Title: Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen
Author: Hugo von Hofmannsthal
Release date: October 31, 2019 [eBook #60603]
Language: German
Credits: Produced by Norbert H. Langkau, Jens Sadowski, and the
Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Zwei Dichtungen
von
Hugo von Hofmannsthal
Im Insel-Verlag zu Leipzig
Bruchstück. 1892
Der Prolog, ein Page
Filippo Pomponio Vecellio, genannt Tizianello, des Meisters Sohn
Giocondo
Desiderio
Gianino (er ist 16 Jahre alt und sehr schön)
Batista
Antonio
Paris
Lavinia, eine Tochter des Meisters
Cassandra
Lisa
Spielt im Jahre 1576, da Tizian neunundneunzigjährig starb. Die Szene ist auf der Terrasse von Tizians Villa, nahe bei Venedig.
Der Prolog, ein Page, tritt zwischen dem Vorhang hervor, grüßt artig, setzt sich auf die Rampe und läßt die Beine (er trägt rosa Seidenstrümpfe und mattgelbe Schuhe) ins Orchester hängen.
Das Stück, ihr klugen Herrn und hübschen Damen,
Das sie heut abend vor euch spielen wollen,
Hab ich gelesen.
Mein Freund, der Dichter, hat mirs selbst gegeben.
Ich stieg einmal die große Treppe nieder
In unserm Schloß, da hängen alte Bilder
Mit schönen Wappen, klingenden Devisen,
Bei denen mir so viel Gedanken kommen
Und eine Trunkenheit von fremden Dingen,
Daß mir zuweilen ist, als müßt ich weinen ...
Da blieb ich stehn bei des Infanten Bild –
Er ist sehr jung und blaß und früh verstorben ...
Ich seh ihm ähnlich – sagen sie – und drum
Lieb ich ihn auch und bleib dort immer stehn
Und ziehe meinen Dolch und seh ihn an
Und lächle trüb: denn so ist er gemalt:
Traurig und lächelnd und mit einem Dolch ...
Und wenn es ringsum still und dämmrig ist,
So träum ich dann, ich wäre der Infant,
Der längst verstorbne traurige Infant ...
Da schreckt mich auf ein leises, leichtes Gehen,
Und aus dem Erker tritt mein Freund, der Dichter.
Und küßt mich seltsam lächelnd auf die Stirn
Und sagt, und beinah ernst ist seine Stimme:
„Schauspieler deiner selbstgeschaffnen Träume,
Ich weiß, mein Freund, daß sie dich Lügner nennen
Und dich verachten, die dich nicht verstehen,
Doch ich versteh dich, o mein Zwillingsbruder.“
Und seltsam lächelnd ging er leise fort,
Und später hat er mir sein Stück geschenkt.
Mir hats gefallen, zwar ists nicht so hübsch
Wie Lieder, die das Volk im Sommer singt,
Wie hübsche Frauen, wie ein Kind, das lacht,
Und wie Jasmin in einer Delfter Vase ...
Doch mir gefällts, weils ähnlich ist wie ich:
Vom jungen Ahnen hat es seine Farben
Und hat den Schmelz der ungelebten Dinge;
Altkluger Weisheit voll und frühen Zweifels,
Mit einer großen Sehnsucht doch, die fragt.
Wie man zuweilen beim Vorübergehen
Von einem Köpfchen das Profil erhascht, –
Sie lehnt kokett verborgen in der Sänfte,
Man kennt sie nicht, man hat sie kaum gesehen
(Wer weiß, man hätte sie vielleicht geliebt,
Wer weiß, man kennt sie nicht und liebt sie doch) –
Inzwischen malt man sich in hellen Träumen
Die Sänfte aus, die hübsche weiße Sänfte,
Und drinnen duftig zwischen rosa Seide
Das blonde Köpfchen, kaum im Flug gesehn,
Vielleicht ganz falsch, was tuts ... die Seele wills ...
So, dünkt mich, ist das Leben hier gemalt
Mit unerfahrnen Farben des Verlangens
Und stillem Durst, der sich in Träumen wiegt.
Spätsommermittag. Auf Polstern und Teppichen lagern auf den Stufen, die rings zur Rampe führen, Desiderio, Antonio, Batista und Paris. Alle schweigen, der Wind bewegt leise den Vorhang der Tür. Tizianello und Gianino kommen nach einer Weile aus der Tür rechts. Desiderio, Antonio, Batista und Paris treten ihnen besorgt und fragend entgegen und drängen sich an sie. Nach einer kleinen Pause:
Paris
Nicht gut?
Gianino
mit erstickter Stimme
Sehr schlecht.
Zu Tizianello, der in Tränen ausbricht
Mein armer lieber Pippo!
Batista
Er schläft?
Gianino
Nein, er ist wach und phantasiert
Und hat die Staffelei begehrt.
Antonio
Allein
Man darf sie ihm nicht geben, nicht wahr, nein?
Ja, sagt der Arzt, wir sollen ihn nicht quälen
Und geben, was er will, in seine Hände.
Tizianello
ausbrechend
Heut oder morgen ists ja doch zu Ende!
Gianino
Er darf uns länger, sagt er, nicht verhehlen ...
Paris
Nein, sterben, sterben kann der Meister nicht!
Da lügt der Arzt, er weiß nicht, was er spricht.
Desiderio
Der Tizian sterben, der das Leben schafft!
Wer hätte dann zum Leben Recht und Kraft?
Batista
Doch weiß er selbst nicht, wie es um ihn steht?
Tizianello
Im Fieber malt er an dem neuen Bild,
In atemloser Hast, unheimlich, wild;
Die Mädchen sind bei ihm und müssen stehn,
Uns aber hieß er aus dem Zimmer gehn.
Kann er denn malen? Hat er denn die Kraft?
Tizianello
Mit einer rätselhaften Leidenschaft,
Die ich beim Malen nie an ihm gekannt,
Von einem martervollen Zwang gebannt –
Ein Page kommt aus der Tür rechts, hinter ihm Diener; alle erschrecken.
Tizianello, Gianino, Paris
Was ist?
Page
Nichts, nichts. Der Meister hat befohlen,
Daß wir vom Gartensaal die Bilder holen.
Tizianello
Was will er denn?
Page
Er sagt, er muß sie sehen ...
„Die alten, die erbärmlichen, die bleichen,
Mit seinem neuen, das er malt, vergleichen ...
Sehr schwere Dinge seien ihm jetzt klar,
Es komme ihm ein unerhört Verstehen,
Daß er bis jetzt ein matter Stümper war ...“
Soll man ihm folgen?
Gehet, gehet, eilt!
Ihn martert jeder Pulsschlag, den ihr weilt.
Die Diener sind indessen über die Bühne gegangen, an der Treppe holt sie der Page ein. Tizianello geht auf den Fußspitzen, leise den Vorhang aufhebend, hinein. Die andern gehen unruhig auf und nieder.
Antonio
halblaut
Wie fürchterlich, dies letzte, wie unsäglich ...
Der Göttliche, der Meister, lallend, kläglich ...
Gianino
Er sprach schon früher, was ich nicht verstand,
Gebietend ausgestreckt die blasse Hand ...
Dann sah er uns mit großen Augen an
Und schrie laut auf: „Es lebt der große Pan.“
Und vieles mehr, mir wars, als ob er strebte,
Das schwindende Vermögen zu gestalten,
Mit überstarken Formeln festzuhalten,
Sich selber zu beweisen, daß er lebte,
Mit starkem Wort, indes die Stimme bebte.
Tizianello
zurückkommend
Jetzt ist er wieder ruhig, und es strahlt
Aus seiner Blässe, und er malt und malt.
In seinen Augen ist ein guter Schimmer.
Und mit den Mädchen plaudert er wie immer.
Antonio
So legen wir uns auf die Stufen nieder
Und hoffen bis zum nächsten Schlimmern wieder.
Sie lagern sich auf den Stufen. Tizianello spielt mit Gianinos Haar, die Augen halb geschlossen.
Batista
halb für sich
Das Schlimmre ... dann das Schlimmste endlich ... nein.
Das Schlimmste kommt, wenn gar nichts Schlimmres mehr,
Das tote, taube, dürre Weitersein ...
Heut ist es noch, als obs undenkbar wär ...
Und wird doch morgen sein.
Pause.
Gianino
Ich bin so müd.
Paris
Das macht die Luft, die schwüle, und der Süd.
Tizianello
lächelnd
Der Arme hat die ganze Nacht gewacht!
auf den Arm gestützt
Ja, du ... die erste, die ich ganz durchwacht.
Doch woher weißt denn dus?
Tizianello
Ich fühlt es ja,
Erst war dein stilles Atmen meinem nah,
Dann standst du auf und saßest auf den Stufen ...
Gianino
Mir wars, als ginge durch die blaue Nacht,
Die atmende, ein rätselhaftes Rufen.
Und nirgends war ein Schlaf in der Natur.
Mit Atemholen tief und feuchten Lippen,
So lag sie, horchend in das große Dunkel,
Und lauschte auf geheimer Dinge Spur.
Und sickernd, rieselnd kam das Sterngefunkel
Hernieder auf die weiche, wache Flur.
Und alle Früchte, schweren Blutes, schwollen
Im gelben Mond und seinem Glanz, dem vollen,
Und alle Brunnen glänzten seinem Ziehn.
Und es erwachten schwere Harmonien.
Und wo die Wolkenschatten hastig glitten,
War wie ein Laut von weichen, nackten Tritten ...
Leis stand ich auf – ich war an dich geschmiegt –
Er steht erzählend auf, zu Tizianello geneigt
Da schwebte durch die Nacht ein süßes Tönen,
Als hörte man die Flöte leise stöhnen,
Die in der Hand aus Marmor sinnend wiegt
Der Faun, der da im schwarzen Lorbeer steht
Gleich nebenan, beim Nachtviolenbeet.
Ich sah ihn stehen, still und marmorn leuchten;
Und um ihn her im silbrig-blauen Feuchten,
Wo sich die offenen Granaten wiegen,
Da sah ich deutlich viele Bienen fliegen
Und viele saugen, auf das Rot gesunken,
Von nächtgem Duft und reifem Safte trunken.
Und wie des Dunkels leiser Atemzug
Den Duft des Gartens um die Stirn mir trug,
Da schien es mir wie das Vorüberschweifen
Von einem weichen, wogenden Gewand
Und die Berührung einer warmen Hand.
In weißen, seidig-weißen Mondesstreifen
War liebestoller Mücken dichter Tanz,
Und auf dem Teiche lag ein weicher Glanz
Und plätscherte und blinkte auf und nieder.
Ich weiß es heut nicht, obs die Schwäne waren,
Ob badender Najaden weiße Glieder,
Und wie ein süßer Duft von Frauenhaaren
Vermischte sich dem Duft der Aloe ...
Und was da war, ist mir in eins verflossen:
In eine überstarke, schwere Pracht,
Die Sinne stumm und Worte sinnlos macht.
Beneidenswerter, der das noch erlebt
Und solche Dinge in das Dunkel webt!
Gianino
Ich war in halbem Traum bis dort gegangen,
Wo man die Stadt sieht, wie sie drunten ruht,
Sich flüsternd schmieget in das Kleid von Prangen,
Das Mond um ihren Schlaf gemacht und Flut.
Ihr Lispeln weht manchmal der Nachtwind her,
So geisterhaft, verlöschend leisen Klang,
Beklemmend seltsam und verlockend bang.
Ich hört es oft, doch niemals dacht ich mehr ...
Da aber hab ich plötzlich viel gefühlt:
Ich ahnt in ihrem steinern stillen Schweigen,
Vom blauen Strom der Nacht emporgespült,
Des roten Bluts bacchantisch wilden Reigen,
Um ihre Dächer sah ich Phosphor glimmen,
Den Widerschein geheimer Dinge schwimmen.
Und schwindelnd überkams mich auf einmal:
Wohl schlief die Stadt: es wacht der Rausch, die Qual,
Der Haß, der Geist, das Blut: das Leben wacht.
Das Leben, das lebendige, allmächtge –
Man kann es haben und doch sein’ vergessen! ...
Er hält einen Augenblick inne.
Desiderio
an der Rampe, zu Gianino
Siehst du die Stadt, wie jetzt sie drunten ruht?
Gehüllt in Duft und goldne Abendglut
Und rosig helles Gelb und helles Grau,
Zu ihren Füßen schwarzer Schatten Blau,
In Schönheit lockend, feuchtverklärter Reinheit?
Allein in diesem Duft, dem ahnungsvollen,
Da wohnt die Häßlichkeit und die Gemeinheit,
Und bei den Tieren wohnen dort die Tollen;
Und was die Ferne weise dir verhüllt,
Ist ekelhaft und trüb und schal erfüllt
Von Wesen, die die Schönheit nicht erkennen
Und ihre Welt mit unsren Worten nennen ...
Denn unsre Wonne oder unsre Pein
Hat mit der ihren nur das Wort gemein ...
Und liegen wir in tiefem Schlaf befangen,
So gleicht der unsre ihrem Schlafe nicht:
Da schlafen Purpurblüten, goldne Schlangen,
Da schläft ein Berg, in dem Titanen hämmern –
Sie aber schlafen, wie die Austern dämmern.
Antonio
halb aufgerichtet
Darum umgeben Gitter, hohe, schlanke,
Den Garten, den der Meister ließ erbauen,
Darum durch üppig blumendes Geranke
Soll man das Außen ahnen mehr als schauen.
Paris
ebenso
Das ist die Lehre der verschlungnen Gänge.
Batista
ebenso
Das ist die große Kunst des Hintergrundes
Und das Geheimnis zweifelhafter Lichter.
Tizianello
mit geschlossenen Augen
Das macht so schön die halbverwehten Klänge,
So schön die dunklen Worte toter Dichter
Und alle Dinge, denen wir entsagen.
Paris
Das ist der Zauber auf versunknen Tagen
Und ist der Quell des grenzenlosen Schönen,
Denn wir ersticken, wo wir uns gewöhnen.
Alle verstummen. Pause. Tizianello weint leise vor sich hin.
Gianino
schmeichelnd
Du darfst dich nicht so trostlos drein versenken,
Nicht unaufhörlich an das eine denken.
Tizianello
traurig lächelnd
Als ob der Schmerz denn etwas andres wär
Als dieses ewige Dran-denken-müssen,
Bis es am Ende farblos wird und leer ...
So laß mich nur in den Gedanken wühlen,
Denn von den Leiden und von den Genüssen
Hab längst ich abgestreift das bunte Kleid,
Das um sie webt die Unbefangenheit,
Und einfach hab ich schon verlernt zu fühlen.
Pause.
Gianino
Wo nur Giocondo bleibt?
Tizianello
Lang vor dem Morgen
– Ihr schlieft noch – schlich er leise durch die Pforte,
Auf blasser Stirn den Kuß der Liebessorgen
Und auf den Lippen eifersüchtge Worte ...
Pagen tragen zwei Bilder über die Bühne (die Venus mit den Blumen und das große Bacchanal); die Schüler erheben sich und stehen, solange die Bilder vorübergetragen werden, mit gesenktem Kopf, das Barett in der Hand. Nach einer Pause (alle stehen):
Desiderio
Wer lebt nach ihm, ein Künstler und Lebendger,
Im Geiste herrlich und der Dinge Bändger
Und in der Einfalt weise wie das Kind?
Antonio
Wer ist, der seiner Weihe freudig traut?
Wer ist, dem nicht vor seinem Wissen graut?
Paris
Wer will uns sagen, ob wir Künstler sind?
Gianino
Er hat den regungslosen Wald belebt:
Und wo die braunen Weiher murmelnd liegen
Und Efeuranken sich an Buchen schmiegen,
Da hat er Götter in das Nichts gewebt:
Den Satyr, der die Syrinx tönend hebt,
Bis alle Dinge in Verlangen schwellen
Und Hirten sich den Hirtinnen gesellen ...
Batista
Er hat den Wolken, die vorüberschweben,
Den wesenlosen, einen Sinn gegeben:
Der blassen, weißen schleierhaftes Dehnen
Gedeutet in ein blasses, süßes Sehnen;
Der mächtgen goldumrandet schwarzes Wallen
Und runde, graue, die sich lachend ballen,
Und rosig silberne, die abends ziehn:
Sie haben Seele, haben Sinn durch ihn.
Er hat aus Klippen, nackten, fahlen, bleichen,
Aus grüner Wogen brandend weißem Schäumen,
Aus schwarzer Haine regungslosem Träumen
Und aus der Trauer blitzgetroffner Eichen
Ein Menschliches gemacht, das wir verstehen,
Und uns gelehrt, den Geist der Nacht zu sehen.
Paris
Er hat uns aufgeweckt aus halber Nacht
Und unsre Seelen licht und reich gemacht
Und uns gewiesen, jedes Tages Fließen
Und Fluten als ein Schauspiel zu genießen,
Die Schönheit aller Formen zu verstehen
Und unsrem eignen Leben zuzusehen.
Die Frauen und die Blumen und die Wellen
Und Seide, Gold und bunter Steine Strahl
Und hohe Brücken und das Frühlingstal
Mit blonden Nymphen an kristallnen Quellen,
Und was ein jeder nur zu träumen liebt
Und was uns wachend Herrliches umgibt:
Hat seine große Schönheit erst empfangen,
Seit es durch seine Seele durchgegangen.
Antonio
Was für die schlanke Schönheit Reigentanz,
Was Fackelschein für bunten Maskenkranz,
Was für die Seele, die im Schlafe liegt,
Musik, die wogend sie in Rhythmen wiegt,
Und was der Spiegel für die junge Frau
Und für die Blüten Sonne, licht und lau:
Ein Auge, ein harmonisch Element,
In dem die Schönheit erst sich selbst erkennt –
Das fand Natur in seines Wesens Strahl.
„Erweck uns, mach aus uns ein Bacchanal!“
Rief alles Lebende, das ihn ersehnte
Und seinem Blick sich stumm entgegendehnte.
Während Antonio spricht, sind die drei Mädchen leise aus der Tür getreten und zuhörend stehengeblieben; nur Tizianello, der zerstreut und teilnahmlos abseits rechts steht, scheint sie zu bemerken. Lavinia trägt das blonde Haar im Goldnetz und das reiche Kostüm einer venezianischen Patrizierin. Cassandra und Lisa, etwa neunzehn- und siebzehnjährig, tragen beide ein einfaches, kaum stilisiertes Peplum aus weißem, anschmiegendem, flutendem Byssus; nackte Arme mit goldenen Schlangenreifen; Sandalen, Gürtel aus Goldstoff. Cassandra ist aschblond, graziös. Lisa hat eine gelbe Rosenknospe im schwarzen Haar. Irgend etwas an ihr erinnert ans Knabenhafte, wie irgend etwas an Gianino ans Mädchenhafte erinnert. Hinter ihnen tritt ein Page aus der Tür, der einen getriebenen silbernen Weinkrug und Becher trägt.
Antonio
Daß uns die fernen Bäume lieblich sind,
Die träumerischen, dort im Abendwind ...
Paris
Und daß wir Schönheit sehen in der Flucht
Der weißen Segel in der blauen Bucht ...
Tizianello
zu den Mädchen, die er mit einer leichten Verbeugung begrüßt hat; alle andern drehen sich um
Und daß wir eures Haares Duft und Schein
Und eurer Formen mattes Elfenbein
Und goldne Gürtel, die euch weich umwinden,
So wie Musik und wie ein Glück empfinden –
Das macht: Er lehrte uns die Dinge sehen ...
bitter
Und das wird man da drunten nie verstehen!
Gianino
zu den Mädchen
Ist er allein? Soll niemand zu ihm gehen?
Lavinia
Bleibt alle hier. Er will jetzt niemand sehen.
Desiderio
Vom Schaffen beben ihm der Seele Saiten,
Und jeder Laut beleidigt die geweihten!
Tizianello
O, käm ihm jetzt der Tod, mit sanftem Neigen,
In dieser schönen Trunkenheit, im Schweigen!
Paris
Allein das Bild? Vollendet er das Bild?
Antonio
Was wird es werden?
Batista
Kann man es erkennen?
Wir werden ihnen unsre Haltung nennen.
Ich bin die Göttin Venus, diese war
So schön, daß ihre Schönheit trunken machte.
Cassandra
Mich malte er, wie ich verstohlen lachte,
Von vielen Küssen feucht das offne Haar.
Lisa
Ich halte eine Puppe in den Händen,
Die ganz verhüllt ist und verschleiert ganz,
Und sehe sie mir scheu verlangend an:
Denn diese Puppe ist der große Pan,
Ein Gott,
Der das Geheimnis ist von allem Leben.
Den halt ich in den Armen wie ein Kind.
Doch ringsum fühl ich rätselhaftes Weben,
Und mich verwirrt der laue Abendwind.
Lavinia
Mich spiegelt still und wonnevoll der Teich.
Cassandra
Mir küßt den Fuß der Rasen kühl und weich.
Lisa
Schwergolden glüht die Sonne, die sich wendet:
Das ist das Bild, und morgen ists vollendet.
Indes er so dem Leben Leben gab,
Sprach er mit Ruhe viel von seinem Grab.
Im bläulich bebenden schwarzgrünen Hain
Am weißen Strand will er begraben sein:
Wo dichtverschlungen viele Pflanzen stehen,
Gedankenlos im Werden und Vergehen,
Und alle Dinge ihrer selbst vergessen,
Und wo am Meere, das sich träumend regt,
Der leise Puls des stummen Lebens schlägt.
Paris
Er will im Unbewußten untersinken,
Und wir, wir sollen seine Seele trinken
In des lebendgen Lebens lichtem Wein,
Und wo wir Schönheit sehen, wird Er sein!
Desiderio
Er aber hat die Schönheit stets gesehen,
Und jeder Augenblick war ihm Erfüllung,
Indessen wir zu schaffen nicht verstehen
Und hilflos harren müssen der Enthüllung ...
Und unsre Gegenwart ist trüb und leer,
Kommt uns die Weihe nicht von außen her.
Ja, hätte der nicht seine Liebessorgen,
Die ihm mit Rot und Schwarz das Heute färben.
Und hätte jener nicht den Traum von morgen
Mit leuchtender Erwartung, Glück zu werben,
Und hätte jeder nicht ein heimlich Bangen
Von irgend etwas und ein still Verlangen
Nach irgend etwas und Erregung viel
Mit innrer Lichter buntem Farbenspiel
Und irgend etwas, das zu kommen säumt,
Wovon die Seele ihm phantastisch träumt,
Und irgend etwas, das zu Ende geht,
Wovon ein Schmerz verklärend ihn durchweht –:
So lebten wir in Dämmerung dahin,
Und unser Leben hätte keinen Sinn ...
Die aber wie der Meister sind, die gehen,
Und Schönheit wird und Sinn, wohin sie sehen.
Nach einem antiken Vasenbild:
Zentaur mit verwundeter Frau am Rand
eines Flusses.
Der Schauplatz im Böcklinschen Stil. Eine offene Dorfschmiede. Dahinter das Haus, im Hintergrunde ein Fluß. Der Schmied an der Arbeit, sein Weib müßig an die Türe gelehnt, die von der Schmiede ins Haus führt. Auf dem Boden spielt ein blondes kleines Kind mit einer zahmen Krabbe. In einer Nische ein Weinschlauch, ein paar frische Feigen und Melonenschalen.
Der Schmied
Wohin verlieren dir die sinnenden Gedanken sich,
Indes du schweigend mir das Werk, feindselig fast,
Mit solchen Lippen, leise zuckenden, beschaust?
Die Frau
Im blütenweißen, kleinen Garten saß ich oft,
Den Blick aufs väterliche Handwerk hingewandt,
Das nette Werk des Töpfers: wie der Scheibe da,
Der surrenden im Kreis, die edle Form entstieg,
Im stillen Werden einer zarten Blume gleich,
Mit kühlem Glanz des Elfenbeins. Darauf erschuf
Der Vater Henkel, mit Akanthusblatt geziert,
Und ein Akanthus-, ein Olivenkranz wohl auch
Umlief als dunkelroter Schmuck des Kruges Rand.
Den schönen Körper dann belebte er mit Reigenkranz
Der Horen, der vorüberschwebend lebenspendenden.
Er schuf, gestreckt auf königliche Ruhebank,
Der Phädra wundervollen Leib, von Sehnsucht matt,
Und drüber flatternd Eros, der mit süßer Qual die Glieder füllt.
Gewaltgen Krügen liebte er ein Bacchusfest
Zum Schmuck zu geben, wo der Purpurtraubensaft
Aufsprühte unter der Mänade nacktem Fuß
Und fliegend Haar und Thyrsusschwung die Luft erfüllt.
Auf Totenurnen war Persephoneias hohes Bild,
Die mit den seelenlosen, roten Augen schaut
Und, Blumen des Vergessens, Mohn, im heiligen Haar,
Das lebenfremde, asphodelische Gefilde tritt.
Des Redens wär kein Ende, zählt ich alle auf,
Die göttlichen, an deren schönem Leben ich
– Zum zweiten Male lebend, was gebildet war –,
An deren Gram und Haß und Liebeslust
Und wechselndem Erlebnis jeder Art
Ich also Anteil hatte, ich, ein Kind,
Die mir mit halbverstandener Gefühle Hauch
Anrührten meiner Seele tiefstes Saitenspiel,
Daß mir zuweilen war, als hätte ich im Schlaf
Die stets verborgenen Mysterien durchirrt
Von Lust und Leid, Erkennende mit wachem Aug,
Davon, an dieses Sonnenlicht zurückgekehrt,
Mir mahnendes Gedenken andern Lebens bleibt
Und eine Fremde, Ausgeschloßne aus mir macht
In dieser nährenden, lebendgen Luft der Welt.
Den Sinn des Seins verwirrte allzu vieler Müßiggang
Dem schön gesinnten, gern verträumten Kind, mich dünkt.
Und jene Ehrfurcht fehlte, die zu trennen weiß,
Was Göttern ziemt, was Menschen! Wie Semele dies,
Die töricht fordernde, vergehend erst begriff.
Des Gatten Handwerk lerne heilig halten du,
Das aus des mütterlichen Grundes Eingeweiden stammt
Und, sich die hundertarmig Ungebändigte,
Die Flamme, unterwerfend, klug und kraftvoll wirkt.
Die Frau
Die Flamme anzusehen, lockts mich immer neu,
Die wechselnde, mit heißem Hauch berauschende.
Der Schmied
Vielmehr erfreue Anblick dich des Werks!
Die Waffen sieh, der Pflugschar heilige Härte auch,
Und dieses Beil, das wilde Bäume uns zur Hütte fügt.
So schafft der Schmied, was alles andre schaffen soll.
Wo duftig aufgeworfne Scholle Samen trinkt
Und gelbes Korn der Sichel dann entgegenquillt,
Wo zwischen stillen Stämmen nach dem scheuen Wild
Der Pfeil hinschwirrt und tödlich in den Nacken schlägt,
Wo harter Huf von Rossen staubaufwirbelnd dröhnt
Und rasche Räder rollen zwischen Stadt und Stadt,
Wo der gewaltig klirrende, der Männerstreit
Die hohe liederwerte Männlichkeit enthüllt:
Da wirk ich fort und halt umwunden so die Welt
Mit starken Spuren meines Tuens, weil es tüchtig ist.
Pause.
Die Frau
Zentauren seh ich einen nahen, Jüngling noch,
Ein schöner Gott mir scheinend, wenn auch halb ein Tier,
Und aus dem Hain, entlang dem Ufer, traben her.
Der Zentaur
einen Speer in der Hand, den er dem Schmied hinhält
Find ich dem stumpfgewordnen Speere Heilung hier
Und neue Spitze der geschwungnen Wucht? Verkünd!
Der Schmied
Ob deinesgleichen auch, dich selber sah ich nie.
Der Zentaur
Zum ersten Male lockte mir den Lauf
Nach eurem Dorf Bedürfnis, das du kennst.
Der Schmied
Ihm soll
In kurzem abgeholfen sein. Indes erzählst
Du, wenn du dir den Dank der Frau verdienen willst,
Von fremden Wundern, die du wohl gesehn, wovon
Hieher nicht Kunde dringt, wenn nicht ein Wandrer kommt.
Die Frau
Ich reiche dir zuerst den vollen Schlauch: er ist
Mit kühlem, säuerlichem Apfelwein gefüllt,
Denn andrer ist uns nicht. Das nächste Dürsten stillt
Wohl etwa weit von hier aus beßrer Schale dir
Mit heißerm Safte eine schönre Frau als ich.
Sie hat den Wein aus dem Schlauch in eine irdene Trinkschale gegossen, die er langsam schlürft.
Der Zentaur
Die allgemeinen Straßen zog ich nicht und mied
Der Hafenplätze vielvermengendes Gewühl,
Wo einer leicht von Schiffern bunte Mär erfährt.
Die öden Heiden wählte ich zum Tagesweg,
Flamingos nur und schwarze Stiere störend auf,
Und stampfte nachts das Heidekraut dahin im Duft,
Das hyazinthne Dunkel über mir.
Zuweilen kam ich wandernd einem Hain vorbei,
Wo sich, zu flüchtig eigensinnger Lust gewillt,
Aus einem Schwarme von Najaden eine mir
Für eine Strecke Wegs gesellte, die ich dann
An einen jungen Satyr wiederum verlor,
Der syrinxblasend, lockend wo am Wege saß.
Die Frau
Unsäglich reizend dünkt dies Ungebundne mir.
Die Waldgebornen kennen Scham und Treue nicht,
Die erst das Haus verlangen und bewahren lehrt.
Die Frau
Ward dir, dem Flötenspiel des Pan zu lauschen? Sag!
Der Zentaur
In einem stillen Kesseltal ward mirs beschert.
Da wogte mit dem schwülen Abendwind herab
Vom Rand der Felsen rätselhaftestes Getön,
So tief aufwühlend wie vereinter Drang
Von allem Tiefsten, was die Seele je durchbebt,
Als flög mein Ich im Wirbel fortgerissen mir
Durch tausendfach verschiedne Trunkenheit hindurch.
Der Schmied
Verbotenes laß lieber unberedet sein!
Die Frau
Laß immerhin, was regt die Seele schöner auf?
Der Schmied
Das Leben zeitigt selbst den höhern Herzensschlag,
Wie reife Frucht vom Zweige sich erfreulich löst.
Und nicht zu andern Schauern sind geboren wir,
Als uns das Schicksal über unsre Lebenswelle haucht.
Der Zentaur
So blieb die wunderbare Kunst dir unbekannt,
Die Götter üben: unter Menschen Mensch,
Zu andern Zeiten aufzugehn im Sturmeshauch,
Und ein Delphin zu plätschern wiederum im Naß
Und ätherkreisend einzusaugen Adlerlust?
Du kennst, mich dünkt, nur wenig von der Welt, mein Freund.
Der Schmied
Die ganze kenn ich, kennend meinen Kreis,
Maßloses nicht verlangend, noch begierig ich,
Die flüchtge Flut zu ballen in der hohlen Hand.
Den Bach, der deine Wiege schaukelte, erkennen lern,
Den Nachbarbaum, der dir die Früchte an der Sonne reift
Und dufterfüllten lauen Schatten niedergießt,
Das kühle grüne Gras, es trats dein Fuß als Kind.
Die alten Eltern tratens, leise frierende,
Und die Geliebte trats, da quollen duftend auf
Die Veilchen, schmiegend unter ihre Sohlen sich;
Das Haus begreif, in dem du lebst und sterben sollst,
Und dann, ein Wirkender, begreif dich selber ehrfurchtsvoll,
An diesen hast du mehr, als du erfassen kannst –
Den Wanderliebenden, ich halt ihn länger nicht, allein
Der letzten Glättung noch bedarfs, die Feile fehlt,
Ich finde sie und schaffe dir das letzte noch.
Er geht ins Haus.
Dich führt wohl nimmermehr der Weg hieher zurück.
Hinstampfend durch die hyazinthne Nacht, berauscht,
Vergissest meiner du am Wege, fürcht ich, bald,
Die deiner, fürcht ich, nicht so bald vergessen kann.
Der Zentaur
Du irrst: verdammt von dir zu scheiden, wärs,
Als schlügen sich die Gitter dröhnend hinter mir
Von aller Liebe dufterfülltem Garten zu.
Doch kommst du, wie ich meine, mir Gefährtin mit,
So trag ich solchen hohen Reiz als Beute fort,
Wie nie die hohe Aphrodite ausgegossen hat,
Die allbelebende, auf Meer und wilde Flut.
Die Frau
Wie könnt ich Gatten, Haus und Kind verlassen hier?
Der Zentaur
Was sorgst du lang, um was du schnell vergessen hast?
Die Frau
Er kommt zurück, und schnell zerronnen ist der Traum!
Der Zentaur
Mit nichten, da doch Lust und Weg noch offen steht.
Mit festen Fingern greif mir ins Gelock und klammre dich,
Am Rücken ruhend, mir an Arm und Nacken an!
Sie schwingt sich auf seinen Rücken, und er stürmt hell schreiend zum Fluß hinunter, das Kind erschrickt und bricht in klägliches Weinen aus. Der Schmied tritt aus dem Haus. Eben stürzt sich der Zentaur in das aufrauschende Wasser des Flusses. Sein bronzener Oberkörper und die Gestalt der Frau zeichnen sich scharf auf der abendlich vergoldeten Wasserfläche ab. Der Schmied wird sie gewahr; in der Hand den Speer des Zentauren, läuft er ans Ufer hinab und schleudert, weit vorgebeugt, den Speer, der mit zitterndem Schaft einen Augenblick im Rücken der Frau stecken bleibt, bis diese mit einem gellenden Schrei die Locken des Zentauren fahren läßt und mit ausgebreiteten Armen rücklings ins Wasser stürzt. Der Zentaur fängt die Sterbende in seinen Armen auf und trägt sie hocherhoben stromabwärts, dem andern Ufer zuschwimmend.
Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert.