The Project Gutenberg eBook of Idisa: eine thüringisch-fränkische Sage für unsere Jugend

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Title: Idisa: eine thüringisch-fränkische Sage für unsere Jugend

Author: Heinrich Langbein

Illustrator: Wilhelm Scheibe

Release date: November 23, 2021 [eBook #66797]
Most recently updated: October 18, 2024

Language: German

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IDISA: EINE THÜRINGISCH-FRÄNKISCHE SAGE FÜR UNSERE JUGEND ***

Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Cover
Bei Schwarzenbrunn.

Dekoration

Idisa,

eine thüringisch-fränkische Sage für unsere Schuljugend,

von

Heinrich Langbein.

Titelblatt und Bilder

von

Wilhelm Scheibe.

Dekoration

Verlag der
J. F. Albrecht’schen Hofbuchhandlung.
Coburg 1908.


[3]

Dekoration
Idisa.

Nahe am Zusammenfluß der beiden Quellbäche der Werra bei Schwarzenbrunn teilt sich die von Eisfeld kommende Straße in einen nördlichen und einen östlichen Arm. Vor vielen hundert Jahren standen dort ein paar armselige Holzhütten, deren Bewohner in der nahen Goldwäscherei ihren Lebensunterhalt verdienten. Es war zwar herzlich wenig, was dabei herauskam, aber die meisten lebten doch mit den Ihren recht glücklich und zufrieden. Die Bewohner in dem letzten Häuschen da oben am »wirren« Wasser, wie sie es damals nannten, waren die ärmsten. Die bittere Not des Lebens hatte an ihrer Wiege gestanden, und es schien, als wollte sie ihnen Begleiterin sein bis an das Ende ihrer Tage. Als nun gar um die liebe Weihnachtszeit beim Vater das alte Leiden sich wieder einstellte, sodaß er gichtbrüchig darniederlag, da[4] war die Not recht groß. Von Verdienst war keine Rede, und wenn die Mutter die Kleinsten zu Bett brachte und im Vaterunser die Worte sprach: »Unser täglich Brot gib uns heute«, rollten ihr die dicken, heißen Tränen über die abgehärmten Wangen. Mutter und Kinder hatten den Hunger kennen gelernt. Elias, oder wie sie ihn im Dorfe nannten Elis, der größte Knabe, verstand wohl die Schmerzen und Sorgen, die am Mutterherzen nagten, und tat, was in seinen schwachen Kräften stand, der Mutter hilfreich beizustehen. Bald gab es einen Botengang nach Steinheid, wo gegen tausend Arbeiter im Goldbergwerk beschäftigt waren, bald sammelte er Holz und Reisig für die Nachbarn, die ihm zum Lohn ein Geldstück oder ein Abendbrot verabreichten, bald trabte er als junger Klammermann durch den tiefen Schnee, um den Hausfrauen im nahen Städtchen geschnitzte Holzwaren feil zu bieten. Alles, was er verdiente, brachte er treulich der Mutter, und so fristeten die Armen notdürftig ihr Leben. Aufs Frühjahr zu ging es mit dem Vater, Gott sei Dank, wieder etwas besser, und wenn ihm auch noch lange nicht möglich war, seiner Arbeit in der Goldwäscherei nachzugehen, so konnte er doch wenigstens einige Stunden während des Tages am Fenster sitzen, oder, wenn die Sonne wärmer schien, vor dem Hause auf der Holzbank. Dann sah er vor sich den dunkeln, schweigsamen Wald,[5] der da lag wie seine nächste Zukunft, und über sich den blauen, lachenden Himmel, – seine Hoffnung. Die beiden Jüngsten waren gern bei ihm und hörten gar andächtig zu, wenn er von seinen Wanderfahrten erzählte, von den fremden Ländern und Leuten, die er gesehen und kennen gelernt hatte. Am meisten freute sich Elis der allmählich wiederkehrenden Gesundheit des Vaters, und jeder konnte es ihm anmerken, der ihm auf seinen Wegen begegnete. Frohsinn und Lebensfrische glänzten ihm wieder aus den blanken, blauen Augen. Spiegelte sich doch in ihnen das reine Kindesherz, das sich über jede Besserung im Befinden des Vaters innigst freute, wenn es auch genau wußte, der nächste Winter bringt das nächste Leid. Doch wozu an den Winter, an Gram und Sorge denken, wenn der Frühling über die Berge zieht, wenn der Wald zum Wandern lockt, wenn die ersten Blüten zum Gruße freundlich winken. Wie Heim- und Herzweh zieht es Elis zu seinen Bergen, zu seinem Wald. An einem schönen Sonntagmorgen sprang er hinaus in den kosenden, tosenden Mai. War’s doch, als sängen die Vögel alle nur für ihn, und der Kuckuck wollte nicht stille werden, ihm seinen Willkomm zuzurufen. Der Knabe hatte von den guten Eltern Erlaubnis bekommen, einmal so recht nach Herzenslust ohne besonderen Auftrag und, wenn möglich, ohne Gram und Sorge hinauszustreifen zu den Schluchten und Bergen[6] des Waldes, der den Saargrund, die Elis längst bekannte Straße nach Steinheid, begrenzte. Alle Lieblingsplätze des Vaters, an denen sie beide so oft geweilt, wollte er besuchen und dann dem Vater erzählen, ob der Winter im Forst viel Schaden getan, ob Hirsch und Reh, ob Eichhorn, Häher und Specht gut überwintert, wie viel Meiler der »schwarze Martin« angelegt, und ob er im Aprilschnee noch irgendwo den Bären gespurt habe, der im Winter im Saargrund gesehen worden war, und vieles andere. Vielleicht konnte er auch einmal die höchste Spitze des großen Berges besuchen, den sie den Bleß nannten, an dessen nördlichem Fuß das »wirre« Wasser dahin rauschte und dessen Echo ihm so oft freundlich geantwortet, wenn er singend und pfeifend von Steinheid heimwärts kam. Der Weg ging steilan. Unter dem taufrischen Geäste wetterstarker Baumriesen, deren Gipfel noch kein Strahl der Morgensonne berührte, stieg er hinauf. Es war früh am Tage, und ehe die Kirchenglocken den Tag des Herrn einläuteten, hielten die Vöglein in den Zweigen ihre Sonntagsandacht. Wo Elis oft querbergein jubelnd und jauchzend – wie es in Gesellschaft munterer Kameraden nicht anders sein kann – herunter gesprungen war, da ging er jetzt ernst und einsam fürbaß. Es kam ihm plötzlich alles so ganz anders vor, so feierlich, als schritt der liebe Gott selbst neben ihm vorüber durch den lenzjungen Wald. Dazu war[7] ihm die Gegend auf der Höhe des Berges, die er soeben erreicht hatte, fremd. Bis dahin war er noch nicht gekommen. Ob wohl auch jenseits der Höhe Menschen wohnen? Ob dort an der Südseite des Hanges die Bäume voller und frischer grünen, als im Saargrund, wo das Laub nur aus den Knospen lugte? Ob schon die Maienblumen im Jungholz in Blüte stehen? Ob jene Lichtung dort wohl einen Blick gewährt zum sonnigen Frankenland, zur trutzigen Bergfeste Coburg oder gar bis zum Hügelgelände des Maines? Alles, alles entsprach den Gedanken und stillen Wünschen unseres Elis. »Herr, wie sind deine Werke so groß und viel. Deine Güte reicht, so weit der Himmel ist.« Diese Worte, die ihm die Mutter so oft vorgesprochen hatte, hier empfand er sie in Wahrheit und Innigkeit. In heilig ernster Stimmung schritt er am jenseitigen Abhang hinab zum Tale, wo ein stilles, lauschiges Plätzchen ihm winkte und ihn einlud zu kurzer Rast. Unter glattstämmigen Buchen war vom Aprilsturm raschelndes Laub zu Haufen gejagt und da Elis die Morgenwanderung doch etwas ermüdet hatte, ließ er sich auf das weiche Kissen nieder, das ihm der liebe Gott hierhergelegt. Vor ihm aus niederem Felsgestein sprudelte eine muntere Quelle und lieblich flüsternd, neckisch spielend schlüpften die Wellen durch Laub und Moos. Droben am blauen Himmelszelt zog ein einsames Wölkchen leicht und luftig wie ein[8] Himmelsschäfchen dahin, heimwärts zu seinen Geschwistern. Zu seinen Geschwistern! Auch Elis war bei seinen Geschwistern, bei Vater und bei Mutter. Der Traumgott hatte ihn umfangen. Glückselig lächelnd lag er da. Das Bächlein hörte er rauschen, die Quelle sah er sprudeln. Doch zu beiden Seiten derselben erblickte er jetzt einen wundervollen Garten, so schön, wie er kaum das Paradies sich gedacht hatte. Nixenkinder mit niedlichen Lockenköpfchen und hellstrahlenden Blaugucken kamen aus dem Bächlein herausgestiegen und gingen im Garten spazieren. Die Blumen des Zaubergartens fingen an zu läuten, die Glockenblumen bim baum, die Maienglöckchen kling kling. Die Vögel kamen alle und musizierten, die Immen und die Käfer fielen summend ein, die Schmetterlinge schwenkten bunte Fahnen, gelbe, rote und blaue. Jetzt reichten sich die Nixenkinder die Hände und tanzten einen Ringel-Reihen vor der Quelle, aus der die Tropfen hüpften wie Diamanten und Perlen. Die sprangen den Tänzerinnen ins schimmernde Goldhaar und hingen und funkelten da wie Himmelssterne. Die kleinsten der Nixen tanzten nicht, die saßen am Ufer, pflückten Vergißmeinnicht und Goldstern und flochten sich Kränzlein in die blonden Locken. Alle waren lustig und sangen zum Ringel-Reihen:

Holdiri! Holdira!
Heil der Mutter Idisa!

[9]

Plötzlich verstummte der Gesang. Auf dem Felsen der Quelle fing eine große, große Glockenblume an wie eine Kirchenglocke bim baum, bim baum! Dann teilte sich der Felsen, und heraus stieg eine Frau, blendend weiß wie Kirschblüt und umhüllt mit einem Schleier von farrengrüner Seide. Die ließ ein wundersames Lied ertönen, aus dem Elis nur vernahm, daß sie tiefunglücklich sei, weil sie in ihrem Felsenschloß nicht eher Ruhe finde, bis sie den Menschen eine Wohltat erzeigt habe, und deutlich hörte er den Sang:

»Der Quell aus meines Berges Grund
Macht kranker Menschen Leib gesund;
Steigt keiner noch in meine Flut,
Daß Idisa auf ewig ruht?«

An wen sollte Elis schneller denken, als an seinen kranken Vater! Er will aufspringen, der Fee zu danken für die offenbarte Zauberkraft, für die verheißene Wundergabe. Da gewahren ihn die Nixen, die während des Gesanges der Idisa mucksmäuschenstill dagesessen haben. Sie springen auf, fassen seine Hände und Holdiri, holdira singt es und klingt es wie zuvor. Alle scharen sich um den schmucken Knaben, denn noch nie haben sie ein ähnliches Wesen geschaut. Auch Idisa wird den Knaben gewahr. Wieder läutet die große, blaue Glockenblume bim baum,[10] die Nixen verstummen, und die Fee lächelt süß und selig. Wie zum Dank streckt sie dem Knaben den schneeigen Arm entgegen und spricht:

»Du hast Frau Idisa geschaut
Das Heil des Quells ist dir vertraut,
Nun find’ ich Ruh’, durch dich befreit,
Hab’ Dank, hab’ Dank in Ewigkeit!«

Und es begann ein Brausen im Walde, daß es stockfinster wurde ringsumher. Aber es kamen Marienkäferchen zu tausenden, die hatten auf den Flügeln statt schwarzer sieben goldfeurige Pünktchen; Johanniswürmchen flogen von Blatt zu Blatt, die zündeten, wo sie sich setzten, helle Lichtlein an; in den roten Tulpen flammte es auf, daß sie wie Leuchtkugeln dastanden, und die Goldsterne strahlten wie Feuerblumen. Es wäre wohl Elis recht unheimlich vorgekommen, wenn nicht die Glocken und Glöckchen immer noch so fröhlich dazwischen geläutet hätten. Unterdessen hatte sich der ganze Zug der Nixen im Felsenspalt verborgen, und als auch Idisa unter freundlichem Zuwinken eingetreten war, schloß sich die Schlucht. Moose umspannen den Felsen, und Farren wucherten empor, als sollte sich dieselbe nie mehr öffnen. Dann kam das helle Sonnengold über den Himmel gezogen, das alle Lichtlein verdunkelte; eines der Leuchtkäferchen aber kam[11] herangeflogen und setzte sich Elis auf die Stirn gerade über das Auge. Der meinte schon den Funken zu spüren, fuhr schnell mit der Hand dahin und – erwachte.

Da war keine Spur der geschauten Herrlichkeit, kein Garten, keine Blumen. Das Leuchtkäferchen war auch nicht da, das Elis gebrannt hatte, aber ein Sonnenstrahl, der durchs Gezweige zitterte, hatte ihn ins Auge gestochen und aus dem Traume erweckt, daß er nach Hause ginge zu seinen Eltern und Geschwistern, die ihn schon lange erwarteten. Die Freude über das, was er gesehen und gehört hatte, trieb ihn an, schneller vorwärts zu gehen. Als er heimkam und die ganze Familie beisammen fand, konnte er nicht schnell genug erzählen, was ihm widerfahren war. Anfangs erschraken alle ob der merkwürdigen Geschichte, dann aber kam große Freude über sie. Das war sicher, hier war ein Wunder Gottes geschehen; Idisa war niemand anders, als der gute Schutzengel der Bleßbergquelle, den die heilige Jungfrau zur Rettung der armen, aber frommen Goldwäscherfamilie gesandt hatte. Es wurde entschieden, daß der Vater die Heilkraft der Quelle sobald als möglich erproben sollte, und alle waren schon im voraus voll der seligsten Erwartungen. Der Vater segnete Elis, seinen Retter; die Mutter und die Geschwister umarmten ihn mit Freudentränen in den Augen. Schon am nächsten Tage beriet man, wie der[12] Vater am besten zur Idisaquelle gelangen könne. Auch die Nachbarn erfuhren, was der liebe Gott dem Elis durch einen Engel verraten hatte und waren ebenfalls darauf bedacht, den armen Kranken auf bequeme Weise nach der Quelle zu bringen. Zunächst mußte man warten bis zum nächsten Sonntag; da wollten dann einige starke Männer behülflich sein. So lange konnten aber die Knaben des Dorfes nicht warten. Schon am Montag zogen Elis und seine kleinen Freunde mit Hacken, Spaten und Schaufeln zum Idisa-Wasser. Da wurde ein Schutz gebaut, wie sie es bei dem Waldbächlein im Frühjahr so oft zum Zeitvertreib getan, und dann der Lauf des Wassers seitwärts gelenkt ins Niederholz. Vor dem Schutz wurde nun mit Hacken, Spaten und Schaufeln ein großes Loch ausgehoben, dann der Lauf des Bächleins zurückgelenkt ins alte Bett. In der Vertiefung sammelte sich soviel Wasser, daß ein Mann bequem darinnen baden konnte. Mitgebrachte Steinkrüge füllten die Knaben an der Quelle und waren erstaunt, daß der Felsenbrunnen gar nicht so kalt war wie anderes Gebirgswasser. Auf dem Heimwege sprachen sie ganz selbstverständlich noch einmal beim »schwarzen Martin« vor, ihrem alten Freunde, der um eine gruselige Geschichte niemals verlegen war. Die neue Sage »vom Mönch auf dem Moritzturm in Coburg« hatte er ganz besonders ins[13] Herz geschlossen und ihnen wohl schon ein dutzendmal erzählt. Heute saß Martin neben seinen qualmenden Meilern und hatte bei sich zwei Baumäste liegen, die sich oben zu einer Gabel teilten. Er war eben daran, die Rinde abzuschälen und die Äste zu glätten, als die Kinder neugierig hinzutraten. Sie erfuhren, daß er die Äste für Elis Vater zurecht geschnitten habe; auf sie solle er sich zeitweise stützen, wenn er wieder auf den Beinen sei, um zur Wunderquelle zu gehen. Martin hatte solche Stützen bei einem alten Invaliden in Eisfeld gesehen, und die Leute nannten sie da Krücken oder Stelzen. Zu Hause brachte Elis mit der Nachricht von Martins liebevoller Fürsorge und trefflicher Kunstfertigkeit neue Freude ins Haus. Der Trank, den die Knaben mitgebracht hatten, ließ schon eine gelinde Besserung eintreten und unter dem Geleit und der Beihülfe freundlicher Nachbarn ging es am nächsten Sonntage zum heilversprechenden Quellenbade, wobei die von Meister Martin gefertigten Stelzen sehr gute Dienste taten. Allgemein wurde seine Kunstfertigkeit anerkannt und gelobt. Als sie in einem fernen Kirchdorfe den Mittag einläuteten, kam man an der Felsenquelle an. Es war nichts zu sehen als die kleine Waldblöße, deren moosüberzogene Decke von den starken Wurzelästen der ringsum stehenden Buchen da und dort in die Höhe gehoben war, das Wasserloch, das Elis[14] und seine Kameraden ganz geschickt gegraben hatten und aus dem Walde lugende Waldmeister und junggrüne Farren. Halbtausendjährige Linden spreiteten am Eingang das Geäst zu einem Portal, durch das man zur waldumfriedigten Quellenbucht wie zu einem Heiligtum eintrat. Wie oft mögen die heidnischen Ahnen aus den nahen Siedelungen hierhergekommen sein, aus dem Wehen und Rauschen des Waldes fromm erschauernd den Willen der Gottheit erforscht und vor dem Felsgestein des Quells die geheimnisvolle Zauberkraft menschenfreundlicher Geister zu Hülfe gerufen haben. Seit hundert und aber hundert Jahren sprang der Quell, dessen Heilkraft heute erprobt werden sollte. Und er tat Wunder! Wie wohltuend berieselte es die schmerzenden Glieder, wie erquickte es den siechen Leib, wie wirkte es belebend auf den ganzen Menschen! An Leib und Seele frisch gekräftigt fühlte sich Elis Vater und ward wohlgemut – und hoffnungsfroh. Daß die holde Erscheinung Elis nicht getäuscht hatte, war sicher und gewiß. Die Mutter dankte allen aufs herzlichste, als sie nach Hause kamen, für alle Liebe und Güte. Die Nachbarn versprachen, am nächsten Sonntag den Weg nochmals mitzumachen, dann ging jeder seinem Hause zu und bald war es still im ganzen Dörfchen. Während der Woche trank der Vater das Wasser, das sie nicht vergessen hatten mit nach[15] Hause zu nehmen, und am Sonntag machte er sich mit seinen lieben Freunden wieder auf den Weg zum Bleßberg. Es merkte jeder, daß es viel schneller ging, als vor acht Tagen, und der Vater konnte es gar nicht aussagen, wie wohl ihm damals das Bad getan und wie ihn der Trunk der Idisa erfrischt und gestärkt habe. Er wiederholte nun den Gang öfters, auch in der Woche, nur von Elis und einigen seiner Kameraden begleitet. Den Umweg über den Bleßberg vermieden sie natürlich; denn auf leicht gangbarem Waldweg, der nach Schalkau führte, kam man von Schwarzenbrunn aus in kurzer Zeit zur gottgesegneten Quelle. Wie gute Dienste taten da die Stelzen. Doch bald waren sie ganz entbehrlich. Wo links der Quelle eine Buche ihre schlanken Äste zu einem leicht durchbrochenen Gitterwerk ausstreckte, hängte sie Elis Vater ins Gezweige zur Erinnerung an seine Genesung, dann fiel er nieder auf die Kniee zum heißen Dankgebete gegen den lieben Gott, der das Gnadenwasser geschaffen, und gegen die heilige Maria, die Mutter Gottes, die seinem lieben Elis die Wunderkraft der Idisaquelle vertraut habe. Schon nach kurzer Zeit war es in der ganzen Gegend bekannt, daß dort am Südabhang des Bleßberges eine Quelle sprudele, die Heilung schaffe allen Lahmen und Gichtbrüchigen, und viele kamen von fern und nah, da zu baden und zu genesen. Als gar[16] im nächsten Jahre die Wallfahrer, die alljährlich einige Tage vor Peter-Paul (welches der 29. Juni ist) zur Steinheider Kapelle kamen, sich geweihte Pässe für ihre fromme Pilgerfahrt zu holen, von dem Gesundbrunnen hörten, verbreitete sich der Ruhm der Idisaquelle von Land zu Land.

In der Gegend von Würzburg lebte ein steinreicher Mann, der lag krank seit manchem Jahre. Weil er aber rechtschaffen und gottesfürchtig, barmherzig und gütig war, verriet ihm die heilige Jungfrau, die er nach dem Glauben seiner Väter verehrte, im Traume die Stätte der von Gott geschaffenen Heilquelle und forderte ihn auf, dahin zu pilgern. Nach mehreren Tagen gelangte er nach einer schmerzensreichen Reise an den Bleßberg, wo schon einige Hütten zur Beherbergung fremder Gäste entstanden waren. Er badete einen über den anderen Tag im Heilbade, trank vom Gnadenbrunnen der Idisa und genas und dankte Gott. In Eisfeld wohnten geschickte Bau- und Handwerksleute, von denen ließ er etliche kommen, das Bad bequem herrichten, erweitern und verschönern. Auch bauten sie ihm einige Schritte abwärts nach seinem Plan ein gar stattliches Haus und legten einen schönen Garten bei demselben an; denn er gedachte des öfteren hierher zurückzukehren und in den Sommermonaten einige Wochen hier zu verleben. Nicht weit von der Quelle,[17] wo aus Brettern und Balken gezimmert das Bethäuslein stand, ließ er eine kleine Kapelle errichten, die er seiner Retterin weihte, und die ihr zu Lob und Ehr von nun ab den Namen trug »Mariahilf«. Ihr Name wird jetzt noch mit Dank und Ehren genannt. Der kleinen armen Gemeinde schenkte er eine große Summe Geldes, die sie zum Ausschmücken des Kirchleins, zur Erhaltung des Bades und zum Erbauen von Wohnhäusern verwenden sollte. Die arme Goldwäscherfamilie brauchte nicht mehr zu sorgen und zu seufzen. Der Edle aus dem Frankenlande hatte von dem braven Elis und seinen Eltern gehört und schenkte ihnen so viel, daß sie Hunger und Kummer vergessen konnten. Über sein Besitztum setzte er einen Hausvogt ein, der sollte schalten und walten nach Belieben, jedoch nur mit Liebe und Güte. Dann erst kehrte der Fremde zurück in seine Heimat. Das Dörflein am Heilbrunnen wuchs und wurde zu einem berühmten Orte; Tausende von Gläubigen beteten alljährlich in »Mariahilf« zur heiligen Jungfrau. Im Juni namentlich wimmelte es von Wallfahrern in der ganzen Gegend. In allen Dörfern waren Bethäuser und Kapellen gebaut zu Gottes Lob und Ehre. An den Wegen nach Steinheid, nach Schalkau und Eisfeld waren heilige Bilder errichtet, vor denen dankbare Menschen knieten und beteten. Viele Grafen und Edle des Landes[18] kamen und Tausende aus dem gemeinen Volke. Wer geheilt vom Platze ging, hing nach heißem Dankgebet seine Stelzen, mit denen er auf oft beschwerlichen Wegen zum Gnadenborn gepilgert war, an den Wänden des Kirchleins auf, daß man der großen Zahl der Wunder und Werke Gottes gedenke, und so kam es, daß das Dorf an der Idisaquelle den Namen »Stelzen« erhielt und so heißt bis zum heutigen Tage.

Stelzen mit Bleßberg.

Wohl zwei Jahrhunderte lang hatte Frau Idisa ihr Heilwasser für Jung und Alt, für Reich und Arm zur Genesung gespendet. Von Elis und seinem Vater wußten nur die allerältesten Leute zu erzählen. Das Goldbergwerk in Steinheid war fast eingegangen, nur noch einige Familien wohnten in dem Städtchen. Die Hussiten waren hereingebrochen, hatten Steinheid verwüstet und die Bergwerke zum größten Teil zerstört. Da kam nach dem Dorfe Stelzen ein fremder Mann, der zog in das Haus vor der Quelle, das nach dem Tode des Wohltäters der kleinen Gemeinde von Hand zu Hand gegangen war und nun jahrzehntelang schon verlassen da stand. Von entfernten Verwandten, die es niemals gesehen hatten, war es ihm als Erbe zugefallen. Bald kamen viele Arbeiter mit Handgerät, die fingen an, das Haus und den Garten nach den Wünschen des neuen Herrn herzurichten und um den Garten herum eine hohe Mauer zu erbauen, [19]daß niemand es sehen sollte, wenn der Herr des Gartens dort zwischen Blumen und blühenden Bäumen spazieren ging. Es war alles gar herrlich und lieblich zugerichtet, doch der fremde Besitzer flößte allen Schrecken ein, die ihn sahen. Finster und bleich war sein Gesicht, tief gefurcht die niedere Stirn; die unsteten Augen senkte er meist zu Boden, als getraue er sich, niemanden anzuschauen. Wenn ihm einer ein »Grüß Gott!« oder »Gelobt sei Jesus Christus« bot, dann stellte er sich, als hörte er es nicht und dankte nie. Die einen lasen in dem Gesicht schweren Kummer und Schuldbewußtsein, andere Lebensüberdruß und Verzweiflung, wieder andere kalten Stolz und hartherziges, geiziges Wesen. Haus und Garten des Fremdlings waren fertig gestellt, aber noch behauten die Steinmetzen Stein auf Stein. Dazu hatten Arbeiter aus dem Hüttengrund, wo unlängst das erste Eisenhammerwerk erbaut worden war, eine schwere, eisenbeschlagene Tür herübergeschafft, die lehnte zwischen den Steinen. Da, eines Tages, als die Leute aus den Häusern traten, sahen sie, wie die Steinmetzen die behauenen Steine zum Bade schafften und anfingen, eine Mauer aufzurichten, da solches bei einem Bade gar schicklich und wohlanständig sei. Das sahen wohl alle ein, aber gar wenige freuten sich der fremden Fürsorge und trauten ihr wenig Gutes zu. Indeß der Bau wurde fertig gestellt,[20] und durch ein kleines, stets offenes Pförtlein konnte man zum Bade gelangen. Die Kranken gingen ungehindert hinein und heraus, und fast schämte man sich der übertriebenen Ängstlichkeit und des Mißtrauens, das man gezeigt hatte; viele dankten dem Fremden im stillen für seine Fürsorge. Es mochte Mitte Juni sein. In den meisten Häusern von Stelzen wurde geräumt und gewirtschaftet; man erwartete Gäste. Die Wallfahrer kamen in den nächsten Tagen, und man sah sie gern, weil sie stets einen Tag für die Idisaquelle übrig hatten, dort zu danken und zu beten. Oft brachten sie kranke Angehörige mit, die im Bade Heilung suchten und fanden.

Der reiche Griesgram wußte vom Besuch der Wallfahrer und hatte darauf seinen Plan aufgebaut, um rechten Gewinn davon zu haben. Am nächsten Sonntagmorgen, als die in Stelzen weilenden Kranken zu gewohnter Stunde zum Bade kamen, fanden sie dasselbe mit jener großen Tür verschlossen, die der Fremde hatte kommen lassen. Dabei aber stand der finstere Mann selbst und heischte ein Geldstück für den Besuch des Bades. Da halfen alle Vorstellungen der Kranken nichts. »Das Bad ist mir zu Erb und Eigen worden«, sprach der Hartherzige, »und nur, wer seinen Schoß entrichtet, darf durch die Pforte«. Ein lahmer, schwacher Greis, dessen ehrwürdiges Haar schon längst gesilbert war, kam auch auf zwei[21] Krücken herangehumpelt. Als er das Tor gewahrte, bat er flehentlich um Einlaß.

»Lieber Mann«, sprach er, »viele Tage habe ich mich abgemüht, hierher zu kommen, laßt mich ein, ich will Euch zahlen, was ihr begehrt, zweifach und dreifach, wenn ich wieder gesund bin.«

»Erst das Geld«, so fuhr ihn der Harte an, »dann öffnet sich das Tor.«

Der Alte ging nicht von der Stelle, und unter Tränen bat er um Einlaß zu der Gottesquelle.

Vergeblich!

»Bedenkt, daß heute Sonntag ist«, sagte der Greis, »der ein Vater ist der Armen und Reichen, der jedes Unrecht bestraft und jede gute Tat belohnt, – er wird Euch eure Wohltat vergelten hundertfältig und wird Euch segnen, wenn Ihr mich einlaßt.«

»Was kümmert mich das?« sprach der Geizhals höhnisch, »Idisa ist meine Herrin; sie will ich lieb haben, sie soll mich reich machen. An deines Gottes Segen ist mir gar nichts gelegen.« –

Da ward des Alten bleiches Gesicht rot vor Zorn; die matten Augen leuchteten wie Feuer, und seine Stimme klang furchtbar, als er rief:

»So soll Gottes Fluch dich treffen, wenn du seinen Segen verspottest.«

[22]

Schluchzend hinkte er von dannen. Im Kirchlein zu Stelzen fand man ihn am Abend. Gott hatte sein letztes Gebet erhört und ihn erlöst von seinen Leiden.

Alle Leute rührte das Schicksal des Armen; der hartherzige Reiche aber spürte nicht das geringste Mitleid. Geiz und Habsucht erfüllten seine Seele wie böse Geister und ließen keinen Raum für das Gute. Die nächste Woche sollte seine Glückswoche werden. Da kamen die Wallfahrer vom Lande nördlich des Thüringer Waldes bis aus der Gegend des Eichsfeldes und der goldenen Aue. Lahme und Kranke brachten sie mit zum Idisa-Wasser, die hatten Geld und zahlten wohl ein Silberstück für ihre Genesung. Die Wallfahrer kamen. In Steinheid ließen sie sich nach alter Sitte die Pilgerpässe weihen, doch zum Idisa-Wasser kam keiner. Bis zum Harz und bis zur Unstrut war es schon bekannt geworden, und viele erfuhren es auf dem Wege, daß ein Geizhals das gottgesegnete Wasser der Idisa als Erbe und Eigentum sich beimaß und um des schnöden Gewinnes halber das Bad gesperrt hatte. Vorüber ging der Zug der frommen Wanderer und ging zum ersten Male hinab bis ins sonnige Frankenland. Im Maintale gegenüber dem Kloster Banz war jüngst eine neue Wallfahrtskirche gegründet worden, die hatte als Gnadenort einen Ruf weit und breit. Dorthin strömten am Tage Peter-Paul die Wallfahrer zu tausenden und beteten zu den[23] vierzehn heiligen Nothelfern, denen die Kirche geweiht war und von deren Fürsprache man Hülfe und Beistand für alle Schwachen und Kranken erwartete. Es war auch in Thüringen manche Heilquelle bekannt geworden, die Genesung und Gesundheit spendete. Im unteren Frankenlande, wo die Saale den Fuß der Bodenlaube umrauscht, hat der Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn bald darauf Brunnen und Bäder errichtet, die spendeten Kraft allen, die da kamen, schwächlich und gebrechlich. Heute geht der Ruf dieses Bades bis weit über die deutschen Grenzen hinaus.

Dort an der Bleßbergquelle der Mann, der mit so harten Worten den guten Alten soweit gebracht hatte, daß er lieber sterben als leben wollte, fand keine Ruhe mehr von jenem Sonntage an, da die Wallfahrer die Quelle umgingen und zum ersten Male Vierzehnheiligen besuchten. Heftige Schmerzen stellten sich bei ihm ein, so daß er selbst sein Bad aufsuchen mußte. Täglich schleppte er die müden Glieder dahin, aber von Stärkung, von Genesung keine Spur; schwach und immer schwächer wurde sein Leib. Er warf sich vor der Felsenschlucht der Idisa auf die Knie und tat, was er schon fast verlernt hatte: er betete. Flehentlich rief er Idisa beim Namen und schwur bei allen Heiligen, ihr alles zu opfern, was er besitze, – umsonst!

[24]

Bleich vor Schrecken und zitternd vor Angst stieg er wieder und wieder in das Wasser seiner angebeteten Göttin, kalt und schaurig umfängt es ihn, ein Frösteln zieht ihm durch alle Glieder, er ruft nach seinem Golde, nach allen Schätzen, sie dem Wasser zu opfern, er stößt einen gräßlichen Fluch aus gegen Idisa, die dem Wasser die Heilkraft genommen: da sieht er in Todesängsten zwei weiße Arme aus der kalten Flut sich erheben, die ihn eisern umfassen und niederziehen. Die Erde erbebt, der Felsblock zerspringt und zum Strom wird Quelle und Bächlein. Die stolze Mauer stürzt und rauschend strömt die Flut durch den blühenden Garten, alles mit sich niederreißend, Haus und Steinwand, Büsche und Bäume. Verschüttet und verschollen blieb der talwärts getriebene Leichnam des Fremdlings. Versagt blieb ihm ein ehrliches Begräbnis.

Als die angstvoll in ihren Häusern verborgenen Bewohner von Stelzen nach dem Sturm sich wieder herauswagten, war von aller Herrlichkeit um Haus und Quelle keine Spur mehr zu sehen. Ruhig war das Wasser zurückgetreten in sein kleines Bett, und murmelnd floß es talabwärts wie ehedem.

An der Itzquelle.

Wenn heute dein Weg dich hinführt zur Quelle der Idisa, dann siehst du sie ganz nahe der Kirche und dem Schulhause von Stelzen aus einem Felsen springen und [25]in ein winziges Bächlein sich ergießen, das still und friedlich zunächst dem Dorfe zufließt, bis es in munterem Laufe seinen Weg zum Tale nimmt. Vor der Quelle findest du im Bleßbergwald noch ein freies, wundersam lauschiges Plätzchen, umrahmt und beschattet von hochstämmigen Buchen, Fichten und Edeltannen. Bei der ganzen Lage und Beschaffenheit des Platzes ist es der Phantasie leicht, Ort und Zeit, von denen die Sage dir erzählt, wieder vor’s Auge zu zaubern. Verschwunden ist der Segen der Heilkraft, von dem eine alte Überlieferung aus vorlutherischer Zeit erzählt: der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen! Das Hervorbrechen der Quelle aber und das Bächlein, das heute als Itz hinabfließt ins Tal, das als Fluß durch Wiese und Wald, durch Dorf und Stadt sich drängt, die Erde befruchtend und seine treibende Kraft in den Dienst frohtätiger Menschen stellend, ist zu einem dauernden Segen geworden: Der Name des Herrn sei gelobt!

In Stelzen zieht heute noch dann und wann die aus den Dörfern der Umgegend sich vereinende Gemeinde hinaus in den nahen, von allen guten Geistern belebten Wald, um ihrem Herrn und Gott ein Fest zu feiern. Über der Quelle ist dann eine einfache Kanzel erhöht. Die Ruhebänke ringsum werden zu Kirchenbänken, und über Priester und Gemeinde spannt sich die grüne[26] Kuppel des Waldes. Die gläubigen Herzen empfinden die Wahrheit des uralten Bibelwortes: »Gewißlich ist der Herr an diesem Ort,« und in allen Seelen bezeugt sich die Vererbung des altväterlichen, frommen Glaubens, der im geheimnisvollen Wehen und Rauschen des Waldes, im Flüstern und Sprudeln der Quellen und in allen Regungen der Natur Äußerungen des allgegenwärtigen Gottes vernahm. Man gedenkt der alten Zeiten, da die Güte und Gnade des Herrn in der Heilkraft des Idisaquells sich offenbarte, man bedenkt, daß der Herr auch im Leben und Wesen der neuen Zeit durch Wohltun und Segen sich bezeugt, und man erkennt, daß das Wort von der Offenbarung Gottes eine ewige Wahrheit ist.

Dekoration

Blick von der Veste Coburg nach dem Bleßberg.

[27]

Dekoration
Anmerkungen.

Zu Seite 3.

Schwarzenbrunn, an der Poststraße, die von Eisfeld durch den Saargrund nach Steinheid und weiter nach Neuhaus a. R. führt, kann sein Bestehen bis zum Jahre 1317 zurück nachweisen. Auch der Beweis des Vorkommens von Gold ist erbracht. Bis in die neueste Zeit fand man dort Spuren von Edelmetallen. Obwohl Herzog Ernst Friedrich I. von Hildburghausen noch 1716 einige Münzen von bei Schwarzenbrunn gefundenem Golde prägen ließ, ist ein bergmännischer Betrieb nicht im geringsten mehr lohnend. Die 1716 geprägte Münze trug auf der einen Seite neben dem Bild und Namen des Herzogs die Umschrift: »Zu Schwarzenbrunn aus der Goldwäsche. Hildburghausen 1716«; auf der anderen Seite standen die Worte:

»Der Schwarzenbrunn gibt Gold,
Dergleichen auch Schalkau,
Das Salz schenkt Lindenau,
Gott ist dem Lande hold.«

[28]

Zu Seite 3.

Werra. Das Bächlein »dringet und wirret sich gleich mit Macht und Gewalt hin und wieder, bald da herümb, bald dort herümb, durch die unwegsame und wirrsame Gründe daselbst abhin, bei anderhalb Viertelmeil wegslang, auffs Dorf Schirnroda (oberhalb Schwarzenbrunn) zu: darum es auch von den Einwohnern in, an und für dem Walde daselbst herumb von solchen vielen Vermischen und fast unsäglich wunderbaren Verwirren, das Wirre- oder Werre-Wasser und die Werra genannt wird«. (Seb. Güth, Meininger Chronica 1676.)

»In den mitlern Zeiten Vierra, Werraha, Werra, Wisera, Veseraha, Weseraha, itzo die Werra, und Weser, einer von den großen Flüssen Deutschlands«. (Chr. Junker »Anleitung zu der Geographie der mittleren Zeiten 1712«.)

Nach jetzt allgemein gültiger Annahme ist die Werra als Oberlauf der Weser anzusehen und das Wort Werra als eine Zusammenziehung von Wisera, Weseraha bezw. Werraha zu erklären. Das Schluß-a findet sich bei Flußnamen häufig; es ist eine Zusammenziehung des althochdeutschen aha = Wasser, Bach.

Die Werra wird aus zwei Quellbächen gebildet, die oberhalb Schwarzenbrunn zusammenkommen und von denen der östliche den Saargrund durchfließt. Dieser Bach wurde früher »trockene Werra« genannt, wird aber jetzt meist als Saar bezeichnet.

Zu Seite 4.

Steinheid, an der Poststraße Eisfeld-Neuhaus a. R., bis 1160 zurück nachzuweisen, einer der höchstgelegenen (814 m) Orte des Thüringer Waldes, war früher eine reiche Bergstadt. Verfallene Stollen und Schachte sind heute noch Zeugen früherer, umfangreicher bergmännischer Tätigkeit. Wenn auch in der langen Spanne Zeit,[29] die zwischen dem Eingehen der Werke und der Gegenwart liegt, bezüglich des Goldreichtums die Überlieferung etwas übertreibend und ausschmückend eingegriffen hat, so war doch der Gewinn an Gold durchaus nicht gering. Durch die Hussitenkriege (besonders um 1430) erlitt das gewerbfleißige Leben große Einbuße. Die Zerstörung der Bergwerke war eine so nachhaltige, den ganzen Ort schädigende, daß auch die von Kurfürst Johann Friedrich dem Großmütigen, von Herzog Johann Kasimir, Herzog Ernst dem Frommen und Herzog Albrecht gewährten Freiheiten und die auf gewinnbringende Regelung des Betriebs bedachten Bergordnungen eine wesentliche Förderung nicht brachten. – Im Jahre 1533 wurden die Bergwerke energisch wieder in Stand und Betrieb gesetzt, und die Jahre 1576–1580 scheinen auch wieder eine etwas höher gehende Entwicklung gebracht zu haben, aber durch den Dreißigjährigen Krieg und durch spätere Feuersbrünste kam über den Ort solches Unglück, daß er sich nicht wieder zu erholen oder auch nur annähernd zu seiner früheren Bedeutung zu erheben vermochte.

Zu Seite 22. – Vor dem Jahre 1528 stand in Steinheid eine der Mutter Gottes geweihte Kapelle (»Zu unsrer lieben Frauen Berg«), in der die vorüberziehenden Wallfahrer um gesegnete Pässe für eine glückliche und ihrem Seelenheil gedeihliche Reise vorsprachen oder auch ihre Reisepässe sich weihen ließen. Die überaus große Zahl der Besucher brachten der Kirche und dem Ort reiche Einkünfte.

Zu Seite 6.

Bären, Wölfe, Wildschweine, Luchse waren im südlichen Teil des Thüringer Waldes und in den angrenzenden Gebieten durchaus keine Seltenheit. Sie gehörten zu den friedlosen Tieren und waren jagdfrei. Ja, man machte es den Bewohnern gewisser Gegenden geradezu zur Pflicht, diese Tiere abzuschießen, um sie auszurotten. Die Bewohner von Wiesenfeld hatten z. B. die Pflicht, in ihren[30] Gemarkungen jährlich einen Wolf zu fangen, wenn sie aber deren zehn in einem Jahre erlegten, sollten sie auf zehn Jahre frei sein. (Henneberg. Urbarium ca. 1340.) Im Jahre 1656 wurden auch Gothaer Gemeinden gesetzlich zur Wolfsjagd verpflichtet. – Bei Schloß Hohenstein gibt es eine Wüstung Wolfersdorf; unsere Wohlsbach hießen früher Wolfeswac = Wolfstümpel. Auch verschiedene Flur- und Forstbezeichnungen lassen auf das Vorhandensein von Wölfen, Bären u. s. w. schließen, z. B. Wolfsrangen am Nordabhang des Festungsberges, Bärenstange, ein Forstort an der Wildbahn, Bärenhölzchen zwischen Coburg und Neuses.

1571 wurde der Förster Wolff bei Sachsendorf (direkt bei Schwarzenbrunn) von einem Bären angefallen und zerfleischt. In der Nähe des Inselsberges kam der Bär bis zum 16. Jahrhundert häufig vor. Bei Schmalkalden fanden 1587, 1592, 1594 und 1603 Bärenjagden statt, bei Brotterode 1585. Der letzte Bär in Thüringen wurde 1686 in der gothaischen Forstei Winterstein erlegt. Das Vorhandensein von Wölfen läßt sich im Thüringerwald bis 1859 nachweisen. Im Winter 1858/59 trieb sich ein Wolf vagabundierend bei Friedrichroda umher; 63 Stück Rotwild waren ihm zum Opfer gefallen. Am 6. Mai 1859 wurde er bei Heldburg erlegt. Auch 1785 war bei Heldburg ein Wolf getötet worden, der besonders unter den Schafen der Umgegend großen Schaden angerichtet hatte. Der letzte Luchs wurde am 24. März 1819 im Gothaer Revier Stutzhaus geschossen. Im Norden des Thüringer Waldes wurden Luchse im 18. Jahrhundert vielfach nachgewiesen, Wildschweine kamen da und dort noch in späterer Zeit vor.

Zu Seite 6.

Der Bleßberg, 864 m hoch, einer der höchsten Punkte des südöstlichen Thüringer Waldes, bietet eine der schönsten Rundsichten und weitesten Fernsichten über das thüringische und fränkische Land. Drei[31] Türme auf fernen Berggipfeln zeigen uns nach Norden hin aussichtsreiche Höhen des Thüringer Waldes, den etwa 24 km in der Luftlinie entfernten Adlersberg bei Suhl, den Kirchberg mit dem Fröbelturm bei Oberweißbach und die Kursdorfer Koppe. Nach Osten hin sehen wir das Fichtelgebirge, nach Westen schweift der Blick bis zu den Bergen der Rhön. Im Süden soll man die etwa 64 km entfernte Altenburg bei Bamberg sehen, man begnügt sich jedoch gern mit dem klaren Ausblick bis zum Staffelberg, bis zur Veste und Stadt Coburg, aus deren Häuserreihen man die Moritzkirche deutlich herausragen sieht. Der Bleßberg, der auf den verschiedensten Wegen bequem zu erreichen ist, war wegen seiner Aussicht zu allen Zeiten vielbesucht und war einer der ersten Berge im südlichen Teil des Thüringer Waldes, der mit einem Aussichtsturm versehen war. Der frühere, hölzerne Turm wurde schon vor mehrern Jahren durch einen eisernen ersetzt.

Zu Seite 12.

Die Sage vom Mönch auf dem Moritzturm findet sich abgedruckt bei

v. Heeringen, G., Wanderungen durch Franken, Seite 35,

Heckenhayn, Th., Lesebuch II, Seite 389,
Neues »Coburgisches Lesebuch«, 1. Teil,

Bechstein, L., Der fränkische Sagenschatz, 1. Band.

Zu Seite 16.

Der reiche Mann von Würzburg, der am Wunderbrunnen der Idisa Heilung gefunden hat, findet sich übereinstimmend in den verschiedensten Aufzeichnungen.

[32]

Zu Seite 17.

Die Kapelle Mariahilf hat verschiedene Wandlungen in ihrem Auf- und Ausbau durchgemacht und stand bis 1647. Eine Pfeilerinschrift an der Ostseite der heutigen Kirche (MCCCCLXVII Walpurgis wart angehobn diss Bau Maria) weist auf einen vorgenommenen Neubau im Jahre 1467 hin. Die gottesdienstlichen Verrichtungen besorgten vormals die Augustinermönche von Königsberg in Franken. Die erste Ansiedelung hieß Mariahilf; der Name Stelzen ist für den Ort erst später aufgekommen.

Zu Seite 17.

Wallfahrer und Wallfahrtswege. Mehrfach erwähnt wird in geschichtlichen Aufzeichnungen, daß noch im 15. Jahrhundert alljährlich Hunderte von Grafen, Rittern, Edlen und noch viele, viele aus dem gemeinen Volk zur Wunderquelle Mariahilf gewallfahrt sind. Die Hauptwege führten von Eisfeld, von Schalkau und von Steinheid aus zur Quelle. Am Wege zwischen Eisfeld und Stelzen, ganz in der Nähe des letztgenannten Ortes, steht heute noch ein etwa 2 m hoher, steinerner Bildstock aus der Wallfahrtszeit. Auch nach der Schalkauer Seite zu hatte sich bei Stelzen ein Stein als Überrest einer heiligen Station jahrhundertelang erhalten. Der angrenzende Flurteil heißt heute noch »der weiße Stein«. An der Straße von Stelzen nach Schalkau steht bei Mausendorf ein großer, eigenartig behauener Stein, der, wie die Leute sagen, »der heiligen Zeit« entstammt.

Zu Seite 18.

Stelzen. Die Annahme, daß der Ortsname von den daselbst aufbewahrten Krücken, Stöcken, Stelzbeinen herkommen kann, wird[33] bestärkt durch die Tatsache, daß noch bis zum Jahre 1830, in dem eine umfassende Reparatur der Kirche vorgenommen wurde, Stelzen u. s. w. auf dem Kirchboden des Ortes als für den Ortsnamen charakteristische Wahrzeichen aufbewahrt wurden.

Zu Seite 19.

Eisenindustrie im Hüttengrund. Schon im 15. Jahrhundert führte der zwischen Köppelsdorf und Blechhammer sich hinziehende Teil des Steinachtales auf eine Stunde lang den Namen Hüttengrund. Die Bewohner, die in ihren einzeln oder zerstreut liegenden, zuweilen auch in kleinen Gruppen zusammenstehenden Häusern bis 1848 eine Gemeinde für sich bildeten, hatten schon frühzeitig gelernt, das im Thüringer Wald gewonnene Eisen in Eisenhämmern, Blechhämmern u. a. Werken in verschiedenster Weise zu verarbeiten. Der Bergbau in Thüringen läßt sich im allgemeinen etwa bis zum Jahre 1000 zurück nachweisen; der Sage nach soll man bei Schmalkalden allerdings schon im 4. Jahrhundert Erzlager gefunden und deren praktische Ausnutzung gekannt haben. In der frühesten Zeit wurden Abbau, Schmelzen und Verarbeiten des Eisens oft von ein und derselben Person, meist von einem Schmiede im Walde, betrieben. Er grub sein Eisen selbst, schmolz es im Holzkohlenfeuer und gab ihm unter dem Druck der vom reißenden Waldbach in Betrieb gesetzten Hämmer die gewünschten Formen.

Zu Seite 23.

Vierzehnheiligen, das »fränkische Mekka«, ist noch heutzutage einer der Hauptwallfahrtsorte Bayerns. An den Hauptfesttagen »Himmelfahrt« und »Peter-Paul« (29. Juni) soll sich die Zahl[34] der Wallfahrer schon auf 50000 belaufen haben. Die wunderbare Erscheinung des von vierzehn Heiligen umgebenen Christuskindes, die ein junger Schäfer um 1445 gesehen haben will, gab dem Abt von Langheim Veranlassung zur Gründung der ersten Kapelle, die mit reichem Ablaß begnadet wurde. Im Jahre 1485 pilgerte Kaiser Friedrich III., 1518 Albrecht Dürer, 1562 Kaiser Ferdinand I. zu den vierzehn heiligen Nothelfern, von deren Wundertätigkeit zahllose Stiftungen in einer Seitenkapelle der Kirche Zeugnis geben sollen.

Zu Seite 23.

Kissingen, an der fränkischen Saale am Fuß der Ruine Bodenlaube, jetzt Weltbadeort, verdankt seine Begründung dem Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn, geboren 1544.

Zu Seite 24.

Der Schauplatz der Sage ist heute ein von Buchen, Fichten und Edeltannen beschattetes, freies, lauschiges Plätzchen am Fuße des Bleßbergwaldes. Bänke stehen ringsum, eine einfache Kanzel über der niederen Grotte weist auf irgend ein frommes Fest (Gustav-Adolf-Fest, Missionsfest u. dergl.) hin, das an dem alten Heiligtum abgehalten wurde. In früherer Zeit, bis 1750, standen am Eingang zur Grotte vier mächtige uralte Linden, deren Alter auf tausend Jahre geschätzt wurde, und die Annahme, daß schon in alter Heidenzeit hier eine den Göttern geweihte Stätte bestanden hat, ist nicht direkt von der Hand zu weisen.

[35]

Zu Seite 25.

Idisa = Itz. Früher hat man das Wort Itz vielfach auf wendischen Ursprung zurückgeführt, jedoch ist die Silbe als selbständiges Wort im Wendischen bezw. Slavischen nicht nachzuweisen. Die Slaven, in Deutschland vielfach Wenden genannt, bewohnten im 6. Jahrhundert u. a. die Gegend zwischen Thüringerwald und Main, also auch das Gebiet des heutigen Herzogtums Coburg. Der Name Wende = wind, mit einem deutschen Personennamen zusammengesetzt, findet sich südlich des Thüringer Waldes vielfach bei Ansiedelungen, in denen nach dem Zurückschlagen der Slaven unfreie, einem deutschen Herren unterworfene und zugehörige Wenden untergebracht waren. So entstand im Coburgischen Ottowind, dicht an der Grenze Rückerswind, Almerswind, Herbartswind, nicht weit von der Grenze Gundelswind, Poppenwind u. a. Die Endung itz in unseren Ortsnamen Creidlitz, Meischnitz, Mödlitz und in den uns mehr oder weniger benachbarten Mürschnitz, Schierschnitz, Käßlitz, Föritz, Köditz, Oberloquitz, Siegritz, Eichitz, Marktgölitz-Schwürbitz, Mitwitz, Redwitz, Kirchenlamitz, Teuschnitz u. v. v. a. wird gern als ein Rest ursprünglich slavischer Benennung bezw. für den Ort als ein Beweis slavischen Ursprungs angesehen. Wie schon erwähnt, bestreitet man bei dem selbständigen Wort Itz eine Abstammung aus dem Slavischen und nimmt eine Ableitung aus dem Deutschen an. »Die ältesten überlieferten Formen des Namens lauten Itesa (Schannat, corpus traditionum Fuldensium), um 1071 Itisa (Sprenger, Banz 1050–1251), um 1227 Ytisa und Itysa (Sprenger, Banz). Slavischen Charakter tragen diese Formen nicht, vielmehr lassen sie mit Wahrscheinlichkeit eine Erklärung aus dem Deutschen zu, indem das Wort als ein Kompositum aus ahd. itis und aha betrachtet werden kann. Itis (starkes Femininum) bedeutet eine hehre, ehrwürdige Frau; nach Grimm, Mythol. 372 scheint es schon in frühster Zeit gleich dem griechischen νύμφη (Nymphe) vorzugsweise auf übermenschliche Wesen angewandt worden zu sein, die geringer als Göttinnen, höher als irdische Frauen angesehen wurden. Vergleiche auch[36] den Merseburger Zauberspruch, der beginnt: eiris sâzun idisî … (= einst setzten sich Idise). Aha ist schon früh in einfaches a übergegangen, wie denn z. B. Steinaha (die Steinach) im 10. Jahrhundert Steina heißt …« – Siehe auch Anm. Werra, Seite 28. – »Danach bedeutete Itisaha, Itisa das Wasser göttlicher Jungfrauen«. (Dr. F. Riemann, die Ortsnamen des Herzogtums Coburg.)

Itzquelle

Druck: Union, Coburg.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

Korrekturen:

S. 30: Wustung → Wüstung
Hohenstein gibt es eine Wüstung Wolfersdorf