Title: Riesen und Drachen der Vorzeit. Geschichte der Erde, Dritter Teil
Author: R. Bommeli
Release date: April 16, 2020 [eBook #61850]
Most recently updated: October 17, 2024
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription
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Geschichte der Erde
Dritter Teil
Von
R. Bommeli
*
Mit zwei Farbentafeln
und 32 Illustrationen
Zweite Auflage
*
Stuttgart 1921 Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Druck von J. H. W. Dietz Nachf. G. m. b. H. in Stuttgart
Seite
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Aus alten Mären | |
Allerlei Könige | |
Amphibien oder Lurche | |
Kriechtiere (Reptilien oder Saurier) | |
Alte Krokodilier | |
Schlangen- oder Langhalsdrachen | |
Fischdrachen | |
Schreckdrachen | |
Lindwürmer (Zanklodon und Greßlyosaurus) | |
Iguanodonten | |
Amerikanische Größen | |
Diplodokus | |
Panzer- und Horndrachen | |
Afrikaner | |
Buschklepper | |
Maasechsen oder Seeschlangen | |
Vogeleidechsen oder Flugdrachen | |
Vögel | |
Untergang der alten Herrscher und Aufstieg der neuen Klasse | |
Ur- und Kreidevögel | |
Befiederte Giganten | |
Säugetiere | |
Einiges über Ursprung und Entwicklung | |
Wale | |
Zahnarme (Riesenfaultiere und Riesenpanzertiere) | |
Huftiere | |
Rüsseltiere |
Farbige Tafeln: Juralandschaft Seite 17, Kreidelandschaft Seite 49.
Es ist eine weitverbreitete Meinung, daß der Mensch in früheren Zeiten nicht nur viel gesünder und langlebiger, sondern auch viel größer und stärker gewesen und daß unser Geschlecht überhaupt in absteigender Linie begriffen sei. Zahllose Sagen berichten von Riesen und Riesenvölkern, im Vergleich zu denen wir allerdings nur als verkümmerte Zwerge, als Liliputaner erscheinen. Je weiter wir in der Geschichte zurückschreiten, desto gewaltiger, gottähnlicher ist die „Krone der Schöpfung“, und am gewaltigsten ist naturgemäß das Stammelternpaar. Nach arabischen Überlieferungen hat dasselbe die Größe von Dattelpalmen erreicht, und dessen Gräber, die unweit der Hafenstadt Dschidda am Roten Meere den „Gläubigen“ gezeigt werden, sollen tatsächlich auf gigantischen Wuchs schließen lassen. Zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts nahm sich ein französischer Gelehrter, Henrien, in verdienstlicher Weise die Mühe, hierüber eine wissenschaftliche Untersuchung anzustellen, und fand durch Berechnung, daß Adam 38,5 Meter und dessen schönere Hälfte 37 Meter gemessen habe. Dergleichen Titanen wurden aber in der Folge immer seltener und verschwanden bald gänzlich. Ajax, der „hervorragendste“ Griechenheld im Trojanischen Kriege (zwölftes Jahrhundert vor Christo), der alle um Haupt und Schultern überragte, erreichte bloß 10 Ellen (6 Meter) und der berühmte Goliath gar nur 6 Ellen und eine Hand. Immerhin wird berichtet, daß die alten Helvetier sowie die Zimbern und Teutonen zu Cäsars Zeiten immer noch durchweg 5 Meter hoch gewesen seien. Für den imposanten Wuchs der Zimbern zeugt das Skelett des Herzogs Teutoboch, eines Heerführers, der von dem römischen Feldherrn Marius Anno 101 vor Christo geschlagen wurde. Ein französischer Chirurg namens Mazurier wollte seinen Mitbürgern weismachen, daß er dessen „Grab“ gefunden habe. Dieses soll 9 Meter lang gewesen sein. Nach den Behauptungen des phantasievollen Wundarztes hatte das noch ziemlich gut erhaltene Skelett 7½ Meter (!) Länge, die Schulterbreite betrug 3 und der Durchmesser des Schädels 1½ Meter. Da kann es eigentlich nicht wundernehmen, wenn auch die[S. 6] Tierwelt mit allerlei Extravaganzen aufmarschierte. In allen Landen wimmelte es von scheußlichen Lindwürmern und Drachen, die zu bezwingen eine besonders rühmliche Aufgabe „preiswerter“ Helden und kühner Recken war. Nicht nur die Dichter von Heldengesängen, auch wir Schulkinder hielten die Drachentöter in besonderen Ehren, und heute noch lesen wir von den Taten eines Herkules, des hörnenen Siegfried und Struthans von Winkelried mit großem Vergnügen.
Die eigentlichen Drachen waren geflügelt und besaßen einen Schlangenleib, manche hatten Löwenfüße und Löwenhäupter, andere Adlerklauen und Adlerköpfe. Sie konnten Feuer speien und ihr Blick, ihr Geifer und ihr Blut waren tödlich, ihre Ausdünstungen bewirkten Gewitter und pestilenzialische Krankheiten und entvölkerten ganze Gegenden.
Die Lindwürmer dachte man sich flügellos und bald mehr schlangen-, bald mehr krokodilähnlich (Tatzelwürmer); sie waren häufig die Behüter kostbarer Schätze. Die größten unter ihnen konnten durch ihre heftigen Bewegungen, zumal durch wildes Schlagen mit dem Schwanze Erdbeben erregen. Nach der persischen Göttersage schuf Ahriman, der Gott des Bösen und der Finsternis, den Drachen Dahaka, der die Welt verwüsten sollte. Bei den nordischen Germanen spielte die vom Höllengott Loke und der Riesin Angoboda gezeugte Midgardschlange eine ähnliche Rolle. Sie reichte um den ganzen Erdkreis herum und erzeugte Ebbe und Flut. Beim Weltuntergang kämpft sie gegen die Götter und wird vom Wettergott Thor mit dem Wunderhammer Miölnir erschlagen; der siegreiche Gott ertrinkt aber in den Giftströmen, die sie über ihn ergießt. Besser bekannt — wenigstens dem Namen nach — ist die gemeine große Seeschlange, welche regelmäßig jedes Jahr zu ganz bestimmter Zeit auftaucht, um dann wieder spurlos zu verschwinden.
Das alte, heil’ge, ewige Meer beherbergt eine Menge fabelhafter Ungetüme, außer riesigen Fischen, Walen und Seeschlangen besonders kolossale Kraken oder Polypen, Verwandte des ge[S. 7]wöhnlichen Tintenfisches. Der dänische Bischof Pontoppidan (gestorben 1765) berichtet von einem Riesenpolypen, welcher eine halbe Wegstunde Durchmesser hatte und Hügel und Seen trug. Auf seinem Rücken konnte ein Regiment Soldaten exerzieren. Seine Arme waren stärker als die Mastbäume der größten Schiffe.
Ich kann hier nicht untersuchen, wie und wodurch all die Mären von Riesen und Drachen entstanden sind, ich denke mir, daß ihnen gar mancherlei Ursachen zugrunde liegen werden. Viele sind wohl lediglich der „Lust am Fabulieren“ geschuldet, sie sind Erfindungen der Phantasie oder stellen starke Übertreibungen von wirklich Geschautem dar, wobei durch Überlieferung, Zusätze und Ausschmückungen eben ein phantastisches Fabelwesen entstand wie Pontoppidans Riesenpolyp. Von Seefahrern und Entdeckungsreisenden wurden wohl auch manche Fabeleien erfunden, um sich ein großes Ansehen zu geben oder um allfällige Konkurrenten abzuschrecken. Bei der großen Unwissenheit in naturwissenschaftlichen Dingen und dem krassen Aberglauben früherer Zeiten war es ein leichtes, den Mitmenschen die größten Bären aufzubinden.
Etwas anderes ist es mit den Riesen und Ungeheuern der alten Göttersagen (Mythen), dieselben sind wohl durchweg Personifikationen von Naturkräften und Naturereignissen: Kälte, Hitze, Sturm, Erdbeben, Fruchtbarkeit, Überschwemmungen, Toben des Meeres, Epidemien usw. Sodann haben wohl auch die Funde großer Knochen zu mancherlei Fabeleien Anlaß gegeben, besonders die ziemlich häufigen und gut erhaltenen Skelettreste von Mammut- und Mastodonelefanten, Flußpferden, Nashörnern, Riesenhirschen, Walfischen. Die angeblichen Skelette des Helden Ajax und des Königs Teutoboch bestanden höchstwahrscheinlich aus Knochen ausgestorbener Riesentiere. Mit diesen wird sich das vorliegende Bändchen befassen; es ist also ein kurzer Auszug oder wenn wir wollen eine Sammlung von Stichproben aus der Lehre von den ausgestorbenen Geschöpfen (Paläontologie), wobei einige Kenntnisse der geologischen Perioden und Formationen vonnöten sind, was der Leser im zweiten Bändchen unserer Geschichte der Erde: Die Weltalter, Nr. 21 der „Kleinen Bibliothek“, findet.
Die Frage, ob die Lebewesen der Vorzeit die heutigen an Körpergröße, Stärke und Lebensdauer weit überragt haben, ist immer noch nicht erledigt, denn die Antwort ist nicht so leicht und einfach, daß sie sich mit Ja oder Nein abtun ließe. Der Leser mag sich gleich selber davon überzeugen. In den ältesten Schichtgesteinen, in den Urtonschiefern, Grauwackensandsteinen, Schiefertonen des Algonkium und Kambrium fehlt die Pflanzenwelt fast gänzlich, und es hat den Anschein, als ob damals nur Tange und verwandte Gewächse existiert hätten. Nun mögen unter diesen wohl auch Riesenformen gewesen sein, gibt es doch in den heutigen Meeren solche von 200 bis 300 Meter Länge (Birnentang); aber höhere, holzige Pflanzen nach Art unserer Bäume gab es wohl noch nicht. Die Pflanzenwelt hat „klein“ angefangen und Jahrmillionen hindurch nur aus Algen und moosartigen Formen bestanden; erst in der Silurperiode hat sie es zu größeren Landpflanzen und erst in der sogenannten Steinkohlenzeit zu üppiger Entwicklung gebracht. Nun war das Festland mit großen Wäldern bedeckt, und diese bestanden aus den berühmten Siegel- und Schuppenbäumen, Riesenschachtelbäumen (Kalamiten) und Baumfarnen. (Siehe Geschichte der Erde, zweiter Teil, Seite 35 ff.[1]) Das waren nun freilich gewaltige Riesen, denn die heutigen Vettern der Siegel- und Schuppenbäume, die Bärlappgewächse und Moosfarne, sind kleine, unscheinbare, schwächliche Pflänzchen, von deren Dasein die meisten Menschen nicht einmal eine Ahnung haben, und die Nachkommen der Riesenschachtelbäume sind die Schachtelhalme oder „Katzenschwänze“, deren stattlichste einheimische Art unter dem Namen Zinnkraut bekannt ist. Das möchte in der Tat zum Gedanken verleiten, daß die Pflanzenwelt wenigstens zur Steinkohlenzeit viel großartiger und üppiger als heute gewesen, daß die Natur damals größere Lebenskraft besessen und daß seitdem ein gewaltiger Rückgang, eine Verarmung und[S. 9] Verkrüppelung, eine Degeneration stattgefunden habe. Das wäre indessen entschieden ein Trugschluß. Wir dürfen nicht vergessen, daß die seltsamen Bäume des Steinkohlensumpfes die größten und höchstentwickelten Gewächse jener Zeit waren und daß sie von der heutigen Baumwelt sowohl hinsichtlich der Größe als auch in bezug auf anatomischen Bau, Zahl und Mannigfaltigkeit der Arten und Lebenserscheinungen — sie tragen zum Beispiel Blüten und Samen, jene nicht — weit in Schatten gestellt werden. Nach jenen Steinkohlenpflanzen kamen die Blütenpflanzen: die Nadelhölzer, die Palmen, die verschiedenartigen Laubbäume und all die wundervollen Blumen, also kein Niedergang, sondern ein gewaltiger Aufstieg. Aber dieser Aufstieg vollzog sich in verwickelten Kurven und hatte eben den Untergang der meisten alten Formen zur Folge, was bei jedem Fortschritt zutage tritt, weshalb ja die Anhänger des Alten den Fortschritt so fürchten und hassen, sie wissen oder ahnen wenigstens: das ist ihr Tod. So sehen wir denn, daß zu jedem Zeitalter, in jeder Periode irgendeine Klasse, Ordnung, Familie oder Gattung besonders hervorragt und die anderen Zeitgenossen überragt, sie gewissermaßen beherrscht, worauf wieder der Abstieg und meist völliges Aussterben erfolgt, daher das Wort von den Königen und Herrscherdynastien des Tier- und Pflanzenreiches. Nahmen im ältesten Altertum gewisse Tange den höchsten Rang ein, so rückten später die Schuppen-, Siegel- und Schachtelbäume an deren Stelle. Diese wurden im Mittelalter der Erde durch Zapfenfarne (Farnpalmen) und Urnadelhölzer verdrängt, und hernach folgten die modernen Nadelhölzer und Laubbäume. Es ist nicht wahrscheinlich, daß es je gewaltigere Baumriesen gegeben hat als die heutigen Eichen, Ahorne, Linden, Kastanien, Tannen, Fichten, Kiefern, Mammutbäume, Kokospalmen, Affenbrotbäume, Gummibäume, Fieberheilbäume und Pfefferminzbäume, welch letztere über 120 Meter hoch werden.
Wie verhält sich’s nun mit den Tieren? Von ihren ältesten Vertretern ist uns ebensowenig bekannt wie von den ältesten Pflanzen; doch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auch die Tierwelt, die offenbar aus einem Zweige der Urpflanzen, und zwar aus Uralgen hervorgegangen ist, mit sehr einfachen und kleinen Formen, ähnlich den heutigen Urtieren, angefangen hat. Ein pfenniggroßer Batzenstein (Nummulit) gilt da schon[S. 10] als Koloß, denn er ist millionenmal größer als die kleinsten Aufgußtierchen; das wäre so eine Art „Urkönig“. In den ältesten versteinerungführenden Schichten treten uns keine Giganten entgegen; alles ist noch zwerghaftes Kleingetier. Erst im Silur und Devon treffen wir kraftstrotzende Gestalten: Riesenkrebse, Geradhörner und Panzerfische. Zwar haben auch die seltsamen Lappenkrebse (Trilobiten, siehe zweiter Teil, Seite 21 ff.) den Anspruch erhoben, als „Könige“ zu gelten, und ihre größten Arten von 20 bis 30 Zentimeter Länge waren verhältnismäßig recht stattliche Gesellen, die auch hinsichtlich ihrer Organisation sicherlich ihre Zeitgenossen überragten, aber der Seraphim und dessen Vettern (Pterygotus, Eurypterus, Stylonurus) tragen den Namen Riesenkrebse (Gigantostraken) doch mit größerem Rechte, erreichten sie doch bis 2 Meter Länge. Niemals, weder vor- noch nachher, haben sich Krebse zu dieser erstaunlichen Größe emporgeschwungen. Aber es waren auch recht ungeschlachte Gesellen, die im Kampf ums Dasein eine traurige Rolle spielten und bald von der Bühne abtreten mußten, denn Großsein tut es nicht allein.
Das gilt auch von den Geradhörnern, Vorfahren der heutigen Tintenfische, die ebenfalls mehrere Meter lang wurden und mit kegelförmiger gekammerter Schale versehen waren. Die heutigen Tintenfische oder Kopffüßer, wie der wissenschaftliche Klassenname lautet, weisen indes viel mächtigere Vertreter auf, gibt es doch in unseren Ozeanen Tintenfische mit 10 Meter langen Fangarmen.
Auch die Insekten, die uns zum erstenmal in der Steinkohlenformation entgegentreten, haben ihre Riesen: gewaltige Schaben und Termiten und phantastische Gespenstheuschrecken von 50 Zentimeter Länge, mit wallnußgroßem Kopf und scharfem Schnabel. Aber diese „Insektenkönige“ bilden keineswegs die Blüte ihrer Klasse, vielmehr einen bizarren Auswuchs, dessen Gipfel bald abdorrte. Seinen höchsten Triumph feiert der Insektentypus in den heutigen Käfern, Schmetterlingen, Wespen, Bienen und Ameisen.
Aber damit sind wir viele Jahrmillionen vorausgeeilt und müssen nochmals zurück zum Altertum der Erdgeschichte, zum Zeitalter der Riesenkrebse und Geradhörner. Derweil ist nämlich der rastlos tätigen Natur die Schaffung eines neuen Typus gelungen, nämlich des Wirbeltiers. Damit hat sie eine ganz[S. 11] neue Bahn betreten, die zu den höchsten Höhen führte und eine fast unbegrenzte Entwicklungsfähigkeit ermöglichte. Während die bisherigen Typen: Urtiere, Pflanzentiere, Würmer, Sterntiere, Weichtiere und Gliederfüßer sich im tobenden Kampfe ums Dasein dadurch zu schützen suchten, daß sie ihre Leiber in ein äußeres Skelett, ein Gehäuse, eine Schale oder einen Panzer steckten, probierten es die Wirbeltiere mit einem inneren Skelett, einem achsenständigen Knochenbau. Diese Entwicklung vollzog sich aber nicht sprungweise, sondern tappend und unsicher in zahllosen, bald fehlgeschlagenen, bald mit Erfolg gekrönten Versuchen. Die ältesten Entwicklungsreihen waren nicht erhaltungsfähig und sind daher unbekannt; doch unterliegt es keinem Zweifel, daß das Wirbeltier einem uralten Zweig des wunderbar mannigfaltigen Wurmkreises entsprossen ist. Noch heute existiert eine kleine, aber höchst merkwürdige Gruppe von Meeresbewohnern, welche das Bindeglied zwischen den beiden jetzt so weit auseinanderliegenden Tierkreisen bildet. Das sind die sogenannten Manteltierchen, deren Jugendstadien direkt zum niedersten Wirbeltier, dem berühmten Lanzettfischchen hinüberleiten.
Die ersten Wirbeltiere treten auf in der sogenannten Silurformation, der dritten Hauptabteilung des Altertums der Erde (der paläozoischen Ära). Es sind abenteuerlich gestaltete Wesen mit knorpeligem Innenskelett und starkem Hautpanzer (Panzerköpfe, Schildköpfe und Flügelfische, deren Bild der Leser in Nr. 21 der „Kleinen Bibliothek“, Seite 34 und 35, findet). Die meisten Arten waren von kleiner Gestalt und geringer Bewegungsfähigkeit, bei denen das Wirbeltierprinzip nicht recht zur Geltung kommt. Aber die Schreckensfische der Devonzeit (Dinichthys und Titanichthys) waren Riesen von 6 Meter Länge und meterlangem Kopf. Indessen auch sie vermochten sich nicht lange zu behaupten und starben noch in der Devonzeit aus. Dem Panzerfisch erging es wie dem treulosen Knappen in Uhlands Ballade: „Und wie er rudert und wie er ringt, der schwere Panzer ihn niederzwingt.“
Erfolgreicher waren die Haie, die sich des starren, hindernden Panzers entledigten und die Haut nur mit zahnartigen Stacheln schützten, dafür aber an Beweglichkeit, Furchtbarkeit des Gebisses und Schärfe der Sinne eine solche Vollkommenheit erlangten, daß sie sich zu Herren des Ozeans emporschwingen[S. 12] konnten; sie sind die „Könige“ der Fischwelt geblieben bis auf unsere Tage. Leider eignet sich ihr Körper nicht für den Versteinerungsprozeß, da ihr Skelett aus leicht vergänglichem Knorpel besteht und nur Zähne und Flossenstacheln verknöchert sind. Diese finden sich in manchen Gesteinschichten geradezu massenhaft und lassen auf gewaltige Ungeheuer schließen. Der sägezähnige Riesenhai (Carcharodon megalodon) der Braunkohlenzeit, ein Koloß mit 15 Zentimeter langen und ebenso breiten dreieckigen Zähnen, mag seine heutigen Vettern an Größe noch übertroffen haben und darf wohl den gewaltigsten aller Geschöpfe zugezählt werden.
[1] Die voraufgegangenen beiden Bändchen der Geschichte der Erde enthalten: Erster Teil, Wie Berg und Tal entstehen (Nr. 15 der „Kleinen Bibliothek“); zweiter Teil, Die Weltalter (Nr. 21 der „Kleinen Bibliothek“).
Eidechse und Salamander ähneln sich derart, daß man beide für Angehörige derselben Familie halten könnte, etwa wie Katze und Tiger; allein das Studium ihres Körperbaus und ihrer Entwicklung hat ergeben, daß sie zwei verschiedenen Klassen angehören und nicht näher miteinander verwandt sind als Walfisch und Fledermaus. Die Salamander bilden mit den Blindwühlen, Kiemenmolchen, Fröschen und Kröten die Klasse der Amphibien, deren Junge echte Wassertiere und gleich den Fischen mit Kiemen ausgerüstet sind. Manche behalten die Kiemen zeitlebens, andere verlieren sie und atmen im erwachsenen Zustand durch Lungen. Sie machen eine Verwandlung durch, was oft mit einer auffallenden Änderung der ganzen Gestalt und Lebensweise verbunden ist (Kaulquappe und Frosch). Doch gibt es auch Ausnahmen.
Die Eidechsen, Blindschleichen, Schlangen, Krokodile und Schildkröten stehen entschieden höher; sie atmen niemals durch Kiemen und machen keine Verwandlung durch. Man hat sie daher von den echten Amphibien getrennt und zur Klasse der Kriechtiere oder Reptilien vereinigt.
Die heutigen Lurche sind eine heruntergekommene Gesellschaft und lassen nicht mehr erkennen, welche bedeutende Rolle ihre Vorfahren gespielt haben. Letztere standen in der Steinkohlenzeit an der Spitze der gesamten Tierwelt und weisen achtunggebietende Vertreter auf. Da ist einmal der Kohlendrache (Anthrakosaurus), ein Riesenmolch von der Größe des Nilkrokodils, aber breiter, schwerfälliger und plumper als dieses, während der „Echsenstammvater“ oder Ursaurier (Archegosaurus) von schlankerem Bau und höchstens 1,5 Meter Länge war. Eine fußlose Form, Dolichosoma (von dolichos: lang und soma: Leib), mit langem, spitzigem, schmalem Kopf gleicht einer Riesenschlange. Sie hatte aber keine Lunge wie die echten Schlangen, sondern Kiemen an den Seiten des Halses und bewohnte die großen Sümpfe und Seen der Steinkohlenperiode. Reste dieses sonderbaren Lurches wurden in England, Irland und Böhmen, solche von verwandten Gattungen in Nordamerika gefunden.
Neben den genannten existierten zahlreiche kleinere Arten von der Größe der heutigen Molche. Einige derselben scheinen mit Vorliebe in Baumhöhlen gehaust zu haben, denn man findet ihre Skelette nicht selten in hohlen Siegel- und Schuppenbäumen.
Ein gewaltiges Tier wurde in der schwäbischen Triasformation gefunden, der Zitzenzahndrache (Mastodonsaurus giganteus), wohl 4 Meter lang, wovon reichlich ein Meter auf den Kopf entfällt. Das furchtbare Gebiß mit 10 Zentimeter langen Eckzähnen deutet auf eine räuberische Lebensweise. Sehr häufig findet man Fährten von dergleichen Amphibien, ohne daß man feststellen könnte, von was für Arten dieselben herrühren. Da die Abdrücke handförmig sind, so spricht man allgemein von Handtieren. (Siehe Nr. 21 der „Kleinen Bibliothek“, Seite 7.) Auffallend ist der Größenunterschied zwischen den vorderen und den hinteren „Händen“. Jene Fährten sind dadurch zustande gekommen, daß die betreffenden Tiere über feuchtes See- oder Meeresufer dahingeschritten sind. Der sandige oder schlammige[S. 15] Lehm erhärtete hierauf; später wurden die Fußtapfen bei steigender Flut ausgefüllt, und so entstand ein Abguß der Fährten.
Schon eine flüchtige Betrachtung ergibt, daß die alten (fossilen) Amphibien von den heutigen in mancher Beziehung abweichen, und bei genauer Untersuchung des Körperbaus wird das noch offensichtlicher. Die jetzigen Lurche (Molche, Frösche) sind nackt, die alten tragen einen Knochenplatten- oder Schuppenpanzer, weshalb sie Panzerlurche genannt werden. Sie stimmen also hierin mit den Reptilien oder Sauriern überein (Eidechsen, Krokodile). Auch sonst haben sie große Verwandtschaft mit letzteren, aber auch mit gewissen Knorpelfischen, vereinigen also die Merkmale von drei heute scharf geschiedenen Wirbeltierklassen. Das Skelett ist meist knorpelig oder nur teilweise verknöchert und die Wirbel sind oft nur angedeutet, die Augenhöhlen meist groß und mit einem brillenartigen Knochenring versehen. Auf der Stirn befand sich ein unpaares drittes Auge, das bei den jüngeren Amphibien verkümmert, aber immerhin noch nachweisbar ist. Selbst beim Menschen ist die rudimentäre Anlage dieses unpaaren Auges als sogenannte Zirbeldrüse des Gehirns vorhanden.
Für die Abstammung der Amphibien ist außer den angeführten anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Tatsachen die Existenz einer kleinen, aber interessanten Tiergruppe, die sich bis auf unsere Tage erhalten hat, von hervorragender Bedeutung; das sind die Lurchfische oder Doppelatmer. Der berühmteste unter diesen ist der Barramundi (Ceratodus) Südaustraliens, ein walzenförmiges, 2 Meter langes Schuppentier, dessen steife, gleichfalls beschuppte paarige Flossen als Schreitbeine benutzt werden können. Er besitzt noch Kiemen für die Wasseratmung, hat aber die Schwimmblase in eine Art Lunge umgewandelt, so daß er im Notfall direkt Luft einatmen kann. Zwei verwandte Gattungen Südamerikas und Südafrikas können des Wassers völlig entbehren. Wenn die Sümpfe und Bäche, in denen sie leben, austrocknen, so stellen sie die Kiemenatmung ein und benutzen ihre primitiven Lungen, das heißt die zelligen Schwimmblasen. Hier sehen wir klar, welchen Weg die Natur gegangen ist, um aus flossentragenden Wassertieren vierbeinige Landtiere zu schaffen. Es hat also in der Vorzeit, wahrscheinlich in der Devonperiode, unter den Fischen eine Scheidung stattgefunden; der größere Teil[S. 16] beharrte beim Wasserleben und änderte daher die Organisation nicht mehr wesentlich; ein kleiner Teil suchte sich dem Landleben anzupassen, und aus ihm gingen alle höheren Wirbeltiere bis zur „Krone der Schöpfung“ hervor. Die heutigen Lurch- oder Molchfische sind gewissermaßen lebende Petrefakten, die letzten Überlebenden einer längst verschwundenen Klasse, die von den Fischen zu den Amphibien und Reptilien und weiterhin zu den Säugetieren und Vögeln hinüberführte.
Unter den jüngeren fossilen Lurchen hat es nur eine einzige Art zur Berühmtheit gebracht; damit verhält sich’s folgendermaßen: In einem Steinbruch bei Öhningen am Untersee (Baden) fand man zahllose Versteinerungen aus der Tertiär- oder Braunkohlenzeit, darunter auch das Skelett eines ziemlich großen Wirbeltiers. Der alte Scheuchzer, Stadtphysikus und Professor der Mathematik in Zürich (1672 bis 1733), ein ausgezeichneter Gelehrter und trefflicher Naturforscher, dem aber das Bestreben, die im Entstehen begriffene Erdgeschichte mit der Bibel in Einklang zu bringen, einen bösen Streich spielte, glaubte darin Schädel, Wirbelsäule und Arme eines jungen Menschen zu erkennen. Er hielt es für eines jener „unglücklichen Adamskinder“, das in der Sintflut umgekommen, und nannte es Homo diluvii testis: Mensch, Zeuge der Sintflut. Ihm erschien es als „ein recht seltenes Denkmal jenes verfluchten Menschengeschlechts der ersten Welt. Die Abbildung gibt zu erkennen den umcreyß des Stirnbeins, die Augenleisen, das Loch an der untern Augen[S. 17]leise, welches dem großen Nerven vom fünften Paar den Durchpaß giebet, Überbleibsel des Gehirns, das Jochbein, etwas übriges von der nasen, ein ziemlich stück von denen kauenden Mäußlein, weiteres 16 Rückgrad-Wirbel und Anzeigen der Leber.“ Dazu dichtete ein frommer Gottesmann das rührende Sprüchlein:
Dem wackeren Scheuchzer war es mit seiner Sintfluttheorie hauptsächlich darum zu tun, den Zeitgenossen glaubhaft zu machen, daß die Versteinerungen Überreste von wirklichen Tieren und Pflanzen und nicht bloß sogenannte „Naturspiele“ oder durch allerlei geheimnisvolle Zauberkräfte hervorgerufene „Zeichen“ seien. Auch war damals von der voradamitischen Zeit und den geologischen Perioden und Formationen noch nichts bekannt. Das hier abgebildete Skelett befindet sich in der Züricher paläontologischen Sammlung und ist vom berühmten Cuvier (sprich Küwieh, gestorben 1832 zu Paris) als Riesensalamander (Salamandra gigantea) bezeichnet worden. Das Tier weicht aber von den eigentlichen Salamandern in wesentlichen Punkten ab und wurde von Tschudi umgetauft in Andrias Scheuchzeri, was soviel bedeutet als Scheuchzers Menschenbild. In den Braunkohlen bei Bonn und in Böhmen sind zwei kleinere Arten vorweltlicher Riesenmolche gefunden worden. Der nächste lebende Verwandte des Andrias ist der japanische Riesensalamander (Andrias japonicus), der 90 Zentimeter lang wird und dem Öhninger Riesen an Größe nur wenig nachsteht. Es ist ein häßliches Geschöpf mit breitem, plattem Kopf, warziger schwärzlicher Haut und plumpen Füßen, lebt mit Vorliebe in Gebirgsbächen und den mit Wasser gefüllten Kratern erloschener Vulkane und nährt sich von allerlei Wassertieren, frißt in der Not auch seinesgleichen auf. Zahlreiche Tiergärten sind im Besitz lebender Exemplare.
Das Altertum der Erde (paläozoisches Weltalter, Algonkium bis Perm) hat es in langsamer Entwicklung durch ungezählte Jahrmillionen hindurch bis zum Amphibium — zum Panzerlurch — gebracht, und das war ein großer Schritt; aber das Mittelalter (Trias-, Jura- und Kreidezeit) schuf drei neue Tierklassen: Reptilien, Vögel und Säugetiere, und gesellte ihnen die moderne Pflanzenwelt mit echten Nadelhölzern und dem Heer der höheren Blütenpflanzen. Zu erstaunlicher Entwicklung sowohl in bezug auf Zahl und Mannigfaltigkeit als auch hinsichtlich der Körpergröße brachten es die Saurier, und gar manche derselben erinnern an die phantastischen Ungeheuer der Sage, weshalb sie häufig geradezu als „Drachen“ bezeichnet werden. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß sie lange vor dem Auftreten des Menschen, des homo sapiens, samt und sonders schon ausgestorben waren. Hätten jene Drachen sprechen können, so würden sie, wie Quinet das ausdrückt, gesagt haben: „Wir sind die Könige der Welt. Kein anderes Wesen erhebt sich bis zu uns. Das Reptil ist die höchste, göttergleiche Gestalt; in ihm vollendet und krönt die Natur ihr Werk.“
Die heutigen Reptilien mit ihren vier Ordnungen der Eidechsen, Schlangen, Krokodile und Schildkröten bilden ein armseliges Häuflein gegenüber ihren ausgestorbenen Vorfahren, welche mehr als ein Dutzend Ordnungen mit annähernd siebzig Familien aufweisen, wobei in Betracht zu ziehen ist, daß wir von der untergegangenen Tierwelt naturgemäß nur einen verschwindend kleinen Teil kennen. Von dem großen Buch der Erdgeschichte sind nur wenige Kapitel und von diesen oft nur wenige Seiten oder gar nur einzelne schlecht erhaltene rätselhafte Schriftzeichen auf uns gekommen. Im folgenden mögen einige der berühmtesten Typen in Wort und soweit möglich auch im Bild dem Leser vor Augen geführt werden.
Gegen das Ende des Altertums (jüngste Steinkohlenperiode und Perm) erscheinen Reptilien von eidechsenartiger Gestalt,[S. 19] aber sie haben noch viele Merkmale mit Panzerlurchen gemein, besonders im Bau der Wirbelsäule, der Glieder und der Zähne. Sie haben sich also aus Uramphibien entwickelt, und zwar in der Weise, daß sie die Kiemenatmung vollständig unterdrückten und ausschließlich mit Lungen atmeten, womit eine Vervollkommnung des Blutkreislaufs, gänzliche Verknöcherung des Skeletts und vollkommenere Entwicklung der Jungen im Ei, teilweise sogar im Mutterleib nebenher ging. Zu achtunggebietender Entfaltung bringen sie es in der Triaszeit. Eine der berühmtesten Formen ist der Pfeilzahn oder Belodon (belos: Pfeil und odon: Zahn), von Professor Fraas Nikrosaurus, das heißt Neckarsaurier oder Neckardrache getauft. Seine prachtvollen Überreste sind aus dem schwäbischen Keuper,[2] und zwar aus dem sogenannten Stubensandstein von Stuttgart zutage gefördert worden und nun im Stuttgarter Naturalienkabinett aufgehoben. Der Neckarsaurier war, wie unsere Abbildung veranschaulicht, ein sehr stattliches krokodilartiges Reptil mit langgestreckter, wohlbezahnter Schnauze und kräftigem Panzer. Es muß eine Länge von mehr als 6 Meter erreicht haben; der Kopf allein ist zirka 1 Meter lang. Die Nasenlöcher sind nicht vorn an der Schnauze, sondern weit oben in der Nähe der Augen, also wohl Spritzlöcher, wie die heutigen Walfische sie haben. Das[S. 20] Tier war hierdurch instand gesetzt, das beim Ergreifen der Beute eingedrungene Wasser durch die Nasenlöcher zu entfernen, ohne die Kiefer aus dem Wasser bringen und öffnen zu müssen. So sehr der Neckardrache aber auch an Krokodile erinnert, so weicht er doch von diesen in manchen Merkmalen sehr bedeutend ab. „Der erste Blick schon zeigt,“ sagt Fraas, „daß der Keuper hier einen Saurier bietet, der mit keinem der lebenden sich vergleichen läßt, so wenig er mit einem Saurier der Juraperiode stimmen will. Von oben gesehen hat der Schädel einige entfernte Ähnlichkeit mit den ostasiatischen Krokodilen, dem Gangesgavial und dem Krokodil von Java, aber die Nasenlöcher, die bei diesen am Vorderrand der Schnauze sind, fallen ins hintere Dritteil der Schädellänge. Auch von der Seite gesehen ist kein Krokodil mit solcher Pferdenase bekannt. Andererseits erinnert die Lage der Nase in der Augengegend an Eidechsen, dagegen sind Eidechsen mit langen Schnauzen und schmalen Kiefern wieder etwas Fremdartiges. Fast möchte man an Wale und Delphine denken. Die Zähne stecken wie bei krokodilartigen Tieren in besonderen Höhlen und ersetzen sich auf dieselbe Weise. Sie sind in Form und Größe mannigfaltiger als bei jedem anderen bekannten Reptil, dabei die Wurzel eher schwächer als die Krone. Der Zahl nach sind es 175 bis 180. Vorn stehen große kegelförmige Fangzähne, auf diese zunächst kleinere und nach hinten wieder größere und flachere Kauzähne. Die bikonkaven, das heißt auf beiden Seiten ausgehöhlten Wirbelkörper, der zweite[S. 21] Halswirbel, ein Hakenschlüsselbein, das Darmbein erinnern an die Warneidechsen (große 1,5 Meter lange Eidechsen, die hauptsächlich in Afrika vorkommen), dagegen die Halsrippen, Rückenrippen, Schwanzwirbelbogen und das Schulterblatt wieder an Krokodile. Der Fuß stimmt wieder am meisten mit dem Gangeskrokodil, dem Gavial und jurassischen Panzersauriern überein.“
Die auffallende Erscheinung, daß ein altes Lebewesen die Merkmale von mehreren heute scharf getrennten Familien, Ordnungen oder gar Klassen vereinigt, als wäre es aus Bruchstücken von solchen zusammengeflickt worden, ist ganz allgemein und erklärt sich aus der Tatsache, daß jeweils aus einer gewissen Stammform eine Menge Nebenstämme, Äste und Zweige hervorgegangen sind. Nach dem alten Schöpfungsglauben war hierfür keine vernünftige Erklärung möglich, und die älteren Forscher standen der Erscheinung verständnislos gegenüber.
Außer Württemberg haben auch Franken, Braunschweig und Nordamerika Belodonten geliefert. Eine verwandte, viel kleinere, aber sehr zierliche Gattung, nur etwa 1 Meter lang, ist der Aëtosaurus. Bei Stuttgart wurden auf einer Steinplatte nicht weniger als zwei Dutzend vollständige Individuen gefunden; das Prachtstück ist im Stuttgarter Naturalienkabinett zu sehen. Im gemütlichen Schwabenland hat es einst von Krokodilen und Drachen nur so gewimmelt, und wir werden noch des öfteren darauf zu sprechen kommen.
An dieser Stelle mag noch ein Tatzelwurm, der Teleosaurus, das heißt der „vollkommene Drache“ erwähnt werden. (Siehe Juralandschaft, das große Reptil im Vordergrund.) Er stand ungefähr in der Mitte zwischen den Neckarsauriern und den heutigen Krokodilen, speziell dem Gangesgavial, daher auch der seltsame Name, welcher besagt, daß er mit der modernen Tierwelt vollkommen (teleos) übereinstimmt. Das Tier wurde 5 bis 6 Meter lang, trug einen starken Rücken-, Brust- und Bauchpanzer und hatte vier kräftige Pratzen, deren Zehen durch Schwimmhäute verbunden waren. Die Vorderglieder waren nur halb so lang als die hinteren und dienten wohl hauptsächlich, um sich damit am Ufer emporzuschieben. Der Schädel endet in eine lange schmale Schnauze mit vielen spitzigen, ungleich hoch und schief stehenden Zähnen. (Siehe Tafel Juralandschaft.) Die Nahrung bestand wohl aus Fischen, Tintenfischen, kleineren[S. 22] Lurchen und Reptilien, gelegentlich auch aus Tangen. Die „Tatzelwürmer“ hielten sich vermutlich in seichten Buchten auf und waren gute Schwimmer; auf dem Lande waren ihre Bewegungen watschelnd und ungeschickt. Trotz ihrer „Vollkommenheit“, welche sie fast zu modernen Geschöpfen macht, hatten sie doch auch reaktionäre Rückfälle; ihre Wirbel waren nämlich denen der Uramphibien und Fische ähnlich, steckten also gewissermaßen noch im Altertum drin, eine Folge von erblicher Belastung. Wunderschöne versteinerte Exemplare findet man in der Juraformation bei Holzmaden und Boll (Württemberg) und bei Banz in Franken, auch in England und Frankreich.
[2] Die deutsche Triasformation zerfällt in drei Hauptteile, daher der Name Trias, nämlich in Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper.
Auf unserer Abbildung 5 gewahren wir ein seltsames Reptil mit langem, schlankem Hals und weit aufgesperrtem Rachen — es ist ein Nothosaurus (Bastardechse), ein Mittelding oder Bastard von Schlangendrache und Urkrokodil, offenbar ein gefährlicher Seeräuber, der sich aber auch am Strande leidlich gut bewegen konnte. Der Schlangenhals, der mindestens 20 Wirbel zählt, befähigte ihn, die Beute aus beträchtlicher Tiefe herauf[S. 23]zuholen. Der flache, eckige Kopf birgt ein sehr kleines Gehirn, weist also von vornherein auf wenig Intelligenz, aber die Sinnesorgane sind gut ausgebildet. Eines Panzers bedurfte das Tier nicht; es vermochte sich mit Hilfe des scharfen Gebisses und der großen Beweglichkeit des Halses gegen Feinde genügend zu schützen. Daß es von ausgesprochenen Landtieren abstammt und sich nur allmählich wieder ans Element seiner Urahnen — der devonischen Urmolche — angepaßt, also in gewissem Sinne den umgekehrten Entwicklungsgang der letzteren eingeschlagen hat, ist so gut wie erwiesen. Man kennt nämlich auch kleinere Formen mit gewöhnlichen Schreitbeinen und solche, die erst an den Vorderfüßen Schwimmhäute haben.
Die Nachkommen der Nothosaurier setzten die angefangene Entwicklung fort und paßten sich immer besser ans Meerleben an. Dies führte zum Typus der eigentlichen Schlangendrachen oder Plesiosaurier. Das sind höchst merkwürdige Tiergestalten. In England, wo die schönsten Exemplare gefunden wurden, verglich man sie mit einer durch den Körper einer Schildkröte gezogenen Riesenschlange, daher der Name. Der auffallendste Körperteil ist der lange Schwanenhals, der bis 41 Wirbel zählt. Beiläufig mag erwähnt werden, daß der Hals des Schwanes 23,[S. 24] der Giraffenhals bloß 7 Wirbel besitzt. Die Riesen unter den Schlangendrachen hatten einen 4 bis 5 Meter langen Hals bei einer Gesamtlänge von zirka 9 Meter. Auf demselben saß ein kegelförmiger, verhältnismäßig kleiner Eidechsenkopf mit spitzen Krokodilszähnen. Das Rumpfskelett ist sehr kräftig gebaut und läßt auf eine gewaltige Muskulatur schließen. Irgendwelche Spuren von Bepanzerung sind nie gefunden worden; der Körper war somit nackt und wohl nur mit einer schlüpfrigen Lederhaut bedeckt, was für schnelles Schwimmen und Tauchen von großem Vorteil war. Der nicht sehr lange, aber doch kräftige Schwanz trug vermutlich eine Flosse, welche als Steuer diente. Die Beine waren zu gewaltigen Paddeln umgewandelt, also ausschließlich zum Rudern, nicht zum Gehen an Land eingerichtet. Die langen Finger steckten in einer dicken Haut wie in einem Fausthandschuh, glichen somit den Paddeln der Seeschildkröten; aber sie erreichten eine viel bedeutendere Größe.
Die Schlangendrachen waren sicherlich höchst gefährliche Räuber, der Schrecken des Meeres. Aus bescheidenen Anfängen in der Trias entwickeln sie sich zu immer riesigeren Formen und sterben[S. 25] in der Kreidezeit aus, so daß die heutige Tierwelt nichts Ähnliches aufweisen kann. Der Plesiosaurus war sozusagen das Urbild eines schwimmenden Wirbeltiers von höherer Organisation; was sich an ihm bewährt hat, finden wir auch heute noch, aber auf viele getrennte Ordnungen verteilt. Die Schädelmerkmale müssen wir bei den Krokodilen und Eidechsen, die Wirbel bei den Fischen, den Brustkorb bei den Schildkröten suchen; den langen Hals hat der Schwan geerbt, die Ruderfinnen und den Steuerschwanz der Delphin; doch ist bei diesem der Schwanz zu einem wichtigeren Schwimmorgan geworden. Man kann es bedauern, daß so interessante Sippen wie die Schlangendrachen verschwunden sind, aber das ist der Welt Lauf; alles ist vergänglich und muß Neuem Platz machen; wie wäre sonst überhaupt Neues und Besseres und Schöneres möglich?
Ein Zeitgenosse und Konkurrent des Plesiosaurus ist der Ichthyosaurus (von ichthys: Fisch und saurus: Echse), zum Scherz wohl auch das „schwäbische Haustier“ genannt, denn der schwäbische „schwarze“ Jura birgt dessen versteinerte Reste in fabelhafter Zahl, als wären sie dort förmlich gezüchtet worden. Offenbar lebten jene Seeräuber scharenweise in sogenannten Schulen beisammen gleich den Walfischen, Walrossen und Seehunden. Außer in Schwaben, das sieben Arten geliefert hat, findet man sie in Bayern, Frankreich, England, Spitzbergen, Nord- und Südamerika, Ostindien, Australien und Neuseeland. Die untere Juraformation Englands (Lias) weist nicht weniger als 26 Arten auf. Die Fischdrachen haben sich ans Wasserleben noch vollkommener angepaßt als die Schlangendrachen und gleich den Walen, die eine ähnliche Entwicklung durchgemacht haben, die Fischform angenommen. Die ältesten Arten (Mixosaurus, Phalarodon usw.) sind von geringer Größe und lassen erkennen, daß sie von landbewohnenden Panzermolchen abstammen. Jahrmillionen hindurch waren die Fischdrachen neben den verwandten Schlangendrachen die Beherrscher des Meeres, denn es waren gar großschnauzige und gewalttätige Herren, erreichte doch die größte Art, Ichthyosaurus ingens, das heißt der Riesen-Fischdrache, 12 Meter Länge, wovon fast ein Drittel auf den Kopf entfällt. In den ungeheuren Kiefern steckten über 200[S. 26] scharfe, spitze Zähne, und zwar nicht in besonderen Höhlen, sondern in einer gemeinsamen Rinne des Kieferknochens; sie wurden nur durch das Zahnfleisch aufrecht gehalten und fielen nach dem Tode leicht aus. Eine solche Befestigung der Zähne findet sich heute noch bei zwei Walfischarten.
Einen merkwürdigen Anblick bieten die Augen; sie sind von erstaunlicher Größe — wie Teller — und geschützt durch einen aus zahlreichen Platten bestehenden Knochenring. Wir dürfen wohl annehmen, daß dessen Besitzer imstande war, auch in beträchtlicher Tiefe wie im Dunkel der Nacht die Beute zu erspähen. Wie beim Neckarsaurier befinden sich die Nasenlöcher im hinteren Teile der langen Schnauze, unmittelbar vor dem Augenwinkel, und haben wohl als Spritzlöcher funktioniert, was auf unserer Juratafel angedeutet ist. Wahrscheinlich waren die Tiere imstande, lange unter Wasser zu verweilen, jedoch genötigt, von Zeit zu Zeit an der Oberfläche zu erscheinen, um frische Luft einzuatmen. Zum Unterschied von den Schlangendrachen ist der Hals sehr kurz, kaum erkennbar. Die Wirbelsäule besteht aus zirka 150 Wirbeln, welche ähnlich geformt sind wie jene der Fische. Die Schwanzregion ist an einer gewissen Stelle häufig abgeknickt, was von der großen schweren Ruderflosse, die sie zu tragen hatte, herrührt. Die Glieder sind zu kräftigen Ruderflossen entwickelt und[S. 27] gleichen äußerlich den Walfischfinnen. Außer paarigen Paddeln und der großen Schwanzflosse besaßen die Tiere noch eine gewaltige Rückenflosse, die in mehrere Lappen geteilt war und sich von der Mitte des Rückens bis zum Schwanz hinzog. Bei dem auf Seite 26 abgebildeten Exemplar sind merkwürdigerweise alle Flossen sehr schön erhalten, so daß man jetzt nicht mehr auf bloße Vermutungen angewiesen ist. „Alles an diesem Tier ist merkwürdig,“ schreibt O. Fraas; „von der Form eines Schwertwals, besaß es die Schnauze eines Delphins, die Zähne eines Krokodils, den Kopf einer Eidechse, die Wirbel eines Fisches, das Brustbein des australischen Schnabeltiers und breite Ruderfüße eines Wals.“ Von einer schützenden Körperbedeckung ist nichts zu entdecken, die Haut war vollkommen nackt.
Wie halbverdaute und unverdaute Reste in der Magengegend und die in großer Menge vorhandenen Exkremente (Kotballen) beweisen, bestand die Nahrung der Fischdrachen hauptsächlich aus Fischen und Kopffüßern (Tintenschnecken, Ammoniten und Belemniten). Durch den Tintenbeutel der letzteren ist oft der Mageninhalt dunkel gefärbt. Die versteinerten Kotballen oder Koprolithen zeigen stets mehr oder weniger deutliche Spiralfurchen, was offenbar von einer spiralig gewundenen Hautfalte des Mastdarms, der sogenannten Spiralklappe, herrührt. Dasselbe ist von einigen Panzerlurchen bekannt. Unter der heutigen Tierwelt weisen nur die interessanten Lurchfische, die Haie und Störe, alles sehr alte Sippschaften, einen derartigen Apparat auf. Die Koprolithen, die durch ihren Gehalt an Phosphorsäure sich als Dünger eignen, finden sich in einzelnen Schichten des englischen Lias in solcher Menge, daß sie bergmännisch abgebaut werden. Beim Anschleifen zeigen sie oft hübsche Zeichnungen, so daß sie auch zur Herstellung von Knöpfen und Broschen benutzt werden, gewiß eine höchst auffällige Verwendung von Exkrementen.
Die Ichthyosaurier brachten die Jungen lebendig zur Welt, entgegen allen Gewohnheiten der Reptilien. Man fand einige Weibchen in „interessanten“ Umständen, die Jungen schön entwickelt und völlig unversehrt hinter dem Magen, mit der Schnauze nach hinten gerichtet. Bei einigen Funden gewinnt man den Eindruck, daß die Jungen verschlungen worden seien, und es ist daher wahrscheinlich, daß die nimmersatten Fresser dem[S. 28] Kannibalismus gehuldigt und ihr eigen Fleisch und Blut nicht verschont haben.
Vielleicht interessiert es den Leser, noch einiges zu hören über die Gewinnung der Saurierleichen in Württemberg. Oskar Fraas schreibt darüber:
Da bekanntlich der Wissenschaft die Mittel immer fehlen, die gerade nur in ihrem Interesse aufgewendet werden sollen, so muß sie sich an sehr unwissenschaftliche Arbeiten anlehnen, in diesem Falle an die Gewinnung von Bodenplatten für Hausfluren, Keller und Viehställe, oder an die Industrie in Mörtel und Zement, oder gar ans duftige Schieferöl. Die eine ruft in Schwaben, die andere in Frankreich und England die Saurier wieder ins Leben. In Schwaben sind es die Orte Holzmaden, Zell, Ohmden, Isingen, Boll, darin seit Jahrhunderten die Plattenindustrie getrieben wird. Der Name von Boll, des alten, schon von Bauhin[3] verherrlichten Badeortes, ist dem Auslande der bekannteste. Auf einer Quadratrute Oberfläche (eine Rute = 3 Meter) liegt durchschnittlich ein „Tierle“, wie der Arbeiter die Saurier nennt. Da liegen sie in ihren vieltausendjährigen Steinsärgen, vom Schiefer dicht umhüllt, nur die rohen Umrisse erkennt man gleich den in Leinwand gewickelten Mumien. Man sieht den Kopf durchblicken, die Wirbelsäule, die Lage der Glieder, die ganze Länge des Tieres, und raschen Blickes erkennt an dieser Form schon der Arbeiter, ob’s ein Tier ist mit Flossen oder mit „Pratzen“ (das heißt ob Ichthyosaurus oder Teleosaurus). Ist doch ein „Pratzentier“ ums Dreifache mehr wert als eines mit Flossen. Aber nicht danach bloß richtet sich der Preis: das Wichtigste ist, wie und wo das Tier liegt, ob im festen, dauerhaften „Fleins“, was das Erwünschteste ist, ob es Schwefelkies führt, was leider die schönsten Stücke oft unbrauchbar macht, und namentlich, ob am Stück nichts fehlt, wenn die Platte durch das Schrämen oder durch natürliche Abgänge entzweiging. Bis zu 100 Gulden (210 Franken oder 168 Mark) wird für ein vollständiges Tier bezahlt. Der Arbeiter tut keinen Schritt zum Verkauf des Fundes, er stellt ihn ruhig zur Seite, weiß er doch, daß fast von Woche zu Woche die Käufer kommen, die Unterhändler der Kabinette und wissenschaftlichen Sammlungen. Kein Pferdehandel wird je mit solchem Eifer abgeschlossen, mit solchem Aufgebot aller Beredsamkeit und Entfaltung aller Künste und Kniffe, als der Saurierhandel, und keiner erfordert neben genauer Kenntnis der Stücke so viele Schlau[S. 29]heit, um nicht, da ohnehin die Katze im Sacke gekauft wird, zu Schaden zu kommen. Kein Kauf endlich kommt zustande, ohne daß der Käufer noch die besondere Verpflichtung eingehen muß, mit verschiedenen Wein- und Mostflaschen dem gefallenen Helden eine Totenfeier zu veranstalten.
Noch steht aber das schwierigste Geschäft bevor, es gilt jetzt, den Saurier zu „putzen“, das heißt ihn aus der Schieferhülle zu lösen und seine alten Knochen ans Licht der Sonne zu bringen. Nur Vertrauten darf solche Arbeit überlassen werden, eine unkundige Hand „schindet“ das Tier. Monatelang dauert bei manchen die Arbeit, denn mehr mit Grabstichel und Nadel, als mit Hammer und Meißel muß das Gebirge (Gestein) vom Knochen genommen werden. Wer nicht selbst schon den Grabstichel geführt hat, versteht nichts von den Freuden, die den Kenner erfüllen, wenn er den Verlauf eines Knochens im Schiefer verfolgt und jeden Tag ein Stückchen, schließlich das harmonische Ganze des Tieres vor Augen legt.
[3] Johann Bauhin, geboren 1541 zu Basel, machte große Reisen durch Europa, war ein vorzüglicher Botaniker, zuletzt Leibarzt des Herzogs von Württemberg.
Bei einer früheren Gelegenheit wurde darauf hingewiesen, daß die Katastrophentheorie, wonach von Zeit zu Zeit alles Lebende vernichtet und die Welt plötzlich umgestaltet worden, als überwunden gelte; sie verträgt sich mit den Ergebnissen der neueren Forschung nicht und steht im Widerspruch mit der gesamten modernen Weltanschauung. Die Wissenschaft weist nach, daß seit den ältesten Zeiten eine ununterbrochene Entwicklung stattgefunden hat und daß auch in der Vorzeit dieselben Naturkräfte und -gesetze wirksam gewesen sind wie heute. Wenn aber die Meinung aufkam, daß die Entwicklung stets in derselben Weise und demselben Tempo vor sich gegangen wie in unseren Tagen, so lag auch hierin wieder ein kleiner Irrtum. Wie das Auftürmen von Falten- und Überschiebungsgebirgen, das Absinken riesiger Erdschollen, das Hereinbrechen des Ozeans, der Wechsel des Klimas periodisch erfolgte, unterbrochen durch lange Pausen, so auch die Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt. Es gibt Zeiten verhältnismäßig großer Ruhe, wo die Welt fast stillzustehen scheint, und wieder solche gewaltiger Bewegung, wo alles wankt und ein allgemeiner Umsturz sich geltend macht. Das sind die großen Epochen der Erdgeschichte, die sich mit jenen der Menschheits- oder Kulturgeschichte vergleichen lassen. Im Gefolge der großen Umwäl[S. 30]zungen, die eine neue Periode einleiten, tauchen zahlreiche neue Typen auf, während alte, die jenen nicht mehr die Stange halten können, verschwinden oder doch die Herrschaft abgeben und sich aufs Altenteil zurückziehen. Die Fortschrittler stürmen vorwärts und entwickeln immer neue, immer gewaltigere Kräfte, bis auch ihre Zeit abgelaufen ist. So erging es auch den Schreckdrachen oder Dinosauriern (von deinos oder dinos: schrecklich). Das war ein himmelstürmendes Titanengeschlecht, eine Sippschaft von ebenso kolossalen wie seltsamen, zum Teil geradezu fabelhaften Wesen, und diese Riesensippe endete mit einer winzigen, unbedeutenden Art, die sich als lebendes Fossil bis in unsere Tage hinübergerettet hat. Dieser „letzte Mohikaner“ ist die Brückeneidechse Neuseelands (Hatteria), bis vor kurzem ebenso unbeachtet und unbekannt wie die uralten Molchfische der südlichen Halbkugel, die überhaupt einer ganzen Reihe überlebter Typen noch eine kümmerliche Existenz ermöglicht hat. Das meterlange Tier, das heute sehr selten und offenbar im Aussterben begriffen ist, sieht äußerlich einer gewöhnlichen Eidechse ähnlich, hat aber Fischwirbel gleich den Fisch- und Schlangendrachen und auch sonst allerlei Merkmale, welche nur bei den Uramphibien und Urreptilien vorkommen, steht also in gewissen Beziehungen noch tiefer als die Schreckensechsen der Trias-, Jura- und Kreideperiode.
Die Schreckdrachen erinnern in Größe und Gestalt vielfach an die Drachen der Sage, können aber diesen nicht als Vorbilder gedient haben, da sie schon vor dem Auftreten des Menschen ausgestorben waren. Man kennt heute zirka 50 Gattungen mit mehr als 100 Arten, und Jahr um Jahr werden wieder neue erstaunliche Funde gemacht. Außer Europa haben besonders Nordamerika und Ostafrika solche geliefert. Es sind darunter Tiere, welche mehr als Elefantengröße haben, aber auch solche, die nur die Größe einer Katze erreichen. Merkwürdigerweise zeigen manche im Knochenbau entschiedene Annäherung an Vögel, woraus wohl geschlossen werden darf, daß beide aus einer gemeinsamen Wurzel abstammen, die man allerdings zur Stunde noch nicht kennt, die aber möglicherweise eines Tages gefunden wird. Im folgenden mögen einige der wichtigsten und interessantesten Gattungen dem Leser in Bild und Wort vor Augen geführt werden.
Im zweiten Teil dieser Erdgeschichte wurde darauf hingewiesen, daß nach der großen Steinkohlenperiode, während welcher Jahrmillionen hindurch sehr gleichartige Zustände in bezug auf Verteilung von Land und Meer, Klima, Pflanzen- und Tierwelt geherrscht haben, ein gewaltiger Umschwung eingetreten sei. Auf der nördlichen Halbkugel fanden großartige Erdverschiebungen statt; es bildeten sich tiefe Spalten, die den schmelzflüssigen Massen in der Tiefe als Ausbruchspforten dienten und Anlaß zur Bildung zahlloser Vulkane und vulkanischer Ergüsse gaben. Niedriges Sumpfland wechselte mit Brackwasser- und Süßwasserseen, neue Gebirge entstanden; dann wurde das Festland vielfach zur Wüste und die salzigen Binnenmeere trockneten aus, so daß mächtige Salzlager entstanden (Staßfurt bei Magdeburg und Sperenberg), die sich besonders durch ihren Reichtum an Kalisalzen auszeichnen. Auf der südlichen Halbkugel war derweil eine Eiszeit eingetreten und hatte den verweichlichten Steinkohlenpflanzen den Garaus gemacht. Es entwickelte sich in Anpassung an die neuen Zustände eine ganz neue Pflanzenwelt. Dann brach der Ozean herein und lagerte über der Steinkohlen-, Perm- und Buntsandsteinformation Meereskalk (Muschelkalk) ab. Aber auch dieses Meer war nicht „ewig“; zumal im nördlichen und nordwestlichen Teil Europas bewirkten bedeutende Bodenschwankungen ein langsames Austrocknen desselben; an seine Stelle traten wieder Seen und Sümpfe, und diese machten der Sand- und Lehmwüste Platz. Es entstehen die roten Mergel und Tone, die grauen und roten Sandsteine (Silbersandstein und Schilfsandstein Stuttgarts), die man als Keuper bezeichnet (oberste Trias). Die Siegel- und Schuppenbäume sind verschwunden und ersetzt durch allerlei Nadelhölzer, worunter manche mit breiten ledrigen Blättern; die Farne sind teilweise verdrängt durch palmenähnliche Sagobäume (Palmenfarne) und die Rohrbäume (Kalamiten und Kalamarien) durch echte Schachtelhalme, welche jene an imposantem Wuchs bei weitem nicht erreichen und furchtbar eintönige steife Dschungel von armsdicken, 4 bis 6 Meter hohen Stangen bilden. Die Flüsse vermögen sich meist nicht bis zum offenen Meer zu behaupten, sondern versiegen im Wüstensand oder endigen in flachen Mulden, in sumpfigen Steppenseen, die sich mit Schlamm und Sand füllen. Da und[S. 32] dort werden Flußläufe durch vorrückende Wanderdünen zerschnitten und teilweise zugefüllt, wodurch das Land am Unterlauf der Wasserzufuhr verlustig geht und in einen großen Friedhof verwandelt wird. Alles Lebende geht dort zugrunde, und der nächste Wüstensturm deckt die Leichen mit Sand und Staub. So sah es zur Keuperzeit aus in der Heimat der triadischen „Lindwürmer“, im Schwabenland.
Im Süden Stuttgarts bei Degerloch fand man vor etlichen Jahrzehnten die versteinerten Knochen eines seltsamen Ungeheuers, welchem der hervorragende württembergische Geologe und Paläontologe Quenstedt den Namen des „schwäbischen Lindwurms“ beilegte. Sein wissenschaftlicher Name ist Zanklodon, nach den riesigen Greifzähnen, welche die Form eines Winzermessers haben (zagkle oder zankle: Winzermesser und odon: Zahn). Ein Oberschenkelknochen ist 75 Zentimeter lang und ein Hinterfuß bedeckt eine Fläche von ¼ Quadratmeter. Das gewaltige Tier erreichte insgesamt eine Länge von zirka 7 Meter. Die Vorderglieder sind verhältnismäßig klein und konnten jedenfalls nicht zum Gehen benutzt werden, dienten vielmehr als Greifhände; dagegen waren Hinterglieder und Schwanz sehr kräftig entwickelt, woraus zu schließen ist, daß dieser Lindwurm aufrecht auf den Hinterbeinen einherging. Er erinnert so einigermaßen an ein Känguruh, war aber viel größer, plumper und schwerfälliger als dieses und konnte trotz des muskulösen Schwanzes keine großen Sprünge machen. Der Schwanz diente wohl als Stütze in der Ruhelage und außerdem als Balancierstange. Die Zehen waren mit ungeheuren Krallen bewaffnet, deren Hornsubstanz, weil leicht verweslich, natürlich nicht mehr vorhanden ist. Der Kopf war nicht sehr groß und mit einem scharfen Raubtiergebiß versehen. Die Natur hat hier versucht, einen Zweifüßer zu schaffen, der nicht mehr am Boden hinkriechen muß, sondern stolz erhobenen Hauptes als geborener Herrscher dahinschreiten kann. Der Name Reptil — Kriecher, Schleicher — will hier nicht mehr recht passen, und doch ist kein wesentlicher Unterschied zwischen diesen Lindwürmern und den Neckarsauriern, die zur gleichen Zeit und in den gleichen Gegenden lebten.
Überreste eines nahen Verwandten, der zu Ehren seines Entdeckers den Namen Greßlyosaurus erhielt, fand man bei[S. 33] Liestal in Baselland. Der unglückliche Greßly, ein vorzüglicher Geologe, verfiel in geistige Umnachtung und wurde von der fixen Idee befallen, daß er in jenen Lindwurm verwandelt worden sei. In Thüringen, Frankreich und Südafrika stieß man ebenfalls auf Spuren derartiger Drachen; manche von ihnen konnten noch nicht aufrecht gehen, sondern krochen nach alter Väter Weise auf allen vieren.
Während die „schwäbischen Lindwürmer“ schon im Keuper wieder verschwanden, haben sich ähnliche Formen viel länger erhalten und sind erst in der Kreidezeit ausgestorben. Zu diesen gehören die Iguanodonten, von denen man sich früher ganz falsche Vorstellungen gemacht hat, da lange Zeit nur einzelne Knochen bekannt waren. Nun besitzt man aber die vollständigen Skelette dieser Kreidedrachen. Besonders Belgien hat prachtvolle Exemplare geliefert, und das Paläontologische Museum in Brüssel besitzt etwa zwei Dutzend derselben. Es macht einen nachhaltigen Eindruck, unter jenen vorweltlichen Riesen umherzuwandeln. Gleich den Zanklodonten, denen sie an Größe gleichkamen, schritten sie aufrecht einher, ihren Kopf, der mit dem langen Hals einen rechten Winkel bildet, spähend bald links, bald rechts wendend. Der Name bedeutet soviel wie die „Leguanzähnigen“. Man fand nämlich zunächst nur einzelne Zähne, welche denen einer heutigen Eidechse, des Leguans — Iguana — ähnlich sind. Die Leguane sind abenteuerlich gestaltete 1½ Meter lange Rieseneidechsen Südamerikas und Westindiens, welche sich auf dem Wasser ebenso gewandt bewegen wie auf dem Erdboden und im Geäst der Bäume. Ihres wohlschmeckenden Fleisches wegen werden sie von den Eingeborenen gejagt. Zu den Kammeidechsen oder Leguanen gehört auch der Basilisk, etwas kleiner als der gemeine Leguan, mit hohen Hautlappen auf Rücken und Schwanz. Nun weiß man heute, daß die ausgestorbenen Iguanodonten mit den lebenden Kammeidechsen nicht näher verwandt sind, aber der Name ist geblieben. Die Bezahnung der Iguanodonten ist eine unvollständige, indem der vordere Teil der Kiefer zahnlos und vermutlich mit einer Art hornigem Schnabel versehen war. Die großen spatelförmigen Zähne sind am Rande gekerbt und greifen scheren[S. 34]artig übereinander. Sie erscheinen fast immer stark abgenutzt, waren also wohl zum Abbeißen und Kauen harter Pflanzenstoffe, vielleicht zum Abweiden der Baumkronen eingerichtet. Nebenbei mögen auch Schaltiere als Nahrung gedient haben. Jedenfalls waren die Iguanodonten keine blutdürstigen Bestien, sondern langsame, schwerfällige Geschöpfe. Daß ihre geistigen Fähigkeiten gering waren, geht schon aus der geringen Größe der Schädelhöhle hervor. Zur Verteidigung dienten außer den Kiefern der große und ungemein kräftige Schwanz und die Daumen der Vorderglieder, die je zu einem Sporn oder natürlichen Dolch umgewandelt waren, der von den übrigen Fingern senkrecht abstand. Lange Zeit hielt man diesen Sporn für einen zum Schädel gehörigen Hornzapfen und zeichnete das Tier mit einem Horn. Wir werden übrigens später eine verwandte Form kennen lernen, die wirklich ein Horn getragen hat. Auffallend ist die Tatsache, daß die Hinterfüße nur drei Zehen nebst einer verkümmerten vierten Zehe besitzen und im anatomischen Bau mit denjenigen der großen Laufvögel eine gewisse Übereinstimmung zeigen, so daß die Iguanodonten seinerzeit geradezu als[S. 35] Ornithopoden, das heißt Vogelfüßer, bezeichnet worden sind. Ihre Fährten, die auf Sandsteinplatten der Kreideformation zu Tausenden und in allen Größen vorhanden sind, wurden denn auch anfangs für Fährten von Riesenvögeln gehalten. (Siehe Abbildung 10, Brontozoumfährte). Daß in der Tat nicht nur zufällige Ähnlichkeiten mit Vögeln bestehen, zeigt die Übereinstimmung des Iguanodonfußes mit dem des Hühnchens im Ei. Der Vogelembryo (Keim) hat zuerst Iguanodonfüße und erhält erst durch Verkümmerung und teilweise Verschmelzung einzelner Knochen richtige Vogelfüße. Freilich ist nicht daran zu denken, daß die Vögel etwa von Iguanodonten, überhaupt von Dinosauriern abstammen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach haben die beiden Stämme eine gemeinsame Wurzel. Die Trennung hat wohl schon in der Trias, wenn nicht bereits in der Permperiode stattgefunden. Hier läßt uns die Überlieferung im Stich; von der großen Chronik der Erdgeschichte fehlen einige Bände völlig. Aber glückliche Funde können auch da in ungeahnter Weise Licht bringen.
Wie artenreich die Sippschaft der „Vogelfüßer“ gewesen, läßt sich einigermaßen ahnen aus der großen Zahl und Mannigfaltigkeit der Fährten, das heißt der Abdrücke, welche die verschollenen Saurier auf dem feuchten Sand und Schlamm der Ufer zurückgelassen haben. An der englischen Küste bei Hastings sowie in verschiedenen Gegenden Deutschlands findet man Fußspuren von 20 bis 75 Zentimeter Größe, und in Nordamerika sind dergleichen Funde noch häufiger. Manche Fährten ergeben eine Schrittweite von 3 und 4 Meter, lassen also auf Tiere von[S. 36] fabelhafter Größe schließen, aber wie dieselben ausgesehen, weiß zur Stunde niemand zu sagen.
Zum Schlusse dieses Kapitels mögen noch zwei wissenschaftlich interessante Formen erwähnt werden: der Kompsognathus und der Hadrosaurus (Trachodon), ersterer aus dem schwäbischen und fränkischen Jura bekannt, ein sehr leicht gebautes, zierliches Tier von Katzengröße, mit vogelähnlichem Schädel, langen schlanken Hinterbeinen, dreizehigen Vogelfüßen und langem Schwanz; letzterer ein großer, 8 bis 9 Meter langer Schreckdrache von der Gestalt eines Iguanodon, jedoch mit seltsamem riesigem Entenschnabel und einem ebenso seltsamen pflasterartigen Gebiß, das aus zirka 2000 kleinen Zähnen besteht. Man fand ein solches Tier mit erhaltener Haut, die mit Schuppen bedeckt war. Der Hadrosaurus stammt aus der obersten Kreide Amerikas. Von beiden Gattungen sind europäische und amerikanische Vettern bekannt. (Siehe Abbildung 19.)
Europa war zur Jurazeit fast ganz vom Meere bedeckt; nur einzelne Inseln und uralte Gebirgsmassen erhoben sich über dasselbe. Hier war somit zur Entfaltung einer großartigen Landfauna (Tierwelt) nicht genug Raum vorhanden, und so kommt es, daß zwischen den Schreckdrachen der Triaszeit und denjenigen der Kreideperiode eine große Lücke besteht. Fast möchte man glauben, mit dem Ende der Keuperzeit sei eine ungeheure Katastrophe, etwa eine allgemeine Sintflut hereingebrochen, habe die ganze Tierwelt vernichtet, und nach vielen Hunderttausenden von Jahren habe die Natur wieder von vorn angefangen. Allein jene Überflutung fand nicht überall statt; in Nordamerika zum Beispiel blieb auch während der auf die Trias folgenden Jurazeit ein ausgedehntes Festland bestehen, und dort konnten sich die Landtiere der Keuperzeit weiter entwickeln. In der unteren Kreide erreichten sie die höchste Entfaltung. Von Nordamerika kamen denn auch vor Jahren wunderbare Mären von fremdartigen Sauriern, die an Größe und Seltsamkeit der Form alles bis dahin Bekannte in Schatten stellten. Skeptische Naturen nahmen jene Berichte mit einem gewissen Mißtrauen entgegen, aber die wissenschaftlichen Darstellungen namhafter Paläontologen und vor allem die in den Museen aufgestellten[S. 37] Funde selber machten es zur Gewißheit, daß man es nicht mit romantischen Übertreibungen einer sensationslüsternen Presse zu tun habe.
Der gewaltigste unter den amerikanischen Schreckdrachen scheint der Atlantosaurus gewesen zu sein, dessen Überreste im Staate Wyoming am Ostabhang des Felsengebirges gefunden wurden. Der Name ist der griechischen Göttersage entnommen. Der Riese Atlas, der Sohn eines Götterriesen (Titanen) und einer Meergöttin, hatte sich mit seiner ganzen Sippschaft gegen den Himmelvater Zeus empört, wurde aber besiegt und dazu verurteilt, an den Grenzen der Erde, wo Tag und Nacht zusammenkommen, nämlich an der jetzigen Meerenge von Gibraltar, den Himmel zu tragen. Atlas bedeutet auch in der Tat soviel wie „Träger“. Balkenträger an Gebäuden werden daher auch Atlanten genannt. Nach einer anderen Sage war er Besitzer der berühmten Hesperidengärten, einer Art Paradies in der Gegend des heutigen Marokko, und wurde vom griechischen Halbgott Perseus wegen seiner Ungastlichkeit mit Hilfe des Medusenhauptes zum Gebirge versteinert. Nach ihm wurde auch der Atlantische Ozean benannt.
Der Atlantosaurus immanis, das heißt der entsetzliche Riesendrache, war ein Koloß von 30 Meter Länge bei 9 Meter Höhe. Diese ungeheure Fleischmasse bewegte sich auf vier ungefähr gleich großen säulenförmigen Beinen, die je fünf Zehen mit hufartigen Klauen besaßen und nach Art der Eidechsenglieder gebaut waren. Die Oberschenkelknochen sind annähernd 2½ Meter lang und an ihrem oberen Ende ½ Meter dick. Es wird uns dies nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, daß ja das Tier, das sie zu tragen hatten, „die Größe eines ziemlich ansehnlichen Hauses“ erreicht haben mußte. Ja, diese mächtigen Knochen hätten wohl kaum ausgereicht, die enorme Last zu tragen und fortzuschleppen, wenn nicht durch besondere Vorrichtungen das Gewicht des Körpers herabgemindert worden wäre. Die Wirbel, von denen die größten einen Meter Durchmesser besaßen, waren nämlich hohl und zu Lebzeiten des Tieres wahrscheinlich mit Luft erfüllt, nur die Wirbel des dicken und langen Schwanzes waren massiv.
Nahe Verwandte des Atlantosaurus sind der Barosaurus (der „Schwere“) und der Brontosaurus. Ersterer ist in allen Skeletteilen bekannt; er erreicht eine Länge von 20 Meter, sein Nackenwirbel einen Durchmesser von reichlich einem Meter. Der Brontosaurus, ist ebenso groß und besaß einen ungeheuer langen Plesiosaurushals mit 13 Wirbeln. Wir geben nach einem vollständigen Skelett eine Rekonstruktion des Tieres, wie es lebend etwa ausgesehen haben mag. Auch beim Brontosaurus sind die Wirbel mit großen Luftkammern versehen, selbst die drei ersten Schwanzwirbel besitzen solche. Als weiteres Merkmal verdient hervorgehoben zu werden die im Verhältnis zum Körper winzige Größe des Kopfes und der Gehirnhöhle. „Das Gehirn,“ sagt Neumayr, „ist so außerordentlich klein, wie es im Verhältnis wohl bei keinem anderen höheren Tier bis jetzt bekannt ist.“
Diese amerikanischen Riesen mußten somit höchst stumpfsinnige
Geschöpfe gewesen sein und tief unter den heutigen Beherrschern
der Tierwelt gestanden haben. Wir dürfen uns dieselben auch nicht
vorstellen als grimme, stets in Kampf und Krieg lebende Drachen,
denn sie waren Pflanzenfresser und mochten also wohl den damaligen
Gewächsen, nicht aber der Tierwelt verderblich gewesen sein. Der
Brontosaurus oder Donnerdrache (vom griechischen bronte: Donner,
brontogenes: vom Donner erzeugt) mochte ein Gewicht von zirka
380 Doppelzentner erreicht haben, während dasjenige des Indischen
Elefanten bloß 30 bis 40 Doppelzentner beträgt. Ober- und Unterschenkel
samt Fuß maßen 4 Meter, die Dornfortsätze der Kreuzwirbel ½ Meter.
Die wandelnde Fleischlawine mag bis zum Rücken eine Höhe von 6 Meter,
mit hoch gehobenem Kopf 9 Meter erreicht haben. (Die Angaben, wonach
die größten Formen 12 Meter hoch gewesen sein sollen, scheinen nicht
vertrauenswürdig zu sein.) Selbst die ausschweifendste Phantasie
war nie imstande, sich ein solches Biest auszudenken, und staunend
fragt man sich, wie ein solches „Reptil“ sich bewegen und ernähren
konnte. Man denke sich einen Donnerdrachen durch die Straßen einer
Stadt dahinschreiten! Er könnte bequem zu den Fenstern des dritten
Stockes hineingucken, und die Kronen der Bäume in den städtischen
Anlagen böten ihm eine angenehme Weide. Ein Ochse würde sich daneben
fast wie ein Bauernhaus neben einem Münster ausnehmen. Und welch ein
Anblick müßte es gewesen sein, zu sehen, wie der Koloß sich auf seinen
stämmigen[S. 40]
[S. 41] Hinterbeinen und dem ungeheuren Schwanz erhob! Vielleicht
haben sich die Tiere vorwiegend im Wasser aufgehalten nach Art der
Flußpferde, wobei die Pflanzenwelt der Ufer abgeweidet und nebenbei
allerlei Getier mit verschlungen wurde. Da wie bei den Atlantosauriern
die größeren Wirbel, die einen Meter Durchmesser besaßen, Luftkammern
hatten, wurde das spezifische Gewicht beträchtlich herabgemindert. Der
vierte Halswirbel ist größer als der Schädel, und der Hohlraum der
Kreuzbeinwirbel übertrifft die Hirnhöhle um ein Mehrfaches, so daß es
scheint, als hätten die Tiere den Hauptteil ihres Zentralnervensystems
nicht in den Kopf, sondern in das Hinterteil verlegt. Mit den
intellektuellen Anlagen muß es folglich sehr schlimm bestellt gewesen
sein.
Die Gestaltungskraft der Natur hatte sich hier verrannt; durch eine bloße Steigerung der Masse schuf sie etwas Unnatürliches und verurteilte diese „Überriesen“ zu schnellem Untergang. Vielleicht ward dieser beschleunigt durch einen Klimawechsel oder durch das Überhandnehmen gefährlicher Raubtiere.
Neben den plumpen, massigen Atlantosauriern, wozu auch der Brontosaurus
gerechnet wird, erscheint der Diplodokus (Doppelbalken) geradezu als
eine zierliche Form. Er entstammt den gleichen Fundorten wie die
vorigen und gehört gleichfalls der unteren Kreide an, dem sogenannten
Wealden, das heißt der „Wälderformation“. Diese hat insofern manche
Ähnlichkeit mit der Steinkohlen- und der Keuperformation, als die
damaligen Festländer mit großen Sümpfen und Moorwäldern bedeckt waren
und ein langandauernder Kampf zwischen Land und Meer herrschte.
Aus jener Zeit stammen zahlreiche Steinkohlenflöze, die allerdings
im allgemeinen von geringer Mächtigkeit sind, aber doch an manchen
Orten bergmännisch abgebaut werden, so am Osterwald, am Deister, in
Schaumburg und Bückeburg. Sie sind natürlich nicht aus den typischen
Steinkohlenpflanzen (Siegel- und Schuppenbäumen usw.) hervorgegangen,
denn jene existierten ja längst nicht mehr, sondern aus Pflanzen
der Jura- und der ältesten Kreidezeit, hauptsächlich aus Farnen,
Nadelhölzern und Sagobäumen (Zykadeen, Farnpalmen). Der Gattung
Diplodokus gehören Tiere von 16 bis 25 Meter Länge und 3 bis 4
Meter[S. 42]
[S. 43] Höhe an. In welcher Stellung sich dieselben bewegt haben, ist
noch nicht festgestellt und je nachdem gelangt man zu verschiedenen
Höhenangaben. Der 6 Meter lange Hals gleicht einer Riesenschlange
und trägt einen großen, 60 Zentimeter langen Kopf, der etwelche
Ähnlichkeit mit einem Pferdekopf hat, die Nasenlöcher befinden sich
jedoch weit hinten bei den Augen. Die Kiefer sind nur im vorderen
Teil bezahnt, die hinteren Zähne fehlen gänzlich; wir haben es also
weder mit einem Raubtiergebiß, noch mit dem eines Pflanzenfressers zu
tun. Die Zähne sind lang, dünn, stäbchenförmig und stehen ziemlich
weit auseinander, wie die Zähne eines Rechens. Der ungeheure Schwanz
zählt nicht weniger als 60 Wirbel. Es ist nicht leicht, sich die
Lebensweise dieses märchenhaften Drachen vorzustellen. Man hat daran
gedacht, daß er im Wasser nach Muscheln, Schnecken, Fischen, Krabben
und Lurchen grundelte, wobei die Zähne nicht zum Beißen, sondern als
Seiher dienten, also die gleiche Funktion ausübten wie das Fischbein
der Bartenwale. Das hat in der Tat viel Wahrscheinlichkeit für sich.
Die größte Art (Diplodocus Carnegiei) wurde vor einigen Jahren
auf Kosten des bekannten Stahlkönigs Carnegie ausgegraben und im Museum
zu Pittsburg aufgestellt. Das Berliner Museum besitzt einen Gipsabguß
davon, weitere befinden sich in Wien, Paris und London. Überreste nahe
verwandter Gattungen wurden in Südamerika, Frankreich und England
entdeckt.
Einen hochinteressanten Fund machten vor kurzem die Gebrüder Sternberg im westlichen Teil der Union, sie förderten den vollständigen Kadaver eines Diplodokus mit erhaltener Hautbedeckung zutage. Das betreffende Riesenvieh scheint durch einen Unglücksfall umgekommen und auf eine Sandbank im Flusse geschwemmt worden zu sein. Dort wurde es zu einer Mumie ausgetrocknet und durch gewaltige Schlammassen, die später zu Tonschiefer erhärteten, zugedeckt. Die Haut ist mit seltsamen zarten Schuppen gespickt. Der ganze Kadaver, der auf dem Rücken lag, bedeckte eine Fläche von 12 Quadratmeter.
Diese stehen den vorigen an Größe beträchtlich nach, sehen aber
dafür um so putziger, wirklich drachenhaft aus. Fast möchte man
wähnen, ein phantasievoller Fabulierkünstler des Mittelalters[S. 44]
[S. 45]
hätte dieselben erfunden. Die Panzerdrachen oder Dachdrachen
(Stegosaurier) waren plumpe Riesen von mindestens
Elefantengröße, jedoch weit beträchtlicherer Länge, nämlich bis
zu 10 Meter! Sie hatten wieder die Gewohnheit der alten Reptilien
angenommen, das heißt sich einen dicken Panzer angeschafft, also ein
Rückfall auf eine tiefere Entwicklungsstufe; denn das Hautskelett ist
das ursprüngliche, das älteste; erst verhältnismäßig spät machte sich
das innere Knochenskelett geltend, wodurch das erstere allmählich
überflüssig wurde, weil es die aufsteigende Entwicklung hinderte. Der
Rückenpanzer, der sich vom Kopf bis zur Schwanzspitze erstreckte,
bildete ein schützendes Dach aus starken, dicken Schilden und war
überdies mit einem ungeheuren Kamm versehen, der aus zwei Reihen
aufrechtstehender meterlanger Platten bestand. Am Ende des langen
Schwanzes waren jene Knochentafeln zu spitzigen halbmeterlangen
Stacheln reduziert. Das war zweifelsohne eine sehr gefährliche Waffe,
und der Koloß konnte damit furchtbare Schläge austeilen. Die Kehlgegend
war durch einen besonderen Knochenharnisch geschützt. Offenbar
fehlte es zu jener Zeit (untere Kreide) nicht an mächtigen Feinden.
Die Glieder sind ungleich lang, und zwar sind die vorderen wieder
beträchtlich kürzer als die hinteren. Die Zahl der Zehen betrug je
fünf, jedoch waren bei den Hinterfüßen die beiden äußeren verkümmert,
so daß das Tier nur mit je drei Zehen austrat. Dadurch entstanden
sonderbare Fährten, die den Eindruck erweckten, als seien zwei ganz
verschiedene Tierarten (Herr und Diener) stets miteinander oder
vielmehr hintereinander auf dem nassen Boden dahingewandelt. Der kleine
Kopf mit einer Art Iguanodongebiß endete in einen plumpen Schnabel,
was dem gepanzerten Ungeheuer ein besonders phantastisches Aussehen
verschaffte. Besondere Erwähnung verdient die Schädelhöhle; dieselbe
ist nämlich sehr klein, so daß nur ein winziges Gehirn in derselben
Platz hatte. Der Rückenmarkkanal im Kreuzbein ist wohl zehnmal so groß
als die Hirnhöhle, so daß man von einem „Kreuzbeinhirn“ gesprochen
hat. Letzteres bestand aber selbstverständlich nicht aus Hirnsubstanz,
sondern aus Nerven für den kolossalen Hinterkörper.
Diese Panzerdrachen haben sich wohl durch eine geradezu beispiellose Dummheit ausgezeichnet. Sie konnten wahrscheinlich gleich den Iguanodonten aufgerichtet auf den Hinter[S. 46]beinen einherschwanken, aber ebensogut auf allen vieren davonstapfen.
Ein ebenso wunderlicher Kauz, ein Vetter des vorigen, war der Dreihorndrache (Trizeratops), 8 bis 9 Meter lang, wovon 2 Meter auf den spitzdreieckigen, vorn ebenfalls in einen Schnabel endigenden Kopf entfallen. Dieser Schreckdrache, der also im Gegensatz zu seinem mikrozephalen Vetter zu den „Großköpfen“ gehört, trug neben einem meterlangen Horn über der Nase noch zwei seitliche hintere Hörner über den Augen. Der Hinterkopf endete in einen knöchernen Nackenschirm, der am Rande mit zackigen Knochenplatten besetzt war und wie eine große Halskrause aussieht. Die Zähne deuten auf Pflanzennahrung und haben — bei Reptilien etwas Unerhörtes — zwei Wurzeln, was sonst nur bei Säugetieren vorkommt. Auch die Glieder weisen gewisse Säugetiermerkmale auf, die Zehen tragen nämlich große Hufe, wie diejenigen der Huftiere (Schweine, Pferde, Wiederkäuer). Dazu der gehörnte Kopf, der an gewisse Urhufer der Braunkohlenzeit gemahnt.
Diese Säugetierähnlichkeit ist noch größer beim Einhorndrachen (Monoklonius) mit mächtigem, nach rückwärts gekrümmtem Horn, dem Zweihorndrachen (Dizeratops) und dem Stierdrachen (Torosaurus), alle der oberen Kreideformation Nordamerikas angehörend. Vereinzelte Bruchstücke einer nahe verwandten Art wurden auch bei Wiener-Neustadt gefunden. Dem winzigen Gehirn nach zu schließen, sind alle Horndrachen sehr stumpfsinnige Geschöpfe gewesen.
Nordamerika galt als das Paradies der Schreckdrachen, und seine Reptilienwelt überragte alles bis anhin Bekannte. Da trat Afrika als Konkurrent auf, und zwar — wer hätte das für möglich gehalten? — mit Erfolg. Zunächst richtete die Südspitze des Schwarzen Erdteils die Augen der Paläontologen auf sich. Dort — in der sogenannten Karrooformation — entdeckte man nämlich eine Menge versteinerter Knochen, welche von einer höchst seltsamen Tierwelt zeugten, die in der Perm- und Triaszeit dort gehaust. Die einen jener Knochentrümmer schienen einer besonderen Gruppe von Uramphibien (Wickelzähnern, Panzerköpfen) anzugehören, andere waren entschieden reptilienhaft und[S. 47] manche, besonders die Zähne, wiesen auf niedere Säugetiere hin. Die Bezahnung ließ nämlich eine Gruppierung in Schneide-, Eck- und Backenzähne erkennen. Sollte man es hier mit den Stammvätern der höchststehenden Tierklasse zu tun haben? Sollte nun Licht in die Dunkelheit ihrer Herkunft fallen? Die hochgespannten Erwartungen der Forscher erfüllten sich nicht. Immerhin ist zu sagen, daß jene Afrikaner höchst interessante Zwischenformen (Kollektiv- oder Sammeltypen) und daß die berühmtesten unter ihnen, die Theromorphen, das heißt die Säugetierähnlichen, offenbar Seitenzweige jenes Hauptastes sind, dem die Ursäugetiere entstammen. Zwischen beiden bestehen nicht bloß oberflächliche Ähnlichkeiten (Analogien), sondern enge verwandtschaftliche Beziehungen.
Die „Säugetierähnlichen“ bewohnten übrigens nicht ausschließlich Südafrika, sondern auch Amerika, Ostindien, Europa (Rußland, England, Frankreich, Deutschland, Schweiz). Sie scheinen samt und sonders schon in der Triaszeit ausgestorben zu sein; die heutige Tierwelt hat nichts Gleichartiges. Man kennt zirka 100 Gattungen; ihre versteinerten Skelette sind meist schlecht, oft nur in wenigen Knochenstücken erhalten und dann schwer zu deuten. Unter den vielen Arten gibt es Zwerge, die nur die Größe einer Ratte erreichen, aber auch einzelne schwerfällige Riesen von Nashorngröße. Ich führe nur zwei Vertreter mit Namen an, den Wolfsaurier (Lykosaurus), ein Raubtier mit scharfem Gebiß, und den plumpen Pareiasaurus (Backen[S. 48]saurier), ein bizarres, drei Meter langes Monstrum, ein „dackelhafter Bär“ auf kurzen, dicken, geknickten Beinen, deren unglaublich dicke Zehen wahrscheinlich zum Graben eingerichtet und mit großen Krallen versehen waren. Er hielt sich wohl mit Vorliebe an der Küste auf und ernährte sich von allerlei kleinem Getier, das er aus der Erde hervorscharrte. Der breite, kurze Schädel war mit vielen Höckern und der Unterkiefer mit zapfenartigen Auswüchsen geziert. Von einem ähnlichen Biest (Sklerosaurus) fand man Überreste im Buntsandstein von Riehen bei Basel. Aber damit sind wir mit Afrika und den Afrikanern noch keineswegs zu Ende.
In den allerjüngsten Zeiten ging uns von dem rühmlich bekannten Stuttgarter Geologen Fraas die unverhoffte Kunde zu, daß drüben in Deutsch-Ostafrika sich ein Drachenfriedhof befinde, der mit den amerikanischen Fundorten im Staate Wyoming in jeder Hinsicht den Vergleich aushält. Dort ist nun eine reichsdeutsche Expedition seit einigen Jahren beschäftigt, die wunderbaren Reste ausgestorbener Tierriesen auszugraben und der wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich zu machen. Jene Gigantosaurier (Riesendrachen) scheinen ihren amerikanischen Vettern, den Atlantosauriern, Zanklodonten, Panzerdrachen usw. mindestens ebenbürtig zu sein. Wie in Wyoming liegen die Knochen teilweise an der Oberfläche oder in geringer Tiefe, aber deren Konservierung und Transport zur Meeresküste und von dort nach Europa ist ein ebenso schwieriges wie kostspieliges Geschäft. Das Berliner Museum hat bereits durch jene Funde eine erstaunliche Bereicherung erfahren.
Die Grabungen werden am Tendaguruhügel, nordwestlich von Lindi vorgenommen, wobei benachbarte Negerstämme das Ausgraben und den Transport besorgen. Die Arbeiten sind mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden. Fürs erste sind jene Gegenden mit fast undurchdringlichem Gras- und Buschwald bewachsen und weit ab von Verkehrslinien, sodann macht die Regenzeit jede Arbeit unmöglich, und im Sommer, wo gar kein Regen fällt, hat man mit Hitze, Fiebern, Nahrungsmangel und einem Heer bösartiger Insekten zu kämpfen, nicht zu rechnen mit den Überfällen von Löwen, Leoparden und Schlangen.
Im ersten Jahre wurde mit 150 Arbeitern begonnen, im zweiten mit 200, und diese Zahl stieg allmählich auf 500. Es[S. 49] sind drei übereinanderliegende Saurierschichten vorhanden, die verschiedenen Zeiten, aber insgesamt der ältesten Kreideperiode angehören, somit gleichaltrig sind wie die berühmten Kreideschichten in Nordamerika. Welche Riesen (Gigantosaurier) zutage gefördert wurden, mag folgender Vergleich zeigen:
Ein Oberarmknochen |
des
|
Diplodokus |
mißt
|
0,95 |
Meter
|
„ „ |
„
|
Gigantosaurus |
„
|
2,10 |
„
|
„ Halswirbel |
„
|
Diplodokus |
„
|
0,65 |
„
|
„ „ |
„
|
Gigantosaurus |
„
|
1,2 |
„
|
„ Schulterblatt |
„
|
Diplodokus |
„
|
1 |
„
|
„ „ |
„
|
Gigantosaurus |
„
|
2 |
„
|
Eine Rippe |
„
|
Diplodokus |
„
|
1,86 |
„
|
„ „ |
„
|
Gigantosaurus |
„
|
2,5 |
„
|
Der Hals |
„
|
Diplodokus |
„
|
7 |
„
|
„ „ |
„
|
Gigantosaurus |
„
|
12 |
„
|
Neben einem solchen afrikanischen Riesendrachen erscheint der größte lebende Bewohner Afrikas, der Elefant, tatsächlich als ein Zwerg. Leider fand man bis jetzt niemals vollständige Skelette, sondern nur einzelne Knochen, so daß es schwer hält, sich ein Bild vom ganzen Tier zu machen.
Über die afrikanischen Arbeiter, welche auf die 20 Fundstellen verteilt waren, sind die Leiter der Expedition des Lobes voll. Dr. Hennig berichtet darüber: „Wenn man auf der Ausreise von Aden ab das schwarze Gesindel der Hafenstädte kennen lernt, so bildet sich ein unter Umständen schon in der Heimat eingeflößtes schlechtes Vorurteil in verstärktem Maße aus. Schon in Lindi, das dem großen Verkehrsweg einigermaßen entrückt ist, herrschen wesentlich erfreulichere Zustände, wie selbst Daressalam gegenüber nichtdeutschen Häfen ein günstigeres Zeugnis ausgestellt werden kann. Im unberührten Lindi-Hinterland aber sitzt eine Bevölkerung, die ich aufrichtig liebgewonnen habe. Am wichtigsten und erstaunlichsten zugleich war die Anstelligkeit, mit der sie nicht nur die ungewohnten Grabgeräte handhaben lernten, sondern sehr bald sich auch in die feineren Präparationsarbeiten hineinfanden. Bei den oft brüchigen Knochen in härterer Gesteinsumhüllung erforderte die Präparation zweifellos Hingabe an die Arbeit, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit. Bei dem Umfang, den das Werk bald annahm, war es unmöglich,[S. 50] diesen Teil der Arbeit uns selbst vorzubehalten, ganz abgesehen von der Bedenklichkeit des Unterfangens, sich als Europäer der vollen Tagesglut im windgeschützten glühenden Schacht dauernd auszusetzen.
Wenn man wünschenswerte Eigenschaften im Neger nicht findet, so liegt das in sehr, sehr vielen Fällen nicht am Objekt, sondern am Sucher! Denn auch ohne fremde Erziehung, schon aus eigenem Wesen heraus, weisen die Eingeborenen im Süden der Kolonien manchen sehr sympathischen Zug auf. Der Grundton ihres Wesens ist Sorglosigkeit; sie kann sich als Fatalismus, als Mangel an Voraussicht (zumal in Verpflegungsfragen) äußern, sie gibt sich aber auch in jener heiteren Gemütsart kund, die jederzeit zu Scherz und Spiel bereit und für Humor überaus empfänglich ist, die auch über erlittenes Ungemach schnell hinwegzuhelfen vermag. Ich habe gesehen, daß beim Abbrennen eines Dorfes nach der unter Geschrei und Gezänk beendeten Löscharbeit sofort die Aufräumungsarbeiten mit lustigem Gesang aufgenommen wurden.
Endlich ist die Intelligenz keineswegs zu verachten. Und zwar besteht nicht nur Empfänglichkeit für Neues und Ungewohntes, sondern vielfach auch eine gewisse aktive Beweglichkeit, die den Dingen aus eigenem Antrieb entgegengeht. Der erste Eindruck der Arbeiten bei der umwohnenden Bevölkerung war natürlich eine Verwunderung darüber, daß die Europäer etwas in ihrem armen Lande zu finden und auszunutzen verstanden, was sie selbst nie beachtet noch zu verwenden gewußt hatten. Es drangen zweifelnde Fragen bis zu uns, was denn wohl aus den Funden gemacht werden könne; die einzigen Möglichkeiten, die ihnen dabei vorschwebten, waren: Zaubermittel, Geld oder Tücher! Dann traten doch aber bald auch tieferforschende Fragen auf, nach dem Namen und Wesen des Tieres, nach der Herkunft solcher Reste und ihrem Alter, nach der Lebensweise und dem Vorhandensein in der Gegenwart, ganz vereinzelt wohl auch der staunende Gedanke: woher wissen die Weißen das alles? Das letztere Problem hörte ich übrigens mit der ersichtlich voll zufriedenstellenden Antwort lösen: ‚Die Europäer lernen so etwas in der Schule.‘ ... Der Gedanke, daß dort, wo sie jetzt schafften und lebten, einst Meer gewesen sei, daß zur Zeit, da diese Ungeheuer ihr Wesen trieben, es noch keine Menschen ge[S. 51]geben habe, daß die versteinerten Muscheln, Schnecken, Fische an Ort und Stelle im Wasser gestorben seien, wo sie doch seit Menschengedenken nur Busch zu sehen gewohnt waren, bereitete ihrer Vorstellungskraft keinerlei Schwierigkeiten.“
Über die ausgegrabene Saurierwelt selbst schreibt Dr. Hennig: „Die ungeheure Größe einiger der ostafrikanischen Dinosaurier macht sie zu den gewaltigsten überhaupt je bekannt gewordenen Landbewohnern der Erde. Ist die Größe an sich auch ohne sonderliche wissenschaftliche Bedeutung, so war sie doch selbst für Fachkreise eine Überraschung, hauptsächlich aber für uns, die wir diese Giganten aus dem Erdreich herausschälen durften.
Erreichte nun der Oberarmknochen bei der größten Form mehr denn 2 Meter, so mißt er bei der kleinsten nur wenige Zentimeter. Nicht selten kam es vor, daß Skeletteile so verschieden gestalteter Wesen durcheinanderlagen. Da war es dann natürlich nicht schwer, die zusammengehörenden herauszufinden. Unangenehmer war es schon, wenn viele beieinander gefundene Wirbel, Rippen, Beine Hoffnung auf ein nahezu vollständiges Skelett erweckt hatten und dann etwa ein sich einstellender dritter Oberschenkel von der Anwesenheit mindestens zweier Individuen gleicher Größe zeugte. Am schwierigsten aber gestaltete sich die Trennung in zwei Fällen, wo sich ganze Herden von fünfzig und mehr Individuen kleinerer Art auf engem Raume beisammenfanden.
Wiederum an anderen Stellen gab es wahre Trümmerstätten, wo nur die festeren Bein- und Flächenknochen verschiedenster Sorten in Mengen angehäuft lagen. Viele Kadaver sind wohl eine Zeitlang im Wasser umhergetrieben, ehe sie auf den Boden sanken oder strandeten und nun erst endgültig eingebettet wurden. Dabei konnten leicht einige Teile des Körpers abfaulen und weit entfernt zur Ablagerung gelangen. Wie aber sind die riesigen Tiere in solchen Mengen in ein Küstengewässer geraten? Man könnte etwa annehmen, ein flaches Wattenmeer sei zur Ebbezeit auf weite Strecken hinaus trockengefallen und jene Kolosse hätten den halbtrockenen Meeresboden nach Tangen und kleinen Wassertieren abgesucht, die ihnen zur Nahrung dienten, die rückströmende Flut habe ihnen dann in Unebenheiten des Strandes den Rückweg abgeschnitten und vielen ein Grab bereitet. Es ließe sich auch denken, daß bei dem Auf- und Niedersteigen des[S. 52] Küstengebiets kleinere Inselpartien nach und nach abgescheuert und später samt den darauf zusammengedrängten Bewohnern gänzlich verschlungen wurden.... Um über derartige Möglichkeiten eine Entscheidung herbeizuführen, hätte es geologischer Untersuchungen in weiterem Rahmen bedurft. Dafür gebrach es uns in Ansehung der Hauptaufgabe leider an Zeit.
Ein Bild läßt sich aber auch so gewinnen von dem wundersam vielgestaltigen Leben, das sich hier am Rande des Kreidemeers abgespielt haben muß. Da trotteten stumpfsinnig jene Ungeheuer mit einem mehr als 12 Meter langen und bis 2 Meter dicken Hals, mit Beingestellen, die alles gewohnte Maß übersteigen; da tummelte sich die große und kleine Drachenbrut bis hinab zum winzigsten Eidechslein; da zogen Herden gepanzerter Schreckgestalten daher, mit mächtigen Stacheln auf Rücken und Schwanz; da eilten auch kleine, flinke Saurier, auf den Hinterbeinen erhoben; da flogen andere durch die Luft; da gab es neben fleischfressenden Räubern auch Giganten, die ihren Riesenleib von Pflanzen und kleineren Seetieren ernährten.“ (Aus Dr. Hennig, Am Tendaguru.)
Der Leser möchte vielleicht gern wissen, welcher Zeitraum seit dem Untergang jener riesenhaften und wunderbar mannigfaltigen Tierwelt verflossen ist. Leider ist die Wissenschaft gegenwärtig noch nicht imstande, darauf eine genaue Antwort zu geben; man muß sich mit bloßen Schätzungen begnügen, und diese schwanken zwischen vier und zehn Millionen Jahren.
Als die gewaltigen Kolosse der Jura- und Kreideperiode — die stumpfsinnigen Atlantosauren, Brontosauren, Gigantosauren, Zanklodonten, Iguanodonten, Panzerdrachen und hundert andere verwandte Formen — die damaligen Festländer bewohnten, die eine von den heutigen ganz abweichende Gestalt und Ausdehnung hatten, mußten goldene Zeiten für die Wegelagerer und Freibeuter sein. An solchen fehlte es in der Tat nicht. Der größte unter allen scheint der Tyrannosaurus gewesen zu sein, dessen Skelett vor kurzem in Montana (Nordamerika) aufgefunden und im New Yorker Naturhistorischen Museum aufgestellt worden ist. Er wird als ein 12 Meter langes Biest mit meterlangen Kiefern und 6 bis 18 Zentimeter langen Zähnen geschildert.[S. 53] Er war mit solcher Riesenkraft und so furchtbaren Waffen ausgerüstet, daß er sich wohl an jeden anderen Riesen heranwagen konnte. Seine Landsleute und Zeitgenossen, der Allosaurus und der Lälaps, stellten sich ihm würdig an die Seite. Sie konnten zweifelsohne trotz ihrer Größe gewaltige Sprünge ausführen, da Schwanz und Hinterbeine ungeheuer muskulös und die größeren Knochen zudem hohl waren, wodurch das Körpergewicht beträchtlich herabgemindert ward. Der Nashorndrache (Ceratosaurus nasicornis), beträchtlich kleiner und zierlicher, ist 4 bis 5 Meter lang, hat kurze Vorderbeine mit vier Fingern und große Hinterbeine mit drei Zehen. Auf der Nase trug das Tier ein großes Horn. Der Nashorndrache mag große Ähnlichkeit mit dem Iguanodon besessen haben, war aber schlanker, leichter und flinker als letzteres.
Weit verbreitet war der Megalosaurus (der Große), dessen Reste aus Europa, Afrika, Ostindien, Australien und Südamerika bekannt sind. Er erreichte 8 Meter Länge, sein Oberschenkel 1 Meter, das Schulterblatt 80 Zentimeter. Die 4 Zentimeter langen Zähne sind vorn und hinten zugeschärft und fein gesägt.
Alljährlich um die Zeit der sauren Gurke pflegt die berühmte Seeschlange aufzutauchen, die irgend ein forscher Kapitän in irgend einem Gewässer gesehen haben will. Sie führt ein sehr kurzfristiges Dasein, nicht in den Fluten des Ozeans, sondern im Blätterwald. Etwas anderes war es mit den Seeschlangen der Kreidezeit; jene machten wirklich die Meere unsicher; aber keines Menschen Auge hat sie geschaut. Schon gewisse Meerkrokodile der Jurazeit sind von so schlankem Bau, daß sie ein schlangenähnliches Aussehen haben, so der schwäbische Geosaurus, der die Umformung des Schreitfußes zum Ruder sehr schön erkennen läßt und uns zeigt, wie aus einem Landkrokodil ein Seekrokodil geworden ist. Die Maasechsen oder Mosasaurier zeigen in noch höherem Grade schlangenähnlichen Habitus. Es sind langgestreckte Eidechsen mit Schwimmfüßen und großem Ruderschwanz. Die langen kräftigen Kiefer zeigen ein starkes Raubtiergebiß. Man kennt über fünfzig Arten, die sich auf Europa, Amerika und Australien verteilen. Der Körper[S. 54] war mit Schuppen bedeckt. Ihre Entdeckung fällt in eine sehr bewegte Zeit, nämlich ins Ende des achtzehnten Jahrhunderts.
Die ersten Reste eines Maassauriers, nämlich bedeutende Teile eines Schädels, wurden in einem Steinbruch bei Mastricht an der Maas aufgefunden, woher denn auch diese Riesengattung den Namen erhalten hat. Darüber wird berichtet:
Ein Dr. Hoffmann ließ das Stück mit vieler Mühe und Kosten heben und ausarbeiten. Der Fund machte Aufsehen und erregte den Neid des Steinbruchbesitzers, des Domherrn Godin, der das Stück reklamierte, und dem es auch vom Gericht zugesprochen wurde. Als im Jahre 1795 die Truppen der französischen Republik das Fort St. Pierre bombardierten, befahl der General, der um den wissenschaftlichen Schatz im nahen Hause des Domherrn wußte, dasselbe zu schonen. Dieser, nicht weniger um seinen Schatz besorgt als der General und wenig erbaut von dessen rücksichtsvoller Aufmerksamkeit, ließ es bei Nacht in der Stadt verstecken und hoffte so nach der Übergabe des Platzes sein Stück zu retten. Vergeblich! Der Volksrepräsentant Freycinet verstand hinter das Geheimnis des Geistlichen zu kommen und ließ öffentlich den zweiten Entdeckern des Sauriers 600 Flaschen Wein zusichern. Das wirkte unwiderstehlich; schon am nächsten Morgen brachten zwölf Grenadiere im Triumph das Stück, um ihren Lohn zu empfangen.
Jener Maassaurier, zu Ehren des Entdeckers Mosasaurus Hoffmanni getauft, mag eine Länge von 7 bis 8 Metern erreicht haben; es sind aber seitdem Riesen von drei- und vierfacher Länge mit 1 bis 1½ Meter langen Kiefern gefunden worden. (Die berühmten Riesenschlangen Südamerikas: Abgottschlange oder Boa, Anakonda und Tigerschlange werden etwa 7 Meter lang.) Daß die Maassaurier von Landeidechsen abstammen, ist zweifellos, denn ältere Formen, die in Dalmatien gefunden wurden, haben noch Schreitbeine und gleichen den Varanen, das sind Eidechsen von erstaunlicher Größe. Vertreter derselben in der heutigen Lebewelt sind die sogenannten Warneidechsen Afrikas, Südasiens und Australiens. Die bekannteste Art ist die Nileidechse, 2 Meter lang, sehr räuberisch, von den alten Ägyptern als Vertilgerin der Krokodileier und junger Krokodile gefeiert.
Die Reptilien des Mittelalters (Trias-, Jura-, Kreidezeit) begnügten sich nicht damit, ihre Herrschaft zu Wasser und zu[S. 55] Land auszuüben, sie dehnten dieselbe auch auf den Luftkreis aus gleich wie gewisse Nachfahren des Alluviums (Gegenwart). Die „Kriecher“ begründen die Ära der Aeronautik der Wirbeltiere, nachdem die Insekten das Problem schon Jahrmillionen vorher gelöst hatten. Sollte man denken, daß aus der Klasse der Neckarsaurier, Maassaurier, Fisch- und Schlangendrachen, Atlantosaurier, Zanklodonten und Iguanodonten „Segler der Lüfte“ hervorgegangen? Alle Flugdrachen besitzen einen vogelartigen Kopf mit langen dünnen Kiefern, die vermutlich an den Spitzen mit Horn überzogen waren, große Augen, ein überaus leichtes Skelett mit pneumatischen, das heißt lufterfüllten Knochen und einem sonderbaren Flugapparat, den wir bei keinem heutigen Flieger finden. Die Hinterfüße sind durchaus reptilienhaft gebaut, mit vier bis fünf Zehen, die zweifelsohne scharfe Krallen trugen. Die Vorderglieder haben je nach der Art drei oder vier oder fünf Finger, von denen der äußerste, also der „kleine“ ungeheuer lang, länger als der ganze Rumpf ist und die dünne, faltige Flughaut trägt, woher denn auch die zuerst bekannte Gattung den Namen „Flugfinger“, Pterodaktylus, erhalten hat. Wunderbarerweise ist eine solche Flughaut als Abdruck auf dem Gestein erhalten; sie stimmt in der Form mit einem Schwalben- oder Möwenflügel überein, hat also offenbar einem guten Segler angehört. Es gibt aber auch Arten mit breitem und kurzem Flügel, wahrscheinlich Strandbewohner, die sich von allerlei kleinen Wassertieren ernährt haben. Sie mögen sich in ihrer Ruhe reihenweise auf die Küstenfelsen gesetzt oder an die Bäume angehakt haben; wenn dann die Ebbe eingetreten, werden sie in schrägem Schwebeflug zum Strande herniedergeschwebt sein und die vom Meer zurückgelassene krabbelnde und zappelnde Beute eingeheimst haben.
Die Schnabelschnauzen zeichneten sich durch besonders große Augen aus, die wie bei den Fischdrachen durch einen Ring von Knochentäfelchen geschützt waren (Räderaugen). Die spitzen, ungleich langen Zähne sitzen in weiten Abständen in den Kiefern und sind nach vorn gerichtet. Der lange Schwanz ist von einer Scheide aus verknöcherten Sehnen umgeben und besitzt hinten eine flossenartige Verbreiterung. Mit seiner Hilfe konnte sich der Drache in die Höhe schnellen, außerdem diente er als Steuer.
Der Pterodaktylus hatte einen verkümmerten Schwanz und ziemlich dicken Kopf, der in einem rechten Winkel auf der Wirbelsäule saß. Manche Arten hatten nur die Größe eines Sperlings, andere die eines Geiers. Während die einen noch eine ähnliche Bezahnung wie die Schnabelschnauzen aufweisen, besitzen andere nur ganz winzige Zähnchen, und eine dritte Gruppe ermangelt der Bezahnung völlig; dies ist auch der Fall bei der Gattung Pteranodon, das heißt „Zahnloser Flieger“ (griechisch pteron: Flügel, pteros: geflügelt, a: kein, odon: Zahn). Damit erreichen die Flugechsen die höchste Ausbildung, denn das ganze Tier ist sozusagen nur noch Flugapparat. Die papierdünnen zahnlosen Kiefer bilden einen langen, sehr leichten Schnabel; der Hinterkopf ist in einen ebenso leichten spornartigen Kamm ausgezogen; alles übrige, Rumpf, Hinterglieder und Schwanz, ist sehr klein. Diese Segler aus der oberen Kreideformation von Kansas (Nordamerika) übertrafen die größten fliegenden Vögel, erreichten sie doch 6 bis 7 Meter Spannweite (der Kondor 3 Meter). Der Pteranodon war zweifelsohne ein wunderbarer Flieger und hat wohl den größten Teil seines Lebens schwebend in der Luft zugebracht. Schade, daß dieser Wunderdrache verschwunden ist.
Das Verschwinden der Riesengeschlechter der mittelalterlichen Saurier ist verschiedenen Ursachen zuzuschreiben. Als solche haben wir in erster Linie die Riesenhaftigkeit, die Plumpheit und Schwerfälligkeit, die geringe Fortpflanzungsfähigkeit und den großen Futterbedarf anzusehen. Es ist eine allgemein verbreitete Erscheinung, daß gerade die Riesenformen, sowohl unter Pflanzen wie unter Tieren, sich am schnellsten erschöpfen, während die kleineren Formen eine viel größere Lebenskraft haben. Welches Land könnte auf die Dauer Herden von Atlantosauriern, Brontosauriern, Gigantosauriern, Diplodoken usw. ernähren? Die Riesenformen ersticken sozusagen unter ihrer eigenen Last. Dabei sind sie von ihrer Umgebung weit mehr abhängig als die Kleinen. Jede Schwankung des Klimas, womit zugleich ein Wechsel der Pflanzenwelt verbunden ist, muß ihnen gefährlich werden, da sie durch ihre einseitige Entwicklung jede Anpassungsfähigkeit verloren haben. Wenn ein wasserreiches Land zur trockenen Steppe oder gar zur Wüste ward, oder wenn es umgekehrt langsam sank und das Meer vordrang, so gab’s für jene tappigen, schwer beweglichen Fleisch- und Knochenberge kein Entrinnen mehr. Dazu kam aber noch, daß ihnen aus anderen Klassen sehr gefährliche Konkurrenten erwachsen waren, den Fisch- und Langhalsdrachen in furchtbaren Haien und Seesäugetieren, den Landsauriern in den Landsäugetieren, den Flugdrachen in den Vögeln. Diese letzteren mögen selbst manchen Vertretern der Dinosaurier gefährlich geworden sein. Der Reptilientypus war einer besseren Ausbildung, einer Steigerung der Organisation nicht mehr fähig, wohl aber war dies beim Vogeltypus der Fall. Hier finden wir vor allem eine scharfe Trennung und bessere Ausbildung des Blutkreislaufs. Arterielles und venöses Blut mischen sich nirgends, und letzteres wird durch intensive Sauerstoffzufuhr, das heißt bessere Atmung rascher aufgefrischt. Es findet eine lebhaftere Verbrennung, infolgedessen Steigerung der Blut[S. 58]temperatur und der Lebensenergie statt; die Verdauung wird eine viel raschere, der Stoffwechsel ein regerer; das Gehirn erhält mehr Blut und die beiden Halbkugeln des Großhirns erfahren bedeutende Förderung. Das leichte, luftige und zugleich warme Federkleid sichert die Warmblütigkeit des Körpers noch beträchtlich und verschafft dem Vogel die Unabhängigkeit von der Lufttemperatur und dem Klimawechsel; die Kälte der Nacht, des Winters, des Hochgebirges, des Pols, selbst der Eiszeit vermag ihm nichts mehr anzuhaben. Dazu die sorgfältige Brutpflege, das Anlernen der Jungen und die höhere Intelligenz, das alles mußte dieser neuen Klasse den Vorrang und den endlichen Sieg verschaffen.
Woher die Vögel eigentlich stammen? Die Frage ist noch offen. Man könnte an die Flugdrachen denken, aber damit ist’s nichts; zwischen beiden Gruppen gibt’s wohl mancherlei Ähnlichkeiten (Analogien), die durch gleichartige Lebensweise bedingt sind wie zwischen Fisch und Walfisch, aber keine Blutsverwandtschaft. So ist der Flugapparat eines Flugfingers oder einer Schnabelschnauze anatomisch etwas ganz anderes als ein Vogelflügel, wie auch der Flügel einer Fledermaus und der eines Schmetterlings anatomisch und entwicklungsgeschichtlich miteinander nicht zu vergleichen sind. Nun haben wir früher gehört, daß gewisse Schreckdrachen — Iguanodon und Verwandte — im Bau der Hinterglieder auffallend an große Laufvögel erinnern, weshalb sie den Namen der Vogelfüßigen (Ornithopoden) erhalten haben. Das scheint darauf hinzuweisen, daß wir in jener Gegend den Ursprungsort der Vögel zu suchen haben. Beide so verschieden geartete Stämme haben offenbar eine gemeinsame Wurzel, die bei den Urreptilien der älteren Triaszeit oder der Permzeit zu suchen wäre. Das ist alles, was sich über den Ursprung der Vögel sagen läßt.
Daß Vögel sich im allgemeinen für den Versteinerungsprozeß schlecht eignen, dürfte ohne weiteres klar sein, und es erscheint daher fast wie ein Wunder, daß trotz alledem 400 bis 500 fossile Arten bekannt sind, freilich teilweise in so dürftigen Resten, daß es oft geradezu unmöglich ist, eine Artbestimmung vorzunehmen, weshalb auch die bezüglichen Zahlenangaben sich[S. 59] in einem ziemlich weiten Spielraum bewegen. Und wie gering sind obige Zahlen, wenn wir bedenken, daß sie sich auf Jura-, Kreide-, Tertiär- und Eiszeit, also auf Millionen Jahre verteilen, und wenn wir uns ferner vergegenwärtigen, daß heute nicht weniger als 10000 Arten leben. Hieraus erhellt ohne weiteres, wie lückenhaft die Stammesgeschichte der Vögel sein muß; aber gerade deshalb ist jeder gute Fund, zumal aus älterer Zeit, von größtem Interesse.
Das war nun speziell der Fall beim ältesten Vogel, den man zur Stunde kennt, dem Erz- oder Urvogel der obersten Juraformation, einem Zeitgenossen des Flugfingers (Pterodaktylus), Brontosaurus und Kompsognathus.
Im Jahre 1861 wurde im lithographischen Schiefer von Solnhofen (Bayern) ein Fund gemacht, der die Naturforscher in die größte Aufregung versetzte. Es handelte sich um das Skelett eines Tieres, das Federn getragen und halb Reptil, halb Vogel gewesen zu sein schien. Kopf, Hals und die meisten Teile des Rumpfes fehlten, dagegen waren Schultergürtel und Becken, Vorder- und Hinterglieder sowie der lange Schwanz teils ganz, teils in größeren Bruchstücken erhalten. Andreas Wagner, damals Direktor der paläontologischen Sammlung in München, hielt das Tier für ein richtiges Reptil und gab ihm den Namen Gryphosaurus, Greifsaurier. Der Engländer Owen und andere erkannten aber in ihm einen Vogel und nannten ihn Archäopteryx, was soviel wie Urvogel bedeutet. Das merkwürdige Geschöpf wurde um einen sehr hohen Preis zum Kaufe angeboten und wanderte endlich für die Summe von 600 Pfund Sterling (12000 Mark oder 15000 Franken) ins Britische Museum in London.
Kaum hatten sich die Engländer des Vogels bemächtigt, so berichteten die Zeitungen, das wunderbare Unikum von Solnhofen sei eine schlaue Täuschung, ein Rhamphorhynchusskelett, dem man in kunstvoller Weise Federn angeätzt oder eingraviert habe. Darob unverhohlene Schadenfreude und großer Jubel bei allen denen, welchen die Entdeckung des Urvogels ein Dorn im Auge gewesen war. Allein die Briten kehrten sich nicht an dieses Geschrei, waren sie doch vollständig von der Echtheit des „teuren“ Fossils überzeugt. Und der Urvogel hat wirklich gelebt.
Im Jahre 1877 wurde bei Eichstätt, 3½ Stunden vom Fundort des ersten, ein zweites Exemplar entdeckt, das weit vollständiger und schöner erhalten war als das erste. Dieses wurde nach langen Unterhandlungen vom Mineralogischen Museum der Universität Berlin um die Summe von 20000 Mark angekauft, nachdem zahlreiche andere Institute darauf reflektiert, aber die nötige Summe nicht zusammengebracht hatten.
Der Archäopteryx steht, wie wir nun mit voller Sicherheit wissen, den Vögeln viel näher als den Reptilien; er ist etwa zu drei Vierteln Vogel, zu einem Viertel Reptil; Ober- und Unterkiefer sind mit Zähnen versehen, welche in besonderen Höhlen stecken, was bekanntlich bei keinem lebenden Vogel vorkommt. Wohl aber sind mitunter bei jungen Exemplaren, ins[S. 61]besondere bei Papageien, schwache Andeutungen von Zähnen vorhanden. Die Wirbel sind auf beiden Seiten ausgehöhlt wie bei tiefstehenden Amphibien und Reptilien, und die Rippen zeigen gleichfalls Reptiliencharakter. Der Schwanz gleicht einigermaßen dem einer Eidechse und besteht aus zwanzig langgestreckten Wirbeln. An jedem Wirbel waren aber zwei Schwanzfedern befestigt. Bei den heutigen Vögeln tritt nur im Embryonalleben ein längerer Schwanz auf, nachher verwachsen die einzelnen Wirbel zu einem kurzen Stück, dessen Endglied die steifen Steuerfedern trägt. (Der Archäopteryx stellt also einen Sammel- und Embryonaltypus dar.) Auch die vorderen Glieder, welche zu Flügeln verwandelt sind und lange Schwungfedern tragen, zeigen keine so weitgehende Umbildung wie bei den heutigen Vögeln, indem die drei Finger nicht miteinander verwachsen, sondern vollständig ausgebildet und mit Krallen versehen sind, so daß sie möglicherweise auch zum Gehen auf dem Boden, jedenfalls aber zum Festhalten an Bäumen verwendet werden konnten (ein vierfüßiger Vogel!). Die hinteren Glieder waren gleichfalls teilweise mit Federn bedeckt, und vielleicht fanden sich solche auch am Halse, indem sie eine Art Krause bildeten; der übrige Körper war wohl nackt.
In keinem anderen Teil der Juraformation ist bis jetzt ein Vogel gefunden worden und auch für den Fränkischen Jura ist’s nur ein glücklicher Zufall. Übrigens mußten dort die Verhältnisse zur fossilen Erhaltung von allerlei Getier sehr günstig sein. Zur jüngeren Jurazeit befand sich dort ein Meer mit vielen Koralleninseln und Korallenklippen. Zwischen den Korallenbauten befanden sich Lagunen, das heißt stille, seichte Gewässer, auf deren Boden sich Kalkschlamm und feinster Kalksand niederschlugen, woraus die Plattenkalke und lithographischen Schiefer hervorgingen. Die Fluten schleuderten zahlreiche Meertiere über die Riffe in die Lagunen, und Stürme trugen vom nahen Festland mancherlei Landbewohner herzu. Der breiartige Kalkschlamm hüllte die getöteten Wesen sofort ein und verhinderte deren rasche Verwesung. Der durch häufige Winde vom Festland herübergewehte Staub legte sich über die Kalkschicht und bildete eine tonige Lage, die sogenannte Fäule, worauf sich das Spiel wiederholte.
Der Urvogel, dessen Größe zwischen der einer Taube und eines Huhnes
schwankte, war sicherlich ein schlechter Flieger[S. 62]
[S. 63] und konnte
sich mit manchem Flugdrachen nicht messen; aber er verkörperte
nichtsdestoweniger ein höheres Prinzip und trug wenigstens in seinen
Nachkommen den Sieg davon.
Beträchtlich zahlreicher sind Vogelfunde in der Kreideformation, und Nordamerika (Kansas) hat deren mehrere in so prächtigem Zustande geliefert, daß deren Skelette vollständig konstruiert werden konnten. Ein bedeutsames Merkmal haben alle diese Vögel mit dem jurassischen Urvogel gemeinsam, sie tragen nämlich in ihren Kiefern echte Zähne. Unsere Abbildung führt uns eine amerikanische Art vor Augen, den Königsvogel, Hesperornis regalis (von hesperis: abendländisch, ornis: Vogel und regalis: königlich). Derselbe erreichte eine bedeutende Größe, denn das Skelett mißt von der Schnabelspitze bis zum Ende der Zehen nahezu 2 Meter. Die Flügelknochen und der bei guten Fliegern stark vorspringende Kiel des Brustbeins sind verkümmert, wohingegen die Beine kräftig entwickelt und zum Rudern eingerichtet sind. Der Schwanz war breit und bestand aus zwölf Wirbeln, er zeigt gleichfalls Anpassung ans Wasserleben. Hesperornis konnte nicht fliegen, er zeigt mehrfach Anklänge an den heutigen Strauß, und der amerikanische Paläontologe Marsh bezeichnet ihn daher „als einen wasserbewohnenden, fleischfressenden Strauß“. Manche Skeletteile, so das Becken, erinnern noch an Reptilien; auch der Schwanz zeigt eine für Vögel ungewöhnlich große Zahl von Wirbeln.
Außer dem ungeflügelten Hesperornis ist noch die Gattung Ichthyornis, der Fischvogel, genauer bekannt. Auch dieser zeigt Anklänge an niedere Wirbeltiere, und es sind zum Beispiel die Wirbelkörper an beiden Seiten ausgehöhlt, was in der Jetztwelt nur bei den Fischen und bei einigen Amphibien und Reptilien der Fall ist. Ichthyornis war übrigens ein vorzüglicher Flieger, wie die Flügelknochen und das stark gekielte Brustbein beweisen. Im ganzen sind aus der Kreide etwa 20 Arten von Vögeln bekannt geworden.
Auch die Klasse der Vögel hatte ihre Heroenzeit, ihre Giganten und Titanen. In Patagonien (Südamerika) entdeckte man in alttertiären Schichten (ältere Braunkohlenzeit) die Reste eines ungeheuren Vogels, Brontornis, das heißt Donnervogel[S. 64] genannt. Derselbe erreichte die Höhe von 4 Meter und ist wohl der größte aller lebenden und fossilen Vögel. Die Mittelzehen waren etwa 30 Zentimeter (1 Fuß) lang und sehr dick, die Nagelglieder 5,5 Zentimeter lang und 5 Zentimeter breit; das ganze Bein hatte eine Länge von 162 Zentimeter.
Etwas kleiner als dieser Riese der Riesen war die Gattung Phororhakos, die sehr genau bekannt ist. Der Schädel der größten Art ist 65 Zentimeter lang, also länger als der Kopf eines großen Pferdes. Der hohe, seitlich stark zusammengedrückte Schnabel ist hakenförmig gekrümmt wie bei den Raubvögeln. Die Flügel waren wie bei Brontornis und bei den heutigen Straußen verkümmert, daher zum Fliegen unbrauchbar. Wegen der großen, sehr stark gekrümmten Krallen waren die patagonischen Riesenvögel wahrscheinlich auch zu Fuß schlecht bestellt und jedenfalls keine so gewandten Läufer wie die lebenden Strauße. Die Schädel zeigen oft Knochenwucherungen, die unzweifelhaft von schweren Verletzungen herrühren. Vielleicht lieferten die Männchen untereinander heftige Kämpfe um die Weibchen. Über die Art der Ernährung wissen wir nichts Sicheres; es ist aber wahrscheinlich, daß jene Riesen nach Art der Geier die Leichen gefallener größerer Tiere verzehrten, vielleicht auch Jagd auf junge Reptilien machten (ähnlich wie der Schuhschnabelvogel am Weißen Nil, welcher den jungen Krokodilen nachstellt) oder gar ausgewachsene angriffen, wie unser Bild auf Seite 65 darstellt. Wir sehen dort im Vordergrund einen Donnervogel, der einen Hadrosaurus angreift. Im Hintergrund erblicken wir rechts einen zweiten Dinosaurier, links einen Phororhakos. Wie die neuesten Funde wahrscheinlich machen, sind die iguanodonähnlichen Hadrosaurier erst in der älteren Braunkohlenzeit gänzlich verschwunden.
Auch in der sogenannten Eiszeit, die der Braunkohlenzeit folgte und der Gegenwart unmittelbar vorausging, waren die südlichen Teile der Erde von zahlreichen Riesenvögeln bewohnt, so besonders Australien. Wundervolle Reste solcher Riesenstrauße wurden auf Neuseeland gefunden. Der elefantenfüßige Schreckensvogel (Dinornis elephantopus) stand an Größe dem patagonischen Donnervogel nicht viel nach und einige Vettern desselben (man kennt heute 20 verschiedene Arten!) scheinen ihm ebenbürtig gewesen zu sein.[S. 66] Die Riesenstrauße, die Moas der Neuseeländer, haben sich in einzelnen Arten bis in die Gegenwart erhalten und sind allem Anschein nach erst im achtzehnten Jahrhundert ausgestorben, besser gesagt, von den Eingeborenen ausgerottet worden. Nach verschiedenen Berichten wurde noch in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts von europäischen Seefahrern auf Neuseeland ein riesiger Vogel erblickt, der die Größe eines Moa besessen haben mag, und die Heldenlieder der Eingeborenen erzählen noch von den Kämpfen mit jenen Riesen. Ein alter Häuptling, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts starb, behauptete, daß er in seiner Jugend noch Moafleisch gegessen habe. Der ausgezeichnete Naturforscher Hochstetter, der uns so viel Interessantes von der merkwürdigen Doppelinsel berichtet, bringt die unter den dortigen Eingeborenen, den Maori, übliche Menschenfresserei in Zusammenhang mit dem Verschwinden der Moas. Diese müssen zur Zeit, als die Maori einwanderten, ungemein zahlreich gewesen sein und die wichtigste Nahrungsquelle des Volkes gebildet haben, da die Insel außerdem sehr wenig bot. Als die Moas ausgerottet waren, kehrte die Not ein, die Menschen fingen an, aus Mangel an anderweitiger genügender Nahrung sich gegenseitig aufzuzehren, und daher der furchtbare Kannibalismus, dem erst durch die Einführung von Schweinen und Kartoffeln durch die Europäer ernsthaft gesteuert werden konnte.
Eine auffallende und mit allen Erfahrungen über die tierische Bevölkerung isolierter Inseln im Widerspruch stehende Erscheinung ist die große Individuen- und Artenzahl riesiger Laufvögel, die sich auf einem so kleinen Gebiet wie Neuseeland anhäufen konnten. Man hat deshalb angenommen, daß in jener Gegend vor kurzem noch weit größere Festlandsmassen existiert hätten und durch teilweises Versinken derselben die zahlreichen Arten auf die übriggebliebene Insel zusammengedrängt worden seien.
Auch auf Madagaskar hat man Reste eines Riesenvogels gefunden, unter anderen eine große Zahl von Eiern, von denen eines dem Rauminhalt nach etwa 150 Hühnereiern gleichkommt. Nach den Aussagen der Eingeborenen soll jener Vogel heute noch existieren.[4] Das alles weist auf ehemalige größere Landanhäufungen auf der südlichen Halbkugel, denn niemals bringen[S. 67] isolierte Inseln so gewaltige Tiere hervor wie die Moas und die madagassischen Riesenstrauße.
Daß diese nicht fliegen konnten, ist wohl selbstverständlich; sie scheinen aber nicht einmal gute Läufer gewesen zu sein. Da ist es erklärlich, daß sie von den Insulanern ausgerottet wurden. Die Moas zählt man zu den Scharrvögeln; sie sollen mit ihren ungemein kräftigen Füßen die Erde nach allerlei Wurzeln aufgewühlt haben. Daneben verzehrten sie wohl auch Reptilien und Insekten.
[4] Die Hoffnung, im Innern der Insel solche zu finden, ist indes nicht in Erfüllung gegangen.
Endlich kommen wir zu jener Klasse, die sich zuletzt zu einer glänzenden Höhe emporgeschwungen, die unbedingte Herrschaft über alle anderen angetreten hat, diese Herrschaft zur Stunde weiter ausübt und immer noch in aufsteigender Bewegung begriffen ist. Das gilt freilich nur für einen beschränkten Teil der ganzen Klasse, speziell für die eigentlichen „Herren“; andere gehen zurück und zahlreiche Formen sind bereits ausgestorben. Für die Paläontologie kommen nur die letzteren in Betracht, das sind zirka 1000 Arten, während man etwa 2000 lebende zählt. Was sie im allgemeinen über alle anderen Tierklassen hinaushebt, das ist die treffliche Brutpflege — die Jungen werden mit der Muttermilch ernährt — und die beispiellose Entwicklung des Gehirns. Über ihre Abstammung besteht noch keine Klarheit; doch ist es mehr als wahrscheinlich, daß wir ihre Wurzeln bei den Reptilien, und zwar in der Nähe der Theromorphen (der Säugetierähnlichen), zu suchen haben, die selber wieder von Panzerlurchen oder Wickelzähnern abstammen.
Damit stimmt auch die Tatsache überein, daß die niedersten Säugetiere der Gegenwart, die Kloakentiere Australiens: Schnabeltier und Ameisenigel, die keine lebendigen Jungen zur Welt bringen, sondern Eier legen, mancherlei reptilienhafte Züge aufweisen. Die Abzweigung von den Theromorphen muß schon frühzeitig erfolgt sein, wahrscheinlich in der älteren Triaszeit. In der Jura- und Kreideformation sind nur wenige und recht dürftige Funde gemacht worden. Die einen scheinen niedrigen Kloakentieren anzugehören, während andere unzweifelhaft von Beuteltieren herrühren. Diese besitzen nämlich am Unterkieferwinkel einen hakenförmigen Fortsatz, der den übrigen Säugern fehlt. Außerdem haben die Weibchen in der Beckengegend zwei kleine Knochen, die als Stütze für eine Hauttasche dienen, in welcher die hilflosen Jungen längere Zeit herumgetragen werden. (Übrigens haben die Kloakentiere ebenfalls Beutelknochen.) Während des Mittelalters (Trias, Jura, Kreide) scheinen die Säuger von ganz untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein; erst in[S. 69] der Tertiärzeit treten sie in erstaunlicher Machtfülle und Vollkommenheit auf den Plan. Eine so sprungweise, gleichsam explosive Entwicklung erscheint aber sehr unnatürlich, und somit ist die Vermutung wohl berechtigt, daß die Hauptentwicklung, das heißt der Aufstieg von den Kloakentieren zu den Beuteltieren und von diesen zu den modernen, höheren Ordnungen (Huftiere, Wale, Raubtiere, Nagetiere, Affen usw.) in untergegangenen oder unzugänglichen oder doch unerforschten Ländern stattgefunden hat.
Die drei Unterklassen der Säuger können mit drei organisatorisch und zeitlich weit auseinanderliegenden Wanderzügen verglichen werden. Die erste Unterklasse (Kloakentiere), aus der jüngsten Trias stammend, hat sehr geringe Spuren hinterlassen und konnte neben der alles beherrschenden Saurierklasse nicht emporkommen. Hätten sich nicht zufälliger- und glücklicherweise die obengenannten zwei Gattungen der Ameisenigel und Schnabeltiere im weltabgeschiedenen Australien erhalten, so wüßten wir von jener Tierwelt, die auf Jahrmillionen zurückblicken kann, so gut wie nichts. Sie trugen wohl in sich den Keim zur höheren Entwicklung, fanden aber keinen Ausweg aus dem Elend ihrer Pariaskaste.
Die zweite Unterklasse (Beuteltiere) unterschied sich von der ersten beträchtlich. Die heute noch lebenden Beutler, die fast ausschließlich Australien angehören, wo sie keine Konkurrenten hatten, sind nur ein schwacher Abglanz ehemaliger Herrlichkeit. Vorzeiten waren sie fast über die ganze Erde verbreitet, traten in zahlreichen Unterordnungen, Familien, Gattungen und Arten auf und zählten wahre Riesen unter sich. Zu letzteren gehört zum Beispiel der Riesenwombat (Diprotodon), ein Beutelnagetier von der Größe eines Nashorns. Mit seinen Nagezähnen konnte es die größten Bäume fällen und deren Rinde abschälen. Ein überlebender Vetter, der heutige gewöhnliche Wombat Neuhollands, erreicht nur die Größe eines Dachses. Auch die ausgestorbenen Känguruharten waren riesige Geschöpfe, neben denen sich die heutigen Känguruhs, die größten überlebenden Beutler und die größten einheimischen Säugetiere Australiens, geradezu kläglich ausnehmen.
Gewisse Beuteltiere — und zwar gerade die größten, wie Wombat und Känguruh — kommen niemals in nördlichen[S. 70] Ländern vor, sondern bleiben auf die Südhalbkugel beschränkt, und auch die fossilen kleinen nordischen Arten Europas und Nordamerikas sind nie zu hoher Bedeutung gelangt und rasch wieder verschwunden. Daraus scheint hervorzugehen, daß die Beuteltiere im Süden, vielleicht auf dem Südpolarkontinent entstanden sind, womit die Tatsache vortrefflich harmoniert, daß Australien und Südamerika, die so weit auseinanderliegen und schon seit undenklichen Zeiten getrennt sind, ganz gleichartige Formen aufweisen; denn beide standen nach ihrer Trennung noch mit dem Südpolarland im Zusammenhang und also wenigstens mittelbar miteinander in Verbindung. Natürlich müßte dabei vorausgesetzt werden, daß am Südpol ehedem ein viel wärmeres Klima geherrscht, und dafür sind auch in der Tat genügend Beweise vorhanden.
Als die Beuteltiere nach Norden wanderten, stießen sie auf höhere Säugetierordnungen, denen sie erliegen mußten. Jene höheren Säuger aus dem Norden drangen überall sieghaft vor und rotteten die schwächeren, das heißt schlechter organisierten aus. Letztere entgingen in Australien nur durch die Isolierung der Landmassen dem Untergang, denn das Meer setzte den Eroberern ein Ziel.
In Südamerika drangen höhere, flinke und intelligente Säuger erst spät vor und sind durch eine seltsame Verkettung von allerlei Umständen teilweise wieder verschwunden, so daß sich die Beutler auch dort länger, sogar bis in unsere Zeit erhalten konnten. Manches, wie zum Beispiel das Verschwinden der großen Säuger in Südamerika, ist noch rätselhaft, wie denn überhaupt auf diesem Gebiet noch unendlich vieles zu erforschen und aufzuhellen ist.
Die höheren Säugetiere, die sich von den niederen hauptsächlich dadurch auszeichnen, daß ihre Jungen in reiferem Zustand geboren werden, zerfallen in zahlreiche Ordnungen, die sehr verschiedene Stufen der Entwicklung aufweisen. Gewöhnlich unterscheidet man zehn Ordnungen, nämlich Waltiere, Zahnlose, Nagetiere, Fledermäuse, Raubtiere, Klippdachse, Huftiere, Rüsseltiere, Halbaffen und Primaten, zu welch letzteren die Affen und der Mensch gezählt werden. Wir müssen uns auch hier auf einige wenige besonders hervorragende Größen beschränken.
Die größten Vertreter der Säugetiere und der Tierwelt überhaupt sind die Walfische. Gewaltigere Riesen als diese hat es nie gegeben. Leider scheinen sie rasch ihrem Untergang zuzutreiben, nicht infolge natürlichen Zwanges, sondern lediglich wegen der unersättlichen menschlichen Profitwut und barbarischen Rücksichtslosigkeit, die nun einmal von der heute noch herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung unzertrennlich sind.
Die Wale haben sich in so hohem Grade an das Wasser angepaßt, daß sie außerhalb desselben nicht mehr leben können, obschon sie durch Lungen atmen. Ein gestrandeter Walfisch ist unrettbar verloren. Da sich zum Schwimmen die Fischform oder Torpedoform am besten bewährt hat, so haben sie dieselbe ebenfalls angenommen und hierin sogar viele Fische „überflügelt“. Die Vorderglieder sind zu handartigen Paddeln reduziert und die Finger stecken in einer festen Haut wie in einem Fausthandschuh. Sie dienen zur Steuerung und zur Herstellung der Gleichgewichtslage. Die hinteren Glieder sind vollständig[S. 72] verkümmert, da sie überflüssig geworden sind und nur hinderlich wären. Zur Fortbewegung des kolossalen, ganz mit Fett und Öl durchtränkten Körpers dient die wagrechte Schwanzflosse, die nach Art einer Schiffschraube funktioniert, jedoch weit besser arbeitet als die besten Propeller unserer Maschineningenieure. Bei den Bartenwalen (Grönlandswal, Finnfisch) ist der Schwanz zugleich die einzige, aber furchtbare Waffe.
Man könnte leicht auf die Vermutung gelangen, daß die Wale direkt von Fischen oder von großen Meersauriern (etwa den berühmten Fischdrachen) abstammen, mit welch letzteren sie viele Berührungspunkte gemein haben. Wir wissen aber heute, daß davon nicht die Rede sein kann; jene Übereinstimmungen sind lediglich durch die gleichartige Lebensweise erzeugt worden; es sind „Analogien“ und keine Beweise von Blutsverwandtschaft. Die Wale sind unzweifelhaft die Abkömmlinge von Landtieren, wahrscheinlich von gepanzerten Urhuftieren, deren Vettern die sogenannten Zahnlosen waren, von denen wir noch sprechen werden. Die Abtrennung der Wale und ihre Anpassung ans Meer muß schon in der Kreidezeit erfolgt sein, und in der Kreideformation müssen überhaupt die Ahnen der heutigen höheren Säugetiere gesucht werden.
Der älteste fossile Wal ist das Zeuglodon (Jochzahn), so genannt, weil die zweiwurzeligen Backenzähne die Form eines Joches haben, das heißt aus zwei durch einen Querbalken verbundenen Teilen bestehen. Das erste vollständige Skelett stammt aus Alabama im Süden der Union und besaß angeblich eine Länge von 38 Meter — man hatte nämlich die Reste mehrerer Exemplare zusammengesetzt. Das große Zeuglodon, auch Basilosaurus (Königsdrache) getauft, erreichte eine Länge von 20 Meter, während die größten unter den heutigen Walen nahezu 30 Meter lang und 1500 Kilozentner schwer werden, das heißt das Gewicht von zirka 200 Ochsen erreichen. Man kennt heute ein Dutzend Zeuglodonarten aus Nordamerika, England, Ägypten und Australien.
Die Zeuglodonten hatten einen schlanken, deutlich abgesetzten und beweglichen Kopf mit scharfem Raubtiergebiß und besaßen noch nicht die ausgesprochene Torpedoform wie die heutigen Wale. Sie lebten in der älteren Tertiär- oder Braunkohlenperiode und verschwanden im mittleren Tertiär (Molassezeit).
Auch die heutigen Wale kommen fossil vor, haben somit ein beträchtliches Alter; jedenfalls existieren sie schon seit Hunderttausenden von Jahren. Ihre Reste sind häufig, ganze Skelette jedoch äußerst selten. Die schwammigen Knochen fallen nach dem Tode des Tieres bald auseinander und sinken auf den Grund. In der Tiefe hat aber das Wasser infolge hohen Druckes und wohl auch wegen seines Säuregehaltes eine erhöhte Lösungsfähigkeit und löst dieselben auf, wobei schließlich nur die überaus soliden und harten Ohrknochen (Felsenbeine) übrigbleiben. Natürlich unterliegen auch die Skelette der übrigen Tierarten demselben Schicksal, weshalb der Meeresgrund im allgemeinen arm an gut erhaltenen Tierresten ist.
Die Wissenschaft bezeichnet sie auch als Zahnlose, Edentaten, aber beide Ausdrücke sind gleich schlecht gewählt. Wohl gibt es darunter zahnlose Geschöpfe, aber auch solche mit sehr vielen Zähnen; immerhin steht das Gebiß auch bei diesen auf tiefer Entwicklungsstufe. Die Zahnarmen bilden gleich den Walen eine in der Jetztwelt isolierte Gruppe recht verschiedenartiger Geschöpfe, die weder unter sich noch zu den übrigen Haartieren, wie die Säuger auch genannt werden, große Verwandtschaft erkennen lassen. Gerade weil man die einzelnen Familien nirgends gut unterbringen kann, hat man sie zu einer besonderen Ordnung in einer Art Gerümpelsammlung zusammengeworfen.
Besonderes Aufsehen erregten seinerzeit die Funde in der sogenannten Pampasformation Südamerikas, der großen Lehmebene der Laplatastaaten und Patagoniens. Zur Diluvialzeit, während welcher die Länder der nördlichen gemäßigten und kalten Zone mit ungeheuren Eismassen bedeckt waren, lebten dort im Süden riesenhafte Faultiere, welche wie eine Wiederholung gewisser alter Riesensaurier erscheinen. In intellektueller Hinsicht mögen sie auch jenen Drachen wenig überlegen gewesen sein, wie sich denn überhaupt die Klasse der Säugetiere keineswegs mit imponierenden Repräsentanten eingeführt hat. Die Säugetiere haben Jahrmillionen gebraucht (Triaszeit bis Gegenwart), um endlich das zu werden, was sie heute sind.
Sehen wir uns nun jene südamerikanische Säugetierwelt genauer an. Heute hausen dort zwerghafte Epigonen der alten Riesengeschlechter. Die jetzigen Faultiere der dichten Urwälder Südamerikas (man unterscheidet zweizehige und dreizehige, Unau und Ai) zeichnen sich durch exemplarische Faulheit aus und tragen ihren Namen mit vollem Recht. Diese „Baumsklaven“, wie sie ein Naturforscher bezeichnet hat, sind zwar gewandte Klettertiere, die hierin vielfach an Affen erinnern, aber sie machen von ihren Seiltänzerkünsten wenig Gebrauch und führen in den Baumkronen des Urwaldes ein höchst langweiliges Stilleben. Mit den großen Sichelkrallen haken sie sich an wagrechten Ästen und Zweigen fest und bringen so Tage und Nächte unbeweglich zu, bis sie vom Hunger oder der Liebe in gelinden Trab versetzt, das heißt veranlaßt werden, aus ihrem vorsintflutlichen Phlegma herauszutreten und ihre Künste am hohen Seile zu zeigen. Haben sie ihre spießbürgerlichen Extravaganzen gesühnt, so setzen sie sich in einer passenden Astgabel fest und halten ein gesundes Schläfchen, das acht und mehr Tage dauern kann, denn ihr Wahlspruch lautet: Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht. Wie es scheint, können sie wochenlang ohne Nachteil fasten und besitzen überhaupt eine unglaublich große Lebenszähigkeit. Die gräßlichsten Verstümmelungen ertragen sie „mit der Ruhe eines Leichnams“, alles Beweise, daß sie einer uralten Sippe angehören und sich nur durch außergewöhnlich günstige Umstände in die Gegenwart herüber[S. 75]gerettet haben. Einen vortrefflichen Schutz gewährt ihre Behaarung, welche mit dürrem Riedgras Ähnlichkeit hat und mit der Färbung der Baumäste gut übereinstimmt, so daß ein ruhig herabhängendes oder sitzendes Tier im Halbdunkel des Urwaldes äußerst schwer zu entdecken ist.
Sie erreichen ungefähr die Größe einer Wildkatze; ihre Vorfahren aber wurden 3 Meter hoch und annähernd 5 Meter lang, standen somit an Größe dem Elefanten nicht viel nach, übertrafen ihn aber noch an Plumpheit des Knochenbaus. Die Oberschenkel waren mindestens halb so dick wie lang und der Schwanz bildete einen mächtigen Stützpfeiler, fast in der Art wie beim Iguanodon und verwandten Sauriern. Das unsäglich plumpe Megatherium, das heißt Großtier, besaß in den mächtigen Kiefern 18 vierkantige Backenzähne, die auf grobe, harte Pflanzennahrung hin[S. 76]weisen, und an den Zehen gewaltige Klauen zum Scharren. Alles an diesem Urweltler geht ins Riesenhafte, ist auf Massenwirkung berechnet, ausgenommen das Gehirn, welches von einer selbst für Faultiere bejammernswerten Zwerghaftigkeit war. Es scheint, als habe sich die Natur dieser erbärmlichen mißratenen Geschöpfe geschämt und sie deshalb in den Orkus geworfen. Jedenfalls ist es verständlich, daß die besser ausgerüsteten und intelligenteren Konkurrenten mit ihnen leicht fertig wurden. Daß sie trotz alledem vom mittleren Tertiär (Miozän) bis zum Ende der Eiszeit sich halten konnten, erscheint fast wie ein Wunder. Über ihre Lebensweise weiß man nichts Gewisses, nicht einmal, ob sie Wald- oder Steppentiere gewesen. Jedenfalls ist so viel klar, daß sie nicht wie ihre zwerghaften Nachkommen im Geäst der Bäume affenartig herumgeturnt haben. Man dachte sich, daß sie oft nach Iguanodonart auf den Hinterbeinen, den kolossalen Schwanz als Stütze benutzend, einhergeschwankt und das Laubwerk abgeweidet, wohl auch kleinere Bäume einfach ausgegraben und deren Kronen verspeist haben. Aber schon Darwin äußerte hierüber Zweifel, und neuere Forscher haben die Ansicht geäußert, daß die Riesentiere ihre großen Klauen zum Ausscharren von allerlei Wurzeln und Knollen benutzt und ihre Nahrung in erster Linie dem Erdboden entnommen haben. Jedenfalls vertilgten sie ansehnliche Quantitäten und waren nicht gerade wählerisch, konnten wohl auch gleich ihren Nachfahren lange fasten. Daß sie auch sonst nicht an großer Empfindsamkeit litten, beweist ein fossiler Schädel, dessen Dach durch den Sturz eines Baumes oder den Tatzenschlag eines Kollegen völlig zertrümmert, aber wieder hübsch zusammengeheilt war. „Man muß wirklich staunen,“ sagt Neumayr, „daß ein warmblütiges Tier eine solche Verletzung überleben konnte.“ Das auf Seite 75 abgebildete Skelett ist dasjenige des Großen Riesenfaultiers, Megatherium giganteum oder americanum, von dem schon Anno 1789 in Argentinien ein vollständiges Skelett ausgegraben und nach Madrid gebracht worden war, wo es zu allerlei seltsamen Betrachtungen Anlaß gab. Aus dem Diluvium von Argentinien, Brasilien, Chile, Ekuador, Zentralamerika und den südlichen Vereinigten Staaten Nordamerikas sind außer der genannten noch mehrere andere Arten und Gattungen bekannt geworden.
Etwas kleiner, aber noch plumper als das Megatherium giganteum war das Mylodon (Mahlzahn), das gleichfalls in den „Katakomben für ausgestorbene Ungeheuer“, in der Pampasformation Argentiniens, außerdem aber auch in Nordamerika gefunden wird. Die Haut desselben, von der sich Reste erhalten haben, ist mit kleinen Knochenkörperchen vollgespickt, was darauf hinzuweisen scheint, daß die Stammeltern der Riesenfaultiere einen Panzer aus Knochentafeln trugen. Das Becken des Mylodon ist breiter und tiefer als selbst beim Elefanten, woraus zu schließen ist, daß es einen sehr umfänglichen Verdauungsapparat besaß und enormer Nahrungsmengen bedurfte; da mußten die Zähne freilich ein leistungsfähiges Mühlwerk darstellen.
Die in denselben Gebieten vorkommende Gattung Megalonix, auch in Höhlen gefunden, zeichnet sich durch elliptische Backenzähne und geradezu fabelhaft große Krallen aus, während das Skelidotherium sich durch die Dicke seiner Knochen hervortat. Das war, soweit bis jetzt bekannt, das plumpste aller Landsäugetiere; der Oberschenkelknochen ist beträchtlich dicker als lang. Es ist auf Südamerika beschränkt.
Ein Vetter desselben, das Grypotherium, scheint stellenweise in Höhlen gehaust zu haben. In einer dicken Mistlage am Boden einer Höhle Patagoniens an der Meeresküste fand man Knochen und große Hautstücke, die eingebettete Knochenkörner und lange, steife gelbliche und rotbraune Haare erkennen ließen. Es gelang, die harten Fellstücke aufzuweichen, worauf sich ein durchdringender Fäulnisgeruch entwickelte, der eine Menge von Aasfliegen herbeilockte. Das Interessanteste ist aber folgendes: „Die untersuchten Fellstücke waren auf der Innenseite so sauber vom Fleische entblößt und abgeschabt, daß sie nur von Menschen, nicht aber von Tieren abgebalgt sein können. Von manchen Stücken kann man sagen, daß sie zugeschnitten sind, um als Kleidungsstücke verwendet zu werden.“ Man fand in der erwähnten Höhlenschicht auch aufgeschlagene Knochen sowie allerlei Steingeräte, so daß die gleichzeitige Anwesenheit des Menschen als erwiesen gelten darf. Kein Zweifel, der Urmensch hat das Grypotherium gejagt und dessen Fleisch und Fell benutzt. Es wurde sogar die Vermutung geäußert, der Eiszeitmensch habe mit jenem Riesenfaultier zusammengewohnt, das heißt er habe es als eine Art Haustier gehalten. Über die Ernährung besteht noch keine Über[S. 78]einstimmung. Nach den einen Forschern weist der Zahnbau auf weiche Kost: Laub und Kräuter, andere machen auf die großen Scharrkrallen aufmerksam, welche doch wohl zum Ausgraben von Wurzeln dienten; vielleicht wurden auch allerlei hervorgescharrte Insekten und Würmer mit verspeist.
Die Gürteltiere, niedrigstehende altertümliche Säuger Südamerikas, besitzen einen aus Knochenplatten bestehenden Panzer und erinnern damit an Schildkröten, denen sie auch hinsichtlich Langsamkeit und Stumpfsinnigkeit ähneln. Die kleinste Art, der Schildwurf, auch Gürtelmaus genannt, wird nur spannenlang und führt nach Art der Maulwürfe eine unterirdische Lebensweise, die größte Form, das heutige Riesengürteltier, erreicht die Größe eines Schweines und hat in den Kiefern zirka hundert stiftförmige Backenzähne. Alle sind im Besitz von Sichelkrallen, mit denen sie Erdhöhlen graben und nach Insekten und Würmern wühlen; sie sind übrigens Allesfresser und nehmen auch Aas und Früchte an. In der Gefangenschaft werden sie meist mit rohem Pferdefleisch, Brot und Milch ernährt. Ihr Fleisch soll sehr schmackhaft sein, weshalb sie viele Feinde haben und immer seltener werden. Bei Verfolgung kugeln sie sich zusammen oder graben sich mit erstaunlicher Schnelligkeit in den Boden ein.
Die ausgestorbenen waren schwerfällige, unbehilfliche Riesen, so die Glyptodonten, welche die Größe einer Kuh erreichten. Sie konnten sich nicht zusammenkugeln, weil der Panzer starr war wie bei den Schildkröten. Der Kopf war gleichfalls mit Knochenplatten geschützt und der Schwanz steckte in einem dicken Knochenfutteral. Man kennt mehrere Dutzend Arten solcher Panzertiere, deren Wohngebiet sich von Patagonien bis zum südlichen Teile der nordamerikanischen Union erstreckte. Interessant ist die Beobachtung, daß die großen Panzer derselben von den Urmenschen als Aufbewahrungsstätten benutzt wurden. Die Knochen sind herausgenommen, und häufig findet man im Innern be[S. 79]arbeitetes Hirschgeweih, zertrümmerte Schädel, aufgeschlagene Röhrenknochen und Zähne eines riesigen Urnagers, welche offenbar als Messer dienten. Wie eine Überlieferung aus jener längst verflossenen Zeit klingt die Kunde, daß heute noch im Staate San Paolo (Brasilien) Gürteltierpanzer als Wiegen Verwendung finden.
Die Huftiere weisen einen großen Formenreichtum auf und machen im ganzen durchaus den Eindruck von modernen Geschöpfen, doch sind darunter auch einige altertümliche Typen, nämlich die Nashörner, Tapire und Flußpferde. Die alte Einteilung in Einhufer, Zweihufer und Vielhufer hat sich als unnatürlich und daher unbrauchbar erwiesen, denn sie steht mit der Entwicklung der Ordnung, soweit dieselbe zur Stunde bekannt ist, im Widerspruch. Die aufgefundenen fossilen Huftiere beweisen nämlich, daß der ganze Stamm in zwei nebeneinander her gehende Zweige sich gabelte, in solche mit gerader und solche mit ungerader Hufzahl. Zu den Paarhufern oder Paarzehern gehören die Schweine, Flußpferde und Wiederkäuer, zu den Unpaarhufern die Tapire, Nashörner und Pferde.
Unter den ausgestorbenen Vorfahren derselben finden wir einige originelle Gesellen, die wohl der Erwähnung wert sind. Besonders schöne Funde wurden in Nordamerika gemacht, wo ähnlich den „Katakomben“ der Pampasformation und den berühmten Saurierfriedhöfen förmliche Knochenlager entdeckt worden sind.
Im nordwestlichen Teil der Union sind Binnenseeablagerungen bekannt, welche die erstaunliche Mächtigkeit von 10000 Fuß erreichen und stellenweise einen ungeheuren Reichtum an seltsamen Säugetierresten bergen. Besonders berühmt sind die Mauvaises Terres (schlechte Erde), sprich mowäs tär, ein Wüstengebiet in Wyoming, wo Auswaschung und Abtragung durch Wasser aus den Tertiärschichten die abenteuerlichsten Formen, Klippen, Obelisken, Säulen, Burgruinen und dergleichen herausmodelliert haben, so daß man glaubt, die Ruinen einer großen Festung vor sich zu sehen. Dem Bericht einiger amerikanischer Geologen entnehme ich folgendes:
„Diese Region ist von der eigentümlichsten geologischen Beschaffenheit, die wohl nirgends auf Erden ihresgleichen hat. Die Karawane zog gegen Südwesten in den zwei ersten Tagen über einförmige, leicht gewellte Ebenen, deren Boden mit Salpeter geschwängert war. So weit das Auge reichte, sah man keinen Baum oder Busch, wohl aber manchen blühenden Kaktus und in den Niederungen sogenannte Milchpflanzen. Da und dort traf man eine Kolonie von Präriehamstern, sonst kein lebendes Wesen in dieser wasserarmen Gegend. Am sechsten Tage kamen die Mauvaises Terres in Sicht, die einen wahrhaft überraschenden, unbegreiflichen Anblick bieten. Im Hintergrund einer weit ausgedehnten Ebene fielen die Strahlen der Abendsonne auf eine gewaltige Trümmerstadt, die eben mit rosenfarbigem Lichte übergossen war. In ihr erhoben sich Mauern und Bastionen, große Paläste mit mächtigen Kuppeln und andere Bauten von wunderbaren, seltsamen Gestalten. Das Ganze machte einen überwältigenden Eindruck, als über alle Maßen phantastisch. In Abständen von verschiedener Entfernung erhoben sich über dem schneeweißen Boden backsteinrötliche Burgen mit Zinnen und Pyramiden, auf deren Spitzen die mächtigsten Blöcke lagen, die scheinbar vom Winde hin und her geschaukelt wurden. Mitten in diesem Chaos geologischer Ruinen erhebt sich, einem Leuchtturm vergleichbar, eine bei 300 Fuß hohe Felsensäule. Der Indianer nennt es die verwünschte Stadt, darin namentlich auch ein großes Amphitheater auffällt, mit ockerfarbigen, ausgezackten Mauern umgeben. Der Boden besteht vielfach aus einer dicken Lage fossiler Knochen, von denen manche aufs vortrefflichste erhalten sind, und an vielen Orten lag eine ganze Beinstätte von Zähnen, zerbrochenen Kinnladen, Knochen und Wirbeln in Ton oder fleischfarbigen Mergel eingebettet.“
Von der überaus individuen- und artenreichen Tierwelt mögen nur zwei Formen Erwähnung finden, das Koryphodon und[S. 81] das Dinozeras, von welchen ersteres auch in Europa vorkommt, letzteres aber auf Amerika beschränkt ist. Das Koryphodon (der Name stammt von der Beschaffenheit der Unterkieferzähne, koryphe heißt die Spitze) vereinigt die Merkmale der verschiedenen Huftiere und wurde deshalb von einigen als Stammvater derselben oder doch wenigstens als derjenige der Elefanten betrachtet. Beides ist unmöglich, denn jene Ausgangs- oder Urformen müssen schon in der Kreide gelebt haben. Wahrscheinlich bilden sie einen Seitenzweig jener noch unbekannten Stammformen. Im höchsten Grade auffallend ist der im Verhältnis zu heutigen Säugern geringe Inhalt der Schädelkapsel. Der amerikanische Paläontologe Cope schildert das Tier folgendermaßen:
„Nach dem Skelett glich Koryphodon in der allgemeinen Erscheinung wahrscheinlich einem Bären mehr als irgendeinem anderen lebenden Tiere, nur mit dem Unterschied, daß seine Füße ganz wie die eines Elefanten waren, und zu den Körperverhältnissen eines Bären müssen wir noch einen Schweif von mittlerer Länge fügen. Ob sie behaart waren, wissen wir nicht, denn von ihren Verwandten, den Elefanten, sind einige behaart (Mammut), andere nackt. Der Scheitel war ohne Zweifel kahl und mag bei alten Tieren nur mit einer dünnen Oberhaut wie bei Krokodilen bedeckt gewesen sein, so daß sie dem Feinde eine rauhe, undurchdringliche Stirne entgegenstellen konnten. In seinen Bewegungen glich Koryphodon ohne Zweifel dem Elefanten mit seinem schwankenden Paßgange. Als Ersatz für den Mangel an Geschwindigkeit kann die furchtbare Bewaffnung mit mächtig vorspringenden Eckzähnen gelten, welche namentlich im Oberkiefer stärker und länger waren als bei Raubtieren. Die Größe der einzelnen Arten schwankt zwischen derjenigen eines Ochsen und der eines Tapirs. Die Hauptnahrung von Koryphodon war vermutlich vorwiegend pflanzlicher Natur, aber ohne strenge Beschränkung auf ein bestimmtes Futter; ohne Zweifel waren sie, wie die jetzigen Schweine, bis zu einem bedeutenden Grade Allesfresser.“
Die Koryphodonten scheinen nur dem unteren Eozän anzugehören und schon im Anfang der Tertiärzeit ausgestorben zu sein, jedoch nicht, ohne würdige Nachkommen hinterlassen zu haben. Ihnen folgten nämlich die Dinozeraten oder Schreckhörner (von deinos oder dinos: schrecklich und keras: Horn), gewaltige, plumpe Kolosse, die im Fußbau mit den Korypho[S. 82]donten übereinstimmen und deren äußere Erscheinung zwischen Elefant und Nashorn ungefähr die Mitte hielt. Nach dem einstimmigen Urteil der Gelehrten gehören dieselben zu den absonderlichsten Typen, die je gelebt haben. Ihre Reste kommen nur in den Mauvaises Terres vor, dort aber in solcher Menge, daß der Amerikaner Marsh allein über 200 Exemplare in seiner Sammlung zusammenbrachte. Der am seltsamsten geformte Körperteil beim Dinozeras ist der Schädel, ein Monstrum, „das unter allen Tieren seinesgleichen nicht findet“. Der Unterkiefer trägt einen breiten, abwärts gerichteten Fortsatz des Knochens, der fast wie eine Axt aussieht. Im Oberkiefer fehlen die Schneidezähne, dafür sind aber die Eckzähne zu gewaltigen Hauern vergrößert, welche wie beim Walroß weit nach unten ragen. Auf der Oberseite des Schädels sitzen drei Paar Knochenwülste, die von vorn nach hinten an Größe zunehmen und höchstwahrscheinlich Hörner getragen haben, von denen die hinteren eine kolossale Größe erreicht haben dürften. Ein Tier mit sechs Hörnern, das ist etwas so Absonderliches, Ungeheuerliches, daß der Naturforscher stutzt und nach einer anderen Deutung sucht. Man hat denn auch die Hörner niemals gefunden; allein Horn ist sehr schlecht erhaltungsfähig und findet sich selten fossil, und es scheint keine Möglichkeit vorhanden, jene Stirnzapfen anders zu erklären.
Als dritter im Bunde reiht sich den genannten würdig an das Titanotherium (Riesentier), auch Brontotherium, das[S. 83] heißt Donnertier genannt, ein Vetter der Nashörner. Hinsichtlich der Gestalt mochte es zwischen Tapir und Rhinozeros die Mitte halten, stand aber einem Elefanten an Größe wenig nach (4 Meter lang, 2,3 Meter hoch). Der lange niedrige Schädel mit lächerlich kleiner Hirnhöhle zeigt über den Nasenbeinen zwei stumpfe Knochenzapfen, die offenbar große Hörner trugen. Das kräftige Gebiß und die dicken Beine, von denen die vorderen vier, die hinteren drei Hufe trugen, scheinen dafür zu sprechen, daß wir es hier mit einem sumpfbewohnenden Pflanzenfresser zu tun haben.
Die Sippe der Titanotherien war im älteren Tertiär (ältere Braunkohlenformation) Nordamerikas sehr zahlreich vertreten; kennt man doch zur Stunde nicht weniger als 15 verschiedene Gattungen mit zirka 20 Arten. Neben ihnen lebten zahlreiche Rhinozerosse — man kennt über 50 Arten —, von denen die ältesten Formen noch keine Hörner hatten und daher Azeratherien, das heißt Ohnhorntiere getauft wurden; allmählich wurden die Nasenbeine kräftiger und wurden gar durch eine knöcherne Nasenscheidewand gestützt, um eine solide Unterlage für die mächtigen Hörner zu bilden. Damit geht parallel eine Verlängerung des Schädels und die Verkümmerung der Schneide- und Eckzähne, wie denn stets die Änderung eines Organs diejenige eines anderen nach sich zieht. (Die gleiche Entwicklung haben übrigens auch die Titanotherien durchgemacht.)
Die Nashörner (mit und ohne Horn) waren nicht nur sehr arten- und individuenreich, sondern hatten auch eine sehr große Verbreitung; sie bewohnten Nordamerika, Afrika, Europa und ganz Asien bis zum Eismeer.
Die nordamerikanischen Fundstätten sind außer durch ihre zahlreichen phantastischen Biester noch besonders berühmt durch die ans Wunderbare grenzende Vollkommenheit der Entwicklungsreihen des Pferdestammes. Sie haben die unbestreitbaren Beweise für die überraschende Tatsache geliefert, daß unsere heutigen Einhufer (Pferd, Esel, Zebra) von fünfzehigen Tieren der älteren Braunkohlenzeit (Eozän) abstammen und daß sie mit Nashorn und Tapir blutsverwandt sind.
Als Ausgangspunkt des amerikanischen Stammbaums wird die Gattung Phenakodus genannt. Dieselbe lebte in der ältesten Tertiärzeit und stellte einen ausgezeichneten Sammel[S. 84]typus dar, indem das Skelett typische Merkmale von Raubtieren, Elefanten und Huftieren in seltsamem Gemisch vereinigt. Die Glieder endigen in fünf Zehen, von denen jedoch die erste und fünfte den Boden nicht berühren. Die mittlere oder dritte Zehe ist die stärkste und bildet den Hauptpfeiler des Fußes, worin ein hervorstechendes Charakteristikum der Unpaarzeher liegt. Auf Phenakodus folgt die Gattung Eohippus, die am Vorderfuß vier Zehen und von der fünften nur noch einen verkümmerten Rest, am Hinterfuß dagegen bloß drei Zehen besitzt. Von da leiten die Gattungen in schönster Weise bis zu den heutigen Einhufern herauf: Orohippus, vorn mit vier Zehen, wovon die eine stark zurücktritt; Mesohippus, etwa dem europäischen Paläotherium entsprechend, mit drei Zehen, am Ende des Eozän; Miohippus (Anchitherium) im Miozän, gleichfalls mit drei Zehen; die beiden letzten Gattungen noch mit schwachen Andeutungen (Rudimenten) einer vierten Zehe; Protohippus oder Hippotherium im unteren Pliozän, mit drei Zehen, nämlich der zweiten, dritten und vierten, wovon nur die mittlere den Boden berührt; Pliohippus und endlich das Pferd, mit einer einzigen, sehr starken, nämlich nur mit der dritten Zehe; erste und fünfte sind vollständig verschwunden, zweite und vierte als die rudimentären Griffelbeine nur noch angedeutet.
Einige Mittelformen sind schon frühzeitig auf den damals noch vorhandenen Landbrücken nach Europa und Asien ausgewandert, so besonders das Paläotherium, Alttier, das durch die klassischen Untersuchungen des großen Cuvier Berühmtheit erlangt hat. Merkwürdigerweise ist der Pferdestamm in seinem Ursprungsland, in Amerika gänzlich ausgestorben, während er sich bei uns lebenskräftig und entwicklungsfähig erhalten hat. Zur Zeit der Entdeckung der „Neuen Welt“ besaß letztere nämlich keinerlei Einhufer; fast die ganze riesenhafte, vielgestaltige und merkwürdige Säugetierwelt der Braunkohlen- und der Eiszeit war verschwunden; die heutigen Pferde Amerikas stammen von eingeführten europäischen ab.
Die Zweihufer (Wiederkäuer) haben ebenfalls eine lange und interessante Geschichte hinter sich, doch weisen ihre Entwicklungsreihen noch große Lücken auf. Indessen fördern die Paläontologen, speziell diejenigen Nordamerikas, denen groß[S. 85]artige Hilfsmittel zu Gebote stehen, Jahr um Jahr neue überraschende Funde zutage, so daß man fast mit Sicherheit voraussagen kann: in absehbarer Zeit werden die fehlenden Glieder gefunden und die Abstammungsreihen geschlossen sein.
Von den zahlreichen fossilen Wiederkäuern mag hier nur eine einzige Art Erwähnung finden, nämlich der irische Riesenhirsch, dessen Geweihenden über 3 Meter auseinander liegen. Besonders schön erhaltene Skelette finden sich in den Torfmooren Irlands. Der Riesenhirsch lebte noch mit dem Menschen zusammen; ja es ist sogar vermutet worden, daß er in Deutschland erst im Mittelalter ausgestorben sei. Das Nibelungenlied, dessen Entstehung ins zwölfte Jahrhundert angesetzt wird, führt nämlich unter der Jagdbeute des „hörnenen Siegfried“ auch einen „Schelch“ an, welchen Namen man von schelchen, das[S. 86] heißt schief oder schwankend laufen, abgeleitet hat. Der schwankende Gang sollte seine Ursache in der Schwere des Tieres und der Größe des Geweihs haben. Die betreffende Stelle lautet:
Demgegenüber wird behauptet, daß der Schelch nichts anderes sei als der männliche Elch (Elentier).
Der Riesenhirsch ist in Europa offenbar schon am Ende der Gletscherzeit, als sich die Steppen und Bergeshöhen wieder zu bewalden begannen, ausgestorben; nur in Irland mit seinen ausgedehnten Wiesenflächen und Mooren hat er sich noch etwas länger halten können.
Den riesigen Pflanzenfressern der Diluvialzeit standen auch gewaltige Fleischfresser gegenüber. Das häufigste Raubtier war der Höhlenbär, größer als der Eisbär und der graue Bär Nordamerikas; er erreichte eine Länge von 10 Fuß und eine Höhe von 4 bis 4½ Fuß.
„Wie heutzutage der Bär am liebsten in Höhlen und Felsklüften sich
aufhält,“ berichtet O. Fraas in seinem Werke „Vor der Sintflut“,
„so waren auch die Höhlen, die zur Diluvialzeit schon zugänglich
waren, der Wohnort dieser nächtlichen Räuber. Lange Zeiten
hindurch wohnten sie ausschließlich in den Höhlen, jedes andere
Tier als Eindringling zurückweisend. Lange Zeiten hindurch blühte
das Geschlecht; Jahrtausende verflossen, in denen eine Höhle die
Wiege und das Grab von Generationen war. Im Hohlenstein (auf der
Schwäbischen Alb) lagen auf einem Raum von wenigen Quadratklaftern
in einer Tiefe von 6 Fuß 110 Schädel, 275 Unterkiefer usw., kurz
eine Menge von Skelettstücken, die zum mindesten 400 Individuen
angehörten. Unter ihnen sind alle Altersstufen vertreten, alle
Knochen, alle Zähne, vom Milchzahn bis zu vollständig abgenutzten
Zahnstumpen, beide Geschlechter, dazu eine Reihe kranker und
verletzter Knochen. Die Knochenbrüche waren so häufig, daß man
zur Genüge ersehen konnte, wie der Höhlenbär zu jener Zeit schon
um seine Existenz zu kämpfen hatte, ob es gleich die Paradieszeit
der Räuber war. Wer dem Höhlenbär ohne Zweifel am meisten Rippen
einschlug und Knochen zerschmetterte, war wohl das Pferd, das,
der Menge von Knochen nach zu urteilen, die Lieblingsnahrung des
Meisters Petz bildete. Doch verschmähte er auch nicht Ochsen, Elen,
Hirsch, Schaf und Elefant, die zerbissen und abgenagt jetzt mit den
Knochen ihrer Sieger und Meister ruhig im Lehme liegen. Großartige
Höhlen und Grotten, die heutzutage durch[S. 87]
[S. 88] ihren imposanten Anblick
überraschen, verschmähte er, ein kleiner Schlupf, ein sicherer
Winkel war ihm lieber, am liebsten Höhlen, deren Eingang gerade so
weit war, daß ein Individuum, mit dem Hinterteil voraus einfahrend,
den Gang ausfüllte. Das ist noch die Gewohnheit der Bären, daß
sie, hinter sich gehend, den Rücken gedeckt halten, um dem Feinde,
der allenfalls ihn verfolgte oder in einer Höhle angriffe, Zähne
und Tatzen weisen zu können. Fast an allen Bärenhöhlen kann man
deshalb da, wo der Schlupf sich verengt, eine Glättung und Politur
der Felsen wahrnehmen, beziehungsweise eine inkrustierte glatte
Schichte beobachten, die im Laufe der Zeit vom durchgezwängten
Bärenfell aufgetragen wurde, so etwa wie sich Felssteine glätten,
die, weil irgend von religiöser Bedeutung, den Küssen andächtiger
Gläubigen ausgesetzt sind.“
In Italien, Frankreich und England tritt der Höhlenbär zurück vor der Höhlenhyäne, die in Deutschland ziemlich selten ist. Hyäne und Bär scheinen sich also gemieden zu haben. Wie die lebenden Verwandten, so hatte die Höhlenhyäne die Gewohnheit, die Knochen der Beutetiere zu zermalmen, wozu sie durch die Stärke ihres furchtbaren Gebisses und die mächtige Entwicklung der Kaumuskulatur besonders befähigt war. Man wird also schon aus der Art und Weise, in welcher die Knochen bearbeitet sind, auf die Existenz der einen oder anderen Raubtiergattung schließen können.
Die Katzenfamilie stellt mehrere Vertreter, darunter einen messerzähnigen Tiger (Machairodus), einen nahen Verwandten der tertiären Machairodusarten, und den gewaltigen[S. 89] Höhlenlöwen, der über einen großen Teil von Europa verbreitet, jedoch nicht in solcher Anzahl vorhanden war wie Bär und Hyäne. In Spanien und Frankreich kommen zudem zwei große Pantherarten vor, so daß Europa damals eine an Artenzahl wie an Riesenhaftigkeit der Formen großartigere Raubtierfauna besaß als irgend ein Kontinent heutzutage, selbst Afrika und Asien nicht ausgenommen.
Wer schon je vor dem Elefantenhaus eines Zoologischen Gartens gestanden, wird den Eindruck empfunden haben, daß die Bewohner desselben etwas durchaus Fremdartiges an sich haben, als würden sie aus einer anderen Welt stammen. Sie scheinen zu den heutigen Säugetieren nicht zu passen und bilden in der Tat eine seltsame isolierte Gruppe, die sich in keiner der großen Hauptabteilungen unterbringen läßt, weshalb man daraus eine besondere Ordnung gemacht hat, eben die der Rüsselträger oder Proboszidier. Das ist eine alte Sippschaft mit einer berühmten Vergangenheit, ein wahrhaft aristokratischer Stamm, dessen heutige Vertreter als wandelnde Petrefakten anzusehen sind. Der älteste zurzeit bekannte Ahne lebte zu Beginn der Tertiär- oder Braunkohlenzeit (Eozän) neben den Stammvätern der Wiederkäuer, Pferde, Schweine, Nagetiere und Raubtiere. Zu jener Zeit existierten die Alpen, der Jura, die Karpathen, der Himalaja und die Anden noch nicht; an Stelle der Schweiz flutete das Meer, und in England wuchsen Mammutbäume, Zimmet-, Lorbeer- und Feigenbäume, Fächer- und Fiederpalmen. Jener Stammvater — er wurde Möritherium getauft — war ein tapirähnlicher, keineswegs großer Bewohner Ägyptens, ohne Stoßzähne und eigentlichen Rüssel; er vermittelt den Übergang zu den Seekühen. Bei den Nachkommen werden die Schneidezähne zu mächtigen Hauern, und der Rüssel, der infolgedessen seine Wühltätigkeit aufgeben konnte, wurde zum Greiforgan. Der Stamm spaltet sich nun in mehrere Zweige, die sich in verschiedener Richtung entwickeln und teilweise früh aussterben.
Zu den auffallendsten Typen der ganzen Gruppe gehört das Schreckenstier (Dinotherium), eines der größten aller Land[S. 90]tiere, vermutlich ein Bewohner großer Flüsse und Sümpfe wie das Nilpferd. Aus dem Eppelsheimer Sand des Mainzer Beckens ist ein vollständiger Schädel bekannt geworden, der zirka 1 Meter lang und 60 Zentimeter breit war; andere Funde in Württemberg, Frankreich und der Schweiz lassen auf eine Schädellänge von 2 Meter bei 1 Meter Höhe schließen. (Das Riesenschreckenstier [Dinotherium gigantissimum] besaß reichlich 5 Meter Länge bei 4½ Meter Rückenhöhe.) Abweichend von den Elefanten hatten die Dinotherien im Oberkiefer keine Stoßzähne, wohl aber im verlängerten, bogenförmig abwärts gekrümmten Unterkiefer. Vielleicht dienten dieselben als eine Art Karst, um die Stauden am Ufer der Gewässer auszuhacken. Die Schreckenstiere tauchen im mittleren Tertiär auf und verschwinden am Ende desselben wieder. Mit ihnen wetteiferten[S. 91] an Größe die Mastodonten, welche die ganze nördliche Halbkugel, außerdem Südamerika und Afrika bewohnten.
Beim Altmastodon (Paläomastodon) waren die oberen Schneidezähne säbelförmig und abwärts gerichtet, die unteren Stoßzähne als lange Schaufeln entwickelt. Offenbar dienten sie zum Aufpflügen des Bodens, woraus weiterhin geschlossen werden darf, daß diese Riesentiere keine Sumpfbewohner mehr waren, sondern das Trockene vorzogen. Bei den eigentlichen Mastodonten oder Zitzenzähnern, nach der Beschaffenheit der Backenzähne so getauft, werden die oberen Stoßzähne und der Rüssel immer länger, während die unteren Stoßzähne verkümmern und schließlich ganz verschwinden. Die Backenzähne sind kleiner, aber zahlreicher als beim Elefanten und, wie bereits erwähnt, mit zitzenförmigen Höckern versehen.
Mastodonreste finden sich in großer Zahl und in den verschiedensten jungtertiären Gebieten, in der Schweizermolasse zum Beispiel bei Elgg, Winterthur, Käpfnach und an anderen Orten, in Deutschland bei Öhningen, auf der Rauhen Alb und bei Eppelsheim am Rhein (Mainzer Becken), in Frankreich bei Sansans, bei Lyon usw. Bei Sansans im südwestlichen Frankreich fand man neben einem prachtvollen Schädel mit vier völlig erhaltenen Stoßzähnen die Knochenreste von Mäusen, Maulwürfen, Igeln und Fledermäusen, Fischen, Reptilien und Vögeln, ferner von Hunden, Katzen, Mardern, Hirschen und Antilopen, Tapiren, Nashörnern und Schweinen, Elefanten und Affen bunt durcheinander gewürfelt. Es wurde jene wunderbare, Fundstätte — offenbar ein alter Sumpf oder See, in welchen von Flüssen und Bächen Tierleichen aus der ganzen Umgebung zusammengeschwemmt wurden — vom unermüdlichen Lartet zuerst auf eigene Kosten durchwühlt, bis die französische Regierung die Forschungsarbeiten mit jährlichen Geldbeiträgen unterstützte, worauf ein förmliches Bergwerk auf Petrefakten eröffnet werden konnte.
Trotz der Häufigkeit der Mastodonreste sind vollständige Skelette jedoch sehr selten; eines der schönsten ist dasjenige von Turin, nach welchem die Rekonstruktion auf Seite 91 hergestellt ist. Die Mastodonten treten in Europa im mittleren Tertiär auf und verschwinden am Ende desselben; ihnen folgen die eigentlichen Elefanten; in Amerika dagegen sind sie noch im Diluvium in großer Zahl vorhanden. Sie bildeten dort eine wertvolle Jagdbeute des Urmenschen und sind offenbar erst dessen Verfolgungen erlegen. Sie spielten dort dieselbe Rolle wie in Europa und Asien die Mammute, auf die wir gleich zu sprechen kommen werden.
Während die Mastodonten überallhin wanderten, die damals noch bestehenden Landbrücken zwischen Afrika und Europa, Indien und den großen Sundainseln, Europa und Amerika benutzend und fast die ganze Erdoberfläche sich unterwerfend, erfolgte in aller Stille die Bildung einer neuen Gattung. Durch Änderung des Klimas und damit der Pflanzenwelt erfolgte, wie es scheint in Indien, eine Änderung im Gebiß. Die Backenzähne, auf saft- und fleischlose harte Nahrung angewiesen, wurden breiter und falteten sich, wobei eine sehr breite Mahlfläche ent[S. 93]stand. Es kommen die ersten echten Elefanten, die ebenfalls Wanderungen nach allen Seiten unternahmen und den Zitzenzähnern schwere Konkurrenz machten.
Und was für Gestalten waren das! Der Urelefant (Elephas antiquus) hatte 5 Meter Rückenhöhe und 5 Meter lange Stoßzähne, übertraf noch Dinotherium und Mastodon an Riesenhaftigkeit und gilt zur Stunde als das größte aller Landsäugetiere. Aber der Wanderelefant (Elephas nomadicus) Ost- und Südasiens, der Elefant des Südens (Elephas meridionalis) Südeuropas, der Kaiserelefant (Elephas imperator) des südlichen Nordamerika, der Kolumbuselefant (Elephas Columbi) des mittleren Nordamerika und das Mammut (Elephas primigenius) Europas, Asiens und Amerikas standen dem Urelefant[S. 94] nur um ein Geringes nach. Und da die Welt voller Gegensätze ist, so fehlten auch die Zwerge nicht, die durch ein ungünstiges Geschick vom großen Kontinent weggerissen und auf kleine Inseln gewissermaßen interniert wurden, wobei sie verkümmerten. Auf Sizilien und Malta, Kreta und Zypern lebten Elefanten, die nur die Größe eines Kalbes erreichten.
Das berühmteste und bekannteste aller ausgestorbenen Rüsseltiere ist das Mammut- oder Mammonttier (Elephas primigenius), dessen riesige Zähne und Knochen zu unzähligen Sagen und zu den seltsamsten gelehrten Disputationen Anlaß gegeben haben. Die Mammutreste wurden bald für Gebeine irgendeines Heiligen, bald für solche von Riesen, bald für „Figurensteine“ gehalten. Heute noch werden solche in manchen Kirchen als Reliquien aufbewahrt, und im Jahre 1789 trugen die Chorherren des heiligen Vinzent zu Valencia in Spanien den Schenkelknochen eines Mammutelefanten bei Prozessionen herum, „um durch diesen vermeintlichen Arm des Heiligen dem ausgedörrten Lande Regen zu erflehen“. Item, wenn’s nur geholfen hat, wie Peter Hebel zu sagen pflegte. Daß die im Jahre 1577 unweit der Stadt Luzern ausgegrabenen Mammutknochen von einem Baseler Professor für „Gebeine der aufrührerischen gefallenen Engel“ erklärt und wie diese dann „sorgfältig gesammelt und anständig begraben wurden“, wollen wir hier nicht unerwähnt lassen. In der Michaeliskirche zu Hall am Kocher findet sich, wie Jäger berichtet, ein riesiger Stoßzahn in eisernen Bändern aufgehängt mit folgender Inschrift:
Das Mammut hat vorzugsweise den Norden bevölkert; am häufigsten muß dasselbe in Sibirien gewesen sein, dort sind nämlich manche Schichten von seinen Knochen ganz erfüllt.
Neumayr sagt darüber:
Es gibt wohl nichts, was dieses Verhältnis besser bezeichnen
könnte als der Umstand, daß etwa ein Drittel von allem Elfenbein,
welches in den Handel kommt, von den diluvialen Mammuten[S. 95]
[S. 96]
Sibiriens herrührt; ja, selbst auf den so überaus unzugänglichen
neusibirischen Inseln, welche nördlich vom asiatischen Festland
unter etwa 75 Grad nördlicher Breite im Eismeer liegen, findet sich
das fossile Elfenbein in solcher Menge, daß lange Zeit hindurch die
Elfenbeinsammler die gefahrvolle Schlittenfahrt über das gefrorene
Meer wagten, um diese Schätze zu heben.
Eine derartige Erscheinung zu erklären, war nicht leicht, und eine Lösung des Rätsels schien lange Zeit unmöglich. Man dachte zunächst an eine gewaltige Überschwemmung — Sintflut —, welche die Elefanten aus dem südlichen Asien nach Sibirien geschwemmt haben sollte, allein bei nur halbwegs ruhiger Überlegung mußte man die Unmöglichkeit einer solchen Hypothese einsehen. Nun war noch ein zweiter Ausweg möglich: Die gewaltigen Rüsseltiere konnten in Sibirien gelebt haben, dann mußte aber das Klima ein ganz anderes, es mußte bis zum Polarkreis ein gemäßigtes gewesen sein. Das war noch zur Braunkohlenzeit tatsächlich der Fall, aber wir wissen nun auch, daß das Mammut zu einer Zeit in Europa lebte, als dieses großenteils von Eismassen bedeckt war. Wie ist aus diesem Labyrinth von Widersprüchen ein Ausweg möglich? Ein paar glückliche Funde haben die Frage in ziemlich befriedigender Weise gelöst. Aus dem gefrorenen Boden Sibiriens tauen nämlich gelegentlich ganze Mammutleichen heraus, die durch das Eis in so wunderbarer Art konserviert sind, daß das Fleisch von wilden Tieren gefressen werden kann. Bei derartigen Funden stellte es sich nun heraus, daß der Mammutelefant, abweichend von seinen heutigen Vettern in Afrika und Ostindien, mit einem dichten Pelz bekleidet war, der vorn und auf dem Rücken eine lange Mähne bildete, die wahrscheinlich bis auf die Knie herniederhing. Es ist dies eines der schlagendsten Beispiele dafür, daß aus dem Vorkommen einzelner Tiertypen niemals sichere Schlüsse auf das Klima gezogen werden können, denn es ist nie ausgeschlossen, daß Tiere, deren nächste Verwandte heute ausschließlich auf die Tropen beschränkt sind, ehemals in einem gemäßigten oder selbst kalten Klima gelebt haben.
Das erste samt allen Weichteilen erhaltene Mammut wurde im Jahre 1799 im Lena-Eis (Sibirien) entdeckt, allein erst sieben Jahre später vernahm der Naturforscher Adams davon, und als er an Ort und Stelle kam, fand er nur noch das durch[S. 97] die Bänder zusammengehaltene Skelett, einen Teil der Haut, ein Auge, einiges von den Eingeweiden und etwa 30 Pfund Haare, welche die Eisbären in den Boden getreten hatten; alles übrige hatten die Raubtiere gefressen. Die kostbaren Reste gelangten nach Petersburg und sind nun im dortigen Naturalienkabinett aufgestellt. Seitdem sind mehrere eingefrorene, wohlkonservierte Leichname nach vieltausendjähriger Ruhe aufgefunden worden.
Man hat die Frage aufgeworfen, wovon denn die mächtigen Tiere, die eine Länge von 5 Meter bei 3 Meter Höhe erreichten, im kalten Klima gelebt haben. Auch darüber gaben die Funde genaue Antwort: Die Speisereste, die zwischen den Zähnen und im Magen gefunden wurden, bestanden nämlich der Hauptsache nach aus Zweigen von Nadelhölzern, wie sie heute noch in Sibirien vorkommen.
Wir wollen uns jetzt von dem Leser, der uns freundlich gefolgt ist, verabschieden. Die geschilderten wunderbaren Lebewesen muten an wie die Darstellungen aus einem Märchen, und dennoch steht das Geschilderte mit unauslöschlichen Zeichen in den Gesteinsschichten der Erde eingegraben. Das, was wir boten, ist freilich nur ein Ausschnitt aus jener gewaltigen Geschichte der Entwicklung, aber es wird doch das Lesen in der Geschichte der Erde fördern, die zu einem Gemeingut aller werden sollte.
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30 ff.
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89 ff.
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Flugsaurier siehe Flugdrachen. | |
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72 ff.
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Zwergelefanten |
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Dieses Werk soll die seit längerer Zeit vergriffene Darwinsche Theorie von E. Aveling ersetzen. Wir hoffen, daß die von einem anerkannten Fachgelehrten verfaßte Entwicklungstheorie einem ebenso großen Interesse begegnen wird, wie es seinerzeit bei dem Avelingschen Buch der Fall war.
Der Verfasser schreibt einleitend zu seiner Arbeit unter anderem:
Im vorliegenden Werk ist der Versuch gemacht worden, die Entwicklungsstheorie in einer Art und Weise darzustellen, die von der bisher üblichen stark abweicht. Die Auffassung, die dieser neuen Darstellung zugrunde liegt, ist vom Verfasser in der nur Fachmännern zugänglichen wissenschaftlichen Literatur begründet worden. Die Anforderungen, die an die Vorkenntnisse der Leser gestellt werden, sind sehr bescheiden. Dagegen wird beim Leser der gute Wille vorausgesetzt, etwas zu lernen.
Die populäre Literatur hat die Mission, dem Leser aus den breiten Volksschichten die Arbeitsweise und die Ergebnisse der Wissenschaft in einem seinem Fassungsvermögen angepaßten Stil beizubringen. Aber die populäre Literatur soll und kann nicht zum Schlaraffenland werden, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Wer etwas lernen will, muß den festen Willen haben, sich durch die schwierige Materie durchzuarbeiten. Und gerade das arbeitende Volk weiß es doch am besten, daß alles, was Bestand haben soll, durch Arbeit errungen werden muß. Man strebe also auch nicht nach einem „mühelosen“ Erwerb wissenschaftlicher Anschauungen, sondern suche sich die Grundbegriffe klarzumachen, mit denen die Wissenschaft arbeitet, und die Tatsachen, von denen sie sich zu den weltumspannenden Gedanken erhebt. Dann erst sind die erworbenen Anschauungen aus einer richtigen und festen Grundlage aufgebaut.
Liebknechts
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