Nachwinter. Man tröstete sich, die warme Sonne werde ihn befreien von dem Drucke, der auf ihm lastete. Das Bedürfniß geistiger Mittheilung erwachte wieder, und er setzte es durch, daß seinen Freunden der Zutritt verstattet wurde. Er hatte sich in diesen Tagen sehr verändert. Die Athemzüge gingen in einen bald röchelnden, bald pfeifenden Ton über, die sonst so klangvolle Stimme war rauh und heiser, das Gesicht kleiner geworden, ein wehmüthig schmerzlicher Zug um den Mund gab ihm einen fremden Ausdruck. Er versuchte die Unterhaltung in gewohnter Weise zu beginnen; es ging nicht mehr. Nach wenigen Minuten mußte er, was er sonst nie that, das Zeichen zum Aufbruch geben. Er sprach über seinen Zustand, und klagte über schweren und doch häufig unterbrochenen Schlaf. In den Stunden unruhigen Wachens hatte er zu den Büchern gegriffen, die ihn zuletzt beschäftigten. Geistig war er klar wie nur sonst, und gern kehrte er zu frühern Gedanken zurück. Von Lessing sagte er: „Welch’ eine Natur! Nie hat einer die Skeptik edler und würdiger verkündet, und doch die Fundamente nicht berührt!“ Seinen oft wiederholten, aus tiefem Herzen kommenden Abschiedsworten: „Leben Sie wohl, leben Sie recht wohl!“ fühlte man die Todesschauer an. In einigen Unterredungen mit Raumer machte er die letzten irdischen Dinge ab. Seinen Diener hatte er schon früher der Gnade des Königs empfohlen. Am 25. April Vormittags forderte er heftig zu essen, es war ein letztes Aufflammen der Natur. Dann befahl er die Fenstervorhänge zu schließen, weil er schlafen wolle. Am Abend desselben Tages traf seine Tochter aus Schlesien ein, der man von seinem Zustande Nachricht gegeben hatte. In der folgenden Nacht traten Augenblicke der Betäubung ein, die zwar den angewandten Mitteln wich, aber eine noch schlimmere Wendung der Krankheit fürchten ließ. Am 27. April Nachmittags hatte er eine letzte Unterredung mit seiner Tochter. Er hatte mit der Erde abgeschlossen. Seit dem Eintritt der Nacht sprach er nicht mehr. Die gereichten Medicamente vermochte er nicht mehr zu nehmen; er verfiel in einen dumpfen, betäubenden Schlaf. Gegen Morgen ward der Athem leiser; es war der Todesschlummer. Ein Viertel nach sechs Uhr am 28. April that er den letzten Athemzug. Sein Schmerzenslager war zur stillen Friedensstätte geworden. Das tiefe Auge, die beredte Lippe hatte sich geschlossen, aber auf dem Gesichte ruhte eine sanfte Verklärung. Es waren wieder die wohlbekannten Züge, mild und groß, die reine hohe Stirn. Es war das edelste Haupt! So war denn der Traum des Lebens ausgeträumt, der dunkle Vorhang gehoben, vor dem er so oft zweifelnd und bangend, hoffend und glaubend gestanden hatte! Das Räthsel war gelöst. Was den Dichter in heiliger Begeisterung durchzuckte, der Glanz, der in einzelnen Strahlen sein geblendetes Auge getroffen hatte, war ihm ein Unvergängliches geworden, das Geheimniß offenbart, die Schauer und Ahnungen Gottes erfüllt. „Tieck ist gestorben!“ so ging in den nächsten Tagen die Kunde von den Freunden in die weitern Kreise über; sie durchlief die öffentlichen Blätter in Berlin, in allen Gegenden Deutschlands. Lange hatten sie von dem greisen Dichter geschwiegen; sein Tod gab Veranlassung, noch einmal das Wort über ihn zu erheben, der Vergangenheit gehörte er jetzt an. Es war ein Ereigniß in der literarischen Welt, dessen abschließende Bedeutung unverkennbar war. Aus dem Geräusch handwerksmäßiger Tagesarbeit, der Erbitterung religiöser Streitfragen und politischer Kämpfe, und der Besorgniß allgemeiner Krisen wandte sich die Aufmerksamkeit für einen Augenblick zu dem Manne zurück, der in dem Garten der Poesie gelebt hatte. Das Haupt und der Fürst der Romantik, der letzte Dichter aus einer großen Zeit war gestorben! Bei den Aeltern stiegen die vergessenen Erinnerungen einer begeisterten Jugend auf, wo auch sie diesen nun verklungenen Zaubertönen gelauscht hatten! Am 1. Mai wurde er bestattet. An der Stelle, wo er so oft vor seinem Lesepulte eine lebensvolle Welt geschaffen hatte, stand der einfache Sarg, der die irdischen Reste einschloß. Das grüne, unverwelkliche Lorberreis lag darauf. Er hatte es wohl verdient! Kein prunkendes Leichengefolge hatte sich eingefunden; es handelte sich um keine Kundgebung, keine Parteiansicht. Die Anwesenden hatte Liebe, Freundschaft und Verehrung, oder die Anerkennung des großen Mannes herbeigeführt. In ihrer Mitte stand ein Altersgenosse des Dichters, A. von Humboldt, wie er Zeuge und Mitstreiter im Wettkampfe der größten Geister. Die Vertreter der Wissenschaft und der Künste, der Akademien, der Universität und Gymnasien, des Theaters und der Literatur, und zahlreiche Freunde und Verehrer schlossen den Kreis, in dem sich mancher berühmte Name fand. Der Domchor stimmte den Choral an: „Wenn ich einmal muß scheiden“; der Prediger Sydow sprach in ergreifenden Worten den letzten Scheidegruß, wie sie nur aus dem Verständniß des Geistes und wahrer Verehrung hervorgehen können. Er stellte ihn dar als einen der Hochbegabten und Hervorragenden, die berufen sind, die großen Schlachten des Geistes zu schlagen. Und der Chor sang: „Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit!“ und „Christus ist die Auferstehung und das Leben!“ In langem Zuge bewegte sich das Trauergefolge durch die versammelte Menschenmenge, die Friedrichstraße hinab, dem Halleschen Thore zu. Der Wagen des Königs folgte dem Sarge unmittelbar. Auf dem Friedhofe der Dreifaltigkeitskirche, neben dem Grabe Schleiermacher’s, nicht fern von seinem Freunde Steffens, war auch für Tieck die letzte Ruhestatt bereitet. Nach langen winterlichen Stürmen schien die Sonne zum ersten Male hell und warm. Sie brachte den Frühling, den klaren Himmel, und ihm die Ruhe. Als der Sarg eingesenkt wurde, und die Erdschollen auf die reichen Blumenkränze niederfielen, stieg oben im blauen Raume die Lerche auf; als die Trauernden den Kirchhof verließen, schlug die Nachtigall im jungen Grün. Die Natur blieb ihrem Dichter treu. Der Frühling hatte ihn an der Schwelle des Lebens empfangen, er gab ihm am Ausgange das letzte Geleit. Am 31. Mai 1773 war er geboren, achtzig Jahre später, am 1. Mai 1853, wurde er bestattet. Da ruht er draußen auf der Anhöhe vor den Thoren seiner Vaterstadt, die ihn nun nicht wieder verlieren wird. Ueber dem Grabhügel rauscht traulich der Fliederbusch und die Pappel, und über Gebüsch und Felder blickst du hinab zur Stadt, die mit ihren Häusern, Straßen und Thürmen sich ausbreitet unten zu seinen Füßen. Da braust der wogende Strom des Lebens fort, auf dem auch er kämpfte, bis er sanft zum Hafen geleitet wurde. Sein Leben war ein volles menschliches, wie es nur Wenigen vergönnt ist. Gefühl, Phantasie und Dichterkraft trugen ihn empor, Kunst und Wissenschaft nannte er sein, und das Feuer höchster Begeisterung durchglühte ihn. Aber auch Leiden, Schmerz und die Angst der Verzweiflung, die nach dem Göttlichen sucht, waren ihm in hohem Maße zu Theil geworden. War er an Liebe und Freundschaft reich, so ist ihm auch Neid und Misgunst nicht erspart worden. Engherzigkeit und böser Wille haben ihn oft geschmäht, sie riefen ihm zu, daß er schon vergessen sei. Er ist nicht vergessen! Nur was irdisch an ihm war, deckt der Grabeshügel. Er lebt und wird leben im Garten der Poesie mit jenen großen Geistern, die seine entzückte Rede so oft gefeiert hat! Er lebt und wird leben, solange das Gedächtniß deutscher Dichtung lebt! In den prophetischen und tiefsinnigen Worten seines sterbenden Dichters hat er auch auf sein Denkmal die Inschrift gesetzt: „Das ist eben das Uebermenschliche in den Schicksalen großer Helden und Volkslehrer und Wohlthäter der Menschen, daß man sie vergißt, wol verkennt; und die tiefe Rührung unsers Herzens, das schönste Gefühl unserer Anbetung aus der Ferne nach tausend Jahren noch, diese Huldigung der Urenkel und spätesten Nachkommen, die jedes Gemüth, welches der Erkenntniß des Großen und Schönen fähig ist, opfert; dieses, was nicht Gold, noch Ehre, noch Lob ist, diese stumme Bewunderung, in der die reinste Verehrung und ein heiliges Mitleid sich wundersam vermischen, ist jener Helden schönster Lohn. So sind sie nicht vergessen, nicht verarmt, vertrieben, gestorben; die Geisterwelt ist ihre Heimat, der Palast, den sie bewohnen. Und jede gute That, jede schöne Regung, der Glaube an den Adel der Menschennatur wächst und blüht in diesem geweihten Boden!“ 5. Tieck’s Werke. Des Dichters Werke sind sein Leben. Jede seiner Schöpfungen ist eine That seines Geistes, in der er die höchsten Kräfte sammelte, ein Zeichen, an dem die Abschnitte des Weges gemessen werden, den er zurücklegte. Seine Werke sind das Erbe, welches er der Nachwelt hinterläßt; wer sie kennt, kennt den Dichter. Aber weil sein Leben in seinen Werken liegt, darum muß man jenes kennen, um diese zu verstehen. Nur aus der Erkenntniß des Wechselverhältnisses zwischen Leben und Dichtung, zwischen Mensch und Dichter ergibt sich ein klarer Einblick in sein Wesen, eine gerechte Würdigung seiner Stellung. Alles Sammeln zur Lebensgeschichte der Dichter, alles Erklären ihrer Werke beruht darauf. Auch die Erinnerungen aus Tieck’s Leben sind eine historische Erläuterung seiner Werke; sie weisen deren Entstehung als Thaten seines Geistes nach. Von einem andern Standpunkte aus über sie zu sprechen, ist nicht die Absicht, obgleich es nicht an Stoff gebräche, schon darum nicht, weil so Vieles über sie gesprochen worden ist. Doch soll zum Schlusse noch einmal davon die Rede sein, wie er sich menschlich und schriftstellerisch im Einzelnen zu ihnen verhielt. „Man muß es erlebt haben!“ war sein Losungswort. Er hatte erlebt, was er dichtete. Seine Dichtungen waren der reine Ausdruck seines innern Lebens; sie waren etwas durchaus Persönliches, ein Theil seines Wesens. Darin liegt ihre Bedeutung, die Tiefe ihrer Gedanken, die Kraft, die Lebendigkeit, die Anschaulichkeit der Darstellung. Aber auch Vieles von dem, was er äußerlich erlebte und erfuhr, hat er darin niedergelegt. Für die Novellen hat man das immer anerkannt, nur aus der Fülle der Erfahrungen und Beobachtungen konnten sie hervorgehen. Wenn es sich bei ihm mehr als bei tausend Andern bestätigt, daß es darauf ankomme, wie man die Dinge erlebe, so war er doch in dem, was er erlebte, nicht minder bevorzugt. Freilich waren Leiden kein geringer Theil davon. Wer sein Leben kannte, wußte, daß auch in den frühern Dichtungen Vieles der Art zerstreut sei. Mit historischer Treue hat er es in der Regel gegeben, höchstens, daß er etwa einen Namen verschwieg, oder einen erfundenen an dessen Stelle setzte. Er hatte keine Veranlassung, zu ändern und umzugestalten. Die historische Wahrheit des Thatsächlichen verband sich ungesucht mit der dichterischen Wahrheit. Das ist kein geringes Zeugniß für seine Dichtungen überhaupt. In solchen vereinzelten Darstellungen aus seinem Leben hat er Bruchstücke der Denkwürdigkeiten gegeben, die er nicht geschrieben hat. Aber man könnte sie daraus herstellen. Gesammelt ergeben diese zerstreuten Züge sein Lebensbild, nicht wie er es im Ganzen entworfen hat, aber wie es ihm aus dem Standpunkte des Augenblicks, von einer Seite her betrachtet erschien. Die folgenden Nachweisungen machen den Versuch, eine solche Zusammenstellung einzelner Lebensmomente nach ihrer Zeitfolge zu geben. Erinnerungen aus der Kindheit und dem Knabenleben finden sich in dem „Jungen Tischlermeister“; seines Vaters Erzählungen von dem Magister Kindleben sind bei der Schilderung des alten Magisters benutzt. Die jugendliche Begeisterung des Tischlers für den „Götz“ ist seine eigene. Züge aus dem Jugendleben enthalten ferner: „Der Weihnachtsabend“ die Schilderung des berliner Weihnachtsmarkts; die Gespräche im „Phantasus“ die Geschichte des magischen Theaterbillets; „Musikalische Leiden und Freuden“ seine jugendlichen Versuche in der Musik; „Der junge Tischlermeister“ seine Schülerfahrten nach Jessen und Wittenberg; die Geschichte „Peter Leberecht’s“ eine Charakteristik seines Jugendfreundes Piesker unter dem Namen Liesker; die Novelle „Das Zauberschloß“ die Schilderung eines andern Schulgenossen Namens Schwieger. Den Mann mit dem rothen Rocke, der die fixe Idee hat, die Pygmäen mit seiner Peitsche verfolgen zu müssen, der in den „Reisenden“ erscheint, hatte er als Schüler auf einer Hochzeit in einem berliner Bürgerhause gesehen. Die Erinnerungen an Franken und seine Irrfahrten im Fichtelgebirge mit Wackenroder hat er im „Jungen Tischler“ niedergelegt; der Mondsüchtige, der jene mondbeglänzte Zaubernacht im Fichtelgebirge schildert, ist er. Die Eindrücke, welche er in Nürnberg empfing, liegen dem „Sternbald“ zu Grunde; sein Abenteuer im Lager der Reichstruppen bei Fürth erzählt er in den Gesprächen im „Phantasus“. Die muthwillige Täuschung Wackenroder’s, daß der Hund lesen gelernt habe, läßt er dem alten Labitte im „Hexensabbath“ widerfahren. Die Nachtscene, die er in Göttingen beim Lesen des „Macbeth“ erlebte, schildert er im „Lovell“; von seinen Studien des Spanischen in dieser Zeit spricht er im „Zauberschloß“. Die Abenteuer mit jener Ophelia und dem Irrsinnigen, der sich für einen Sohn Friedrich’s des Großen hielt, erzählt er in den „Reisenden“ und im „Jungen Tischler“; die Geschichte mit dem Bergmann im „Alten vom Berge“, der nie ein Kornfeld gesehen hatte, erlebte er in Andreasberg am Harz. Einzelne Erlebnisse aus der spätern Zeit bis zur Uebersiedelung nach Dresden gibt er an folgenden Stellen: In den „Abendgesprächen“ die Vision von 1798, als er seiner Braut bis Tegel entgegenging; in der „Gelehrten Gesellschaft“ eine Schilderung seines literarischen Lebens mit Wackenroder, Bernhardi und Andern; in der Novelle „Waldeinsamkeit“ spricht er von der Entstehung des „Blonden Ekbert“; ebenda finden sich Erinnerungen an Jena. Die satirisch-phantastischen Lustspiele schildern sein Verhältniß zur damaligen literarischen Welt; seine Liebhaberei für Bleisoldaten übertrug er auf den alten König im „Zerbino“; in den „Briefen über Shakspeare“ und den Gesprächen im „Phantasus“ berichtet er von seiner Theaterleidenschaft. Von dem Eindrucke, den Jakob Böhme’s Schriften auf ihn machten, erzählt er in der Person des Pfarrers Watelet in den „Cevennen“, dessen religiöse Ansichten die seinen sind. Seine Reise durch Deutschland im Jahre 1803 mit Burgsdorff, seine damaligen Verhältnisse und Stimmungen stellt er in der „Sommerreise“ dar und im „Jungen Tischler“; das musikalische Leben in der Familie des Grafen Finkenstein in den „Musikalischen Leiden und Freuden“. Reichardt’s Buch „Napoleon Bonaparte und das französische Volk unter seinem Consulate“ gab Veranlassung zu der Novelle „Der Geheimnißvolle“. Ein dichterisches Tagebuch seiner italienischen Reise enthalten die „Reisegedichte eines Kranken“; den Eindruck der Musik in der päpstlichen Kapelle gibt er in den „Musikalischen Leiden und Freuden“, Erinnerungen an das deutsche Liebhabertheater in Rom im „Jungen Tischler“, an seinen Aufenthalt in Florenz im „Pokal“. Krankheit und Leben in München wird geschildert in den Gesprächen im „Phantasus“ und im „Liebeszauber“. Die Scenerie für die Gesellschaft im „Phantasus“ ist aus dem Leben in Ziebingen entnommen; der blödsinnige Theophilus ist eine Gestalt, der er dort begegnete. Der Held der „Zopfnovelle“, der sich für einen Ziethen’schen Husaren hält, ohne jemals Soldat gewesen zu sein, ist eine historische Person. Er war Verwalter in Ziebingen, und wirklich stellte man zu seiner Beruhigung Nachforschungen in Berlin an, in Folge deren seine wunderliche Selbsttäuschung entdeckt wurde. Anekdoten aus dem Leben Fichte’s und Oehlenschläger’s, deren Zeuge er selbst war, gibt er in den „Uebereilungen“, seine Erfahrungen vom Somnambulismus erzählt er in den „Wundersüchtigen“. Endlich haben die dresdener Verhältnisse den Stoff für die „Vogelscheuche“ geliefert, in der mehrere literarische Persönlichkeiten jener Zeit auftreten; ebendaher ist die Dichterin im „Zauberschloß“. Von seinen Besuchen in Sesenheim, Stratford und bei Ulrich Hegner erzählt er im „Mondsüchtigen“. „Dichterleben“ und der „Tod des Dichters“ enthalten eine Reihe von Selbstbekenntnissen und Schilderungen im Munde Shakspeare’s und Camoens’. Die Ansichten über die altenglische Bühne entwickelt er als Professor im „Jungen Tischler“, den er auch sonst mit manchen seiner Eigenthümlichkeiten ausgestattet hat. Seinen prosaischen Jugendfreund Piesker, wie er ihn später in Dresden wiedersah, schildert er als Beskow in der „Reise ins Blaue“; seine Stellung zum Jungen Deutschland bespricht er ebenda, und im „Wassermensch“, „Eigensinn und Laune“, „Vogelscheuche“ und „Liebeswerben“. Den Stoff zu Novellen gaben auch Anekdoten, welche Freunde ihm erzählt hatten, so zum „Wassermensch“, „Eigensinn und Laune“, „Die Klausenburg“, „Der Weihnachtsabend“; die Veranlassung zum „Funfzehnten November“ ein Kupferstich in einem holländischen Buche, der eine Ueberschwemmung darstellte. Ueberall, was man auch berühren möge, treten eigene Erlebnisse und Erfahrungen entgegen. Der Stoff aus dem Leben drängte sich ihm von allen Seiten herzu, niemals war er darum verlegen, eher war es ihm zu viel, was er Alles noch aussprechen und darstellen wollte. War er im Zuge der Arbeit, so reichten Zeit und Kraft kaum hin. Er arbeitete unendlich rasch und leicht, namentlich in seiner Jugend, wo er oft mit kühner Sorglosigkeit die Dinge unter der Feder entstehen ließ. Alles Verbessern, Feilen und Putzen im Einzelnen war ihm verdrießlich. Selten corrigirte er, noch seltener entwarf er Concepte. Alles, was er schrieb, war aus einem Gusse; wie er es vorher innerlich bei sich festgestellt hatte, so sprach er es aus. Diesen Charakter des Flüssigen und Fertigen tragen auch seine Manuscripte. Zu dem, was einmal fertig war, kehrte er ungern zurück. Man kann darum nicht sagen, daß er übereilt gearbeitet habe; die Vorbereitungen währten vielmehr oft sehr lange. Er kannte keine abgemessene Methode des Arbeitens; thatsächlich aber lag sie in einem steten Wechsel von träumerischem Nachdenken und Versinken und dem angestrengtesten mechanischen Schreiben. Hatte er sich unter vielen Plänen und Gestalten, die ihm vorschwebten, endlich für einen entschieden, so fing er an den Stoff innerlich zu durcharbeiten und zu bilden, indem er scheinbar müßig und versunken seine Umgebung völlig vergaß. In solchen Zeiten ward Alles lebendig vor seiner Seele bis in das Einzelne hinein; er machte es, wie er zu sagen pflegte, im Kopfe fertig. Endlich kamen die Massen in Fluß, der Durchbruch trat ein. Hier entschieden nicht selten äußere Veranlassungen, eine bevorstehende Reise, das Drängen der Buchhändler, die sich um seine Novellen für ihre Taschenbücher bewarben. Nun begann er zu schreiben, ohne einen Freund zu sehen und zu sprechen, ohne sich vom Stuhle zu erheben; kaum daß er sich Zeit zum Essen ließ. So schrieb er in wenigen Tagen Novellen von vielen Bogen nieder. Mit unglaublicher Eile flog die Feder über das Papier hin. Bei dieser zuströmenden Fülle konnte er sich nie zum dictiren bequemen; bei der Ungeduld, mit welcher er schrieb, war ihm der Umweg durch die Feder eines Dritten viel zu lang. Nur wenn er selbst dazu griff, fand er das rechte Wort. Die Stenographie, welche ihm in Berlin empfohlen wurde, wies er mistrauisch ab, und erst in den letzten Jahren, als er an das Bett gefesselt war, entschloß er sich zu dictiren, doch beschränkte er sich meist nur auf Briefe. Tieck’s Methode zu arbeiten hing mit seinem Wesen genau zusammen, nur eine bedeutende Kraft konnte so arbeiten; doch fühlte er die Nachtheile, welche damit verbunden waren, sehr wohl. Wie er sich des Aufschiebens anklagte, so in vertrauten Briefen, auch seiner Art zu arbeiten; er könne seinen Stimmungen nicht gebieten, er versinke in Träumerei und arbeite dann wieder zu viel und zu rasch; nur Weniges von dem sei geschehen, was seine jugendliche Phantasie ihm als möglich gezeigt habe, das Beste sei unterblieben aus Uebermuth im Projectiren; der Mensch sei unersättlich in Plänen. Es fehlte an einem gewissen Gleichgewichte zwischen Ausführung und Entwurf; das Durcharbeiten desselben in der Phantasie verzehrte einen Theil der Kraft, und begünstigte am liebsten immer die neuesten Pläne und Stoffe. In gelegentlichen mündlichen und schriftlichen Aeußerungen, in Briefen oder auch öffentlich, entwickelte er daher einen unendlichen Reichthum von Plänen. In solchen Andeutungen nahm er dann die Freude, welche er sich von ihrer Ausführung versprach, vorweg. Was er wollte stand klar und fest ausgeprägt vor seiner Seele, er sah das noch nicht Gewordene, und die Lebhaftigkeit der Phantasie ließ ihn die Linie übersehen, welche Gedanken und Ausführung trennte. Von den Ausführungen solcher Entwürfe ist wenig vorhanden, denn nur in seltenen Fällen kam er bis zum Anfange derselben. Ein Plan, der neben dem Sternbald entstand, war, in einem Romane „Alma“, den er ein Buch der Liebe nannte, ein Gegenstück zu jenem zu geben. Seit 1797 trug er sich mit diesem Gedanken, seine theilweise Ausführung ist jedoch später und fällt in die Jahre 1803-6. Er klagte oft, daß diese Papiere verloren gegangen seien. Erhalten sind die unter dem Namen „Alma“ in die Gedichtsammlung aufgenommenen Sonette und Liebesgedichte. Die religiösen Fragen wollte er 1802 in einem andern Roman erörtern, dessen Skizze er in der Novelle „Die Sommerreise“ aufbewahrt hat. Lyrische Abschnitte aus einer dramatischen Bearbeitung der „Magelone“ finden sich unter seinen Gedichten. Einen Faust begann er in der ziebinger Periode zu dichten, der sich ebenfalls nicht erhalten hat. Einige andere Bruchstücke gibt der literarische Nachlaß. Doch sind davon nur der „Anti-Faust“, die dramatisirte „Melusine“ und ein Ansatz zu einer „Märchennovelle“ aus der spätesten Zeit erwähnenswerth. Wirklich angefangene und nicht vollendete Dichtungen hat er daher sicher nicht mehr hinterlassen als andere unserer Dichter, als Lessing, Schiller, Goethe. Dennoch hat eine scharfe Kritik gerade bei ihm einen bedeutenden Nachdruck darauf gelegt; sie hat seinen Genius nicht nach dem gemessen, was er wirklich gethan und vollendet hat, vielmehr nach dem, was er thun wollte, was er unvollendet zurückgelassen hat. Es gibt kein ungerechteres Verfahren, als einem großen Dichter danach seine Stelle in der Literatur anweisen zu wollen. Diese Kritik glaubt erwiesen zu haben, daß Tieck’s Dichtungen seinem eigenen Wesen nach nur Fragmente sein konnten. Werfen wir solchen Behauptungen gegenüber einen Blick auf das Thatsächliche. Tieck hat nach Ausweis des angehängten Verzeichnisses seiner Werke 23 vollendete dramatische Dichtungen hinterlassen, von denen fünf zuerst durch den Nachlaß bekannt geworden, und drei vollständig mitgetheilt worden sind. Zwei von jenen 23 Dramen bestehen jedes aus zwei fünfactigen Theilen nebst einem Vorspiel, „Octavian“ und „Fortunat“, eines, „Herr von Fuchs“, ist eine freie Bearbeitung nach Ben Jonson; alle Uebersetzungen sind von dieser Zählung ausgeschlossen. Auf so viel abgeschlossene und zum Theil sehr umfassende Dichtungen kommen vier nicht vollendete; der „Anti-Faust“, „Magelone“, „Melusine“ und das „Donauweib“. Der erzählenden Poesie im weitesten Sinne gehören 75 vollendete Dichtungen an, davon kommen 38 auf die spätere Novelle, 37 auf die ältere Erzählung und den Roman, mit Einschluß der „Vittoria Accorombona“. Diesen stehen nur drei Fragmente gegenüber, der Roman „Sternbald“, die „Cevennen“ und das im Nachlaß mitgetheilte Bruchstück „Hüttenmeister“. Daß die Anlage des Phantasus nicht zur Ausführung gelangte, wird nicht in Betracht kommen, denn es ist ein Sammelwerk, das jeden Augenblick abgebrochen werden konnte, und die einfassende Gesprächsnovelle ist wesentlich abgeschlossen. Außerdem hat er 16 Skizzen über Kunst in dem lyrischen Tone Wackenroder’s geschrieben, 45 kritisch literarische und literarhistorische Abhandlungen, die er in der Form von Briefen, Recensionen, Einleitungen und Vorreden gab; davon verfaßte er 23 als Herausgeber oder Vorredner für Schriftsteller der neuern Zeit und für verstorbene oder noch lebende Freunde. Dazu kommen 107 dramaturgische Kritiken, Abhandlungen und Anzeigen größern oder kleinern Umfanges, ferner ein starker Band lyrischer Gedichte, und endlich die Anmerkungen zum Shakspeare, und die Bearbeitungen und Uebersetzungen aus dem Altdeutschen, Englischen und Spanischen. Also neben umfassenden kritischen und literarhistorischen Arbeiten, zahlreichen Uebersetzungen und lyrischen Gedichten stehen 98 vollendete, zum Theil große Dichtungen, in dramatischer oder erzählender Form, und ihnen gegenüber sieben unvollendete! Kann man ein funfzigjähriges Dichterleben besser auskaufen? Fürwahr, es gehört die Verblendung einer übersichtigen Kritik dazu um zu behaupten, Tieck habe seinem Wesen nach nichts vollenden können! Stets hat man es mit Recht am meisten bedauert, daß er gerade die Novelle, in der die Novelle über sich selbst hinausgeht, und zu einem ebenso tiefsinnigen als großartigen historischen Gemälde sich erhebt, nicht zum Abschlusse geführt habe, den „Aufruhr in den Cevennen“. Es ging ihm auch hier wie öfter; die günstige Constellation, die er abwartete, in der seine Stimmung mit den Umständen zusammentreffen sollte, erschien nicht. Später bedauerte er oft, daß er nicht zur Vollendung gekommen sei, da er den Schluß bei sich ganz durchgearbeitet habe. Er hatte die weitere Entwickelung der Fabel im Kopfe fertig, und bisweilen sprach er davon in allgemeinen Andeutungen. Der alte Parlamentsrath Beauvais, Edmund’s Vater, wird in seinem Zufluchtsorte im Gebirge durch den humoristischen Musikus entdeckt, der sich rühmt ihn durch seine geheime Wissenschaft erkannt zu haben, während ihn der Hund Hektor auf die Spur des Verfolgten geleitet hat. Der alte Beauvais wird gefesselt von den königlichen Truppen fortgeführt, und es ergibt sich Gelegenheit, die Grausamkeit des Marschalls Montrevel und der Verfolger in ihrem ganzen Umfange noch einmal zu schildern. Edmund beschließt seinen Vater mit Hülfe der Genossen zu befreien. Dies geschieht bei jener geheimnißvollen Esche, von der der Jäger Favart im Anfange erzählt. Hier hat einst in den Zeiten der ersten Religionskämpfe ein hugenottisch gesinnter Sohn seinen altgläubigen Vater durch einen Schuß getödtet. Dieser hatte flüchtend den Baum erstiegen, und stürzt nun hinab auf den Sohn, der über seine That wahnsinnig wird. An derselben Stelle befreit jetzt der Hugenott Edmund seinen Vater; der Baum ist entsühnt. Edmund macht sich von seiner Partei los, der er innerlich nicht mehr ganz angehört; er flieht mit Vater und Schwester nach Genf; Christine folgt ihnen. An die Stelle des grausamen Montrevel tritt Villars, der den Abschluß dieser Bewegungen herbeiführt. Dies ungefähr sollte der Inhalt des dritten und vierten Abschnitts sein. Es mag kühn sein dem Dichter gegenüber, der sein Werk fortsetzen wollte, die Ansicht festzuhalten, daß es in sich schon jetzt vollendet, abgeschlossen sei. Ist dem so, möchte man vermuthen, vielleicht eben darum sei es zu einer äußern Fortsetzung nicht gekommen. Die verschiedenen Punkte, durch welche das religiöse Bewußtsein, der Glaube sich hindurch bewegen kann, sind alle berührt; vom Atheismus bis zur schwärmerischen Vision haben alle Formen ihre Darstellung gefunden. Edmund erscheint zuerst als katholischer Fanatiker, der außerhalb seiner uralt historischen Kirche kein Heil sieht, und die Unterwerfung des Glaubensbedürfnisses und Gewissens unter ihre unwandelbaren Gesetze erzwingen will. Er schlägt um, und wird camisardischer Schwärmer; nun findet er das Heil allein in den Visionen und Offenbarungen, die ihm persönlich zu Theil werden. An die Stelle der historisch gläubigen Starrheit tritt schwärmerische Zerfahrenheit, aber er bleibt ein religiöser Verfolger, nur von dem andern Extrem geht er aus. Da lernt er durch den alten Geistlichen das milde und versöhnende Christenthum kennen, das Christenthum der That, das über den Gegensätzen steht, er ahnt, daß er aus einem schweren Irrthum in den andern verfallen sei, er wendet sich innerlich von seinen neuen Glaubensgenossen ab, und auf jenen Weg des Friedens und der Versöhnung fühlt er sich hingezogen. Soweit liegt die Entwickelung in dem was Tieck gegeben hat, klar und deutlich vor. Sollte darin nicht ein wesentlicher innerer Abschluß erkennbar sein? „Aber Shakspeare!“ ruft die schadenfrohe Kritik weiter; „wie war es mit seinem vielbelobten und lang versprochenen Buche über Shakspeare?“ Ja wol, in seiner überschwänglichen Begeisterung für Shakspeare hat er oft von seinem Dichter und dem Buche über ihn gesprochen. Glaubte er doch hier eine Aufgabe seines Lebens zu finden! Die Einleitung zum „Sturm“ gab er 1796 „als eine Probe einer größern Arbeit über Shakspeare“ und schloß mit einem genauen Programm derselben; das altenglische Theater von 1811 ist ihm ein Supplement, um über Shakspeare in seinem Buche gründlich zu sprechen; die Andeutungen der Vorrede zur „Vorschule“ 1823 hofft er ebendort genügend auszuführen, 1828 in der Einleitung zu Lenz erwähnt er wieder dieses Werkes. Oft sprach er so davon, als sei es vollendet, als werde es binnen kurzer Zeit erscheinen; und rührend war es in seinen letzten Jahren ihn klagen zu hören, wie Krankheit und Widerwärtigkeiten ihn immer noch nicht zur Vollendung seines Buches über Shakspeare hätten gelangen lassen. Wie eine Fata Morgana war die Idee dieses Werks vor ihm hergegangen durch das Leben. Wie oft glaubte er sie zu ergreifen, und stets floh sie von neuem in die Ferne, bis sie an den Grenzen mit dem Leben selbst untersank! Es war ein unablässiges Streben nach einem Ziele, mit gleicher Begeisterung bis an das Ende; ein Streben ohne zu erreichen, die menschliche Schwäche in großer menschlicher Kraft. Seine Gründlichkeit ebenso sehr als das Voraneilen seiner Phantasie ließen diesen Lieblingsgedanken nicht zur Ausführung kommen. Zu der Gesellschaft in der Phantasusnovelle gehört auch der gelehrte Alterthumsforscher, dem der humoristische Kritiker nachsagt, er gehöre zu den gründlichen Deutschen, welche nie aus den Vorbereitungen herauskommen, und vor lauter Gründlichkeit die Sache kaum an der Oberfläche berühren. Tieck schilderte hier eine Seite seiner Natur. Der Name Shakspeare schloß für ihn alle Poesie, alle Begeisterung, alles Höchste und Größte in sich. Nicht ohne Weihe und lange Vorbereitung glaubte er dieses Heiligthum betreten zu dürfen. Alle Hülfsmittel, deren er habhaft werden konnte, zog er von nah und fern herbei, aber immer noch nicht schienen sie ausreichend. Unaufhörlich las, studirte und erwog er den Sinn des Dichters, aber er glaubte in die Tiefe noch nicht ganz hinabgetaucht zu sein, sie ganz ermessen zu haben. Immer weiter zog er die Grenzen der Aufgabe. Die Entwickelung Shakspeare’s wuchs ihm zur Geschichte des englischen Dramas, der abendländischen Poesie und Cultur empor, die Welt lag in Shakspeare. Dann ward er über seinen Vorbereitungen ungeduldig; er sah in den Keimen schon die vollen Früchte. Im Kopfe hatte er sein Buch fertig, es schien nur nöthig die Hand zu erheben, um es zu vollenden, und die Vollendung galt ihm als Pflicht der Pietät gegen den großen Geist, in dessen Zauberkreis er sich magisch gefesselt fühlte. Er faßte es als Opfer des Danks, das er zu bringen habe. Ebenso sprach er von der Pflicht, ein Buch über Cervantes, über Goethe und Fleck zu schreiben. Er wollte Zeugniß ablegen für die Geister, die auf ihn gewirkt hatten, und alle Welt sollte ihre Größe erkennen, wie er sie erkannte. Aber die Kritik erweckte ihn aus solchen Verzückungen. Von Zeit zu Zeit rückte sie ihm die Frage vor, wie es denn mit dem mysteriösen Buche stehe; sie ging zur Vermuthung über, es existire überhaupt wol nur in seinem Kopfe, und meinte endlich, es sei das nicht zu beklagen, sein Buch würde ein antiquirtes gewesen sein, denn längst sei man über ihn und seine Shakspearegrillen hinweggeschritten. An Tieck’s romantischer Kritik wollten Tagesschriftsteller, kritische Philologen und buchgelehrte Literarhistoriker zu Rittern werden. Jene Vermuthung hat sich als unrichtig erwiesen, und wie weit die neue Kritik mit ihren Behauptungen Recht hat wird sich erweisen, wenn die kritischen Acten über Shakspeare geschlossen sind. Tieck’s Blick ist auch hier bis zuletzt klar geblieben. Wenige Monate vor seinem Tode, als ihm der Band des Collier’schen Shakspeare aus London zugesandt wurde, welcher die neu aufgefundenen Emendationen enthält, sagte er: „Ich kann nichts Besonderes darin sehen; die guten Verbesserungen kannte man schon lange, und die neuen sind entbehrlich.“ Hier stimmte er mit der Ansicht des Kritikers überein, der ihn selbst der schärfsten Censur unterworfen hatte. Die neue Shakspearekritik ist gegen ihn ebenso undankbar als ungerecht gewesen. Sie selbst steht auf dem Boden, den er und Schlegel geschaffen haben, ihr Dasein verdankt sie zum Theil seiner begeisterten Prophetie, seinen unermüdlichen kritisch dichterischen Betrachtungen des Dichters, in Briefen, Abhandlungen, dramaturgischen Kritiken, literarhistorischen Einleitungen, Anmerkungen, Gesprächen und Novellen. Auch hier mied er die abgemessene Straße des Systems, er wandelte lieber auf den verschlungenen Pfaden des Dichters. Die neue Kritik verlangt Princip, Consequenz, Classification der Zeugnisse, Codices, Ausgaben, Lesarten, es ist die historisch philologische Kritik. Die seine war die intuitive, anschauende des Dichters, durch alle Umhüllungen suchte sie geradeswegs in das Herz der großen Erscheinung zu dringen. Die Worte zählende Kritik machte ihn ungeduldig; wie der Geist zum Geiste sprach wollte er hören. In diesem Sinne hat er für die Erkenntniß Shakspeare’s unendlich viel gethan; mehr vielleicht als sein vollendetes Buch bewirkt hätte. In der innigen Verbindung von Poesie und Kritik liegt der Schwerpunkt seiner nicht leicht zu fassenden und darzustellenden Eigenthümlichkeit. Man könnte Tieck mit Lessing zusammenstellen. So unendlich verschieden sie sind, deutet gerade dieser Gegensatz auf eine innere Beziehung beider hin. Lessing kam von der Seite der Kritik zur Poesie; ihr allein wollte er Alles verdanken was er vermochte; Tieck erklärte die Poesie für seine unbeschränkte Herrscherin, die wol Gesetze zu geben, aber keine andern als die eigenen anzuerkennen habe. Von der Poesie kam er zur Kritik. Lessing war ein dichtender Kritiker, Tieck ein kritisirender Dichter. Häufig zieht er die Kritik in die Dichtung hinein, in die humoristischen Lustspiele der ersten, in die Novellen der zweiten Periode, seine Ironie trägt ein kritisches Element in sich. Dagegen erhebt sich die Poesie in der Kritik; seine Studien englischer, spanischer, deutscher Dichter ruhen überall auf dichterischer Begeisterung. Seinen Kritiken gibt er gern eine künstlerische Form. Ueber Shakspeare schreibt er Briefe und Novellen, die Charakteristik des Goethe’schen Zeitalters gestaltet sich ebenfalls fast zur Novelle. Die Einleitung zur „Insel Felsenburg“ und andere Kritiken werden zum Gespräch. In seinen Dichtungen erscheint die Kritik oft als eine literarhistorische, und setzt darum die Kenntniß mancher einzelner Beziehungen voraus, und seine Ansichten tragen den Stempel abweichender Eigenthümlichkeit. Daraus hat ein großer Theil seiner Beurtheiler die Meinung hergeleitet, Tieck’s Dichtungen seien unpopulär. Diesen Glaubenssatz hat man mit Vorliebe weiter ausgeführt; er suche das Aparte, Absonderliche, Grillenhafte, er sei ein aristokratischer Dichter für die Geistreichen, für ästhetische Theecirkel, nicht für das Volk. Nimmermehr könne es sich mit seinen Märchen und Novellen befreunden! Sonderbar! War es denn nicht seine Poesie, die niedertauchte in das erste nächste Element, in dem der Mensch athmet, in die Natur? Was könnte populärer sein als diese! War er es nicht, der den alten vergessenen oder verlachten Volkssagen nachging und sie wieder zu Ehren brachte? Sprach er nicht überall mit Begeisterung gerade von der Größe der Dichter, die volksthümlich waren? Behandelte er nicht in seinen Novellen, was die Geister der Gegenwart erfüllte? Und doch sollte er nichts Volksthümliches haben? Wo diese Vorwürfe nicht aus Unkenntniß, Misverstand oder Parteilichkeit hervorgegangen sind, ist ihr Grund in einer einseitigen Auffassung seiner kritischen Richtung zu suchen. Gegen diese Ansicht spricht die Wirkung seiner Dichtungen im Allgemeinen wie im Einzelnen. Männer, den verschiedensten Lebensstellungen angehörend, wurden von ihnen in früherer und späterer Zeit tief ergriffen, in manchen Charakteren fanden sie sich, ihre eigenen Seelenzustände so klar dargestellt, daß sie sich gedrungen fühlten ihm zu schreiben, und ihn am liebsten zu ihrem Gewissensrathe gemacht hätten. Es waren ihm völlig unbekannte Personen, keine Gelehrte, keine Literaturmenschen. Noch 1842 erhielt er einen Brief eines Bäckers in Karlsruhe, der ihm für den „Jungen Tischlermeister“ als eine dichterische Verherrlichung des deutschen Handwerkerstandes dankte. Es ist Thatsache, daß andere seiner Novellen von Personen, die man sonst ungebildet zu nennen pflegt, mit Eifer und Vorliebe gelesen worden sind. Und was ist es mit jenem Vorwurfe der Unpopularität? Es gibt Kritiker, die über Schiller den Stab brechen, eben weil er populär sei, die für Goethe’s Größe einen Beweis in seiner weniger populären Haltung finden. Was ist populär, wahrhaft volksthümlich? Nicht dasjenige, was die Tageskritik dazu stempelt, was ein enger Kreis von Menschen, was eine bestimmte Bildungsclasse dafür erklärt; nicht dasjenige, was heute Recht haben muß, weil es morgen Unrecht haben wird, was heute besprochen wird und morgen vergessen ist. Auch nicht im charakterlos Allgemeinen, vielmehr in der Fülle des Eigenthümlichen, in dem Geschlechter und Zeiten sich wiederfinden, liegt das Volksthümliche. Tieck kannte das Schwierige seiner Stellung zur Gegenwart: „Irgend etwas ist immer in Deutschland an der Tagesordnung“, schreibt er an Solger, „das leere Form, geistlose Mode und übertriebene Einseitigkeit wird, und immer sehen wir einige von den Besten eifrig Theil nehmen und sich verblenden, und dieselbe Nation, die für Viel- und Allseitigkeit schwärmt, kann immer vor irgendeiner neuen Verblendung nicht zur Besinnung kommen. Bei meiner Lust am Neuen, Seltsamen, Tiefsinnigen, Mystischen und allem Wunderlichen, lag auch stets in meiner Seele eine Lust am Zweifel und der kühlen Gewöhnlichkeit, und ein Ekel meines Herzens, mich freiwillig berauschen zu lassen, der mich immer von allen diesen Fieberkrankheiten zurückgehalten hat, sodaß ich (seit ich mich besonnen) weder an Revolution, Philanthropie, Pestalozzi, Kantianismus, Fichtianismus noch Naturphilosophie als letztes einziges Wahrheitssystem gläubig, habe in diesen Formen untergehen können.“ Und so hat er es gehalten bis ans Ende. Stets hat er an die große unsichtbare Gemeinde der Geister geglaubt, die nicht ausstirbt, die lebt und wirkt zu allen Zeiten. Sie entscheidet wer und was volksthümlich sei; Tieck kann ihrem Ausspruche ruhig entgegensehen! Sechstes Buch. Unterhaltungen mit Tieck. 1849-1853. 1. Tieck über sich und seine Dichtungen. Alles Reflectiren und Raisonniren hat meiner Natur stets fern gelegen. Ich habe die Dinge immer aus dem Ganzen, aus dem Gefühl und der Begeisterung heraus, aufzufassen und anzuschauen gesucht. Diese Anforderungen haben bei mir mit dem Alter nicht abgenommen, sondern sich gesteigert. Es ist dies meine +Individualität+. * * * * * In meiner Jugend war ich ein einfacher und stiller Mensch, fern von Selbstüberschätzung und ungern im Widerspruch mit Andern. Aber sobald ich etwas wirklich in mir erlebt hatte, und es mir zur +Ueberzeugung+ geworden war, mußte ich es aussprechen, wenn ich eine andere Ansicht in absprechender Weise geltend machen hörte. Dies zog mir mit Unrecht manchen Tadel meiner Lehrer zu, die mich für anmaßend und voll Widerspruch hielten. Später bin ich manchem weich erschienen. Vieles, worauf Andere einen hohen Werth legen, habe ich leichter genommen, weil es mir persönlich gleichgültig war, ob etwas der Art so oder anders eingerichtet wurde. Man konnte mich daher in vielen Punkten für gefällig, nachgiebig, ja lenksam halten. Doch ging das nur bis zu einer gewissen Grenze; denn von jeher hat sich meine ganze Seele dagegen empört, wenn ich bemerkte, daß man darauf ausgehe mich innerlich zu bestimmen, und mein eigenstes Wesen zu beherrschen; das habe ich niemals gelitten. * * * * * Der Gegensatz des +Scherzes+ und des +Ernstes+ ist für mein Wesen durchaus nothwendig. Bei der tiefen Schwermuth, bei dem Trübsinn, der mich oft angefallen hat, ist er ein Glück für mich gewesen. Den Sinn für Scherz habe ich mir stets zu bewahren gewußt. Schon in meiner Jugend konnte man dieses doppelte Wesen nicht begreifen, und hielt mich darum bisweilen für närrisch. * * * * * Der Protestantismus war in meiner Jugend zur leeren Form geworden, und der religiöse Sinn zum großen Theil entwichen. Die jüngern Geistlichen glichen lange nicht mehr den ältern und würdigen, die sich auch zur +Aufklärung+ bekannten, aber sittlichen Eifer besaßen und an sich selbst arbeiteten. Diese waren achtungswerth; es war ihnen mit der praktischen Moral Ernst, wie Sack, Spalding und Teller. Die jüngern waren Prediger, wie sie auch irgend etwas Anderes hätten sein können; daraus machten sie auch gar kein Hehl. Sie thaten ihre Amtsfunctionen als etwas Aeußerliches ab, und wünschten sich oft sehnlich eine andere Lebensstellung. Verhaßt war mir ihre beschränkte Selbstgenügsamkeit, ihr Abfertigen der Dinge und ihre Besserwisserei, mit der sie glaubten Alles erklären zu können. So konnten tiefere Gemüther wol zum Katholicismus hingezogen werden, der wenigstens dem Gefühle zu genügen schien. * * * * * Im religiösen Leben habe ich die sonderbarsten Erfahrungen gemacht. Es sind mir damals und auch später einseitige Eiferer vorgekommen, die, kann man wol sagen, voller protestantischen Aberglaubens und Fanatismus waren. Sie konnten von der katholischen Kirche nicht sprechen hören, ohne darauf zu schelten, und sie in ihren Reden zu verfolgen. Umsonst versuchte ich es sie zu einer billigern und gerechtern Denkweise zu führen, und konnte ihnen kaum begreiflich machen, daß es doch wenigstens Anerkennung verdiene, daß der Katholicismus sich mit den Künsten verbunden, und sie lange Zeit gepflegt und entwickelt habe. Dann plötzlich schlugen diese Leute um, wurden selbst katholisch, gingen weit über alles hinaus, was ich ihnen früher gesagt hatte, wollten mich bekehren, und verfolgten nun mit noch größerm Fanatismus alles was protestantisch hieß. * * * * * Beschränkt waren die +Kritiker+, welche in der Poesie und Literatur in meiner Jugend das große Wort führten; Alles beurtheilten sie nach ihrer Aufklärung, und auch Goethe wollten sie nicht anerkennen. Von dem neuen Geiste, der durch die deutsche Poesie ging, hatten sie keine Ahnung, und in ihrer Beschränktheit meinten sie ganz unbefangen, wenn sie nur wollten, würden sie Dasselbe und Besseres als Goethe geben können. Sie standen ihrer natürlichen Anlage nach im vollsten Gegensatze zur Poesie überhaupt, und darum konnte man ihre Anmaßung nicht entschieden genug bekämpfen. * * * * * Man glaubt nicht wie isolirt ich stand mit den Gedanken und Empfindungen, die ich im „+Sternbald+“ ausgesprochen habe; nicht etwa blos den berliner Aufklärern gegenüber, sondern auch manche meiner Freunde, z. B. die Schlegel, waren gar nicht mit mir einverstanden. Auch sie waren ganz erfüllt von dem damals geltenden Kosmopolitismus. Ich habe mich von der Richtigkeit dieser Ansicht nie überzeugen können; mir galt das Vaterland als Erstes und Höchstes. Sein Leben und seine Kunst, seine alte, einfache und treuherzige Weise, die man verlachte, weil man sie nicht kannte, wollte ich wieder zu Ehren bringen und im „Sternbald“ darstellen. Ich habe es immer sehr bedauert, daß ich nicht dazu gekommen bin, den „Sternbald“ fortzusetzen; im zweiten Theile sollte sich das innere Wesen des deutschen Lebens noch bedeutender entfalten. * * * * * Die „+Genoveva+“ habe ich mit vollster Begeisterung gedichtet. Das alte Volksbuch war mir zufällig in die Hände gekommen, und hatte mich durch seine Einfalt und Treuherzigkeit besonders angezogen. Auch in diesen verspotteten und verachteten Büchern war ein echt deutscher und natürlicher Ton, der mich unendlich rührte. Dazu kam noch, daß ich das Studium des Jakob Böhme damals mit Eifer betrieb. Das hat auf die Haltung dieser Dichtung keinen geringen Einfluß gehabt. Doch aber machten sich bei mir auch andere Stimmungen als Gegengewicht geltend, denn der „+Zerbino+“ ist fast gleichzeitig entstanden. Als ich beides unter dem Titel „+Romantische Dichtungen+“ herausgab, kam es mir nicht in den Sinn, diesem Worte eine besondere Bedeutung geben zu wollen; ich nahm es so, wie es damals allgemein genommen wurde. Höchstens wollte ich damit andeuten, daß hier das Wunderbare in der Poesie mehr hervorgehoben werden solle. Nachher freilich ist das Wort mir selbst bis zum Ueberdrusse gebraucht worden; es wurde dann im katholisirenden Sinne angewendet. Schon bald nachdem ich die „Genoveva“ geschrieben hatte, fing der romantische Wunderglaube an bei manchen Leuten in Berlin guter Ton zu werden, namentlich bei den jungen geistreichen Juden. Ich konnte sicher darauf rechnen, wenn Einer kam, und mir selbst meine „Genoveva“ in dieser Weise anpries, so war es ein junger Jude, der mir dadurch seine Tiefe und Glaubensfähigkeit beweisen wollte. * * * * * Nachher hat man mich zum Haupte einer sogenannten +Romantischen Schule+ machen wollen. Nichts hat mir ferner gelegen als das, wie überhaupt in meinem ganzen Leben alles Parteiwesen. Dennoch hat man nicht aufgehört gegen mich in diesem Sinne zu schreiben und zu sprechen, aber nur, weil man mich nicht kannte. Wenn man mich aufforderte eine Definition des Romantischen zu geben, so würde ich das nicht vermögen. Ich weiß zwischen poetisch und romantisch überhaupt keinen Unterschied zu machen. Im „+Octavian+“ wollte ich keine neue Poesie geben, sondern nur darstellen, wie die Poesie in einer bestimmten Zeit erschienen sei. * * * * * Der Gedanke der +Ironie+ hat sich bei mir erst später vollständig entwickelt, besonders seit ich mit Solger in nähern Verkehr getreten war. Vorher ahnte ich mehr die Nothwendigkeit eines solchen Gedankens für den Dichter, als daß er mir zur klaren Ueberzeugung geworden wäre. Diese dunkeln Ahnungen hatte ich namentlich bei dem Studium Shakspeare’s; ich fühlte heraus, das sei es, was ihn zum größten Dichter mache, und von so vielen bedeutenden, höchst trefflichen Talenten unterscheide. In meinen eigenen Dichtungen ist daher die Ironie zuerst mehr unbewußt, aber doch entschieden ausgedrückt; vor allen ist dies im „+Lovell+“ der Fall. Die directe Ironie herrscht im „+Gestiefelten Kater+“, von der höhern findet sich etwas im „+Blaubart+“, und entschieden ist sie im „+Fortunat+“. Die „+Genoveva+“, welche als Heilige dargestellt werden sollte, hat freilich nichts davon, aber die Art, wie Golo in seiner Leidenschaft immer tiefer sinkt, streift doch an das Ironische. * * * * * Später hat +Solger+ einen tiefen Abschnitt in meinem Leben gemacht. Sein „Erwin“ ist ein vortreffliches Buch, in dem er auf die Ironie, als auf ein Höchstes hindeutet; ihm habe ich viel zu verdanken. Unter allen frühern Philosophen hatte mich nur Jakob Böhme gefesselt, und eine Zeit lang vollkommen beherrscht. Indeß bin ich auch davon abgekommen, seit ich erkannte, daß auch er willkürlich abschneide, ohne seinen Lucifer mit Gott ausgleichen zu können, und in einer Art von Verzweiflung ende. Solger’s Gedankengang vermochte ich wirklich zu folgen, und auf diesem Wege kam ich wieder in die Philosophie hinein. Vor seinem großen Talente hatte ich die höchste Achtung; es war ein seltener und ausgezeichneter Mann. Ich habe im innigsten Einverständnisse mit ihm gelebt, und ihm meine Arbeiten im Manuscripte oft mitgetheilt. Die Ueberzeugung einer innern mystischen Verbindung zwischen Philosophie und Religion stand bei ihm fest; er hatte diese Gedanken in sich durchgearbeitet, wollte sie aber noch mehr reifen lassen, und sparte ihre Darstellung für sein Alter auf. Im Leben war er durchaus religiös; er hatte das Bedürfniß der Gemeinde, er mußte sich mit ihr versammeln, singen und Predigt hören. Er war der Meinung, daß man sich auch an dem Vortrage schlechter Prediger erbauen könne. Mit +Schelling+ habe ich mich dagegen über die Wahlverwandtschaft unserer Richtungen eigentlich nicht zu verständigen vermocht. * * * * * In dem „+Jungen Tischlermeister+“ habe ich das frühere Leben des deutschen Handwerkerstandes dargestellt, zugleich aber wollte ich eine gewisse Casuistik durchführen. Der Handwerker wie der Edelmann sind sich darin vollkommen gleich, daß sie eine Reihe von Verirrungen durchmachen müssen, um dadurch auf den wahren moralischen Standpunkt zu kommen. Erst durch ihre Verirrungen lernen sie den rechten Weg kennen, und nun erst sehen sie ein, was sie an ihren sittlichen Verhältnissen besitzen. Dies kommt im Leben ja unendlich oft vor, und mit Unrecht haben darum Manche in dieser Novelle Unmoralisches finden wollen. * * * * * In der „+Vittoria Accorombona+“ hat man gar eine sittliche Verirrung sehen wollen, und mir deshalb harte Vorwürfe gemacht. So erzählte mir einst eine sonst verständige Frau, daß sie in ihren Kreisen nicht gestehen dürfe, dieses Buch gelesen zu haben, sie müsse es vielmehr in ihrem Bücherschranke vor fremden Augen sorglich verschlossen halten. Ich kann wol sagen, daß ich diese Prüderie nicht begreife. Es ist mir nicht eingefallen durch lüsterne Schilderungen einen sinnlichen Kitzel hervorrufen zu wollen; das hat zu allen Zeiten meinem Wesen ganz fern gelegen. Ich habe das immer für gemein und durchaus unerlaubt gehalten. Auch ist es nicht meine Absicht gewesen, wie Manche gemeint haben, nach allen jenen Kämpfen den Sieg der Schwäche darstellen zu wollen. Der Papst Sixtus ist vielmehr eine gewaltige Persönlichkeit, die endlich das Werk der Vergeltung für alle frühern Verbrechen übernimmt. Auch Vittoria hat im Gefühle ihrer Kraft die gesetzten Grenzen überschritten, namentlich im Verhältniß zu ihrem ersten Manne. Dieser ist freilich ein schlechter Charakter, aber sie behandelt ihn mit wegwerfendem Uebermuthe. Seine Kläglichkeit macht es ihr möglich, über die Schattenseiten in Bracciano’s Charakter hinwegzusehen. Dieser ist auch nicht rein von schwerem Frevel, aber er ist eine bedeutende Kraft. Manche haben gefragt, warum ich die eingeschalteten Gedichte in Prosa aufgelöst habe. Es war schwer für diese Gedichte die rechte Form zu finden; die nächste würde die Canzone gewesen sein, aber diese ist nicht leicht zu handhaben. Auch wollte ich den gleichmäßigen Fluß der Darstellung durch den Vers nicht unterbrechen. * * * * * Als das sogenannte +Junge Deutschland+ aufkam, bildeten sich einige von diesen Leuten ein, daß ich mich an ihre Spitze stellen müsse. Zu Zeiten hatte ich mich über Manches misbilligend, ja kühn und paradox geäußert; ich hatte das mündlich und schriftlich gethan, ich war mit den Schlegel befreundet gewesen, die in der Kritik zuerst den kecken Ton angegeben hatten, und da glaubten diese modernen Schriftsteller, ich müsse auch mit ihnen übereinstimmen. Aber sie kannten mich nicht. Nichts ist mir mein Leben lang verhaßter gewesen als der absprechende Ton des Systems, das mit allem fertig ist; dagegen habe ich mich immer erhoben, es mochte kommen woher es wollte. Und nun gar erst diese Eitelkeit, dieses rohe Zerstören, diese Opposition, die nur sich will! Als es nun herauskam, daß ich mit diesen Leuten niemals gemeinschaftliche Sache machen könne, haben sie mich angegriffen und verfolgt, wie sie nur konnten. Ich habe mich aber nie darum gekümmert. * * * * * Die Menschen vergessen, daß ein Wohlthätigkeitsverhältniß eigene Pflichten auferlegt; habe ich einem Fürsten etwas zu danken, so ist es Pflicht der +Pietät+, nicht in das Geschrei seiner Gegner einzustimmen. Welche Verschiedenheiten auch vorkommen mögen, die Dankbarkeit bedingt meine Stellung, das ist für mich das Erste; bin ich in irgendeinem Punkte anderer Meinung, so behalte ich sie für mich, und schweige. Kommt man dennoch in die Lage sie aussprechen zu müssen, so geschehe das nicht plump und roh, sondern mit Schonung und mit der Rücksicht, welche durch die Pietät geboten ist. Wie viele haben nicht Wohlthaten empfangen und vergessen sie? Ja sie thun groß damit, daß sie die erste menschliche Pflicht einer angeblichen Wahrheit aufopfern! * * * * * Das +Theater+ hat einen großen Einfluß auf mein Leben gehabt. Ich verdanke ihm die genußreichsten Stunden, und bin früher namentlich durch dasselbe sehr gefördert worden, aber später hat es mir auch vielen Verdruß gemacht. In meiner Jugend hatte es für mich einen unüberwindlichen Reiz. Das Drama, ja schon die dialogische Form hat von jeher für mich etwas Anziehendes gehabt. Nachdem ich in meinem Leben so vieles gelesen habe, kommt es wol vor, daß ich manches schlechte Buch, was ich zu lesen angefangen habe, nicht beende. Wo ich aber etwas Dramatisches sehe, da greife ich noch heute zuerst danach, und so schlecht es auch sein mag, ich habe eher keine Ruhe als bis ich es durchgelesen habe. Dem Spiele von Fleck verdanke ich viel. Es war eine Offenbarung des dichterischen Genius, und über manchen Charakter Shakspeare’s habe ich durch ihn neue Aufschlüsse bekommen. Später freilich ist das Theater immer mehr gesunken. Lange Zeit hindurch habe ich selbst mir große Mühe damit gegeben, aber es hat mir viel Verdruß gemacht, und ich habe mich davon überzeugt, daß die Leitung eines Theaters eine schwierige und höchst undankbare Aufgabe ist. Am Ende kann man es beim besten Willen Keinem recht machen. Jeder will mitreden, und die Schauspieler sind sehr schwer zu leiten; in der Regel sind sie eitel, dünkelhaft und eigensinnig. Heute kann ich mich über das Theater eigentlich nur ärgern! Sehe ich eines der vielen schlechten Stücke erträglich spielen, so verdrießt es mich, sehe ich aber ein gutes Stück schlecht darstellen, so ärgere ich mich ganz gewiß. Dennoch kann ich das Interesse dafür nicht loswerden, und es nicht unterlassen, wenn ich gefragt werde, Rath geben zu wollen, oder selbst Rollen einstudiren zu helfen. * * * * * Als +Vorleser+, besonders dramatischer Sachen, hatte ich mir schon in meiner Jugend auf dem Gymnasium einen nicht unbedeutenden Ruf erworben. Später habe ich durch fortgesetzte Uebung dieses Talent weiter ausgebildet, und mir auch manche Regel darüber entwickelt. Auf das Athemholen kommt viel an, und vor allem darauf, daß man es an der rechten Stelle thue. Nothwendig ist es durch die Nase Athem zu holen, das bewahrt die Kehle vor zu starker Luftzuströmung, die bei der Erhitzung des Lesens leicht erkältend wirken kann. Die Stimme wird dann rauh und verliert an Kraft und Ausdauer. Dagegen kann richtige Uebung für die Stärkung und Erweiterung des Organs sehr viel thun. In meiner besten Zeit konnte ich zwei fünfactige Stücke ohne Ermüdung hintereinander lesen. Beim Lesen selbst habe ich stets gesucht über dem Ganzen zu stehen. Obgleich ich im Affecte mit dem jedesmaligen Charakter gewissermaßen Eins werde, so habe ich mir doch selbst dann so viel Ueberblick zu bewahren gesucht, daß ich mich im Augenblicke tadeln konnte ein Wort unrichtig betont zu haben. Das ist die richtige Stimmung für den Vorleser wie für den Schauspieler und Künstler überhaupt; es ist das hier die Ironie. Der Ton des Vorlesers darf nie die Grenzen dessen überschreiten, was ich immer den edlern Conversationston genannt habe. Auch im Tragischen darf das nicht geschehen, sonst wird es falsches Pathos und Manier, Einzelnes wird herausgerissen, und der Eindruck des Ganzen geht verloren. Aber auf dieses kommt Alles an. Das Spiel mit stark wechselnder Stimme zu lesen, oder gar bekannte Schauspieler, wenn auch täuschend, nachzuahmen, ist ein Kunstgriff, der für den Augenblick Effect machen kann, aber doch untergeordnet bleibt. Es ist ganz unkünst