Title: Lehrbuch der Toxikologie für Tierärzte
Author: Eugen Fröhner
Release date: October 4, 2022 [eBook #69094]
Most recently updated: October 19, 2024
Language: German
Original publication: Germany: Verlag von Ferdinand Enke
Credits: Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1910 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
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Der Punkt ‚Anhang. Diverse andere Giftpflanzen’ im Inhaltsverzeichnis der Originalvorlage wurde, entsprechend der Struktur des Buches, in die Punkte ‚Diverse andere Giftpflanzen’ und ‚Anhang. Die Giftpflanzen nach dem Familiensystem geordnet’ aufgeteilt.
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TOXIKOLOGIE
FÜR
TIERÄRZTE.
VON
DR. MED. EUGEN FRÖHNER,
GEH. REGIERUNGSRAT UND PROFESSOR AN DER K. TIERÄRZTLICHEN HOCHSCHULE ZU BERLIN.
Dritte umgearbeitete Auflage.
STUTTGART
VERLAG VON FERDINAND ENKE
1910.
Das Übersetzungsrecht wird vorbehalten.
Druck der Hoffmannschen Buchdruckerei in Stuttgart.
[S. v]
In den letzten zehn Jahren hat auch die Toxikologie viele neue Forschungen und Beobachtungen zu verzeichnen. Die Arbeiten auf dem Gebiete der allgemeinen Toxikologie behandeln vor allem die Frage der elementaren Giftwirkung, die feineren Veränderungen der Ganglienzellen bei der Narkose, die Wirkung der Blutgifte (Hämolysine), die toxische Leukozytose und Glykosurie. Im speziellen Teil haben zahlreiche neue Experimentaluntersuchungen über Mineral- und Pflanzengifte, sowie sehr viele kasuistische Mitteilungen über Vergiftungen bei den Haustieren Aufnahme gefunden. Sie betreffen z. B. die Unempfindlichkeit der Wiederkäuer gegenüber der Digitalis, die Vergiftungen durch indische Rübkuchen, blausäurehaltige ausländische Bohnen und Futterkalk, die chemischen Bestandteile und die physiologische Wirkung der Kornrade, das angebliche Vorkommen der Kainitvergiftung beim Wild, das Vergiften des Raubzeugs durch Strychnin, die Gefährlichkeit der Aloe bei gleichzeitiger Verabreichung anderer Abführmittel (Brechweinstein, Kalomel), die Frage der Schachtelhalm- und Pilzvergiftung, die neuen Forschungen über Schlangengifte, die Vergiftungen durch Rizinussamen und Filmaron, Naphthalin und Naphthol, Kokain und Arekolin. Neu aufgenommen wurden endlich die Vergiftungen durch Rainfarnkraut, Wiesenschaumkraut, Jakobskraut, Kornblumen, Kleeseide, Brennesseln, Hopfendolden, Mohrrüben, Melasse u. a.
Berlin, im März 1910.
E. Fröhner.
[S. vi]
Die Herausgabe einer tierärztlichen Toxikologie ist mir von verschiedenen Seiten nahegelegt worden. Mit Rücksicht auf diese Anregungen und in Erwägung des Umstandes, dass wir in der Tierheilkunde ein selbständiges Lehrbuch der Giftlehre nicht besitzen, dass vielmehr die Toxikologie bisher immer nur anhangsweise in den tierärztlichen Lehrbüchern der speziellen Pathologie, Diätetik, Pharmakologie und gerichtlichen Tierheilkunde zur Geltung gekommen ist, habe ich den Versuch gemacht, unter Sammlung der wichtigsten klinischen und experimentellen Tatsachen und mit Hinzufügung einiger eigener Beobachtungen die tierärztliche Toxikologie besonders zu bearbeiten. Von tierärztlichen Quellen, welche mir hierbei zu Gebote standen, sind zu erwähnen die ausgezeichnete Darstellung der Vergiftungen in dem Gerlachschen Handbuch der gerichtlichen Tierheilkunde (1872), die sehr instruktive Bearbeitung der Giftpflanzen in dem Dammannschen Handbuch der Gesundheitspflege, die kurze Zusammenstellung der wichtigsten Vergiftungen in dem von Friedberger und mir herausgegebenen Lehrbuche der speziellen Pathologie, endlich die kasuistischen Veröffentlichungen der periodischen tierärztlichen Literatur, von welchen als besonders reichhaltig die „Mitteilungen aus der tierärztlichen Praxis im preussischen Staate“ hervorzuheben sind. Von medizinischen Quellen habe ich die toxikologischen Werke von Kobert, Lewin, Husemann, Böhm, Kunkel, Hermann und Dragendorff zu nennen.
Bei der Sichtung und Bearbeitung des Stoffes habe ich vorwiegend die praktischen Zwecke des Tierarztes im Auge behalten. Gifte, welche zur Zeit keinerlei praktisches, sondern nur wissenschaftlich-toxikologisches Interesse haben, wie Kurare, Pikrotoxin,[S. vii] Santonin und andere, sind in den speziellen Teil nicht aufgenommen worden. Dagegen haben die für die tierärztliche Praxis wichtigen Vergiftungen nach Aetiologie, Symptomatologie, Sektionsbefund, Behandlung, Nachweis und Kasuistik ihrer Bedeutung entsprechend angemessene Berücksichtigung gefunden.
Bezüglich der Einteilung der Gifte begegnet man denselben Schwierigkeiten, wie bei der Einteilung der Arzneimittel. Die idealste Gruppierung wäre auch in der Toxikologie diejenige, welche die chemische und physiologische Verwandtschaft der einzelnen Gifte zur Grundlage nimmt (Digitalisgruppe, Atropingruppe, Nikotingruppe, Blutgifte, Herzgifte). Diese Einteilung lässt sich indessen bei der Vielseitigkeit der einzelnen Gifte nicht durchführen. Das Chloroform z. B. ist ebenso gut ein Blutgift, als ein Herzgift und Nervengift. Ich bin deshalb zu der einfachsten Einteilung in mineralische, pflanzliche und tierische Gifte zurückgekehrt, obwohl sich auch hier manche Gifte, wie z. B. der Alkohol oder das Chloroform schwer einreihen lassen. Vielleicht sind in späteren Zeiten mit dem Fortschritte der einer höheren Entwicklung noch sehr wohl fähigen Toxikologie auch diese Mängel leichter zu beseitigen als heutzutage.
Berlin, im Mai 1890.
E. Fröhner.
[S. viii]
Seite
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Vorwort
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Einleitung
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Allgemeine Toxikologie
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Der Begriff Gift
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Einteilung der Gifte
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Allgemeine Aetiologie der Vergiftungen
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Modifikation der Giftwirkung
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Wirkungsweise und Schicksale der Gifte
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Klinisch-anatomische Diagnose der Vergiftungen
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Chemisch-physikalischer Nachweis der Vergiftungen
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Der physiologische Nachweis der Vergiftungen
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Allgemeine Prognose der Vergiftungen
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Die Behandlung der Vergiftungen
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Spezielle Toxikologie
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I. Mineralische Gifte
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Phosphorvergiftung
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Arsenikvergiftung
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Bleivergiftung. Saturnismus
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Quecksilbervergiftung. Merkurialismus
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Kupfervergiftung
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Zinkvergiftung
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Brechweinsteinvergiftung
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Sonstige Metallvergiftungen
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Kochsalzvergiftung
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Salpetervergiftung
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Glaubersalzvergiftung
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[S. ix]
Kainitvergiftung
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Vergiftung durch Barytsalze
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Vergiftung durch chlorsaures Kali
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Vergiftung durch Aetzalkalien
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Vergiftung durch ätzende Säuren
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Vergiftung durch Essigsäure
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Vergiftung durch Oxalsäure
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Jodoformvergiftung
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Karbolsäurevergiftung
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Petroleumvergiftung
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Kohlenoxydvergiftung
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Leuchtgasvergiftung
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Schwefelwasserstoffvergiftung
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Alkoholvergiftung
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Chloroformvergiftung
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II. Pflanzliche Gifte
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Kolchikumvergiftung
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Klatschrosenvergiftung
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Nikotinvergiftung
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Strychninvergiftung
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Vergiftung durch Kornrade
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Vergiftung durch Kichererbsen
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Vergiftung durch Taxus
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Vergiftung durch Buchsbaum
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Vergiftung durch Digitalis
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Vergiftung durch Oleander
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Vergiftung durch Goldregen
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Vergiftung durch Helleborus
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Vergiftung durch Veratrin
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Vergiftung durch Akonit
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Vergiftung durch Atropin
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Vergiftung durch Bilsenkraut
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Vergiftung durch Stechapfel
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Vergiftung durch Kokain
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Vergiftung durch Ranunkeln
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Vergiftung durch Bingelkraut
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Vergiftung durch Wolfsmilch
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Vergiftung durch Fleckschierling
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Vergiftung durch Wasserschierling
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Vergiftung durch Gartenschierling
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Vergiftung durch Blausäure
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Vergiftung durch Kartoffelkeime (Solaninvergiftung)
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[S. x]
Vergiftung durch Taumellolch
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Vergiftung durch Flachs
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Vergiftung durch Eserin
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Vergiftung durch Pilokarpin
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Arekolinvergiftung
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Vergiftung durch Bucheckern-Oelkuchen
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Vergiftung durch Sauerampfer
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Vergiftung durch Narzissus
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Vergiftung durch Seidelbast
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Vergiftung durch Rhododendron
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Vergiftung durch Oenanthe crocata
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Vergiftung durch Schöllkraut
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Vergiftung durch Arum maculatum
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Vergiftung durch Asklepias vincetoxicum
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Vergiftung durch Stephanskörner
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Vergiftung durch Taumelkerbel
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Vergiftung durch Steinklee (Kumarin)
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Vergiftung durch Flachsseide
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Vergiftung durch Antirrhinum majus
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Vergiftung durch Terpentinöl
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Vergiftung durch Sadebaum
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Vergiftung durch Kampfer
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Vergiftung durch senfölhaltige Kruziferen
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Vergiftung durch Pfeffer
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Vergiftung durch Aloe
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Vergiftung durch Rizinuskuchen
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Vergiftung durch Krotonöl
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Vergiftung durch die Semina Ricini majoris
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Vergiftung durch Robinia pseudoacacia
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Vergiftung durch Kreuzdornbeeren
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Vergiftung durch Podophyllin
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Vergiftung durch Eicheln
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Vergiftung durch Filixextrakt
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Vergiftung durch Santonin
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Vergiftung durch Adlerfarnkraut
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Vergiftung durch Rainfarnkraut
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Vergiftung durch Lupinen
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Vergiftung durch Wicken und Platterbsen
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Vergiftung durch Schachtelhalm
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Vergiftung durch Buchweizen
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Vergiftung durch Wachtelweizen
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Vergiftung durch Baumwollsaatkuchen
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Vergiftung durch Mutterkorn
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[S. xi]
Vergiftung durch Schimmelpilze
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Vergiftung durch Brandpilze
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Vergiftung durch Rostpilze
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Vergiftung durch Kernpilze
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Ptomainevergiftung (Fleischvergiftung)
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Vergiftung durch Giftschwämme
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Diverse andere Giftpflanzen
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Anhang. Die Giftpflanzen nach dem
Familiensystem geordnet
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III. Tierische Gifte
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Kantharidenvergiftung
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Vergiftung durch Schlangenbisse
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Vergiftung durch Bienenstiche
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Register
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[S. 1]
Die Toxikologie, die Lehre von den Giften und ihren Wirkungen auf den Tierkörper (τόξον = Gift; intoxicatio = Vergiftung) bildet neben der Pharmakologie (Lehre von den Arzneimitteln) ein eigenes Fach, das für den Tierarzt fast noch wichtiger ist, als für den Menschenarzt. Die tierärztliche Toxikologie hat nämlich ausser der rein wissenschaftlichen Seite zahlreiche praktische Beziehungen zur Diätetik und Landwirtschaft, zur Seuchenlehre und Veterinärpolizei, sowie zur gerichtlichen Tierheilkunde. Für die Landwirtschaft haben namentlich seit der Einführung neuer Futtersurrogate und künstlicher Düngermittel, sowie mit der Zunahme der Futterverfälschungen die sog. Futtervergiftungen praktische Bedeutung erlangt. Es sei hier nur an die zahlreichen Fälle von Vergiftung durch Baumwollsamen, Rizinuskuchen, Senföl haltige Futterkuchen, Chilisalpeter, Befallungspilze, verdorbenes Futter usw. erinnert. Für die Veterinärpolizei sind verschiedene Vergiftungen von differentialdiagnostischem Interesse wegen der Aehnlichkeit ihrer Symptome mit dem Krankheitsbild gewisser Tierseuchen. Beispiele hierfür sind die Pilz- und Fleischvergiftung (Milzbrand, Rinderpest, Schweinerotlauf), die Mutterkornvergiftung (seuchenhafter Abortus), die Bleivergiftung (Wut) und die Quecksilbervergiftung (Maul- und Klauenseuche, Pocken). Die Toxikologie ist ausserdem für das Verständnis der Pathogenese vieler Seuchen von grundlegender Bedeutung geworden, weil die meisten Infektionskrankheiten pathogenetisch als Intoxikationen aufzufassen sind, d. h. als Vergiftungen durch die von den Infektionserregern (Bakterien) erzeugten Gifte (Toxine). Für die gerichtliche Tierheilkunde sind die sog. Medizinalvergiftungen als Gegenstand der technischen Begutachtung (Entschädigungsklagen seitens der Tierbesitzer) von[S. 2] praktischer Bedeutung. Dieselben sind gewöhnlich auf Fehler in der Dosierung bei der Anwendung stark wirkender Mittel zurückzuführen. Die Häufigkeit dieser Kunstfehler wächst mit der Einführung neuer Applikationsmethoden. Im übrigen ist dieser Zweig der praktischen Toxikologie auch früher schon als sehr wichtig erkannt worden, wie insbesondere die ausführliche Abhandlung der Vergiftungen in der gerichtlichen Tierheilkunde von Gerlach (1872) beweist.
Die Toxikologie zerfällt in einen allgemeinen und einen speziellen Teil. Während die allgemeine Toxikologie Betrachtungen über den Begriff und die Einteilung der Gifte, über Ursachen und Pathogenese der Vergiftungen, über Abhängigkeit der Giftwirkung von inneren und äusseren Verhältnissen, über Erkennung, Behandlung und Nachweis der Vergiftungen ganz im allgemeinen enthält, hat sich die spezielle Toxikologie mit der Aufzählung und Beschreibung der einzelnen Gifte, sowie mit den Veranlassungen, den Krankheitserscheinungen, dem pathologisch-anatomischen Befunde, der Behandlung und dem Nachweise der einzelnen Vergiftungen zu befassen. Die spezielle Toxikologie baut sich mithin ähnlich wie die Pathologie und Chirurgie auf einer Reihe klinischer Fälle auf und hat mit diesen Disziplinen ausserdem noch das gemein, dass sie gleichzeitig auch die Therapie in sich schliesst. In diesem Sinne kann man die Toxikologie wohl auch bezeichnen als die spezielle Pathologie und Therapie der Vergiftungen.
[S. 3]
Je nach dem individuellen Standpunkt kann man den Begriff „Gift“ auf sehr verschiedene Weise definieren. Der Kliniker, der Pharmakologe, der Apotheker, der Jurist und schliesslich der Laie verbinden mit dem Worte Gift verschiedenartige Vorstellungen. Deshalb ist es schwer, eine allgemein gültige und nach allen Richtungen zutreffende Begriffsbestimmung zu geben. Man kann die Schwierigkeiten der Definition dadurch vermindern, dass man zwischen Giften im weiteren und solchen im engeren Sinne unterscheidet. Gifte im weiteren Sinne können alle diejenigen chemisch wirkenden Stoffe genannt werden, auf welche der Körper bezw. das tierische Protoplasma durch Krankheitserscheinungen reagiert. Hierher würden fast alle differenten Arzneimittel gehören. Aber auch Stoffe, welche an und für sich unschädlich und sogar zum Aufbau und Fortbestand des Tierkörpers unumgänglich notwendig sind, wirken unter Umständen durch ihre Menge oder zu starke Konzentration giftig, so das Kochsalz, die Kalisalze, das Fleischextrakt, die Eisensalze, die Salzsäure. Es können ferner ganz indifferente Stoffe, wie das destillierte Wasser oder das Glyzerin, dadurch schwere Vergiftungserscheinungen herbeiführen, dass sie in Abweichung von dem gewöhnlichen Wege der Einverleibung mittels intravenöser Injektion direkt mit dem Blut in Berührung kommen und die roten Blutkörperchen auflösen (Hämoglobinämie). Auch andere, an sich unschädliche Stoffe erzeugen bei einzelnen Individuen Vergiftungserscheinungen, so z. B. der Buchweizen bei unpigmentierten Tieren. Ausserdem würden hierher die Fälle von sog. Idiosynkrasie zu rechnen sein. Früher hat man wohl auch[S. 4] als Vergiftung aufgefasst das Einbringen von Milch, Oel und sonstigen unlöslichen Stoffen in die Venen, wodurch lediglich eine mechanische Verstopfung der Lungenkapillaren mit ihren Folgezuständen bedingt wird. Endlich hat man in der Pathologie die Infektionsstoffe als Gifte bezeichnet; man vergleiche die Ausdrücke „Blutvergiftung“, „Rotzgift“, „Pockengift“. Danach müssten eigentlich auch die pathogenen Bakterien an sich als Gifte im weiteren Sinne des Wortes dem System der Toxikologie einverleibt werden.
Die angeführten Beispiele zeigen, wie notwendig es im praktischen Interesse ist, den Begriff Gift einzuschränken.
Als Gifte im engeren, eigentlichen Sinne dürfen nur solche Stoffe bezeichnet werden, bei welchen die nachfolgenden Voraussetzungen zutreffen:
1. Die Wirkung auf den Körper muss eine rein chemische sein, physikalische Wirkungen sind ausgeschlossen.
2. Die betreffenden Stoffe müssen schon in verhältnismässig geringer Menge erheblich gesundheitsschädlich wirken (das Kochsalz ist in diesem Sinne kein Gift, weil es nur in grossen Dosen eine Vergiftung bedingt).
3. Die Giftwirkung muss schon bei der gewöhnlichen Art der Einverleibung (Magen, Lunge, Haut) zustande kommen, nicht erst bei intravenöser, intraperitonealer oder subkutaner Applikation.
4. Der Stoff muss bei der überwiegenden Mehrzahl der Tiere, nicht bloss bei einzelnen (Idiosynkrasie) giftig wirken.
5. Eine Organisation dürfen die betreffenden Stoffe nicht besitzen; sie dürfen also nicht wie die Bakterien Lebewesen sein. Dagegen können sie von belebten Organismen abstammen (Pflanzengifte, Bakteriengifte, Tiergifte).
Danach lautet die Definition: Gifte im engeren Sinne sind solche unbelebte Stoffe, welche auf chemischem Wege schon in sehr geringer Menge und bei gewöhnlicher Art der Einverleibung regelmässig erhebliche Störungen der Körperfunktionen hervorrufen.
Giftgesetze. In Deutschland ist die Abgabe von Giften im Handel, in den Apotheken und seitens der Tierärzte durch verschiedene gesetzliche Bestimmungen geregelt. Die wichtigsten sind folgende: 1. Das Gesetz betr. den Handel mit Giften vom 29. November 1894 enthält die Vorschriften für den gewerbsmässigen Handel mit Giften (Aufbewahrung und Abgabe der Gifte, Ungeziefermittel). Dieses Giftgesetz ist abgeändert worden durch den Beschluss des Bundesrats vom 1. 2. 06 betr. die Aufnahme[S. 5] des Lysols und anderer Kresolseifenlösungen in das Verzeichnis der Gifte (der Handel mit Kreolin wird durch diese Bestimmung nicht betroffen). 2. Das Gesetz betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen vom 25. Juni 1887 sowie betr. die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben vom 5. Juli 1887. 3. Das Deutsche Strafgesetzbuch (Vergiftung, fahrlässige Tötung). 4. Das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 („gesundheitsschädlich“, § 12). 5. Die Kaiserliche Verordnung betr. den Verkehr mit Arzneimitteln vom 22. Oktober 1901 (die im Verzeichnisse B aufgeführten Mittel dürfen nur in Apotheken feilgeboten oder verkauft werden). 6. Die Bundesratsvorschriften betr. die Abgabe stark wirkender Arzneimittel, sowie die Beschaffenheit und Bezeichnung der Arzneigläser und Standgefässe in den Apotheken vom 13. Mai 1896. 7. Das Deutsche Arzneibuch, 4. Ausgabe, enthält in Tabelle B „die gewöhnlich Gifte genannten Arzneimittel, welche unter Verschluss und sehr vorsichtig aufzubewahren sind (Arsenik, Atropin, Homatropin, Hydrargyrum bichloratum, bijodatum, cyanatum, oxydatum, praecipitatum album, salicylicum, Liquor Kalii arsenicosi, Sublimatpastillen, Phosphor, Physostigmin, Skopolamin, Strychnin und Veratrin)“. 8. Das tierärztliche Dispensierrecht gestattet in Preussen nach der Ministerialverfügung vom 23. Juli 1833 die Verabreichung der Arzneimittel in tierärztlichen Hausapotheken „mit Ausschluss der Gifte“ (Tabelle B des Deutschen Arzneibuchs).
Man kann die Gifte nach ihrer Abstammung, Zusammensetzung und Wirkung in verschiedene Gruppen einteilen. Eine rein äusserliche Einteilung, welche aber den Vorzug der Uebersichtlichkeit und Einfachheit besitzt und sich deshalb auch für die vorwiegend praktischen Zwecke des vorliegenden Lehrbuches am besten eignet, ist die in mineralische, pflanzliche und tierische Gifte. Eine andere Einteilung unterscheidet zwischen Arzneigiften, d. h. solchen, welche gleichzeitig als Arzneimittel benützt werden, und Nahrungsgiften, also solchen, welche mit der Nahrung, namentlich von den Pflanzenfressern, aufgenommen werden. Von Bedeutung ist ferner die Einteilung in Fremdgifte, d. h. von ausserhalb des Tierkörpers stammende, und Selbstgifte, d. h. im Tierkörper selbst entstehende Gifte (Autointoxikation). Besonders wichtig sodann ist die Einteilung der Gifte nach ihrer Wirkung. Danach hat man früher die Gifte in drei grosse Gruppen geteilt: die scharfen (Acria), die narkotischen (Narcotica) und die scharfnarkotischen Gifte (Acria-Narcotica). Als scharfe Gifte bezeichnete man solche, welche am Orte der Applikation (Haut, Digestionsschleimhaut) eine ätzende (korrosive) oder stark reizende (irritierende) Wirkung äussern und hauptsächlich hierdurch[S. 6] giftig wirken. Hierher gehören die ätzenden Alkalien und Säuren, der Brechweinstein, der Sublimat und andere Metallsalze, die Kanthariden, das Krotonöl, Euphorbium, Senföl, Terpentinöl. Dagegen verstand man unter narkotischen (neurotischen) Giften solche, welche ohne Lokalwirkung im wesentlichen nur durch eine Beeinflussung des Nervensystems giftig wirken, wie Strychnin, Morphin, Eserin, Arekolin, Pilokarpin, Solanin, Blausäure, Chloroform, Kohlenoxyd. Scharfnarkotische endlich nannte man solche Gifte, welche zuerst am Ort der Applikation, insbesondere im Magen und Darm, eine lokale reizende Wirkung, und später nach ihrer Resorption ausserdem noch eine allgemeine Einwirkung auf das Nervensystem besitzen: Kolchikum, Digitalis, Veratrin, Tabak, Akonit, Ranunkeln, Buchsbaum, Eibenbaum, Karbolsäure, Kresole, Bleisalze.
Die neuere wissenschaftliche Toxikologie legt ihrer Einteilung die Wirkung der Gifte auf die einzelnen Körperorgane zugrunde. Danach lassen sich folgende Gruppen unterscheiden:
1. Herzgifte: Digitalisglykoside, Szillaglykoside, Strophanthin, Oleandrin, Helleborein, Konvallamarin, Adonidin, Antiarin, Thevetin, Nerein, Koffein, Chloroform, Kalisalze, Baryumsalze, Pilokarpin, Arekolin, Nikotin. 2. Blutgifte: Kalium chloricum, Natrium und Kalium nitrosum, Pyrogallussäure, Arsenwasserstoff, Nitrobenzol, Amylnitrit, Paraldehyd, Chloroform, Saponin, Rizin, Abrin, Phallin, Helvellasäure, Kohlenoxyd, Toluylendiamin. 3. Gehirngifte: Morphin, Atropin, Hyoszin, Taxin, Zytisin, Alkohol, Chloroform etc. 4. Rückenmarksgifte: Strychnin, Bruzin, Thebain, Nikotin, Kornutin etc. 5. Muskelgifte: Blei, Kupfer, Purinstoffe (Koffein), Veratrin, Kalisalze, Barytsalze. 6. Stoffwechselgifte: Blausäure, Phosphor, Arsenik. 7. Uterusgifte: Sekale. 8. Darmgifte: Eserin, Arekolin, Chlorbaryum. 9. Drüsengifte: Pilokarpin, Arekolin, Quecksilber. 10. Nierengifte: Kanthariden, Terpentinöl, Kolchikum, Quecksilber, Kupfer, Blei, Wismut, Jod, Jodoform, Aloin, Salizylsäure.
Auch nach der chemischen Verwandtschaft und physiologischen Wirkung lassen sich die Gifte einteilen. So spricht man von einer Atropingruppe (Atropin, Hyoszin), Nikotingruppe (Nikotin, Eserin, Pilokarpin, Arekolin, Muskarin), Digitalisgruppe (Digitoxin, Szillitoxin, Strophanthin, Oleandrin, Helleborin, Konvallamarin, Spartein, Adonidin), Koniingruppe (Koniin, Kurare), Morphingruppe (Morphin, Kodein, Heroin, Dionin, Peronin, Papaverin, Narzein), Strychningruppe (Strychnin,[S. 7] Akonitin, Bruzin), von Baryum-, Blei-, Kupfer-, Quecksilbervergiftung usw. Eine systematische, auf physiologischer Grundlage aufgebaute Einteilung der Gifte ist z. B. von Loew (1893) versucht worden. Die physiologische Wirkung der einzelnen Gifte zeigt jedoch nach Dosis und Tiergattung sehr grosse Verschiedenheiten.
Eine eigenartige Gruppe von Giften bilden endlich die in abgestorbenen oder kranken Organen von Tieren und Pflanzen entstehenden giftigen Umsetzungsprodukte oder metabolischen Gifte (Ptomaine, Toxine, Fäulnisgifte, Bakteriengifte, Nahrungsgifte).
Autointoxikation. Mit dem Namen Autointoxikation (endogene Intoxikation, Toxikose) bezeichnet man die Selbstvergiftung durch einen im Innern des Körpers selbst gebildeten (nicht von aussen eingeführten) und ins Blut resorbierten Giftstoff. Solche Giftstoffe sind vor allem beim normalen Stoffwechsel entstehende Zersetzungsprodukte des Eiweisses, Fettes und Zuckers, nämlich die Kohlensäure, sowie die zahlreichen im Harn und in der Galle ausgeschiedenen Stoffwechselprodukte, namentlich verschiedene Harnbasen, Harnstoff, Harnsäure und Gallensäuren. Die durch die genannten Selbstgifte hervorgerufenen Krankheitserscheinungen (Erstickung, Urämie, Ammoniämie, Gicht, Cholämie) sind als Autointoxikationen aufzufassen, welche durch Zurückhaltung der giftigen Stoffwechselprodukte im Körper entstehen (sog. Retentionstoxikosen). Die Pathogenese dieser Autointoxikationen, insbesondere der Urämie und Cholämie, sind übrigens noch wenig erforscht (Vorstufen des Harnstoffs und der Gallensäuren?). Eine andere Gruppe von Autointoxikationen wird durch abnorme Umsetzungsprozesse im Blut und in den tätigen Körperorganen verursacht. Hierher gehört die übermässige Bildung von Traubenzucker, sowie das Auftreten der Oxybuttersäure und Azetessigsäure bei der Zuckerharnruhr (sog. Produktionstoxikosen oder Nosotoxikosen). Wahrscheinlich ist auch die Hämoglobinämie der Pferde und die Gebärparese der Rinder eine derartige, durch die Bildung abnormer Stoffwechselprodukte im Körper (Muskel, Euter) veranlasste Autointoxikation. Aehnliche Vorgänge scheinen bei der Verbrennung stattzufinden (giftige Zersetzungsprodukte des Blutes und der verbrannten Gewebe). Auch die Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie) hat eine schwere Autointoxikation zur Folge (Cachexia strumipriva); man führt dieselbe auf abnorme innere Sekretionsvorgänge zurück (dyskrasische Autointoxikation). Eine letzte Form der Resorptions-Autointoxikation bilden die sog. Intestinaltoxikosen (enterogene Autointoxikation), Selbstvergiftungen durch Giftstoffe, welche von den normal im Darmkanal vorhandenen, nicht pathogenen Fäulnisbakterien (Saprophyten) gebildet werden. Ein Beispiel hierfür ist der bei der Fäulnis des Darminhaltes schon unter normalen Verhältnissen entstehende, giftig wirkende Schwefelwasserstoff. Dagegen können die analogen, bei der Einwirkung pathogener Mikroorganismen (Milzbrand, Rotlauf, Starrkrampf usw.) im Tierkörper entstehenden Toxine nicht zu den Autointoxikationen gerechnet werden, da bei ihnen die giftproduzierenden Bakterien von aussen in den Tierkörper gelangt sind (septische Intoxikation).
[S. 8]
Die Ursachen der Vergiftungen bei unseren Haustieren sind sehr mannigfaltiger Art. Die wichtigsten Veranlassungen sind:
1. Die Aufnahme von Giftpflanzen seitens der Pflanzenfresser durch die Nahrung. Trotz fortgesetzter Ausrottung der giftigen Gewächse, namentlich auf Weiden, Wiesen und Feldern, sowie trotz der instinktiven Fähigkeit der Herbivoren, giftige von ungiftigen Pflanzen zu unterscheiden — eine Fähigkeit, welche allerdings bei anhaltender Stallfütterung und zunehmender Domestikation abzunehmen scheint — ist die Zahl der Vergiftungsfälle infolge der Aufnahme giftiger Pflanzen alljährlich immer noch sehr bedeutend. Die gefährlichsten dieser Giftpflanzen sind die Herbstzeitlose, der Fingerhut, der wilde Mohn, die Kornrade, die Kichererbse, der Tabak, die Nieswurz, der Eibenbaum, der Buchsbaum, der Sturmhut, der Schierling, die Tollkirsche, das Bilsenkraut, der Stechapfel, das Bingelkraut, der Taumellolch, der Oleander, die Narzissusarten, Ranunkeln, Eupborbien, Daphne, sowie verschiedene terpentinölhaltige Pflanzen. Aber auch für gewöhnlich ungiftige Pflanzen können unter Umständen den Charakter von Giftpflanzen annehmen, z. B. die Lupinen. Die wirksamen Bestandteile der Giftpflanzen sind namentlich Alkaloide (über 150 bekannt) und Glykoside, ausserdem ätherische Oele und Säuren.
2. Die Aufnahme verdorbener Nahrungsmittel. Hierher gehört in erster Linie die Ansiedlung von Schimmelpilzen, Rostpilzen und Brandpilzen auf den verschiedenen Futtersorten und auf dem Streumaterial. Sodann sind namentlich die Fabrikationsrückstände und Surrogate: Schlempe, Rübenschnitzel, Malzkeime, Biertreber, die verschiedenen Oelkuchen, das Palmkernmehl, Baumwollsaatmehl usw., sowie die Rückstände der Haushaltung in der Form des sog. Spülichts und der Küchenabfälle sehr häufig der Verderbnis unterworfen. Weiter sind hierher zu zählen die Vergiftungen, welche durch Verfütterung von verdorbenem Fleisch, verdorbenen Wurstwaren, faulenden Fischen, altem Käse bedingt werden; sog. Fleisch-, Wurst-, Fisch-, Käsevergiftung. Auch die Vergiftung durch Heringslake ist zum Teil hierher gehörig.
3. Die Nähe von Fabriken und sonstigen gewerblichen Anlagen, in welchen Gifte verarbeitet werden. Am gefährlichsten sind in dieser Beziehung Blei-, Silber- und Kupferbergwerke, welche teils durch ihre Metalle (Blei), teils durch ihren Gehalt an Arsenik[S. 9] (Freiberger Hütten in Sachsen) in weitem Umkreis das Leben der Haustiere gefährden. Manche dieser Metalle gehen sogar in Form organischer Verbindungen in die Pflanzen über und veranlassen so indirekt bei Pflanzenfressern Vergiftungen. So erzeugt in Kärnten das auf Bleiglanz und Galmei wachsende Gras Monilia coerulea bei weidenden Tieren Saturnismus; seine Asche enthält nämlich 2 Prozent Bleioxyd = 0,05 Prozent der ganzen Pflanze = 50 gr Bleioxyd in 100 kg Gras. Aehnliches kommt bei barythaltigen Pflanzen vor. Auch fliessende Gewässer können entweder durch Fabrikanlagen verdorben (Vergiftung auch der Fische) oder infolge Aufnahme giftiger Metalle aus dem umgebenden Erdreich nach weiten Entfernungen hin schädlich werden, wie z. B. der Bleibach in der Rheinprovinz und die ebenfalls bleihaltige Innerste in der Provinz Hannover. In ähnlicher Weise bieten auch Gasanstalten (Vergiftungen durch Gaswasser, Einatmen von Leuchtgas), Kohlenbergwerke (Grubengasvergiftung), Brennereien (Alkoholvergiftungen) und andere gewerbliche Etablissements, ja selbst einfache Feuerungseinrichtungen (Kohlenoxydgas) Gelegenheiten zu Vergiftungen.
4. Therapeutische Kunstfehler, namentlich Fehler in der Dosierung und in der Anwendung der verschriebenen Medikamente. Derartige „Arzneivergiftungen“ kommen infolge falscher Dosierung hauptsächlich bei stark wirkenden Medikamenten, so bei der Verordnung des Phosphors, des Arseniks, des Brechweinsteins, der Aloë, des Krotonöls, der Kanthariden, des Sublimats, Chlorbaryums, des Kalomels, der grauen Quecksilbersalbe, des Extractum Filicis, sowie der Alkaloide Strychnin, Veratrin, Eserin, Pilokarpin, Arekolin und Morphin vor. Fehler in der Anwendung ereignen sich am häufigsten bei äusserlicher Applikation, so bei zu ausgedehnter Teer- oder Karboleinreibung, ferner beim Baden räudekranker Schafe (Arsenik-, Tabak-, Sublimat-, Karbolbäder), sowie bei intravenöser (Chloralhydrat, Chlorbaryum) und intratrachealer Applikationsmethode (Strychnin). Auch die Nichtbeachtung gewisser diätetischer und anderer Massregeln, z. B. die Erlaubnis zum Einspannen von Pferden, welchen ein Drastikum verordnet wurde, das gleichzeitige Verabreichen von Brechweinstein und Aloë gegen Spulwürmer beim Pferd, das Unterlassen von Schutzmassregeln gegen das Ablecken giftiger Salben, die Wahl einer unrichtigen Arzneiform oder Konzentration haben nicht selten eine Vergiftung zur Folge.
5. Verwechslungen seitens des dispensierenden Apothekers, Drogisten, Kaufmanns, Tierarztes, sowie seitens der Laien und Tierbesitzer.[S. 10] Solche Verwechslungen können teils durch undeutlich geschriebene Rezepte sowie durch falsche Deutung derselben (Sublimat statt Kalomel, Kalium sulfuratum statt Kalium sulfuricum, Formalin statt Furunkulin), teils durch irrtümliches Vergreifen in den Standgefässen, teils durch Unvorsichtigkeit des Drogisten oder Händlers bei Abgabe der Mittel vorkommen. Letzteres bezieht sich insbesondere auf die dem freien Handverkauf überlassenen, häufig schon aus jedem Kramladen beziehbaren Mittel (Verwechslungen von Bleizucker, Salpeter, Alaun mit Glaubersalz).
6. Ausgelegte Gifte zur Vertilgung von Ratten, Mäusen, Schaben, Wanzen. Denselben fallen am häufigsten Hunde und Katzen, sodann Schweine und das Geflügel zum Opfer. Sie bestehen aus Strychnin, Phosphor, Arsenik, Sublimat, Baryt, Meerzwiebel usw.
7. Giftfarben. Bedeutung für die Tierheilkunde haben vor allem die Bleifarben und Bleianstriche (Bleiweiss, Bleiglätte, Mennige), welche zu zahllosen Vergiftungen beim Rind Veranlassung geben, sowie die grünen, arsenikhaltigen Tapeten (Schweinfurter und Scheelesches Grün). Andere giftige Farben sind: Königsblau, Smalte, Mineralblau, Sächsischblau, Bremer Blau, Kobalt-Ultramarin; Chromgelb, Pikrinsäure, Antimongelb, Kasseler Gelb, Kölner Gelb, Mineralgelb, Rauschgelb, Operment, Pariser Gelb, Anilingelb, gelber Ultramarin, Zinkgelb; Braunschweiger Grün, Berggrün, Bremer Grün, Chromgrün, Englischgrün, Kaisergrün, Kasseler Grün, Laubgrün, Moosgrün, Neapeler Grün, Neuwieder Grün, Patentgrün, Oelgrün, Wiener Grün; Berliner Rot, Amarantrot, arsenhaltiges Anilinrot, Chromrot, Kupferrot, Pariser Rot, Wiener Rot; Kremserweiss, Schieferweiss, Schneeweiss, Silberweiss, Zinkweiss. Ausser den oben genannten Blei- und Arsenfarben sind überhaupt alle Farben giftig, welche Chrom, Baryum, Antimon, Kupfer (Grünspan), Kadmium, Kobalt, Molybdän, Nickel, Quecksilber, Wolfram, Zink, Zinn, Uran und Wismut enthalten. Ungiftig sind die arsenfreien Anilin-, Ultramarin- und Alizarinfarben, die Farbstoffe der Pflanzen, die eisenhaltigen Farbstoffe, wozu z. B. der rote Bolus gehört, sowie der Zinnober. Indigo, Methylviolett (Pyoktanin), Malachitgrün, Eosin und verschiedene andere Benzol- und Anthrazenderivate wirken übrigens namentlich in fein gepulvertem Zustand örtlich reizend und entzündungserregend („Eosinschweine“).
8. Durch den Biss oder Stich giftiger Tiere werden verhältnismässig wenig Vergiftungen veranlasst. Meist ist es die Kreuzotter,[S. 11] seltener die Redische Viper, welche in Europa für die Haustiere gefährlich wird. Von Insekten kommen hauptsächlich die Bienen und die Kolumbakzer Mücken in Betracht.
9. Endlich sind die durch Böswilligkeit herbeigeführten Vergiftungen zu erwähnen. Am häufigsten kommen sie wohl bei Hunden, Katzen und beim Geflügel vor, vereinzelt jedoch auch bei den grösseren Haustieren, wie Pferd und Rind. Gewöhnlich werden hierzu der Phosphor, der Arsenik und das Strychnin benützt (ortsübliche Rattengifte).
Das kunstgemässe Vergiften der Haustiere wegen Krankheit, zu hohen Alters, Gemeingefährlichkeit usw. wird namentlich bei Hunden und Katzen vielfach angewandt. Im Hundespital der Berliner tierärztlichen Hochschule werden jährlich gegen 3000 Hunde und Katzen vergiftet. Das hierbei verwendete Gift ist eine 10prozentige wässerige Blausäurelösung. Dieselbe wird mittels einer Pravazschen Spritze in der Dosis von einigen Kubikzentimetern in die Subkutis oder in die Lunge gespritzt; bei Katzen genügt ein blosses Einbringen einiger Tropfen in den Lidsack oder auf die Maulschleimhaut. Man kann Hunde und Katzen auch durch Einschütten einer Zyankaliumlösung (1–2,0 in Wasser oder Essig gelöst) töten. Die Vergiftung dauert jedoch hierbei etwas länger, und das Einschütten ist nicht immer ganz leicht; man sorge ferner für frisches, unzersetztes Zyankalium. Noch umständlicher ist die Benützung des Chloroforms zum Vergiften, wenn man nicht etwa, wie ich es früher getan habe, das Chloroform (einige Kubikzentimeter) direkt ins Herz spritzt. (Die Tötung von Hunden mit Chloroform im Veronalschlaf — 2 bis 8 g Veronal — wird von Jakob empfohlen.) Die Anwendung des Strychnins bei Hunden ist wegen der für den Zuschauer sehr peinlichen und oft länger, als vermutet, andauernden Krampfwirkung zu vermeiden. Dagegen eignet sich dasselbe gut zum Vergiften von Füchsen und anderem Raubzeug (ausgelegte Heringsköpfe, Fleischstücke usw.). Ausserdem hat man Eserin, Chlorbaryum (unsicher) und besondere Kohlensäure-Apparate angewandt.
Pferde werden ebenfalls am schnellsten und sichersten durch Blausäure getötet, welche am besten intravenös oder intratracheal beigebracht wird (tödliche Dosis der reinen Blausäure = 1 g; danach lässt sich die anzuwendende Menge der Blausäurelösungen berechnen). Statt Blausäure kann man auch Strychnin (0,5 intratracheal) anwenden, weil das Pferd diesem Mittel gegenüber sehr empfindlich ist. Auch die intravenöse Anwendung von Chlorbaryum (0,5) wird empfohlen.
Elefanten werden ebenfalls am besten mit Blausäure getötet. Man nimmt die 100–200fache Dosis vom Pferd (100–200 g reine Blausäure) und reicht sie am besten zusammen mit Schnaps (Rum) oder in Brotwecken (Lechner).
Ratten und Mäuse können durch Strychninweizen, Phosphorlatwerge, Ratin (Bakterienkulturen der Mäuseseptikämie) usw. vergiftet werden. Auch die Meerzwiebeln werden als ein für den Menschen ungiftiges Rattenvertilgungsmittel in der Landwirtschaft angewandt (Mengung frischer Zwiebeln mit der doppelten Menge Fleisch, Zerkleinerung mit der Hackmaschine, Formung haselnussgrosser Kugeln, Anbraten mit Talg, Bestreuen mit Zucker, Auslegen in den Ställen). Das sog. „Ratin II“ scheint nichts anderes als ein Meerzwiebelpräparat zu sein (vgl. das Kapitel Meerzwiebel).
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Die Intensität der Wirkung eines und desselben Giftes ist nicht immer die gleiche, sie wird vielmehr durch verschiedene äussere und innere Umstände modifiziert. Als wichtigste Faktoren, welche die Giftigkeit eines Stoffes beeinflussen, kommen folgende in Betracht:
1. Die Dosis, in welcher das Gift verabreicht wird. Je nach der Grösse derselben kann die Wirkung entweder sehr stark, mittelstark, schwach oder selbst gleich Null sein. Jedes Gift wird in verschwindend kleiner Dosis wirkungslos; man kann diese kleinste Menge indifferente Dosis nennen. Ist das Gift gleichzeitig ein Arzneimittel, so bezeichnet man die im Rahmen physiologischer Wirkungen sich haltenden Quantitäten als therapeutische Dosen (Minimal-, Maximaldosis). Grössere Gaben, welche eine ausgesprochene Vergiftung erzeugen, heissen toxische Dosen; tritt endlich im Verlauf der Vergiftung der Tod ein, so spricht man von einer tödlichen Dosis (dosis letalis). Diese tödliche Dosis ist um so kleiner, je grösser die Giftigkeit eines Stoffes ist. Sehr giftig sind namentlich die Blausäure und manche Alkaloide (Akonitin, Nikotin, Strychnin), indem Zentigramme bezw. Dezigramme hinreichen, um ein Pferd zu vergiften. Am giftigsten scheint das Toxin der Starrkrampfbazillen (Tetanotoxalbumin) zu sein (¼ Milligramm = 1⁄200 Tropfen tötet ein Pferd!). Man hat versucht, durch Vergleichung der Giftigkeitsdosen der einzelnen Gifte für jedes die sog. Toxizität (Schwellenwert, Giftigkeitsgrenze) zu finden, also den Uebergang der indifferenten in die toxische Dosis für jedes Gift ziffernmässig festzustellen. Der allgemeinen Durchführung dieses Plans steht indes die Tatsache gegenüber, dass jede Tiergattung ein und demselben Gift gegenüber sich anders verhält. Aus diesem Grund muss von der Aufstellung einer allgemeinen Giftigkeitsgrenze Abstand genommen werden. Die Feststellung der Giftigkeitsgrenze der einzelnen Gifte durch Versuche an Fischen (Richet) hat daher für die übrigen Tiergattungen ebensowenig Geltung, wie die Bestimmung der Toxizität zahlreicher narkotischer Gifte an Froschlarven (Overton, H. Meyer).
2. Die Form des Giftes. Es ist bekannt, dass der Phosphor in einer ungiftigen Form, als sog. roter Phosphor vorkommt, welche dadurch hergestellt wird, dass man den gewöhnlichen giftigen Phosphor bei Abwesenheit von atmosphärischer Luft auf 200 bis 250°[S. 13] erhitzt. Er wird dadurch in Fett unlöslich und deshalb im Magen und Darm nicht resorbiert. Aehnliche Verhältnisse kommen bei vielen sogen. isomeren Verbindungen vor. So ist das α-Naphthol wesentlich giftiger als das β-Naphthol; viele Ortho-Verbindungen haben eine andere Wirkung als die entsprechende Meta- oder Para-Verbindung. Weiter ist die Giftigkeit eines Körpers sehr verschieden, je nachdem derselbe in löslicher oder unlöslicher Form, in Stücken, grob- oder feingepulvert, in konzentrierter oder in verdünnter Lösung aufgenommen wird. Der Arsenik ist am wenigsten giftig in Stücken, mit der Feinheit des Pulvers nimmt seine Giftigkeit zu, am giftigsten ist er in Lösung. Auch die Art des Lösungsmittels ist von Bedeutung. Phosphor in Oel gelöst wird viel rascher und ausgiebiger resorbiert, als in andern Flüssigkeiten; Kanthariden in Salbenform aufgenommen (Ablecken) wirken aus demselben Grunde giftiger, als in Substanz. Alkoholische Lösungen von Strychnin oder Blausäure werden im Magen viel schneller resorbiert, als wässerige. Auflösungen der Karbolsäure in alkalischen Flüssigkeiten oder in Oel sind weniger giftig, als solche in Wasser. Endlich gibt es noch eine Reihe anderer Bedingungen. Durch Regenwasser ausgelaugte Lupinen sind ungiftig, viele Metallsalze (Brechweinstein, Bleizucker) und alle Alkaloide verlieren an Giftigkeit, wenn gleichzeitig Tannin oder zufällig ein anderes Gegengift mit aufgenommen wird. Warme Arsenikwaschungen, ferner kalte, aber im Sommer, in heissen Stallungen oder bei erhitzten Tieren vorgenommene Waschungen sind gefährlicher als kalte Waschungen im Frühjahr oder Herbst (Beobachtungen in Schleswig-Holstein).
3. Alter und Abstammung des Giftes. Sehr viele Gifte verändern oder verlieren mit der Zeit infolge von Zersetzung ihre Wirksamkeit. Beispiele sind namentlich die Glykoside und manche Alkaloide: Digitalis, Secale cornutum, Akonit, Belladonna, Eserin, Pilokarpin, Morphin, Apomorphin, Rhizoma Filicis, die Präparate der Blausäure (Umwandlung der Blausäure im Bittermandelwasser in ameisensaures Ammonium, des Zyankaliums in Kaliumkarbonat), der Phosphor (Umwandlung zu amorphem), Karbolwasser (Verdunstung der Karbolsäure), die ätherisch-öligen Mittel (Verdunstung der ätherischen Oele), Chlorkalk (Verdunstung von Chlor), Bleiessig (Bildung von Bleikarbonat), Aetzkali und Aetzkalk (Umwandlung zu kohlensaurem Kalium und kohlensaurem Kalk). Auch das Umgekehrte wird zuweilen beobachtet; alte graue Quecksilbersalbe ist z. B. giftiger, als frisch bereitete (Bildung von leichter resorbierbarem[S. 14] fettsaurem Quecksilber). Dasselbe gilt für altes Krotonöl (Abspaltung freier, giftiger Krotonolsäure). Bezüglich der Bedeutung der Abstammung für die Giftigkeit ist hervorzuheben, dass die Lupinen je nach dem Standort und der Gegend bald giftig, bald ungiftig sind, dass ferner die Mohnpflanze in Europa nur ganz verschwindende Mengen von Opiumalkaloiden enthält gegenüber dem grossen Opiumgehalt derselben Pflanze in Kleinasien, Persien, Aegypten. Es mag ausserdem an die Hanfpflanze erinnert werden, welche bei uns ungiftig ist, während sie in derselben Spezies in Indien ein starkes Gift liefert (indischer Hanf, Haschisch). Die Giftigkeit vieler Pflanzen wechselt endlich nach den Jahreszeiten. Die meisten Giftpflanzen sind am giftigsten zurzeit der Blüte; andere Pflanzen sind überhaupt nur in bestimmten Monaten giftig, z. B. die Springgurke (Elaterium) nur im Juli. Ein eigentümliches Verhältnis zeigt der Faulbaum (Rhamnus Frangula), dessen Rinde im ersten Jahr nach der Gewinnung Erbrechen und dann vom zweiten Jahr ab Purgieren erzeugt.
4. Die Applikationsweise. Alle Gifte wirken vom Magen aus wesentlich schwächer, als von der Subkutis, von der Trachealschleimhaut oder von Wunden aus. Manche Gifte sind vom gesunden Magen aus überhaupt wirkungslos, so zahlreiche Bakterientoxine (Wut, Tetanus), die Saponinsubstanzen, das Schlangengift und einige Pfeilgifte (zersetzende, antitoxische Wirkung des Magensaftes). Auch bei stark gefülltem Magen wirken die meisten Gifte wesentlich schwächer als bei leerem Magen, weil die Resorption langsamer vor sich geht; ausserdem werden manche Gifte durch gewisse Bestandteile des Futterinhaltes des Magens, z. B. Alkaloide durch gerbsäurehaltige Nahrungsmittel, Metallsalze durch ein eiweissreiches Futter unschädlich gemacht. Die Giftigkeit eines Stoffes vom Magen aus verhält sich zu seiner Giftigkeit von der Subkutis und von Wunden aus etwa wie 1 : 10. Uebrigens kann dieses Verhältnis je nach der Tiergattung auch enger sein. So verhält sich beim Strychnin die tödliche stomachikale Dosis zur tödlichen subkutanen wie 1 : 10 beim Schaf, wie 1 : 5 beim Pferd, wie 1 : 3 beim Schwein, wie 1 : 2 beim Hund. Auch bei der Resorption von Wunden aus ist die Giftigkeit ganz erheblich gesteigert; so tötet der Arsenik per os Pferde in Gaben von 10–15 g, Hunde in Gaben von 0,2 g, während von Wunden aus für Pferde 2,0 g und für Hunde 0,02 g zur Tötung ausreichen. Diese erhöhte Giftigkeit von Wunden aus hat namentlich[S. 15] eine praktische Bedeutung für die Anwendung von Aetzmitteln (Arsenik in Stücken bei Brustbeule, Nieswurzstecken) sowie von Räudebädern unmittelbar nach der Schur (Arsenik-, Tabak-, Karbolbäder). Die rektale Applikation wirkt etwa gleich stark, wie die per os. Am stärksten ist die Wirkung der Gifte bei der intratrachealen, intraperitonealen und intravenösen Injektion. Die intratracheale Applikation wirkt etwa 20mal, die intravenöse 25–50mal stärker, als die Einführung vom Magen aus.
5. Die Ausscheidung des Giftes aus dem Körper. Dieselbe beeinflusst hauptsächlich den Verlauf und die Dauer einer Vergiftung; je rascher das Gift den Körper wieder verlässt, um so kürzer ist auch die Krankheitsdauer und umgekehrt. Langsam, erst etwa im Verlauf einer Woche ausgeschieden werden z. B. die Glykoside der Digitalis (Digitoxin) und das Strychnin, weshalb die Nachwirkung bei beiden Giften ziemlich lang ist (kumulative Wirkung bei wiederholter Einverleibung). Ausserdem sind durch eine sehr verlangsamte, Wochen und Monate dauernde Ausscheidung die Salze der schweren Metalle (Blei, Quecksilber, Kupfer, Arsen) charakterisiert, indem dieselben organische Verbindungen mit dem Eiweiss der Körperzellen eingehen (sog. Organdepositorien). Dieser Umstand erklärt auch die Tatsache, dass chronische Vergiftungen am häufigsten Metallvergiftungen sind. Am schnellsten werden die Chlor-, Brom- und Jodverbindungen der Alkalien ausgeschieden (Chlornatrium, Bromkalium, Jodkalium); die Hauptmenge derselben verlässt den Körper durch den Harn innerhalb 24 Stunden. Die Ausscheidung der Gifte aus der Blutbahn geschieht durch die Nieren, die Leber, die Speicheldrüsen, die Pankreasdrüse, die Milchdrüse, die Darmdrüsen, Schweissdrüsen, Talgdrüsen, Schleimdrüsen und die Lunge. Die meisten Gifte werden durch den Harn ausgeschieden. Die Schwermetalle und das Strychnin werden dagegen in der Hauptsache durch die Leber (Galle), das Morphium durch den Magen eliminiert. — Auch durch die Verlangsamung oder Beschleunigung der Resorption kann die Wirkung der Gifte beeinflusst werden. So tritt z. B. bei der Kolchikumvergiftung die Wirkung des Giftes später ein, als bei anderen Intoxikationen, weil das Kolchizin ein sehr schwer resorbierbares Alkaloid ist.
6. Die Tiergattung. Eine Reihe von Giften wird in ihrer Wirkung wesentlich modifiziert durch die Tiergattung. Zunächst zeigen im Vergleich zum Menschen die Haustiere mehreren Giften[S. 16] gegenüber ein ganz verschiedenes Verhalten. Während für den Menschen wegen seines hoch entwickelten Gehirns und Nervensystems viele Nervenmittel, namentlich die Alkaloide Morphium, Atropin, Hyoszin und Koniin sehr starke Gifte sind, erweist sich deren Giftigkeit bei den Tieren als eine ganz erheblich schwächere. Beispielsweise ertragen Hunde und Pferde pro Kilogramm Körpergewicht 10mal mehr, Tauben 500mal mehr und Frösche sogar 1000mal mehr Morphium als der Mensch. Während beim Menschen schon 5 mg Atropin eine schwere Vergiftung bedingen können, bleiben Hunde und Kaninchen nach Dosen von 500 mg, also nach der hundertfachen Dosis, am Leben.
Unter den einzelnen Tiergattungen selbst machen sich ebenfalls bedeutende Unterschiede im Verhalten gewissen Giften gegenüber geltend. So sind für Pflanzenfresser, besonders aber für die Wiederkäuer (Rind, Schaf und Ziege) die Metallsalze viel stärkere Gifte, als für die Fleischfresser und Omnivoren (Hund, Katze, Schwein). Wahrscheinlich ist die Erklärung dieser Tatsache in dem Umstande zu suchen, dass bei der eigentümlichen Einrichtung des Verdauungsapparates der Pflanzenfresser, namentlich der Wiederkäuer, die eingeführten Metallgifte viel längere Zeit (mehrere Wochen) im Magendarmkanal verbleiben und daher ausgiebiger zur Resorption gelangen als bei den Fleischfressern, bei welchen der Inhalt des Verdauungsschlauches nur etwa einen Tag in demselben verweilt. So ist z. B. die tödliche Dosis des Kalomels für das Rind nicht wesentlich höher als für das Schwein (10 g), Ochsen sterben nach der Einreibung einer Gewichtsmenge grauer Salbe, welche von Hunden ohne Schaden ertragen wird (30 g). Ebenso empfindlich wie gegen Quecksilber sind die Wiederkäuer gegen Blei. Während die tödliche Dosis des Bleizuckers für das Pferd zwischen 500 und 700 g beträgt, sind für ein gleich schweres Rind zuweilen schon 50 g tödlich. Aehnliches beobachtet man bezüglich der Kupfersalze. Umgekehrt sind die Wiederkäuer viel weniger empfindlich bezw. bis zu einem gewissen Grade unempfindlich gegenüber der stomachikalen Einverleibung der Digitalisblätter, weil die Digitalisglykoside in den Vormägen zersetzt und unwirksam gemacht werden (bei intravenöser Einverleibung besteht kein Unterschied!). Während z. B. Pferde nach der innerlichen Verabreichung einer einmaligen Dosis von 25–30 g getrockneter Digitalisblätter an Digitalisvergiftung sterben, ertragen Kühe diese Dosis 4 Tage hintereinander, zusammen also 120 g Folia Digitalis, ohne überhaupt[S. 17] darauf zu reagieren (20 g Digitalisblätter im Infus intravenös eingespritzt wirken dagegen auch beim Rind tödlich). Weitere Beispiele sind das ausserordentlich verschiedene Verhalten der einzelnen Tiergattungen gegenüber dem Chloroform, welches namentlich für die Wiederkäuer ein gefährliches Narkotikum bildet, die starke Giftigkeit des Krotonöls und Brechweinsteins für Pferde im Gegensatz zum Hund, die grosse Empfindlichkeit der Katzen gegenüber der Karbolsäure und ihre geringe Empfindlichkeit gegenüber dem Apomorphin, von welchem sie als Emetikum eine 10mal grössere Dosis bedürfen, als grosse Hunde (während beim Schwein gar kein Erbrechen dadurch hervorgebracht werden kann); die relativ geringe Empfindlichkeit der Kaninchen gegen Belladonna und der Hühner gegenüber der Brechnuss; die Empfindlichkeit der Vögel gegen Aether; die Unempfindlichkeit des Igels gegen Kanthariden, Giftschlangen und Giftpflanzen, der Frösche gegen Kurare, sowie der Insekten gegen Muskarin, Kohlenoxyd und andere Gifte.
7. Die Grösse und das Alter der Tiere. Im allgemeinen ist die Giftwirkung einer und derselben Dosis um so schwächer, je grösser die betreffenden Tiere sind. Setzt man die grösseren Haustiere, Pferd und Rind = 1–2, so ergeben sich als entsprechende Verhältniszahlen für Schafe, Ziegen und für Schweine = ½-⅕, für Hunde (und Menschen) = 1⁄10, für Katzen und Geflügel = 1⁄20. Ebenso nimmt im allgemeinen mit dem Alter die Widerstandsfähigkeit gegen Gifte zu, das höchste Alter ausgeschlossen. Ist z. B. die tödliche Dosis eines Giftes für ein ausgewachsenes 6jähriges Pferd = 1, so beträgt sie für ein einjähriges = ½, für ein halbjähriges = ¼, für ein vierteljähriges = ⅛, für ein einen Monat altes = 1⁄16 usw. Ausnahmen kommen auch von dieser Regel vor; so ertragen junge Hunde grössere Kalomeldosen als erwachsene. Junge Hunde (Säuglinge) sind jedoch dem Santonin gegenüber 100mal empfindlicher als erwachsene Hunde.
8. Von sonstigen, die Giftwirkung beeinflussenden Momenten sind zu erwähnen das Geschlecht (Kühe ertragen häufig grössere Giftdosen als Ochsen, weil durch die Milch das Gift zum Teil aus dem Körper entfernt wird; vergl. die Schlempevergiftung), die Konstitution (kräftige, schwache) sowie eine bei manchen Tieren vorhandene individuelle Empfindlichkeit oder Idiosynkrasie. Die letztere besteht darin, dass manche Individuen gegen gewisse (giftige oder ungiftige) Stoffe auffallend überempfindlich sind, wie z. B. einzelne Pferde und Rinder gegen Chloroform, Morphium,[S. 18] Eserin, Arekolin und Pilokarpin oder manche Hunde gegen Kalomel, Filixextrakt und Arekanuss.
Eine Angewöhnung an Gifte als modifizierender Faktor der Giftwirkung, wie sie beim Menschen beobachtet wird (Morphium, Alkohol, Nikotin, Koffein, Kokain, Chloralhydrat, Arsenik, Rizinusöl) kommt bei den Haustieren seltener vor (Arsenik, Santonin, Morphin, Rizin). Das Zustandekommen der Angewöhnung ist dunkel (gesteigerte Fähigkeit der Zersetzung? Bildung von Antikörpern? Zelluläre Immunität?). Manche Tiere scheinen ferner gewissen Giften gegenüber, ähnlich wie bei Seuchen, eine individuelle Immunität zu besitzen (Rade, Schimmelpilze, Rostpilze, Brandpilze, Saponinsubstanzen).
Die kumulative Wirkung einzelner Gifte (Strychnin, Digitalis), d. h. die Tatsache der Summierung der Effekte mehrerer Einzeldosen erklärt sich teils aus der langsamen Ausscheidung dieser Gifte aus dem Körper, teils aus dem langsamen Abklingen der Wirkung der einzelnen Dosen.
Die Gewöhnung an Gifte. Höhere Organismen (Menschen, Tiere) können sich ebenso an einzelne Gifte gewöhnen („giftfest“ oder „immun“ werden), wie niedrige, einzellige Organismen (Hefe, Bakterien, Protozoen). Von der Hefe ist bekannt, dass sie sich besonders an Flusssäure und Fluoride, ausserdem an Formaldehyd, Kupfersalze und Alkohol gewöhnt. Das sog. Effrontsche Flusssäureverfahren steigert sogar die Gärkraft der Hefe aufs zehnfache und hält andere schädliche Bakterien ab; dabei beruht die Gewöhnung an das Fluor auf der Umwandlung des in die Zellen eindringenden löslichen Fluorammoniums in unlösliches Fluorkalzium. Bakterien gewöhnen sich an Borsäure, Karbolsäure, Sublimat, Arsenik, Lithiumsalze usw. Pathogene Bakterien werden sogar widerstandsfähiger durch Sublimat, Milzbrandbazillen passen sich an Arseniklösungen an. Dasselbe gilt für Schimmelpilze, namentlich für Penicillium glaucum, welche sich überhaupt leicht an Metallsalze (Kupfer, Quecksilber, Nickel, Kobalt), ausserdem an Chinin, Morphin, Kokain, Atropin, Alkohol, Pyrogallussäure usw. gewöhnen. Unter den Protozoen gewöhnen sich namentlich die Trypanosomen bald an Arsenpräparate, speziell an Atoxyl (atoxylfeste Stämme), ferner an Fuchsin, Trypanrot und Trypanblau; andere Protozoen gewöhnen sich an Chinin, Sublimat und konzentrierte Kochsalzlösungen.
Von den höhern Organismen gewöhnen sich Menschen im allgemeinen leichter und häufiger an Gifte als Tiere. Diese Gewöhnungen stellen indessen zum Teil chronische Vergiftungen dar, indem sie mehr oder weniger erhebliche Störungen des Allgemeinbefindens bedingen. Am bekanntesten ist die Gewöhnung an das Morphium. Während jedoch der Mensch sich an die 25fache Dosis gewöhnen kann, liessen sich Versuchshunde nur an die 3fache tödliche Menge gewöhnen (Faust, Arch. f. exp. Path. 1900); die Ursache der Gewöhnung scheint auf einer Zerstörung oder Zersetzung des Morphins durch die an dieses Gift gewöhnten Individuen zu beruhen. Die beim Menschen so häufige Gewöhnung an Alkohol[S. 19] ist bei Tieren, speziell bei Hunden, Schweinen und Kaninchen bisher nicht gelungen (negative Versuche von Dahlström, Strassmann, Dujardin-Beaumé u. a.). Dagegen gewöhnen sich Menschen und Tiere an Arsenik. Aehnlich wie bei den steiermärkischen Arsenikessern liessen sich Hunde an grosse Dosen Arsenik, bis zu 0,4 g pro Kilo, gewöhnen, jedoch nur bei innerlicher Verabreichung; bei subkutaner Injektion waren die arsenikfesten Hunde ebenso empfindlich gegen das Gift wie die an Arsenik nicht gewöhnten (Hausmann, Cloëtta). Ueber die Gewöhnung an Rizin („Rizinfestigkeit“) vergleiche das Kapitel Rizinusvergiftung. — Genaueres über die Gewöhnung an Gifte findet sich bei Hausmann, Ergebnisse der Physiologie, VI. Jahrgang, 1907.
Man unterscheidet herkömmlicherweise zwischen örtlicher Giftwirkung und Fernwirkung der Gifte. Die örtliche Giftwirkung besteht in Rötung, Schwellung, Entzündung, Verätzung, Anästhesierung der Haut, Schleimhäute und Wunden. Eine grössere Anzahl von Giften besitzt nur eine solche Lokalwirkung, so namentlich die einfachen Akria und die Aetzmittel. Die reizende Wirkung der Akria wird durch die Einwirkung auf die Nerven und Gefässe (Hyperämie, Entzündung, Blasen-, Pustel-, Eiterbildung), die Aetzwirkung durch Ertötung der Gewebe bedingt (Eiweissgerinnung durch Säuren und Metallsalze, Auflösung des organisierten Eiweisses durch Laugen, Wasserentziehung durch gebrannten Kalk und Schwefelsäure, Wasserstoffentziehung durch Chlor). Dabei wird der Unterschied zwischen der reizenden und ätzenden Wirkung häufig nur durch die Konzentration der Lösung bedingt, indem bei gewissen Konzentrationsgraden keine Nekrose mehr entsteht, sondern eine reparable entzündliche Reaktion. Auch im bakterienfreien, sterilisierten Zustand erzeugen die Akria, unter die Haut gespritzt, Eiterung ohne Mitbeteiligung von Eiterbakterien (Versuche mit Krotonöl). Die Fernwirkung der Gifte wird nicht durch die Nervenleitung, sondern durch das Blut vermittelt, durch welches dieselben in die einzelnen Körperorgane übergeführt werden. Danach beginnt die Fernwirkung (Allgemeinwirkung) mit dem Uebergang der Gifte ins Blut. Sie besteht in einer Einwirkung der Gifte auf die Parenchymzellen der einzelnen Organe, also der Ganglienzellen des Gehirns, der sezernierenden Leber-, Nieren-, Drüsenzellen, und kann daher in gewisser Beziehung ebenfalls als Lokalwirkung aufgefasst werden.
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Die elementare Giftwirkung, d. h. die Reaktion zwischen chemischem Stoff und lebendem Protoplasma besteht entweder in einer gegenseitigen chemischen Bindung mit Schädigung und Zerstörung des Protoplasmas oder im osmotischen Eindringen des Giftes in die Zellen ohne chemische Veränderung der letzteren. Das schnelle Eindringen mancher chemisch indifferenter Stoffe (Alkohol, Aether) in das Protoplasma wird auf das Vorhandensein fettähnlicher Bestandteile (Lipoide) im Protoplasma zurückgeführt, welche die Aufnahmefähigkeit der Zellen für Alkohol etc. bedingen (Overton). Dabei verhalten sich die verschiedenen Arten von Protoplasma gegen ein und dasselbe chemische Agens verschieden (spezifische Affinitäten). Das Strychnin z. B. besitzt eine spezifische Affinität zum Rückenmark, das Morphium und Atropin zum Gehirn, das Kohlenoxyd zum Hämoglobin. Die Giftreaktion äussert sich dabei entweder in einer Steigerung oder in einer Verminderung der Zellfunktion.
Die Resorption der Gifte ins Blut kann vom Darmkanal, von der Haut und von der Lunge aus folgen. Die Resorption im Darmkanal geschieht teils aktiv durch die intra- und interepitheliale Resorption und durch die Leukozyten (lipoidunlösliche Stoffe: Salze, Metalle, Proteine), teils durch passives Passieren der Epithelien (lipoidlösliche Stoffe: Alkohol usw.). Von der entzündlich veränderten, also beschädigten Darmschleimhaut aus erfolgt die Resorption besonders schnell (Giftigkeit des sonst unschädlichen Saponins und Wismuts, Giftwirkung normaler Brechweinsteindosen bei gleichzeitiger Verabreichung von Aloe). Die unverletzte Haut besitzt ein sehr geringes Resorptionsvermögen für Gifte, indem das Fett der Talgdrüsen und die verhornten Epidermiszellen wässerige Lösungen abhalten (nach Beseitigung des Fetts durch Aetherwaschung findet eine geringe Resorption wasserlöslicher Stoffe statt). Die bisher angenommene Durchlässigkeit der intakten Haut für Gase wird neuerdings bestritten (die Haut der einzelnen Versuchstiere scheint sich verschieden zu verhalten). Eine sehr intensive Resorption findet dagegen nach Entfernung der Epidermis statt. In der Lunge werden Gase und Dämpfe durch die feuchten Alveolarepithelien und die Gefässendothelien rasch resorbiert (Chloroform). Nach der Aufnahme der Gifte ins Blut erfolgt sofort die innere Absorption von seiten der Gewebe (ein wenige Minuten danach vorgenommener Aderlass vermag die tödliche Vergiftung wegen der bereits erfolgten Fixierung des Giftes in den Geweben nicht mehr aufzuhalten).
Die Schicksale, d. h. die chemischen Veränderungen, welche die Gifte im allgemeinen bei ihrer Wanderung durch den Tierkörper erfahren, sind sehr mannigfaltiger Art. Nur wenige derselben passieren den Körper in unverändertem Zustande (Kochsalz, Glaubersalz). Zum grossen Teil beruht die toxische Wirkung eben auf diesen chemischen Umsetzungen. Im Nachstehenden sind die wichtigsten derselben kurz zusammengestellt.
1. Veränderungen der Gifte im Digestionsapparate. Bei einzelnen giftigen Glykosiden findet bereits in der Mundhöhle unter der Einwirkung des Speichels eine Zersetzung statt (Amygdalin). Wichtiger sind die im Magen durch die Einwirkung des[S. 21] Magensaftes und des Mageninhaltes bedingten Umsetzungen. Die Salzsäure des Magens macht z. B. die im Zyankalium enthaltene Blausäure frei nach der Formel: CNK + ClH = CNH + ClK; sie verwandelt ferner manche an sich unlösliche Metalle (Blei) zu löslichen Chloriden (Chlorblei). Aehnlich wirkt die im Magen vorhandene Milchsäure. Der Mageninhalt wirkt teils durch seine Menge, teils durch einzelne seiner Bestandteile modifizierend auf die Gifte ein. In ersterer Beziehung gilt der schon erwähnte Satz, dass die meisten Gifte bei vollem Magen (und daher namentlich bei den Wiederkäuern) weniger stark wirken, als bei leerem oder wenig gefülltem. Die Erklärung hierfür ist in der starken Verdünnung, verminderten oder verlangsamten Resorption, sowie in der teilweisen Zersetzung der Gifte durch den Mageninhalt (z. B. des Brechweinsteins durch das in vielen Futterpflanzen enthaltene Tannin) zu suchen. Von den Bestandteilen des Mageninhalts befördern die Albuminate die Resorption vieler Metalle (Quecksilber, Blei, Zink, Kupfer, Chrom), indem sie dieselben in Metallalbuminate überführen. Auch der Kochsalzgehalt des Mageninhaltes kommt in Betracht, indem z. B. Sublimat sich in die leichter resorbierbare Sublimat-Chlornatriumverbindung umwandelt. Im Darmkanal bedingen der alkalische Pankreassaft und die Galle, sowie die im Dickdarm eintretenden Fäulnisprozesse (Entwicklung von Wasserstoff in Statu nascente) verschiedenartige chemische Umsetzungen. So wird unter der Einwirkung des alkalisch reagierenden Dünndarmsaftes die schwer lösliche arsenige Säure (Arsenik, As2O3) zu leicht resorbierbarem arsenigsaurem Kali (AsK3O3) umgesetzt; das unlösliche und daher an sich wenig giftige Santonin verwandelt sich in leicht lösliches santoninsaures Natrium und Kalium. Die Galle befördert die Löslichkeit giftiger Oele und Harze, indem sie dieselben verseift (Krotonöl, Rizinusöl, Aloe, Jalapen). Der im Dickdarm gebildete Wasserstoff führt den Schwefel in Schwefelwasserstoff, den Phosphor und Arsenik in Phosphor- und Arsenwasserstoff über. Endlich findet bei vorhandenem Fettgehalt der Nahrung im Darmkanal eine Auflösung mancher Gifte durch das Fett und infolgedessen leichtere Resorption derselben statt; hierher gehören namentlich der Phosphor und das in den Kanthariden enthaltene Kantharidin.
2. Veränderung der Gifte im Blute und in den Geweben. Beim Uebergang der Gifte ins Blut finden die wichtigsten Veränderungen der Gifte statt. Es sind zunächst einfache chemische[S. 22] Bindungen, welche manche Gifte eingehen; so verbindet sich die Oxalsäure in den Nieren mit Kalk zu oxalsaurem Kalk, der Arsenik mit Kalium oder Natrium zu arsenigsaurem Kalium und Natrium, das Chlor, Brom und Jod ebenfalls mit diesen Alkalien zu Chlorkalium, Bromkalium, Jodkalium; das Kohlenoxyd verbindet sich mit dem Hämoglobin. Von Synthesen sind zu erwähnen die namentlich in der Niere vor sich gehenden Aetherschwefelsäure-, Glykuronsäure- und Uraminosäure-Synthesen. Hierher gehört die Bildung von Sulfonverbindungen (Umwandlung der Karbolsäure und der Kresole zu phenolsulfonsaurem und kresolsulfonsaurem Kali), von gepaarten Glykuronsäuren (Umwandlung des Chloralhydrats in Urochloralsäure, des Kampfers in Kamphoglykuronsäure), sowie von Uraminosäureverbindungen (Umwandlung der Salizylsäure in Salizylursäure, der Benzoesäure in Hippursäure). Sehr zahlreich sind ferner Oxydationen der Gifte im Blut und in den Geweben. So wird Phosphor zu Phosphorsäure, Schwefel zu Schwefelsäure, Blei zu Bleioxyd, Alkohol, Aldehyd und Essigsäure zu Kohlensäure und Wasser, Benzol zu Phenol, Naphthalin zu Naphthol, Karbolsäure zu Brenzkatechin und Hydrochinon oxydiert. Daneben kommen unter der Einwirkung der Muskel- und Drüsentätigkeit im Körper Reduktionen vor. Namentlich alle an Sauerstoff sehr reichen Salze (chlorsaures Kali, Nitrate, Chromsäure) werden zu niedrigen Oxydationsstufen reduziert. Desgleichen beobachtet man bei einer grösseren Anzahl von Giften im Blute sowie in den Muskeln und in der Leber Spaltungen und Zersetzungen. Dieselben betreffen hauptsächlich die Alkaloide und Glykoside (Eserin, Pilokarpin, Morphium, Koffein, Amygdalin). Endlich findet man bei einer nicht geringen Anzahl von Giften Assimilationen von seiten des Tierkörpers. So ist es beispielsweise bekannt, dass im Knochen die Phosphorsäure (phosphorsaurer Kalk) durch arsenige Säure (arsenigsaurer Kalk) ersetzt werden kann. Hierher gehört auch die Ablagerung (Deposition) der Metalle in verschiedenen inneren Organen, namentlich des Quecksilbers in der Leber (Organdepositorium), wo sie in Form von Metallalbuminaten gewissermassen assimiliert werden (Bindung an die Nukleoalbumine und Nukleine).
3. Verhalten der Gifte bei der Ausscheidung aus dem Körper. Die wichtigsten Ausscheidungsorgane des Körpers sind die Nieren und die Leber. Durch die Nieren werden namentlich die Salze der Halogene (Jodkalium, Bromkalium) in so kurzer Zeit aus dem Körper ausgeschieden, dass die Hauptmenge[S. 23] innerhalb 24 Stunden mit dem Harn aus dem Körper entfernt wird. Viel langsamer werden die Salze der Schwermetalle durch die Nieren ausgeschieden (Wochen, Monate). Wegen ihrer Beteiligung an der Ausscheidung der Gifte sind die Nieren und die Leber bei sehr vielen Vergiftungen in erster Linie gefährdet, wie die schweren Nierenaffektionen bei Kanthariden-, Terpentinöl-, Kolchikum-, Quecksilbervergiftung, sowie die krankhaften Entartungen der Leberzellen bei Phosphor- und Arsenikvergiftung beweisen. Für die gasförmigen und flüchtigen Gifte (Chloroform, Alkohol, Kohlenoxyd, Grubengas) sind die Lungen das Hauptausscheidungsorgan. Neben diesen Drüsen wirken jedoch noch andere, nicht minder wichtige, bei der Ausscheidung der Gifte mit. Es sind namentlich die Magen- und Darmdrüsen zu erwähnen. Dieselben besitzen speziell für die Eliminierung des Morphiums (Magen), Phosphors, Arseniks, Quecksilbers, überhaupt der Schwermetalle eine viel grössere Bedeutung als die Nieren und erkranken deshalb sehr häufig im Verlauf der Vergiftung (sog. Gastro-Enteritis glandularis oder Adenitis parenchymatosa). Weiter beteiligen sich an der Ausscheidung von Giften die Talg- und Schweissdrüsen der Haut, welche ebenfalls bei dieser Tätigkeit schwere Beschädigungen erleiden können (Hautexantheme bei Merkurialismus, Bromvergiftung, Jodvergiftung, Schlempemauke), die Speicheldrüsen (Salivation bei Quecksilbervergiftung), die Schleimdrüsen der Respirationsschleimhaut (Bronchitis, Laryngitis, Rhinitis bei Quecksilber- und Jodvergiftung), die Tränendrüse und, was namentlich für das Rind von grosser Bedeutung ist, die Milchdrüse. Die gesteigerte Funktion dieser letzteren Drüse bedingt es, dass Milchkühe manchen Vergiftungen gegenüber widerstandsfähiger sind als andere Tiere (Schlempemauke), weil durch die Milch das eingedrungene Gift rasch und in reichlicher Menge aus dem Körper entfernt wird. Auf der anderen Seite können die milchsezernierenden Drüsenzellen durch manche Gifte (Phosphor, Jod) so stark bei der Ausscheidung derselben betroffen werden, dass eine Atrophie der Milchdrüsen mit dauerndem Versiegen der Milch die Folge ist.
Die Frage der Geniessbarkeit des Fleisches vergifteter Tiere ist auf Grund zahlreicher experimenteller Untersuchungen und praktischer Beobachtungen zu bejahen. Die von mir und Knudsen (Monatshefte für prakt. Tierheilkunde I. u. II. Bd.) mit den giftigsten Alkaloiden Strychnin, Eserin, Pilokarpin und Veratrin bei Hammeln und Kaninchen angestellten Versuche haben gezeigt, dass das Fleisch der vergifteten Tiere entweder gar kein Gift oder nur so minimale Spuren[S. 24] enthält, dass es durchaus unschädlich ist (Selbstversuche, Versuchstiere). Diese Tatsache erklärt sich einerseits aus der reduzierenden Einwirkung der Muskeltätigkeit und des Blutes auf die Alkaloide, andererseits aus der Entgiftung des Körpers durch zahlreiche Sekretionsorgane (Nieren, Leber, Darmdrüsen, Milchdrüse). Zu demselben Ergebnis ist bezüglich des Strychnins Schneider gelangt (Monatshefte für prakt. Tierheilkunde XI. Bd.); danach wurden je 5 Gänse und Enten, ferner 6 Hühner und 8 Tauben mit Strychnin vergiftet und sämtliche an Strychninvergiftung gestorbenen Tiere ohne Schaden verzehrt (Selbstversuche). Aehnliche Beobachtungen haben bezüglich Strychnin, Eserin und Apomorphin Feser, bezüglich Arsenik Sonnenschein, Spallanzani und Zappa, bezüglich Oleandrin Veronesi (Selbstversuche), bezüglich Brechweinstein Harms, bezüglich Blei Albrecht, Laho und Mosselmann veröffentlicht. Die letzteren (Brüsseler Annalen 1893) vergifteten einen jungen Stier mit Bleifarbe; bei dem am 6. Tage gestorbenen Tier wurde in den Muskeln überhaupt kein Blei gefunden. Hunde, welche wochenlang mit dem Fleisch des Stieres gefüttert wurden, zeigten nicht die geringsten Störungen des Allgemeinbefindens. Ueber weitere Fälle von Unschädlichkeit des Fleischgenusses vergifteter Tiere berichtet Ostertag (Handbuch der Fleischbeschau).
Anders liegen die Verhältnisse bezüglich der Leber, der Nieren, des Magens und Darmes, sowie des Euters bezw. der Milch. In den genannten Drüsen und Organen findet eine Ausscheidung der Gifte aus dem Blute statt; dieselben sind daher mehr oder weniger gifthaltig und ihr Genuss unter Umständen gesundheitsschädlich. Dies gilt insbesondere für den Darmkanal, die Nieren und das Euter. Die Leber ist namentlich für metallische Gifte ein Depositorium, während die Alkaloide in der Leber, ähnlich wie im Fleisch, zersetzt werden (Schiff, Roger, eigene Beobachtungen). Das Euter und die Milch sind von den genannten Exkretionsorganen am giftreichsten. Dies wird auch durch die tierärztliche Erfahrung bewiesen, wonach mehrfach Erkrankungen durch die Aufnahme der Milch vergifteter Tiere beobachtet worden sind. So erkrankten Saugkälber und Fohlen nach der Verabreichung von Arsenik an die Mutterkühe bezw. Mutterstuten (Spinola, Huxel), Lämmer und Hunde nach der Aufnahme der Milch einer mit Brechweinstein behandelten Kuh (Harms), Saugkälber nach der Verfütterung von radehaltigem Mehl an die Muttertiere (Tabourin), desgleichen nach Verfütterung von Rizinuskuchen (Bollinger). Die Milch von Kühen, welche Kolchikum aufgenommen hatten, zeigte sich auch dann giftig, wenn die Kühe keine auffallenden Krankheitserscheinungen aufwiesen (Ungar. Vet.-Ber. 1900). In der Milch von Kühen, die mit alkoholhaltiger Schlempe gefüttert worden waren, wiesen Weller und Teichert bis zu 1 Proz. Alkohol nach. Klingemann fand nach Verabreichung von 100–200 g Alkohol bei Kühen, dass 0,5 g davon durch die Milch ausgeschieden wurden. Aehnliche Vergiftungsfälle sind beim Menschen nach dem Genusse der Milch von Tieren beobachtet worden, welche Giftpflanzen und andere Gifte aufgenommen hatten (vgl. Fröhner, Ueber die Bedeutung der Milchmittel, Monatshefte für prakt. Tierheilkunde II. Bd.). Dagegen ist bei der therapeutischen innerlichen Verabreichung des Bleis und Kupfers, sowie bei der fortgesetzten Einwirkung kleiner Dosen der Blei- bezw. Kupfergehalt der Milch so gering, dass eine gesundheitsschädliche Wirkung nicht möglich ist (Baum und Seliger, Berl. Arch. 1895 u. 1896). Storch (B. T. W. 1902), sah trotz lange fortgesetzter medikamenteller Dosen von[S. 25] Chloralhydrat bei Kühen (50,0) und Schafen (8–15,0) keine schädigende Wirkung auf die säugenden Jungen oder Versuchstiere, nicht einmal der Chlorgehalt der Milch stieg nach der intravenösen Injektion von Chloralhydrat. Nach van Itallie (Holl. Vet.-Zeit. 1904) sollen von Arzneimitteln überhaupt nicht in die Milch übergehen: Morphium, Eserin, Pilokarpin, Jod, Salizylsäure und Terpentinöl.
Die durch die Einverleibung von Giften hervorgerufenen Krankheitserscheinungen und pathologisch-anatomischen Veränderungen sind im allgemeinen nicht sehr leicht von den gewöhnlichen Krankheiten zu unterscheiden. Die sichere, zweifelsfreie Beantwortung der Frage, ob im gegebenen Fall eine Vergiftung vorliegt oder nicht, lässt sich in der Mehrzahl der Fälle nicht auf klinisch-anatomischem Wege, sondern nur mit chemisch-physikalischen Hilfsmitteln bewirken. Sehr häufig bietet aber doch der Krankheitsbefund allein wichtige Anhaltspunkte dafür, dass eine Vergiftung mutmasslich oder sehr wahrscheinlich vorliegt, und vereinzelt lässt sich wohl auch eine solche auf rein klinischem Wege mit Sicherheit nachweisen, wie z. B. die Strychninvergiftung. Viel weniger Schwierigkeiten sind natürlich für die Beurteilung derjenigen Vergiftungen vorhanden, bei welchen die Natur des Giftes im voraus bekannt ist, so namentlich bei den Arzneivergiftungen.
Klinische Symptome. Die für die klinische Diagnose wichtigsten Punkte sind kurz zusammengefasst folgende:
1. Das plötzliche Auftreten einer schweren Erkrankung ohne nachweisbare Ursache (Erkältung, Infektion, Ueberanstrengung) mit raschem, oft tödlichem Verlauf. Das Auftreten dieser Krankheit im unmittelbaren Anschluss an die Futteraufnahme, sowie das gleichzeitige Erkranken anderer Tiere ist besonders wichtig (Anamnese).
2. Gastrische Erscheinungen: Appetitlosigkeit, gestörte Rumination, Speicheln (Merkurialismus, Pilzvergiftung), Kaukrämpfe und Zähneknirschen (Blei-, Kochsalz-, Lakenvergiftung), Trismus (Strychninvergiftung), Stomatitis (Aetzgifte, Pilzvergiftung, Quecksilbervergiftung), Trockenheit der Maulschleimhaut und Schlinglähmung (Belladonna, Pilzvergiftung), Würgen und Erbrechen, Hämatemesis, Kolikerscheinungen (Acria und Acria-Narcotica), Verstopfung, Aufblähen, Tenesmus, Durchfall,[S. 26] blutiger, schleimiger, schaumiger, übelriechender Kot, Aufhören der Milchsekretion, Ikterus (Phosphorvergiftung, Lupinose).
3. Nervöse Erscheinungen: Depression des Sensoriums, Benommenheit, Schläfrigkeit, rauschartige Narkose, Schwindel (Chloroform, Alkohol, Lolium temulentum), psychische Erregung, Unruhe, Schreckhaftigkeit, Aufregung, Tobsucht (Bleivergiftung, Alkoholvergiftung), zerebrale Krämpfe (Eklampsia saturnina), spinale Krämpfe bezw. Tetanus (Strychnin, Nikotin), Zwangsbewegungen (Extractum Filicis), zerebrale, spinale und periphere Lähmungen (Bleilähmung, Taxusvergiftung), Schwächezustände, Zittern, Kehlkopflähmung (Kichererbse, Bleivergiftung), Blasenlähmung, Mastdarmlähmung, Amaurosis (Bleivergiftung), Mydriasis, Myosis, Ptosis, Nystagmus (Lakenvergiftung), Hyperästhesie, Anästhesie, Kollaps.
4. Kardiale Erscheinungen. Dieselben treten namentlich bei den Herzgiften (Digitalisgruppe) in Form einer Beeinflussung der Frequenz, Stärke, sowie des Rhythmus der Herztätigkeit auf und äussern sich in Verlangsamung, Beschleunigung, Unregelmässigkeit des Herzschlages und Pulses, in Herzklopfen, verminderter Herzkraft, Schwäche des Pulses, Unfühlbarkeit desselben und schliesslicher Herzlähmung. Weitere Störungen der Zirkulationsorgane sind Zyanose, Temperaturverminderung oder erhöhte Körpertemperatur.
5. Harnveränderungen. Eine Reihe von Giften erzeugt charakteristische Veränderungen des Harns. So beobachtet man Polyurie (Pilzvergiftung), Oligurie, Strangurie und Anurie mit Urämie (toxische Nephritis bei Kantharidenvergiftung), Hämaturie (Baumwollsamenvergiftung), Hämoglobinurie (Vergiftung durch Kali chloricum, Nitrobenzol, Bienenstiche), Braun- und Grünfärbung (Karbol- und Teervergiftung), Glykosurie (Morphium-, Chloroform-, Aether-, Kohlenoxyd-, Oxalsäurevergiftung).
Von sonstigen für die Diagnose wichtigen allgemeinen Krankheitserscheinungen sind zu erwähnen die teils direkt infolge von Blutveränderungen oder Lähmung der Respirationsorgane teils indirekt infolge von Herzlähmung eintretende Dyspnoe (Blausäurevergiftung), Exantheme (Quecksilber-, Brom-, Schlempevergiftung), Urticaria und Hautnekrose (Rostpilze, Kernpilze), Ernährungsstörungen (chronische Blei-, Arsenik-, Quecksilberkachexie), Abortus (Sekale- und andere Pilzvergiftungen, sowie bei schweren[S. 27] Vergiftungen überhaupt infolge Veränderung der Blutverteilung oder Dyspnoe), Sterilität (chronische Arsenikvergiftung).
6. Oertliche Reizerscheinungen, bestehend in Rötung, Schwellung, Entzündung und Verätzung. Dieselben sind charakteristisch für die Akria und lassen sich während des Lebens auf der Haut, sowie auf der Schleimhaut der Maul- und Rachenhöhle nachweisen. Manche scharfe Gifte sind durch eine besondere Farbe des Aetzschorfes ausgezeichnet, so die Salpetersäure durch einen gelben, das Formaldehyd durch einen braunen, die Salzsäure durch einen grauweissen, die Essigsäure durch einen weissen Schorf.
Anatomische Veränderungen. Ihre Bedeutung für die Diagnose der Vergiftungen ist beschränkt. Sehr viele Gifte, welche während des Lebens ausgeprägte klinische Erscheinungen bedingen, so die ganze Reihe der reinen Narcotica, hinterlassen keinerlei anatomisch erkennbare Veränderungen im Tierkörper. Das einzig Charakteristische ist daher bei ihnen der negative Sektionsbefund. Im Gegensatz hierzu findet man bei den scharfen und scharfnarkotischen Giften auf der Schleimhaut des Digestionsapparates die Erscheinungen der Entzündung und Korrosion (Rötung, Schwellung, Hämorrhagien, Erosionen, Geschwüre, kruppöse, diphtheritische Beläge, Perforation). Ausser diesen lokalen Veränderungen in den ersten Wegen beobachtet man als wichtigste Allgemeinveränderungen Verfettung der Muskeln und Drüsen (Phosphor-, Arsenikvergiftung), Nephritis und Zystitis (Kanthariden, Terpentinöl), Nierenverkalkung (Quecksilber, Blei, Kupfer, Wismut, Jod, Jodoform), akuten Hydrozephalus und Hydrorhachis, Hämorrhagien in verschiedenen Organen, sowie zuweilen spezifische Veränderungen des Blutes: lackfarbige Beschaffenheit (Blutgifte), kirschrote Farbe (Kohlenoxydvergiftung), hellrote Farbe des Venenblutes (Blausäurevergiftung). Man hat sich indessen vor Verwechselungen mit postmortalen gewöhnlichen Veränderungen sehr zu hüten. Die Erscheinungen der Suffokation (Blutüberfüllung der Lungen und des Herzens) findet man auch bei Tieren, welche nicht an Vergiftung, sondern eines gewöhnlichen Todes verstorben sind.
Differentialdiagnose der Vergiftungen. Zahlreiche Krankheiten können teils wegen ihres plötzlichen Verlaufs (apoplektiforme Krankheiten), teils wegen der gleichzeitigen Erkrankung mehrerer Tiere (Infektionskrankheiten), teils wegen der auffallenden nervösen Symptome (Nervenkrankheiten) mit Vergiftungen verwechselt werden.
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1. Apoplektiforme Krankheiten sind namentlich Ueberhetzung bei Pferden, Rindern und Schweinen, Hitzschlag, Sonnenstich, Herz-, Lungen- und Gehirnlähmung, Milzbrandapoplexie, perakut verlaufender Schweinerotlauf und Schweineseuche (Schweinepest), sowie Geflügelcholera, perakute Septikämie, Magen- und Darmruptur, sowie innere Verblutung (Aorta, Leber).
2. Infektionskrankheiten sind Milzbrand, Rinderpest, Schweinerotlauf, Maul- und Klauenseuche, Kälberruhr, Pocken (Pilzvergiftung, Schlempevergiftung, Quecksilbervergiftung), seuchenhafter Abortus (Mutterkornvergiftung), Tuberkulose, Wut (Bleivergiftung), Leberegelseuche (Lupinose).
3. Nervenkrankheiten sind Starrkrampf (Strychninvergiftung), Eklampsie und Epilepsie (Bleivergiftung), Gehirnentzündung (Klatschrosenvergiftung), zerebrale und spinale Lähmungen (Pilzvergiftung, Equisetum- und Loliumvergiftung), Kehlkopflähmung (Blei-, Kichererbsenvergiftung).
Endlich können Todesfälle nach Räudebädern bei Schafen infolge Aspiration der Badeflüssigkeit und Erstickung, Ueberhitzung oder Erkältung mit Vergiftungen verwechselt werden (Arsenik-, Tabak-, Kreolinvergiftung).
Die überwiegende Mehrzahl der Vergiftungen lässt sich mit wissenschaftlicher Sicherheit nur auf dem Wege der chemisch-physikalischen Analyse nachweisen. Als Untersuchungsobjekte dienen in erster Linie der Inhalt des Magens und Darmes, sodann das Blut, ausserdem die Leber, Nieren, Muskeln und der Harn, alle in möglichst frischem Zustand. Anorganische Gifte sind, weil sie sich während der Untersuchung nicht verändern und in ihren Reaktionen besser studiert sind, wesentlich leichter nachweisbar als die zersetzlichen, noch sehr wenig charakterisierten organischen Verbindungen, namentlich die Alkaloide und Glykoside. Der chemische Nachweis der Vergiftungen beginnt mit einer Vorprüfung, der die eigentliche Analyse folgt.
1. Die Vorprüfung. Vor der eigentlichen chemischen Untersuchung sind Vorversuche darüber anzustellen, welche Art oder Klasse von Giften in dem zu untersuchenden Material etwa vorhanden sein könnte. So lassen sich schon durch den gewöhnlichen Gesichtssinn oder mittels der Lupe oder des Mikroskops Jodoform, Kalomel, Arsenik, roter Präzipitat, Kanthariden, sowie sehr viele Pflanzenteile (Semen Strychni, Semen Colchici, Folia Digitalis, Folia Belladonnae, Herba Hyoscyami, Folia Nicotianae) sowie der Phosphor (Leuchten im Dunkeln) nachweisen. Auch die Farbe kann bei Pikrinsäure (gelb), Quecksilberjodid (rot), Kupferoxyd (schwarz), Kalomel (weiss) usw. auf die Art der Vergiftung[S. 29] hinführen. Die Reaktion lässt Säuren und saure Salze, sowie Basen erkennen. Durch den Geruch lässt sich die Anwesenheit von Blausäure, Phosphor, Karbolsäure, Kreosot, Jodoform, Chloroform, Kampfer, Terpentinöl, Aether, Alkohol, Nikotin feststellen; dieser für die einzelnen Gifte charakteristische Geruch wird namentlich beim Erwärmen des Untersuchungsmaterials mittels Säuren, am besten bei der Destillation, wahrgenommen. Die kristalloiden Körper (Metallsalze, alle löslichen Salze, Alkaloide, Säuren, Alkalien) lassen sich ferner auf dem Wege der Dialyse trennen. Metalle (Blei, Quecksilber) können ausserdem durch Elektrolyse nachgewiesen werden. Zu diesen Vorproben wird nach Dragendorff[1] nur etwa 1⁄20 des Untersuchungsmaterials verwandt. Das übrige wird in 4 Teile geteilt; das erste Viertel wird der Destillation unterworfen und auf flüchtige Gifte (Blausäure, Phosphor, Chloroform, Karbolsäure, Alkohol, Aether) untersucht, das zweite durch Ausschütteln auf Alkaloide und sonstige organische Gifte, das dritte auf schwere Metalle durch Lösung derselben nach vorhergegangener Zerstörung der organischen Substanz und teilweiser Behandlung mit Schwefelwasserstoff, das vierte durch einfaches Ausziehen mit Wasser (Alkalien und Säuren).
2. Der Nachweis der schweren Metalle. Während die Salze der Alkalien und die Säuren von dem Untersuchungsmaterial sehr leicht durch einfaches Ausziehen mit Wasser zu trennen und dann auf ihre Spezialreaktionen zu untersuchen sind, lassen sich die schweren Metalle und ihre Salze (Arsen, Quecksilber, Blei, Kupfer, Zink, Antimon) nicht ohne weiteres aus dem Körper der vergifteten Tiere extrahieren, weil sie mit dem Körpereiweiss sogen. metallorganische Verbindungen (Metallalbuminate) gebildet haben, in welchen die betreffenden Metalle ihre charakteristischen Reaktionen verloren haben. Die Metalle müssen daher aus diesen organischen Verbindungen durch ein vorbereitendes Verfahren zuerst wieder frei gemacht werden. Dieses Freimachen der Metalle aus ihren Albuminatverbindungen geschieht durch Zerstören der organischen Substanz mittels Chlor oder Salpeter oder anorganischen Säuren. a) Mit Chlor werden die organischen Beimengungen in der Weise zerstört, dass man sie mit Salzsäure und chlorsaurem Kali zusammenbringt, welche zusammen[S. 30] Chlor entwickeln. Die zerkleinerten Substanzen werden etwa mit demselben Gewichte Salzsäure versetzt, nötigenfalls mit destilliertem Wasser verdünnt und in einem geräumigen Glaskolben, welcher damit nur etwa zur Hälfte gefüllt wird, im Wasserbade erhitzt, nachdem sie einen Zusatz von etwa 2 Proz. Kali chloricum erhalten haben. Das Dunkelwerden der Flüssigkeit beim Erwärmen zeigt den Zeitpunkt an, dass das chlorsaure Kali verbraucht ist und ersetzt werden muss. Man bringt dann vorsichtig, um das Aufschäumen zu vermeiden, von Zeit zu Zeit etwa ein Gramm chlorsaures Kali hinzu. Wird nach einem ¼-½stündigen Erhitzen die Flüssigkeit nicht mehr dunkler, so genügt die Chloreinwirkung und die Zerstörung ist beendet. Die Flüssigkeit wird sodann in einer Porzellanschale erwärmt, bis das Chlor entwichen ist, heiss filtriert und der Rückstand mit heissem destilliertem Wasser ausgewaschen. Im Filtrate sind dann Arsen als Arsensäure, Quecksilber als Sublimat, Blei als Bleichlorid, Antimon als Antimonchlorid, Kupfer als Kupferchlorid, Zink als Chlorzink enthalten. — b) Mit Salpeter wird nach vorherigem Erhitzen der Untersuchungsmasse mit gleichem Gewichte Salpetersäure und Neutralisieren der Säure mit Aetzkali oder kohlensaurem Kali die Masse ebenfalls etwa in gleichem Gewichte versetzt, ausgetrocknet und in kleinen Portionen im Porzellantiegel geglüht, wobei neue Portionen erst nach dem Verpuffen und Weisswerden der vorhergehenden eingefüllt werden. Der Rückstand wird mit heissem Wasser aufgenommen. Diese Methode, welche auf einer Oxydation beruht, ist stärker als die vorhergehende; sie verwandelt die Metalle in Oxyde resp. Kalisalze: arsensaures, antimonsaures, chromsaures Kali, Bleioxyd, Kupferoxyd etc. — c) Mit anorganischen Säuren: Salzsäure, Königswasser, Schwefelsäure, Salpetersäure, Schwefelsäure und Salpetersäure etc., zerstört man die organischen Substanzen durch Erhitzen.
Sind die Metalle auf diese Weise frei gemacht und in Lösung übergeführt, so werden sie aus der erkalteten, noch freie Salzsäure enthaltenden klaren Flüssigkeit durch Schwefelwasserstoff als Schwefelmetalle (Sulfide) abgeschieden. Zu diesem Zwecke leitet man gewaschenen, arsenfreien Schwefelwasserstoff ein, bis die Flüssigkeit vollständig damit gesättigt ist, lässt dieselbe 24 Stunden stehen, sättigt noch einmal mit Schwefelwasserstoff, filtriert den entstandenen Niederschlag ab und wäscht ihn anfangs[S. 31] mit gesättigtem Schwefelwasserstoffwasser, dann 2–3mal mit gekochtem destilliertem Wasser aus.
Die einzelnen Metalle geben hierbei folgende Niederschläge:
I. Arsen einen gelben, in Schwefelammonium löslichen, in Salzsäure unlöslichen Niederschlag von Schwefelarsen.
II. Antimon einen orangegelben, in Schwefelammonium und in warmer Salzsäure löslichen Niederschlag von Schwefelantimon.
III. Quecksilber einen schwarzen, in Schwefelkalium und Königswasser leicht, in Schwefelammonium wenig, in Salzsäure schwer löslichen Niederschlag von Schwefel-Quecksilber.
IV. Blei einen schwarzen (anfangs roten oder rotbraunen), in Salpetersäure ziemlich leicht löslichen, in Schwefelalkalien nicht, in konzentrierter Salzsäure schwer löslichen Niederschlag von Schwefelblei.
V. Kupfer einen schwarzen, in Zyankaliumlösung, Salpetersäure und in Salzsäure löslichen, in Schwefelammonium und siedender verdünnter Schwefelsäure (1 : 5) ziemlich unlöslichen Niederschlag von Schwefelkupfer.
Das Filtrat, welches von den obigen Niederschlägen abfiltriert wurde, enthält noch Zink und Chrom, welche nur aus essigsaurer, resp. alkalischer Lösung durch Schwefelwasserstoff ausgefällt werden. Deshalb wird das (salzsaure) Filtrat mit so viel essigsaurem Natron versetzt, bis alle freie Salzsäure in Chlornatrium verwandelt und Essigsäure frei geworden ist. Hierauf fällt Schwefelwasserstoff
VI. Zink in Form eines weissen Niederschlages von Schwefelzink, aus, der sich in verdünnter warmer Schwefelsäure farblos löst. Endlich fällt Schwefelwasserstoff aus dem durch Aetzammoniak alkalisch gemachten Filtrate
VII. Chrom als grünbläulichen, in Kalilauge löslichen Niederschlag von Schwefelchrom.
3. Der Nachweis der Alkaloide und Glykoside. Die einzelnen Alkaloide und Glykoside geben zwar mit einer grossen Anzahl von Reagentien Niederschläge und Farbenreaktionen, diese letzteren sind jedoch nicht sehr charakteristisch und kommen häufig mehreren Alkaloiden gleichzeitig zu. Der Nachweis der Alkaloide wird daher nicht sowohl auf chemischem, als vielmehr auf physikalischem Wege in der Weise erbracht, dass man das verschiedene Verhalten der einzelnen Alkaloide gegen bestimmte Lösungsmittel untersucht (Abscheidungsmethode der Alkaloide nach Stas-Otto). Es sollen hier zuerst die allgemeinen Reagentien der Alkaloide und dann das spezielle Abscheidungsverfahren besprochen werden.
Die Alkaloide und Glykoside geben mit einer grossen Anzahl von Körpern Niederschläge. Von solchen Reagentien sind zu nennen: Gerbsäure (bildet mit den meisten Alkaloiden farblose[S. 32] oder gelbliche tanninsaure Salze), Jod, Jod-Jodkaliumlösung und Jodtinktur (gibt mit den meisten Alkaloiden einen kermesfarbigen Niederschlag, mit Chinin, Atropin, Nikotin einen rotbraunen, mit Koffeïn einen schmutzig dunkelbraunen, mit trockenem Kolchizin bei sehr starker Verdünnung des Reagens eine violette Farbe, mit Solanin in saurer Lösung dagegen keinen Niederschlag), Platinchlorid (gibt 1 : 3000 mit Strychnin sofort einen gelben, in kalter Salzsäure nicht löslichen Niederschlag, mit Nikotin einen fast weissen, in Salzsäure löslichen Niederschlag, mit Morphin und Kolchizin anfangs eine geringe Trübung, nach 24 Stunden einen kristallinischen Niederschlag, mit Koniin, Digitalin, Solanin, Atropin, Eserin, Veratrin, Akonitin keinen Niederschlag), Goldchlorid (meist gelbliche oder weisse Niederschläge), Phosphormolybdänsäure (aus molybdänsaurem Ammoniak in saurer Lösung durch Mischen mit einer salpetersauren Lösung von phosphorsaurem Natron dargestellt und den sauren Lösungen der Alkaloide tropfenweise zugefügt, gibt amorphe weissgelbliche Niederschläge), Metawolframsäure, Phosphorantimonsäure, Formalinschwefelsäure, Sublimat, Kalium bichromicum, Kalium permanganicum, Kaliumplatinzyanür, Kaliumsilberzyanid, Kaliumkadmiumjodid, Kaliumwismutjodid, Kaliumquecksilberjodid, Chlorjod, Brombromkalium, Natriumsulfantimoniat etc.
Weiter geben viele Alkaloide mit gewissen Reagentien eigentümliche Färbungen. Die wichtigsten dieser Farbenreaktionen, welche übrigens im allgemeinen für den Nachweis der Alkaloide wenig beweiskräftig sind, weil sie häufig mehreren Alkaloiden gleichzeitig zukommen, sind folgende: Schwefelsäure mit Zusatz von Kalium bichromicum zur schwefelsauren Lösung des Alkaloids färbt Strychnin violettblau, rot und grün. Reine konzentrierte Schwefelsäure färbt Veratrin anfangs grüngelb, später blutrot, nach einer halben Stunde prachtvoll karminrot; Strychnin, Koffeïn, Chinin, Morphin, Atropin, Akonitin bleiben ungefärbt. Rauchende Salpetersäure färbt Pilokarpin blassgrün. Ammoniak färbt Eserin beim Eindampfen im Wasserbade blau oder blaugrau. Schwefelsäure mit Zusatz von salpetersaurem Wismut färbt Morphium dunkelbraun. Konzentrierte Schwefelsäure mit molybdänsaurem Natron (0,01 pro cm) = Fröhdes Reagens löst Morphin sogleich prachtvoll violett; die Farbe wird später grün, braungrün und gelb. Auch die spektroskopische Untersuchung benützt man zuweilen zum Nachweis von Alkaloiden und anderen Giften; das keine spezifische Farbenreaktion besitzende Akonitin zeigt im ultravioletten Teil des Sonnenspektrums charakteristische Absorptionsstreifen.
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Dieselbe beruht nicht auf der Bildung von Niederschlägen oder in dem Auftreten von Farben, sondern auf der verschiedenen Löslichkeit der einzelnen Alkaloide in Alkohol und Aether etc., teils bei saurer, teils bei alkalischer Reaktion. Es lässt sich durch diese Methode eine grössere Anzahl von Alkaloiden aus Gemengen mit anderen Stoffen entweder in reinem Zustande oder in charakteristischen Gruppen isolieren. Das Verfahren ist im allgemeinen folgendes: Die Alkaloide bilden mit Säuren, namentlich mit Weinsäure, saure Salze, welche in Wasser und meist auch in Alkohol löslich sind.
a) Aus diesen sauren wässerigen Lösungen nimmt Aether nur auf: Digitalin, Kolchizin, Kantharidin, Pikrotoxin, amorphes Akonitin.
b) Aus der alkalisch gemachten wässerigen Lösung zieht Aether alle Alkaloide aus mit einziger Ausnahme von Morphin, Apomorphin, Kurarin.
c) Morphin lässt sich aus diesem Gemenge durch Amylalkohol, Apomorphin durch Salmiaklösung ausziehen, während Kurarin zurückbleibt.
Die genauere Ausführung der Stas-Ottoschen Methode ist folgende: Die zu untersuchenden Massen werden mit der doppelten Menge starken Weingeistes und mit Weinsäure bis zur stark sauren Reaktion versetzt, längere Zeit bei 70–75° C. digeriert, warm abgepresst, der Auszug nach dem Erkalten filtriert, der Rückstand noch 1–2mal in gleicher Weise mit Alkohol und Weinsäure extrahiert, und dann die gesammelten Filtrate bei 35° C. eingedampft, bis der grösste Teil des Alkohols verdunstet ist. Ein etwa entstandener Niederschlag (Fette etc.) wird durch Filtration entfernt. Schüttelt man nun das saure Filtrat mit Aether, so kann man Digitalin, Kolchizin, Kantharidin und Pikrotoxin dadurch isolieren, dass man den Aetherabzug verdampfen lässt.
Der Rückstand (alle Alkaloide und Glykoside ausser den 4 genannten enthaltend) wird, nachdem er im Vakuum über Schwefelsäure zur Trockene verdunstet ist, mit absolutem Alkohol 24 Stunden mazeriert, filtriert, das Filtrat bei 35°C. verdunstet, der zurückbleibende Teil in wenig Wasser gelöst und mit Natrium bicarbonicum bis zur alkalischen Reaktion versetzt, worauf er sofort mit dem 4fachen Volum reinen Aethers anhaltend geschüttelt, der Aetherauszug abgehoben und bei gewöhnlicher Temperatur auf einem Uhrschälchen verdunstet wird. Auf dem Uhrschälchen bleiben alle Alkaloide mit Ausnahme von Morphin, Apomorphin und Kurarin zurück; dabei lassen sich Nikotin und Koniin leicht schon durch ihren Geruch bestimmen, ausserdem bilden sie im Gegensatze zu den anderen kristallinisch oder amorph auftretenden Alkaloiden eine ölige Flüssigkeit.
Kristallinische oder amorphe feste Rückstände können behufs Reindarstellung des Alkaloids mit Natron- oder Kalilauge versetzt und mit[S. 34] frischem Aether ausgezogen werden, der sogleich verdunstet wird, worauf der Rückstand mit ein paar Tropfen Alkohol gelöst und die Lösung der freiwilligen Verdunstung überlassen wird, wobei meist Kristalle erhalten werden. Ist dies nicht der Fall, so löst man den Rückstand noch einmal in stark verdünnter Schwefelsäure, dekantiert die wässerige Lösung, verdunstet die Schwefelsäure, neutralisiert mit reinem kohlensaurem Kali, verdunstet im Vakuum und nimmt den Rückstand mit absolutem Alkohol auf, worauf nach dem Verdunsten desselben das Alkaloid meist sehr rein erhalten wird.
Morphin wird aus der alkalischen wässerigen Lösung (vergl. oben nach dem Zusatze von Natrium bicarbonicum) direkt mit Amylalkohol ausgeschüttelt und nach dessen Verdunsten rein erhalten.
[1] Vergl. auch das neue Lehrbuch der chemischen Toxikologie und die Anweisung zur Ausmittlung der Gifte von Gadamer, Göttingen 1909.
Allgemeines über die Methoden und den Gang der toxikologischen Untersuchungen. Die Angaben über die toxikologische bezw. pharmakologische Wirkung der einzelnen Gifte auf die verschiedenen Organe und Tiere sind das Resultat exakter experimenteller Forschung. Als Versuchsobjekte dienen vor allem Säugetiere (Pferd, Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Hund, Katze, Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse etc.), sowie Geflügel. Für die Zwecke der tierärztlichen Toxikologie empfiehlt es sich, mit möglichst grossen Säugetieren, am besten mit den gewöhnlichen Objekten der tierärztlichen Therapie, also mit Pferden, Wiederkäuern, Hunden und Schweinen zu experimentieren und dabei den fundamentalen Unterschied zwischen Pflanzenfressern und Fleischfressern wohl zu beachten. Versuche mit Kaltblütern (Fröschen, Fischen, Schlangen, Würmern, Egeln, Schnecken etc.) haben ein vorwiegend theoretisch-wissenschaftliches Interesse. Dies gilt insbesondere für das Hauptversuchstier der humanen Toxikologen und Pharmakologen, den Frosch, der übrigens als Kaltblüter auf zahlreiche Gifte ganz anders reagiert, als die Warmblüter. Zu besonderen Zwecken endlich dienen als Versuchsobjekte Bakterien, Algen, Amöben, Infusorien, Hefezellen, Leukozyten, rote Blutkörperchen, höhere Pflanzen, Helminthen. Auch ausgeschnittene Körperorgane können zu Versuchen verwendet werden, so namentlich das Herz, die Muskeln und Nerven, die Leber, die Nieren, die Milz.
Die Feststellung der physiologischen Wirkung und die methodische Zergliederung der Wirkung der einzelnen Gifte ist oft eine sehr komplizierte und schwierige experimentelle Aufgabe. In dieser[S. 35] Beziehung verdienen die nachstehenden kurzen allgemeinen Bemerkungen Beachtung[2].
Blutgifte. Die Wirkung der Gifte auf das Blut kann makroskopisch, mikroskopisch, chemisch, spektroskopisch und physikalisch, ausserhalb und innerhalb des Tierkörpers untersucht werden. Sie kann sich entweder darin äussern, dass die Blutgerinnung und damit die Blutverteilung im Körper geändert wird, oder darin, dass das Blut selbst in seinen wichtigsten Bestandteilen umgewandelt und zersetzt wird.
1. Die Blutgerinnung wird durch einzelne Gifte gehemmt (Blausäure, Schlangengifte, Blutegelferment, Chinin), durch zahlreiche andere gesteigert (Rizin, Abrin, Spinnengift). Manche Gifte heben ferner die Fähigkeit des Blutkuchens auf, das Serum auszupressen. Bezüglich der Art der Einwirkung der Gifte auf die Blutgerinnung sind die Untersuchungen über das Wesen der Gerinnung von Bedeutung. Zur Fibrinbildung sind bekanntlich mindestens zwei Stoffe nötig: die aus den Blutkörperchen abstammende sog, fibrinogene Substanz, das Fibrinogen, sowie das Fibrinferment. Letzteres ist vorwiegend im Zellkern der weissen Blutkörperchen enthalten. Die Tätigkeit des Fibrinferments wird nun durch viele Gifte angeregt oder ersetzt (sog. fibrinbildende Gifte), durch andere verlangsamt oder aufgehoben. Von Gerinnung erzeugenden Stoffen bezw. Giften sind besonders zu nennen das Rizin, die fermentartig wirkende Phytalbumose der Rizinussamen, welches die roten Blutkörperchen zu einem lackartigen Klumpen verklebt und sogar defibriniertes Blut von neuem zum Gerinnen bringt, das Abrin, das Toxalbumin der Samen von Abrus precatorius mit noch stärkerer fibrinbildender Wirkung, sowie das Blut fremder Spezies. Die Folgen der Blutgerinnung bestehen in Thrombose, Embolien, Anämie, Blutstauung, Entzündung, Nekrose, Geschwürsbildung, Hämorrhagien und anderen durch die Störung der Blutzirkulation bedingten Erscheinungen.
2. Eine Blutzersetzung durch Gifte kann entweder in der Auflösung der roten Blutkörperchen (Hämolyse) oder in der Bildung von Methämoglobin oder in einer spezifischen Einwirkung auf den Blutfarbstoff bestehen.
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Das Hämoglobin wird in den roten Blutkörperchen durch ein eigentümliches Protoplasma, das sog. Diskoplasma, gebunden. Geht das Diskoplasma durch irgend eine schädliche Einwirkung zugrunde, so werden die roten Blutkörperchen zerstört und das Hämoglobin geht frei in das Blutserum über. Ausserdem wird namentlich bei der Zerstörung der weissen Blutkörperchen Fibrinferment frei, wodurch die Blutgerinnung beschleunigt wird. Die lösende Einwirkung der Gifte auf die roten Blutkörperchen, wodurch das Hämoglobin frei im Serum gelöst wird, erfolgt zuweilen noch in sehr starken Verdünnungen. Das Phallin löst sie beispielsweise zum Teil schon in einer Verdünnung von 1 : 500000, sowie vollständig bei einer solchen von 1 : 125000 auf; ähnlich verhalten sich das Saponin, das wahrscheinlich durch Entziehung von Cholesterin hämolytisch wirkt, die Helvellasäure, das Gift der Morchel, der Arsenwasserstoff und Phosphor.
Als Methämoglobin bezeichnet man ein Oxyhämoglobin mit sehr fest gebundenem Sauerstoff, welcher infolgedessen für die Atmung nicht abgegeben wird, im Gegensatz zum gewöhnlichen, die Respiration durch den nur leicht gebundenen Sauerstoff ermöglichenden Oxyhämoglobin. Das Methämoglobin hat eine sepiabraune Farbe; unter dem Einfluss der in der Leiche auftretenden Fäulnisprozesse zersetzt es sich bald.
Die Umwandlung des Hämoglobins in Methämoglobin und dessen Auflösung im Blutserum kann mit oder ohne gleichzeitige Auflösung der Blutkörperchen erfolgen. Reine Methämoglobin bildende Gifte sind chlorsaures Kali, Pyrogallol, die Aldehyde (Paraldehyd), Nitrobenzol, Nitroglyzerin, die Nitrite, die Pikrinsäure und ihre Salze, das Anilin, Antifebrin und Phenazetin, der Schwefelkohlenstoff, das Toluylendiamin u. a. Das im Blutserum gelöste Methämoglobin wird teils in der Leber zu Bilirubin zersetzt (Pleiochromie der Galle), teils als Parhämoglobin in Leber, Milz und Knochenmark unlöslich deponiert, teils als Hämoglobin mit dem Harn ausgeschieden (Methämoglobinurie).
Eine spezifische Einwirkung auf das Hämoglobin besitzen endlich der Schwefelwasserstoff, das Stickoxyd, die Blausäure und das Kohlenoxyd (Bildung von Schwefelmethämoglobin, NO-Hämoglobin, CNH-Hämoglobin, CO-Hämoglobin). Zum Kohlenoxyd hat beispielsweise das Hämoglobin eine 200mal stärkere Affinität als zum Sauerstoff.
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Leukozytengifte. Die amöboide Bewegung der weissen Blutkörperchen wird durch sehr viele Gifte gelähmt, z. B. durch Chinin. Eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen (Hyperleukozytose) findet man namentlich nach scharfen Einreibungen (Kantharidensalbe, Senföl) sowie nach der subkutanen Applikation der Akria. Eine Verminderung der Zahl der weissen Blutkörperchen (Hypoleukozytose) wird durch Chloroform, Strychnin und andere Gifte bedingt.
Nervengifte. Je nach der Art des Giftes, der Applikationsmethode und Dosis sowie nach der Tiergattung reagiert das Nervensystem auf die Nervengifte durch sehr verschiedene Erscheinungen, welche im allgemeinen andeuten, dass man es mit einem Nervinum zu tun hat. Solche Erscheinungen sind z. B. Krämpfe, Lähmungen, psychische Benommenheit, Schlaf, Koma, Raserei. Bezüglich des Ortes der Einwirkung, speziell zur Entscheidung der Frage, ob das Gift ein Gehirngift, Rückenmarkgift oder peripheres Gift ist, muss folgendes beachtet werden. Schlafsucht, psychische Depression, Anfälle von Raserei deuten immer auf eine zerebrale Einwirkung hin. Epileptiforme (eklamptische) Krämpfe entstehen in der Mehrzahl der Fälle in den motorischen Grosshirnrindenzentren (kortikale Zentren). Es scheinen indessen auch in anderen Teilen des Grosshirns, so in den Vierhügeln, im Linsenkern, in den Gehirnschenkeln motorische Zentren vorhanden zu sein (subkortikale Zentren). Jedenfalls aber deuten epileptiforme (eklamptische) Krämpfe auf einen zerebralen Ursprung hin. Hirnkrampfgifte oder Krampfgifte im engeren Sinn sind z. B. Blei, Atropin, Veratrin, Akonitin und Pikrotoxin (das Strychnin ist dagegen ein Rückenmarkskrampfgift). Ausserdem können Krämpfe und Lähmungen vom verlängerten Mark (Kopfmark) und Rückenmark, sowie von den peripheren Nerven ausgehen. Die von den psychomotorischen Rindenzentren ausgehenden Krämpfe lassen sich, abgesehen davon, dass häufig die Psyche mitgestört ist, daran erkennen, dass sie nach Exstirpation dieser Zentren ausbleiben. Ebenso kommen Krämpfe, welche ihren Ursprung in der Medulla oblongata besitzen, nach Durchschneidung des Halsmarks nicht mehr zustande; die hierbei auftretenden Krämpfe müssen spinalen Ursprung haben. Die motorische Erregung der peripheren Nerven äussert sich in Form von isolierten, oft fibrillären Zuckungen, welche auch nach Durchschneidung des zuführenden Nervenastes fortdauern. Lähmungen zerebralen Ursprungs lassen sich durch das negative Resultat der elektrischen Reizung der freigelegten motorischen Rindenzentren als solche feststellen, Lähmungen[S. 38] peripherer motorischer Nerven in analoger Weise durch das negative Resultat der Reizung der freigelegten peripheren Nerven, z. B. des Ischiadikus. Lähmungen von Gehirnnerven erstrecken sich lediglich auf die von den betreffenden Nerven versorgten Gebiete.
Es lässt sich ferner eine periphere oder zentrale Nervenbeeinflussung durch Unterbindung der zuführenden Blutgefässe (z. B. der Arteria femoralis) mit Sicherheit auseinander halten. So erzeugt Strychnin als zentrales Rückenmarksgift auch nach Unterbindung der Arteria femoralis Tetanus der Schenkelmuskulatur, solange die periphere Nervenleitung (Ischiadikus) besteht. Umgekehrt bleiben die Schenkelmuskel erregbar, wenn bei einem kurarisierten Tiere von vornherein die Femoralis unterbunden wird, das die peripheren motorischen Nerven lähmende Kurare somit nicht nach der Peripherie gelangen kann (intramuskuläres Nervenendgift).
Die Frage endlich, ob eine periphere Lähmung oder ein peripherer Krampf ihren Sitz im Nerven oder Muskel haben, ist nicht immer sicher zu entscheiden. Reizzustände der peripheren Nerven lassen sich durch Kurare beseitigen, weil dasselbe die peripheren motorischen Nervenendigungen lähmt, nicht aber Reizzustände der Muskelsubstanz.
Narkose. Die allgemeine Narkose wird gewöhnlich auf eine zentrale Einwirkung der Nervengifte auf die Ganglienzellen zurückgeführt. Nach den Untersuchungen von Nissl (Zeitschr. f. Psychiatrie, 54. Bd.) findet man die Ganglienzellen der Grosshirnrinde bei der Alkoholvergiftung in rundliche, blass gefärbte Gebilde verwandelt, in denen die Kerne und Dendriten verschwunden sind. Bei der Morphiumvergiftung sind die Rindenganglien verkleinert, die Zellkörperchen (Nisslkörper) spärlich, klein und schwächer gefärbt. H. Meyer (Arch. für exp. Pathol., Bd. 42, 46 u. 47) und Overton (Studien über die Narkose, Jena 1901) führen die narkotische Wirkung der Alkohol-Aethergruppe auf die Lösung fettartiger Stoffe (Lipoide) in den Ganglienzellen durch den Alkohol, Aether usw. zurück (Lezithin, Protagon). Infolge Auflösung der Lipoide können die Ganglienzellen grössere Mengen von Alkohol usw. aufnehmen und so narkotisiert werden. Die Reihenfolge der Narkose bei dieser Gruppe ist gewöhnlich die, dass zuerst die Grosshirnrinde (Sensorium, Bewusstsein, Empfindung), sodann das Rückenmark (Motilität, Reflexe) und zuletzt das verlängerte Mark (Atmungszentrum, vasomotorisches Zentrum) gelähmt werden.
Herzgifte. Die Entscheidung der Frage, ob die Wirkung der Herzgifte eine myogene, d. h. auf den Herzmuskel gerichtete ist, oder ob sie einen neurogenen Ursprung hat (intrakardiale Ganglien, Vagus, Sympathikus), ist oft sehr schwierig zu entscheiden. Die Digitalis wird gewöhnlich als ein Muskelgift aufgefasst, das durch starke Muskelkontraktion systolischen Herzstillstand herbeiführt,[S. 39] während die Wirkung des Chloroforms als Herznarkotikum zweifelhaft erscheint. Auf die Blutgefässe wirken manche Gifte verengernd (konstriktorisch), andere erweiternd (dilatatorisch). Die Verengerung und Erweiterung der Gefässe wird entweder durch eine zentrale Wirkung auf das vasomotorische Zentrum im verlängerten Mark (Chloroform, Antipyrin) oder durch periphere Wirkung bedingt und stellt im letzteren Fall teils eine Muskelwirkung (Digitalis), teils eine Nervenendwirkung dar. Vasokonstriktorische Gifte sind die Digitalisglykoside, Strophanthus, Chlorbaryum und Adrenalin; vasodilatatorisch wirken die Alkohole und Aether, Chloroform und Chloralhydrat, sowie die Nitrite (Amylnitrit).
Die Art und der Ort der Einwirkung von Giften auf das Herz und auf den Zirkulationsapparat lässt sich teils durch Bestimmung des Blutdrucks (Manometer), der Blutgeschwindigkeit (Stromuhr) und der Gefässweite, teils durch Untersuchung des Pulses und Herzschlages (Sphygmograph), teils mittels Durchschneidung und Reizung des Vagus, des Sympathikus und des Halsmarks (vasomotorisches Zentrum), teils endlich direkt am ausgeschnittenen Herzen (Williamsscher Apparat) nachweisen. Steigerung des Blutdrucks kann bedeuten: eine gesteigerte Arbeitsleistung des Herzens (Digitalis, Koffeïn), oder eine Gefässverengerung infolge Reizung des vasomotorischen Zentrums in der Medulla oblongata (Zystisin; die Blutdrucksteigerung fehlt nach dem Durchschneiden des Halsmarks) oder infolge einer Reizung der peripheren vasomotorischen Nerven (die periphere Gefässkontraktion tritt auch nach Durchschneidung des Halsmarks ein). Gesteigerte Arbeitsleistung des Herzens darf als ausschliessliche Ursache des gesteigerten Blutdrucks nur dann angenommen werden, wenn nach Lähmung der zentralen (Halsmarkdurchschneidung) und peripheren (Amylnitrit) vasomotorischen Apparate trotzdem noch Blutdrucksteigerung eintritt. Sinken des Blutdrucks kann bedingt sein: durch geschwächte Muskeltätigkeit des Herzens (die Kompression der Bauchaorta vermag dann den Blutdruck zu steigern), oder durch Lähmung des vasomotorischen Zentrums (negatives Resultat der elektrischen Reizung desselben), oder durch Lähmung der peripheren Vasomotoren (negatives Resultat der elektrischen Reizung des die Gefässe des Kaninchenohrs bei Erregung kontrahierenden Halssympathikus), oder durch periphere Lähmung der Splanchnikusendigungen in der Bauchhöhle (die sonst bei Reizung der peripheren Enden des durchschnittenen Splanchnikus eintretende Blutdrucksteigerung kommt nicht[S. 40] zustande). Verlangsamung des Pulses (toxische Bradykardie) ist entweder die Folge einer Reizung des im verlängerten Marke gelegenen Vaguszentrums (Vagusdurchschneidung beseitigt dann die Verlangsamung), oder der kardialen Vagusendigungen (die verlangsamende Wirkung tritt auch nach durchschnittenem Vagus ein; Atropin erzeugt Beschleunigung), oder einer Muskellähmung des Herzens (Atropin bleibt wirkungslos). Abnorme Beschleunigung des Pulses (toxische Tachykardie) kann durch Reizung des Nervus accelerans (Sympathikus), der sog. Beschleunigungsfasern ausserhalb des Herzens (Durchschneidung des Accelerans beseitigt die Beschleunigung) oder im Herzen (die elektrische Reizung der peripheren durchschnittenen Vagusendigungen wirkt dann pulsverlangsamend, weil der Vagus hierbei intakt bezw. unbetätigt ist), oder durch Vaguslähmung bedingt sein (Reizung der durchschnittenen Vagusendigungen bleibt erfolglos, desgleichen Muskarin).
Atmungsgifte. Zum Studium ihrer Wirkung bedient man sich gewisser Apparate (Mareyscher Registrierapparat, Atmungskurve, Respirationsapparate); ausserdem beobachtet man die Intensität und Frequenz der Atmung. Von funktionellen Einrichtungen des Körpers können durch die Atmungsgifte betroffen werden das Atmungszentrum in der Medulla oblongata (nach neueren Untersuchungen bestehen ausserdem noch ein Inspirationszentrum in den Sehhügeln, ein Exspirationszentrum in den Vierhügeln, ein Hemmungszentrum in der Grosshirnrinde sowie untergeordnete Respirationszentren im Rückenmark), die Leitungsbahnen der Vagi, die peripheren Vagusendigungen in der Lunge, die Bronchialdrüsen, Bronchialmuskeln und Kehlkopfmuskeln, die Atmungsmuskeln (Zwerchfell und Hilfsmuskeln), sowie endlich der Gefässapparat der Lunge. Die Analyse der Wirkung der Atmungsgifte ist daher nicht leicht. Lungenödem (Rasselgeräusche, schaumiger Ausfluss aus der Nasenhöhle und Maulhöhle, Dyspnoe) kann entweder durch vermehrte Sekretion der Bronchialdrüsen (Pilokarpin, Arekolin) oder durch abnorme Durchlässigkeit der Lungenkapillaren (Chloralhydrat) oder durch Blutstauung in der Lunge (Herzgifte) entstehen; man unterscheidet deshalb genauer ein toxisches und mechanisches (Herzgifte) Lungenödem. Beschleunigung und Verstärkung der Atmung kann durch Reizung der Atmungszentren (Blausäure, Kampfer) oder der peripheren Vagusendigungen in der Lunge (Ammoniak) oder durch Erregung der Bronchialmuskeln (Eserin) bedingt sein; hört die Beschleunigung nach Durchschneidung der Vagi auf, so ist[S. 41] eine periphere Erregung der den Atmungsreflex vermittelnden Vagusenden in der Lunge als Ursache anzunehmen. Verlangsamung und Abschwächung der Atmung ist entweder die Folge einer Lähmung der Atmungszentren, wobei häufig das Cheyne-Stockesche Atmungsphänomen vorübergehender Pausierung der Atmung beobachtet wird (Gehirngifte, Herz- und Gefässgifte mit Anämie), oder einer Lähmung der Respirationsmuskeln (Kurare, Schlangengift) oder einer Reizung des zerebralen Hemmungszentrums (Exstirpation desselben beseitigt die Atmungsschwäche) oder einer Lähmung der Lungenenden des Vagus (Atropin). Löst die elektrische Reizung der durchschnittenen Nervi phrenici keine Zwerchfellskontraktionen aus, so handelt es sich um Lähmung des Zwerchfells als Ursache der Atmungsschwäche. Lähmung der Vagusendigungen ist anzunehmen bei sehr verlangsamter aber gleichzeitig intensiver Atmung. Lähmende Gifte für das Atmungszentrum (Asphyktika) sind namentlich Blausäure und Schwefelwasserstoff.
Nierengifte. Die Hauptwirkung ist auf das Nierenepithel gerichtet. In den leichten Graden der Vergiftung entsteht nur eine Reizung des Nierenepithels mit Hyperämie und Beschleunigung des Blutstroms, welche sich in vermehrter Harnabsonderung äussert (Koffein und andere Purinstoffe). Die stärkeren Nierengifte erzeugen Epithelnekrose in den Harnkanälchen als Hauptform der toxischen Nephritis mit Verkalkung des abgestorbenen Epithels (Quecksilber, Salizylsäure) oder mit nachfolgender Bindegewebsneubildung (Blei). Andere Nierengifte verursachen in erster Linie eine Glomerulonephritis (Kanthariden). Die Funktionsstörung der Nierenepithelien äussert sich in Albuminurie, die der Glomeruli in Oligurie und Anurie. Sind die Glomeruli intakt und nur die Nierenepithelien der Harnkanälchen erkrankt, so entsteht Polyurie mit vermindertem spezifischem Gewicht des Harns (Verlust des Konzentrationsvermögens des Epithels der Harnkanälchen). Manche Blutgifte wirken gleichzeitig ebenso wie das freigewordene Hämoglobin als Nierengifte (Hämoglobinurie). Die bei diesen Vergiftungen auftretende Glykosurie hat meist einen hämatogenen Ursprung (Morphium, Chloroform u. a.) oder sie entsteht in der Leber (Verlust der Glykogen-Synthese durch Phosphor); in manchen Fällen scheint jedoch Zucker in den Nieren durch Abspaltung aus dem Zelleiweisse zu entstehen (Chromsäure, Quecksilber).
Die durch die Nierengifte in den Nieren hervorgerufenen Veränderungen[S. 42] lassen sich in verschiedener Weise feststellen. Man findet insbesondere makroskopisch oder mikroskopisch sichtbare anatomische Veränderungen an den Nieren (entzündliche oder degenerative Affektion namentlich des Nierenepithels durch Kolchikum, Kanthariden, Phosphor etc.; Verkalkung durch Quecksilber, Blei usw.); Vergrösserung der Niere infolge Gefässerweiterung durch Koffein, Verkleinerung der Niere infolge Gefässverengerung durch Digitalis und Strophanthus. Die Steigerung des Sekretionsdruckes der Niere wird manometrisch durch Einführung eines Apparates in die Ureteren bestimmt (Diuretika). Eine spezifische Erregung der Nierenepithelien (Koffein) wird dann angenommen, wenn das Gift auch nach Ausreissung der Nierennerven und bei vermindertem Blutdruck diuretisch wirkt. Synthetische Prozesse untersucht man chemisch an der ausgeschnittenen und zerkleinerten Niere. An der Blase lassen sich ebenfalls anatomische Veränderungen, sowie Krämpfe und Lähmungen bei gewissen Giften feststellen.
Magen- und Darmgifte. Neben verschiedenartigen anatomischen Veränderungen der Schleimhaut des Magens, unter welchen die Perforation durch Arsenik und die Degeneration der Magendrüsen durch Phosphor besonders hervortreten, beeinflussen die Gifte die Sekretion und die Bewegungen des Magens. Die letzteren werden vom Nervus Vagus innerviert, dessen Reizung die Magenbewegung beschleunigt. Wichtig ist die Beziehung des im Grosshirn gelegenen Brechzentrums zu der Muskulatur des Magens. Wirkt ein Brechmittel nach der Durchschneidung der Vagi, welche das Brechzentrum mit dem Magen verbinden, nicht mehr, so ist es als zentrales Brechmittel zu bezeichnen. Nach neueren Untersuchungen hat man 3 Abteilungen des Brechzentrums zu unterscheiden, nämlich je ein in den Vierhügeln gelegenes Zentrum für die Kontraktionen der Kardia und der Magenwandungen (Zerstörung der Vierhügel macht das Erbrechen unmöglich), sowie ein im Linsenkern gelegenes Hemmungszentrum für die Kardia, dessen Reizung den Sphincter Cardiae an der Kontraktion, somit also am Verschlusse des Magens hindert.
Im Darm können die Gifte entweder auf die Schleimhaut, oder auf die Darmdrüsen oder auf die Darmmuskulatur oder endlich auf die Darmnerven einwirken. So entsteht eine Darmentzündung durch lokale Reizung scharfer Gifte (Krotonöl), durch Ausscheidung reizender Gifte mittels der Darmdrüsen (Merkurialismus), durch Veranlassung von Gerinnung in den Darmgefässen (Saponin), sowie nach starker Erweiterung der Gefässe der Darmschleimhaut infolge von Splanchnikuslähmung (Arsenik). Reizung der Darmdrüsen wird durch Pilokarpin und Arekolin, der Darmmuskulatur mit konsekutivem Darmtetanus durch Eserin, Blei und Chlorbaryum erzeugt. Erregung der in die Darmwandungen eingelagerten, die rhythmische peristaltische Tätigkeit des Darmes regulierenden peripheren Nervenapparate (Auerbachsche und Meissnersche Plexus) bedingt gesteigerte Darmbewegungen (Muskarin), desgleichen Reizung der peripheren motorischen Vagusendigungen (Nikotin). Dagegen hat die Reizung des Splanchnikus, des Hemmungsnerven des Darmes, verminderte Peristaltik zur Folge (Morphium),[S. 43] während umgekehrt die Lähmung des Splanchnikus gesteigerte Darmperistaltik bedingt (Atropin). Ueber die Beeinflussung der im Gehirn gelegenen Zentren der Darmbewegung und Darmhemmung durch Gifte ist bisher wenig bekannt: Zetrarin soll z. B. ein zentrales Peristaltikum sein.
Uterusgifte. Der nicht trächtige Uterus wird durch Gifte viel weniger leicht beeinflusst, als der trächtige. Kontraktionen des Uterus entstehen entweder durch Reizung des im Lendenmark gelegenen Uteruszentrums (Kornutin, Nikotin, Strychnin); in diesem Fall lassen sich am ausgeschnittenen Uterus keine Kontraktionen durch das Gift auslösen, auch wirkt das Gift nicht mehr nach Zerstörung des Rückenmarkes. Oder sie entstehen im Uterus selbst und zwar infolge Reizung der glatten Muskulatur, wenn auch am ganglienfreien Horn des ausgeschnittenen Uterus Kontraktionen eintreten, während es sich beim Ausbleiben der letzteren um eine Reizung der Uterusganglien handelt. Ebenso kann eine Lähmung der Uteruskontraktionen durch Gifte ihren Ausgangspunkt vom Rückenmark, von der Muskulatur oder von den Ganglienzellen des Uterus nehmen.
Lebergifte. Die anatomischen Veränderungen in der Leber bestehen in Verfettung der Leberzellen (Phosphor, Arsenik), akuter Atrophie (Lupinose), Leberzirrhose (Alkohol beim Menschen). Das physiologisch-mikroskopische Bild des sezernierenden Leberparenchyms erzeugen die Cholagoga (Aloe, Rheum, Salizylsäure). Auf chemische Synthesen wird die Leber ausserhalb des Körpers untersucht. Die Gallensekretion wird durch Anlegung von Gallenfisteln geprüft. Die Frage der hepatogenen oder hämatogenen Entstehung des Gallenfarbstoffes wird durch Ausschalten der Leber (Unterbindung der Gefässe, Exstirpation) beantwortet.
Speicheldrüsengifte. Die Untersuchung erfolgt durch Einführen von Speichelkanülen (Unterschied zwischen Hund und Katze!). Eine Vermehrung der Speichelsekretion kann verursacht sein durch Reizung der peripheren Geschmacksnerven (Durchschneidung sistiert die Sekretion), durch zentrale Reizung des Speichelzentrums (Durchschneidung der sekretorischen Drüsennerven sistiert sie), durch Reizung der peripheren Enden der Speichelnerven (Pilokarpin, Arekolin, Eserin) oder durch Reizung der Drüsenzellen selbst (Wirkung vom Blute aus bei durchschnittenen Speichelnerven). Eine Aufhebung der Speichelsekretion wird durch periphere Lähmung der Speichelnerven (Atropin im Gegensatz zu Pilokarpin und Arekolin) bedingt. Es wird daher auch eine periphere Reizung dann angenommen, wenn Atropin die Vermehrung der Speichelsekretion sistiert. — Die Wirkung der Gifte auf die Schweisssekretion ist analog.
Stoffwechselgifte. Als solche sind zu nennen: Der Phosphor, Arsenik und die Schilddrüsenpräparate (Vermehrung der N-Ausscheidung im Harn), die Blausäure (Verminderung des O-Verbrauchs), das Chinin, die Salizylsäure u. a. Anatomisch lassen sich Störungen des Stoffwechsels durch verschiedene Veränderungen an den inneren Körperorganen nachweisen (körnige Trübung, fettige Degeneration). Chemisch wird der Stoffwechsel kontrolliert durch die Untersuchung des Harns, des Kots, der ausgeatmeten Luft bezw. Kohlensäure (Respirationsapparat) sowie der Körpertemperatur (Thermometer, Kalorimeter). Bezüglich der Wirkung der Gifte auf die Temperatur kommen entweder Temperaturverminderungen (Antipyretika) oder Temperaturerhöhungen vor (Kokain,[S. 44] Koffein, β-Naphthylamin, Mallein, Tuberkulin). Die Wirkung ist eine zentrale (Wärmezentren) oder periphere. Reizung des im Corpus striatum gelegenen Wärmezentrums erzeugt Fieber, Lähmung oder Exstirpation, Temperaturherabsetzung.
Pupillengifte. Verengerung (Myose) kann bedingt sein durch eine periphere Reizung des Okulomotorius (Pilokarpin, Arekolin) oder des Musculus Sphincter Iridis (Eserin) oder durch eine Lähmung des Erweiterungszentrums im Gehirn (Morphium beim Hund). Letztere wird angenommen, wenn am herausgeschnittenen Auge keine Myose hervorgebracht werden kann, oder wenn bei lokaler Einträuflung in den Lidsack keine Verengerung eintritt, sondern nur nach intravenöser oder subkutaner Applikation. Eine periphere Reizung der Okulomotorius als Ursache der Myose wird angenommen, wenn die Myose durch Atropin aufgehoben wird und am exstirpierten Bulbus fortdauert.
Erweiterung (Mydriase) wird entweder verursacht durch periphere Lähmung des Verengerungsnerven der Pupille, des Okulomotorius (Atropin), oder durch periphere Reizung des Erweiterungsnerven, des Sympathikus (Hydronaphthylamin), oder durch Reizung des Erweiterungszentrums im Gehirn (Akonitin, Morphium bei Katzen). Die zentrale Mydriase lässt sich sofort beseitigen, wenn man die Verbindung des Zentrums und der Pupille, nämlich den Halssympathikus, durchschneidet. Lähmung der peripheren Okulomotoriusäste (Atropin) muss angenommen werden, wenn am ausgeschnittenen Froschauge Mydriase erzeugt wird. Bei Vögeln entsteht durch Kurare periphere Mydriase infolge Lähmung der willkürlichen Muskeln der Pupille (Sphinkter).
[2] Ausführliches findet man bei Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen, Hermann, Lehrbuch der experimentellen Toxikologie, Böhm, Allgemeine Toxikologie.
Die toxikologische Statistik lehrt, dass die Prognose bei vielen Vergiftungen unserer Haustiere nicht so ungünstig ist, wie man dies eigentlich nach der Intensität der Krankheitserscheinungen erwarten sollte. Aus diesem Grunde darf man bei schlachtbaren Tieren im allgemeinen nicht zu frühzeitig die Notschlachtung anraten. Insbesondere lasse man sich durch das Auftreten von Zuckungen und Krämpfen sowie von starken psychischen Erregungserscheinungen nicht verleiten, diesen Symptomen unter allen Umständen eine schlimme prognostische Bedeutung beizulegen. Aufregung und Muskelkrämpfe sind im allgemeinen weniger schlimm als Lähmungserscheinungen. Auch die Behandlung der Exzitationszustände ist viel erfolgreicher als die der toxischen Lähmungen.
Die Prognose einer Vergiftung hängt in erster Linie von der Art des Giftes ab. Als sehr gefährliche Vergiftungen mit ungünstiger Prognose müssen namentlich bezeichnet werden die Vergiftungen mit Blausäure, Phosphor, Arsenik, Chlorbaryum,[S. 45] Strychnin, Nikotin, Veratrin, Digitalis, Oleander, Buxus, Taxus, Blei, Quecksilber, Karbolsäure, Krotonöl, Kanthariden, Kolchikum, ätzenden Säuren und Alkalien. Im übrigen kommt es bei allen diesen starken Giften wesentlich mit darauf an, in welcher Dosis und Form, bei welchem Füllungszustand des Magens usw. sie aufgenommen worden sind. Bei den Fleischfressern, welche sich erbrechen können, nehmen manche Vergiftungen einen günstigeren Verlauf, als bei Pflanzenfressern.
Als Vergiftungen mit im allgemeinen günstiger Prognose sind namentlich bei den Pflanzenfressern die Alkaloidvergiftungen zu bezeichnen, Strychnin und Nikotin ausgenommen. Dies gilt besonders für die Atropin-, Hyoszin- und Morphiumvergiftung. Aber auch Eserin, Pilokarpin und Arekolin sind deshalb nicht so sehr gefährlich, weil gute Gegengifte für sie zur Verfügung stehen. Ausserdem ist bei vielen Pflanzenvergiftungen die Mortalitätsziffer trotz scheinbar schwerer Vergiftungserscheinungen erfahrungsgemäss relativ gering. Dies gilt namentlich für die Vergiftung mit Klatschrosen, Bucheckern, für viele Pilzvergiftungen, für die Merkurialis-, Lolium-, Rade-, Equisetum-Vergiftung. Aehnlich verhält sich die Kochsalz- und Salpetervergiftung (vergl. unten).
Prognose bei einzelnen Vergiftungen. Die Klatschrosen, von welchen angenommen wird, dass sie Morphium oder ein morphiumähnliches Alkaloid als wirksames Gift enthalten, erzeugen beim Rind ein sehr typisches Bild einer Vergiftung, welches sich durch Anfälle von Raserei und Tobsucht, wutähnliche Anfälle, epileptiforme Krämpfe, Taumeln, Schlummersucht, Bewusstlosigkeit etc. charakterisiert. Trotz der Hochgradigkeit der nervösen Symptome sind Todesfälle ziemlich selten, so dass die Prognose der Vergiftung eine ziemlich günstige ist. Die Bucheckern enthalten einen alkaloidartigen Giftstoff, das Fagin, das ebenfalls heftige Vergiftungserscheinungen bedingt. Ein Pferd zeigte infolge der Aufnahme von 2 Pfund Bucheckernölkuchen Kolik, Schwanken, hochgradige Schreckhaftigkeit, sowie Lähmungserscheinungen im Hinterteil. Das Tier war so aufgeregt, dass es bei der geringsten Berührung in äusserste Raserei geriet. Die Verabreichung von Gegengiften beseitigte die Krankheit im Verlaufe von 12 Stunden (Warner). Atropin und Hyoszin haben bei Hunden und Katzen, welche enorme Dosen (0,5–1,0 pro die) ertragen, vorübergehend die schwersten Vergiftungserscheinungen: starke Unruhe, hochgradige Aufregung, Krampfanfälle zur Folge. Nach kurzer Zeit pflegen sich die Tiere indessen wieder zu erholen (Kobert; eigene Untersuchungen). Pferde zeigen nach der Verfütterung von Bilsenkrautsamen rasende Zufälle, sowie Beschleunigung des Pulses und der Atmung, erholen sich indessen ebenfalls wieder leicht (Viborg). Die Pilzvergiftungen, namentlich die durch Schimmelpilze und Mutterkorn, nehmen gleichfalls nicht selten trotz äusserst[S. 46] gefahrdrohender Zufälle einen gutartigen Verlauf. Zwei Pferde zeigten nach der Aufnahme von verschimmeltem Brot anhaltende und heftige Kolik, Schwanken mit dem Hinterteil, Schwindel und Niederfallen, wobei sie etwa ½ Stunde ohne Gefühl, wie tot am Boden lagen. Dann erhoben sie sich plötzlich, drängten gegen die Wand, gerieten in Schweissausbruch und zeigten wieder denselben Anfall wie vorher. Trotzdem genasen sie (Perrin). Auch die Mortalitätsziffer der Mutterkornvergiftung ist trotz der schweren Krankheitserscheinungen eine geringe. Die Merkurialisvergiftung, welche sich bei Pflanzenfressern und Schweinen in Kolikerscheinungen, Harndrang, blutrotem Harn, Empfindlichkeit und Steifheit in der Nierengegend, Atmungsbeschleunigung, Zittern und Schwäche äussert, lässt ebenfalls in den meisten Fällen eine günstige Prognose zu. Aehnlich ist das Verhalten der Haustiere gegenüber dem Solanin. Bei der Loliumvergiftung hat man dasselbe beobachtet, wie ein von Wiegel veröffentlichter Fall zeigt. Eine Kuh stürzte plötzlich, wie vom Blitze getroffen, zusammen; dieser apoplektiforme Anfall wiederholte sich dreimal hintereinander, worauf allgemeine Empfindungslosigkeit, Schlafsucht und Verlangsamung der Respiration eintrat. 1½ Stunden darauf erhob sich die Kuh wieder und zeigte sofort einen ganz erstaunlichen Appetit. Die Radevergiftung nimmt zuweilen einen ähnlich günstigen Verlauf. Röll beobachtete bei einem Pferde nach der Aufnahme von Rademehl Schlingbeschwerden, sowie einen Zustand der Betäubung nach Art des Dummkollers; am Tage darauf hatte sich das Pferd wieder vollständig erholt. Auch die Kochsalz- und Salpetervergiftung, von welchen namentlich die letztere sehr gefürchtet ist, zeigt nicht selten eine günstige Prognose, wie zahlreiche in der Literatur vermerkte Fälle beweisen. Ja selbst bei der Kolchikumvergiftung, welche von jeher als eine der gefährlichsten Vergiftungen bei unseren Haustieren aufgefasst worden ist, beträgt die durchschnittliche Mortalitätsziffer nicht mehr als 25–30 Proz. Noch wesentlich geringer ist diese Ziffer bei den Vergiftungen mit Santonin, Alkohol, Rizinus, sowie durch Schlangenbisse.
Die Behandlung der Vergiftungen erfolgt mittelst der sog. Gegenmittel oder Gegengifte (Antidote). Diese Gegenmittel können sehr verschiedener Natur sein und auf sehr verschiedene Weise ihre giftwidrige Wirkung ausüben. Man unterscheidet vier Gruppen: 1. Die mechanischen oder physikalischen Gegenmittel; 2. die chemischen Antidote; 3. die physiologischen (dynamischen, organischen, konstitutionellen, empirischen) Gegengifte oder Antagonisten; 4. die symptomatische Behandlungsmethode der Vergiftungen.
1. Die physikalischen oder mechanischen Gegenmittel wirken dadurch giftwidrig, dass sie die eingedrungenen Gifte entweder auf rein mechanischem Wege aus dem Körper entfernen: Brechmittel, Abführmittel, harntreibende, schweisstreibende, speicheltreibende Mittel, Magenausspülung, Aderlass,[S. 47] künstliche Atmung, oder dieselben einhüllen und die Aufsaugung resp. den Kontakt mit der Schleimhaut dadurch verhindern: einhüllende Gegenmittel (Eiweiss, Milch, Oel, schleimige Mittel).
Die Brechmittel sind bei den dazu geeigneten Tieren (Hunden, Schweinen, Katzen) in allen frischen Vergiftungsfällen in erster Linie anzuwenden. Die wichtigsten Brechmittel sind das Apomorphin (Hunden zu 2–10 mg, Katzen zu 20–50 mg subkutan injiziert), das Veratrin (Schweinen 0,02–0,03 subkutan), das Rhizoma Veratri albi (Schweinen 1,0–2,0, Hunden 0,1 bis 0,2 per os oder als Klysma), Radix Ipecacuanhae (Schweinen und Hunden 1–3,0, Katzen 0,25–0,75), der Brechweinstein (Schweinen 1–2,0, Hunden 0,1–0,3, Katzen 0,05–0,2), der Kupfervitriol als spezifisches Brechmittel bei Phosphorvergiftung (Schweinen 0,5–1,0, Hunden 0,1–0,5, Katzen 0,05–0,2), der Zinkvitriol (Schweinen 0,5–1,0, Hunden 0,1–0,3), endlich als Hausmittel das Kochsalz (Hunden 1–2 Teelöffel), das Senfmehl (Hunden 1–2 Teelöffel in einem Glas warmem Wasser), Schnupftabak (Hunden eine Prise in einem Esslöffel Wasser) usw.
Von Abführmitteln empfehlen sich besonders wegen ihrer raschen Wirkung das Arekolin und Eserin (Pferden 0,05–0,1 subkutan). Ausserdem kann die Aloe (Pferden 25–50,0, Rindern 50–75,0), das Rizinusöl (Pferden 500–750,0, Rindern 500 bis 1000,0, Schafen und Ziegen 50–250,0, Schweinen 50–100,0, Hunden 15–60,0, Katzen und Geflügel 10–20,0) und das Kalomel (Pferden 2–8,0, Schweinen 1–4,0, Hunden 0,2–0,4, Katzen und Geflügel 0,1–0,2) angewandt werden. Auch das Glaubersalz ist als Abführmittel angezeigt, namentlich bei der Bleivergiftung der Rinder (500–1000,0). Die harntreibenden, schweiss- und speicheltreibenden Mittel haben eine wesentlich schwächere evakuierende Wirkung, sie werden daher nur bei chronischen Vergiftungen angewandt.
Die einhüllenden Gegenmittel werden hauptsächlich bei Vergiftungen durch Aetzmittel angewandt, um die Magendarmschleimhaut vor Anätzung zu schützen und gleichzeitig die Resorption zu hindern. Am gebräuchlichsten ist die Verabreichung von Milch, Eiweiss (Eiweiss der Eier für sich oder mit Wasser geschüttelt; sog. Eiweisswasser), Schleim (Leinsamenschleim, Gerstenschleim, Haferschleim, Quittenschleim, Gummi arabicum, Abkochungen von Eibischwurzel, Malvenblättern, Salepschleim, Tragantschleim), Fetten und Oelen (Schweinefett, Butter, Olivenöl, Repsöl, Mohnöl,[S. 48] Mandelöl, Rizinusöl, Emulsionen). Die fetten Oele und die Milch sind jedoch kontraindiziert bei Phosphor- und Kantharidenvergiftung, weil sie die Resorption der genannten Gifte befördern. — Bei vergifteten Wunden (Schlangenbisse) wird das Gift durch Ausschneiden, Ausbrennen oder Ausätzen entfernt.
2. Die chemischen Gegengifte wirken dadurch giftwidrig, dass sie die in den Körper eingedrungenen Gifte zersetzen oder in Verbindungen umwandeln, welche ungiftig oder weniger giftig sind. Das einfachste Beispiel chemischer Antidote bilden die ätzenden Alkalien und Säuren, welche sich gegenseitig unter Aufhebung ihrer Alkali- und Säurenatur zu nicht ätzenden Salzen neutralisieren (Kalilauge, Natronlauge, Aetzkalk, Ammoniak, kohlensaures und doppeltkohlensaures Natron und Kali, Seife einerseits; Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, Essigsäure, Oxalsäure andererseits). Weiter gehören hierher das Kochsalz als spezifisches Antidot des Höllensteins, welcher dadurch zu Chlorsilber zerlegt wird (bei Sublimatvergiftungen wirkt die Verabreichung von Kochsalz im Gegenteil schädlich, weil dasselbe die Resorption des Sublimats infolge Bildung der leicht löslichen Kochsalz-Sublimatverbindung befördert), das Eisen als Gegengift gegen Arsenik (Bildung von schwer löslichem arseniksaurem Eisen), Blausäure, Quecksilber- und Kupfersalze, das Ferrozyankalium als Antidot gegen Kupfervergiftungen (ungiftiges Ferrozyankupfer) und ätzende Eisensalze, z. B. Eisenchlorid (Bildung von Berliner Blau), die Kupfersalze als wichtigste Gegengifte gegen Phosphorvergiftung (Bildung von ungiftigem Phosphorkupfer), die gebrannte und kohlensaure Magnesia als Gegengift gegen Säuren (Bildung von Magnesiasalzen), Arsenik, Metallsalze (Zerlegung), das Jod und die Jodsalze als Gegengifte gegen die Alkaloide im allgemeinen (Niederschlag), sowie gegen chronische Metallvergiftungen (Bildung löslicher und daher aus dem Körper eliminierbarer Metalljodide), das Bromkalium und Natrium subsulfurosum als Bindemittel für Jod und Jodoform (Bildung von Jodalkalien), der Schwefel und Schwefelwasserstoff als Antidot gegen Quecksilber-, Blei-, Kupfer-, Brechweinstein-, Arsenikvergiftung (Bildung unlöslicher Metallsulfide), die Schwefelsäure und schwefelsauren Salze als spezifische Mittel gegen Bleivergiftung (Bildung von unlöslichem Bleisulfat), Karbolsäurevergiftung (ungiftiges phenolsulfonsaures Kali), Kalkvergiftung (Bildung von Gips) und Baryumvergiftung (schwefelsaurer Baryt), die Kalksalze (Kalkwasser, kohlensaurer Kalk,[S. 49] Kreide, Schneckenschalen, Austerschalen, Eierschalen, Marmor, Sepiasteine, Zuckerkalk) als spezifisches Gegengift gegen Oxalsäurevergiftung (der oxalsaure Kalk ist als unlösliche Verbindung ungiftig), das Tannin und die gerbsäurehaltigen Pflanzen (Eichenrinde, Weidenrinde, Salbeiblätter, Kaffee, Tee, Eicheln, Galläpfel, Tinte, Chinarinde, Catechu, Ratanhiawurzel, Tormentillwurzel, Nussbaumblätter etc.) als wichtigste Antidote gegen die Vergiftung mit Alkaloiden und Glykosiden (Bildung schwer löslicher oder unlöslicher gerbsaurer Salze), mit Metallsalzen, namentlich mit Brechweinstein, Bleizucker, Höllenstein und Eisenvitriol (Bildung von Metalltannaten), Ammoniak, Chlor, übermangansaures Kali, Eisenchlorid, Chromsäure als lokale Gegengifte bei Schlangenbissen und Insektenstichen, altes Terpentinöl, Kalium permanganicum, Kobaltnitrat, Wasserstoffsuperoxyd und Ozonwasser als Antidot des Phosphors (Oxydation zu Phosphorsäure), Eiweiss als chemisches Gegengift gegen Metallsalze (Bildung von Metallalbuminaten), ätzende Säuren (Bildung von Säurealbuminaten), gegen Chlor-, Brom- und Jodvergiftung, Leim und Kleber gegen Metallvergiftungen (z. B. Sublimatvergiftung), Alaun- und Gerbsäurevergiftung (Bildung von Niederschlägen), fette Oele gegen Vergiftung durch Alkalien und Säuren (Verseifung), Stärkemehl als Antidot gegen Jod (Bindung unter Blaufärbung), die Tierkohle als Gegengift gegen Alkaloide und Metalle.
3. Die physiologischen oder dynamischen Gegengifte sind nicht gegen das Gift selbst, sondern gegen dessen Wirkungen gerichtet (Antagonisten) und haben den Zweck, durch Erzeugung einer der Giftwirkung entgegengesetzten Wirkung (Erregung — Lähmung) die erstere aufzuheben. Man unterscheidet einen einseitigen (einfachen) und einen doppelseitigen oder wechselseitigen (mutuellen) Antagonismus. Einseitig ist derselbe, wenn nur das eine Gift die Wirkung des anderen, aber nicht umgekehrt, aufhebt, doppelseitig oder wechselseitig, wenn eine gegenseitige Aufhebung stattfindet. Ausserdem spricht man von einem wahren (direkten) und scheinbaren (indirekten) Antagonismus, je nachdem die beiden Gifte auf ein und dasselbe Organ (Nervensystem, Muskel, Drüsen) oder auf verschiedene Organe einwirken. So ist z. B. Kurare nur ein indirekter Antagonist des Strychnins, weil es nicht wie dieses auf das Rückenmark, sondern auf die peripheren Muskelnerven einwirkt. Das Vorkommen eines wahren doppelseitigen Antagonismus ist nach neueren Untersuchungen fraglich. Es kann zwar ein lähmendes[S. 50] Gegengift, wie z. B. das Atropin, die erregende Wirkung eines andern, z. B. des Eserins auf den Okulomotorius (Mydriasis, Myosis) aufheben, dagegen lässt sich eine vorhandene Atropinlähmung des Okulomotorius (Mydriasis) durch die erregende Wirkung des Eserins (Myotikum) nicht wieder beseitigen.
Die wichtigsten physiologischen Gegengifte sind: a) Atropin als Gegengift gegen Morphin und Chloroform. Der Antagonismus zwischen Atropin und Morphin ist ein doppelseitiger, aber zum Teil indirekter. Das lähmende Morphin beseitigt die durch das Atropin hervorgerufene psychische Erregung durch direkte antagonistische Einwirkung auf das Gehirn; dagegen wird durch das erregende Atropin die lähmende Wirkung des Morphins auf das Herz indirekt in der Weise gehoben, dass das Atropin die nervösen Zentren des Herzens erregt, während das Morphin den Herzmuskel selbst gelähmt hat. b) Atropin als Gegengift gegen Pilokarpin-, Eserin-, Arekolin-, Muskarin- und Nikotinvergiftung. c) Bromkalium, Chloralhydrat, Chloroform, Koniin, Kurare als Gegengift gegen Strychnin und Pikrotoxin. d) Amylnitrit als Antagonist des gefässverengernden Mutterkorns und Adrenalins. e) Koffein als Antidot gegen Morphin, Chloroform und Alkohol.
4. Die symptomatischen Gegenmittel bestehen darin, dass einzelne Hauptsymptome der Vergiftungen behandelt werden. So gibt man gegen Lähmungserscheinungen Exzitantien (Kampfer, Aether, Alkohol, Wein, Koffein, Kaffee, Veratrin, Strychnin, Hyoszin, Ammoniak, kohlensaures Ammonium), gegen schmerzhafte Koliken Morphium und andere Narkotika, gegen Durchfälle Styptika, gegen Verstopfung Laxantien, gegen starkes Erbrechen die Opiate, gegen hohes Fieber Antipyretika, gegen Krämpfe die Sedativa etc.
Zusammenstellung der Antidote bei den wichtigsten Einzelvergiftungen. Die ausführlichere Besprechung der antidotarischen Behandlung der Einzelvergiftungen ist Sache der speziellen Toxikologie. An dieser Stelle sollen nur die bemerkenswertesten Vergiftungen mit ihren Antidoten kurz zusammengestellt werden.
Akonitinvergiftung: Brechmittel, Tannin, Jod, Tierkohle, Atropin, Digitalis, künstliche Atmung, Exzitantien.
Alaunvergiftung: Eiweiss, Milch, Leimlösung, Kalkwasser, gebrannte Magnesia, Ammoniak, Abführmittel.
Alkalien, ätzende: Essig, verdünnte Säuren (Salzsäure, Schwefelsäure, Phosphorsäure, Zitronensäure), fette Oele, Milch, Emulsionen, schleimige Mittel, Eispillen, Morphium, Magenausspülung.
Alkoholvergiftung: Kaffee, Koffein, Ammoniak, kohlensaures[S. 51] Ammonium, Kampfer, Atropin, Hyoszin, kalte Begiessungen des Kopfes, Klistiere, Priessnitzsche Umschläge, warme Einhüllungen.
Aloevergiftung: Opium, Tannin, schleimige Mittel.
Ammoniakvergiftung: verdünnte Säuren, Fette, Oele, Milch, schleimige Mittel, Tracheotomie; gegen die Krämpfe Morphium, Chloralhydrat, Bromkalium.
Anilinvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Exzitantien, frische Luft, kalte Begiessungen.
Arsenikvergiftung: Brechmittel, Eisenpräparate, Ferrum hydricum in aqua (= Antidotum Arsenici), Ferrum oxydatum saccharatum, Magnesia usta, Tierkohle, Schwefel, Schwefelleber, Schwefeleisen, Eiweiss, Milch, Schleim, Exzitantien. Zu vermeiden sind Alkalien und fette Oele (Rizinusöl).
Atropinvergiftung (Belladonna, Bilsenkraut, Stechapfel): Brechmittel, Gerbsäure, Morphium, Pilokarpin, Eserin, Arekolin, gegen die psychische Erregung Chloroform, Chloralhydrat, Sulfonal, Bromkalium.
Baryumvergiftung: verdünnte Schwefelsäure, schwefelsaures Natrium und Kalium, schwefelsaure Magnesia, Brechmittel.
Bingelkrautvergiftung: Brechmittel, Eiweiss, Milch, Opium, Gerbsäure.
Blausäurevergiftung: Brechmittel, Eisenoxydhydrat, Wasserstoffsuperoxyd, übermangansaures Kali, Kobaltnitrat, Atropin, künstliche Respiration, Exzitantien, kalte Begiessungen.
Bleivergiftung: Brechmittel, Abführmittel, verdünnte Schwefelsäure, Natrium sulfuricum, Kalium sulfuricum, Magnesium sulfuricum, Schwefel, Schwefelwasserstoff, Gerbsäure, Eiweiss, Milch, symptomatische Behandlung (Opium, Morphium). Bei chronischer Bleivergiftung Jodkalium.
Brechweinsteinvergiftung: Gerbsäure, kohlensaures Natron, verdünnte Säuren, Schwefel, Schwefelleber, Opium, Eiweiss, Schleim, Exzitantien.
Chlor- und Chlorkalkvergiftung: Natrium oder Magnesium subsulfuricum, Einatmen von Schwefelwasserstoff und Ammoniak (verdünnt); innerlich Liquor Ammonii anisatus, Eiweiss, Schleim.
Chloroform-, Chloralhydrat- und Aethervergiftung: Exzitantien, namentlich Atropin, Hyoszin (Skopolamin), Strychnin, Veratrin, Koffein, Ammoniak, kohlensaures Ammonium, Hautreize, kalte Begiessungen, künstliche Respiration, Transfusion.
Chromsäurevergiftung: Eiweiss, Magnesia usta, Exzitantien.
Cytisusvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Exzitantien.
Digitalisvergiftung vergl. Fingerhutvergiftung.
Eibenbaumvergiftung: Abführmittel, Exzitantien, Atropin, Hyoszin, Koffein, Veratrin, Strychnin, Kampfer, Aether, Alkohol, Ammoniak, Jod (Lugolsche Lösung).
Equisetumvergiftung: Abführmittel, Kampfer, Aether, Koffein, Atropin, Hyoszin, Veratrin, Hautreize.
Essigvergiftung: Seifenwasser, Sodawasser, Kreide, kohlensaurer Kalk, gebrannte Magnesia, Milch, Exzitantien.
Fingerhutvergiftung: Brechmittel, Nitroglyzerin, Amylnitrit, Tannin, Kampfer, Aether, Atropin, Koffein, Liquor Ammonii anisatus, Wein, Hautreize.
Gerbsäurevergiftung: Eiweiss, Leim, Schleim, Abführmittel.
Glaubersalzvergiftung: Schleim, Opium, Kampfer, Aether, Ammonium carbonicum.
[S. 52]
Grubengasvergiftung: Frische Luft, künstliche Respiration, Hautreize, kalte Begiessungen, Exzitantien, Transfusion.
Grünspanvergiftung: Eiweiss, Ferrozyankalium, Eisenpulver, Magnesia usta.
Helleborusvergiftung: Gerbsäure, Opium, Exzitantien, Kampfer.
Herbstzeitlosenvergiftung: Brechmittel, Tannin, Jod (Lugolsche Lösung), Opium, Morphium, Schleim, feuchtwarme Wicklungen, Exzitantien.
Höllensteinvergiftung: Brechmittel, Eiweiss, Kochsalz, verdünnte Salzsäure.
Insektenstiche: Waschung mit Ammoniakwasser, Chlorwasser, Alkohol, Bleiwasser, Abführmittel.
Jod- und Jodoformvergiftung: Stärkemehl, Mehlwasser, Eiweiss, Bromkalium, Bromnatrium, Natrium und Kalium bicarbonicum, Natrium subsulfurosum, Exzitantien, Brechmittel, Abführmittel.
Kalichlorikumvergiftung: Brechmittel, Infusion physiologischer Kochsalzlösung, Exzitantien.
Kantharidenvergiftung: Schleimige Mittel, Opium, Exzitantien; keine fetten Oele!
Karbolvergiftung: Brechmittel, Magenausspülung, Sulfate, verdünnte Schwefelsäure, Seifenwasser, Zuckerkalk, Kalkwasser, Terpentinöl, Jodtinktur, Eiweiss, Milch, Oel, Exzitantien (Aether, Kampfer, Koffein, Hyoszin).
Kichererbsenvergiftung: Tracheotomie, Koffein, Atropin, Strychnin, Veratrin, Hautreize, Abführmittel.
Kochsalzvergiftung: Viel Wasser, Schleim, Oel, Aether, Kampfer, Atropin, Koffein, symptomatisch gegen Krämpfe Sedativa.
Kohlenoxydvergiftung: Frische Luft, Sauerstoffinhalation, alkalische Kochsalzinfusion, Nitroglyzerin; Exzitantien, künstliche Respiration, Hautreize.
Kokainvergiftung: Tannin, Jod, Amylnitrit, Chloralhydrat.
Kolchikumvergiftung vergl. Herbstzeitlosenvergiftung.
Konvallariavergiftung: Tannin, Exzitantien, Kampfer, Aether.
Krotonölvergiftung: Schleim, Eiweiss, Opium, Exzitantien.
Kreosotvergiftung: Brechmittel, Schleim, verdünnte Schwefelsäure, schwefelsaures Natrium, Bittersalz, Seife, Exzitantien.
Kornradevergiftung: Abführmittel, Tannin, Schleim, Exzitantien.
Kupfervergiftung: Abführmittel, Brechmittel, Eiweiss, Ferrozyankalium, Eisenpulver, Magnesia usta, Tierkohle, Exzitantien.
Lakenvergiftung: Viel Wasser, Schleim, Oel, Exzitantien, Sedativa.
Leuchtgasvergiftung: Frische Luft, Sauerstoffinhalation, Hautreize, künstliche Atmung, Transfusion.
Lupinenvergiftung: Futterwechsel, Präparierung der giftigen Lupinen, verdünnte Säuren (keine Alkalien!), Rizinusöl, Krotonöl.
Morphiumvergiftung: Atropin, Hyoszin (Skopolamin), Koffein, Kaffee, Tee, Hautreize.
Muskarinvergiftung: Atropin, Hyoszin.
Mutterkornvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Chloralhydrat, Amylnitrit, Gerbsäure, symptomatische Behandlung.
Nikotinvergiftung: Abführmittel, Tannin, Jodlösung, Tierkohle, Exzitantien, Pansenschnitt.
Oleandervergiftung: Abführmittel, Schleim, Tannin, Exzitantien.
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Opiumvergiftung: Atropin, Hyoszin, Koffein, Abführmittel, Exzitantien.
Oxalsäurevergiftung: Kalkwasser, Zuckerkalk, Kreide, Magnesia usta, Exzitantien, Diuretika.
Petroleumvergiftung: Brechmittel, Hautreize, Aether, Kampfer, Wein, Ammonium carbonicum, Koffein, künstliche Atmung.
Phosphorvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, altes Terpentinöl, Kupfervitriol, überhaupt Kupfersalze, Kalium permanganicum, Kobaltnitrat, Wasserstoffsuperoxyd, Exzitantien, Infusion alkalischer Kochsalzlösung. Fette und fette Oele sind zu vermeiden.
Physostigminvergiftung: Atropin, Hyoszin, symptomatische Behandlung.
Pilokarpinvergiftung: Atropin, Hyoszin, Agarizin, Exzitantien.
Pilzvergiftung: Abführmittel, einhüllende Mittel, Exzitantien, Hautreize, Tannin, Jod, Kalomel (bei Fliegenpilzvergiftung: Atropin).
Ptomainevergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Tannin, Jodwasser, Tierkohle, Kalomel, Aether, Kampfer, Koffein, Atropin, Wein, Ammoniak, symptomatische Behandlung.
Quecksilbervergiftung: Eiweiss, Milch, Eisenpulver, Schwefel, Schwefelleber, Schwefelwasserstoff, Magnesia usta, symptomatische Behandlung; bei chronischen Vergiftungen: Jodkalium, Anregung des Stoffwechsels.
Ranunkelvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Tannin, Exzitantien.
Sabinavergiftung: Schleimige, einhüllende Mittel, Opium, Morphium.
Salpetervergiftung: Schleimige Mittel, Oel, Aether, Weingeist, Wein, Kampfer, Ammonium carbonicum, Hautreize.
Salpetersäurevergiftung: Verdünnte Alkalien, Eiweiss, Schleim, Oel, Opium.
Salzsäurevergiftung: Dasselbe.
Santoninvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Aether, Chloralhydrat, Kampfer, Wein, symptomatische Behandlung.
Schierlingvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Veratrin, Strychnin, Koffein, Atropin, Aether, Kampfer, kohlensaures Ammonium, Tannin.
Schlangengift: Oertlich Chlorwasser, Chlorkalkwasser, Lösungen von übermangansaurem Kali, Chromsäure (1proz.), Eisenchlorid, Ammoniakwasser, Karbolwasser, Kreolinwasser; innerlich Alkohol, Aether, Kampfer, Atropin, Hyoszin, Koffein, Liquor Ammonii anisatus.
Schwammvergiftung: Brechmittel, Abführmittel, Exzitantien, symptomatische Behandlung.
Schwefelkohlenstoffvergiftung: Frische Luft, Exzitantien.
Schwefelsäurevergiftung: Verdünnte Alkalien, Kalkwasser, Soda, gebrannte Magnesia, Kreide, Schleim, Oel, Eispillen, Exzitantien, Salizylsäure.
Schwefelwasserstoffvergiftung: Frische Luft, Aether, Kampfer, Einatmung von Chlorgas, Exzitantien, Hautreize, Infusion, Aderlass, subkutane Kochsalzlösung.
Solaninvergiftung: Tannin, Abführmittel, Exzitantien.
Strychninvergiftung: Chloralhydrat, Chloroform, Bromkalium, Aether, Sulfonal, Morphin, künstliche Atmung, Tannin, Jodwasser, Brechmittel, Magenausspülung.
Tabakvergiftung vergl. Nikotinvergiftung.
[S. 54]
Taumellolchvergiftung: Abführmittel, Aether, Kampfer, Atropin, Koffein, Hautreize.
Terpentinölvergiftung: Schleimige Mittel, Opium, Exzitantien.
Veratrinvergiftung: Tannin, Jod, Opium, Sedativa, einhüllende Mittel, Exzitantien.
Vergiftung mit wildem Mohn: Abführmittel, Tannin, Opium, Morphium, Chloralhydrat, Bromkalium, kalte Sturzbäder auf den Kopf, evakuierende Klistiere.
Wurmfarnvergiftung: Abführmittel, Exzitantien.
Zinkvergiftung: Eiweiss, Schleim, Milch, Tannin, Opium, Natrium und Kalium carbonicum und bicarbonicum, Schwefelleber, Gerbsäure, Exzitantien.
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Chemie des Phosphors. Der Phosphor findet sich in der Natur nirgends in freiem Zustande, sondern immer gebunden, meist in der Form phosphorsaurer Salze. Er ist als freies Element zuerst im Jahre 1669 von Brand in Hamburg aus Menschenharn dargestellt worden; aus dem phosphorsauren Kalke der Knochen wurde er erst im Jahre 1771 durch Scheele gewonnen. Seine Bedeutung für die Toxikologie beginnt erst mit dem Jahr 1833, dem Zeitpunkt der Erfindung der Phosphorstreichhölzer. Ausser dem besonders in den Knochen in grosser Menge (85 Proz. der Asche) enthaltenen Kalziumphosphat kommen phosphorsaure Verbindungen auch sonst im Tierkörper z. B. als phosphorsaures Kali vor; es enthalten ferner alle Pflanzen phosphorsaure Salze; endlich ist der Phosphor ein normaler Bestandteil der Ackererde und findet sich in grösserer Menge in gewissen Mineralien, so z. B. im Phosphorit, Apatit, Wawellit, Vivianit und Grünbleierz. Zur Darstellung des Phosphors wurden früher ausschliesslich die Knochen benutzt; dieselbe wurde nur von vereinzelten Fabriken betrieben (Birmingham, Lyon, Kaluga). Die von Fett und Leim befreiten Knochen wurden gebrannt, mit Schwefelsäure behandelt und mit Kohle geglüht, worauf die entweichenden Phosphordämpfe in Wasser aufgefangen, gereinigt und in Stangen geformt wurden. Neuerdings stellt man den Phosphor aus mineralischen Phosphaten (Phosphorit) im elektrischen Ofen dar.
Der Phosphor tritt in 3 allotropen Modifikationen auf: 1. Gewöhnlicher, giftiger, farbloser Phosphor, bildet farblose, später schwach gelbe, durchsichtige, wachsartige Stangen von ozonartigem Geruch. Er kristallisiert in Oktaedern, ist in der Kälte spröde, bei gewöhnlicher Temperatur wachsartig und schmilzt bei 44° unter Wasser zu einer farblosen Flüssigkeit; er verdampft schon bei gewöhnlicher Temperatur und leuchtet im Dunkeln an feuchter Luft unter Entwicklung ozonartig riechender Dämpfe (Ozonbildung, Oxydation zu phosphoriger Säure und Phosphorsäure). An der Luft, beim Erhitzen und beim Reiben entzündet sich der Phosphor und verbrennt zu Phosphorsäureanhydrid. In Wasser ist er so gut wie unlöslich; das mit Phosphor geschüttelte Wasser nimmt aber Spuren von Phosphor auf und kann daher giftig wirken. Leichter löst er sich in[S. 56] Alkohol, Aether und fetten Oelen, besonders leicht in Schwefelkohlenstoff, Benzol, Terpentinöl und ätherischen Oelen. Sauerstoffreiche Verbindungen, namentlich ozonhaltiges, altes Terpentinöl, Wasserstoffsuperoxyd, übermangansaures Kali, Kobaltnitrat, Salpetersäure usw. oxydieren den Phosphor rasch zu Phosphorsäure (PO4H3). Mit Schwefel, Chlor, Brom und Jod verbindet er sich direkt, ebenso gibt er mit Lösungen von Kupfer-, Silber-, Gold- und Quecksilbersalzen Niederschläge von Phosphormetallen (Phosphorkupfer etc.). Bei längerer Aufbewahrung überzieht sich der Phosphor unter der Einwirkung des Lichtes und der Luft mit einer Schichte amorphen Phosphors. 2. Amorpher, roter, ungiftiger Phosphor, im Jahre 1845 entdeckt und seit 1852 zur Fabrikation der schwedischen Streichhölzer (Reibfläche der Schachteln) verwendet, aus dem vorigen dargestellt durch Erhitzen auf 250–260°, ein amorphes, dunkelrotes, geschmack- und geruchloses Pulver oder rotbraune, metallisch glänzende Stücke mit muschligem Bruche, unlöslich in den Lösungsmitteln des gewöhnlichen Phosphors, nicht leuchtend und sich erst bei 260° entzündend. Der rote Phosphor ist per os aufgenommen ungiftig, weil er auch in Fett unlöslich ist und daher von der Magen- und Darmschleimhaut nicht resorbiert wird; bei intravenöser Injektion erzeugt er jedoch wie der gewöhnliche Phosphor Leber-und Nierenverfettung. 3. Metallischer oder rhomboedrischer Phosphor, schwarze, glänzende Kristalle durch Erhitzen des Phosphors bis zur Rotglut dargestellt.
Der Phosphorwasserstoff, PH3, ist ebenso giftig wie der gewöhnliche Phosphor. PH3 soll auch die Ursache der Phosphoreszenz des Fleisches sein und von den Leuchtbakterien erzeugt werden, was mit Rücksicht auf die Unschädlichkeit des leuchtenden Fleisches unwahrscheinlich ist. Mit dem Leuchten des Holzes, gewisser Schwämme und des Meeres hat PH3 jedenfalls nichts zu tun. PH3 riecht knoblauchartig.
Aetiologie der Phosphorvergiftung. Toxikologische Bedeutung hat nur der gewöhnliche, giftige Phosphor. Derselbe wird allgemein zur Herstellung von Ratten- und Mäusegift (Phosphorteig, Phosphorbrei, Phosphorpaste, Phosphorpillen) in Wohnungen, Stallungen und auf dem Felde benützt und gibt so Veranlassung zur zufälligen oder böswilligen Einverleibung. Ausserdem haben namentlich früher die Phosphorzündhölzer zuweilen Vergiftungen bedingt. Dieselben wurden in der Weise angefertigt, dass die mit Schwefel überzogenen Hölzchen in eine Phosphoremulsion getaucht wurden, welche mittels Gummi oder Leim unter Beimengung von Russ, Mennige etc. hergestellt war. Auf jedes dieser Phosphorstreichhölzer kamen pro Kopf etwa 5 Milligramm Phosphor, so dass also z. B. 20 derselben 0,1 Phosphor, d. h. die für einen Hund tödliche Dosis enthielten. (Die therapeutische Maximaldosis des Phosphors für den Menschen beträgt 1 Milligramm). Ungiftig sind dagegen die sog. schwedischen Streichhölzer, welche keinen Phosphor, sondern ein Gemenge von chlorsaurem Kali und Schwefelantimon oder Mennige[S. 57] enthalten, während die Reibfläche der Schachteln einen Ueberzug von amorphem Phosphor besitzt. Endlich können Phosphorvergiftungen durch zu hohe Dosierung des Phosphors bedingt werden. Die beim Menschen nach der Einatmung von Posphordämpfen in Fabriken beobachteten chronischen Vergiftungen sind bei den Haustieren bisher noch nicht beobachtet worden. Dagegen wurden Fälle von akuter Vergiftung durch Einatmen von Phosphordämpfen auch bei den Haustieren konstatiert. Die tödlichen und therapeutischen Dosen des Phosphors für die einzelnen Haustiere betragen:
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Tödliche Dosis
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Therapeutische Dosis
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Pferd und Rind
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0,5 –2,0
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0,01 –0,05
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Schaf und Schwein
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0,1 –0,2
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0,002 –0,005
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Hunde
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0,05–0,1
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0,0005–0,002
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Katzen und Geflügel
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0,01–0,03
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0,0005–0,001
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Krankheitsbild. Die Phosphorvergiftung (Phosphorismus) kommt bei allen Haustieren, am häufigsten aber beim Geflügel, bei Schweinen und Hunden vor. Das Krankheitsbild ist je nach der Form, in welcher der Phosphor aufgenommen wird (kleinere Stücke, Zündholzkuppen, Phosphorbrei, Phosphoröl), ferner je nach dem Inhalt und Füllungszustand des Magens, nach der Applikationsmethode (innerlich, subkutan), sowie je nach der Tiergattung verschieden. Namentlich bei Pferden verläuft die Phosphorvergiftung zuweilen ohne besondere charakteristische Krankheitserscheinungen; auch beim Geflügel (Hühnern, Enten) werden häufig nur ganz allgemeine Symptome wahrgenommen. Das typische Krankheitsbild der Phosphorvergiftung, wie es sich insbesondere bei Hunden und Schweinen entwickelt, setzt sich aus lokalen und allgemeinen Erscheinungen zusammen.
1. Die Lokalerscheinungen werden durch eine reizende und ätzende Einwirkung des Phosphors auf die Schleimhäute des Digestions- und Respirationsapparates bedingt. Sie bestehen in Appetitlosigkeit, Erbrechen (Phosphorgeruch und Leuchten des Erbrochenen im Dunkeln), Blutbrechen, Unruheerscheinungen, Kolikanfällen, Stöhnen, Winseln, Durchfall; bei Anätzung der Maul- und Schlundschleimhaut findet man ausserdem Speicheln, Anschwellung der Zunge, sowie Lähmung des Schlingvermögens. Nach dem Einatmen von Phosphordämpfen beobachtet man sehr starken Husten, leuchtenden Atem, Erstickungsanfälle, hochgradige Atemnot,[S. 58] die Erscheinungen des Lungenödems, sowie beim Rind zuweilen Hautemphyseme am Hals und Thorax infolge des durch den Husten entstandenen interstitiellen Lungenemphysems.
2. Die Allgemeinerscheinungen beginnen mit dem Uebergang des Phosphors ins Blut. Die Resorption des in Wasser unlöslichen Phosphors wird durch den Fettgehalt des Darminhaltes bedingt. Ausserdem durchdringt der rasch verdampfende Phosphor die Magenwand und die benachbarten Organe und bewirkt so eine direkte Degeneration der Gewebszellen (Magendrüsen, Leber). Der Phosphor wirkt als heftiges Zellen- und Stoffwechselgift unter Zersetzung der Zellen bezw. des Körpereiweisses zu Fett, Leuzin, Tyrosin, Milchsäure usw. Dabei erweist er sich vorwiegend als Drüsen- und Muskelgift, indem er eine Nekrobiose sowie fettige Degeneration namentlich der Leber-, Magendrüsen- und Nierenzellen, der Muskelfasern des Herzens, der Skelettmuskeln, sowie des Endothels und der Muskelfasern der Gefässe hervorruft. Eigentümlicherweise bleibt der Phosphor im Blute sehr lange unoxydiert; seine Oxydation zu Phosphorsäure geschieht vorwiegend in den Geweben (Protoplasmagift). Die Verfettung der Skelettmuskeln äussert sich in allgemeiner, lähmungsartiger Körperschwäche und Hinfälligkeit, die des Herzmuskels in Herzschwäche, stark vermindertem Blutdrucke, schwachem, unfühlbarem Puls und Herzschlag, Sinken der Körpertemperatur und Herzlähmung. Die Verfettung der Leberzellen wird teils auf eine Fettbildung in den Zellen selbst, teils auf einen Fettransport nach der Leber, somit gleichzeitig auf Fettdegeneration und Fettinfiltration zurückgeführt. Sie kann infolge Vergrösserung der Zellen zu Vergrösserung der Leberdämpfung, sowie zu Gallenstauung und Ikterus, einem sehr charakteristischen, aber nicht regelmässigen Symptom der Phosphorvergiftung führen. Die kranke Leber hat ausserdem die Fähigkeit der Glykogensynthese verloren, was sich durch Auftreten von Zucker im Harn äussert (Glykosurie). Die Nierenverfettung äussert sich klinisch durch Albuminurie und Lipurie. Die fettige Degeneration der Gefässmuskulatur und des Gefässendothels bedingt eine Brüchigkeit aller Gefässe und infolgedessen Hämorrhagien auf den Schleimhäuten (Nasenbluten, blutiger Ausfluss aus der Scheide, Hämaturie, Hämatemesis) und in die Haut. Als besondere Erscheinungen beobachtet man endlich bisweilen bei Schweinen Aufregung und sonstige zerebrale Erregungserscheinungen, beim Geflügel eigentümliche hüpfende Körperbewegungen, und endlich bei Milchkühen,[S. 59] offenbar als eine Folge des nekrotisierenden, verfettenden Einflusses des Phosphors auf die Drüsenzellen, nach überstandener Vergiftung ein absolutes, bleibendes Versiegen der Milch (Schindelka).
Der Verlauf der Phosphorvergiftung ist bei den Haustieren immer akut. Die ersten Allgemeinerscheinungen treten, insbesondere bei den Pflanzenfressern, wegen der langsamen Resorption des Giftes meist nicht vor Ablauf mehrerer Stunden, zuweilen erst nach mehreren Tagen ein. Die kürzeste Krankheitsdauer beträgt 10–15 Stunden; meist sterben die Tiere am zweiten und dritten, häufig aber auch erst am dritten bis fünften Tage nach der Aufnahme des Phosphors. Zuweilen tritt der Tod ganz plötzlich infolge von Herzlähmung ein, nachdem sogar im übrigen Befinden eine wesentliche Besserung vorausgegangen war. Ausnahmsweise wird ein perakuter Verlauf (3–5 Stunden) beobachtet.
Chronische Phosphorvergiftung. Dieselbe tritt in verschiedenen Formen auf. 1. Als sog. Phosphornekrose des Unterkiefers und Oberkiefers wurde sie früher häufig beim Menschen in Phosphorzündholzfabriken beobachtet. Namentlich bei Arbeitern mit schlechten Zähnen entstand eine nekrotisierende Kieferperiostitis, indem sich der Phosphor mit den bei jeder Eiterung entstehenden eiweissartigen Stoffen zu stark reizenden Phosphorptomainen verband. Experimentell wurden diese Erscheinungen auch bei Kaninchen nach längerer Einatmung von Phosphordämpfen, sowie nach subkutaner Injektion von Phosphoröl erzeugt (Gelenkvereiterung, Korneaabszesse). 2. Die Phosphorzirrhose der Leber und Niere, d. h. eine chronische interstitielle Hepatitis und Nephritis mit Bildung einer Schrumpfleber und Schrumpfniere lässt sich experimentell bei Tieren durch lange fortgesetzte Fütterung kleiner Phosphorgaben hervorrufen. In der zirrhotischen Phosphorleber hat man Neubildung von Gallengängen beobachtet.
Sektionsbefund. Bei sehr raschem Verlauf können charakteristische Veränderungen in den inneren Organen fast vollständig fehlen. Der anatomische Befund ist ferner je nach der stärkeren oder schwächeren Lokalwirkung (Aetzwirkung) des Phosphors verschieden, indem gastroenteritische Veränderungen in einzelnen Fällen, z. B. nach Aufnahme von Phosphoröl, nicht auftreten. Auch die ikterische Verfärbung der Schleimhäute kann fehlen. In der Mehrzahl der Vergiftungsfälle lässt sich jedoch ein sehr prägnanter anatomischer Befund konstatieren. Meist findet man die Schleimhaut des Magens und Dünndarms (zuweilen auch die der Maulhöhle, des Schlundkopfes und Schlundes) höher gerötet, geschwollen, von Blutungen durchsetzt, erodiert, geschwürig verändert und zuweilen sogar umschrieben verschorft. Die Magendrüsen sind[S. 60] fettig-körnig degeneriert (Gastritis glandularis). Die Leber ist stark geschwollen und vergrössert, brüchig, ikterisch, die Leberzellen sind verfettet; gleichzeitig entsteht das Bild der Fettleber durch Einwanderung von Fett aus anderen Fettdepots in die Leberzellen, so dass die Leberzellen infolge der zahlreichen Fettröpfchen oft gar nicht mehr zu erkennen sind. Die Nieren sind vergrössert, das Nierenepithel verfettet. Der Herzmuskel und die Skelettmuskeln sind ebenfalls verfettet und von Hämorrhagien durchsetzt, die Schleimhäute und das Bindegewebe ikterisch. Die Fettdegeneration der Leberzellen lässt sich schon 6–8 Stunden, die der Nierenzellen 12 Stunden nach der Einverleibung des Phosphors nachweisen. Viele Organe weisen Hämorrhagien auf, so namentlich die Pleura, das Perikard, das Mittelfell und Gekröse, die Lunge, das subkutane und intermuskuläre Bindegewebe. Der Magen- und Darminhalt zeigt im Dunkeln Phosphoreszenz und fällt durch seinen knoblauchartigen Geruch auf (PH3). Zuweilen beobachtet man auch Leuchten der Leber. Nach der Einatmung von Dämpfen findet man Laryngitis, Bronchitis, Lungenhyperämie und Lungenödem.
Behandlung. Bei Schweinen, Hunden und Katzen gibt man möglichst rasch eine Auflösung von Kupfervitriol als Brechmittel (Schweinen 0,5–1,0, Hunden 0,1–0,5, Katzen 0,05–0,2). Ein zweites, ebenfalls sehr wirksames Gegengift besteht in altem, ozonhaltigem Terpentinöl, welches als Emulsion mit schleimigen Mitteln in grossen Dosen verabreicht wird (Rindern eine einmalige Dosis von 100–250,0, Pferden 50–100,0, Schafen und Schweinen 25–50,0, Hunden 5–10,0, Katzen und Hühnern 5 bis 10 Tropfen); man nimmt an, dass eine ungiftige Verbindung, die terpentinphosphorige Säure entsteht. Neuere Gegenmittel sind das übermangansaure Kali (KMnO4) in ⅕-⅓proz. Lösung, das Wasserstoffsuperoxyd (H2O2) in 1–3proz. wässeriger Lösung und das Kobaltnitrat (Co(NO3)2), sauerstoffreiche Verbindungen, welche den Phosphor zu ungiftiger Phosphorsäure oxydieren. Ausserdem gibt man gegen die Lähmungserscheinungen, besonders gegen die mit starkem Sinken des Blutdrucks verlaufende Herzschwäche Exzitantien (Aether, Kampfer, Wein, Kaffee, Tee, Koffein, Atropin, Hyoszin, Veratrin, Strychnin). Zu vermeiden ist die Verabreichung von fetten Oelen und von Milch, weil dieselben den Phosphor lösen und die Resorption desselben befördern.
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Nachweis der Phosphorvergiftung. Der chemische Nachweis des Phosphors hat entweder den Phosphor in Substanz, oder leuchtende Dämpfe, oder den Phosphorwasserstoff zu konstatieren. Die Trennung von dem Untersuchungsmaterial erfolgt durch Destillation; wegen der raschen Oxydation des Phosphors hat die Untersuchung möglichst frühzeitig stattzufinden. Die wichtigsten qualitativen Methoden des Nachweises sind die von Mitscherlich, Scheerer, Dussard und Blondlot, sowie von Fresenius und Neubauer.
1. Nach Mitscherlich wird das Untersuchungsmaterial nach vorausgegangener Zerkleinerung und Zusatz einiger Tropfen Schwefelsäure in einer geräumigen Kochflasche mit Wasser erhitzt, wobei der Phosphor mit den Wasserdämpfen überdestilliert und mittels eines Glasrohrs in einen Kühlapparat geleitet wird. Wenn die Flüssigkeit auf etwa 90–100° erhitzt ist, geht der Phosphor in Form von im Dunkeln leuchtenden Dämpfen durch das eingeschaltete Glasrohr über. Mit 1 mg Phosphor in 200000facher Verdünnung lässt sich noch ein deutliches Leuchten erzielen.
2. Nach Scheerer lassen sich Phosphor und phosphorige Säure durch ihre Eigenschaft, Silbersalze zu reduzieren, nachweisen. Ihre Dämpfe schwärzen nämlich Filtrierpapierstreifen, welche mit salpetersaurem Silber getränkt sind (Reduktion zu metallischem Silber). Da jedoch Schwefelwasserstoff infolge der Bildung von Schwefelsilber eine ähnliche Reaktion gibt, muss gleichzeitig eine Probe auf etwa vorhandenen Schwefelwasserstoff durch Bleipapier (mit Bleizuckerlösung getränktes Papier) vorgenommen werden. Statt Bleipapier kann auch ein mit Arsenik oder Brechweinstein getränkter Papierstreifen verwendet werden. Die Methode wird in der Weise ausgeführt, dass in die mit der phosphorhaltigen Substanz gefüllte Flasche zwei Papierstreifen, ein Silber- und ein Bleistreifen, gebracht und durch den Stöpsel festgehalten werden. Alleinige Schwärzung des Silberstreifens beweist die Anwesenheit von Phosphor; bei gleichzeitiger Schwärzung des Bleistreifens ist die Methode, und hierin liegt der Hauptnachteil derselben, nicht anwendbar.
3. Nach Dussard und Blondlot wird der Phosphor als Phosphorwasserstoff nachgewiesen, welcher mit grüner Flamme brennt. Zu diesem Zweck versetzt man die zu untersuchende Flüssigkeit in einer Flasche mit doppelter Oeffnung mit Schwefelsäure und reinem Zink, worauf sich Wasserstoff in statu nascente und[S. 62] Phosphorwasserstoff entwickelt, der, durch eine Glasröhre geleitet und beim Austreten aus derselben angezündet, mit grüner Flamme brennt. Vor dem Anzünden muss das Gas behufs Reinigung von Schwefelwasserstoff eine U-Röhre mit Bimssteinstücken gefüllt passieren, welche mit Kalilauge befeuchtet sind. Da die Glasspitze durch ihren Natrongehalt eine gelbe Flamme erzeugt, wodurch die grüne Flamme des Phosphorwasserstoffs verdeckt wird, muss am Ende des Glasrohres eine Platinspitze befestigt werden.
4. Nach Fresenius und Neubauer wird die zu untersuchende Substanz in einer Kohlensäureatmosphäre der Destillation unterworfen (Mitscherlich). Hierbei kann schon durch das Leuchten im Dunkeln der Nachweis des Phosphors geliefert werden. Das Destillat wird dann mit einer Lösung von salpetersaurem Silber versetzt (Scheerer), auch wenn kein Leuchten zu sehen war. Der Niederschlag von Phosphorsilber wird gesammelt und in den Wasserstoffapparat gebracht (Dussard-Blondlot), hierauf der gebildete Phosphorwasserstoff angezündet und an seiner grünen Flamme erkannt. Diese Methode, welche die sämtlichen übrigen miteinander kombiniert, ist als die beste zu bezeichnen, weil sie selbst kleinste Mengen von Phosphor nachweist und auch in solchen Fällen Resultate gibt, in welchen die Methode von Mitscherlich versagt. Ausserdem eignet sich die Methode auch zur quantitativen Analyse; hierbei wird der in der Silberlösung befindliche Niederschlag von Phosphorsilber durch Königswasser oxydiert und die entstandene Phosphorsäure durch Zusatz von Magnesialösung als pyrophosphorsaure Magnesia ausgefällt, gewogen und auf Phosphor (100 : 28) berechnet.
Kasuistik. Ein Pferd, welches von einer als Rattengift aufgestellten Phosphorlatwerge 2 g Phosphor gefressen hatte, zeigte erst nach 3½ Tagen Krankheitserscheinungen, welche in Kolik, Speicheln, Verdrehen der Augen und Zuckungen bestanden; schliesslich stürzte es zusammen und starb nach 3 Stunden (Haubner, Sächs. Jahresber. 1860). — Ein rotziges Pferd erhielt 6 Dosen von 0,5 Phosphor in Leinöl innerhalb 3 Tagen; es starb, ohne sichtbare Krankheitserscheinungen gezeigt zu haben, plötzlich am 4. Tage (Lowag, Magazin 1860). — 16 Ferkel erkrankten gleichzeitig an Phosphorvergiftung; dieselben wurden matt und elend, 10 davon lagen hilflos und steif im Stalle, waren unfähig aufzustehen, und zeigten in regelmässigen Intervallen Zuckungen am Unterkiefer. Die 6 anderen liefen wie berauscht im Stalle umher und schrien bei jeder Berührung. Sämtliche Tiere verendeten; eines am 2. Tage, sechs am 3. Tage, die anderen neun am 10. bis 12. Tage. Bei der Sektion fand man auf der Magenschleimhaut eine scharf begrenzte, zehnpfennigstückgrosse Stelle dunkelbraunrot gefärbt und mit einem trockenen, ziemlich festen Schorf bedeckt (Hodurek, Oesterr. Vereinsmonatsschrift 1885). — Ein Pferd, welches infolge des Einatmens von Phosphordämpfen gestorben war, zeigte bei der Sektion die Erscheinungen des akuten Lungenödems, sowie fettig-körnige Entartung des Herzmuskels (Csokor, Oesterr. Vierteljahrsschrift 1885). — Eine Schafherde erkrankte an Phosphorvergiftung nach dem Weiden[S. 63] auf einem Kleefelde, auf welchem zur Vertilgung der Mäuse Stücke von Mohrrüben mit Phosphorlatwerge bestrichen in die Mäuselöcher gelegt worden waren. 35 Schafe starben am 2–5. Tage darauf (Schöngen, Mitt. a. d. tierärztlichen Praxis in Preussen, Bd. 14). — Hunde und Schweine starben nach Gaben von 0,03–0,09 Phosphor innerhalb 2–5 Tagen; dieselben waren traurig, matt, ohne Appetit, einzelne zeigten Erbrechen, Unruhe und Winseln. Hühner und Enten starben nach der Aufnahme von 7½ mg Phosphor, ohne andere Erscheinungen als Traurigkeit zu zeigen (Hertwig, Arzneimittellehre 1872). — Phosphorvergiftung beim Rind wurde einmal bei einem zur Sektion eingelieferten Rinde festgestellt, das plötzlich beim Austrieb auf die Weide zusammengebrochen und verendet war, nachdem es vorher noch gesund und munter seine Mittagsmahlzeit im Stalle verzehrt hatte. Neben deutlicher, aber mässiger Magendarmentzündung fand sich beginnende Leberverfettung. Durch Anwendung der Mitscherlichschen Probe, der eine kleine Menge Panseninhalt unterworfen wurde, konnten eine Stunde lang andauernde, ganz intensiv leuchtende Phosphordämpfe hervorgerufen werden. Hiernach muss die Menge des Giftes sehr gross gewesen sein und dies erklärt den höchst akuten Verlauf. Der Besitzer hatte zu fraglicher Zeit Phosphorlatwerge zur Vergiftung von Mäusen aufgestellt und ist jedenfalls das Tier durch Zufall direkt über einen Topf mit Latwerge geraten (Walther, Sächs. Jahresber. pro 1895). — Ein Pferd, welches phosphorhaltiges Rattengift (Brotscheiben) gefressen hatte, wurde morgens gelähmt am Boden liegend gefunden. In kurzen Zwischenräumen traten Krämpfe und krampfartige Bewegungen des gelähmten Unterkiefers ein. Die Zunge hing gelähmt aus dem Maul heraus. Die Pupillen waren ad maximum erweitert, die Kopfschleimhäute zyanotisch. Ausserdem wurden periodisch auftretende Brechbewegungen beobachtet. Nach dreistündiger Krankheitsdauer starb das Pferd (Müller, Sächs. Vet.-Ber. pro 1900). — Hühner hatten von Phosphorpaste (Rattengift) gefressen und starben nach vorausgegangener Abmagerung und Hinfälligkeit schlagartig, indem sie tot von der Sitzstange fielen oder im Laufen begriffen plötzlich starben; die Sektion ergab fettige Degeneration des Herzens und der Leber, sowie tief ziegelrote Färbung der Eingeweide (Graham-Gillam, Journ. of comp., Bd. XV). — Ein Hund hatte auf unerklärte Weise Phosphor zu sich genommen; dem Geruche nach zu urteilen, war die aufgenommene Menge ziemlich gross. Das Tier zeigte Mattigkeit und Erbrechen; die ausgebrochenen Massen waren stark schleimig und rochen deutlich nach Phosphor. Das Tier erhielt Cupr. sulfuric. 1,0, Aqu. destill. 50,0 viertelstündlich 1 Esslöffel. Das Erbrechen hielt noch ca. 1½ Stunden an, es liessen jedoch die Vergiftungserscheinungen nach ca. ½ Tag allmählich nach, und nach Verlauf von 2 Tagen war das Tier wieder wohl und munter (Otto, Sächs. Jahresber. 1902). — Hühner, welche Phosphorlatwerge gefressen hatten, zeigten ein Krankheitsbild, das den Verdacht der Hühnercholera erweckte, andere Hühner zeigten Taumeln, Durchfall und Koma (Hocke, Träger, Jahresb. d. preuss. Tierärzte 1904). — Nach der Aufnahme von verschlepptem Rattengift starb ein Schwein an blutiger Magendarmentzündung, desgleichen zeigten 48 Hühner Durchfall und Leberschwellung (Dosse, Schaumkell, ibid.). — 3 Pferde starben, wahrscheinlich infolge Aufnahme von Rattengift, nach vorausgegangenen Kolikerscheinungen. Die Sektion ergab korrosive Schlundentzündung, fleckige Rötung der Magen- und Darmschleimhaut, sowie Schwellung und braungelbe Farbe der Leber (Keller, ibid. 1907). — Einem 10 kg schweren Versuchshunde gab ich vormittags 11 Uhr 0,1 Phosphor in 50,0 Lebertran ein. 2 Stunden nach der Verabreichung zeigte sich derselbe traurig und erbrach von Zeit zu Zeit schleimige Massen. Das Abendfutter wurde mit Appetit aufgenommen. Der Puls war um diese Zeit etwas beschleunigt und deutlich schwächer geworden. Am andern Morgen war die Futteraufnahme ebenfalls noch eine gute. Das Tier zeigte jedoch allgemeine Mattigkeit und Traurigkeit, die Atmung war sehr angestrengt, der Puls äusserst schwach, die Schleimhäute anämisch, schmutzig grau gefärbt. Gegen Mittag wurde der Gang schwankend und taumelnd, die Psyche stark eingenommen, der Puls sank von 72 auf 56 Schläge p. M., die Temperatur von 38,0 auf 37,5° C. Die Atmungsbeschwerden steigerten sich gegen Mittag, das Tier konnte sich nicht mehr vom Boden erheben, der Puls wurde unfühlbar, es trat heftiges Erbrechen, Stöhnen, Umsehen nach dem Leibe ein. 28 Stunden nach der Verabreichung[S. 64] des Phosphors starb das Tier unter komatösen Erscheinungen, nachdem eine halbe Stunde vor dem Tode krampfartige Zuckungen der Halsmuskulatur vorausgegangen waren. Die Sektion ergab: hämorrhagische Gastroenteritis und Nephritis, parenchymatöse Hepatitis und Lungenödem, ausserdem partiellen Leberikterus. Mikroskopisch zeigte sich Fettdegeneration der Leber- und Nierenzellen, sowie ausgesprochene körnige Trübung der Muskelfasern des Herzens neben beginnender Trübung der Skelettmuskulatur.
Chemie der Arsenverbindungen. Das Metall Arsen kommt in der Natur in grosser Verbreitung teils in reinem Zustand, teils an Sauerstoff, Schwefel und an Metalle gebunden vor. Das reine Arsenmetall (As) findet sich gediegen kristallisiert oder in nierenförmigen traubigen Massen als Scherbenkobalt oder Fliegenstein. Die wichtigsten Schwefelverbindungen sind das Realgar (As2S2) und das Auripigment, Operment oder Rauschgold (As2S3). Mit Sauerstoff zusammen kommt Arsen in der Natur vor als Arsenblüte (As2O3). Metallverbindungen (Arsenerze) sind der Arsenkies oder Misspickel (AsFeS und AsFe2S2), der Speisskobalt (As2Co), Glanzkobalt (AsCoS), Kupfernickel (AsNi), Kupfernickelglanz (AsNi2S2), das Weissnickelerz (As2Ni). Ausserdem kommen kleinere Mengen von Arsenmetall in den meisten Mineralerzen vor, so in den Eisenerzen, Silbererzen, Kupferkiesen, im Bleiglanz, in der Zinkblende, in den Antimonerzen etc.
Der Arsenik (weisser Arsenik, arsenige Säure, As2O3) findet sich in der Natur in kleinen Mengen als Ueberzug auf arsenhaltigen Erzen; sog. Arsenblüte. Gewöhnlich wird er aber hüttenmännisch durch Oxydation der Arsenerze dargestellt. Er kann z. B. durch Rösten (Oxydation) des Arsenkieses gewonnen werden. Meist wird er jedoch als Nebenprodukt beim Rösten anderer arsenhaltiger Erze, so namentlich von Silbererzen, Kupfererzen, Bleierzen, Zinnerzen, Kobalterzen erhalten. Beim Erhitzen dieser Erze an der Luft (Rösten) wird das Metall Arsen zu arseniger Säure (As2O3) oxydiert, wobei letztere als weisser Rauch (Hüttenrauch) in Verbindung mit anderen flüchtigen Stoffen sich verflüchtigt. Wird dieser Hüttenrauch in sog. Giftkammern aufgefangen, so schlägt sich dort der Arsenik als feuchtes Pulver, sog. Giftmehl nieder, welches durch Sublimieren gereinigt und in eine glasartige Masse umgeschmolzen wird. Der Arsenik ist teils amorph, teils kristallinisch, beide Modifikationen gehen leicht ineinander über; während der frisch sublimierte Arsenik eine farblose oder schwach gelbliche, amorphe Glasmasse darstellt, trübt sich der ältere mit der Zeit und bildet eine trübe porzellanartige, kristallinische Masse. Beide Modifikationen besitzen eine verschiedene Löslichkeit in Wasser; der kristallinische Arsenik löst sich 1 : 80, der amorphe dagegen schon 1 : 25 in kaltem Wasser. Da nun die Präparate des Handels inkonstante Gemenge von kristallinischem und amorphem Arsenik darstellen, lässt sich eine genaue Löslichkeitsziffer für dieselben nicht angeben. In der Technik benützt man namentlich die Arsensäure und das arsenigsaure Kupfer. Offiziell ist eine 1proz. Arseniklösung in Pottasche = Liquor Kalii arsenicosi.
Für die Toxikologie sind die nachstehenden Eigenschaften des Arseniks von Bedeutung. Beim Erhitzen auf Kohle verbrennt der Arsenik unter Reduktion zu Arsen mit Knoblauchgeruch. Erhitzt man Arsenik in einem Glasrohr neben Kohle, so schlägt sich das metallische Arsen in Form eines sog. Arsenspiegels als grauschwarzer Belag innen am Glase nieder.[S. 65] Das Arsen wird ferner als grauschwarzes Pulver aus sauren Lösungen durch Zinn ausgefällt. Schwefelwasserstoff fällt aus salzsauren Lösungen gelbes Schwefelarsen. Mit Alkalien bildet der Arsenik in Wasser lösliche Arsenite (arsenigsaure Salze), z. B. mit Pottasche arsenigsaures Kalium (AsO3K3); dagegen bildet er mit Metallsalzen, namentlich mit Eisenoxydulsalzen, in Wasser unlösliche und daher ungiftige Arsenite (arsenigsaures Eisen; vergl. das Antidotum Arsenici).
Der Arsenwasserstoff, AsH3, unterscheidet sich in seiner Giftwirkung ganz wesentlich vom Arsenik (vergl. S. 70).
Aetiologie der Arsenikvergiftung. Die Ursachen der bei den Haustieren ziemlich häufigen Arsenikvergiftungen sind mannigfaltiger Natur. Wie beim Phosphor gibt ausgelegtes Rattengift in Form von arsenikhaltigen Brotkugeln oder Arsenikpasten Veranlassung zu Vergiftungen, namentlich in Viehstallungen. Sodann kommen Vergiftungen teils aus Zufall und Versehen, teils aus böswilliger Absicht zustande. 15 Pferde erhielten z. B. aus Versehen je 80 Gramm Arsenik; Hühner starben, als sie nach dem Ausklopfen von Renntierfellen den eingestreuten Arsenik aufnahmen; Schweine krepierten, als sie arsenikhaltige Badeflüssigkeit tranken. Am häufigsten geben Arsenikbäder bei Schafen Veranlassung zu Vergiftungen, wenn dieselben zu frühzeitig nach der Schur angewendet werden. Auch Arsenikwaschungen bei Pferden haben oft Vergiftungen zur Folge, wenn pro Pferd mehr als 500 Gramm einer 1proz. Lösung (= 5 Gramm Arsenik) verwendet werden. Namentlich in der Provinz Schleswig-Holstein und in den Marschländern der Provinz Hannover sind von alten Zeiten her 2malige Arsenikwaschungen pro Jahr bei den grösseren Haustieren gegen Läuse und sonstiges Ungeziefer im Gebrauch. Meist wird folgende Mischung genommen: 5 Liter Wasser mit 15 Gramm Arsenik werden reichlich mit Pottasche versetzt; diese Menge der ⅓prozentigen Arseniklösung ist für ein Pferd oder Rind berechnet. Trotz der starken Verdünnung sind Vergiftungen sehr häufig. Gefährlich sind die Waschungen insbesondere dann, wenn zufällig Hautwunden vorliegen, wenn die Lösungen warm oder bei stark erhitzten Tieren oder in sehr warmen Ställen zur Anwendung gelangen. Auch durch die vorausgehende Anwendung von konzentrierten Karbollösungen, wodurch die Haut angeätzt und ihr Resorptionsvermögen erhöht wird, sind mehrmals Arsenikvergiftungen beim Behandeln räudiger Pferde beobachtet worden.
Eine sehr grosse Bedeutung, insbesondere für die chronische Arsenikvergiftung, besass namentlich früher der Hüttenrauch.[S. 66] Bekannt ist in dieser Hinsicht die als chronische Arsenikvergiftung aufzufassende sog. Hüttenkrankheit unter dem Viehbestand im Bereiche der Freiberger Hütten in Sachsen. Der Hüttenrauch daselbst enthielt neben schwefliger Säure und geringen Mengen von Bleioxyd und Zinkoxyd grössere Mengen von Arsenik, welcher als Flugstaub die gesamte Flora der Umgebung überzog und mit dem Futter aufgenommen wurde, was unter dem dortigen Viehbestand eine gewissermassen enzootische, die Viehzucht jener Gegend schwer schädigende chronische Arsenikvergiftung zur Folge hatte. Weitere Vergiftungen ereignen sich durch arsenikhaltige Farben. Unter denselben sind zu nennen das Scheelesche Grün (arsenigsaures Kupfer, Mineralgrün, Smaragdgrün) von der Formel Cu3 (AsO3)2, und das Schweinfurter Grün (Wiener Grün, Mitisgrün), eine Verbindung von arsenigsaurem und essigsaurem Kupfer. Auch arsenhaltige Anilinfarben können Vergiftungen veranlassen. Diese Farbenvergiftungen ereigneten sich früher, als die grünen Tapeten die oben genannten Farbstoffe enthielten, häufiger als in der neueren Zeit; sie kamen z. B. bei Kühen vor, wenn die alten abgerissenen Tapeten auf den Dünger geworfen oder als Streumaterial verwendet und von den Tieren gefressen wurden. Neuerdings sind durch die Anwendung von Schweinfurter Grün gegen den Coloradokäfer in Amerika zahlreiche Vergiftungen bei Haustieren vorgekommen. Seltener sind die Vergiftungen durch die übrigen Arsenverbindungen, wie Kobalt (als sog. schwarzer Schwefel von Pferdehändlern und Stallknechten zur Aufbesserung der Ernährung verabreicht) und Operment. Ebenfalls nicht sehr zahlreich sind die Fälle, in welchen säugende Tiere durch die arsenikhaltige Milch der Muttertiere vergiftet wurden. Ein 14 Tage altes Fohlen erkrankte z. B. 12 Stunden nach der Aufnahme von Arsenik durch die Mutterstute und starb 1½ Stunden darauf, während das Muttertier die ersten Krankheitserscheinungen erst einige Stunden nach dem Tode des Fohlens zeigte (Huxel, Berl. Archiv 1886). In gleicher Weise sah Hertwig nach der Verabreichung von Milch einer Ziege, welche innerhalb zwei Tagen 3 Gramm Arsenik erhalten hatte, bei zwei Hunden starkes Erbrechen. Endlich sind manche Arzneimittel arsenikhaltig (Brechweinstein, Spiessglanz, Goldschwefel).
Eine weitere Ursache der Arsenikvergiftungen ist endlich in fehlerhafter Dosierung seitens des behandelnden Tierarztes zu suchen. Eine solche kann entweder bei der innerlichen Anwendung[S. 67] des Arseniks als Wurmmittel und Plastikum, oder bei der chirurgischen Applikation desselben als Aetzmittel vorkommen. Auffallenderweise differieren die Angaben der einzelnen Beobachter über die Höhe der tödlichen Arsenikdosis sehr bedeutend. So wird von Gohier berichtet, dass Pferde selbst nach einer Gabe von 30 Gramm Arsenik gesund blieben, während andere (Walch) schon nach 3 Gramm Arsenik Pferde sterben sahen. In ähnlicher Weise sollen Rinder und Schafe das eine Mal Gaben von 30 Gramm Arsenik und darüber gut ertragen haben, während sie ein anderes Mal nach 5 Gramm starben. Die Erklärung dieser abweichenden Angaben ist in verschiedenen Umständen zu suchen. Zunächst wirkt der Arsenik von der Haut, das heisst von Wunden aus, etwa 10mal stärker als vom Magen aus. Es sind ferner alle Arseniklösungen, namentlich die Lösungen in Säuren und Alkalien (Arsenikessig, Liquor Kalii arsenicosi), wegen der leichten Resorptionsfähigkeit giftiger als der Arsenik in Substanz. Ebenso ist gepulverter Arsenik leichter resorbierbar und daher wirksamer als Arsenik in Stücken; während letztere mehr eine lokale, ätzende Wirkung besitzen, bedingen der gepulverte und gelöste Arsenik sehr rasch eine Allgemeinvergiftung. Weiter kommt in Betracht, dass die im Handel befindlichen Arsenikpräparate eine sehr verschiedene Löslichkeit besitzen und ausserdem nicht selten mit ungiftigen Stoffen (Gips) verunreinigt sind. Schliesslich ist, wie bei allen Giften, der Füllungszustand des Magens und Darmes in Betracht zu ziehen; damit hängt auch die Tatsache zusammen, dass die Wiederkäuer im allgemeinen wegen der Verteilung des Arseniks in den grossen Futtermassen des Pansens gegen denselben widerstandsfähiger sind, als Fleischfresser und Pferde. Im Durchschnitt beträgt die tödliche Arsenikdosis
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bei innerlicher
Verabreichung
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von Wunden aus
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für
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Rinder
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15 –30,0
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2,0
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„
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Pferde
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10 –15,0
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2,0
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„
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Schafe und Ziegen
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10 –15,0
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0,2
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„
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Schweine
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0,5 – 1,0
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0,2
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„
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Hunde
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0,1 – 0,2
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0,02
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„
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Hühner
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0,1 – 0,15
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0,01
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„
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Tauben
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0,05– 0,1
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0,005
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Krankheitsbild der Arsenikvergiftung. Die einzelnen Fälle von Arsenikvergiftung zeigen nach Symptomen und Verlauf grosse[S. 68] Verschiedenheiten. Während bei Aufnahme des Arseniks per os zuerst gastrische und dann allgemeine Erscheinungen auftreten, fehlen erstere zuweilen, aber nicht immer, bei epidermatischer Anwendung des Giftes. Es ist ferner ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Krankheitsbild der akuten und dem der chronischen Arsenikvergiftung. Im übrigen haben die Symptome der Arsenikvergiftung grosse Aehnlichkeit mit denjenigen der Phosphorvergiftung; auch der Arsenik wirkt örtlich reizend und ätzend und ruft nach seiner Resorption Nekrobiose und Verfettung der wichtigsten Körperdrüsen, des Herzmuskels und der Skelettmuskeln hervor.
1. Symptome der akuten Arsenikvergiftung. Die ersten Krankheitserscheinungen nach der Aufnahme des Arseniks bestehen in Erbrechen, Speicheln, Würgen, Kolik, Verstopfung; später kommt ein hochgradiger, übelriechender, häufig blutiger Durchfall, zuweilen auch Blutharnen hinzu. Dabei sind die Tiere oft aufgeregt und in Angst, die Schleimhäute sind hochrot und zuweilen gelbbraun gefärbt. Bei subakutem Verlauf beobachtet man ferner bei manchen Rindern und Schafen eine phlegmonöse, schmerzhafte Anschwellung hinter dem Schaufelknorpel des Brustbeins mit Abszedierung und Bildung einer Labmagenfistel oder Vorfall des Labmagens (seltener der Haube), wenn nämlich ein Stückchen Arsenik die Labmagenwandung durchgeätzt und eine Perforation herbeigeführt hat. Die Allgemeinerscheinungen äussern sich in einer lähmungsartigen Schwäche der gesamten Körpermuskulatur, in Schwanken, Taumeln, psychischer Depression, Pupillenerweiterung, sowie in Herzschwäche (sehr frequenter, schwacher und selbst unfühlbarer Puls, Kälte der extremitalen Teile, abgeschwächter oder unfühlbarer Herzschlag). Meist ist auch die Atmung sehr beschleunigt und angestrengt. Der Tod erfolgt in den sehr seltenen perakuten Fällen schon innerhalb weniger Stunden (Asphyxia arsenicalis), bei langsamerem Verlauf in einigen Tagen unter den Erscheinungen eines allgemeinen Komas. — Bei äusserlicher Anwendung des Arseniks findet man lokal die Erscheinungen der Entzündung und Verschorfung; innerlich treten bald nur die Erscheinungen der Lähmung, bald jedoch auch heftige gastroenteritische Symptome auf.
2. Symptome der chronischen Arsenikvergiftung. Dieselbe kommt als sog. „Hüttenrauchkrankheit“ im Bereich der Freiberger Hüttenwerke vor und verläuft unter dem Bild einer chronischen Kachexie. Die Rinder gehen in der Ernährung[S. 69] zurück, werden auffallend mager, zeigen das Bild der Harthäutigkeit und des chronischen Ekzems (starke Hautabschuppung), chronischen Husten und anhaltende Durchfälle, leiden an Störungen im Sexualsystem (Abortus, Sterilität, Nichtabgang der Nachgeburt, Uteruskrankheiten, Milchmangel) und gehen schliesslich infolge einer allmählich zunehmenden lähmungsartigen Schwäche (Arseniklähmung, Tabes arsenicalis), zuweilen auch unter den Erscheinungen der allgemeinen Wassersucht, zugrunde. Die Dauer dieser Krankheitserscheinungen kann einige Jahre betragen.
Arseniklähmung (Paralysis arsenicalis). Sie kommt vereinzelt bei akuter, meist jedoch bei chronischer Arsenikvergiftung vor. Beim Menschen geht gewöhnlich eine Anästhesia dolorosa arsenicalis voraus. Die Arseniklähmung kann motorisch oder sensibel auftreten, und auch als Hemiplegie, Hemianästhesie, Amaurosis, Lähmung der Stimmbänder, Anaphrodisie etc. verlaufen. Meist führt sie zu Muskelatrophie und Kontrakturen. Zuweilen entwickelt sich die Arseniklähmung aus einer multiplen Neuritis. Auch bei Tieren lässt sich experimentell eine der Arsenikparalyse des Menschen ähnliche Lähmung erzeugen, welche mit gleichzeitiger Atrophie der Hinterbeine verläuft; bei der Sektion findet man die Muskeln und peripheren Nerven atrophisch, erstere unter dem Bilde der Koagulationsnekrose (Alexander). Auch in der grauen Substanz des Rückenmarks hat man degenerative Veränderungen nachgewiesen.
Sektionsbefund. Die anatomischen Veränderungen bei der akuten Arsenikvergiftung bestehen in Rötung, Schwellung, Ekchymosierung und Anätzung der Magenschleimhaut. Bei Rindern beobachtet man zuweilen Verätzungen der Labmagenschleimhaut mit Geschwürsbildung und Perforation des Pansens, des Labmagens und der Bauchwand. Charakteristische Allgemeinveränderungen sind die fettige Degeneration der Magendrüsen (Gastritis glandularis), die Verfettung der Leber, Nieren, des Herzmuskels und anderer Organe. Mitunter beobachtet man bei Arsenikkadavern Mumifikation. Bei der chronischen Arsenikvergiftung findet man ältere Geschwüre und Narbenbildung im Labmagen und Dünndarm, Geschwüre auf der Trachealschleimhaut, starke Abmagerung, allgemeine Hydrämie und endlich als sekundäre Erscheinung Lungentuberkulose (tuberkulöse käsige Pneumonie).
Behandlung. Das älteste Gegengift des Arseniks ist das sog. Antidotum Arsenici. Es besteht aus einer Auflösung von Eisenoxydhydrat in Wasser (Ferrum hydricum in aqua) und[S. 70] soll dadurch wirken, dass es mit dem Arsenik einen schwerlöslichen und daher ungiftigen Niederschlag von basisch arsenigsaurem Eisenoxyd bildet(?). Es wird frisch dargestellt aus einer wässerigen Lösung von Liquor Ferri sulfurici oxydati (100 : 250) mit einer Mischung von Magnesia usta in Wasser (15 : 250). Die Dosis beträgt für Hunde viertelstündlich einen Esslöffel, für Pferde und Rinder ¼-1 l. Auch gewöhnliches Eisenpulver, Eisenfeile, Hammerschlag, das Löschwasser der Schmiede und andere Eisenpräparate, wie z. B. Ferrum oxydatum saccharatum, sind als Gegenmittel zu gebrauchen. Ein wirksameres chemisches Antidot ist die gebrannte und die kohlensaure Magnesia (Bildung unlöslicher arsenigsaurer Magnesia). Man gibt von Magnesia usta Hunden viertelstündlich ½-1 g, Pferden und Rindern 10–20 g, mit der 20fachen Menge Wasser zusammen (sog. Magnesiahydrat). Auch Schwefel, Schwefelleber und Schwefeleisen kann als Gegenmittel gegeben werden (Bildung von Schwefelarsen). Als einhüllende Mittel verabreicht man Eiweiss und Schleim. Gegen die Lähmungszustände werden Exzitantien (Aether, Alkohol, Wein, Atropin, kohlensaures Ammonium, Koffein) angewandt. Alkalien sind wegen der Beförderung der Resorption zu vermeiden (Bildung leicht löslicher arsenigsaurer Alkalien).
Arsenwasserstoff. Der Arsenwasserstoff, AsH3, besitzt eine vom Arsenik ganz wesentlich verschiedene Giftwirkung. Er ist eines der stärksten Blutgifte, welches die roten Blutkörperchen sehr rasch auflöst und Hämoglobinämie erzeugt. Schon wenige Milligramm töten den Menschen (Darstellung von Wasserstoff aus arsenhaltigem Zink); über 30 Vergiftungsfälle beim Menschen sind nach Kobert bekannt geworden. Bei der Sektion findet man Ikterus, Schwellung der Milz und Leber sowie Hämoglobin-Infarkte der Niere; der Harn ist dunkelrot (Hämoglobinurie), häufig besteht Strangurie und Anurie. Der Gallefarbstoffgehalt der Galle ist um das 10–20fache vermehrt (Pleiochromie); die Galle ist teerartig, zähflüssig. Besonders empfindlich gegen AsH3 zeigten sich bei den Versuchen Katzen. Das einzige Gegenmittel bildet die Kochsalzinfusion. Aehnlich wie AsH3 scheint SbH3, der Antimonwasserstoff, zu wirken; dagegen zeigt der Phosphorwasserstoff, PH3, eine reine Phosphorwirkung (vgl. S. 56).
Nachweis. Werden bei der Sektion kleinere Stücke von Arsenik im Magen oder Darm vorgefunden, so genügen zum Nachweis des Arseniks einige allgemeine Arsenikreaktionen. Soll dagegen der Arsenik in den Organen (Leber, Nieren, Blut, Muskeln) nachgewiesen werden, so ist hierzu zunächst die Zerstörung der organischen Substanz erforderlich, worauf die spezielle Untersuchung im Marshschen Apparat folgt.
[S. 71]
1. Allgemeine Arsenikreaktionen. Die wichtigsten derselben sind folgende: a) Auf glühenden Kohlen entwickeln Arsenikstücke Arsendämpfe, welche nach Knoblauch riechen. b) Mit essigsaurem Kali in einem Röhrchen erhitzt entwickelt der Arsenik den charakteristischen Geruch nach Kakodyl. c) Salpetersaures Silberoxyd gibt in der Lösung der arsenigsauren Alkalien einen gelben Niederschlag von arsenigsaurem Silberoxyd (statt Höllenstein kann auch Sublimat genommen werden). d) Schwefelsaures Kupferoxyd gibt in der genau mit Ammoniak neutralisierten wässerigen Lösung des Arseniks einen hellgrünen Niederschlag von arsenigsaurem Kupfer (Scheeles Grün), welcher sich in überschüssigem Ammoniak mit dunkelblauer Farbe löst. e) Schwefelwasserstoff gibt mit freier arseniger Säure und ihren mit Salzsäure angesäuerten Alkalisalzen einen gelben Niederschlag von dreifach Schwefelarsen (As2S3), welcher in Schwefelammonium und Alkalien löslich ist. f) Eine Lösung von Zinnchlorür (S = 1,45) zerlegt den Arsenik zu schwarzbraunem, metallischem Arsen (schwarzbraune Flocken). g) Ein blankes Kupferblech überzieht sich in der mit Salzsäure versetzten Lösung der arsenigen Säure mit einem grauweissen Beschlag (Arsen-Kupferlegierung). Dieser Beschlag tritt auch bei Quecksilber und Antimon auf, weshalb diese Reaktion für sich allein zum Nachweis des Arsens nicht genügt.
2. Der Nachweis des Arseniks im Marshschen Apparate. Demselben geht die Trennung des Arsenmetalls von den organischen Beimengungen voraus. Diese Trennung geschieht durch Zerstören der letzteren mit Salzsäure und Kali chloricum (Chlor) oder durch Verpuffen mit Salpeter. Die letztere Zerstörungsmethode ist anzuwenden, wenn die organischen Massen durch Chlor schwer zu zerstören sind (grosse Körpermassen, Knorpel, Knochen, Sehnen); aus dem Verpuffungsrückstande müssen vor der Fällung mit Schwefelwasserstoff die Nitrate und Nitrite durch Erhitzen mit überschüssiger Schwefelsäure entfernt werden. Hierauf wird der Rückstand mit dem 10fachen Volum destillierten Wassers gelöst und in der beschriebenen Weise mit Schwefelwasserstoff behandelt, wonach ein gelber (blassgelber bis zitronengelber) Niederschlag von Schwefelarsen (As2S3 + As2S5) entsteht. Der Niederschlag von Schwefelarsen muss zur weiteren Untersuchung im Marshschen Apparate vorher wieder löslich gemacht werden (Umwandlung des Schwefelarsens in Arsenik[S. 72] oder Arsensäure). Dies geschieht entweder dadurch, dass man ihn in Aetzammoniak löst, mit gleichen Teilen kohlensaurem Natron und dem doppelten Gewichte Natronsalpeter mischt, trocknet, im Porzellantiegel verpufft; oder durch wiederholtes Abdampfen mit stärkster Salpetersäure bis zum Zurückbleiben eines hellgelben Niederschlages, welcher mit Aetznatron neutralisiert, mit kohlensaurem Natron und Natronsalpeter gemengt und dann verpufft wird; oder durch Auflösen in Aetzammoniak, Neutralisieren mit Schwefelsäure, Uebersäuern und Erhitzen unter Zusatz von einigen Zentigramm gepulverten Natronsalpeters; oder durch Auflösen mit Brom und nachheriges Entfernen des überschüssigen Broms durch leichtes Erwärmen.
Sodann erfolgt die eigentliche Untersuchung des in Lösung (As2O3, As2O5) übergeführten Arsenniederschlags im Marshschen Apparate. Derselbe reduziert zunächst die Oxyde des Arsens durch Wasserstoff unter Bildung von Arsenwasserstoff und zerlegt dann den Arsenwasserstoff durch Glühen in metallisches Arsen, welches als sog. „Arsenspiegel“ sich am Glasrohr niederschlägt. Metallisches Arsen oder Schwefelarsen werden im Marshschen Apparate nicht zu Arsenwasserstoff umgewandelt, können also in demselben nicht untersucht werden. Der Arsenwasserstoff kann auch angezündet werden, wobei er zu Arsen und Wasser verbrennt; das Arsenmetall schlägt sich dann an einer in die Flamme gehaltenen Porzellanplatte als Beschlag nieder. Das Verfahren ist im einzelnen folgendes: In eine geräumige, nur bis zu einem Drittel zu füllende, mit einem doppelt durchbohrten Korke oder mit mehreren Oeffnungen versehene Flasche wird der gelöste Arsenniederschlag mit chemisch reinem Zink und verdünnter Schwefelsäure (1 : 8) versetzt. Durch die eine Oeffnung des Korks wird ein bis zum Boden der Flasche gehendes Trichterrohr zum Nachfüllen der Säure eingebracht; die andere Oeffnung enthält ein kreisförmig gebogenes Rohr, durch welches der Arsenwasserstoff in ein mit Chlorkalzium (Entwässerung des Arsenwasserstoffs) gefülltes Glasrohr geleitet wird. Von hier tritt der Arsenwasserstoff dann in das zum Erhitzen bestimmte ½-¾ m lange, arsen- und bleifreie, 5–7 mm weite und 1½ mm dicke, an seinem Ende in eine feine Spitze ausgezogene, schwer schmelzbare Glasrohr, welches mittelst des Bunsenschen Brenners an einer Stelle bis zur Rotglühhitze geglüht wird, worauf sehr bald hinter dieser Stelle der Arsenspiegel als[S. 73] metallischer Anflug auftritt. Erhält man nach stundenlangem Durchleiten keinen Anflug, so ist bestimmt kein Arsen vorhanden.
Um sicher festzustellen, dass der Metallanflug in der Glasröhre aus Arsen besteht, ist eine genaue Prüfung des „Arsenspiegels“ notwendig. Derselbe soll eine graue oder braune, metallglänzende Masse hinter der erhitzten Stelle bilden, welche unter der Lupe nicht aus Kügelchen (Quecksilber) bestehen und an den Rändern nicht geschmolzen sein soll (Antimon). Beim Betupfen mit unterchlorigsaurem Natron soll der Arsenspiegel fast momentan verschwinden (im Gegensatz zu Antimon). Ausserdem soll nach Betupfen mit wenig Schwefelammoniumlösung und vorsichtigem Erhitzen ein gelber Rückstand von Schwefelarsen bleiben (Schwefelantimon ist orangegelb). Endlich gibt der Arsenspiegel beim Verdampfen (Erhitzen der Glasröhre) einen charakteristischen Knoblauchgeruch.
3. Die quantitative Arsenikbestimmung. Quantitativ wird das Arsen entweder annähernd nach der Grösse des Arsenspiegels oder genauer als arsensaure Ammoniakmagnesia (die mit Salzsäure und chlorsaurem Kali behandelte Masse wird mit Ammoniak und Magnesiamischung gefällt, der Niederschlag wiederum mit Salzsäure und chlorsaurem Kali behandelt und gefällt, darauf gereinigt, filtriert, mit Ammoniakwasser ausgewaschen und gewogen; er enthält 60,53 Prozent Arsensäure = 39,477 Arsen), oder als Arsensulfür bestimmt (Einleiten von Schwefelwasserstoff in die salzsaure Lösung, Filtrieren, Reinigen, Auswaschen, Wägen des Niederschlages; 100 Teile Arsensulfür (As2S3) = 61 Teile Arsen).
4. Der biologische Nachweis des Arsens. Verschiedene Schimmelpilze, namentlich das Penicillium brevicaula, entwickeln bei ihrem Wachstum in arsenhaltigen Nährstoffen gasförmige, nach Knoblauch riechende Arsenverbindungen (sog. Arsenpilze). Diese Wirkung der Schimmelpilze ist schon früher als ätiologisches Moment bei der Entstehung von Arsenvergiftungen in Zimmern mit arsenhaltigen Tapeten bekannt gewesen. Neuerdings wird dieselbe zum Nachweis von Arsenik im Harn etc. empfohlen (Gosio, Ebel, Buttenberg, Hausmann u. a.). Die zu untersuchenden Massen werden mit sterilisiertem Brotbrei und einer Aufschwemmung einer sporenhaltigen Schimmelkultur zusammen in einem Kolben bei 37° im Brutschrank gehalten, worauf nach 1–3 Tagen der charakteristische widerliche Knoblauchgeruch auftritt (noch bei 1⁄100000 g[S. 74] Arsenik). Die gasförmigen Arsenikverbindungen lassen sich dann ausserdem auch chemisch im Marshschen Apparat nachweisen.
Kasuistik. Die tierärztliche Literatur enthält eine grosse Anzahl sowohl klinischer als experimenteller Beobachtungen über akute und chronische Arsenikvergiftungen. Ein Teil derselben soll hier im Auszuge wiedergegeben werden.
1. Pferde. 15 Pferde erhielten aus Versehen je etwa 80 g Arsenik; 12 davon starben innerhalb 4 Tagen (nach 20, 36, 48, 72, 96 Stunden). Die Erscheinungen bestanden in starker Rötung der Konjunktiva, Kolik, Zittern, Schweissausbruch, unfühlbarem Puls. Die Fäzes wurden unter heftigen Anstrengungen abgesetzt und hatten einen deutlichen Knoblauchgeruch. Bei denjenigen Pferden, welche über 36 Stunden am Leben blieben, trat infolge von Verätzung der Magenwand eine Lähmung des Magens ein (Nodet, Recueil 1884). — Ein Pferd hatte wiederholt von seinem Besitzer täglich 6 g Arsenik erhalten. Dasselbe war in einem Zustande starker Aufregung, speichelte sehr stark, frass nicht, die Haare waren gesträubt, die Extremitäten kühl, der Puls schwach, die Konjunktiven geschwollen und gelblichbraun gefärbt, die Pupillen erweitert, die Peristaltik vermehrt, der Kot dünnflüssig, schleimig und sehr übelriechend, der Gang taumelnd, die Gliedmassen steif, die Atmung stark beschleunigt und erschwert, der Körper mit Schweiss bedeckt; das Tier zeigte bald Kolikerscheinungen, bald lag es mit gestreckten Gliedmassen, ohne dass es zum Aufstehen veranlasst werden konnte. Das Pferd wurde geheilt (Michaud, Schweizer Archiv 1883). — Ein Pferd, welches von seinem Wärter Kobalt (schwarzen Schwefel) erhalten hatte, starb nach wenigen Stunden an heftiger Kolik; die Sektion ergab Entzündung und Ulzeration im Magen und Blinddarm (Tombs, The Veterinary Record 1849). — 3 Pferde erhielten täglich eine Messerspitze voll Operment auf das Futter (in 5 Tagen zusammen etwa 250 g). 3 Tage darauf erkrankte das erste, am 4. Tage die beiden anderen. Die Krankheitserscheinungen bestanden in Schäumen, Kolik (am 5. Tage), Drängen auf den Kot, vermehrtem Urinieren, kalten Extremitäten, Pupillenerweiterung. Die Sektion ergab Gastroenteritis (Hertwig, Magazin Bd. 14 und 22). — 2 Pferde, welche je mit 10 g Arsenik gegen Räude gewaschen wurden, starben (Mire, Revue vét. 1876). — Ein Pferd starb von 4 g grobgepulvertem Arsenik, welcher in 3 frische Wunden gebracht wurde, nach 2 Tagen; ein anderes nach 60 Stunden, als 2 g feingepulverter Arsenik in eine Wunde gebracht wurden. Lokal entstand eine 2 Zoll hohe Geschwulst mit 1 Fuss Durchmesser. Die Erscheinungen bestanden in Speicheln, Atemnot, Herzklopfen, unfühlbarem Puls und Kolik. Bei der Sektion fand man eine starke Entzündung des ganzen Magendarmkanals (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Nach Regenbogen starben zwei räudige Pferde infolge der von einem polnischen Juden angeratenen Waschung mit einer Abkochung von ½ Pfd. Arsenik in ¾ l Wasser (Berl. Arch. 1898 S. 792). — Flum beobachtete bei einem dämpfigen Pferde nach 3maliger Verabreichung von 1 g Arsenik pro Tag Kolikerscheinungen (D. Th. W. 1895). Einen ähnlichen Fall hat Römer beschrieben (ibid. 1899). — Hauptmann sah bei einem Pferde starke Aufblähung, schwankenden Gang, hochgradige Benommenheit des Sensoriums sowie örtliche Entzündungserscheinungen in der Maulhöhle und im Pharynx (Tierärztl. Zentralbl. 1900 S. 193). — Weitere Fälle von Arsenikvergiftungen bei Pferden haben Wittlinger und Bucher beschrieben (Berl. Arch. 1900 S. 363). — Dass Pferde längere Zeit hindurch kleinere Dosen von Arsenik gut ertragen, indem sie sich an das Gift gewöhnen, beweisen die nachstehenden experimentellen Beobachtungen. 8 Pferde, welchen Hertwig 30 bis 40 Tage hindurch täglich einmalige Arsenikdosen von 1,25–4,0 in Mehlpillen verabreichte, zeigten während dieser Zeit und noch 3 Monate nachher keinerlei üble Zufälle. Dagegen wurde bei sämtlichen 8 Pferden das Haar glätter und 5 davon wurden auch sichtbar mehr beleibt (Arzneimittellehre 1872). Aehnliche Beobachtungen hat Kopitz (Preuss. Annalen der Landwirtschaft 1872 S. 601) gemacht. — Ich selbst habe einem kräftigen Versuchspferd in der Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1889 im ganzen 115 g frisch gepulverten Arsenik in Einzeldosen von 1 g gefüttert. In der ersten Hälfte der Versuchszeit besserte sich darauf der Nahrungszustand und das Allgemeinbefinden des Pferdes ganz[S. 75] erheblich, indem es innerhalb 2 Monaten um 22 kg Körpergewicht zunahm; in der zweiten Hälfte trat jedoch ein Rückgang der Ernährung ein, so dass das Pferd am Ende des Versuchs wieder schlechter genährt aussah und sein ursprüngliches Gewicht (420 kg) wieder zeigte.
2. Rinder. 4 Kühe hatten Rattengift (arsenikhaltige Brotkugeln) gefressen. Sie versagten das Futter, verloren die Milch, zeigten starken Durchfall und waren sehr hinfällig. Eine Kuh starb nach einigen Tagen; bei der Sektion fand man eine korrosive Darmentzündung, sowie ein grosses Loch in der linken Seite des Wanstes mit Austritt des Mageninhaltes in die Bauchhöhle. Die zweite Kuh war bald wieder hergestellt. Die 3. war 10–14 Tage krank. Die 4. kränkelte ebenfalls längere Zeit; nach etwa 10 Wochen fiel in der Gegend des Schaufelknorpels ein handtellergrosses Hautstück mitsamt den unterliegenden Bauchdecken brandig ab, worauf eine Magenfistel zurückblieb (Hesse, Magazin 1857). — Eine Kuh, welche Arseniklatwerge gefressen hatte, zeigte nach einigen Stunden Appetitlosigkeit, Kolik und blutigen Durchfall und starb nach 45 Stunden (Koch, Preuss. Mitt. 7. Jahrgang). — 9 Rinder hatten grüne Rouleauxlappen gefressen. Sie zeigten unterdrückte Fresslust, heftigen Durchfall, grosse Schwäche und Angst, Krämpfe in den Halsmuskeln, Erstickungsanfälle und Pupillenerweiterung. Ein Tier starb am 3. Tage, die übrigen genasen im Verlaufe einer Woche. Die Sektion ergab korrosive Gastroenteritis (Brabänder, Magazin 1855). — Mehrere Kühe hatten alte grüne Tapeten gefressen; eine derselben starb am Abend desselben Tages, eine zweite in der darauffolgenden Nacht, 3 andere erkrankten am Tage darauf. Die Erscheinungen waren: Traurigkeit, Appetitlosigkeit, Speicheln, Kolik, Trippeln, Durchfall, Tenesmus (Eilert, ibidem). — R. Fröhner beobachtete bei einer Kuh eine schwere Vergiftung (Aufblähen, Kolik, grosse Schwäche, Lähmungserscheinungen) nach der Aufnahme von etwa 10 g Schweinfurter Grün (D. Th. W. 1895, S. 130). — Durréchou sah bei einer Kuh nach der täglichen Verabreichung von 5 g Arsenik Kolik und tödliche Peritonitis infolge Perforation des Pansens an 6 Stellen (Revue vét. 1895 S. 385). — Eine Labmagenfistel bei einer im übrigen gesunden Kuh nach der Aufnahme von arsenikhaltigem Weizen haben Talbot und Mettam beschrieben (The Veterinarian 1897). — Zur Vertilgung des Koloradokäfers wurden in Amerika die Felder mit grossen Mengen von Schweinfurter Grün bestreut. Die stehenden Gewässer daselbst wurden deshalb nach Regengüssen stark arsenhaltig. 6 Rinder, welche aus solchen Pfützen tranken, starben nach 1–2 Stunden unter heftigen Kolikerscheinungen und starkem Speicheln (Sattler, Tiermed. Rundschau 1886/87). — 4 Mastrinder erkrankten schwer an Kolik. Die Sektion ergab diffuse Labmagen- und Dünndarmentzündung; in der Labmagenschleimhaut fanden sich hirsekorngrosse Anätzungen. Die Tiere hatten Arsenik, gepulvert mit Weizenkleie, als Mastmittel erhalten, und zwar täglich eine Handvoll dieser Mischung (Fortenbacher, Preuss. Ber. pro 1906). — Wie Pferde, so können sich auch Rinder an längere Zeit hindurch verabreichte kleinere Mengen Arsenik gewöhnen. So fütterte Körte (Meyers Ergänzungsblätter 1869) eine Anzahl Mastochsen mit steigenden Mengen Arsenik in täglichen Dosen von 0,06–0,36 g während einer sehr langen Mastperiode ohne jede Störung des Allgemeinbefindens; die Tiere wurden im Gegenteil sehr fett. Spallanzani und Zappa (Clinica veterinaria 1886) fütterten Kühe 10 Tage hindurch mit je 0,2 g Arsenik. Während anfangs der Nährzustand etwas zurückging, trat später Körpergewichtszunahme und Besserung im äusseren Habitus der Tiere ein. Dieselbe Beobachtung machten sie bei Schafen und Schweinen (0,05 g pro die) und bei Tauben (2–4 mg pro die). Sie kamen zum Resultate, dass man täglich von gepulvertem Arsenik ohne nachteilige Folgen verabreichen kann: Rindern 0,15 mg pro Kilo Körpergewicht, Schafen 1 mg, Schweinen 0,4 mg und Tauben 1 mg. Bezüglich der Zulässigkeit des Fleischgenusses von Tieren, welche mit Arsenik behandelt wurden, haben die Versuche von Spallanzani und Zappa ergeben, dass selbst das Fleisch von Tieren, welche mit Arsenik vergiftet wurden, nicht gesundheitsschädlich wirkt, viel weniger das Fleisch von Tieren, welche unter Beihilfe des Arseniks gemästet werden. Einer Kuh wurden beispielsweise nach und nach 70 g Arsenik beigebracht. Beim Schlachten enthielt der Körper derselben nur noch ¼ g. Relativ am meisten Arsenik enthielt die Leber, darauf folgten die Nieren, das Gehirn, das Fleisch, die Hautanhänge, die Knochen, das[S. 76] Blut und die Milch. Die für den Menschen giftige Minimaldosis von 0,1 g Arsenik wäre demnach erst in 9 kg Leber vorhanden gewesen. Dementsprechend war auch die Verfütterung des Fleisches und der Milch an junge Schweine und Hunde resultatlos. Die Milch enthielt 0,00005 pro Mille Arsenik. Ein ähnliches Ergebnis hat eine Untersuchung von Sonnenschein gehabt. Die Körperteile einer Kuh, welche innerhalb eines halben Jahres 506½ g Arsenik bekommen hatte, enthielten nach der Schlachtung an Arsenik: 1 kg Fleisch 0,28 mg, 1 kg Leber 0,12 mg, 1 kg Milz 2 mg, 1 kg Niere 3 mg.
3. Schafe. 150 Schafe wurden in einer Arseniklösung gebadet, welche in 500 l 3½ kg Arsenik enthielt. Innerhalb der ersten drei Stunden nach dem Bade starben 30 Stück, in den weiteren 4 Tagen 105 Stück. Die übrigen Tiere erkrankten zwar, genasen aber (Nagel, Berliner Archiv 1890). — Eine Schafherde, bestehend aus 229 Stück, wurde wegen Räude in einer Arseniklösung gebadet. 12 Stück krepierten, 28 Stück zeigten 2 Monate hindurch tiefe brandige Zerstörung und Geschwürsbildung auf der Haut (The Veterinarian 1852). — Ein Schaf erhielt in 2½ Monaten etwa 20 g Arsenik. Nach Verabreichung von etwa 12 g zeigten sich die ersten Vergiftungserscheinungen: unterdrückte Fresslust und Munterkeit, sowie eine schmerzhafte Stelle in der rechten Schaufelknorpelgegend, welche sich später zu einer bruchartigen, walnussgrossen Geschwulst und schliesslich zu einer Labmagenfistel mit späterem partiellen Labmagenvorfall umwandelte (Haubner, Sächs. Jahresbericht 1860). — Röbert hat eine Arsenikvergiftung bei 100 Schafen beobachtet. Dieselben weideten auf einem Kleefelde, das in allernächster Nähe eines Hüttenwerkes gelegen war. Bereits nach 2 Stunden zeigten die Tiere die ersten Krankheitssymptome, welche sich in grosser Mattigkeit, lähmungsartiger Schwäche, Schwanken, Versagen des Futters, diarrhoischem Kote, lividem Aussehen der Schleimhäute äusserten; 1⁄10 davon ging ein. Der Sektionsbefund war der bei Arsenikvergiftung übliche. Das Blut war teerartig, schlecht geronnen, es bestand Ekchymosierung der Schleimhaut des Verdauungsapparates usw. (Sächs. Jahresber. pro 1892). — Scott beobachtete eine Arsenikvergiftung bei Lämmern nach einem Räudebad. 19 Lämmer starben nach 12–36 Stunden unter Vergiftungserscheinungen (Speichelfluss, Nasenausfluss, Zähneknirschen, Stöhnen, Schwanken, Durchfall, Koma). Andere erkrankten 10 bis 12 Tage nach dem Baden. Die Sektion ergab leichte Entzündung im 4. Magen, subkutane Blutungen, Petechien und seröse Infiltration in den Muskeln (Vet. Record 1904 S. 853). — Auch Schafe können sich an kleinere Dosen Arsenik gewöhnen. So zeigten die Versuchsschafe von Weiske (Tageblatt der Grazer Naturforscherversammlung 1875) bei 20tägiger Fütterung von je 0,005–0,18 g Arsenik bessere Ausnützung des Futters und Vermehrung des Körpergewichts durch Fleischansatz. Cornevin (Journal de Lyon 1886 und 1888) fütterte 9 Schafe je eine Woche hindurch mit 7tägigen Pausen zuerst 0,3, dann 0,6, dann 1,0 und zuletzt 1,3 g Arsenik (mithin die grosse Menge von 22,4 g Arsenik pro Schaf innerhalb 2 Monaten). Erscheinungen einer Darmaffektion fehlten hiebei gänzlich; der Fettansatz wurde jedoch nicht gefördert, und zwar deshalb, weil, wie Cornevin glaubt, der Arsenik in Pulverform sich in den grossen Futtermassen der Wiederkäuermägen verliert. Dagegen zeigte sich nach Verabreichung der Fowlerschen Lösung, wobei mit 0,25 begonnen und gradatim bis zu 5,0 gestiegen wurde, insbesondere bei schwächlichen Schafen eine deutliche Gewichtszunahme.
4. Schweine. Ein halbjähriges Schwein starb nach 1,2 g Arsenik binnen 40 Stunden (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — 22 Schweine tranken von einer zur Schafwäsche benützten Flüssigkeit und krepierten sämtlich. Die Sektion ergab starke kruppöse Stomatitis und Pharyngitis (The Veterinarian 1855). — Schweine zeigen nach täglich 2maliger Verabreichung von 0,05 Arsenik nach 8–14 Tagen Appetitverminderung, Erbrechen, Durchfall, blutige Exkremente, grosse Mattigkeit, starke Abmagerung und sterben nach etwa 20–30 Tagen (Hertwig, Arzneimittellehre 1872). — Auch bei Schweinen kommt eine Gewöhnung an den Arsenik vor. Sie ertragen nach den Untersuchungen von Giel (Archiv für experimentelle Pathologie 1878), wenn sie jung, kräftig und gut gehalten sind, ½-2 mg Arsenik pro die ganz ausgezeichnet, zeigen im Vergleiche zu den Kontrolltieren entschieden besseres Wachstum, bekommen ein schöneres,[S. 77] glänzenderes Fell, werden fetter, haben längere und dickere Knochen und werfen grössere, stärkere Junge.
5. Hunde. Nach 0,2–0,6 Arsenik zeigen Hunde wiederholtes Erbrechen, Winseln, beschwerliches Atmen, Angst, Unruhe, Entleerung schwarzrotgefärbter diarrhoischer Kotmassen, grosse Schwäche, Koma; nach 6–30 Stunden tritt der Tod ein (Hertwig; eigene Versuche). — Ein mittelgrosser Hund starb auf 0,25 Scherbenkobalt nach 18 Stunden unter den Erscheinungen der Gastroenteritis (Renault, Recueil 1834). — Ein Hund erkrankte auf 0,6 Schweinfurter Grün nach ½ Stunde unter Kolikerscheinungen, genas aber nach 4 Stunden; ein anderer, kleiner Hund starb nach 0,3. Ein junger Hund starb ferner nach der Verabreichung von 0,6 Scheeleschem Grün nach 1½ Stunden (Meurer, Caspers Wochenschrift für Tierärzte 1843). — Eine Arsenikvergiftung nach der Aufnahme von Feldmäusen hat Heilig bei einem Hunde beobachtet (Oesterr. Monatsh. 1897 S. 169). — Zwei Dachshunde erkrankten nach dem Zerzausen eines ausgestopften Fuchses an schwerer Arsenikvergiftung; einer genas nach Verabreichung von Magnesia und Eisenoxydhydrat. Bei dem anderen fand sich bei der Sektion Arsenik als weisses, streusandähnliches Pulver im Magen (Röbert, Sächs. Jahresber. pro 1901). — Ein Hund starb 1½ Stunden nach der Aufnahme von Rattengift (0,2 Arsenik) perakut; der Sektionsbefund war mit Ausnahme einer umschriebenen erosiven Gastritis negativ (Jakob, Münch. Woch. 1909). — Nach der Aufnahme von arsenikhaltigem Mäusegift erkrankte ein Hund unter Erbrechen und Lähmungserscheinungen; er genas nach Verabreichung von Antidotum Arsenici nach 24 Stunden (Roelcke, Zeitschr. f. Vet. 1909).
6. Hühner. Von 10 Hühnern eines Weissgerbers, welche von dem weissen, in Renntierfelle eingestreuten Pulver gefressen hatten, starben 8 (Weigel, Sächs. Jahresber. 1888). — Nach Cornevin ertragen Hühner 0,02 g Arsenik pro die eine Woche hindurch, sterben aber bei 0,05 g pro die und einer einmaligen Dosis von 0,1–0,15 g.
Chemie der Bleiverbindungen. Das Metall Blei wird fast ausschliesslich aus dem Bleiglanz, PbS, hüttenmännisch gewonnen. Der Bleiglanz findet sich meist mit anderen Erzen, namentlich mit Silber-, Kupfer-, Zink-, Antimon- und Eisenerzen zusammen auf Gängen der verschiedensten Gebirgsformationen. Durch Rösten des Bleierzes wird teils reines metallisches Blei, teils Bleioxyd gewonnen. Letzteres wird sodann mit Kohle zu metallischem Blei reduziert. Bleibergwerke finden sich in Deutschland namentlich in Freiberg (Sachsen), im Harz (Ober- und Unterharz), in Oberschlesien (Tarnowitz), in den Bezirken Aachen und Köln, in Hannover, Westfalen und Nassau. Das metallische Blei findet Verwendung zur Herstellung von Kugeln, Platten, Röhren, Draht, Glasuren und Lötmasse für Koch- und Essgeschirre, als Ausbesserungsmaterial für Mühlsteine, sowie zur Darstellung verschiedener chemischer Bleipräparate. Die wichtigsten chemischen Eigenschaften des Bleies sind folgende. Vor dem Lötrohr auf Kohle geschmolzen gibt es einen dunkelgelben Beschlag mit blauweissem Rande. Mit Soda vor dem Lötrohr geschmolzen, bildet es eine weiche Bleiperle, deren Lösung in Salpetersäure durch Schwefelsäure weiss gefällt wird. An feuchter Luft überzieht sich Blei mit einer dünnen Schichte von Bleioxyd. Lufthaltiges Wasser greift das Blei stark an, indem sich lösliches Bleioxydhydrat bildet; die gleichzeitige Anwesenheit von Chloriden, Nitraten, Ammoniak und fauligen Stoffen befördert die Auflösung des Bleis (Gefährlichkeit der Benützung von Bleiröhren zu Trinkwasserleitungen).
Die für die Toxikologie wichtigsten Bleiverbindungen sind ausser dem metallischen Blei folgende: 1. Die Bleiglätte (Silberglätte, Goldglätte,[S. 78] Massikot, Lithargyrum) ist Bleioxyd, PbO, welches in den Bleihütten durch Erhitzen des Bleis an der Luft gewonnen wird und je nach dem angewandten Hitzegrade eine hellgelbe (Silberglätte) oder rotgelbe (Goldglätte) Farbe zeigt. Es ist in Wasser schwer löslich, in Salpeter- und Essigsäure leicht löslich, löst sich ferner in Salzsäure und bildet mit Fetten Firnisse, Pflaster und Kitte. 2. Die Mennige (rotes Bleioxyd, Pariser Rot, Minium), Pb3O4, wird aus Bleiglätte durch weiteres Erhitzen dargestellt. Sie hat eine schöne, blendend rote, zuweilen feurig oder orangerote Farbe, löst sich in Essigsäure, Salzsäure und Salpetersäure, und wird zu Anstrichen, Glasuren, Kitten, Pflastern, sowie in der Zündhölzerfabrikation verwandt. 3. Das Bleiweiss (kohlensaures Blei, Cerussa), PbCO3, wird in ausgedehnter Weise als Malerfarbe benützt. 4. Der Bleizucker (Bleiazetat, neutrales essigsaures Blei), Pb (C2H4O2)2 + 3 H2O, wichtig als Arzneimittel, sowie zur Darstellung von Firnissen, Farben und Beizen. 5. Der Bleiessig (basisches essigsaures Blei), Liquor Plumbi subacetici, aus Bleizucker und Bleioxyd dargestellt, ein äusserlich angewandtes Arzneimittel.
Aetiologie der Bleivergiftung. Eine der häufigsten Ursachen der Bleivergiftung ist die Aufnahme von Bleifarben. Die Literatur (vgl. S. 84) enthält eine ausserordentlich grosse Anzahl von Beobachtungen, in welchen Haustiere, namentlich Rinder, durch das Fressen oder Ablecken bleihaltiger Oelfarben (Bleiweiss, Bleiglätte, Mennige) erkrankt und gestorben sind. Es handelt sich dabei insbesondere um frisch angestrichene Futtergeschirre, Trinkeimer, Bottiche, Krippen, Gitter, Hühnerställe; zuweilen werden sogar grössere Mengen reiner Oelfarbe aufgenommen. Sehr gefährlich hat sich auch das Einreiben von Zugochsen mit Salben aus Mennige am Hals erwiesen, indem die Tiere sich gegenseitig die bleihaltige Salbe ableckten. Auch Vergiftungen durch die Aufnahme grösserer Mengen roter, bleihaltiger Oblaten sind bei Rindern beobachtet worden. Ausserdem sind Vergiftungsfälle bei Pferden und Katzen in Mennige- und Bleiweissfabriken beschrieben worden.
In enzootischer Verbreitung findet man die Bleivergiftung bei sämtlichen Haustieren in der Umgebung von Bleihütten und bleihaltigen Flüssen. Von Hüttenwerken sind in dieser Beziehung zu nennen die Ober- und Unterharzer Hütten (Blei- und Zinkhütten in Stolberg, Kupferhütten zu St. Helens), die Hüttenwerke in Oberschlesien (Friedrichshütte), Rheinland, Westfalen und in Freiberg (Sachsen), welche teils durch den sog. Hüttenrauch und Flugstaub die gesamte Vegetation der nächsten Umgebung mit einer bleihaltigen Staubschichte überziehen, teils durch fortgewehten und fortgeschwemmten Pochsand und Haldensand und durch abgefahrenen Bleidünger (Bleiasche) Vergiftungen nicht bloss unter den Haustieren, sondern unter der gesamten benachbarten Tierwelt[S. 79] veranlassen. Das im Boden enthaltene Blei geht sogar unter Umständen in Form organischer Verbindungen in die Pflanzen über und erzeugt so indirekt bei Pflanzenfressern Bleivergiftung (vgl. die Beobachtungen in Kärnten S. 9). Aehnlich giftig wirken die Abwässer von Bleiweissfabriken. Auch die mit städtischen Abfuhrstoffen (Strassenkot) gedüngte Erde ist zuweilen bleihaltig und dann gesundheitsschädlich (Mosselmann und Hébrant). Von bleihaltigen Flüssen sind zu erwähnen die Innerste im Hildesheimischen, welche auf einer Strecke von 50–60 km Blei mit sich führen soll, sowie der Bleibach in der Rheinprovinz (Aachen, Köln; Kreisen Schleiden und Euskirchen). Diese Flüsse überziehen namentlich nach Ueberschwemmungen die umliegende Niederung mit einer Schichte bleihaltigen Schlammes und Sandes und bedingen so in ihrem gesamten Stromgebiete Bleivergiftungen durch Aufnahme von bleihaltigem Sand und Erdboden mit dem Futter. Wird ein derartiger bleihaltiger Sand verladen, so kann er z. B. in Reitbahnen infolge Einatmens bei Pferden eine chronische Bleivergiftung (Rohren) herbeiführen.
Das metallische Blei wird in Form von Schrotkörnern und Bleistücken namentlich von Rindern und vom Geflügel aufgenommen, wenn es z. B. nach der Verwendung zum Flaschenspülen ins Futter, ins Trinkwasser oder auf den Dungplatz gelangt ist. Auch durch Weiden in der Nähe von Schiessplätzen und Aufnahme der daselbst umherliegenden Bleikugeln sind Bleivergiftungen beim Rind früher veranlasst worden. Im Magen einer an Bleivergiftung gestorbenen Kuh fand man 300, bei einer anderen 250 g Bleischrot, in dem einer Taube 4 g; im ersteren Falle wurde durch Vermittlung der Milch bei dem 1 Monat alten Kalb ebenfalls eine tödliche akute Bleivergiftung hervorgerufen. Bleikugeln in Wunden sind dagegen ungiftig (Abkapselung). Vergiftungen durch bleihaltiges Trinkwasser aus Bleiröhren sind bei den Haustieren gleichfalls nachgewiesen worden (Walther). Bleihaltige Lötmasse in Vogelkäfigen hat bei Zimmervögeln Veranlassung zu Bleivergiftung gegeben (Regenbogen).
Endlich ereignen sich Bleivergiftungen durch Verwechslungen und therapeutische Fehlgriffe. So sind öftere Male Vergiftungen dadurch vorgekommen, dass vom Händler (Drogisten) statt Glaubersalz Bleizucker, sowie dass statt Futterkalk oder Kreide Bleiweiss abgegeben wurde. In einem Fall verabreichte ein Landwirt seinen 5 Rindern 2½ kg Bleiweiss; in einem anderen wurden[S. 80] an 10 Rinder irrtümlicherweise statt Spiessglanz täglich etwa 50 g Bleizucker 3 Tage hintereinander abgegeben. 5 Rinder erhielten aus Versehen ⅜ kg Bleizucker, welcher zur äusserlichen Anwendung bestimmt war, in Wasser gelöst zum Trinken. Eine Kuh starb, als sie innerhalb 3 Tagen 50 g Bleizucker gegen Blutharnen erhalten hatte. Die tödliche Dosis des Bleizuckers beträgt für
Rinder
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50–100
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g
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Pferde
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500–750
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„
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Schafe und Ziegen
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20– 25
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„
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Schweine und Hunde
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10– 25
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„
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Krankheitsbild der Bleivergiftung. Das Blei besitzt in allen seinen Verbindungen lokal eine ätzende Wirkung (Bildung von Bleialbuminat). Nach seiner Resorption wirkt es erregend auf die Nervenzentren der Grosshirnrinde (Psyche, motorische Zentren) und auf das vasomotorische Zentrum. Ausserdem wirkt das Blei infolge einer primären degenerativen Atrophie der peripheren motorischen Nervenfasern lähmend auf die quergestreiften Körpermuskeln. Bei länger fortgesetzter Verabreichung beobachtet man Wucherung und Neubildung von Bindegewebe in allen wichtigeren Organen (Darm, Leber, Nieren, Gehirn, Rückenmark, Retina, Sympathikus), Degenerationszustände in den peripheren motorischen Nerven, namentlich im Rekurrens, und im Rückenmark, sowie Muskelatrophie (beim Pferd namentlich in den Kehlkopfmuskeln). Die Resorption des Bleis findet von allen Körperstellen aus, selbst von der Haut (Wunden) und von der Lunge aus statt. Insbesondere wird im Magen und Darm das metallische Blei und das sonst unlösliche Bleisulfat resorbiert. Besonders rasch ist die Resorption der löslichen Bleisalze. Dagegen erfolgt die Ausscheidung des Bleis sehr langsam durch die Drüsen (Harn, Speichel, Galle, Milch). Am empfindlichsten von allen Haustieren gegen Blei ist das Rind. Das Pferd verträgt 10mal grössere Dosen. Ausserdem sind die Vögel sehr empfindlich. Man unterscheidet eine akute und eine chronische Bleivergiftung (akuten und chronischen Saturnismus).
1. Symptome der akuten Bleivergiftung. Die wichtigsten Lokalerscheinungen sind Erbrechen, Würgen, starker Speichelfluss, Kolik (Bleikolik), anhaltende Verstopfung, Tympanitis, unterdrückte Futteraufnahme und Milchsekretion, seltener[S. 81] Durchfall. Die Allgemeinerscheinungen äussern sich zunächst in kortikalen Gehirnstörungen, nämlich in Zittern, Zuckungen, Kaukrämpfen und epileptiformen Anfällen, neben welchen starke psychische Erregung, Vorwärtsdrängen, choreaähnliche Zufälle, sowie namentlich bei Rindern förmliche Tobsuchtsanfälle einhergehen (Mania saturnina). Auf dieses Stadium der Erregung folgt das der Lähmung: Schwäche, Betäubung, Schwindel, Schlafsucht, Parese und Paralyse der Nachhand, Lähmung der Zunge, Lähmung einzelner Muskelgruppen, allgemeine oder halbseitige Anästhesie, tiefes Koma. Der Puls ist auffallend hart, oft drahtförmig, seine Frequenz bald vermehrt, bald verlangsamt. Die Schleimhäute sind anfangs hochgerötet, später schmutziggrau verfärbt (Bleisaum beim Hund; PbS). Die Atmung ist erschwert und beschleunigt. Trächtige Tiere abortieren häufig. Die Dauer dieser Krankheitserscheinungen schwankt zwischen 24 Stunden (perakuter, milzbrandähnlicher Verlauf) und einigen Wochen (akuter und subakuter Verlauf). Zuweilen bleiben partielle Muskellähmungen zurück.
2. Symptome der chronischen Bleivergiftung. Bei Rindern äussert sich die chronische Bleivergiftung in allgemeinen Ernährungsstörungen und zunehmender Abmagerung (Cachexia saturnina), in hochgradiger Körperschwäche (Tabes saturnina), intermittierenden, durch eine Bindegewebswucherung in der Umgebung der Darmganglien hervorgerufenen Kolikanfällen (Colica saturnina; Bleikolik), Bewegungsstörungen und Lahmheiten (Arthralgia saturnina; Rheumatismus saturninus), zerebralen Erregungszuständen (Encephalopathia saturnina), welche sich namentlich in Form epileptischer Anfälle äussern (Eklampsia saturnina). Auf der Haut findet man zuweilen starkes Hautjucken, sowie pustulöse Exantheme. Zuweilen bilden sich ferner Amblyopie und Amaurosis (Amaurosis saturnina), sowie motorische Lähmungen verschiedener Natur (Paralysis saturnina) mit starkem Muskelschwund (Atrophia saturnina), zuweilen auch mit bleibenden Muskelkontrakturen (Contractura saturnina) aus. Die Maulschleimhaut zeigt in manchen Fällen die Erscheinungen der ulzerösen Stomatitis mit einem sog. Bleisaum der Zähne (Verdacht der Maul- und Klauenseuche). Daneben können sich die Erscheinungen eines Bronchialkatarrhs entwickeln. Endlich beobachtet man habituellen Abortus oder Sterilität.
Bei Pferden zeigt die chronische Bleivergiftung ein wesentlich[S. 82] anderes Krankheitsbild. Meist beobachtet man als einziges auffälliges Symptom Kehlkopfpfeifen, wodurch die Pferde zur Arbeit unbrauchbar werden. Die saturnine Hartschnaufigkeit wird namentlich in Bleigegenden, sowie bei Reitpferden beobachtet, wenn dieselben in Reitbahnen mit bleihaltigem Sand bewegt werden. Nach den Untersuchungen von Thomassen wird das Kehlkopfpfeifen bei der Bleivergiftung durch eine periphere Neuritis des Nervus recurrens mit Degeneration des Nerven und späterer Bindegewebsneubildung veranlasst (vergl. S. 87). Nach Schmidt soll sich das saturnine Rohren von dem gewöhnlichen Kehlkopfpfeifen klinisch dadurch unterscheiden, dass die Dyspnoe beim Unterbrechen der Bewegung nicht sofort aufhört, sondern eher noch zunimmt, und dass der ganze Anfall auch dann abläuft, wenn das Pferd nur bis zum Beginn des Hörbarwerdens der ersten Stenosengeräusche bewegt worden ist. Wichtiger ist der Umstand, dass beim saturninen Rohren eine beiderseitige Kehlkopflähmung vorhanden ist.
Beim Geflügel (Hühner, Tauben, Dompfaffen) hat man ausser gastrischen Störungen, Krämpfen und Lähmungserscheinungen starke Anschwellung und Absterben der Zehenglieder beobachtet.
Sektionsbefund. Bei dem akuten Saturnismus findet man die Erscheinungen einer korrosiven Gastroenteritis: Rötung, Entzündung, Verschorfung, Geschwürsbildung auf der Magendarmschleimhaut, graue bis schwarze Verfärbung der Darmzotten (Schwefelblei), sowie Blässe und Kontraktion des ganzen Darmrohrs; in den Gehirnkammern, Gehirn- und Rückenmarkshäuten wird eine Ansammlung seröser Flüssigkeit beobachtet (Hydrozephalus und Hydrorhachis). Die chronische Bleivergiftung ist anatomisch ausser durch allgemeine Abmagerung und fettige Degeneration der inneren Organe durch Bindegewebswucherung, namentlich in der Niere (Nephritis saturnina, Bleiniere, Schrumpfniere), in der Umgebung der Darmganglien (Mesenteritis saturnina), sowie in der Leber charakterisiert. Dass speziell auch bei Tieren die beim Menschen häufig beobachtete Bleiniere (Schrumpfniere, Nierenzirrhose) vorkommt, beweist ein von Gilly beim Rind beobachteter Fall (vergl. die Kasuistik). Ausserdem hat man Kalkinfarkte in der Niere bei Versuchstieren beobachtet.
Behandlung. Neben der Verabreichung von Brechmitteln und Abführmitteln, sowie von Eiweiss, Milch und Schleim gibt man bei[S. 83] der akuten Bleivergiftung verdünnte Schwefelsäure oder schwefelsaure Salze, namentlich Glaubersalz und Bittersalz, um die Bildung eines Niederschlags von schwer löslichem schwefelsaurem Blei herbeizuführen. Die Kolikanfälle, sowie die motorischen und psychischen Erregungszustände werden symptomatisch mit Morphium oder Chloralhydrat, die Lähmungszustände mit Exzitantien (Kampfer, Aether, Alkohol, Atropin, Strychnin, Elektrizität) behandelt. Bei der im übrigen meist unheilbaren chronischen Bleivergiftung kann versuchsweise Jodkalium zur Beschleunigung der Ausscheidung des Bleis aus dem Körper (Jodblei) gegeben werden. Bei Pferden empfiehlt sich ausserdem die Vornahme der Tracheotomie.
Nachweis der Bleivergiftung. Da das Blei mit dem Eiweiss des Körpers eine sog. metallorganische Verbindung eingeht, so können die einzelnen Bleireaktionen erst nach Freimachung des Bleis aus seiner Verbindung vorgenommen werden.
Die Trennung des Bleis von den organischen Massen geschieht nach der früher beschriebenen Methode mit Salzsäure und chlorsaurem Kali, wobei das Blei in Chlorblei übergeht. Die kochend heiss filtrierte, salzsaure Lösung wird sodann durch Schwefelwasserstoff gefällt, wobei sich ein Niederschlag von schwarzem Schwefelblei bildet, welcher schnell zu filtrieren und dann sofort weiter zu untersuchen ist. Das schwarze Schwefelblei ist zum Unterschied von dem ebenfalls schwarzen Schwefelquecksilber in warmer Salpetersäure löslich (Bildung von salpetersaurem Blei), in Salmiakgeist, Schwefelammonium, Schwefelalkalien und Salzsäure unlöslich. Die Lösung des salpetersauren Bleioxyds wird durch nachstehende Bleireaktionen weiter untersucht: a) Schwefelsäure oder schwefelsaure Salze gehen einen Niederschlag von weissem schwefelsaurem Blei, welcher in Wasser und Säuren unlöslich ist und durch Schwefelwasserstoffwasser oder Schwefelammonium geschwärzt wird. b) Salzsäure oder Chloride geben einen weissen Niederschlag von Chlorblei, der durch Salmiakgeist nicht gefärbt wird (im Gegensatz zu Quecksilber). c) Jodkalium gibt einen gelben Niederschlag von Jodblei, welcher sich in der Hitze auflöst. d) Chromsaures Kali gibt einen gelben, in Kalilauge löslichen Niederschlag von chromsaurem Bleioxyd. Ausserdem geben Zyankalium, gelbes Blutlaugensalz, Kali- und Natronlauge, Salmiakgeist und kohlensaure Alkalien einen[S. 84] weissen Niederschlag (Zyanblei, Bleioxydhydrat, kohlensaures Blei). Quantitativ wird das Blei als Schwefelblei gewogen; 100 Teile Schwefelblei enthalten 86,6 Teile Blei.
Kasuistik. Die alljährlich anwachsende Kasuistik der Bleivergiftungen gehört zu den reichhaltigsten im ganzen Gebiete der Toxikologie. Es soll im Nachstehenden nur eine Auswahl der für die einzelnen Tiergattungen wichtigsten Vergiftungsfälle wiedergegeben werden.
1. Rind. 12 Rinder erhielten von einem Landwirt als Mittel gegen Lecksucht 250 g Bleiweiss. Drei davon, welche am meisten aufgenommen hatten, erkrankten an hartnäckiger Verstopfung, Tympanitis, Lähmung der Magen- und Darmperistaltik, sehr starkem Speicheln, Zittern, Amaurosis, Betäubung, Schwindelanfällen, Krämpfen, sowie Kolikanfällen 2–3 Stunden vor dem Tode. Durchfall trat nicht ein. (Strebel, Schweizer Archiv 1884). — 2 Kühe erhielten gegen Blutharnen in 3 Tagen 48 resp. 52 g Bleizucker. Die erstere starb. Beide erkrankten nach Ablauf von 7–8 Tagen und zeigten Muskelschwäche, Zittern, Steifheit der Glieder, Knacken in den Gelenken, Lähmung der Nachhand, periodische Aufregung, sowie maniakalische Erscheinungen (Fischer, Bad. Mitt. 1885). — 4 Kühe und ein Bulle erhielten aus Versehen ¾ Pfund Bleizucker in einem Eimer Wasser gelöst in die Krippe gegossen. Am 3. Tage danach erkrankten 2 Kühe und mussten am 9. und 10. Tage getötet werden. Die 3. Kuh erkrankte am 4. Tage, der Bulle am 5. und die letzte Kuh am 6. Tage; diese 3 Tiere genasen (Krekeler, Preuss. Mitt. 1885). — Mehrere Zugochsen wurden mit einer Mischung von Mennige und Oel eingerieben. 6–7 Wochen darauf erkrankten sie, indem zuerst Diarrhöe und später anhaltende Verstopfung auftrat. Die zufällig bei der Sektion vorgefundenen Nierensteine färbten sich bei der Berührung mit Schwefelleber schwarz (Hodurek, Oesterreich. Monatsschr. 1883). — In einer Brennerei waren die Bottiche mit Mennige sehr dick angestrichen. Die Maische hatte den Anstrich gelöst. Durch den Genuss der Schlempe erkrankten viele Kühe an Bleivergiftung (Magnus, Preuss. Mitt. 1872). — 8 Kühe wurden zur Vertilgung der Läuse mit Bleisalbe eingerieben und auf die Einreibung noch Bleiweiss eingestreut; sie erkrankten sämtlich (Schöngen, Preuss. Mitt. 1874). — Rinder, welche Mennige aufgenommen hatten, zeigten Speichelfluss, Verstopfung, Kaukrämpfe, Amaurose, Rückenmarkslähmung, einmal Zungenlähmung, ein anderes Mal tiefes Koma, ein drittes Mal allgemeine Krämpfe (Lavigne, Recueil 1883). — Eine Kuh frass 2 Pfund weisser Oelfarbe. Sie zeigte Stumpfsinn, Verstopfung, Kolikanfälle, beschleunigtes, schnaufendes Atmen, schnellen, harten, später unfühlbaren Puls, Sehstörung, plötzliche Unruhe, Krämpfe, Steifheit der Vorder- und abwechselnd der Hinterfüsse. Dauer der Krankheit 3 Wochen; Genesung (van Dommeln, Het Repertorium 1853). — 4 Kühe und ein einjähriges Kalb erhielten gegen die Lecksucht innerhalb 8 Tagen zusammen 5 Pfund Bleiweiss, 3 mussten getötet werden. Sie zeigten Aufstützen des Kopfes, Drängen gegen die Wand, krankhaftes Abbiegen des Halses, Geifern, Zähneknirschen, Schluchzen, Pupillenerweiterung. Bei der Sektion fand man Erweichung der Gehirnsubstanz, sowie Flüssigkeit zwischen den Gehirnhäuten (Hess, Schweizer Archiv 1851). — 10 Kühe erhielten je 250 g Bleizucker, statt Glaubersalz; alle starben innerhalb 8 Tagen (Kaumann, Magazin Bd. 27). — 10 Rinder erhielten aus Versehen 3 Tage hintereinander je zweimal etwa 50 g Bleizucker. 6 Stück krepierten innerhalb 2–6 Tagen; die übrigen 4 mussten nach 5 Wochen infolge eines Rückfalls getötet werden. Die Krankheitserscheinungen bestanden unter anderem in Kolik, Muskelzuckungen, Aufstützen des Kopfes, hochgradiger Mattigkeit und Erschöpfung, starker Abmagerung, lebhaftem Hautjucken, pustulösem Hautausschlag über den ganzen Körper, Verkalben, Husten, Speichelfluss, plötzlicher Lähmung (Prinz, Magazin 1. Bd.). — Mehrere Kühe nahmen auf der Weide in einer Gegend, wo Schiessübungen abgehalten wurden, Bleikugeln auf. Sie magerten ab, gaben wenig Milch, zeigten trockene Haut und blasse Schleimhäute. Bei der Sektion fand man 2–8 kg abgeplattete Bleikugeln im Pansen, ausserdem die Erscheinungen der Leberatrophie und interstitiellen Nephritis (Gilly, Recueil[S. 85] 1889). — Nach der Aufnahme von bleiweisshaltigem Dünger auf einer Wiese erkrankten 8 Rinder unter den Erscheinungen einer schweren Gehirnentzündung; sie zeigten maniakalische Anfälle, Zwangsbewegungen, Zähneknirschen, Erblindung, starken Speichelfluss und Zusammenstürzen. Die Sektion ergab starke Gehirnkongestion (Laho und Mosselmann, Belg. Annalen 1893). Dieselben Autoren gaben einem jungen Stier von 185 kg Gewicht, um experimentell die Frage der Geniessbarkeit des Fleisches vergifteter Tiere zu prüfen (vergl. S. 24), 4 Tage lang hindurch je 50 g Bleiweissfarbe, worauf derselbe am 4. Tage starb. — 9 Rinder, welche mit dem Futter abgekratzte alte Mennige aufgenommen hatten, zeigten Speicheln, Zähneknirschen, anhaltende Verstopfung, Pulsverlangsamung (32 p. M.), Zittern, partielle Zuckungen, Zwerchfellskrampf, Pupillenerweiterung, Sehstörungen, Blindheit, schwerfälligen Gang und schwere psychische Affektionen. Der Tod trat nach 4–10 Tagen ein; die Sektion ergab einen negativen Befund (Lehmann, Berl. Archiv 1893 S. 459). — Einen ähnlichen Fall bei 2 Kühen (Apathie, Muskelzittern, stossendes Atmen) hat Sundt beobachtet (ibid. 1894 S. 343). — Ueber chronische Bleivergiftung bei Kühen, welche auf einem Schiessfeld Bleikugeln aufgenommen hatten, berichtet Magnin (Rec. 1893 S. 432). — Ein Rind erhielt von einem Pfuscher 120 g Bleizucker verschrieben, wovon täglich der 3. Teil eingegeben werden sollte. Dasselbe zeigte starkes Zittern, stieren Blick, Tobsucht, Schäumen und Zähneknirschen und starb nach 24 Stunden. Die Sektion ergab starke Magen- und Darmentzündung und Gehirnhyperämie (Köcher, Berl. Archiv 1894 S. 343). — 2 Kühe zeigten nach der Aufnahme von Bleifarbe schwere Tobsucht und Krämpfe (Metzger, D. th. W. 1895 S. 436). — 3 Kühe, welche Mehltrank mit Bleischrot vorgesetzt bekamen, erkrankten unter Erscheinungen der Zerebrospinal-Meningitis, indem sie Krämpfe, Unruhe, Aufregung und schliesslich Lähmung zeigten (Pawlat, österr. Mon. 1896 S. 145). — 2 Kühe leckten den Mennigeanstrich im Stall ab und zeigten Salivation, Krämpfe, Vorwärtsdrängen, sowie tobsuchtähnliche Anfälle (Wallmann, Berl. Arch. 1896 S. 349). — Nach der Aufnahme von Abwässern einer Bleiweissfabrik erblindeten 2 Rinder auf beiden Augen; bei einem derselben stellte sich nach 14 Tagen das Sehvermögen wieder ein (Appenrodt, Berl. Arch. 1897 S. 196). — 2 Rinder erkrankten 24 Stunden nach der Aufnahme von Mennigefarbe und starben im Verlauf weiterer 24 Stunden, nachdem sie Appetitlosigkeit, übelriechenden Durchfall, Vorwärtsdrängen und Sichüberschlagen gezeigt hatten. Die Sektion ergab hochgradige Entzündung des Labmagens (Freitag, Sächs. Jahresber. pro 1897 S. 146). — Nach der Aufnahme von ½ l Mennigefarbe zeigte eine Kuh 48 Stunden später Appetitlosigkeit und Verstopfung, am 3. Tage Kolik, Brechbewegungen, Muskelkrämpfe, Kaukrämpfe mit starkem Speicheln, Vorwärtsdrängen, epileptiforme Anfälle, Schlafsucht und allgemeine Schwäche, welche in Lähmung überging und am 5. Tage zum Tode führte (Haubold, ibid. S. 147). — Nach dem Ablecken von frischem Mennigeanstrich starben 3 Kühe noch an demselben Tage, 3 wurden am Tag darauf notgeschlachtet; alle zeigten Appetitlosigkeit, Verstopfung, krampfhafte Kaubewegungen, Vorwärtsdrängen, Schwäche der Nachhand und Muskelzittern; 1 Kuh tobte, 1 verfiel in Schlafsucht (Fasold, Berl. Arch. 1899 S. 212). — Mehrere Kühe zeigten nach dem Ablecken von Mennige und Bleiweiss heftige Aufregung, Zittern, Salivation, Zähneknirschen, Kolik, Erblindung und Lähmung (Hoefnagel, Holl. Zeitschr. 1899). — Eine Kuh zeigte nach dem Ablecken von Malerfarbe Zittern, periodische Zuckungen am Hals und Kopf, fallsuchtähnliche Anfälle, Vorwärtsdrängen, Durchfall, Tympanitis, harten Puls und angestrengte Atmung; der Haubeninhalt des notgeschlachteten Tieres zeigte 2 Prozent metallisches Blei (Ebinger, Schweiz. Arch. 1901 S. 179). — 4 Kühe starben nach der Aufnahme von Bleiweiss unter Kolikerscheinungen (Lebrun, Recueil 1902). — Eine Kuh starb nach dem Ablecken einer mit Mennige frisch bestrichenen Krippe unter Lähmungs- und Krampferscheinungen (Berl. Tier. Woch. 1901). — 10 Kühe und 2 Kälber starben bezw. mussten geschlachtet werden, nachdem sie Leinkuchenmehl erhalten hatten, dem 2 Proz. Bleiweiss beigemengt war; sie zeigten Vorwärtsdrängen, Trismus, intermittierende Anfälle von Aufregung und Tobsucht, Krämpfe, Bewusstlosigkeit und Sopor (Dahle, Norweg. Vet.-Zeitschr. 1901). — Im Kreise Kempen starben 3 Kühe an Bleivergiftung dadurch, dass der Besitzer Bleizucker statt Glaubersalz mit dem[S. 86] Futter verabreichte. Derselbe Besitzer hatte 4 Monate vorher 3 Kühe nach vermeintlicher Verabreichung von Glaubersalz notschlachten müssen (der Drogist, der den Bleizucker irrtümlich verabfolgte, leistete 1500 Mark Entschädigung). In einem anderen Falle erkrankten von 12 Kühen eines Stalles 7 an Bleivergiftung nach der Aufnahme von Mennige, mit der eiserne Träger angestrichen waren, wobei viel Farbe verschüttet wurde. 5 Kühe starben. Die chemische Untersuchung ergab im Dünndarm und in den Organen Blei. In demselben Kreise starben 2 Kühe ebenfalls nach der Ableckung einer frisch mit Mennige angestrichenen Säule; sie zeigten Speicheln, Durchfall, Auftreibung des Hinterleibs, kleinen, beschleunigten Puls, hohes Fieber, Zittern, Krämpfe und Tobsucht (Preuss. Vet.-Ber. pro 1899–1901). — 4 Rinder leckten Mennige aus einer Tonne und starben plötzlich unter milzbrandverdächtigen Symptomen; eines derselben verfiel in Raserei und starb wie vom Blitz getroffen. 6 andere Rinder starben nach der Aufnahme von Bleiweiss infolge einer Verwechslung mit Futterkalk unter Erscheinungen, welche den Verdacht auf Maul- und Klauenseuche erweckten (ibid. 1904). — Eine Kuh starb nach mehrtägiger Krankheit unter Lähmungs- und Krampferscheinungen, nachdem sie einen frischen Mennigeanstrich abgeleckt hatte (Haase, Berl. T.-W. 1901). — 7 Absatzkälber starben unter Tobsuchtserscheinungen, nachdem der Kälberzwinger mit mennigehaltiger Oelfarbe angestrichen war (Steffani, Sächs. Jahresber. 1902). — 3 Rinder erkrankten nach der Aufnahme von Bleifarbe (Mennige) unter Verdauungsstörungen, Verlangsamung des Herzschlags und Zuckungen (Mattern, Woch. f. Tierh. 1902). — Eine Massenvergiftung von Kühen nach Verabreichung von Rüben, deren Standort von der stark bleihaltigen Oker (Harz) überflutet worden war, hat Dammann beschrieben; 8 Kühe starben, 15 schwerkranke und 19 leichterkrankte genasen nach der Verabreichung von Glaubersalz und Leinsamenschleim; bei allen Genesenen wurde starker Rückgang der Milchsekretion beobachtet (D. T.-W. 1904 Nr. 1). — Alljährlich erkrankten mehrere Jungrinder, welche auf der Weide den Bodensatz und die Beschläge von Akkumulatoren aufgenommen hatten, die gereinigt worden waren (Bleisulfat?); die Tiere zeigten Muskelzittern, Sopor, Speicheln, Zähneknirschen, Durchfall und Verstopfung (Rehaber, Münch. tierärztl. Woch. 1909). — Weitere Fälle von Bleivergiftung finden sich in den Jahresberichten der preuss. beamteten Tierärzte 1902–1909. In einem Falle (Jahresber. pro 1907) erkrankten und starben 5 Kühe nach der Fütterung von ungewaschenen Rüben und Rübenblättern, die von einem Felde in der Nähe von Bleibergwerken stammten; die Vergiftungen hörten auf, als die Blätter gar nicht mehr und die Rüben nur nach gründlicher Reinigung gefüttert wurden. Dass im übrigen einzelne Rinder relativ grosse Mengen von Bleiverbindungen ertragen, zeigt eine Beobachtung von Baum und Seliger (Berl. Arch. 1895), welche einer Versuchskuh täglich steigende Dosen von 3–15 g Bleizucker, innerhalb 80 Tagen insgesamt 520 g, verabreichten, ohne bei derselben Krankheitserscheinungen wahrzunehmen (!).
Ueber enzootische Bleivergiftungen in der Nähe von Bergwerken und Flüssen vergl. Meyer: Die Verheerungen der Innerste im Fürstentum Hildesheim. Hottingen 1822. Fuchs: Die schädlichen Einflüsse der Bleibergwerke auf die Gesundheit der Haustiere, insbesondere des Rindviehs, 1842; Freitag: Die schädlichen Bestandteile des Hüttenrauchs, Thiel’s landwirtschaftliche Jahrbücher 1882; Schröder und Reuss: Die Beschädigung der Vegetation durch Rauch und die Oberharzer Hüttenrauchschäden 1883.
2. Pferde. Nach der Aufnahme von mit Bleisand verunreinigtem Futter wurden Pferde von Schweratmigkeit befallen, welche an Hartschnaufigkeit erinnerte und mit Erstickungsanfällen verbunden war. Einige Pferde starben an Erstickung. Manche Pferde zeigten so hochgradige Dyspnoe, dass sie nicht einmal im Schritt geführt werden konnten. Erleichterung konnte nur durch die Tracheotomie geschafft werden (Stolz, Preuss. Mitt. Bd. III). — In der Umgebung von Bleiwerken erkrankten Pferde häufig lediglich unter den Erscheinungen einer Respirationsbeschwerde, während Ernährungsstörungen und andere spezifische Erscheinungen vollkommen fehlen (Schmidt, Preuss. Mitt. 1879; Berliner Archiv 1885 u. 1886). — Ein Pferd zeigte auf 500 g Bleizucker in 2 l Wasser gelöst Kolik, Schwäche, Steifheit, blasse Maulschleimhaut, kleinen und schwachen Puls, hatte sich jedoch nach 12 Stunden wieder erholt (Hertwig, Arzneimittellehre[S. 87] 1872). — 360 g Bleiglätte tötete ein Pferd (Dominik), während 240 g nur eine geringe Beschleunigung der Pulsfrequenz zur Folge hatten (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Beckmann (Zeitschr. f. Vetkde. 1891 S. 253) fand als Ursache des im Winter bei 18 Pferden einer Eskadron auftretenden Kehlkopfpfeifens das Einatmen von bleihaltigem Sand der Reitbahn, welcher aus der Nähe eines alten Bleiwerks bezogen wurde. Der Sand enthielt grosse Mengen von Bleioxyd. Die Pferde waren sonst durchaus gesund, waren gut genährt und zeigten keinerlei Störungen im Digestions- und Zirkulationsapparat. Wurden sie wenige Minuten im Trab geritten, so beobachtete man ein pfeifendes, inspiratorisches Geräusch und gleichzeitig so hochgradige Atemnot, dass manche Pferde umzufallen drohten. Nach dem Reiten waren die Pferde sehr aufgeregt und schwitzten stark. Nach 5–15 Minuten Ruhe waren die Atmungsbeschwerden verschwunden. Von den 18 Pferden starben 2 an Erstickung, 3 wurden geheilt, die übrigen blieben Pfeifer. Bei der Sektion der gestorbenen Pferde fand man den hinteren und seitlichen Ringgiesskannenmuskel geschwollen, die Schleimhaut des Kehlkopfes verdickt und von neugebildeten Gefässen durchzogen. — In einem Regimente erkrankten innerhalb 24 Stunden 9 Pferde an Kolik infolge Beleckens der neuen mit Mennige bestrichenen Barren (Pr. Mil.-Vet.-Ber. pro 1893). — 4 Pferde erhielten aus einer ½ km langen Bleirohrleitung, welche 2 Jahre lang leer geblieben war, Trinkwasser und erkrankten an Verdauungsstörungen, leichten Kolikanfällen, Muskelschwäche, Steifheit der Glieder, starkem Knacken der Gelenke, Atmungsstörungen und dummkollerartigen Erscheinungen; alle 4 Pferde starben (Walther, Sächs. Jahresber. pro 1896 S. 148). — 8 Pferde eines Gutes, welches einen halben Kilometer von einem Bleiwerk entfernt war, erkrankten der Reihe nach an Bleivergiftung. Ein 3 Monate altes Fohlen zeigte die Erscheinungen der Fohlenlähme, zwei andere, ältere Fohlen Steifheit des Rückens und der Gliedmassen. Eine alte Stute erkrankte an Kehlkopfpfeifen, welches nach längerer Behandlung mit Jodkalium wieder verschwand; dasselbe Pferd zeigte später während des Fressens plötzliche Erstickungsanfälle mit rohrendem Husten, welche rasch zum Tode führten. 2 andere Stuten zeigten ebenfalls akutes Rohren und Dyspnoe (durch Jodkalium geheilt). Die Leber der gefallenen Pferde war stark bleihaltig, desgleichen die untersuchten Futtermittel (Mosselmann und Hébrant, Belg. Annalen 1899). — Fütterungsversuche, welche Thomassen mit Plumbum carbonicum (5–20 g pro die) bei 2 Fohlen anstellte, ergaben schon nach 4–6 Wochen das Auftreten von Rohren unter gleichzeitiger starker Abmagerung und Schreckhaftigkeit. Bei der Sektion wurde folgendes ermittelt: Der Nervus recurrens war beiderseits, links aber mehr als rechts degeneriert; er zeigte die Erscheinungen der parenchymatösen Neuritis mit Zerfall des Myelins und Achsenzylinders, sowie Bindegewebsneubildung. Auch am Nervus vagus war starke Degeneration der Markscheide wahrzunehmen. Die Kehlkopfmuskeln zeigten mikroskopisch atrophische Degeneration. In der Medulla oblongata und spinalis wurden geringe Veränderungen der Ganglien (Vaguskerne) gefunden, im Nervus sympathicus partielle Bindegewebsneubildung. Der beim Menschen zuerst erkrankte Nervus radialis war normal, desgleichen der Ischiadikus und Tibialis (Holl. Zeitschr. 1903). — Militärpferde erkrankten an Kolik und Darmentzündung nach der Aufnahme mennigehaltigen Trinkwassers aus angestrichenen Tränkbottichen (Hentrich, Zeitschr. f. Vetkde. 1909).
3. Schafe. Ein altes Schaf erhielt 30 g Bleizucker. Dasselbe erkrankte noch an demselben Tage und starb nach 8 Tagen (Gerlach). — Ellenberger und Hofmeister (Berliner Archiv 1884) fütterten 2 Schafe mit kleinen Dosen Bleizucker (0,5–3,0 pro die). Das eine starb nach der Verabreichung von zusammen 150 g nach 3 Monaten, das andere bei einer Gesamtmenge von 164 g nach 4 Monaten an chronischer Bleivergiftung. Die Symptome derselben waren nicht sehr charakteristisch: abnehmende Fresslust, Traurigkeit, gestörtes Wiederkauen, trockene Wolle, grosse Muskelschwäche, Unruheerscheinungen, verzögerter Kotabsatz, Durchfall, Verringerung der Harnsekretion, Abnahme der Harnstoffausscheidung, zuweilen Albuminurie, jedoch keine Symptome von Enzephalopathie, Arthralgie und Bleilähmung. Bei der Sektion war chronischer Darmkatarrh, fettige Degeneration der Leber, diffuse Nephritis, Quellung der Leber- und Nierenzellen, sowie eine eigentümliche Kerndegeneration der Nierenepithelien zu konstatieren.[S. 88] Die chemische Untersuchung ergab, dass am meisten Blei enthielten die Leber, die Nieren, die Speicheldrüsen, die Milz, die Knochen und das Zentralnervensystem.
4. Hunde. Ein Hund wurde von Arbeitern einer Bleihütte mit Brot gefüttert, welches Bleiglätte enthielt. Es trat alsbald Unruhe, Geifern, Würgen und noch an demselben Tage der Tod unter Konvulsionen ein. Bei der Sektion fand man die Schleimhaut des Magens dunkelrot, an einigen Stellen trocken und korrodiert, die Schleimhautfalten wulstig geschwollen, das Gehirn stark hyperämisch (Dietrich, Preuss. Mitt. 1874). — Ein Hund starb auf 14 g innerhalb 28 Stunden (Orfila, Toxikologie); ein anderer starb auf 8 g Bleifeile nach 18 Tagen. Ferner starben Hunde bei täglicher Verabreichung von 0,2–0,5 Bleizucker nach 5–8 Wochen an chronischer Bleivergiftung (Gesamtverbrauch 10 bis 30 g). — 2 Pferde und 1 Hund erkrankten in der Nähe einer Blei- und Silberhütte schwer an Bleivergiftung (Tappe, Berl. Arch. 1901). — Die Erscheinungen der chronischen Bleivergiftungen bei Hunden sind nach den experimentellen Untersuchungen von Heubel und Maier (Pathogenese und Symptome der chronischen Bleivergiftung 1871): Appetitlosigkeit, Erbrechen, Speichelfluss, Durchfall, hochgradige Abmagerung, namentlich Muskelatrophie am Rücken und an den Hinterschenkeln, vorübergehende Kolikanfälle, Schwäche der hinteren Extremitäten, Zittern (eigentliche Muskellähmung fehlte), ausgeprägte Eklampsia saturnina (in der 4. oder 5. Woche), verzögerter Kotabsatz und Verstopfung. Bei der Sektion fand sich in allen Organen (Darm, Leber, Nieren, Gehirn, Rückenmark) eine starke Bindegewebswucherung, zunächst in den Gefässwandungen mit konsekutiver Kompression der Gefässe, Atrophie der Darmdrüsen, Darmfollikel und Darmzotten, sowie Atrophie der Darmganglien.
6. Schweine. Ein ½jähriges Schwein erkrankte nach 8 g Bleizucker, erholte sich aber wieder nach 4 Tagen (Gerlach). — Mehrere Schweine leckten ein frisch angestrichenes Stallgitter ab; sie zeigten Erbrechen, Verstopfung und Krämpfe (Dinter, Sächs. Jahresber. 1864).
6. Geflügel. Hühner wurden auf einem verlassenen Blendelagerplatz gehalten. Mehrere Hähne erkrankten und starben; sie zeigten dunklen, geschrumpften Kamm, gesträubtes Gefieder und lagen am andern Tage tot im Stall. Die Hühner erkrankten nicht, aber sie legten Eier ohne Schalen (Dietrich, Preuss. Mitt. 1874). — Enten schlutterten in Jauche, welche Bleizucker enthielt; sie starben nach wenigen Tagen (Krekeler, ibidem). — Tauben, welche bleihaltige Glasur von Trinkgefässen, sowie eine frisch mit Bleiweiss gestrichene Dachrinne abgepickt hatten, zeigten starke Anschwellung der Zehen, schnelles Absterben einzelner Zehenglieder, Unruhe, Taumeln, epileptiforme Krämpfe, Erbrechen und Speicheln (Dresd. Bl. f. Geflügelzucht 1896 S. 408). — Dompfaffen in einem Drahtkäfig aus verzinntem Draht, der durch bleihaltige Lötmasse verbunden war (60 Proz. Bleigehalt; das Lot der Kochgeschirre für den Menschen darf nur 10 Proz. Blei enthalten), zeigten Traurigkeit, Zittern, Schwäche, Benommenheit und Schlafsucht und starben nach 8 Tagen. Der Sektionsbefund war negativ; die Körperorgane enthielten Blei (Regenbogen, Berl. T. W. 1908 S. 544).
Chemie der Quecksilberverbindungen. Das reine metallische Quecksilber wird hüttenmännisch aus dem natürlich vorkommenden Quecksilber durch Reinigung oder aus dem Zinnober (HgS) durch Rösten dargestellt. Es ist ein glänzendes, silberweisses, flüssiges, schweres Metall, welches schon bei gewöhnlicher Temperatur verdunstet und sich nur in Salpetersäure löst. Mit Metallen bildet es Amalgame. Es dient zur Herstellung der grauen Quecksilbersalbe, sowie anderer Quecksilberpräparate. Der Sublimat (Quecksilberchlorid, Hydrargyrum bichloratum), HgCl2 bildet ein schweres, weisses, ätzend schmeckendes Pulver, in 1 : 16[S. 89] kaltem, sowie 1 : 3 heissem Wasser löslich, das sich beim Erhitzen wie alle Quecksilberverbindungen verflüchtigt, mit Alkalien gelbrot, mit Jodkalium scharlachrot, mit Schwefelwasserstoff schwarz, mit Ammoniak weiss färbt, metallisches Kupfer amalgamiert und mit Eiweisslösungen Niederschläge gibt. Kalomel (Quecksilberchlorür, Hydrargyrum chloratum), Hg2Cl2, bildet ein gelbweisses, schweres, in Wasser unlösliches, geschmackloses Pulver, das beim Erhitzen ebenfalls flüchtig ist und sich mit Alkalien schwarz färbt. Der rote Präzipitat (Quecksilberoxyd, Hydrargyrum oxydatum), HgO, bildet ein gelbes, oder gelbrotes schweres Pulver, das in Säuren leicht löslich ist und sich beim Erhitzen unter Abscheiden von Quecksilber verflüchtigt. Der weisse Präzipitat (Hydrargyrum bichloratum ammoniatum), HgClNH2, bildet ein weisses, in Wasser unlösliches, beim Erhitzen flüchtiges, schweres Pulver, das sich mit Natronlauge in Ammoniak und gelbes Quecksilberoxyd zerlegt. Quecksilberjodid (Hydrargyrum bijodatum rubrum), HgJ2, bildet ein lebhaft scharlachrotes, in Wasser unlösliches, beim Erhitzen flüchtiges Pulver, das sich in Jodkalium und Spiritus farblos löst. Giftig sind endlich auch die Dämpfe des Knallquecksilbers.
Aetiologie der Quecksilbervergiftung. Die meisten Quecksilbervergiftungen sind Medizinalvergiftungen, deren Ursprung gewöhnlich in einer Unterschätzung der Gefährlichkeit aller Quecksilberpräparate, namentlich beim Rind, zu suchen ist. Im Speziellen ist über die ätiologische Bedeutung der einzelnen Quecksilberpräparate folgendes zu bemerken.
1. Die graue Quecksilbersalbe gibt am häufigsten Veranlassung zu Vergiftungen. Sie ist besonders für die Wiederkäuer und namentlich für das Rind, bei welchem sie zur Vertilgung der Läuse, gegen Euterentzündungen etc. eingerieben wird, eines der giftigsten Arzneimittel. 30 g Quecksilbersalbe können bei erwachsenen Rindern schon schwere Vergiftungserscheinungen bedingen. Im Gegensatze hierzu sind Pferde, Schweine und Hunde gegen die Salbe nur wenig empfindlich. Ein Jagdhund frass z. B. 170 g Salbe auf einmal, ohne schwere Krankheitserscheinungen zu zeigen (Deijermans). Schweine ertragen bis zu 80 g Salbe ohne zu erkranken (Reiche). Ein Pferd starb erst, nachdem innerhalb eines Monats 3240 g Salbe, also über 3 kg, verbraucht waren (Schubarth). Ein anderes Pferd starb ebenfalls erst nach einem Monate, nachdem täglich 120 g Salbe (zusammen über 3½ kg) eingerieben worden waren (Alforter Schule). In einem Pferdestalle, in welchem ein Pferd mit grauer Salbe längere Zeit behandelt wurde, erkrankte ein daselbst eingestellter Stier infolge Einatmung der Quecksilberdämpfe an Merkurialismus, während das Pferd vollständig gesund blieb. Dagegen scheinen Katzen und[S. 90] Vögel wieder sehr empfindlich zu sein; so starben Kanarienvögel nach dem Einreiben von 0,5 der grauen Salbe (Hertwig).
2. Der Sublimat ist das stärkste aller Quecksilberpräparate. Er gibt zu Vergiftungen Veranlassung durch seine Verwendung als Rattengift, sowie als Antiseptikum in der Chirurgie und Geburtshilfe. Auch hier zeigt wieder das Rind die grösste Empfindlichkeit; es können z. B. Uterusausspülungen mit 1promilligem Sublimatwasser bei Kühen eine allgemeine Quecksilbervergiftung zur Folge haben. Ebenso hat man nach unvorsichtiger Sublimatdesinfektion von Rinderstallungen schwere Quecksilbervergiftungen bei den nachher eingestellten Rindern beobachtet. Dagegen sind nach dem Gebrauche des Sublimats als Desinfektionsmittel bei Pferden Vergiftungen bisher nicht beobachtet worden. Sogar das Anlegen von Aetzligaturen auf den Samenstrang zum Zwecke der Kastration hat bei Bullen in zahlreichen Fällen Merkurialismus zur Folge gehabt (Junginger, Schmidt und andere bayerische Tierärzte). Im Jahr 1901 erkrankten in Hessen, Bayern, Preussen, in der Schweiz und in Italien zahlreiche Rinder an Merkurialismus, nachdem sie auf den Vorschlag von Baccelli intravenöse Injektion von Sublimat gegen Maul- und Klauenseuche erhalten hatten, trotz kleinster Dosen (0,02–0,05 pro Rind); in der Schweiz allein erkrankten 30 Kühe hiernach an Quecksilbervergiftung (Hirzel, Tamborini, Boschetti u. a.) Die tödliche Dosis des Sublimats beträgt für Rinder per os 4–8 g, subkutan 0,5 g, für Pferde 5–10 g, für Schafe 4 g, für Hunde und Katzen 0,1–0,3 g.
3. Kalomel ist ebenfalls in erster Linie für Rinder ein sehr gefährliches Gift; schon 8–10 g können bei erwachsenen Rindern schwere Vergiftungserscheinungen herbeiführen. Schafe und Ziegen zeigen von 1–5 g ab schwere bezw. tödliche Vergiftungen; Ziegen sind im allgemeinen empfindlicher als Schafe (Reiche, Müller). Kälber zeigen sogar allgemeinen Merkurialismus nach dem Einstreuen von Kalomel ins Auge gegen Keratitis (Lippus). Dagegen ertragen Hunde und Schweine ziemlich grosse Kalomeldosen, erstere bis zu 2, letztere bis zu 10 g. Besonders gefährlich ist die gleichzeitige Verabreichung von Kalomel und Aloe; Pferde können hierbei schon nach 3 g Kalomel sterben (vergl. das Kapitel der Aloevergiftung).
4. Quecksilberjodid ist ebenso giftig wie Sublimat. Ein 2½jähriger Bulle starb z. B. nach dem Einreiben einer Salbe, welche[S. 91] 5 g Hydrargyrum bijodatum rubrum enthielt. Auch bei Pferden sind nach dem Einreiben der Salbe Vergiftungen beobachtet worden. Ebenfalls giftig wirkt das Hydrargyrum oxycyanatum (Ausspülungen des Uterus beim Rind mit Lösungen 1 : 6000).
5. Der rote Präzipitat steht hinsichtlich seiner Giftigkeit zwischen dem Sublimat und Kalomel. Pferde zeigen nach 10 g, Hunde nach 0,2–0,5 g schwere Vergiftungserscheinungen.
6. Das metallische Quecksilber kann von Hunden und Schweinen innerlich in sehr grossen Gaben (250–500,0) ohne schädliche Wirkung aufgenommen werden. Dagegen ist auch hier das Rind besonders empfindlich; in einem von Lübke beschriebenen Falle erkrankte ein Rind an Merkurialismus, welchem innerlich gegen Verstopfung 20 g Quecksilber eingegeben wurden. Sehr giftig sind ferner die eingeatmeten Quecksilberdämpfe, wie klinische und experimentelle Beobachtungen gezeigt haben. Sie erzeugen infolge Umwandlung des Metalls zu löslichen Verbindungen bronchitische und pneumonische Erscheinungen, sowie im allgemeinen Merkurialismus. So erkrankten und starben z. B. auf dem Schiffe „Le Triomphe“, in dessen Schiffsraum eine grössere Menge von Quecksilber ausgelaufen war, ausser der Mannschaft auch sämtliche in dem Schiff befindliche Tiere (Schweine, Schafe, Ziegen, Katzen, Geflügel, Mäuse) an Quecksilbervergiftung.
Krankheitsbild der Quecksilbervergiftung. Die Erscheinungen des Merkurialismus sind je nach den einzelnen Quecksilberpräparaten insofern etwas verschieden, als die einen derselben (Sublimat, Quecksilberjodid, Quecksilberoxyd) in erster Linie und zuweilen ausschliesslich eine ätzende und erst in zweiter Linie eine allgemeine Wirkung ausüben, während die graue Quecksilbersalbe und häufig auch das Kalomel von vornherein die Erscheinungen eines allgemeinen Merkurialismus hervorrufen. Ausserdem wird das Krankheitsbild durch die Art und Weise der Applikation wesentlich beeinflusst. So erzeugt der Sublimat, wenn er innerlich aufgenommen wird, gewöhnlich eine korrosive, schnell tödlich verlaufende Gastroenteritis, während er vom Uterus oder von der Haut aus allgemeinen Merkurialismus bedingt. Auf diese besonderen Verhältnisse kann hier nicht genauer eingegangen werden, es sollen vielmehr nur die charakteristischen Erscheinungen des allgemeinen Merkurialismus übersichtlich zusammengestellt werden, wobei bemerkt wird, dass nicht immer sämtliche aufgeführte Symptome in einem[S. 92] und demselben Falle beobachtet werden. Die wichtigsten Erscheinungen sind:
1. Salivation, Stomatitis ulcerosa, Auflockerung des Zahnfleisches, Lockerwerden und Ausfallen der Zähne bei den Wiederkäuern, übler Geruch aus dem Maule.
2. Magendarmkatarrh, mit vorwiegender Beteiligung des Blinddarms bei den Pflanzenfressern, später profuse, selbst blutige Diarrhöe mit graugrünem, dünnflüssigem, oft aashaft riechendem Kote.
3. Husten, eiteriger Nasenausfluss, Bronchoblennorrhöe, selbst Bronchopneumonie, angestrengte, selbst dyspnoische Atmung, übelriechendes Exspirium, Nasenbluten.
4. Hautexantheme, in der Hauptsache Ekzema impetiginosum und squamosum, beginnend mit starkem Jucken, infolgedessen Nagen und Scheuern, Haarausfall, Nässen, Eiter- und Borkenbildung neben bedeutender Hautverdickung und Anschwellung der Subkutis, Bildung von Bläschen und Pusteln, letztere aber ohne Delle. Lieblingsstellen sind: die Umgebung der eingeriebenen Stelle, die Gegend der Augen, des Flotzmaules, Afters, Euters und der Scheide, die Trielfalte, sowie die Beugeflächen der Gelenke.
5. Lähmungsartige Schwäche, grosse Apathie, Stumpfsinn, Schwindel, Zittern (Tremor mercurialis), Schreckhaftigkeit und Delirien (Erethismus mercurialis), Lähmung einzelner Muskeln, Amaurose, Taubheit, Anästhesie, Abmagerung.
6. Nephritis (Anurie, Albuminurie, Zylindrurie) und Kalkinkrustation der Niere (Nekrose des Nierenepithels mit Kalzinifikation infolge mangelnder Fähigkeit der Kalkabscheidung).
7. Blutungen in den verschiedensten Organen, besonders den Schleimhäuten der Nase, der Lunge, des Darmes, des Uterus (Abortus). Zuweilen erfolgt der Tod durch innere Verblutung oder Nasenbluten. Endlich bedingt das Quecksilber einen starken Zerfall der roten Blutkörperchen (Hämolyse).
Der Verlauf ist entweder akut, besonders bei jungen Tieren und bei vorwiegend lokaler Aetzung im Magen und Darm. Sublimat kann so innerhalb einiger Stunden schon eine tödliche Vergiftung herbeiführen, ohne dass es zu allgemeinem Merkurialismus kommt. Die Dauer des akuten Merkurialismus ist sehr verschieden und beträgt mehrere, selbst 10–14 Tage. Oder der Verlauf ist chronisch, mehrere Wochen, selbst Monate dauernd. In einzelnen Fällen hat man bei Milchkühen andauerndes Versiegen der Milchsekretion nach[S. 93] Ablauf der Quecksilbervergiftung beobachtet. In der Regel findet man ferner nach dem Verschwinden der Vergiftungserscheinungen noch wochen- und monatelang Eiweiss im Harn.
Sektionsbefund. Man findet zunächst mehr oder weniger ausgeprägte Entzündungszustände auf der Schleimhaut des Digestionstraktus in verschiedenen Graden: ulzeröse Stomatitis (kann fehlen), punktförmige und fleckige Rötung, hämorrhagische Erosionen, Geschwürsbildung im Magen, besonders auf der Höhe der Schleimhautvorsprünge und im Labmagen; die Mukosa ist oft ödematös geschwollen, die Submukosa serös infiltriert, so dass die Darmschleimhaut schlotternde Wülste bildet; daneben beobachtet man hochgradige Anämie des Darmes. Das subperitoneale Bindegewebe ist ebenfalls ödematös, mit fleckigen Hämorrhagien durchsetzt. Die Leber ist anämisch, geschwollen. Die Nieren sind entzündlich geschwollen, serös infiltriert, ekchymosiert und zuweilen vollständig mit Kalk inkrustiert (eigentümlicherweise ist die Verkalkung der Niere bisher nur beim Menschen und beim Kaninchen beobachtet worden; beim Hund findet man statt dessen fettige Degeneration des Nierenepithels). In chronischen Fällen kann sich Nierenzirrhose entwickeln. Der Herzmuskel zeigt fettige Entartung und Hämorrhagien, die Gehirnsubstanz ist anämisch, weich, wässerig-glänzend; unter der Arachnoidea, sowie in der Gehirnrinde finden sich Blutungen. Die Respirationsschleimhaut ist entzündlich geschwollen und zeigt zuweilen einen kruppösen Belag. Die Lunge ist blutreich, von Hämorrhagien, bronchopneumonischen Herden und Abszessen durchsetzt; die bronchialen und mediastinalen Drüsen sind geschwollen. Die Haut und das Unterhautbindegewebe ist anämisch, das Unterhautbindegewebe serös infiltriert, unter den ekzematösen Hautstellen ekchymosiert; die Körpermuskulatur ist auffallend blass, welk, wie gekocht, von fleckigen, düsterbraunroten Ekchymosen durchsetzt, dabei stark sulzig infiltriert, so dass beim Einschneiden eine fleischwasserähnliche Flüssigkeit abläuft. Das Blut erscheint schwarzrot, schmierig, schlecht geronnen.
Behandlung. Die Therapie der Quecksilbervergiftung beginnt mit der Entfernung der Ursachen, also namentlich beim Rind mit dem Abwaschen der eingeriebenen Quecksilbersalbe. Das nächste Bestreben muss sein, das eingedrungene Quecksilber in eine unlösliche[S. 94] und ungiftige Form, nämlich in Schwefelquecksilber, überzuführen. Zu diesem Zweck verabreicht man Schwefel, Schwefelleber, Schwefeleisen; auch Eisenpräparate, namentlich Eisenpulver und Eisenvitriol, sind Gegenmittel. Daneben verabreicht man einhüllende Mittel, namentlich Eiweiss, Milch und Schleim, und behandelt die einzelnen Vergiftungserscheinungen symptomatisch, indem man insbesondere gegen die Lähmung Exzitantien (Aether, Weingeist, Kampfer, Kaffee, Atropin) gibt. Dagegen ist Kochsalz nicht angezeigt, weil es im Gegenteil die Löslichkeit und Resorption namentlich des Sublimats befördert. Als Mittel gegen die merkurielle Stomatitis wird Kali chloricum als Mundwasser verordnet. Die chronischen Fälle von Merkurialismus werden wie die chronische Bleivergiftung versuchsweise mit Jodkalium behandelt; eine vollständige Entgiftung des Körpers ist jedoch erst nach vielen Monaten zu erwarten.
Nachweis. Auch beim Quecksilber ist, wie beim Blei, behufs des chemischen Nachweises eine vorhergehende Trennung desselben aus seinen metallorganischen Verbindungen vorzunehmen. Dieselbe geschieht durch Zerstörung der letzteren mittels Salzsäure und chlorsaurem Kali. Das Quecksilber wird dadurch in Sublimat übergeführt und nach Einleiten von Schwefelwasserstoff in die salzsaure Lösung als schwarzes Schwefelquecksilber gefällt. Der gut ausgewaschene Niederschlag löst sich zum Unterschiede von Schwefelblei, Schwefelkupfer und Schwefelsilber in Salpetersäure nicht. Die Lösung des Niederschlags in Königswasser, in welchem das Schwefelquecksilber leicht löslich ist, wird sodann zur Trockene verdunstet und unter Zusatz von einigen Tropfen Salzsäure in Wasser aufgenommen, worauf nachfolgende qualitative Reaktionen angestellt werden (die Lösung enthält Sublimat): a) Mit Kalilauge versetzt entsteht ein gelbroter Niederschlag von Quecksilberoxyd. b) Mit Jodkalium bildet sich ein scharlachrotes Quecksilberjodid. c) Mit Salmiakgeist entsteht ein weisser Niederschlag von weissem Präzipitat. d) Mit Zinnchlorürlösung (1 Tropfen) entsteht anfangs ein weisser Niederschlag, später scheidet sich graues metallisches Quecksilber ab. e) Ein blanker Kupferstreifen wird weiss amalgamiert. f) Durch Elektrolyse schlägt sich das Quecksilber metallisch am Zinn nieder.
Quantitativ wird Quecksilber als Metall, Kalomel oder[S. 95] Schwefelquecksilber dargestellt und gewogen (100 Teile Kalomel = 85 Teile Quecksilber). Am häufigsten führt man das Quecksilber aus salpetersäurefreien Lösungen mit Zusatz von etwas Salzsäure durch kurzes Kochen mit genügender Lösung von Zinnchlorür in Kalomel (Quecksilberchlorür) über, welches beim Erkalten ausfällt und dann filtriert, getrocknet (vorsichtig mit Filtrierpapier und über Schwefelsäure; nicht durch Erwärmen, weil flüchtig) und gewogen wird.
Kasuistik. 1. Rinder. Aus der überaus grossen Zahl der namentlich beim Rind in der tierärztlichen Literatur beschriebenen Quecksilbervergiftungen mögen die nachstehenden besonders interessanten Fälle kurz registriert werden. Einer Kuh wurden gegen Milchknoten 60 g graue Salbe nach und nach eingerieben. Nach 3 Wochen trat starke Abmagerung ein, die Haare waren struppig, leicht ausfallend. Auf dem Rücken zeigte sich eine dicke Lage von Schuppen und eisenerzähnlichem Staub. An Stelle der ausfallenden Haare sickerte eine gelbrötliche Flüssigkeit aus. Am Euter, an der Innenfläche der Hinterschenkel, an den Beugeflächen des Sprung- und Ellenbogengelenks bemerkte man blutrünstige Stellen. Das Tier genas bald wieder, die Milchsekretion kehrte aber nicht wieder (Piepenbrock, Preuss. Mitt. 1877). — Eine Kuh, welche mit grauer Salbe eingerieben wurde, zeigte unter anderen Erscheinungen der Quecksilbervergiftung Nasenbluten, das im Verlaufe von 36 Stunden zum Tode führte (Jansen, Preuss. Mitt. 1879). — Ein 2½jähriger Bulle erhielt gegen eine Geschwulst in der Parotisgegend eine Einreibung nach folgendem Rezept: Hydrargyri bijodati rubri 5,0; Unguenti Cantharidum 75,0; Olei Crotonis 0,5. Nach 8 Tagen zeigte derselbe die ausgesprochenen Erscheinungen des Merkurialismus (Durchfall, Hautausschlag etc.) und verendete nach 7wöchentlicher Krankheitsdauer (Schleg, Sächs. Jahresber. 1881). — Sieben Kühe und zwei Kälber wurden durch Einreiben von zusammen 250 g grauer Salbe vergiftet; sie zeigten unter anderem Vereiterung der Lymphdrüsen und Lymphgefässe (Haubold, Sächs. Jahresber. 1887). — Eine gesunde Kuh erhielt 4 g Sublimat in 200 g destilliertem Wasser gelöst. Sie zeigte vorübergehend Rülpsen, Geifern, Husten und Appetitverminderung, war aber am folgenden Tage wieder munter. 5 Tage nachher erhielt sie 8 g Sublimat in ½ l destilliertem Wasser. Es trat sofort Geifern und Rülpsen ein, Fressen und Wiederkäuen hörten jedoch erst am nächsten Tage auf; gleichzeitig trat weicheres Misten, erschwertes Atmen und ein sehr kleiner, beschleunigter Puls auf. In den nächsten Tagen sistierte die Futteraufnahme gänzlich, der Kot wurde dünn, stinkend und blutig, es stellte sich grosse Mattigkeit ein, das Tier lag anhaltend, magerte stark ab und starb am 14. Tage (Hertwig, Arzneimittellehre 1872). — 2 Kühe wurden wegen eines Ekzems mit 30 g grauer Salbe eingerieben. Acht Tage darauf zeigten sie geringen Appetit, Husten, pochenden Herzschlag sowie zahlreiche stecknadelkopf- bis erbsengrosse, beim Konfluieren bis markstückgrosse Blutungen auf allen sichtbaren Schleimhäuten, namentlich auf den Konjunktiven, welch letztere so intensiv waren, dass die Bulbi über die Augenlider vorgedrängt wurden. Bei der Notschlachtung wurden auch zahlreiche Blutungen auf allen serösen Häuten gefunden. Endokardium und Epikardium waren so vollständig mit Blut durchtränkt, dass sie ein schwarzrotes Aussehen hatten. Auch die Körpermuskulatur war reichlich mit Blutungen durchsetzt. — Eine Kuh und ein Stier wurden mit grauer Salbe gegen Ungeziefer eingerieben, die Kuh abortierte und starb den Tag darauf. Der Stier zeigte über den ganzen Körper einen leicht blutenden Hautausschlag, Husten, Nasenbluten, Abmagerung. Bei der Notschlachtung fand man zwei grössere Blutherde in der Lunge, ausserdem bedeutende fettige Degeneration der Leber und Nieren (Freytag, Sächs. Jahresbericht 1893). — Lucet (Recueil 1896) bestreitet die grössere Empfindlichkeit der Wiederkäuer gegenüber dem Quecksilber; er will seit 15 Jahren Quecksilbersalbe in Dosen von 30–50 g bei zahlreichen Kühen ohne Gefahr angewandt und diese Dosis bei[S. 96] Mastitis sogar täglich 2mal wiederholt haben. Eine Versuchskuh erhielt innerhalb 4 Tagen 250 g Quecksilbersalbe eingerieben, ohne dass ausser geringgradigem Speichelfluss Krankheitserscheinungen beobachtet wurden; die frisch bereitete Salbe bestand aus gleichen Gewichtsteilen Quecksilber und Schweinefett. (Da in der Praxis gewöhnlich nicht frisch bereitete, sondern ältere Quecksilbersalben zur Anwendung gelangen, die bekanntlich viel giftiger wirken, ist die von Lucet ausgeführte Untersuchung nicht beweiskräftig.) — Ein 3½jähriger Ochse erhielt durch Versehen des Apothekers statt 30,0 Extr. Aloes 30,0 Kalomel innerhalb 16 Stunden auf 4mal. Es entwickelte sich hierauf ein allgemeiner Quecksilberausschlag. Das in grossen Dosen als Gegenmittel angewandte Ferrum sulfuricum hatte nach 5wöchentlicher Krankheitsdauer Heilung zur Folge (Dotter). — Ein Bauer kaufte einen Fingerhut voll Quecksilber, verrieb es mit Fett und rieb damit einen Ochsen und eine 8 Monate alte Kalbin gegen Ungeziefer ein. Der Ochse blieb gesund, dagegen starb die Kalbin nach 14 Tagen unter den Erscheinungen des Merkurialismus, nachdem sie 8 Tage vorher abortiert hatte (Noack, Sächs. Jahresber. 1891). — Mehrere Kühe erkrankten nach dem Einreiben von grauer Salbe; sie zeigten ödematöse Anschwellungen und seröse Exsudation an den Füssen, bläuliche Verfärbung des Euters, Speicheln, Lockerung der Schneidezähne, Fieber, Gefühllosigkeit und Festliegen (Kunze, ibid.). — Eine 6jährige, kräftige Kuh erhielt gegen Aktinomykose eine subkutane Injektion von 0,5 Sublimat und starb infolgedessen an Merkurialismus (Mortensen, dänische tierärztl. Monatsschr. 1892 S. 169). — Eine Kuh erkrankte an Merkurialismus, nachdem sie 5 g grauer Salbe abgeleckt hatte (Lungwitz, Sächs. Jahresber. pro 1895). — 9 Rinder erkrankten nach dem Einreiben von zusammen 500 g grauer Salbe (Pröger, ibid.). — Mit grauer Salbe eingeriebene Rinder zeigten blutigen Ausfluss aus Nase und Maul, grosses Juckgefühl, fortwährend Reiben und Belecken, Muskelzittern, lose Zähne, Geschwüre am Zahnfleisch, stinkenden Durchfall, schmerzhaften Husten, Schlingbeschwerden, Geschwüre auf der Nasenschleimhaut, üblen Geruch der ausgeatmeten Luft, Abmagerung bis zum Skelett sowie Lähmungserscheinungen (Hable, Oesterr. Zeitschr. 1889 S. 125). — Nach der Desinfektion eines Rinderstalles mit Kalkwasser und 5promilliger Sublimatlösung erkrankten zahlreiche Rinder an Merkurialismus (Rosolino, Clin. vet. 1898). — Eine ähnliche Beobachtung ist in Schweden gemacht worden: von 92 Kühen erkrankten 75 und starben 10 Stück an Merkurialismus, nachdem der Stall mit Sublimat (1700 g!) desinfiziert worden war (Schwed. Zeitschr. 1893). — Ein Rind erkrankte nach dem Eingeben von 20 g metallischem Quecksilber (Lübke, Zeitschr. f. Vetkde. 1896 S. 54). — Von 2 zusammen mit 75 g grauer Salbe eingeriebenen Rindern starb das eine, das andere erkrankte an chronischer Vergiftung (Ellinger, Berl. Arch. 1898 S. 298). — Nach einer Sublimatausspülung des Uterus erkrankte ein Rind schwer an Merkurialismus (Beier, Sächs. Jahresber. pro 1897 S. 148). — Bei einem mit Sublimat-Aetzligatur kastrierten Stier traten am 17. Tage nach der Kastration die Erscheinungen der Quecksilbervergiftung auf: schleimiger Nasenausfluss, Geschwüre am Flotzmaul, an den Lippenrändern und auf der Maulschleimhaut, Speichelfluss, impetiginöses Ekzem am Triel, an der Schweifrübe und an den Fussgelenken, Husten, Dyspnoe, Bronchitis, Appetitlosigkeit, Benommenheit; Genesung nach 3 Wochen (Junginger, Wochenschr. f. Tierhlkde. 1891 S. 453). 2 ähnliche Fälle bei kastrierten Stieren beobachtete Antretter (ibid. S. 456). — Schmidt (ibid. 1900 S. 62) beobachtete in den Jahren 1886–1894 alljährlich vereinzelte Fälle von Quecksilbervergiftung bei Stieren, welche mit Sublimatligaturen kastriert wurden. Ausserdem beschreibt er ein seuchenartiges Auftreten des Merkurialismus infolge einer Einreibung von grauer Salbe (Einatmung von Quecksilberdämpfen). — Luginger (Berl. Tierärztl. Woch. 1902 S. 63) hat zwei schwere Fälle von Vergiftung beim Rind mit Ausgang in Heilung beobachtet, welche durch die Einreibung von grauer Salbe veranlasst waren; beide Kühe zeigten nach der Genesung eine auffallende Zunahme des Körpergewichts und starken Fleischansatz. — Ortmann (ibid. S. 173) sah nach Sublimatinjektionen in die Scheide und Sublimatwaschungen (gegen seuchenhaftes Verwerfen) 2 Kühe nach 10 bezw. 14 Tagen sterben, nachdem profuser stinkender Durchfall und Husten vorausgegangen war. — Kronburger (Woch. f. Thierh. 1902) sah nach dem Einreiben einer gänseeigrossen Menge grauer Salbe bei einem Ochsen diesen und[S. 97] noch zwei andere Rinder unter lungenseucheähnlichen Erscheinungen erkranken und 2 Tiere starben; die Vergiftungserscheinungen bestanden in ungemein häufigem quälendem Husten, Stöhnen, Dyspnoe, hohem Fieber, starker Abmagerung, sowie schleimig-blutigen Darmabgängen. — Seegert (Zeitschr. f. Vetkde. 1903) sah von 60 Stück Jungvieh nach dem Einreiben von grauer Salbe gegen Läuse (70–80 g pro Haupt) 16 an Quecksilbervergiftung sterben; 5 Wochen nach Anwendung der Salbe erreichte die Zahl der schwerkranken Tiere ihren Höhepunkt; bis zum Eintritt des Todes lagen die Tiere 4–8 Tage unter grosser Schwäche auf der Streu. — 20 Ochsen eines Gutes erkrankten nach der Einreibung von grauer Salbe an Atembeschwerden, Fieber, Appetitlosigkeit, häufigem Husten, Hautausschlägen am Maul und an der Innenfläche der Gliedmassen, Hautblutungen und Blutharnen; 2 Ochsen starben an Nierenblutung, 2 an brandiger Lungenentzündung, 4 wurden notgeschlachtet und zeigten schwere Nierenentzündung; die 12 übrigen erholten sich langsam nach monatelangem Kranksein (Preuss. Vet. Ber. pro 1900). — Ein Jungrind zeigte nach der Einreibung von grauer Salbe Abmagerung, struppiges Haarkleid, pustulösen Ausschlag an beiden Halsseiten, an den inneren Schenkelflächen und am Unterbauch, eiterige Konjunktivitis, Bronchitis, sehr schwachen Puls und grosse Mattigkeit mit nachfolgendem Tod. Eine daneben stehende Kuh zeigte nur Pustelausschlag und genas (Sator, Woch. f. Tierh. 1902). — 2 Kühe erhielten ein Gemisch von grauer Salbe (120 g) und Terpentinöl (60 g) eingerieben. Beide erkrankten schwer an Merkurialismus; sie zeigten Juckreiz, Stomatitis ulcerosa mit Speichelfluss, Hautausschlägen und Appetitlosigkeit; 1 Kuh starb plötzlich an Bronchitis, Nephritis und Peritonitis; die andere stark abgemagerte wurde notgeschlachtet. Der Besitzer erhielt von dem Drogisten eine Entschädigung (Röbert, Sächs. Jahresber. 1902). — Ein Kurpfuscher behandelte den ansteckenden Scheidenkatarrh einer Kuh durch Einschmieren der Scheide mit grauer Salbe. Die Kuh starb, nachdem starkes Speicheln, ausgebreiteter Hautausschlag und stinkender Durchfall vorausgegangen war. Der Sektionsbefund erinnerte wegen der ausgedehnten Hämorrhagien an Milzbrand (Schmidt, T. Rundschau 1903). — Intravenöse Sublimatinjektionen nach Baccelli gegen Maul- und Klauenseuche bei Rindern erzeugten vielfach schwere, akute und chronische Quecksilbervergiftung. Die akute begann nach 4–5 Tagen und endete nach 8 bis 18 Tagen. Die chronische Quecksilbervergiftung stellte sich bei 356 Rindern nach 15–30 Tagen ein, als sie niemand mehr erwartet hatte (Tamborini, Boschetti, Titta, Giorn. d. soc. vet. 1902 u. 1903). — In der Schweiz erkrankten nach der von Baccelli empfohlenen intravenösen Injektion von Sublimat (0,02–0,05) in 30 Fällen Rinder 10–14 Tage nachher an Quecksilbervergiftung (Hirzel, Schweiz. Arch. 1902). — Bei gesunden Rindern entstand nach intravenösen Sublimatinjektionen von 0,35–0,50 eine Vergiftung; über 5promillige Sublimatlösungen erzeugten ferner Thrombosierung der Jugularis (Günther, T. Zentr. 1902). — Aehnliche Resultate erhielt Schmidt (B. T. W. 1902). — In Bayern erkrankten infolge der intravenösen Injektion von Sublimat nach Baccelli 3 Rinder an Quecksilbervergiftung. — Eine Kuh starb nach der Verabreichung von 8 g Kalomel an Quecksilbervergiftung (F. Müller, Diss. 1908). — Ein 4 Monate altes Kalb erkrankte nach dem Einreiben von 12–15 g der offizinellen grauen Salbe tödlich an Quecksilbervergiftung nach 20 Tagen (Speichelfluss, Durchfall, Exanthem) und musste notgeschlachtet werden. Der Sektionsbefund war negativ (Reiche, B. T. W. 1908). — Ein Schweizer Apotheker musste 1000 Franken Schadenersatz zahlen, weil er im Handverkauf 100 g 20proz. grauer Salbe für 5 Kühe gegen Ungeziefer abgab, worauf 2 Kühe an Quecksilbervergiftung starben und 3 schwer erkrankten. Alle 5 Kühe hatten zusammen nur 60 g Salbe eingerieben bekommen (Schweiz. Woch. für Chemie u. Pharm. 1908 Nr. 5). — Rinder erkrankten schwer an Merkurialismus, nachdem sie gegen seuchenhaften Abortus Uterusausspülungen mit Hydrargyrum oxycyanatum (1 : 6000) erhalten hatten (Haubold, Sächs. Jahresber. 1909). — 3 Fälle von beim Rind nach dem Einreiben grauer Salbe (1mal 30 g) hat Hasak beobachtet (Oesterr. Monatsschr. 1909).
2. Schafe und Ziegen. Eine Schafherde, aus 335 Hammeln bestehend, wurde in einer Sublimatauflösung gebadet, worauf die ganze Herde innerhalb 2–3 Wochen krepierte. Es waren im ganzen 5 Pfd. Sublimat verbraucht worden.[S. 98] Die Tiere zeigten Abmagerung, eingefallene Flanken, schwankenden, schleppenden Gang, unterdrückte Fresslust, blasse Schleimhäute (Kuhlmann, Preuss. Mitt. Bd. 13). — Ein Schaf starb nach dem Eingeben von 4 g Sublimat in 4 Stunden (Hertwig). — Von 20 Schafen, welche zusammen 20 g Kalomel erhalten hatten (1 g pro Kopf), starben 18 an Merkurialismus (Graefe). — Eine junge Ziege starb nach 1 g Kalomel schon in 27 Stunden an typischer Quecksilbervergiftung; 30 g graue Salbe töteten eine erwachsene Ziege nach 7 Tagen, desgleichen 100 g 10proz. Sublimatsalbe eine andere Ziege in derselben Zeit (Reiche, Diss. 1905). — Einmalige Dosen von 1,5 g Kalomel können bei erwachsenen Ziegen unter Umständen schon toxisch wirken (F. Müller, Diss. 1908).
3. Pferde. 1–2 g Sublimat Pferden eine Woche hindurch täglich in Pillenform mit Althaea gegeben, hatten keine sichtbare Veränderung zur Folge, auch nicht, als diese Gaben verdoppelt wurden. Wurde jedoch Sublimat Pferden täglich in steigender Dosis (1–8 g) 14 Tage lang gegeben, so zeigte sich Appetitlosigkeit, vermehrter Harnabsatz, heftiger, zuletzt blutiger Durchfall, grosse Schwäche und Kolikerscheinungen mit tödlichem Ausgang. 4 g Sublimat verursachten bei einem Pferde nur vorübergehende Kolikschmerzen. Dagegen starb ein anderes Pferd auf 15 g Sublimat nach 12 Stunden unter heftigen Kolikerscheinungen, Recken und starkem Speicheln (Rysz, Arzneimittellehre 1825). — Bei einem Pferd war wegen einer phlegmonösen Anschwellung des rechten Hinterfusses eine Mischung von Ungt. Hydrarg. ciner. 50,0 und Ol. Rapae 150,0 eingerieben. Es kamen nur etwa zwei Drittel der angegebenen Menge zur Verwendung. Am 5. Tage nach der Einreibung zeigte das Pferd, welches so lange gut gefressen hatte, plötzlich Schweissausbruch über den ganzen Körper, stöhnte und zitterte und legte sich nieder, wobei es flach auf der Seite lag. Die Bindehäute und die Nasenschleimhaut waren dunkelrot gefärbt. Die Zahl der Pulse betrug 56 in der Minute, die Atmung war angestrengt; die Innenwärme stand auf 39,8° C. An verschiedenen Stellen des Körpers fanden sich kleine, bis erbsengrosse Knötchen zahlreich vor, aus welchen auf Druck eine übelriechende, grünlich gelbe und zähflüssige Masse sich entleerte. In den nächsten Tagen nahm die Haut an der betreffenden Gliedmasse eine lederförmige Beschaffenheit an, auch kamen in der Unterhaut einige Abszesse zur Entwicklung. Schliesslich trat Heilung ein (Pr. Mil. Vet. Ber. pro 1895). — Zwei Pferde wurden an allen 4 Fesseln 2 Tage hindurch mit Quecksilberbijodidsalbe (1 : 6) eingerieben. Darauf zeigten sie Appetitlosigkeit, blutig-eiterigen, übelriechenden Nasenausfluss, schwachen und sehr frequenten Puls, Dyspnoe, Bronchitis und Bronchopneumonie, graugrünen, breiartigen Kot sowie grosse Schwäche und Hinfälligkeit. 1 Pferd starb innerhalb 24 Stunden, nachdem ausserdem Blutharnen aufgetreten war. Die Sektion ergab hämorrhagische Gastroenteritis, Bronchopneumonie, hämorrhagische und kruppöse Laryngitis, Tracheitis und Bronchitis (Pr. Mil. Vet. Ber. pro 1897). — Eine kombinierte Sublimat-Kantharidenvergiftung nach einer scharfen Einreibung bei einem Pferde hat Paust beschrieben (B. T. W. 1899 S. 98). — Ein Pferd erhielt 6 Tage hindurch gegen Würmer 4 g Kalomel und erkrankte am 8. Tage unter den Erscheinungen von Durchfall, Kolik und Lähmung; bei der Sektion wurde unter anderem eine akute Nephritis festgestellt (Mc Donough, Am. vet. rev. 1897). — Ein kleines, leichtes Droschkenpferd starb nach der Verabreichung von 10 g Kalomel an akuter hämorrhagischer Gastroenteritis (Lemke, Zeitschr. f. Vetkde. 1900). — Nach den Einreibungen von etwa 30 g einer Quecksilberbijodidsalbe gegen Spat zeigte ein Pferd einen nässenden Ausschlag über den ganzen Körper, starken Juckreiz, Haarausfall, Durchfall, sowie ziegelrote Konjunktiva. Nach der innerlichen Verabreichung von Schwefel trat Heilung ein (Teetz, Berl. Tierärzt. Woch. 1900 S. 530). — Ein Pferd frass eine Schachtel, welche Angerersche Sublimatpastillen enthielt, und erkrankte hierauf an Kolik und Durchfall; am 8. Tage war es wieder hergestellt (Kronacher, Woch. f. Tierh. 1901). — Intravenöse Sublimatinjektionen erzeugten bei Versuchspferden von 0,15 g ab leichte, von 0,25 g ab typische, von 0,5 g ab schwere, von 1,0 g ab tödliche Quecksilbervergiftung (Zimmermann, Fortschr. d. Vet. Hyg. 1903). — 100 g graue Salbe, gegen Brustbeule eingerieben, verursachte allgemeinen Haarausfall, Schwanken und Herzklopfen (Briese, Preuss. Vet. Ber. 1904). — Ein Pferd, das innerhalb 3 Tagen 48 g Kalomel in Pillenform erhalten hatte,[S. 99] zeigte keinerlei Krankheitserscheinungen, starb dagegen nach der Verabreichung von 32 g Kalomel in Pulverform, innerhalb 2 Tagen gegeben, an Merkurialismus (F. Müller, Diss. 1908). — Ein 10jähriger Schimmelwallach wurde vom Besitzer am 6. Februar 1906 gegen Ungeziefer mit grauer Quecksilbersalbe in der Rippen-, Lenden- und Kruppengegend eingerieben. Darauf hin zeigte das Pferd anhaltenden Durchfall, Speichelfluss, Schwäche und Appetitlosigkeit, welche erfolglos behandelt wurden. Am 13. Februar wurde es der Klinik zugeführt. Die Untersuchung ergab einen sehr schlechten Nährzustand, struppiges, aufgebürstetes Haarkleid, 39,2° Mastdarmtemperatur sowie 68 schwache Pulse. Die Haut zeigte über den ganzen Körper zerstreut, namentlich aber in der Kruppen-, Lenden- und Rippengegend fünfpfennig- bis markstückgrosse Blasen und Pusteln. Ausserdem bestand starker Speichelfluss, höhere Rötung der Maulschleimhaut, hochgradiger stinkender Durchfall und Anurie. Die ausgeatmete Luft war übelriechend; auf der höher geröteten Nasenschleimhaut zeigten sich Blutungen. Das Pferd zeigte so grosse Muskelschwäche, dass es umzufallen drohte; das Sensorium war stark benommen. Trotz der eingeleiteten Behandlung (Schwefelkalium, Exzitantien) starb das Pferd schon am 15. Februar unter den Erscheinungen einer septischen Gastroenteritis. Bei der Sektion wurde eine akute Entzündung der Drüsenschleimhaut des Magens, eine blutige Entzündung des Leer- und Hüftdarms, Nekrose und Zerreissung der Blinddarmwand, serös-fibrinöse und eiterig-jauchige Peritonitis, katarrhalische Nephritis, sowie akute multiple Milzschwellung als Todesursache festgestellt. Die genauere Menge der eingeriebenen Quecksilbersalbe konnte nicht festgestellt werden (Fröhner, Monatshefte für prakt. Tierhlkde. 1906).
4. Hunde. Ein Jagdhund, welcher 170 g graue Salbe gefressen und erst 1½ Stunden nachher ein Brechmittel erhalten hatte, zeigte sich am folgenden Tage nur wenig krank und war bald wieder hergestellt. Auffallend war nur, dass demselben einige Tage hindurch viele Haare ausfielen. (Deijermans, Holländische Zeitschr. 1883). — Hunde starben auf 0,2–0,4 Sublimat nach 7, 10 und 30 Stunden, nachdem sie heftiges blutiges Erbrechen, blutige Diarrhöe und zuletzt Lähmung gezeigt hatten (Hertwig, Arzneimittellehre 1872). — Ein Hund, welcher sich etwa 5 g roter Präzipitatsalbe (1 : 10) abgeleckt hatte, starb unter den Erscheinungen einer hämorrhagischen Gastroenteritis innerhalb 24 Stunden (eigene Beobachtung). — Nach Trasbot soll der Hund sehr empfindlich gegen graue Salbe sein (franz. Uebersetzung der Spec. Pathologie von Friedberger und Fröhner S. 157). — Ein Hund bekam nach der Einreibung von grauer Salbe gegen Läuse eine Iritis (Soffner, Zeitschr. f. Vet. 1904). — Nach den Untersuchungen von F. Müller (Giessen 1908) laxieren Hunde erst auf eine einmalige Dosis von 0,3–0,4 Kalomel.
5. Schweine. Eingehende experimentelle Untersuchungen über den Merkurialismus bei Schweinen hat A. Reiche angestellt (Inaug. Diss. Giessen 1905). Sie ergaben, dass das Schwein keine besondere Empfindlichkeit gegenüber dem Quecksilber besitzt und viel grössere Dosen erträgt als die Wiederkäuer. Die Einreibung der grauen Salbe hatte bis zu 80 g keinerlei schädliche Wirkung. Grössere Dosen veranlassten nur einen mehrstündigen Durchfall. 400 g Salbe in 50 Tagen eingerieben, erzeugten bei einem Schwein Merkurialismus, das Tier erholte sich jedoch wieder. Erst nach 600 g Salbe, in einem Zeitraum von 100 Tagen eingerieben, starb ein Schwein. 2–4 g Kalomel erzeugten bei Schweinen im Gewicht von 10–16 kg nur Durchfall. 6 g Kalomel hatte bei einem 18 kg schweren Schwein (= 0,3 g pro kg Körpergewicht) akuten Merkurialismus und Tod nach 42 Tagen zur Folge. Auf 8 g Kalomel starb ein 18 kg schweres Schwein nach 9 Tagen. 10 g Kalomel, einem 12 kg schweren Schwein innerhalb 30 Tagen verabreicht, hatten den Tod nach 8 Tagen zur Folge. Die Einreibung von 800 g 10proz. Sublimatsalbe tötete ein Schwein nach 8 Tagen. Die Vergiftung äusserte sich hauptsächlich in Durchfall und Tremor, sowie starker Abmagerung; Speichelfluss und Exantheme fehlten. Die Sektion ergab vor allem Diphtherie des Dickdarms. — Zehn 11–12 Wochen alte Ferkel, welche gegen Juckreiz mit grauer Salbe eingerieben wurden, starben nach Meyer (Preuss. Vet. Ber. pro 1907) an Vergiftung (Magendarmentzündung, Blutung).
6. Geflügel. Eine Amazone (Chrysotis) erkrankte unter starkem Speichelfluss,[S. 100] rostrotem Durchfall und Lähmungserscheinungen nach dem Einatmen von Knallquecksilbergasen eines Schiesstandes und starb an Quecksilbervergiftung (Ornith. Monatsschrift 1904).
Chemie der Kupferverbindungen. Das an und für sich nicht giftige metallische Kupfer findet sich teils gediegen, teils in Form von Kupfererzen (Kupferglanz, Kupferkies, Rot-, Bunt-, Schwarzkupfererz) in weiter Verbreitung. In feuchter Luft verwandelt es sich zum Teil in basisch kohlensaures Kupfer, wobei es von einer grünen Schicht (Patina) überzogen wird. Ausserdem findet bei Luftzutritt eine teilweise Lösung des Kupfers statt, wenn in kupferhaltigen Gefässen saure Flüssigkeiten und Nahrungsmittel, welche Essigsäure, Milchsäure oder Weinsäure enthalten, längere Zeit stehen. Bei Luftabschluss dagegen, wie es beim Kochen geschieht, bei welchem der Zutritt der Luft durch die entweichenden Wasserdämpfe verhindert wird, findet eine Auflösung des Kupfermetalls nicht statt. Von giftigen Kupfersalzen kommen namentlich in Betracht der Kupfervitriol, CuSO4 + 5 H2O, das schwarze Kupferoxyd, CuO, das kohlensaure Kupfer, das essigsaure Kupfer (Grünspan, Aerugo), Cu(C2H3O2)2 + H2O, der Kupferalaun sowie mehrere Kupferfarben, namentlich das Schweinfurtergrün, eine Verbindung von arseniksaurem und essigsaurem Kupfer, Cu2(AsO2)3.C2H3O2, das Braunschweigergrün, Kalkgrün, Mineralgrün, Bremerblau, Kalkblau, Bergblau, Berggrün. Sehr giftig ist auch das zum Grünfärben der Gemüse benützte phyllozyaninsaure Kupfer, eine Chlorophyllverbindung des Kupfers.
Aetiologie der Kupfervergiftung. Die bei den Haustieren im Gegensatze zum Menschen ziemlich seltenen und daher praktisch weniger wichtigen Kupfervergiftungen sind meistens auf die Verfütterung von sauren oder gärenden Nahrungsmitteln zurückzuführen, welche längere Zeit unter Zutritt von Luft in kupfernen Kesseln oder Gefässen aufbewahrt worden waren. Von solchen kupferhaltigen Nahrungsmitteln sind zu erwähnen Schlempe, Molken, saure Milch, saure Speiseüberreste, Kartoffelbrei usw. Sie enthalten das Kupfer in Form von essigsaurem, milchsaurem, äpfelsaurem, weinsaurem, zitronensaurem, kohlensaurem und fettsaurem Kupfer. Am häufigsten gibt der Gehalt der Nahrungsmittel an essigsaurem Kupfer (Grünspan) Veranlassung zu Kupfervergiftung, weshalb die letztere wohl auch mit dem Namen „Aeruginismus“ belegt wird (Aerugo = Grünspan). Im Vergleich hiezu sind die durch Einverleibung von anderen Kupfersalzen, so von Kupfervitriol, Kupferoxyd, Kupferalaun, sowie von Kupferfarben bedingten Kupfervergiftungen, experimentelle Versuche ausgenommen, mehr vereinzelt. So wird über einen Fall berichtet, in welchem Pferde nach dem Genusse von Weizen erkrankten, welcher mit Kupfervitriol gebeizt worden war (Landvatter,[S. 101] Reimers). In ähnlicher Weise erkrankten Kühe nach der Verabreichung von Glaubersalz, welchem Kupferoxyd als Beize gegen den Brand des Weizens beigemischt war (Bloch), sowie nach Verfütterung von Weinlaub, das zur Abwehr der Reblaus mit Kupfervitriollösung bespritzt worden war (Schmidt, Padovani, Ohler). Es können sich ferner Vergiftungen ereignen bei Resorption des Kupfersulfates von Wunden aus; so starb beispielsweise ein Hund, welchem 0,6 gepulverter Kupfervitriol in eine Wunde gebracht wurde (Gerlach). Lämmer können nach zu grossen Dosen Kupferoxyd (Bandwurmmittel) erkranken. Die Vergiftung durch Schweinfurtergrün ist nicht in erster Linie eine Kupfer-, sondern eine Arsenikvergiftung (vgl. S. 66).
Das reine metallische Kupfer ist ungiftig, wenn es z. B. in Form von Kupfermünzen aufgenommen wird. Ein Hund hatte ein grosses, kupfernes Sousstück 12 Jahre lang unbeschadet im Magen (Nichoux). Es ist deshalb auch der von Zundel berichtete Fall, in welchem bei einem wegen Beisssucht wutverdächtigen Hunde zwei Kupfermünzen in der Nähe des Pylorus sowie Darmentzündung gefunden wurden, aus diesem wie aus anderen Gründen nicht als Kupfervergiftung aufzufassen. Auch beim Menschen scheint das metallische Kupfer ungiftig zu sein (Bronze- und Kupferarbeiter).
Krankheitsbild der Kupfervergiftung. Bei den Haustieren handelt es sich in der Regel um eine akute Kupfervergiftung (die chronische experimentelle vgl. unten). Die Kupferwirkung ist dabei ähnlich wie die Zinkwirkung zunächst lokal eine entzündungserregende und ätzende (Gastroenteritis). Die Allgemeinerscheinungen sind vorwiegend die einer Muskellähmung. Demnach äussert sich die Kupfervergiftung (Kuprismus) zunächst in Erbrechen, Würgen, Kolik, Verstopfung, Durchfall und Verlust des Appetits, wozu sich später Unsicherheit im Gehen, Schwächezustände, Muskellähmung und Anästhesie, sowie vereinzelt Konvulsionen gesellen. Daneben beobachtet man die Erscheinungen der Herzlähmung: kleinen, schwachen, oft verlangsamten Puls, schwachen Herzschlag, sowie erschwerte Atmung.
Bei der Sektion findet man die Schleimhaut des Magens und Darmes in verschiedenen Graden entzündlich verändert; zuweilen besteht auch Magenerweiterung (Trasbot).
[S. 102]
Behandlung. Dieselbe besteht in der Verabreichung von Eisenpulver und gebrannter Magnesia (um metallisches Kupfer auszufällen) sowie von Schwefel (Bildung von Schwefelkupfer) und Ferrozyankalium (Bildung von Ferrozyankupfer). Als einhüllendes Mittel gibt man ferner Eiweiss, Milch und Schleim. Auch Milchzucker und Tierkohle sind als Gegenmittel empfohlen worden. Die Kolikschmerzen und Lähmungserscheinungen werden symptomatisch behandelt.
Nachweis. Dem eigentlichen Nachweise des Kupfers hat die Trennung des Kupfers von organischen Beimengungen vorauszugehen. Dieselbe erfolgt durch Zerstören der letzteren mittelst Salzsäure und chlorsaurem Kali, wobei das Kupfer als Kupferchlorid in Lösung geht. Aus der schwach sauren Lösung fällt dann Schwefelwasserstoff schwarzes Schwefelkupfer aus. Der Niederschlag muss unter möglichstem Abschluss von Luft schnell filtriert und mit ausgekochtem, schwefelwasserstoffhaltigem Wasser ausgewaschen werden. Das Schwefelkupfer ist in Zyankaliumlösung (Zyankupfer) und Salpetersäure (salpetersaures Kupfer) leicht löslich. Die Lösung des salpetersauren Kupfers ist blaugrün und durch folgende Kupferreaktionen noch weiter zu untersuchen: a) Salmiakgeist gibt anfangs einen bläulichen Niederschlag, der sich beim Ueberschusse des Salmiakgeistes lasurblau löst. b) Ferrozyankalium gibt in der schwach salzsauren Lösung einen braunroten Niederschlag von Ferrozyankupfer. c) Metallisch blankes Eisen überzieht sich in der angesäuerten Kupferlösung mit einer hellroten Kupferschicht. Diese sehr einfache Kupferreaktion kann auch bei verdächtigen Nahrungsmitteln in der Weise vorgenommen werden, dass man ein blankes Messer in dieselben eintaucht. Ausserdem geben Kali- und Natronlauge in verdünnten kalten Lösungen von Kupfer grünliche oder blaue Niederschläge, welche beim Erhitzen schwarz werden; kohlensaures Kali, — Natron, — Baryum geben blaugrüne Niederschläge, Jodkalium und Rhodankalium weisse Niederschläge.
Quantitativ wird das Kupfer durch Auflösung des Schwefelkupfers in Salpetersäure, Eintrocknen, Erhitzen und Glühen in Form von Kupferoxyd nachgewiesen, welches gewogen und auf Kupfer berechnet wird. 100 Teile Kupferoxyd entsprechen 79–85 Teilen Kupfer.
[S. 103]
Kasuistik. 1. Pferde. Zwei Pferde erkrankten nach dem Genusse von Weizen, welcher mit Kupfervitriol gebeizt worden war. Sie zeigten Verstopfung, Kolik, Fieber, sowie starrkrampfähnliche Muskelsteifheit. Eines starb, das andere genas, blieb aber noch einige Wochen hindurch steif (Landvatter, Repertorium 1882). — Von 45 g Kupfervitriol ab zeigten Pferde Vergiftungserscheinungen (Kolik, Verstopfung, Durchfall) und starben auch zuweilen (Hertwig, Arzneimittellehre 1872). — Ein Pferd zeigte nach 30 g Grünspan nach 2 Stunden Unruhe, Angst und Kolikerscheinungen; auf 60 g Grünspan trat schon nach ¼ Stunde Kolik ein, der anfangs beschleunigte Puls wurde sehr schwach und sank auf 30 Schläge p. M. Trotz fortgesetzten guten Appetits traten am 6. Tage plötzlich grosse Schwäche und Krämpfe mit tödlichem Ausgange ein (Dupuy, Journal de Lyon 1830). — Ein 1½jähriges Fohlen zeigte Erbrechen nach dem Anlegen von Kluppen, welche mit Kupfervitriol bestrichen waren (Georges, B. T. W. 1895 S. 592). — Ein 1jähriges Fohlen, welchem 5 g Kupfersulfat unter die Haut gespritzt wurden, starb schon am 3. Tage unter hochgradiger Muskelschwäche, Schwanken, Hämaturie und sehr erheblicher lokaler Anschwellung. Ein anderes 1jähriges Fohlen erhielt am 1. Tage 1 g Kupfersulfat subkutan, in den nächsten 4 Tagen je ½ g subkutan, worauf es am 9. Tage nach vorausgegangenen starken und diffusen Anschwellungen starb. Die Sektion ergab Nekrose und Verkalkung des Nierenepithels in Form von Kalkzylindern (v. Kossa, Zieglers Beitr. z. path. Anat. 1901, 29. Bd. S. 173). — Bei erwachsenen Pferden sollen 10 g Kupfersulfat subkutan in stark verdünnten wässerigen Lösungen injiziert, Vergiftungserscheinungen hervorrufen und 15 g den Tod verursachen. Ein 1jähriges Fohlen zeigte schon nach der Injektion von 1 g Vergiftungserscheinungen und starb nach 3 g in 6 Tagen injiziert; die Sektion ergab starke entzündliche Schwellung und Nekrose an der Injektionsstelle, sowie hämorrhagische Nephritis und Nierenverkalkung (Ernst, Veterinarius 1900). — 4 Fohlen frassen stark mit Kupfervitriol gebeizten Weizen. Sie zeigten Durchfall, Lähmung, Krämpfe, gelbrote Schleimhäute und starben an hämorrhagischer Gastroenteritis (Reimers, B. T. W. 1905 S. 789).
2. Rinder. Zwei Bullen im Alter von 18 Wochen erhielten täglich 2 Mass Leinsamenabkochung mit Milch, welche in kupfernem Kessel aufbewahrt wurde. Sie erkrankten vorübergehend unter den Erscheinungen der Indigestion (Arnold, Schweizer Archiv 1852). — 2 Kühe zeigten auf die zufällige Verabreichung von Kupferoxyd Kolik, Würgen und Erbrechen (Bloch, B. T. W. 1890). — Ein Rind erkrankte unter Kolikerscheinungen, nachdem es reichliche Mengen von Weinlaub gefressen hatte, das zur Abwehr der Reblaus mit Kupfervitriol bespritzt war (Padovani, Giorn. di Vet. mil. 1893). Einen ähnlichen Fall bei einem Ochsen hat Plotti beschrieben (Clin. vet. 1899). — Chronische Vergiftungsfälle in Form von Diarrhöe, chronischen Verdauungsstörungen, Abortus und Siechtum hat Wilhelm bei Kühen nach der Aufnahme kupferhaltiger Abwässer beobachtet (Sächs. Jahresber. pro 1898 S. 132). — Ein Ochse, dessen Hörner mit Kupfervitriol angestrichen waren, zeigte Krämpfe und Speichelfluss (Bull. vét. 1900). — Nach Verfütterung von Weinlaub, welches mit 2–6proz. Kupfervitriollösung bespritzt war, erkrankten im Jahr 1906 zahlreiche Rinder, auch Saugkälber, an Gastroenteritis unter Speicheln, Erbrechen, Durchfall und Kolik (Ohler, Woch. f. Tierh. 1906). Ade und Markert führen diese Vergiftungen durch kupferbespritzte Rebenblätter bei den Muttertieren auf eine kombinierte Kupfer-Toxinwirkung, bei den Saugkälbern auf letztere allein zurück; Albrecht ist dieser Meinung beigetreten (ibidem). — Rinder erkrankten nach dem Genuss von Rüben eines Ackers, auf den kupferhaltige Abwässer einer chemischen Fabrik abgeleitet wurden (Prietsch, Sächs. Jahresber. 1909).
3. Schweine. Vier Ferkel erhielten gekochte Kartoffeln und Mohrrüben, welche in einem kupfernen Kessel aufbewahrt worden waren. Sie zeigten anfallsweise Krämpfe, Taumeln, Zusammenstürzen, Erbrechen, Lähmung der Zunge und des Schlundkopfes, sowie Aufblähung: 3 davon starben (Saake, Magazin Bd. 24). — Mehrere Schweine zeigten nach der Aufnahme von Molken, in welchen Kupfergeschirr behufs Scheuerung über Nacht gelegen war, starke Tympanitis, Taumeln, Durchfall und Dyspnoe; die Ferkel zeigten Erbrechen, Krämpfe, Taumeln, Umfallen und plötzliches Verenden (Eggeling, Berl. Arch. 1889). — 55 Schweine[S. 104] erkrankten nach der Aufnahme von Molken, welche in Kupfergeschirren gekocht waren; 35 davon starben. Sie zeigten Kolik, Auftreibung, Durchfall, Kreuzschwäche, Herzschwäche, schwachen Puls, Dyspnoe, Pupillenerweiterung, Nystagmus (Kirst, Berl. Arch. 1892 S. 458). — Lucas (Berl. Arch. 1893 S. 312) beschreibt eine Kupfervergiftung bei 2 Schweinen, welche Futter aus einem mit Grünspan bedeckten Kessel erhalten hatten. Die Tiere zeigten Zittern, Kolik, Meteorismus, Pupillenerweiterung und unaufhörliches Blinzeln. Bei der Sektion fand man umfangreiche Erosionen der Magenschleimhaut, Hyperämie und Entzündung der Lungen (?). Jacobi (ebendaselbst) hat eine ähnliche Vergiftung bei 2 Schweinen beobachtet; bei der Sektion wurde Magendarmentzündung konstatiert.
4. Ziegen. Eine Ziege bekam Fleischbrühe, welche in einem kupfernen Kessel aufbewahrt und sauer geworden war. Dieselbe erkrankte am 3. Tage und starb am 4. 15 Personen, welche die am Tage vor der sichtbaren Erkrankung gemolkene Milch genossen hatten, erkrankten an Ekel, Erbrechen, Kopfschmerzen und Gliederschmerzen (Frorieps Notizen 1828). — Eine Vergiftung durch Kupfervitriol, welcher mit Rebenblättern aufgenommen war, hat bei einer Ziege Latschenberger beschrieben (Oesterr. Zeitschr. 1892 S. 210).
5. Hunde sterben, wenn sie am Erbrechen gehindert werden, auf 0,6 Kupfervitriol, sowie 0,3–1,0 Grünspan innerhalb 8 Tagen; auf 2 g Vitriol innerhalb 3 Tagen, nach 30 g Vitriol innerhalb 24 Stunden. Ist das Erbrechen jedoch ermöglicht und werden die Kupferpräparate im Futter eingehüllt verabreicht, so werden kleinere Dosen (0,1–1,0 Kupfervitriol) monatelang ertragen. Ein Hund, welcher täglich 4 g Kupfervitriol erhielt, zeigte erst nach mehreren Wochen Abmagerung und Diarrhöe und starb schliesslich. Kupferoxyd wirkt für Hunde tödlich subkutan zu 0,4, intravenös zu 0,025. Der Grünspan tötet Hunde intravenös in Dosen von 0,01 unter Erbrechen (Orfila, Toxikologie).
6. Gänse starben nach der Verfütterung von Unkraut, das mit Kupfervitriollösung benetzt war (Tierärztl. Zentralbl. 1897 S. 329).
Chronische Kupfervergiftung. Die für den Menschenarzt sehr wichtige, vielfach in verneinendem Sinn beantwortete Frage des Vorkommens einer chronischen Kupfervergiftung ist durch Versuche tierärztlicher Toxikologen (Ellenberger und Hofmeister, Baum und Seliger) in bejahendem Sinn gelöst worden. Nach den Untersuchungen von Ellenberger und Hofmeister (Berliner Archiv 1883) ertragen Schafe längere Zeit kleinere Dosen, erkranken und sterben dann aber an chronischer Kupfervergiftung. 3 Schafe erhielten täglich 0,5–3,0 g Kupfervitriol; das eine in 52 Tagen 89 g, das zweite in 114 Tagen 185,5 g, das dritte in 50 Tagen 50 g. Die wesentlichsten Krankheitserscheinungen waren: Albuminurie, Ikterus, Hämoglobinurie und Hämaturie. Daneben bestand grosse Muskelschwäche und Mattigkeit, sowie Abmagerung mit zeitweise eintretender Verstopfung und Verdauungsstörungen. Bei der Sektion fand sich konstant eine hämorrhagische, parenchymatöse Nephritis, fettige Degeneration und Ikterus der Leber, körnige Trübung der Körpermuskulatur und des Herzfleisches, ikterische Verfärbung aller Organe, akuter resp. chronischer Magendarmkatarrh, Milztumor, Lungenödem.
Weitere Versuche von Baum und Seliger (Berliner Archiv 1898) haben diese Befunde im allgemeinen bestätigt. Die genannten Autoren haben zahlreiche Versuche mit verschiedenen Kupferverbindungen (Cuprum aceticum, sulfuricum, oleinicum, haemolicum) an Schafen, Ziegen, Hunden und Katzen angestellt. Ein kleiner Hund erhielt z. B. 7 Monate lang insgesamt 15 g Kupfervitriol, eine Ziege in 4½ Monaten 65 g Kupfervitriol, eine andere innerhalb eines Jahres 278 g, ein grosser Jagdhund in 47 Tagen 47 g, ein Schaf in 9 Monaten 333 g, eine Katze in 7 Monaten 21 g Kupfervitriol; eine Katze starb, nachdem sie in 29 Tagen 1 g Grünspan erhalten[S. 105] hatte, eine andere nach Einverleibung von 10 g Grünspan in 142 Tagen usw. Die von ihnen aus diesen Versuchen gezogenen Schlüsse sind folgende: „1. Man kann in einwandsfreier Weise durch längere Zeit fortgesetzte Verabreichung kleiner, nicht akut reizender Kupfermengen eine wirkliche chronische Kupfervergiftung im wissenschaftlichen Sinne erzeugen. 2. Die chronische (bezw. subchronische) Kupfervergiftung ist im wesentlichen dadurch charakterisiert, dass intra vitam Abmagerung, Schwäche und Aufhören des Appetits der Versuchstiere, vereinzelt Haarausfall und Krämpfe und schliesslich der Tod eintreten, während sich durch die Sektion — und zwar durch die makroskopische und mikroskopische, verbunden mit der chemischen Untersuchung der Organe — in den meisten Fällen ein chronischer, mehr oder weniger heftiger Dünndarmkatarrh, in allen Fällen krankhafte Veränderung der Leber und Nieren (parenchymatöse Trübung der Epithelzellen, parenchymatöse und fettige Degeneration und schliesslich Atrophie oder Zerfall derselben mit Ablagerung von Blutfarbstoffen, besonders Hämosiderinmassen) und eine Ablagerung bedeutender Kupfermengen in der Leber (und wahrscheinlich auch in den Nieren) nachweisen lassen. Ausnahmsweise, bezw. nicht konstant wiederkehrend, gesellen sich zu diesen Erscheinungen noch Magenkatarrh, Blutungen im Herzen und Zwerchfell, starkes Hervortreten der Malpighischen Körperchen der Milz, Anämie oder auch Hyperämie des Gehirns, krankhafte Veränderungen des Pankreas. Ausnahmsweise fehlen die erwähnten, intra vitam zu beobachtenden Erscheinungen gänzlich oder treten erst ganz kurz vor dem Tode auf. 3. Die Intensität der geschilderten krankhaften Erscheinungen und Organveränderungen und das zeitliche Auftreten derselben hängen im wesentlichen von der Tierart, von der individuell verschiedenen Widerstandskraft einzelner Tiere einer Art und von der Grösse und Art der Kupferpräparate ab, so dass z. B. Katzen im allgemeinen als die empfindlichsten Tiere und Cuprum oleinicum als das gefährlichste Präparat anzusehen sind.“ Baum und Seliger haben ausserdem experimentell gezeigt, dass das per os einverleibte Kupfer in der Regel nicht oder nur in Spuren mit der Milch ausgeschieden wird, so dass also derartige Milch nicht gesundheitschädlich wirkt, dass das verabreichte Kupfer dagegen in grossen Mengen auf den Fötus übergeht und in dessen Organen abgelagert wird.
Nach v. Kóssa (Zieglers Beitr. z. pathol. Anat. 1901, 29. Bd., S. 172) ist die Verkalkung der Nieren und Leber ein spezifisches Symptom der chronischen Kupfervergiftung (Cuprum sulfuricum) bei Versuchskaninchen.
Chemie der Zinkverbindungen. Das metallische Zink wird hüttenmännisch aus verschiedenen Zinkerzen dargestellt, so aus dem Galmei oder Zinkspath, ZnCO3, aus der Zinkblende, ZnS, aus dem Rohzinkerz, ZnO, und Kieselzinkerz. Es ist an und für sich ebensowenig giftig wie Kupfer. Bleiben jedoch in Zinkgefässen saure Speisen längere Zeit stehen, so findet eine teilweise Lösung des Zinks z. B. zu essigsaurem Zink statt und es können dadurch Zinkvergiftungen entstehen. Von giftigen Zinksalzen kommen in Betracht das Zinkoxyd (Zinkweiss), ZnO, ein in Wasser unlösliches, aber in Säuren lösliches weisses Pulver, das ätzende Chlorzink, ZnCl2, der Zinkvitriol, ZnSO4 + 7 [S. 106]H2O, charakterisiert durch seine farblosen, nadelförmigen, ekelhaft schmeckenden Kristalle, das essigsaure Zink, Zn(C2H3O2)2, das kohlensaure Zink, ZnCO3, sowie die pflanzensauren Zinksalze.
Aetiologie der Zinkvergiftung. Zinkvergiftungen sind bei unseren Haustieren sehr selten. Sie sind früher häufiger vorgekommen als jetzt, und zwar namentlich in der Umgebung von Zinkhütten durch das ablaufende, zinkhaltige sog. Galmeiwasser, sowie in Hüttenrauchbezirken zusammen mit Blei- und Arsenikvergiftungen. Alle auf zinkreichen Böden wachsenden Pflanzen nehmen Zink auf (Altenberg bei Aachen). Auch Verwechslungen zwischen dem Zinkvitriol und dem ebenfalls nadelförmig kristallisierenden Bittersalz können zu Zinkvergiftungen führen. Vergiftungen durch zinkhaltige Nahrungsmittel sind bisher nur in einem Fall beobachtet worden, in welchem 4 Kühe durch den zinkhaltigen Teig vergiftet wurden, welcher an dem Zinklaufrand von Mühlsteinen klebte (Hahn). Es ist ferner von Konservenbüchsen festgestellt, dass sie mitunter Zink an den Inhalt (Erbsen) abgeben.
Krankheitsbild der Zinkvergiftung. Das Zink wirkt wie das Kupfer lokal reizend und ätzend (Gastroenteritis), allgemein lähmend auf die quergestreifte Körpermuskulatur und auf das Herz. Die Erscheinungen der Zinkvergiftung bestehen daher in Erbrechen, Kolik, Durchfall, Schwäche- und Lähmungszuständen, Herzschwäche. Bei längerer Dauer treten ausserdem die Symptome der Anämie und Kachexie hinzu. Bei der Sektion findet man umschriebene gastroenteritische Herde und Geschwüre, sowie starke Schrumpfung und Anämie der Magendarmschleimhaut.
Behandlung. Als Gegengifte werden empfohlen Gerbsäure, Schwefel, gebrannte Magnesia, Natrium bicarbonicum, Zuckerwasser, Eiweiss, Milch, Schleim; symptomatisch Opium, Morphium und Exzitantien.
Nachweis. Die Trennung des Zinks von den organischen Substanzen erfolgt wie beim Kupfer durch Zerstörung der letzteren mittels Salzsäure und chlorsaurem Kali, wodurch das Zink in Chlorzink übergeführt wird. Das Ausfällen von weissem Schwefelzink durch Einleiten von Schwefelwasserstoff muss in essigsaurer Lösung geschehen (Zusatz von essigsaurem Natron). Das schnell abfiltrierte und mit Schwefelwasserstoff ausgewaschene[S. 107] Schwefelzink ist leicht löslich in Salpetersäure und warmer Schwefelsäure; die eingedampfte Lösung wird in Wasser aufgenommen und durch folgende Reaktionen weiter auf Zink untersucht: a) Kalilauge, Natronlauge und Salmiakgeist fällen weisses Zinkoxydhydrat. b) Kohlensaures Kali und Natron fällen weisses basisches Zinkkarbonat. c) Ferrozyankalium fällt weisses Ferrozyanzink. Quantitativ wird Zink als Schwefelzink bestimmt; 100 Teile ZnS enthalten 67 Teile Zink.
Kasuistik. 1. Rinder. An den Mühlsteinen wurde der Laufrand auf einer zolldicken Zinkmasse neu hergestellt. Die an diesem Zinklaufrande angeklebte Teigmasse abgekratzt und 4 Rindern im Getränke gegeben, hatte Vergiftungserscheinungen zur Folge. Die chemische Untersuchung der Teigmasse wies in derselben Zinkoxyd nach (Hahn, Preuss. Mitt. 1877). — Weidevieh, welches aus den Wassergruben getränkt wurde, in die Galmeiwasser floss, erkrankte unter den Erscheinungen einer heftigen Kolik, sowie an mehrere Tage andauernden Durchfällen. Ebendaselbst erkrankten Gänse und Enten; sie wurden taumelig, liessen die Köpfe hängen und verendeten rasch (Przybilka, Magazin Bd. 18).
2. Schweine. Mehrere Schweine krepierten, nachdem sie auf einer Wiese in der Nähe von Zinkhütten geweidet hatten. Sie zeigten 3 Wochen hindurch Abmagerung, Anämie, Mattigkeit, schwankenden Gang, Durchfall, Appetitlosigkeit, Stöhnen und starben nach 6 Wochen. Bei der Sektion fand man den Darmkanal zusammengeschrumpft und die Magenschleimhaut ganz weiss gefärbt (Weynen, Veterinärbericht 1839).
3. Hunde. Nach der Anwendung von Zinkoxyd gegen Ekzem erkrankte ein Hund an Kolikerscheinungen, Schwellungen am Kopf und Sinken der Innentemperatur; ausserdem zeigten eine Taube und eine Ente nach der Aufnahme von Zinkoxyd starkes Erbrechen (Boucher, Journ. de Lyon 1893). Sonst liegen nur experimentelle Untersuchungen vor. Ein Hund zeigte auf 30 g Zinkvitriol Erbrechen und Mattigkeit, genas aber wieder; bei unterbundenem Schlunde erfolgte jedoch bei dieser Dosis der Tod nach 3 Tagen. Subkutan töteten 4–6 g Zinkvitriol Hunde innerhalb 5–6 Tagen nach vorausgegangener Lähmung und Erbrechen (Orfila). Intravenös hatten 0,2–0,4 g Zinkvitriol Erbrechen und Lähmung zur Folge. 9–18 g Zinkoxyd erzeugten Erbrechen und Gastritis. Ein Hund, welcher in 4 Monaten 72 g Zinkoxyd mit der Nahrung erhielt, zeigte Erbrechen, grosse Schwäche, Zittern, vom 3. Monate ab Krämpfe und Stumpfsinn. Bei der Sektion zeigte sich Gastroenteritis (Michaelis). — Beim Menschen beobachtet man nach sehr langer Aufnahme kleinster Zinkmengen (zuweilen erst nach 10 Jahren bei Zinkarbeitern) Erscheinungen einer chronischen Rückenmarksaffektion sowohl an den Vorder- als an den Hintersträngen, welche sich in Hauthyperästhesie und späterer Anästhesie, gesteigerter Reflexerregbarkeit, krampfhaften Muskelzuckungen, Ataxie und schliesslicher lähmungsartiger Schwäche äussern.
Chemie. Der Brechweinstein ist ein Antimonsalz, nämlich eine Verbindung von Antimonoxyd und Weinstein von der Formel: C4H4O4(OK)(O.SbO). Seine Giftwirkung ist eine Antimonwirkung. Er bildet ein weisses, kristallinisches, etwas verwitterndes Pulver, welches in 17 Teilen kaltem, sowie in 3 Teilen heissem Wasser löslich ist und beim Erhitzen verkohlt. Mit Kalkwasser gibt er einen weissen (weinsaurer Kalk), mit Schwefelwasserstoff einen orangeroten Niederschlag von Schwefelantimon (Sb2S5). Ausserdem werden seine Lösungen durch Gerbsäure gefällt.
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Aetiologie der Brechweinsteinvergiftung. Der Brechweinstein, welcher als Antimonverbindung zu den giftigsten Metallsalzen gehört, kann ausser einer zu hohen Dosierung auch durch die Form seiner Anwendung eine Vergiftung herbeiführen, wenn er nämlich in ungelöstem Zustand verabreicht wird und dadurch ätzend wirkt in Dosen, die an und für sich nicht giftig wirken. Ausserdem wird die Giftigkeit des Brechweinsteins erheblich gesteigert durch die gleichzeitige Verabreichung von Aloe (vergl. S. 111). Am empfindlichsten gegen den Brechweinstein sind Pferde. Sie sterben durchschnittlich nach Einzelgaben von 15–30 g, namentlich dann, wenn der Brechweinstein in nüchternem Zustand verabreicht wird (die therapeutische Einzeldosis beträgt für Pferde 2–10 g, die therapeutische Tagesdosis 10–15 g). Viel weniger empfindlich sind Rinder, welche selbst Gaben von 50 g ohne jede sichtbare Reaktion ertragen; dasselbe gilt für Schafe, welche erst auf zirka 25 g Brechweinstein sterben. Schweine und Hunde sind ebenfalls weniger empfindlich, weil sie sich erbrechen können. Hunde blieben z. B. nach 4 g Brechweinstein am Leben, wenn sie sich erbrachen, während sie bei unterbundenem Schlund schon nach ¼ oder ½ g starben.
In einzelnen Fällen hat man beobachtet, dass bei Kühen, welchen Brechweinstein eingegeben wurde, die Milch giftige Eigenschaften zeigte. So erkrankten Ziegenlämmer und Hunde an heftigem Durchfall, als sie die Milch einer mit grösseren Mengen Brechweinstein behandelten Kuh gefüttert erhielten (Harms).
Krankheitsbild. Der Brechweinstein wirkt ätzend auf die Schleimhaut des Digestionsapparates und erzeugt daher zunächst das Krankheitsbild einer korrosiven Gastroenteritis. Nach seiner Resorption äussert sich die Antimonwirkung ähnlich wie die Arsenikwirkung vorwiegend in einer Lähmung des Herzmuskels, sowie in gesteigerter Sekretion aller Körperdrüsen mit nachfolgender Verfettung derselben. Der Tod erfolgt unter den Erscheinungen einer allgemeinen Lähmung. Demnach sind die Einzelerscheinungen folgende. Hat der Brechweinstein in Substanz (in ungelöstem Zustand, z. B. in Latwergen) oder in konzentrierten Lösungen auf die Maulschleimhaut eingewirkt, so erzeugt er zunächst eine ulzeröse Stomatitis mit Geschwürsbildung und starkem Speicheln. Die spezifische Wirkung auf den Magen besteht bei Schweinen, Hunden, Katzen und beim Geflügel in Erbrechen.[S. 109] Letzteres wurde vereinzelt auch bei Pferden beobachtet. Die Darmwirkung äussert sich in Durchfall und Kolikerscheinungen. Nach der Resorption des Brechweinsteins treten die Erscheinungen der Herzlähmung in den Vordergrund des Krankheitsbildes. Die Herztätigkeit ist anfangs beschleunigt, später verlangsamt, der Puls sehr schwach, unregelmässig und aussetzend. Die Atmung ist infolge der Herzschwäche und der dadurch bedingten Stauung des Blutes in der Lunge erschwert; bei längerer Dauer der Vergiftung kann sich selbst eine hypostatische Lungenentzündung ausbilden. Dazu kommen Schwindelanfälle, Zittern und Krämpfe. Der Tod erfolgt entweder langsam unter zunehmender Mattigkeit oder plötzlich infolge von Herzlähmung.
Bei der Sektion findet man hämorrhagische Entzündung und Diphtherie der Digestionsschleimhaut, namentlich im Magen und im Dünndarm, Lungenhyperämie, hämorrhagische Infarkte und selbst Entzündung der Lunge, Verfettung des Herzmuskels und der Körperdrüsen.
Behandlung. Das wichtigste Gegenmittel gegen Brechweinstein ist die Gerbsäure (Bildung von unlöslichem Antimontannat). Man gibt sie entweder in Form des reinen Tannins oder gerbstoffhaltiger Abkochungen (Eichenrinde, Weidenrinde, Chinarinde, Kaffee, Salbeiblätter, Tormentillwurzel). Ausserdem verabreicht man einhüllende Mittel: Eiweiss, Schleim, Oel. Von sonstigen chemischen Antidoten, welche den Brechweinstein zersetzen, sind zu nennen: kohlensaures Natron, verdünnte Säuren, Schwefel, Schwefelleber. Die Kolikanfälle behandelt man symptomatisch mit Opium oder Morphium, die Herzschwäche mit Koffein, Atropin, Hyoszin, Aether, Kampfer oder Alkohol.
Nachweis. Die Trennung des Antimons von seinen organischen Verbindungen wird in derselben Weise durch Zerstörung der organischen Substanzen mittels Chlor ausgeführt, wie beim Arsenik. Schwefelwasserstoff fällt dann aus der (schwach) salzsauren Lösung orangegelbes Schwefelantimon, welches sich in Salzsäure beim Erwärmen leicht löst, während es in Aetzammoniak und Lösungen von saurem schwefligsaurem Natron fast unlöslich ist (in Schwefelalkali und Schwefelammonium ist es wie Schwefelarsen löslich). Im Marshschen Apparat verwandelt es sich in Antimonwasserstoff, welcher einen Antimonspiegel beim Erhitzen liefert. Dieser Antimonspiegel löst sich im[S. 110] Gegensatz zum Arsenspiegel nicht in unterchlorigsaurem Natron, entwickelt auch beim Verdampfen keinen Knoblauchgeruch.
Kasuistik. 1. Pferde. Nach einer einmaligen Dosis von 15 g Brechweinstein zeigte ein Pferd Zittern, schwachen, beschleunigten Puls (60–70 schwache Pulsschläge), angestrengtes Atmen, Schwanken, Appetitlosigkeit, Husten. Am 4. Tage stellten sich wassersüchtige Anschwellungen am Bauch und Schlauch ein, worauf das Pferd verendete (Weber, Berl. tierärztl. Wochenschr. 1890). — Korff (Zeitschr. f. Vetkde. 1892 S. 500) beobachtete bei einem Pferde nach einer Dosis von 15,0 Brechweinstein deutliche Vergiftungserscheinungen, welche im wesentlichen in Erbrechen und Durchfall bestanden. Nach der Verabreichung von 15 g Tannin als Gegengift genas das Tier. — Röbert (Sächs. Jahresber. 1893) berichtet über einen Fall von tödlicher Vergiftung beim Pferd nach der Verabreichung von 40 g Brechweinstein. Die Erscheinungen bestanden in Speicheln, Anätzungen im Maule, heftigem Durchfall, Herzklopfen, schwachem, drahtförmigem Pulse. Der Tod trat nach 3 Tagen ein. Die Sektion ergab Anätzungen im Maule und Schlundkopfe, Rötung und Schwellung der Magenschleimhaut, sehr viele Geschwüre im Dünn- und Dickdarm, sowie akute septische Perforativ-Peritonitis. — Kramer (D. T. W. 1895) behandelte eine Vergiftung bei einem Pferde, das innerhalb 2 Tagen 24 g Brechweinstein erhalten hatte und hochgradige Schwäche zeigte; die Heilung erfolgte erst nach 5wöchentlicher Behandlung. — Ein Pferd erhielt irrtümlich 30 g Brechweinstein auf einmal eingeschüttet. Es wurde sehr aufgeregt, speichelte, schnaubte heftig unter Auswurf von Schleimflocken; nach einigen Stunden starb es unter Schweissausbruch und starkem Durchfall (Maury, Journal du Midi 1862). — Nach den Versuchen von Hertwig zeigen gesunde Pferde nach 4–8 g nur etwas vermehrtes Urinieren; nach wiederholten Dosen entsteht Verminderung der Pulszahl, pochender Herzschlag, Mattigkeit, Diarrhöe, Polyurie; bei fortgesetzter Anwendung sehr grosse Schwäche. 15 g in Pillenform haben vermehrte Absonderung der Schleimhäute, gesteigerte Pulsfrequenz, vermehrte Peristaltik, reichliche Kotentleerung, sowie leichte Kolik zur Folge. Dieselbe Dosis (15 g) in Wasser gelöst und auf einmal gegeben erzeugt Kolik, Zittern, Pulsbeschleunigung, Nachlass dieser Erscheinungen nach einigen Stunden, stärkeres Wiederauftreten derselben an den folgenden Tagen und meist Tod am 6.-8. Tage. 30 g in einer Pille oder Latwerge bedingt eine sehr heftige, aber nicht tödliche Wirkung; 30 g in flüssiger Form bewirkt heftige Kolik mit Krämpfen und Schweissausbruch, sowie nach 8 Stunden den Tod. Auf 60 g in flüssiger Form tritt der Tod nach 2½ Stunden, auf 90 g in Latwergenform nach 4 Tagen ein (Kolik, Stomatitis ulcerosa, Lähmung der Nachhand). Intravenös entsteht auf 0,6–4,0 als schwächste Wirkung vermehrte Peristaltik, Kotentleerung, gesteigerte Diurese, erhöhte Atmungs- und Pulsfrequenz, jedoch keine Appetitstörung. Bei höhergradiger Wirkung beobachtet man fast unfühlbaren Puls, Steigen der Pulsfrequenz über 120 pro Minute, röchelndes, krampfhaftes Atmen, dünnflüssigen Kot, Schweissausbruch, Tränenfluss, Speicheln, Lecken, Recken, Rülpsen, Kolik, Zittern, sowie Muskelkrämpfe an der Schulter, am Halse, an den Schenkeln. 8 g intravenös haben sehr heftige Krämpfe, Schwindel, Lähmung, sowie Tod nach 1½-3 Stunden zur Folge; eine Wirkung auf den Darm fehlt hierbei. — Dieckerhoff und Wagner (B. T. W. 1893 Nr. 39) fanden bei ihren Versuchen über die Dosierung und Wirkung des Brechweinsteins bei Pferden, dass derselbe in der herkömmlichen Dosis und Form unschädlich ist, dass es sich aber empfiehlt, die Dosis von 15 g nicht zu überschreiten und an demselben Tag auch nicht zu wiederholen. Für kleine Ponys sind 15 g schon tödlich; ein leichtes Arbeitspferd starb nach 20 g Brechweinstein an hämorrhagischer Gastroenteritis. — Nach Günther (D. T. W. 1906 S. 543) zeigten 4 schwere Pferde, welche nüchtern je 12 g Brechweinstein erhalten hatten, 3 Stunden nachher Unruhe, starkes Aufblähen, Atemnot, Schweissausbruch, Zittern und Schwanken; nach 6 Tagen erfolgte Heilung. — Zwei 1 Jahr alte Ardennerfohlen erhielten gegen Spulwürmer je 8 g Brechweinstein in Wasser gelöst verschrieben. Der[S. 111] Besitzer verteilte das Mittel jedoch ungleich, so dass eines der Fohlen 12 g erhielt. 24 Stunden darauf erkrankte dieses Füllen unter Schweissausbruch, Zittern, Herzschwäche, Dyspnoe, Schwanken, Krämpfen und Absinken der Innentemperatur auf 35,8°; noch an demselben Tage starb es. Die Sektion ergab zahlreiche kleine, oberflächliche Geschwüre auf der Zunge, im Dünndarm und Grimmdarm (Lüer, D. T. W. 1908 S. 377). — Die von Möller-Alpirsbach (ibid. S. 417) nach einer Tagesdosis von 8–12 g Brechweinstein bei 12 Pferden beobachteten eigenartigen Erscheinungen von Hufrehe und Herzschwäche sind wohl auf den Umstand zurückzuführen, dass überflüssigerweise 1–2 Stunden nachher noch eine Aloepille verabreicht wurde. Dass durch einen Zusatz von Aloe die Giftwirkung von Abführmitteln erheblich gesteigert wird, hat die Erfahrung beim Kalomel gelehrt, das bei Zugabe einer Aloepille Pferde schon in einer Dosis von 3 g zu töten vermag (vergl. das Kapitel der Aloevergiftung). Dass andererseits der Brechweinstein für sich allein in den genannten Dosen ungiftig ist, beweisen die zahlreichen und übereinstimmenden Beobachtungen anderer. Reissinger (Woch. f. Tierheilk. 1908) hat in den letzten 10 Jahren den Brechweinstein ungefähr 600mal in täglichen Dosen von 15–20 g gegeben, jedoch in keinem einzigen Falle danach Vergiftungserscheinungen beobachtet; eine Aloepille nach 1–2 Stunden nachzuschicken, hält er gleichfalls für überflüssig. Simon (ibid.) hat seit 8 Jahren alljährlich 70–80mal den Brechweinstein in Dosen von 15–20 g ohne jeden Nachteil gegeben, desgleichen Prof. Albrecht (ibid.), der den Brechweinstein seit vielen Jahren schweren Pferden in Dosen von 20 g, mittleren zu 15 g, Jährlingen zu 10–12 g und halbjährigen Fohlen zu 6–8 g verabreicht. Auch Dorn (ibid.) verwendet seit Jahren den Brechweinstein in Dosen von 20 g für erwachsene Pferde und hat in Hunderten von Fällen nie eine Vergiftung beobachtet. Merkt (T. Rundschau 1908) gibt den Brechweinstein seit 20 Jahren in einer Tagesdosis von 25 g auf 3mal und hat noch niemals die geringsten Vergiftungserscheinungen danach beobachtet. Storch (Berl. tierärztl. Woch. 1909) hat beim Pferd mindestens 100mal Brechweinstein in Dosen von 8–12 g ohne Spuren von Giftwirkung oder Rehe verabreicht; nur ein einziges Pferd zeigte danach vorübergehende Kolikerscheinungen.
2. Rinder. Eine Kuh erhielt aus Versehen 51 g Brechweinstein auf einmal mit einer Flasche Wasser eingeschüttet, ohne dass irgendwelche Vergiftungserscheinungen auftraten. Einer anderen Kuh wurden 46 g ebenfalls ohne Nachteil verabreicht. Dagegen erkrankten 3 Ziegenlämmer und 2 kleine Hunde, welche die Milch der letzteren Kuh gefüttert erhalten hatten, an heftiger Diarrhöe (Harms, 4. Hannov. Jahresber.). — Versuchskühe zeigten auf 8–30 g Brechweinstein nichts besonderes, nur vermehrtes Urinieren (Hertwig, Viborg). Selbst 128 g innerhalb 4 Tagen verabreicht blieben bei einer Kuh ohne deutliche Wirkung. 40 g einer Kuh auf einmal in Auflösung gegeben, hatten nach Gilbert keine sichtbare Wirkung. Nach diesen Angaben ist es fraglich, ob die Beobachtung von Rüffert (Preuss. Mitt. III) richtig ist, welcher bei einem Stiere nach 30 g Brechweinstein, in Leinsamenschleim gegeben, Kolik und plötzlichen Tod gesehen haben will. Zum Zwecke der Nachprüfung habe ich einer alten, schwächlichen, kleinen Versuchskuh 30 g Brechweinstein in Leinsamenschleim verabreicht; diese Dosis ist bei derselben ohne jede sichtbare Wirkung geblieben und hatte nicht einmal eine Verdauungsstörung zur Folge.
3. Schafe zeigten nach 12 g in gelöster Form und nach 16 g in einer Mehlpille verabreicht keinerlei Wirkung (Viborg, Gilbert). Dagegen töteten 24 g ein Schaf. Intravenös hatten 0,3–0,36 g grosse Mattigkeit, kleinen frequenten Puls, angestrengtes Atmen und wiederholten Mistabsatz zur Folge. — Baum (Monatsh. f. prakt. Tierhlkde. 1892) stellte experimentell fest, dass bei Schafen nach 5 g, bei Ziegen nach 4 g Brechweinstein Vergiftungserscheinungen auftreten. Die Milch der betr. Tiere erwies sich indessen auch bei sehr hohen Dosen als unschädlich.
4. Schweine erbrechen sich erst von 0,6 g ab; zuweilen tritt aber Erbrechen selbst nach grösseren Dosen (1,2–2,0) nicht ein. 4 g hatten bei einem ¾jährigen Eber nach 15 Minuten Erbrechen zur Folge, das über eine Stunde dauerte, ausserdem Kolikerscheinungen, Appetitlosigkeit und Mattigkeit; am 3. Tage war das Tier wieder gesund. 8 g Brechweinstein in einem halben Liter[S. 112] Wasser gelöst, bewirkten bei einem 9 Monate alten Eber nach 1½ Stunden 5maliges Erbrechen, Appetitlosigkeit, Betäubung, starken Durst, nach Aufnahme des Wassers wiederholtes Erbrechen, sowie am folgenden Tage nach anscheinender Besserung Krämpfe und den Tod. — Ein Mutterschwein, das gegen Ferkelfressen einen Kaffeelöffel Brechweinstein erhalten hatte, zeigte Erbrechen, Durchfall, Speichelfluss und Krämpfe; Tannin beseitigte sofort die Vergiftungserscheinungen (Gebhard, Woch. f. Tierhlkde. 1905).
5. Hunde ertragen bis zu 4 g Brechweinstein, wenn sie sich erbrechen können. Bei unterbundenem Schlunde sterben sie jedoch (ebenso wie Katzen) nach 0,25–0,5 g innerhalb 2–3 Stunden. Von Wunden aus tötet der Brechweinstein Hunde und Katzen zu 0,1–0,3 in wenigen Stunden. Intravenös haben 0,06–0,12 nach ½ Stunde Erbrechen, 0,24 wiederholtes Erbrechen, Mattigkeit, beschwerliches Atmen, unregelmässigen, schnellen Puls, Zittern, Krämpfe und nach 16–24 Stunden den Tod zur Folge.
6. Hühner und andere Vögel erbrechen sich leicht nach 0,06–0,2 g.
Alaunvergiftung. Dieselbe ist in einigen Fällen bei Rindern beobachtet worden, welche aus Versehen statt Glaubersalz Alaun erhielten. Ein Rind erhielt 125 g rohen Alaun, worauf es Verstopfung und Kolikerscheinungen zeigte; nach 4 Tagen war Genesung eingetreten. Eine Kuh erhielt vom Besitzer statt des verordneten Glaubersalz ½ Kilo Alaun; sie erkrankte sofort schwer und musste notgeschlachtet werden (Siebert, Berl. Arch. 1900). Dagegen erkrankte ein anderes Rind, das ebenfalls aus Versehen statt Glaubersalz innerhalb 6 Stunden 750 g Alaun zusammen mit Leinöl und Leinsamenschleim erhielt, nur leicht unter Verdauungsstörungen und Speicheln und genas (Noack, Preuss. Vet.-Ber. 1904). Hunde starben, wenn sie am Erbrechen gehindert wurden, nach 35–50 g, Katzen nach 5–10 g Alaun (Orfila). Die Wirkung des Alauns ist eine lokal ätzende (Bildung von Aluminiumalbuminat). Die Allgemeinwirkung des Aluminiums äussert sich in Lähmung und Somnolenz. Das Aluminiummetall ist ungiftig.
Eisenvergiftung. Von den Eisenpräparaten wirken in grösseren Dosen giftig der Eisenvitriol und der Liquor Ferri sesquichlorati. Dieselben sind reizende und ätzende Gifte für die Magendarmschleimhaut (korrosive Gastroenteritis) und Uterusschleimhaut (diphtheritische Endometritis), sowie für die Leber und Nieren (Hepatitis und Nephritis). Es sind hierüber teils klinische, teils experimentelle Beobachtungen vorhanden. Danach sterben Pferde nach der innerlichen Verabreichung von ca. 250 g Eisenvitriol. So beobachtete Gohier bei einem Pferd[S. 113] nach 285 g, bei einem Esel nach 180 g und bei einem ¼jährigen Fohlen nach 90 g Eisenvitriol heftige Darmentzündung mit tödlichem Ausgange innerhalb 24 Stunden. Viborg sah bei einem älteren Pferd auf 180 g Erbrechen, Kolik, grosse Schwäche, Verstopfung, häufiges Urinieren, nach 6 Tagen hatte sich das Tier wieder erholt. Eine Stute zeigte nach dem Ausspülen des Uterus mit Eisenchloridlösung heftige Kolik, Krämpfe, Dyspnoe, hohes Fieber, starkes Drängen und starb nach 48 Stunden; die Sektion ergab diphtherische Endometritis, sowie hämorrhagische Pleuritis (Binder, Tierärztl. Zentralbl. 1894). Drei unter milzbrandverdächtigen Erscheinungen (blutige Darmentzündung) gestorbene Schafe hatten mit dem Futter zufällig Eisenvitriol aufgenommen (Keller, Preuss. Vet.-Ber. pro 1907). Bei Hunden entsteht schon von 2 g Eisenvitriol ab Erbrechen und Magendarmentzündung, nach 8 g der Tod. Beim Geflügel hat man gelegentlich der Desinfektion der Stallungen mit Eisenvitriol Erkrankungen infolge Aufnahme desselben beobachtet. Ausserdem sind Gänse nach der Aufnahme des Abwassers einer mit Eisenvitriol arbeitenden Imprägnieranstalt für Telegraphenstangen gestorben (korrosive Entzündung der Schleimhaut des Vormagens).
Bei subkutaner Applikation starben 3 Hunde auf 7,5 g Eisenvitriol nach 12, 15 und 27 Stunden. Die Sektion ergab Magendarmentzündung und ausgebreitete Hämorrhagien. Intravenös entsteht beim Pferd nach 5 g Unruhe, unterdrückte Fresslust und Verstopfung; beim Hunde nach ½ g Erbrechen und Kolik.
Silbervergiftung. Dieselbe bezieht sich meistens auf den Höllenstein und ist ausschliesslich experimenteller Natur, soweit sie die Haustiere betrifft. Man unterscheidet eine akute und chronische Silbervergiftung. 1. Die akute Silbervergiftung (Höllensteinvergiftung) verläuft unter dem Bild einer Gastroenteritis. Die tödliche Dosis ist sehr variabel je nach dem Füllungszustand des Magens und der Form, in welcher der Höllenstein gegeben wird (Stücke, Pulver, Lösung). Einige Hunde starben schon nach 0,75 bis 1,25 g Höllenstein, während andere vier Tage hintereinander je 4,0 g ertrugen. Menschen starben nach 10–30 g, Kaninchen auf 4,0 g, Schafe ertragen 4 g. — Das Verschlucken silberner Münzen erzeugt, wie klinische Erfahrungen lehren, keine Silbervergiftung. 2. Die chronische Silbervergiftung (Argyriasis) wird nach fortgesetzter Fütterung von Versuchstieren mit Silberpräparaten beobachtet. Dieselbe äussert sich in Abnahme des Körpergewichts,[S. 114] Atrophie des Fettgewebes, chlorotischer Blutbeschaffenheit, degenerativen Prozessen in den Muskeln und Körperdrüsen (Leber, Nieren), Albuminurie, Katarrhen des Digestions- und Respirationsapparates mit profuser Sekretion der Schleimhäute und sog. Silbersaum des Zahnfleisches (Ag2S), endlich in einer Rückenmarksaffektion mit Muskel- und Gefühlslähmung, welche im Hinterteil beginnt und anatomisch in Vakuolenbildung der Ganglienzellen, Exsudation und Atrophie besteht. Beim Menschen beobachtet man auch Gehirndepressionserscheinungen nach längerer Höllensteinanwendung.
Die beim Menschen nach der längeren medikamentellen innerlichen Verabreichung von Silberpräparaten eintretende Graufärbung der Haut (Argyrosis) ist keine Vergiftungserscheinung. Sie entsteht infolge Ablagerung feinster Körnchen von reduziertem metallischem Silber in die oberste Schichte des Koriums, ins Bindegewebe und in die Schweissdrüsenknäuel. Diese Schwarzfärbung der Haut findet man nur beim Menschen nach Verabreichung von ca. 30 g Höllenstein, nicht bei Versuchstieren (Hunden, Ratten). Dagegen beobachtet man bei Menschen und Tieren eine Silberablagerung in inneren Organen, namentlich in den Mesenterialdrüsen, in den Adergeflechten, in den Gelenkzotten, auf den serösen Häuten, in der Glissonschen Scheide der Leber und in den Glomeruli der Niere; Gehirn und Rückenmark dagegen bleiben ganz frei.
Chromvergiftung. Besonders giftige Chromverbindungen sind die Chromsäure CrO3, das Kaliumchromat K2CrO4 und das Kaliumdichromat oder doppeltchromsaure Kali K2Cr2O7 (starke Oxydationsmittel). Die akute Chromvergiftung äussert sich in korrosiver Gastroenteritis, parenchymatöser und hämorrhagischer Nephritis, Albuminurie, Hämaturie, Gelbfärbung der Sklera, Schwindel, Dyspnoe, Konvulsionen und Koma. Pferde sterben nach der Aufnahme von 15–30 g Kaliumdichromat. Infolge Verwechslung mit Natrium bicarbonicum starb z. B. ein Pferd nach 30 g Kali dichromicum an hämorrhagischer Gastroenteritis (Desoubry und Simmonet, Rec. 1906). Subkutan können bei jungen Hunden schon 0,1–0,2 tödlich werden. Nach Kossa erzeugen die Chromate ausserdem bei allen Warmblütern, namentlich beim Hund, Glykosurie. Weniger giftig wirken Chromalaun, Chromgrün und Chromgelb (Bleichromat). Bei der chronischen Chromvergiftung (Menschen in Chromfabriken) beobachtet man interstitielle Nephritis, sowie Haut- und Schleimhautgeschwüre (Rhinonekrosis chromica).
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Wismutvergiftung. Das therapeutisch als Magenmittel und in der Chirurgie angewandte Bismutum subnitricum kann in grossen Dosen ein der Quecksilbervergiftung ähnliches Krankheitsbild erzeugen (Bismutosis). Nach älteren Versuchen zeigten Hunde und Katzen nach 3–5 g Bismutum subnitricum schwere Vergiftung und starben nach 15 g sehr rasch (Orfila). Diese Wirkungen sind nach neueren Beobachtungen nicht auf das Wismut, sondern auf die früher regelmässigen Verunreinigungen des Wismutsalzes mit Arsen, Antimon, Tellur (sog. Wismutatem) und Blei zu beziehen. Absolut reines Bismutum subnitricum soll vom Menschen in täglichen Dosen bis zu 20 g ertragen werden (Trousseau). Dagegen wirken lösliche Wismutsalze stark giftig, nach subkutaner Anwendung derselben erfolgt bei Säugetieren der Tod schon nach 1–2 Tagen unter Krämpfen. Bei der Sektion findet man den Dickdarm und sein Gekröse intensiv schwarz gefärbt (Schwefel-Wismut); auf der Dickdarmschleimhaut sieht man nekrotische Herde. Es wird angenommen, dass der Schwefelwasserstoff des Dickdarms das in den Darmkapillaren gelöst zirkulierende Wismutsalz als unlösliches Schwefelwismut ausfällt und so eine Verstopfung der Kapillaren mit konsekutiver Nekrose der Schleimhaut bedingt, ähnlich wie beim Merkurialismus (H. Meyer). Auch sonst sind die Erscheinungen der Bismutosis denen des Merkurialismus ziemlich ähnlich. Man beobachtet nämlich ebenfalls Stomatitis ulcerosa, Schwarzfärbung des Zahnfleisches, Darmkatarrh und Nephritis. Bei Versuchstieren wurden ausserdem Krämpfe beobachtet. Beim Einbringen in die Brust- und Bauchhöhle entstand Pleuritis bezw. Peritonitis.
Borvergiftung. Sowohl die Borsäure, als der Borax und andere Borpräparate sind für Tiere und Menschen giftig. Ein Hund starb nach 30 g Borax an Darmentzündung; Kaninchen sterben nach 2–4 g Borsäure unter Erscheinungen der Gastroenteritis, Muskel- und Nervenlähmung. Nach Versuchen von Annett (Lancet 1900) starben 5 junge Ziegen nach 4wöchentlicher Verabreichung von Milch, welche pro Liter 2 g Borsäure enthielt, unter den Erscheinungen von Durchfall, Abmagerung und Mattigkeit. Nach Puppe (Aerztl. Sachverst.-Zeitg. 1907) zeigten 4 Hunde, welche mit borsäurehaltigem Fleisch (1½ Proz.) gefüttert wurden, starke Abmagerung und Darmblutungen und gingen zugrunde (Stoffwechselgift). Auch beim Menschen wirkt die Borsäure schon in geringen Mengen giftig (Kobert, Schlenker, Forster, Rost, Kister, Mattern, Rubner, Rosenthal, Binswanger u. a.). Versuche im amerikanischen Ackerbauministerium an 12 jungen Männern (1905) ergaben, dass schon die tägliche Verabreichung von 0,5 Borsäure bei längerer Verabreichung Verdauungsstörungen erzeugt und das Allgemeinbefinden ungünstig beeinflusst. Die Schädlichkeit der Borpräparate als Konservierungsmittel ist im Gegensatz zu der Behauptung von Liebreich schon in kleinen Dosen als erwiesen zu erachten. Es kommt hinzu, dass die im Handel gebräuchlichen Fleischkonservierungsflüssigkeiten nicht etwa schwache, sondern ziemlich konzentrierte, 3–4prozentige Borsäurelösungen bilden (Fasslebern), welche für den Menschen zweifellos gesundheitsschädlich sind; ein Kilogramm derartig konservierter Fasslebern enthält 30–40 g Borsäure(!). Besonders gefährlich ist die Borsäure sodann für jugendliche Organismen (Borsäurezusatz zur Kindermilch). In Deutschland sind daher die Borpräparate als Zusatz zu Nahrungsmitteln verboten (Bundesratsbeschluss vom 18. 2. 02). Auch die Preuss. Med.-Deputation hat sich in diesem Sinne geäussert (1907).
[S. 116]
Zinnvergiftung. Ob Zinnvergiftungen durch zinnhaltige Nahrungsmittel, Konserven etc. zustande kommen können, wird teils bejaht (Kobert), teils verneint (Lehmann). Experimentell ist jedoch festgestellt, dass Zinnchlorür Hunde in Dosen von 5 g unter den Erscheinungen der korrosiven Gastroenteritis tötet, und dass sich durch fortgesetzte Darreichung von Zinnpräparaten bei Hunden und Katzen eine typische chronische Zinnvergiftung erzeugen lässt, deren Haupterscheinungen in Ataxie und Motilitätsstörungen bestehen (Ungar und Bodländer).
Manganvergiftung. Die löslichen Mangansalze, namentlich das übermangansaure Kali und das schwefelsaure (früher offizinelle) Manganoxydul wirken in grösseren Gaben giftig, indem sie Erbrechen, Lähmung der Motilität und Sensibilität, Ikterus, Leber- und Nierenentzündung zur Folge haben (ähnlich wie bei Chromvergiftung). Carozzo (Clin. vet. 1900) sah bei 2 Pferden nach der innerlichen Verabreichung von 10 g Kalium permanganicum in 1 l Wasser Muskelzittern, starken Schweissausbruch, Speichelfluss, anämische Schleimhäute, häufigen Kotabsatz, sowie hohe Puls- und Atemfrequenz; ein Pferd zeigte ausserdem Manegebewegungen und Blutharnen und starb nach 5 Tagen unter tiefem Koma.
Uranvergiftung. Das Uran ist eines der giftigsten Metalle. Die Uransalze wirken zunächst stark ätzend (Uranalbuminat); 1 mg Uranoxyd ist ferner bei subkutaner Applikation pro Kilogramm Körpergewicht tödlich für Hunde und Katzen. Die Allgemeinerscheinungen bestehen in Glykosurie, parenchymatöser Degeneration der wichtigsten Körperorgane, Nephritis, Abmagerung und Inanition. Die Stoffwechselstörung ist eine Folge der Aufhebung der inneren Gewebsatmung wie bei Blausäure (Woroschilsky).
Osmiumsäurevergiftung. Die Osmiumsäure und ihre Salze wirken stark reizend und ätzend auf Haut und Schleimhäute; selbst durch die Dämpfe der Osmiumsäure können Schleimhautentzündungen entstehen. Nach der Resorption erzeugen die Osmiumverbindungen Nephritis, Gastroenteritis und Pneumonie (Vorsicht beim Mikroskopieren).
Vergiftungserscheinungen bedingen endlich die löslichen Salze des Nickels, Kobalts, Platins, Golds, Kadmiums, Berylliums, Wolframs, Molybdäns, Zeriums, Thalliums, Vanadiums und Siliziums. Näheres über diese Metallvergiftungen vergl. bei Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen.
Allgemeines. Das Kochsalz, ClNa, welches aus dem Steinsalz (99% Chlornatrium) gewonnen und mit rotem Ton, Kohle, Russ, Wermut etc. vermischt als sog. Viehsalz (denaturiertes Kochsalz) verfüttert wird, kann als ein Gift im eigentlichen Sinne des Wortes nicht aufgefasst werden, weil es immer nur in grossen Gewichtsmengen Krankheitserscheinungen verursacht. Die freiwillige Aufnahme grösserer, gesundheitsschädlicher Mengen von Kochsalz beobachtet man namentlich bei Pflanzenfressern, und zwar insbesondere bei den Wiederkäuern, welche wegen der Salzarmut des Futters eine grosse Begierde nach Kochsalz haben. Auch Schweine und Hunde erkranken häufig nach dem Genusse salzhaltiger Küchenabfälle,[S. 117] von Kesselbrühe (Wurstmacher), Schinkenbrühe, sowie von Salz- und Pökellake. Nicht selten ereignen sich ferner Vergiftungen durch das unvorsichtige Verabreichen grösserer Kochsalzgaben als Heilmittel oder Diätetikum. Allerdings müssen hierbei sehr grosse Mengen gegeben werden, ehe Krankheitszustände auftreten. Die tödliche Kochsalzdosis beträgt nämlich für Rinder 1½-3 kg, für Pferde 1–1½ kg. für Schafe und Schweine 125–250 g, für Hunde 30–60 g (3,7 g pro Kilo Körpergewicht). Ueber die Vergiftung mit Heringslake vergl. das Kapitel Fleischvergiftung.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Kochsalz wirkt in grösseren Mengen oder in konzentrierten Lösungen (Salzlake) zunächst reizend und entzündungserregend auf die Schleimhaut des Digestionsapparates. Nach seiner Resorption ins Blut wirkt es in diesen grossen Dosen als lähmendes Nervengift (Natriumwirkung). Wegen dieser Doppelwirkung kann es auch als ein Akre-Narkotikum bezeichnet werden. Die ersten Krankheitserscheinungen bestehen in starkem Durst, unterdrückter Futteraufnahme, Würgen und Erbrechen, höherer Rötung und Trockenheit der Maulschleimhaut, Kolikerscheinungen, Durchfall, Polyurie. Die nervösen Symptome äussern sich in allgemeiner Körperschwäche, Taumeln, rauschartigem Zustand, Zusammenstürzen, Unfähigkeit sich zu erheben, Lähmung des Hinterteils, Amaurosis, Schlinglähmung, Sopor, allgemeiner Lähmung, zunehmender Herzschwäche und damit zusammenhängend Dyspnoe. Meist tritt der Tod sehr rasch innerhalb eines Tages ein; die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt 6–48 Stunden. In vereinzelten Fällen führt die Kochsalzvergiftung zu einer mehr chronischen Erkrankung, welche sich in Darmerscheinungen (Abgang kruppöser Membranen beim Rind), sowie in Anämie und Abmagerung äussert.
Bei der Sektion findet man zuweilen keinerlei auffallende Veränderungen im Körper. Meist beobachtet man indessen die Erscheinungen einer akuten Entzündung der Magen- und Darmschleimhaut. Bei den Wiederkäuern zeigt der Labmagen die schwersten Veränderungen. Die Entzündung äussert sich in Schwellung, Rötung und Ekchymosierung; bei längerem Verlauf kommt es beim Rind zur Ausbildung einer kruppösen Enteritis. Vereinzelt findet man auch die Blasenschleimhaut höher gerötet. Das Blut ist zuweilen auffallend hellrot und dünnflüssig.
Behandlung. Die gastroenteritischen Erscheinungen werden durch Verabreichung deckender, einhüllender Mittel bekämpft. Bei den Wiederkäuern verabreicht man zu diesem Zweck gewöhnlich[S. 118] Leinsamenabkochungen in Verbindung mit Opium. Auch ölige Mittel (Leinöl, Mohnöl, Olivenöl, Repsöl) können gegeben werden. Ausserdem empfiehlt sich die Verabreichung von viel Wasser. Gegen die Lähmung des Nervensystems und des Herzens gibt man Exzitantien, namentlich den Aether in wiederholten subkutanen Dosen, den Kampfer (als Kampferspiritus oder Kampferöl subkutan), den Liquor Ammonii anisatus (bei kleineren Tieren), das Ammonium carbonicum (bei grösseren), das Atropin, Hyoszin, Koffein, Veratrin und Strychnin.
Nachweis. Man zieht den Magen- und Darminhalt samt der Schleimhaut mit viel destilliertem Wasser aus, filtriert und dampft das Filtrat ein. Dasselbe zeichnet sich dann durch einen intensiven salzigen Geschmack, sowie durch das Auskristallisieren von kubischen Kochsalzkristallen aus. Als Chlornatrium werden diese Kristalle ferner nachgewiesen durch die Gelbfärbung der Flamme (Natriumreaktion) und durch den weissen Niederschlag, welchen sie mit salpetersaurem Silber geben (Chlorreaktion). Man kann auch versuchen, das Kochsalz durch Dialyse rein zu erhalten.
Kasuistik. 1. Rinder. Zwei lecksüchtige Ochsen erhielten 4 Pfd. Kochsalz. Sie verschmähten das Futter, taumelten, stiessen wie blind an Gegenstände, stürzten zusammen, konnten sich nicht wieder erheben, zeigten erweiterte Pupillen, unfühlbaren Puls und Herzschlag, sowie starke Benommenheit des Sensoriums. Der eine Ochse wurde rasch geschlachtet; der andere blieb 14 Tage krank und zeigte später die Erscheinungen eines schweren Darmleidens (Verstopfung, Durchfall, Abgang von blutigem Schleim und Kruppmembranen mit dem Kote), weshalb er ebenfalls getötet wurde (Stohrer, Schweizer Archiv 1842). — Zwei lecksüchtige Kühe erhielten abends 10 Pfd. Salz; am andern Morgen waren beide tot. Eine andere Kuh erhielt etwa 4–5 Pfd. Salz; drei Stunden später war sie unfähig, sich zu erheben, zeigte Lähmung der Zunge und des Schlundkopfes, Kolikerscheinungen, starken Schweissausbruch und Krämpfe (Landel, Repertor. 1859). — Eine lecksüchtige Kuh erhielt 3 Pfd, Kochsalz. Sie zeigte starken Durchfall, häufiges Harnen und die Erscheinungen einer schweren Erkrankung, kam jedoch mit dem Leben davon (Lehmann, Schweiz. Archiv 1850). — In einem Viehbestand wurde den Kühen, um die Milchergiebigkeit zu steigern, mehrere Wochen hindurch grosse Mengen gepulvertes Steinsalz gegeben. 15 Kühe zeigten schwere Abmagerung, Kreuzschwäche, Versiegen der Milchsekretion, hochgradigen Durchfall, sowie jauchige Zellgewebsentzündung an den Kronen und starben teils, teils mussten sie getötet werden (Uhlig, Sächs. Jahresber. 1893). — Eine Massenvergiftung bei 25 Rindern durch einen Viehsalzleckstein, welcher sich im Wasser des Tränkbarrens gelöst hatte, hat Horn beobachtet (Woch. f. T. 1895 S. 185); drei Kühe lagen gelähmt am Boden und mussten notgeschlachtet werden, sechs Kühe zeigten einen rauschartigen Zustand, Bewusstlosigkeit, kaum fühlbaren, verlangsamten Herzschlag und Drang nach dem After. Vier dieser Kühe erholten sich nach sechs Stunden langsam unter öfterem Wiederkehren schwindelähnlicher, schlafsüchtiger Zustände; bei der fünften hielt der rauschartige Zustand 24 Stunden an, während die sechste wegen anhaltender Lähmungserscheinungen schliesslich geschlachtet werden musste. — Einen ähnlichen Fall hat Boudry beobachtet (Oesterr. Mon. 1898); danach erhielten 11 Kühe gegen[S. 119] Lecksucht je 600–1200 g Kochsalz, von denen drei wegen allgemeiner Lähmung geschlachtet werden mussten und eine starb.
2. Pferde. Ein Pferd erhielt gegen Würmer 3 Flaschen Sauerkrautlake. Es zeigte heftige Kolikerscheinungen und starb unter nervösen Zufällen nach 3 Stunden (Kammerer, Bad. Mitt. 1888). — 12 Pferde hatten 6 Tage hintereinander 1 Metze Viehsalz im Trinkwasser erhalten. Sie erkrankten an schwankendem Gang, Durchfall, Polyurie und zum Teil an Kreuzlähmung, genasen aber alle (Vogel, Preuss. Mitt. Bd. 7).
3. Schafe. Eine Herde von 300 Schafen erhielten 2–3 Metzen rotes Viehsalz. 10 Stück erkrankten, 8 zeigten Lähmungserscheinungen, 2 starben. Die Sektion ergab Entzündung im Labmagen und rote Flecken im Darmkanal (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872).
4. Schweine. Ein 4 Monate altes Schwein erhielt 6 Tage lang je 30 g Kochsalz in Milch. Am 6. Tage zeigte sich das Tier krank, am 7. lag es gelähmt auf der Seite, zitterte, machte automatische Bewegungen mit den Beinen und atmete angestrengt. Tod am 12. Tage. Sektion: eine talergrosse Stelle der Magenschleimhaut zeigte hochgradige Entzündung mit Zerstörung des Epithels und plastischem Exsudate; ausserdem war die Schleimhaut des ganzen Darmkanals entzündet, Gehirn und verlängertes Mark waren hyperämisch und ödematös (Gerlach). — 15 Schweine, deren Futter durch ein Versehen 5 l Viehsalz beigemischt worden waren, zeigten Appetitlosigkeit, Durst, Kolik, Dyspnoe, Eingenommenheit des Kopfes, Zittern und Lähmung des Hinterteils. Bei der Sektion fand man Hyperämie der Gehirnhäute und Gehirnödem (Scharsig, Berl. Arch. 1893 S. 311). — 4 Ferkel erhielten Wasser, in welchem Schinken gekocht worden war, mit Kartoffeln zusammen. Sie zeigten auffallende Schwäche, Drehbewegungen, sowie epileptische Anfälle. 3 Stück starben nach 2, bezw. 7, bezw. 10 Tagen. Die Sektion ergab starke Hyperämie des Magens und Darms, sowie der Hirnhäute und der grauen Hirnsubstanz (Ujhelyi, Veterinarius 1892). — 44 Schweine erhielten pro Tag 340 g Meersalz (denaturiertes Kochsalz); sie zeigten Schwäche, Schwanken, Schreien, grossen Durst und Erbrechen; 7 davon starben (J. de Lyon 1896). — 97 Läuferschweine erhielten zur Anregung des Appetits vom Fütterer 4 kg Viehsalz im Getränk verabreicht, worauf 37 Stück erkrankten; das Fleisch derselben, ohne Salzzusatz gekocht, schmeckte wie gesalzenes Fleisch (Fickert, Berl. Arch. 1901). — 5 Schweine starben unter Lähmungserscheinungen, nachdem sie von einem geplatzten Salzsack Salz aufgenommen hatten. 6 andere starben nach dem Trinken von Pökellake; sie waren hochgradig aufgeregt, wie „verhext“, sprangen an den Wänden in die Höhe, erbrachen sich und taumelten (Müssemeier, Harde, Preuss. Vet. Ber. 1904). Aehnliche Fälle sind in den Jahren 1906 und 1907 beobachtet worden (ibid.).
5. Hunde. Ein Hund hatte grössere Mengen von Kesselbrühe aufgenommen; eine Stunde darnach zeigte er heftige Krämpfe und starb nach Ablauf einer Stunde (Adam, Wochenschrift 1884). — Eine Ulmer Dogge hatte sich während der Nacht über den Inhalt eines am Abend vorher entleerten Fasses von Pökelschweinsknochen gemacht. Gegen Morgen fand man das Tier schwerkrank neben dem Fasse liegen, es zeigte so grosse Schmerzen, dass es laut winselte und sich fortwährend in die Vorderfüsse biss, so dass die Knochen und Sehnen blosslagen; dabei bestand viel Speichelfluss, blutiger Durchfall, Erbrechen, Auftreibung und Schmerzhaftigkeit des Hinterleibes. Harn dick, teerartig und blutig. Das Tier konnte nicht stehen und zeigte Lähmungserscheinungen im Hinterteil. Nach 2tägigem Leiden trat der Tod ein. Bei der Sektion fand man Entzündung der Maul- und Rachenschleimhaut, des Magens und Darmes, ausgedehnte Blutungen in der Schleimhaut des letzteren, im Magen leichte Anätzungen, die Schleimhaut am Pylorus um das Doppelte geschwollen. Hochgradige parenchymatöse Nierenentzündung, Nieren fast noch einmal so gross als normal. In den übrigen Organen Blutüberfüllung, Blut dunkel, teerartig (Röbert, Sächs. Jahresbericht 1895).
6. Geflügel. Durch die Verfütterung gedämpfter Kartoffeln, die mit Salz eingestampft worden waren, starben auf einem Rittergute innerhalb 14 Tagen 25 Gänse (Möbius, Sächs. Jahresber. pro 1895). — Zur Beseitigung unbequemer Nachbarhühner in Gärten dient in manchen Gegenden eine Mischung von Kochsalz und Roggenschrot, nach deren Aufnahme die Hühner sich nicht mehr stehend[S. 120] erhalten können und unter Lähmungserscheinungen sterben (Düker, Preuss. Vet. Ber. pro 1907). — Hühner und Gänse erkrankten nach Aufnahme von Anchovissalzlake (Bull. vét. 1903). — 5 Störche starben plötzlich nach der Verfütterung gesalzener Fische; die Sektion ergab ein negatives Resultat (Uhlich, Sächs. Jahresber. pro 1893).
Allgemeines. Der Salpeter kommt in 2 Formen im Handel vor. 1. Der Kalisalpeter (Mauersalpeter, prismatischer Salpeter), KNO3, ist namentlich früher sehr vielfach als Fiebermittel sowie gegen Entzündungskrankheiten therapeutisch angewandt worden. Verwechslungen des Salpeters mit Glaubersalz, Bittersalz und Kochsalz haben hiebei in zahlreichen Fällen Veranlassung zu Vergiftungen gegeben. Während z. B. die therapeutische Dosis des Salpeters für Rinder und Pferde nur 10–20 g beträgt, beläuft sich die des Glaubersalzes auf 250–1000 g. Dabei erzeugen schon 50 g Kalisalpeter bei Pferden zuweilen schwere Vergiftung. Seltener hat das Ablecken salpeterhaltiger Mauerwandungen (z. B. bei Lämmern) eine Vergiftung mit Kalisalpeter bedingt. 2. Der Chilisalpeter (Natronsalpeter, Würfelsalpeter), NaNO3, wird seit etwa 50 Jahren in ausgedehntem Masse als Düngermittel benützt. Durch zufällige Aufnahme oder absichtliche Verabreichung sind seit Einführung desselben Vergiftungen bei den Haustieren, insbesondere beim Rind, in grosser Zahl beobachtet worden. Gefährlich hat sich hiebei namentlich das Auswaschen der Salpetersäcke und das Trinken des salpeterhaltigen Waschwassers erwiesen. Bei diesen Vergiftungen mit Chilisalpeter werden immer sehr grosse Mengen des Salpeters (¼-2½ kg) aufgenommen. Die tödliche Dosis des Salpeters ist je nach dem Füllungszustand des Magens verschieden. Der Kalisalpeter ist ferner giftiger als der Natronsalpeter. Pferde und Rinder sterben durchschnittlich nach 100–250 g, Schafe und Schweine nach 30 g, Hunde nach 5 g Kalisalpeter. Bei letzteren können sich Vergiftungen auch durch Verabreichung grösserer Mengen von Schiesspulver ereignen.
Von Barth (Toxikologische Untersuchungen über den Chilisalpeter, Bonn 1879) ist die Ansicht ausgesprochen worden, dass der Chilisalpeter durch eine Verunreinigung mit Nitrit (NaNO2) und durch Umwandlung des Nitrats im Körper zu Nitrit giftig wirke. Die teilweise Umwandlung zu Nitrit im Körper ist von Binz bestätigt worden (1902). Meine eigenen diesbezüglichen Untersuchungen (Repertorium 1880) haben ergeben, dass der chemisch reine, nitritfreie Natronsalpeter ebenso stark oder noch stärker wirkt, als der unreine, zuweilen nitrithaltige Düngersalpeter. Es schliesst ferner der perakute Verlauf der Salpetervergiftung eine vorhergehende Umwandlung des Nitrats in Nitrit innerhalb des Körpers aus. Endlich lässt sich bei der Durchsicht der einschlägigen Literatur nachweisen, dass immer grosse Mengen von Chilisalpeter (250–2500 g) aufgenommen wurden, so dass die betreffenden Vergiftungen auf eine reine Salpeterwirkung zurückgeführt werden müssen. Ueber giftige Nitroverbindungen vgl. S. 125.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Beide Arten von Salpeter erzeugen zunächst infolge Reizung der Digestionsschleimhaut eine schwere Gastroenteritis, an welche sich apoplektiforme Lähmungserscheinungen anschliessen. Die Vergiftung beginnt[S. 121] gewöhnlich mit Unruheerscheinungen, heftiger Kolik, Würgen, Erbrechen, Speicheln, Schäumen, Aufblähen, Polyurie. Früher oder später folgt dann eine rasch zunehmende Schwäche und Hinfälligkeit, Schwanken, Taumeln, Zittern, Zusammenstürzen, Sinken der Körpertemperatur, Herzklopfen, Koma, und häufig endet das Vergiftungsbild apoplektiform unter plötzlichem Eintritt des Todes mit oder ohne Krämpfe. Die gesamte Krankheitsdauer beträgt meist nur wenige Stunden. In einzelnen Fällen hat man bereits 5 Minuten nach der Aufnahme des Salpeters einen tödlichen Ausgang der Vergiftung konstatiert, wenn die Verabreichung desselben in nüchternem Zustand erfolgte (Crönlein).
Bei der Sektion findet man die Schleimhaut des Magens (Labmagens) und Dünndarms braunrot, purpurrot oder kirschrot verfärbt und geschwürig verändert (hämorrhagische Gastroenteritis), den Darminhalt blutig oder braungefärbt, die Baucheingeweide stark hyperämisch, die Nieren und die Blasenschleimhaut entzündet und von Blutungen durchsetzt, das Blut von auffallend hellroter oder schmutzig braunroter Farbe. Bei perakutem Verlauf fehlen charakteristische Veränderungen.
Behandlung. Wie bei der Kochsalzvergiftung müssen auch hier zunächst einhüllende, schleimige und ölige Mittel mit viel Wasser verabreicht werden. Die Lähmungserscheinungen werden mit exzitierenden und belebenden Mitteln, insbesondere mit Aether, Kampfer, Veratrin und Atropin behandelt.
Nachweis. Man zieht den Magen- und Darminhalt nebst der Schleimhaut mit viel destilliertem Wasser aus, filtriert, dampft das Filtrat ein und lässt den Salpeter auskristallisieren. Gelbfärbung der Flamme besagt die Anwesenheit von Natron-, Violettfärbung von Kalisalpeter. Spezielle Salpeterreaktionen sind: das Verpuffen auf glühender Kohle und die Braunfärbung mit Schwefelsäure und Eisenvitriol. Man kann auch versuchen, den Salpeter durch Dialyse rein zu erhalten.
Kasuistik. 1. Rinder. Chilisalpetersäcke wurden in Wasser aufgeweicht. 3 Kühe, welche von dem Wasser abends tranken, wurden am Morgen tot gefunden. Die Sektion ergab Schwellung, Rötung und Ekchymosierung der Schleimhaut des Magens, Darmes und der Blase, dünnflüssiges Blut, dunkelrote Farbe und Erweichung der Nieren (Rabe, Preuss. Mitt. 1874). — 2 Kühe erhielten je 250 g Salpeter statt Glaubersalz. Sie starben beide innerhalb 6 Stunden. Bei der Sektion fand man Petechien auf der Labmagenschleimhaut. Das Fleisch und die Eingeweide waren blassgelb (Möbius, Sächs. Jahresber. 1888). — Eine Kuh erhielt durch das Versehen eines Krämers morgens nüchtern statt Glaubersalz[S. 122] 360 g Salpeter eingeschüttet. Das Tier zeigte sofort Zittern und Krämpfe, stürzte zusammen, liess die Zunge aus dem Maule hängen und starb nach 5 Minuten. Sektion: negativ (Crönlein, Magazin Bd. 18). — 2 Kühe hatten zusammen 1 Pfd. Salpeter statt Glaubersalz bekommen; nach ½ Stunde stürzten sie unter Zittern und Krämpfen tot zusammen. Die Sektion ergab ausser missfarbigem, schmutzig rotbraunem Blute nichts Besonderes (Weinmann, Ad. Wochenschr. 1859). — Eine Rinderherde von 48 Stück erhielt in 2 Tagen 20 Pfd. Viehsalz, welches zur Hälfte aus Chilisalpeter bestand. Am 2. Tage starb eine Kuh fast plötzlich, 3 andere krepierten innerhalb 5 Minuten, eine weitere bald darauf. 2 Kühe zeigten Schwäche im Kreuz; beim Aderlasse war kein Blut zu bekommen. Alle übrigen Kühe bekamen Durchfall, waren aber am nächsten Tage wieder gesund (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Kettritz (Berl. Archiv 1893) beschreibt eine Vergiftung bei 4 Kühen, welche Waschwasser von Salpetersäcken getrunken hatten. Der Tod trat unter heftigen Zuckungen im Verlaufe von 2 Stunden ein. Bei der Sektion fand man hochgradige Entzündung des Labmagens, Zwölffinger- und Leerdarms. — Mehrere Kühe frassen Klee von einem Felde, das mit Chilisalpeter bestreut war, und erkrankten. Die Sektion einer derselben ergab starke Entzündung der Mägen und des Dünndarms, Hyperämie und Entzündung der Nieren, sowie fleckige Rötung der Blasenschleimhaut (Rost, Sächs. Jahresber. 1891). — Von 26 Kühen, welche auf der Weide ein Gemenge von Chilisalpeter und Sand aufgenommen hatten, starben plötzlich 19 Stück, nachdem Drängen, Stöhnen, grosse Unruhe, Schwanken und Lähmung vorausgegangen waren. Die 7 genesenden Kühe lagen stundenlang auf einer und derselben Stelle. Bei der Sektion fand man hochrote diffuse Verfärbung der Schleimhaut des Labmagens und Dünndarmanfangs, welche mit zahlreichen runden, dunkel- bis bläulichroten Flecken durchsetzt war und auf der Höhe der Falten der Labmagenschleimhaut und am Uebergang zum Pylorus am stärksten hervortrat (Klebba, Berl. Arch. 1892, S. 460). — 2 Kühe, welche Waschwasser von Chilisalpetersäcken getrunken hatten, starben nach 16 bezw. 56 Stunden (Bénard, Journal de Lyon 1892). — Wankmüller (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1894 S. 258) beobachtete bei 19 Rindern einer Kunstdüngerfabrik eine Vergiftung durch Chilisalpeter; das Fleisch der notgeschlachteten Tiere war in allen Fällen geniessbar. — Ein Ochse trank das Waschwasser von Chilisalpetersäcken. Eine Stunde darauf zeigte er schwankenden Gang, schmerzhaften Harnabsatz, allgemeine Muskellähmung und Unempfindlichkeit. Der Puls war hart und klein, aber von normaler Frequenz. Nach 2 Tagen trat auf die Verabreichung von Kaffee, sowie schleimigen Dekokten Heilung ein (Legrand, Arm. belg. 1887). — 2 Kälber, welche Wasser aus Bottichen getrunken hatten, in denen Chilisalpetersäcke zum Reinigen lagen, starben nach 15–20 Minuten; die Sektion ergab lediglich kirschrotes, flüssiges Blut (Güttlich, Berl. Arch. 1894). — Eine Kuh, welche irrtümlicherweise 250 g Salpeter (statt Glaubersalz) erhalten hatte, musste notgeschlachtet werden. Die Sektion ergab hochgradige Labmagenentzündung (Möbius, Sächs. Jahresber. 1898). — Ob die von Buhl (Wochenschr. f. Tierheilk. 1898 S. 329) auf das Ablecken von Mauersalpeter in den Stallungen zurückgeführten Krankheitsfälle echte Salpetervergiftungen waren, ist sehr fraglich. — 3 Rinder hatten auf einer mit Chilisalpeter gedüngten Weide gierig denselben aufgeleckt und erkrankten an heftigem Durchfall, Schlafsucht, hochgradiger Schwäche, Lähmung und Herzklopfen. Die Sektion ergab Enteritis und auffallend hellrotes, nicht gerinnendes Blut (Winkler, Woch. f. T. 1901). — Ein Landwirt behandelte die Maul- und Klauenseuche mit Salpeter. Infolgedessen starben 2 hochtragende Kühe und 1 Mastochse innerhalb 24 Stunden unter profusem Durchfall. Die Sektion ergab Entzündung des Magens und Darms mit braunroter Verfärbung der Schleimhaut (Markert, ibid. 1902). — 3 Rinder verendeten apoplektisch nach der Aufnahme von reichlich vorhandenem, durch Regen ausgelaugten Mauersalpeter; die Sektion ergab hochgradige Magendarmentzündung, Nephritis, Hämatolysis sowie blasse Muskulatur (Gutbrod, Monatsh. f. prakt. Tierh. 1901). — 3 Kühe hatten den Inhalt eines Chilisalpetersackes ausgeschleckt und zeigten Taumeln, Speicheln und pochenden Herzschlag; 1 Kuh verendete innerhalb 5 Minuten unter Krämpfen. Die Sektion ergab starke Rötung der Schleimhaut der Mägen (Schank, Woch. f. Tierh. 1902). — 5 Kühe tranken das Waschwasser von Chilisalpetersäcken.[S. 123] Sie zeigten profusen Durchfall, Schweissausbruch und Zittern; 4 starben ½ Stunde nach Beginn der Krankheit. Die Sektion ergab braunroten Darminhalt, Gastroenteritis, Nephritis und Zystitis (Schmidtke, Preuss. Vet. Ber. 1904). — Eine Kuh erhielt ½ kg Kalisalpeter (statt Glaubersalz) eingeschüttet, blieb jedoch am Leben, da beim Einschütten ein grosser Teil gleich wieder erbrochen wurde (Vogel, B. T. W. 1904 S. 790). — Nach der Verfütterung von Rübenblättern, welche mit Chilisalpeter gedüngt waren (sog. Kopfdüngung), erkrankten vielfach Rinder unter plötzlicher Hinfälligkeit, Herzklopfen, Schwanken und Zusammenstürzen; der Tod trat zuweilen unter Krämpfen schon nach ¼-½ Stunde ein (Lüdecke, Z. f. Vet. 1909). — Zahlreiche Fälle finden sich ferner beschrieben in den Jahresberichten der preuss. Kreistierärzte 1902–1907.
2. Pferde. Ein kolikkrankes Pferd erhielt aus Versehen 250 g Kalisalpeter statt Glaubersalz; es wurde, ohne Schaden zu erleiden, nach 36 Stunden wieder hergestellt (Haarstick, Preuss. Mitt. 1874). — Bei mehreren Versuchspferden traten nach 250–500 g Kalisalpeter zwar Vergiftungserscheinungen (Kolik, Muskelschwäche), aber ohne tödlichen Ausgang auf (Hertwig, Arzneimittellehre 1872); dagegen starben nach Versuchen an der Lyoner Tierarzneischule 2 Pferde auf 240 g Salpeter innerhalb 24 Stunden. — Ein Pferd zeigte nach der Verabreichung von 50 g Kalisalpeter eine deutliche Vergiftung, welche sich in Kolik, Pupillenerweiterung, Herzklopfen, kaum fühlbarem Puls, sowie Dyspnoe äusserte (Piot, Recueil 1892 S. 405). — Ein Pferd nahm Wasser aus einer Tonne auf, in der Chilisalpetersäcke gewaschen wurden, und starb unter den Erscheinungen einer Darmentzündung und einer Lähmung der Nachhand nach 24 Stunden (Schöneck, Berl. Arch. 1896 S. 345).
3. Schafe. 200 Mutterschafe erhielten statt Kochsalz Salpeter als Lecke. Nach einer Stunde traten zahlreiche Erkrankungen auf. Die Tiere wälzten sich, schäumten, stöhnten und blökten und lagen gelähmt am Boden. 20 Stück krepierten innerhalb einer Stunde. Die Sektion ergab eine heftige Entzündung des Labmagens und Darmes, sowie hellrotes dünnflüssiges Blut (Melzbach, Preuss. Mitt. 2. Jahrgang).
4. Ziegen. Infolge Streuen von Kunstdünger erkrankten 2 Ziegen unter Maul- und Klauenseuche ähnlichen Erscheinungen: starkem Speicheln, unterdrückter Futteraufnahme, Aufblähung, Schwäche und Hinfälligkeit (Zink, W. f. T. 1901).
5. Schweine. 30 g Salpeter, einem Versuchsschwein mehrere Tage hindurch mit Milch verabreicht, erzeugten Erbrechen, grosse Hinfälligkeit und steifen Gang; nach 14 Tagen hatte sich das Tier wieder erholt (Gerlach). — 6 Läuferschweine, denen ein Arbeiter aus Rache Salpeter auf das Futter streute, starben an heftiger Entzündung der Magen- und Dünndarmschleimhaut (Prietsch, Sächs. Jahresber. 1901).
6. Hühner. In einem Hühnerhof waren binnen 14 Tagen 28 Hühner und 1 Hahn gestorben. Die Krankheit dauerte bei einigen nur wenige Stunden, bei anderen bis zwei Tage. Bei der Sektion eines Huhnes wurde festgestellt: entzündliche Rötung und teilweise Verätzung der Schleimhaut des Kropfes. Als Ursache ergab sich Vergiftung mit Chilisalpeter. Die Hühner hatten nämlich Wasser, in dem Chilisalpetersäcke ausgewaschen waren, aufgenommen (Ammerschläger, Woch. f. Tierh. 1906).
Nitroverbindungen. Die NO2- (Nitro-) Verbindungen, sowie die Nitrite (salpetrichsauren Salze) sind starke Blutgifte. Hieher gehört das Nitrobenzol (Mirbanöl, falsches Bittermandelöl) = C6H5NO2, eine hellgelbe, zum Parfümieren von Seifen etc. vielfach verwendete, bittermandelölartig riechende Flüssigkeit. Dieselbe tötet Hunde schon in einer Dosis von 1 g. Die Vergiftungserscheinungen bestehen in Auflösung der roten Blutkörperchen, Methämoglobinämie, Poikilozytose, Krämpfen und Lähmungserscheinungen. Im Blut findet man einen für Nitrobenzol charakteristischen Absorptionsstreifen (Filehne). Auch das Amylnitrit, Natrium- und Kaliumnitrit (Natrium und Kalium nitrosum), Aethylnitrit, Propyl-, Butylnitrit, Dinitronaphthol, Dinitrokresol, [S. 124]sowie die Pikrinsäure = C6H2(NO2)3OH und ihre Salze erzeugen Methämoglobinämie. Die Pikrinsäure verursacht ausserdem Gelbfärbung der Schleimhäute (sog. Pikrinikterus), Gastroenteritis und Nephritis. Auch das Anilin, C6H5NH2, bedingt infolge seiner Verwandtschaft mit Nitrobenzol, C6H5NO2, Methämoglobinämie neben einer lähmenden Einwirkung auf das Nervensystem; bei der Sektion findet man neben den durch die Methämoglobinämie bedingten Veränderungen die Organe imprägniert mit schwarzblauen Körnchen von Anilinschwarz. Aehnlich wirkt Dinitrobenzol (Roburit) = C6H4(NO2)2, sowie Nitroglyzerin (Sprengöl, Dynamit) = C3H5(ONO2)3. Ueber Vergiftungen durch Dynamit bei mehreren Rindern hat Hable berichtet (Oestr. Zeitschr. 1889 S. 122). Dieselben hatten von dem zum Sprengen von Felsen bestimmten, am Wege liegenden Dynamit gefressen (!). Die Sektion ergab punktförmige und streifige Blutungen in der Schleimhaut der Rachenhöhle, des Kehlkopfes, der Luftröhre und am Endokardium, streifenförmige Rötung im Dünndarm, sowie im Pansen braunrote, weiche, nudelförmige, teilweise noch in Papier eingehüllte Dynamitmassen; die Stellen der Pansenwand, an welchen diese Massen lagen, zeigten eine kirschrot verfärbte, vom Epithel entblösste Schleimhaut.
Allgemeines. Das Glaubersalz, Na2SO4, wird gewöhnlich in seiner kristallisierten Form (+ 10 H2O) als allgemein gebräuchliches Stomachikum, Laxans, Antikatarrhalikum angewandt, und zwar ohne Gefahr in ziemlich grossen Gaben, so z. B. Rindern in einmaligen Dosen von ½-1 kg. Nur wenn auf einmal sehr grosse Dosen, z. B. 1½-3 kg Rindern verabreicht werden, oder wenn die Tiere beim Eingeben grösserer Gaben vollständig nüchtern sind, oder endlich wenn das getrocknete Glaubersalz, Natrium sulfuricum siccum, welches wegen des Verlustes seines Kristallwassers doppelt so stark wirkt als das gewöhnliche, in denselben Dosen verschrieben wird, wie letzteres, können sich Vergiftungen ereignen. — Aehnlich liegen die Verhältnisse beim Bittersalz, MgSO4 + 7 H2O.
Krankheitsbild. Die Vergiftung durch Glaubersalz hat sehr viel Aehnlichkeit mit der Kochsalzvergiftung. Auch das Glaubersalz wirkt zunächst lokal reizend auf die Darmschleimhaut, während es nach der Resorption eine lähmende Natriumwirkung auf das Nervensystem ausübt. Die wichtigsten Vergiftungserscheinungen sind daher Kolikanfälle, wässeriger Durchfall, unterdrückte Futteraufnahme, starker Durst, lähmungsartige Körperschwäche, Unvermögen aufzustehen, abnorm häufiger Harnabsatz sowie Koma; der Tod tritt nach mehrtägiger Krankheitsdauer ein. Anatomischer Befund und Behandlung wie bei Kochsalzvergiftung.
Nachweis. Man laugt den Inhalt des Magens und Darmes nebst der Schleimhaut mit viel destilliertem Wasser aus, filtriert, dampft das Filtrat ein und lässt das Glaubersalz auskristallisieren.[S. 125] Die Kristalle geben die charakteristischen Reaktionen des Glaubersalzes: sie färben die Flamme gelb (Natriumreaktion) und geben mit Barytwasser einen weissen Niederschlag (Sulfatreaktion). Das Bittersalz wird in ähnlicher Weise durch die Magnesiumreaktion nachgewiesen (Tripelphosphatbildung).
Kasuistik. Eine 300 kg schwere Simmentaler Kuh hatte gegen Pansenüberfüllung vom Besitzer in 2stündiger Pause je 750 g, also zusammen 1500 g Glaubersalz erhalten. 3 Stunden darauf stellte sich ein besorgniserregender, wässeriger Durchfall ein. Ausserdem bestand abnorm häufiger Harnabsatz, indem alle 3–4 Minuten je 300–500 g Harn zur Entleerung gelangten. Weitere Vergiftungserscheinungen waren heftige Kolik, starkes Drängen, hochgradige allgemeine Schwäche, Lendenlähme, Tremor, Benommenheit des Sensoriums, Herzklopfen und Dyspnoe. Infolge der eingeleiteten Behandlung trat am 5. Tage Heilung ein (Hess, Schweiz. Arch. 1896 S. 245). — Eine Kuh erhielt innerhalb eines Tages 3 kg Glaubersalz; sie zeigte Kolik, wässerigen Durchfall, Unvermögen aufzustehen, Körperhaltung wie beim Kalbefieber, sowie subnormale Körpertemperatur. Bei der Sektion fand man eine hochgradige hämorrhagische Entzündung im Labmagen und Dünndarm; die Schleimhaut erschien wie mit roter Tinte bespritzt (Lungwitz, Sächs. Jahresber. pro 1898). — Ein Hengst erhielt in 2–3 Tagen 3500 g Glaubersalz gegen Verstopfungskolik und starb nach 5 Tagen unter hochgradigem Durchfall und Lähmungserscheinungen (Kettritz, Berl. Arch. 1897 S. 196). — Gmeiner (Monatshefte f. prakt. Tierhlkde. IX. Bd. 1898 S. 472) hat in zahlreichen Fällen, in welchen die Besitzer Rindern 3 Pfd. Glaubersalz auf einmal oder mehrere Tage hintereinander 1–2 Pfd. gegeben hatten, leichte Vergiftungserscheinungen in Form von allgemeiner Schwäche und oft wochenlang anhaltendem lähmungsartigem Zustand der Darmwand beobachtet. — Nach Hess, Schaffer und Lang (Schweiz. landw. Jahrb. 1893) zeigt die Milch eigentümliche Veränderungen, wenn Glaubersalz in mittelgrossen Dosen längere Zeit an Milchkühe verabreicht wird. Sie gibt dann beim Melken keinen Schaum und besitzt einen glaubersalzähnlichen Geschmack; das Kasein der Milch zeigt eine erheblich verminderte Gerinnungsfähigkeit, der Fettgehalt der Milch ist dagegen gestiegen. Alle Kühe zeigten ferner auffällige pathologische Veränderungen am Euter (Katarrh, Mastitis, Zystenbildung).
Eine Vergiftung durch Bittersalz bei einem Ochsen, der binnen 2 Tagen 4 kg eingeschüttet erhielt, hat Schultz beobachtet (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1895 S. 150).
Allgemeines. Der Kainit ist ein in den Steinsalzlagern von Stassfurt, Leopoldshall etc. vorkommendes, aus schwefelsaurem Kalium, schwefelsaurer Magnesia und Chlormagnesium bestehendes Mineral von der Formel K2SO4 · MgSO4 · MgCl2 + 6 H2O, welchem im Rohzustande ausserdem noch Kochsalz, Gips und Ton, sowie Spuren von Eisen beigemengt sind, infolgedessen er schmutzig hellrote Stücke mit beständig feuchter Oberfläche bildet. Er stellt das Rohmaterial für die Kaliumindustrie dar und wird wegen seines hohen Kaligehaltes auch als sehr wertvolles Düngermittel in der Landwirtschaft verwendet. Hierbei sollen sich wie beim Chilisalpeter Vergiftungen ereignen. Ueber solche Fälle haben Schilling (Berliner Arch. 1887), Schwaneberger (ibid. 1889), Möbius (Sächs. Jahresber. 1893 u. 1902) und Nörner (Kgl. Forstzeitung 1904) berichtet. A. Feser, Schneider und Stroh bezweifeln dagegen auf Grund ihrer Versuche das Vorkommen von Kainitvergiftungen (vergl. S. 126).
[S. 126]
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Von 5 Kühen, welche von dem im Stall und auf der Düngerstätte ausgestreuten Kainit geleckt hatten, starben 2 ganz plötzlich, 3 wurden sehr krank. Sie zeigten starkes Speicheln, Durchfall, Mattigkeit, ziegelrote Schleimhäute, sowie hohes Fieber (40,8° C). Bei der Sektion fand man die Schleimhaut aller 4 Mägen gerötet, insbesondere war die des Labmagens dunkelrot und mit tiefdunklen, stecknadelkopf- bis markstückgrossen Hämorrhagien durchsetzt. Die Dünndarmschleimhaut war blutrot, geschwollen und ebenfalls von zahlreichen Ekchymosen durchsetzt, die Dickdarmschleimhaut zeigte katarrhalische Schwellung. Die Milzpulpa war kirschrot, die Nieren waren von hämorrhagischen Punkten durchsetzt, unter dem Endokard und Epikard zeigten sich ebensolche Blutungen. Das Krankheitsbild sowohl, wie auch der Sektionsbefund zeigten viel Aehnlichkeit mit dem der Salpetervergiftung (Schilling). — Von 12 erkrankten Ochsen starben 3; die Krankheitserscheinungen bestanden in kolliquativem Durchfall, blassen Schleimhäuten und Geschwüren am Zahnfleisch und in der Nase (Schwaneberger). — Schafe zeigten nach der Aufnahme von Kainit Lähmung, Durchfall und Darmentzündung (Nörner), Hühner und Tauben starben angeblich infolge Streuens von Kainit auf Aeckern und Wiesen (Möbius). Andere Fälle sind in den preussischen Jahresberichten (1906) beschrieben. — Riechelmann (Berl. Archiv 1893) vermutet bei 13 Rehen, welche kurz hintereinander tot im Walde gefunden wurden, eine Kainitvergiftung, da ein grösseres Areal des Forstes behufs Besamung mit Kainit gedüngt worden war. Die Sektion ergab u. a. Hämorrhagien im Labmagen. — Wagner (Bad. Mitt. 1888) warnt vor dem Einstreuen von Kainit in den Stallungen, weil er Verätzung der Hufkronen und Klauenkronen, sowie des Euters erzeuge.
Im Gegensatze hierzu konnte A. Feser (Beobachtungen über vermeintliche Kainitvergiftung. Diss. 1903) bei angeblich vergifteten Rehen Strongylen als Todesursache nachweisen. Er ist ferner auf Grund von Versuchen bei Wiederkäuern und Geflügel der Meinung, dass diese Tiere freiwillig so grosse Mengen von Kainit gar nicht aufnehmen, dass sie dadurch Schaden leiden könnten. Ein Schaf erhielt 950 bezw. 3750 g Kainit in 37 bezw. 40 Tagen, ein Jungstier 2250 bezw. 3800 g in 6 bezw. 8 Tagen, ohne etwas Krankhaftes zu zeigen (nur der Kot war ab und zu etwas weicher). Schneider und Stroh (Deutsche tierärztl. Woch. 1906) sahen[S. 127] beim Schaf nach 200 g, beim Rind nach 500 g Kainit keine Wirkung; auf 600 g Kainit zeigte das Rind Kolik. Sie sind der Ansicht, dass Kainit nur giftig wirke, wenn Giftstoffe beigemengt sind (Schwefelsäure, Fluorwasserstoff, Arsenik, Aetzkalk, Rhodanammonium).
Vergiftung durch phosphorsauren Kalk. 6 Rinder eines Bäckers, welche aus Versehen statt Mehl je 2 Kilo phosphorsauren Kalk erhielten, erkrankten an heftigem Durchfall und auffallender Schwäche; 2 Kühe starben am 5. bezw. 8. Tag der Krankheit (Braun, Woch. f. Tierheilkunde 1909).
Vergiftung durch Ammoniak-Superphosphat. 2 Pferde, welche grössere Mengen zusammen mit Chlorkalium aufgenommen hatten, zeigten schwankenden Gang, Schwäche, kalten Schweiss, unterdrückte Peristaltik, Puls- und Atmungsbeschleunigung. Bei der Sektion fand man entzündliche Rötung der Schleimhaut des ganzen Darms bes. des Dickdarms, sowie Anätzungen der Magenschleimhaut (Gensert, Berl. tierärztl. Wochenschr. 1892). — Aehnliche Fälle haben Gips (Berl. Arch. 1892) und Sourrel (Revue vét. 1897) bei Rindern beobachtet. Schneider und Stroh (D. T. W. 1906) verneinen auf Grund von Versuchen die Giftigkeit des Superphosphats und Thomasphosphatmehls. Ersteres erzeugte bei Schafen 30 Tage lang zu je 10 g und 10 Tage lang zu je 100 g (= 1000 g), letzteres in 10 Tagen zu 1000 g verabreicht, lediglich Appetitstörung.
Allgemeines. Die Verbindungen des Baryums sind mit Ausnahme des schwefelsauren Baryums oder Schwerspats (BaSO4) sehr stark giftig. Von giftigen Barytverbindungen kommen in Betracht: 1. Das Baryumoxyd (Aetzbaryt, Baryt), BaO, eine weisslichgraue, poröse, leicht zerreibliche Masse von stark alkalischer Reaktion, welche sich unter Bildung von Baryumhydroxyd in Wasser löst; sog. Barytwasser. 2. Der kohlensaure Baryt (Baryumkarbonat, Witherit), BaCO3, ein weisses, geruch- und geschmackloses, in Wasser kaum lösliches Pulver, welches u. a. zur Vertilgung von Ratten und Mäusen Anwendung findet. 3. Das Chlorbaryum, ein in Wasser leicht lösliches Salz von unangenehmem, scharfem Geschmack (wichtiges Reagens). Ausserdem sind stark giftig das salpetersaure, essigsaure und chromsaure, sowie das Schwefelbaryum. Nach Crawford (Amer. Jahresber. 1908) sollen ferner die die sog. Lokokrankheit verursachenden Astragaluspflanzen giftige Baryumsalze enthalten. Barytvergiftungen sind neuerdings namentlich bei Pferden infolge der Anwendung des Chlorbaryums als Kolikmittel häufig vorgekommen.
Wirkung. Die Baryumsalze wirken auf die Magen- und Darmschleimhaut zunächst reizend und ätzend (Erbrechen, Kolik, Durchfall). Die allgemeinen Erscheinungen der Baryumvergiftung, welche am raschesten nach der Verabreichung leicht löslicher Barytsalze (Chlorbaryum, salpetersaures und essigsaures Baryum) auftreten,[S. 128] bestehen in tonisch-klonischen und eklamptischen Krämpfen, Darmtetanus, Herzlähmung (digitalisähnliche Wirkung), sowie in lähmungsartiger Muskelschwäche, vorwiegend der Extremitäten. Im übrigen sind die Erscheinungen der Chlorbaryumvergiftung sehr verschieden, je nachdem das Mittel intravenös, subkutan oder per os verabreicht wird. Bei der intravenösen Injektion giftiger Dosen sterben Pferde meist plötzlich oder im Verlauf weniger Minuten unter Vorwärtsdrängen, Zusammenstürzen und Krämpfen infolge von Herzlähmung (apoplektischer Tod). Bei der innerlichen oder subkutanen Einverleibung lässt sich die spezifische Krampfwirkung des Baryums auf die glatte Muskulatur des Darmes und die quergestreiften Muskeln, sowie die digitalisartige, lähmende Wirkung auf das Herz genauer verfolgen. Der Darmtetanus äussert sich durch schwere, schmerzhafte Kolik mit heftigem Durchfall und Entleerung grosser Mengen dünnflüssiger Kotmassen. Gleichzeitig beobachtet man Kaubewegungen, Speicheln, Würgen, Erbrechen, mitunter auch Schreien. Die Reizung der motorischen Zentren hat strychninartige, tetanische, sowie klonisch-tonische Muskelkrämpfe zur Folge, welche in Anfällen namentlich die Rückenmuskeln und die Muskeln der Extremitäten befallen und bald in motorische, allgemeine Lähmung übergehen (Taumeln, Kreuzschwäche, Zusammenstürzen, Bewusstlosigkeit). Die Lähmung des Herzens endlich äussert sich in hochgradiger Pulsbeschleunigung und Dyspnoe.
Sektion. Bei derselben findet man den Darmkanal leer, wie ausgewaschen, die Schleimhaut zuweilen entzündlich geschwollen, das Herz parenchymatös verändert, wie gekocht. Bei perakutem Verlauf (intravenöse Injektion) ist der Befund rein negativ.
Behandlung. Dieselbe besteht in akuten und subakuten Fällen wie bei der Strychninvergiftung in der Anwendung krampfstillender Mittel (Morphium, Opium, Bromkalium, Chloroform, Chloralhydrat), sowie von Atropin (Herzexzitans). Bei perakuten Fällen ist sie erfolglos.
Kasuistik und Experimentelles. Die grundlegenden Experimentaluntersuchungen über die Wirkung der Baryumsalze, speziell des Chlorbaryums, stammen von Böhm (Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. III). Danach ist das Chlorbaryum vor allem ein Krampfgift, welches bei intravenöser Injektion Hunde in Dosen von 0,1–0,2, Katzen in Dosen von 0,03–0,05 unter sofortigen tonisch-klonischen, alle Körpermuskel befallenden Krämpfen und äusserst intensiver[S. 129] Entleerung des Darminhaltes tötet. Bei kleinen, nicht tödlichen Dosen kommt es bloss zu starken Kotentleerungen und vorübergehenden, unbedeutenden Schwächezuständen der Körpermuskulatur. Nach Kobert (Lehrbuch der Intoxikationen) kommt die tetanische Wirkung des Baryums auf den Darm teils durch die Reizung der Auerbachschen und Meissnerschen Plexus, teils durch direkte Muskelwirkung zustande; sodann bewirkt das Baryum Reizung der motorischen Gehirnzentren und besitzt ausserdem eine digitalisartige Wirkung auf das Herz und die Gefässe.
Eine zufällige Chlorbaryumvergiftung beim Pferd hat Dieckerhoff (Berl. tierärztl. Wochenschr. 1895) beobachtet. 2 Brauereipferde leckten verschüttetes, in Säcken verpacktes Chlorbaryum und erkrankten beide ¾ Stunden darauf an sehr heftiger Kolik; eines derselben starb bereits 1 Stunde nach der Aufnahme des Salzes unter allgemeinen Lähmungserscheinungen, das andere starb nach 14 Stunden. Bei der Sektion des zuerst gestorbenen war die Schleimhaut des Magens und Darmes entzündlich gerötet und geschwollen und der ganze Digestionsapparat wie ausgewaschen. Im Anschluss hieran angestellte experimentelle Untersuchungen bei Pferden, Rindern und Schafen ergaben folgendes: Pferde zeigen nach innerlicher Verabreichung von 6–12 g, sowie nach der intravenösen Injektion von 0,5–1,25 g Chlorbaryum unter Kolikerscheinungen sehr starke Darmentleerungen. Bei der intravenösen Applikation stellt sich die darmentleerende Wirkung augenblicklich ein; bei gefülltem Mastdarm werden die darin vorhandenen Kotmassen schon innerhalb der ersten Minute abgesetzt, bei leerem Mastdarm werden nach 3–5 Minuten geballte oder breiförmige Kotmassen ausgeschieden. Die Dauer dieser entleerenden Darmwirkung beträgt 2–6 Stunden. Bei innerlicher Anwendung des Chlorbaryums in flüssiger Form erfolgt die Kotentleerung erst nach 15–45 Minuten, in Bolusform erst nach 1½-2 Stunden. Dosen über 8–12 g innerlich gegeben, wirken beim Pferd giftig bezw. tödlich (allgemeine Lähmung). Rinder ertragen dagegen innerlich 40 g und intravenös 3 g Chlorbaryum. 2 Schafe ertrugen 4 g Chlorbaryum innerlich ohne nachteilige Wirkung, dagegen starb ein Bock und ein 4 Monate altes Lamm nach 6 g. Die Vergiftungserscheinungen traten hierbei erst nach 20 Stunden ein und äusserten sich hauptsächlich in Schwäche und Lähmung.
Die hierauf im Jahr 1895 von Dieckerhoff empfohlene Anwendung des Chlorbaryums als Kolikmittel beim Pferd hat namentlich in der ersten Zeit zahlreiche tödliche Chlorbaryumvergiftungen zur Folge gehabt. Insbesondere nach der intravenösen Injektion sind häufig Pferde augenblicklich oder innerhalb weniger Minuten tot zusammengestürzt. Solche Fälle sind von Angerstein, Mollereau, Müller, Ries, Podkopajew, Freitag, Simon, Schatz, Röder, H. Feser, Kunze u. a., sowie namentlich in der preuss. Armee beobachtet worden (Zeitschr. f. Vetkde. 1896; Pr. Mil.-Vet.-Ber. pro 1896–1899.) Im Jahr 1895 sind nicht weniger als 8 Pferde in der preussischen Armee an Chlorbaryumvergiftung gestorben. Diese Fälle sind folgende:
1. Ein kräftiges, gut genährtes Pferd erkrankte leicht an Kolik. Es verschmähte das Futter, sah sich wiederholt nach dem Hinterleibe um und warf sich häufig nieder. Die Zahl der Pulse betrug 40 in der Minute, der Puls war weich und kräftig; die Atmung nicht erheblich beschleunigt. Die Darmtätigkeit lag etwas danieder. Patient erhielt eine Injektion von Chlorbaryum 0,7 in 10,0 Wasser (destilliert) gelöst. Das Eindringen von Luft in die Vene war ausgeschlossen, weil die Einführung der Hohlnadel mit grösster Vorsicht vorgenommen wurde. Das Pferd fiel gleich nach der Einspritzung nieder, sprang nochmals auf, stürzte dann um und verendete. Bei der Zerlegung wurden im Magen und Darmkanale keine Veränderungen gefunden. Das Herz war schlaff, erweitert, in den Herzfurchen befanden sich viele kleine Blutungen. Die Herzkammern waren mit dunklem, locker geronnenem Blute gefüllt. An den übrigen Organen konnten keine Veränderungen nachgewiesen werden.
2. Ein Pferd zeigte mässige Unruhe, etwas aufgetriebenen Hinterleib, gespannte Bauchdecken und unterdrücktes Darmgeräusch. Die Zahl der kräftigen, gleich- und regelmässigen Pulse betrug 46, die der Atemzüge 16 in der Minute. Unter genauer Befolgung aller Vorsichtsmassregeln — Abscheren der Haare, Desinfektion der Haut an der Einstichstelle und der Instrumente, vorheriges Entfernen[S. 130] der Luft aus der Kanüle und Spritze — erhielt Patient eine Einspritzung von 1,0 Chlorbaryum, in 10,0 destilliertem Wasser gelöst, in die rechte Halsvene. Gleich nach der Injektion fing das Pferd an zu taumeln, stürzte nieder und starb unter Erscheinungen höchster Atemnot innerhalb 5 Minuten. Die Zerlegung ergab starke Füllung des Magens und der unteren Grimmdarmlagen mit Inhaltsmassen und am Herzen ausser Verdickung der Ränder der Mitralklappen die Zeichen der Herzlähmung.
3. Ein Pferd erkrankte nachmittags an Kolik. Es lag ausgestreckt in seinem Stande und stöhnte, den Kopf häufig nach dem Hinterleibe umdrehend. Nach energischem Antreiben stand das Pferd auf und schwankte beim Gehen. Der Puls war wenig fühlbar; es wurden 82 Pulse und 22 Atemzüge in der Minute gezählt. Schweissausbruch. Darmgeräusche unterdrückt. Patient erhielt eine intravenöse Injektion von 0,75 Chlorbaryum in 10,0 destilliertem Wasser gelöst. Ungefähr 7 Minuten nach der Applikation des Mittels stürzte Patient nieder und verendete. Die Zerlegung ergab hämorrhagische Entzündung der Dünndarmschleimhaut. Am Herzen bestanden die Merkmale der Herzlähmung.
4. Ein grosses und kräftiges Pferd, welches seit 2 Stunden an Kolik litt, zeigte normale Färbung der Bindehaut, 40 gleichmässige, kräftige und weiche Pulse, etwas verminderte Darmperistaltik und mässige Unruhe. Es erhielt eine Aloepille und intravenös 1,0 Chlorbaryum. Nach 10 Minuten stürzte das Pferd, welches im Schritt geführt wurde, um und verendete. Ausser einer leichten Rötung der Dünndarmschleimhaut konnten am Verdauungsapparate keine Veränderungen festgestellt werden. Das Herz zeigte eine auffällige Erschlaffung, beide Herzkammern waren stark mit Blut gefüllt.
5. Bei einem kolikkranken Pferde, bei welchem nach einer subkutanen Eserininjektion keine Wirkung eingetreten war, wurde schliesslich Chlorbaryum intravenös appliziert. Bald nach der Injektion stürzte das Pferd zusammen und verendete. Die Zerlegung konnte nicht vorgenommen werden.
6. Ein Pferd, welches seit etwa 2 Stunden krank war, zeigte grosse Unruhe, war aber nur wenig im Hinterleibe aufgetrieben. Die Anwendung der peristaltikerregenden Massnahmen, Einreibungen des Hinterleibs mit Terpentinöl, Klistiere usw. hatte keinen Erfolg. Darauf wurde dem Patienten eine Chlorbaryumlösung (0,8 g Chlorbaryum) intravenös appliziert. Die Injektion wurde mit grosser Vorsicht ausgeführt. Einige Minuten später stürzte das Pferd nieder und starb. Bei der Zerlegung wurden im Magen und Darmkanale keine Veränderungen gefunden, welche den Tod des Tieres hätten herbeiführen können. Das Herz war mit tiefdunklem locker geronnenem Blute gefüllt.
7. Bei einem kolikkranken Pferde trat nach einer Injektion von 0,8 Chlorbaryum in die Drosselvene apoplektisch der Tod ein. Die Zerlegung ergab pralle Füllung des Magens mit Futtermassen, im übrigen keine auffallenden Veränderungen. Der Puls war nicht erheblich beschleunigt gewesen, dabei kräftig.
8. Ein älteres, leicht an Kolik erkranktes Pferd erhielt intravenös 0,7 Chlorbaryum in 10,0 destilliertem Wasser injiziert. Nach einigen Minuten stürzte das Pferd nieder und verendete.
Versuche bei Schweinen ergaben nach Kabitz (D. T. W. 1905), dass das Baryumsulfat und die Steinchenform des Karbonats ungiftig sind, dass jedoch das reine Baryumkarbonat Schweine in Dosen von 1 g pro Kilogramm Körpergewicht rasch tötet (Kaubewegungen, Knirschen, Speicheln, Apathie; kein Durchfall).
Allgemeines. Das chlorsaure Kali, Kalium chloricum, KClO3, bildet glänzende, blätterige, farblose Kristalle von salpeterähnlichem, kühlendem Geschmack und wird als spezifisches Antiseptikum bei Stomatitis ulcerosa, als Diuretikum und Spezifikum gegen Blasenkatarrhe angewandt. Vergiftungen bei den Haustieren nach der klinischen Anwendung des Salzes sind noch nicht beobachtet worden. Dagegen sind Vergiftungen[S. 131] beim Menschen, namentlich bei Kindern (Diphtherie), sowie bei Personen mit verminderter Blutalkaleszenz (Fieber, Dyspnoe, Aufnahme von Säuren) in grösserer Anzahl nach dem unvorsichtigen Gebrauche des chlorsauren Kalis konstatiert. Aus der zahlreichen Literatur dieser Vergiftungen sind namentlich die Arbeiten von Marchand (Virchows Archiv Bd. 77) und v. Mering (Das chlorsaure Kali 1885) zu erwähnen.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Dass die Haustiere in gesundem Zustande sehr grosse Dosen von Kali chloricum ohne besonderen Nachteil ertragen, haben mir einige Versuche beim Rind, Pferd, Schaf und Hund gezeigt. Eine kleine, junge, 4 Zentner schwere Versuchskuh erhielt 50 g und 2 Tage darauf 100 g chlorsaures Kali, ohne irgendwelche Vergiftungserscheinungen zu zeigen. Dasselbe Resultat ergaben Versuche mit 30 und 40 g beim Pferde. Ein 70 Pfund schwerer Hammel zeigte auf 25 g Kali chloricum keinerlei Reaktion; 50 g des Salzes hatten zwar allgemeine Mattigkeit, unterdrückte Fresslust und Wiederkauen zur Folge, nach 3 Tagen hatte sich jedoch das Tier wieder vollständig erholt. Ein 9½ kg schwerer kleiner Versuchshund äusserte nach der Verabreichung von 10 g chlorsaurem Kali keinerlei Krankheitserscheinungen; nach 20 g des Salzes (nüchtern verabreicht) war ausser Brechreiz und vermehrtem Durst ebenfalls nichts Krankhaftes an dem Tiere nachzuweisen. Die tödliche Dosis des chlorsauren Kalis beträgt nach Zimmermann (Veterinarius 1900) für Pferde 250 g, für Rinder 500 g, für Schafe 100 g, für Hunde 60 g. Die Vergiftungserscheinungen sind die gleichen wie beim Menschen (vgl. unten).
Beim Menschen hat sich das Kali chloricum schon in kleinen Dosen als ein sehr gefährliches Blutgift (Methämoglobinämie) erwiesen, wenn es nüchtern oder bei Krankheiten angewandt wurde, welche mit sehr hohem Fieber, Atmungsbeschwerden oder mit Nierenentzündungen verlaufen. Die Krankheitserscheinungen sind als Folgezustände der Methämoglobinämie und der Anhäufung der Zerfallsprodukte des Blutes in der Niere, Leber, Milz und im Knochenmark anzusehen. Die wichtigsten derselben sind: Ikterus, grauviolette Flecken auf der Haut, Herzschwäche, hochgradige Atemnot, Durchfall, Erbrechen, Leberschwellung, Milzschwellung, Hämoglobinurie (braune Hämoglobinzylinder, gelbbraune, amorphe Schollen), Nephritis, Oligurie, Anurie, sowie urämische Zufälle (Delirien, Benommenheit, Koma, urämisches Erbrechen, Krämpfe, Eklampsia uraemica). Bei der Sektion findet man das Blut schokoladebraun verfärbt, spektroskopisch nur einen Absorptionsstreifen[S. 132] zwischen C und D im Roten zeigend, die roten Blutkörperchen entweder zerfallen oder entfärbt (Schatten) oder in der Gestalt verändert (Poikilozytose), Milz, Leber und Nieren vergrössert, das Knochenmark braun verfärbt, die Harnkanälchen der Nieren durch braune, zylinderförmige oder unregelmässig gestaltete Methämoglobinmassen verstopft.
Allgemeines. Von den Aetzalkalien haben am meisten Bedeutung für die tierärztliche Toxikologie der Aetzkalk, CaO, der Salmiakgeist, NH3, und die Kalilauge, KOH. Seltener sind Vergiftungen durch kohlensaures Ammonium, kohlensaures Natrium (Soda, Verwechslung mit Glaubersalz) und Kalium (Pottasche). Die Vergiftung durch Schwefelleber, K2S3, ist teils eine Aetzkalivergiftung, teils eine Schwefelwasserstoffvergiftung (vgl. S. 162). Aetzkalkvergiftungen können sich bei Gelegenheit der Desinfektion der Stallungen ereignen. Ammoniakvergiftungen werden entweder durch zu hohe Dosierung (volkstümliches Mittel gegen akutes Aufblähen des Rindes) oder zu starke Konzentration des Salmiakgeistes bei innerlicher Anwendung desselben als Aetzmittel (z. B. beim Bestreichen der sog. Steinzunge des Rindes, beim Legen von Fontanellen) oder durch zufälliges Einatmen des Gases veranlasst. Vergiftungen durch Kalilauge kommen bei Hunden nach dem zufälligen Trinken derselben vor.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die lokalen Veränderungen nach Einwirkung der oben genannten Aetzalkalien bestehen zunächst in Entzündung und Anätzung der Lippen, der Maulschleimhaut, der Zunge, der Schlundkopf- und Schlundschleimhaut, welche sich durch Schwellung und Verschorfung der betroffenen Teile, starkes Speicheln, Schlingbeschwerden und Erbrechen kennzeichnen. Der Aetzschorf ist im Gegensatz zu dem trockenen Säureschorf meist weich, schmierig, gelatinös gequollen (Kolliquation). Nach dem Einatmen von Ammoniak entsteht ferner starker Hustenreiz, beschwertes Atmen, Pneumonie, sowie Aushusten kruppöser Entzündungsprodukte. Meyer (Oesterreich. Vierteljahrsschr. 1883) berichtet über einen Fall, in welchem 54 Pferde einer Brauerei durch das Einatmen von Ammoniak aus einem Kühlapparat vergiftet wurden. Die Krankheitserscheinungen bestanden in schmerzhaftem Husten, blutigschaumigem Nasenausfluss, sowie Anätzung der Nasen-, Rachen- und Augenschleimhaut. Die Hälfte der Pferde starb nach kurzer Krankheitsdauer unter den Erscheinungen einer schweren Bronchitis und des Lungenemphysems. Bei 2 Pferden blieb hochgradiges Lungenemphysem zurück; die übrigen Pferde erholten sich allmählich[S. 133] im Verlauf von 14 Tagen. Binder sah nach dem Einschütten von 50 g Ammoniak bei Rindern und Pferden Verätzung der Maulschleimhaut, Schlingbeschwerden, Husten, Kolik, profuse Diarrhöe und in einem Fall sogar Perforation der Brustportion des Schlundes. Aehnliche Vergiftungserscheinungen bei Rindern nach dem Einschütten von Salmiakgeist haben Schauber und Sepp beobachtet (Woch. f. Tierh. 1902 und 1908); eine Kuh zeigte nach 100 g unverdünnten Salmiakgeistes heftige Atemnot, Husten und korrosive Stomatitis und Pharyngitis, genas aber. Penning (T. Bl. f. Niederl. Indien 1895) sah bei Pferden nach der Aufnahme von ungelöschtem Kalk Lungenödem und Darmentzündung.
Die Einwirkung auf die Magendarmschleimhaut äussert sich in Form einer schweren korrosiven Gastroenteritis. So starb beispielsweise ein Versuchshund nach dem Eingeben von 2 g reinen Ammoniaks in 23 Stunden an Magendarmentzündung (Orfila). Ein Pferd starb nach 30 g an Darmentzündung innerhalb 16 Stunden, ein anderes nach 90 g innerhalb 50 Minuten unter heftigen Krämpfen (Hertwig). 11 Kühe, welche statt Glaubersalz Soda erhalten hatten, starben unter den Erscheinungen der Darmentzündung (Eggeling, Berl. Arch. 1895). Der Tod erfolgt bei Vergiftung mit Aetzkalk und Kalilauge unter allgemeinen komatösen Erscheinungen, bei der Ammoniakvergiftung dagegen unter tetanischen Krämpfen (Ammoniak-Tetanus).
Bei der Sektion findet man kruppöse oder diphtherische Stomatitis, Pharyngitis und Oesophagitis, bei Salmiakgeistvergiftung auch kruppöse Laryngitis, Tracheitis, Bronchitis und Pneumonie, hochgradige Entzündung, braun- bis schwarzrote Verfärbung, sulzige Schwellung und Korrosion der Magenschleimhaut. Der Blutfarbstoff wird in alkalisches Hämatin umgewandelt, so dass das Blut eine braune, dicke, gelatinöse Masse bildet. Von den Weichteilen werden am schnellsten die Muskeln nekrotisch, während das Bindegewebe und die Gefässe wenig oder gar nicht angegriffen werden (Carbone).
Behandlung. Im ersten Stadium der Vergiftung besteht die Therapie in der Verabreichung verdünnter Säuren, namentlich des überall vorrätigen Essigs. Sodann gibt man zur Einhüllung der korrodierten Schleimhäute ölige und schleimige Mittel in Verbindung mit Opium. Die Kollapserscheinungen werden symptomatisch durch Exzitantien (Aether, Kampfer) behandelt. Brechmittel und[S. 134] Abführmittel sind wegen der Gefahr einer Magen- resp. Darmruptur zu vermeiden. Bei laryngealer Stenosenbildnng im Verlaufe der Ammoniakvergiftung kann die Tracheotomie notwendig werden.
Nachweis. Vergiftungen durch Aetzalkalien sind vor allem an der stark alkalischen Reaktion des Mageninhaltes zu erkennen. Zum genaueren Nachweis der Natur der Vergiftung müssen die entsprechenden Kali-, Kalk- und Ammoniakreaktionen vorgenommen werden. 1. Aetzkali färbt die Flamme violett und gibt mit Weinsäure einen kristallinischen Niederschlag von Weinstein, welcher nach dem Glühen das stark alkalisch reagierende, mit Säuren aufbrausende kohlensaure Kali hinterlässt, welches die Flamme ebenfalls blau färbt. Ausserdem gibt die mit Salzsäure neutralisierte Lösung der Kalisalze mit Platinchlorid und Alkohol einen gelben kristallinischen Niederschlag von Kalium-Platinchlorid, welcher auch zur quantitativen Bestimmung benützt werden kann; 100 Teile desselben entsprechen 19,27 Teilen Kalium. 2. Der Nachweis des Aetzkalks wird durch Einäscherung des Untersuchungsmaterials, Auflösen der Asche in Salzsäure (Chlorkalzium), Ausfällen der Phosphorsäure durch Eisenchlorid und Chlorammonium, Versetzen der Chlorkaliumlösung mit Ammoniak und Ausfällen des Kalks durch Oxalsäure als oxalsaurer Kalk geliefert. Das Chlorkalzium kann ferner an der orangeroten Färbung der Flamme durch seine Lösung erkannt werden (Kalkreaktion); ausserdem gibt Schwefelsäure einen weissen Niederschlag von schwefelsaurem Kalk (Gips), der zum Unterschiede von schwefelsaurem Baryt in unterschwefligsaurem Natron löslich ist. 3. Das Ammoniak wird durch seinen Geruch, sowie durch die Bildung weisser Nebel bei Annäherung eines in Salzsäure getauchten Glasstabes nachgewiesen (Bildung von Chlorammonium).
Salmiak. Mit dem Ammoniak nicht zu verwechseln ist der Salmiak, Ammonium chloratum, ClNH4. Derselbe wirkt in grossen Dosen ebenfalls giftig. Pferde zeigen nach 90–180 g grössere Röte der Schleimhäute, schnelleres Atmen, sehr vermehrtes Urinieren, häufige Entleerung von weichem Kote (Hertwig). Ein Pferd starb, nachdem es innerhalb 5 Tagen 750 g Salmiak erhalten hatte, am 5. Tage (Delafond); andere Pferde, welche täglich 3–4mal Dosen von 30 g erhielten, starben nach 26–38 Tagen (Hertwig). Hunde sterben nach 6–8 g Salmiak bei unterbundenem Schlunde nach einer Stunde, nachdem Brechneigung, Kolik, Schwäche, starke psychische Erregung (wütendes Umherlaufen, klagendes Geheul), sowie tetanusartige Konvulsionen vorhergegangen sind (Orfila). Mittlere Dosen, längere Zeit hindurch angewandt, erzeugen Verdauungsstörungen, Abmagerung, Mattigkeit und Schwäche; so sterben Hunde, nachdem sie[S. 135] täglich 3–4mal Dosen von 2 g erhalten, nach 12–16 Tagen. Kaninchen sterben auf 2 g Salmiak innerhalb 10 Minuten unter Krämpfen. Die Sektion ergibt heftige Magendarmentzündung. Auch nach der subkutanen Injektion von Ammoniumsulfat zeigen Kaninchen strychninartige Krämpfe (Vaerst, B. T. W. 1904).
Schmierseife. Schultz (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1894) will bei einem Rind eine tödliche Darmentzündung nach dem Eingeben von 250 g Schmierseife beobachtet haben (?). (Das an Indigestion leidende Tier hatte vorher 3½ Pfd. Glaubersalz erhalten!) Meine eigenen Versuche ergaben, dass 250,0 Schmierseife für Rinder und 100,0 für Schafe ohne jede schädliche Wirkung sind. Bissauge (Journ. de Lyon 1901) sah bei einer Ziege, die 300 g Seife verzehrt hatte, stinkenden und blutigen Durchfall sowie Lähmungserscheinungen; nach 8 Tagen trat Heilung ein, die Milchsekretion blieb jedoch sistiert.
Kalium carbonicum. Die tödliche Dosis für den Hund beträgt 10–15 g (Herzlähmung, Kollaps).
Natrium bicarbonicum. Fast ungiftig. Hunde, wochenlang mit 15 g pro Tag gefüttert, zeigen Erbrechen, Durchfall und Abmagerung.
Allgemeines. Im Gegensatz zu äusseren Verätzungen, welche bei Pferden und Hunden zuweilen vorkommen, sind innerliche Vergiftungen mit ätzenden Säuren bei den Haustieren sehr selten. Bisher sind nur Vergiftungen mit Schwefelsäure konstatiert worden. Dieselben haben sich bei Pferden (Gerlach, Gerichtliche Tierheilkunde 1872) und Kühen (Bubendorf, Zündels Jahresbericht 1883) nach der Aufnahme von Stroh ereignet, welches zum Verpacken von Schwefelsäureflaschen gedient hatte und von der Säure durchtränkt war. In einem Fall soll die Vergiftung auch dadurch entstanden sein, dass Schwefelsäure zur Maische hinzugesetzt wurde (Johne, Sächs. Jahresbericht 1880). Häufiger sind, namentlich in Berlin, äussere Verätzungen von Pferden und Hunden durch zersprungene Schwefelsäureballons oder durch die vielfach im Haushalt benützte Schwefelsäure (sog. Oleum oder Vitriolöl). Vergiftungen durch Salpetersäure oder Salzsäure sind bis jetzt klinisch nicht zur Beobachtung gelangt, auch nicht durch Phosphorsäure, der schwächsten anorganischen Säure.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Vergiftungserscheinungen sind zunächst lokaler Natur. Sie bestehen in Verätzung der Haut, sowie der Lippen- und Maulschleimhaut mit nachfolgender reaktiver Entzündung, Speicheln und Schlingbeschwerden. Gleichzeitig entstehen infolge der Verätzung der Magenschleimhaut Würgen, Erbrechen und schwere Kolikanfälle mit Lähmung der Magen- und Darmperistaltik. Der tödliche Ausgang tritt meistens sehr rasch unter den Erscheinungen der Herzschwäche und tiefen Kollapses ein. Bei der Sektion findet man ulzeröse, korrosive Stomatitis,[S. 136] Pharyngitis, Oesophagitis, Gastritis und Enteritis, unter Umständen auch Magenperforation und Peritonitis. Seltener entwickeln sich bei den Tieren Strikturen des Schlundes und Magens. Die Aetzschorfe auf der Haut sind bei den Mineralsäuren meist fest.
Behandlung. Dieselbe besteht in der möglichst raschen Verabreichung verdünnter Alkalien, namentlich von Seifenwasser, Kalkwasser, Sodalösung, Pottaschelösung, verdünnter Natronlauge und Kalilauge, Magnesia usta und carbonica, ferner von Opium in Verbindung mit einhüllenden, schleimigen und öligen Mitteln, endlich in der Anwendung von Exzitantien (Aether oder Kampfer subkutan).
Nachweis. Die Vergiftungen mit Schwefelsäure, Salpetersäure, Salzsäure lassen sich zunächst durch die charakteristische Farbe des Aetzschorfs und die stark saure Reaktion des Schorfes und Mageninhaltes nachweisen. Sodann werden die Säuren durch Wasser ausgezogen und mittelst ihrer charakteristischen Reaktionen untersucht. 1. Die Schwefelsäure gibt mit Chlorbaryum oder salpetersaurem Baryt weisse Niederschläge, welche in verdünnter Salz- oder Salpetersäure unlöslich sind; ferner mit Bleizucker einen weissen Niederschlag von Bleisulfat, der nur in kochender Salz- und Salpetersäure löslich ist. 2. Die Salpetersäure bildet, mit metallischem Kupfer und Schwefelsäure versetzt, rote Dämpfe von Untersalpetersäure; sie färbt sich ferner mit wenig Eisenvitriollösung und Schwefelsäure an der Berührungsstelle tiefbraun; mit einer wässerigen Lösung von Diphenylamin und Schwefelsäure färbt sie sich blau. 3. Die Salzsäure ist an ihrem charakteristischen Geruch (Dämpfe) und an dem weissen, käsigen, voluminösen Niederschlag mit Höllensteinlösung (Chlorsilber) zu erkennen, der sich in Salmiakgeist, Zyankaliumlösung und unterschwefligsaurem Natron leicht löst. Sie wird auch quantitativ als Chlorsilber nachgewiesen; 100 Teile Chlorsilber entsprechen 25,44 Teilen Salzsäure.
Allgemeine Giftwirkung der Säuren. Werden Tieren experimentell innerlich auf einmal tödliche Dosen verdünnter Säuren beigebracht, so sterben sie an allgemeiner Säurevergiftung infolge Verlust der Blutalkaleszenz. Dabei tritt der Tod schon ein, noch ehe das Blut ausgesprochen sauer reagiert; die vollständige und anhaltende Neutralisation der Alkalien des Blutes genügt, um den Tod herbeizuführen. Die Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen Säuren ist je nach der Tiergattung verschieden. Hundeblut neutralisiert z. B. viel grössere Mengen Säuren durch verfügbares Ammoniak als dies bei Kaninchen der Fall ist.[S. 137] Auch im Hungerzustand können dem Blute durch die auftretenden Säuren (Schwefelsäure aus dem Schwefel des Eiweisses, Phosphorsäure aus dem Lezithin der Blutkörperchen) soviel Alkalien entzogen werden, dass eine Art von Säurevergiftung des Blutes eintritt. Bei länger fortgesetzter Säureverabreichung können auch chronische Vergiftungen auftreten; bei Lämmern entsteht nach mehreren Monaten Verarmung des Skeletts und Fleisches an Kalksalzen (Weiske). — Nicht zu verwechseln mit Säurevergiftung ist die bei jeder Leiche normal auftretende saure Reaktion des Blutes und der Muskulatur infolge der Bildung von Milchsäure, Bernsteinsäure und flüchtigen Fettsäuren.
Allgemeines. Essigsäure bildet sich aus Alkohol durch die Tätigkeit des Essigsäure-Gärungspilzes, Mykoderma aceti. Vergiftungen durch Essigsäure kommen bei unseren Haustieren namentlich in Branntweinbrennereien vor, wenn der Alkohol sich teilweise zu Essigsäure verwandelt hat und die Schlempe dadurch grössere Mengen von Essigsäure enthält, oder wenn die Schlempe vor dem Verfüttern in saure Gärung übergegangen ist. Auf diese Weise können viele Tiere zu gleicher Zeit vergiftet werden. So beobachtete Mummenthey (Preuss. Mitt. 1883) eine Essigsäurevergiftung bei 80 Kühen eines Stalles. Vereinzelte Fälle sind ferner beschrieben von Stockfleth (Tidskrift for vetrinairer Bd. 7), Eckhardt (Ad. Wochenschrift 1881) und Ward (The vet. journ. Bd. 23).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Essigsäurevergiftung äussert sich durch gastroenteritische und Lähmungserscheinungen. Sie beginnt gewöhnlich mit gastrischen Störungen (Appetitlosigkeit, unterdrücktes Wiederkauen), Kolik und Durchfall, woran sich Schwanken, Betäubung, Puls- und Atmungsbeschleunigung, sowie Kollaps anschliessen.
Um die Wirkung der Essigsäure bei den Wiederkäuern genauer kennen zu lernen, habe ich einer 20 kg schweren Ziege 150 g einer 5proz. Essigsäurelösung (der gewöhnliche Hausessig enthält 6 Proz. Essigsäure) eingegeben, worauf der Tod nach 24 Stunden erfolgte (tödliche Dosis der Essigsäure für Wiederkäuer = 0,4 pro kg Körpergewicht). Die Vergiftungserscheinungen waren folgende: Schon eine Stunde nach der Verabreichung zeigte die Ziege starke Atemnot, sowie die Symptome eines beginnenden Lungenödems. Ausserdem war der Hinterleib, namentlich die Nierengegend, bei der Palpation sehr schmerzhaft und es wurde blutiger Harn abgesetzt; gleichzeitig bestand starkes Schäumen und Speicheln. Nach 6 Stunden trat hochgradige Mattigkeit und Schwäche und zuletzt ein lähmungsartiger Zustand ein. Bei der Sektion fanden sich die Erscheinungen eines ausgesprochenen Lungenödems mit starker[S. 138] Lungenhyperämie, sowie die Symptome einer entzündlichen Reizung der Magendarmschleimhaut (Rötung der Labmagenschleimhaut, starke Rötung und Schwellung der Dünndarm- und Dickdarmschleimhaut mit erbsengrossen Hämorrhagien, Schwellung der Peyerschen Plaques); ausserdem bestand parenchymatöse Nephritis und Hepatitis.
Behandlung. Dieselbe ist im wesentlichen die gleiche, wie bei der vorigen Vergiftung. Man gibt verdünnte Alkalien, namentlich Seifenwasser und Sodalösung als chemisches Gegengift, verabreicht einhüllende, schleimige Mittel und bekämpft die Lähmungserscheinungen symptomatisch durch Exzitantien.
Nachweis. Die Essigsäure lässt sich zunächst durch den charakteristischen Essiggeruch und die saure Reaktion nachweisen. In freiem Zustande (sie geht sehr bald in Salze über) wird sie entweder durch Destillation oder Extraktion mit Alkohol von den Untersuchungsmassen getrennt und ist als Essigsäure daran zu erkennen, dass ihre wässerige Lösung mit etwas Eisenchlorid sich blutrot oder tief weinrot färbt, eine Farbe, die durch Zusatz einiger Tropfen Salmiakgeist noch intensiver wird. Sie gibt ferner, mit Natron gesättigt und getrocknet, sowie mit einem Körnchen Arsenik trocken erhitzt, den charakteristischen Kakodylgeruch, mit Alkohol und Schwefelsäure erhitzt, einen Essigäthergeruch.
Vergiftung durch Ameisensäure. Die Ameisensäure kommt in Tieren (Ameisen, Bienen, Wespen, Hornisse, Prozessionsraupen) und Pflanzen (Brennessel) vor, welche dadurch giftig auf den tierischen Organismus einwirken können; vgl. das Kapitel über Bienenstiche. Diese Vergiftungen sind jedoch nur zu einem geringen Teil auf die Wirkung der Ameisensäure, in der Hauptsache vielmehr auf ein gleichzeitig im Giftsekret der Bienen etc. enthaltenes Enzym bezw. Toxin zurückzuführen. Reine Ameisensäure wirkt wie die übrigen ätzenden Säuren.
Vergiftung durch Milchsäure. Neben lokaler Aetzung entsteht bei Versuchstieren Endokarditis (Rauch). Nach Kobert kommen ferner akute oder subakute Autointoxikationen durch Milchsäure vor, so bei starker Darmgärung, im Fieber, bei allen Zuständen von Verminderung der Blutalkaleszenz, bei sauerstoffarmer Luft, bei Blausäure-, Phosphor- und Kohlenoxydvergiftung. — In ähnlicher Weise bildet sich bei der Zuckerharnruhr im Blute die Oxybuttersäure, Azetessigsäure und das Azeton als Selbstgift (Coma diabeticum).
Vergiftung durch Weinsäure. Bei Versuchstieren fällt die rosarote Verfärbung der Magenschleimhaut und des Blutes auf.
[S. 139]
Allgemeines. Die Oxalsäure (Kleesäure, Zuckersäure) wird fabrikmässig durch Oxydation von Traubenzucker mit Salpetersäure oder durch Erhitzung von Zellulose mit Aetzalkalien dargestellt. Sie hat die Formel C2H2O4 = 2(COOH) und kristallisiert in wasserhellen, geruchlosen, stark sauer schmeckenden Prismen; ihre Lösung gibt mit Kalkwasser einen unlöslichen Niederschlag von oxalsaurem Kalk (Kristalle von Briefkuvertform). Vergiftungen durch freie Oxalsäure, welche beim Menschen sehr häufig sind (Gebrauch zum Putzen von Messing- und Kupfergerät, Entfernen von Tintenflecken), wurden in der Tierheilkunde bisher nur vereinzelt (Mire, Revue vétér. 1881; 2 eigene Beobachtungen) beim Hund festgestellt.
Während die Oxalsäure in freiem Zustand in der Natur nicht vorkommt, findet sie sich in Form oxalsaurer Salze in mehreren Pflanzen. Von besonderer Wichtigkeit ist das saure oxalsaure Kalium, welches unter dem Namen Kleesalz, Sauerkleesalz, Bitterkleesalz (Sal Acetosellae) bekannt ist und in grösseren Mengen namentlich in verschiedenen Rumexarten vorkommt und bei unseren Haustieren zuweilen Veranlassung zu Vergiftungen gibt (vgl. die Vergiftung durch Rumexarten). Vergiftungen durch Verwechslung von Bitterkleesalz mit Bittersalz sind bei den Haustieren, soviel bekannt, noch nicht vorgekommen. — Experimentell hat das in seiner Allgemeinwirkung der Oxalsäure und den Oxalaten sehr ähnliche Oxamid von der Formel 2(CONH2) eine gewisse Bedeutung erlangt (vgl. S. 140).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Oxalsäure wirkt je nach der Konzentration reizend oder ätzend auf die Magendarmschleimhaut. Die Erscheinungen bestehen daher zunächst in Uebelkeit, Würgen, Erbrechen, Schlingbeschwerden und mehr oder weniger heftigen Kolikanfällen. Nach ihrer Resorption ins Blut kann sie entweder sehr rasch unter den Erscheinungen von Bewusstlosigkeit, Zusammenstürzen, Krämpfen, starkem Sinken der Innentemperatur und Herzlähmung zum Tod führen, oder sie bedingt im weiteren Verlauf charakteristische Symptome von seiten des Nervensystems und der Nieren. Die ersteren bestehen in Zuckungen sowie tetanischen Krampfparoxysmen, welche später in Lähmung übergehen. Die Nieren erkranken hauptsächlich dadurch, dass die im Blute gebildeten Kalziumoxalatkristalle eine mechanische Verstopfung der Harnkanälchen, sowie eine Verlegung des gesamten sezernierenden Nierenparenchyms bedingen (Kobert und Küssner), was Anurie und Urämie mit tödlichem Ausgang zur Folge hat. Ausserdem besteht Albuminurie, Hämaturie und Glykosurie. Bei der Sektion findet man die Erscheinungen einer korrosiven, häufig auch hämorrhagischen Gastroenteritis.[S. 140] In den Nieren beobachtet man konstant zwischen Rinde und Mark eine weisse, aus Kalziumoxalat bestehende Zone. Aehnliches wird nach der innerlichen Verabreichung von Oxamid beobachtet, wobei sogar förmliche Konkremente von Kalziumoxalat die Ausführungsgänge der Nierenpapillen, die Harnleiter und die Harnröhre verstopfen können (künstliche Harnsteine). Das Blut zeigt zuweilen eine hellkirschrote Farbe.
Die Behandlung besteht in der Verabreichung von Kalkwasser, Zuckerkalk, kohlensaurem Kalk und kohlensaurer Magnesia, sowie von harntreibenden Mitteln. Der Nachweis wird durch die Anwesenheit der briefkuvertähnlichen Kalziumoxalatkristalle in der Niere, Darmschleimhaut, Leber etc. geliefert; dieselben haben wohl auch die Form von Nadeln, Wetzsteinen und Garbenbündeln.
Toxikologische Versuche. Um die Wirkung der Oxalsäure auf Pflanzenfresser und Fleischfresser kennen zu lernen, habe ich Versuche mit derselben beim Schaf und Hund gemacht.
1. Ein 10 kg schwerer Hund erhielt 10 g Oxalsäure in Wasser gelöst. Sehr bald nach dem Eingeben (3 Minuten) stellte sich Erbrechen, starke Unruhe, sowie heftiges Stöhnen ein. 1 Stunde nachher zeigte sich sehr angestrengtes Atmen, Mattigkeit bei der Bewegung, sowie hochgradige Schmerzhaftigkeit bei der Palpation des Hinterleibs, nach weiteren 3 Stunden blutiger Durchfall mit Zunahme der Mattigkeit und starker psychischer Depression. Am Tage nach der Verabreichung hatte sich das Allgemeinbefinden gebessert; Erbrechen und Durchfall bestanden jedoch fort, ausserdem war die Innentemperatur von 39,3° C auf 37,4° C gefallen. Am 2. Tage sank die Temperatur auf 36,9° C, die Mattigkeit des Tieres nahm zu, dasselbe lag schliesslich gelähmt am Boden und starb in der darauffolgenden Nacht. Bei der Sektion fand man hämorrhagische Gastritis und Proktitis, katarrhalische Enteritis, parenchymatöse und hämorrhagische Nephritis, Oxalatinfarkt der Niere, sowie Leberverfettung. Der genaue Sektionsbefund war folgender: Die Schleimhaut des Magens ist geschwollen, diffus gerötet und ebenso wie die geschwollene Schleimhaut des Dünndarmes mit grauweissem, zähem, glasigem Schleime bedeckt. Im Mastdarm ist die Schleimhaut in Falten, Längsfalten gelegt und auf der Höhe der Falten punktförmig gerötet. Die Nieren fühlen sich derb an; die Züge der geraden Harnkanälchen sind grauweiss, trübe und verbreitert, die Grenzschicht stark gerötet. Im ganzen Parenchym der Niere, besonders aber in der Rindenschicht finden sich sehr zahlreiche Drusen von oxalsaurem Kalk; die geraden Harnkanälchen sind mit ihnen teilweise angefüllt und erscheinen bei der makroskopischen Betrachtung als feine weisse Striche. Die Rindenschicht erscheint sehr breit und setzt sich von der Grenzschicht scharf ab. An den Grenzen zwischen beiden macht sich ein hellerer Saum bemerkbar. Das Nierenepithel ist stark desquamiert, die Zellen vergrössert und in starker Verfettung begriffen. Durch fettigen Detritus sind die Zellen vielfältig schon gänzlich verfallen und ihre Konturen nicht mehr zu erkennen. Diese Massen füllen die Harnkanälchen[S. 141] zusammen mit roten Blutkörperchen und den Oxalsäurekristallen aus. Zwischen den Leberzellen finden sich ebenfalls vereinzelt Kristalle von oxalsaurem Kalke vor. Die Leberzellen selbst sind ausserordentlich stark in Verfettung begriffen. In den vergrösserten Zellen besteht in vielen der Zellinhalt aus grösseren und kleineren Fetttröpfchen. In der Blase finden sich zirka 5 g einer milchigen Flüssigkeit, die aus Blasen-, Nierenepithel und vielen Samenfädchen besteht. Ferner finden sich Kristalle von oxalsaurem Kalk darin.
2. Ein 70 Pfd. schwerer Hammel erhielt 25 g Oxalsäure in Wasser gelöst; 4 Stunden nach dem Einschütten der Arznei starb das Versuchstier. Es zeigte starke Eingenommenheit der Psyche, starke Schmerzhaftigkeit bei Druck auf den Hinterleib und die Nierengegend, Brechbewegungen, sehr schwachen Puls, Unruheerscheinungen, Speicheln, blutigen Durchfall, sowie gegen das tödliche Ende hochgradige Dyspnoe. Die Sektion ergab folgenden Befund: Die Schleimhaut des vierten Magens erscheint geschwollen, in Falten gelegt, trüb, glasig und gerötet. Die Rötung ist besonders ausgeprägt auf der Höhe der Falten. Die Schleimhaut des Dünndarms erscheint in den Anfangsabschnitten gleichfalls geschwollen und schwach gerötet, die des Mastdarms ist geschwollen und graurot gefärbt. Die Milz ist vergrössert, blaugrau gefärbt und von einer ziemlich steifen Konsistenz. Auf der Schnittfläche tritt die braunrote Pulpa etwas zurück, Lymphfollikel und trabekuläres Gewebe sind deutlich kenntlich. Die Leber ist geschwollen, die Ränder sind abgerundet, die Kapsel gespannt und durchsichtig. Die Farbe der Leber ist eine graubraune, die Konsistenz eine mürbe. Die Schnittfläche erscheint sehr blutreich und ist ziemlich gleichmässig braunrot gefärbt. Die Grenzen der Leberläppchen sind kaum kenntlich. Die Nierenkapseln lassen sich leicht abziehen, die Farbe der Nieren ist eine hellgraubraune, ihre Konsistenz ziemlich derb. Auf der Schnittfläche erscheint die Rindensubstanz rötlich grau, trüb, undurchsichtig. Die Glomeruli erscheinen als kleine rote Pünktchen. Die Züge der geraden Harnkanälchen sind erweitert und lassen sich auch in der Grenzschicht noch gut erkennen. Aus den Sammelröhren fliesst bei Druck eine schleimige, grauweisse, zähe Masse ab. — Lungen- und Brustfell sind glatt und glänzend. Die Lungen sind hellrot und in allen Teilen lufthaltig. Die Schnittfläche erscheint rosafarben, feucht, glänzend. Bei Druck wird eine feinblasige, schaumige Flüssigkeit entleert. Die mikroskopische Untersuchung des Harns ergibt eine sehr reichliche Menge von oxalsauren Kalksalzen, welche in drusenartiger Anordnung liegen. Die meisten haben eine länglich-viereckige Gestalt, einzelne lassen einen quadratischen Mittelpunkt erkennen, von dem 4 gleichgestaltete, leicht quergestreifte Strahlen abgehen. Neben diesen sternförmigen Kristallen werden auch vereinzelt nadelförmige, mit feiner Spitze und ziemlich breiter Basis gefunden. Weiter ist Blasenepithel und Nierenepithel nachzuweisen. Die Reaktion ist neutral, Gallenfarbstoffe sind in geringer Menge und Eiweiss zu 1 Proz. vorhanden. In der Rindenschicht der Niere, aber auch in der Mark- und Grenzschicht finden sich zerstreut im Parenchym zahlreiche Drusen von oxalsaurem Kalk. Die Kristalle werden auch in den Harnkanälchen nachgewiesen. Das Epithel derselben ist teilweise deformiert, die Zellen sind getrübt. Ferner finden sich in den Harnkanälchen zahlreiche rote Blutkörperchen. Die Leberzellen sind mit Fettkörnchen reichlich angefüllt und scheinen etwas vergrössert. Zwischen ihnen finden sich vereinzelt Kristalle von oxalsaurem Kalk. Der Sektionsbefund ist mithin ein ähnlicher wie beim ersten Versuche.
[S. 142]
Oxalurie. Mit diesem Namen wird eine beim Menschen, namentlich in England, beobachtete chronische Krankheit bezeichnet, welche sich durch sehr reichliche Ausscheidung von oxalsaurem Kalk im Harn charakterisieren, mit schweren psychischen Depressionszuständen verlaufen und eine Prädisposition für Diabetes mellitus bilden soll. Man bringt die Bildung des Kalziumoxalats mit anhaltender Körperruhe und unvollständiger Verbrennung des Eiweisses in Verbindung. Vereinzelt soll die Krankheit auch durch den Genuss oxalhaltiger Pflanzen und Limonaden beim Menschen entstehen. Sie wird daher wohl auch als „chronische Oxalvergiftung“ aufgefasst (Kobert). Bei den Haustieren ist nichts Derartiges bekannt.
Allgemeines. Vergiftungen mit Jodoform kamen früher besonders bei Hunden vor, wenn dieselben sich das auf die Wunde aufgestreute Jodoform ableckten. Ich habe selbst mehrere solche Fälle bei Hunden beobachtet. Auch Albrecht hat einen Fall veröffentlicht (Wochenschr. f. T. 1887). Die tödliche Dosis des Jodoforms soll für Warmblüter nach den Untersuchungen von Poljäkow (Russischer Veterinärbote 1884) bei Einführung in die serösen Säcke 0,5 g pro Kilo Körpergewicht, 1,0 g bei stomatikaler und 1,5–2,0 g bei subkutaner Anwendung betragen. Von Wunden aus wirkt Jodoform jedenfalls schon in kleineren Dosen tödlich. Auch verhalten sich nicht alle Tiere gleich. So starb z. B. eine ältere Kuh, welcher ich versuchsweise 50 g Jodoform innerlich verabreichte, nach 36 Stunden unter Temperaturabfall, Krämpfen und Narkose; die Sektion ergab Gastroenteritis, Drüsenveränderungen und Lungenhypostase. Dagegen ertrug ein 10 Tage altes Kalb 5 g Jodoform innerlich ohne jede Reaktion.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Jodoform wirkt dadurch, dass es im Körper freies Jod abgibt. Die Jodoformvergiftung ist also im wesentlichen eine Jodvergiftung. Man hat dabei zwischen einer akuten und chronischen Vergiftung zu unterscheiden.
1. Die akute Jodoformvergiftung (akuter Jodismus) äussert sich zunächst in leichten gastrischen Störungen (Appetitverlust, Erbrechen, Verstopfung), sodann in Schläfrigkeit, Betäubung und Koma, welche von Krampfanfällen unterbrochen werden. Hunde zeigen zuweilen schon anfangs starke Aufregung und selbst wutähnliche Zufälle. Weiter findet starkes Sinken der Innentemperatur statt und es entwickeln sich die Zeichen der Herzschwäche (sehr frequenter, kleiner Puls, pochender Herzschlag, Dyspnöe, Oligurie, Albuminurie).
Bei der Sektion findet man als Hauptveränderungen Verfettung der grossen Körperdrüsen (Leber, Niere), des Herzmuskels und der Skelettmuskeln, sowie zuweilen Glomerulonephritis und Verkalkung der Niere.
[S. 143]
2. Die chronische Jodoformvergiftung (chronischer Jodismus) verläuft unter den Erscheinungen der chronischen Jodvergiftung. Dieselben bestehen in Abmagerung, Schwund der Drüsen, namentlich der Milchdrüse, Jodexanthem und Katarrh der Schleimhäute, insbesondere der Nasenschleimhaut (Jodschnupfen), der Lidbindehaut, der Kehlkopf- und Bronchialschleimhaut. Die beim Menschen ausserdem vorkommenden zerebralen Störungen (Melancholie, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Gedächtnisschwäche) sind bei den Haustieren bisher nicht beobachtet worden.
Behandlung. Man hat zunächst das Jodoform durch Brechmittel aus dem Magen zu entfernen. Eigentliche Antidote gegen Jod gibt es wenige. Man kann versuchen, durch grosse Dosen von Stärkemehl (Jodstärke) oder Eiweiss (Jodalbuminat) das Jod unwirksam zu machen. Auch die Verabreichung von Natrium und Kalium bicarbonicum, sowie von Bromkalium zur Bindung des Jods ist empfohlen worden. Ausserdem wird Natrium subsulfurosum (Natriumthiosulfat) von der Formel Na2S2O3 als spezifisches Antidot gegen Jodvergiftung empfohlen (J2 + 2 Na2S2O3 = 2 NaJ + Na2S4O6). Daneben wird symptomatisch mit Exzitantien behandelt (Aether, Kampfer, Koffein etc.).
Nachweis. Das im Magen und Darm enthaltene Jodoform wird aus dem schwach alkalisch gemachten wässerigen Destillat mit Aether ausgeschüttelt. Es kristallisiert dann nach dem Verdunsten des Aethers meist in charakteristischen gelben hexagonalen Tafeln aus; seltener bildet es undeutliche Kristalle oder ist amorph. Erhitzt man ferner die Lösung des Jodoforms in wenig Alkohol mit sehr wenig Phenolnatrium, so zeigt sich sehr bald am Boden eine rötliche Abscheidung von Rosolsäure, welche sich in verdünntem Weingeist mit schöner karminroter Farbe löst.
In den inneren Körperorganen kann das Jodoform als solches nicht mehr nachgewiesen werden, weil es sich unter Abspaltung von Jod zersetzt hat. Zum Nachweise dieses im Körper an Kalisalze gebundenen Jods müssen die zu untersuchenden Massen zunächst durch Glühen mit Natronsalpeter von organischen Beimengungen befreit werden, worauf der Rückstand mit Kohle gemengt und geglüht, nach dem Erkalten mit Alkohol ausgezogen, der Auszug verdunstet, der Rückstand (Jodnatrium) in wenig Wasser gelöst und[S. 144] vorsichtig mit verdünnter Schwefelsäure übersättigt wird. Die schwefelsaure Flüssigkeit wird sodann unter Zusatz von etwas Braunstein oder chromsaurem Kali überdestilliert und das Jod dadurch in Form violetter Dämpfe frei gemacht. Das übergegangene Destillat gibt ferner auf Zusatz von kaltem Stärkekleister Blaufärbung und mit Chloroform oder Schwefelkohlenstoff eine violette Farbe.
Jod. Vergiftungen durch freies Jod sind bei den Haustieren bisher nicht beobachtet worden. Dagegen haben experimentelle Versuche mit Jod bei unseren Haustieren folgendes ergeben. Hunde starben nach der innerlichen Verabreichung von 8–12 g Jod (Hertwig). Ferner genas ein Hund auf 4,7 g Jod nach vorausgegangenem heftigem Erbrechen und Schluchzen (Orfila), ein anderer nach 6 g Jod. Nach 14tägiger Verabreichung von täglich 2mal 0,6–0,9 g Jod zeigten Versuchshunde starke Abmagerung, Erbrechen und Diarrhöe. Nach Böhm starben Hunde nach intravenöser Applikation von 0,04 freiem Jod pro kg; 0,02 und 0,03 g werden dagegen noch gut ertragen. Pferde zeigen nach 14tägiger innerlicher Verabreichung von täglich 2mal 2–4,0 g Jod starke Abmagerung und Durchfall; 4–8,0 g Jod intravenös eingespritzt erzeugten Taumeln, Betäubung, Zusammenstürzen, Atmungsbeschleunigung, konstant schmerzhaften Husten, Pupillenerweiterung und Mattigkeit (Hertwig). Auf die roten Blutkörperchen wirkt Jod auflösend (Methämoglobinämie); ähnlich wirken die jodsauren Salze. Einen Fall von Jod-Idiosynkrasie bei einem Hund nach Verabreichung von Lebertran hat Frick beschrieben (D. t. W. 1898). Kaninchen zeigen bei Jodvergiftung (0,1) Hämaturie und Nierenverkalkung (v. Kossa).
Jodkalium. Die innerliche Anwendung des Jodkaliums gegen Aktinomykose des Rindes und Botryomykose des Pferdes hat neuerdings vielfach akuten und chronischen Jodismus (vergl. S. 143) zur Folge gehabt. Gerö (Veterinarius 1901) verabreichte einem 1½jährigen Stier gegen Sarkom innerlich in 4 Tagen 70 g Jodkali, worauf derselbe schwer erkrankte und Schwellung der Augenlider, Tränenfluss, Zähneknirschen und Speicheln, rote Flecken auf der Nasenschleimhaut, Strangurie, Albuminurie, sowie Lähmungserscheinungen zeigte, sich jedoch wieder erholte. Bouchet (Progr. vét. 1902) sah bei einem Pferd, das gegen Aktinomykose ein ganzes Jahr lang insgesamt 1½ kg Jodkalium erhielt, Haarausfall über den ganzen Körper, sowie nässende Ekzeme an allen fein behaarten Körperstellen. Schuster (Woch. f. T. 1906) beobachtete bei einem Zuchtstier mit Zungenaktinomykose, der in 6 Tagen 60 g Jodkalium erhalten hatte, Ekzem über den ganzen Körper, Nasen- und Augenausfluss, sowie Appetitlosigkeit. In dem von Wester (Holl. tierärztl. Zeitschrift 1898) beschriebenen Fall zeigte ein Pferd nach 5 Dosen von je 10 g Jodkalium am 5. Tage Appetitlosigkeit, Husten, Jodexanthem, besonders am Kopf, starke Abmagerung und Schwanken. Ich habe ähnliche Fälle bei Pferden mit Samenstrangfisteln beobachtet, welche in der Praxis mit Jodkalium vorbehandelt waren. Neuerdings (Monatsh. f. pr. T. 1907) beobachtete ich ein ausgedehntes squamöses und krustöses Exanthem mit starker Hautverdickung bei einem Pferd, das 20 Tage lang täglich 5 g Jodkalium innerlich und ausserdem subkutan 50 g Jodipin erhalten hatte.
[S. 145]
Jodzyan. Das Jodzyan von der Formel CNJ wird als Konservierungsmittel für zoologische Sammlungen benützt und ist sehr stark giftig (Jodwirkung = Methämoglobinämie, ausserdem Blausäurewirkung).
Brom. Vergiftungen durch freies Brom oder durch Bromsalze sind bei den Haustieren ebenfalls noch nicht zur klinischen Beobachtung gelangt. Nur in einem Fall konnte ich bei einem an Starrkrampf erkrankten Pferde, welches innerhalb 4 Tagen 500 g Bromkalium erhalten hatte, ein über den ganzen Körper verbreitetes Bromexanthem mit starker Schwellung und teilweiser Nekrose der Haut beobachten. Dagegen ist experimentell festgestellt, dass Hunde nach einmaligen Dosen von 20–50 g, Pferde nach solchen von 250–300 g Bromkalium sterben. Es lässt sich ferner auch bei Tieren ein chronischer Bromismus experimentell hervorrufen. Derselbe äussert sich in psychischer Depression, Abmagerung, lähmungsartiger Schwäche, Impotenz, Zittern, Konjunktivitis, Laryngitis, Bronchialkatarrh, Magendarmkatarrh, sowie Ekzembildung auf der Haut (Urtikaria, Furunkulosis, Akne, Geschwüre etc. infolge Ausscheidens freien reizenden Broms in die Talgdrüsen und Schweissdrüsen der Haut; Bromexanthem). Die Sektion ergibt ausgebreitete parenchymatöse Myelitis, sowie stellenweise Sklerosierung des Rückenmarks, parenchymatöse Veränderungen der zerebralen Ganglienzellen (Volumsvergrösserung) neben fettiger Muskelentartung. Das Einatmen von Brom erzeugt ähnliche Entzündungszustände der Respirationsschleimhaut wie das Chlor.
Chlorvergiftungen sind bei den Haustieren sehr selten. In einem von Rost beobachteten Falle standen Pferde in einer chemischen Fabrik in der Nähe der geöffneten Chlorkammern; sie zeigten hochgradige Atemnot, sehr schmerzhaften Husten und die Erscheinungen des Lungenödems. Einen ähnlichen Fall hat Lungwitz (Sächs. Jahresber. 1900) bei Rindern nach der Desinfektion eines Stalles mit Chlorkalk beobachtet. Bezüglich des Chlorkalks ist durch Versuche von Hertwig festgestellt, dass von den Tieren innerlich ziemlich grosse Dosen ertragen werden. Nach 1000,0 g bei Pferden und Kühen, 30,0 g bei Schafen und Ziegen, 15,0 g beim Hund war nur etwas Puls- und Atmungsbeschleunigung, Tränen, vermehrter Harn- und Kotabsatz, sowie ein Chlorgeruch des Harns zu bemerken. Chlorwasser ertrugen Pferde und Rinder noch in Dosen von 1500 g, dagegen starben Hunde auf 150 g. Intravenös hatte Chlorkalk beim Pferde (mit 120 g Wasser gemischt) Schwindel, Mydriasis, Blässe der sichtbaren Schleimhäute, Zusammenstürzen und nach 30–50 Minuten den Tod zur Folge. 60 g Chlorwasser intravenös gegeben, erzeugten bei einem Pferde Mattigkeit und Zittern. Beier (Zeitschr. f. Vetkde. 1902, S. 170) hat einen tödlichen Fall von Chlorkalkvergiftung bei einem Militärpferde beobachtet, das etwa 300 g Chlorkalk in 10 l Wasser (Hufbad) aufgenommen hatte. Das Pferd zeigte hierauf kolikartige Erscheinungen, schmutzig ziegelrote Farbe und Schwellung der Augenschleimhäute, drahtförmigen Puls (60 Schläge bei 38,5° C.), pochenden Herzschlag und verendete plötzlich. Die Sektion ergab brandige Entzündung des gesamten Verdauungskanals (schwarze Verfärbung des Zungengrundes, starke Schlundkopfentzündung, gelbsulzige Massen in der Umgebung des sonst intakten Schlundes, namentlich der Brustportion desselben (ähnliche Massen am Dünn- und Dickdarmgekröse), blutige Entzündung der Darmschleimhaut (besonders der Mastdarmschleimhaut). Alle Teile des Magen- und Darminhalts zeigten starken Chlorgehalt.
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Fluorwasserstoffsäure. Die Fluorwasserstoffsäure von der Formel FH wirkt durch ihre Dämpfe ähnlich reizend wie die Salzsäure. Das Fluornatrium, FNa, soll nach Tappeiner ein Protoplasmagift sein, welches subkutan lokale Eiterung und Nekrose, auf der Hornhaut Geschwüre und intravenös Krämpfe erzeugt; als spezifische Erscheinung soll ausserdem Salivation auftreten. Bei der Sektion findet man ulzeröse Gastroenteritis und Nephritis. Im übrigen widersprechen sich die Angaben über die Giftigkeit bezw. Nichtgiftigkeit der Flusssäure und des Fluornatriums sehr. Die nach Verfütterung von phosphorsaurem Futterkalk bei Schweinen beobachteten Krankheitserscheinungen (mangelnde Fresslust, Abmagerung, Somnolenz, Schwäche und Lähmung; Schwellung, Hämorrhagien und Aetzung der Magendarmschleimhaut bei der Sektion) werden von Dammann und Manegold (Deutsch. tierärztl. Woch. 1904) auf den Fluornatriumgehalt des verfütterten Kalkes zurückgeführt. Da vergleichende Versuche mit löslichen Fluorsalzen bei Schweinen nicht gemacht wurden und die Angaben über die Giftigkeit der Fluorverbindungen sehr differieren, bleibt die Frage unentschieden, wodurch die Schädlichkeit des Futterkalks bedingt war.
Allgemeines. Die Karbolsäure veranlasst in verschiedenen Formen Vergiftungen bei den Haustieren. 1. Die reine Karbolsäure (kristallisierte Karbolsäure) ist eine farblose oder kaum rötliche, erstarrte kristallinische Masse, welche sich in 1 : 20 Wasser löst. Mit 1⁄10 Wasser gemischt, bildet sie die verflüssigte Karbolsäure (Acidum carbolicum liquefactum). Die reine Karbolsäure hat seit ihrer Einführung als Antiseptikum (1870) zahlreiche Vergiftungen verursacht. Dieselben sind teils bei der Wundbehandlung (namentlich bei Katzen), teils in der Geburtshilfe (Ausspülung des Uterus beim Rind und Hund), vor allem aber bei der Behandlung der Räude der Schafe, Hunde und Pferde mittels Karbolbädern und Karbolwaschungen beobachtet worden. 2. Die rohe Karbolsäure des Handels stellte früher das Rohprodukt der reinen Karbolsäure dar und enthielt bis zu 80 Proz. derselben. Gegenwärtig ist sie nahezu ganz frei von Karbolsäure und besteht fast ausschliesslich aus den höheren Homologen der Karbolsäure, namentlich Kresolverbindungen; vergl. S. 154. Vergiftungen ereignen sich bei der Anwendung der rohen Karbolsäure als Desinfektions- und Räudemittel. 3. Der Teer wird teils als Holzkohlenteer, teils als Steinkohlenteer benützt. Er enthält in beiden Formen grössere Mengen von Karbolsäure (neben Kreosot, Naphthalin, Kresol, Holzessigsäure, Brenzkatechin, Benzol) und gibt bei der Räudebehandlung (Teereinreibungen bei Hunden und Katzen) und Desinfektion (Ablecken des Teeranstrichs durch Rinder) Veranlassung zur Karbolvergiftung. 4. Das Kreosot enthält in der im Handel vorkommenden Form immer grössere Mengen von Karbolsäure; das reine, offizinelle, aus Buchenholzteer dargestellte Kreosot soll dagegen nur aus Guajakol und Kreosol bestehen. Kreosotvergiftungen zeigen sich bei Hunden, Schafen, Pferden und Katzen bei der Räudebehandlung; sie stellen meistens Karbolvergiftungen dar. 5. Der Holzessig enthält neben Karbolsäure Kresol, Essigsäure, Holzgeist und Azeton. 6. Das Kreolin, Lysol, Bazillol und andere ähnliche Kresolpräparate enthalten entweder gar keine oder nur Spuren von Karbolsäure, können also für gewöhnlich eine Karbolvergiftung nicht bedingen.[S. 147] Ueber die Giftwirkung der Kresole vergl. S. 154. 7. Das Gaswasser bildet sich neben dem Steinkohlenteer als wässeriges Destillat bei der Gasfabrikation. Es enthält neben Karbolsäure und Teerbestandteilen namentlich Zyan- und Ammoniumverbindungen (Zyanammonium, chlorsaures Ammonium und Schwefelammonium). Es gibt zu Karbolvergiftungen Veranlassung, wenn in der Nähe von Gasfabriken weidende Rinder von dem Gaswasser trinken. 8. Das stinkende Tieröl besteht aus Karbolsäure, Kreosot, Pyridinbasen und Ammoniumverbindungen; Vergiftungen ereigneten sich früher bei der Anwendung als Räudemittel und Wurmmittel. 9. Der Russ, welcher in der Hauptsache aus Kohle besteht, enthält ebenfalls geringe Mengen von Karbolsäure und Kreosot und kann bei reichlicher Aufnahme eine Karbolvergiftung bedingen (vergl. die Kasuistik).
Krankheitsbild. Die Karbolsäure wirkt in konzentriertem Zustand örtlich ätzend. Nach ihrer Resorption wirkt sie als zentrales Nervengift teils lähmend, teils krampferregend. Die Erscheinungen der Karbolvergiftung bei Tieren unterscheiden sich durch das Hinzutreten von Krämpfen wesentlich von der Karbolvergiftung beim Menschen. Die einzelnen Krankheitserscheinungen sind: Verätzung der Lippen- und Mundschleimhaut bei konzentrierter Anwendung; Appetitverminderung, Speicheln, Erbrechen, Diarrhöe, leichte Kolikschmerzen, Aufbiegen des Rückens; schmutzig getrübter, grünlichbrauner (Hydrochinon), eiweisshaltiger, nach Karbolsäure riechender Harn; Parese und Paralyse der Nachhand, Lähmung des ganzen Körpers, zuweilen plötzliches Zusammenstürzen, Zittern, Schreckhaftigkeit, Unruhe, tonisch-klonische Krämpfe, Betäubung, Koma, Kollaps; Sinken der Innentemperatur bei Beschleunigung des Pulses; unregelmässige, erschwerte Respiration. Zuweilen entwickeln sich die Symptome einer Nephritis (weisse und rote Blutkörperchen, Zylinder im Harn). Der Verlauf der Karbolvergiftung ist zuweilen ausserordentlich rasch; in anderen Fällen kann die Dauer 2–3 Tage, zuweilen auch viel länger betragen (bis zu 14 Tagen).
Sektionsbefund. Bei konzentrierter innerlicher Verabreichung findet man die Erscheinungen einer korrosiven Gastroenteritis. Die Allgemeinveränderungen, wie sie namentlich nach der epidermatischen Anwendung der Karbolsäure auftreten, bestehen in Leberverfettung, parenchymatöser Degeneration des Herzens, Verfettung der Nieren und zuweilen in parenchymatöser Nephritis. Daneben findet man dunkles, schlecht geronnenes, schmieriges Blut, Gehirn- und Lungenhyperämie, Piaödem, serösen Erguss in die Ventrikel, sowie Karbolgeruch aller Organe.
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Behandlung. Das wichtigste chemische Antidot der Karbolsäure ist die Schwefelsäure. Sie wird entweder als solche in sehr stark verdünntem Zustand oder in Form der schwefelsauren Alkalien, namentlich als Glaubersalz und Bittersalz verabreicht (Bildung von ungiftigem, phenolsulfonsaurem Kalium im Blut). Auch Seife wird als ein gutes Gegengift empfohlen (Bildung einer Emulsion, Umwandlung der Karbolsäure in ungiftiges Phenolnatrium). Neuere Gegenmittel sind Jodtinktur (Bildung von Jodphenol) und Terpentinöl. Ausserdem verabreicht man einhüllende Mittel, namentlich Eiweiss, welches mit Karbolsäure einen Niederschlag gibt; auch Leimwasser besitzt diese Eigenschaft. Bei Hunden und Pferden kann man ferner eine Magenausspülung vornehmen. Die Lähmungserscheinungen behandelt man mit exzitierenden Mitteln, namentlich mit subkutanen Aether- und Kampferinjektionen, mit Hoffmannstropfen, Wein, Kaffee, Koffein, Atropin, Hyoszin oder Veratrin.
Nachweis. Die Karbolsäure ist meist schon allein durch den Geruch festzustellen. Auch die schwarzbraune Verfärbung des Harns, sowie die grauweissen Aetzschorfe sind klinische Kennzeichen. Zum Zweck des chemischen Nachweises wird die Karbolsäure aus den Eingeweiden und dem Blut gewöhnlich durch Destillation nach vorheriger schwacher Ansäuerung mit Schwefelsäure oder Phosphorsäure abgeschieden, wobei sofort der kreosotartige Geruch des Destillates auffällt. Aus dem Destillat wird sodann die Karbolsäure durch Schütteln mit Aether ausgezogen und nach dem Verdunsten des Aethers konzentriert erhalten. Eine andere Extraktionsmethode besteht darin, dass der mit Schwefelsäure angesäuerte Mageninhalt mit dem vierfachen Alkohol gemischt, nach 24 Stunden filtriert und der Alkohol im Vakuum bei möglichst niederer Temperatur abdestilliert wird. Der mit Petroleumäther entfettete Rückstand wird sodann mit Benzin ausgeschüttelt, welches die Karbolsäure leicht aufnimmt. Behufs Vornahme der Einzelreaktionen wird die Karbolsäure in Wasser gelöst. Diese Reaktionen sind folgende: 1. Bromwasser gibt mit wässerigen Karbollösungen einen gelblichweissen, kristallinischen Niederschlag von Tribromphenol[3], welcher mikroskopisch aus einem[S. 149] Gewirre feiner, häufig zu Drusen vereinigter Kristallnadeln besteht (Empfindlichkeit 1 : 100000; bei starker Verdünnung tritt der Niederschlag nur langsam ein). Dieser Niederschlag kann auch gesammelt, gewogen und auf Karbolsäure berechnet werden (quantitative Analyse). 2. Schwefelsaures Eisenoxyd färbt die wässerige Karbollösung noch bei 1 : 2000 blaulila, Eisenchlorid violett. 3. Ammoniaklösung (¼) und Chlorkalklösung (einige Tropfen einer 5prozentigen) färben das Karbolwasser nach gelindem Erwärmen königsblau noch bei einem Karbolgehalt von 1 : 20000. 4. Salpetersaures Quecksilberoxydul (NO2haltig) mit Karbollösung erwärmt, gibt eine Rosafärbung; Empfindlichkeit 1 : 100000. 5. Anilin und unterchlorigsaures Natron in gleichen Teilen der stark verdünnten Säure zugesetzt, geben eine Blaufärbung (= erythrophenolsaures Natron), welche sich bei Zusatz einer Säure in Rot umwandelt; Empfindlichkeit 1 : 66000. 6. Eiweiss und Leim werden durch konzentrierte Karbolsäure aus ihren Lösungen ausgefällt; auf der Haut entsteht ein weisser Aetzschorf. 7. Ein Fichtenspan, der in wässerige Karbollösung getaucht ist, wird beim Befeuchten mit konzentrierter Salzsäure blau (unsicher).
Kreosot färbt sich in ganz reinem Zustand (Kreosol-Guayakol) im Gegensatz zur Karbolsäure mit Eisenchloridlösung unter Zusatz von Weingeist grün, bei Wasserzusatz wird die Lösung farblos. Weil jedoch das Kreosot meist Karbolsäure enthält, wird die Lösung nach Wasserzusatz gewöhnlich violett. Ein Mittel, Kreosot bei gleichzeitiger Anwesenheit von Karbolsäure nachzuweisen, gibt es nicht.
Karbolsäure. Am empfindlichsten gegen Karbolsäure sind Katzen; sie können schon durch sehr kleine Dosen von Wunden aus (0,5–1,0) sehr rasch vergiftet werden. Hunde sterben nach der innerlichen Verabreichung von 2–7 g. Am wenigsten empfindlich scheinen Pferde gegenüber der innerlichen Anwendung der Karbolsäure zu sein. Nach Munk (Berliner Archiv 1882) ertrugen mittelgrosse Pferde ohne Nachteil 100 g Karbolsäure auf einmal, sowie 500 g im Verlauf einer Woche; er führt dies auf die vermehrte Oxydation der Karbolsäure im Blut des Pferdes und auf die raschere Umwandlung zu Hydrochinon zurück. — Von den in der Literatur verzeichneten Vergiftungsfällen mögen die nachstehenden kurz erwähnt sein. Einem mit einem Widerristschaden behafteten Pferde wurden 350 g einer konzentrierten spirituösen Karbolsäurelösung innerhalb 2 Tagen eingerieben. Am 2. Tage stürzte das Pferd plötzlich zusammen, zeigte allgemeine Lähmung, starken Schweissausbruch, angestrengte Atmung, unfühlbaren Puls, Erweiterung der Pupille und starb bald hernach. Die Sektion[S. 150] ergab lediglich eine schwarze teerartige Beschaffenheit des Blutes (Thoms, Preuss. Mitt. 1879). — Von 5 räudigen Pferden, welche vom Besitzer 3mal innerhalb 6 Tagen mit einer spirituösen Karbollösung (1 : 3) eingerieben worden waren, starben 2 am 3., die übrigen 3 bis zum 10. Tage unter heftigen Kolikerscheinungen, hochgradiger Schwäche und Entleerung eines dunkelbraun gefärbten Harnes (Berl. Arch. Bd. 13). — Im Regiment Chasseurs d’Afrique wurde ein räudiges Pferd mit einer 10proz. Lösung von roher Karbolsäure eingerieben. Nach einer Stunde zeigte es heftiges Zittern, Schreckhaftigkeit, Schwanken, Muskelzuckungen am ganzen Körper, sowie beschleunigte Atmung; die Haut war an den eingeriebenen Stellen geschwollen und schmerzhaft (Décroix, Recueil 1873). — Nach dem Berieseln einer grossen Hautwunde mit Karbolwasser (rohe Karbolsäure) traten 8 Stunden darauf Zittern, Puls- und Atmungsbeschleunigung, sowie nach 6stündiger Krankheitsdauer der Tod ein (Schäfer, Berl. Arch. 1885). — Nach Abnahme der Nachgeburt bei einer Kuh wurde der Uterus mit einer Auflösung von 140 g Karbolsäure in 12 l Wasser ausgespült. Bald darauf stellten sich allgemeines Zittern und Schwanken, sowie periodische Krampfanfälle, besonders an den Nackenmuskeln, Augenmuskeln und Ohrenmuskeln ein. Die Atmung war sehr erschwert, und das Tier hatte Mühe, sich auf den Beinen zu erhalten. Nach 4stündiger Dauer waren die Erscheinungen wieder verschwunden (van Leuwen, Holl. Vet.-Zeitschr. 1888). — Karbolsäurelösung, tropfenweise auf die Haut von Katzen gebracht, hatte klonisch-tonische Krämpfe zur Folge (ibidem 1887). — 120 Schafe wurden in Karbollösung gebadet. 15 starben, mehrere fielen schon während des Badens um. Die Atmung war sehr angestrengt (Schmitt, Preuss. Mitt. 1881). — Von 40 mit Karbolsäurelösung gewaschenen Schafen starben 23 (Schumann, ibidem 1883). — Hühner starben an Karbolvergiftung nach Aufnahme von Karbolkalk (Oesterreich. Vierteljahrsschrift 1883). — Ein Rattenfänger zeigte nach dem Waschen einer Wunde mit 2½proz. Karbolwasser Zittern, Taumeln, Zusammenstürzen, Muskelzuckungen, sowie völlige Bewusstlosigkeit; nach 2 Tagen entstand ausgedehnte Mumifikation der Haut (Schmid, Woch. f. Tierh. 1900). — Ferkel zeigten angeblich nach der Desinfektion des Stalles mit reiner Karbolsäure Apathie, Zittern, beschleunigte Atmung und Herztätigkeit, dunkelrote Farbe der Ohren und aufgehobene Fresslust; die Sektion soll amyloide und fettige Degeneration der Leber ergeben haben (Teply, ibid. 1905).
Teer. Experimentelle Untersuchungen über Karbolvergiftung nach Teereinreibungen sind von Ellenberger und Hofmeister (Sächs. Jahresber. 1882) an Hunden und Schafen gemacht worden. Ein räudiger Jagdhund, welcher über den ganzen Körper leicht eingeteert wurde, zeigte sich am nächsten Tag matt und unlustig, frass schlecht und lag viel. Die Temperatur war von 39,0° auf 37,2° gesunken. Am 2. und 3. Tag fiel die Temperatur auf 36,0°. Die Atmung war beschwert. Am 4. Tag trat Lähmung eines Hinterbeines, sowie grosse allgemeine Schwäche ein. Am 5. Tag war die Lähmung vollständig, namentlich war Paralyse der Nachhand vorhanden, der Harn war von grünlichbrauner Farbe, enthielt Gallenfarbstoffe und Spuren von Eiweiss. Nach Verabreichung von Glaubersalz trat innerhalb 3 Wochen Genesung ein. Nach einer später 2mal wiederholten Einteerung des ganzen Körpers zeigte derselbe Versuchshund Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Zittern und Sinken der Körpertemperatur. Am 4. Tag war Karbolsäure im Harn, sowie am 6. Tag Lähmung des[S. 151] Hinterteils nachzuweisen. Es bestand starkes Speicheln (Ablecken). In den nächsten Tagen traten Muskelzuckungen auf. Unter Zunahme der Mattigkeit starb der Hund am 15. Tag unter Krämpfen. Die Sektion ergab hämorrhagische Gastroenteritis, Leberverfettung, Nierenverfettung, parenchymatöse Degeneration des Herzmuskels, Lungenödem, sowie starke seröse Hyperämie in der Brust- und Bauchhöhle. Die Magendarmentzündung war durch Ablecken des Teers entstanden. Ein ebenfalls eingeteertes Schaf zeigte ähnliche Erscheinungen. Die Temperatur sank von 39,5 auf 38,4°; im Harn war Karbolsäure und Eiweiss nachzuweisen; der Tod erfolgte unter klonischen Krämpfen. Bei der Sektion fand man parenchymatöse Nephritis, markige Schwellung der Gekrösdrüsen, leichten Magendarmkatarrh und vereinzelte Hämorrhagien, Oedem der Pia, Anfüllung der Seitenventrikel des Gehirns mit Serum. Bei einem zweiten Schaf, bei welchem nur der vierte Teil des Körpers überfirnisst wurde, zeigte sich Temperaturabfall, grünlichbrauner, Eiweiss, Epithelien, Leukozyten und Karbolsäure enthaltender und deutlich nach Karbolsäure riechender Harn, sowie Parese der Nachhand. Nach Verabreichung von Schwefelsäure und Glaubersalz trat bald Besserung ein. — Grosswendt (Zündels Jahresbericht 1881) beobachtete bei Kühen, welche den Teeranstrich von den Wänden abgeleckt hatten, starkes Speicheln, Appetitlosigkeit, Mattigkeit, dunkelgefärbten Harn, Polyurie, schwarzen, breiartigen Kot, sowie Schwäche im Hinterteil. Eine Kuh starb nach 15 Tagen. — Ein Rind, dem wegen Hornbruchs ein Teerverband mit reichlichem Eindringen von Teer in die Stirnhöhle angelegt worden war, zeigte einen starken soporösen Zustand, der nach Anwendung von Kaffee und Branntwein verschwand (Beel, Holländ. Zeitschr. 1890). — Eine Kuh zeigte nach dem Trinken von Wasser aus einem Teerfass verminderten Appetit, Speicheln und dunklen Harn (Gebhard, Woch. f. T. 1902).
Kreosot. Die giftige Wirkung des reinen, karbolsäurefreien Kreosots auf die verschiedenen Haustiere ist geringer als die der Karbolsäure. Die Vergiftungserscheinungen bestehen, abgesehen von den örtlichen Veränderungen, in Lähmungszuständen und Betäubung; im Gegensatz zur Karbolsäure sollen Krämpfe fehlen. Hunde sterben nach Hertwig auf 2–8 g Kreosot unter Eintritt von Schwäche, Schwindel, Lähmung, Erbrechen und Erstickungsanfällen. Bei dem oft hohen Karbolgehalt der gewöhnlichen, nicht offizinellen Kreosotsorten des Handels stimmt das Bild der Kreosotvergiftung jedoch häufig mit dem der Karbolsäurevergiftung vollkommen überein. So beobachtete Germain (Recueil de méd. vét. 1882) nach der Einreibung von 130 g Kreosot bei Pferden Schwanken, Hinfälligkeit, Herabhängen der Lippen und Ohren, allgemeines Zittern, Zusammenbrechen, Salivation, klonische Krämpfe in den hinteren Extremitäten, sowie komatöse Erscheinungen. — Eine tödliche Kreosotvergiftung bei einem mit Dermatoryktesräude behafteten Pferde ist in der preussischen Armee beobachtet worden (Pr. Mil. Vet.-Ber. 1894).
Holzessig. Die Wirkungen des Holzessigs auf die einzelnen Haustiere sind in früheren Zeiten von Justinus Kerner, Berres, Hertwig, Schubarth u. a. eingehend untersucht worden. Das Vergiftungsbild stimmt mit dem der Karbolsäure- und Kreosotvergiftung überein. Katzen stürzen nach 2–4 g Holzessig augenblicklich zusammen, bekommen über den ganzen Körper Konvulsionen, schreien, zeigen Erbrechen, Speicheln, Urinabgang und sterben nach 1½-2 Minuten. Kleinere Hunde sterben nach 15 g unter den Erscheinungen hochgradiger Mattigkeit und Abstumpfung,[S. 152] Zittern, Speicheln, Husten; grössere Hunde ertragen 30 g ohne lebensgefährliche Folgen, wenn dieselben mit der Schlundsonde eingegeben werden (Hertwig). Schafe sterben auf 60 g, Hühner auf 8 g (Betäubung, Schwanken, Zuckungen, Erbrechen, blaurote Verfärbung des Kammes). Dagegen ertragen Kühe und Pferde bis zu 360 g rohen Holzessig ohne Nachteil. — Ein mit Holzessig gegen Strahlkrebs behandeltes Pferd starb angeblich 8 Tage später unter den Erscheinungen der Karbolvergiftung (Wilhelm, Sächs. Jahresber. 1888).
Kreolin. Das karbolsäurefreie und unzersetzte Kreolin ist als Antiseptikum und Räudemittel in der üblichen Applikationsform und Konzentration ungiftig. Bei stärkeren Konzentrationen (4–10proz.), in zersetztem Zustand (Säurezusatz, Flaschenreste), bei starkem Karbolgehalt (Artmannsches Kreolin), bei der regelwidrigen Einreibung des ganzen Körpers, sowie bei innerlicher Verabreichung in grösseren Dosen wirkt es dagegen namentlich bei Pferden giftig. Die Vergiftungserscheinungen sind ziemlich dieselben wie bei der Karbolvergiftung: Muskelzittern, klonisch-tonische Krämpfe, Schweissausbruch, Schwäche, Taumeln, zuweilen plötzliches Zusammenstürzen, allgemeine Lähmung, Herzlähmung (sehr frequenter, unfühlbarer Puls, subnormale Körpertemperatur), Dyspnoe, dunkelbrauner Harn, Albuminurie. Die Behandlung besteht in der Anwendung von Exzitantien und in der Verabreichung von Sulfaten. Typisch ist der nachfolgende, bei einem Militärpferd beobachtete Fall von Kreolinvergiftung (Pr. Mil. Vet.-Ber. pro 1895). Zur Vertilgung der Läuse wurden 2 Pferde mit Kreolinlösung gewaschen. Eine 4prozentige Lösung von Pearsonschem Kreolin hatte sich nicht wirksam gezeigt, es wurde daher bei der zweiten Waschung eine 6prozentige gewählt. Beide Pferde waren vor der Waschung vollkommen gesund und hatten keine Verletzungen. Gewaschen wurden namentlich der Kopf, die Mähne, die Kruppe und die Gliedmassen, die übrigen Teile des Körpers wurden nur angefeuchtet und glatt gebürstet. Gleich nach dem Waschen stürzte das eine der Pferde in seinem Stand nieder; das Auge schien wie gebrochen, die Augenbindehaut war tiefrot gefärbt, die Pupille erweitert. Die Nüstern wurden weit aufgerissen, das Maul geöffnet. Der Herzschlag war tumultuarisch; beide Herztöne waren nicht zu unterscheiden. Der Puls unfühlbar, die Arterie klein und hart. Die oberflächliche Atmung wurde 92mal in der Minute ausgeführt und geschah röchelnd. Ferner bestand anhaltendes hochgradiges Muskelzittern; in den Gliedmassenmuskeln traten tonisch-klonische Krämpfe ein. Alle Versuche, den Kranken auf die Beine zu bringen, waren erfolglos; Patient war unfähig zu stehen. Der Appetit lag vollständig darnieder. Das Pferd wurde sogleich mit reinem Wasser abgewaschen und innerlich Branntwein, Kampfer und Digitalis verabreicht. Nach 1½ Stunden hatte es sich soweit gebessert, dass es mit Hilfe zum Stehen gebracht werden konnte. Nach 3–4 Stunden waren auffällige Gesundheitsstörungen nicht mehr vorhanden. Am anderen Tage zeigten sich die Gliedmassen stark geschwollen; auch am Hals und an der Kruppe bestand Schwellung. An diesen Stellen lag die Haut in Falten und fühlte sich pergamentartig an, stellenweise konnten förmliche Risse in der Oberhaut nachgewiesen werden. Ausserdem war die Haut an den Gliedmassen und an der Unterbrust mit einer bernsteingelben, klebrigen Flüssigkeit bedeckt. Der abgesetzte Harn hatte eine braunrote Farbe. Die Fäzes waren kleingeballt, braunrot und wurden unter Stöhnen abgesetzt; dieselben hatten einen auffallenden Kreolingeruch. In den folgenden Tagen nahm die Hautschwellung langsam ab, dagegen machten sich starke Abschuppung der Oberhaut[S. 153] und Haarausfall bemerkbar. Nach etwa 10 Tagen konnte das Pferd wieder in den Dienst gestellt werden. Bei dem zweiten Pferde waren die Vergiftungserscheinungen weniger hochgradig. Es warf sich gleich nach dem Waschen auch nieder, stand aber nach einiger Zeit und nachdem es etwa 5 Minuten lang eine hundesitzige Stellung innegehabt hatte, wieder auf und zeigte Appetit. Der Puls war hart, die Zahl seiner Schläge betrug 96 in der Minute. Die Atmung geschah angestrengt und 60mal in der Minute. Das Muskelzittern war weniger stark ausgesprochen. Die Bindehäute ziegelrot. Beim Führen taumelte das Pferd. Am folgenden Tage waren die Beine geschwollen, der Harn dunkelgefärbt; die Fäzes hatten Kreolingeruch. Auch bei diesem Pferde trat in den folgenden Tagen Ausfall der Haare ein, die Haut nahm eine pergamentartige Beschaffenheit an. Die Schwellung der Gliedmassen hielt länger an als beim ersten Pferde. — Nach der Anwendung von Artmannschem Kreolin starben von 50 gebadeten Schafen 42 innerhalb 36 Stunden unter den Erscheinungen der Karbolvergiftung; sie zeigten Schwanken, Niederstürzen, Krämpfe und Unvermögen aufzustehen (Dette, Berl. Arch. 1894). Einen ähnlichen Fall hat Nevermann beschrieben (ibid. 1897). Dagegen sind die von Kunert (ibid.) und Ehrle (Woch. f. T. 1891) beschriebenen Fälle zweifelhaft. — Experimentelle Untersuchungen über die Giftigkeit des Kreolins bei Hunden und Katzen hat Hobday (Journ. of comp. path. 1896) veröffentlicht. Danach sollen besonders junge und edle Hunde sehr empfindlich gegen Kreolin sein; 56 g Kreolin töteten bei energischer Einreibung in die Haut einen 7 kg schweren Terrier. — Stöverud (Nord. Z. 1899) beobachtete eine Kreolinvergiftung bei 30 jungen Ziegen.
Lysol. Die Lysolvergiftung äussert sich ähnlich wie die Kreolinvergiftung. 4 Pferde wurden gegen Läuse mit einer 3proz. Lysollösung (je 300 g Lysol auf 10 l Wasser) gewaschen. Am 4. Tage nachher (!) erkrankten 3 Pferde, von denen 2 nach 3 bezw. 4 Tagen starben. Sie zeigten Dyspnoe, pochenden Herzschlag, 72–76 schwache Pulse, hochgradige Schwäche, allgemeinen Schweissausbruch und starben unter Krämpfen. Die Sektion ergab Myokarditis, hämorrhagische Nephritis und Lungenödem (Borchardt, Zeitschr. f. Vet. 1897). Einen ähnlichen Fall hat Reinhardt (ibid. 1898) beschrieben. Ein Pferd zeigte nach einer Lysolwaschung des ganzen Körpers (!) mit 3proz. Lysollösung (300,0 : 10 l Wasser) 20 Minuten später Unruhe, Schweissausbruch, heftiges Zittern, unfühlbaren Puls, Lähmungserscheinungen, sowie kaffeebraunen Harn; nach subkutanen Aethereinspritzungen trat schnelle Heilung ein. Der von Uthoff (B. t. W. 1895) beschriebene Fall ist dagegen zweifelhaft. — D’Alleux berichtet, dass von 9 mit 5proz. Lysollösung gebadeten Hühnern 5 unter Zuckungen und Lähmungserscheinungen starben (Woch. f. T. 1897). Ein Hund zeigte nach dem Einreiben einer 8proz. spirituösen Lysollösung (nur die Beine und die Ohren wurden eingerieben), Zusammenstürzen, Schweissausbruch, allgemeine Lähmung, Herzschwäche und Krämpfe, genas jedoch nach Verabreichung von Kampfer und Glaubersalz.
Bazillol. Die Vergiftung gleicht der Lysol- und Kreolinvergiftung. Ein mit Läusen behaftetes Pferd wurde mit einer warmen 4proz. Bazillollösung über den ganzen Körper gewaschen. 15 Minuten darauf fand man es schwer am Boden liegen. Die Pulszahl betrug 100 p. M., der Puls war ausserordentlich schwach, die Zahl der Atemzüge 40. Die sichtbaren Schleimhäute waren dunkelrot gefärbt. Gleichzeitig bestand heftiges Zittern und Zittern des ganzen Körpers. Aufgehoben schwankte das Pferd und[S. 154] drohte umzustürzen. Nach 2 Stunden schien der Anfall vorüber. Am folgenden Tage entwickelte sich jedoch eine tödliche Bronchitis und Bronchopneumonie, an der das Pferd am 5. Tage unter Erscheinungen des Lungenödems starb. Das Pferd hatte 2 vorausgehende Waschungen ohne Schaden ertragen. Ebenso unschädlich waren 200 andere Bazillolwaschungen geblieben! (Willamowski, Hain, Z. f. Vet. 1901). Nach Paszotta (Monatsh. f. pr. Tierhlkd. 1901) beträgt die tödliche Dosis des Bazillols bei Pferden 1,5 g, bei Schafen 1,0 g, bei Kaninchen 2,4 g pro Kilo Körpergewicht. Bei toxischen Gaben sinkt die Körpertemperatur, die Tiere stürzen gelähmt zusammen und zeigen Betäubung, fibrilläres Muskelzittern und tonisch-klonische Krämpfe. Der Tod erfolgt durch Herzlähmung unter den Erscheinungen des Lungenödems.
Kresol. Das Kresol = C6H4.CH3.OH (methylisierte Karbolsäure) steht dem Phenol an Giftigkeit nach. Die 3 vorhandenen Verbindungen des Kresols, das Ortho-, Meta- und Parakresol, verhalten sich bezüglich ihrer Giftigkeit verschieden; am stärksten giftig ist das Orthokresol, am schwächsten das Metakresol. Die Giftwirkung des Orthokresols äussert sich in Lähmung des Herzens, des Rückenmarks, sowie der sensorischen und motorischen Nerven, ferner in Erregung des Reflexhemmungszentrums. Im Jahr 1902 entstand ein allgemeines Fischsterben im Neckar von der Mündung des Feuerbachs bis zum Einfluss der Murr, als in Zuffenhausen 30000 l Teeröle (Eisenbahnschwellen-Imprägnierung) in den Feuerbach entleert wurden. — Die Kresole verlieren an Giftigkeit, wenn sie an Natrium gebunden oder durch Seifen emulgiert werden (Kreolin, Lysol, Bazillol). Werden jedoch die im Kreolin gebundenen Kresole z. B. durch Säurezusatz frei, so wirken sie giftig (Kresolvergiftung von Pferden durch Waschungen mit Kreolinwasser und Essig gegen Läuse). — Eine Vergiftung durch Kresolschwefelsäure bei Schweinen hat Migge beschrieben (Preuss. Vet.-Ber. pro 1907). Eine Schweinebucht war mit 25–40proz. (statt 3proz.) Kresolschwefelsäurelösung desinfiziert worden. Nach 2 Stunden waren 8 Schweine schwer erkrankt, 6 lagen wie schlafend auf der Streu, 3 starben nach 5 Stunden. Die Sektion ergab Verätzung der Haut des Rüssels, der Lippen, der Maulschleimhaut, Rachen- und Magenschleimhaut.
Pyrogallol. Das auch unter dem Namen Pyrogallussäure bekannte Pyrogallol = C6H3(OH)3 ist ein stark reduzierendes Gift für die roten Blutkörperchen, welche unter Bildung von Methämoglobin aufgelöst werden. Dadurch entstehen ähnliche pathologische Zustände wie bei Vergiftung mit Kali chloricum (Methämoglobinurie mit ihren Folgen). Vergiftungen können sich u. a. durch Einreiben konzentrierter Pyrogallolsalben (10%) auf die Haut ereignen. Aehnliches gilt für das Chrysarobin, die Hydrazine = H2N.NH2 (Methyl-, Dimethyl-, Aethyl-, Phenyl-, Azetylphenyl-, Lävulinsäurephenyl-Hydrazin), das Hydroxylamin = NH2.OH (das im Körper nach Biel zu dem ebenfalls reduzierend wirkenden Nitrit umgewandelt wird) und die Aldehyde = C2H4O (Aldehyd, Metaldehyd, Paraldehyd, Formaldehyd, Benzaldehyd). Dass speziell Paraldehyd stark reduzierend auf die roten Blutkörperchen des Pferdes wirkt und Methämoglobinämie bei demselben erzeugt, haben meine diesbezüglichen Versuche ergeben (vgl. S. 178).
Salizylsäure. Nach den Untersuchungen von Feser und Friedberger wird das Allgemeinbefinden von Tieren durch kleinere Dosen[S. 155] Salizylsäure auch bei anhaltender Verabreichung nicht gestört. So zeigten Hunde, Schafe, Kühe und Pferde nach dem 14 Tage hindurch fortgesetzten Eingeben kleinerer Mengen (0,5 g pro die für Hunde, 3,0 g für Schafe, 10,0 g für Rinder und Pferde) nicht einmal irgendwelche Appetitstörungen. Auch sehr grosse einmalige und wiederholte Dosen wurden von Pflanzenfressern gut ertragen. Ein 9 Ztr. schweres Pferd zeigte nach 300 g Salizylsäure, innerhalb 3 Tagen eingegeben, nur eine längere Verdauungsstörung auf Grund lokaler Anätzung der Maulhöhlen- und Magenschleimhaut, dagegen keinerlei Vergiftungserscheinungen. Ein 32 kg schweres Schaf blieb nach 50 g Salizylsäure, innerhalb 3 Tagen verabreicht, ganz gesund, desgleichen ein anderes, 30 kg schweres, nach 65 g salizylsaurem Natrium, welche in der kurzen Zeit von 2 Tagen eingegeben wurden. Dagegen zeigten sich Fleischfresser, namentlich Hunde, ziemlich wenig widerstandsfähig. Wenn es auch wegen des bald nach der Aufnahme eintretenden Erbrechens nie gelang, einem Hund per os eine tödliche Dosis Salizylsäure beizubringen, so waren doch bei der Anwendung von ca. 1 g Salizylsäure pro 5 kg Körpergewicht charakteristische Vergiftungserscheinungen wahrzunehmen. So zeigte ein kleiner, 4½ kg schwerer Hund nach der Aufnahme von 0,8 g Salizylsäure (innerhalb 6 Stunden gegeben) Erbrechen, Muskelzittern, Schwäche im Hinterteil und steifen Gang; ein anderer, 27 kg schwerer Hund war nach 4 g in der hinteren Körperhälfte gelähmt, die hinteren Gliedmassen waren völlig gebrauchsunfähig und dabei krampfhaft gestreckt. Auch das salizylsaure Natrium erwies sich in grösseren Dosen, namentlich subkutan, als ein starkes Gift. Bei einem 4½ kg schweren Hunde trat nämlich nach der subkutanen Einspritzung von 5 g Natrium salicylicum der Tod ein. Die Vergiftungserscheinungen bestanden in Dyspnoe, unregelmässigem, aussetzendem Pulse, Pupillenerweiterung, Traurigkeit, Erbrechen, Lähmung der Nachhand, Konvulsionen, Kaukrämpfen, allgemeinem Starrkrampf, sowie ausserordentlich erhöhter Reflexerregbarkeit. Ein anderer, 8–1\2 kg schwerer Hund verendete nach Injektion von 8 g des Salzes in die Bauchhöhle an Erstickung, nachdem Erbrechen, Dyspnoe und Lähmungserscheinungen vorausgegangen waren. Diese Angaben sind neuerdings durch Albrecht bestätigt worden. Nach Walther und Gmeiner (Berl. Arch. 34. Bd.) wirkt die Salizylsäure und ihre Derivate (Salol, Salipyrin, Aspirin u. a.) bei den Haustieren wie beim Menschen schon in gewöhnlichen Dosen (2–5 g Natrium salicylicum beim Hund) schädigend auf die Niere (Albuminurie, Harnzylinder, Nierenepithel, Leukozyten im Harn). — Das Salol stellt eine Doppelverbindung von Salizylsäure und Karbolsäure dar, welche angeblich ungiftig sein soll. Wie Erfahrungen beim Menschen gelehrt haben, können durch zu grosse Dosen sowohl die Erscheinungen der Salizylvergiftung (Albuminurie, Dysurie, Nephritis), als der Karbolvergiftung (Koma, Sopor) erzeugt werden. Dasselbe konstatierte Willenz bei seinen Versuchen mit Pferden und Hunden; er beobachtete Albuminurie, Nephritis, Tobsucht, Krämpfe, Enteritis, Herzschwäche und Kollaps. Ein Terrier zeigte nach Otto (Sächs. Jahresber. 1904) nach der fortgesetzten Verabreichung von Salol (2mal 0,2 pro die) Polyurie und Abmagerung.
Gaswasser. Eine Sterke, welche von den flüssigen Abfällen einer Gasanstalt aufgenommen hatte, wurde auf der Wiese liegend gefunden, stöhnend, angestrengt atmend, unvermögend zu stehen. Das Maul war geöffnet und mit schwarzgrau gefärbtem Schaum gefüllt. Bei der Sektion fanden sich im Wanst 20 l einer breiartigen, stark nach Teer riechenden[S. 156] Masse; die Schleimhaut der 4 Mägen war schwarz gefärbt (Munckel, Preuss. Mitt. 1882).
Oleum animale foetidum. Das stinkende Tieröl wirkt giftig unter den Erscheinungen von Lähmung und Krämpfen bei Pferden in Dosen von 90 g, bei Hunden von 10 g ab. Die tödliche Dosis beträgt für Pferde 150 g, für Hunde 25 g. — Ein Pferd erhielt als Wurmmittel 270 g Oleum animale foetidum; hierauf lag es laut stöhnend am Boden und starb unter Krämpfen (Lies, Zeitschr. f. Vetkde. 1903).
Russ. Der Russ (Kienruss, Glanzruss) kann unter Umständen eine Karbolvergiftung bedingen. Von einer Schafherde, welche auf einem mit Russ gedüngten Weizenfelde weidete, erkrankten 7 Schafe unter Lähmungserscheinungen, 3 starben, 10 zeigten angestrengte Atmung und Verstopfung. Bei der Sektion fand man eine Entzündung der Psalterschleimhaut, sowie Schwarzfärbung des Mageninhalts.
Benzol. Das Benzol, C6H6, ist ein ebenso starkes Gift wie die Karbolsäure. Es erzeugt nach vorausgegangener Aufregung Betäubung, Schwäche, Taumeln, Zittern und Tod unter Konvulsionen. Pferde sterben nach 750, Hunde nach 10 g (Hertwig). Gefährlich sind auch Benzoleinreibungen auf die Haut, namentlich für Katzen. Aehnlich wirken Hydrochinon, Brenzkatechin und Resorzin, sämtliche von der Formel C6H4(OH)2.
Chinosol. Das Chinosol, ein Chinolinpräparat (Oxychinolinpyrosulfat), wirkt nach Schneider (Monatshefte f. prakt. Tierhlkde. X. Bd.) beim Rind erst in Dosen von 130 g, beim Schaf in Dosen von 35 g tödlich. Die Vergiftungserscheinungen bestehen in Niesen, Husten, Speichelfluss, motorischer Lähmung, Tympanitis, Kolik und Hämaturie; die Sektion ergibt Lungenödem, Gastroenteritis und Nephritis.
Orzin und Kresorzin. Zwei Phenolderivate von der Formel C6H3.CH3.OH.OH wirken nach Brenneisen (Diss. Leipzig 1906) besonders auf Katzen stark giftig (Krämpfe, Lähmungen), welche schon nach subkutanen Dosen von 1 g zugrunde gehen.
[3] Für die Zwecke der Fleischbeschau hat Glage, um auch Spuren von Karbolsäure im Fleisch rasch nachweisen zu können, die Brommethode wesentlich vereinfacht (vorheriges Eindampfen mit Natronlauge). Vergl. die genauere Vorschrift in der Zeitschr. f. Fleisch- u. Milchhygiene 1901, S. 193.
Allgemeines. Das Petroleum findet sich als Rohpetroleum (Erdöl, Steinöl, Bergöl, Mineralöl, Naphtha) in verschiedenen Ländern (Amerika, namentlich Pennsylvanien, Kaukasus, Rumänien, Galizien, Hannover, Bayern). Es ist das Produkt der Zersetzung vorweltlicher Seetiere, also animalischen Ursprungs, und zwar ist es wahrscheinlich aus den Fett- und Transtoffen jener Meertiere durch allmähliche Zersetzung entstanden. Je nach dem Fundort besteht es aus verschiedenartigen Kohlenwasserstoffen, hauptsächlich aus solchen der Formel CnH2n + 2 (Paraffine, Ethane), welche vom Methan (CH4) bis zum Zeresan (C30H62) in ununterbrochener Reihe vorhanden sind. Die Hauptbestandteile des raffinierten Petroleums sind Oktan (C8H18), Nonan (C9H20), Dekan (C10H22), Undekan (C11H24), Dodekan (C12H26), Tridekan (C13H28), Tetradekan (C14H30), Pentadekan (C15H32), Hexadekan (C16H34) und Heptadekan (C17H36). Die im Rohpetroleum ausserdem enthaltenen Kohlenwasserstoffe sind der Petroleumäther (Pentan, Hexan, Heptan), sowie festes Paraffin (C18H38 bis C28H58) und Zeresin (C29H60 bis C35H72). Ausserdem findet man im Petroleum stets Terpene (C10H16), aromatische Kohlenwasserstoffe der [S. 157]Benzolreihe (C6H6), Phenole, Naphthalin, Naphthene, sowie Petrolsäuren von der Formel CnH2n - 2O2, endlich Spuren von Schwefel (0,05–0,1 Proz.). Das Benzin wird durch Destillation des Petroleums gewonnen und besteht hauptsächlich aus Hexan und Heptan. Vergiftungen mit Petroleum ereignen sich bei der Anwendung desselben als Räudemittel und Antiparasitikum, sowie als Stomachikum und Kolikmittel; auch durch zufällige Aufnahme können sie z. B. bei Schweinen vorkommen. Vergiftungen durch Benzin sind nach dem Waschen bei Hunden beobachtet worden.
Krankheitsbild. Das Petroleum ist im allgemeinen ein sehr wenig giftiger Stoff. Die Vergiftungserscheinungen äussern sich nach der innerlichen Aufnahme in gastrischen Störungen, ausserdem bei innerlicher und äusserlicher Applikation in Schwindel, Betäubung, rauschartigem Zustand und Lähmungserscheinungen. Aehnlich wirkt Benzin. Die Behandlung der Petroleumvergiftung besteht in der Verabreichung von Brechmitteln, Abführmitteln, sowie von Exzitantien (kohlensaures Ammonium, Aether, Kampfer). Der Nachweis ist durch den charakteristischen Geruch leicht zu führen.
In der Literatur sind folgende Fälle verzeichnet. Zwei Schweine rieben sich an einem Petroleumfass, wodurch der Spunden gelockert wurde und Petroleum ausfloss. Sie tranken eine grössere Menge davon, worauf sie Betäubung und Schreckhaftigkeit, sowie trübe Augen und kalte Aussentemperatur zeigten. Nach Verabreichung eines Brechmittels (Rhizoma Veratri albi) trat Genesung ein (Kayser, Preuss. Mitteil. 1880). In einem anderen Fall wurden 26 Ochsen, die in einem kleinen und niedrigen Stalle zusammengepfercht waren, zur Vertilgung der Läuse mit je einem halben Quart Petroleum eingerieben, wonach sie sich gegenseitig ableckten. Sie zeigten höhere Rötung der Haut, unterdrückte Fresslust, Traurigsein, sowie mässiges Fieber, genasen jedoch alle (Rüffert, Preuss. Mitt. 1874). Eine Kuh, welche ⅔ l Petroleum mit ⅓ l Branntwein zusammen eingeschüttet erhalten hatte, zeigte Schwäche und Lähmung im Hinterteil, Auftreibung, häufigeren Harnabsatz und starb nach 23 Stunden (Röpke, ibidem 1881). Nach Poincaré sollen ferner die in den Petroleumwerken verwendeten Zugtiere zuweilen Schlafsucht, Appetitlosigkeit und heftiges Hautjucken zeigen. 5 Pferde, welche mit je 1½ l Petroleum energisch über den ganzen Körper eingerieben wurden, zeigten allgemeine Lähmungserscheinungen, so dass sie sich im Liegen nicht wieder erheben konnten; 3 Pferde starben (Mégnin, Recueil 1892). Einen ähnlichen Fall hat Martin beschrieben (Progr. vét. 1898): 5 Pferde starben nach dem Einreiben[S. 158] von je 1½ l Petroleum nach 7–10 Tagen (Dermatitis, Nephritis, Zystitis). Salles (ibid.) sah bei 2 jungen Ochsen nach dem Einreiben von je ½ l Petroleum Schwanken und Zusammenstürzen. Gmeiner (Monatshefte für prakt. Tierhlkde. IX. Bd., S. 570) sah nach dem Einschütten von 1 l Petroleum bei einem Pferde Kolik, Benommenheit des Sensoriums, Taumeln und hochgradige Mattigkeit. Ehlers (Berl. Arch. 1897) beobachtete bei einem mit Petroleum eingeriebenen Hund eine vollständige Lähmung des Hinterteils. Eine ähnliche Vergiftung bei einer Ziege, die wegen Läusen mit Petroleum gewaschen wurde, hat Eppinger beobachtet (Tierärztl. Zentralblatt 1900). Nach Möbius (Sächs. Jahresber. pro 1898) starben 6 Gänse infolge der Aufnahme von petroleumhaltigem Wasser. Ein mit Benzin gewaschener Hund zeigte schwere Bewusstlosigkeit und Herzschwäche, genas jedoch nach der Verabreichung exzitierender Mittel (Guhrauer, Z. f. Vetkde. 1909).
Naphthalin. Ein Pferd, welches aus Versehen innerlich Naphthalin erhalten hatte, zeigte die Erscheinungen der Hämoglobinurie (Siedamgrotzky, Sächs. Jahresber. pro 1892). — 14 junge Hühner, welche in einen Raum gesperrt wurden, in dem sich in Schränken und Kisten mit Naphthalin bestreute Kleider und Pelze befanden, wurden am andern Morgen tot, 1 Mutterhenne in Krämpfen liegend gefunden (Jagmin). — Kaninchen zeigen nach längerer Verabreichung von Naphthalin Trübung der Linse (Naphthalinstar), Trübung und Ablösung der Netzhaut, Atrophie der Papille und Nephritis (Bouchard u. a.). — Ein Hund, welcher auf Teppichen gelegen hatte, die mit Naphthalin bestreut waren, zeigte vorübergehende Erscheinungen von Tobsucht (Otto, Sächs. Jahresber. 1901). — Regenbogen (Berl. T. W. 1903) berichtet über einen forensischen Fall von Naphthalinvergiftung bei 12 Pferden, die gegen Druse je einen Esslöffel voll Rohnaphthalin als „Kropfpulver“ aus einer Apotheke erhalten hatten und darauf unter Kolikerscheinungen und Dunkelfärbung des Harns schwer erkrankten; bei einem gestorbenen Pferde ergab die Sektion Nephritis und Leberentzündung. Die hierauf von Regenbogen an Pferden, Rindern und Hunden angestellten Versuche mit Naphthalin lehrten, dass 20–25 g für Pferde giftig, 30 g tödlich wirken durch Auflösung der roten Blutkörperchen. Die Vergiftung äussert sich durch Hämoglobinurie, Nephritis, Cholurie und allgemeinen Ikterus.
Naphthol. Ein Pferd, welches gegen die sog. Sommerräude mit spirituöser Naphthollösung eingerieben wurde, zeigte heftige Reizung der Kopfschleimhäute, epileptiforme Krämpfe abwechselnd mit Depression, Hämoglobinurie, Albuminurie, Anurie und Kollaps. Die Sektion ergab hämorrhagische Nephritis, Ikterus, sowie Degeneration der Leber und des Herzens (Regenbogen, B. T. W. 1903).
[S. 159]
Allgemeines. Das Kohlenoxyd, CO, ist ein sehr giftiges Gas, welches bei der Verbrennung der Kohle unter ungenügendem Zutritt von Sauerstoff an Stelle der sonst gebildeten Kohlensäure entsteht: C + O2 = CO2 (Kohlensäure); C + O = CO (Kohlenoxyd). Es findet sich hauptsächlich im sog. Kohlendunst, der sich bei falscher Stellung der Ofenklappen, sowie bei Heizung von Räumen mit Kohlenpfannen und Gasöfen ohne Abzug bildet, und in welchem es zu 0,3–0,5 Proz. neben Kohlensäure (6 Proz.), Sauerstoff und Stickstoff enthalten ist. Ausserdem ist es der giftigste Bestandteil des Leuchtgases (vergl. die Vergiftung durch Leuchtgas). Vergiftungen durch freies Kohlenoxyd sind bei Hunden, Pferden, Rindern, Katzen und Ziegen beobachtet worden.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Wesen der Kohlenoxydvergiftung besteht in einer Blutvergiftung, nämlich in einer Verdrängung des Sauerstoffs aus seiner Verbindung mit dem Hämoglobin durch das Kohlenoxyd. Das Oxy-Hämoglobin, welches die Sauerstoffaufnahme und die innere Sauerstoffübertragung vermittelt und damit als Grundlage der Atmung dient, verwandelt sich in das die Abgabe von Sauerstoff und somit die Atmung verhindernde und daher Erstickung bedingende Kohlenoxyd-Hämoglobin. Die Affinität des Hämoglobins zum Kohlenoxyd ist 200mal stärker, als die zum Sauerstoff. Die roten Blutkörperchen selbst werden durch Kohlenoxyd weder aufgelöst, noch in ihrer Form verändert. Die chemische Bindung des Kohlenoxyds an das Hämoglobin ist schon äusserlich an der violetten bis hellkirschroten Farbe des Blutes zu erkennen. Tiere, welche Luft mit einem Gehalt von 0,05–0,2 Proz. Kohlenoxyd einatmen, sterben an Kohlenoxydvergiftung. Ob das Kohlenoxyd ausser seiner Wirkung auf das Blut auch noch eine direkte Wirkung auf das Nervensystem und andere Organe besitzt, ist streitig. Nach Geppert und Kobert ist das Kohlenoxyd auch ein Nervengift, indem es die Ganglienzellen des Gehirns und die peripheren Nerven lähmt; es ruft ferner in den Muskeln und Drüsen degenerative Veränderungen hervor und steigert als Stoffwechselgift den Eiweisszerfall enorm.
Die Kohlenoxydvergiftung hat in ihren Einzelerscheinungen und in ihrem Wesen viel Aehnlichkeit mit der Blausäurevergiftung. Man beobachtet zunächst Schwindel, Taumeln, Betäubung, Bewusstlosigkeit, sowie Lähmungserscheinungen namentlich an den hinteren Extremitäten; später treten Krämpfe und Erstickungserscheinungen auf. Die Erscheinungen der Lähmung können längere Zeit (Wochen lang) anhalten. Bei der Sektion[S. 160] findet man auffallend hellrotes, flüssiges Blut in allen Organen, sowie die Erscheinungen der Erstickung, verbunden mit hellroten kleinen Blutaustritten in verschiedenen Organen. — Das Kohlenoxyd geht auch von der Mutter auf den Fötus über.
Behandlung. Sie besteht wie bei der Leuchtgasvergiftung in sofortiger Zufuhr von frischer Luft oder in Sauerstoffinhalation, in der Vornahme eines Aderlasses verbunden mit Transfusion von Blut derselben Spezies oder einer 0,6proz. alkalischen Kochsalzlösung, sowie in der Anwendung von Exzitantien (Hautreize, kalte Duschen, subkutane Kampfer- und Aetherinjektionen, Elektrizität).
Nachweis. Ausser durch die kirschrote, violette oder rosarote Färbung des Blutes bei der Sektion lässt sich das Kohlenoxyd chemisch durch Sublimat (pfirsichrote Färbung des Blutes) oder Chlorkalzium (defibriniertes Blut mit dem doppelten Volum Aetznatronlauge wird bei Zusatz von Chlorkalzium karminrot), endlich durch Kupfervitriol (2 ccm Blut mit ebenso viel Wasser und 3 Tropfen einer zu einem Dritteil gesättigten Kupfervitriollösung geben einen ziegelroten Niederschlag) nachweisen. Wichtiger ist der Nachweis des Kohlenoxyds im Blute mittels des Spektroskops. Kohlenoxydblut zeigt nämlich 2 ähnliche Absorptionsstreifen, wie gesundes Blut; dieselben schwinden aber auf Zusatz reduzierender Mittel (Schwefelammonium) oder von Zyankalium nicht, wie im gesunden Blute.
Kasuistik. 2 Hunde zeigten nach der zufälligen Einatmung von Kohlenoxydgas schwankenden Gang, Sehstörungen, starke Pupillenerweiterung, Verlust des Gehörs, Verlangsamung des Herzschlages, sowie Lähmungserscheinungen. Bei dem einen Hund verschwanden die Lähmungserscheinungen nach 14 Tagen, der andere musste dagegen getötet werden, nachdem innerhalb 3 Wochen eine Besserung nicht eingetreten war (Rietzel, Ad. Woch. 1885). — Ein kalter Stall, in welchem 2 Ochsen standen, sollte durch glühende Kohlen erwärmt werden. Eine Stunde darauf zeigten die Tiere Bewusstlosigkeit, niedere Kopfhaltung, Kauen und Speicheln, Atembeschwerden, unfühlbaren Puls und Nasenbluten; das Verbringen in freie Luft, kalte Begiessungen und Aderlass hatten Wiederherstellung der Tiere zur Folge (Nicklas, Wochenblatt 1. Bd.). — In ein festverschlossenes Zimmer wurden 4 brennende Kohlenbecken und ein Hund versuchsweise eingebracht. Nach 15 Minuten zeigte derselbe Schlafsucht, Unruhe und Heulen, nach 30 Minuten Krämpfe und Atmungsbeschwerden, nach 50 Minuten starb der Hund (Orfila, Toxikologie). — Leonhardt (Berl. Arch. 1893) berichtet über eine Kohlenoxydvergiftung bei 2 Pferden, welche in ihrem Stalle infolge Einatmung von Kohlenoxyd tot aufgefunden wurden und bei denen die spektroskopische Untersuchung des Blutes (Rubner) die Diagnose bestätigte. Einen ähnlichen Fall hat Hock (Woch. f. T. 1896) beobachtet. — In einem mit Koksofen geheizten Stall starben 2 Pferde und der Diener, 2 andere Pferde blieben am Leben, wahrscheinlich weil sie standen; eines derselben zeigte Benommenheit, Mangel an[S. 161] Appetit und Verlangsamung des Pulses (24). Die Sektion der gestorbenen Pferde ergab kirschrotes, unvollständig geronnenes Blut, Anhäufung desselben in den Lungen, leere Herzkammern, sowie Anämie der Gefässe der Unterhaut (Otto, Sächs. Jahresber. 1899). — Infolge Einatmung von Kohlendunst starben 2 Ziegen, 1 Pferd und 1 Katze; 2 Hühner blieben gesund (Berg, Zeitschr. f. Vet. 1904). — Zum Vergiften von Hunden wird neuerdings das sog. Generatorgas empfohlen (CO oder CO + H oder CH4). — Die experimentelle tödliche Dosis des Kohlenoxyds für Hunde beträgt etwa 1 g.
Allgemeines. Das Leuchtgas wird gewöhnlich dargestellt durch trockene Destillation der Steinkohlen, welche in eisernen Retorten auf etwa 1000 Grad erhitzt werden. Es ist eine Gemenge von Kohlenwasserstoffen der Methan-, Azetylen-, Aethylen- und aromatischen Reihe mit Kohlenoxyd etc. und enthält als wichtigsten Kohlenwasserstoff das Methan (CH4), das sog. Sumpf- oder Grubengas. Die giftige Wirkung grösserer Mengen von Leuchtgas (kleinere Mengen sind unschädlich) ist nur zum Teil auf seinen Gehalt an Methan (40 Proz.) zurückzuführen. In der Hauptsache kommt der Gehalt des Leuchtgases an Kohlenoxyd (5–10 Proz.) in Betracht. Ueber klinische Beobachtungen von Leuchtgasvergiftungen bei den Haustieren (Pferd, Katze) ist von Gerlach und Csokor (Gerichtl. Tierheilkunde; Oesterr. Vierteljahrsschrift 1888) berichtet worden. Experimentelle Untersuchungen an Tieren sind von Biefel und Polek (Zeitschrift für Biologie Bd. 16) gemacht worden.
Krankheitsbild. Die Erscheinungen der Leuchtgasvergiftung sind im wesentlichen dieselben wie bei der Kohlenoxydvergiftung. Zum Teil haben sie Aehnlichkeit mit dem Bild der Chloroformnarkose. Sie bestehen in Benommenheit des Sensoriums, Betäubung, Taumeln, Muskelschwäche, Lähmung der Extremitäten, Atemnot, Pulsbeschleunigung, sowie in anhaltendem Auftreten allgemeiner Krämpfe; durch letztere unterscheidet sich die Leuchtgaswirkung von der Chloroform- und Aethernarkose. Bei der Sektion findet man das Blut hellrot gefärbt (Kohlenoxyd-Hämoglobin) und dünnflüssig; das Gehirn und seine Häute sind stark hyperämisch. Zuweilen fällt schon während des Lebens eine hellrote Farbe der Schleimhäute auf. Die Behandlung besteht in Zufuhr frischer Luft oder in Sauerstoffinhalation, Einleitung künstlicher Atmung, sowie in der Anwendung von Exzitantien (Aether und Kampfer subkutan, Kaffee, Wein, kalte Begiessungen).
Azetylengas. Das auch im Leuchtgas enthaltene Azetylen von der Formel C2H2 wird gewöhnlich aus Kalziumkarbid und Wasser dargestellt: CaC2 + 2 H2O = Ca(OH)2 + C2H2. Nach den Untersuchungen von Panisset (Recueil méd. vét. 1903) ist das reine Azetylen im Gegensatz zum Leuchtgas kaum giftig zu nennen. Ein Hund blieb z. B. 3 Stunden in[S. 162] einem Luftgemenge, das 20 Proz. Azetylen enthielt, ohne zu erkranken. Die gegenteilige Ansicht Liebreichs beruht auf der Anwendung eines unreinen, Kohlenoxyd enthaltenden Azetylens.
Allgemeines. Der Schwefelwasserstoff, SH2, ist ein sehr giftiges Gas, welches im freien Zustande in grösseren Mengen (5–10 Proz.) im sog. Kloakengas (Latrinengas, Mistgrubengas) vorkommt. Schwefelwasserstoff entwickelt sich ferner in grosser Menge bei der Verwendung der Schwefelleber (Kalium und Natrium sulfuratum) zu Räudebädern oder zu innerem Gebrauch. Ausserdem bildet sich Schwefelwasserstoff nach der innerlichen Verabreichung von Schwefel im Darmkanal. Von dem im Darmkanal gesunder Tiere aus den Eiweisskörpern der Nahrung gebildeten Schwefelwasserstoff hat man früher angenommen, dass derselbe in grösseren Mengen, z. B. bei der Kolik der Pferde, eine Selbstvergiftung (Autointoxikation) des Körpers herbeiführen könne; Beweise für diese Annahme fehlen indes.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Der Schwefelwasserstoff gehört zu den giftigsten Gasen. Er ist ein lähmendes Gift für Gehirn und Rückenmark. Ausserdem ist der Schwefelwasserstoff ein Blutgift, welches das Oxyhämoglobin in der Leiche zu Schwefel-Methämoglobin zersetzt. Nach den Untersuchungen von Lehmann sterben Tiere in einer Atmosphäre, welche nur 1–3 pro Mille Schwefelwasserstoff enthält, schon binnen 10 Minuten apoplektisch unter sehr heftigen Konvulsionen und grosser Atemnot. Eine Luft, welche ½ pro Mille Schwefelwasserstoff enthält, wirkt ebenfalls tödlich unter Krämpfen und unter den Erscheinungen eines entzündlichen Lungenödems. Daneben wirkt der Schwefelwasserstoff reizend auf die Kopf- und Respirationsschleimhäute (Rhinitis, Konjunktivitis, Laryngitis).
Die Erscheinungen der Schwefelwasserstoffvergiftung bestehen in Mattigkeit, Schwäche, Betäubung, Krämpfen, Verlangsamung und schliesslicher Lähmung der Atmung. Nach Chaussier starb ein Pferd, welchem 10 l Schwefelwasserstoffgas in den Mastdarm eingeführt wurden, im Verlauf einer Stunde. Bei der Sektion findet man einige Zeit nach dem Tode eine grünlich-schwarze, tintenartige Verfärbung des Blutes, Zerfall der roten Blutkörperchen, Verschwinden der Absorptionsstreifen des Oxyhämoglobins im Spektrum und Ersetzung durch den Streifen des reduzierten Hämoglobins (Schwefel-Hämoglobins). Da im übrigen die Bildung von Schwefel-Hämoglobin in jeder faulenden Leiche stattfinden kann, ist sie für die Schwefelwasserstoffvergiftung nicht[S. 163] charakteristisch. Ausserdem beobachtet man die Erscheinungen der Suffokation (Blutüberfüllung der Lunge, des Herzens und der grösseren Gefässe). Die Behandlung ist dieselbe wie bei der Kohlenoxydvergiftung; als chemisches Antidot wird ferner die Inhalation von Chlorgas empfohlen. Der Nachweis geschieht durch den Geruch, sowie chemisch durch Schwarzfärbung von Papierstreifen, welche mit Bleizuckerlösung getränkt sind (Bildung von Schwefelblei).
Schwefel. Die Giftigkeit des Schwefels beruht einerseits auf der reizenden Wirkung des Schwefels auf die Darmschleimhaut, andererseits auf seiner Umwandlung zu SH2. Die Erscheinungen der Schwefelvergiftung sind: Gastroenteritis mit heftiger Kolik und Entleerung dünnflüssiger, schwärzlicher, nach Schwefelwasserstoff riechender Massen, Koma, Geruch der ausgeatmeten Luft nach Schwefelwasserstoff. Aehnlich äussert sich die Vergiftung mit Schwefelleber. Die Behandlung besteht in der Verabreichung von Eisen, gebrannter Magnesia, Exzitantien, schleimiger Mittel. Eine charakteristische Schwefelvergiftung bei Pferden ist von Demblon, Mosselmann und Hébrant (Belg. Annal. 1898) beschrieben worden. Danach erhielten 9 Pferde zusammen 4 kg Schwefel (3–400 g pro Stück). 3 Pferde verendeten innerhalb 24 Stunden unter heftigen Kolikerscheinungen und Durchfall; die Sektion ergab Gastroenteritis, Lungenödem und starken SH2-Geruch aller Organe. Dass im übrigen der Schwefel nur wenig giftig ist, beweisen die Versuche von Hertwig. Dieser gab einem mittelstarken, 9jährigen Pferd innerhalb 16 Tagen 2800 g (nahezu 3 kg) Schwefel in der Weise, dass am ersten Tag 30 g, am zweiten 60, am dritten 90 g u. s. f. verabreicht wurden. Am dritten Tag (180 g) roch die Hautausdünstung deutlich nach Schwefel (Bleireaktion). Die Absonderung des Schleimes in der Nase vermehrte sich täglich; am 7. Tag (840 g) trat Durchfall ein, der bis zum 17. Tag (Tag der Tötung) fortdauerte. Die Fresslust wurde niemals getrübt; trotzdem magerte das Pferd bei gutem Futter sichtbar ab, wurde täglich kraftloser, so dass es am 16. Tag nicht mehr allein von der Streu aufstehen konnte. Puls und Atem waren bis zum letzten Tag normal; Kolikerscheinungen traten nicht auf. Vom 10. Tag ab wurde das Blut immer dunkler und zuletzt selbst in den Arterien fast schwarz; dabei war es sehr dünnflüssig und langsam gerinnend. Am 17. Tag wurde das Pferd getötet. Die Sektion ergab ausgebreiteten Schwefelwasserstoffgeruch aller Organe, sowie leichte gastroenteritische Erscheinungen. Diesem Hertwigschen Versuche gegenüber muss eine angebliche Beobachtung von Fogliata (Giornale di Anat. Fisiol. e Pathol. 1866) als sehr unwahrscheinlich erscheinen. Fogliata hält nämlich 45 g für die Maximaldosis des Schwefels bei Pferden (!). Er will bei einem 3jährigen Fohlen nach Verabreichung von etwas über 30 g reinen Schwefels eine innerhalb 18 Stunden unter Diarrhöe verlaufende tödliche Gastroenteritis beobachtet haben(?); eine Arsenikvergiftung soll dabei ausgeschlossen gewesen sein. Nach Mosselmann und Hébrant haben bei Fohlen 250 g, bei erwachsenen Pferden 500 g Schwefel eine Vergiftung zur Folge. — Nach Hébrant (Belg. Annal. 1900) sollen in Belgien bei Hunden sehr oft Schwefelvergiftungen vorkommen (Eingeben von Schwefel als Prophylaktikum gegen die Staupe im Frühjahr) und sich in Kolik, Erbrechen, Durchfall, selbst blutigem Erbrechen und Durchfall, Somnolenz, Anämie der Schleimhäute mit häufig[S. 164] tödlichem Ausgang äussern. — Ueber eine Vergiftung beim Rind und Schwein hat Fabretti berichtet (Giorn. vet. 1900). — Aehnlich wie Schwefel wirken Selen und Tellur. Letzteres findet sich zuweilen in unreinen Wismutsalzen und bedingt durch seine Umwandlung zu Tellurwasserstoff = TeH2 den aashaften knoblauchartigen Geruch der ausgeatmeten Luft (sog. Wismutatem). Sehr giftig sind ferner das tellursaure Natrium, sowie die selenige Säure und ihre Salze.
Schwefelleber. Die Schwefelleber (Schwefelkalium, Kalium sulfuratum) von der Formel K2S3 + K2S2O3 kann bei äusserlicher Anwendung als Räudemittel, sowie bei innerlicher Verabreichung (Verwechslung mit Kalium sulfuricum) schwere Vergiftungserscheinungen veranlassen. Die Giftwirkung setzt sich zusammen aus der ätzenden Kaliwirkung (Dermatitis, korrosive Gastroenteritis, Kolik) und der Schwefelwasserstoffwirkung (Betäubung, Lähmung, Krämpfe). Bei Hunden wirken schon 2–4,0, bei Pferden und Rindern 30–60,0 giftig. Eine Vergiftung mit Schwefelleber bei 12 räudigen Pferden nach dem Waschen mit 10proz. Lösung ist im Berliner Archiv (1898, S. 298) beschrieben. Die Tiere wurden 1 Stunde nach der Waschung sehr unruhig, atmeten sehr schnell und zeigten sich zuletzt sehr abgestumpft; an den kräftig geriebenen Hautstellen trat starke Schwellung und später Ablösung der Haut in Fetzen ein. Sämtliche Pferde erholten sich bis zum nächsten Tag wieder vollständig.
Schweflige Säure. Die schweflige Säure, SO2, entwickelt sich beim Verbrennen des Schwefels. Sie kann gelegentlich der Desinfektion von Stallungen, bei der Entleerung von Gefrierapparaten, sowie beim Einatmen von Flugstaub (Rösten von Bleierzen) Vergiftungserscheinungen bei Pferden, Rindern und anderen Haustieren hervorrufen. Dieselben äussern sich in Konjunktivitis, Laryngitis (Husten), schweren Atembeschwerden, krampfhaftem Stimmritzenverschluss, sowie in der Ausbildung einer kruppösen Bronchitis und Pneumonie (reduzierende Wirkung, Umwandlung zu Schwefelsäure). Nach Ogata erkranken Tiere schon bei einem Gehalt der Luft von ½ Vol. pro Mille SO2 und sterben bei einem solchen von 3 pro Mille unter Dyspnoe und Krämpfen. Nach Kionka erzeugen schon ½proz. wässerige Lösungen im Magen intensive Gastritis, 5proz. Lösungen haben nach 3–5 Minuten den Tod der Versuchstiere zur Folge. In den Lungenkapillaren entstehen schon intra vitam Gerinnungen. Wegen ihrer starken Giftigkeit in Gasform wird daher neuerdings flüssig gemachte schweflige Säure unter dem Namen Piktolin zur Vertilgung von Ratten und Mäusen empfohlen (Kosselt). Tempel (Berl. tierärztl. Wochenschr. 1893, Nr. 35) beobachtete bei 4 Pferden und 4 Schweinen eine Vergiftung mit SO2 (schweflige Säure), welche aus einem Gefrierapparat in den Stall gelangt war. Die Sektion ergab katarrhalische bezw. diphtheritische Entzündung der Respirationsschleimhaut, Lungenemphysem, Bronchopneumonie, Blutstauung und parenchymatöse Veränderungen. — Köbert (Sächs. Jahresber. 1892, S. 110) beschreibt eine SO2-Vergiftung bei 2 Pferden, welche nach dem Einatmen von Flugstaub beim Rösten von Bleierzen auftrat, der zum grössten Teil aus schwefliger Säure bestand. Die Tiere zeigten heftige Entzündungserscheinungen von seiten der Kopf- und Respirationsschleimhäute, sowie der Lunge (Husten, Dyspnoe, Nasenausfluss etc.). Ein Pferd starb nach 5, das andere nach 10 Tagen unter Bildung eines Hautemphysems am Vorderteil und nach Eintritt von Lungengangrän. Bei der Sektion fand man Gangrän der Kehlkopf- und Luftröhrenschleimhaut, jauchige Bronchitis und Pneumonie,[S. 165] flächenhafte Blutungen auf der Nasenschleimhaut, sowie Stomatitis ulcerosa. — Ein Hund war aus Versehen in einem Zimmer zurückgelassen worden, das zur Vertreibung von Wanzen geschwefelt worden war. Er zeigte grosse Mattigkeit, hochrote Farbe der sichtbaren Schleimhäute, Salivation, Konjunktivitis und Keratitis, Dyspnoe, inspiratorisches laryngeales Rasseln, Husten, Laryngitis, Tracheitis, Bronchitis und Bronchiolitis, Fieber (40,3°) und gesteigerte Pulsfrequenz (156 Pulse); nach 22 Tagen war er wieder gesund (Jakob, Woch. f. Tierh. 1908).
Sulfite. Die Salze der schwefligen Säure (Natrium, Kalium, Calcium sulfurosum und subsulfurosum), welche früher als ungiftige innerliche Antiseptika gegen verschiedene Infektionskrankheiten empfohlen wurden, sind ebenfalls stark giftig. Nach Pfeiffer (Arch. f. exp. Path. Bd. 27) wirken sie schon in Dosen von 0,6 pro Kilo tödlich durch Gefässlähmung und Herzlähmung; bei innerlicher Verabreichung erzeugen sie ferner infolge Abspaltung der ätzenden freien schwefligen Säure Gastroenteritis (Kionka, Zeitschr. f. Hyg. 1896). Nach neueren Versuchen von Kionka an Hunden erzeugte der fortgesetzte Genuss von mässigen Mengen schwefligsauren Natrons Abortus, Absterben der Fötus, entzündliche Schwellung und Rötung der Darmmukosa, sowie Blutungen in inneren Organen (Deutsch. med. Woch. 1902 Nr. 6). Auch beim Menschen wurden gastrische Störungen beobachtet (Bernatzik und Braun). Aus diesem Grunde wirken die Sulfite als konservierender Zusatz zu Nahrungsmitteln (Fleisch) gesundheitsschädlich. Ein derartiger Zusatz ist daher verboten worden (Bundesratsbeschluss vom 18.2.02).
Untersalpetersäure und Salpetrigsäure-Anhydrid. Die Untersalpetersäure, NO2 (Stickstoffdioxyd), bildet sich aus NO, Stickoxyd, sofort bei Zutritt von Luft. NO2 sowohl, wie N2O3 (Salpetrigsäureanhydrid) erzeugen beim Einatmen Laryngitis, Tracheitis und Lungenödem, sowie als Allgemeinwirkung Methämoglobinämie. Ebenso wirken die salpetrigsauren Salze (Nitrite). N2O, Stickstoffoxydul (Lustgas) wirkt narkotisierend auf das Grosshirn. Aehnlich reizend wie die Dämpfe der salpetrigen Säure wirken nach Binz die Dämpfe des Ozons, O3; die Allgemeinwirkung des Ozons ist eine narkotisierende bezw. hypnotisierende (Schulz); bei der Sektion findet man Verfettung der Leber, der Nieren und des Herzens.
Schwefelkohlenstoff. Der Schwefelkohlenstoff, CS2, ist experimentell bei Tieren als Blut- und Nervengift festgestellt. Er erzeugt Methämoglobinämie, Krämpfe und Lähmung. Beim Menschen kommt in Kautschukfabriken eine chronische Vergiftung vor, welche sich in Geisteskrankheit, epileptiformen Krämpfen, Tabes etc. äussert. Dierks (Preuss. Vet.-Ber. pro 1906) berichtet über eine Vergiftung bei 2 Pferden, die gegen Gastruslarven 36 bezw. 100 g Schwefelkohlenstoff in Kapseln erhalten hatten; beide Pferde „erkrankten schwer und gingen nach 9 Tagen ein“.
Allgemeines. Der Alkohol (Spiritus, Weingeist) entsteht aus den Kohlenhydraten unter der Einwirkung des Hefepilzes. Man unterscheidet einen 100prozentigen (wasserfreien), 99prozentigen (absoluten), 91prozentigen (höchst rektifizierten) und einen 68prozentigen (rektifizierten oder verdünnten Alkohol). Die verschiedenen Branntweine enthalten 40–50 Proz. Alkohol[S. 166] (neben Fuselöl und Aldehyd), der Wein 8–10, das Bier 3–5 Proz. Reine Alkoholvergiftungen kommen bei den Haustieren nur ausnahmsweise z. B. nach zu hoher Dosierung des Weingeistes vor. Gewöhnlich wird den Haustieren Gelegenheit zur freiwilligen Aufnahme des Alkohols in Brennereien und Brauereien durch alkoholhaltige Schlempe und Treber, Branntweinmaische, Biermaische, starkes Branntweinspülicht, Spülwasser von Spiritusfässern, Weintrester, Apfelweintrester, gärenden Most, Lagerbier etc. gegeben. Da hierbei zuweilen neben dem Alkohol auch noch die gärenden Futtermassen im Darm ihre Wirkung äussern, treten als Komplikation der Alkoholvergiftung mitunter auch gastrische Zufälle (Tympanitis, Kolik) auf.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Erscheinungen der akuten Alkoholvergiftung (akuter Alkoholismus) äussern sich anfangs in Erregungs-, später in Lähmungszuständen des Gehirns. Zunächst zeigen die Tiere Unruhe und Aufregung, selbst Tobsucht, Zerstörungssucht und wutähnliche Anfälle (namentlich Rinder). Gleichzeitig sind die sichtbaren Schleimhäute hochgerötet, der Herzschlag ist pochend, der Puls beschleunigt; zuweilen beobachtet man auch aufgeregten Geschlechtstrieb und vereinzelt selbst Abortus. Später beobachtet man Schwanken, Taumeln, rauschartigen Zustand, Betäubung, Zusammenstürzen, Bewusstlosigkeit, sowie allgemeine Lähmung. Der tödliche Ausgang erfolgt unter den Erscheinungen des Kollapses unter starker Temperaturerniedrigung und Pulsverlangsamung, sowie zuweilen unter vorausgegangenen Krämpfen. Das Zentralnervensystem wird durch den Alkohol in nachstehender Reihenfolge gelähmt: Hirnrinde und Grosshirn, Kleinhirn, Rückenmark, zuletzt das verlängerte Mark mit dem Atmungszentrum.
Bei der Sektion findet man das Gehirn mit seinen Häuten und Blutleitern sehr blutreich; die Gehirnsubstanz ist zuweilen von hämorrhagischen Herden durchsetzt, auch findet man in den Gehirnventrikeln oft grössere Mengen blutigen Serums. Die Darmschleimhaut zeigt bisweilen die Erscheinungen einer hämorrhagischen Entzündung, wobei der Darminhalt blutig ist. Auch an anderen Stellen, namentlich im Herzen und in der Subkutis, sind Hämorrhagien gefunden worden. Das Blut ist dünnflüssig, von schwarzroter Farbe. Der Magen- und Darminhalt fällt durch seinen Alkoholgeruch auf. Die mikroskopische Untersuchung des Gehirns ergibt auffallende Veränderungen der Ganglienzellen des Grosshirns; sie sind in rundliche, blasse Gebilde verwandelt, der Kern, die Nisslkörper und die Dendriten verschwinden.
Chronische Alkoholvergiftungen sind klinisch nur vereinzelt,[S. 167] so angeblich bei dem Hunde eines Destillateurs (Spinola) beobachtet worden. Speziell über die beim Menschen so häufige Leberzirrhose als Erscheinung des chronischen Alkoholismus ist in der Tierheilkunde nichts bekannt. Es ist sogar trotz der von mehreren Seiten angestellten experimentellen Untersuchungen noch eine offene Frage, ob sich überhaupt durch die fortgesetzte Verabreichung von Alkohol bei Tieren künstlich Leberzirrhose erzeugen lässt. Die Resultate der bisher ausgeführten Experimente sind sehr widersprechend. Ueber positive Resultate berichten Strauss, Rechter u. a. Auch das im Gegensatz zum Landschwein angeblich häufige Vorkommen von Leberzirrhose bei Schweinen; welche mit Bierresten aus städtischen Restaurationen gefüttert werden (Tschauner), soll für das Vorkommen der Leberzirrhose wenigstens beim Schwein sprechen. Dagegen konnten Afanassijew, Strassmann, von Kahlden, Lafitte, Pohl, Fieweger u. a. bei ihren Versuchen mit Hunden und anderen kleinen Haustieren experimentell keine ausgesprochene Leberzirrhose erzeugen; sie fanden lediglich Verfettung der Leberzellen, Hyperämie der Leber, sowie kleinzellige Infiltration (vergl. S. 170). Mairet und Combemale wollen beobachtet haben, dass die Nachkommenschaft experimentell mit Weingeist gefütterter Hunde geschwächt erschien und frühzeitig starb; die gefütterten Hunde selbst sollen schliesslich Hodenatrophie gezeigt haben.
Behandlung. Die Behandlung der Alkoholvergiftung ist eine symptomatische. Sie besteht in der Anwendung von Exzitantien. Neben kalten Sturzbädern auf den Kopf und der Applikation hautreizender Mittel gibt man innerlich oder subkutan Kaffee, Koffein, Aether, Kampfer, Salmiakgeist, kohlensaures Ammonium, Atropin, Hyoszin und Veratrin. Ausserdem sind die Tiere vor Abkühlung zu schützen (warme Decken).
Nachweis. Der chemische Nachweis des Alkohols erfolgt mittels Destillation. Man destilliert ihn nach vorheriger Ansäuerung der zu untersuchenden Masse über und weist ihn im Destillat durch seinen charakteristischen Geruch, seine Brennbarkeit und die Möglichkeit der Oxydation zu Aldehyd und Essigsäure nach. Der Alkohol färbt ferner ein Gemisch von chromsaurem Kali und Schwefelsäure intensiv grün (Reduktion des Chromsalzes), entwickelt, unter einer Glasglocke mit Platinmoor zusammengebracht, den Geruch des Aldehyds und der Essigsäure (Oxydation),[S. 168] wobei die Essigsäure weiter durch Erwärmen mit Kali und einigen Körnchen Arsenik im Glasrohr in das sehr übelriechende Kakodyl = As2(C2H5)4O übergeführt werden kann. Endlich gibt eine alkoholhaltige Flüssigkeit mit einigen Tropfen einer heissgesättigten Lösung von Molybdänsäure in konzentrierter, reiner Schwefelsäure eine tiefblaue Färbung. Schliesslich lässt sich der Alkohol sehr sicher auch durch die äusserst empfindliche Jodoformprobe nachweisen. Dieselbe besteht darin, dass man den im Destillate enthaltenen Alkohol durch Zusatz von Kalilauge und Jod (bis zur gelbbraunen Färbung) in kristallinisches Jodoform umwandelt, welches mikroskopisch in Form gelber, hexagonaler Tafeln erkannt werden kann. Oder man verwandelt den Alkohol durch Schwefelkohlenstoff (2–3 Tropfen) und Kali in Xanthogensäure und erwärmt das Gemenge mit molybdänsaurem Ammonium (1 Tropfen einer Lösung 1 : 10) und verdünnter Schwefelsäure (1 : 8), worauf Rotfärbung eintritt.
Kasuistik. 1. Rinder. 16 Mastkühe eines Brennereibesitzers hatten alkoholhaltige Schlempe (beim Abdampfen stellte sich nachher ein Gehalt von 7 Proz. heraus) genossen. Am andern Morgen fand man 1 Kuh verendet, 14 Stück mussten geschlachtet werden und nur ein Tier genas. Die Erscheinungen während des Lebens bestanden in unterdrückter Futteraufnahme, Taumeln, Aufstützen des Kopfes, starker Rötung der Konjunktiva und Maulschleimhaut, beschleunigter Atmung, kurzem, mattem Husten, beschwerlichem Aufstehen, grosser Mattigkeit und Hinfälligkeit, Hin- und Hertrippeln, Zuckungen und Krämpfen in den Gliedmassen, sowie Gefühllosigkeit; die letztgenannten Erscheinungen wiesen auf einen baldigen tödlichen Ausgang hin. Die Dauer der Vergiftung betrug einige Stunden bis 2 Tage. Bei der Sektion fand man höhere Rötung der sichtbaren Schleimhäute, Ausfluss dünnen Blutes aus der Nase, dunkelrotes, nicht geronnenes Blut, die Subkutis sehr blutreich, an handgrossen Stellen dunkelrot gefleckt, die Farbe des Kadavers im ganzen schmutziggelb. Auf dem Pansen fanden sich grössere und kleinere dunkelrote Flecken, der Dünndarm war von aussen gerötet, an einzelnen Stellen schwarzrot gefärbt. Die Leber war zum Teil blass und bleifarbig. Der Darminhalt bestand aus einem dunkelroten, teils schokolade-, teils blutähnlichen Brei von dünnflüssiger Konsistenz. Die Lungen waren dunkel gerötet, der Herzmuskel welk, blass, mit kleineren, schwarzen Blutflecken durchsetzt. Die Gehirnblutleiter waren mit schwarzem flüssigem Blute gefüllt, die Rinden- und Marksubstanz des Gehirns war sehr blutreich und enthielt apoplektische Herde, die Adergeflechte waren geschwollen und die Hirnkammern mit blutigem Serum gefüllt (Knipp, Preuss. Mitt. 1878). — Der ganze Viehstand eines Besitzers (90 Rinder) erkrankte dadurch, dass aus Versehen Maische unter die Schlempe geriet. Die Tiere taumelten wie betrunken, zeigten Zähneknirschen, starke Tympanitis und später Zuckungen der Halsmuskel. Bei der Sektion fand man braune, dünne, hefenartige Ergiessungen in den Siebbeinmuscheln und am Gehirn (Krausse, ibidem). — Eine Ochsenherde zeigte nach der Fütterung alkoholhaltiger Schlempe das Bild der Betrunkenheit: Aufregung, stieren Blick, Taumeln, Wut, Zerstörungssucht, betrunkenes Am-Boden-liegen etc. (Haselbach, Oesterreich. Vereinsmonatschr. 1884). — 3 Kühe hatten an einem Tag 60 l Lagerbier erhalten und erkrankten unter dem Bilde der Alkoholvergiftung (Uhlich, Sächs. Jahresber. 1887). — In einer Brennerei erkrankten 20 Rinder, nachdem grössere Mengen alkoholhaltiger Maische mit der Schlempe verfüttert worden waren. 6 Stück krepierten im Verlaufe des ersten Tages, 10 am 3. und 5 an den darauffolgenden[S. 169] Tagen. Die Tiere zeigten unruhiges, wildes Benehmen, Brüllen und Toben, beschleunigte Atmung, Rötung der Konjunktiva usw. Bei der Sektion fand man Ansammlung von Serum in den Gehirnkammern, Hyperämie der Gehirnhäute, sowie viel Schaum in der Trachea und in den Bronchien (Vorberg, Veterinärbericht 1850). — Eine Kuh verkalbte nach Ablauf einer durch Maischgenuss erzeugten Alkoholvergiftung am 6. Tage (Schutt, Magazin Bd. 21). — 58 Kühe zeigten nach reichlicher Schlempefütterung Taumeln, Schwanken und Durchfall (Schleg, Sächs. Jahresber. 1892). — Nach der Verfütterung gedämpfter Kartoffel mit grünem Gerstenmalz zeigten fast sämtliche Kühe die Erscheinungen der akuten Alkoholvergiftung (Ziegenbein, Berl. Arch. 1898). — Eine Kuhherde erkrankte nach Verfütterung von Biertrebern an Alkoholvergiftung; die Tiere zeigten Unruhe, stieren Blick, Schwanken, Zusammenstürzen und länger andauerndes Versiegen der Milch (Berndt, Berl. Arch. 1890). — Eine Kuh, welche 3 l Branntwein an einem Tag erhalten hatte, zeigte sich sehr aufgeregt und bösartig, worauf ein tiefes Koma und nach 24 Stunden der Tod erfolgte (Bissauge, Recueil 1895). — Eine schwere Alkoholvergiftung nach der Verfütterung frischer Weissbiertreber wurde bei der Mehrzahl der Kühe eines Molkereibesitzers beobachtet; sie äusserte sich in Benommenheit, Stöhnen, Herzklopfen und sistierter Milchsekretion; die Biertreber enthielten 1¼ Proz., die aus den Trebern abgesickerte Flüssigkeit 20 Proz. Alkohol (Eggeling, Preuss. Vet.-Ber. 1905). — Eine Kuh, welcher vom Besitzer 2 l Kornbranntwein eingegeben worden waren, zeigte völlige Berauschung und lag schwer röchelnd am Boden; nach entsprechender Behandlung erholte sie sich erst am 3. Tag (Kreutzer, Woch. f. Tierh. 1909).
2. Pferde. Ein klinischer Fall von Alkoholvergiftung ist von Courrioux (Presse vétér. 1884) beschrieben worden. Ein Pferd, welches zufällig 5 l Branntwein mit 10 l Wasser aufgenommen hatte, erkrankte unter den Erscheinungen eines schweren Rausches und starb nach 60 Stunden. — Schirmann (Zeitschr. f. Vetkde. 1894 S. 199) beobachtete eine auffallend starke Alkoholwirkung bei einem kolikkranken Pferde, dem ½ l Schnaps eingegeben worden war. Das Pferd schlief hierauf 3 Stunden lang. Anderen Pferden hat S. gegen Brustseuche innerhalb 2 Tagen 2 l absoluten Alkohol, täglich 1 l in 3 Portionen mit je 5 l Wasser, ohne irgendeine narkotische Wirkung verabreicht. — Ein Pferd trank 4 l gärenden Weinmost. Nach 10 Minuten zeigte es schwankenden Gang, konnte sich kaum mehr aufrecht erhalten, fiel dann um und blieb bewegungslos liegen. Nach elf Stunden erhob es sich und zeigte anhaltende schaukelnde Bewegungen (Mestre, Recueil 1892). — Experimentelle Untersuchungen haben ergeben, dass die Intensität der Alkoholwirkung ausser von der Menge wesentlich auch von der Konzentration des verabreichten Alkohols sowie davon abhängt, ob die Tiere fieberhaft erkrankt sind oder nicht. Sehr konzentrierter Alkohol ist viel giftiger als ein verdünnter Weingeist in Quantitäten, welche bezüglich des Alkoholgehalts ersterem gleichkommen. Der konzentrierte Alkohol wirkt nämlich ausser als Narkotikum auch noch entzündungserregend auf die Schleimhaut des Magens und Darmes. Von verdünntem Alkohol wird, wenn man denselben auf konzentrierten Alkohol berechnet, von fieberlosen Tieren das Doppelte der tödlichen Dosis des konzentrierten Alkohols ertragen; fieberhaft erkrankte ertragen das 4- und 5fache. Rektal wirkt der Alkohol nach Versuchen von Baum (Archiv f. Tierhlkde. 1897) örtlich entzündungserregend (hämorrhagische und selbst nekrotisierende Entzündung der Dickdarmschleimhaut; katarrhalische Entzündung der Dünndarmschleimhaut). Wird der Alkohol nicht wieder zum Teil per anum entleert, so wirken von 93proz. Alkohol 200–250 g bei Pferden tödlich. Der Tod wird teils durch die Darmentzündung, teils durch Gehirnlähmung bedingt. Gesunde Pferde werden nach 250,0 g absolutem (99proz.) unverdünntem Alkohol sehr unruhig und aufgeregt, steigen in die Höhe, fallen nach 2 Minuten nieder, schlagen heftig mit den Füssen und mit dem Kopfe, verdrehen die Augen, werden unempfindlich und bewusstlos und verenden nach 10 Minuten. 120–180,0 g absoluter Alkohol bedingen ähnliche Zufälle, die Tiere bleiben jedoch am Leben (Hertwig). Nach intravenöser Einspritzung von 30–60 g absolutem Alkohol sterben Pferde schon nach 1–3 Minuten. Dagegen ertragen gesunde Pferde von dem Spiritus dilutus (68proz. Alkohol) einmalige Dosen bis zu 500 g und mehr, ohne zu sterben, indem[S. 170] sie nur nach vorausgegangener Erregung berauscht und betäubt werden. Fiebernde Pferde ertragen, ohne berauscht zu werden, 1–1½ l absoluten Alkohol in verdünntem Zustande.
3. Schweine. Nach der Verabreichung von Wein- und Bierresten sah Mattern (Woch. f. Tierh. 1902) auffallende Munterkeit, Hochspringen an den Wänden, später Zuckungen und Krämpfe und schliesslich allgemeine Betäubung und Lähmung; 1 Schwein starb, 2 wurden notgeschlachtet, die 3 anderen genasen nach 4–5 Tagen. — Durch tägliche Verabreichung von 1–1,5 g Alkohol pro kg Körpergewicht hat Dujardin-Beaumetz (Comptes rendus 1883) bei Schweinen experimentell chronischen Alkoholismus erzeugt. Die Erscheinungen bestanden in Schläfrigkeit, galligem und schleimigem Erbrechen, Durchfall, Zittern, Schwäche und Lähmung des Hinterteils, Atembeschwerden. Bei der Sektion fand man Rötung und Blutung der Darmschleimhaut, Hepatitis, Lungenhyperämie, blutige Herde in und zwischen den Muskeln, sowie atheromatöse Degeneration der Aorta und der grossen Gefässe.
4. Hunde sterben nach 30–60 g absolutem Alkohol, wenn derselbe in unverdünntem Zustand eingegeben wird, nachdem starke Aufregung, Erbrechen, Taumeln und Betäubung vorausgegangen sind; bei der Sektion findet man die Erscheinungen einer hämorrhagischen Gastroenteritis. Dieselbe Dosis tötet Hunde bei subkutaner Applikation. Dagegen ertragen fiebernde Hunde leicht 100–200 g absoluten Alkohol, wenn derselbe mit viel Wasser eingegeben wird. — Ein kleiner Terrier erhielt täglich einen Kaffeelöffel Kognak; er zeigte sich hiernach wie dumm und schwankte beim Gehen (Bissauge, Recueil 1892).
5. Ziegen und Schafe können sich an verdünnten Alkohol allmählich so gewöhnen, dass sie bis zu 180 und 300 g Branntwein ertragen (Hertwig).
6. Katzen sterben nach 25 g absolutem unverdünntem Alkohol unter denselben Erscheinungen wie Hunde.
7. Geflügel (Enten, Hühner, Truthühner), welche in Branntwein eingemachte Kirschen verzehrt hatten, zeigten starke Trunkenheit; 6 Hühner und 1 Ente starben (Bissauge, Recueil 1892).
Experimentaluntersuchungen über die Wirkung des Alkohols auf die Leber bei Tieren. Magnan (Compt. rend. de Biol. 1869) sah bei Hunden, die täglich 20–60 g Alkohol erhielten, ausser ulzeröser Gastritis fettige Degeneration der Leber. Dujardin-Beaumetz und Audigé (Recherches exp. sur l’alcoolisme chronique; Paris 1884–1885) gaben 18 Schweinen 3 Jahre lang Alkohol in Dosen von 1–1,5 g pro kg; alle Tiere nahmen hiebei an Gewicht zu; die Leber war bei der Schlachtung sehr hyperämisch, zeigte jedoch in keinem Falle interstitielle Hepatitis. Strauss und Block (Etude exp. sur la cirrhose alcoolique; Paris 1887) fanden bei Kaninchen, die 3–12 Monate hindurch Alkohol bekamen, eine härtere Konsistenz der Leber sowie kleinzellige Infiltration im interazinösen Gewebe; Spindelzellen und Narbengewebe wurden nirgends beobachtet (trotzdem bezeichnen die Verfasser den Zustand als „frische Zirrhose“). Afanassijew (Zieglers Beiträge 1890) sah bei Kaninchen und Hunden nach monatelangen Alkoholgaben starke Hyperämie, Fettinfiltration und fettige Degeneration der Leber sowie kleinzellige Infiltration (Anfangsstadium der Leberzirrhose?); die Versuchshunde zeigten Nekrose der Leberzellen mit herdförmiger Bildung von Narbenbindegewebe (kleinherdige Leberzirrhose?). von Kahlden (ibid. 1891) beobachtete bei seinen Versuchstieren Leberverfettung sowie Hyperämie der Leberkapillaren, konnte jedoch Rundzelleninfiltration nicht feststellen. Lafitte (L’intoxication alcoolique; Paris 1892) sah Hyperämie der Leber und Atrophie der Leberzellen beim chronischen Alkoholismus der Kaninchen; das interazinöse Leberstroma war jedoch stets intakt. Rechter (Recherches exp. sur la cirrhose alcoolique, Brüssel 1892) sah bei Kaninchen nach 5–9 Monate langer Verabreichung von Alkohol (30–50 g pro die) in einem Fall eine[S. 171] kleinzellige Infiltration um die Endäste der Vena portae herum bei sonst intaktem Leberparenchym; in einem andern Falle (9 Monate) zeigte sich die Leberoberfläche narbig, die Konsistenz der Leber deutlich vermehrt, ausserdem bestand deutliche Bindegewebsneubildung in der Umgebung der Leberläppchen. Einen der menschlichen Zirrhose sehr ähnlichen Befund bot ferner ein Hund, der 4 Monate hindurch Alkohol erhalten hatte (von den Venae centrales drang junges Bindegewebe bis an die Peripherie der Leberläppchen, wo sich schmale Züge von interstitiellem Bindegewebe entwickelt hatten). Die Untersuchungen von Pohl (Arch. f. Pharm. 1893) verliefen negativ (lediglich Leberverfettung). Fieweger (Diss. Cöthen 1909) fand bei seinen Versuchen im pharmak. Institut der Berliner Tierärztl. Hochschule (Regenbogen) bei Hunden, Katzen, Schweinen und Kaninchen, die 100 Tage lang 3–5 g Alkohol pro kg Körpergewicht erhalten hatten, relativ geringfügige Leberveränderungen: Fettinfiltration, vereinzelt auch fettige Degeneration der Leberzellen, sowie Hyperämie der Kapillaren. Eigentliche zirrhotische Veränderungen wurden bei allen Tieren vermisst. Nur bei einem Kaninchen schien eine frische Hepatitis interstitialis in Form einer zelligen Infiltration vorzuliegen.
Allgemeines. Chloroformvergiftungen können sich beim Chloroformieren der Haustiere aus verschiedenen Veranlassungen ereignen. Die Ursachen sind häufig in dem Tier selbst oder in der Tiergattung gelegen. So ist bekannt, dass Hunde wegen der Häufigkeit der bei ihnen vorkommenden Herzfehler das Chloroformieren im allgemeinen schlecht ertragen. Auch bei Pferden ist das Chloroformieren nicht ganz ungefährlich (vgl. unten). Es kann ferner unreines, zersetztes Chloroform die Veranlassung zur Vergiftung abgeben. In dieser Hinsicht ist namentlich eine Beimengung des stark giftigen Aethylidenchlorids, Amylchlorids und Methylenchlorids, sowie des Phosgengases gefährlich. Endlich kann die Veranlassung zu dem tödlichen Ausgang der Chloroformierung in einem Versehen des Tierarztes liegen, wenn derselbe die vorgeschriebenen Vorsichtsmassregeln während der Narkose nicht beachtet.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Chloroform wirkt in tödlichen Dosen giftig durch Lähmung des Atmungszentrums. Ausserdem ist es ein lähmendes Gift für den Herzmuskel, welcher unter seiner Einwirkung fettig degeneriert. Der Uebergang der Chloroformnarkose in Chloroformvergiftung gibt sich daher durch die Erscheinungen der beginnenden Herzlähmung zu erkennen. Der Puls wird schwach und aussetzend, der Herzschlag unfühlbar, die Atmung sistiert, die Pupillen erweitern sich, die Temperatur sinkt, das aus der Wunde fliessende Blut zeigt venöse Farbe (Erstickungsblut). Bei der Sektion findet man Verfettung des Herzmuskels, der Skelettmuskulatur, der Gefässwandungen, der Leber und Nieren. Endlich ist das Chloroform ein Blutgift; nach subkutanen Injektionen[S. 172] entsteht infolge Zersetzung der roten Blutkörperchen Hämoglobinurie.
Zuweilen kommt es vor, dass der Tod erst mehrere Tage nach der Chloroformnarkose eintritt, nachdem die Tiere sich scheinbar wieder vollständig erholt haben. Ueber die Ursache dieser sog. tödlichen Nachwirkung des Chloroforms hat Ostertag (Virchows Archiv 1889) experimentelle Untersuchungen angestellt und hierbei gefunden, dass die Nachwirkung des Chloroforms in der Erzeugung von Verfettungen in den verschiedensten Organen besteht, hauptsächlich aber einer Fettmetamorphose der Herz- und Skelettmuskulatur und einer sekundären Fettinfiltration der Leber. Die Fettmetamorphose resultiert aus einer Einwirkung des Chloroforms auf das Blut (Auflösung der roten Blutkörperchen) und auf die Gewebszellen selbst (Ertötung). Der nachträgliche Tod nach Chloroformverwendung erfolgt durch Lähmung des Herzens. Die Herzlähmung selbst wird herbeigeführt durch eine bisweilen nur wenig in die Augen tretende anatomische Schädigung des Myokardiums und eine gleichzeitig sich geltend machende allmähliche Suffokation (Oligozythämie und mangelhafte Respiration infolge Verfettung der Atmungsmuskeln).
Verhalten der einzelnen Tiergattungen. Die einzelnen Tiergattungen zeigen dem Chloroform gegenüber ein sehr verschiedenartiges Verhalten. Besonders giftig wirkt das Chloroform auf Rinder, Schafe, Ziegen und Katzen. Aber auch für Hunde und Pferde ist das Chloroformieren nicht ungefährlich. Im einzelnen ist folgendes zu bemerken:
1. Für Pferde beträgt die toxische Dosis des Chloroforms durchschnittlich 1 g pro kg Körpergewicht (Negotin). Im übrigen können erfahrungsgemäss viel kleinere Dosen bei manchen Pferden giftig wirken. In den Jahren 1895–1899 sind in meiner Klinik 800 Pferde unter Chloroformnarkose operiert worden. Eines dieser Pferde ist an Chloroformvergiftung, und zwar nachdem erst 55 g verbraucht waren, gestorben. Ein zweites ist in schwere Chloroformasphyxie verfallen und konnte nur durch schnelle Injektion von Skopolamin gerettet werden. Bei 6 anderen Pferden hat die Atmung vorübergehend ausgesetzt. 5 Pferde (eigentümlicherweise lauter Kryptorchiden) zeigten nach dem Chloroformieren stundenlang anhaltendes Erbrechen, allerdings ohne[S. 173] nachteilige Folgen. 1 Pferd bot nach dem Chloroformieren das Bild einer akuten Stimmbandlähmung dar, indem es im Stand der Ruhe längere Zeit hindurch laut rohrte. 2 Pferde starben endlich einige Tage nach dem Chloroformieren an einer akuten gangräneszierenden Pneumonie. Wenn ich das alles zusammenfasse und noch dazu hervorhebe, dass das gebrauchte Chloroform von tadelloser Beschaffenheit, und die von mir angewandten Chloroformmengen relativ geringe waren, indem ich nur ausnahmsweise eine ganz tiefe Narkose einleitete, und der durchschnittliche Verbrauch nur 20–60 g (20–225 g) betrug, so drängt sich mir die Schlussfolgerung auf: dass das Chloroform für Pferde kein ungefährliches Narkotikum ist.
Vennerholm (Zeitschr. f. Tiermed. 1898) hat ebenfalls einige Fälle von Chloroformtod bei Pferden infolge von Herz- und Atemlähmung beobachtet. Ein Pferd starb beispielsweise ganz plötzlich an systolischer Herzlähmung. 2 andere chloroformierte Pferde starben infolge von Lungenentzündung; andere, besonders alte Pferde, zeigten in den ersten Tagen nach dem Chloroformieren schwere Dyspnoe (Herzschwäche). Mehrmals wurde ferner Steckenbleiben von Futterbissen im Schlund konstatiert, wenn die Pferde nach beendigter Narkose Futter aufnahmen (Schlundlähmung); V. rät daher, den chloroformierten Pferden erst einige Stunden nach der Narkose Futter zu verabreichen.
Tödliche Fälle von Chloroformvergiftung sind ferner von Lanzillotti und Knauer (nekrotisierende Pneumonie), sowie in der preussischen Armee (Preuss. Milit. Vet. Bericht, Jahrg. 5) konstatiert worden. Heftiges, eine Viertelstunde anhaltendes Würgen und Geifern bei tief chloroformierten Pferden haben Georges und Röder beobachtet (Sächs. Jahresber. 1898); letzterer sah ausserdem bei 2 Pferden schwere Erstickungsanfälle (Glottisödem), welche nur durch die Tracheotomie gehoben werden konnten.
Kasuistik. Die beiden von mir beobachteten Fälle von schwerer Chloroformvergiftung bei Pferden sind folgende:
1. Eine 12 Jahre alte braune Stute wurde am 3. September 1895 in die chirurgische Klinik eingestellt zum Zweck der Hufknorpelfisteloperation. Die Voruntersuchung ergab einen mittelmässigen Nährzustand, etwas schwachen, aber regelmässigen Puls, reine Herztöne, 36 Herzschläge, 37,8° C Temperatur, 20 Atemzüge, rege Futteraufnahme, blassrote Färbung der Konjunktiva, sowie etwas benommenes Sensorium. Am linken Vorderfuss bestand eine veraltete Hufknorpelfistel verbunden mit Lahmheit. Das Pferd wurde in gewöhnlicher Weise zur Operation vorbereitet und am 6. September geworfen. Auch an diesem Tage hatte das Pferd 36 Pulse, 20 Atemzüge und 37,8° C Temperatur. Beim Chloroformieren fiel auf, dass das Pferd ausserordentlich schnell in Narkose verfiel. Nach kaum 10 Minuten, bei einem Verbrauche von nur 15 g[S. 174] Chloroform, konnte mit der Operation begonnen werden. Nach weiteren 30 Minuten, nachdem im ganzen 55 g Chloroform verbraucht waren, wurde die Atmung plötzlich sehr beschleunigt und sistierte nach einer weiteren Minute vollständig. Gleichzeitig wurde der bis dahin normale Puls unfühlbar, die Venen des Kopfes und Halses schwollen stark an und es war leichter Schweissausbruch bemerkbar. Die sofort angestellten Wiederbelebungsversuche blieben ohne Erfolg. Es wurden während einer halben Stunde kalte Waschungen des Kopfes, Halses und Thorax vorgenommen, zwei subkutane Atropininjektionen gemacht, künstliche Atmungsbewegungen am Thorax ausgeführt und schliesslich sogar ein Aderlass gemacht, alles vergeblich. Die Sektion bestätigte die Diagnose Chloroformvergiftung. Es wurden bei sonst negativem Befunde eine Erweiterung des rechten Herzens mit Systole der linken Herzkammer, starke Hyperämie der Venen des Halses und Kopfes, Zyanose der Leber und Lungen, sowie subepikardiale Hämorrhagien vorgefunden. Durch die eingehende Vernehmung des Ueberbringers des Pferdes liess sich nachträglich folgendes ermitteln. Das Pferd war am 8. Juli 1895 an Hitzschlag erkrankt und wurde bis zum 20. Juli tierärztlich behandelt. Während dieser Zeit zeigte es die Erscheinungen eines schweren Gehirnleidens. Vom 20. Juli bis zum 3. September war zwar eine Besserung eingetreten. Das Pferd zeigte sich aber so matt, dass es in der Zwischenzeit bis zum 3. September, dem Tag der Einstellung in die chirurgische Klinik, nicht wieder eingespannt werden konnte.
2. Ein mit Hufkrebs behafteter 9jähriger, brauner Hengst wurde am 20. November 1896 abgeworfen und unter Chloroformnarkose operiert. Die Operation, welche in der Entfernung des ganzen Fleischstrahls, der ganzen Fleischsohle und etwa drei Viertel der Fleischwand mittelst Hauklinge, Rinnmesser, Lorbeerblattmesser, Schere und scharfem Löffel bestand, dauerte 1½ Stunden. Während der Operation setzte, als im ganzen erst 48 g Chloroform verbraucht waren, die Atmung plötzlich aus. Der sonst in der Regel wirksame Versuch, die Atmung durch flache Schläge auf die Bauchdecke anzuregen, versagte in diesem Falle gänzlich, auch kaltes Wasser, frische Luft, Kompression des Thorax usw. konnten die Chloroformasphyxie nicht beseitigen. Da eine Atropinlösung zufällig nicht zur Hand war, wurde dem Pferd eine vorrätig gehaltene subkutane Skopolaminlösung (0,1) eingespritzt. Diese Injektion hatte sofortiges Wiederkehren der Atembewegungen zur Folge, so dass die Operation beendet werden konnte. Als das Pferd hierauf in seinen Stand zurückgebracht war, zeigte es ganz eigentümliche Erregungszustände. Vor allem fiel das laute, trompetenförmige, an Elefantengebrüll erinnernde, anhaltende Schnauben und Wiehern des Pferdes auf. Sodann zeigte sich das Pferd den ganzen Tag über psychisch sehr aufgeregt, ja selbst am anderen Tag waren die zerebralen Erregungserscheinungen sowie die Steigerung der Atemfrequenz noch nicht vollständig verschwunden. Im übrigen blieb diese Skopolaminlösung ohne nachteiligen Einfluss auf das Allgemeinbefinden sowie auf den Verlauf der Heilung.
Eine Studie über die Verantwortlichkeit des Tierarztes für den Chloroformtod hat Bärner veröffentlicht (Zeitschr. f. Tiermed. 1900 S. 28).
2. Für Hunde ist das Chloroform im allgemeinen gefährlich, da es leicht zu Lähmung des Atmungszentrums und Herzens führt (Negotin, eigene Beobachtungen). Manche Hunde ertragen allerdings grössere Chloroformmengen gut (Ostertag, Albrecht). Das Exzitationsstadium ist meistens kurz, indem die Tiere einige Minuten hindurch sehr unruhig werden und bellen oder heulen. Während der Narkose besteht Speichelfluss. Sehr häufig sistiert die Atmung dann plötzlich unter starker Erweiterung der Pupillen und Zyanose der Schleimhäute, während das Herz noch einige Zeitlang[S. 175] fortschlägt. Bei 7 Hunden trat nach Verbrauch von 25–40 g Chloroform nach 5–22 Minuten Stillstand der Atmung ein, so dass das Leben nur durch künstliche Respiration erhalten werden konnte; 20 Hunde starben nach 1–22 Minuten und nach einem Chloroformverbrauch von 1–65 g infolge von Atmungslähmung (13), gleichzeitiger Atmungs- und Herzlähmung (4) bezw. Herzlähmung (3) (Negotin). Nach Hobday (800 Fälle) soll dagegen der Hund bei Anwendung der nötigen Vorsicht (Bauchlage, Vorrätighalten von Gegenmitteln) ein geeignetes Objekt für die Chloroformierung darstellen; im übrigen hat auch Hobday 9mal Vergiftungserscheinungen und 3mal tödliche Chloroformvergiftung beobachtet (!).
3. Für Katzen ist das Chloroform nach Negotin ein noch viel gefährlicheres Mittel als für Hunde. Das Exzitationsstadium ist kurz und sehr ausgeprägt und geht rasch in tiefe Anästhesie über. Der Tod trat in vielen Fällen unter den Erscheinungen der Atmungslähmung in einem Zeitraum von 1½-20 Minuten und nach einem Verbrauch von 6–7 g Chloroform ein. Auch nach Guinard sind Katzen gegen Chloroform ausserordentlich empfindlich, indem sie häufig verenden. Müller sah bei einer kräftigen Katze den Tod nach 8 g Chloroform in 7 Minuten, bei einer anderen nach 6 g in 4 Minuten eintreten. Im übrigen scheinen auch bei Katzen Ausnahmen von dieser Regel vorzukommen. So hat Ostertag bei seinen Versuchen gefunden, dass sich eine tiefe Narkose bei Katzen lange unterhalten lässt. Nach Versuchen von Kappler starben die in einem Sack betäubten Tiere erst nach ¼-¾stündiger Chloroformierung und nach einem Verbrauch von 100–300 g Chloroform. Offenbar kommt bei Katzen auch die Methode des Chloroformierens wesentlich mit in Betracht. Hobday hat 120 Katzen chloroformiert; er hebt ebenfalls hervor, dass Katzen noch viel empfindlicher sind als Hunde und daher mit noch grösserer Sorgfalt chloroformiert werden müssen.
4. Beim Rind treten während der Narkose Krampfanfälle einzelner Muskelgruppen in Form von Tetanus und Opisthotonus auf. Das Erregungsstadium ist sehr kurz (1–5 Minuten) und stark ausgesprochen; nach weiteren 2–4 Minuten stellt sich Schlaf ein, dem komplette Empfindungslosigkeit folgt. Nebenerscheinungen hiebei sind Speichelfluss, Tränen, Erbrechen, Sistieren der Pansentätigkeit sowie Tympanitis. Nach Ablauf der Narkose zeigen die Tiere mehrere Stunden hindurch einen schwankenden Gang. Die Dauer der Narkose beträgt bei einem Verbrauch von 50–140 g Chloroform[S. 176] 40–60 Minuten (Negotin). Bei innerlicher Verabreichung von 50–75 g Chloroform beobachtete ich bei einer Kuh Schwanken in der Hinterhand ohne wesentliche Benommenheit des Sensoriums.
5. Bei Schafen und Ziegen sind während der rasch eintretenden Narkose lebensgefährliche Komplikationen zu beobachten: krampfartiges Atmen, Stillstand der Respiration, Tympanitis, Erbrechen, Aspiration von erbrochenen Futtermassen in die Luftröhre, akute Bronchopneumonie, Zyanose der Schleimhäute, Opisthotonus. Die Auftreibung des Abdomen erklärt sich aus der Lähmung der Magen- und Darmwandung. In der Regel erfolgt der Tod, auch nach überstandener Narkose, unter Erstickungserscheinungen. Die Sektion ergibt als Todesursache eine akute Bronchopneumonie. Auch schwere Gehirnstörungen, z. B. Drehbewegungen, sowie Erscheinungen von Gehirnödem werden nach der Narkose beobachtet. Der Tod trat in der Regel 12 bis 14 Stunden nach Beendigung des Chloroformierens ein. Während von den chloroformierten Schafen alle starben, starben von neun narkotisierten Ziegen 2 (Negotin). Von 6 chloroformierten Schafen erkrankten 5 schwer; 4 davon verendeten nach 1–5 Tagen (Malzew).
6. Bei Schweinen erweist sich das Chloroformieren ungefährlich. Nach kurzer heftiger Erregung tritt Schlaf und vollkommene Empfindungslosigkeit ein. Nach der Narkose erholen sich die Tiere rasch. Zu einer tiefen 25–136 Minuten dauernden Narkose wurden 22–100 g Chloroform verbraucht (Negotin). Ehrhardt (Zürich) hat 1000 Schweine chloroformiert; bei Horizontallage ist nach ihm selbst die tiefe Narkose durchaus ungefährlich.
7. Für Hühner scheint das Chloroform ebenfalls ein unschädliches Narkotikum zu sein. Das Exzitationsstadium fehlt oft ganz oder ist sehr kurz; nach ½-3 Minuten tritt Schlaf, nach ½ bis 10 Minuten vollständige Empfindungslosigkeit ein. 18–105 Tropfen erzeugten eine 57–137 Minuten lange Narkose; ein Tier starb an Bronchopneumonie (Negotin).
Behandlung. Stellen sich im Laufe einer Chloroformnarkose die Erscheinungen der Herzschwäche oder Atmungslähmung ein, so muss in erster Linie sofort mit dem Chloroformieren ausgesetzt und für Zufuhr frischer Luft gesorgt werden. Ferner sind Exzitantien anzuwenden. Man appliziert kalte Duschen auf den Kopf, lässt die Haut frottieren oder appliziert beim Pferd kräftige[S. 177] Schläge mit der flachen Hand in der Flankengegend. Ausserdem macht man subkutane Einspritzungen von Hyoszin (Skopolamin) oder Atropin in Dosen von 0,05–0,1 g für Pferde. Nach den Versuchen von Paukul bewährten sich von allen Methoden der Wiederbelebung am besten Kompression der Herzgegend nach König-Maass in Verbindungen mit subkutanen Injektionen von Skopolamin. Bezüglich der Prophylaxe vgl. mein Lehrbuch der Arzneimittellehre 8. Aufl. 1909 S. 99.
Nachweis. Der qualitative Nachweis des Chloroforms wird mittelst der Isonitrilreaktion geliefert. Man destilliert die zu untersuchenden Teile (Lunge, Blut, Herzmuskulatur) und erwärmt das Destillat mit weingeistiger Kalilauge und Anilin, wobei sich ein unangenehmer charakteristischer Geruch nach Isonitril-Isozyanbenzol, C6H5CN, entwickelt. Eine andere Reaktion besteht in der vorübergehenden Blaufärbung beim Erwärmen des Destillates mit wenig β-Naphthol und starker Kalilauge auf 50°.
Chloralhydrat. Die tödliche Dosis des Chloralhydrats beträgt bei Pferden 150–200 g bei innerlicher oder rektaler Anwendung, 50–75 g bei intravenöser. Die Versuche von Negotin ergaben folgendes: Bei rektaler Applikation (1 : 12–20) erzeugten Dosen von 0,5 g Chloralhydrat pro kg Körpergewicht schwankenden Gang, Zusammenstürzen der Tiere nach ¼-½ Stunde, sowie die Erscheinungen der Proktitis. 0,6 g pro kg Körpergewicht hatten 4–5stündigen Schlaf sowie nach 1–2 Stunden Anästhesie zur Folge. Bei der Sektion erschien die Mastdarmschleimhaut dunkelrot, ödematös geschwollen, blutunterlaufen und stellenweise desquamiert; die abgestossene Epithelschicht bildete einen membranartigen Ueberzug über die Kotballen. Die Submukosa enthielt eine gelatinös sulzige, orangegelbe Flüssigkeit. Bei intravenöser Injektion (1 : 2) trat sehr rasch, zuweilen noch während der Injektion, Zusammenstürzen, Anästhesie und 2stündiger Schlaf ein. Die Dosis betrug 90–120 g. Bei der Sektion war ausgebreitete Thrombose der Jugularis, sowie in zwei Fällen heftige Phlebitis nachzuweisen (Monatshefte f. prakt. Tierhlkde. VI. Bd.). — Bezüglich der intravenösen Injektion von Chloralhydrat beim Pferd lautet das Urteil verschieden. Vennerholm (Zeitschr. f. Tiermed. 1. Jahrg.) empfiehlt bei Pferden, bei welchen das Abwerfen zu gefährlich ist, die intravenöse Injektion von 50–60 g Chloralhydrat in 150 g Wasser gelöst, filtriert und auf Blutwärme gebracht, zum Zweck der allgemeinen Narkose. Dabei gibt er zu, dass in jedem Fall die Gefahr einer Periphlebitis und Thrombosierung der Jugularis besteht. Diese Thrombophlebitis soll jedoch zwar sehr bedenkliche Erscheinungen bedingen, aber nur äusserst selten zum Tod führen. Ich habe diese Angaben an Anatomiepferden nachgeprüft und in einem Fall eine tödliche Verblutung aus der thrombosierten Jugularis sowie Thrombosierung der Blutleiter im Gehirn, in einem anderen Fall ausgedehnte Thrombosierung und Obliteration der Jugularis festgestellt. Cadiot und Almy (Alfort) weisen auf die grosse Gefahr der Phlebitis und Periphlebitis hin. Sie haben ferner bei ganz einwandsfreier[S. 178] intravenöser Applikation des Chloralhydrats ein Pferd nach einer sehr mässigen Dosis (10 g pro 100 kg Körpergewicht) unter asphyktischen Erscheinungen sterben sehen. Pfeiffer (Operationskursus 1907) empfiehlt dagegen die intravenöse Chloralinjektion. Jedenfalls ist die intravenöse Injektion des Chloralhydrats wegen der Gefahr der Thrombose nicht unbedenklich.
Bei Rindern beobachtete ich nach Klistieren von 25, 40 und 50 g Chloralhydrat keinerlei Wirkung. Per os hatten 25, 35 und 40 g Schwanken in der Hinterhand nach etwa einer Viertelstunde, 50 und 75 g Schwanken im Kreuz nach 10 Minuten und Zusammenstürzen nach 20 Minuten zur Folge. Erst bei diesen letzteren Dosen trat gleichzeitig auch Bewusstlosigkeit und Unempfindlichkeit auf, welche ca. 3 Stunden dauerten und an das Bild des Kalbefiebers erinnerten. Hess sah ein Rind nach 40 g per os in einer halben Stunde verenden.
Hunde werden durch narkotische Chloraldosen (2–5 g bei kleinen, 5–10 bei grossen) häufig stark aufgeregt, rennen im Zimmer hin und her und sind gegen Berührung sehr empfindlich. Auf dieses Exzitationsstadium folgt Schwanken und Taumeln, Umfallen, zunehmende Teilnahmslosigkeit gegen die Umgebung, Betäubung und Schlaf mit starker Unempfindlichkeit, welcher mehrere Stunden andauert. Während desselben sinkt die Temperatur, wie ich in einem Fall beobachten konnte, bis um 2 Grade. Die tödliche Chloraldosis für Hunde beträgt 10–25 g. Negotin fand bei seinen Versuchen folgendes. Bei der innerlichen Verabreichung des Chloralhydrats (1 : 4–7) wurden die Tiere zunächst zum Teil traurig, betäubt, schwankten, fielen zu Boden, teils wurden sie unruhig und aufgeregt und winselten kläglich. Zuweilen gesellte sich hiezu bald Durchfall. Nach 0,25 g Chloralhydrat pro kg Körpergewicht trat innerhalb 40 Minuten sodann ein leichter, kurzdauernder Schlaf ein. Nach Dosen von 0,4–0,5 pro kg Körpergewicht trat ein 1–1½stündiger Schlaf nach durchschnittlich 20 Minuten ein; nach dem Erwachen beobachtete man starkes Zittern, der Appetit und das allgemeine Wohlbefinden kehrten jedoch bald wieder zurück. Bei Dosen von 0,5–0,9 pro kg Körpergewicht trat nach 18 Minuten Schlaf und hierauf nach einigen Minuten völlige Empfindungslosigkeit ein, welche 2–5 Stunden anhielt; während der Narkose und nach dem Erwachen litten die Hunde an Durchfall. 1,0–1,6 pro kg Körpergewicht erzeugten Speichelfluss, Erbrechen, Durchfall, sowie nach 10 Minuten langer Narkose Tod infolge von Herz- und Atmungslähmung. Nach Schulze zeigte ein 12½ kg schwerer Hund nach 25 g Chloralhydrat (2 g pro kg) eine 7stündige Narkose, ohne zu sterben.
Bei Katzen wirken 0,15 g pro kg Körpergewicht giftig (Lesage).
Paraldehyd. Pferde zeigen nach meinen Versuchen (Berl. klinische Wochenschr. 1887) auf 500 g Paraldehyd neben Erscheinungen der Schwäche und Lähmung Hämoglobinurie infolge der Zersetzung der roten Blutkörperchen durch das Paraldehyd. Die tödliche Dosis für Hunde beträgt 3–4 g pro kg Körpergewicht. Ausführlicheres findet sich in meinem Lehrbuch der Arzneimittellehre 1909, S. 124.
Sulfonal. Die tödliche Dosis beträgt nach meinen Untersuchungen für Pferde und Rinder 150–200 g (0,5 pro kg Körpergewicht). Die Erscheinungen der Sulfonalvergiftung bestehen in einem Tage lang andauernden schlafartigen Zustand, welcher mit gesteigerter Reflexerregbarkeit und Krämpfen abwechselt. Bei der Sektion findet man regelmässig eine hämorrhagische[S. 179] resp. ulzeröse Gastroenteritis. Vergl. Genaueres in meinem Lehrbuch der Arzneimittellehre 1909, S. 122.
Aether. Die Todesdosis des Aethers betrug in einem Falle beim Pferde 750 g nach vorausgegangener einstündiger Inhalation (Seifert). Vergl. Genaueres über die Giftwirkung des Aethers in meinem Lehrbuch der Arzneimittellehre 1909, S. 117.
Antifebrin. Um die Giftwirkung des Antifebrins bei den Haustieren kennen zu lernen, habe ich Versuche bei gesunden Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen und Hunden gemacht (Monatshefte f. prakt. Tierheilk. V, S. 145). Dieselben haben ergeben, dass das Antifebrin für die Haustiere ein sehr wenig giftiges Mittel ist. Mit Ausnahme eines von Ehrle beim Pferd beschriebenen Falles (Kollapserscheinungen nach 60 g Antifebrin) und einer von Prietsch gemachten Mitteilung (Sächsischer Jahresber. 1907), wonach ein Landwirt seinen beiden kranken Rindern das Antifebrin nicht abwog, sondern nach Gutdünken verabreichte, worauf sie unter Sinken der Temperatur und Atemnot 8 Stunden nach dem Eingeben verendet sein sollen, ist bisher keine Antifebrinvergiftung nach dem Gebrauch des Mittels bei Haustieren vorgekommen. Die von Ehlers (Berliner tierärztl. Wochenschrift 1898) angeblich bei einer Kuh nach der Verabreichung von 3 Dosen Antifebrin à 25,0 beobachtete tödliche Antifebrinvergiftung ist sehr zweifelhaft. Ehrhardt (Züricher Klinik) hebt besonders hervor, dass er trotz jahrelanger Verabreichung von 2–3maligen Einzeldosen von 20–30,0 (40,0–90,0 pro die) bei Pferden und Rindern niemals nachteilige Folgen beobachtet hat. Nach meinen Versuchen ertragen gesunde Pferde 300 g, Rinder 250 g, grosse Hunde und Schafe 10 g Antifebrin, ohne zu sterben. Die tödliche Dosis beträgt durchschnittlich 1 g pro kg Körpergewicht; nur der Hund scheint etwas empfindlicher zu sein (tödliche Dosis = ½ g pro kg Körpergewicht). Die Vergiftungserscheinungen bestehen im wesentlichen in motorischer Lähmung, zerebraler Depression mit Schlafsucht, Sinken der Körpertemperatur, Herzklopfen und leichten gastrischen Störungen. Im einzelnen ist folgendes zu bemerken:
1. Motorische Lähmung ist das erste von allen durch Antifebrin erzeugten Vergiftungssymptomen. Dieselbe tritt beim Pferde schon nach 60–75 g ein. Sie äussert sich in unsicherem Gange, Schwäche im Hinterteil, Schwanken, Taumeln, Einknicken in den Gelenken, Uebergreifen der Schwäche auf die Vorderbeine, Zusammenfallen, Unvermögen aufzustehen und schliesslich in allgemeiner Muskellähmung. Bei grossen Dosen treten diese Lähmungserscheinungen bereits wenige Minuten nach dem Eingeben des Antifebrins auf. Berücksichtigt man die Tatsache, dass das Antifebrin in Wasser schwer löslich ist (1: 200), so muss diese ausserordentlich rasche Resorption des Mittels vom Magen aus merkwürdig erscheinen. Damit hängt auch die auffallende Erscheinung zusammen, dass gewöhnlich schon ½-1 Stunde nach dem Eingeben der Höhepunkt der motorischen Lähmung, welche sich sogar auf den Sphincter ani ausdehnt, erreicht ist.
2. Zerebrale Depression und Schlafsucht ist nicht bei allen Tieren und nicht immer in gleicher Intensität wahrzunehmen. Bald zeigt sich nur eine gewisse Mattigkeit und psychische Benommenheit (Pferd), bald beobachtet man einen kurzen, vorübergehenden schlafsüchtigen Zustand bezw. Schlafsucht (Hund), bald tritt ein stundenlanger, tiefer, ruhiger Schlaf ein (Rind und Kalb), bald ist endlich ein rauschartiger Zustand[S. 180] wahrzunehmen, der an das Bild der Alkohol- oder Chloroformnarkose erinnert (Ziege, Schaf). Während der Hypnose ist gleichzeitig auch die sensible Erregbarkeit herabgesetzt.
3. Ein Sinken der Körpertemperatur lässt sich konstant bei allen Tieren nachweisen. Dasselbe tritt aber in der Regel erst nach erfolgter motorischer und psychischer Depression und zwar synchron mit dem Höhepunkt derselben ein. Die Temperatur beginnt durchschnittlich etwa 1 Stunde nach Verabreichung des Antifebrins deutlich zu sinken. Die tiefste Temperatur ist nach ca. 4–10 Stunden zu konstatieren. Der Temperaturabfall beträgt im Maximum 3–4° C. Starkes Herzklopfen mit erheblicher Pulsbeschleunigung ist gleichzeitig mit der Abnahme der Körpertemperatur wahrzunehmen. Die Atmung ist bei manchen Tieren sehr beschleunigt, bei anderen normal.
4. Von gastrischen Störungen wurden im späteren Verlaufe der Vergiftung wahrgenommen Speichelfluss, Sistieren der Futteraufnahme und des Wiederkauens, Verstopfung, Tympanitis, leichte Kolikerscheinungen (Stöhnen, Unruhe, Meckern, Brüllen), sowie beim Rinde eine kruppöse hämorrhagische Enteritis.
5. Besonders auffallende Veränderungen zeigt der Harn. Während derselbe am 1. Tage gewöhnlich eine normale Farbe aufweist, selbst in einigen tödlich verlaufenden Fällen, ist vom 2. Tage ab eine zunehmende Dunkelfärbung desselben wahrzunehmen, welche meist mehrere Tage, mitunter sogar eine Woche, anhält. Der Harn zeigt eine dunkelbernsteingelbe, rotgelbe, dunkelbraunrote, schwarzbraune, ja selbst eine tintenschwarze Farbe, sowie alle Nuancen zwischen den genannten Farben (Azetylparamidophenol).
6. Die Sektion der an Antifebrinvergiftung gefallenen Tiere ergibt mit Ausnahme entzündlicher Veränderungen im Digestionsapparat einen ziemlich negativen Befund. Der Tod erfolgt unter dem Bilde der Erstickung (Lungenödem, suffokatorische Hämorrhagien im Herzen). Die spektroskopische Untersuchung des Blutes ergab niemals das Vorhandensein von Hämoglobinämie. Danach wirkt das Antifebrin bei den Haustieren nicht als Blutgift.
Antipyrin. Ueber den Grad der Giftigkeit und die Art der Giftwirkung des Antipyrins bei den Haustieren habe ich eine Reihe von Versuchen angestellt (Monatshefte für prakt. Tierheilkunde V, S. 399). Ein 42 kg schwerer Hund ertrug die zweimalige innerliche Verabreichung von 50 g Antipyrin ohne auffallende Störungen des Allgemeinbefindens. Ein anderer 26 kg schwerer Hund blieb gesund, trotzdem er im Verlauf von 14 Tagen insgesamt 80 g Antipyrin innerlich erhalten hatte. 10 g Antipyrin erzeugten bei subkutaner Injektion lokale Abszesse, dagegen keine nennenswerten Allgemeinstörungen. Pferde, Rinder und Schafe zeigten nach Dosen von 0,5–0,8 g Antipyrin pro kg Körpergewicht zwar eine deutliche Vergiftung, blieben aber am Leben. Ein 360 kg schweres Pferd blieb z. B. nach der innerlichen Verabreichung von 300 g Antipyrin am Leben, desgleichen ein 480 kg schweres Rind nach 250 g und ein 37 kg schweres Schaf nach 25 g Antipyrin. Die tödliche Dosis des Antipyrins beträgt für Rinder und Schafe 1 g pro kg Körpergewicht. Beispielsweise starb ein 480 kg schweres Rind nach dem Eingeben von 500 g Antipyrin. Das Antipyrin wirkt auf die Haustiere als Atmungsgift und Krampfgift, sowie als leichtes Akre, nicht aber als Blutgift. Die von mir beobachteten Vergiftungserscheinungen sind folgende:
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1. Die Antipyrinvergiftung beginnt mit Zittern, Aufregung, Unruhe, Schreckhaftigkeit und Atmungsstörungen. Die letzteren äussern sich in einer zunächst periodischen, anfallsweisen, später kontinuierlichen Dyspnoe, welche wohl auf eine Erregung des in der Medulla oblongata gelegenen Atmungszentrums durch das Antipyrin zurückzuführen ist. Daneben sind Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, leichte Kolikerscheinungen (Rind, Schaf), Erbrechen bezw. Blutbrechen (Hund), verzögerter Kotabsatz, leichte Konjunktivitis und Rhinitis, sowie Schweissausbruch (Pferd) zu konstatieren. Die Körpertemperatur gesunder Tiere scheint durch Antipyrin sehr verschiedenartig beeinflusst zu werden. Während beim Pferd und Rind ein Temperaturabfall um ca. 1° beobachtet wurde, zeigten die übrigen Versuchstiere (Hund, Schaf) eine Temperatursteigerung, welche bei den Hunden 0,8–2,5, beim Schaf sogar 3,3° betrug.
2. Der Höhepunkt der Antipyrinvergiftung ist durch das Auftreten von Krämpfen charakterisiert. Dieselben stellen zunächst klonische Krämpfe dar, welche aber bald in einen tonischen Krampf bezw. in Tetanus (Orthotonus, Opisthotonus) übergehen. Dieser Starrkrampf hielt beim Rind nicht weniger als 17 Minuten lang an; er ist als die indirekte Todesursache (Erstickung) anzusehen.
3. Der Harn der Versuchstiere zeigte ausser der bei Zusatz von Eisenchlorid eintretenden Rotfärbung (Antipyrinreaktion) und ausser der zuweilen ziemlich lange anhaltenden Polyurie (Pferd, Rind, Hund) keinerlei Veränderungen, namentlich keine Verfärbung, keine Hämoglobinurie, keine Albuminurie; nicht einmal die Reaktion wurde geändert. Wie die spektroskopische Untersuchung des Blutes der beiden gestorbenen Tiere in zweifelloser Weise ergab, lag auch keine Methämoglobinämie vor. Das Antipyrin darf mithin als ein Blutgift nicht bezeichnet werden. Interessant war es, dass bei dem Versuchspferd nach der Verabreichung von 300 g Antipyrin der Harn noch 14 Tage lang die Antipyrinreaktion zeigte, wodurch die bekannte langsame Ausscheidung des Antipyrins bestätigt und illustriert wird.
Eosin. Das Eosin, ein Derivat des Fluoreszeins (Resorzinphtaleins), nämlich Tetrabromfluoreszeinkalium, wird seit 2 Jahren in Deutschland zur Denaturierung der Futtergerste verwendet. Die mit Eosin gefärbte Gerste erzeugt bei Schweinen nach längerer Verabreichung angeblich eine Eosinvergiftung („Eosinschweine“), die sich in einer mitunter tödlich verlaufenden Magendarmentzündung äussern soll. Eine vom Reichsschatzamt angeordnete Nachprüfung hat ergeben (vergl. den Deutschen Reichsanzeiger vom 13. 1. 10), dass es ungewöhnlich grosser Mengen von Eosin bedarf, um Schweine krank zu machen. Zwei Versuchsschweine zeigten selbst nach der Aufnahme von 240 und 300 Gramm Eosin keine Gesundheitsstörungen. Diese Menge beträgt das 6000fache der mit der Futtergerste täglich aufgenommenen Menge von 0,05 Gramm Eosin. Ebensowenig zeigten im Jahre 1908 die Bromberger Versuchstiere Krankheitserscheinungen, trotzdem sie 106 Tage lang mit einer Eosingerste gefüttert worden waren, welche 20mal mehr Eosin enthielt, als die gewöhnliche Eosingerste.
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Botanisches. Die Zeitlose oder Herbstzeitlose, Colchicum autumnale, ist ein zu den Kolchikazeen (Liliazeen) gehöriges Zwiebelgewächs, welches auf fruchtbaren und feuchten Wiesen Europas, mit Ausnahme der Länder im Norden und am Mittelmeer vorkommt. Die Zeitlose ist durch eine eiförmige, braune, mit häutiger Schale umgebene, 3½ cm lange und ½ cm dicke Zwiebel gekennzeichnet, welche tief im Boden steckt und an der Unterseite feine Wurzeln trägt. Der Stengel blüht im Herbst, indem er 1–4 violettrötliche trichterförmige Blüten treibt. Im Frühjahr darauf entwickeln sich dann die grossen, langen, lanzettförmigen, spitzen, glänzend grünen Blätter (3–4), zwischen denen sich die braunen, eiförmigen Fruchtkapseln ausbilden. Die Samen, welche im Mai und Juni zur Reife gelangen, sind in frischem Zustande weiss, getrocknet dunkelbraun, von rundlicher, verkehrt eiförmiger Gestalt, 1–5 mm gross, fein grubig punktiert; sie besitzen einen sehr bitteren, kratzenden Geschmack. Sie enthalten namentlich in den braunen Schalen in den beiden innersten Zellreihen zu 0,2–0,3 Proz. das giftige Alkaloid der Zeitlose, das Kolchizin, einen gelblichen, amorphen, intensiv bitteren Körper von der Zusammensetzung C22H25NO6 und das weniger giftige Kolchizein von der Formel C21H23NO6; die Blätter, Zwiebel und Blüten sind ebenfalls, wenn auch weniger kolchizinhaltig.
Krankheitserscheinungen und Sektionsbefund. Das Kolchizin ist ein sehr starkes, wenn auch langsamer als andere Alkaloide wirkendes Gift, welches in reinem Zustand Katzen schon in Dosen von 5 mg, Menschen und Hunde in Dosen von 30 mg unter den Erscheinungen der Magendarmentzündung und allgemeinen Lähmung tötet. Eine Laxierwirkung entsteht bei Tieren schon nach Gaben von ¼ mg Kolchizin pro kg Körpergewicht. Vergiftungen durch die Samen der Herbstzeitlose ereignen sich hauptsächlich zur Sommerszeit (Mai, Juni) bei Rindern, Pferden, Ziegen und Schweinen nach der Aufnahme von zeitlosenhaltigem Futter, welches zuweilen bis zur Hälfte aus Kolchikum besteht. Auch im Herbst können durch Aufnahme von Blütenblättern Vergiftungen entstehen. Endlich geben ausgerodete Knollen in vereinzelten Fällen[S. 183] Veranlassung zu Kolchikumvergiftung. Die beim Menschen beobachtete Einverleibung des Giftes durch kolchikumhaltige Ziegenmilch (Ratti) scheint auch bei Tieren (Säuglingen) vorzukommen. Die Milch von Kühen, welche Kolchikum aufgenommen hatten, zeigte sich nämlich auch dann giftig, wenn die Kühe keine auffallenden Krankheitserscheinungen aufwiesen (Ungar. Vet.-Ber. 1900).
Die Einzelerscheinungen der Kolchikumvergiftung bestehen in Appetitlosigkeit, Erbrechen, Speicheln und Schlingbeschwerden (selten), Kolik, anhaltendem, häufig blutigem, ruhrartigem Durchfall, Tympanitis (bei Kühen), vermehrtem Harnabsatz, Drängen auf den Harn, zuweilen Hämaturie und Albuminurie (Nephritis), und schliesslich Anurie. Weiterhin beobachtet man Anästhesie, Benommenheit des Sensoriums, Abstumpfung und Somnolenz bis zur Bewusstlosigkeit, Lähmung und Schwäche namentlich im Hinterteil, Zittern, Steifheit, Schwanken, Zusammenstürzen, Unvermögen aufzustehen. Ausnahmsweise treten im Anfang Gehirnreizungserscheinungen mit späterer Depression auf. Der Puls ist schwach und unfühlbar, zuweilen beobachtet man auch starkes Herzklopfen, die Atmung ist angestrengt, die Pupille erweitert, es findet Schweissausbruch statt, die sichtbaren Schleimhäute sind livide verfärbt, die extremitalen Teile kühl. Der Tod tritt durchschnittlich nach 1–3tägiger Krankheitsdauer ein. Die Mortalitätsziffer beträgt 25–50 Proz.
Bei der Sektion findet man die Magen- (Labmagen-) und Darmschleimhaut entzündlich geschwollen, von hämorrhagischen Herden durchsetzt und den Darminhalt häufig blutig (hämorrhagische Gastroenteritis). In vielen Körperorganen sind Ekchymosen vorhanden. Das Blut ist von dunkler Farbe und schlecht geronnen. Zuweilen findet man auch Nierenentzündung und Leberverfettung.
Behandlung. Das wichtigste chemische Antidot gegen die Kolchikumvergiftung ist die Gerbsäure (Bildung von unlöslichem gerbsaurem Kolchizin). Man gibt entweder das reine Tannin (Rindern 10–25,0, Pferden 5–15,0, Schafen und Ziegen 2–5,0), oder tanninhaltige Abkochungen, wie schwarzen Kaffee, Tee-, Eichenrinden-, Weidenrinden-, Salbei-, Gerberlohe-Dekokt. Auch Jod in Form von Lugolscher Lösung wird empfohlen. Ausserdem behandelt man die Darmentzündung mit schleimigen einhüllenden Mitteln und grösseren Gaben von Opium (dieselbe Dosis wie beim Tannin), oder macht subkutane Morphiumeinspritzungen (Pferden 0,5).[S. 184] Symptomatisch behandelt man die Schwäche- und Lähmungserscheinungen mit subkutanen Injektionen von Aether, Kampfer, Atropin oder Koffein. Endlich kann man beim Rind bei sichergestellter Diagnose und noch nicht zu weit vorgeschrittenem Stadium der Vergiftung den Pansenschnitt mit nachfolgender manueller Entfernung des Giftes ausführen.
Nachweis. Der Nachweis der Kolchikumvergiftung gelingt wohl immer schon durch die botanische Bestimmung der Pflanze. Der chemische Nachweis des Kolchizins erfolgt nach der Extraktion desselben aus dem Magen- und Darminhalt, sowie aus dem Blut mittels Chloroform nach der im allgemeinen Teil genauer angegebenen Stas-Ottoschen Methode des Alkaloidnachweises. Das Chloroform extrahiert das Kolchizin aus der sauren, wässerigen Lösung (vergl. S. 33). Nach dem Verdunsten des Chloroforms bleibt es als gelblich gefärbte amorphe Masse zurück, welche charakteristische Reaktionen zeigt. Dieselben sind folgende: 1. Gelbfärbung durch konzentrierte Schwefelsäure. 2. Violettfärbung, später braun und gelb werdende Färbung durch Salpetersäure, die gelb gewordene Lösung in Salpetersäure wird durch Kali rot gefärbt. Durch rauchende Salpetersäure wird es violett bis indigoblau gefärbt. 3. Blaufärbung durch konzentrierte Schwefelsäure mit sehr wenig Salpetersäure (Erdmanns Reagens). Schwefelsäurebihydrat löst Kolchizin gelb auf; ein Zusatz von einem Tropfen Salpetersäure erzeugt einen Farbenwechsel von grün zu blau, violett, blassgelb. 4. Grünfärbung durch Eisenchlorid (dunkelgrüne Farbe). Die physiologische Reaktion ist wenig ausgeprägt; Frösche sterben auf 1–5 cg Kolchizin unter fibrillären Muskelzuckungen und Tetanus, Katzen sterben dagegen schon auf 5 mg reinen Kolchizins.
Kasuistik. 1. Pferde. Ein Pferd hatte mit dem Heu, welches 23½ Proz. Kolchikum enthielt, etwa 3⅓ kg Kolchikum aufgenommen. Am 2. Tag nach der Fütterung zeigte sich der Appetit vermindert, das Pferd erschien traurig und unlustig zur Arbeit. Am 3. Tag stellte sich plötzlich heftiges Laxieren, sowie ein auffallend starkes, mit Erschütterung des Brustkorbes verbundenes, in einer Entfernung von einem Meter hörbares, anhaltendes Herzklopfen ein. Die übrigen Erscheinungen bestanden in Kälte der extremitalen Teile, schwachem, zuletzt unfühlbarem Pulse, Benommenheit des Sensoriums, Teilnahmslosigkeit, Mattigkeit und starkem Durchfall. Am 4. Tag war das Pferd nicht mehr imstande sich zu erheben, es war völlige Unempfindlichkeit, sowie hochgradige Apathie und Somnolenz aufgetreten und das Tier starb unter starkem Schweissausbruch und heftigen Konvulsionen. Die Sektion ergab als Hauptbefund eine akute hämorrhagische Gastroenteritis neben alten Schwielen im Myokardium (Friedberger, Ad. Woch. 1876). — Ein Pferd, welches die Blüten der Herbstzeitlose in grösserer[S. 185] Menge gefressen hatte, zeigte heisse Maulschleimhaut, Speicheln, kaum fühlbaren Puls, schwankenden Gang, Steifheit des Rückens und der Beine, stelzenartigen Gang, Vorwärtsdrängen, fast ganz aufgehobene Empfindlichkeit, sowie beim Eingeben von Arznei Erbrechen. Das Pferd genas am 5. Tag, nachdem schwarzer Kaffee, Glaubersalz, Aloe und Kampfer angewandt worden waren (Kirnbauer, Oesterr. Vereinsmonatsschr. 1882). — 6 Pferde erhielten ein Vierteljahr hindurch im Heu täglich etwa 80 g Herbstzeitlose. Sie zeigten abwechselnd Appetitstörungen und Durchfall, so dass sie die Hälfte der genannten Zeit zum Dienste unbrauchbar waren (Trachsler, Schweizer Archiv 1844). — Von 60 Pferden, welche inhaltlich der Literatur (bis 1872) durch Aufnahme von Kolchikum mit dem Heu vergiftet wurden, starben 25 Proz. (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Ein Pferd zeigte 6–7 Stunden nach der letzten Futteraufnahme Kolik, Speicheln, Zähneknirschen, dünnbreiigen, blutigen Durchfall, Schlingbeschwerden, 90 Pulse, 30 Atemzüge, Schwanken und Eingenommenheit. Die Untersuchung des Heus gab einen grossen Gehalt an Herbstzeitlose. Am 3. Tag war das Pferd nach der Verabreichung von Tannin und Leinsamenabkochung wieder hergestellt (Becher, Zeitschr. f. Vetkde. 1890). — 7 Pferde erkrankten nach der Aufnahme von Heu, welches stellenweise fast zur Hälfte aus Herbstzeitlose bestand. Sie zeigten Kolik, Harndrang, rotbraunen Harn, Durchfall und Schwanken. Ein Pferd starb nach 4stündiger Krankheitsdauer; die Sektion ergab hämorrhagische Gastroenteritis (Weinbeer, ibid.). — Albrecht (Woch. f. T. 1904) hat während seines 11jährigen Aufenthalts in Freising fast jedes Jahr einen oder mehrere Vergiftungsfälle bei Pferden beobachtet. Sie traten regelmässig in Stallungen auf, in den Zeitlose enthaltendes Heu als Häcksel verabreicht wurde. Dagegen traten Vergiftungen nie auf, wenn solches Heu auf die Raufe gegeben, also unzerschnitten verfüttert wurde. Kolikerscheinungen können nach seinen Wahrnehmungen vollständig fehlen. Die Krankheitsdauer betrug bei tödlichem Ausgang 1–3 Tage. Ein Pferd zeigte abweichend von dem gewöhnlichen Krankheitsbild auch die Erscheinungen der Gehirnentzündung: hochgradige Erregungserscheinungen im Wechsel mit Depression, so dass die Diagnose schwierig war. Der Fall lehrte ferner, dass altes Heu kaum weniger gefährlich ist, als neues. — Eine vollständige Lähmung und hämorrhagische Darmentzündung bei 2 Pferden beobachtete Schuester (ibid. 1907), Kolik bei Pferden Götting (Preuss. Vet.-Ber. 1904 und 1906).
2. Rinder. 2 Kälber frassen von den Blüten der Herbstzeitlose. Eines derselben zeigte allgemeine Lähmung, Unvermögen aufzustehen, Zähneknirschen, Aufblähung, Drängen auf den Harn und Kot, Zittern und Pupillenerweiterung (Kolb, Preuss. Mitt. 1872). — 2 Kühe frassen ausgerodete Knollen der Herbstzeitlose. Sie zeigten Kolikerscheinungen und stieren Blick. Eine Kuh starb nach 3 Tagen, die Sektion ergab Darmentzündung (Ehrmann, Repertor. 1882). — Nach Versuchen an der Wiener Tierarzneischule waren zur Vergiftung von Rindern 4–5 Pfund getrockneter Herbstzeitlose nötig (Nicol, Magazin 4. Bd.). — Gerlach hat berechnet, dass die tierärztl. Literatur bis 1872 zusammen etwa 150 Kolchikumvergiftungen bei Rindern mit einer Mortalitätsziffer von 40 Proz. enthält; die Quantitäten des aufgenommenen Materials (Blätter und Samenkapseln) betrugen in einzelnen Fällen 3–5 Pfund (Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — 2 Kühe erkrankten nach der Aufnahme von Heu, das mit vielen Samenkapseln vermischt war; sie zeigten Schweissausbruch, Speicheln, Brechneigung, Kolik, heftigen, andauernden, später blutigen Durchfall, vermehrten Harnabsatz, dunkelroten Harn, Abstumpfung, Schlafsucht, Zittern, Schwanken, kleinen, elenden Puls und vereinzelt anhaltendes Herzklopfen. Genesung nach 6 Tagen (Hetzel, Repertorium 1889). — 6 Rindviehstücke erkrankten 1 Tag, nachdem sie auf der Weide Herbstzeitlose aufgenommen hatten, unter Erscheinungen der Unruhe, Stöhnen, Geifern, Mattigkeit, Schwanken, auffallendem kleinem, beschleunigtem Puls, unterdrückten Pansengeräuschen und ruhrartigem Durchfall. Die Sektion eines gefallenen Rindes ergab hämorrhagische Entzündung des Labmagens, Darmes und der Blase (Baumgartner, D. T. W. 1893). — 2 Rinder erkrankten auf der Weide unter Kolikerscheinungen, Schwanken, Apathie, übelriechendem Durchfall und sehr schwachem Puls. Die Sektion ergab entzündliche Rötung der drei ersten Mägen, sowie hämorrhagische Entzündung des Labmagens und Dünndarms[S. 186] (Kösler, ibid.). — 1 Kuh und 4 Kälber erkrankten auf der Weide; sie zeigten starkes Speicheln, Zähneknirschen, Meteorismus, Kolik und ruhrartigen Durchfall; 2 Kälber verendeten infolge heftiger Entzündung des Labmagens und Darmes (Mesnard, Recueil 1894). — 35 Zuchtkühe erkrankten nach der Fütterung von kolchikumhaltigem Gras an heftigem Durchfall, bei 3 Kühen wurden blutige Abgänge, sowie Kolikerscheinungen beobachtet. 8 Kühe verendeten am 4.-7. Tage; die übrigen genasen sehr langsam. Die Sektion ergab hämorrhagische Entzündung im Pansen, sowie besonders stark im Labmagen und Darm, ausserdem subendokardiale und subpleurale Blutungen (Baumgärtel, Sächs. Jahresber. 1898). — Eine ganze Rinderherde aus 141 Stück bestehend, erkrankte nach dem Weiden auf einer mit Herbstzeitlose stark besetzten Wiese. Sämtliche Tiere zeigten schwankenden Gang und Diarrhöe; bei den schwerkranken war profuser Durchfall mit Tenesmus, grosse Hinfälligkeit, Zähneknirschen, sowie sehr unsicherer Gang mit Kreuzen der Hinterfüsse vorhanden. 9 der 16 schwer erkrankten Tiere starben. Die Sektion ergab heftige Entzündung des Dünn- und Dickdarms, sowie Ekchymosen am Perikardium. Bei den überlebenden 7 schwerkranken Rindern wurde neben starker Abmagerung ein Absterben grosser Flächen der Haut beobachtet (Révész, Veterinarius 1896). — Von 4 Kühen zeigte nach der Aufnahme von Herbstzeitlose 1 starke Diarrhöe, Polyurie, Kolik, Zittern und Lähmungserscheinungen und verendete nach 36 Stunden: die Sektion ergab Labmagen- und Dünndarmentzündung. Die 3 anderen zeigten nur Durchfall und Polyurie (Trinchera, Clin. vet. 1896). — Nach der Aufnahme von Kolchikumblüten erkrankten ½-¾jährige Rinder an Diarrhöe und Hinfälligkeit mit subakutem Verlauf der Vergiftung (Notschlachtung); dagegen zeigten 2 ältere Rinder nach der Aufnahme der Samenkapseln die Erscheinungen der perakuten Magendarmentzündung: heftige, blutige Diarrhöe, Eingenommenheit des Sensoriums, Zusammenstürzen und Tod unter Krämpfen (Schuester, Woch. f. Tierheilk. 1902). — Jungrinder erkrankten auf der Weide unter Kolikerscheinungen, blutigem Durchfall, Zittern, Unempfindlichkeit und Lähmungserscheinungen; bei allen trat der Tod nach einigen Tagen ein (Musterle, ibid. 1909).
3. Schweine. Eine Schweineherde von 32 Stück, welche durch eine Feststrasse getrieben wurde, deren Schmuck unter anderem aus Herbstzeitlose bestand, erkrankte im Verlauf von 24 Stunden (Stolz, Magazin Bd. 14). — Nach den statistischen Zusammenstellungen von Gerlach starben von 38 erkrankten Schweinen 23. — 10 Schweine erkrankten an Kolchikumvergiftung, 5 davon starben. Ausser den gewöhnlichen Vergiftungserscheinungen (Mattigkeit, Schwanken, starke, leicht blutige Diarrhöe, Kälte der extremitalen Teile, pochender Herzschlag, psychische Depression) wurden als besondere Symptome beobachtet sehr beschleunigte Atmung, Albuminurie, Lungenhyperämie bezw. Lungenödem und starke Leberschwellung (Albrecht, Woch. f. T. 1897).
Botanisches. Die Klatschrose oder der wilde Mohn, Papaver Rhöas, ist eine als Unkraut auf den Getreidefeldern (Roggen, Weizen) und Kleeäckern vielfach vorkommende, in der Zeit vom Mai bis August blühende, durch ihre grossen, scharlachroten, vierblättrigen, am Grunde schwarzgefleckten Blüten charakterisierte Papaverazee. Die bekannte, einjährige Pflanze wird bis zu einem Meter hoch, besitzt einen rauhen, haarigen Stengel, mattgrüne, tief fiederspaltige, den Stengel nicht umfassende Blätter, sowie eine kahle, verkehrteiförmige, am Grunde abgerundete, mit 8–12kerbiger Narbenscheibe versehene Kapsel. Im Gegensatz hierzu besitzt der Saatmohn oder Gartenmohn, Papaver somniferum, welcher von Juni bis August blüht, weisse oder rote, an der Basis violette Blumenblätter, wesentlich grössere Blüten (bis 10 cm gross), einen kahlen, graugrün bereiften Stengel, abstehend behaarte Blütenstiele,[S. 187] blaugrüne, kahle, nach oben hin stengelumfassende Blätter, sowie kugelige oder eiförmige, bis 6 cm grosse Kapseln, mit 7–15strahliger, am Rande gekerbter Narbenscheibe.
Wirksame Bestandteile. Die Klatschrose ist am giftigsten während der Blütezeit und im Beginn der Samenbildung (grüne Köpfe); vor der Blüte und nach vollendeter Reife der Kapseln enthält sie nur wenig giftige Bestandteile, so dass sie ohne Schaden verfüttert werden kann. Ueber die chemische Natur des Klatschrosengiftes fehlen genauere Kenntnisse. Das in allen Teilen der Pflanze, namentlich in den Blüten nachgewiesene Rhöadin scheint ein indifferenter, ungiftiger Körper zu sein, welcher weisse, geschmacklose, mit verdünnten Säuren noch bei einer Konzentration von 1 : 1 Million sich rot färbende Kristalle von der Formel C21H21NO6 bildet und sich bei entsprechender Behandlung in Rhoeagenin und einen roten Farbstoff spaltet. Nach Dietrich sollen die Blüten von Papaver Rhoeas Morphin (0,7 Proz.) enthalten (Pharmazeutisches Zentralblatt Bd. 29). Auch Selmi will in den unreifen Fruchtkapseln ein dem Morphium sehr ähnliches Alkaloid gefunden haben. Es ist aber fraglich, ob die Vergiftungserscheinungen auf diesen Morphingehalt zu beziehen sind. Allerdings bedingt auch das reine Morphin, namentlich bei Rindern, starke zerebrale Vergiftungserscheinungen; dagegen lassen sich die bei der Vergiftung auftretenden Reizungserscheinungen seitens der Darmschleimhaut nicht auf das Morphin beziehen. Auch wird von anderer Seite bestritten, dass in den Blüten der Klatschrose Morphin vorkommt (Hesse). Es kann daher zurzeit nur allgemein aus den Symptomen der Klatschrosenvergiftung gefolgert werden, dass im wilden Mohn ein scharf narkotisches Gift enthalten ist, welches einerseits eine stark erregende Wirkung auf das Gehirn, andererseits eine entzündungserregende Wirkung auf die Darmschleimhaut ausübt.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das ausserordentlich charakteristische Bild der Klatschrosenvergiftung, welches man bei Rindern in den Monaten Juni und Juli zu beobachten Gelegenheit hat (bei anderen Tieren ist die Vergiftung seltener), ähnelt dem Bilde der akuten Gehirnentzündung. Die Tiere zeigen nach vorausgegangener Unruhe und Schreckhaftigkeit Anfälle von Raserei und Tobsucht, so dass sie oft für wutkrank gehalten werden. Die Anfälle äussern sich in wildem Blick, Brüllen, Neigung zum[S. 188] Stossen, Bohren und Beissen, Losreissen von der Kette, wildem Umherrennen, Zähneknirschen, hochgeröteten Schleimhäuten. Neben diesen maniakalischen Erscheinungen gehen epileptiforme Krämpfe einher, welche anfallsweise und oft wiederholt auftreten und teils in Zuckungen der Gesichtsmuskel und krampfhaftem Verdrehen des Kopfes und Halses, teils in Zusammenstürzen und heftigen allgemeinen Konvulsionen bestehen und von einem Zustande der Bewusstlosigkeit abwechselnd unterbrochen werden. Während des letzteren zeigen die Tiere Taumeln, Schlummersucht, sowie einen rauschartigen Zustand mit vollkommener Anästhesie. Neben diesen zerebralen Erscheinungen gehen gastrische Störungen einher; dieselben äussern sich in Speicheln, Kolikzufällen, Tympanitis, ruhrartiger, bisweilen selbst blutiger Diarrhöe. Die Dauer der tobsüchtigen und epileptiformen Anfälle beträgt meist nicht mehr als einige Stunden, im Maximum einen Tag. Die Gesamtdauer der Krankheit kann jedoch mehrere Tage betragen. Trotz der Hochgradigkeit der nervösen Symptome sind Todesfälle ziemlich selten, so dass die Prognose der Vergiftung ziemlich günstig ist.
Bei der Sektion findet man gewöhnlich nur die Erscheinungen einer Magendarmentzündung, sowie starke Hyperämie des Gehirns und seiner Häute. In einzelnen Fällen hat man ausserdem das Vorhandensein einer Nephritis konstatiert.
Behandlung. Da die Klatschrosenvergiftung wahrscheinlich auf der Einwirkung eines mit dem Morphin verwandten Alkaloides beruht, so ist zunächst die Verabreichung von Tannin und gerbsäurehaltigen Mitteln (vergl. Kolchikumvergiftung) angezeigt. Im übrigen ist die Behandlung eine symptomatische. Die Erregungserscheinungen bekämpft man durch kalte Begiessungen des Kopfes, sowie durch Verabreichung von Bromkalium (25–50,0), die Lähmungserscheinungen durch Exzitantien, die gastrischen Störungen durch Verabreichung schleimiger Mittel. Im allgemeinen kann bei dem meist günstigen Verlauf der Vergiftung ein zuwartendes Verfahren eingeschlagen werden.
Kasuistik der Klatschrosenvergiftung. 2 Kühe hatten grünen Roggen mit viel Klatschrosen erhalten. Sie zeigten Schreckhaftigkeit, Unruhe, Aufregung, vorübergehende Tobsucht, Zuckungen der Gesichtsmuskeln, stieren Blick, Erweiterung der Pupille, Blindheit, Taumeln, Auftreibung des Hinterleibs. Nach 5tägiger Krankheitsdauer mussten sie geschlachtet werden (Eggeling, Preuss. Mitt. 1882). — 6 Ochsen, welche Kaff mit viel Köpfen des wilden Mohns gefressen hatten, erschienen dem Eigentümer der Tollwut verdächtig, weil sie Anfälle[S. 189] von Raserei und Wildsein, Knirschen, Geifern, sowie epileptische Erscheinungen (5–10 Minuten lange Krämpfe mit Bewusstlosigkeit abwechselnd) gezeigt hatten (Bahr, Preuss. Mitt. 1878). — 20 Pferde, welche grüne Klatschrosen aufgenommen hatten, zeigten leichte Kolik, wilden Blick, Pupillenerweiterung, Schlummersucht, Schwanken, Unempfindlichkeit, sowie einen rauschartigen Zustand (Ravard und Guilmont, Ref. Repertor. 1854 u. 55). — Von 18 Rindern, welchen Klee mit viel Klatschrosen gefüttert wurde, erkrankten innerhalb 16 Stunden 12. Sie zeigten tobsüchtige Erscheinungen, Zuckungen, Krämpfe mit nachfolgenden Perioden kurzer Betäubung. Einige Tiere wurden von den Anfällen, die durchschnittlich 5–8 Minuten anhielten, wiederholt befallen. Sämtliche Tiere genasen im Verlauf von 24 Stunden (Wilhelm, Sächs. Jahresbericht 1893). — Walther (ibid.) beobachtete bei Rindern grosse Somnolenz, Taumeln und Niederstürzen; in der Regel gingen die Erscheinungen nach einigen Stunden vorüber. — Auch Möbius (ibid.) beobachtete im Juni zahlreiche Vergiftungsfälle ohne schlimme Folgen. — Tappe (Berl. Arch. 1894) sah bei Kühen Schreckhaftigkeit und Tobsuchtsanfälle, Zuckungen der Gesichtsmuskel, Pupillenerweiterung, stieren Blick, Taumeln, Kreuzschwäche und Kreuzlähmung. — Godfrin (Belg. Annal. 1892) sah bei Kühen Schlafsucht, Meteorismus, Kotverhaltung, sowie Verlangsamung von Puls und Atmung; starke Gaben von Kaffee und Glaubersalz führten baldige Besserung herbei. — Eberhard (Woch. f. Tierh. 1901) beobachtete bei 6 Rindern Unruhe, Brüllen, Versuche sich von der Kette loszureissen, Krämpfe am Kopf und Hals, sowie Verdrehen der Augen; nach 2 Stunden waren die Tiere wieder vollkommen ruhig.
Vergiftung durch Opium, Morphium und Saatmohn. Im Gegensatz zum Menschen sind Vergiftungen durch Opium und Morphium bei den Haustieren äusserst selten, unter anderem aus dem Grunde, weil die Tiere wesentlich grössere Dosen ertragen, als der Mensch. Die Opium- und Morphiumvergiftungen haben daher in der Tierheilkunde mehr ein experimentell-wissenschaftliches, als ein klinisches Interesse. Ueber die Morphium-Atropinvergiftung vergl. Atropin. Ueber die Wirkung des Morphins bei den einzelnen Haustieren sind eingehende vergleichende Untersuchungen von Guinard (la Morphine et l’Apomorphine, Paris 1898) gemacht worden. Danach sind die Einhufer (Pferd, Esel) am empfindlichsten von allen Haustieren gegenüber dem Morphium. Die mittlere toxische Dosis beträgt nämlich pro kg Körpergewicht beim Pferd 7, beim Esel 9, beim Rind 15, bei der Katze 40, beim Hund 65, beim Schwein 200 und bei der Ziege 400 mg. Hinsichtlich der narkotischen Wirkung verhalten sich die einzelnen Tiergattungen ebenfalls sehr verschieden.
1. Der Hund zeigt allein von allen Haustieren eine eigentliche Morphiumnarkose. Besonders empfindlich sind junge Hunde (ähnlich wie Kinder); schon 2–7 mg pro kg Körpergewicht können bei ihnen tödlich wirken, während erwachsene Hunde 10 mg sehr gut ertragen. Therapeutische Dosen erzeugen Kaubewegungen, vermehrte Speichelsekretion, Drängen auf den Hinterleib und zuweilen Erbrechen, die Herztätigkeit ist verlangsamt. Nach 10–15 Minuten tritt Unruhe auf, sowie Unvermögen, sich mit dem Hinterteil aufrecht zu erhalten; manche Hunde legen sich nieder und verfallen in Schlaf. Hierbei ist die Sensibilität jedoch nicht herabgesetzt, sondern die Reflexerregbarkeit sogar erhöht. Anästhesie entsteht nur bei sehr grossen, toxischen Dosen. Tödliche Dosen (60 mg pro kg Körpergewicht) erzeugen zunächst festen Schlaf. Nach etwa 1½ Stunden treten in tiefer Narkose plötzliche, anfallsweise, heftige Bewegungen auf, wobei die Hunde meist erwachen. Sie können sich indessen nicht erheben und verenden unter Trismus, Augenrollen und strychninartigen tetanischen Krämpfen. — Nach meinen eigenen Beobachtungen[S. 190] differiert bei Hunden die Todesdosis zwischen 0,1 bei kleinen und 2,0 bei grossen Hunden.
2. Das Pferd zeigt nach 0,4 g Morphium Stampfen, Hin- und Hertreten, Laufsucht und später Niedergeschlagenheit und stumpfsinniges Benehmen. 0,75 g verursachen eine Steigerung und längeres Anhalten dieser Erscheinungen, sowie ausserdem Steifheit der Gliedmassen. 1,5 g verursachen lebhafte Exzitation, Trippeln, Wiehern, Unaufmerksamkeit auf die Umgebung, sowie Unempfindlichkeit gegen Berührung und Nadelstiche. Daneben beobachtet man Drängen gegen die Wände, Spreizen der Hinterbeine, Taumeln, Nystagmus, Verstopfung, tiefe Atmung und Pulsbeschleunigung. Esel zeigen ähnliche Erscheinungen von Exzitation; intravenös wirken 1,5 g Morphium tödlich. — Nach meinen eigenen Versuchen starben Pferde nach 10–20 g Morphium. Ein Versuchspferd erhielt z. B. subkutan in 250 ccm Wasser gelöst 10 g Morphinum hydrochloricum. Schon 5 Minuten nach der Injektion fing es an unruhig zu werden. Die Unruhe steigerte sich schnell, so dass sie schon nach ½ Stunde einen hohen Grad erreichte. Insbesondere bestand stundenlanges Nachvorwärtsdrängen, so dass sich das Tier die Brust und die Augenbogen blutig drückte. Die Psyche war hochgradig benommen. Häufig nahm das Pferd eine sägebockähnliche Stellung der Gliedmassen ein, wobei der Schweif steif gestreckt wurde. Gleichzeitig bestand starkes Herzklopfen und sehr beschleunigter Puls (120 pro Minute). Die Körpertemperatur stieg am Nachmittag auf 41° C., um gegen Abend wieder zu sinken. Am anderen Morgen schien das Tier wieder beruhigt, es zeigte sogar wieder Appetit, indem es Futter aufnahm. Indessen war es doch sehr matt, so dass es sich legte. Gleichzeitig war der Puls unfühlbar geworden. 26 Stunden nach der Injektion verendete das Pferd ruhig unter den Erscheinungen der Herzlähmung. Die Sektion ergab das Vorhandensein parenchymatöser Veränderungen am Myokardium, sowie starken Blutreichtum der Lungen.
3. Das Rind zeigt nach 0,25–0,5 g Morphium Kaubewegungen, starkes Speicheln, gesteigerte Erregbarkeit, Scharren, Hin- und Hertreten, steife Bewegungen, Muskelzittern und gesteigerte Pulsfrequenz; nach 9 bis 10 Stunden tritt Beruhigung mit Niedergeschlagenheit, jedoch keine Schlafsucht ein. 1,5–2,0 g Morphium rufen tobsuchtähnliche Erscheinungen hervor, ferner Tränen, Speichelfluss, Muskelzittern und Schwäche im Hinterteil. Schwache und alte Kühe zeigten nach 1,4–2,5 g Morphium nach einem vorausgegangenen Exzitationsstadium tiefen, rauschartigen Schlaf mit Anästhesie und starker Aufblähung. Im Gegensatz zum Hund (und Menschen) sind Kälber weniger empfindlich als erwachsene Rinder. — Nach meinen eigenen Versuchen (1893) zeigen Rinder nach 1–2 g Morphium starke Aufregung. Sie ertragen ferner 5 g subkutan und selbst 25 g per os, ohne zu sterben. Ein 115 kg schweres Versuchskalb erhielt z. B. eine subkutane Injektion von 5 g Morphinum hydrochloricum, in 125 ccm Wasser gelöst. Bereits nach 10 Minuten stellte sich starke Unruhe und Aufregung ein, welche später zunahmen. Das Tier drängte anhaltend gegen die Halfter, zeigte grosse psychische Benommenheit, Stunden lang röchelnde, dyspnoische Atmung, abundanten Speichelfluss und enorme Auftreibung der linken Flanke. Die Körpertemperatur stieg von 38° C. auf 41° C. Am nächsten Morgen waren fast alle Erscheinungen wieder verschwunden und am zweiten Tage nach der Injektion war das Allgemeinbefinden des Kalbes bis auf den noch etwas verzögerten Kotabsatz wieder völlig normal. Eine 345 kg schwere Kuh erhielt per os 25 g Morphinum hydrochloricum eingeschüttet. 4 Stunden darauf stellte sich Unruhe und Aufregung ein,[S. 191] welche später zunahm und den ganzen Tag anhielt. Am Tage darauf dauerten die Erregungserscheinungen noch fort, die Futteraufnahme stellte sich indessen wieder ein. Am sechsten Tag war das Tier wieder völlig hergestellt. Erscheinungen von Narkose wurden an der Kuh während der ganzen Dauer des Versuchs nie wahrgenommen. — Nach Hess (Berl. Arch. 1901) bedürfen Rinder ausserordentlich grosser Mengen Morphium, um betäubt zu werden. Ein Kalb von 90 kg Gewicht erhielt 90 g Morphium (1 g pro kg) eingegossen, ohne dass Schlaf entstand; es traten vielmehr viele Stunden hindurch Erregungszustände und nach 24 Stunden der Tod ein. Ein anderes Kalb starb nach 3 Stunden auf 0,9 g pro kg. Ein 3 Wochen altes Kalb zeigte nach 0,024 g pro kg subkutan tiefe Narkose nach 50 Minuten; ein anderes starb 41 Stunden nach derselben Dosis unter Lähmung, aber ohne Narkose. 0,004 g Morphium pro kg erzeugten in einem anderen Falle sechsstündige Unruhe, 0,008 g pro kg schwere Aufregung und Lungenödem.
4. Die Katze reagiert auf Morphium durch Erregung und Krämpfe, ohne dass Narkose eintritt. Kleine Dosen erzeugen ferner Erbrechen, nicht dagegen grosse. Junge Katzen sind viel weniger empfindlich, als erwachsene; sie bleiben nach 0,05 g Morphium am Leben, während ältere Tiere schon nach 0,04 g sterben.
5. Das Schwein besitzt grosse Resistenz gegen Morphium; Narkose tritt nicht ein; die tödliche Dosis beträgt 200 mg pro kg Körpergewicht. Der Tod erfolgt nach vorausgegangenen Erregungserscheinungen. Auffallend ist die intensive Blässe der Haut. — Nach Hess starben Schweine nach 0,3 und 0,6 g Morphium pro kg Körpergewicht in tiefer Narkose.
6. Die Ziege und das Schaf sind ebenfalls sehr resistent. Die Maximaldosis kann bei der Ziege sogar auf 250–300 mg pro kg Körpergewicht normiert werden. Narkose und Gehirnstörungen fehlen. Charakteristisch ist die Sucht, in Gegenstände der Umgebung hinein zu beissen. — Nach Hess scheinen die Ziegen gegen Morphium fast immun zu sein. 1 g pro kg (5–26 g Morphium pro Ziege) bewirkt keine Narkose, sondern versetzt die Tiere in Unruhe und Aufregung. Ein Schaf wurde durch 0,36 g pro kg narkotisiert, ein anderes durch 0,2 g pro kg anfangs aufgeregt, dann einige Tage lang matt.
7. Der Elefant reagiert im ausgewachsenen Zustand nach einer Beobachtung von Lustig auf 30 g Morphium nicht. In einem von Frick beschriebenen Fall trat bei einem erwachsenen Elefanten die Narkose auf etwa 44 g Morphium ziemlich intensiv ein, jedoch erst nach 3 Stunden, und dauerte 24–36 Stunden. Die Verabreichung des Morphiums geschah zusammen mit 4 l Rum, 1 l Wasser und ½ g Saccharin.
8. Das Geflügel (Hühner, Truthühner, Gänse) zeigt nach den Versuchen von Awtokratoff Schläfrigkeit, verlangsamte Atmung, Pupillenverengerung, sowie Blässe und Schlaffheit des Kammes und der Kehllappen (subkutane Injektion 1proz. Lösungen).
9. Ratten ertragen nach Rübsamen (Arch. f. Pharmakol. 1908) pro kg 1Omal mehr Morphium als der Hund und 100mal mehr als der Mensch; die tödliche Dosis beträgt 40 mg pro 100 g Körpergewicht. Sie sind ferner leicht an Morphium zu gewöhnen (gesteigerte Zersetzungsfähigkeit, zelluläre Immunität).
Klinische Bedeutung besitzen meist nur die vereinzelten Beobachtungen von Morphiumvergiftung, welche bei Kühen nach der Aufnahme von Mohnköpfen (Papaver somniferum) gemacht worden sind. Diese[S. 192] Mohnköpfe enthalten Spuren von Opiumalkaloiden (im Maximum 0,03 Proz. Morphium und 0,04 Proz. Narkotin). Die Erscheinungen dieser Mohnvergiftung haben oft grosse Aehnlichkeit mit der Klatschrosenvergiftung, indem sie ebenfalls im wesentlichen unter dem Bilde der Aufregung und Tobsucht verlaufen; es fehlen jedoch die entzündlichen Erscheinungen seitens des Digestionsapparates (Diarrhöe etc.). So beobachtete Waltrupp (Preuss. Mitt. Bd. 3) bei 2 Kühen, welche dem Eigentümer der Tollwut verdächtig erschienen, starke Aufregung, Brüllen, unruhiges Hin- und Hertreten, Tympanitis, sowie Verstopfung. Leonhard (Repertor. 1850) beobachtete bei 4 Rindern Kolikerscheinungen, Unruhe, Wälzen, Stöhnen, Brüllen, Zähneknirschen, Schäumen, stieren Blick, Tympanitis und Verstopfung. Zipperlen (Repertor. 1888) konstatierte bei einer Kalbin, welche Häcksel mit vielen zerkleinerten Mohnköpfen erhalten hatte, starke Aufregung und Unruhe, Hin- und Herspringen, an der Kette zerren, Tobsucht, starken Schweissausbruch, plötzliche Harnverhaltung etc. Aehnliche Erscheinungen sah er bei 10 Rindern, welche trockene Mohnköpfe erhalten hatten; es genasen jedoch sämtliche Tiere. Nach Hannemann (Preuss. Vet. Ber. 1904) zeigten Kühe, welche im Grünfutter grosse Mengen von Mohnkapseln erhielten, keine Krankheitserscheinungen; dagegen wurden ihre Kälber durch die Milch vergiftet. Die Kälber waren nämlich in den ersten Lebenstagen gelähmt, schlafsüchtig, hatten keinen Trieb zum Saugen und starben nach 12–24 Stunden. — Eine Vergiftung durch Opium bei einem Hund beobachtete Jakob (Woch. f. Tierh. 1908). Ein Windhund hatte vom Besitzer innerhalb eines Tages 40 g Opiumtinktur = 4 g Opium erhalten. Er zeigte darauf Unruhe und Aufregung, Hyperästhesie und gesteigerte Reflexerregbarkeit, Schwanken, veränderte Gesichtszüge, Sinken der Körpertemperatur und der Pulsfrequenz, sowie periodischen Atmungsstillstand; die Giftwirkung dauerte 30 Stunden; der Hund wurde geheilt. — Groll (ibid.) beobachtete bei einer Kuh nach einer subkutanen Injektion von 1 g Morphium starkes Brüllen, Steigen in den Futterbarren, Stossen mit den Hörnern gegen die Wand und Schlagen mit den Füssen; nach und nach trat Beruhigung ein.
Die Behandlung der Morphiumvergiftung besteht in der Verabreichung von Atropin (spez. Antidot), Hyoszin, Koffein und anderen Exzitantien. In den oben erwähnten klinischen Fällen genügt zum Nachweis der stattgefundenen Mohnvergiftung vollkommen die botanische Untersuchung des Magen- und Darminhalts. Der Vollständigkeit halber mögen hier indessen auch die chemischen Methoden des Morphiumnachweises erwähnt sein. Die Abscheidung des Morphiums aus dem Untersuchungsmaterial erfolgt am besten nach der Methode von Dragendorff (vgl. S. 199), wobei jedoch überall statt Benzol Amylalkohol als Extraktionsmittel angewandt wird. Ausserdem hat bei Anwesenheit grösserer Mengen von Morphin die Aufnahme des Morphins in den Alkohol bei erhöhter Temperatur stattzufinden, und es muss das Morphin sofort nach seiner Abscheidung aus der Salzlösung vom Amylalkohol aufgenommen werden. Bei Untersuchung des Harns muss zur möglichst vollständigen Entfernung des Harnstoffes das Ausschütteln mit Amylalkohol mehrmals geschehen. Die wichtigsten Morphiumreaktionen sind: 1. Die Husemannsche mittelst Schwefelsäure und Salpetersäure. Man löst das Morphium in konzentrierter Schwefelsäure auf und versetzt die Lösung nach 15–18 Stunden mit einigen Tropfen verdünnter Salpetersäure oder ein paar Körnchen gepulverten Salpeters, worauf die anfangs rötliche Lösung schön blauviolett, schnell blutrot und dann tieforange wird. Die Reaktion gelingt auch bei Anwesenheit[S. 193] von 1⁄100 mg Morphin. 2. Das Fröhdesche Reagens mit Molybdänschwefelsäure. Konzentrierte Schwefelsäure, welche pro 1 ccm 1 cg molybdänsaures Natron enthält, färbt Morphin noch bei einer Menge von 5⁄1000 mg sogleich prachtvoll violett, worauf eine grüne, braungrüne, gelbe und rote Farbe entsteht. 3. Salpetersäure färbt Morphin orangegelb. 4. Eisenchlorid färbt die neutrale Lösung des salzsauren oder schwefelsauren Morphiums königsblau. Die Eisenchloridlösung muss sehr stark verdünnt sein. Ebenso umgibt sich ein Kristall von schwefelsaurem Eisenoxydammon in einer neutralen Morphiumsalzlösung mit einer blauen Zone. Eine weitere, vom Deutschen Arzneibuch als besonders charakteristisch aufgenommene Morphinreaktion ist die Braunfärbung bei Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure und Bismuthum subnitricum.
Apomorphin. Bei manchen Pferden und Rindern scheint eine individuelle Empfindlichkeit gegenüber therapeutischen Apomorphindosen zu bestehen. Einem mit Lecksucht behafteten Pferd gab Kegel (Berl. Arch. 1894) 0,25 Apomorphin subkutan, worauf sich bei dem Tier hochgradige Aufregung einstellte, die einer grossen Mattigkeit Platz machte. Die nach 8 Tagen vorgenommene Wiederholung der gleichen Prozedur hatte den Tod des Tieres zur Folge. Auch Schumacher und Flum (Bad. tierärztl. Mitt. 1892 und 1894) beobachteten bei lecksüchtigen Rindern nach Dosen von 0,15 bezw. 0,2 hochgradige Aufregung, Tobsucht, Krämpfe und sogar raschen Tod. — Ausführlicheres über die Wirkung des Apomorphins auf die einzelnen Haustiergattungen findet sich in meinem Lehrbuch der Arzneimittellehre, 8. Aufl. 1909, S. 150.
Botanisches. Der Tabak wird in Europa in 3 Sorten kultiviert. 1. Nicotiana Tabacum, Tabak, virginischer Tabak (Solanee), hat rispenförmige Blüten mit rosenroter Korolle, länglich lanzettliche, beiderseits verschmälerte, bis 60 cm lange und 15 cm breite Blätter, sowie einen stielrunden, oberwärts ästigen, bis 1½ m hohen Stengel. 2. Nicotiana makrophylla, der Marylandtabak, eine Varietät des vorigen, hat sehr breite, eirunde Blätter. 3. Nicotiana rustica, der Bauerntabak, blüht mit grüngelber, tellerförmiger, kurzer Korolle, hat gestielte, eiförmige, stumpfe Blätter, sowie einen klebrigen, kurzhaarigen, bis 1 m hohen Stengel. In Australien sind ausserdem Vergiftungen durch Nicotiana suaveolens beobachtet worden.
Das giftige Alkaloid des Tabaks, das Nikotin, bildet in reinem Zustand ein schweres, farbloses, später gelbliches, flüchtiges Oel von starkem Tabakgeruch und scharfem, brennendem Geschmack; Formel C10H14N2. Es ist in den grünen Blättern in sehr schwankenden Mengen, nämlich von 1½-3 Prozent, in fertigem, trockenem Tabak zu 0,5–5 Prozent enthalten. Längere Zeit abgelagerte Tabake enthalten wegen der Flüchtigkeit des Nikotins wesentlich weniger von demselben, als frische, ein- und zweijährige Tabake. Am wenigsten Nikotin enthält der Havannatabak (Nicotiana repanda, mit weisser Korolle).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Nikotin gehört zu den stärksten Giften (es übertrifft z. B. die Giftigkeit des Koniins um das 16fache). Neben seiner reizenden Wirkung auf die[S. 194] Schleimhäute und die Darmmuskulatur (Darmtetanus) ist es ein erregendes Rückenmarks-, Gehirn- und Herzgift (Tetanus der quergestreiften Muskeln, Atmungskrämpfe; digitalisähnliche Wirkung auf das Herz). Wegen der Flüchtigkeit des Nikotins findet eine Aufnahme desselben auch von der unverletzten Haut aus statt. Kaninchen, Katzen und Hunde sterben schon nach sehr geringen (½-2 Tropfen = 0,02–0,1 g) Mengen von Nikotin. Pferde zeigen schon nach der subkutanen Injektion von 0,05 Nikotin Vergiftungserscheinungen (Ellenberger). Vögel sterben nach dem Einatmen eines Tropfens Nikotin innerhalb weniger Sekunden; sie sterben sogar schon bei Annäherung eines in Nikotin getauchten Glasstabes an den Schnabel. Die tödliche Dosis der getrockneten Tabakblätter beträgt für Pferde und Rinder 3–500 g, Schafe und Ziegen 30 g, Hunde und Katzen 5–25 g. Nächst dem Nikotin wirken am giftigsten die im Handel vorkommenden Tabaklaugen, sowie die Tabakabkochungen; besonders empfindlich gegen Nikotin scheinen Rinder zu sein. Nikotinvergiftungen ereignen sich bei den Haustieren am häufigsten nach der epidermatischen Anwendung des Tabaks gegen Hautparasiten, namentlich gegen Räude (Waschungen und Bäder mit Tabaklauge und Tabakabkochung), da das Nikotin wegen seiner Flüchtigkeit schon durch die unverletzte Haut eindringt. Ausserdem kommen Tabakvergiftungen in Gegenden mit Tabakbau vor, wenn Tiere, und zwar sind es meistens Rinder, auf dem Feld von den Tabakblättern fressen. Besonders gefährlich sollen die halbverwelkten Blätter sein. Vergiftungen mit reinem Nikotin sind bei unseren Haustieren nur nach experimentellen Versuchen beobachtet worden.
Die wesentlichsten Erscheinungen der Nikotinvergiftung sind: Würgen, Erbrechen, Speicheln, Kolik, Tympanitis, Durchfall, Polyurie. Grosse Muskelschwäche, Schwanken, Zusammenstürzen, Unvermögen aufzustehen, Lähmung, Zittern. Klonisch-tonische Krämpfe der Körpermuskulatur, Opisthotonus, Zwerchfellkrämpfe, Kontraktionen der Augenmuskeln. Stumpfsinn und Betäubung. Anfangs verlangsamte, später ausserordentlich beschleunigte und sehr unregelmässige Herzaktion, stürmisches Herzklopfen, Kälte der extremitalen Teile, erschwerte, selbst dyspnoische Atmung. Dabei ist das Bild der Vergiftung verschieden, je nachdem das Nikotin von der Haut oder vom Darm aus aufgenommen wird. Bei epidermatischer[S. 195] Anwendung des Tabaks (Räudebehandlung) können gastrische Erscheinungen vollständig fehlen; der Tod kann hier lediglich unter den Erscheinungen von Krämpfen mit nachfolgender Lähmung sehr rasch, z. B. schon innerhalb ¼-½ Stunde, eintreten. Die durchschnittliche Dauer der Nikotinvergiftung nach innerlicher Aufnahme beträgt etwa 24 Stunden, doch kann die Rekonvaleszenz oft sehr lange (8–14 Tage) dauern. — Ueber chronische, unter dem Bild der Amblyopie und Amaurose verlaufende Tabakvergiftungen bei Pferden ist aus Australien berichtet worden (vgl. S. 197).
Bei der Sektion findet man nach der Aufnahme des Tabaks per os die Erscheinungen einer katarrhalischen oder hämorrhagischen Gastroenteritis. Nach Räudebädern und Tabakwaschungen findet man jedoch nur ganz allgemeine anatomische Veränderungen (Ekchymosen in verschiedenen Organen, namentlich unter der Pleura und unter dem Peritoneum, Hyperämie der Lungen, des Gehirns und Rückenmarks).
Behandlung. Das wichtigste Gegengift des Nikotins ist das Tannin, wofern die Vergiftung durch Aufnahme des Nikotins vom Magen aus zustande gekommen ist; das Tannin bildet mit dem Nikotin einen unlöslichen Niederschlag von tanninsaurem Nikotin. Statt dem reinen Tannin (Dosis für Rinder 15–25 g) können auch tanninhaltige Abkochungen (Kaffee, Tee, Eichenrinde, Gerberlohe) eingegeben werden. Ausserdem wird die Verabreichung von Jod-jodkalium (Lugolscher Lösung) empfohlen, da auch durch das Jod das Nikotin ausgefällt wird. Im übrigen ist die Behandlung eine symptomatische (Exzitantien gegen Lähmungserscheinungen, Bromkalium gegen Krämpfe). Bei Rindern hat man endlich die Vornahme des Pansenschnittes und die nachfolgende manuelle Entfernung der Tabakblätter angeraten.
Nachweis. Nach der Aufnahme von Tabakblättern genügt das Vorhandensein derselben im Magen, sowie der charakteristische Tabakgeruch in Verbindung mit den beschriebenen Erscheinungen der Vergiftung vollkommen zum Nachweis der stattgefundenen Nikotinvergiftung. Sollte es bei der epidermatischen Anwendung des Nikotins (Räudebäder, Tabakwaschungen) in einem Fall unentschieden sein, ob der tödliche Ausgang wirklich durch Nikotinvergiftung bedingt wurde, so muss zur Sicherstellung der letzteren[S. 196] der chemische Nachweis des Nikotins im Blut und in den inneren Organen des Körpers geliefert werden. Zu diesem Zweck muss das Nikotin zunächst aus den Körperorganen extrahiert werden. Diese Abscheidung des Nikotins kann nicht nach der gewöhnlichen Stasschen oder Dragendorffschen Methode erfolgen, weil das Nikotin sehr leicht zersetzlich und flüchtig ist. Dragendorff empfiehlt daher, nach vorheriger Reinigung des sauren Auszuges mit Benzol das Nikotin aus ammoniakalischer Flüssigkeit durch möglichst leicht siedenden und fast geruchlosen Petroleumäther auszuziehen und den Petroleumäther sodann auf einem mit ätherischer Salzsäure benetzten Uhrschälchen bei einer Temperatur von nicht über 30° zu verdunsten. Der Aetherauszug hat den charakteristischen Nikotingeruch, und der Rückstand ist von harzig-amorpher Beschaffenheit. Eine andere Abscheidungsmethode ist die durch Destillation. Man rührt die zu untersuchende Substanz mit viel Wasser zu einem dünnen Brei an, versetzt mit Kalilauge bis zur stark alkalischen Reaktion und destilliert aus einer Glasretorte mit vorgelegtem Kühlapparat über. Das Destillat zeigt dann den Geruch des Nikotins, welches mit Aether ausgeschüttelt und durch Verdunsten des Aethers rein gewonnen werden kann.
Die Reaktionen des auf die eine oder andere Weise gewonnenen Nikotins sind folgende: 1. Die physiologische Reaktion ist neben dem Geruch der wichtigste Nachweis des Nikotins. Frösche zeigen nämlich nach subkutaner Injektion kleinster Mengen von Nikotin eine ganz charakteristische Stellung. Die vorderen Extremitäten werden nach hinten an die Seitenwände des Bauches angelegt, während die Hinterschenkel rechtwinklig zur Längsachse des Tieres stehen und die Unterschenkel dabei so stark gebeugt werden, dass die Fusswurzeln einander auf dem Rücken berühren. 2. Die sog. Roussinschen Kristalle sind rubinrote, in reflektiertem Licht dunkelblau schillernde, oft zollange Nadeln, welche auf Zusatz von ätherischer Jodlösung zu einer ätherischen Nikotinlösung (1 : 100) aus der zunächst entstehenden öligen Masse allmählich auskristallisieren.
Andere Reaktionen sind: blutrote oder braune Färbung durch Chlorgas; rötlicher kristallinischer Niederschlag durch Platinchlorür; flockiger Niederschlag durch Gallussäure; Geruch nach Tabakkampfer beim Aufgiessen eines Tropfens Nikotin auf trockene Chromsäure unter Verglimmen.
[S. 197]
Kasuistik. 5 Kälber im Alter von 2–8 Monaten, welche mit Tabaklauge gewaschen wurden, zeigten bald darauf Zittern, Atmungsnot, Schweissausbruch, Aufblähung, Verstopfung und Lähmung (Lydtin, Bad. Mitt. 1887). — 3 Kühe, welche mit Tabakbrühe aus einer Tabakfabrik gewaschen worden waren, stürzten der Reihe nach zusammen und starben nach etwa ¼ Stunde (Prehr, Preuss. Mitt., Bd. 4). — Rinder, welche frisch geerntete Tabakblätter gefressen hatten, zeigten Unruhe, Kolik, Zittern, Schwäche, Durchfall, Herzklopfen, Atmungskrämpfe, Pupillenerweiterung und Lähmung (Kohlhepp, Bad. Zeitschr. 1848). — Hunde zeigten nach dem Aufbringen von 3–4 Tropfen Nikotin auf die Zunge Angst, Unruhe, Zittern, beschleunigtes Atmen, Zusammenbrechen, Konvulsionen, Opisthotonus, Winseln etc. und starben nach wenigen Minuten (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Ein Pferd zeigte 10 Minuten nach dem Waschen mit unverdünnter Tabakgose hochgradige Schwäche, so dass es jeden Augenblick umzufallen drohte, Zittern und Schweissausbruch über den ganzen Körper, Krämpfe der Halsmuskulatur, brettharte Beschaffenheit der letzteren, gestreckte Kopfhaltung, Vorfall der Nickhaut, Retraktion der Bulbi, dunkelrote Verfärbung der Augenschleimhäute, Speichelfluss, harten, sehr beschleunigten Puls (90 p. M.), stark pochenden Herzschlag, aussetzende Atmung, sowie Benommenheit des Sensoriums. Genesung (Krämer, Zeitschr. f. Veterinärkunde 1892, S. 550). — Mehrere Kühe wurden mit Tabakextrakt (Lecker Viehwaschmittel) gewaschen. Sie zeigten Zittern, Unruhe, grosse Schwäche, Rotation der Bulbi, Dyspnoe, Durchfall, Dysurie, sowie pfeifende Atmungsgeräusche. Eine Kuh starb; eine andere zeigte noch nach 8 Tagen grosse Muskelschwäche (Matthiesen, B. T. W. 1889). — 2 Rinder zeigten nach der Aufnahme welker Tabakblätter Erbrechen, Kolik, Aufblähen, tonisch-klonische Krämpfe, sowie chronisches Siechtum. Die Sektion ergab Gastroenteritis neben Blutungen in den Nieren und Körpermuskeln (Römer, D. T. W. 1900). — Ein Landwirt liess 9 Rinder gegen Läuse mit flüssigem Tabakauszug waschen; infolgedessen verendeten innerhalb einer Stunde 4 Rinder im Alter von 3–15 Monaten (Illust. Landw. Zeit. 1902). — Nach Schröder (Woch. f. Tierh. 1908) wird bei dem stark ausgedehnten Tabakbau im Kreise Kandel und bei dem grossen Mangel an passenden Trockenstellen der grüne Tabak zum Trocknen an alle möglichen Plätze und so auch oft an Scheunen und Stallungen gehängt. Beim Ein- oder Ausspannen gehen die Tiere an dem aufgehängten Tabak vorbei, nehmen hierbei mitunter Blätter auf und fressen dieselben und ziehen sich Vergiftung zu. Am gefährlichsten ist der halbdürre Tabak, bei dem die Rippen noch grün sind. Am folgenden Tag stellen sich die ersten Symptome der Nikotinvergiftung ein: Fehlen der Rumination, starkes Speicheln, Versagen der Futteraufnahme, Kolik, Durchfall, beständiges Liegen auf der Streu, Unvermögen zum Aufstehen, Lähmungen, besonders des Hinterkiefers, und vor allem stark eingenommene Psyche. Man sieht den Tieren die Angst und die ausserordentliche Hinfälligkeit schon am Gesichtsausdruck an. An eine Rettung ist nicht zu denken und daher sofortige Schlachtung angezeigt. — In Australien (Neusüdwales) sollen im Jahr 1894 bei Pferden infolge der Aufnahme des australischen Tabaks, der Nicotiana suaveolens, epizootische Fälle von Erblindung (Amblyopie, Amaurose) beobachtet worden sein, bei welchen die Pferde anfangs unfähig waren, im Dunkeln zu sehen, und nach ½-2 Jahren angeblich vollständig erblindeten (Husemann, D. med. Woch. 1894). — Versuche an Hunden mit dem von der französischen Monopolverwaltung in den Handel gebrachten Tabaksaft sind von Adam und Lesage angestellt worden (Recueil 1899). — Ein Hund, der gegen Eingeweidewürmer Tabak erhalten hatte, zeigte Krämpfe der Kau-, Hals- und Bauchmuskeln, Schlinglähmung und Kollaps (Livesey, Journ. of comp. 1905). — Kaninchen sollen nach intravenösen Injektionen von Nikotin an Arteriosklerose der Aorta erkranken (Adler und Hensel, Deutsch. med. Woch. 1906, S. 1826).
Allgemeines. Das in der Brechnuss (Krähenaugen), dem Samen von Strychnos nux vomica, enthaltene Strychnin ist ein sehr giftiges Alkaloid, welches bei den Haustieren teils infolge falscher Dosierung, besonders[S. 198] bei intratrachealer Injektion oder zu lange fortgesetzter Verabreichung (kumulative Wirkung, Ansammlung in der Leber) Veranlassung zu Vergiftungen gibt, teils infolge von Aufnahme strychninhaltigen Rattengiftes (Strychninweizen, Strychningrütze), sowie von strychninhaltigem, zum Vergiften von Füchsen ausgelegtem Fleisch, Heringsköpfen, Margarinepillen etc., letzteres namentlich bei Hunden. Vergiftungen können sich auch dadurch ereignen, dass in den Apotheken Strychninlösungen längere Zeit vorrätig gehalten werden. In diesen vorrätigen Lösungen enthält oft der Rest infolge Verdunstung des Wassers eine grössere Menge von Strychnin als der Berechnung nach erwartet werden sollte. Werden z. B., wie ich dies in einem Fall beobachtet habe, in einem Rezept 3 mg Strychnin verschrieben und der Apotheker benützt zur Herstellung dieses Rezeptes nicht, wie vorgeschrieben, die Wage, sondern eine vorrätige, ältere Strychninlösung, aus deren Konzentration er die 3 mg berechnet, so kann hierbei eine wesentlich grössere Dosis als die beabsichtigte zur Anwendung gelangen. Vergiftungen durch die Brechnuss selbst sind seit der Darstellung des Strychnins und der ausschliesslichen Verwendung desselben nicht mehr vorgekommen (ein älterer Fall ist von Mewes, Preuss. Mitt., Bd. 14 beim Pferd beschrieben).
Die tödliche Dosis des Strychnins beträgt bei subkutaner Applikation durchschnittlich bei den Haustieren pro kg Körpergewicht 0,5–1 mg. Danach betragen die niedersten subkutanen Todesdosen beim Rind 0,3–0,4 g, beim Pferd 0,2–0,3 g, beim Schwein 0,05 g, beim Hund 0,005–0,02 g, bei der Katze 0,002–0,005 g. Beim Geflügel schwankt die Dosis sehr je nach der Gattung (vgl. S. 202). Bei intratrachealer Injektion wirkt beim Pferd schon 0,15 g tödlich.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Strychnin ist ein spezifisches erregendes Rückenmarksgift, welches Starrkrampf auslöst. Das Bild der Strychninvergiftung ist daher im wesentlichen das des Starrkrampfes (Tetanus toxicus). Die Tiere zeigen tetanische, blitzartig auftretende, über den ganzen Körper sich ausbreitende Krampfanfälle von sekunden- bis minutenlanger Dauer, steife, gestreckte Haltung der Extremitäten, des Halses, der Wirbelsäule, des Schweifes, hochgradige Schreckhaftigkeit, sowie Dyspnoe während der Anfälle. Von diagnostischer Bedeutung ist die Auslösung eines Krampfanfalls bei kleineren Tieren durch das Aufrichten derselben. Der Tod erfolgt durch Erstickung. Der Verlauf ist im allgemeinen sehr akut. Von der Aufnahme des Strychnins bis zum Auftreten von Krämpfen vergeht jedoch eine sehr verschiedene Zeit, desgleichen vom Beginn des Tetanus bis zum tödlichen Ende, je nach der Dosis, Form und Applikation, sowie je nach der Tiergattung. Bei Pferden beobachtete man nach der intratrachealen Injektion des Strychnins zuweilen schon in wenigen Minuten apoplektiformen Tod. Schafe sterben nach subkutaner Injektion durchschnittlich nach 12 Minuten. Bei Hunden kann nach der Anfnahme mittlerer Dosen per os je nach dem Füllungszustand[S. 199] des Magens längere Zeit vergehen, bis die Vergiftung in die Erscheinung tritt (1–2 Stunden) und die Vergiftung selbst, d. h. die Krämpfe, mehrere Stunden (5–7) andauern; nach dieser Zeit ist meist keine Lebensgefahr mehr vorhanden. Endlich ertragen Tiere, welche sich erbrechen können (Hunde, Katzen, Füchse, Wölfe und anderes Raubzeug), oft auffallend grosse Dosen von Strychnin.
Die Sektion ergibt wie beim gewöhnlichen Starrkrampf im allgemeinen ein negatives Resultat; als sekundäre Veränderungen beobachtet man im Herzen und in der Lunge die Symptome der Erstickung. Vereinzelt wurde eine konservierende Wirkung des Strychnins auf den Kadaver beobachtet; ein Hundekadaver war z. B. noch nach 20 Tagen frisch (Noack).
Behandlung. Bei Hunden gibt man zunächst ein Brechmittel (Apomorphin subkutan); im Notfall dient auch ein Esslöffel voll Kochsalz als Brechmittel. Das bewährteste Gegenmittel gegen Strychnin ist das Chloralhydrat. Dasselbe wird speziell Hunden in Dosen von 0,5–5,0, am besten in schleimigen Lösungen rektal so lange verabreicht, bis der Krampf nachlässt. Auch eine mehrere Stunden hindurch fortgesetzte oder öfters wiederholte Chloroformierung und Aetherisierung oder eine kombinierte Chloralhydrat-Chloroformbehandlung, sowie die Anwendung von Morphium, Sulfonal, Bromkalium oder grosser Dosen von Alkohol ist zu empfehlen. Als chemisches Antidot gibt man Tannin oder gerbsäurehaltige Mittel, im Notfall schwarzen Kaffee oder Tee. Ausserdem kann man bei drohender Erstickung künstliche Atmung einleiten.
Nachweis. Für gewöhnlich genügt zum Nachweis der Strychninvergiftung der ausserordentlich charakteristische klinische Befund. Zum Zweck des chemischen Nachweises muss das Strychnin zunächst aus den Körperorganen (Magen, Blut, Leber, Nieren) extrahiert werden. Hierzu bedient man sich entweder der Methode von Stas und Otto (Extraktion mit Aether, vergl. S. 33) oder einer von Dragendorff (Extraktion mit Benzol) angegebenen Methode. Nach der letzteren werden die zu untersuchenden Objekte in fein zerkleinertem Zustand mit schwefelsäurehaltigem Wasser bis zur deutlich sauren Reaktion in der Weise versetzt, dass auf 100 ccm Untersuchungsmaterial höchstens 5 ccm verdünnter Schwefelsäure (1 : 5) kommen. Man digeriert einige Stunden lang bei einem[S. 200] Temperaturmaximum von 50°, koliert und presst, zieht den Rückstand nochmals mit schwefelsäurehaltigem Wasser aus, koliert und presst wieder, mischt die Kolaturen und verdunstet im Wasserbad bis fast zur Konsistenz eines dünnen Sirups, welcher sodann mit dem 3–4fachen Volum Alkohol (90–95 Proz.) 24 Stunden mazeriert wird, worauf man filtriert. Das Filtrat wird destilliert, bis der Alkohol übergegangen ist. Die zurückbleibende wässerige Flüssigkeit wird auf ca. 50 ccm verdünnt, mit 25 ccm reinem Benzol versetzt, anhaltend geschüttelt, das Benzol abgehoben und mit neuem Benzol geschüttelt, welches ebenfalls abgehoben wird. Die zurückbleibende wässerige Flüssigkeit wird sodann mit Ammoniak deutlich alkalisch gemacht und auf 40–50° erwärmt, wodurch das Strychnin frei gemacht und durch anhaltendes Schütteln mit Benzol (25 ccm) in demselben aufgelöst wird. Dasselbe Verfahren wird mit einem zweiten Benzolquantum wiederholt, die Benzolmengen werden dann gemischt und das Benzol dann verdunstet. Bleibt hierbei das Strychnin nicht in ganz reinem Zustand zurück, so löst man den Rückstand nochmals mit schwefelsäurehaltigem Wasser auf, übersättigt mit Ammoniak, schüttelt wieder mit Benzol aus und verdunstet. Eine dritte Abscheidungsmethode ist von Erdmann und Uslar (Extraktion mit Amylalkohol) angegeben. Das zerkleinerte und mit Wasser zum dünnen Brei angerührte Untersuchungsobjekt wird mit Salzsäure angesäuert, 1–2 Stunden bei 60–80° digeriert, koliert und nochmals auf dieselbe Weise extrahiert. Die vereinigten wässerigen Auszüge werden mit Ammoniak stark alkalisch gemacht und zur Trockene verdunstet. Der Rückstand wird gepulvert und mit Amylalkohol wiederholt ausgekocht. Die heiss filtrierten Amylalkoholauszüge werden mit dem 1Ofachen Volum heissen salzsauren Wassers in Glaszylindern stark geschüttelt, wodurch das Strychnin in letzteres übergeht. Zur Extraktion von Fett wird die salzsaure Wasserlösung nochmals mit Amylalkohol ausgeschüttelt. Dann wird mit Ammoniak neutralisiert und das Strychnin durch Schütteln mit warmem Amylalkohol ausgezogen, welcher zuletzt verdunstet wird, worauf das Strychnin zurückbleibt.
Das abgeschiedene Strychnin wird nun auf seine Identität durch verschiedene Reaktionen geprüft. 1. Die wichtigste ist die Blaufärbung durch Schwefelsäure und Kalium dichromicum. Man löst das Strychnin in konzentrierter Schwefelsäure und bringt in diese Lösung ein Kriställchen von doppeltchromsaurem Kali,[S. 201] worauf sich violettblaue Streifen bilden, die später in Rotbraun übergehen. Man kann die Reaktion auch in der Weise anstellen, dass man das Strychnin in wenig schwefelsäurehaltigem Wasser löst und diese Lösung mit einer Lösung von Kaliumdichromat (1 : 200) versetzt, worauf sich Gruppen schön goldgelber Kristallnadeln abscheiden, welche sich in konzentrierter Schwefelsäure blau lösen. Die Reaktion wird noch durch 1⁄1000 mg Strychnin hervorgerufen. 2. Die Blaufärbung mit Vanadin-Schwefelsäure ist ebenfalls sehr empfindlich. Eine Lösung von vanadinsaurem Ammonium in Schwefelsäure (1 : 200) gibt mit Strychnin eine violettblaue, blauviolette, violette, zinnoberrote, lang anhaltende Färbung, bei welcher die Farbenübergänge von Blau zu Blauviolett und Rot viel langsamer erfolgen, als beim ersteren Reagens. 3. Der physiologische Versuch wird angestellt mit Fröschen (Todesdosis des Strychnins = 0,05 mg) und Mäusen (Todesdosis = 0,02 mg). Das Auftreten von Starrkrampf bei den Versuchstieren beweist mit Sicherheit das Vorhandensein von Strychnin.
Kasuistik. Ein gegen Kehlkopfpfeifen mit intratrachealen Strychnininjektionen behandeltes Pferd zeigte nach der Injektion von 0,11 g Strychnin nach etwa 20 Minuten hochgradige Vergiftungserscheinungen: Zuckungen, ausserordentliche Schreckhaftigkeit und Zusammenbrechen mit dem Hinterteil. Im Blut liessen sich Spuren von Strychnin nachweisen. Die Krämpfe dauerten 20 Minuten, die Schreckhaftigkeit mehrere Stunden an. Ein zweites Pferd zeigte nach 0,09 g ähnliche, jedoch geringgradigere Vergiftungserscheinungen. Bei einem dritten Pferd traten nach 0,08 g ebenfalls leichte Vergiftungserscheinungen ein. Eine Heilwirkung liess sich nicht konstatieren. Danach ist bei intratrachealer Injektion 1 cg pro Zentner Lebendgewicht die höchste therapeutische Dosis für das Pferd (Vogt, Woch. f. Tierhlkde. 1891). — Ein grosser Hund erhielt von seinem Besitzer, einem Arzt, 0,05 Strychninum arsenicosum eingegeben. Die hienach auftretende schwere Vergiftung verschwand erst nach 10 Stunden nach Anwendung von Morphium, Chloralhydrat und zweistündigem Chloroformieren (Wolf, Sächs. Jahresber. 1897). — Ein Rattenfänger hatte mit Strychnin bestreute Fische gefressen (Rattengift). Die nach Ablauf einer Stunde erfolgte Verabreichung von 3 g Chloralhydrat hatte mehrstündigen Schlaf und dauernde Heilung zur Folge (Sauer, Woch. f. T. 1899). — 1 Vorstehhund erkrankte nach dem Fressen von Fuchsgift an heftigem Tetanus; Chloralhydratklistiere (5,0) hatten totähnlichen Schlaf zur Folge, worauf am andern Tage ein Rückfall eintrat, der sich nach nochmaliger Anwendung von Chloralhydrat am 3. Tag wiederholte, worauf Genesung eintrat (Rosenfeld, Tierärztl. Zentralbl. 1899). — Durch Strychnin vergiftete Hunde genasen nach Verabreichung einer grossen Handvoll Seesalz (Journ. of comp. 1900), desgleichen Hühner nach dem Eingeben kleiner Körnchen Atropin (Ehlers, D. T. W. 1900). — Weitere Vergiftungen von Hunden, Katzen und Schweinen sind von Merkle, Zix (Woch. f. T. 1898 u. 1899), Uhlich, Deich (Sächs. Jahresber. 1898 u. 1899), Phail (Vet. journ. 1898), Videlier (Recueil 1897), Rancillia, Maignon (Jour. de Lyon 1901 u. 1905) u. a. beschrieben worden.
Experimentalversuche. Das Verhalten der einzelnen Haustiere gegenüber dem Strychnin ist nach Feser (Berl. Archiv 1880 u. 1881) und Schneider (Monatshefte für prakt. Tierheilk. 1900) folgendes:
1. Pferde ertragen subkutane Dosen von 0,1–0,2 mg Strychnin pro Kilo Körpergewicht ohne Nachteil, indem sie nur leichte und vorübergehende[S. 202] Zufälle zeigen. 0,3 mg pro Kilo Körpergewicht subkutan injiziert sind für sehr alte, geschwächte, rückenmarkskranke Pferde schon eine tödliche Dosis, während sie von jungen, kräftigen Pferden meist ohne Gefahr ertragen werden. 0,4 mg Strychnin pro Kilo Körpergewicht töten jedoch jedes Pferd bei subkutaner Injektion sicher innerhalb kurzer Zeit. Bei der innerlichen Verabreichung sind 5mal grössere Dosen nötig, als die oben genannten; die subkutane Injektion verhält sich also zur stomachikalen beim Pferd wie 1 : 5 (Feser).
2. Hunde zeigen nach subkutanen Dosen von 0,1–0,2 mg pro Kilo Körpergewicht eine leichte vorübergehende Wirkung. 0,2 mg pro Kilo Körpergewicht subkutan werden von gesunden Hunden zwar noch ertragen, sind aber für kranke Hunde gefährlich und sollten nur mit grösster Vorsicht angewandt werden; sie erzeugen heftige, allgemeine Starrkrampfanfälle und Zusammenstürzen. 0,3 bis 0,4 mg haben eine schwere Vergiftung und häufig den Tod nach 12 Minuten bis 1½ Stunden zur Folge. 0,5 mg pro Kilo Körpergewicht und darüber töten jeden Hund bei subkutaner Applikation nach 10–50 Minuten. Innerlich gegeben bleiben 0,1–0,2 mg pro Kilo Körpergewicht ohne jede sichtbare Wirkung. 0,3 bis 0,4 mg zeigen zuweilen heftige, zuweilen aber auch gar keine Wirkung und eventuell Tod. 1 mg Strychnin pro Kilo Körpergewicht tötet bei innerlicher Verabreichung jeden Hund. Beim Hund verhält sich also die subkutane zur stomachikalen Dosis wie 1 : 2. — Bezüglich der kumulativen Wirkung des Strychnins ergaben die Versuche, dass subkutan 0,05 mg pro Kilo stündlich bis 10mal, 0,1 mg pro Kilo dagegen stündlich nur 3mal ohne Gefahr angewandt werden können; 0,2 mg pro Kilo dürfen subkutan höchstens 2mal und nur in grossen Pausen gegeben werden. Innerlich kann man 10 Dosen à 0,1 mg pro Kilo stündlich hintereinander geben; 0,2 mg pro Kilo können 5mal 2stündlich hintereinander gegeben werden. Grössere Dosen wirken giftig (Feser).
3. Schafe äussern nach subkutanen Dosen von 0,1 - 0,2 mg pro Kilo Körpergewicht nur leichte vorübergehende Zuckungen; 0,3 mg bedingen dagegen eine sehr heftige Wirkung und 0,4 mg pro Kilo den Tod. Innerlich bleiben 0,6 - 1,2 mg pro Kilo wirkungslos; 3,0 mg haben eine sehr kräftige Wirkung, 4,0 mg pro Kilo den Tod zur Folge. Die subkutane Applikation verhält sich zur stomachikalen wie 1 : 10 (Feser).
4. Schweine zeigen auf subkutane Injektion von 0,1 mg pro Kilo keine Reaktion; 0,2–0,3 mg haben eine geringe, vorübergehende Wirkung; 0,4–0,6 mg pro Kilo bedingen eine sehr heftige Vergiftung, welche jedoch meist nach 2–4stündiger Dauer in Genesung übergeht. 0,6–0,7 mg wirken tödlich. Die subkutane verhält sich zur stomachikalen Applikation wie 1 : 3 (Feser). — 2 Schweine zeigten nach der Verfütterung von 0,15 und 0,2 g Strychn. arsenicos. keinerlei Krankheitserscheinungen (Salles).
5. Unter dem Geflügel sind gegen tödliche Strychnindosen am widerstandsfähigsten die Hühner; die tödliche subkutane Dosis beträgt für sie 3–5 mg pro Kilo Körpergewicht, die stomachikale 30–140 mg. Dann folgen die Tauben (tödliche subkutane Dosis 1,0–1,5, stomachikale 8–11 mg), Enten (1,0 bezw. 3–4,5) und Gänse (1–2 bezw. 2,5–3 mg). Der Eintritt der Wirkung erfolgt bei subkutaner Applikation in 2–10 Minuten, bei innerlicher in 3–20 Minuten. Das Fleisch der mit Strychnin vergifteten Tiere erwies sich beim Genuss als ganz unschädlich (Schneider). — Nach Falck (Med. Zentralbl. 1899) sind Hühner und anderes Geflügel gegen die Brechnuss selbst, sowie gegen wässerige Strychninlösungen, wenn dieselben in die Speiseröhre oder in den leeren Kropf appliziert werden, ziemlich widerstandsfähig (langsame Resorption, Zersetzung des Strychnins im Blut). Dagegen sterben sie, wie andere Tiere, rasch bei subkutaner Einspritzung wässeriger und bei stomachikaler Verabreichung alkoholischer Strychninlösungen. — Vogel (Zeitschr. f. Biol. 1896) untersuchte bei Hühnern, ob die Einverleibung grosser Mengen von Strychnin eine giftige Beschaffenheit der Eier bedinge. Er gab Hühnern in 12–16 Tagen 0,28–0,36 Strychnin, hat aber in den Eiern niemals Strychnin nachweisen können. — Nach Molitoris (Z. f. a. Chemie 1905) scheiden Hühner grosse Strychninmengen aus, ohne Schaden zu nehmen; in ihrem Blut lässt sich durch Farbenreaktion noch 1⁄1000 mg Strychnin nachweisen.
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Absichtliche Strychninvergiftung von Tieren zum Zweck der Tötung. Pferde werden nach Bock (Zeitschr. f. Vetkde. 1906) am schnellsten und sichersten in der Weise getötet, dass man ihnen eine Lösung von 0,4 g Strychninum nitricum in 10 g Glyzerin intravenös injiziert. Schon nach 3–4 Sekunden tritt blitzartiges Zusammenstürzen und sofortiger Tod ein. Nach der intravenösen Injektion von 0,3 g Strychnin brach ein Pferd nach 47 Sekunden zusammen und starb in 5 Minuten unter tetanischen Erscheinungen (ibidem 1901). Gesunde Hunde starben nach Ben Danou (Revue vet. 1902) am schnellsten nach der intrapleuralen Injektion von 5 ccm einer gesättigten Lösung von Strychninsulfat; bei nervenkranken Hunden verzögert sich jedoch der Eintritt des Todes sehr. Raubzeug vergiftet man nach Merck (Jahresber. 1900) am besten in der Weise, dass man feingepulvertes Strychnin mit etwas Muskelfleisch zu einer Fleischpille formt und diese in ein etwas grösseres Stückchen Fleisch steckt. Zur Vergiftung von Füchsen steckt man das in einer Gelatinekapsel befindliche Strychnin in einen Heringskopf, den man allseitig mit einer Naht schliesst, oder in das ausgehöhlte Innere einer nussgrossen Margarinepille, oder in die Bauchhöhle eines getöteten kleinen Tieres (Vogel, Maus, Ratte). Die tödliche innerliche Dosis des Strychnins beträgt hiebei für Füchse 0,05–0,1, Wölfe 0,25, Bären, Tiger und Löwen 0,5–1,0. Die Strychninsalze erhalten sich jahrelang unzersetzt; tritt die gewünschte Wirkung beim Raubzeug nicht ein, so hängt dies nicht vom Präparat, sondern von dem Erbrechen der Tiere, sowie vom Füllungszustand ihres Magens ab.
Botanisches. Die Rade oder Kornrade, Agrostemma Githago (Familie der Karyophyllazeen; Unterfamilie Sileneen), ist ein bekanntes, rotblühendes Unkraut auf Getreidefeldern (Roggen, Weizen), mit einem ½-1 m hohen weissfilzigen Stengel, langen, spitzen, graugrünen Blättern und einzelnen, langgestielten, roten Blüten. Die allein giftigen Samen sind schwarz oder dunkelbraun, kugelig, nierenförmig, 2–3 mm gross und besitzen eine regelmässige höckerige Oberfläche (Aehnlichkeit des Samens mit einer eingerollten Raupe). Die Samen besitzen einen sehr charakteristischen mikroskopischen Bau, welcher für den Nachweis derselben sehr wichtig ist. Die Oberhautzellen sind nämlich ausserordentlich gross, geweihartig verästelt, nach aussen gebuckelt, sehr dick und an der Oberfläche mit winzigen Höckerchen besetzt; ihr Inhalt besteht aus einer rotbraunen Substanz. Ebenfalls sehr charakteristisch sind die im Endosperm der Samen vorkommenden Stärkekörperchen; dieselben haben eine spindel-, spulen-, flaschen- oder eiförmige Gestalt, sind äusserst klein (0,02–0,1 mm gross) und durch Einlagerung winziger Stärkemehlkörnchen getrübt; in Wasser gebracht zerfallen sie, wodurch die beschriebenen winzigen Körnchen frei werden und eine molekulare Bewegung zeigen (wichtig für den Nachweis des Vorhandenseins von Rade im Mehl).
Die Radesamen enthalten als giftigen Bestandteil das Githagin, ein Glykosid, welches mit dem Saponin (Sapotoxin) identisch ist (Agrostemma-Sapotoxin) und in Sapogenin und Zucker zerfällt. Ausserdem enthalten sie eine zweite, gleich giftige Saponinsubstanz, die Agrostemmasäure. Der Gehalt an Saponinsubstanzen beträgt 6–7 Proz. Vergiftungen ereignen sich nach Verfütterung von Radeschrot, sowie durch radehaltiges Mehl und Kleie infolge von mangelhaftem „Ausreutern“ des Korns in der Mühle.
Allgemeines über Saponinsubstanzen. Unter diesem Namen fasst man eine Anzahl glykosidischer Stoffe zusammen, welche nach[S. 204] Kobert in etwa 150 Pflanzenarten (30 Familien) vorkommen und neben ihrer chemischen Homologie mit der Grundformel CnH2n-8O10 gemeinschaftlich nachstehende Eigenschaften besitzen: Schäumen in wässerigen Lösungen (daher der Name Saponin, seifenartiges Glykosid), kratzenden Geschmack, entzündungserregende Wirkung auf Haut und Schleimhäute (Dermatitis, Rhinitis, Konjunktivitis, Gastroenteritis), Auflösung der roten Blutkörperchen (Hämolyse), sowie geringe oder ganz fehlende Resorption vom Darmkanal aus. Die letztgenannte Eigenschaft erklärt die eigentümliche Tatsache, dass bei intakter Darmschleimhaut grosse Dosen der Saponinsubstanzen ertragen werden, ohne eine Allgemeinvergiftung zu verursachen (vergl. die Kornradevergiftung), während bei vorhandenem Katarrh oder bei Geschwüren der Darmschleimhaut die Resorption erhöht und die Giftwirkung viel stärker ist. Ausserdem soll das Saponin im normalem Darm in eine ungiftige Verbindung umgewandelt werden. Subkutan erzeugen die Saponinsubstanzen Eiterung ohne Bakterien (aseptische Eiterung); intravenös beigebracht wirken sie rasch tödlich infolge Auflösung der roten Blutkörperchen und zwar schon in Dosen von ½-1 mg pro kg Körpergewicht. Die anatomischen Veränderungen bestehen ähnlich wie bei Phallinvergiftung in Zerstörung der roten Blutkörperchen, Darmentzündung, Verfettung der Leber, der Nieren etc. Zu diesen Saponinsubstanzen rechnet man Saponin, Sapotoxin, Sapogenin, Saporubin, die Quillajasäure, Polygalasäure und Agrostemmasäure, das Githagin, Zyklamin, Senegin, Parillin, Assamin und Melanthin. Man spricht ferner von einem Agrostemma-Sapotoxin, Quillaja-Sapotoxin, Gypsophila-Sapotoxin, Sapindus-Sapotoxin usw.
Krankheitsbild der Radevergiftung. Die Saponinsubstanzen der Kornrade (Sapotoxin, Agrostemmasäure) wirken entzündungserregend auf alle Schleimhäute (Gastritis, Enteritis, Stomatitis, Pharyngitis, Konjunktivitis, Rhinitis, Laryngitis), sowie lähmend auf das Zentralnervensystem und das Herz. Ausserdem sind sie ein starkes Gift für die roten Blutkörperchen, welche dadurch aufgelöst werden. Die Vergiftungserscheinungen bestehen demnach in Speicheln, Schlingbeschwerden, Erbrechen, Kolik, Durchfall, Mattigkeit. Bei der Sektion findet man hauptsächlich die Erscheinungen einer intensiven Gastroenteritis, sowie lackfarbige Beschaffenheit des Blutes.
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Eigentümlicherweise ist die Empfindlichkeit der einzelnen Tiergattungen gegen das Radegift sehr verschieden. Gänzlich immun scheinen Schafe, Ziegen und Nagetiere (Kaninchen) zu sein. Auch erwachsene Rinder sind wenig oder gar nicht für das Gift empfänglich. Am empfindlichsten sind dagegen Hunde, Pferde, Schweine, Kälber und Hühner. Merkwürdig ist ferner, dass sich manche Tiere mit der Zeit an die Radefütterung gewöhnen, indem die giftige Wirkung des Saponins bei längerer Verabreichung der Rade abnimmt, und dass das radehaltige Futter bei einer und derselben Tiergattung nicht immer gleich stark giftig wirkt, indem zuweilen sehr grosse Quantitäten von den Tieren ohne Gefahr verzehrt werden. Ob dieses verschiedene Verhalten der Radesamen auf Zersetzungen des Saponins oder auf einen verschiedenen Gehalt des Rademehls oder auf eine zeitliche und örtliche Ungiftigkeit der Radesamen nach Art der Lupinen oder auf eine gewisse prädisponierende Beschaffenheit der Darmschleimhaut bei einzelnen Tieren (leichte Verletzungen) zurückzuführen ist, muss dahingestellt bleiben. Auch individuelle Verschiedenheiten sind nicht selten. Sodann sind junge Tiere empfindlicher, als alte.
Therapie. Die Behandlung der Radevergiftung besteht in der Verabreichung von schleimigen, einhüllenden, sowie von exzitierenden Mitteln (Aether, Kampfer, Koffein, Kaffee). In prophylaktischer Beziehung ist ferner ein Futterwechsel vorzunehmen. Ausserdem kann durch gelindes Rösten des Radepulvers in eisernen Pfannen das Saponin zerstört werden (die Backofenhitze zerstört nicht alles Saponin!). Endlich lässt sich durch ein bestimmtes Schrotverfahren nicht nur die schwarze Schale der Radesamen, sondern auch die vom Embryo gebildete schwarze Randpartie entfernen, in welcher das Saponin ausschliesslich seinen Sitz hat.
Nachweis. Zum Nachweis der Radevergiftung können die verabreichten Futterstoffe (Kleie, Mehl) und der Magendarminhalt entweder einer botanisch-mikroskopischen oder einer chemischen Untersuchung unterworfen werden.
Der botanische Nachweis besteht in dem Auffinden der im Eingang genauer beschriebenen schwarzen, warzigen Samenschalen mit ihren charakteristischen Zellen (Untersuchung mit der Lupe), sowie in der Feststellung der charakteristischen Stärkekörperchen im Mehl mittels des Mikroskops. Der chemische Nachweis der Radevergiftung stützt sich auf gewisse Reaktionen des Githagins.[S. 206] 1. Schüttelt man 2 g Mehl mit 10 ccm einer Mischung von 20 g 70proz. Alkohol und 1 g Salzsäure in einem Reagensglas und lässt den Inhalt stehen, so nimmt die Flüssigkeit eine gesättigt orangegelbe Farbe an. 2. Man digeriert 500 g Mehl mit 1 l 85proz. Alkohol im Wasserbad, filtriert heiss, fällt das Filtrat mit absolutem Alkohol, trocknet den Niederschlag bei 100°, nimmt ihn mit kaltem Wasser auf, fällt den Auszug nochmals mit absolutem Alkohol, filtriert und trocknet wieder. Durch dieses Verfahren wird das Githagin (Saponin) rein dargestellt als ein gelblichweisses Pulver von brennend bitterem Geschmack, welches sich in Wasser leicht löst und damit geschüttelt stark schäumt.
Grössere Mengen von Rade im Mehl lassen sich endlich häufig schon durch die blaue Farbe des Rademehls nachweisen.
Kasuistik und Fütterungsversuche. Pusch (Ueber die Schädlichkeit der Kornrade. Deutsche Zeitschr. für Tiermed. 1890) hat eine grössere Reihe von Fütterungsversuchen bei den verschiedenen Haustieren angestellt, welche folgendes ergeben haben. 1. Zwei Pferde wurden mit 1130 und 4400 g Rade gefüttert, die im Jahre 1888 geerntet war; sie zeigten keinerlei Krankheitserscheinungen. Ein anderes Pferd erkrankte dagegen bereits nach 325 g 1889er Rade an Stomatitis. Ein viertes Pferd erhielt 6½ kg Rade in 9 Tagen; es zeigte heftiges Speicheln, ulzeröse Stomatitis (Erosionen), Pharyngitis, Nasenausfluss und Husten. Eine Stute zeigte ausserdem nach Verfütterung von 12 kg Rade in 12 Tagen häufiges Urinieren und Blinken. Niemals entstand eine chronische Erkrankung; bei keinem der Pferde wurden ferner spinale Lähmungserscheinungen beobachtet, wie sie angeblich nach Haubner und Dieckerhoff bei Radevergiftung vorkommen sollen. 2. Ein erwachsenes Rind erhielt 8640 g Rade in 5 Tagen ohne sichtbar zu erkranken. (Nach einer Mitteilung von Oekonomierat Schulz in Petershagen verfütterte derselbe ohne den geringsten Nachteil 400 Zentner reine Kornrade an 100 Zugochsen in täglichen Gaben von 1 Pfund!). Dagegen starb ein 13 Tage altes Kalb nach der Verfütterung von 400 g Rade in einem Tage; die Sektion ergab Entzündung des Rachens und Labmagens, Dünndarmkatarrh und Lungenödem. 3. Zwei erwachsene Schafe erhielten 12 kg Rade in 64 Tagen bezw. 11 Kilo in 30 Tagen, ohne, abgesehen von einem leichten Nasenkatarrh, zu erkranken. 4. Ein 6 Wochen altes Schwein erhielt in 20 Tagen 5420 g Rade; es zeigte lediglich starken Husten. 5. Ein alter Hund (Pinscher) erkrankte nach 50 g unter Erbrechen, Diarrhöe, Kolik und Schwäche. 6. Ein Huhn wurde den ganzen Sommer mit Schrot gefüttert, das zu 44 Proz. aus Rade bestand, ohne zu erkranken. 7. Vier Kaninchen wurden ½ Jahr ausschliesslich mit radehaltigem Schrot (25–44proz.) gefüttert; sie zeigten anfangs Nasenkatarrh und Niesen, das sich allmählich verlor; sonst traten keine krankhaften Erscheinungen ein. — 2 junge Pferde zeigten nach der Aufnahme von Rade starkes Speicheln, Zähneknirschen, Kolik, Kollern im Leibe, übelriechende Diarrhöe, Zittern und Steifigkeit (Contamine, Annal. de Bruxelles 1885). — Ein Pferd, welches mit dem Hafer grössere Mengen von Radesamen aufgenommen hatte, starb unter den Erscheinungen einer dumpfen Kolik, sowie grosser, zunehmender Schwäche (Déchet, Revue vétér. 1886). — Ein Versuchspferd erhielt 120 g Rademehl und am Tag darauf 1 Pfund Radebrot. Am nächsten Tag zeigte es Appetitlosigkeit, Schlingbeschwerden, Traurigkeit und Betäubung, indem es z. B. wie ein dummkolleriges Pferd Futter im Maule behielt, ohne zu kauen; am Tag darauf hatte es sich wieder vollständig erholt (Röll, Oesterr. Vierteljahrsschr. Bd. 11). — Nach Lehmann und Mori (Arch. f. Hyg. 1889) sind von allen Tieren die Nagetiere gegen Kornrade am wenigsten empfindlich; ein Kaninchen erhielt z. B. in 7 Tagen 105 g Radepulver, ohne zu erkranken. — Sturm[S. 207] (Wiener landw. Zeitung 1889) fütterte jahrelang 2–3 kg reines Radeschrot an Mastkühe und Ochsen ohne Schaden, desgleichen Meissl (ibid.) an Schweine monatelang bis 500 g pro Stück und Tag. — 7 Hunde zeigten nach dem Eingeben von Rademehl Unruhe, Erbrechen und Schlingbeschwerden; bei der Sektion wurden Schwellung und Rötung der Rachen- und Magenschleimhaut festgestellt (Pillwax und Müller, ibid.). — Ein 19 Pfund schweres Versuchsschwein starb nach der täglichen Verfütterung von 20–100 g Rade neben anderem Futter nach 14 Tagen; ein anderes, 25 Pfund schweres Schwein verzehrte allmählich bis 350 g Rade, blieb aber gesund. Eine Ziege starb nach 3wöchentlicher täglicher Verfütterung von 300–500 g Rade neben Heu. Die Sektion ergab starke Darmentzündung, sowie Exsudation im Rückenmarkskanal (Ulrich, Bad. Mitt. 1882). — Ein mit Rademehl vergifteter Hund zeigte Unruhe, Erbrechen, Schlingbeschwerden, Mattigkeit, Abstumpfung und Betäubung; bei der Sektion fand man verschiedengradige, selbst kruppöse Entzündung der Schleimhaut der Rachenhöhle, des Schlundes, des Magens, Dünndarms, Dickdarms und Mastdarms, sowie des Kehlkopfes, Gehirnhyperämie und Hydrocephalus acutus internus (Röll, l. c.). — Eine Massenerkrankung von Saugkälbern (Gastroenteritis) nach Verfütterung radehaltigen Mehls hat Tabourin (Recueil 1876) beschrieben. Fütterungsversuche bei 4 Kälbern ergaben Unruhe, Zähneknirschen, Speicheln, Durchfall und Koma. Bei der Sektion wurde Entzündung des Schlundkopfs, sowie heftige Entzündung des Labmagens festgestellt. — Nach Viborgs Versuchen erkrankte ein Hund von 60 g Rademehl, genas aber wieder; ein Hund starb nach 30 g. — Stier (Berl. tierärztl. Wochenschr. 1893, Nr. 51) beschreibt eine Kornradevergiftung bei 48 Mastschweinen infolge Verfütterung von radehaltigem (6proz.) Roggenschrot. Die Haut der Tiere war wie besät mit nadelkopf- bis zehnpfennigstückgrossen Hämorrhagien; die Schweine zeigten ferner Taumeln und Schwanken, Benommenheit des Sensoriums, Blutbrechen, Geifern, Dyspnoe, Heiserkeit, dunkelroten bis teerschwarzen Harn, Dysurie, sowie Schlingbeschwerden. — Monin (Petersb. landwirtsch. Zeitung 1889) fütterte 6 schwache, magere Schafe täglich mit ¼-1 kg Rade, so dass jedes Schaf im Laufe eines Monats etwa 20 g Rade erhielt; die Tiere wurden nicht nur nicht krank, sondern ihr Nährzustand besserte sich bedeutend. — Nach Kruskal (Arb. d. pharmakol. Instituts zu Dorpat 1891) starben Hähne an Darmentzündung, wenn 21–37 g Rademehl pro kg in den Magen eingeführt wurden. Katzen starben bei unterbundenem Schlund nach 0,16 g Sapotoxin pro kg; ein Kaninchen erkrankte dagegen nicht, als es in zehn Tagen 150 g Rademehl erhalten hatte. — Kornrauch (Oesterr. Monatsschr. 1894, S. 489) berichtete über Fütterungsversuche der Wiener landwirtschaftlichen Station bei 3 Schweinen, welche 40–70proz. Radefutter ohne Schaden ertrugen, und bezeichnet sogar das Radefutter als Mastfutter. — Nach Pourquier (Revue vét. 1895) ist die Kornrade ein gutes Futtermittel für Schafe; ein Schäfer verfütterte allein in einem Winter 3800 kg Radesamen. — Perussel (J. de Lyon 1895) beobachtete akute Radevergiftung bei Pferden und Mastochsen, welch letztere täglich 5 kg 80proz. Rademehl erhielten. Die Erscheinungen bestanden in Appetitstörung, Aufhören des Wiederkauens, Kolik, Diarrhöe, Unvermögen zu schlingen, Koma und Dekubitus; die Sektion ergab Enteritis. — Nach der Verfütterung radehaltiger Kleie erkrankte eine Mutterstute mitsamt dem saugenden Fohlen an Magendarmkatarrh (Schultz, Berl. Arch. 1897). — Sabatzky (ibid. 1898) berichtet über eine Vergiftung bei Schweinen, welche radehaltige (50proz.) Roggenkleie gefüttert erhalten hatten. Die Erkrankung trat 14 Tage nach dem Beginn der Fütterung zuerst bei den Ferkeln auf, dann auch bei den älteren Schweinen. Die Erscheinungen bestanden in Appetitlosigkeit, Schwellungen am Halse und Lähmung. Die Sektion ergab Gastroenteritis. 20 Schweine verendeten, 8 wurden notgeschlachtet. — Peter (ibid. 1899) sah auf einem Gute 17 Lämmer und einige ältere Schafe, welche mit kornradehaltigen (50proz.) Mühleabfällen gefüttert wurden, unter Gleichgewichtsstörungen, Krämpfen und Speicheln erkranken. — Brummel (Veterinarius 1900) beobachtete bei einem 5jährigen Pferd nach der Aufnahme grösserer Mengen von Kornrade Steifheit der Gliedmassen, Taumeln, Trismus und Schlingbeschwerden. — Hagemann (Bericht an den preuss. Landwirtschaftsminister und Landw. Jahrb. 1903) hat durch Fütterungsversuche nachgewiesen, dass die Verfütterung von kornradehaltigem Futter,[S. 208] wie es im Betriebe des Müllereigewerbes gewonnen wird, bei unseren Haustieren keine Vergiftung hervorruft. Milchkühe gaben nach Kornradeverfütterung Milch mit einem minderwertigen Fette von anormaler Beschaffenheit. Hühner und Gänse starben dagegen an Durchfall und Darmentzündung in 24 Stunden, wenn sie 1,5 g bezw. 3–5 g Sapotoxin erhielten. — Kronacher (Woch. f. Tierh. 1900) sah bei drei Kühen nach der Verfütterung von radehaltigem Haferschrot Appetitlosigkeit, Stöhnen, Husten und Speicheln; 1 Kuh verendete, 2 wurden notgeschlachtet. — Lohmann (Z. f. öff. Chemie 1903) studierte die Giftigkeit des Saponins für den Menschen (Schaumweine, Brauselimonaden) an Kaninchen und fand, dass sie sehr grosse Dosen ohne Schaden ertrugen (0,5–7 g Saponin per Tag). — Gips und Ruthe (Berl. Arch. 22. Bd.) sahen angeblich Pferde an Kornradevergiftung sterben (Taumeln, Benommenheit, Atembeschwerden). — Ludewig (Diätetik des Truppenpferdes 1904) sah bei Pferden nach der täglichen Fütterung von 300 g Radesamen Kolikerscheinungen und Lähmung des Sehnerven. — G. Müller (Sächs. Jahresber. 1905) glaubt, dass beim Geflügel in der Praxis Radevergiftungen nicht vorkommen, weil die Samen nicht freiwillig gefressen werden. Hühner zeigten nach der Einverleibung von 5–10 g Samen nichts, nach 20 g leichte Krankheitserscheinungen, nach 30 g Samen schwere Erkrankung und Tod (hochgradige Atemnot, Speicheln, Rasseln, Blaufärbung des Kammes, Tod nach 7–14 Stunden); die Sektion ergab Aetzstellen im Kropf und Drüsenmagen. Tauben zeigten nach 1Otägiger Verabreichung von je 1 g Radesamen nichts, starben aber nach einer Dosis von 2,5 g; die Sektion ergab nekrotisierende Entzündung der Kropfschleimhaut. — Nach Steinbrenner (Woch. f. T. 1908) erkrankten bei einem Müller 2 Kühe an Kornradevergiftung. Das verfütterte, sogenannte Tripplo war Schrot von den Kornrückständen, von Unkrautsamen, vorherrschend Kornrade. Das Krankheitsbild bestand in Lähmung und Eingenommenheit des Sensoriums. Die eine Kuh entleerte breiigen Kot, bei der andern bestand Verstopfung mit hochgradiger Tympanitis, die zu dreimaligem Troikarieren Anlass gab. Die eine Kuh verendete an Magendarmentzündung, bei der anderen blieb eine Lähmung zurück; die Kuh wurde schliesslich wegen Dekubitalgangrän getötet. — Albrecht (ibid. 1907 u. 1908) fand bei seinen Versuchen, dass Hühner trotz grosser Mengen eingegebener Radesamen nicht erkrankten, und schliesst daraus, dass das Huhn offenbar die giftige Substanz der Radesamen in seinem Verdauungsapparat zu zerlegen und unschädlich zu machen imstande ist. Auch die Versuche mit Ziegen fielen negativ aus. Eine trächtige Ziege erhielt wochenlang täglich 100–150 g geschrotenen Radesamen, ohne zu erkranken. Auch bei gleichzeitiger Verabreichung von hartem, die Darmschleimhaut mechanisch reizendem Stroh frass die Ziege im ganzen 2¼ kg Radeschrot, ohne zu erkranken. Die gleichzeitige Verabreichung von Abführmitteln (Natriumsulfat) löste ebenfalls keine Erkrankung aus, trotzdem 6 kg Radesamen innerhalb 21 Tagen verabreicht wurden (auch Abortus trat nicht ein). Bezüglich der in der Literatur mitgeteilten widersprechenden Ergebnisse der Radefütterung schliesst sich Albrecht der Meinung von Pott (Handbuch der tierischen Ernährung 1907) an, dass nicht alle Radesamen giftig bezw. gleich giftig sind, und dass der Giftgehalt möglicherweise wie bei den Lupinen durch besondere, nicht bekannte Ursachen bedingt wird (Befallungspilze?). — Brandl hat bei seinen Versuchen über das Sapotoxin von Agrostemma Githago (Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. 1906 u. 1908) festgestellt, dass dasselbe zu Sapogenin und Zucker zerfällt, und dass dem Sapogenin eine ähnliche, wenn auch etwas geringere Giftwirkung zukommt, wie dem Sapotoxin; ausserdem enthalten die Radesamen eine zweite, gleichgiftige Saponinsubstanz, die Agrostemmasäure. Die angestellten Fütterungsversuche ergaben folgendes: 1. Hühner und Tauben nahmen Radesamen aus einem gemischten Körnerfutter freiwillig niemals auf, und verschmähten auch Futter, das mit Rademehl bestäubt war. Absichtlich beigebrachtes Rademehl erzeugte bei Tauben schon in der geringen Menge von 2–3 g, bei Hühnern von 3–8 g eine deutliche Vergiftung; 10 g pro kg Taube und 15 g pro kg Huhn wirkten nach 2–3 Tagen tödlich. Die Vergiftungserscheinungen bestanden in Erbrechen, Speichelfluss, Appetitlosigkeit, Durchfällen, Taumeln und Lähmung. Dasselbe Krankheitsbild entstand nach der Einverleibung von Agrostemma-Sapotoxin und Agrostemmasäure; dabei hatte es den Anschein, als ob sich die Tiere an gewisse[S. 209] Mengen dieser Gifte gewöhnten. 2. Hunde zeigten von 0,05–0,08 Sapotoxin ab Erbrechen und Durchfall. 3. Schweine verschmähten anfangs Futter, dem 20 g Kornrademehl beigemengt war, nahmen es aber dann, als es mit Wasser angerührt war. Die tägliche Verabreichung von 50–100 g Rademehl erzeugten bei einem Schwein heftiges Erbrechen und starken Durchfall; ein anderes Schwein erhielt in 82 Tagen 6⅓ kg Rademehl und nahm dabei um 3 kg an Körpergewicht zu; wenn die tägliche Dosis auf 100–125 g gesteigert wurde, stellte sich Erbrechen, Husten und Appetitlosigkeit ein. Nach der Verabreichung von 18 g Sapotoxin zeigte ein 18 kg schweres Schwein Würgen und Erbrechen und starb an Gastroenteritis und Hämolyse. 4. Kaninchen erkrankten erst, wenn 12 g Kornrademehl = 0,45 g Sapotoxin pro kg einverleibt wurden. 15–17 g Kornrademehl pro kg wirkten nach 15–12 Stunden tödlich (Durchfall, Magendarmentzündung). Danach ertragen Kaninchen viel grössere Mengen von Kornrade, als Schweine und Geflügel (Verhältnis 3 : 2: 1); um Krankheitserscheinungen hervorzurufen, braucht man pro kg Körpergewicht bei Kaninchen 12 g, bei Schweinen 7–9 g, bei Hühnern und Tauben 4–5 g Kornrade. 5. Ein Pferd, welches in 2 Tagen 100 g Sapotoxin = 1400 g Rademehl erhalten hatte, zeigte keine Krankheitserscheinung, desgleichen nicht ein Rind, das 50 und 90 g Sapotoxin, sowie in 14 Tagen 4⅓ kg Rademehl erhalten hatte. Für grosse Haustiere ist danach Futter mit einem Gehalt von 5–12 Proz. Kornrade, wie es im normalen Betrieb des Müllereigewerbes gewonnen wird, wahrscheinlich gefahrlos. — Nach Neumayer (ibid. 1908) beruht die hämolytische Wirkung des Sapotoxins auf das Blut auf einer direkten Schädigung der roten Blutkörperchen an der Oberfläche (Zellgift); im Verdauungsapparat erzeugt es akute Geschwürsbildung. — Holterbach (Berl. tierärztl. Woch. 1909) beobachtete bei einem 8 Wochen alten Kalbe nach der Aufnahme von radehaltigem (10 Proz.) Roggen Mattigkeit, Durchfall, Taumeln, Lähmung, Polyurie und Konjunktivitis.
Botanisches. Die Kichererbse, Cicer arietinum (Lathyrus cicer), ist eine einjährige Hülsenfrucht (Familie Papilionazeen, Unterfamilie Vizieen) mit roten, achselständigen Blüten und zweisamigen Hülsen, sowie unpaar gefiederten, 13–17jochigen Blättern und ovalen, gesägten Blättchen. Die Samen sind rundlich höckerig, über erbsengross, an den Widderkopf erinnernd („arietinum“). Mikroskopisch sind die Samen charakterisiert durch die ungleiche Länge der Palisadenzellen, welche in ihrem mittleren Teile dünnhäutig sind. Die ebenfalls zuweilen giftige Platterbse, Lathyrus sativus, welche im südlichen Europa zur Brotbereitung gebaut wird, hat kantige, beilförmige, glatte Samen, eine zweiflügelige Hülse, weissrosafarbige oder blaue Blüten, einpaarig gefiederte Blätter, sowie einen geflügelten Stengel. Aehnlich giftig wirkt zuweilen die schwarze italienische Wicke, Lathyrus Clymenum, die Paternostererbse und die Luzerne. Lathyrus cicer und sativus sollen vor der Samenbildung unschädlich sein, während Lathyrus Clymenum stets giftig wirken soll.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Kichererbsen enthalten einen seiner genaueren Natur nach bisher noch unbekannten Giftstoff, welcher zu gewissen nervösen Organen ganz spezifische Beziehungen hat, und zwar in erster Linie zu denjenigen des Kehlkopfes (N. recurrens) und zum Rückenmark. Werden Kichererbsen Pferden längere Zeit hindurch verfüttert, so erkranken dieselben[S. 210] zunächst unter dem Bild des Kehlkopfpfeifens. Daneben gehen die Erscheinungen einer chronischen Rückenmarksentzündung einher. Die Tiere sind zunächst sehr schreckhaft und aufgeregt und zeigen im weiteren Verlauf die Symptome einer spinalen Lähmung sowohl motorischer als sensibler Art, welche namentlich zuerst die hinteren Extremitäten in Form von Kreuzschwäche befällt (transversale Myelitis mit motorischer und sensibler Paraplegie), und sich zunächst durch einen schwankenden Gang bemerkbar macht. Im Stande der Ruhe erscheinen die Tiere meist vollständig gesund, indem sie die Erscheinungen des Rohrens, sowie die Rückenmarkslähmung erst bei der Bewegung erkennen lassen; namentlich ist auch der Appetit gewöhnlich unverändert. Manche Pferde zeigen jedoch auch im Stall ein weiteres charakteristisches Symptom des Lathyrismus, nämlich eine auffallende Beschleunigung des Pulses (beginnende Lähmung des Vaguszentrums), welche sich bei der Bewegung zu ausgeprägtem Herzklopfen steigert. Der Tod erfolgt meist erst nach monatelanger Krankheitsdauer unter den Erscheinungen der Erstickung. Das Vergiftungsbild bei Rindern ist ähnlich, es fehlen jedoch die Erscheinungen des Kehlkopfpfeifens.
Bei der Sektion findet man in vorgeschritteneren Stadien der Krankheit eine Atrophie und Verfettung der Kehlkopfmuskeln (Stimmritzenerweiterer), sowie degenerative Zustände in den Ganglienzellen der Vorderstränge des Rückenmarkes und des Vaguskerns.
Die Behandlung besteht neben Aenderung der Fütterung in der Vornahme der Tracheotomie, wodurch die Pferde wieder arbeitsfähig gemacht werden können, in der Verabreichung von Strychnin (0,05–0,1 subkutan für Pferde), sowie in der Anwendung reizender Einreibungen in der Kreuzgegend. Ausserdem ist Weidegang anzuempfehlen.
Kasuistik. Zwölf Arbeitspferde, welche ein Vierteljahr hindurch täglich 8 Pfd. Kichererbsenheu erhalten hatten, zeigten nach dem Aussetzen dieses Futters die Erscheinungen der Rückenmarkslähmung und Hartschnaufigkeit. 4 starben; die übrigen wurden durch die Vornahme der Tracheotomie wieder hergestellt (Lenglen, Recueil 1860). — 35 Zugpferde erkrankten nach der Fütterung der Gemüseblatterbse (Lathyrus sativus); 19 starben, 2 mussten getötet werden, nur 14 genasen. Die Pferde erschienen im Stande der Ruhe bis auf das Vorhandensein einer Pulsbeschleunigung gesund, insbesondere war der Appetit ungestört; dagegen schwankten sie im Gehen und zeigten bei der Bewegung im Freien, besonders in kalter, windiger Luft, Atemnot und Röcheln, sowie Bluthusten, einige starben apoplektisch. Die Behandlung bestand in der Vornahme der Tracheotomie, Verordnung von Laxantien und Einreibungen auf den Kehlkopf, sowie in Anordnung des Weidegangs. Bei der Sektion fand sich in einem Fall Schwund der[S. 211] M. cricoarytaen. post. und lateral. und des M. thyreoarytaen.; der linke Rekurrens war ferner auffallend dünn; die mikroskopische Untersuchung der Muskeln ergab das Bild der Atrophie. In drei anderen Fällen zeigten die Kehlkopfmuskeln mit Ausnahme des M. crico-thyreoideus Verlust der Querstreifung und Verfettung; ausserdem fand man Atrophie der Ganglienzellen im Vaguskern, sowie Atrophie der multipolaren Ganglienzellen in den Vorderhörnern des Rückenmarks (Leather, The veter. journ. 1885). — Von 17 mit dem Samen von Lathyrus sativus gefütterten Pferden erkrankten plötzlich 6 an so hochgradigem Kehlkopfpfeifen, dass 2 erstickten und die übrigen dem Erstickungstod nahe waren (Lies, B. Th. W. 1895). 2 schwere Arbeitspferde erkrankten nach monatelangem Genuss kleiner Mengen (46 kg insgesamt) Platterbsen an Kehlkopfpfeifen (Call, The Vet., Bd. 63). — 7 Kühe, welche auf einem mit Lathyrus clymenum und alatum bepflanzten Acker frei weideten, zeigten bei vollkommen erhaltener Fresslust und fieberlosem Zustand motorische und sensible Lähmung der hinteren Gliedmassen, Unvermögen aufzustehen und tonisch-klonische Krämpfe (Alessandro, Mod. Zooj. 1892). — Kühe, welche einen Monat lang ausschliesslich mit Lathyrus clymenum gefüttert wurden, zeigten Verminderung und schliesslich Sistierung der Milchsekretion, Schläfrigkeit, ataktische Bewegungen der Hinterhand und schliesslich vollständige Lähmung derselben; Rohren fehlte. Der Tod trat gewöhnlich eine Woche nach dem Auftreten der Lähmung ein. Die Lähmung stellte sich zuweilen noch 14 Tage nach dem Aufhören der Lathyrusfütterung ein. Die Sektion ergab Hyperämie und entzündliche Infiltration im Lendenmark (Perrussel, Recueil 1896). — Von 16 mit Lathyrus clymenum gefütterten Kühen erkrankten 5 unter den Erscheinungen von Stumpfsinn, Lähmung, Kau- und Schlingbeschwerden, Amaurose und Anästhesie (Lucet, Recueil 1898). — Mehrere Pferde, welche täglich 3 Pfd. Platterbsen erhielten, erkrankten an Lathyrismus. 3 stürzten unter den Erscheinungen der grössten Atemnot vor einem leichten Wagen nieder und mussten geschlachtet werden. Die übrigen zeigten schwankenden Gang, sowie pfeifendes Atmungsgeräusch und hochgradige Atemnot bei der Bewegung. Die Obduktion ergab schwarzrote Farbe und blutige Durchtränkung der gesamten Halsmuskulatur mit markstückgrossen Blutherden, dunkelrote Färbung sämtlicher Kehlkopfmuskeln, sowie der Kehlkopf- und Trachealschleimhaut (Vollers, Schleswig-Holstein. Mitt. 1896). — Aehnliche Fälle von Lähmung hat Braasch (ibid. 1895) nach der Verfütterung der russischen Zahnerbse bei 14 Pferden beobachtet. — Mulotte, (D. T. W. 1893) konstatierte Kehlkopfpfeifen bei Pferden nach der Verfütterung von Luzerner Kleeheu. — Nach Schuchardt (Deutsche Zeitschr. f. Tiermed. 1892) ist auch die sog. Lokokrankheit (Loco Disease) der Pferde und des Rindviehes auf den Hochsteppen im Innern von Nordamerika als Lathyrismus aufzufassen, der durch die Aufnahme verschiedener Leguminosen, namentlich von Astragalus mollissimus, bedingt wird. — Ein 230 kg schweres, gesundes Versuchspferd erhielt im Verlauf von 2 Monaten 136 kg Mehl aus den Samen von Lathyrus sativus. Nach etwa 14 Tagen zeigte es eine Steigerung der Pulsfrequenz auf 45, am 30. Tag erschien es etwas reizbarer, die Hinterbeine waren steif, über den ganzen Körper traten Muskelzuckungen auf, namentlich im Verlauf der Kruppenmuskeln und an der Schulter, im Hinterteil war geringgradige Kreuzschwäche zu bemerken, der Schweif wurde fortwährend zitternd hin und her bewegt. Einige Tage darauf nahm das Schwanken im Kreuz zu; dagegen wurden abnorme Atmungsgeräusche im Trab nicht bemerkt. Nach dem Aufhören der Fütterung verschwanden alle Krankheitserscheinungen (Agonigi, Il nuovo Ercolani 1900). — Vergiftungen durch Platterbsen, Lathyrus sativus, bei Pferden (Kehlkopfpfeifen, schwankender Gang) sind von Leather (Vet. journ. 1885), Call (The Vet. 1890), Lies (B. T. W. 1895), Vollers (Schleswig-Holst. Mitt. 1896) u. a. beschrieben worden. — Ueber Lathyrismus beim Menschen vgl. Schuchardt, Deutsches Archiv f. klin. Medizin 1887 u. 1888, Bd. 40.
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Botanisches. Der Eibenbaum, Taxus baccata (Konifere), welcher in bergigen Gegenden Deutschlands wild vorkommt, wird häufig in Gärten als Zierpflanze und in Hecken (Taxushecken) kultiviert. Er wächst teils als Strauch, teils als Baum (bis 10 m hoch) und ist durch seine immergrünen, oben dunkelgrünen, unten hellgrünen, länglich breiten, spitzen, steifen Nadeln, seine rotbraunen Aeste, sowie seine scharlachroten Beeren gekennzeichnet, welche violette Samen einschliessen. Der Eibenbaum enthält namentlich in den Nadeln einen scharf reizenden Stoff (Ameisensäure), sowie ein narkotisch wirkendes Alkaloid, das Taxin. Vergiftungen sind bei allen Haustieren beobachtet worden. Dieselben ereignen sich nach dem Abweiden von Taxushecken und Taxuszierpflanzen in Gärten, Parken und Schlossanlagen, nach der Aufnahme von Taxusblättern mit der Streu, in Girlanden etc. Einen ähnlichen, vielleicht denselben Giftstoff enthalten die Nadelhölzer der Gattung Cephalotaxus, welche jedoch 6mal weniger giftig sind, als die Eibe. Die Ansicht, dass die Zweige des weiblichen Eibenbaumes nicht giftig sein sollen, ist unrichtig; nur die hellgrünen Winternadeln der Eibe sind bis zum Zeitpunkt ihrer Dunkelgrünfärbung ungiftig (Cornevin, Journal de Lyon 1891 u. 1893).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Der Eibenbaum ist eines der ältesten bekannten Gifte, welches wegen der Schnelligkeit und Gefährlichkeit seiner Wirkung von jeher sehr gefürchtet war. Pferde und Schafe sterben sehr rasch, meistens schon innerhalb einer Stunde, nach der Aufnahme von 100–200 g, Rinder nach etwa 500 g, Schweine nach 75 g, Hunde und Hühner nach 30 g Taxusblättern. Je nachdem das narkotisch wirkende Taxin oder die in den Nadeln enthaltene scharfe Substanz mehr zur Wirkung gelangt, ist das Vergiftungsbild ein anderes. Tritt die Taxinwirkung in den Vordergrund, so stürzen die Tiere oft schon wenige Minuten nach der Aufnahme der Taxusblätter apoplektiform zusammen, oder sie verenden im Verlauf einer Viertelstunde bis einer Stunde unter Taumeln, Brüllen, Zusammenstürzen und Konvulsionen. Kommt jedoch gleichzeitig infolge langsamerer Resorption des Taxins auch die scharf reizende Wirkung der Taxusblätter zur Geltung, so kompliziert sich das Krankheitsbild der reinen Taxinvergiftung mit dem der Gastroenteritis, und der Verlauf verlängert sich auf mehrere Stunden bis einige Tage. Die Tiere zeigen dann zunächst Würgen, Erbrechen, Speicheln, Schäumen, Verstopfung, Tympanitis, Polyurie, Hämaturie, Strangurie (Symptome einer Nephritis und Zystitis), und als Ausdruck der Taxinwirkung Schwindel, Betäubung, Zittern, Schwanken, Zusammenstürzen und Konvulsionen.
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Bei der Sektion findet man in den Fällen von apoplektiformem Verlauf nichts Charakteristisches; bei längerer Krankheitsdauer beobachtet man die Erscheinungen der Magen- und Darmentzündung, Gehirnhyperämie und Gehirnödem.
Die Behandlung ist eine symptomatische; man verabreicht Abführmittel, einhüllende und exzitierende Mittel, sowie als chemisches Gegengift Lugolsche Lösung. Beim Rind kann man auch den Pansenschnitt und im Anschluss daran die manuelle Entleerung der Blätter versuchen.
Der Nachweis der Vergiftung ist im wesentlichen ein botanischer (Nachweis der grünen Nadeln); es ist deshalb der chemische Nachweis des Taxins (Extraktion nach der Stas-Ottoschen Methode mit Chloroform, Rotfärbung mit konzentrierter Schwefelsäure) meist überflüssig.
Kasuistik. 6 junge Rinder erkrankten nach der Aufnahme von Taxusblättern. Eines derselben starb apoplektisch unter Konvulsionen und lautem Brüllen, ein zweites nach 4 Tagen. Die übrigen genasen nach 8 Tagen. Die Erscheinungen bestanden in Erbrechen, Tympanitis, Verstopfung, Polyurie, Strangurie, Hämaturie, sowie allgemeinem Sopor (De Bruin, Holländ. Zeitschr. 1883). — 4 Rinder drehten sich nach der Aufnahme von Taxusblättern plötzlich im Kreis, taumelten und fielen in wenigen Minuten tot nieder (Read, The Veterinarian 1844). — 5 Fohlen weideten auf einem Platz, welcher mit einer Taxushecke eingefasst war. 2 derselben starben plötzlich. Die übrigen zeigten Zittern, Muskelzuckungen, Verlangsamung des Pulses, unfühlbaren Herzschlag, Schwanken, Abstumpfung, Unempfindlichkeit, Polyurie, Strangurie etc., von Zeit zu Zeit fielen sie wie tote Körper um. Bei der Sektion der krepierten Tiere fand man Zweige und Blätter des Eibenbaumes im Magen, die Magendarmschleimhaut dunkel gerötet, im Dickdarm linsengrosse rote Flecken, den Darminhalt blutig, die Gehirnhäute stark hyperämisch (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Eine Schafherde hatte Eibenbaumblätter gefressen. Mehrere Tiere wankten, taumelten, fielen um, stöhnten, verdrehten die Augen und schlugen mit dem Kopf gegen den Boden. Nach etwa einer Viertelstunde standen die Tiere wieder auf und fingen wieder an zu fressen. Nach 1–3 Stunden wiederholte sich derselbe Anfall, bei einigen war derselbe sogar ein drittes Mal zu beobachten (Mönch, ibidem). — Dewez (Belg. Annal.) sah nach Aufnahme von Eibenblättern Meteorismus, Harnzwang, blutigen Harn, Nephritis, Hyperämie der Scheidenschleimhaut und tödliches Koma. — Hess (Repertorium 1889) beobachtete bei zwei Pferden 2 Stunden nach dem Fressen von Eibenblättern plötzlich auffallend schwere Erkrankung und apoplektiformen Tod; die Sektion ergab gastroenteritische Erscheinungen. — 3 Rinder frassen in der Nacht von Eibenkränzen, welche abends als Streu verwendet waren, und krepierten sämtliche zwischen 4 und 5 Uhr morgens unter Zittern, Brüllen und Zusammenstürzen. Bei der Sektion fand man die Labmagenschleimhaut fleckig kirschrot gefärbt und geschwollen, die Schleimhaut des Pansens und der Haube stellenweise dunkelrot, die Dünndarmschleimhaut streifig gerötet (Hable, Oesterr. Zeitschr. 1889). — 6 Rinder, welche bereits faulende Eibenbaumblätter gefressen hatten, fielen plötzlich um und starben in kurzer Zeit unter Krämpfen ähnlich wie bei der Blausäurevergiftung (Wallis Hoare, Vet. Record 1893). — 2 Kühe starben nach der Aufnahme von Taxusblättern unter den Erscheinungen von Schwindel, Zittern und Herzschwäche; bei der Sektion fand man Ekchymosierung der Schleimhaut im Schlund, Magen und Darm (Kegelaer, Holl. Zeitschr. 1894). — Innerhalb 2 Tagen verendeten 6 Kühe eines Besitzers ohne vorhergegangene auffallende Krankheitserscheinungen ganz[S. 214] plötzlich nach kurzem Taumeln und Zusammenstürzen unter Brüllen, nachdem sie den Abfall geschnittener Taxusbäume gefüttert erhalten hatten (Arndt, Berl. Arch. 1895). — 2 Ziegen erkrankten nach dem Fressen von Taxusblättern unter starkem Aufblähen, Schwanken, Taumeln und Schlafsucht; eine derselben wurde durch den Pansenstich und Einbringen von Kognak und Glaubersalz in den Pansen geheilt (Schüler, Zeitschr. f. Veterinärkunde 1898). — Die Pferde eines ganzen Zuges französischer Kürassiere (24 Stück) frassen im Jahr 1870 im Park von Pange von den Zweigen des Eibenbaumes und starben sämtlich apoplektiform mit Ausnahme zweier Pferde, welche wegen Uebermüdung die Futteraufnahme versagt hatten (Lorenz, Zeitschr. f. Vetkde. 1901 S. 7). — Ein kräftiges Arbeitspferd starb nach der Aufnahme von 139 g Eibenblätter schnell unter Taumeln, lautem, löwenähnlichem Gebrüll und tetanischen Krämpfen; ein 2jähriges Fohlen starb nach dem Fressen von 110 g der Blätter im Verlauf von 10 Minuten unter Niederstürzen und betäubendem Gebrüll (ibidem). — 2 Fohlen zeigten nach der Aufnahme von Taxusblättern Schwanken, stieren Blick und Schweissausbruch; eins starb, die Sektion ergab purpurrote Flecken auf der Magen- und Darmschleimhaut (Phail, Vet. journ. 1900). — 2 Ziegen hatten eine alte Girlande aufgefressen und zeigten starke Aufblähung, Taumeln, sowie Schlafsucht. Die eine wurde notgeschlachtet, die andere durch den Pansenstich und Abführmittel gerettet (B. T. W. 1900). — Giancola (Giorn. soc. vet. 1901) hat das Taxusgift in Form spiessiger Kristalle isoliert. — Graham (Journ. of comp. 1903) beschreibt einen Vergiftungsfall beim Pfau und Schwein. — 2 Pferde starben, nachdem sie reichlich Taxusblätter in einem Park gefressen hatten; bei der Sektion war der Schlund gelähmt und mit Futter wurstartig gefüllt, das Blut erinnerte an Blausäurevergiftung (Preuss. Vet. Ber. 1904). — 2 Rinder, welche nur eine Handvoll Nadeln und Zweige gefressen hatten, zeigten Zittern, Taumeln, Lähmung, wiederholtes Zusammenstürzen, Tympanitis und Harndrang (Grimme, ibid. 1906; D. T. W. 1907). — 35 Ferkel wurden in eine Bucht getrieben, in der abgeschnittene Taxusäste lagen. Nach 6 Stunden war 1 Tier tot, 12 andere waren schwer erkrankt; sie zeigten Taumeln, schwankenden Gang, lagen am Boden, zitterten und zeigten Zuckungen am Kopf; nach weiteren 6 Stunden starben noch 2 Tiere (Migge, Preuss. Vet. Ber. pro 1907). — Experimentelle Versuche mit Taxusblättern sind in grosser Zahl von Viborg, Havemann und Orfila gemacht worden.
Botanisches. Der aus dem Orient stammende Buchsbaum oder Splintbaum, Buxus sempervirens, aus der Familie der Euphorbiazeen, kommt in Süd- und Mitteleuropa bis Thüringen wild vor und wird in Gärten zur Einfassung von Wegen kultiviert. Sein Holz wird zu Holzschnitten und Drechslerarbeiten verwendet. Der Buchsbaum hat sehr charakteristische Blätter. Dieselben sind lederartig, immergrün, oben glänzend, unten heller, länglich eiförmig bis rundlich, kurzgestielt, an der Spitze stumpf oder ausgerandet, mit einem oberseits hervorragenden Mediannerven und zahlreichen zarten, randläufigen Seitennerven versehen; sie lassen sich leicht in eine obere und untere Blattschicht trennen. Sie enthalten 3 Alkaloide: das Buxin, Parabuxin und Buxinidin, sowie ein bitteres Harz. Hauptalkaloid ist das Buxin, ein weisses, lockeres, amorphes, sehr bitteres Pulver, welches mit Bebeerin, Pelosin und Bibirin identisch ist.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Buxin ist in seiner Wirkung mit dem Taxin nahe verwandt. Wie dieses besitzt es eine narkotische, die Nervenzentren lähmende, stark giftige Wirkung. Die Vergiftungserscheinungen bestehen in Schwindel, Betäubung,[S. 215] Schwanken, rauschartigem Zustand und enden meist sehr rasch unter Konvulsionen tödlich. Zuweilen komplizieren sie sich auch mit den Erscheinungen einer Gastroenteritis (Erbrechen, Kolik, Durchfall). Pferde sterben in kurzer Zeit nach der Aufnahme von 750 g Buchsbaumblättern unter dem Bild der Enteritis (Viborg). Hunde starben nach 0,8 Buxin nach vorausgegangenem Erbrechen, Durchfall, Zittern und Schwindel (Conzen). Einen Fall von Buxusvergiftung bei Schweinen hat Hübscher (Schweizer Archiv 1884) beschrieben. Die Tiere hatten abgeschorene Sprösslinge von Buchsbaumhecken als Streumaterial erhalten. Am andern Tag fand man ein Schwein tot im Stall, 3 andere starben gegen Mittag. Die Haupterscheinungen waren starker Durst, schwankender Gang, sowie ein rauschartiger Zustand. Purgieren wurde nicht beobachtet. Bei der Sektion fand man die Erscheinungen der Gastritis.
Die Behandlung der Buchsbaumvergiftung ist neben der Verabreichung von Brechmitteln und Abführmitteln eine symptomatische, exzitierende. Als Gegengift kann Tannin versucht werden.
Botanisches. Der rote Fingerhut, Digitalis purpurea (Skrophularinee), wächst wild in ganz Westeuropa bis Norwegen, besonders an lichten Stellen in Bergwäldern (Thüringen, Sachsen, Harz, Schwarzwald, Vogesen) auf Basalt, Porphyr und Sandstein. Dagegen kommt die Pflanze nicht vor in den Alpen, auf dem Jura und auf der schweizerischen Hochebene. Der rote Fingerhut ist eine zweijährige Pflanze, welche im ersten Jahr eine grosse Rosette mit bodenständigen Blättern bildet. Im zweiten Jahr treibt die Pflanze einen bis 2 m und darüber hohen, einfachen, stielrunden, samtartig graufilzigen Stengel. Die eiförmigen bis eilanzettlichen, zugespitzten, 5–20 cm langen, gekerbten Blätter sind unterseits graufilzig behaart und von einem reichen, kleinmaschigen Adernetz durchsetzt. Die traubigen Blüten zeigen 4 cm lange, hängende, hellpurpurrote, bauchige Glocken mit dunkelroten Flecken auf der Innenfläche.
Der rote Fingerhut enthält namentlich in den Blättern mehrere sehr giftige Glykoside und Bitterstoffe: das Digitoxin, Digitalin, Digitalein und Digitonin. Vergiftungen ereignen sich bei den Haustieren teils durch zu hohe Dosierung, teils durch den zufälligen Genuss der Pflanze (Waldheu, Zierpflanze).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Digitalisglykoside sind ausgesprochene Herzgifte. Sie erregen im ersten Stadium ihrer Wirkung den Vagus, das vasomotorische Zentrum und den Herzmuskel, wodurch die Herzaktion verlangsamt und der Blutdruck gesteigert wird. Im späteren Verlauf werden die genannten Organe gelähmt, was eine Beschleunigung des Pulses und ein Sinken[S. 216] des Blutdrucks zur Folge hat. Daneben besitzen sie eine leicht reizende Wirkung auf die Magen-Darmschleimhaut. Die Todesdosis der trockenen Digitalisblätter beträgt für Pferde durchschnittlich 25 g (= 100–200 g der frischen Blätter), für Hunde 5 g. Der Tod tritt auch ein, wenn diese Dosis innerhalb weniger Tage in Form kleinerer Gaben verabreicht wird. Viel weniger empfindlich gegen die Digitalisblätter sind die Wiederkäuer (Rinder, Schafe, Ziegen). Nach neueren Versuchen von Salvisberg ertrugen Kühe per os ohne jede Reaktion 120 g trockene Digitalisblätter, in 4 Tagen verabreicht, mithin das Vierfache der tödlichen Dosis für Pferde. Bei intravenöser Einverleibung eines Digitalisinfuses sind die Wiederkäuer jedoch ebenso empfindlich, wie andere Tiere. S. schliesst hieraus, dass im Magen der Wiederkäuer die Digitalisglykoside durch Zersetzung unwirksam werden und weist auf die unbefriedigenden Erfolge der innerlichen Digitalisbehandlung in der Bujatrik hin. — Das Digitoxin wirkt tödlich für die Katze bei 4 mg pro kg Körpergewicht, für den Hund bei 1,7 mg pro kg und das Kaninchen bei 3,5 mg pro kg.
Die Erscheinungen der Digitalisvergiftung sind bei Aufnahme der frischen oder getrockneten Blätter zunächst gastroenteritischer Natur: Speicheln, Würgen, Erbrechen, Kolik, heftiger Durchfall. Bald tritt jedoch die spezifische Herzwirkung deutlich in den Vordergrund. Die anfangs verlangsamte Herztätigkeit wird hochgradig beschleunigt, es besteht starkes Herzklopfen, die Herztöne sind sehr laut, von metallischem Klang, der anfangs übervolle Puls wird klein, unregelmässig und zuletzt unfühlbar. Die im Beginn beobachtete Aufregung (Gehirnhyperämie) macht später den Erscheinungen der Gehirnanämie (Blutdruckerniedrigung): Betäubung, Mattigkeit, Schwanken und selbst Lähmungszuständen Platz. Daneben beobachtet man Krampfzufälle, sowie Erscheinungen der Nierenreizung (Polyurie, Albuminurie, Strangurie).
Bei der Sektion findet man ausser Gastroenteritis und systolischer Herzlähmung meist nur suffokatorische Erscheinungen.
Behandlung. Ein spezifisches Gegengift gegen die Digitalisvergiftung gibt es nicht. Die Behandlung ist daher eine rein symptomatische. Namentlich sind Exzitantien für den Herzmuskel zu verabreichen, so Kampfer, Alkohol, Wein, Kaffee, Tee, Koffein, Atropin und Hyoszin. Ausserdem können gefässerweiternde[S. 217] Mittel (Amylnitrit, Nitroglyzerin) angewandt werden. Bei Rindern kann ferner der Pansenschnitt versucht werden. Allgemeine Antidote sind Tannin, Jodlösung und Tierkohle.
Nachweis. Botanisch lässt sich eine Digitalisvergiftung dann leicht nachweisen, wenn die Pflanze selbst aufgenommen wurde; charakteristisch ist insbesondere die filzige, samtartige Behaarung der Unterseite der Blätter, sowie das vielmaschige Adernetz derselben. Behufs des chemischen Nachweises der Digitalisglykoside müssen dieselben ähnlich wie die Alkaloide zuerst aus dem Magen- und Darminhalt extrahiert werden. Bei der Abscheidung der Digitalisglykoside aus Untersuchungsmaterial ist wie beim Kolchizin zu beachten, dass dieselben schon aus saurer Lösung durch Aether, Benzol, Chloroform oder Amylalkohol extrahierbar sind. Man nimmt gewöhnlich das Digitalin mit Benzol auf und schüttelt aus dem Benzolauszug das Digitalein mit Chloroform aus, worauf durch Verdunsten der betreffenden Lösungsmittel die Glykoside ziemlich rein erhalten werden. Bei dieser Abscheidung nach der Stasschen Methode durchtränkt man nach Dragendorff zweckmässig das Untersuchungsmaterial mit Eisessig und fügt dann behufs Extrahierens Wasser zu. Nach der Methode von Homolle, welche zur Abscheidung des französischen „Digitalins“ (in der Hauptsache aus Digitoxin bestehend) dient, wird zunächst der flüssige Teil des Untersuchungsmaterials von dem festen durch Kolieren getrennt, der feste Teil getrocknet, zerrieben und 2–3mal mit Alkohol ausgezogen. Der flüssige Teil wird mit Chloroform geschüttelt und der nach dem Verdunsten des Chloroforms bleibende Rückstand in Alkohol gelöst. Beide alkoholischen Flüssigkeiten werden gemischt, mit frisch gefälltem, noch feuchtem Bleioxydhydrat digeriert, abfiltriert, das Filtrat mit Tierkohle entfärbt, zur Sirupdicke verdunstet und anhaltend mit Chloroform geschüttelt. Hierauf wird das Chloroform abgetrennt, verdunstet und der Rückstand mit Alkohol von 50° versetzt. Nach dem Verdunsten des Alkohols bleibt das „Digitalin“ ziemlich rein zurück.
Die wichtigsten Einzelreaktionen des Digitalins sind: 1. Die physiologische Reaktion, welche darin besteht, dass einem Frosch eine Spur der Digitalinlösung unter die Haut gespritzt wird. Noch ein Milligramm erzeugt allmähliche Verlangsamung des Herzschlags und Tod durch Herzstillstand in der Systole. 2. Die Gelbgrünfärbung mit konzentrierter Salzsäure (Digitalin und[S. 218] Digitoxin). 3. Die Rot- oder Violettfärbung mit Uebergang in Smaragdgrün bei Wasserzusatz durch Schwefelsäure und Brom (Digitalin und Digitalein). 4. Die Grünbraunfärbung durch Schwefelsäure und Gallensäure (Digitalin, Digitalein, Digitonin). 6. Die Blaugrünfärbung durch Auflösung in einer Mischung gleicher Teile konzentrierter Schwefelsäure und Alkohol, Erwärmen bis zur Gelbfärbung und Zusatz eines Tropfens verdünnter Eisenchloridlösung.
Kasuistik. Ein Pferd, welchem ich innerhalb 24 Stunden 25 g getrocknete Digitalisblätter gab, starb nach Ablauf von 48 Stunden unter den oben beschriebenen Krankheitserscheinungen. Besonders charakteristisch war neben den kardialen Symptomen das Auftreten einer Lähmung der Unterlippe 10 Stunden vor dem Tod, wodurch der Kopf des Tieres eine ganz eigenartige Physiognomie erhielt. — 3 Pferde erkrankten nach dem Genuss von digitalishaltigem Klee, 2 davon starben. Die Erscheinungen bestanden in allgemeiner Aufregung, Kolik, fadenförmigem Puls, Taumeln, Zittern, grosser Schwäche des Hinterteils, Zuckungen, Koma und Umfallen. Bei der Sektion fand man Gastroenteritis und Endokarditis (Derache, Annal. de Bruxelles 1877). — 70 Pferde, welche mit dem Kleeheu grössere Mengen von Digitalis purpurea aufgenommen hatten, erkrankten am Tag darauf. Sie standen fast alle wie dummkollerig vor der Krippe, versagten das Futter, speichelten, hatten starken Durst, setzten viel Harn ab und zeigten zum Teil Kolikerscheinungen. Der Puls war bei den einen verlangsamt, bei den andern sehr beschleunigt, aussetzend und schwach. Ein Pferd zeigte Brechbewegungen, Erblindung, Schwanken und grosse Hinfälligkeit; es starb am 3. Tag. Ein anderes Pferd starb am 7. Tag. Bei der Sektion fand man umschriebene Magendarmentzündung und bei dem Pferd, welches Brechbewegungen geäussert hatte, eine Magenzerreissung (Krichler, Preuss. Mitt. Bd. 6). — Drei Schafböcke, welchen aus Versehen Pflanzen aus einem Arzneipflanzenbeet vorgeworfen wurden, das u. a. Digitalis purpurea enthielt, wurden am andern Morgen tot gefunden. Die chemische Untersuchung des Darminhalts ergab das Vorhandensein von Digitoxin und Saponin (Dammann und Behrens, Deutsch. tierärztl. Woch. 1903). — Acht Enten starben plötzlich nach dem Fressen von Blättern der Digitalis purpurea unter den Erscheinungen der Geflügelcholera (Durchfall, Schwanken); die Sektion ergab Herzlähmung, Magendarmentzündung und Lungenhyperämie (Kothe, Berl. Tierärztl. Woch. 1903). — Salvisberg (Ueber die Wirkung von Digitalis und Digitalisglykosiden auf den Organismus verschiedener Wiederkäuer, Inaug.-Diss. 1907, Delsberg) hat in seiner Privatpraxis oft beobachtet, dass die Folia Digitalis beim Rind nicht dieselbe Wirkung zeigten wie beim Pferd, sondern als Herzmittel, Diuretikum und Fiebermittel meist wirkungslos blieben. Er hat daher Versuche bei Wiederkäuern angestellt, welche folgendes ergaben. Eine Ziege erhielt innerhalb 8 Tagen 60 g Folia Digitalis im Infus ohne jede Wirkung (am 8. Tag 30 g!). Ein Schaf zeigte gleichfalls auf 47 g Digitalisblätter im Infus, innerhalb 7 Tagen verabreicht, keinerlei Veränderungen im Allgemeinbefinden (am 7. Tage wurden 15 g verabreicht). Eine Kuh erhielt in 7 Tagen 70 g Digitalisblätter im Infus, 2 andere in 3 Tagen 65 g und 80 g in Substanz, ohne darauf zu reagieren. Hierauf erhielten 2 Kühe 4 Tage hindurch je 30 g Digitalisblätter in Substanz, zusammen also in 4 Tagen 120 g Digitalisblätter eingeschüttet, ohne irgend eine Wirkung danach zu zeigen. Auch das Digitoxin wirkte per os bei einem Schaf in der 5Ofachen Tagesdosis des Menschen (0,1) nicht, während es subkutan schon in einer Dosis von 0,01 eine starke Herzwirkung äusserte. Auch bei intravenöser Injektion eines Digitalisinfuses zeigten 2 Ziegen und eine Kuh eine deutliche Digitaliswirkung; die Kuh konnte durch die intravenöse Injektion von 20 g Digitalis im Infus (20 : 400) nach 20 Minuten getötet werden. S. schliesst daraus, dass die Digitalisblätter, per os gegeben, den Körper der Wiederkäuer nicht beeinflussen, weil die Digitalisglykoside im Magen so umgeformt, gebunden[S. 219] oder zerstört werden, dass sie für den Organismus der Wiederkäuer wirkungslos sind. Bei intravenöser Applikation eines Digitalisinfuses tritt dagegen dieselbe Herzwirkung ein wie bei den übrigen Tiergattungen.
Vergiftung durch Meerzwiebel (Scilla maritima). Die giftigen Glykoside der Meerzwiebel sind das Szillain oder Szillitoxin, das Szillipikrin und Szillin. Ihre Wirkung ist eine digitalisähnliche und gleichzeitig örtlich reizende. Nach Hertwig tritt bei Schweinen, Hunden und Katzen nach 0,25–2,0 Bulbus Scillae Erbrechen, Laxieren und vermehrter Harnabsatz, nach 45,0 der Tod infolge von Darm- und Nierenentzündung sehr rasch ein. 2 Pferde starben nach 60,0 am 4. Tag; 30,0 erzeugten beim Pferd und Rind starkes Laxieren. — Sechs Schweine hatten Meerzwiebeln gefressen, welche als Rattengift ausgesetzt waren; sie erkrankten unter rotlaufartigen Erscheinungen und Krämpfen (Kleinpaul, Berl. Arch. 1896). — Ueber das Vergiften von Ratten mit Meerzwiebel vgl. S. 11. Nach Mereshkowsky und Sarin ist das in Dänemark angeblich als Bakterienkultur zur Vertilgung der Ratten empfohlene „Rattin II“ gar nicht bakteriellen Ursprungs, sondern das Gift der roten Meerzwiebel (Scilla maritima cum bulbo rubro); Zentr. für Bakt., Bd. 51, S. 6.
Botanisches. Der gemeine Oleander oder Rosenlorbeer, Nerium Oleander (Apozynee), welcher wild an den Ufern des Gardasees an Felsen wächst, wird bei uns als Topfpflanze kultiviert. Er bildet 1–2 m hohe Bäumchen mit weissen oder rosenroten Blüten und lanzettlichen, 3ständigen, unterseits gleichlaufend aderigen Blättern. Die Pflanze enthält namentlich in den Blättern 2 Glykoside: das Oleandrin, welches sich in Zucker und Digitaliresin spaltet, sowie das Neriin, welches mit dem Digitalein identisch ist. Vergiftungen ereignen sich durch das Abfressen der Blätter von den Bäumen und durch das Verfüttern derselben. — Ein ähnliches Gift, das Neriodorin, enthält der wohlriechende Oleander, Nerium odorum.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Oleandrin und Neriin sind Herzgifte, welche mit den Digitalisglykosiden in ihrer zuerst erregenden und dann lähmenden Wirkung auf den Vagus und Herzmuskel vollkommen übereinstimmen; ausserdem besitzen sie gleich jenen eine entzündungserregende Wirkung auf die Digestionsschleimhaut. Die Erscheinungen der Oleandervergiftung bestehen daher im wesentlichen in Erbrechen, Kolik, Durchfall, Polyurie einerseits, in Herzklopfen, Pulsverlangsamung, starker Pulsbeschleunigung, Aussetzen und Schwachwerden des Pulses, später allgemeiner Schwäche, Zittern, Taumeln und Hinfälligkeit andererseits. Zuweilen beobachtet man auch im Beginn der Vergiftung starke Aufregung (Gehirnhyperämie infolge Blutdrucksteigerung, Herzaffektion). Bei der Sektion findet[S. 220] man akute Magendarmentzündung, Blutung ins Darmrohr, gelbbraune Verfärbung der Darmschleimhaut, Herzlähmung, sowie Blutungen unter dem Endokardium. Die Behandlung ist dieselbe wie bei der Digitalisvergiftung.
Oleandervergiftungen sind namentlich in Italien beobachtet worden. So berichtet Gibellini (Giornale di med. vet. 1864), dass von 17 Rindern, welche Gras mit Oleanderblättern vermischt erhielten, 6 sehr schnell starben und 5 schwer erkrankten. Die letzteren zeigten Schwanken, Mattigkeit, pochenden Herzschlag, schwachen, aussetzenden Puls, Pupillenerweiterung, Appetitlosigkeit, Durchfall und Polyurie; 4 davon starben plötzlich unter Kolikerscheinungen. Die Sektion ergab Gastroenteritis. Generali (Gazetta med. vet. 1871) sah von 6 Ochsen, welche durchschnittlich 30–40 Blätter von Oleanderbäumen abgefressen hatten, 4 unter den Erscheinungen von Schwäche, Zittern, Mydriasis, Herzklopfen, unregelmässigem, aussetzendem Puls, Kälte der extremitalen Teile, Durchfall und Polyurie erkranken. Auch in Deutschland und Oesterreich-Ungarn sind mehrere Fälle von Oleandervergiftungen bei Pferden, Rindern und Gänsen beobachtet worden. Jössinger (Oesterr. Monatsschr. 1893) beobachtete bei einem Pferd nach der Aufnahme von Oleanderblättern Speicheln, Tympanitis, sehr pochenden, beschleunigten Herzschlag (130 Schläge p. M.), unfühlbaren Puls, Dyspnoe, gespreizte Stellung, Einknicken der Beine beim Gehen, sowie stieren Blick; der Tod erfolgte nach 14 Stunden. Bei der Sektion fand er heftige Endokarditis, namentlich in der linken Herzkammer, Schwellung der Lymphdrüsen, blasse Muskulatur, sowie schwarzes, nicht geronnenes Blut. Himmelstoss (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1890) beobachtete bei 2 Kühen nach dem Fressen von Oleanderblättern Aufregung, Pulsverlangsamung, aussetzenden Puls, Herzschwäche, Abstumpfung, allgemeine Lähmung, Sinken der Körpertemperatur, starken Durchfall, Polyurie und Pupillenerweiterung. von Rátz (Monatshefte f. prakt. Tierhlkde. 1893) fand bei der Sektion einer an Oleandervergiftung verendeten Gans kruppöse Gastritis, Gastroenteritis, Ekchymosen in der Darmserosa und unter dem Perikardium, sowie fettige Degeneration der Leber. Siebenrogg (Repertorium 1890) sah bei 2 Kühen, welche Oleanderblätter aus dem Hausgarten einer Apotheke gefressen hatten, heftigen Durchfall, Taumeln, Lähmung, kaum fühlbaren, sehr beschleunigten Puls, pochenden und doppelschlägigen Herzschlag, Tympanitis und Anurie; auffallenderweise war die Milchsekretion nicht gestört.[S. 221] Ein Pferd zeigte am Tag nach der Aufnahme von Oleanderblättern heftige Kolik, später Zittern, 80 kleine, harte Pulse sowie Dyspnoe und starb am 4. Tag (Pferdefreund 1892). Bolz (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1895) sah bei 9 Rindern, welche im Frühjahr abgefallene, halberfrorene Oleanderblätter von 20 Bäumen gefressen hatten, starke Eingenommenheit des Sensoriums, 120–130 kleine, aussetzende Pulse, pochenden Herzschlag, blutigen Durchfall, Schwanken, Schwäche, Zusammenstürzen, sowie wiederholte Anfälle von Agonie. Sie erholten sich im Verlauf von 8 Tagen. Der aussetzende Puls- und Herzschlag dauerte jedoch noch mehrere Wochen an. Ein Pferd frass von Oleanderbüschen, welche vor einem Hotel aufgestellt waren und starb am andern Tag unter anhaltenden Kolikerscheinungen; die Sektion ergab blutige Dünndarmentzündung, sowie zahlreiche Ekchymosen am Endokardium (Bongartz, Berl. Arch. 1899). Röbert (Sächs. Jahresber. 1897) sah 2 Gänse nach dem Fressen von Oleanderblättern unter profusem Durchfall und heftigen Zuckungen nach 12 Stunden sterben; bei der Sektion fand man hochgradige Darmentzündung. Nach Adam (Wochenschrift 1865) starben von 13 Gänsen, welche von einem Oleanderbaum gefressen hatten, 5 über Nacht, 2 zeigten einen lähmungsartigen Zustand, die übrigen 6 etwas taumelnden Gang und unterdrückte Fresslust; die Sektion ergab Gastritis. Diem (ibid. 1904) sah bei einem Pferd nach der Aufnahme von Oleanderblättern Kolik, Speichelfluss, Durchfall und Harndrang. Veronesi (Giorn. soc. vet. 1901) ass ohne Nachteil das Fleisch von Tieren, die an Oleandervergiftung starben. 15 Hühner verendeten unter Taumeln (Preuss. Vet. Ber. 1906).
Convallamarin. In der Maiblume, Convallaria majalis (Liliazee) findet sich ebenfalls ein Glykosid mit digitalisähnlicher Wirkung, das Convallamarin, neben dem reizend und purgierend wirkenden Convallarin. Die Erscheinungen der Convallariavergiftung stimmen daher mit denjenigen der Digitalis- und Oleandervergiftung vollkommen überein (Herzaffektion, gastroenteritische Erscheinungen). Ueber eine Vergiftung durch Maiblumen bei Gänsen, welche von einem halbwelken Strauss gefressen hatten, ist von Roullier berichtet worden (Journ. de Lyon 1888).
Ebenfalls eine digitalisähnliche Wirkung besitzen das Strophanthin, das im afrikanischen Pfeilgift, Strophanthus hispidus und Combé, enthaltene Glykosid (Genaueres über die Giftwirkung bei Tieren findet sich in meinem Lehrbuch der Arzneimittellehre, 8. Aufl. 1909), das Adonidin, das Glykosid der Adonisblume, Adonis vernalis, und anderer Adonisarten, das Apozynin, das Glykosid des indianischen Hanfes, Apocynum cannabinum, das Thevetin, das Gift der Apozynee Thevetia neriifolia, das Antiarin, das Glykosid des javanischen Giftbaumes Antiaris toxicaria (Pfeilgift von[S. 222] Java), das Ditain, das Glykosid des javanischen Ditarindenbaumes, Alstonia scholaris, das Coronillin (Coronilla scorpioides, Kronenwicke), das Ouabain (Acocanthus Ouabaio), das Akokantherin und Abyssinin, Glykoside des Pfeilgiftes der Wakamba und Wagogo in Deutschostafrika, auch im Holz von Acocanthera Schimperi vorkommend, das Evonymin, Zerberin und Tanghinin (Apozyneen), das Muavin (Muavarinde), Tulipin (Tulipa Gesneriana, Gartentulpe), Kaktin (Cactus grandiflorus) Gloriosin (Gloriosa superba, Prachtlilie), Vincin, Vernonin und Koptin.
Botanisches. Der Goldregen oder Bohnenbaum, Cytisus Laburnum (Familie Papilionazeen, Unterfamilie Genisteen), ist ein mehrere Meter hoher Zierstrauch in Gärten mit goldgelben, in langen Trauben herabhängenden, monadelphischen Blüten (Blütezeit Mai-Juni), dreizähligen Blättern und seidenhaarigen, flachen, einfächerigen Hülsen mit je 8 nierenförmigen, glatten, schwarzbraunen Samen. Die Pflanze enthält das stark giftige Alkaloid Zytisin von der Formel C11H14N2O, eine geruchlose, strahlig kristallinische, weisse Masse von bitterem Geschmack, welche sich mit Salpetersäure orangegelb, mit Kaliumdichromat zuerst gelb, dann grün färbt. Am meisten Zytisin findet sich in der Wurzelrinde, sehr viel ferner in der Stammrinde, in den Blättern, Blütenknospen, grünen Hülsen, Samen und Keimen, nur wenig dagegen im Holz des Stammes. Die Blätter und Hülsen nehmen mit der Reifung der Frucht an Giftigkeit ab, dagegen bleibt die Wurzelrinde das ganze Jahr hindurch gleich giftig. Austrocknung und anhaltendes Sieden sind ohne Einfluss auf die Giftigkeit. Ausser Cytisus Laburnum sind sehr stark giftig C. alpinus, purpureus, Waldeni und biflora, ferner ziemlich giftig C. elongatus; dagegen sind schwach giftig C. nigricans und supinus, ganz ungiftig sind C. sessilifolius und capitatus. Auch das im Stechginster, Ulex europaeus, enthaltene Ulexin ist mit Zytisin identisch. Die ersten Untersuchungen über das Zytisin sind von Husemann und Marmé gemacht worden; die neueren Arbeiten stammen von Cornevin, Partheil, Radziwillowicz u. a.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Zytisin besitzt verschiedene Wirkungen, nämlich eine tetanische, strychninähnliche, eine lähmende, kurareähnliche, eine gefässverengernde, digitalisähnliche, und endlich eine entzündungserregende. Am empfindlichsten sind Pferde. Dieselben sterben nach der Aufnahme von 0,5 g Samen pro kg Körpergewicht innerhalb 2½ Stunden unter häufigem Gähnen, starkem Schweissausbruch, Schwindel, Betäubung und Krämpfen. Im Gegensatz hiezu ertragen Schafe und Ziegen ziemlich grosse Mengen und sind vom Magen aus überhaupt schwer zu vergiften; bei subkutaner Injektion des Giftes sterben sie unter den Erscheinungen von Betäubung und Schwäche. Auch Hühner und Tauben sind sehr unempfindlich. Die Todesdosis für einen Hund beträgt 6 g Samen pro kg Körpergewicht. Kaninchen können selbst 30 g Samen ohne Schaden geniessen.[S. 223] Hunde erbrechen sich sofort, so dass vom Magen aus eine Vergiftung nicht möglich ist. Nach der subkutanen Einverleibung des Giftes zeigen sie Uebelkeit, Erbrechen, Würgen, Salivation, angestrengte Atmung, Polyurie, grosse Unruhe, Muskelzittern, Schläfrigkeit, Anästhesie, rhythmisches Oeffnen und Schliessen der Kiefer und sterben unter Krämpfen; die Sektion ergibt schwache Entzündung im Magen und Darm, sowie Verengerung des Pylorus und der Stimmritze. Katzen sind noch empfindlicher (Experimentelle Untersuchungen von Cornevin, Journal de Lyon 1887).
Das reine Zytisin tötet bei subkutaner Injektion pro kg Körpergewicht Katzen und Hunde in Dosen von 2–3 mg, Hühner und Tauben in solchen von 7–9 mg, Ziegen in Dosen von 73 mg; die letzteren sollen das Zytisin durch die Milch ausscheiden und dabei gesund bleiben (Radziwillowicz).
Die klinischen Beobachtungen von Zytisinvergiftungen bei den Haustieren sind nicht sehr zahlreich. Nach Brett (The Veterinarian 1889) zeigten sich Rinder nach dem Genuss des Goldregens unfähig, sich zu erheben, indem namentlich die vorderen Gliedmassen gelähmt waren, ausserdem bestand auffällige Schläfrigkeit, Mydriasis und Tympanitis. 12 Stunden darauf waren Speichelfluss, Brechanstrengungen, Muskelerschlaffung, unterbrochen von Zuckungen der Gliedmassen, Ueberköten, Taumeln, Schlingbeschwerden und Schlinglähmung wahrzunehmen; die Krankheit dauerte 4 Tage, endete jedoch mit Genesung. Einen Fall bei zwei Schweinen hat Byrne (Vet. journ. 1895) beobachtet; dieselben zeigten grosse Mattigkeit, Eingenommenheit und starben unter Krämpfen; bei der Sektion wurde blutige Darmentzündung gefunden. Ueber Vergiftungen bei Pferden haben Demilly (Bull. soc. vét. de Marne 1854) und Collard (Recueil 1908) berichtet. Scholz (Berl. Arch. 1900) beobachtete, dass 6 Hühner nach der Aufnahme des Samens in einem Garten verendeten.
In therapeutischer Beziehung werden Brechmittel, Tannin, sowie Chloralhydrat empfohlen. Im übrigen ist die Behandlung wie bei der Digitalisvergiftung.
Botanisches. Helleborusvergiftungen können sich durch die Aufnahme nachstehender 3 Helleborusarten (Ranunkulazeen) ereignen:
1. Helleborus viridis, die grüne Nieswurz (Bärenfuss), kommt in Gebirgswäldern Süd- und Mitteldeutschlands vor; man findet sie[S. 224] auch zuweilen angepflanzt und dann wieder verwildert. Sie blüht im April, Kelch und Blumenblätter sind gelbgrün. Die nach der Blüte erscheinenden Blätter sind gross, lang gestielt und zeigen 7–12 fussförmig gestellte Blättchen. Der Schaft ist 30–50 cm hoch. Das braunschwarze geringelte Rhizom ist kriechend, bis 10 cm lang und 1 cm dick, verzweigt und besitzt viele fleischige, bis 10 cm lange Wurzeln. Die Pflanze ist am giftigsten im Mai und Juni.
2. Helleborus niger, die schwarze Nieswurz (Christwurz, Christblume, Weihnachtsrose, Winterrose, Schneerose), ist in Bergwäldern Süd- und Mitteleuropas einheimisch und wird auch in Gärten kultiviert. Sie blüht vom Dezember ab; ihre Blüte ist sehr gross, der Kelch schneeweiss, die Blumenblätter gelb. Die Blätter sind lang gestielt, fussförmig. Der Stengel ist 15–25 cm hoch, 1–2blütig. Das Rhizom ist schief oder senkrecht.
3. Helleborus fötidus, die stinkende Nieswurz, wächst in Süd- und Westdeutschland, besonders auf kalkigem Boden. Sie besitzt grünliche, kugelig-glockige Blüten von äusserst unangenehmem Geruch, fussförmige Laubblätter, sowie einen 30–50 cm hohen, ästigen, reichblütigen Stengel.
Die genannten Nieswurzarten enthalten 2 sehr giftige Glykoside: das Helleborein, namentlich in Helleborus niger vorkommend, von der Formel C26H44O15, farblose Warzen oder eine gelblich amorphe Masse bildend, welche sich beim Erhitzen bräunt, mit Schwefelsäure sich braunrot-violett färbt und in Zucker und Helleboretin zerfällt, und das Helleborin, welches am meisten in Helleborus viridis enthalten ist, von der Formel C36H12O6, glänzende Nadeln bildend, welche sich mit Schwefelsäure hochrot färben und sich in Zucker und Helleboresin zerlegen lassen.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Von den beiden Helleborusglykosiden ist das Helleborein das giftigere. Es besitzt neben einer reizenden Lokalwirkung eine digitalisähnliche Wirkung, während das schwächere Helleborin neben einer ebenfalls reizenden Lokalwirkung Aufregung, Atmungsbeschleunigung, Krämpfe und allgemeine Lähmung erzeugt. Das Krankheitsbild der Helleborusvergiftung setzt sich daher zusammen aus gastroenteritischen, kardialen, Erregungs- und Lähmungserscheinungen. Die Tiere zeigen Erbrechen, Geifern, Zähneknirschen, Kolik, Tympanitis, blutigen Durchfall; epileptiforme Krampfanfälle, Aufregung, Brüllen, Zusammenstürzen; Herzklopfen, gesteigerte Pulsfrequenz; Betäubung, Schwindel, Stumpfsinn, Schwäche, Koma. Bei der Sektion findet man die Erscheinungen der Gastroenteritis. Die Therapie ist eine rein symptomatische; sie besteht in der Anwendung von einhüllenden, schleimigen, sowie von exzitierenden Mitteln (Kampfer, Aether, Kaffee, Weingeist, Liquor Ammonii anisatus, Atropin). Als Gegengift kann Tannin oder Lugolsche Lösung versucht werden.
Die Wirkungen der Helleborusarten im einzelnen sind folgende:
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1. Die schwarze Nieswurz hat in früheren Zeiten, als das sog. Nieswurzelstecken namentlich in der Bujatrik als ableitendes Mittel gebräuchlich war, nicht selten Veranlassung zu Vergiftungen gegeben. Dasselbe war der Fall, wenn die Haarseile vor ihrer Anwendung mit Nieswurzpulver bestreut wurden. Nach älteren Versuchen von Orfila starben kleine Hunde schon nach dem Aufstreuen von 0,36 g gepulverter Nieswurz auf Wunden. Ein grosser Hund zeigte nach dem Einbringen von 8 g Nieswurzpulver in eine Schenkelwunde nach 6 Minuten heftiges Erbrechen, nach 45 Minuten Schwindel, Angst, sowie Lähmung des Hinterteils und starb nach 2½ Stunden. Nach den Versuchen Hertwigs zeigen Pferde und Rinder nach dem Eingeben von 8–30 g der Wurzel, Schafe und Ziegen nach 4–12 g etwa 12 Stunden nachher heftigen, häufig blutigen, anhaltenden Durchfall, Muskelzuckungen, Zittern, Kolikerscheinungen und grosse Mattigkeit, und sterben unter Unfühlbarwerden des Pulses nach 40–50 Stunden. Schweine und Hunde erbrechen sich nach 0,3–1 g; 4–8 g haben starkes Erbrechen, Purgieren, blutige Diarrhöe und Krampfanfälle zur Folge; wird das Erbrechen verhindert, so erfolgt unter den Erscheinungen grosser Angst, von Schwindel, Lähmung und Krämpfen nach 30–48 Stunden der Tod. 15–30 g der Wurzel, in Abkochung gegeben, hatten bei einem Hund Erbrechen, über den ganzen Körper verbreitete Krämpfe, Lähmung, Unfühlbarwerden des Pulses und Herzschlages, sowie nach ½ Stunde den Tod zur Folge. Intravenös erzeugte 1 g der Wurzel im Infus bei einem Pferd Atmungskrämpfe, Zittern, Brechbewegungen, Schäumen, Geifern und grosse Mattigkeit; ein anderes Pferd starb nach 4 g unter heftigen Krämpfen binnen 10 Minuten. Eine Kuh zeigte nach der intravenösen Injektion von 1 g schwarzer Nieswurz Zittern, Muskelzuckungen am Hals, an der Brust und am Bauch, und nach 4 Minuten Erbrechen; nach 4 Stunden hatte sie sich wieder erholt.
2. Die stinkende Nieswurz gibt insbesondere bei Rindern und Schafen durch das Abweiden oder die Benützung als Streumaterial Veranlassung zu Vergiftungen. Nach Landel (Repertorium 1845) zeigten Rinder nach der Aufnahme derselben Appetitlosigkeit, Geifern, Zähneknirschen, Tympanitis, blutigen, dünnflüssigen, übelriechenden Kot, Herzklopfen, gesteigerte Puls- und Atmungsfrequenz. Bei der Sektion fand man die Erscheinungen der Magendarmentzündung. Schilling und Berger (Bad. Mitt. 1888) sahen bei Rindern und Schafen heftige epileptiforme Krampfanfälle, welche[S. 226] 10 Minuten dauerten und sich halbstündlich wiederholten, Brüllen, Zittern, Niederstürzen, Verdrehen der Augen und Pupillenerweiterung.
3. Die grüne Nieswurz hatte bei 6 Hämmeln starkes Aufblähen, Kolik, blutige Diarrhöe, Krämpfe und Zuckungen zur Folge, so dass 2 derselben geschlachtet werden mussten. Der Sektionsbefund ergab das Vorhandensein von Gastroenteritis.
Allgemeines. Veratrinvergiftungen können sowohl durch die weisse Nieswurz, als durch das Veratrin bedingt sein. 1. Die weisse Nieswurz, Veratrum album (weisser Germer), gehört zur Familie der Kolchikazeen und ist ein in den Alpen und Voralpen auf feuchten Wiesen perennierendes meterhohes Kraut mit dunkelbraunem, knolligem, verkehrt kegeligem, oben geschopftem, rings mit langen, dünnen, gelbbraunen Nebenwurzeln besetztem Wurzelstock, einfachem Stengel, grossen, elliptischen Blättern und grünlich weissen, gestielten Blüten. Die Pflanze, namentlich das Rhizom, enthält eine Reihe von Alkaloiden, und zwar als wichtigstes das Pseudojervin, ferner das Jervin, Rubijervin, Veratralbin, sowie Spuren von Veratrin. 2. Das Veratrin des Handels stammt nicht von der weissen Nieswurz, sondern von den Sabadillsamen (Veratrum officinale). Es ist ein weisses, lockeres, amorphes Pulver, welches ein inkonstantes Gemenge verschiedener Alkaloide darstellt, namentlich von Zevadin und Veratridin.
Aetiologie. Die Ursachen der Veratrinvergiftung sind in den meisten Fällen in Dosierungsfehlern zu suchen. Rhizoma Veratri sowohl, als das Veratrin sind schon in mittleren, therapeutischen Gaben sehr heroisch wirkende Mittel, so dass eine, wenn auch unbedeutende Ueberschreitung der Durchschnittsdosis leicht Vergiftungserscheinungen verursachen kann. Dazu kommt, dass das Veratrin kein konstantes Präparat, sondern ein inkonstantes Gemenge verschiedener Alkaloide ist, so dass es je nach der Darstellung und Herkunft in seiner Wirkung wechselt. Dieser Umstand muss zur Erklärung der Tatsache herbeigezogen werden, dass bei Pferden in einzelnen Fällen therapeutische Mitteldosen von 0,1 Veratrin eine tödliche Vergiftung bedingt haben; zum Teil mag hier allerdings auch eine besondere, individuelle Empfindlichkeit (Idiosynkrasie) gegen das Mittel mitgewirkt haben. Ausnahmsweise werden Vergiftungen durch Waschungen der Haut mit Nieswurzabkochungen (gegen Läuse) oder durch das sog. Nieswurzelstecken veranlasst (meist wird schwarze Nieswurz gebraucht).
Die tödliche Dosis des Veratrins beträgt bei subkutaner[S. 227] Injektion für Pferde durchschnittlich 0,5–1,0, für Rinder 0,25–0,5, für Hunde 0,02–0,1, für Katzen 0,005–0,01. Vergiftungserscheinungen werden bei Pferden schon von 0,2 Veratrin ab wahrgenommen. In einem Fall beobachtete Martens sogar eine tödlich verlaufende Vergiftung bei 2 Pferden nach der Injektion der allgemein angewandten Mitteldosis von 0,1 Veratrin. Im Gegensatz hierzu hat Albrecht Pferden sogar bis zu 0,4 Veratrin ohne schwere Zufälle gegeben; ich selbst habe bei Pferden Dosen bis zu 0,2 mehrere Male angewandt, ohne eine Vergiftung zu beobachten. Die weisse Nieswurz tötet Pferde bei intravenöser Injektion von 15–30 g der Tinktur, Rinder bei innerlicher Verabreichung von 100–200 g der Wurzel, Hunde bei behindertem Erbrechen schon nach Verabreichung von 0,6 der Wurzel.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Wirkung der in der Nieswurz und im Veratrin enthaltenen Alkaloide ist ziemlich dieselbe. Sie besteht in lokaler Reizung der Schleimhäute, starker psychischer und motorischer Erregung, sowie schliesslich in Lähmung der quergestreiften Muskel und des Herzens. Im Gegensatz zur Helleborusvergiftung sind die gastroenteritischen Erscheinungen schwächer und fehlen bei der subkutanen Anwendung des Veratrins meist ganz. Die Hauptsymptome der Veratrinvergiftung sind: heftiges Erbrechen, Würgen, Rülpsen, Schluchzen, Brechbewegungen, Speicheln, vermehrte Peristaltik, Durchfall, Kolik; starke psychische Erregung, selbst tobsuchtartige Anfälle, tonisch-klonische, selbst tetanische Krämpfe, Zittern, Schweissausbruch; Mattigkeit, Atemnot, allgemeine Lähmung. Der Tod erfolgt meist innerhalb 10–20 Stunden.
Bei der Sektion findet man nach der innerlichen Anwendung der Nieswurz gastroenteritische Erscheinungen. Nach der subkutanen Anwendung des Veratrins fehlen dieselben. In einem Fall fand Gips bei einem an Veratrinvergiftung verendeten Pferd an der Injektionsstelle ein umfangreiches Blutextravasat, welches sich bis in die tieferen Muskellagen erstreckte. Die gesamte Körpermuskulatur war getrübt, von grauroter Farbe, trocken und mürbe; dieselben Veränderungen zeigte das Myokardium; der Herzbeutel war zur Hälfte mit einer dunkelroten Flüssigkeit angefüllt; unter dem Endokard befanden sich zahlreiche hämorrhagische Herde; die Bauchhöhle enthielt 8 l, die Brusthöhle 4 l[S. 228] einer blutig gefärbten Flüssigkeit; in den Bronchien befand sich blutiger Schaum.
Therapie. Die Behandlung der Veratrinvergiftung besteht in der Verabreichung von Tannin oder von Lugolscher Lösung als Gegengift, in der Anwendung schleimiger, einhüllender Mittel (Leinsamenabkochung, Gummi) gegen die Erscheinungen der Gastroenteritis, sowie in der symptomatischen Bekämpfung der Erregungs- (Morphium, Bromkalium, Chloralhydrat) und Lähmungserscheinungen (Kampfer, Aether, Alkohol, Ammonium carbonicum, Liquor Amonii anisatus, Atropin).
Nachweis. Die Abscheidung des Veratrins aus dem Magendarminhalt, dem Blut und den Muskeln geschieht nach der Methode von Dragendorff (vergl. S. 199) mittels Benzol oder Petroleumäther (auch Amylalkohol und Chloroform kann benützt werden). Zu beachten ist, dass ein Teil des Veratrins schon aus der sauren (schwefelsauren) wässerigen Lösung durch Benzol, Amylalkohol und Chloroform ausgezogen werden kann. Spezialreaktionen für das Veratrin sind: 1. Rotfärbung durch Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure oder von Bromwasser (vorsichtiger Zusatz eines gleichgrossen Volums). 2. Prachtvolle Rotfärbung bei Zusatz konzentrierter rauchender Salzsäure (noch bei 1⁄10 mg deutlich zu erkennen). Man übergiesst den auf dem Uhrgläschen befindlichen Rückstand mit 1 ccm rauchender Salzsäure und löst ihn möglichst schnell darin auf, worauf die Flüssigkeit in ein Reagensglas gebracht und etwa 1–2 Minuten im Sieden erhalten wird. Die rote Veratrinlösung hält sich wochenlang. 3. Grün-, Blau-, Violettfärbung bei Zusatz von Zucker und konzentrierter Schwefelsäure in geringer Menge. Hierbei färbt sich das Veratrin anfangs gelb, später dunkelgrün, dann schön blau, zuletzt missfarben violett. 4. Die physiologische Reaktion des Veratrins bei einem Frosch besteht im Auftreten von Brechbewegungen und Verlangsamung der Herztätigkeit von 60 auf 30, 10 und zuletzt 0 Schläge in der Minute. Diese Erscheinungen beobachtet man noch nach ½ mg in 0,1 ccm essigsaurer Lösung bei subkutaner Injektion. Grössere Dosen erzeugen ausserdem Tetanus in Form von Streckkrämpfen; so zeigen sich bei einem Frosch nach 2 mg Veratrin (in 0,5 ccm Lösung subkutan) sofort Brechbewegungen, nach 15 Minuten Tetanus, nach 1 Stunde stirbt das Tier.
[S. 229]
Kasuistik. 1. Pferde. 2 Pferde frassen im Februar die Blätter des weissen Germer. Sie zeigten starkes Speicheln, leichte Kolik und häufiges Würgen, waren jedoch am Abend wieder gesund. Auch sonst beobachtet man öfters beim Alpenvieh bei Futtermangel Aufnahme des weissen Germer und im Anschluss daran Speicheln und Erbrechen (Kuschee, Tierärztl. Zentralbl. 1894). — 18 Pferde zeigten nach der Aufnahme von Blättern des weissen Germer Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Aufregung, Unruhe, Krämpfe, Salivation, Stomatitis, Brechreiz, Kolik und Dyspnoe (Varga, Veterinarius 1898). — 3 Pferde erhielten infolge einer Verwechslung ein Pulver, welches viel Sabadillsamen enthielt. Sie zeigten Speicheln, Erbrechen, starken Durchfall, fielen nach 4 Stunden um und bekamen tetanische Krämpfe; eines starb nach 9 Stunden unter heftigem, anhaltendem Tetanus, das andere genas (Lund und Larsen, Dänische Monatsschrift 1897). — 2 junge Pferde hatten je 0,1 Veratrin subkutan erhalten. Sie starben nach 16 resp. 20 Stunden, nachdem Zuckungen, Krämpfe und Brechanstrengungen vorausgegangen waren (Martens, Preuss. Mitt. 1881). — Ein Pferd zeigte nach einer Veratrininjektion sehr starke Unruhe, tobsüchtiges Benehmen und später Lähmung; es starb nach 30 Stunden. Bezüglich der Sektion vergl. S. 227 (Gips, Preuss. Mitt. 1880). — Ein Pferd, welches eine zu grosse Dosis Rhizoma Veratri erhalten hatte, zeigte als Haupterscheinungen anhaltendes Würgen, angestrengte Atmung, hohe Pulsfrequenz und sehr schwachen, elenden Puls. Die Behandlung bestand in der Anwendung von Alkohol und Ammonium carbonicum (Gresswell, The Veterinarian 1886). — Experimentelle Untersuchungen von Waldinger ergaben, dass das Rhizoma Veratri in Dosen von 15–30 g bei Pferden nur geringe Wirkung hervorruft; selbst 120 g erzeugten nur Kolik und Brechbewegungen 4 Stunden hindurch. Dagegen ist nach Hertwig die intravenöse Injektion der Tinctura Veratri von sehr starker und rascher Wirkung; 2–15 g derselben bedingen sofort Atembeschwerden, Kotentleerung, Kolik, Brechbewegungen, Kontraktionen des Schlundes, der Hals- und Bauchmuskeln, Rülpsen, Schluchzen, Speicheln, Tränenfluss, vermehrtes Urinieren und zuweilen ganz abundanten Schweissausbruch; 15–30 g der Tinktur hatten bei intravenöser Anwendung nach wenigen Minuten den Tod unter Schwindel, Zusammenstürzen, Atembeschwerden und Konvulsionen zur Folge. Ein 1 Quadratzoll grosses und etwa ½ cm dickes Stück Nieswurz erzeugte, subkutan appliziert, Muskelzittern, Dyspnoe nach 1–2 Stunden, Würgen, Brechneigung, Speicheln, vermehrte Peristaltik, Diarrhöe, sowie lokale Entzündung und Geschwulstbildung.
2. Rinder. Ein 1jähriges Rind starb nach der subkutanen Injektion von 0,25 Veratrin innerhalb 8 Stunden, ein Ochse nach der Verabreichung von 60 g weisser Nieswurz in Pillenform am 2. Tag (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Nach experimentellen Untersuchungen bedingt die Nieswurz in Gaben von 20–30 g nur schwache Erscheinungen; 90 g erzeugten Kolik und 180 g den Tod unter Erscheinungen der Magendarmentzündung (Lyoner Tierarzneischule). 125 g im Dekokt riefen starke Aufregung und Kolik hervor; das betreffende Rind blieb aber am Leben (Ithen).
3. Schafe und Ziegen zeigten nach 8–15 g des Rhizoma Veratri Würgen, Erbrechen und Diarrhöe (Gerlach).
4. Katzen starben auf 5–10 mg Veratrin; Hunde auf 2–10 cg. Das Rhizoma Veratri tötet die letzteren schon von 0,6 g ab, wenn das Erbrechen durch Unterbinden des Schlundes verhindert wird; können die Tiere jedoch erbrechen, so ertragen sie sogar bis zu 8 g (Hertwig). Intravenös töten schon 15–20 Tropfen.
5. Frösche zeigen auf 0,5 mg Veratrin Brechbewegungen und Verlangsamung des Herzschlages von 60 auf 30 und 10; auf 2 mg sofort Brechbewegungen und 15 Minuten darauf Tetanus, worauf der Tod nach etwa einer Stunde eintritt (physiologischer Nachweis des Veratrins).
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Botanisches. In Deutschland kommen mehrere Akonitarten vor. Die wichtigste ist Aconitum Napellus, der Sturmhut oder Eisenhut (Helmblume, Rachenblume, Ziegentod, Würgling, Mönchskappe, Narrenkappe, Venuswagen), eine zu den Ranunkulazeen gehörige Bergpflanze (έν ἀχόναις, auf Felsen) der nördlichen Halbkugel bis Norwegen und Schweden, welche häufig in Gärten als Zierpflanze kultiviert wird. Die im Juni bis September blühende Pflanze zeichnet sich durch charakteristische, in Trauben stehende, blaue (violette, rote, weisse) Helmblüten aus, deren Helm breiter als hoch und halbkreisförmig gewölbt ist; die Nektarien sind auf gekrümmtem Nagel wagrecht nickend. Das Rhizom ist rübenartig, aus zwei nebeneinander stehenden (einem vorjährigen und einem frischen) dunkelgraubraunen, fingerlangen Wurzelstöcken bestehend; der bis 1½ m hohe Stengel ist aufrecht und einfach, die Blätter sind oben dunkelgrün, unten heller gestielt, derb, handförmig. Andere giftige Akonitarten sind: Aconitum Stoerkeanum (neomontanum), ziemlich selten, an denselben Standorten vorkommend wie die vorige, mit 3 Rhizomen, blauen, violetten oder weissen Blüten, nach oberwärts gekrümmten Nektarien, schief geneigtem Nagel und mehr hohem als breitem Blütenhelm; Aconitum variegatum mit Blütennektarien, welche auf geradem Nagel aufrecht stehen; endlich Aconitum Lycoctonum, der Wolfseisenhut (Hundsgift, Gelstern), eine in Bergwäldern nicht sehr häufig vorkommende, gelb blühende, nur mit einem Rhizom versehene und in seiner Wirkung von den anderen Akonitarten abweichende Pflanze.
Die drei erstgenannten Akonitarten enthalten ein sehr stark giftiges Alkaloid, das Akonitin oder Akonitoxin von der Formel C33H43NO12. Dieses Akonitin ist je nach der Darstellung ein sehr verschiedenartiges, sehr inkonstantes Präparat (deutsches, französisches, belgisches, englisches Akonitin). Aconitum Lycoctonum enthält kein Akonitin, sondern zwei kurareähnlich wirkende Alkaloide: das Lykakonitin und Myoktonin, welche sich in die früher als Hauptbestandteile bezeichneten Körper Lykoktonin und Akolyktin spalten.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Akonitin gehört zu den stärksten Giften. Reine Präparate desselben töten Hunde schon in Dosen von wenigen Milligrammen. Von der getrockneten Wurzel wirken 5 g für Hunde, von der frischen Wurzel 3–400 g tödlich für Pferde. Es wirkt örtlich auf die Schleimhäute reizend, entzündungserregend; die allgemeine Wirkung besteht in einer Erregung der motorischen Zentren, sowie in Lähmung des Atmungszentrums und allgemeiner Lähmung. Akonitvergiftungen sind im allgemeinen ziemlich selten, weil die Pflanze allmählich ausgerottet und auch als Arzneimittel, wenigstens in Deutschland, fast gar nicht angewandt wird (in Belgien sind durch zu grosse Dosen von Akonitin bei Pferden Vergiftungen vorgekommen). Man beobachtet sie zuweilen bei Rindern und Ziegen, wenn dieselben auf Bergweiden die Giftpflanze aufnehmen. Auch Schafe[S. 231] sollen in Gebirgsländern durch das Abweiden der jungen Frühjahrssprösslinge erkranken. Seltener erkranken Pferde nach der Aufnahme der Gartenpflanze (Samen). Die wichtigsten Krankheitserscheinungen sind starkes Speicheln, Recken, Würgen, Aufstossen, Erbrechen, Zähneknirschen, Durchfall, sehr schmerzhafte Kolik, Unruhe, Angst, Geschrei, Winseln, Stöhnen, Krampfanfälle, Aufblähung, Schwäche, Lähmung, Taumeln, Zittern, Mydriasis, Bewusstlosigkeit, Zusammenstürzen. Der Tod erfolgt meist schon nach wenigen Stunden unter Krämpfen.
Bei der Sektion findet man entzündliche Veränderung auf der Magendarmschleimhaut, zuweilen auch schon auf der Maulschleimhaut, sowie Gehirnhyperämie.
Die Behandlung besteht in der Verabreichung von Tannin, sowie von exzitierenden Mitteln (Kampfer, Aether, Alkohol, kohlensaures Ammonium). Auch die Digitalis soll durch ihre erregende Wirkung auf das Herz ein gutes Antidot sein.
Nachweis. Die Abscheidung des reinen kristallisierten Akonitins (Aconitinum nitricum crystallisatum) wird nach der Methode von Dragendorff (vergl. S 199) aus alkalischer Lösung durch Benzol (oder Petroleumäther oder Chloroform) vorgenommen. Dagegen wird zur Abscheidung von Akonitin aus Akonitkraut oder nach Einverleibung käuflichen, unreinen, amorphen Akonitins Benzol oder Chloroform, nicht Petroleumäther, benützt. Es entziehen ferner Aether und Amylalkohol das unreine Akonitin aus sauren Flüssigkeiten. Soll ein Untersuchungsobjekt nur auf Akonitin untersucht werden, so empfiehlt es sich, wegen der grossen Empfindlichkeit dieses Alkaloids auch gegen verdünnte Mineralsäuren und Basen, statt des umständlicheren Dragendorffschen Verfahrens das Untersuchungsmaterial einfach mit Alkohol unter Zusatz von möglichst wenig Weinsäure auszuziehen, den Alkohol zu verdunsten und die alkalischen Lösungen, wo solche notwendig sind, durch Zusatz von Natrium bicarbonicum herzustellen.
Die beiden Akonitinsorten verhalten sich auch den Reagentien gegenüber verschieden: 1. Das reine Akonitin gibt in schwach essigsaurer Lösung mit Jodkalium eine kristallinische Verbindung, welche unter dem Mikroskope aus tafelförmigen Platten besteht. Dieses rein kristallisierte Akonitin zeigt keine Farbenreaktionen. 2. Das gewöhnliche, amorphe Akonitin färbt sich[S. 232] beim Stehen seiner Lösung in konzentrierter Schwefelsäure oder beim Erwärmen mit Phosphorsäure schön rot-violett und mit Zucker und Schwefelsäure schön rot (Zersetzungsprodukte des reinen Akonitins).
Kasuistik. Knopf (Berl. tierärztl. Woch. 1891) beschreibt eine Vergiftung durch Aconitum Napellus bei 28 Rindern, welche die Giftpflanze auf der Weide aufgenommen hatten. Die Vergiftungserscheinungen waren: Stöhnen, Unvermögen aufzustehen, Sinken der Innentemperatur (bis 36,7°), Versiegen der Milchsekretion, Pupillenerweiterung, Verstopfung bezw. Durchfall, Schmerz bei Druck auf die Bauchdecken; das Bewusstsein blieb frei. 2 Kühe starben. Die Sektion ergab das Vorhandensein einer Gastroenteritis, hochgradige Gehirnhyperämie, sowie auffallend helle Farbe der Leber. — Kaufmann (Recueil 1900) beschreibt eine Akonitinvergiftung bei 6 Pferden; 6 mg Akonitin wirkten bei einem Pferde schon tödlich. — 7 Rinder frassen reife Eisenhutkörner an einem Gartenzaun und starben nach 24 Stunden unter den Erscheinungen der Gastroenteritis: Kolik, Speicheln, Aufblähung, Durchfall, Schwanken (Preuss. Vet.- Ber. 1904). — Prietsch (Sächs. Jahrg. 1907) sah bei einem Pferde nach der Aufnahme von Samen in einem Garten gleichfalls Kolik und Schwanken; die Genesung erfolgte erst nach 4 Tagen.
Botanisches. Die Tollkirsche, Atropa Belladonna (Wutkirsche, Wolfskirsche, Teufelsbeere, Waldnachtschatten), ist eine über Meter hohe, buschige Solanazee mit purpurbraunen, drüsig flaumigen Stengeln, trübgrünen, ganzrandigen Blättern und grossen, schmutzigvioletten, einzeln in den Achseln stehenden, überhängenden Glockenblüten. Die glänzend schwarzen vielsamigen Beeren sitzen auf dem flach ausgebreiteten Kelch. Die Belladonna enthält nur in den jungen Wurzeln Atropin, dagegen in den ausgewachsenen Wurzeln und den übrigen Pflanzenteilen Hyoszyamin. Das im Handel vorkommende „Atropin“ ist ein Gemenge der beiden genannten Alkaloide. Atropinvergiftungen haben sich teils durch zu hohe Dosierung und unzweckmässige Kombinierung des Atropins (Morphium-Atropineinspritzungen gegen Schulterlahmheit beim Pferd), teils durch die Aufnahme von Belladonnablättern bei Rindern (selten) ereignet.
Atropinwirkung. Die Alkaloide der Belladonna, das Hyoszyamin und Atropin, wirken pupillenerweiternd, die Speichelsekretion beschränkend, sowie stark erregend auf das Gehirn („Tollkirsche“) und das Herz; der Tod erfolgt durch Lähmung dieser Organe. Die Vergiftungserscheinungen bestehen daher in Pupillenerweiterung, Sehstörungen, starker Aufregung, Tobsucht, Krampfanfällen, Herzklopfen, verminderter Speichelsekretion und infolgedessen Trockenheit der Maulschleimhaut und der Zunge, gastrischen Zufällen; später tritt Schwäche und Lähmung auf. Die Behandlung ist eine symptomatische; als Gegengift werden namentlich Morphin und Chloralhydrat, sowie Tannin empfohlen.
[S. 233]
Verhalten der einzelnen Tiergattungen. Die Haustiere, namentlich die Pflanzenfresser, sind gegen das Atropin im Vergleich zum Menschen wenig empfindlich. Im einzelnen ist folgendes zu bemerken:
1. Pferde ertragen nach meinen Erfahrungen Dosen von 0,05–0,5 g Atropin, ohne lebensgefährlich zu erkranken. Die gewöhnlichen Erscheinungen nach diesen relativ sehr grossen Dosen sind Herzklopfen, Steigerung der Pulsfrequenz, Unruhe, Aufregung, Mydriasis, verminderte Speichelsekretion und Unterdrückung der Futteraufnahme; Tobsucht wird in der Regel nicht beobachtet. Nur bei einzelnen Pferden traten wohl infolge einer Idiosynkrasie schon nach Dosen von 0,05 tobsuchtartige Erscheinungen auf. Aehnlich sind die Erscheinungen nach der Aufnahme von Belladonnakraut. Nach Hertwig zeigten 20 Pferde auf die Verabreichung von 120 bis 180 g trockenem Belladonnakraut Pupillenerweiterung, Trockenheit im Maul, Tympanitis, Verstopfung, Kolik, sehr beschleunigte Herztätigkeit und Pulszahl, Mattigkeit und Schwäche; eigentümlicherweise fehlten zerebrale Erregungszustände. Die gleichen Symptome wurden nach 60–90,0 trockener Wurzel beobachtet; 180,0 g derselben töteten. Klistiere von 15,0 trockenem Kraut auf 180,0 Kolatur, 3–4mal an einem Tag wiederholt, riefen leichte Vergiftungserscheinungen und eine Lähmung des Sphincter ani hervor. 8–16,0 der Belladonnatinktur (8,0 : 45,0 Spiritus) intravenös appliziert, hatten eine schwere Vergiftung zur Folge, welche sich in Unruheerscheinungen, Angst, Atemnot, starker Pulsbeschleunigung, Mydriasis, Zittern, Zuckungen, Kolik, Betäubung und Taumeln äusserte. Einzelne Pferde tobten auch und gingen wie blind auf die Wände zu. 240 g der Tinktur intravenös gegeben, töteten.
2. Kühe werden von der Belladonnawirkung stärker betroffen. 30 g der Wurzel und 60 g der Blätter erzeugten Tympanitis und Pulsbeschleunigung, 60–90 g der Wurzel eine zweitägige starke Vergiftung; 120 g der Wurzel hält Hertwig beim Rind für die tödliche Dosis.
3. Hunde ertragen im Verhältnis zum Menschen und zu anderen Tieren, namentlich zum Pferd, besonders grosse Atropingaben und können sich allmählich an das Gift gewöhnen. Ich habe beispielsweise einem 25 kg schweren Hund im Verlauf eines Nachmittags (innerhalb 6 Stunden) 1,0 g Atrop. sulfuric. auf 2mal eingegeben; derselbe zeigte zwar jedesmal starke Unruheerscheinungen und hochgradige Aufregung, verbunden mit Krampfanfällen, erholte[S. 234] sich aber nach kurzer Zeit wieder vollständig. Grosse Hunde ertragen annähernd dieselbe Dosis wie ein Pferd.
4. Schafe ertrugen 90,0 g trockene Blätter, 120,0 g getrocknete Wurzel und selbst 60,0 g Belladonnaextrakt (Gerlach).
5. Ziegen zeigten nach der Verfütterung von 750 g frisch getrockneter Belladonnablätter nur eine starke Mydriasis ohne jede andere auffällige Erscheinung (Gerlach). Die Unempfindlichkeit der Schafe und Ziegen gegen Belladonna ist übrigens lange bekannt. Schon Münch bemerkt in seiner „Praktischen Anweisung, wie Belladonna bei den Tieren anzuwenden ist, Stendal 1787“, dass Ziegen die Belladonna pfundweise und Schafe die Blätter mit Begierde fressen.
6. Kaninchen sind besonders indifferent gegen Atropin. Hertwig hat Kaninchen wochenlang nur mit Belladonnablättern gefüttert, wobei dieselben ausser Pupillenerweiterung keinerlei abnorme Erscheinungen zeigten, vielmehr ganz munter blieben; im Urin derselben liess sich Atropin nachweisen. Die tödliche Dosis des Atropins für Kaninchen liegt erst bei 1,0 g (beim Menschen wirken schon 0,1 g sicher tödlich, und schon 5 mg bedingen eine schwere Vergiftung).
Nachweis. Die Abscheidung des Atropins aus den Untersuchungsobjekten erfolgt am besten nach der Methode von Dragendorff (vergl. S. 199); hierbei ist zu beachten, dass das Atropin aus seiner Lösung in Benzol in der Kälte auskristallisiert. Da das Atropin eines der am leichtesten zersetzlichen Alkaloide ist, müssen hohe Temperaturgrade, sowie ätzende Alkalien und starke Säuren streng vermieden werden; es empfiehlt sich ferner im Vakuum bei möglichst niedriger Temperatur abzudampfen. Das abgeschiedene Atropin kann auf verschiedene Weise agnosziert werden. 1. Die physiologische Methode des Nachweises ist die sicherste. Man löst einen Teil desselben in wenig Wasser auf und bringt die Lösung in den Lidsack eines Kaninchens, einer Katze, eines kleinen Hundes, worauf sehr bald Pupillenerweiterung eintritt. Diese Pupillenerweiterung wird noch durch 0,005 mg Atropin erzeugt. 2. Mit rauchender Salpetersäure und weingeistiger Aetzkalilösung färbt sich Atropin schön rotviolett. Die Reaktion, welche noch durch 0,001 mg Atropin hervorgerufen wird, führt man in der Weise aus, dass man kleine Mengen des Alkaloids mit 3–4 Tropfen rauchender Salpetersäure löst und im Wasserbade verdunstet,[S. 235] bis ein gelblicher Rückstand hinterbleibt, welcher bei Zusatz einer Lösung von Aetzkali in 90proz. Weingeist sich schön violett färbt.
Andere Reaktionen sind: Rotfärbung nach Uebergiessen mit 1–5proz. alkoholischer (50 Proz.) Sublimatlösung (2 ccm) und schwachem Erwärmen, Blumengeruch beim Erwärmen von Atropin mit konzentrierter Schwefelsäure (nach den einen Geruch nach Orangeblüten, nach den anderen Blütengeruch von Prunus Padus oder Spiraea Ulmaria). Endlich rötet Atropin im Gegensatz zu den meisten Alkaloiden Phenolphthaleinpapier.
Kasuistik. Am häufigsten sind Atropinvergiftungen bei Pferden beobachtet worden infolge der von Tempel empfohlenen kombinierten Morphium-Atropininjektion gegen Schulterlahmheit. Die Kombination wirkt, wie ich mit F. Preusse festgestellt habe, dadurch so gefährlich, dass sich die sekretionsbeschränkende Wirkung des Atropins auf die Speicheldrüsen (Trockenheit der Maul- und Rachenschleimhaut, erschwertes bezw. aufgehobenes Schlingvermögen) und Darmdrüsen, insbesondere die Bauchspeicheldrüse (Eindickung und schwere Beweglichkeit des Darminhalts), mit der stopfenden, die Darmperistaltik lähmenden Wirkung des Morphiums verbindet. Infolgedessen kann sich leicht eine schwere Verstopfungskolik mit ihren Folgen (Tympanitis, Magenruptur) einstellen. Die in der tierärztlichen Literatur beschriebenen einzelnen Vergiftungsfälle sind von F. Preusse (Monatshefte für prakt. Tierheilkunde, 1899) gesammelt worden. Die wichtigsten Fälle sind folgende:
Meinicke applizierte einem an akuter Schulterlahmheit leidenden Offizierspferde die Tempelsche Mischung (Atropin 0,05, Morphium 0,2) subkutan und beobachtete nachstehende Vergiftungserscheinungen: Bereits nach 10 Minuten trat eine Erweiterung der Pupillen ein, wenig später begann das Tier die Zunge aus dem Maule herauszustrecken. Angebotenes Heu und Wasser vermochte es nicht abzuschlucken. Die Frequenz des Pulses betrug nach Ablauf von 15 Minuten bereits 60 Schläge, er war drahtförmig und spritzend; ¾ Stunden nach der Injektion war er nicht mehr zählbar und die Arterienwand kaum noch zu fühlen. Die Herzaktion geschah tumultuarisch, die Respiration langsam, 8mal in der Minute. Ungefähr nach Verlauf einer Stunde war das Stadium acmes der Intoxikation erreicht, indem der Herzschlag stark pochend 110–116mal in der Minute erfolgte, Muskelzittern und Schwanken im Hinterteil auftrat, der Blick stier und ängstlich wurde und die Pupillen ad maximum erweitert waren. Das bis dahin ruhige Tier stieg alsdann einigemal mit den Vorderfüssen an den Boxwänden hoch, wurde aber bald wieder still. Nach 1½, 2, 3 Stunden wurden resp. 90, 70, 60 Herzschläge gezählt. Das Pferd trug ein mattes, müdes Benehmen zur Schau, der Appetit war vollkommen unterdrückt. Am Tag darauf waren Puls, Herzschlag und Atmung zur Norm zurückgekehrt, und gegen Abend geschah die Futter- und Getränkaufnahme wieder in genügendem Masse. — Scholte injizierte einem schweren Percheronwallach die genannte Morphium-Atropinlösung. Nach einer Viertelstunde begann das Pferd zu scharren, bekundete hochgradige Angst, Atemnot, Muskelzittern, hatte eines drahtförmigen Puls von 66 Schlägen in der Minute und einen pochenden Herzschlag. Wenig später versuchte das Tier an der Wand emporzugehen, biss in die Stäbe der Raufe und hing sich vor Schmerz förmlich in die Halfter. Diese Erscheinungen hielten bis zu 50 Minuten nach der Einverleibung des Mittels an und wurden dann von einer Müdigkeit, Schläfrigkeit und Appetitlosigkeit gefolgt. Am nächsten Tag war der Wallach wieder munter. — Meyerstrasse sah 8 Stunden nach der Injektion ein Pferd unruhig werden, sich häufig wälzen und dyspnoisch atmen. Es bestand Tympanitis, vollständige Sistierung der peristaltischen Geräusche, häufiges Drängen, aber[S. 236] nur Absetzen schleimiger Massen. Auf die Verabreichung einer Aloepille hin wurde die Kolik gehoben. Ein anderes Pferd bekundete sehr intensive Vergiftungssymptome, namentlich Tobsucht, die indessen nach 3stündiger Fortdauer gänzlich zurückgingen. — Noack beobachtete bei einer englischen Stute regelmässig 2 Stunden nach jeder der beiden vorgenommenen Injektionen eine ziemlich heftige Blähkolik, Freitag konstatierte in 2 Fällen schon kurze Zeit nach der Einverleibung des Arzneipräparates Kolikerscheinungen. Bei sämtlichen 8 Pferden schwanden dieselben nach ungefähr 5 Stunden, die Lahmheit war jedoch nicht beseitigt. — Auf eine Injektion der vereinigten Mittel hin geriet ein Pferd, einer Beobachtung von Bruns zufolge, in einen rauschartigen Zustand und zeigte eine Atemfrequenz von 40 Zügen in der Minute. Die gleiche Aufregung trat nach einer zweiten, 5 Tage später vorgenommenen Einspritzung zutage. — Lungwitz konstatierte bald nach der Injektion bei einem Pferd eine starke, etwa fünf Stunden anhaltende Aufregung und Unruhe, Vorwärtsdrängen mit in die Höhe gestrecktem Kopfe und andauerndes Seitwärtstreten, Puls- und Atmungsbeschleunigung, sowie eine öftere Entleerung von Harn in geringen Quantitäten und nach kurzen Intervallen. — Ein Pferd drängte 3 Stunden nach der gewöhnlichen Injektion, wie v. Lojewski mitteilt, gewaltig nach vorwärts, schlug mit den Hinterextremitäten nach dem Bauche, hatte ad maximum erweiterte Pupillen, eine trockene Maulschleimhaut und eine holzige Zunge. Die Muskulatur der linken Schulter oszillierte beständig. Puls und Atmung waren beschleunigt. Nach fünf Stunden hatten die Erscheinungen den Höhepunkt erreicht und wurden jetzt schnell durch Morphium kupiert. Am folgenden Tag zeigte das Tier nur noch eine gewisse Mattigkeit. — Meltzer nahm 4 Stunden nach der Injektion folgende Vergiftungssymptome wahr: Das Pferd war stark tympanitisch aufgetrieben, die Peristaltik lag gänzlich darnieder. Es blickte angsthaft um sich und war über den ganzen Körper mit Schweiss bedeckt. Die Atmung vollzog sich pumpend und die Herzaktion tumultuarisch, die Frequenz der letzteren war nicht genau zu ermitteln. Der Patient scharrte ununterbrochen mit den Vorderfüssen, das Hinterteil schwankte stark bei der Bewegung. Als Antidot wurde eine Mischung von Eserin, Morphium, Kalomel, Kirschwasser und Kaffee mit Erfolg ordiniert. Am folgenden Tag war das Tier wieder wohl, die Lahmheit jedoch nicht gewichen. Meltzer ist der Ansicht, dass es sich in diesem Fall wohl um eine Idiosynkrasie gehandelt hat. — Selbst auf die Verabreichung der gewöhnlichen Lösung, auf 3 aufeinanderfolgende Tage gleichmässig verteilt, sah Jess stets eine sehr unliebsame, mit Tympanitis und Darniederliegen der Darmbewegungen einhergehende Kolik auftreten. Bei einem Pferd zeigten sich diese Nebenwirkungen des Mittels in Form von über eine Stunde anhaltenden Gehirnerscheinungen, indem das Tier an den Wänden hochstieg, beständig mit den Vorderextremitäten schlug und mit dem Hinterteil stark schwankte. Ein weiterer Patient, dem ein Dritteil der vorschriftsmässigen Mischung injiziert war, bekam ebenfalls Kolik und wurde am Abend desselben Tages im Stall tot aufgefunden. Eine Sektion unterblieb leider. — Strecker bemerkte an einer schweren belgischen Stute 3 Stunden nach der Injektion mässiges Muskelzittern und Unruheerscheinungen, sich in häufigem Hin- und Hertreten äussernd. Abends warf sich das Pferd zu wiederholten Malen heftig nieder, trieb rasch auf und starb wenig später. Bei der Obduktion wurde als causa mortis eine Magenruptur ermittelt. — Krämer (Zeitschr. f. Vetkde. 1901) sah bei einem Militärpferd nach einer Atropin-Morphiumeinspritzung (0,05 : 0,2) kolossalen Schweissausbruch, heftige Unruhe, starke Schlingbeschwerden, Mydriasis, Dyspnoe, sowie heftiges Anrennen gegen die Krippe. Die Unruheerscheinungen hielten 4 Stunden an; auch am folgenden Tag bestand noch ziemliche Schwäche in der Nachhand. — Güntherberg (ibid.) sah bei einem schulterlahmen Pferd nach einer Atropin-Morphiuminjektion (0,02 : 0,1) heftige Unruheerscheinungen, drahtförmigen Puls, stieren Blick, sowie Tod nach 24 Stunden; die Sektion ergab eine 1½ m lange Invagination des Dünndarms. — Neffgen (D. T. W. 1906) sah bei einem 8jährigen schweren Oldenburger nach der subkutanen Injektion von 0,5 Atropin hochgradige Unruhe, Pupillenerweiterung, Taumeln, sowie Tod nach 21 Stunden.
Vergiftungen durch die Aufnahme der Belladonnablätter bei Rindern sind in der tierärztlichen Literatur nur ganz vereinzelt beobachtet worden.[S. 237] Hering (Pathologie 1859) sah bei 2 Kühen nach der Aufnahme von Waldgras Toben, Niederstürzen und Aufblähung; Nagy (Veterinarius 1897) bei einem Rind, das auf der Weide Belladonnablätter gefressen hatte, starke Aufblähung, Anrennen an Gegenstände, Pupillenerweiterung, 70 Pulse, unsicheren Gang und häufige Darmentleerungen; die eingeleitete Behandlung (Abführmittel, kalte Begiessungen) hatte in 2 Tagen vollkommene Genesung zur Folge. — Nach Gerö (Veterinarius 1901) sollen ungarische Pferdehändler bei dämpfigen Pferden betrügerischerweise einen Aufguss von Belladonnakraut eingeben, wodurch Pupillenerweiterung, Verstopfung und Aufblähung, Sphinkterenparalyse, beschleunigte Herzaktion, Trockenheit der Maulschleimhaut, sowie hochgradige Aufregung entstehen soll. G. will 36 Fälle derartiger Vergiftungen, darunter 11 Todesfälle beobachtet haben.
Botanisches. Das Bilsenkraut, Hyoscyamus niger, ist eine auf Schutt, wüsten Plätzen, Kirchhöfen etc. wachsende Solanazee mit fleischiger, möhrenartiger Wurzel, klebrigem, weichhaarig zottigem, drüsigem, bis ½ m hohem Stengel, grünen, bis 20 cm langen und 10 cm breiten, eiförmigen, buchtig gezahnten, ebenfalls klebrigzottigen Blättern, sowie schmutziggelben, violett netzartigen, glockigen, widerlich riechenden Blüten. Die zweifächerigen Kapselfrüchte enthalten sehr zahlreiche Samen. Im Bilsenkraut sind 2 Alkaloide enthalten, das Hyoszin oder Skopolamin und das Hyoszyamin. Auch in der Wurzel von Skopolia atropoides ist Skopolamin enthalten.
Krankheitsbild. Das Hyoszin (Skopolamin) stimmt in seiner mydriatischen Wirkung, sowie in seiner erregenden Wirkung auf das Gehirn und Herz mit dem Atropin ziemlich überein. Das Krankheitsbild der Bilsenkrautvergiftung ist daher im wesentlichen das gleiche, wie das der Belladonnavergiftung. Auch dem Hyoszin (Skopolamin) gegenüber verhalten sich die Haustiere viel weniger empfindlich als der Mensch. Während beim Menschen schon auf 2 mg Hyoszin Vergiftungserscheinungen zu beobachten sind, ertragen Hunde und Katzen das 100–300fache dieser Dosis. Eine kleine Katze blieb noch nach 0,6 g Hyoszin am Leben (Kobert). Diese geringe Empfindlichkeit der Tiere gegenüber dem Hyoszin ist wohl auch der Hauptgrund dafür, dass Bilsenkrautvergiftungen bei den Haustieren ebenso selten sind, wie Belladonnavergiftungen. In der tierärztlichen Literatur finden sich nur folgende Fälle verzeichnet. Nach Cruzel (Journ. de méd. vét. 1828) hatte eine Kuh im Frühjahr eine grössere Menge frischen Bilsenkrautes gefressen; nach 2 Stunden fiel sie um, zeigte Pupillenerweiterung, starke Injektion der Konjunktiva, sichtbares Pulsieren der Karotiden, Konvulsionen, krampfhaftes, röchelndes Atmen, häufige Harnentleerungen, sowie allgemeine Körperschwäche.[S. 238] Nach Graess (Berl. Arch. 1897) starben 29 junge Hühner an Bilsenkrautvergiftung, während die alten Hühner nicht erkrankten. Regenbogen (B. T. W. 1903) beobachtete bei einem Pferd nach der Injektion von 0,02 Hyoszin Raserei, Hochsteigen, Schlagen mit dem Kopf gegen die Krippe und angestrengte Atmung, offenbar als Ausdruck einer Idiosynkrasie.
Behandlung wie bei der Atropinvergiftung.
Experimentelles. Von den zahlreichen, früher mit Bilsenkraut angestellten toxikologischen Versuchen sind folgende erwähnenswert. Pferde zeigten auf 90–120 g Bilsenkraut im Dekokt starke Mydriasis, Steigerung der Pulsfrequenz von 35 auf 72, Zuckungen am Halse und an den Lippen; nach 3–5 Stunden waren die Erscheinungen vorüber (Gohier). Die Verfütterung von 2 Pfd. frischer Wurzel erzeugte nur Tympanitis und Kolik (Viborg). Ein Eselhengst blieb nach 1½ Pfd. ausgepressten Bilsenkrauts am ersten Tag ganz gesund; am zweiten Tag stieg der Puls von 24 auf 70 und die Atmung wurde angestrengt. 1 Pfd. halbreifer Samen steigerte bei einem Pferd schon nach ½ Stunde den Puls von 34 auf 60 und beschleunigte die Atmung; am anderen Tag war die Pulsfrequenz wieder eine normale, das Tier zeigte aber rasende Zufälle, genas jedoch wieder. Hertwig sah nach 180–360 g des frischen und trockenen Krauts, der Wurzel und Samen lediglich Pulssteigerung und Tympanitis. Intravenös trat nach 8 g Infus des trockenen Krautes Unruhe, vermehrter, aussetzender Puls, Mydriasis, Zittern, Mattigkeit, Taumeln, momentane Raserei, Strangurie auf, nach 16 g schreckliches Toben, völlige Bewusstlosigkeit, Schweissausbruch, Konvulsionen, sowie der Tod nach 2 Stunden. Eine Kuh zeigte nach Aufnahme frischen Bilsenkrautes Mydriasis, Pulsation der Karotiden, Niederstürzen, Konvulsionen und Durchfall. Hunde zeigten nach 8 g Extraktaufnahme Erbrechen, Beschleunigung der Herztätigkeit und Mydriasis.
Botanisches. Der Stechapfel, Datura Stramonium, ist eine überall in Europa vorkommende, im 16. Jahrhundert durch Zigeuner eingeschleppte Solanazee, welche auf Schutthaufen, in Kirchhöfen, an Hecken etc. vorkommt. Er bildet einen bis zu 1 m hohen Strauch, mit dickem, hohlem, kahlem, gabelartig verzweigtem Stengel, gestielten, eiförmigen, buchtig gezähnten, kahlen Blättern, weissen, trichterförmigen, 5lappigen, aufrechten Blüten mit sehr langer Blumenkrone und blassgrünem, röhrigem Kelch, sowie mit grossen, dornigen, 4fächerigen Kapseln. Der Stechapfel enthält 2 Alkaloide: das Atropin (Stramoniumatropin) und Hyoszyamin. Beide zusammen wurden früher als „Daturin“ bezeichnet. — Eine atropinähnliche Wirkung besitzt auch das Ephedrin, welches in Ephedra vulgaris enthalten ist.
Krankheitsbild. Die Wirkung des Stechapfels stimmt mit derjenigen der Belladonna und des Bilsenkrautes überein. Das Krankheitsbild setzt sich aus den Erscheinungen der Pupillenerweiterung, der zerebralen und kardialen Erregung mit späterer Lähmung zusammen. Vergiftungen mit Stechapfel sind ebenso selten wie bei jenen. In der Literatur sind nur die folgenden[S. 239] Fälle beschrieben. Eine Kuh zeigte nach der Aufnahme des Krautes wutartige Symptome: starke Aufregung, Zusammenstürzen, Lähmung, Tympanitis, genas aber nach 5 Tagen (Koppitz, B. T. W. 1906). — 7 Gänse zeigten nach dem Fressen der Blätter und Stengel Taumeln und Umfallen und starben innerhalb weniger Minuten (Zarnack, ibid. 1901).
Experimentelles. Die in früheren Zeiten mit der Pflanze angestellten experimentellen Untersuchungen haben im wesentlichen folgendes ergeben. Pferde zeigten nach der Verabreichung von 1 Pfd. frischer Stechapfelblätter Mydriasis und schnelleren Puls (Viborg). 2 Pfd. der abgeblühten Pflanze riefen leichte Kolikerscheinungen und Auftreibung hervor. 2½ Pfund reife Samen töteten ein Pferd nach 52 Stunden; Symptome: schneller, kleiner Puls, Auftreibung, Kolik. Hertwig spritzte Pferden intravenös 8–16 g Tinctura Stramonii ein, desgleichen ein Infus von 8 g des Krautes; darauf zeigten sich starke Puls- und Atmungsbeschleunigung, Pupillenerweiterung, Abstumpfung, Schwindel, Zittern, Geifern, Gähnen, Krämpfe. Ziegen ertrugen 240 g ausgepressten Stechapfelsaft ohne weitere Erscheinungen; ein Widder zeigte nach derselben Gabe häufigeres Atmen und Urinieren. Hunde äusserten nach 120 g ausgepressten Saftes Unruhe, Winseln, Erbrechen, Zittern, genasen aber wieder. Auf 16 g Extrakt starb ein Hund nach 7 Stunden unter den Erscheinungen der Atropinvergiftung (Orfila).
Allgemeines. Das dem Atropin chemisch und physiologisch nahestehende Kokain ist das Alkaloid der Kokablätter (Erythroxylon Coca, Erythroxylee) und hat die Formel C17H21NO4. Es wird in der Tierheilkunde seit etwa 10 Jahren in der Form des Cocainum hydrochloricum subkutan als Diagnostikum bei Lahmheiten des Pferdes vielfach angewandt; hierbei sind zuweilen Vergiftungserscheinungen beobachtet worden. Seltener haben sich Vergiftungen bei den Haustieren nach der Anwendung des Kokains als lokales Anästhetikum vor Operationen ereignet, sowie beim sog. Doping der Rennpferde (künstliche Steigerung der Leistungsfähigkeit durch Kokain und andere Stimulantien).
Die toxische Wirkung des Kokains auf verschiedene Tiergattungen ist zuerst von v. Anrep (Pflügers Archiv 1880) eingehend untersucht worden. Später haben namentlich Fröhner (Arzneimittellehre 1889), Rahnenführer (Berl. Arch. 1902) und C. Fischer (Monatshefte für praktische Tierheilkunde 1904) die Giftwirkung bei Tieren festgestellt.
Symptome. Neben der örtlichen anästhesierenden Wirkung des Kokains auf die peripheren Nerven der Haut und Schleimhäute treten nach der Resorption des Kokains ins Blut Erregungserscheinungen im Gebiete der psychomotorischen Rindenzentren des Grosshirns ein, welche an das Bild der Atropinvergiftung erinnern und sich je nach Dosis und Tiergattung verschieden äussern.
1. Nach kleinen Dosen (0,01–0,015 g Kokain pro kg Körpergewicht) zeigen Hunde freudige Erregung, ausgelassene Munterkeit,[S. 240] sowie eine rastlose Tätigkeit aller Muskeln, welche sich in planlosem Hin- und Herlaufen, Springen, Hüpfen, tänzelnden Bewegungen, beständigem Umherlaufen im Kreise, Schweifwedeln, sowie pendelnden Kopfbewegungen äussert. Eine ähnliche psychische Erregung zeigen Pferde und Rinder, sowie Katzen, die besonders empfindlich sind; sehr widerstandsfähig sind dagegen Tauben. Gleichzeitig wird infolge Einwirkung auf das Rückenmark die Reflexerregbarkeit gesteigert; die Tiere sind schreckhaft und zittern. Manche Pferde zeigen schon nach der subkutanen Injektion von 0,5 g Kokain (diagnostische Injektion bei Lahmheit) vorübergehende Aufregung, Schreckhaftigkeit, Unruhe und Zittern (Idiosynkrasie?). Auch die Pulsfrequenz, der Blutdruck, die Atemfrequenz und die Körpertemperatur sind gesteigert; die Pupille ist erweitert; die Peristaltik ist vermehrt; es besteht Speicheln.
2. Mittlere Dosen (von 0,015–0,02 pro kg ab beim Hund) bewirken hochgradige psychische Aufregung, sowie krampfhafte Unruhe aller Körpermuskeln. Es treten rhythmische Kontraktionen aller Skelettmuskeln, sowie tetanische und tonisch-klonische Krämpfe mit Opisthotonus, epileptiformen Anfällen, Roll- und Schwimmbewegungen und den verschiedensten Koordinationsstörungen auf; die Atmung wird dyspnoisch.
3. Grosse Dosen (von 0,02 pro kg ab beim Hund) lähmen die nervösen Zentralorgane und zwar zuerst das Grosshirn, dann die Vierhügel, das verlängerte Mark und das Rückenmark und töten durch Lähmung des Atmungszentrums. Der Sektionsbefund ist, abgesehen von den suffokatorischen Erscheinungen, negativ.
Beim Menschen beobachtet man endlich nach lange fortgesetztem Kokaingebrauch ähnlich wie beim Morphium schwere und bleibende psychische Störungen in Form von Epilepsie und Paranoia (Kokainismus).
Behandlung. Die Prophylaxe der Kokainvergiftung besteht darin, dass man die Dosen bei der diagnostischen Injektion nicht zu hoch nimmt oder gleichzeitig mit dem Kokain einige Tropfen Adrenalin 1 : 1000 einspritzt (gefässkontrahierende, die Resorption verlangsamende bezw. verhindernde Wirkung). Während der Erregungserscheinungen empfiehlt es sich, die Pferde an der Hand zu bewegen. Symptomatische Gegenmittel sind Bromkalium, Chloralhydrat und Amylnitrit.
[S. 241]
Nachweis. Da das Kokain sich im Blute anscheinend sehr schnell zersetzt, ist der chemische Nachweis im Körper schwierig. Der physiologische Nachweis besteht in vorübergehender Unempfindlichkeit der Zungenspitze bei Berührung. Chemische Reaktionen sind: weisser in Weingeist und Aether leicht löslicher Niederschlag in der wässerigen, mit Salzsäure angesättigten Lösung durch Sublimatwasser, brauner durch Jodlösung, weisser durch Kalilauge.
Experimentalversuche über die Kokainwirkung bei den verschiedenen Haustieren. Die innerliche Kokainwirkung beim Hund ist individuellen Verschiedenheiten unterworfen. Ich habe in einem Fall einem Hund von 10 kg Körpergewicht 0,15 g Cocainum muriaticum (0,015 pro kg) ohne auffällige Erscheinungen subkutan injiziert. Ein anderer 32 kg schwerer Hund zeigte nach der Injektion von 0,5 g Cocainum muriat. (ebenfalls 0,015 pro kg) das deutliche Bild der Kokainerregung, desgleichen ein 8 kg schwerer nach 0,12 Kokain. Bei Pferden beobachtete ich nach subkutaner Injektion von 0,5 g Kokain (0,001 pro kg) vereinzelt Unruhe, Aufregung, Zittern und Schreckhaftigkeit. Nach der Injektion von 2,0 g Kokain (0,005 pro kg) beobachtete ich regelmässig Unruheerscheinungen, Scharren mit den Vorderfüssen, Wiehern, Schreckhaftigkeit, Aufregung, sogenanntes Leineweben, Pulssteigerung bis auf 96, Speicheln, sehr häufigen Kotabsatz, laut kollernde Peristaltik, Mydriasis, und nach 50 Minuten tobsuchtähnliche Zufälle (Hochsteigen, Vorwärtsdrängen, Versuche, die Halfterkette loszureissen, Seitwärts- und Rückwärtsspringen) mit einer aufs höchste gesteigerten Reflexerregbarkeit; erst nach 2 Stunden war das Allgemeinbefinden wieder normal. Kühen gab ich 4, 6, 10 und 16 mg Kokain pro kg Körpergewicht. Eine 5jährige Kuh zeigte nach der Injektion von 1,0 g Cocainummuriaticum (0,004 pro kg Körpergewicht) sehr lebhaften Blick, unruhiges Benehmen, Schütteln mit dem Kopf, grosse Empfindlichkeit gegen Fliegen, lebhaftes Wedeln mit dem Schweif, Schreckhaftigkeit, starke Vermehrung der Peristaltik mit wiederholtem Absatz dünnflüssigen Kotes, häufigen Harnabsatz, Temperatur- und Pulssteigerung. Die Wirkung hatte etwa nach ¾ Stunden ihre Höhe erreicht. Von da ab liessen die Unruheerscheinungen nach und das Tier hatte sich 1½ Stunden nach dem Beginn des Versuchs wieder vollkommen beruhigt. Dieselbe Kuh zeigte nach der Injektion von 1,5 g Kokain ähnliche, aber hochgradigere Erscheinungen, namentlich starke Aufregung und Schreckhaftigkeit, fortgesetzten diarrhoischen Kotabgang, Harndrang mit tropfenweissem Harnabsatz, Speicheln, sowie leichtes Schwanken. 1½ Stunden nach Beginn des Versuches waren auch hier die Erscheinungen wieder zurückgegangen, das Tier zeigte aber noch eine mehrstündige Mattigkeit. 2,5 g Kokain erzeugten ähnliche, noch stärkere Erregungserscheinungen. 4,0 g Kokain (0,016 pro kg Körpergewicht) riefen bei einer Kuh ein 4 Stunden andauerndes Exzitationsstadium hervor mit tobsuchtartiger Aufregung, äusserster Schreckhaftigkeit, Absatz dünnflüssigen, diarrhoischen Kotes, anhaltendem Drängen auf den Harn, Speicheln, Rülpsen, Temperatursteigerung bis um 1°, Pulsbeschleunigung, Mydriasis und Schwanken. Nach dem Verschwinden dieser Symptome war das Allgemeinbefinden wieder ganz normal. Aehnliche Beobachtungen hat Negotin bei seinen Versuchen am Hund gemacht. — Nach Fischer (Monatshefte für prakt. Tierheilkde. 1904) steigt die Empfindlichkeit der Tiere gegen Kokain mit ihrer Grösse; die tödliche Dosis pro kg Körpergewicht beträgt nach ihm bei Fröschen 0,42 g, Tauben 0,06, Katzen und Hunden 0,03, Ziegen 0,015, Rindern und Pferden 0,018 (= 6–8 g Kokain als Todesdosis für Pferde); bei diesen tödlichen Dosen stieg die Körpertemperatur um 2,6–3,2°.
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Kasuistik. Wilkie (Journ. of comp. 1891) beobachtete bei einer Setterhündin, die vor der Operation eines Mammatumors eine 15proz. Kokaininjektion erhalten hatte, nach etwa 3 Minuten klonische Krämpfe, Speichelfluss, Zungen- und Lippenlähmung, Pupillenerweiterung und Manegebewegungen. Nach 3 Tagen war der Hund wieder hergestellt. — Parant (Tierärztl. Rundschau 1908) beobachtete nach der Instillation einer 4proz. Kokainlösung (5–6 Tropfen) in den Lidsack einer Katze heftige Krämpfe, maximale Pupillenerweiterung und Erblindung; erst nach 15 Tagen war das Tier wieder ganz hergestellt. — Nach Suffran (Revue Toulouse 1909) zeigte ein 20 kg schwerer Hund nach 0,06 g Kokain (intrakutan) Halluzinationen, Aufregung, Krämpfe, Speicheln und Anästhesie. — Rahnenführer (Berl. Arch. 1902) weist darauf hin, dass namentlich bei edlen Pferden die Injektion von 0,5 Kokain eine leichte Vergiftung (Exzitationsstadium) zur Folge hat; zahlreiche ähnliche Fälle hat auch Eberlein beobachtet; bei Herabsetzung der Dosis auf 0,2 und darunter fehlten die Vergiftungserscheinungen. Wegen der giftigen Nebenwirkung des Kokains wird neuerdings das 10mal weniger giftige Alypin zu diagnostischen Injektionen empfohlen.
Botanisches. Die verschiedenen Arten von Ranunkulus, welche in toxikologischer Beziehung in Betracht kommen, sind:
1. Ranunculus sceleratus, giftiger Hahnenfuss, Froscheppich, an Teichen, Sümpfen und Gräben wachsend (daher auch früher Ranunculus palustris benannt), eine bis meterhohe, krautartige Pflanze, mit sehr dickem, hohlem, fleischigem, kahlem Stiel, blassgrünen, handförmig geteilten Blättern, blassgelben, fünfblätterigen, sehr kleinen, hinfälligen Blüten, zurückgeschlagenem Kelch, sowie bauchigen, feinrunzeligen, kahlen, auf einem walzenförmigen Fruchtboden stehenden Früchten.
2. Ranunculus acris, kleine Schmalzblume, Butterblume, Wiesenranunkel, besitzt einen abgebissenen, reichfaserigen Wurzelstock, aufrechten, flaumhaarigen Stengel, flaumhaarige, bandförmig geteilte Blätter, grosse, goldgelbe Blüten mit rundem, nicht gefurchtem Blütenstiel und abstehendem Kelch, sowie zusammengedrückte, kahle, glatte Früchtchen, welche kugelige Köpfchen bilden.
3. Ranunculus arvensis, der Ackerhahnenfuss, bis einen halben Meter hoch werdend, besitzt einen faserigen Wurzelstock, kahlen Stengel, dreigespaltene Blätter, blassgelbe, kleine, fünfblätterige Blüten mit aufrechtstehendem Blütenkelch und dornige oder knotige Früchtchen.
4. Ranunculus repens, der kriechende Hahnenfuss, mit gebogenem, nicht aufrechtem Stengel und kriechenden Ausläufern, tiefen, handförmig geteilten Blättern und fünfblätteriger, gelber Blume.
5. Ranunculus Ficaria (Ficaria verna, Ficaria ranunculoides), Feigwarzenkraut, Pappelsalat, Pfennigsalat, wildes Löffelkraut, kleines Schöllkraut, mit büschelig-knolligem Wurzelstock, niederliegendem Stengel, herzförmigen Blättern, goldgelber Blume und dreiblätterigem Kelch.
6. Ranunculus bulbosus, Butterkups, mit aufrechtem, an der Basis zwiebelförmig verdicktem Stengel, grasgrünen, dreischnittigen Blättern und grossen, goldgelben Blüten auf gefurchten Stielen. — Ausserdem sind zu erwähnen Ranunculus Flammula, der brennende Hahnenfuss, Ranunculus Lingua, der grosse Hahnenfuss, Ranunculus lanuginosus, auricomus und polyanthemus.
Die genannten Ranunkelarten enthalten einen scharfen Stoff, den Anemonenkampfer (Ranunkulol, Anemonol, Pulsatillenkampfer), ein festes und dabei flüchtiges ätherisches Oel, welches nadelförmige Kristalle[S. 243] bildet und beim Behandeln mit Alkalien eine gelbe, gummiartige Masse liefert und zu Anemonin und Anemoninsäure, zwei nicht reizende Körper, zerfällt. Der Anemonenkampfer findet sich auch in verschiedenen Anemonenarten, so in Anemone pratensis (Küchenschelle, Osterblume), welche überall in Europa auf sonnigen Hügeln und Heiden, sowie am Rande lichter, trockener Wälder vorkommt und schwarzviolette, glockige, nickende, aussen glänzend weisszottige Blumen hat; ferner in Anemone Pulsatilla, in Anemone vernalis und Anemone nemorosa (weisse Osterblume, Waldhahnenfuss, Windröschen), einer in Laubwäldern und Gebüschen häufig vorkommenden, übrigens ungiftigen (vergl. unten) Ranunkulazee mit weissen, oft rötlich angeflogenen, kahlen Blüten.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Der Anemonenkampfer besitzt eine reizende, entzündungserregende Wirkung auf die Schleimhaut des Digestionsapparates. In konzentrierter Form erzeugt er sogar in Berührung mit der Haut Blasen. Das Krankheitsbild der Vergiftung durch Ranunkeln äussert sich daher im wesentlichen durch die Erscheinungen einer oft rasch tödlich verlaufenden hämorrhagischen Gastroenteritis, welcher sich häufig noch die Erscheinungen der Nephritis haemorrhagica anschliessen, weil der Anemonenkampfer auch bei seiner Ausscheidung durch die Nieren reizend wirkt. Die Allgemeinwirkungen des Anemonols bestehen in Krämpfen und Betäubung. Die wichtigsten Symptome der Vergiftung sind: Brechbewegungen, Würgen, Speicheln, Kolikerscheinungen, blutiger, ruhrartiger Durchfall, Hämaturie, Albuminurie, Schreien, Brüllen, Taumeln, Krämpfe, Zittern, Zusammenbrechen, sowie zuweilen sehr rascher, apoplektiformer Tod. Vergiftungen kommen bei allen Pflanzenfressern vor, namentlich aber bei Rindern und Schafen, wenn auch nicht gerade sehr häufig. Man beobachtet sie gewöhnlich dann, wenn die Tiere mit dem Grünfutter oder auf der Weide Ranunkeln aufgenommen haben. Ranunkelhaltiges Heu hat dagegen infolge der Verflüchtigung des Anemonenkampfers beim Trocknen seine scharfe Wirkung fast ganz verloren.
Bei der Sektion findet man die Schleimhaut des Magens und Darmes entzündlich geschwollen, von Hämorrhagien durchsetzt und den Darminhalt blutig; die Nieren zeigen zuweilen die Erscheinungen einer hämorrhagischen Nephritis.
Die Behandlung ist eine symptomatische; sie besteht in der Verabreichung einhüllender, schleimiger und adstringierender (Tannin) Mittel. Der Nachweis geschieht auf botanischem Weg.
Kasuistik. Zwölf Kühe erkrankten nach der Aufnahme von Grünfutter, das im wesentlichen aus Ranunculus acris bestanden hatte, an einem blutigen, ruhrartigen Durchfall (Schleg, Sächs. Jahresber. 1884). — 13 Rinder erkrankten[S. 244] im Frühjahr nach dem Weidegang auf einer mit Ranunculus sceleratus bewachsenen Wiese, 6 davon starben innerhalb 14 Tagen. Die Erscheinungen bestanden in Speicheln, Unruhe, Stöhnen, Brüllen, Kolikzufällen, Taumeln, Zittern, Bewusstlosigkeit, Zusammenbrechen; der Verlauf war ein sehr akuter (½-1 Stunde). Bei der Sektion fand man Entzündung der Schleimhaut des Wanstes und der Haube (Müller, Magazin Bd. 24). — 2 Rinder zeigten nach dem Beweiden einer mit Ranunculus sceleratus bewachsenen Wiese heftiges Brüllen, Umherspringen, Toben, Kolikerscheinungen, Aufblähen und Speicheln; die Krankheitserscheinungen dauerten im ganzen 4 Tage (Meyer, Schweizer Archiv Bd. 2). — Eine Schafherde nahm auf der Weide viel Ranunculus arvensis auf. Schon nach ½ Stunde zeigten einige Tiere Zittern, Krämpfe, Taumeln, sowie klägliches Geschrei. Binnen einer Stunde krepierten 21, ebensoviele waren scheintot, erholten sich aber wieder nach kurzer Zeit. Bei der Sektion fand man umschriebene Magenentzündung (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde 1872). — Vier Pferde, welche Ranunculus Flammula aufgenommen hatten, starben an Gastroenteritis (Stock, The vet. journ. 1886). — Eine Schafherde hatte auf einem Esparsettefeld geweidet, auf dem enorme Mengen von Ranunculus repens und arvensis wuchsen. Die ganze Herde erkrankte an Durchfall, Aufblähung und Krämpfen. 137 Schafe starben; bei der Sektion fand man Entzündung des Magens und Darmes (Eggeling, Berl. Arch. 1891, S. 370). — 2 Kühe starben plötzlich nach der Aufnahme von Ranunkeln an der Entzündung des Labmagens und Dünndarms (Brause, ibid. 1900). — 12 Kühe und 1 Ochse starben nach der Aufnahme von Ranunculus acris, sceleratus und bulbosus; sie zeigten blutigen Durchfall, schwere Benommenheit und bei der Sektion die Erscheinungen der Gastroenteritis (Trouette, Revue vét. 1900). — Eine Stute erkrankte nach der Verfütterung von Heu, das zu ⅓ aus Ranunculus acris bestand, unter Erscheinungen der Kolik, Diarrhöe und Hämaturie; nach 5 Tagen erfolgte Genesung. In ähnlicher Weise erkrankten Kühe nach der Aufnahme von Ranunculus Ficaria; sie zeigten Kolik und Durchfall, sowie vereinzelt Abortus (Mesnard, Recueil 1894). — 4 Rinder erkrankten nach der Verfütterung von Grünfutter aus einem sumpfigen Graben, das viel Ranunculus sceleratus und acris enthielt, unter Kolik, starkem Speicheln, Zittern, Taumeln und Zusammenbrechen (Wolf, Sächs. Jahresber. 1900). — Bei der Futternot im Jahr 1904 kamen Futtermittel zur Verwendung, die in anderen Jahren kaum Beachtung finden. Ein Landwirt liess das in einem toten Neissearme gewonnene Schilfgras an sein Rindvieh verfüttern. Noch beim Verzehren des Futters verfielen vier Kühe unter einem 25 Haupt starken Viehstapel plötzlich in Krämpfe und Zuckungen; bald brachen sie vor der Krippe bewusstlos zusammen. Die Sektion ergab eine leicht entzündliche Rötung der Pansen- und Haubenschleimhaut. In dem Schilfgras waren die Blätter des Hahnenfusses in grosser Menge vertreten. Sie wurden als zu Ranunculus sceleratus gehörig botanisch festgestellt. Wie sich am Ort der Grasgewinnung erkennen liess, wuchs der Ranunculus nicht in dem Schilf, sondern begleitete diesen in etwa 1 m breitem Streifen. Hierdurch wird es erklärlich, weshalb nur vier Haupt aus dem grossen Viehstapel der Giftwirkung anheimfielen. Das Schilfgras war zurzeit der Verabreichung mit dem Ranunculus sehr ungleichmässig gemischt. Das bei den ersten Schnitten gewonnene Schilf war als Heu geerntet worden und bereits ohne Gefahr wie auch in anderen Jahren verzehrt worden (Hönscher, Zeitschr. f. Vet. 1905).
Vergiftungen durch Anemonenarten sind in der tierärztlichen Literatur nicht enthalten. Fütterungsversuche von Müller und Krause (Berl. Arch. 1897) mit Anemone nemorosa bei verschiedenen Haustieren hatten ebenfalls ein negatives Resultat; der Pflanze kommt danach eine eigentliche Giftwirkung nicht zu.
Botanisches. Das Bingelkraut (Euphorbiazee) kommt in zwei giftigen Arten vor. 1. Mercurialis annua (einjähriges Bingelkraut, Bengelkraut, Ruhrkraut, Rehkraut, Schlangenkraut), ein auf Schutthaufen, an[S. 245] Aeckern und Zäunen wachsendes einjähriges Kraut mit kahlem, aufrechtem, ¼–½ m hohem, vierkantigem Stengel, länglich eiförmigen, kerbig gesägten Blättern, festsitzenden weiblichen Blüten (Juni–Oktober) und spitzhöckerigen Fruchtkapseln. 2. Mercurialis perennis (ausdauerndes Bingelkraut, Kuhkraut, Hundskohl, Speckmelde) ist ein in Buchenwäldern häufig vorkommendes, perennierendes, 15–30 cm hohes, kahles oder rauhhaariges Kraut mit einfachem, stielrundem Stengel, glänzend dunkelgrünen, eiförmig länglichen Blättern und langgestielten weiblichen Blüten (April-Mai).
Beide Pflanzen enthalten das Merkurialin, einen purgierenden Stoff, ausserdem Methylamin, Trimethylamin, ein ätherisches Oel und Indigo.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das im Bingelkraut enthaltene Merkurialin wirkt reizend auf die Magendarmschleimhaut und auf die Nieren. Das Krankheitsbild der bei den Pflanzenfressern und beim Schwein beobachteten Merkurialisvergiftung besteht daher vorwiegend in den Erscheinungen einer Gastroenteritis und Nephritis. Die Tiere zeigen Appetitlosigkeit, unterdrückte Rumination, leichte Kolikerscheinungen, Verstopfung oder Durchfall, vermehrte Harnsekretion, blutig gefärbten Harn, Drängen auf den Harn, Eiweisszylinder im Harn, Steifheit in der Nierengegend, Empfindlichkeit bei Druck in derselben, erschwerten Gang, beschleunigte Atmung, Zittern, Schwäche, beschleunigten, schwachen Puls. In einem Fall wurde auch eine Rotfärbung der Milch beobachtet. Die Prognose der Vergiftung ist in den meisten Fällen günstig; die Dauer der Erkrankung kann 4–6 Tage und darüber betragen. Bei der Sektion findet man die Erscheinungen der Gastroenteritis und Nephritis. Die Behandlung ist eine symptomatische (Verabreichung von schleimigen, einhüllenden und von adstringierenden Mitteln, namentlich von Tannin). Der Nachweis geschieht auf botanischem Weg.
Von den in der Literatur enthaltenen Beobachtungen über Merkurialisvergiftung sind zunächst die experimentellen Untersuchungen von Schulz (Arch. f. experiment. Pathol. 1886) zu erwähnen. Die Versuchstiere (Schweine und Kaninchen) zeigten neben vermehrter Harnsekretion, enormer Ausdehnung der Blase (Blasenlähmung), Harnzwang und Verstopfung einen blutrot gefärbten Harn, in welchem jedoch Blutfarbstoff nicht nachzuweisen war. Die Natur dieses roten Farbstoffes ist nicht näher festgestellt worden. Vielleicht gehört derselbe zu der Gruppe des Indigo, da das Bingelkraut tatsächlich Indigo enthält. Auf Grund der Schulzschen Beobachtung muss ferner die Frage aufgeworfen[S. 246] werden, ob die von den tierärztlichen Beobachtern als Blutharnen und Blutmelken beschriebenen Erscheinungen der Merkurialisvergiftung wirklich durch rote Blutkörperchen bezw. Hämoglobin bedingt wurden, oder ob auch ihnen ein roter, indigoartiger Farbstoff als Ursache zugrunde gelegen hat. Von manchen wird die Giftigkeit des Bingelkrauts überhaupt verneint (vgl. unten). Genauere Untersuchungen auch hierüber sind hier sehr erwünscht.
Kasuistik. Vernant (Recueil 1883) beobachtete bei zwei Pferden nach dem Genuss von Mercurialis annua Appetitlosigkeit, starke Rötung der Konjunktiva, pochenden Herzschlag, beschleunigten Puls, Steifheit in der Nierengegend, erschwerten Gang, sehr starke Polyurie sowie blutigen Urin; die Genesung erfolgte nach drei Wochen. Bei einer Kuh wurden dieselben Erscheinungen, ausserdem aber hochgradige Schwäche wahrgenommen; die Genesung erfolgte schon nach vier Tagen. Harms (Magazin 1871) beobachtete als Hauptsymptom der Merkurialisvergiftung Blutharnen; im Bodensatz des Harns fanden sich Eiweisszylinder, Lymphzellen und braune Körnchen. Jouguan (Recueil 1883) sah vier Kühe unter den Erscheinungen einer Indigestion erkranken; ein Tier starb. Dammann (Gesundheitspflege 1886) hat häufig bei Schweinen Vergiftungen beobachtet, wenn die ärmeren Leute im Frühjahr aus den Buchenwäldern Bingelkraut holten. Dubois (Annal. d. Bruxelles 1847) beobachtete bei Rindern Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Schmerz bei Druck auf die Nierengegend, leichte Kolikerscheinungen, Verstopfung und Durchfall, sowie Absatz eines dunkelschwarzen Harns. Schaak (Journal de Lyon 1847) beobachtete bei einer Kuh Rotfärbung der Milch, angestrengte Atmung, Harnbeschwerden, Abgang von schwarzem Blut mit dem Harn, Genesung am 6. Tag. Von 2 anderen Kühen zeigte die eine Verstopfung und Blutharnen, die andere Durchfall und Verkalben; beide genasen. Mesnard (Recueil 1894) sah bei einem Pferd nach der Aufnahme von Mercurialis annua Kolik, roten Harn, kleinen Puls und Zyanose der Schleimhäute. Bei der Sektion zeigten sich die Nieren geschwollen und hyperämisch, ekchymosiert, im Nierenbecken befand sich reines Blut (!), die Harnblase enthielt schwärzlichen, stark eiweisshaltigen Harn. — Blackhurst (Vet. journ. 1896) beschreibt eine Vergiftung durch Mercurialis perennis bei fünf Kühen; drei derselben zeigten am folgenden Tag schleimigen Durchfall und Speichelfluss, die beiden andern Entleerung dicker Blutkoagula aus dem After, Kolik, Schwäche und Koma; alle 5 Kühe wurden geheilt. — Oberwegner (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1899) sah bei einem Schwein nach dem Fressen von Mercurialis annua die Erscheinungen der Gastroenteritis, dunklen Harn, sowie Abortus. — Micucci (Giorn. soc. vet. 1902) führt einen Fall von Hämoglobinurie beim Rind auf das Bingelkraut zurück, das im Futter gefunden wurde (eine andere Kuh, welche das Futter verweigert hatte, blieb gesund); der Harn zeigte eine dunkelrote bis schwarzrote Farbe und enthielt so wenig rote Blutkörperchen, dass die Farbe des Harns dadurch nicht erklärt werden konnte. — Ganter (Bad. Mitteil. 1907) führt gleichfalls schweres Blutharnen bei fünf Rindern darauf zurück, dass das Futter ausschliesslich aus Bingelkraut bestand; im Nierenbecken fand sich „blutiger“ Harn. — Perrussel (J. de Lyon 1899) beobachtete bei 2 Kühen nach der Aufnahme von je 4–6 kg der Mercurialis annua tödliche Kolik und getrübten schmutziggrünen Harn; die Sektion ergab akute Darmentzündung, Nierenentzündung und pralle Füllung der Blase mit rötlichem Harn. Mathis (ibid.) bezweifelt dagegen auf Grund eines Fütterungsversuches die Giftigkeit der Mercurialis annua; er machte bei einem Ochsen die Gastrotomie und führte 9 Tage lang je 4 kg frischer Merkurialis durch die Operationswunde in den Pansen ein, ohne hiernach Gesundheitsstörungen zu beobachten. Auch Faure (ibid.) bezweifelt auf Grund von Versuchen an Kaninchen die Giftigkeit des Bingelkrauts.
[S. 247]
Botanisches. Die Gattung Euphorbia (Tithymalus), Wolfsmilch, ist charakterisiert durch einen krautartig beblätterten Stengel, gestielte gelbe, einhäusige Blüten mit glockenförmigem, fünflappigem Kelch und einer derartigen Anordnung, dass eine weibliche Blüte von 8–10 männlichen umgeben ist, endlich durch eine 3fächerige, 3knöpfige, 3 Teilfrüchtchen bildende Kapsel. Von giftigen Wolfsmilcharten kommen für die Haustiere in Betracht: Euphorbia Cyparissias, die Zypressenwolfsmilch, Euphorbia Peplus, die Gartenwolfsmilch, Euphorbia helioskopia, die sonnenwendige Wolfsmilch, und Euphorbia marginata. Eine andere giftige Wolfsmilchart ist Euphorbia Lathyris, das Maulwurfskraut oder Springkraut, deren Samen als Springkörner oder Semina Cataputiae minoris bezeichnet werden. Der Milchsaft der genannten Wolfsmilcharten enthält das giftige Euphorbinsäureanhydrid neben dem indifferenten Euphorbon.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das im Milchsaft der Euphorbien enthaltene Euphorbinsäureanhydrid hat eine reizende Wirkung auf Haut und Schleimhäute. Die Erscheinungen der Euphorbiumvergiftung sind daher wesentlich die einer hämorrhagischen Gastroenteritis: Appetitlosigkeit, Speicheln, Kolikzufälle, Verstopfung, Tympanitis, ruhrartiger, häufig blutiger Durchfall, pochender Herzschlag, beschleunigter schwacher Puls, Betäubung, Schwindel, Konvulsionen. Bei der Sektion findet man Rötung, Schwellung, Ekchymosierung und Geschwürsbildung auf der Schleimhaut des Magens und Darms. Die Behandlung besteht in der Verabreichung schleimiger und öliger Mittel in Verbindung mit Opium oder Tannin; im übrigen ist die Therapie symptomatisch. Der Nachweis wird auf botanischem Weg geführt.
Euphorbiumvergiftungen kommen bei den Haustieren ziemlich selten vor. Die Giftigkeit der einzelnen Wolfsmilcharten scheint überhaupt nicht sehr hochgradig zu sein. Dammann (Gesundheitspflege) fütterte einen Hammel mit 3 Pfd. der sonnenwendigen Wolfsmilch, ohne Vergiftungserscheinungen zu konstatieren. Von den in der Literatur verzeichneten Vergiftungsfällen sind die nachstehenden bemerkenswert. Prietsch (Sächs. Jahresber. 1859) beobachtete bei einer Ziege nach der Aufnahme von Euphorbia Peplus Kolikerscheinungen, Tympanitis, Speicheln und Verstopfung. Dennhardt (ibid. 1907) sah bei 5 Kühen, die auf einer Rübenstoppel weideten, auf der massenhaft Euphorbia helioskopia wuchs, starken Durchfall und plötzliches Versiegen der Milch. Baudius (Preuss. Mitteil. 6. Bd.) beobachtete bei einer Rinderherde nach dem Genuss der Wolfsmilch Kolikerscheinungen, sowie Gelbfärbung der Haut bei zwei[S. 248] weissen Ochsen. Vincenti (Woch. f. Tierh. Bd. 12) sah bei einem Rind nach der Aufnahme von Euphorbia helioskopia Appetitlosigkeit, Durchfall und pochenden Herzschlag. Mesnard (Recueil 1894) beobachtete bei einem Pferd Durchfall, Tenesmus und grosse Schwäche. Aehnliche Fälle sind von Marquardt (Repertor. 1876), Schüpp (Schweizer Archiv Bd. 13) und Röll (Oesterr. Veterinärber. 1883) beschrieben worden. Endlich sollen Vergiftungen beim Menschen nach dem Genuss von Ziegenmilch beobachtet worden sein (Menzel, Quellenstudien im Interesse der Milchviehzucht).
Botanisches. Der Fleckschierling oder Landschierling, Conium maculatum (Blutschierling, Mauerschierling, Wutschierling, Schwindelkraut, Tollkraut, Ziegendill, Teufelspeterling), ist eine auf Schutthaufen, unbebautem Land und an Wegen in ganz Europa wild wachsende Umbellifere. Der Stengel hat eine Höhe von 1–2 m, ist rund, aufrecht, ästig, bläulich bereift, am Grund rotbraun gefleckt („Fleckschierling“). Die ganze Pflanze ist kahl, die Blätter sind dunkelgrün und glänzend. Die unteren Blätter werden über 20 cm lang, sie sind dreifach gefiedert und haben einen gleichlangen, runden, hohlen, röhrigen Stiel, der am Grund in eine den Stengel umfassende häutige Scheide übergeht. Der Blütenstand bildet eine doppelt zusammengesetzte Dolde, die Blüten sind weiss. Die Samenrippen sind zusammengedrückt, anfangs gekerbt, später wellenförmig. Die Pflanze besitzt einen widerlichen, an Mäuseurin erinnernden Geruch, welcher auch am eingetrockneten Kraut nach dem Befeuchten mit Kalilauge nachzuweisen ist. Der Fleckschierling enthält das sehr giftige, ölartige, flüchtige Alkaloid Koniin von der Formel C8H17N, ausserdem das Konhydrin und Methylkoniin.
Krankheitsbild. Das Koniin ist ein lähmendes Gift für die Bewegungsnerven in den quergestreiften Muskeln, desgleichen für das Gehirn und Rückenmark; der Tod erfolgt durch Lähmung des Zwerchfells. Ausserdem besitzt das Koniin eine reizende Wirkung auf Schleimhäute. Die Vergiftungserscheinungen bestehen zunächst in Speicheln, Würgen, Brechbewegungen und Aufblähung; die Allgemeinwirkung äussert sich in allgemeiner Muskelschwäche, unsicherem Gang, zunehmender motorischer und sensibler Lähmung, Taumeln, Schwindel, Betäubung, Pupillenerweiterung und Atmungskrämpfen. Bei der Sektion findet man ausser leichten gastroenteritischen Erscheinungen nichts Besonderes. Die Behandlung besteht in der Verabreichung von Tannin als chemisches Antidot, sowie von exzitierenden Mitteln: Kampfer, Aether, Alkohol, Wein, Kaffee, Salmiakgeist, Ammonium carbonicum, Liquor Ammonii anisatus, Atropin, Koffein, Strychnin etc.
[S. 249]
Die Haustiere scheinen im allgemeinen gegenüber dem Koniin weniger empfindlich zu sein als der Mensch. Ich habe dies insbesondere bei Hunden konstatiert, bei welchen ich die Wirkung des bromwasserstoffsauren Koniins experimentell prüfte. Die subkutane Todesdosis beträgt nämlich nach meinen Versuchen pro kg Körpergewicht beim Hund 0,05 g (die Maximaldosis für den Menschen wird pro Einzeldosis auf 2 mg angegeben!!). Zwei Hunde von 9 und 12 kg Körpergewicht ertrugen Dosen von 0,04, 0,1, 0,2 und 0,3 g Coniinum hydrobromicum subkutan ohne irgend welche sichtbare Allgemeinwirkung (also das 100fache der Maximaldosis des Menschen). Erst Dosen von 0,5 und 1,0 Coniinum hydrobromicum töteten die Versuchshunde in einem Zeitraum von etwa einer halben Stunde. Die hiebei beobachteten Erscheinungen waren folgende: Die Tiere zeigten etwa ¼ Stunde nach der subkutanen Injektion des Coniinum hydrobromicum leichte Mattigkeit, Nachlass der freiwilligen Bewegungen, kratteligen, unbeholfenen Gang, Schwanken und Taumeln, Unvermögen, sich auf den Hinterfüssen vorn in die Höhe zu erheben, Einknicken im Karpalgelenk (Schwäche der Streckmuskel), gespreizte rückständige Stellung, sowie leichtes Speicheln mit Kaubewegungen. Im weiteren Verlauf nahm die Muskelschwäche rasch zu, die Tiere legten sich auf den Boden und versuchten vergebens wieder aufzustehen. Zuletzt lagen sie anhaltend schlaff am Boden; wenn man sie aufhob, hingen Kopf und Hals ebenfalls ganz schlaff herab und die Zunge hing gelähmt aus der Maulspalte heraus. Der Harn floss von selbst ab (Lähmung des Sphincter vesicae). Die Atmung wurde allmählich tiefer. Sodann waren anfallsweise Streck- und Schüttelkrämpfe (epileptiforme Krämpfe) zu beobachten, welche in ein leises Zittern übergingen. Die Pupille war erweitert und die Kornea unempfindlich. Zuletzt trat ganz ruhig Stillstand der Atmung ein, während das Herz noch einige Zeitlang fortschlug (noch etwa 60 Pulse). Die Herztätigkeit war dabei bis zuletzt immer normal.
Nachweis. Neben dem botanischen Nachweis, der wohl in den meisten Fällen genügen dürfte, kann auch der chemische Nachweis des Koniins geliefert werden. Die Abscheidung des sehr leicht zersetzlichen und flüchtigen Koniins erfolgt auf dieselbe Weise wie die des Nikotins (vgl. S. 196). Beim Verdunsten des Petroleumätherauszugs auf dem mit ätherischer Salzsäure benetzten Uhrschälchen bleibt im Gegensatz zum Nikotin ein kristallinischer[S. 250] Niederschlag von salzsaurem Koniin zurück. Das reine, nach dem Verdunsten des Aetherauszugs ohne Säurezusatz zurückbleibende Koniin hat einen scharfen, eigentümlichen Geruch, welcher verdünnt an Mäuseurin erinnert. Der Nachweis des Koniins als solches wird durch die Kristallform der beim Verdunsten des Petroleumäthers zurückbleibenden salzsauren Koniinkristalle geliefert. Löst man den kristallinischen Rückstand mit starker wässeriger Salzsäure auf und trocknet diese Lösung ein, so bilden sich nadel- oder säulenförmige Kristalle, welche angehaucht koniinartig riechen und, bei 200maliger Vergrösserung gesehen, entweder sternförmig zu Drusen zusammengelagert, oder balkengerüstähnlich ineinander gewachsen, oder dendritisch, moos- oder schilfartig sind. Charakteristische Farbenreaktionen für Koniin existieren zum Unterschied von Nikotin nicht. Die mit Salzsäure eintretende blaugrüne Färbung weist auf eine stattgefundene Zersetzung des Koniins hin. Dagegen gibt das Koniin Niederschläge mit den bekannten Alkaloidreagenzien. So wird eine Lösung von Koniin in 1⁄10 ccm schwefelsäurehaltigen Wassers (1 : 10) durch Kalium-Wismutjodid und Phosphormolybdänsäure etc. ausgefällt.
Kasuistik. Die klinischen Fälle von Schierlingvergiftung sind ziemlich selten. Nach Schmidt (Oesterr. Vierteljahresschrift 1876) starb ein Kalb nach der Aufnahme von 4 kg frischen Krautes. Nach Noll (Tierärztl. Zeitung 1846) starben 2 Ziegen 6 Stunden nach der Aufnahme von Schierling, nachdem sie gespeichelt, die Augen verdreht, sowie Bewusstlosigkeit und Krämpfe gezeigt hatten. Bei der Sektion fand man leichte Rötung der Pansenschleimhaut, sowie Ekchymosen auf der Schleimhaut des Psalters und Labmagens. Nach Read (The Veterinarian 1845) zeigten Lämmer Taumeln, allgemeine Lähmung, Unempfindlichkeit und Zappeln. Bei der Sektion fand man scharlachrote Flecken auf der Pansenschleimhaut. Baranski (Berl. Arch. 1896) sah bei Gänsen Lähmungserscheinungen und Durchfall. Graffunder (ibid. 1898) beobachtete bei Kälbern Aufblähung, Schwindel, Taumeln, Pupillenerweiterung, Durchfall und Tod unter allgemeiner Lähmung. — Plotti (Clin. vet. 1899) sah bei 2 Kühen und 1 Kalb Kolik, epileptiforme Krämpfe und Tod infolge allgemeiner Lähmung. Graham-Gillam (Journ. of comp. 1902) beobachtete bei einem Esel nach der Aufnahme grosser Mengen von Schierling Krampfkolik, stieren Blick, Pupillenerweiterung, gesenkte Kopfhaltung und Tod.
Die früher mit Schierlingskraut angestellten toxikologischen Versuche haben nicht viel Bestimmtes ergeben. Pferde zeigten nach 1½ und 3½ Pfd. frischem, nach 180 g getrocknetem Kraut, sowie nach 1 Pfd. Blätter und 1 Pfd. Saft nichts Besonderes (Hertwig, Viborg, Moiroud); Kühe nach 3 Pfd. frischem und ½ Pfd. trockenem Kraut nur Tympanitis (Hertwig); Schafe starben nach Leblanc, ebenso Hunde nach 240 und 400 g ausgepressten Saftes unter Erbrechen, Schwindel und Zittern (Orfila). Ein Hund starb von 10 g des Pulvers (Devay und Guilliermond). Intravenös töteten 4 g des Krauts im Infus ein Pferd nach 8 Minuten; 4 g des Extrakts riefen bei einem Pferd intravenös Schwanken, Taumeln, Zusammenstürzen, Lähmung aller Teile, insbesondere der Zunge hervor. Hunde zeigten ähnliche Erscheinungen (Hertwig).
[S. 251]
Botanisches. Der Wasserschierling, Cicuta virosa (Giftwüterich), ist eine Sumpfpflanze mit weissem, milchendem, von Querständen gefächertem Wurzelstock, aufrechtem, bis über 1 m hohem Stengel, dreifach gefiederten Blättern, schmalen, spitzen, scharf gesägten Blättchen und weissen Doldenblüten. Das Kraut besitzt einen petersilienartigen Geschmack. Der Wasserschierling enthält das Zikutoxin, eine zähflüssige, widrig schmeckende, sehr giftige Masse, welche in der frischen Wurzel zu 0,2 Proz., in der getrockneten zu 3,5 Proz. vorhanden ist. Ausserdem enthält die Pflanze ein ätherisches Oel, das Zikuten, von der Formel C10H16.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Zikutoxin ist ein Krampfgift, welches tonisch-klonische, von den Kopf- und Nackenmuskeln ausgehende und sich von da über den ganzen Körper, namentlich auch auf die Atemmuskel verbreitende Krämpfe erzeugt. Es tötet Katzen in Dosen von 0,05 g pro kg Körpergewicht. Gleichzeitig wirkt es reizend und entzündungserregend auf die Schleimhaut des Verdauungsapparates. Die Vergiftungserscheinungen bestehen in Speicheln, Erbrechen, Kolik, Tympanitis, epileptiformen Anfällen, krampfhaften Kontraktionen der Hals- und Kopfmuskeln, Schwindel, Taumeln, kollerartigem Benehmen, Schwäche, Lähmung, Atmungskrämpfen. Der Tod erfolgt meist innerhalb 24 Stunden. Bei der Sektion findet man entzündliche Rötung der Magendarmschleimhaut, Lungenhyperämie, Gehirnhyperämie, sowie zuweilen Gehirnödem. Die Behandlung besteht in der Verabreichung von Tannin und je nach den Vergiftungserscheinungen in der Anwendung exzitierender oder beruhigender Mittel.
Kasuistik. Experimentelle Verfütterungen von Wasserschierling an Pferde sind von Krause (Magazin Bd. 3) vorgenommen worden. 500 g getrocknetes und gepulvertes Schierlingskraut erzeugten nach 2 Stunden Appetitlosigkeit und Kolik, nach 4 Stunden Tympanitis, Betäubung, Pupillenerweiterung, Herzklopfen, nach 6 Stunden krampfhaftes Abbeugen des Kopfes nach rechts, sowie krampfhafte, automatenartige Bewegungen der Gliedmassen und des Unterkiefers neben Unvermögen zu stehen, endlich nach 15 Stunden unter heftigen allgemeinen Krämpfen Tod. Bei der Sektion fand man dunkelrote Flecke auf der Schleimhaut des Magens, Blind- und Grimmdarms. Zwei andere Pferde starben unter denselben Erscheinungen innerhalb 48 Stunden.
Klinische Fälle sind mehrfach beschrieben worden. Kettritz (Berl. Arch. 1804) sah 4 Kühe plötzlich sterben, welche am Rand eines Teiches geweidet hatten; die Sektion ergab Magenentzündung. 2 andere zeigten Aufblähung, Eingenommenheit und Mattigkeit, genasen aber nach 3 Tagen. Kruckow (ibid. 1895) beschreibt einen ähnlichen Fall. 6 Ochsen, welche an einem Grabenrand geweidet hatten, verendeten im Verlauf weniger Stunden. Sie zeigten zuerst Aufblähung, dann Schwanken und Taumeln, worauf sie unter Krämpfen verendeten; die Sektion ergab entzündliche Rötung des Magens. Wermbter[S. 252] (ibid. 1896) sah 3 Kühe plötzlich erkranken und innerhalb einer Stunde sterben, welche an einem See geweidet hatten; eine Kuh starb gewissermassen apoplektisch. Die andern zeigten Aufblähung, Zittern, Speicheln, Krämpfe und Zusammenstürzen. Weitere klinische Beobachtungen von Zikutavergiftungen bei Rindern und Schweinen sind von Gips (Berl. Arch. 1892), Höhne (ibid. 1887), Hackbarth und Collmann (Preuss. Mitt. 1883), Damitz und Oeltze (Magazin 1840), Schaller (ibid. 1864), Weidmann (Schweizer Archiv Bd. 8) u. a. gemacht worden.
Botanisches. Der Gartenschierling, Aethusa Cynapium (kleiner Schierling, Hundspetersilie, Katzenpetersilie, Gleisse), ist eine in Gärten, auf Aeckern, Schutthaufen, an Wegen etc. vorkommende Umbellifere mit weissen Doldenblüten (Blütezeit Juli), rundem, glattem, bis 1 m hohem, bläulich bereiftem, geflecktem Stengel, 2–4fach fiederteiligen, an der Unterfläche glänzenden, fast geruchlosen, beim Reiben mit der Hand lauchartig riechenden Blättern, halbrunden, rinnenförmigen Blattstielen, langen 3blätterigen Blütenhüllchen (dieselben sind länger als die Döldchen), sowie dicken, scharfkantigen, ganzrandigen Samenrippen.
Wirkung. Der im Gartenschierling enthaltene Giftstoff ist seiner Natur nach nicht genauer bekannt. Es sind von verschiedenen Seiten überhaupt Bedenken erhoben worden, ob der Gartenschierling zu den Giftpflanzen zu zählen ist (Dammann, Harley, Kobert). 2 Schafe, welchen Dammann 1–2 kg Gartenschierling in frischem Zustand fütterte, zeigten keinerlei Krankheitserscheinungen. Es ist deshalb die Vermutung aufgestellt worden, dass der Gartenschierling bei den angeblichen Vergiftungen mit anderen Schierlingsarten verwechselt worden ist. Jedenfalls sind zum Zustandekommen einer Vergiftung ausserordentlich grosse Mengen notwendig. In einem von Wegner (Magazin 1868) berichteten Fall zeigten 3 Kühe, welche zusammen etwa 42 kg Gartenschierling erhalten hatten, Appetitlosigkeit, Speicheln, taumelnden Gang, beschleunigtes Atmen, Herzklopfen, stinkenden Durchfall, Zusammenstürzen, Unvermögen aufzustehen, Zuckungen, Pupillenerweiterung, Lähmung des Hinterteils und zuletzt vollständige Lähmung. Eine Kuh starb nach 10tägiger Krankheitsdauer. Die Sektion ergab entzündliche Veränderungen im Labmagen und Dünndarm, sowie Ansammlung von Serum im Gehirn und Rückenmark. Behme (Berl. Arch. 1896) sah nach der Aufnahme von Gras, welches viel Gartenschierling enthielt, bei Kühen taumelnden Gang und Unvermögen zu stehen; nach Ablauf einiger Stunden waren sie wieder gesund.
Nach älteren Versuchen von Orfila zeigte ein Hund, welcher 200 g ausgepressten Saft erhalten hatte, Uebelkeit, Herzklopfen,[S. 253] Lähmung, Betäubung und Krämpfe. Möbius (Ad. Wochenschr. 1877) berichtet über einen Vergiftungsfall bei 2 Schweinen, welche bereits nach 2 Stunden starben.
Allgemeines. Die Blausäure kommt bei verschiedenen Gattungen der Amygdaleen (Pruneen) in Form eines Glykosides, des Amygdalins, vor. Im Tierkörper spaltet sich das Amygdalin unter der Einwirkung des Emulsins in Blausäure, CNH, Bittermandelöl, C7H6O, und Zucker, 2(C6H12O6), indem es 2 Moleküle Wasser aufnimmt. Das Amygdalin hat demnach die Formel C20H27NO. Von amygdalinhaltigen Pflanzen sind zu erwähnen: 1. Prunus Amygdalus, var. amara (früher Amygdalus communis benannt), der Bittermandelbaum; die bitteren Mandeln enthalten 3,3 Proz. Amygdalin. Aus den bitteren Mandeln wird das offizinelle Aqua Amygdalarum amararum mit einem Blausäuregehalt von 1 pro Mille dargestellt. 2. Prunus laurocerasus, der Kirschlorbeerbaum, ein bis 6 m hoher Strauch mit lederartigen, immergrünen, länglich zugespitzten, scharf sägezähnigen Blättern, aus welchen früher das Aqua Laurocerasi dargestellt wurde. Derselbe enthält das mit dem Amygdalin verwandte Laurocerasin. 3. Prunus persica, der Pfirsichbaum, dessen Kerne über 2 Proz. Amygdalin enthalten und dessen lanzettliche, spitz gesägte, an beiden Rändern eingerollte Blätter ebenfalls giftig sind. 4. Prunus Padus, der Traubenkirschbaum, ein 1–10 m hoher, in Laubwäldern und an Flussufern wachsender Baum mit krautigen, fast kahlen, sommergrünen, zugespitzten Blättern, ebenso giftig wie die Kirschlorbeerblätter. 5. Prunus domesticus, der Pflaumen- oder Zwetschgenbaum, dessen Fruchtkerne (Zwetschgenkerne) etwa 1 Proz. Amygdalin enthalten. 6. Prunus Cerasus und avium, der Kirschbaum, mit 0,8 Proz. Amygdalingehalt der Kirschkerne. Amygdalin findet sich ferner zu einem halben Prozent in den Apfelkernen. Ausser den obengenannten Amygdaleen und Pomazeen enthalten etwa 200 andere Pflanzenspezies Blausäureglykoside, so z. B. Gymnema latifolium (Asklepiadee), Lasia und Cyrtosperma (Aroideen), Pangium edule (Bixazee), Echinocarpus Sigun (Tiliazee), Lucuma mammosa (Sapotazee), Phaseolus lunatus und vulgaris (Papilionazeen), Jatropha Manihot (Euphorbiazee), Agaricus oreades (Fungi). Sogar im Samenmehl von Linum usitatissimum (Lein) hat man ein amygdalinartiges, blausäurehaltiges Glykosid, das Linamarin, entdeckt. — Im Tierreich findet sich Blausäure im Drüsensekret der Tausendfüssler (Chilognathen), desgleichen Zyanverbindungen (Zyan-Methyl, -Aethyl und -Amyl) im Gift der Kröten, Tritonen und Salamander.
Während Vergiftungen durch die freiwillige Aufnahme der genannten Pflanzen und Pflanzenteile bei den Haustieren, namentlich bei den Schweinen, Pflanzenfressern und beim Geflügel nicht selten sind, haben die Vergiftungen mit reiner Blausäure und deren Präparaten bei den Haustieren nur eine experimentell-toxikologische Bedeutung. Die reine Blausäure stellt in wasserfreiem Zustand eine farblose Flüssigkeit dar, welche in freiem Zustand nirgends in der Natur vorkommt, sondern im Laboratorium aus Zyanquecksilber und Salzsäure nach der Formel Hg(CN)2 + 2 ClH = HgCl2 + 2 CNH dargestellt wird. Die zu Vergiftungszwecken benützte wasserhaltige Blausäure (Prozentsatz durch Verdünnung mit Wasser beliebig zu regulieren) wird durch Destillation von Zyankalium oder Ferrozyankalium[S. 254] mit verdünnter Schwefelsäure dargestellt. Das Zyankalium, CNK, durch Einleiten von Blausäure in Kalilauge dargestellt und vielfach zu Vergiftungszwecken (Hunde, Katzen) benützt, bildet amorphe weissliche Stücke oder Stangen, welche an der Luft zerfliessen und bei Säurezusatz (oder mit der Salzsäure des Magens) Blausäure entwickeln. Giftig ist ferner Zyansilber, Zyanquecksilber und Zyangold. Das rohe Bittermandelöl, welches bei der Zersetzung des Amygdalins entsteht, ist wegen seines Blausäuregehaltes (5–12 Proz.) ebenfalls giftig. An und für sich ungiftig ist Ferrozyankalium, das gelbe Blutlaugensalz, K4Fe(CN)6; wird dasselbe jedoch gleichzeitig zusammen mit einer Säure eingegeben, so wirkt es giftig durch Blausäureentwicklung. Ungiftig ist ferner Ferridzyankalium, das rote Blutlaugensalz, welches im Harn angeblich als Ferrozyankalium ausgeschieden wird.
Krankheitsbild. Die Blausäure ist eines der stärksten Nervengifte. Sie bewirkt Erregung und spätere Lähmung der grossen Zentren des verlängerten Marks, namentlich des Atmungszentrums und vasomotorischen Zentrums, sowie der motorischen Zentren der Grosshirnrinde, ausserdem Narkose des Grosshirns. Sodann ist die Blausäure ein spezifisches Stoffwechselgift, indem sie den Geweben die Fähigkeit benimmt, Sauerstoff zu binden und zu verbrauchen (innere Erstickung). 0,05 g der reinen, wasserfreien Blausäure (= 1 Tropfen) töten einen grossen Hund; 0,5–1,0 g (12–20 Tropfen) ein Pferd. Die tödliche Dosis des Zyankaliums für den Hund beträgt 0,25–0,5 g; für das Pferd 5–10,0 g. Kleinere Tiere, wie Vögel, Meerschweinchen etc., sterben schon nach Verabreichung unwägbarer Mengen chemisch reiner Blausäure (0,1 mg).
Die Erscheinungen der Blausäurevergiftung sind verschieden je nach der aufgenommenen Menge. Grosse Dosen haben einen blitzähnlich schnellen, schlagartigen, apoplektiformen Tod zur Folge. Die Tiere stürzen unter einem lauten Schrei oder Geheul zusammen und verenden unter rasch zunehmender Atmungsbeschwerde, Erbrechen und tetanischen Krämpfen innerhalb weniger Minuten infolge einer sofortigen allgemeinen Lähmung des Nervensystems (Vergiften der Hunde). Bei mittleren Dosen lassen sich drei Stadien der Blausäurevergiftung unterscheiden:
1. Ein dyspnoisches Stadium, beginnend mit Schwindel, Taumeln, Erbrechen. Die Atmung wird sehr beschleunigt und angestrengt, bei Pferden stöhnend und röchelnd. Die Tiere sind sehr unruhig und ängstlich; die sichtbaren Schleimhäute sind hellrot gefärbt.
[S. 255]
2. Ein konvulsives Stadium, in welchem die Tiere zusammenstürzen und in starrkrampfähnliche Krämpfe (Orthotonus, Opisthotonus, Trismus) und epileptiforme Zuckungen verfallen. Dabei findet unwillkürliche Kot- und Harnentleerung statt; die Atmung wird allmählich langsamer.
3. Ein asphyktisches Stadium mit schliesslichem Aufhören der Atmungsbewegungen, starkem Sinken der Temperatur, Verlangsamung des Herzschlags, Anästhesie, Zyanose, Koma und Tod.
Die Aufnahme der Blausäure findet von allen Körperstellen, insbesondere auch von der unverletzten Haut aus statt. Besonders schnell wird sie von der Trachealschleimhaut und von der Konjunktiva resorbiert; Katzen sterben z. B ½-1 Minute nach dem Einbringen weniger Tropfen einer 2proz. Blausäure in den Lidsack (Berliner Vergiftungsmethode). Die Ausscheidung der Blausäure erfolgt im unzersetzten Zustand namentlich durch die Lunge und die Haut.
Sektionsbefund. In den akut verlaufenden Fällen findet man das Blut oft auffallend hellrot, ein für die Blausäurevergiftung sehr charakteristischer, durch die Bildung von Zyan-Methämoglobin bedingter Befund. Bei längerer Dauer der Vergiftung hat das Blut eine dunkel schwarzbraune Farbe. Das Blut ist ferner arm an Gerinnseln. Im übrigen findet man die Erscheinungen der Suffokation. Von Wichtigkeit für den Nachweis der Blausäurevergiftung ist der Geruch der inneren Körperorgane nach bitteren Mandeln.
Behandlung. Neben der Verabreichung von Brechmitteln hat man als chemisches Gegengift die Anwendung von Eisenoxydhydrat mit Magnesia (Antidotum Arsenici) empfohlen, um die Bildung des ungiftigen Eisenzyanürsalzes herbeizuführen. Ferner werden als chemische Antidote Wasserstoffsuperoxyd, H2O2, Kalium permanganicum, KMnO4 (0,5proz.) und Kobaltnitrat empfohlen, sauerstoffreiche Körper, welche die Blausäure zu ungiftigen Verbindungen (Zyansäure und Oxamid) oxydieren. Wegen des rapiden Verlaufs der Blausäurevergiftung bleibt jedoch nur eine symptomatische Behandlung übrig. Gegen die Lähmung des Atmungszentrums hat man insbesondere das Atropin angewandt. Von anderen Reizmitteln sind Aether, Alkohol, Kampfer, Koffein, Veratrin, Strychnin, kalte Begiessungen, elektrische Reizung[S. 256] der Nervi phrenici im Gebrauch. Auch der Aderlass wird befürwortet.
Nachweis. Der Nachweis der Blausäure muss möglichst schnell nach dem Tode vorgenommen werden, weil die Blausäure sich im Kadaver bald zu Ammoniak und Ameisensäure zersetzt. Die Blausäure wird behufs Nachweis zunächst überdestilliert; die zu destillierende Flüssigkeit muss vorher schwach sauer gemacht werden, am besten durch Weinsäure. Die Temperatur beim Ueberdestillieren soll 100° C. nicht wesentlich übersteigen (Zersetzung der Blausäure). Die zuerst übergegangenen 2–3 ccm des Destillates werden zunächst für sich allein untersucht, weil sie meistens den grössten Gehalt an Blausäure besitzen; dann werden weitere 2–3 ccm untersucht etc. Meist lässt sich die Blausäure schon durch den Geruch (Bittermandelgeruch) des Destillates nachweisen. Im Destillat, welches man in mehrere Teile teilt, wird die Blausäure durch Zusatz gewisser Stoffe in die nachfolgenden charakteristisch gefärbten Verbindungen übergeführt: 1. In Berlinerblau durch Zusatz von Eisenvitriollösung und Kalilauge, Erhitzen bis zum Sieden, Filtrieren, Ansäuern des Filtrates mit Salzsäure und Beimengung eines Tropfens verdünnter Eisenchloridlösung. Einfacher kann die Reaktion in der Weise vorgenommen werden, dass man das Destillat mit einer Lösung eines Eisenoxyd-Oxydulsalzes und dann mit Kalilauge bis zur deutlichen alkalischen Reaktion versetzt, schüttelt und Salzsäure bis zur sauren Reaktion hinzufügt. 2. In blutrotes Rhodaneisen verwandelt man die Blausäure, indem man eine zweite Probe des Destillats mit einigen Tropfen Schwefelammonium im Wasserbade verdunstet, den Rückstand in wenig Wasser löst, mit 1–2 Tropfen Salzsäure ansäuert und einen Tropfen Eisenchloridlösung hinzufügt; es bildet sich Rhodaneisen = Ferridthiozyanat Fe2(SCN)6. Diese Reaktion ist sehr empfindlich, sie gelingt noch bei einer Verdünnung der Blausäure von 1 : 4 Millionen. (Aber Vorsicht wegen des Rhodangehaltes des Speichels.) 3. In blauviolettes Nitroprussidkalium führt man die Blausäure über durch Versetzen des Destillates mit wenigen Tropfen einer Lösung von Kaliumnitrat, ferner mit 2–4 Tropfen Eisenchloridlösung und sodann mit soviel verdünnter Schwefelsäure, dass die braune Farbe eben gelb wird, worauf erwärmt, abgekühlt, das überschüssige Eisen mit etwas Ammoniak gefällt, filtriert und das Filtrat mit wenig Schwefelammonium zusammengebracht wird.[S. 257] Es bildet sich Nitroprussidkalium, K2Fe(NO)CN5 mit prachtvoll violetter oder blauer Farbe. 4. Mit Guayaktinktur (3 Proz.) und einigen Tropfen 100⁄00iger Kupfervitriollösung versetzt, färben sich Lösungen von Blausäure beim Umschütteln blau. Diese empfindlichste aller Blausäurereaktionen wird jedoch auch z. B. durch Ammoniak hervorgerufen, sie bedarf aber im positiven Falle einer Kontrollprobe, während sie im negativen Falle die Abwesenheit der Blausäure sicher beweist. 5. Mit Pikrinsäure oder Pikrinsalpetersäure (einige Tropfen einer wässerigen Lösung) und etwas Aetzkali versetzt, färbt sich Blausäure beim Erwärmen auf 50–60° blutrot.
Quantitativ wird die Blausäure als Zyansilber bestimmt. Die überdestillierte Blausäure wird zum Zwecke der Entfernung von etwaiger Salzsäure oder Borax rektifiziert, das Destillat mit Salpetersäure angesäuert und die darin enthaltende Blausäure durch salpetersaures Silber als Zyansilber ausgefällt, der Niederschlag auf gewogenem Filter filtriert, ausgewaschen, bei 110° getrocknet und gewogen. 100 Teile des Niederschlags (Zyansilber) sind = 20 Teile wasserfreie Blausäure = 48,66 Zyankalium. (Ein Teil der Blausäure wird indessen beim Destillieren zersetzt!)
Kasuistik. Bittere Mandeln. Ein Pferd zeigte nach 250 g bitterer Mandeln Pulsbeschleunigung, Flankenschlagen, Stöhnen und öfteren Kotabsatz, war jedoch nach ½ Stunde wieder genesen (Viborg). — Ein kleiner Hund starb nach 6 g bitteren Mandeln unter den Erscheinungen von Schwindel und Schwäche nach 6 Stunden (Orfila). — Ein Schwein zeigte nach mehrtägiger Verabreichung von 20–25 g bitterer Mandeln Zittern und Unruhe, erholte sich aber immer wieder (Gerlach, Gerichtl. Tierheilkunde). — Eine Katze starb nach 4 g. Mehrere Gänse zeigten nach dem Genuss der bitteren Mandeln Zittern, Lähmung und grosse Beängstigung (Schwarz, Ad. Woch. 1861). — Mandeltorte soll namentlich für Papageien ein giftiger Leckerbissen sein (Gerlach). — Ein Papagei starb nach dem Genuss von bitteren Mandeln, indem er von der Stange fiel und zitterte (von Rátz, Monatsh. f. prakt. Tierhlkde. 1892).
Zwetschgenkerne. Vier Schweine starben plötzlich nach dem Genuss derselben. Bei der Sektion fand man das Blut kirschrot und die Magenschleimhaut stark gerötet und geschwollen (Perdan, Oesterr. Vereinsmonatsschr. 1884). — Eine Schafherde war in einen Garten getrieben worden, in dem sehr viele abgefallene Zwetschgen lagen. Viele Schafe erkrankten nach der Aufnahme derselben, 4 starben. Die Tiere zeigten Taumeln, Umfallen, Pupillenerweiterung und schnaubende Atmung; im Magen fanden sich viele zerbissene Zwetschgenkerne, ausserdem eine blutige Entzündung. Das Blut war hellrot; das Fleisch roch scharf nach bitteren Mandeln (Bernhard, Preuss. Vet. Ber. pro 1906).
Kirschlorbeerblätter. Von 25 Schafen, welche die Blätter gefressen hatten, starben 5 (van Damm). Einen weiteren Fall hat Bartholeyns (Bullet. Belg. 1886) veröffentlicht.
Pfirsichblätter. Drei Ziegen starben nach dem Genuss derselben unter Atembeschwerden, Lähmungserscheinungen und Konvulsionen (Imthurn, Tierarzt 1834).
[S. 258]
Traubenkirschblätter. Zwei Kühe erkrankten nach dem Genuss derselben; eine starb. Bei der Sektion wurden rote Flecke im Labmagen und Darm vorgefunden (Noll). — Nach der Aufnahme von Laub der Traubenkirsche lagen einige Rinder ¼ Stunde in Ohnmacht (Juell, Nord. Zeitschr. 1889).
Kirschkerne. Zwei Schweine erkrankten unter Schwanken, Konvulsionen, Atembeschwerden, Herzklopfen (Frey, Magazin Bd. 15).
Zyankalium. Ein 1jähriges Fohlen starb nach der intrathorakalen Injektion von 25 g Zyankalium nach 6 Stunden (Röder, Sächs. Jahresber. 1893).
Blausäurehaltige Bohnen. Ueber eine Massenvergiftung von Pferden, Rindern und Schweinen durch fremdländische Bohnen, sog. Javabohnen, haben Dammann und Behrens (D. T. W. 1906) berichtet. Die Bohnen stammten von Phaseolus lunatus und vulgaris, Dolichos und Cajanus indicus, und erwiesen sich blausäurehaltig (0,1–1,5 pro Mille), sowie für obige Tiere giftig. Das mit Wasser angerührte Bohnenschrot entwickelte einen eigenartigen Geruch. ¼ kg des Schrots verursachten bei einem Schaf sofort starke Atembeschleunigung, Brechbewegungen, Zuckungen, Koma und Tod; das Blut zeigte eine hellrote Farbe, der Panseninhalt roch deutlich nach Blausäure. Eine Kuh zeigte 2 Stunden nach der Aufnahme von ¾ kg Bohnenschrot beschleunigte Atmung, maximale Pupillenerweiterung, Zucken, sowie Sinken der Körpertemperatur; nach dem Tod erschien das Blut hellrot. — In der Revue vétér. alger. et tunis. 1908 wird darauf hingewiesen, dass viele importierte Körnerfrüchte Blausäure enthalten und zum Nachweis der letzteren folgende einfache Methode empfohlen: Weisses Filtrierpapier wird mit 1proz. Pikrinsäurelösung getränkt und getrocknet. Hierauf wird es in eine Lösung von Soda (1 : 10) gebracht und wieder getrocknet. Bringt man dieses Reagenzpapier in ein gut verschlossenes Reagenzglas, an dessen Boden sich die betreffenden Pflanzenteile in feuchtem, mazeriertem Zustand befinden, so färbt es sich schon bei ganz minimalen Blausäuremengen rot.
Allgemeines. Das Solanin ist ein glykosidisches Alkaloid, welches durch Kochen in Zucker und Solanidin, einen saponinartigen Körper, zerfällt. Es ist in verschiedenen Solaneen enthalten: 1. Solanum tuberosum, die Kartoffel, enthält Solanin in den Samen (Beeren), in den Keimen, im Kraut und unmittelbar vor der Reife unter der Schale. 2. Solanum nigrum, der Nachtschatten, ein auf Schutthaufen und an schattigen Plätzen wachsendes, bis 1 m hohes Kraut mit behaartem Stengel, buchtig gezahnten, ebenfalls behaarten Blättern, weissen Blüten und schwarzen, glänzenden Beeren gibt ebenfalls Veranlassung zu Solaninvergiftungen bei den Haustieren. Dagegen sind bisher Vergiftungen nicht vorgekommen durch die übrigen Solaneen: Solanum Dulcamara (Bittersüss), welches das Dolkamarin, ebenfalls einen saponinartigen Giftstoff enthält, Solanum Lycopersicum (Tomaten), Sol. mammosum (Jungfernbrust), Sol. Sodomaeum und verbascifolium. In den Solaneen sollen ausser dem Solanin auch noch atropin- und hyoszinähnliche Alkaloide mit mydriatischer Wirkung enthalten sein. In der Kartoffel soll das Solanin nach Weil (D. med. W. 1902) nicht, wie bisher angenommen wurde, durch Keimung, sondern durch Bakterienwirkung entstehen („Bacterium solaniferum“).
Wirkung des Solanins. Das Solanin wirkt lähmend auf Gehirn, Rückenmark und Herz. Es besitzt demnach eine morphinartige Wirkung, weshalb sich die Krankheitserscheinungen[S. 259] bei der Solaninvergiftung häufig in Betäubung, Schwanken, Taumeln, Kreuzschwäche und Lähmung äussern.
Nach den Untersuchungen von Perles (Archiv für exper. Pathol. 1890) wirkt das Solanin ausserdem nach Art der Saponine unter Umständen auch örtlich reizend (Gastroenteritis). Wie das Sapotoxin der Kornrade soll auch das Solanin von der intakten Darmschleimhaut aus sehr schwer resorbiert werden, woraus seine geringe Giftigkeit für gesunde Tiere verständlich würde. Diese zeitweise Verschiedenheit in der Wirkung des Solanins, welche bald eine allgemeine, lähmende, bald eine örtliche, reizende ist und häufig überhaupt nicht in die Erscheinung tritt, erklärt vielleicht die abweichenden Angaben über das Krankheitsbild der Solaninvergiftung bezw. Kartoffelkrautvergiftung (vgl. unten).
Bei der nervösen Form der Krankheit, wobei die Tiere zuweilen plötzlich gelähmt umfallen und innerhalb weniger Minuten sterben, ist der Sektionsbefund gewöhnlich negativ. Bei der gastrischen Form findet man dagegen die Erscheinungen der Gastroenteritis. — Die Behandlung besteht in der Verabreichung von Tannin und exzitierenden Mitteln.
Krankheitsbild der Solaninvergiftung. Solaninvergiftungen ereignen sich bei den Haustieren am häufigsten nach der Aufnahme keimender Kartoffeln, sowie von Kartoffelkraut. Die in der tierärztlichen Literatur als „Solaninvergiftungen“ bezeichneten Krankheitsfälle sind übrigens bei genauerer Prüfung nur zum Teil als wirkliche Vergiftungen durch Solanin aufzufassen. Es sind offenbar mehrere Erkrankungen, welche durch Ueberfütterung mit Kartoffeln oder Kartoffelkraut, durch Aufnahme verdorbener, gärender, zersetzter Kartoffel, durch verdorbene Kartoffelschlempe, durch pilzbefallenes Kartoffelkraut usw. verursacht waren, als Solaninvergiftungen beschrieben worden. Entsprechend der verschiedenartigen Wirkung des Solanins kann man mehrere klinische Formen der Solaninvergiftung unterscheiden, eine nervöse, eine gastrische und eine exanthematische.
1. Die nervöse Form ist die gewöhnliche Form der Solaninvergiftung. Sie äussert sich im wesentlichen in Symptomen der Betäubung und Lähmung. Sie kann sich mit der gastrischen Form komplizieren. Die tierärztliche Literatur enthält sehr zahlreiche Fälle der mehr oder weniger reinen nervösen Form der[S. 260] Solaninvergiftung. Am häufigsten wird dieselbe nach der Verfütterung von Kartoffelkeimen beobachtet.
Kasuistik. Koppitz (Oesterr. Vereinsmonatsschr. 1883) beobachtete bei Kühen nach der Verfütterung keimender Kartoffeln im Frühjahr Schwäche im Hinterteil sowie stupiden, teilnahmslosen Gesichtsausdruck. Nach Schwanefeld (Berl. Archiv 1885) äusserte sich dieselbe Vergiftung bei einer Ziege in allgemeiner Paralyse. Eggeling (Preuss. Mitteil. 1882) beobachtete bei 8 Kühen am Tag nach der Verfütterung von Kartoffelkraut Schreckhaftigkeit, Aufregung, Schwäche im Kreuz und in den Hinterbeinen, sowie Lähmung des Hinterteils. Fuchs (Bad. Mitteil. 1870) sah nach der Aufnahme von Kartoffelkraut bei Kühen Taumeln und Zittern, die Tiere konnten sich nicht auf den Beinen erhalten, stürzten vielmehr gelähmt zusammen. Prahl (Preuss. Mitteil. 1868) beschreibt eine Solaninvergiftung nach der Verfütterung von Kartoffelkraut bei 8 Kühen. Zwei derselben fielen plötzlich um, die eine starb nach wenigen Sekunden, die andere lag 2 Tage gelähmt am Boden; die übrigen zeigten Taumeln, Pupillenerweiterung und Seitwärtsstellung des Kopfes. Gerlach (Gerichtl. Tierheilkunde 1872) sah nach der Aufnahme von Kartoffelbeeren Hühner unter den Erscheinungen von Traurigwerden, Mattigkeit, Taumeln und Umfallen sterben. 8 Kühe erhielten infolge eingetretener Futternot stark gekeimte Kartoffeln. Am 3. Tag zeigten sie Schwanken im Hinterteil, Zuckungen in den Beinen, Unruhe, kurzes Atmen, Bohren und Stossen mit Kopf und Hörnern in die Tröge, Verstopfung mit späterer Diarrhöe, Betäubung, Apathie, Niederstürzen, Liegenbleiben, Zunahme der Lähmungserscheinungen und Unempfindlichkeit im Hinterteil (Bild des Festliegens). Auffallend war der faulige, penetrante Kotgeruch. Nach dem Aussetzen der Fütterung und Einleitung einer Behandlung verschwanden die Lähmungserscheinungen am 2. Tag, die enteritischen Symptome jedoch erst am 8. Tag (Walther, Sächs. Jahresber. 1893). Eine Kuh zeigte nach der Verfütterung von Kartoffelkraut Zittern, taumelnden Gang und schliesslich vollständige Lähmung, so dass sie unfähig war, sich zu erheben; gleichzeitig bestand übelriechender Durchfall; das Tier ging nach dreiwöchentlicher Krankheitsdauer an Erschöpfung zugrunde (Hohenleitner, Woch. f. Tierhlkde. 1894). Als typische Symptome nach der Verfütterung von Kartoffelkraut beim Rind beobachtete Schulz (ibid. 1895) Lähmungserscheinungen in Form von Schwanken und Festliegen, daneben bestand zuweilen Verstopfung, Aufblähung und fast immer Ekzembildung auf der Haut. Die Kühe eines Rittergutes erhielten pro Kopf und Tag 75 Pfd. gedämpfte Kartoffeln, worauf sich bald bei fast allen Tieren neben hochgradigem Durchfall eine derartige Lähmung des Hinterteils einstellte, dass die meisten 3–4 Tage nicht aufstehen konnten und die andern einen schwankenden Gang zeigten (Liebener, Berl. Arch. 1889). Eine Kuh, welche grosse Mengen keimender Kartoffeln erhielt, zeigte hochgradige Mattigkeit, Unempfindlichkeit der Haut, Schlafsucht, Durchfall und lag gelähmt auf der Seite. Krüger (Zeitschr. f. Vetkde. 1893, S. 308) beobachtete bei einem mit Kartoffeln gefütterten Pferd ausgesprochene Erscheinungen einer Solaninvergiftung. Nachdem das Pferd 10 Tage hindurch als Ersatz für Hafer bis zu 10 Pfd. Kartoffeln erhalten hatte, zeigte sich am 11. Tag grosse Schreckhaftigkeit, Taumeln, Schwanken, Kreuzschwäche, Pupillenerweiterung, Lähmung des Mastdarms und der Blase, sowie der Kaumuskeln, der Ohren-, Nasen-, Lippen- und Lidmuskeln. Die Sektion des nach etwa 3wöchentlicher Krankheitsdauer verendeten Pferdes ergab einen durchaus negativen Befund. Höhne (Berl. Arch. 1891, S. 369) sah bei Schafen nach der Aufnahme roher gekeimter Kartoffeln Erscheinungen von rasendem Koller und Kreuzlähmung eintreten. Zimmermann (ibid.) beobachtete bei Milchkühen, die fortgesetzt Kartoffelbrei aus gedämpften Kartoffeln erhalten hatten, eine Massenerkrankung in Form von Kreuzschwäche und Kreuzlähme. Nach Maier (D. T. W. 1893) zeigte eine Kuh nach der Fütterung erfrorener Kartoffeln Unvermögen aufzustehen, Liegen mit zurückgeschlagenem Kopf, völlige Apathie, sowie Durchfall. 4 Rinder zeigten nach der Verfütterung gekeimter, gedämpfter Kartoffeln Taumeln und Lähmungserscheinungen; eine Kuh war durch leichten Händedruck zum Umfallen zu bringen; der Sektionsbefund war durchaus negativ (Lungwitz, Sächs. Jahresber. 1897). Nach[S. 261] Albrecht (D. T. W. 1897) erkrankten nach der Verfütterung gekeimter Kartoffeln, wobei auf 20 Pfd. Kartoffel täglich etwa 1 Pfd. Keime kamen, 4 Kühe unter den Erscheinungen von Durchfall, schwankendem Gang, sowie Gebärparese ähnlicher Haltung beim Liegen. Haubold (Sächs. Jahresber. 1900) sah bei 18 Mastschweinen nach der Verfütterung stark gekeimter Kartoffeln Schreckhaftigkeit, Laufwut, seitliche Kopfhaltung, Pupillenerweiterung, Schwäche und Lähmungserscheinungen; 2 Schweine verendeten nach kurzer Zeit. Schneider (Berl. tierärztl. Woch. 1902, S. 373) beobachtete eine Massenerkrankung bei 1100 Schweinen eines Molkereibesitzers nach der Verfütterung stark gekeimter Kartoffeln. Die Krankheitserscheinungen bestanden in Teilnahmlosigkeit, Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Sopor, schwachem Puls, wässerigem Durchfall, Lähmung im Hinterteil und niedriger Körpertemperatur. Die Sektion zweier Schweine ergab ausser entzündlichen Erscheinungen im Fundusteil des Magens ein negatives Resultat. Spörer (W. f. T. 1903) sah bei 2 Kühen und einem Pferd nach der Fütterung stark gekeimter Kartoffeln und Topinambur Benommenheit und Schwäche, sowie Sistieren der Wanstbewegung; es trat Heilung ein. Seitz (ibid.) sah beim Rind nach der Fütterung alter gekeimter Kartoffeln Betäubung, Schwanken, Taumeln, allgemeine Lähmung (am Boden liegen), verlangsamte Atmung, reaktionslose Kornea und Ptosis; trotzdem trat Heilung ein. Grebe (Preuss. Vet. Ber. 1904) sah bei 7 Schweinen nach der Aufnahme stark keimender Kartoffeln Schwanken, vollständige Lähmung der Gliedmassen, Atemnot und Tod nach 6–10 Stunden. Nach Döderlein (W. f. T. 1906) erkrankten 2 Kühe, die mit stark gekeimten Kartoffeln gefüttert waren, unter Lähmungserscheinungen, starker Benommenheit, Empfindungslosigkeit und Durchfall; nach subkutanen Kampferinjektionen trat Heilung ein. Ein ähnlicher Fall (derselbe?) wird in dem Preuss. Vet. Ber. pro 1907 beschrieben.
2. Die gastrische Form der Solaninvergiftung äussert sich hauptsächlich in Durchfall, Meteorismus, Erbrechen, Speichelfluss und sonstigen Erscheinungen des Magendarmkatarrhs; Lähmungserscheinungen fehlen. Dagegen hat man zuweilen aphthöse Prozesse auf der Maulschleimhaut beobachtet. Diese reizende, saponinähnliche Wirkung des Solanins findet man namentlich nach der Verfütterung von grünem Kartoffelkraut. Dieselbe lässt sich auch experimentell bei Versuchstieren herbeiführen. Zwei von Hess und Wüthrich (Die Wirkung des grünen Kartoffelkrauts, Bern 1895) mit Kartoffelkraut gefütterte Kühe zeigten schon nach 36 Stunden akutes Aufblähen sowie intensiven Magendarmkatarrh mit Speichelfluss und Rückgang der Milchsekretion. Die tierärztliche Literatur enthält ebenfalls einige klinische Fälle dieser Vergiftungsform. Nach Körber (Preussische Mitteil. Bd. 5) zeigten 3 Kühe, an welche im Frühjahr angefaulte und gekeimte Kartoffeln verfüttert worden waren, unterdrückte Futter- und Wasseraufnahme, Niedergeschlagenheit, wässerigen Durchfall, unwillkürlichen Abgang stinkender Massen, Sinken der Körpertemperatur, Blässe der Schleimhäute und schliesslich kaum fühlbaren Puls. Sie starben sämtlich im Verlauf von 36 bis 48 Stunden; bei der Sektion fand man entzündliche Rötung der Labmagen- und Dünndarmschleimhaut.
[S. 262]
Die Frage, ob ausser dem Solanin im Kartoffelkraut und in den Kartoffelkeimen noch ein anderer Giftstoff enthalten ist, welcher die abweichende Wirkung auf die Verdauungsschleimhaut bedingt (Hess und Wüthrich, Albrecht), erledigt sich wohl durch die nachgewiesene saponinartige Natur des Solanins. Diese Eigenschaft erklärt ausreichend die Verschiedenheit des Vergiftungsbildes, so dass sich die Annahme anderer, neben dem Solanin vorhandener Giftstoffe erübrigt. Auch die früher sehr auffallend erscheinende Ungiftigkeit des chemisch reinen Solanins für gesunde Versuchstiere wird durch die Saponinnatur des Solanins (Unschädlichkeit bei intakter Schleimhaut) begreiflicher. Ich gab z. B. einer Versuchskuh auf einmal 3,5 g Solaninum purum (Merck) und später 3,75 g Solaninum hydrochloricum, ferner im Verlauf einer Woche 3,5 g Solanidin, ohne hernach irgend welche Krankheitserscheinungen zu beobachten. Auch ein Versuchsschaf zeigte auf je 1 g Solanin, Solaninum hydrochloricum und Solanidin keine Reaktion. Ein kleiner 19 Pfd. schwerer Versuchshund ertrug eine subkutane Injektion von 0,5 Solaninum hydrochloricum (0,05 pro kg Körpergewicht) ohne jede Spur einer Vergiftungserscheinung, desgleichen 0,5 Solanidin innerlich. 2 kleine Kaninchen zeigten nach der subkutanen Injektion von 0,05, 0,1 und 0,25 Solaninum hydrochloricum ebenfalls ausser lokaler Abszedierung keine Reaktion.
3. Nicht selten treten endlich exanthematische, an das Bild der Schlempemauke erinnernde Entzündungszustände der Haut zu den gastrischen Störungen hinzu. So hat Heiss (Wochenschr. f. Tierheilk. 1885) beim Rind einen sehr interessanten Vergiftungsfall nach der Verfütterung von Kartoffelkraut beschrieben, dessen auffälligste Krankheitssymptome in einer ulzerösen Stomatitis, Durchfall, Konjunktivitis, Lidschwellung, sowie in einem vesikulären und grindartigen Ekzem an den Beinen, in der Umgebung des Afters, an der Schwanzwurzel, am Euter und Skrotum, sowie am Halsrande bestanden. Möbius (Sächs. Jahresber. 1893) beobachtete nach der Fütterung mit Kartoffelkraut bei 1–3jährigen Rindern steifen Gang, schmerzhafte, blaurötliche Anschwellungen der Fussenden mit Rissbildung und Exsudation, Abtrennung des Klauensaums, Erosionen und Blutungen auf der Maulschleimhaut, Ekzeme am Skrotum, Rötung der Scheidenschleimhaut sowie hohes Fieber (bis 41°). Aehnliche Fälle sind von Römer (D. T. W. 1895), Hohenleitner (Wochenschr. f. Tierheilk. 1894), Michaelis (B. T. W. 1895), Model (Repertorium 1885) u. a. beschrieben worden. Aehnlich wie bei der Lupinose und bei der Lecksucht des Rindes verliert das Kartoffelkraut, welches im getrockneten Zustande ein gutes Futtermittel darstellt, seine reizende Wirkung auf die Haut, wenn es einmal gebrüht wird (Extraktion des Solanins!)
Solanum nigrum. Dietrich (Preuss. Mitt. 1876) sah 3 Ziegen nach dem Genuss des Nachtschattens unter den Erscheinungen von Tympanitis[S. 263] und Verdrehen des Kopfes erkranken; eine starb nach 8 Stunden. Nach experimentellen Untersuchungen von Viborg und Orfila starben Hunde nach Verabreichung des wässerigen Auszuges von Solanum nigrum unter den Erscheinungen der Mattigkeit, Empfindungslosigkeit und allgemeiner Muskellähmung. Ziegenbein (Berl. Arch. 1899) berichtet, dass 18 Enten nach der Aufnahme von Nachtschatten unter Taumeln und Lähmungserscheinungen starben. Nach Graham-Gillam erkrankten 2 Schafe, welche Nachtschatten am Weg gefressen hatten. Eines starb; das andere zeigte schwankenden Gang, Durchfall und Pupillenerweiterung.
Botanisches. Der Taumellolch, Lolium temulentum (Schwindellolch, Schwindelhafer, Taumelhafer), gehört zu der Familie der Gramineen und ist ein einjähriges, namentlich im Sommergetreide vorkommendes Ackerunkraut, welches besonders auf Haferfeldern und in nassen Jahren gedeiht. Die steifen, aufrechten Halme der ½-1 m hohen Pflanze besitzen ca. 15 cm lange Aehren mit charakteristischen, langen Hüllspelzen, welche die Aehrchen vollständig bedecken. Ausserdem ist die Pflanze mikroskopisch dadurch ausgezeichnet, dass der Spelzrand eine eigentümliche Haarbildung zeigt.
Das wirksame Prinzip des Taumellolchs ist noch nicht in reinem Zustand dargestellt; man hat früher als solches das Loliin, einen glykosidischen Bitterstoff angenommen. Von anderen wird das Temulin, ein Alkaloid von der Formel C17H19N2O als wirksamer Bestandteil bezeichnet. Derselbe soll bei Warmblütern rauschartige Erscheinungen bedingen (Hofmeister). Ausserdem ist die Vermutung aufgestellt worden, dass der Taumellolch eine an sich ungiftige Pflanze ist, wie zahlreiche Fütterungsversuche (Nestler, Halm, Hertwig, Spinola) erwiesen haben, und dass er wahrscheinlich nur an gewissen Orten und zu gewissen Zeiten, ähnlich wie die Lupinen, vielleicht durch Vermittlung von Befallungspilzen giftig wirke. Die Annahme von Pilzen als Ursache der Loliumvergiftung wird unterstützt durch die Untersuchungen über eine ähnliche bei Menschen und Tieren vorkommende Vergiftung, durch das sog. Taumelgetreide (Taumelroggen). Man beobachtete nämlich in Russland und Frankreich nach dem Genuss von Roggenbrot beim Menschen Taumel und Schläfrigkeit; ähnliche Erscheinungen zeigten sich bei Hunden, Schweinen und Hühnern. Französische Botaniker haben in den Körnern des sog. Taumelroggens das Myzel eines zu den Diskomyzeten gehörenden Pilzes, Endoconidium temulentum (Phialea temulenta) nachgewiesen, von welchem angenommen wird, dass er durch ein giftiges Enzym den Kleber und die Stärke des Roggens zersetze. Woronin (Bot. Zeitung 1891, S. 81) untersuchte das Taumelgetreide in Südussurien. Er fand folgende Pilzformen, deren pathogene Wirkung noch genauer zu untersuchen ist: Fusarium roseum, Gilberella Saubinetii, Cladosporium herbarum, Helminthosporium, Epicoccum neglectum, Trichothecium roseum, Eurotium herbariorum, Mikrokokken, Hymenula glumarum und Clodochytrium graminis. Taumelgetreide findet sich nur in solchen Gegenden, die viel unter feuchter Witterung zu leiden haben.
[S. 264]
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Taumellolchvergiftungen scheinen früher häufiger, als heutzutage, vorgekommen zu sein. Zurzeit sind sie ausserordentlich selten geworden, so dass die neuere Literatur nur ganz vereinzelte Vergiftungsfälle beim Pferd und Rind aufweist. Auch beim Menschen, bei welchem früher Taumellolchvergiftungen in epidemischer Weise infolge loliumhaltigen Mehles und Brotes auftraten, werden solche nur selten mehr beobachtet; nach Kobert sind überhaupt sichere Fälle von Vergiftung beim Menschen nicht nachgewiesen. Die Hauptursache ist wohl in den Fortschritten der Bodenkultur und dem Zurückdrängen des giftigen Unkrautes durch Ausrotten zu suchen. Ausserdem hat man von jeher die Beobachtung gemacht, dass zum Zustandekommen einer Vergiftung sehr grosse Mengen von Schwindelhafer notwendig sind. So verfütterte Nestler an 4 Pferde und an 2 Rinder je etwa 6 Zentner Hafer mit einem Gehalt von 30 Proz. Lolchsamen, ohne Krankheitserscheinungen zu beobachten. Rosenkranz berichtet, dass 4 Pferde monatelang mit Hafer gefüttert wurden, welcher 12 Proz. Lolium enthielt, und dass sie ausser öfteren Schwindelanfällen nichts Krankhaftes erkennen liessen. Halm fütterte einem Pferde nach und nach bis zu einer Metze reinen Lolchsamen, ohne charakteristische Vergiftungserscheinungen zu beobachten. Hühner, welche innerhalb 14 Tagen 3 Pfund, Schweine, welche eine Metze Schwindelhafer auf einmal, Schafe, welche 1½ Pfund Mehl des Schwindelhafers aufgenommen hatten, zeigten keinerlei Vergiftungserscheinungen (Baillet, Spinola).
Die giftige Wirkung des Schwindelhafers äussert sich, wie schon der Name sagt, in einer narkotischen Beeinflussung des Grosshirns. Die Krankheitserscheinungen bestehen in Schwindelanfällen, dummkollerartigem Benehmen, Schläfrigkeit, Schwanken, Mattigkeit, Betäubung, Bewusstlosigkeit, Pupillenerweiterung, allgemeiner Gefühllosigkeit; zuweilen gesellen sich hiezu auch noch Kolikerscheinungen und Krämpfe. Der Verlauf ist bald chronisch, bald akut; in einzelnen Fällen wird auch ein perakuter Verlauf beobachtet, indem die Tiere apoplektiforme Anfälle von Betäubung und allgemeiner Lähmung zeigen. Die Sektion ergibt meist einen negativen Befund; zuweilen findet man die Erscheinungen einer leichten Gastroenteritis, sowie einer Hyperämie des Gehirns und Rückenmarkes.
Die Behandlung besteht in der Anwendung von Exzitantien. Man macht subkutane Injektionen von Kampferspiritus, Kampferöl,[S. 265] Aether, Koffein, Atropin, Veratrin, oder gibt innerlich Ammonium carbonicum. Auch kalte Begiessungen des Kopfes, Frottieren der Haut, sowie die Anwendung von hautreizenden Mitteln (Terpentinöl, Kampferspiritus) sind angezeigt.
Kasuistik. Meyer (Schweizer Archiv 1831) berichtet, dass 2 Mutterpferde nach dem Verfüttern von loliumhaltigem Korn Kolikerscheinungen, Pupillenerweiterung, unsicheren Gang, sowie dummkollerartiges Benehmen zeigten. — Wiegel, (Preuss. Mitteil. 1872) beobachtete bei einer Kuh, dass dieselbe plötzlich, wie vom Blitz getroffen, zusammenstürzte, ohne dass Schwanken und sonstige Krankheitserscheinungen vorausgegangen wären. Diese apoplektiformen Anfälle wiederholten sich 3mal hintereinander, worauf sich Empfindungslosigkeit über den ganzen Körper, Schlafsucht, sowie Verlangsamung der Respiration einstellten. 1½ Stunden darauf erhob sich das Tier wieder und zeigte sofort einen ganz erstaunlichen Appetit. 4 Stunden später erfolgte ein ähnlicher, aber schwächerer Anfall, worauf völlige Genesung eintrat. — Magnus (Preuss. Mitteil. Bd. 3) sah unter 14 Rindern 7 nach dem Genuss von geschrotenem Lolchsamen unter den Erscheinungen der Bewusstlosigkeit und unter allgemeinen Krämpfen erkranken; 2 derselben starben. — Knudsen (Dän. Monatsschr. 1889) berichtet über zwanzig Vergiftungsfälle beim Rind, die sich durch Lähmung des Hinterteils auszeichneten. - Gallé (Veterinarius 1897) sah bei 6 hochträchtigen Stuten Abortus; das Futter enthielt 70 Proz. Lolium temulentum.
Botanisches. Der Flachs oder Lein, Linum usitatissimum, wird in Deutschland vereinzelt teils als Oelpflanze (Leinöl), teils als Faserpflanze (Flachs) kultiviert. Seine ausgepressten Samen werden als Leinölkuchen zu Futter- und Düngerzwecken verwendet. Der Flachs ist ein einjähriges Kraut mit meterhohem kahlem Stengel, lanzettförmigen, drei-nervigen, 2½ cm langen Blättern und blass azurblauen Blütendolden. Die Samen (Leinsamen) sind eiförmig, flach, scharfrandig, ½ cm lang, mit brauner, glänzender, glatter, dünner Schale und grünlichem Kern. Die Samenschale enthält ausser Schleim (6%) ein amygdalinartiges Glykosid, das Linamarin, der Kern fettes Oel (30%) und Eiweiss (25%). Der früher als Abführmittel benützte Purgierflachs, Linum catharticum, ist ein 1jähriges, 15 cm hohes Pflänzchen mit einnervigen Blättern und weissen Blüten. Der Geschmack der Pflanze ist sehr bitter. Dieselbe enthält einen glykosidischen Bitterstoff, das Linin, welches namentlich nach der Blütezeit in grossen Mengen in derselben enthalten ist und weisse, seidenglänzende, stark bitter schmeckende, stickstofffreie, neutral reagierende Kristalle bildet.
Krankheitsbild. Die in der Literatur als Flachsvergiftung bezeichneten Krankheitsfälle sind in ätiologischer Beziehung offenbar nicht einheitlicher Natur. Dieselben betreffen nur zum Teil wirkliche, echte Flachsvergiftungen. Ein grösserer Teil derselben bezieht sich vielmehr auf eine Beimengung von Rizinusschalen zu den Leinsamenkuchen (vergl. Rizinusvergiftung). Andere Fälle scheinen Pilzvergiftungen (schimmelige, ranzige Leinkuchen), einzelne Fälle vielleicht auch Vergiftungen durch beigemengten Ackersenf oder andere Giftpflanzen gewesen zu sein.
[S. 266]
Die echten Flachsvergiftungen haben eine verschiedenartige Entstehungsweise. Zunächst ist mehrfach beobachtet worden, dass der geröstete Flachs bezw. das in den Flachsrösten enthaltene Wasser bei Schafen (Güttlich), Hunden, Gänsen (Spinola), ja selbst bei Fischen (Gerlach) giftig gewirkt hat. Nach Malzew (Petersburger Archiv für Veterinärkunde 1887) erkrankte in einem russischen Dorfe sämtliches Vieh durch den Genuss des Flusswassers, in welchem Flachs eingeweicht wurde. Weiter sind Vergiftungen nach der Verfütterung von missratenem, zu kurz gebliebenen Flachs bei Kühen und Schafen beobachtet worden. Endlich haben die Leinsamenkapseln, wenn sie in allzugrosser Menge aufgenommen wurden, zuweilen Veranlassung zu Vergiftungen gegeben. Dass im übrigen der Flachs nur in grossen Mengen giftig wirkt, zeigen die Versuche von Harms (Hannoverscher Jahresbericht 1872 und 1873), welcher einem Rind 15 Pfund grünen Flachs sowie einem Ziegenlamm 150 g grüner Samenkapseln und 50 g trockener Samenkapseln ohne Nachteil verabreichte, sowie ein Versuch von Schmidt (Magazin Bd. 29), welcher bei einem Schaf erst nach Verfütterung von 12 kg Samenkapseln eine tödliche Vergiftung herbeiführen konnte.
Ueber den im Flachs enthaltenen Giftstoff ist mit Sicherheit nichts bekannt (Linamarin?). Aus den Vergiftungserscheinungen ist zu entnehmen, dass es ein scharf-narkotischer Stoff ist, welcher vielleicht mit dem im Purgierflachs enthaltenen Linin identisch ist. Die Krankheitserscheinungen bestehen in heftiger Kolik, Durchfall, Tympanitis, Unruheerscheinungen, Krämpfen, Harnverhaltung, Zittern und Taumeln. Bei der Sektion findet man die Schleimhaut des Magens und Darmes mehr oder weniger hochgradig entzündet. Die Behandlung der Vergiftung ist eine symptomatische (Opium, schleimige Mittel); als Gegengift kann Tannin gegeben werden.
Kasuistik. Von den in der Literatur enthaltenen klinischen Fällen von Flachsvergiftung sind folgende bemerkenswert. Prietsch (Sächs. Jahresbericht 1868) sah 7 Kühe nach der Verfütterung von abgemähtem missratenem Flachs unter Kolikerscheinungen erkranken und 2 davon im Verlaufe eines Tages sterben; bei der Sektion fand man die Schleimhaut des Lösers und Dünndarms stark entzündet und den Darminhalt sehr flüssig. Nach Sipp (Preuss. Mitteil. Jahrg. 7) zeigten Kühe unmittelbar nach der Aufnahme von zu kurz gebliebenem Flachs Kolikerscheinungen, Stöhnen, Zittern, grosse Angst und Taumeln. Semmer (Deutsche Zeitschrift für Tiermedizin 1877) sah bei Schweinen nach der Verfütterung von Leinsamenkapseln öfters massenhafte Todesfälle; bei der Sektion wurde Fettdegeneration der Leber und Nieren, sowie teerartiges Blut gefunden. Weitere Fälle sind von Güttlich (Preuss. Mitt. 1882), von Huffelen (Bullet. Belg.), Lüdersdorf (Ann. der Landwirtschaft 1858) u. a. beschrieben worden.
[S. 267]
Allgemeines. Das in der Kalabarbohne (Physostigma venenosum, afrikanische Papilionazee) enthaltene Alkaloid Eserin (Physostigmin) hat seit seiner Anwendung als Abführmittel beim Pferd und Rind in mehreren Fällen schon in mittleren therapeutischen Dosen Vergiftungserscheinungen bedingt. Diese giftige Wirkung therapeutischer Eserindosen ist, wie ich a. a. O. (Monatshefte für praktische Tierkeilkunde 1890) gezeigt habe, auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. In erster Linie ist die Inkonstanz der chemischen Handelspräparate, welche je nach der Darstellung verschiedenartige, in chemischer Beziehung durchaus nicht einheitliche Produkte sind, als Ursache zu bezeichnen. In zweiter Linie kann die giftige Wirkung sonst unschädlicher Dosen durch ein abweichendes Verhalten des Tierkörpers bezw. Individuums bedingt sein. In dieser Beziehung sind Pferde mit chronischen Krankheiten der Atmungsorgane (Emphysem, chronische Bronchitis, chronische Pneumonie), sowie solche Pferde, welche an Kolik infolge starker Ausdehnung und mechanischen Hindernissen im Magen und Darm, sowie an Herzschwäche im Verlauf der Kolik leiden (hohe Pulsfrequenz), besonders empfindlich gegen sonst normale Dosen von Eserin, indem sie unter der Einwirkung des Eserins teils an Lungenödem, teils an Magen- und Darmruptur, teils an Herzlähmung zugrunde gehen können. In einzelnen Fällen ist die Giftwirkung sonst unschädlicher Eserindosen auf die Art und Weise der Injektion, sowie auf eine individuelle Idiosynkrasie der betreffenden Tiere zurückzuführen.
Krankheitsbild. Das Eserin wirkt tetanisierend auf alle glatten Muskelfasern des Körpers, namentlich auf die des Darmes, ausserdem erregend auf die Sekretion der Schweissdrüsen, Tränendrüsen und Speicheldrüsen. In giftigen Dosen erzeugt es ausserdem Krämpfe der quergestreiften Körpermuskulatur mit späterer Muskellähmung, sowie Lähmung der Atmung (Lungenödem) und des Herzens. Die Vergiftungserscheinungen bestehen daher in heftiger Kolik, anhaltendem, profusem Durchfall, Zittern, ausgebreiteten Muskelzuckungen, grosser Schreckhaftigkeit, grosser Atmungsnot, Schweissausbruch, Speicheln, Tränenfluss, häufigem Harnabsatz, Pupillenverengerung, Schwäche, Hinfälligkeit, allgemeiner Lähmung. In einzelnen Fällen wurde ausserdem eine sehr starke zerebrale Erregung beobachtet, welche sich in maniakalischen, tobsuchtartigen Anfällen, hochgradiger Aufregung, sowie Zwangsbewegungen (Drängen nach vorwärts) äusserte.
Das Eserin ist namentlich für Fleischfresser ein ausserordentlich heftiges Gift. Nach meinen Beobachtungen starben kleine Hunde schon nach 5, grössere nach 10 mg. Katzen und Kaninchen starben nach 2–3 mg. Pferde und Rinder ertragen relativ viel[S. 268] grössere Dosen. Ich habe einem mittelgrossen, älteren Versuchspferd ½ g Eserinum sulfuricum subkutan injiziert, wonach zwar eine schwere, aber nicht tödliche Vergiftung auftrat. Nach Feser werden auch vom Rind verhältnismässig hohe Dosen ohne Nachteil ertragen, so subkutan 1 mg Physostigmin pro kg Körpergewicht = 0,3 pro dosi, stomachikal das 10fache; nur in einem Fall trat nach der subkutanen Injektion von 0,17 bei heftigem Husten und Rülpsen infolge Eindringens von Futterbrei in die Bronchien Erstickung auf. Subkutan sind 0,03 ohne sichtbare Wirkung, 0,06 von geringer, 0,1 von kräftiger Wirkung; 0,15–0,17 erzeugen heftiges Purgieren; nach 0,3 tritt die Wirkung schon nach 5 Minuten unter starker Dyspnöe, Muskelzittern etc. auf. Innerlich gegeben wirkt Physostigmin beim Rind auffallend schnell in relativ geringen Dosen; so rufen 0,15 schwaches Purgieren, 0,3 starkes Purgieren, 0,7 dasselbe mit deutlichen Kolikerscheinungen, 0,9–1,0 Purgieren unter Stöhnen und Aechzen, 1,5 sehr heftiges Purgieren, 3,0 ebenfalls sehr heftiges Purgieren unter Zittern und Atemnot hervor. Dieselbe Wirkung hat die Einspritzung in den Wanst. Sehr empfindlich sind im Gegensatz zum Rind die kleinen Wiederkäuer (Schafe, Ziegen), gegenüber dem Eserin (Kunke). Schweine scheinen dagegen wenig empfindlich gegenüber dem Eserin zu sein; sie zeigen nach Frank selbst in subkutanen Gaben von 0,1 keine sichtbare Wirkung.
Behandlung. Das wichtigste Gegengift des Eserins ist das Atropin, ein physiologisches Antidot, welches erregend auf die durch das Eserin gelähmten Zentralorgane der Atmung und des Herzens sowie sekretionsbeschränkend auf die Körperdrüsen wirkt. Man gibt es Pferden und Rindern subkutan in Dosen von 0,05–0,1. Ausserdem kann man Skopolamin (Hyoszin), Veratrin und Koffein anwenden. Gegen die Erregungserscheinungen gibt man Sedativa (Morphium, Chloralhydrat, Bromkalium).
Nachweis. Die Abscheidung des Physostigmins aus dem Untersuchungsmaterial ist deshalb mit grossen Schwierigkeiten verknüpft, weil dasselbe eines der am leichtesten zersetzlichen Alkaloide ist und sich schon am Licht rot färbt. Die Extraktion muss daher im dunklen Raume und bei möglichst niederer Temperatur vorgenommen werden. Dieselbe geschieht am besten nach der Methode von Dragendorff (vgl. S. 199) aus alkalischer wässeriger Lösung durch Ausschütteln mit Benzol (oder Amylalkohol oder[S. 269] Chloroform). Von den Reaktionen auf Physostigmin ist zunächst wichtig die physiologische Reaktion, welche darin besteht, dass beim Einbringen der Lösung des Mittels in das Auge eines Kaninchens oder Meerschweinchens Pupillenverengerung noch bei Anwesenheit von 1⁄2000 mg Eserin eintritt. Die chemischen Reaktionen des Physostigmins sind folgende: In erwärmter Ammoniakflüssigkeit löst sich das kleinste Kriställchen Eserin zu einer gelblichroten Flüssigkeit, welche beim Eindampfen im Wasserbad einen blauen oder blaugrauen, in Weingeist mit blauer Farbe löslichen Rückstand hinterlässt (Eserinblau). In einem Tröpfchen Schwefelsäure löst sich der Verdampfungsrückstand mit grüner Farbe, welche bei allmählicher Verdünnung mit Weingeist in rot übergeht.
Kasuistik. Friedberger (Münchener Jahresbericht 1884) beobachtete bei einem 300 kg schweren, 18jährigen, mageren, bis auf hochgradiges Lungenemphysem relativ gesunden Wallach nach der subkutanen Injektion von 0,1 Physostigminum sulfuricum eine schwere Vergiftung. Eine halbe Stunde nach der Injektion traten nämlich neben der spezifischen Wirkung auf den Darmkanal starke Aufregung, feuriger Blick, Drängen nach vorwärts, starkes Abbeugen des Kopfes, sowie intensives Muskelzittern im Hinterteil ein; diesen Erscheinungen folgte nach etwa 1½ Stunden tiefe Ermattung, welche auch in den nächsten Tagen noch andauerte. Weiterhin stellten sich rascher Kräfteverfall, Drängen beim Vorwärtsgehen, unsicherer, ataktischer Gang, sowie am 5. Tage förmliche maniakalische Erscheinungen und Beisswut ein, so dass das Pferd getötet werden musste. Albrecht (Der Tierarzt 1888) hat ebenfalls nach der Injektion von 0,1 Eserin bei einem schweren Bauernpferde eine 10 Tage lang andauernde Vergiftung, bestehend in heftigem Muskelzittern, Schwanken, Zusammenknicken, Benommenheit, Pupillenerweiterung, Puls- und Atmungsbeschleunigung, sowie Herzschwäche beobachtet. Im Gegensatz hierzu hat Klemm (Bad. Mitt. 1884) über Beobachtungen berichtet, wonach bei Pferden Dosen von 0,2 Eserin 5mal hintereinander in vierstündigen Pausen, mithin ein ganzes Gramm Eserin innerhalb 24 Stunden ohne Gefahr angewandt wurden. Auch in der Rindviehpraxis kommen Fälle vor, in welchen einzelne Rinder auf Durchschnittsdosen des Eserins ganz auffallend stark reagieren. So hat Albrecht 3 Fälle beschrieben, in welchen bei Rindern nach der subkutanen Injektion von 0,15 Eserin schwere Respirationsstörungen, sowie ganz exzessive Erregungserscheinungen auftraten. Ripke sah bei einem Rind schon nach der Injektion von 0,1 Eserin Atemnot, Schäumen und Schwäche auftreten; ein anderes Rind starb sogar nach 6 Stunden. Für Ziegen wirkten in einem Fall schon 0,04 g Eserin giftig (Gobbels-Copette, Belg. Annal. 1895).
Allgemeines. Das in den Jaborandiblättern (Pilocarpus pennatifolius, brasilianische Rutazee) enthaltene Alkaloid Pilokarpin wirkt ebenfalls zuweilen wie das Eserin in therapeutischen Dosen giftig, was teils auf die Inkonstanz der Präparate, teils auf gewisse individuelle Körperzustände zurückzuführen ist. Besonders gefährlich hat sich das Pilokarpin wegen des drohenden Lungenödems bei chronischen Lungen- und Herzkrankheiten, sowie bei Behinderung des Abschlingens (Pharyngitis) erwiesen.
[S. 270]
Krankheitsbild. Das Pilokarpin bewirkt in erster Linie eine gesteigerte Sekretion der Drüsen (Speicheldrüsen, Schweissdrüsen, Bronchialdrüsen, Darmdrüsen), in zweiter Linie eine Kontraktion der glatten Muskelfasern (Magen-Darmkanal, Sphincter pupillae). Die Vergiftungserscheinungen bestehen in abundanter Speichel- und Schweisssekretion, hochgradiger Dyspnoe, Durchfall, psychischen Erregungs- und Lähmungserscheinungen. Wie beim Eserin werden auch zuweilen durch das Pilokarpin tobsuchtartige Anfälle hervorgerufen. Der Tod erfolgt in einzelnen Fällen apoplektisch, meist wird er jedoch durch Erstickung infolge von Lungenödem bedingt.
Behandlung. Das wichtigste Antidot der Pilokarpinvergiftung ist wie beim Eserin das Atropin, welches ein starkes Erregungsmittel für das Herz und die Atmung ist. Man gibt es Pferden und Rindern subkutan in wiederholten Dosen von 0,05–0,1.
Nachweis. Das Pilokarpin wird genau so wie Eserin abgeschieden (extrahiert). Die physiologische Reaktion (Pupillenverengerung) ist ebenfalls dieselbe wie beim Eserin; ausserdem kann die speicheltreibende Wirkung als Reagens verwertet werden. Dagegen unterscheidet es sich vom Eserin durch eine charakteristische Farbenreaktion: mit rauchender Salpetersäure tritt nämlich eine leichte Grünfärbung ein.
Kasuistik. Friedberger (Deutsche Zeitschrift für Tiermedizin 1884) berichtet, dass bei einigen Pferden schon kleine Dosen ungewöhnlich hochgradige Erscheinungen veranlassten, und dass die Patienten insbesondere von hohen Dosen ungleich stark beeinflusst wurden. Siedamgrotzky (Sächs. Jahresber. 1886) sah bei Pferden nach Dosen von 0,5–1,0 Pilokarpin gefahrdrohende Erscheinungen eintreten. Lies (Tiermed. Rundschau 1886/87) warnt vor grösseren Dosen Pilokarpin, nachdem ihm ein Pferd nach der Injektion von 1,0 Pilokarpin apoplektisch verendete. Hoffmann (ibid. 1887) beobachtete bei einem Pferd nach 0,8 Pilokarpin gefahrdrohende Dyspnoe, bei einem anderen nach 1,1 eine tödliche Vergiftung. Dette (ibid. 1888) sah nach der Injektion von 0,7 Pilokarpin ein Pferd innerhalb 3 Stunden wie vom Schlage gerührt zusammenstürzen, worauf sich neben einer schweren Allgemeinaffektion tobsuchtartige Zufälle einstellten, so dass dasselbe getötet werden musste. Jungers (Der Tierarzt 1883) konstatierte bei Pferden auf die Einspritzung von 0,8 Pilokarpin 8 Tage lang ein schläfriges, kolleriges Benehmen. Maximilian (Berliner Archiv 1888) beobachtete 2mal, dass sich 2 Tage nach der Pilokarpininjektion die Erscheinungen der Pilokarpinwirkung wiederholten. Philippi (Sächs. Jahresber. 1888) sah nach der Einspritzung von 0,3 Pilokarpin bei einem gehirnkranken Pferd Taumeln, 6 Stunden anhaltende Bewusstlosigkeit und dann Tobsucht und Laufwut. Rust und Cleve (Zeitschr. f. Vetkde. 1890) beobachteten ebenfalls bei Gehirnentzündung nach 0,3 Pilokarpin Atemnot und Erstickung im eigenen Speichel. Overbeck (Holl. Zeitschr. 1898) sah ein Pferd mit Pleuritis nach einer Injektion von 0,3 Pilokarpin unter Schweissausbruch und Dyspnoe innerhalb 4 Stunden sterben. Nach Kunke (Diss. Bern 1908) sind Schafe und Ziegen besonders empfindlich gegen Pilokarpin, indem sie schon nach 0,03 bezw. 0,04 g Vergiftungserscheinungen zeigen (Lungenödem).
[S. 271]
Allgemeines. Das in der Arekanuss (Areca Catechu, Palme) enthaltene Alkaloid Arekolin von der Formel C18H13NO2 wird seit 15 Jahren (vergl. meine diesbezüglichen Untersuchungen in den Monatsh. f. prakt. Tierheilk. 1894) in der Tierheilkunde allgemein als Ersatz des Eserins und Pilokarpins namentlich bei der Kolik und Hufrehe der Pferde angewandt. Vergiftungsfälle sind trotz des häufigen Gebrauches in der Literatur nur vereinzelt beschrieben worden. Wie beim Eserin und Pilokarpin scheinen einzelne Pferde auch gegenüber dem Arekolin eine individuelle Empfindlichkeit zu besitzen. Ausserdem können bei herzkranken Pferden, sowie bei bereits eingetretener Herzschwäche (Kolik) unter Umständen schon mittlere Dosen giftig wirken. Beim Gebrauch der Arekanuss als Wurmmittel sind Vergiftungen bisher nicht beobachtet worden; ihre angebliche besondere Giftigkeit für das Geflügel hat sich nach den Untersuchungen von Gizelt nicht bestätigt.
Krankheitsbild. Das Arekolin wirkt wie eine Kombination von Pilokarpin und Eserin (Drüsen- und Darmreizung). Therapeutische Dosen (0,02–0,1) erzeugen beim Pferd Speichelfluss, Durchfall und Schweissausbruch. Die Arekolinvergiftung tritt bei gesunden Pferden von 0,25 ab, bei Herzkranken und Kolikkranken (Herzschwäche) von 0,08 ab ein und äussert sich in epileptiformen und tetanischen Krämpfen, Herzlähmung und Atmungslähmung. Die Dosis von 0,5 g wirkt nach meinen Versuchen für Pferde tödlich.
Die Behandlung der Arekolinvergiftung ist die gleiche, wie bei der Vergiftung durch Pilokarpin und Eserin; sie besteht in der Verabreichung von Atropin oder Skopolamin (Hyoszin) als Gegengift. Auch der physiologische Nachweis ist derselbe. Chemische Reaktionen des Arekolins sind Braunfärbung (Niederschlag) mit Jodlösung, Gelbfärbung mit Bromwasser.
Kasuistik. Ein 4jähriges, kolikkrankes Ackerpferd, das, wie sich nachher herausstellte, schon längere Zeit vorher herzleidend war (die Sektion ergab chronische Endokarditis und Perikarditis), erhielt 0,08 Arekolin subkutan eingespritzt. Einige Minuten darauf wurde es sehr unruhig, schlug um sich, bekam Atemnot, zeigte roten, blasigen Schaum an beiden Nasenöffnungen und verendete 8–10 Minuten nach der Injektion an Herzlähmung und Lungenödem. Der Besitzer teilte mit, das Pferd sei schon vor Eintritt der Kolik im Acker sehr bald schlaff und müde geworden und habe sich sehr schlecht genährt (Wöhner, Woch. f. Tierh. 1906). Ein 14jähriges Pferd erhielt gegen Rehe 0,1 Arekolin; schon 2 Minuten nach der Injektion zeigte es sehr starke Vergiftungserscheinungen, welche über eine Stunde anhielten; das Pferd erholte sich erst wieder in einigen Tagen (Olsen, Dän. Mon. 1900). Nach Titus (Jowa 1907) starb eine Kuh mit Gebärparese nach 0,1, ein Schaf nach 0,01 Arekolin. Rinder sind überhaupt sehr empfindlich gegen Arekolin, indem sie oft schon bei 0,1 g bedrohliche Atemnot zeigen (Kunke, Diss. Bern 1908). Neuere Untersuchungen über die Wirkung des Arekolins auf die einzelnen Tiergattungen sind von Ruckelshausen (Monatshefte für prakt. Tierheilkunde 1910) veröffentlicht worden.
[S. 272]
Botanisches. Die Bucheckern oder Bucheln sind die 3kantigen Früchte der Rotbuche, Fagus silvatica (Kupulifere). Sie bestehen aus einer braunen, harten Schale und einem ölhaltigen Kern und werden behufs Gewinnung des Bucheckernöls ausgepresst. Die Pressrückstände, welche im wesentlichen aus den braunen Schalen bestehen, werden als „Bucheckern-Oelkuchen“ bezeichnet und in manchen Gegenden an die Haustiere verfüttert. Sie enthalten einen sehr giftigen Stoff, das Fagin, eine mit dem Cholin verwandte, trimethylaminähnliche Base. Das Fagin findet sich namentlich in der Schale, in geringeren Mengen ferner in der Gerüstsubstanz des Kerns; das ausgepresste Bucheckernöl ist dagegen ungiftig.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Vergiftungen durch Bucheckern-Oelkuchen ereignen sich immer nur nach Aufnahme grösserer Mengen derselben. Am empfindlichsten sind Pferde, bei welchen schon ½-1 kg Oelkuchen eine schwere und nach 1½ kg eine tödliche Vergiftung eintritt. Dagegen sollen nach Pusch Rinder wenig oder gar nicht empfindlich sein (vergl. übrigens die von Kammerer und Vaeth mitgeteilten Fälle von Vergiftung). Das Fagin tötet Katzen in Dosen von 0,4 g. Das Bucheckerngift hat in seiner Wirkung viel Aehnlichkeit mit dem Eserin, Nikotin, Strychnin und Trimethylamin; es erzeugt nämlich Darm- und Muskeltetanus. Die Vergiftungserscheinungen beginnen gewöhnlich mit einem sehr heftigen Kolikanfall, in dessen Verlaufe sich die Schmerzen bis zur Tobsucht, Raserei und Selbstzerfleischung steigern können. Ausserdem beobachtet man Schreckhaftigkeit, sowie tetanische, an Strychnintetanus erinnernde Krämpfe von ausserordentlicher Heftigkeit, abwechselnd mit Betäubung, Bewusstlosigkeit, Schwanken, Taumeln, Zusammenstürzen und vollständiger Lähmung. Der Verlauf der Vergiftung ist meist sehr akut, indem die Tiere schon nach einigen Stunden unter den Erscheinungen der Erstickung zugrunde gehen können; für gewöhnlich ist der Ausgang der Vergiftung innerhalb 12 Stunden entschieden. Der Sektionsbefund ist wenig charakteristisch. Neben suffokatorischen Erscheinungen findet man bisweilen starke ödematöse Durchtränkung und selbst Flüssigkeitsansammlung im Gehirn und Rückenmark; zuweilen zeigt auch die Magen- und Darmschleimhaut umschriebene, fleckige Rötungen. Die Behandlung ist neben der Anwendung von Abführmitteln und der Verabreichung von Tannin als chemischem Antidot eine rein symptomatische. Sie besteht in der Anwendung[S. 273] von Beruhigungsmitteln, vor allem in der subkutanen Injektion von Morphium. Der Nachweis der Vergiftung wird auf botanischem Wege gesichert.
Kasuistik. Nach Wanner (Schweizer Archiv für Tierheilkunde 1889) erhielten 2 Pferde eines Müllers grössere Mengen gemahlener Bucheckern-Oelkuchen mit heissem Wasser zu einem Brei angerührt. Das eine Pferd hatte 2 Pfund, das andere 3 Pfund aufgenommen. Beide Pferde zeigten zunächst anhaltende Kolikerscheinungen und Schwanken bei der Bewegung. Das erstere zeigte ferner bei der am Tage nach der Aufnahme der Bucheckern vorgenommenen Untersuchung hochgradige Schreckhaftigkeit, indem es bei der geringsten Berührung, ja sogar bei einem blossen Geräusch, in äusserste Raserei geriet, welche sich durch Beissen und Schlagen kundgab; ausserdem biss es sich mindestens 300mal in die Vorderbrust. Eine genaue Untersuchung, ja selbst eine Temperaturabnahme war unmöglich, da das Pferd bei jeder Berührung biss und wie rasend ausschlug. Neben dieser Schreckhaftigkeit waren periodische Lähmungserscheinungen in der Nachhand zu bemerken, wobei das Pferd zu schwanken anfing und mit dem Hinterteil nach einer Seite halb ging, halb fiel. Nach Verabreichung von Pilokarpin und Morphium besserte sich der Zustand allmählich, so dass die Krankheit innerhalb 12 Stunden gehoben war; es blieb indessen eine 3tägige hochgradige Schwäche zurück. Das zweite Pferd zeigte neben den Erscheinungen der Betäubung und Lähmung Krämpfe und Zuckungen der gesamten Körpermuskulatur, sowie hochgradigen Opisthotonus, wobei sich der ganze Vorderleib in die Höhe hob, so dass das Pferd senkrecht auf die Hinterbacken zu sitzen kam und nach rückwärts umfiel; dieser Vorgang wurde 8mal beobachtet. Das Pferd verendete unter den heftigsten Konvulsionen. Bei der Sektion fand man im Dünndarm und auf der Magenschleimhaut umschriebene, fleckige Rötungen. Das Grosshirn zeigte eine auffallend seröse Durchtränkung, sowie starke Gefässinjektion; dieselben Veränderungen waren im verlängerten Mark und im Lendenmark nachzuweisen. — Kammerer und Vaeth (Bad. tierärztl. Mitt. 1890) haben mehrere Vergiftungsfälle beim Rind beobachtet; die Erscheinungen bestanden in Unruhe, Stöhnen, Durchfall, Herzklopfen, Schwanken, Umfallen, sowie in schwarzroter Verfärbung des Harns. — Hartenstein (Sächs. Jahresb. 1892) sah bei zwei Pferden nach der Verfütterung von Oelkuchen tödliche Kolik. — Pusch (Monatshefte f. prakt. Tierheilkunde 1893) verfütterte Bucheckern an verschiedene Haustiere (exkl. Schweine, welche von jeher mit Bucheckern gemästet werden). Pferde, Ziegen und Schafe nahmen sie sehr ungern oder gar nicht, Rinder dagegen sehr gern auf. Rinder erwiesen sich dabei wenig oder gar nicht empfänglich. Pferde dagegen zeigten schon nach der Verfütterung von 2 Pfund Bucheckern Krankheitserscheinungen; ein Fohlen starb sogar nach der Verfütterung von 2¾ Pfund. Auch Ziegen scheinen die Bucheckern schlecht zu vertragen. — Binder (Tierärztl. Zentralbl. 1908) sah nach Verfütterung unreifer Bucheckern heftige Kolik, Durchfall, Tenesmus, Krämpfe, grosse Schwäche und Hinfälligkeit, sowie Harnbeschwerden bei den Haustieren auftreten; bei der Sektion wurde Nephritis und Zystitis nachgewiesen.
Von älteren experimentellen und klinischen Untersuchungen über die Bucheckern-Oelkuchen sind die Mitteilungen von Gerlach (Gerichtl. Tierheilkunde 1872), Hertwig (Magazin, Bd. 24), Kaiser (Magazin, Bd. 25), Hering (Württ. landw. Korrespondenzblatt 1825), Tscheulin (Kritisches Repertorium 1825) und Herberger (Archiv des Apothekervereins 1830) zu erwähnen.
Botanisches. Der Sauerampfer gibt in zwei Arten Veranlassung zu Vergiftungen bei den Pflanzenfressern. 1. Rumex acetosa, der gewöhnliche Sauerampfer (Polygonee) ist ein kahles, unbereiftes Kraut mit grossen, grünen, pfeilförmigen, sauerschmeckenden Blättern und rötlichen,[S. 274] zweihäusigen Blüten. 2. Rumex acetosella, der kleine Sauerampfer, unterscheidet sich von dem vorigen durch zartere, kleinere Blätter, welche spiess- oder hellebardenförmig sind. Beide Ampferarten enthalten, wie auch Oxalis acetosella, der Sauerklee, saures oxalsaures Kalium von der Formel C2O4HK + H2O, welches auch unter dem Namen „Kleesalz“ oder „Sauerkleesalz“ (Sal Acetosellae, Kalium bioxalicum) bekannt ist. Wegen der leichten Löslichkeit dieses Oxalsäuresalzes wirken die genannten Pflanzen in grösseren Mengen giftig. Die Sauerampfervergiftung ist demnach als eine Oxalsäurevergiftung aufzufassen.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Der Sauerampfer gibt am häufigsten bei Schafen, wenn ihn dieselben in grossen Mengen aufnehmen, Veranlassung zu Vergiftungen. Das Vergiftungsbild stimmt im wesentlichen mit dem der Oxalsäurevergiftung (vgl. S. 139) überein. Die Tiere zeigen die Erscheinung einer Gastroenteritis: Appetitlosigkeit, Durchfall, Mattigkeit und Lähmungserscheinungen. Bei der Sektion findet man Entzündung und Hämorrhagien auf der Schleimhaut des Magens und Darmes. Die Behandlung besteht in der Anwendung schleimiger, einhüllender, sowie exzitierender Mittel.
Die Literatur enthält nachstehende Fälle von Rumexvergiftung. Nach Biermann (Holländ. Zeitschrift 1886) erkrankten 7 Schafe nach dem Beweiden eines stark mit Sauerampfer (Rumex acetosella) besetzten Haferstoppelfeldes. Sie zeigten unterdrückte Fresslust und Rumination, grosse Mattigkeit, anfangs Verstopfung, später Durchfall, angestrengte Atmung, kaum fühlbaren Puls und Herzschlag; bei 2, welche krepierten, ergab die Sektion Hyperämie und Ekchymosierung der Magendarmschleimhaut, sowie starke Hyperämie der Lungen. Nach Matthias (Preuss. Mitth. 1881) starben 40 Schafe nach kurzer Krankheitsdauer unter den Erscheinungen eines heftigen Durchfalls; bei der Sektion fand man eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut. Michels (Annal. de Bruxelles 1869) beobachtete bei einem Pferd 3 Stunden nach der Aufnahme von Rumex acetosella tetanische Krämpfe, welche sich alle 5 Minuten wiederholten, dazwischen hinein Speicheln, unwillkürlichen Harnabgang, Schwanken und Zittern; der Tod erfolgte nach einigen Stunden. Bei der Sektion fand man eine Entzündung der Schleimhaut des Magens und Zwölffingerdarms. Dentler (Repertorium 1864) sah 25 Schafe nach dem Genusse von Sauerklee, Oxalis acetosella, sterben.
[S. 275]
Botanisches. Vergiftungen durch Narzissus, die bekannte Zierpflanze (Amaryllidee) der Gärten, kommen sowohl nach Aufnahme der Zwiebel und des Krautes der gelbblühenden, als der weissblühenden Narzisse vor. 1. Narcissus Pseudonarcissus, die gelbe oder gemeine Narzisse (Sternblume), ist durch eine einzige, dottergelbe Blüte (März, April), zweischneidigen Schaft und eirunde, braune Zwiebel charakterisiert. 2. Narcissus poëticus, die weisse Narzisse, besitzt weisse Blüten mit gelber Nebenkrone. Beide Narzissen enthalten ein giftiges Alkaloid, das Narzitin, ätherisches Oel und Harz.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Narzitin besitzt eine lokal entzündungserregende und späterhin lähmende Wirkung. Die Vergiftungserscheinungen setzen sich daher aus den Symptomen der Magendarmentzündung (Kolik, starker Durchfall) und denjenigen der allgemeinen Körperschwäche und Lähmung zusammen. Bei der Sektion findet man die Erscheinungen einer hochgradigen Enteritis. Die Behandlung besteht in der Anwendung schleimiger und exzitierender Mittel, sowie in der Verabreichung von Tannin als Gegengift.
Vergiftungen durch Narzissen sind bei Rindern, Schweinen und Ziegen beobachtet worden. Nach Gerlach (Gerichtl. Tierheilkunde 1872) frass eine Schweineherde die auf den Hof geworfenen Zwiebel von Narcissus poëticus, worauf 16 Stück unter den Erscheinungen grosser Schwäche und starken Purgierens krepierten; bei der Sektion fand man starke Entzündung des Magens und Darms. Zwei Kühe starben nach dem Genusse von Gras, welchem viel Narzissen beigemengt waren, am zweiten und dritten Tage, nachdem sie grosse Mattigkeit, Stöhnen sowie Drängen auf den Mastdarm gezeigt hatten. Aehnliche Fälle sind von Dinter (Sächs. Jahresbericht 1882), Uhlig (ibidem 1878), Johne und Rosenkranz (ibidem 1865), sowie von Harms (Magazin 1871) beschrieben.
Botanisches. Die zu den Thymeläazeen gehörige Gattung Daphne kommt in 2 Arten vor. 1. Daphne Mezereum, Seidelbast, Kellerhals, ist ein in schattigen, feuchten Wäldern vereinzelt wild wachsender, vielfach auch in Gärten als Zierpflanze kultivierter, über 1 m hoher Strauch, welcher im Frühjahr blüht, bevor er noch Blätter getrieben hat. Die Blüten sind rosenrot, wohlriechend, leicht abfallend und sitzen zu dreien gebüschelt in den Achsen der vorjährigen Blätter. Letztere sind krautartig, lanzettlich. Im August und September entwickeln sich die scharlachroten Beeren. 2. Daphne Laureola, die Lorbeerdaphne, wächst in[S. 276] Süddeutschland, auf den oberbayerischen und österreichischen Alpen, sowie in Böhmen. Die Pflanze zeigt gelbgrüne, krautartige Blüten, lederartige, wintergrüne Blätter, sowie schwarze Beeren.
Hauptbestandteil beider Daphnearten ist das Mezerein, das Anhydrid der Mezereinsäure (Mezereumharz). Ausserdem findet sich in der Rinde das ungiftige Glykosid Daphnin von der Formel C15H16O9 + 2 H2O, welches mit dem Aeskulin isomer ist und zu Zucker und Daphnetin zerfällt. In den Beeren ist ausserdem Kokkogninsäure enthalten. Auch Daphne Gnidium enthält Mezerein. Ein ähnliches scharfes Harz findet sich in Thapsia garganica (Südeuropa).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Anhydrid der Mezereinsäure, welches sowohl in der Rinde, als auch in der Blüte, in den Blättern und Beeren des Daphnestrauches vorkommt, ist ein gelbbraunes Harz von stark entzündungserregender Wirkung (Acre pustulans). Nicht bloss auf Schleimhäuten, sondern auch auf der Haut entsteht unter der Einwirkung des Mezereinsäureanhydrids und der genannten Pflanzenteile Schwellung, Rötung, Entzündung, Blasen-, Pustel- und Geschwürsbildung. Nach der innerlichen Aufnahme der Pflanze entsteht das Bild einer schweren Magendarmentzündung und Stomatitis, welche sich in Speicheln, Schlingbeschwerden, Erbrechen, Kolik, starkem Durchfall, Strangurie, sowie grosser Mattigkeit und Schwäche äussert. Bei der Sektion findet man Schwellung, Entzündung und Geschwürsbildung auf der Schleimhaut der Maulhöhle, des Magens und Darmes. Die Behandlung besteht in der Verabreichung schleimiger, einhüllender Mittel in Verbindung mit Opium.
Die tödliche Dosis der gepulverten Daphnerinde beträgt für Pferde 30 g (Wrigt), Hunde starben bei unterbundenem Schlund auf 12 g der Rinde nach 13 Stunden (Orfila). Vergiftungen mit den Blättern von Daphne Laureola sind in England beobachtet worden, wo dieselben als Wurmmittel angewandt wurden. Nach Rose (The veterinary Record, Bd. 6) erkrankten hiebei 5 Pferde unter den Erscheinungen von Stomatitis, Kolik, starkem Durchfall, grossem Durst, grosser Schwäche, kleinem, beschleunigtem Puls und beschleunigtem Atmen; 3 davon starben im Verlauf von 5 Tagen.
Botanisches. Die zu den Erikazeen gehörige Gattung Rhododendron wird in verschiedenen Arten teils in wildem, teils in kultiviertem Zustande die Veranlassung zu Vergiftungen bei den Haustieren. 1. Rhododendron hirsutum, auf den Schweizer Alpen vorkommend, ist ein kleiner immergrüner Strauch mit elliptischen oder länglichlanzettlichen Blättern,[S. 277] sowie purpurroten oder rosenroten, trichterförmigen, in einer Doldentraube stehenden Korollen. 2. Rhododendron ferrugineum, ebenfalls eine Alpenpflanze, besitzt purpurne, trichterförmige Korollen, die Blätter sind am Rande kahl und unterseits dicht drüsig schuppig. 3. Rhododendron maximum, in Nordamerika einheimisch, bei uns als Zierpflanze kultiviert, wird bis 8 m hoch, hat länglich spitze Blätter, sowie purpurrote violette Blütenkorollen, welche innen gelb punktiert sind. 5. Rhododendron ponticum, aus Kleinasien stammend, in Gärten kultiviert. 5. Rhododendron chrysanthum, die sibirische Schneerose, mit widerlich riechenden und scharf schmeckenden Blättern.
Die Rhododendronarten enthalten das Andromedotoxin als Giftstoff. Ausserdem findet sich in ihnen wie in allen Erikazeen Arbutin, Erikolin, Urson, Tannin, Gallussäure, Harz und ätherisches Oel. — Von Pflanzen, welche ebenfalls Andromedotoxin enthalten, sind zu nennen die verschiedenen Andromedaarten (A. polyfolia, japonica, Moriana etc.), ferner Azalea indica, Kassandra-, Kalmia-, Monotropa- und Pierisarten.
Krankheitsbild. Das Andromedotoxin ist ein scharfer, akonitinähnlich wirkender Stoff, welcher auf Haut und Schleimhäuten Entzündung hervorruft und auf das Zentralnervensystem betäubend und lähmend einwirkt. Die Vergiftungserscheinungen bestehen daher in Speicheln, Würgen, Erbrechen, Kolik, blutigem Durchfall, Erregungserscheinungen, Betäubung und Lähmung. Bei der Sektion findet man die Erscheinungen der Gastroenteritis. Die Behandlung besteht in der Verabreichung schleimiger, einhüllender, sowie exzitierender Mittel.
Die tierärztliche Literatur enthält einige Fälle von Rhododendronvergiftung. Piepenbrock (Preuss. Mitteil. 1877) berichtet, dass von 2 Ziegen, welche in einem Blumengarten Zweige der Alpenrose mit Begierde gefressen hatten, die eine nach Ablauf einer Stunde heftiges Würgen und Erbrechen, starkes Geifern aus dem Maule, Zähneknirschen, sowie Schweissausbruch über den ganzen Körper zeigte und bei Berührung des Körpers schmerzhaftes Blöken äusserte; am Tage darauf lag sie gelähmt, langausgestreckt im Stalle. Die zweite Ziege stand betäubt, die Stirn gegen die Wand gestemmt; der Mist war hart, der Kotabsatz verzögert und mit schmerzhaftem Blöken verbunden, im Kote fanden sich blutige Striemen, der Puls war unfühlbar. Am 3. bezw. 5. Tage trat bei beiden Tieren Besserung und am 8. Tag Genesung ein. Nach Gerlach (Gerichtl. Tierheilkunde) krepierten von 100 jungen Schafen, welche einen Rhododendronstrauch abgefressen hatten, mehrere, ausserdem mussten 27 wegen schwerer Erkrankung geschlachtet werden. Claussen (Schleswig-Holst. Mitt. für Tierärzte 1896) sah[S. 278] bei 3 Ziegen Erbrechen, Appetitlosigkeit und Erregungserscheinungen. Marston (The Veterinarian) beobachtete bei 2 Rindern starken Speichelfluss, öfteres Erbrechen sowie Erregung bei Annäherung von Personen. Wilson (ibid. 1897) fand bei einer Ziege Traurigkeit, schwankenden Gang, anhaltendes Speicheln, Verstopfung sowie krampfhafte Kontraktionen der Bauchmuskeln mit Würg- und Brechbewegungen. Einen weiteren Fall von Rhododendronvergiftung hat Salembier (Bullet. Belg. 1886) beschrieben.
Botanisches. Die zu den Umbelliferen gehörige, mit dem Schierling nahverwandte gelbsaftige Rebendolde, Oenanthe crocata, ist ein in Südeuropa, Frankreich, England und Belgien auf Sumpfwiesen und an Wassergräben wild wachsendes Unkraut mit knollenförmiger Wurzel, welche einen gelben, sehr giftigen Milchsaft enthält. Der giftige Körper dieses Milchsaftes ist das Oenanthin, ein bräunliches Harz, welches auch in der bei uns einheimischen röhrenförmigen Rebendolde, Oenanthe fistulosa, enthalten ist, einer auf sumpfigen Wiesen und in Wassergräben wachsenden, bis ¼ m hohen, im Juni und Juli blühenden Umbellifere mit rübenförmiger Wurzel (früher als volkstümliches Diuretikum angewandt).
Krankheitsbild. Das Oenanthin ist ein Harz, welches örtlich stark reizende, entzündungserregende Wirkung hat. Ausserdem ist es ein Krampfgift nach Art des Zikutoxins. Kaninchen zeigen nach Dosen von 0,02 g krampfhafte Streckbewegungen der Vorderbeine, Lauf- und Schwimmbewegungen, allgemeine klonische Krämpfe und sterben nach 30 Minuten unter Stillstand der Atmung (Pohl, Arch. für exper. Pathol. 1894). Die Krankheitserscheinungen bestehen daher vorwiegend in Stomatitis, Kolik, Durchfall, Krämpfen und allgemeiner Lähmung. Bei der Sektion findet man entzündliche Veränderungen der Magendarmschleimhaut. Die Behandlung besteht in der Verabreichung schleimiger und exzitierender Mittel.
Vergiftungen ereignen sich bei den Haustieren nach dem Genusse der ausgegrabenen Wurzeln. (Die grüne Pflanze soll nicht giftig sein.) Gaignard (Recueil 1895) sah bei Pferden und Rindern nach der Aufnahme der Wurzeln Speicheln, Schwindel, Niederstürzen, Brüllen, grosse Unruhe und Schweissausbruch, elektrische Muskelstösse, epileptiforme Krämpfe, Verkrümmung des Halses und Rückens, tetanisehe Härte der Muskeln und schliesslich Lähmung. Nach den Beobachtungen von Bellancy (Repertorium 1856) starb[S. 279] eine Kuh nach der Aufnahme von 650 g der Wurzel von Oenanthe crocata schon nach Verfluss einer Stunde. 400 g der Wurzel hatten Krämpfe, Atmungsnot, Anästhesie und allgemeine Lähmung bei einer andern Kuh zur Folge. Ein Pferd starb nach dem Genusse von 850 g der Wurzel schon innerhalb 25 Stunden unter Krämpfen und Kolikerscheinungen. Jouquan (Recueil 1885) beobachtete bei einer Kuh ½ Stunde nach der Aufnahme der ausgegrabenen Wurzeln heftige Kolik, starkes Brüllen, sowie unregelmässige Bewegungen der Gliedmassen. Hoare (The vet. journ. 1888) beschreibt eine Vergiftung bei 8 Kühen, welche die Wurzeln und das Kraut der giftigen Rebendolde gefressen hatten; 2 derselben starben. Macadam (ibid. 1897) sah bei Kühen wässerigen Durchfall, Gliederzittern und Lähmung; die Sektion ergab entzündliche Schwellung der Magenschleimhaut. Graham-Gillam beobachtete bei 4 Schafen eine Entzündung des Labmagens, Duodenums und Kolons.
Botanisches. Das Schöllkraut, Chelidonium majus (Maikraut, Goldwurz, Gilbkraut, Augenkraut, Gottesgabe) ist eine überall in Europa einheimische, perennierende, bis 1 m hohe Papaverazee, welche in allen Teilen einen orangegelben Milchsaft enthält. Das starke, rotbraune Rhizom sendet mehrere aufrechte, stumpfkantige, knotig gegliederte, leicht zerbrechliche, weissliche, weich behaarte Stengel aus. Die Blätter sind oben lichtgrün, unten blaugrün, zottig behaart, leierförmig; die 4blätterigen Blüten sind gelb und in gestielten Dolden angeordnet. Die schotenförmige Kapsel ist bis 5 cm lang, 4 cm breit und enthält braune, schief eiförmige Samen. Die ganze Pflanze ist durch einen widerlich scharfen Geruch, sowie durch einen scharfen, brennenden, bitteren Geschmack ausgezeichnet.
Der zu 25 Prozent im Schöllkraut enthaltene Milchsaft, welcher bei heissem trockenem Wetter am giftigsten ist, enthält 2 Alkaloide. 1. Das Chelerythrin, ein ausserordentlich giftiges, besonders in den Wurzeln und in den unreifen Früchten enthaltenes Alkaloid von der Formel C19H17NO4, welches warzenförmige Kristalle von brennendem, scharfem, bitterem Geschmack bildet, sich mit Säuren sofort rot färbt und mit Säuren Salze bildet. 2. Das viel weniger giftige Chelidonin von der Formel C20H19NO5, ein rein weisses, geruchloses, bitter und kratzend schmeckendes Pulver. Ausserdem enthält der Milchsaft Chelidonsäure, Chelidoninsäure, Chelidoxanthin (Farbstoff), Zitronensäure und Aepfelsäure.
Wirkung. Das Chelerythrin besitzt eine entzündungserregende lokale Wirkung auf Haut und Schleimhäute und erzeugt daher bei innerlicher Aufnahme Erbrechen, Kolik und starken Durchfall. Ausserdem besitzt es eine harntreibende, sowie eine teils erregende, teils lähmende Wirkung auf das Zentralnervensystem, welche sich in Zuckungen, Sinken der Reflexerregbarkeit,[S. 280] Anästhesie, sowie in Lähmung der Skelettmuskeln, des Herzens und des Atmungszentrums äussert. Das Chelidonin besitzt eine morphinähnliche Wirkung. Klinische Vergiftungen sind bei den Haustieren nur ganz vereinzelt zur Beobachtung gelangt, da die Tiere die Pflanze wegen ihres scharfen, brennenden Geschmackes meiden. Schmidtke beobachtete bei einer Ziege, die ausschliesslich Schöllkraut als Wildfutter einige Tage hindurch erhalten hatte, Durchfall und Taumeln; die Sektion ergab das Vorhandensein von Gastroenteritis. Experimentelle Untersuchungen haben ergeben, dass Pferde und Rinder das Schöllkraut in Gaben bis zu ½ kg gut ertragen, indem sie nur eine Vermehrung der Harnsekretion zeigen (Hertwig). Orfila sah bei einem Versuchshunde nach dem Eingeben eines wässerigen Extraktes der Pflanze Erbrechen, Lähmung, Anästhesie, Amaurose, Taubheit; in eine Wunde gebracht, hatte das Extrakt starke entzündliche Schwellung, allgemeine Anästhesie, sowie den Tod zur Folge. Das Schöllkraut wurde früher in der Tierheilkunde als Purgans, Cholagogum und Diuretikum angewandt und wird neuerdings wieder in der Menschenheilkunde benützt.
Botanisches. Der Aron, Arum maculatum (Aronstab, Zehrwurz, Fieberwurz, Zahnwurz, Fresswurz), findet sich in feuchten Laubwäldern Mittel- und Südeuropas. Das Rhizom ist rundlich oval, fleischig, kartoffelgross, sehr stärkemehlreich. Der Schaft trägt einen von einer grossen Spatha umschlossenen, terminalen Kolben. Die Blätter (2–3) sind spiessförmig oder pfeilförmig, lang gestielt und braun gefleckt. Die Beeren sind rot. Der Aron enthält das Aronin, ein angeblich mit dem Saponin identisches Alkaloid (nach andern ein Alkaloid Aroin bezw. ein Glykosid Arin). Aehnliche Stoffe finden sich auch in den übrigen Aroideen: Calla palustris, Dieffenbachia, Caladium u. a., namentlich auch in den als Topfpflanzen gezogenen Kallaarten.
Wirkung. Das Aronin besitzt, wie das Saponin, eine stark entzündungserregende Wirkung auf Wunden, Haut und Schleimhäute. Ein Vergiftungsfall beim Pferd ist von Mergel (Russ. Archiv für Veterinärmedizin 1884) beschrieben. Eine 8jährige Stute, welche vor 3 Tagen einen Hufschlag in die Hüfte erhalten hatte, bekam an dieser Stelle Befeuchtungen mit einem Infus der frischen Blätter von Arum maculatum. Durch die Bewegungen des Schweifes wurde die Flüssigkeit auch auf das Mittelfleisch und den After übertragen. Die Vergiftungserscheinungen bestanden in starker Anschwellung des Afters, der Vulva, des Euters und der Wundränder.[S. 281] Daneben beobachtete man Zittern über den ganzen Körper, Stehen mit gespreizten Beinen und gestrecktem Hals, beschleunigte Atmung, pochenden Herzschlag, sowie starke Injektion der sichtbaren Schleimhäute. Am dritten Tag trat der Tod des Pferdes ein. Kontrollversuche an Ratten, Mäusen und Fröschen ergaben bei diesen Versuchstieren nach dem Einbringen des Arons in Wunden ebenfalls eine tödliche, unter den Erscheinungen einer Depression des Nervensystems verlaufende Vergiftung.
Botanisches. Die Schwalbenwurzel (Hundswürger), Asklepias vincetoxicum (Cynanchum vincetoxicum), ist eine bis einen halben Meter hohe Asklepiadee mit aufrechtem Stengel, herzförmigen Blättern und weissen Doldenblüten. Sie enthält das giftige Glykosid Asklepiadin, eine schwach gelbliche, amorphe, in Wasser leicht lösliche Masse von grosser Zersetzlichkeit, welche in Zucker, Asklepin und Asklepion zerfällt.
Wirkung. Das Asklepiadin ist ein Nierengift, welches infolge von Nierenreizung Polyurie und Nephritis, sowie infolge von Blasenreizung Harndrang und Cystitis erzeugt. In einem von E. Veith mitgeteilten Fall (Mitteilungen österr. Veterinäre 1844) erkrankte eine Schafherde nach dem Genuss der Schwalbenwurzel unter den Erscheinungen der Harnruhr. Mehrere Wochen und Monate hindurch wurde beobachtet, dass Schafe hinter der Herde zurückblieben, hinten breitbeinig gingen, sich häufig zum Harnen anstellten, öfters unter Schmerzen einen klaren, wasserhellen Harn absetzten und bei Druck in der Lendengegend grosse Schmerzhaftigkeit äusserten. Später träufelte der Harn fortwährend unwillkürlich ab, die Tiere wurden sehr matt und schwach, zeigten Schwindel und Taumeln und starben nach wochen- und monatelanger Dauer der Krankheit. Bei der Sektion zeigten sich die Nieren entzündlich verändert, die Schleimhaut der Blase wulstig verdickt und von Hämorrhagien durchsetzt, die Harnleiter waren ebenfalls verdickt. Fütterungsversuche, wobei täglich 30–90 g des frischen Krautes gesunden Schafen verabreicht wurden, ergaben, dass schon nach 3 Tagen häufiger Drang zum Harnabsatz und nach 8 Tagen das obenbeschriebene Krankheitsbild zu konstatieren war.
Eine Behandlung der Vergiftung würde in der Verabreichung von Laxantien, sowie in einer symptomatischen Behandlung der Nierenentzündung bestehen (Tannin, Kali chloricum).
[S. 282]
Botanisches. Das Stephanskraut, Delphinium Staphisagria (Läusekraut, scharfer Rittersporn) ist eine südeuropäische Ranunkulazee mit blauen, traubenförmigen Blüten und bauchigen, zottigen Samenkapseln, welche erbsengrosse, kantige Samen, die sogenannten Stephanskörner oder Läusekörner, Semina Staphisagriae, einschliessen. Diese Stephanskörner wurden früher in der Tierheilkunde äusserlich gegen Ungeziefer, sowie innerlich gegen verschiedene Krankheiten angewandt. Sie enthalten 4 Alkaloide: das Delphinin, Staphisagrin, Delphinoidin und Delphisin. Diese Alkaloide sind wahrscheinlich auch in geringer Menge in Delphinium consolida, dem Feldrittersporn, einem auf Aeckern häufigen Unkraut mit dunkelvioletten, einfach gespornten Blüten und schwarzbraunen, kantigen, scharf und bitter schmeckenden Samen enthalten. In Amerika sollen ferner Vergiftungen durch Delphinium bicolor und glaucum vorkommen.
Wirkung. Das Delphinin besitzt eine akonitinähnliche Wirkung, indem es spinale Krämpfe mit späterer Lähmung, Unempfindlichkeit, Herzstillstand, sowie Asphyxie erzeugt; lokal wirkt es stark reizend auf Haut und Schleimhäute. Hunde und Katzen starben auf 0,01–0,03 Delphinin, nachdem sie Speicheln, Würgen, Erbrechen, Kolikerscheinungen, Abnahme der Reflexerregbarkeit und Sensibilität, Streckkrämpfe, sowie Lähmung des Herzens und der Atmung gezeigt hatten. Das Staphisagrin hat eine koniin- und kurareartige Wirkung (Delphocurarin); es tötet Hunde in Dosen von 0,2–0,3. Die gepulverten Samen töten Hunde in Dosen von 30 g vom Magen, in Dosen von 8 g von der Haut aus; bei der ersteren Applikation findet man bei der Sektion eine Entzündung der Magenschleimhaut (Orfila).
Klinische Vergiftungen durch Stephanskörner sind, nachdem das Mittel therapeutisch fast gar nicht mehr verwendet wird, sehr selten geworden. In einem Fall beobachtete Beier (Landwirtschaftliche Zeitung 1845) bei 6 Pferden, welchen gegen Druse je 60 g Stephanskörner eingegeben wurden, sehr heftige Kolikerscheinungen, Schweissausbruch, Betäubung und Empfindungslosigkeit, sowie Tod innerhalb 24 Stunden. Die Behandlung der Vergiftung würde in der Verabreichung von schleimigen, einhüllenden Mitteln, Tannin, Opium, sowie von Exzitantien bestehen.
[S. 283]
Botanisches. Der Kerbel oder Taumelkerbel, Chaerophyllum temulum (betäubender Kälberkropf) ist eine bis meterhohe, weiss blühende Doldenpflanze (Umbellifere), welche einen dünnen, rauh behaarten und dunkelrot gefleckten Stengel, doppelt gefiederte Blätter, sowie schnabellose Früchte besitzt. Der Taumelkerbel enthält das giftige Chaerophyllin.
Wirkung. Das Chaerophyllin ist ein Acre-Narcoticum. Es erzeugt Reizung der Magendarmschleimhaut, Betäubung, Taumeln, Pupillenerweiterung und allgemeine Lähmung. Die tierärztliche Literatur enthält 2 Fälle von Vergiftung bei Rindern und Schweinen. Nach Frey (Schweizer Archiv 1845) erkrankten 3 Kühe nach der Aufnahme von Kraut und Wurzeln des Taumelkerbels unter den Erscheinungen der Appetitlosigkeit, Schmerzhaftigkeit des Hinterleibs, Auftreibung des Bauches, Injektion der Schleimhäute, Pupillenerweiterung, Benommenheit des Sensoriums, Umstülpung des Afters, sowie Entleerung von Schleim unter starkem, schmerzhaftem Drängen. Bei der Sektion fand man starke Entzündung des Labmagens, sowie Rötung der Schleimhaut des Psalters und Dünndarmes. Kohli (Der Tierarzt 1862) beobachtete bei Schweinen Pupillenerweiterung, sowie Lähmungserscheinungen, welche in der Nachhand begannen; 3 derselben starben innerhalb 24 Stunden, ein viertes innerhalb 36 Stunden. Die Sektion ergab das Vorhandensein einer Gastroenteritis.
Botanisches. Der Steinklee, Melilotus officinalis ist eine bis meterhohe Papilionazee mit aufsteigendem Stengel, fiedrigen, 3zähligen Blättern, vielblütigen, gestielten Trauben und querfaltigen, 1samigen Hülsen. In der Schmetterlingsblüte sind Fahne und Flügel gleich lang, sowie beide länger als das Schiffchen. Der Steinklee enthält das Kumarin, ausserdem Melilotol, Harz und ätherisches Oel.
Wirkung. Nach den Beobachtungen von Carrey und Collas (Journal de Lyon 1888) sind die Samen des Steinklees giftig. Der Giftstoff selbst ist nicht genauer bekannt, seine Wirkung ist eine lähmende. Pferde, welche täglich 2–3 Liter Steinkleesamen erhalten hatten, zeigten eine eigentümliche Erkrankung, welche in der Hauptsache in einer Lähmung der Rumpfmuskulatur bestand, während die Bewegungsfähigkeit am Kopf erhalten war. Sonstige Krankheitserscheinungen waren nicht wahrzunehmen. Die Tiere starben[S. 284] nach Ablauf von 10–12 Tagen; bei der Sektion wurde ausser starker Lungenhyperämie sowie Schwellung der Leber nichts Besonderes gefunden. Auch Lämmer und Rinder sollen erkrankt sein.
Kumarinvergiftung. Das Kumarin gehört seiner chemischen Natur nach zu den ätherischen Oelen. Es ist eine Kampferart mit Säurecharakter von der Formel C9H6O2, welche deshalb wohl auch als Kumarinsäure oder Tonkabohnenkampfer bezeichnet wird. Man findet es nämlich hauptsächlich in den Tonkabohnen, den Früchten von Dipterix odorata, welche 1–1½ Proz. Kumarin enthalten. Daneben kommt es in kleineren Mengen vor im Ruchgras oder wohlriechenden Wiesengras (Anthoxanthum odoratum), im Waldmeister (Asperula odorata), im Steinklee (Melilotus officinalis), sowie in verschiedenen anderen Pflanzen (Myroxylon toluiferum, Orchis fusca, Angraecum fragrans, Liatris odoratissima). Ausserdem kann das Kumarin synthetisch aus der Salizylsäure dargestellt werden. Aus den genannten Pflanzen wird es durch Extraktion mit Alkohol und Aether gewonnen. Es bildet farblose, säulenartige oder blättchenförmige Kristalle von dem gewürzhaften Geruch des Waldmeisters und scharfem, bitterem, brennendem Geschmacke. Die Löslichkeit in Wasser ist gering (1 : 500), dagegen löst es sich leicht in Alkohol, Aether, fetten und ätherischen Oelen. Beim Schmelzen mit Aetzkali zerfällt es in Salizylsäure und Essigsäure.
Die Toxikologie des Kumarins ist zuerst von Köhler (Zentralblatt für die medizinischen Wissenschaften 1875) untersucht worden. Die an Fröschen, Kaninchen, Hunden und Katzen angestellten Experimente zeigten, dass das Kumarin für diese Tiere ein lähmendes Gehirn- und Herzgift ist. Die wichtigsten Vergiftungserscheinungen waren: Betäubung, Anästhesierung und Herabsetzung der Reflexerregbarkeit (Katzen taumelten wie betrunken umher, zeigten hochgradige Muskelschwäche und blieben schliesslich gelähmt und bewegungslos am Boden liegen), Lähmung des Herzens und zwar sowohl der Vagusendigungen als auch der intrakardialen Hemmungszentren und des Herzmuskels selbst, mit gleichzeitiger Erweiterung der peripheren Gefässe und Sinken des Blutdrucks, Sinken der Körpertemperatur und Herabsetzung der Erregbarkeit des Atmungszentrums.
Meine eigenen Versuche mit Kumarin bei Pflanzenfressern (Rindern, Pferden, Schafen und Ziegen) haben ein von obigen Versuchen abweichendes Resultat ergeben (Monatshefte für prakt. Tierheilkde. 1890). Dasselbe ist folgendes: Das Kumarin tötet Pferde in Dosen von 50 g, Schafe in solchen von 5 g. 25 g Kumarin sind für Pferde und Rinder eine indifferente Dosis. Das Kumarin ist für Pflanzenfresser mithin kein starkes Gift. Bei allen Versuchstieren äussert sich die Wirkung des in Substanz verabreichten Kumarins zuerst in einer entzündlichen Reizung der Magendarmschleimhaut. Das in die Blutbahn aufgenommene Kumarin wirkt in erster Linie als Herzgift, in zweiter Linie als Atmungsgift. Eine narkotische oder hypnotische Wirkung des Kumarins wurde niemals konstatiert. Das Sensorium aller Versuchstiere blieb vielmehr bis zum tödlichen Ende relativ frei. Auch eine lähmende Einwirkung auf die Körpermuskulatur oder auf das Rückenmark liess sich nicht feststellen. Die am Ende der Vergiftung auftretende allgemeine Schwäche war vielmehr lediglich die Folge der zunehmenden Herzschwäche. Der tödliche Ausgang wird durch die[S. 285] lähmende Wirkung auf das Herz verursacht (Lungenödem). In einem Fall erzeugte das Kumarin Ikterus und Nephritis, in allen anderen Fällen fehlten diese Erscheinungen. Eine konstante Nebenerscheinung bildeten endlich der Kumaringeruch der ausgeatmeten Luft, der Nasenausfluss und die höhere Rötung der sichtbaren Kopfschleimhäute.
Die vorstehenden Kumarinversuche wurden von mir speziell zur Lösung der Frage unternommen, ob die nach der Aufnahme von frischem Heu mitunter beobachteten eigentümlichen Krankheitsfälle als Kumarinvergiftung aufzufassen sind?
Den kasuistischen Mitteilungen über angebliche Kumarinvergiftungen bei Pferden ist folgendes zu entnehmen. In der Zeitschrift für Veterinärkunde (1891, S. 457) teilt Rossarzt Mierswa mit, dass auf dem Schiessplatz zu Hammerstein das fast ausschliesslich aus Ruchgras bestehende Heu abgemäht, gut getrocknet und, ehe es anfing zu schwitzen, teils allein, teils mit anderem Heu vermischt an die Pferde der reitenden Abteilung des Artillerieregiments Prinz August verfüttert wurde. Nachdem diese Fütterung einige Zeit fortgesetzt war, stellten sich bei einigen Pferden leichte Kolikerscheinungen ein. Andere Pferde zeigten grosse Eingenommenheit des Kopfes, standen teilnahmslos im Stall, stützten den Kopf auf die Krippe, hatten beim Vorführen einen schwankenden Gang und zeigten rauhes, aufgebürstetes Haar. Sobald die Verfütterung des betreffenden Heus eingestellt wurde, verloren sich die bei vielen Pferden konstatierbaren krankhaften Symptome. Der Beobachter hat daraus den Schluss gezogen, dass in dem Ruchgras ein betäubender Stoff, wahrscheinlich das Kumarin, enthalten sei, dessen Wirkung für gewöhnlich nicht zur Geltung komme, weil das Ruchgras neben andern Gräsern im Heu sich in der Minderheit befinde, dass er aber bei ausschliesslicher Verfütterung des Ruchgrases schädliche Wirkungen auf das Nervensystem zur Folge habe.
Ueber einen zweiten ähnlichen Fall wird im Pferdefreund (1888, Nr. 26) berichtet. 30 Pferde des Zirkus Lorch erkrankten im Juli 1888 in Luzern plötzlich in der Nacht unter höchst eigentümlichen Krankheitserscheinungen, welche sich in unregelmässigem Herzschlag, starker Rötung der Augen, sowie in hohem Fieber äusserten. Der behandelnde Tierarzt stellte die Diagnose auf Intoxikation durch ein „Herzgift“. 9 Pferde starben; die Sektion ergab einen durchaus negativen Befund. Das Trinkwasser, die Bodenbeschaffenheit, der verabreichte Hafer wurde als vollständig normal erfunden. Deshalb wurde als Krankheitsursache die Verfütterung von jungem Heu angenommen, eine Voraussetzung, welche durch Fütterungsversuche bei Anatomiepferden bestätigt wurde.
Von diesen Fällen stimmt nur die zweite Beobachtung in mehreren Punkten mit dem von mir erzeugten Krankheitsbilde der Kumarinvergiftung überein. Hier wie dort liegt eine spezifische Wirkung auf das Herz vor, in beiden Fällen wurden Rötung der Kopfschleimhäute und Fieber als Begleiterscheinungen der Vergiftung konstatiert. Es fragt sich nur, ob in frischem Heu so viel Kumarin enthalten ist, dass die Aufnahme desselben zu einer Kumarinvergiftung führen kann. Zwar liegen keine chemischen Analysen bezüglich des Kumaringehaltes von frischem Heu vor. Ich möchte aber vom rein theoretischen Standpunkte aus bezweifeln, dass das frische Heu tatsächlich so viel Kumarin enthält, dass eine Kumarinvergiftung zustande kommen kann. Denn wenn man eine starke Tagesration[S. 286] Heu für ein Pferd zu 5 kg rechnet, so müsste das Heu 1 Proz. Kumarin enthalten, um in 5 kg einen Gesamtgehalt von 50 g Kumarin, d. h. die tödliche Dosis zu besitzen. Ein derartig starker, 1prozentiger Kumaringehalt kommt allerdings der Tonkabohne zu. Vergleicht man aber den Kumaringeruch der Tonkabohne mit demjenigen des frischen Heus, so ist derselbe bei ersterer ungleich stärker, als bei letzterem. Hauptsächlich aus diesem Grunde komme ich trotz der unzweifelhaften Aehnlichkeit gewisser Krankheitsfälle zu dem Schlusse, dass bei der geringen Giftigkeit des Kumarins und bei dem geringen Kumaringehalt des Heus eine Kumarinvergiftung nach Aufnahme von Heu wahrscheinlich ist.
Botanisches. Die Flachsseide, Cuscuta europaea (Konvolvulazee), ist ein chlorophylloser, links windender, fadenförmiger Stengelschmarotzer, welcher als Unkraut auf Hopfen, Klee usw. parasitiert. Ueber die wirksamen Bestandteile der Pflanze ist mit Sicherheit nichts bekannt. Da sie früher als Abführmittel angewandt wurde und zu den Konvolvulazeen gehört, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der giftige Stoff der Pflanze das auch in der Jalapenwurzel enthaltene Konvolvulin ist.
Krankheitsbild. Eine Vergiftung durch Flachsseide ist bei Schweinen von Glocke (Preuss. Mitt. 1872) beschrieben worden. 5 Ferkel im Alter von 3–5 Monaten hatten Klee gefressen, welcher stark mit Flachsseide überwuchert war. Die Tiere lagen auf der Seite, unvermögend aufzustehen, machten Laufbewegungen mit den Beinen, der Kopf wurde ruckweise nach dem Rücken und nach der Seite verzogen. Bei der Sektion fand man die Schleimhaut des Kolons stark geschwollen, stellenweise von streifigen Blutungen durchsetzt und mit gallertartigem Schleime bedeckt. Das Ergebnis der Sektion in Verbindung mit den während des Lebens beobachteten Krankheitserscheinungen weist darauf hin, dass die Flachsseide einen scharfnarkotischen Giftstoff enthält.
Botanisches. Der Orant (Löwenmaul) kommt in 2 Formen vor: 1. Antirrhinum majus, aus dem südlichen Europa stammend und 2. Antirrhinum Oronthium, eine bei uns einheimische Skrofulariazee. Er ist charakterisiert durch seine schöne purpurne oder weisse Blüte mit 2lippiger Korolle, welche am Grunde der Röhre bauchig ist und deren Unterlippe den Schlund vollständig schliesst.
Krankheitsbild. Der früher als Arzneimittel verwendete Orant enthält einen nicht näher bekannten giftigen Stoff von betäubender, lähmender Wirkung. Vergiftungen bei Pferden sind von[S. 287] Popow (Russischer Veterinärbote 1884) beschrieben worden. Die Pflanze, welche auf den Getreidefeldern russischer Gouvernements (Tombow, Pensa, Woronesch) wächst, wird dort im trockenen Zustand von den Pferden gern gefressen. Werden grössere Mengen derselben aufgenommen, so zeigen die Tiere das Bild einer Narkose: Schwanken, Betäubung, Abstumpfung des Gefühls, Bewusstlosigkeit, Schweissausbruch, sowie sehr angestrengte Atmung. Das aus der Pflanze ausgepresste Oel erzeugt nach experimenteller Untersuchung ebenfalls allgemeine Lähmungserscheinungen. Die Behandlung der Vergiftung besteht in der Verabreichung von Aloe und Kampfer.
Allgemeines. Das in verschiedenen Abietineen (Pinus abies, Pinaster, Larix, decidua, australis, Taeda) enthaltene Terpentinöl ist ein ätherisches Oel von der Formel C10H16. Vergiftungen ereignen sich zuweilen durch die Verabreichung zu grosser Terpentinöldosen oder durch die Inhalation zu konzentrierter Terpentinöldämpfe. Ausserdem kommen sie zustande durch die Aufnahme von Fichtensprossen. Die früher als Terpentinölvergiftung aufgefasste und auf das Fressen von jungen Fichtensprossen zurückgeführte sog. enzootische Magendarmentzündung oder Waldkrankheit des Rindes dürfte übrigens nach den neueren Untersuchungen über Piroplasmose in der Hauptsache keine Vergiftung, sondern eine Infektionskrankheit darstellen (seuchenhafte Hämoglobinurie, durch Zecken vermittelt und durch Piroplasma bigeminum verursacht).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Terpentinöl besitzt örtlich auf Haut und Schleimhäute eine stark reizende, entzündungserregende Wirkung. Wird es innerlich in grösserer Menge aufgenommen, so erzeugt es eine unter den Erscheinungen von Kolik verlaufende Gastroenteritis, ausserdem die Erscheinungen einer Stomatitis, Pharyngitis und Laryngitis. Bei der Ausscheidung durch die Nieren wirkt es ebenfalls reizend und veranlasst daher eine mit Hämaturie verlaufende hämorrhagische Nephritis. Im übrigen sind, wie experimentelle Versuche gelehrt haben, einmalige grössere Terpentinöldosen verhältnismässig wenig giftig. So ertragen Pferde und Rinder einmalige Dosen von 250–500 g; dagegen erzeugten 500–1000 g Terpentinöl bei Pferden Kolik, Durchfall und Hämaturie. Hunde starben nach 8–30 g Terpentinöl an Gastroenteritis (Hertwig).
Neben der reizenden Einwirkung auf die Schleimhaut des Digestionsapparates und auf die Nieren besitzt das Terpentinöl auch eine spezifische Einwirkung auf das Nervensystem, indem es[S. 288] dasselbe zuerst erregt und dann lähmt. Die Erscheinungen der Terpentinölvergiftung nach dieser Richtung bestehen zunächst in hochgesteigerter Reflexerregbarkeit, Zittern, Krämpfen, Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, Atmungsbeschwerden. So beobachtete Grinzer (Russisches Archiv für Veterinärmedizin 1886) bei einem Pferd nach einer zu starken Terpentinölinhalation eine 2 Tage andauernde hochgesteigerte Reflexerregbarkeit, Muskelzittern, anhaltenden Husten, Herzklopfen, starke Injektion der sichtbaren Schleimhäute, Zuckungen im Musculus Tensor fasciae latae und selbst Trismus. Auf die Erregung folgt die Lähmung der Zentralapparate. Die Tiere zeigen Eingenommenheit des Sensoriums, Schwindel, Taumeln, Betäubung, Sinken des Blutdrucks und der Herztätigkeit, sowie der Respiration, Verlangsamung und Lähmung der Atmung und zuletzt allgemeine Lähmung.
Bei der Sektion findet man neben dem charakteristischen Terpentinölgeruch die Erscheinungen der Gastroenteritis und hämorrhagischen Nephritis. Die Behandlung ist eine symptomatische; sie besteht in der Anwendung einhüllender, schleimiger und exzitierender Mittel.
Kasuistik. Jansen (Preuss. Mitt. 1867) sah bei einem Pferd nach der reichlichen Aufnahme von Fichtensprossen die Erscheinungen der Stomatitis, Pharyngitis, Laryngitis und Gastroenteritis (Kolik). Green (The Veterinarian 1896) sah bei einem Fohlen nach dem Eingeben von Terpentinspiritus profusen Schweissausbruch, Harndrängen und Schmerzhaftigkeit der linken Niere bei rektaler Palpation. Nach Bermbach (Preuss. Vet.-Ber. 1900) verlammten zwölf Schafe nach der Verfütterung von Tannen- und Fichtenzweigen, die im Herbst frische Triebe angesetzt hatten.
Botanisches. Der Sadebaum oder Sevenbaum, Juniperus Sabina, ist eine in Südeuropa, namentlich im Unterholz der Voralpenregion wild wachsende, bei uns in Parkanlagen und Gärten kultivierte Konifere, welche teils in Strauch-, teils in Baumform vorkommt. Der Sadebaum ist charakterisiert durch immergrüne, zypressenähnliche Zweige (Summitates Sabinae) von unangenehmen Geruch, welche dicht besetzt sind mit meist glatt anliegenden, dachziegelartig angeordneten, rautenförmigen, bläulichgrünen, kleinsten (2–5 mm grossen) Blättchen; die Zweige tragen zur Zeit der Reife rundliche, blau bereifte Beeren. Der wirksame Bestandteil des Sabinakrautes ist das ätherische Sabinaöl von der Formel C10H16, ausserdem das Sabinol, ein zu den Säureanhydriden gehöriger, sehr giftiger Stoff.
Auch der gemeine Wacholder, Juniperus communis, welcher das ätherische Wacholderöl, Oleum Juniperi, enthält, sowie der virginische Wacholder, Juniperus virginiana, dessen ätherisches Oel aus Zedernkampfer und Zedren besteht, kann zu Vergiftungen Veranlassung geben.
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Wirkung. Das ätherische Oel des Sabinakrautes wirkt ähnlich, aber stärker als Terpentinöl entzündungserregend auf Schleimhäute und Nieren; ausserdem besitzt es eine spezifische tetanische Einwirkung auf den Uterus (Abortivum beim Menschen). Das Sabinol ist angeblich ein Blutgift (Hämoglobinämie). Die Sadebaumspitzen sind namentlich für die Wiederkäuer (Rinder und Schafe) und Hunde ein stark reizendes Gift. Nach Hertwig sterben Hunde auf 15–22 g Sadebaumspitzen an Magendarmentzündung, wenn durch Unterbindung des Schlundes das Erbrechen verhindert wird; dagegen ertragen Pferde Dosen von 120–360 g und darüber längere Zeit hindurch ohne Schaden. Die Einwirkung auf den Uterus ist nach einigen keine direkte, spezifische, sondern eine rein sekundäre, indem bei grösseren Dosen von Sabinakraut eine Hyperämie und Entzündung aller Beckenorgane, also auch des Uterus mit nachfolgendem Abortus eintreten soll. Bei der Sektion findet man die Erscheinungen der Gastroenteritis, Nephritis und Zystitis.
Klinische Beobachtungen über Sabinavergiftung bei den Haustieren finden sich in der tierärztlichen Literatur eigentümlicherweise nicht. Dagegen hat Cagnat (Repertorium 1860) nach der Aufnahme des gemeinen Wacholders vereinzelt bei Ziegen Durchfall und tödliche Vergiftung beobachtet.
Allgemeines. Der im Kampferbaum, Cinnamomum Camphora (China, Japan) enthaltene Kampfer stellt ein festes ätherisches Oel von der Formel C10H16O dar, welches in verschiedenen Formen und zwar sowohl in reinem Zustande als in Lösungen (Kampferspiritus, Kampferöl, Kampferlinimente etc.) therapeutisch verwendet wird. Vergiftungen ereignen sich nach der innerlichen Anwendung zu grosser Dosen. Eine solche Kampfervergiftung nach der Einverleibung von Kampferspiritus hat Schwanefeldt (Berliner Archiv 1885) und von Ow (Bad. tierärztl. Mitt. 1889) beim Rind beobachtet und beschrieben.
Wirkung. Der Kampfer wirkt ähnlich wie das Terpentinöl reizend und entzündungserregend auf die Schleimhaut des Magens und Darmes. Er erzeugt daher in grossen innerlichen Gaben die Erscheinungen der Gastroenteritis. So hat Schwanefeldt beim Rind nach dem Eingeben von Kampferspiritus eine kruppöse Darmentzündung beobachtet. Neben dieser lokal reizenden Wirkung besitzt der Kampfer eine erregende Wirkung auf das[S. 290] Nervensystem. Dabei scheint der Kampfer eigentümlicherweise subkutan in Form von Kampferöl viel weniger giftig zu wirken, als per os. Ich habe bei sehr vielen brustseuchekranken Pferden das Kampferöl (1 : 4) in Einzeldosen von 50 bis 150 g (= 12–40 g Kampfer) und in Tagesdosen von 100 bis 250 g (= 25–60 g Kampfer) subkutan ohne jede Vergiftungserscheinung subkutan angewandt. Giftiger scheint der Kampfer bei innerlicher Verabreichung zu wirken. Versuche von Hertwig haben in dieser Beziehung folgendes ergeben: Kleine Gaben per os (4–8,0 bei Pferden und Rindern; 2–4,0 bei Schafen; 0,5–2,0 bei Hunden) hatten höhere Rötung der Maulschleimhaut, Nasenschleimhaut und Konjunktiva, kräftigeren, um 1–8 Schläge beschleunigten Puls, etwas hellere Rötung und schnellere Gerinnung des Aderlassblutes, sowie Kampfergeruch der ausgeatmeten Luft zur Folge. Grössere Gaben per os (15–30,0 bei Pferden und Rindern; 4–6,0 bei Schafen; 2–4,0 bei Hunden) erzeugten dieselben Erscheinungen, nur im höheren Grade, ausserdem leichte Zuckungen der Lippen, der Muskeln des Hinterkiefers und Halses, sowie der oberflächlichen Muskeln der Hinterschenkel. Die Zuckungen wiederholten sich in ungleichen Zwischenräumen und traten etwas später ein, als die Veränderungen des Pulses. Die Empfindlichkeit war erhöht, die Atmung schneller, der Puls zuletzt kleiner; die ausgeatmete Luft roch sehr stark nach Kampfer. Sehr grosse Gaben per os (60–120,0 bei Pferden und Rindern; 8–15,0 bei Schafen; 4–12,0 bei Hunden) erzeugten zunächst eine allgemeine erregende Wirkung auf das Herz, den Puls, die Atmung, die Schleimhäute. Dann kamen aber bald plötzlich eintretende Konvulsionen mit Erschütterung des ganzen Körpers, den Wirkungen elektrischer Schläge vergleichbar, starrkrampfähnliche Kontraktionen der Streckmuskeln des Halses (Orthotonus), sowie Kaukrämpfe. Gleichzeitig war die Empfindlichkeit sehr erhöht; das geringste Geräusch löste die Krampfanfälle aus. Manche Tiere stürzten während der Krämpfe zusammen wie bei Epilepsie, indem sie am Boden mit den Beinen strampelten. Das Bewusstsein war frei. Die Dauer der Krämpfe betrug 4–12 Stunden. Zuweilen wurden auch Kolikerscheinungen, Harndrang, sowie häufiges Ausschachten ohne zu urinieren beobachtet. Tödliche Dosen (dieselben betrugen beim Pferd per os 60–180,0, beim Hund ab 8,0, beim Schaf ab 15,0; die einzelnen Tiere zeigten indessen starke individuelle Verschiedenheiten) erzeugten nach[S. 291] den Krämpfen Lähmung des Hinterteils (bei Hunden und Schafen), Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, Gefühls und schliesslich auch des Bewusstseins, starke Betäubung und unter apoplektiformen Erscheinungen den Tod. Bei der Sektion war ein starker Kampfergeruch in allen Organen, Entzündung der Magendarmschleimhaut, insbesondere im Dickdarm, höhere Rötung der Blasenschleimhaut, ferner starke Hyperämie der Hirnhäute, des Grosshirns und Rückenmarks, sowie des Kleinhirns, Hirnknotens und verlängerten Marks zu konstatieren.
Der Nachweis einer Kampfervergiftung ist leicht schon durch den Geruch zu führen. Die Behandlung besteht in der Verabreichung einhüllender, schleimiger Mittel, sowie von Beruhigungsmitteln.
Koffein. Um die Giftwirkung des vielfach als Arzneimittel angewandten Koffeins kennen zu lernen, habe ich bei Pferden, Rindern, Hunden, Ziegen und Schweinen Versuche angestellt (Monatshefte für prakt. Tierhlkde. 1892). Das Resultat war folgendes: Das Koffein ist für die Haustiere ein verhältnismässig wenig giftiges Arzneimittel. Für Pferd und Rind wirken erst 100 g, für Ziege und Schwein 10 g, für Hunde 5 g tödlich. Die tödliche Dosis pro kg Körpergewicht beträgt beim Pferd 0,2, beim Rind, bei der Ziege und beim Schwein 0,3, beim Hund 0,5. Die Vergiftungserscheinungen bestehen im wesentlichen in Reizung und später Lähmung des Herzens und der Atmung, in Steigerung der Körpertemperatur (im Maximum um 2,2°), in Reizungserscheinungen im Gebiet des Digestions- und Harnapparates (Speicheln, Erbrechen, Durchfall, Kolik, Harndrang), sowie in tetanischen Krämpfen. Danach ist das Koffein ein Herz- und Atmungsgift, eine Akre für die Digestionsschleimhaut, ausserdem ein Tetanikum. An der Injektionsstelle äussert das Koffein eine reizende, entzündungserregende Wirkung. Subkutan wirkt das Koffein wesentlich stärker als per os. Rinder ertragen wesentlich grössere Dosen als Pferde. Der Tod tritt bei tödlichen Koffeindosen durchschnittlich nach 3 Stunden ein. Das Fleisch von Tieren, welche mit Koffein vergiftet worden sind, ist nicht gesundheitsschädlich. Es kann also bei Rindern, welche nach vorausgegangener Koffeinbehandlung notgeschlachtet werden, der Genuss des Fleisches, ohne Besorgnis wegen des Koffeins, zugegeben werden, wenn der sonstige Zustand des Tieres dies nicht verbietet.
Botanisches. Eine Reihe von Pflanzen aus der Familie der Kruziferen wirkt durch den Gehalt an Senföl oder ähnlichen ätherisch-öligen Stoffen giftig, wenn grössere Mengen davon aufgenommen werden. Dieselben sind:
1. Brassica nigra (Sinapis nigra), der schwarze Senf, die Stammpflanze der offizinellen Senfsamen (Semen Sinapis). Die namentlich in Russland, Südfrankreich und Griechenland angebaute Pflanze unterscheidet sich von den übrigen Brassikaarten dadurch, dass alle ihre Blätter[S. 292] gestielt und die Schoten samt den Stielen an die Blütenspindel angedrückt sind. Die Senfsamen enthalten das Sinigrin oder myronsaure Kali, ein Glykosid, aus welchem durch die Einwirkung des Myrosins, eines ebenfalls in den Samen enthaltenen Fermentes, das Allyl-Senföl oder Sulfozyanallyl von der Formel C3H5CNS abgespalten wird. Auch der Sareptasenf, Brassica juncea, enthält Sinigrin, während der in Deutschland angebaute weisse Senf, Sinapis alba (Semen Erucae), das Sinalbin enthält, welches unter der Einwirkung des Myrosins als scharfen Stoff das Paraoxybenzyl-Senföl von der Formel C7H7OCNS liefert. In grösseren Gaben wirkt auch das enzymartige Myrosin giftig. — Das Allylaldehyd (Akrolein) von der Formel C3H4O wirkt ebenfalls stark reizend auf die Schleimhäute.
2. Brassica Rapa, Raps und Brassica Napus, Rübsen, enthalten das Krotonyl-Senföl, das sich namentlich in den Rapskuchen bei genügender Durchfeuchtung bildet. Der Raps ist charakterisiert durch grasgrüne, unbereifte, haarige Blätter und kleine goldgelbe Blüten.
3. Sinapis arvensis, der Ackersenf (fälschlich Hederich benannt), ist ein verbreitetes Unkraut auf Aeckern mit etwa ½ m hohen Stengel, eiförmigen, buchtig gezähnten, unten leierförmigen Blättern, gelber, vierblätteriger Blumenkrone und stielrunden, perlschnurförmigen Schoten.
4. Raphanus Rhaphanistrum (Lampsana), der Hederich oder Ackerrettig, besitzt einen ½ m hohen, rauhen, astigen Stengel, grosse, blassgelbe oder weisse, violett geaderte Blüten, oben lanzettliche, unten leierförmige Blätter, sowie rosenkranzartig eingeschnürte Schoten, welche bei der Reife in 3- bis 12samige Stücke zerfallen.
5. Cochlearia Armoracia, der Meerrettig (Pfefferwurzel), kommt in ganz Europa an feuchten Plätzen wild vor und wird in Gärten und auf Feldern (Bamberg, Nürnberg) kultiviert. Er besitzt eine zylindrische, bis 6 cm dicke, oft 1 m tief senkrecht in den Boden hinabsteigende Wurzel, einen meterhohen, ästigen Stengel, grosse, oblonge, langgestielte, am Rand gekerbte, grundständige Blätter, sowie fiederspaltige Stengelblätter. Er enthält ein mit dem Allyl-Senföl fast identisches ätherisches Oel.
6. Erysimum vulgare, der Wegsenf (gelbes Eisenkraut), ist eine einjährige, aufrechte, flaumige Pflanze mit gelben, kleinen Blüten, schrotsägeartigen, fiederteiligen Blättern und runden, pfriemenartigen, flaumigen Schoten, welche 5–6mal länger als der gleich dicke Stiel sind.
7. Erysimum cheiranthoides, der lackartige Schotendotter (fälschlich Hederich genannt), ist ein etwa ½ m hohes Unkraut auf Aeckern mit dottergelber Blumenkrone, länglichen, lanzettförmigen Blättern und linealen, scharfen, vierkantigen, fast kahlen Schoten.
8. Erysimum crepidifolium, die Gänsesterbe, eine gelbblühende, in manchen Gegenden (Wettin, am salzigen See, auf Kalkboden etc.) massenhaft vorkommende Kruzifere, soll ein namentlich für Gänse sehr giftiges Alkaloid enthalten und Massensterben von Gänsen verursachen.
9. Arabis tartarica, die Gänsekresse, findet sich zuweilen im Grünfutter. — Nasturtium officinale, die Brunnenkresse, enthält kein schwefelhaltiges Oel, sondern C9H10N.
Allgemeine Wirkung des Senföls. Das Senföl besitzt eine entzündungserregende Wirkung auf die Schleimhaut des Magens und Darmes; die Krankheitserscheinungen, welche nach der Aufnahme obengenannter Pflanzen auftreten, sind daher im wesentlichen die einer Magen-Darmentzündung: Kolik, Tympanitis,[S. 293] Durchfall. In einzelnen Fällen kommt es auch im Verlauf der Vergiftung zu einer Reizung des Nierenparenchyms, welche sich durch Hämaturie und sonstige Erscheinungen einer Nierenentzündung äussert, sowie zu Lebernekrose. Die Allgemeinerscheinungen seitens des Nervensystems bestehen in Hinfälligkeit, Mattigkeit, Lähmungserscheinungen, Dyspnoe, Herz- und Atmungslähmung. In einzelnen Fällen beobachtet man auch Zwangsbewegungen, Vorwärtsdrängen und Krämpfe.
Die Behandlung der Senfölvergiftung besteht in der Verabreichung schleimiger Mittel.
Vergiftung durch Senfkuchen und Rapskuchen. Vergiftungen durch reine Senfsamen sind bisher noch nicht beobachtet worden. Die Haustiere ertragen ziemlich grosse Mengen derselben, Pferde 500 g, Rinder 700 g, ohne zu erkranken (Hertwig). Auch nach der Verfütterung von reinem Raps tritt keine Senfölvergiftung ein, weil die Fermente des Pansens und Dünndarms das dort gebildete Senföl zerstören (Hagemann, D. landw. Tierzucht 1903). Dagegen sind nach Verfütterung von Senfkuchen und Senfträbern kolikähnliche Zustände beim Rind konstatiert worden (Prietsch, Sächs. Jahresber. 1869). Besonders häufig sind Vergiftungen durch die Verfütterung von senfölhaltigen Rapskuchen, welche vielfach gar nicht aus Raps oder Rübsen, sondern aus fremden, ausländischen (indischen, russischen, französischen), sehr scharfen und giftigen Senfarten und anderen Samen mit unbekannten Giften bestehen. Nach Stein (Ueber die Giftigkeit indischer Rübkuchen, Berlin 1907) ist das im Raps und in den Rübsen enthaltene Krotonylsenföl 5mal weniger giftig als das im schwarzen Senf enthaltene Allylsenföl; die indischen Samen enthalten aber wahrscheinlich noch andere Giftsubstanzen (Sareptasenf? Ptomaine?). Die fremdländischen Rapskuchen bedingen namentlich bei jüngeren Tieren die Erscheinungen einer Magen- und Darmentzündung, welche sich in Verstopfung, Aufblähen, Durchfall, blutigem Kot, zuweilen selbst im Auftreten von Abortus äussert. Daneben beobachtet man Gehirnreizungserscheinungen: Drängen, Schieben, Drehen. Wittrock (Berl. Arch. 1893 und Preuss. Vet. Ber. 1904) sah nach der Verabreichung von Rapskuchen, der grosse Mengen von Senföl enthielt, sämtliche Rinder eines Dominiums unter den Erscheinungen einer Magendarmentzündung erkranken und mehrere sterben; in einem zweiten Fall erkrankten 80 Milchkühe an Hämaturie und Harndrang. Nielsen (Dän. Monatsschr. 1897) beobachtete nach[S. 294] der Verfütterung von französischen, aus indischen Senfarten herrührenden Rapskuchen mit einem Senfölgehalt von 0,5 Proz. bei zahlreichen Rindern Mattigkeit, sehr schnellen, oft unfühlbaren Puls und subnormale Temperaturen; Kolik war meist nicht vorhanden. Die Sektion ergab gelatinöse Infiltration im Bindegewebe des Pansens, sowie hämorrhagische Entzündung der Pansenschleimhaut. Einen ähnlichen Fall bei Rindern hat Knudsen (ibid. 1901) beschrieben; die Tiere, welche je 1½ Pfd. französischen Rapskuchen erhalten hatten, zeigten Kolik, Atemnot, Benommenheit, Sinken der Körpertemperatur, Appetit- und Milchmangel. Die Sektion ergab partielle Entzündung der Pansenschleimhaut sowie dicke, gelbe, ödematöse Anschwellung der Pansenwand. Albrecht (Woch. f. Tierh. 1902, S. 241) berichtet über einen wahrscheinlichen Fall von Vergiftung bei Kühen durch Fütterung grösserer Mengen von senfölhaltigem Rapskuchenmehl; die Erscheinungen bestanden in Durchfall und Kolik; bei der Sektion wurde hochgradige Entzündung der vier Mägen, besonders des Labmagens festgestellt. Emmerling berichtet über eine Erkrankung von 80–90 Kühen infolge Fütterung von Rapskuchen, deren Hauptbestandteil der russische Sareptasenf war. Die Tiere erkrankten an Kolik; die Sektion ergab Entzündung der 4 Mägen, sowie des Dünndarms. Eigentümlicherweise war eine Anzahl von Kühen, welche dasselbe Futter erhalten hatten, gesund geblieben (Verschiedenheit der Rasse?). Aehnliche Vergiftungsfälle sind ferner von Haubner (Gesundheitspflege), Anacker (Der Tierarzt 1870), Stahl (Magazin 1873) und Rathke (Preuss. Mitt. N. F. 1. Bd.) beschrieben worden. Auch der Genuss der Rapspflanze selbst hat zu Vergiftungen Veranlassung gegeben. Nach Klein (Preuss. Mitt. 1881) erkrankten 2 Kühe, welche blühenden Raps als Futter bekommen hatten, unter den Erscheinungen der Aufblähung, Verstopfung, des Drängens auf den Kot und Harn, sowie der Hämaturie. Bei der Sektion fand man hämorrhagische Entzündung der Schleimhaut des Labmagens und Duodenums, graugelbe brüchige Leber, sowie Ansammlung einer blutig serösen Flüssigkeit in der Brust- und Bauchhöhle.
Vergiftung durch Ackersenf. In einem von Poncet (Recueil 1855) beschriebenen Fall zeigten sich bei einem Pferd, welches längere Zeit mit Ackersenf gefüttert wurde, Darmentzündung, Speichelfluss, Husten, sowie eine profuse Bronchitis. In einem andern Fall zeigten Rinder und Schafe nach der Fütterung von Rapskuchen, welcher viel Ackersenf enthielt, Durchfall und vermehrtes Urinieren; jüngere Lämmer starben in grösserer Anzahl (Leistikow, Preuss. Mitt. 1882). Nach Breitenreiter (Zeitschr.[S. 295] f. Vet. 1909) zeigten Kühe nach Verfütterung von weissem Senf als Grünfutter, der bereits Schoten angesetzt hatte, krampfartigen Husten, Kolikerscheinungen und Drängen auf den Harn; am Tag darauf waren sie wieder gesund.
Vergiftung durch Zwiebel. Im Zwiebel und Knoblauch sind schwefelhaltige ätherische Oele enthalten, welche mit dem Senföl verwandt sind. Eine Zwiebelvergiftung bei Rindern hat Goldsmith beschrieben (Journ. of comp. Path. 1909). Die Tiere, welche grosse Mengen gewöhnlicher Speisezwiebel aufgenommen hatten, zeigten die Erscheinungen der Magendarmentzündung (Kolik, Durchfall, Verstopfung, Erbrechen) und Nierenentzündung. Ein Rind starb. Der Harn, das Fleisch und sämtliche Organe zeigten starken Zwiebelgeruch.
Vergiftung durch Meerrettich. Der Meerrettich wirkt wegen seines Gehalts an einem mit dem Senföl nahe verwandten, wahrscheinlich identischen Stoff in grösseren Mengen stark reizend auf die Magendarmschleimhaut. Nach Jarmer (Preuss. Mitt. Bd. 5) erkrankten 10 Kühe nach der Aufnahme einer grösseren Quantität Meerrettich unter den Erscheinungen einer sehr heftigen Kolik; vier davon starben im Verlauf von 24 Stunden. Bei der Sektion fand man eine sehr ausgedehnte Entzündung der Magenschleimhäute, insbesondere zeigte die Pansenschleimhaut eine mehrere Zoll dicke, sulzige Infiltration. Nach Fairbank erkrankten 9 Rinder auf der Weide unter Kolikerscheinungen; 2 starben; die Sektion ergab akute Darmentzündung. In einem ähnlichen Fall wurde bei 3 Rindern eine schwere Entzündung der Pansenschleimhaut beobachtet (Preuss. Vet. Ber. pro 1907).
Vergiftung durch Erysimum. Heyne (Preuss. Mitt. 1882) sah bei 20 Kühen eine schwere Erkrankung. Dieselbe äusserte sich in Appetitlosigkeit, Stöhnen, Kolikerscheinungen, starker Rötung der Konjunktiva, sowie Hinfälligkeit; sämtliche Tiere genasen jedoch. Nach der Aufnahme von Erysimum crepidifolium hat man massenhaftes Sterben von jungen Gänsen beobachtet; die der Geflügelcholera ähnlichen Krankheitserscheinungen bestanden in Erbrechen, Unruhe, Taumeln und Krämpfen (Zopf, Biedenkopf, Grimme, B. T. W. 1894, S. 308; D. T. W. 1898, S. 27).
Vergiftung durch Arabis tartarica. Nach der Aufnahme grösserer Mengen von Arabis tartarica erkrankten, wie Hertwig (Preuss. Mitt. 1877) berichtet, 25 Pferde eines Gutes plötzlich. Sie zeigten zunächst Speicheln und nach einer Stunde leichte Kolikerscheinungen; gleichzeitig waren die Schleimhäute dunkel gerötet, der Blick stier. Nach einigen Stunden erschienen sämtliche Pferde am ganzen Körper, am Hals und an den Gliedmassen steif. Einige zeigten ferner Lähmungserscheinungen, so dass sie sich nicht wieder erheben konnten. Ein Pferd starb nach 36 Stunden, die anderen waren nach Ablauf von 14 Tagen wieder gesund.
Allgemeines. Der gewöhnliche schwarze Pfeffer, welcher von Laien vielfach als Heilmittel bei Tieren angewandt wird, ist die unreife, getrocknete Frucht von Piper nigrum, einer ostindischen strauchartigen Piperazee. Der weisse Pfeffer ist die reife, ihrer äusseren Hülle beraubte Frucht derselben Pflanze. Beide Pfefferarten enthalten als Hauptbestandteil[S. 296] das Alkaloid Piperin von der Formel C17H19NO3, welches als Zersetzungsprodukt das Piperidin und die Piperinsäure liefert, ausserdem das ätherische Pfefferöl.
Wirkung. Der Pfeffer besitzt infolge seines Gehaltes an Piperin eine stark reizende, in grossen Gaben entzündungserregende Einwirkung auf die Schleimhäute. Je nach dem Ort der Applikation erzeugt er daher Stomatitis, Gastroenteritis, Proktitis, Vaginitis, Laryngitis, Bronchitis und Bronchopneumonie. Bei Versuchstieren entstand ausserdem Fettdegeneration und Nekrose der Leber. Die giftige Wirkung des Pfeffers ist indessen früher vielfach überschätzt worden. Mehrere angebliche Vergiftungen bei Schweinen sind auf eine durch das Eingeben bedingte Fremdkörperpneumonie zurückzuführen. Nach den Versuchen von Gerlach (Gerichtl. Tierheilkunde) ertrugen junge Schweine tägliche Dosen von ganzem oder feingestossenem Pfeffer zu 1–4 g 8 Tage hintereinander, ohne Krankheitserscheinungen zu zeigen. Jedenfalls können aber grössere Pfeffergaben eine tödliche Magendarmentzündung zur Folge haben. So beobachtete Ebersbach (Sächs. Jahresb. 1867) bei 3 Schweinen im Alter von 7 bis 8 Monaten, welche je einen Esslöffel gepulverten Pfeffer erhalten hatten, das Krankheitsbild einer schweren Magendarmentzündung; bei zwei derselben, welche im Verlauf der Vergiftung gestorben waren, wurde durch die Sektion das Vorhandensein einer Gastroenteritis konstatiert.
Die Behandlung der Pfeffervergiftung besteht in der Verabreichung schleimiger, einhüllender, sowie schmerzlindernder Mittel (Opium). Der Nachweis geschieht auf botanischem Weg.
Allgemeines. Die Aloe, der eingekochte Milchsaft verschiedener Aloearten (Aloe ferox, Africana usw.), enthält als wirksamen Bestandteil das Aloetin (Aloebitter), sowie das Emodin (Aloeharz). Aloevergiftungen kommen zuweilen bei Pferden nach der Verabreichung zu grosser Aloedosen oder infolge der Missachtung gewisser diätetischer Vorsichtsmassregeln nach der Einverleibung gewöhnlicher therapeutischer Aloedosen vor.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Vergiftung mit Aloe verläuft unter Kolikerscheinungen mit erschöpfendem Durchfall und führt nach 2–5 Tagen unter zunehmender Mattigkeit und Schwäche zum Tod. Im allgemeinen ist die tödliche Einzeldosis die doppelte bis dreifache der purgierenden. Am häufigsten[S. 297] ereignen sich tödliche Vergiftungen, wenn 2 gewöhnliche Aloedosen zu rasch hintereinander gegeben werden, indem die Wirkung der ersteren nicht abgewartet wird. Auf diese Weise können z. B. 40 g Aloe, wenn sie in den ersten 3 Tagen nach der Verabreichung einer ebensolchen Dosis nachgegeben werden, bei kräftigen Pferden unter Umständen den Tod herbeiführen. Sehr gefährlich ist ferner die gleichzeitige Verabreichung von Aloe und Kalomel (Regenbogen). Es kann indessen auch eine einfache Aloedose von 30 bis 40 g bei einem Pferd unter Umständen eine tödliche Purgierwirkung zur Folge haben, wenn das Pferd nicht, wie es Vorschrift ist, während der Dauer der Aloewirkung im Stall verbleibt, sondern zur Arbeit verwendet und gleichzeitig Erkältungseinflüssen ausgesetzt wird. Auch bei drusekranken Pferden kann die Aloe schon in normaler Laxierdosis Vergiftungserscheinungen hervorrufen (Albrecht).
Bei der Sektion findet man die Erscheinungen der Gastroenteritis; bei längerer Dauer der Vergiftung können indessen Entzündungserscheinungen auf der Magen- und Darmschleimhaut fehlen, so dass nur die Leerheit und allgemeine Blässe des Darmes als auffallende Veränderungen angetroffen werden. Zuweilen besitzt der Darminhalt auch den charakteristischen Aloegeruch. Die Behandlung besteht in der Anwendung schleimiger und stopfender Mittel (Opium, Tannin, Ferrum sulfuricum, Bleizucker, Höllenstein).
Kasuistik. Aloevergiftungen bei Pferden sind von Gerlach beschrieben worden. In einem Fall wurde einem mittelgrossen, kräftigen Arbeitspferd eine Aloepille von 40 g Aloe gegeben; als die gewünschte Wirkung nach 40 Stunden noch nicht eingetreten war, gab der Eigentümer des Pferdes eine zweite, ebenso starke Aloepille nach, worauf sich anhaltendes, heftiges Laxieren einstellte, an welchem das Pferd krepierte (Gesamtdosis: 80 g). Bei einem andern Pferd trat der Tod auf die Verabreichung von nur 30 g Aloe am 4. Tag ein, nachdem das Pferd trotz der Aloepille zu anstrengender Arbeit benützt worden war und sich ausserdem durch einen Gewitterregen eine Erkältung zugezogen hatte. — Rasberger (Woch. f. Tierheilkunde 1891) beobachtete bei 2 Pferden, welche in einem strengen Winter 40–50 g Aloe erhalten hatten, starken Durchfall, Kolik und schweres Allgemeinleiden. — Nach Kunze (Sächs. Jahresber. 1891) erhielt ein Pferd innerhalb eines Tages 3 Aloepillen von je 30 g und starb in der folgenden Nacht. — Paust (B. T. W. 1900) hat 3mal Rindern gegen Tympanitis innerhalb 24 Stunden 110 g, bezw. innerhalb 48 Stunden 140 und 150 g Aloe ohne Nachteil eingegeben. Auch Mayr (Woch. f. Tierh. 1901) sah ein Pferd nach einer einmaligen Verabreichung von 80 g Aloe (und 6 g Arsenik) am Leben bleiben; die drastische Wirkung dauerte im ganzen 24 Stunden an. Regenbogen (B. T. W. 1903) weist auf die grosse Giftigkeit einer Mischung von Aloe und Kalomel hin (Inkompatibilität). 42 Pferde erhielten je ½-1 Pille, welche aus 20 g Extraktum Aloes und 3 g Kalomel bestand; sie erkrankten an heftiger Kolik, Durchfall und Schwäche; mehrere starben an hämorrhagischer Gastroenteritis. Bächstädt (Zeitschr. f. Vet. 1904) sah einen mittelgrossen Wallach sterben, welcher in 2 Tagen 55 g Aloe (und 2 g Kalomel!) erhalten hatte. Nach Albrecht (Woch.[S. 298] f. Tierh. 1907) erkrankte ein drusekrankes Pferd (4jähriger Wallach) nach einer gewöhnlichen Aloepille an 3tägigem, hochgradigem Durchfall und grosser Schwäche; er hält es daher für sehr bedenklich, einem an Druse kranken Pferd Aloe in Laxierdosis zu verabreichen.
In einzelnen Fällen hat man endlich beobachtet, dass die Milch von Kühen, welche mit Aloe behandelt worden waren, beim Menschen Durchfall erzeugte.
Allgemeines. Die von Ricinus communis (Euphorbiazee) stammenden Rizinussamen sind in Afrika und Ostindien einheimisch, jedoch durch Kultur in allen wärmeren Zonen verbreitet (baumartiges Gewächs im Süden, krautartige Pflanze im Norden) und in sehr vielen Varietäten im Handel (indische, türkische, italienische, ungarische, brasilianische, Javasamen usw.). Die 1–2 cm langen eiförmigen, gelbgrau und braun getigerten Samen enthalten in ihrem Kern das durch Auspressen gewonnene Rizinusöl. Die Pressrückstände, welche als „Rizinuskuchen“ bezeichnet und häufig zur Verfälschung anderer Oelkuchen, namentlich der Erdnusskuchen und der Leinkuchen, benützt werden, enthalten namentlich im Samenkern ein sehr giftiges Ferment, das Rizin, ein weisses, amorphes, neutrales Pulver, welches sich am besten in 10prozentiger Kochsalzlösung löst und beim Kochen seine Wirksamkeit verliert (eiweissartiger Körper; zu den Phytalbumosen gehörend). Ausführliche Untersuchungen über das Rizin sind von Kobert und Stillmark (Arbeiten des pharmakol. Instituts zu Dorpat, 1889, Heft III), Cornevin (J. de Lyon 1897, S. 25), Ehrlich (Fortschritte d. Med. 1897) und Miessner (Mitt. des Kaiser Wilhelm-Instituts in Bromberg, 1909) angestellt worden.
Für den botanischen Nachweis der Rizinussamen ist ausser ihrer oben beschriebenen Beschaffenheit von Wichtigkeit der mikroskopische Bau der Samenschale und der darunter befindlichen dünnen Samenhaut. Die marmorierte Samenschale zeigt 5–7eckige Epidermiszellen, welche ein Zellulosenetz einschliessen, das teils ungefärbt, teils rotbraun gefärbt ist und in dessen Hohlräumen sich oft Farbstoff eingelagert findet. Unter der Epidermis folgt ein Schwammparenchym aus 4–5 Zellenschichten. Hierauf folgt eine einzelne Schicht radial gestreckter 4–8eckiger Zellen, in der kohlensaurer Kalk abgelagert ist (für die Euphorbiazeen charakteristische Zellschicht!). Es folgt eine aus sehr hohen und verholzten Zellen gebildete Palisadenschicht. Die Samenhaut ist durch Zellen gekennzeichnet, deren äusserst eckige Begrenzung auffällt; sie enthält ferner massenhafte Kristalldrusen von oxalsaurem Kalk.
Mitunter erweisen sich Erdnusskuchen dadurch giftig, dass bei der Pressung zufällig giftige Rizinuspartikel in die Oelkuchen hineingeraten. Dies geschieht namentlich dann, wenn abwechselnd zur Verpressung der Oelsamen die gleichen Apparate und Maschinen benützt werden, welche vorher zur Verarbeitung der Rizinussamen gedient haben.
Rizinwirkung. Die giftige Wirkung der Rizinuskuchen steht in keiner Beziehung zu ihrem Gehalt an Rizinusöl, sondern wird ausschliesslich durch das in den Samenschalen enthaltene ausserordentlich giftige Rizin bedingt. Das Rizin erzeugt eine hämorrhagische Gastroenteritis mit starkem Kräfteverfall,[S. 299] Somnolenz, Konvulsionen und Koma. Die Giftigkeit des Rizins besteht nach Kobert in seiner elementaren, Fibringerinnung erzeugenden Einwirkung auf das Blut aller Wirbeltierklassen, selbst auf das bereits defibrinierte Blut. Am giftigsten ist das Rizin von der Unterhaut aus; es übertrifft bei dieser Applikationsmethode sowohl die Blausäure als das Strychnin an Giftigkeit. Im Magen wird es zum Teil verdaut; der übrige Teil wird resorbiert und bedingt bereits innerhalb der Blutgefässe der Darmschleimhaut Blutgerinnung mit nachfolgender Geschwürsbildung (Selbstverdauung). Ausser der Blutwirkung kommt als Todesursache bei der Rizinvergiftung nach den Untersuchungen von Cushny, Müller und Stepanoff (Arch. f. exp. Path. 1898 f.) auch die örtlich reizende Wirkung des Rizins auf die Schleimhaut in Betracht, wenn es aus dem Blute in den Magen und Darm wieder ausgeschieden wird (Aetzwirkung an der Ausscheidungsstelle).
Die grosse Giftigkeit der Rizinussamen erhellt aus folgenden, experimentell festgestellten Tatsachen. Nach Miessner beträgt die tödliche Dosis der Rizinussamen nach einmaliger Fütterung durchschnittlich
für
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Pferde
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30– 50
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g
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= 0,1
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g
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pro kg
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Körpergewicht
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„
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Rinder
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350–450
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„
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= 2
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„
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„
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„
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„
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Kälber
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20
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„
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= 0,5
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„
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„
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„
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„
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Schafe
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30
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„
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= 1,25
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„
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„
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„
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„
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Ziegen
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105–140
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„
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= 5,5
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„
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„
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„
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„
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Schweine
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60
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„
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= 1,4
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„
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„
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„
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„
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Ferkel
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15– 20
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„
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= 2,4
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„
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„
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„
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„
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Kaninchen
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1,5
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„
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= 1
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„
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„
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„
|
„
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Gänse
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1
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„
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= 0,4
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„
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„
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„
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„
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Hühner
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18
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„
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= 14
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„
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„
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„
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Bei mehrtägiger Fütterung tritt eine kumulierende Wirkung ein; die Todesdosis beträgt dann nur etwa die Hälfte der bei einmaliger Fütterung, für Pferde z. B. nur 17–37 g (0,05 bis 0,07 g pro kg). Bei subkutaner Applikation ist beim Kaninchen die Giftwirkung 500mal stärker, als bei stomachikaler (Todesdosis = 1 mg Rizinussamen).
Eigentümlicherweise kann man Tiere an das Rizin allmählich so gewöhnen, dass sie sogar die 100fache tödliche Dosis ertragen. Diese „Rizinfestigkeit“ erklärt sich nach Ehrlich durch die[S. 300] Bildung einer gerinnungshemmenden Substanz im Blut mit immunisierender Wirkung, des „Antirizins“. Cornevin gelang es ferner, durch 2stündiges Erwärmen der Rizinussamen ihre Giftigkeit so abzuschwächen, dass die subkutane Einspritzung der Samen den Versuchstieren (Rindern und Schweinen) Immunität gegen das Rizin verlieh. Er empfiehlt infolgedessen die Schutzimpfung gegen das Rizin als Vorbedingung zur Verfütterung der Rizinussamen und Rizinuskuchen, indem er seine Erfahrungen in nachstehenden Sätzen zusammenfasst:
1. Das 2 Stunden lang auf 100° erhitzte Rizin verwandelt sich in einen Impfstoff, der, unter die Haut injiziert, die Tiere gegen Rizinusvergiftung immun macht.
2. Die Wiederkäuer sind für die Rizinuswirkung empfänglicher als Schweine und Hühnerarten. Beim Schweine genügen 2 durch 8tägige Intervalle getrennte Impfungen zur Erzielung einer Immunität, während bei andern Tiergattungen deren 3 nötig sind.
3. Die durch die Vakzination erreichte Immunität ist von Dauer; das Fleisch der mit Rizinusölkuchen gefütterten Tiere hat keinerlei schädliche Eigenschaften.
4. Man kann unbeschadet den Haustieren eine gewisse Quantität Rizinuskörner oder Rizinuskuchen unter die Futterration mischen, wenn man sie vorher gegen das heftige Gift derselben immunisiert hat.
Nach Miessner wirkt das Serum rizinimmuner Tiere präzipitierend auf rizinhaltige Flüssigkeiten (vergl. unten).
Behandlung und Nachweis. Die Prophylaxe der Rizinusvergiftung besteht darin, dass die gepulverten Rizinussamen vor der Verfütterung gekocht oder gedämpft oder mit strömendem Wasserdampf behandelt werden, wodurch das Rizin zerstört wird. Die eigentliche Behandlung der Rizinvergiftung ist im übrigen eine symptomatische. Sie besteht in der Verabreichung von Tannin, von schleimigen, schmerzstillenden und exzitierenden Mitteln.
Der Nachweis der Rizinusschalen erfolgt durch Lupenuntersuchung, sowie durch die mikroskopische Untersuchung des Mehles (vergl. S. 298). Für das Rizin selbst fehlen charakteristische Reaktionen. Dagegen lässt sich das Rizin mit Hilfe der Präzipitationsmethode, also auf biologischem Wege in den Rizinussamen bezw. in verfälschten Futtermitteln nachweisen. Nach Miessner fällt das Serum rizinimmuner Tiere (Antirizinserum) rizinhaltige Flüssigkeiten[S. 301] innerhalb weniger Minuten. Bringt man eine filtrierte 1proz. mit 10proz. Kochsalzlösung hergestellte Aufschwemmung des verdächtigen Futtermittels nach 24 Stunden mit 0,1 Antirizinserum zusammen, so gibt die Präzipitation Aufschluss darüber, ob tödliche oder untertödliche Mengen von Rizinussamen in dem Futter enthalten sind. Bei rizinusvergifteten Tieren lässt sich die Serodiagnose nicht verwerten. Ausser durch die Präzipitationsmethode lässt sich die Menge des Rizinussamens in einem verdächtigen Futter durch die subkutane Injektion des Futters bei Kaninchen nachweisen (subkutane Todesdosis der Rizinussamen nach Miessner 1 mg). Ueber den Nachweis durch Konglutination vergl. S. 302.
Kasuistik. Die tierärztliche Literatur enthält zahlreiche Fälle von Vergiftungen bei Pferden und Rindern, welche durch Verfütterung von Rizinuskuchen oder von Oelkuchen bedingt waren, die sich als mit Rizinuspressrückständen verfälscht erwiesen (auch beim Menschen sind nach dem Genusse der Samen zahlreiche — über 100 — Vergiftungsfälle beobachtet worden). Das Krankheitsbild entspricht den oben genannten Erscheinungen der Rizinvergiftung. So berichtet Renner (Preuss. Mitt. 1874) über eine Vergiftung bei einer grösseren Anzahl von Rindern nach der Verfütterung von Leinsamenmehl, welches mit Rizinuspressrückständen vermischt war, wie sich durch Lupenunersuchung nachweisen liess. Die Tiere erkrankten unter den Erscheinungen von Appetitlosigkeit, Durchfall, Apathie, Störungen des Bewusstseins und Krämpfen, genasen jedoch nach 2–3 Tagen. Regenbogen (Berl. tierärztl. Wochenschr. 1888) beobachtete bei 35 Pferden eine Vergiftung durch Leinsamenmehl, welches ebenfalls mit Rizinusschalen verfälscht war. Die Tiere zeigten vollständig unterdrückte Futteraufnahme, Kolikerscheinungen, Durchfall, Schwäche im Hinterteil, Unvermögen zu stehen, Eingenommenheit des Sensoriums. Ein Pferd starb innerhalb 24 Stunden, ein anderes später, ein drittes musste wegen Aussichtslosigkeit einer Heilung getötet werden. Bei der Sektion fand man Entzündung den Magens und Zwölffingerdarmes, akute diffuse Nephritis, parenchymatöse Degeneration des Herzmuskels und Lungenödem. — Eisenblätter (Berl. Archiv 1893) sah von drei Schweinen, denen mit dem Futter 2 Hände voll alte Rizinuskerne vorgeschüttet worden waren, 2 nach einigen Stunden unter den Erscheinungen von Erbrechen und Durchfall sterben. — Stödter (Hamb. Zentr.-Zeit. 1897) beobachtete bei 2 Pferden, welche Rizinussamen im Hamburger Hafen gefressen hatten, Kolik, Harndrang, Durchfall, Schweissausbruch, Pupillenerweiterung und unfühlbaren Puls; die Sektion ergab Nephritis, Myokarditis und hämorrhagischen Milztumor. — Vollers (Berl. Arch. 1894) berichtet, dass mehrere Pferde unter den Erscheinungen der Magendarmentzündung und Lähmung starben, welche amerikanische Kleie mit Rizinuskörnern gefressen hatten. — Nikolski (Pet. Arch. 1897) sah bei 4 Pferden nach der Aufnahme von Hafer, der 5 Proz. Rizinussamen enthielt, Zwerchfellkrämpfe, Mydriasis, Schweissausbruch, Muskelkrämpfe und starken Durchfall. — Smith (The Vet. 1898) sah bei 63 Rindern, welchen Rizinussamen mit Erbsen gefüttert wurden, heftigen Durchfall. — Nach Bollinger (Deutsche Zeitschr. für Tiermed., Bd. 6) erwies sich auch die Milch von Tieren schädlich, welche mit Leinkuchen Rizinussamen aufgenommen hatten. — Bierbaum (Beitrag zur Giftigkeit des Semen Ricini communis. Inaug.-Diss. Gotha 1906) hat im Auftrag der Landwirtschaftskammer für die Provinz Schleswig-Holstein mit Unterstützung des Preuss. Landwirtschaftsministeriums Versuche mit Rizinussamen bei verschiedenen Haustieren angestellt, welche folgendes ergeben haben. Die tödliche Dosis der Rizinussamen für Kaninchen beträgt 0,7–1 g pro kg Körpergewicht; die Samenschalen erwiesen sich als ungiftig. Ziegen und Schafe nahmen ohne Schaden längere Zeit hindurch kleine Mengen (1–2 g)[S. 302] Rizinussamen auf, desgleichen später gegebene grössere Gaben von 10–50 g (Immunität!). Die tödliche Dosis für Schweine schwankte zwischen 1,6–8 g Rizinussamen pro kg Körpergewicht. Durch längere Fütterung mit allmählich ansteigenden Mengen gelang es, bei Schweinen eine hohe Immunität zu verleihen, so dass 93 g Rizinussamen ohne Schaden auf einmal gegeben werden konnten. Ein Pferd starb nach der Verfütterung von 125 g Rizinussamen (tödliche Dosis = 0,4 g pro kg Körpergewicht). Bei allmählich ansteigender Dosis ertrug ein Pferd ohne Schaden 2400 g Rizinussamen in 1½ Monaten. Ein Hund starb in 3 Tagen nach 0,8 g Rizinussamen pro kg Körpergewicht. Hühner erwiesen sich viel widerstandsfähiger (tödliche Dosis =13 g Rizinussamen pro kg Körpergewicht). Noch resistenter waren Tauben, indem sie 15 g pro kg ohne Schaden ertrugen; Enten starben dagegen bei 7 g pro kg. Bierbaum zieht aus diesen Versuchen den Schluss, dass die Giftigkeit der Rizinussamen für Tiere überschätzt worden ist und weist darauf hin, dass die Futterstoffe meist nur geringe Mengen von Rizinusteilen enthalten. Er bezweifelt ferner die Richtigkeit der Angabe von Soxhlet, dass zur Tötung eines Ochsen oder Pferdes 1,5 g Rizinusölkuchenmehl genüge. Andererseits ist nach ihm nicht ausser acht zu lassen, dass die Resistenz von Tieren derselben Art gegenüber den Rizinussamen verschieden ist, und dass vielleicht vorhandene krankhafte Zustände des Magendarmtraktus begünstigend wirken. Der Nachweis von Rizinussamen in einem Futtermittel genügt für sich allein zum Beweise der Giftigkeit desselben nicht, da die Samen ja vorher durch geeignete Behandlung entgiftet sein können; beweisend sind nur Fütterungsversuche. — Prof. Dr. Schmidt-Hamburg (Zeitschr. f. öffentliche Chemie 1908, S. 245) fand bei seinen Versuchen, dass geringe Mengen von Rizinussamen unschädlich sind. Er tritt daher dafür ein, dass minimale, ungiftige Mengen von Rizinus in Erdnusskuchen geduldet werden sollen. Er glaubt ferner, dass bei der Pressung der Erdnusskuchen bei 80–85° die gleichzeitig vorhandenen Rizinussamen ihre Giftigkeit verlieren, und dass nicht alle angeblichen Futtervergiftungen nach Verabreichung rizinhaltiger Erdnussrückstände wirkliche Rizinusvergiftungen sind. Miessner (Ueber die Giftigkeit der Rizinussamen, Mitt. des Kaiser Wilhelms-Institut für Landwirtschaft in Bromberg, I. Bd., 1909, 3. Heft) hat im Auftrag des preuss. Landwirtschaftsministeriums toxikologische Untersuchungen über Rizinussamen angestellt, deren wesentlichste Ergebnisse bereits erwähnt sind (vergl. S. 299). Er hat ausserdem gefunden, dass die in Deutschland verarbeiteten Rizinussamen stets gleich giftig sind, dass ihre Giftigkeit durch Kochsalzzusatz nicht erhöht wird, dass das Rizin durch feuchte Erwärmung auf 100° unwirksam wird, während es durch trockene Hitze erst bei 130° zerstört wird, so dass also zur Entgiftung der Pressrückstände eine feuchte Erwärmung auf 100° gefordert werden muss. Ueber 90° feucht erhitzte Rizinussamenlösungen werden durch Antirizinserum nicht mehr präzipitiert. Da die Schale der Rizinussamen nach den Untersuchungen von M. überhaupt kein Rizin enthält, so genügt nach M. der mikroskopische Nachweis der Samenschale für sich allein noch nicht, um eine Rizinvergiftung zu begründen. Vielmehr ist der Nachweis des Samenkerns erforderlich, der allein das Rizin enthält. „Aber auch dieser Nachweis ist nur dann von Bedeutung, wenn wir zugleich eine für eine Erkrankung des Tieres notwendige Menge feststellen und ermitteln, dass diese ungekocht ist, da gekochte Rizinussamen unschädlich sind.“
Miessner und Rewald (Die Konglutination der roten Blutkörperchen durch Rizinussamen, Zeitschr. für Immunitätsforschung, II. Bd., 1909) haben gefunden, dass die Rizinussamen durch das in ihnen enthaltene Konglutinin die Fähigkeit besitzen, rote Blutkörperchen zusammenzuklumpen (Konglutination). Dagegen konglutieren die gebräuchlichsten Futtermittel des Handels rote Blutkörperchen nicht. Sie bezeichnen daher die Konglutination als ein ausgezeichnetes Mittel zum forensischen Nachweis von Rizinussamen in verfälschten Futtermitteln. Zu diesem Zwecke vermischt man im Reagenzglas 2 ccm eines 5proz. Fitrats des Futtermittels in 0,85proz. Kochsalzlösung mit 10 ccm einer 3proz. Blutkörperchenaufschwemmung von Tauben-, Kaninchen- oder Hundeblut. Sind Rizinussamen in dem Futter vorhanden, so sind die roten Blutkörperchen innerhalb 1–2 Stunden am Boden des Reagenzglases zu einem festen Klumpen zusammengeballt, während die darüber stehende Flüssigkeit klar ist. Durch Einstellung[S. 303] der Reagenzgläser in einen Thermostaten von 37° lässt sich die Konglutination beschleunigen.
Abrin. Das in den Samen von Abrus precatorius (Jequirity, Paternostererbsen) enthaltene Toxalbumin Abrin besitzt genau dieselbe Fibringerinnung erzeugende Wirkung auf das Blut, wie Rizin, dem es nach Ehrlich und Calmette auch darin gleicht, dass man Tiere „abrinfest“ machen kann. Abrinfeste Tiere sind aber nicht auch rizinfest und umgekehrt. Nach Hellin-Kobert tötet Abrin Tiere vom Blute aus in Dosen von wenigen Hundertstel Milligramm pro kg Körpergewicht; auch erzeugt es noch in homöopathischen Dosen im Lidsack Thrombose der Gefässe mit nachfolgender Entzündung (Jequirity-Ophthalmie). Das Serum abrinfester Tiere wirkt stark antitoxisch.
Allgemeines. Die Krotonsamen, Grana Tiglii, sind die 2 cm langen und 1,5 cm breiten elliptischen Kapselfrüchte von Croton Tiglium, einer ostindischen Eupborbiazee. Der Samenkern enthält das stark giftige Krotonöl, als dessen wirksamer Bestandteil die mit der Rizinolsäure verwandte Krotonolsäure bezeichnet wird. Ausserdem enthält die blassbräunliche Samenschale das Krotin, ein dem Rizin sehr ähnliches, für die Blutkörperchen sehr giftiges Ferment. Vergiftungen ereignen sich bei den Haustieren durch die innerliche Verabreichung der Samen bei falscher Dosierung oder wiederholter Anwendung, sowie durch die innerliche und äusserliche Anwendung des Krotonöls. Eine ausführliche toxikologische Arbeit über das Krotonöl ist von E. v. Hirschheydt (Arbeiten des pharmakol. Instituts zu Dorpat, herausgegeben von Kobert, IV, 1890), sowie von Elfstrand (Ueber giftige Eiweisse, welche Blutkörperchen verkleben. Upsala 1897) veröffentlicht worden.
Wirkung der Krotonolsäure. Die Krotonolsäure ist im Krotonöl ursprünglich an Glyzerin gebunden als Krotonolsäure-Triglyzerid enthalten. Dieser Körper besitzt an und für sich keine reizende Wirkung, er ist vielmehr ein ebenso indifferentes Fett wie andere Triglyzeride, z. B. die der Stearinsäure, Palmitinsäure, Oleinsäure. Nur die freie Krotonolsäure, sowie ihre Salze (krotonolsaures Natrium und Kalium) sind stark reizende, ätzende Stoffe. Eine Abspaltung freier Krotonolsäure findet im Krotonöl unter der Einwirkung der Luft bei längerem Stehen statt; älteres Krotonöl ist daher giftiger als frisch ausgepresstes. Dieser Umstand, die verschiedene Giftigkeit der käuflichen Krotonölpräparate, erklärt die vielfach gemachte Beobachtung, dass das Krotonöl namentlich bei Pferden in einer und derselben Dosis bald sehr giftig, bald nur wenig wirksam erfunden worden ist. Im Darmkanal findet ferner eine Verseifung des Krotonolsäure-Triglyzerids statt, indem dasselbe zu Glyzerin und krotonolsauren Alkalien zerlegt wird. Die letzteren besitzen eine[S. 304] ebenso starke ätzende Wirkung wie die freie Krotonolsäure, auf ihre Abspaltung ist daher die drastische Wirkung des Krotonöls zurückzuführen. Die Verseifung des Krotonöls im Darm ist aber bei den einzelnen Tiergattungen verschieden intensiv. Am raschesten erfolgt die Verseifung, also die Bildung von ätzenden krotonolsauren Alkalien (Kalium, Natrium) beim Pferd und Rind. Aus diesem Grund ist das Krotonöl für Pferde und Rinder ein viel stärkeres Gift, als für die übrigen Haustiere. Am spärlichsten und langsamsten geschieht die Verseifung beim Hund, bei welchem ausserdem noch die Möglichkeit des Erbrechens die Gefahr einer Vergiftung vermindert. Hierdurch erklärt sich die Tatsache, dass Hunde auffallend grosse Gaben von Krotonöl ohne Schaden ertragen. Am empfindlichsten gegenüber dem Krotonöl ist der Mensch.
Wirkung des Krotins. Das Krotin gehört wie das Rizin und Abrin zur Gruppe der pflanzlichen Agglutinine, d. h. fermentartigen Substanzen, welche die roten Blutkörperchen mancher Tiergattungen zur Verklebung und Ausfällung bringen. Ausserdem wirkt es auf gewisse Blutarten hämolytisch, d. h. die roten Blutkörperchen auflösend. Unempfindlich (refraktär) gegen Krotin scheint nur das Hundeblut zu sein, das ein Antiagglutinin („Antikrotin“) enthält. Die letale Dosis des Krotins beträgt bei subkutaner Applikation für das Kaninchen 0,05–0,08 g pro kg Körpergewicht; bei intravenöser Darreichung ist die letale Dosis weit geringer, während man bei Einführung des Krotins per os fast 0,5 g pro kg Körpergewicht anwenden kann, ohne den Tod des Tieres herbeizuführen, obwohl dasselbe unter den gleichen Erscheinungen erkrankt, wie bei der subkutanen Einführung.
Krankheitsbild der Krotonölvergiftung. Das Krotonöl ist eines der stärksten Akria. Es erzeugt Dermatitis, Stomatitis, Pharyngitis, Gastritis und Enteritis. Nicht bloss bei innerlicher Verabreichung, sondern auch bei äusserlicher Einreibung des Oeles kann infolge Resorption desselben eine Vergiftung entstehen. So tritt beim Pferd nach dem Einreiben von 60 Tropfen, beim Schaf von 30 Tropfen, beim Hund von 15–20 Tropfen Purgieren ein. Die Erscheinungen der Krotonölvergiftung sind die einer heftigen, sehr schmerzhaften Magendarmentzündung mit ruhrartigen Durchfällen; der Tod[S. 305] erfolgt unter allgemeiner Schwäche und Erschöpfung nach 1–3 Tagen. Bei der Sektion findet man korrosive Gastroenteritis, zuweilen auch Stomatitis und Pharyngitis.
Die tödlichen Dosen des Krotonöls sind bei der Verschiedenartigkeit des Gehaltes der käuflichen Präparate an freier Krotonolsäure und bei dem verschiedenen Verhalten der einzelnen Tiergattungen dem Krotonöl gegenüber äusserst variabel. So gibt Hertwig als zulässige Maximaldosis des Krotonöls für das Pferd 25 Tropfen an, während Sommer (Magazin Bd. 9, S. 455) bei einem rotzkranken kräftigen Pferd nach 20 Tropfen Krotonöl in Pillenform den Tod am 4. Tag, bei zwei anderen Pferden nach 30 Tropfen Krotonöl den Tod am 3. Tag eintreten sah. Nach Hertwig brauchen Hunde zum Purgieren 5–10 Tropfen und sterben selbst nach 10–20 Tropfen nicht; nach Gerlach soll bei Hunden eine Quantität, welche 3 Tropfen des Oeles übersteigt (bei Pferden eine solche von mehr als 15 Tropfen), tödlich werden können. Hertwig hat angegeben, unter 5 Tropfen bei Hunden keine diarrhoische Wirkung erzielt zu haben; ich selbst habe mit 4 Tropfen reinem Krotonöl bei mittelgrossen Hunden eine starke Laxierwirkung erhalten. Nach den Versuchen von Mayet und Hallé (Annales d’hygiène 1871) hatten sogar Gaben von 1 g Krotonöl (25 Tropfen) keine bemerkenswerte Wirkung bei Hunden, 1,2 g Krotonöl (30 Tropfen) erzeugten nur Durchfall. Dagegen hatten bei einem andern Hund 5 Tropfen Krotonöl in Pillenform gegeben blutiges Erbrechen, blutigen Durchfall, sowie den Tod innerhalb 24 Stunden zur Folge. Ein weiterer Versuchshund erhielt innerhalb 45 Tagen nicht weniger als 10 g = 250 Tropfen Krotonöl; der Tod erfolgt erst bei der letzten Gabe von 2 g = 50 Tropfen. Bei der Sektion fand man die Magendarmschleimhaut bis zum Dickdarm mit Ausnahme von Schwellung einiger Peyerschen Drüsenhaufen intakt. Dagegen zeigte die Schleimhaut des Dickdarms einen kruppösen Belag, Verdickung, schwärzliche Verfärbung, sowie frische und ältere Ulzerationen.
Nach dem Entwickelten lässt sich eine sichere, genaue tödliche Dosis des Krotonöls für die einzelnen Tiergattungen nicht aufstellen. Nur beim Pferd kann nach klinischen und experimentellen Erfahrungen der Satz aufgestellt werden, dass eine Ueberschreitung der Dosis von 20 Tropfen Krotonöl in der Regel eine Vergiftung mit tödlichem Ausgang zur Folge hat. Beim Rind können als Maximaldosis durchschnittlich[S. 306] 40 Tropfen bezeichnet werden. Die Krotonkörner, welche früher statt des Krotonöls gegeben wurden (Pferden zu 1,5–2,5, Rindern zu 2,5–3,5, Schafen und Schweinen zu 0,5, Hunden zu 0,1–0,4), töten Pferde in Dosen von 4–8 g nach 10–40 Stunden, Hunde in Dosen von 0,6–1,25, wenn das Erbrechen verhindert wird.
Behandlung. Gegen die Vergiftung mit Krotonöl oder Krotonsamen gibt es kein spezifisches Antidot, die Behandlung ist vielmehr eine rein symptomatische. In erster Linie sind schleimige, einhüllende, sowie schmerzlindernde und stopfende Mittel anzuwenden. Man gibt namentlich Leinsamenabkochungen in Verbindung mit Opiumtinktur, ausserdem Tannin, Eisenvitriol, Bleizucker und Argentum nitricum. Die Schwächezustände werden mit Exzitantien behandelt; man macht subkutane Aether-, Kampfer-, Atropin-, Koffein- oder Veratrininjektionen.
Der Nachweis der Krotonölvergiftung wird auf chemisch-physiologischem Wege erbracht. Man extrahiert das Oel aus dem Magendarminhalt mittels Aether oder Chloroform und prüft das eingedickte Extrakt auf eine etwaige pustelbildende Wirkung durch Einreibung auf die Haut von Menschen oder Tieren.
Vergiftung durch die Semina Ricini majoris. Als Semina Ricini (Cataputiae) majoris werden die Samen des amerikanischen Purgiernussbaumes, Jatropha Curcas = Curcas purgans, eines zu den Euphorbiazeen gehörigen Baumes bezeichnet. Sie enthalten ein scharf reizendes, in seiner Wirkung dem Krotonöl ähnliches Oel, welches den Namen Teufelsöl (Oleum infernale) erhalten hat und zur Seifenfabrikation und als Brennöl dient. Ausserdem sollen sie nach Kobert eine Phytalbumose enthalten. Dadurch, dass ihre Pressrückstände den Erdnusskuchen beigemengt werden, geben sie Veranlassung zu Vergiftungen beim Rind und Schwein. Wolff (Berl. Arch. 1889) sah bei 40 Milchkühen als Vergiftungserscheinungen Schlingbeschwerden, kolikähnliche Anfälle, Durchfall, Anurie und subnormale Körpertemperatur; die Sektion ergab hämorrhagische Entzündung im Labmagen und Dünndarm mit Ekchymosen und Geschwürsbildung. Leonhard (ibid.) sah bei 28 Läuferschweinen Kolik, Erbrechen, Diarrhöe und unstillbaren Durst; 12 Schweine krepierten, nachdem blutige Diarrhöe eingetreten war.
Botanisches. Die falsche Akazie (Papilionazee) enthält verschiedene Gifte. Der Umstand, dass die Blätter beim Pferd Stomatitis erzeugen, weist zunächst auf einen darin enthaltenen scharfen Stoff hin. In der Rinde fanden Power und Cambier (Amerikan. pharm. Rundschau 1890) zu 1,6% ein sehr giftiges Toxalbumin, das Robinin, in Form einer Phytalbumose, welche eine rizinähnliche Wirkung besitzt und nach den Versuchen von Kobert tödliche Hämorrhagien im Darmkanal erzeugt.
[S. 307]
Krankheitsbild. Ueber Vergiftung von Pferden durch die Rinde der Pseudoakazie hat Zapel (Zeitschr. f. Vetk. 1881, S. 456) berichtet. Die Vergiftungserscheinungen waren: Darniederliegen der Darmperistaltik bei geringer Auftreibung, ängstlicher stierer Blick, starke Erhöhung der Puls- und Atemfrequenz, dunkelrote Färbung der sichtbaren Schleimhäute, Schwäche im Hinterteil bis zur vollkommenen Lähmung sich steigernd. Die Sektion ergab wässerigen Darminhalt, gerötete Darmschleimhaut, starkes Lungenödem, dunkles, wenig geronnenes Blut. Auch in Frankreich sind bei 6 Militärpferden tödliche Vergiftungen beobachtet worden (Progr. milit. 1893). Als ferner im Notjahr 1893 die Akazie als Futterersatzmittel empfohlen wurde, starben einem französischen Landwirt 3 Kühe (Figaro, 19. VIII. 1893). Cornevin (Journal de Lyon 1893) kommt dagegen auf Grund seiner Versuche mit Blättern, Zweigen, Blüten, Hülsen und Samen von Robinia pseudoacacia und andern Robiniaarten zu dem Schluss, dass dieselben für Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen ungiftig sind (?).
Botanisches. Die Beeren des Kreuzdorns, Rhamnus cathartica (Rhamnee), welche als Fructus Rhamni catharticae (Baccae spinae cervinae) offizinell sind, bilden kugelige, glänzend schwarze, erbsengrosse, vierknöpfige Früchte, aus denen der violettrote Kreuzdornsaft, Syrupus Rhamni catharticae, dargestellt wird. Die Beeren wie der Saft enthalten als wirksamen Bestandteil das Rhamnokathartin.
Wirkung. Das Rhamnokathartin, welches in den therapeutischen Dosen des Kreuzdornsaftes die laxierende Wirkung bedingt, wirkt in grösseren Gaben stark entzündungserregend auf die Schleimhaut des Magens und Darmes. Vergiftungen durch Kreuzdornsaft ereignen sich zuweilen, wie ich dies in mehreren Fällen beobachten konnte, bei Hunden, wenn denselben von ihren Eigentümern zu grosse Mengen des als Hausmittel bekannten Saftes als Laxiermittel verabreicht werden. Sie erkranken und sterben dann unter den Erscheinungen einer schweren hämorrhagischen Gastroenteritis. Während die therapeutische Dosis für Hunde durchschnittlich 1–2 Esslöffel beträgt, sterben nach meinen Beobachtungen Hunde auf die Verabreichung von 5–10 Esslöffel des Kreuzdornbeerensaftes im Verlauf von 24 Stunden. Die Behandlung besteht in der Verabreichung von einhüllenden und styptischen Mitteln, namentlich von Opium.
[S. 308]
Botanisches. Das Podophyllin ist das gelbe, harzartige Extrakt des Wurzelstocks von Podophyllum peltatum, einer nordamerikanischen Berberidee. Es enthält als wirksame Harze das Podophyllotoxin und Pikropodophyllin.
Wirkung. Das Podophyllotoxin und Pikropodophyllin sind sehr starke Gifte, welche reizend und entzündungserregend auf die Schleimhaut des Digestionsapparates einwirken. Das in kleinen Dosen purgierend wirkende Podophyllin erzeugt daher schon in relativ nicht grossen Gaben eine tödliche hämorrhagische Gastroenteritis. So beobachtete ich bei einem kleinen, 0,5 kg schweren Hund nach innerlicher Verabreichung von 0,5 Podophyllin starkes Erbrechen, blutige Diarrhöe, Sinken der Temperatur, Kollaps und nach 10 Stunden den Tod. Auch Wirtz sah einen Hund nach 0,6 g sterben. Ein kräftiges Versuchspferd, welchem ich 25 g Podophyllin eingab, zeigte nach 18 Stunden Laxieren und eine sehr heftige Kolik und starb nach 24 Stunden. Die Sektion ergab diphtheritische Schleimhautentzündung im Kolon, Darmblutung, starken Leberikterus, sowie parenchymatöse Entzündung der Nieren und Milz.
Allgemeines. In den Eicheln, den Samen von Quercus Robur, ist eine grössere Menge von Gerbsäure (7–9 Prozent) enthalten neben Spuren eines ätherischen Oels. Besonders giftig scheinen nach den in England gemachten Beobachtungen die unreifen Eicheln zu sein.
Krankheitsbild. Nach der Aufnahme grösserer Mengen von Eicheln, namentlich nach dem Genuss der unreifen Eicheln, hat man bei allen Haustieren, mit Ausnahme der Schweine, eine unter den Erscheinungen einer schweren Magendarmentzündung verlaufende Vergiftung beobachtet, welche im wesentlichen wahrscheinlich durch den Tanningehalt der Eicheln bedingt wird. Diese Vergiftungen sind am häufigsten in England bei Pferden, Schafen und Rindern beobachtet worden. In den leichteren Graden der Krankheit beobachtet man lediglich Verdauungsstörungen. In höheren Graden entwickelt sich jedoch eine Magendarmentzündung mit anhaltender Verstopfung und späterem ruhrartigem Durchfall, Tenesmus, Blutabgang durch den After, sowie grosse[S. 309] Mattigkeit. In den höchsten Graden soll die Vergiftung zuweilen grosse Aehnlichkeit mit Rinderpest zeigen.
Bei der Sektion findet man die Schleimhaut des Magens und Darmes entzündlich verändert. In einzelnen Fällen hat man auch Exkoriationen der Maulschleimhaut konstatiert. Die Behandlung besteht in der Verabreichung schleimiger, einhüllender Mittel; als chemisches Gegengift kann die Anwendung von Leimwasser empfohlen werden. Der Nachweis kann botanisch oder chemisch (Blaufärbung von Eisenlösungen durch das in den Eicheln enthaltene Tannin) geführt werden.
Kasuistik. Pugh (The Vet. 1894) hat in England, wo schon früher ähnliche Beobachtungen gemacht wurden (ibid. 1868, 1869, 1871), Vergiftungen durch Eicheln besonders beim Hornvieh im Herbst 1893 beobachtet. Die ersten Zeichen waren leichte Abneigung gegen das Futter, leichter Konjunktival- und Nasenkatarrh, allmähliches Dunkelwerden der Fäzes und Hellwerden des Urins bei normaler Temperatur und schwachem Puls. Später beobachtete er Widerwillen gegen die Nahrung, rauhes Haar, gelbe schorfige Beschaffenheit der Haut, aufgeschürzten Hinterleib, bisweilen Leibschmerzen mit Stöhnen. Die Augen sanken in ihre Höhlen zurück, der Nasenkatarrh wurde blutig, ebenso der Darmkatarrh. In den tödlichen Fällen wurde die Temperatur subnormal. Kontinuierlichem Durchfall folgte Kollaps. Die Mortalitätsziffer betrug 10%. Die anderen Tiere erholten sich allmählich, wenn Eicheln nicht mehr gereicht wurden, dabei leicht verdauliches Futter gegeben und symptomatische, besonders gegen den Durchfall gerichtete Behandlung eintrat. Das Aufhören des Durchfalls und sogar Verstopfung war prognostisch günstig. P. hebt hervor, dass Eicheln, welche bekanntlich als Mastfutter gepriesen sind, im frischen, wie im trockenen und gekeimten Zustand die von ihm beobachteten Vergiftungen erzeugen können. — Thorburn (Vet. journ. 1902) hat ebenfalls in England Vergiftungen durch Eicheln bei Rindern gesehen; die Symptome bestanden in Verstopfung, später in wässerigem Durchfall, Stöhnen, starker Abmagerung und hohem Fieber (40,5–41,8°). — Verdauungsstörungen und Verstopfung nach Verfütterung von Eichenlaub und unreifen Eicheln hat bei Rindern Schulz (Woch. f. Tierhlkde. 1895) beobachtet.
Allgemeines. Das früher für ein ungiftiges Bandwurmmittel gehaltene Filixextrakt hat sich nach neueren klinischen und experimentellen Beobachtungen in grösseren Dosen als ein ziemlich starkes Gift erwiesen. Die wichtigsten Bestandteile des aus dem Rhizom des Wurmfarns durch Mazerieren mit Aether und durch Eindampfen gewonnenen Extraktes sind die Filixsäure (Filizin), eine Säure von der Formel C35H40O12, welche zu 6–9 Proz. darin enthalten ist. Nach andern Angaben soll das Filmaron oder Aspidinolfilizin der giftige Bestandteil sein, der sich zu Filixsäure und Aspidinol zersetzt. Genaueres über die menschenärztliche und tierärztliche Literatur der Filixvergiftang vergl. in meiner Abhandlung „Ueber die Toxikologie des Filixextraktes“ (Monatshefte für praktische Tierheilkunde 1890, I. Bd.), sowie bei Gmeiner, „Untersuchungen über das Filmaron“ (D. T. W. 1907).
Krankheitsbild. Das Filixextrakt wirkt bei den Haustieren wie beim Menschen in grösseren Dosen zunächst entzündungserregend[S. 310] auf die Magendarmschleimhaut. Nach seiner Resorption wirkt es lähmend auf Gehirn und Rückenmark (psychische Benommenheit, Manegebewegungen, Amaurosis, motorische Lähmung). Endlich erzeugt es bei der Ausscheidung der Filixsäure durch die Nieren eine parenchymatöse Nephritis. Das Krankheitsbild ist nach meinen eigenen experimentellen Beobachtungen folgendes:
Die ersten Krankheitserscheinungen sind nach meinen Versuchen bei Hunden und Schafen die einer entzündlichen Reizung der Magen- und Darmschleimhaut: Erbrechen, Speichelfluss, Futteraufnahme und Wiederkauen unterdrückt, vermehrter Kotabsatz, Durchfall, Schmerzen bei der Palpation des Magens und Darmes. Nur bei perakutem Krankheitsverlauf (Rind) fehlen gastroenteritische Symptome. Von Allgemeinerscheinungen tritt zunächst eine Affektion des Gehirns in den Vordergrund. In der Hauptsache äussert sich dieselbe in Form einer zunehmenden Lähmung des Grosshirns unter dem Bild der psychischen Benommenheit und schwerer Depressionserscheinungen, welche schliesslich in vollständige Apathie und Bewusstlosigkeit übergehen. Diese zerebralen Lähmungserscheinungen kombinieren sich zeitweise mit Erregungssymptomen, welche sich in Zwangsbewegungen äussern: Manegebewegungen, automatenhafte, pendelnde Bewegungen des Kopfes und Halses. In einem Fall traten auch psychiche Erregungserscheinungen auf, und zwar eröffneten dieselben das allgemeine Krankheitsbild (perakuter Verlauf beim Rind). Im Zusammenhang mit den genannten zerebralen Erscheinungen zeigen sich eigentümliche Vorgänge an den Augen, welche im wesentlichen auf eine Lähmung der Retina (Amaurosis) bezogen werden müssen: Pupillenerweiterung, Blindheit, Anämie der Pupille. Aber auch hier sind die Erscheinungen der Lähmung zuweilen mit derjenigen der Erregung untermischt (Nystagmus, Pupillenverengerung). Die lähmende Wirkung des Filixextraktes auf die Retina ist wenigstens in Form einer Mydriasis meist sehr früh wahrnehmbar. Die Herztätigkeit wird durch das Filixextrakt in allen Fällen anfangs erregt, was sich in verstärkter Herzaktion und vermehrter Pulsfrequenz äussert, später gelähmt. Zu den augenfälligsten Symptomen des Vergiftungsbildes gehört die lähmende Wirkung auf den Bewegungsapparat; dieselbe äussert sich in unsicherem, schwankendem, taumelndem Gang, allmählich zunehmender Körperschwäche und schliesslicher allgemeiner Lähmung. Vereinzelt war[S. 311] bei einem Versuchstier auch eine Monoplegie zu beobachten. Erregungserscheinungen seitens der motorischen Sphäre fehlten mit Ausnahme von Zähneknirschen in einem Fall gänzlich. Die Atmung endlich ist im ersten Stadium der Vergiftung angestrengt (Erregung des Atmungszentrums), im letzten Stadium geht jedoch die Erregung in eine Lähmung über und die Tiere sterben alle unter den Erscheinungen der Erstickung.
Die Dauer und der Verlauf der Vergiftung ist je nach der verabreichten Dosis verschieden. Die ersten 15 g hatten bei einem Versuchshund eine etwa 1tägige, die späteren 20 g eine 3tägige Vergiftung zur Folge; die Wiederholung der letzteren Dosis noch während des Andauerns der Giftwirkung tötete den Hund bereits nach 3 Stunden. Zwei Schafe starben auf 25 resp. 50 g nach 6 resp. 36 Stunden, ein Rind auf 100 g nach 4 Stunden. Danach scheint die kürzeste Krankheitsdauer 3–4 Stunden zu betragen. Die längste bei meinen Versuchen beobachtete Dauer betrug 3 Tage; allem nach kann aber dieselbe auch eine wesentlich längere sein. Endlich ist zu erwähnen, dass die ersten schweren Vergiftungserscheinungen bei grossen Gaben schon nach Verlauf von ½-1 Stunde auftreten.
Sektionsbefund. Die wesentlichsten Ergebnisse der Sektion sind folgende. Zunächst ist eine hämorrhagische Entzündung leichteren Grades auf der Schleimhaut des Magens (Labmagens) und des Dünndarms in Form von Schwellung, Rötung und fleckenartigen Hämorrhagien, besonders auf der Höhe der Falten zu konstatieren. Gehirn und Rückenmark zeigen die Erscheinungen des akuten Oedems, Hydrocephalus internus und externus, sowie Hydrorachis; daneben habe ich in einem Fall eine erhebliche Blutung im oberen Längsblutleiter vorgefunden. Eine kleine Blutung liess sich bei einem anderen Versuchstier zwischen Retina und Chorioidea in der Nähe der Papille nachweisen; die Retina zeigte sich hiebei getrübt. Die Nieren bieten das Bild der parenchymatösen Nephritis, welche sich makroskopisch durch graurote Verfärbung und weichere Konsistenz, mikroskopisch durch Trübung, Aufquellung und Abstossung des Nierenepithels, Bildung von Harnzylindern, sowie endlich durch das Auftreten von Eiweiss im Harn (2 Proz. in einem Fall) kennzeichnet. Vereinzelt war auch die Ausbildung einer hämorrhagischen Zystitis zu konstatieren. Von Allgemeinerscheinungen endlich sind hervorzuheben die venöse[S. 312] Stauung in den inneren Organen und das Lungenödem (suffokatorische Symptome), sowie die Schwellung der Leber und Milz.
Das Filmaron hat nach den Versuchen von Gmeiner (vgl. unten) eine ähnliche Giftwirkung wie das Filixextrakt.
Behandlung. Ist in einem Fall von Helminthiasis eine zu grosse Dosis Filixextrakt zur Anwendung gelangt, so hat man zunächst die reizende Wirkung desselben auf den Darm durch Eingeben schleimiger Mittel zu mildern. Im weiteren besteht die Behandlung in der Verabreichung exzitierender Mittel (subkutane Aether-, Kampfer-, Atropin-, Koffein-, Veratrininjektionen). Zu vermeiden sind Fette und ölige Stoffe, namentlich auch Rizinusöl, weil sie die Resorption der Filixsäure bezw. des Filmarons erhöhen.
Der Nachweis einer Filixextraktvergiftung wird ausser dem sehr charakteristischen klinischen Befund durch den spezifischen, ganz intensiven Geruch des Extraktes geliefert.
Kasuistik. Röder (Sächs. Jahresber. 1888) hat bei einem kräftigen Mops, welchem innerhalb 3 Stunden 6 g Extractum Filicis eingegeben wurden, Erscheinungen einer heftigen Gastroenteritis, bedeutenden Kräfteverfall, periodische Krämpfe (Opisthotonus), starke Pupillenerweiterung, sowie Tod nach etwa 14 Stunden; ferner bei einem andern Mops, welcher 3 g erhalten hatte, eine ähnliche Erkrankung mit anscheinender Blindheit, jedoch mit Ausgang in Genesung beobachtet. Bei einem dritten Mops, welchem versuchsweise 3 g Extrakt gegeben wurden, trat ebenfalls Gastroenteritis mit Krampfanfällen, jedoch nach 2 Tagen wieder Genesung ein; 4 g hatten dieselben Erscheinungen, sowie ausserdem einen 10 Stunden andauernden soporösen Zustand mit 4tägiger Krankheitsdauer zur Folge. Dagegen blieben ein Mopsbastard auf 6 g, ein Dachshund auf 5 g, sowie ein Jagdhund auf 10 g Filixextrakt gesund. — Schlampp (Münch. Jahresber. 1891/92) sah bei einem grossen Leonberger Vergiftungserscheinungen auf 4 g Extrakt (Kollaps, Mydriasis, Netzhautblutung). — Bezüglich der von mir angestellten Versuche bei Hunden, Schafen und Rindern vgl. Monatshefte für prakt. Tierheilkunde I. Bd. 1890. — Zimmermann (Z. f. Tierh. 1904) beobachtete bei einer 4jährigen Bernhardinerhündin nach der Verabreichung von 4 g Filixextrakt (ohne nachfolgendes Abführmittel) eine schwere Vergiftung, die sich in Kollaps, Pupillenerweiterung und Dyspnoe äusserte. — Gmeiner (D. T. W. 1907) stellte bei seinen toxikologischen Versuchen mit Filmaron bei Kaninchen, Hunden und Schafen im wesentlichen die Erscheinungen der Filixextraktvergiftung fest: entzündliche Reizerscheinungen im Magen- und Darmtraktus, Lähmung des Bewegungsapparates, Gehirndepression, Erregung und Lähmung der Atmung, Amaurosis, Pupillenerweiterung, sowie parenchymatöse Nephritis.
Allgemeines. Das in den Wurmsamen, Flores Cinae, zu 2 Prozent enthaltene Santonin von der Formel C15H18O3 ist ein bei Hunden vielfach angewandtes Wurmmittel. Eine bei einem jungen Leonbergerhund nach der Verabreichung von 0,06 g Santonin beobachtete Vergiftung (Monatsh. f. prakt. Tierhlkde. IV. Bd. 1893, S. 308) veranlasste mich, die Toxikologie des Santonins bei Rindern, Pferden, Schafen, Ziegen und Hunden experimentell[S. 313] zu prüfen (ibid. S. 535). Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in nachstehendem zusammengefasst. Vgl. im übrigen die Aehnlichkeit des Bildes der Santoninvergiftung mit dem der Bornaschen Krankheit. Santoninvergiftungen bei jungen Hunden sind neuerdings auch von Godfray beobachtet worden (The Vet. 1900).
Wirkung des Santonins. Die wichtigsten Erscheinungen der Santoninvergiftung bei den Haustieren sind epileptiforme Krämpfe, Schlafsucht, psychische Benommenheit, Taumeln, Lähmung, Sehstörungen, Myosis, gelbrote Verfärbung des Harns, Polyurie, Strangurie, erhöhter Geschlechtstrieb, Speicheln, Nasenausfluss, leichte Kolikerscheinungen, Durchfall und Verstopfung, sowie Störungen des Appetits und der Futteraufnahme.
Die Santoninkrämpfe haben den Charakter der eklamptischen (epileptiformen) Krämpfe. Sie bestehen zunächst in blitzartigen fibrillären Muskelzuckungen in der Umgebung des Maules, besonders an den Maulwinkeln, an der Ober- und Unterlippe, in der Umgebung der Nasenlöcher, im Gesicht, in der Backengegend, an den Augenlidern und an den Ohren, sowie in rotierenden Bewegungen der Bulbi (Nervengebiet des Fazialis, Okulomotorius, Trochlearis und Abduzens). Hiezu gesellen sich bei intensiverer Wirkung Kaukrämpfe (Nervengebiet des Trigeminus), klonisch-tonische Krämpfe der Halsmuskeln (Halsmark), der Rumpf- und Extremitätenmuskeln (Rückenmark), allgemeines Muskelzittern, sowie gesteigerte Reflexerregbarkeit, welche sich in hochgradiger Schreckhaftigkeit äussert. Das Santonin erweist sich mithin zunächst als ein Krampfgift für die motorischen Gehirnnerven, insbesondere für den VII., III., IV., VI. und V., sodann aber auch als ein spinales Reizmittel.
Das Sensorium zeigt sich bei den leichten Graden der Vergiftung intakt. In den höheren Graden sind starke psychische Depression, ein dummkollerartiges Benehmen, sowie ausgesprochene und anhaltende Schlafsucht zu konstatieren. Namentlich beim Rind, Kalb und Pferd ist ein 12–24stündiger ununterbrochener Schlaf, ja selbst ein tagelang andauernder schlafsüchtiger Zustand nachzuweisen. Diese intensive hypnotische Wirkung ist sehr bemerkenswert. Nur vereinzelt gehen ihr starke psychische Erregungserscheinungen voraus (Brüllen, Vorwärtsstürzen, gegen die Wand rennen beim Kalb). Die höchsten bezw. letalen Grade der Vergiftung äussern sich in einer allgemeinen Lähmung. Der lähmungsartige[S. 314] Zustand erinnert an das Bild der Koniin- oder Morphinlähmung, dauert bei der tödlichen Vergiftung mehrere Tage an und führt durch Ausbildung eines Lungenödems zum Tod.
Sehr charakteristisch und von hervorragender diagnostischer Bedeutung für die Santoninvergiftung ist die Rotgelbfärbung des Harns. Der Harn zeigt die Farbe des chromsauren Kalis bezw. einer konzentrierten Müllerschen Flüssigkeit. Diese rotgelbe Farbe des Harns war bei allen Versuchstieren: Pferd, Rind, Schaf, Ziege, Hund in gleich intensiver Weise vorhanden. Von diagnostischer Bedeutung ist ferner die auf Zusatz von Laugen eintretende schöne Farbenreaktion (Uebergang des Chromgelb in Karminrot). Die Rotfärbung des Harns ist bereits eine Stunde nach dem Eingeben des Santonins nachzuweisen. Aus diesem Umstand ergibt sich, dass das an sich unlösliche, und daher ungiftige Santonin im Magendarmkanal sehr rasch in eine leicht lösliche, giftige und resorbierbare Verbindung umgewandelt wird.
Von den übrigen Symptomen sind noch erwähnenswert eine erhebliche Beeinträchtigung des Sehvermögens, Myosis, die Steigerung des Geschlechtstriebs bei den männlichen sowohl, wie bei den weiblichen Versuchstieren, geringgradige Kolikerscheinungen, Verstopfung und Durchfall, sowie als Ausdruck einer pilokarpinartigen Reizung der Speichel- und Schleimdrüsen Speicheln und Nasenausfluss. Der Sektionsbefund bei der Santoninvergiftung ist im allgemeinen negativ. Mit Ausnahme parenchymatöser Veränderungen in den Nieren, in der Leber, sowie in der Muskulatur lassen sich anatomische Veränderungen nicht nachweisen. Am stärksten scheint das Nierenparenchym durch das Santonin beschädigt zu werden.
Grad der Giftigkeit. Bei der Wirkung des Santonins bildet einen Hauptfaktor das Alter der Tiere in der Weise, dass Säuglinge pro kg Körpergewicht etwa 100mal, halberwachsene Tiere etwa 2–4mal empfindlicher gegen Santonin sind als erwachsene Tiere. Ein 10 Jahre alter, 6 kg schwerer Versuchshund zeigte nach der Verabreichung von 10 g Santonin (= 1,7 g pro kg Körpergewicht) keine erheblichen Störungen, während in dem von mir beobachteten Vergiftungsfall 0,06 g Santonin ausreichten, um einen 3 kg schweren, 6 Wochen alten Hund schwer zu vergiften. Die giftige Dosis betrug mithin 0,02 g Santonin pro kg Körpergewicht! Das erwachsene Tier verhält sich zum jungen wie 1,7 : 0,02, d. h. wie 85 : 1. Bei einem halberwachsenen, 10 Monat alten Bullenkalb im Gewicht von 147 kg traten nach 100 g Santonin (0,7 pro kg Körpergewicht), bei einer erwachsenen, 6 Jahre alten Kuh im Gewicht von 360 kg dagegen erst nach 500 bezw. 1000 g Santonin (1,5 bezw. 3,0 pro kg Körpergewicht) schwere Vergiftungserscheinungen auf. Kalb und Kuh verhalten sich demnach[S. 315] wie 1,5 bezw. 3,0 : 0,7, also wie 2–4 : 1. Die tödliche Santonindosis beträgt für das erwachsene Schaf 2 g pro kg Körpergewicht. Nach meinen Versuchen starb nämlich ein 2jähriges, 27 kg schweres Schaf auf die Verabreichung von 50 g Santonin. Dagegen blieb ein anderes erwachsenes, 37 kg schweres Schaf nach derselben Dosis am Leben. Im Gegensatz zu den übrigen Tieren wurden bei den Versuchsschafen Krämpfe nicht beobachtet.
Erwachsene Tiere in höherem Alter können sich sogar so an das Santonin gewöhnen, dass es schwer ist, sie mit dem Mittel zu vergiften. Die oben erwähnte Kuh erhielt zusammen 1935 g, also nahezu 2 kg Santonin. Ich suchte sie zuerst durch 100, dann durch 250, dann durch 500 und zuletzt durch 1000 g (1 kg) Santonin zu töten. Als sich auch die letztgenannte Dosis nicht als ausreichend erwies, stand ich von weiteren Versuchen ab, da sich das Tier dem Santonin gegenüber ähnlich indolent erwies, wie beispielsweise Kühe dem Kochsalz und Glaubersalz gegenüber. Ganz dieselbe Wahrnehmung wurde bei dem 10jährigen kleinen Hund gemacht, bei welchem ich von der Tötung durch Santonin ebenfalls Abstand nehmen musste, da er im ganzen 18,75 g ohne viel Schaden ertrug und selbst auf 10 g des Mittels wenig reagierte, und ihm diese 10 g schon ziemlich schwer wegen der relativ grossen Menge des Pulvers beizubringen waren. Diese Angewöhnung älterer Tiere an Santonin bildet gewissermassen ein Analogon zu der von Ehrlich nachgewiesenen künstlichen Immunität der Tiere gegen Rizin und Abrin; man könnte nach obigen Versuchen ebenfalls von „santoninfesten“ Tieren sprechen.
Botanisches. Der Adlerfarn oder Adlersaumfarn (Jesus Christuswurz), Pteris aquilina (Polypodiazee), ist ein auf Heiden und in lichten Wäldern vorkommendes Farnkraut mit einem unterirdischen, federkieldicken, bis meterlangen, verzweigten Rhizom und zweizeilig entfernt stehenden Blättern, welche mit dem Stiel bis 4 m hoch werden. Ein schiefer Querdurchschnitt durch den Blattstiel zeigt die Gefässbündel in Form eines JC oder Adlers (daher die Benennung). Die Wurzel wurde früher als Anthelminthikum angewandt; das durch Kochen entbitterte Rhizom wird auf den Kanarischen Inseln gemahlen und zu Brot gebacken. Der Adlerfarn enthält als giftigen Bestandteil die Pteritannsäure, einen mit der Filixsäure wahrscheinlich identischen Körper.
Krankheitsbild. Die Erscheinungen der Vergiftung durch Adlerfarnkraut haben eine grosse Aehnlichkeit mit denjenigen der Filixextraktvergiftung. Das Krankheitsbild ist ebenfalls durch Störungen des Bewusstseins, Pupillenerweiterung, Schwanken und Lähmungserscheinungen gekennzeichnet. Ein Fall ist von Jarmer (Magazin 1861) beschrieben worden. 24 Pferde wurden einige Wochen hindurch mit Häckselstroh gefüttert, welches auf einem neubebauten Heidelande gewachsen war und etwa ⅕ Adlerfarnkraut enthielt. Sie zeigten Schreckhaftigkeit, Bewusstseinsstörungen, Verlust des Gleichgewichts, Schwanken,[S. 316] Pupillenerweiterung, Injektion und Gelbfärbung der Konjunktiva, verminderte Pulsfrequenz, Zusammenstürzen und Krämpfe. 4 Pferde starben, 2 zeigten noch lange Zeit hindurch motorische Lähmungserscheinungen, die übrigen genasen nach Verlauf von 14 Tagen. Bei der Sektion der beiden gestorbenen Pferde fand man starke Hyperämie des Gehirns und seiner Häute sowie Ansammlung von Serum zwischen den Häuten des Kleinhirns und verlängerten Markes.
Botanisches. Der Rainfarn, Tanacetum vulgare, ist eine 1–2 m hohe Komposite mit goldgelben Blüten von unangenehmem Geruch und Geschmack (altes Wurmmittel). Sie enthält das ätherische Rainfarnöl, nach andern das Tanazeton oder Thujon. Nach den Untersuchungen von Peyraud ist das ätherische Tanazetumöl ein starkes Krampfgift für die höheren Tiere, indem es wutähnliche Erscheinungen hervorruft. Diese sog. „Tanazetumwut“ äussert sich in Krämpfen der Rückenmuskeln sowie der Muskulatur des Schlundkopfes und Kehlkopfes, verbunden mit psychischer Erregung.
Krankheitsbild. Eine Vergiftung bei 5 Rindern ist von Wessel, Wilster u. Bugge (B. T. W. 1907) beobachtet worden. Die Erscheinungen bestanden in Taumeln, Kaukrämpfen (Schaum vor dem Mund, Kaubewegungen), starker Benommenheit des Sensoriums (dummkollerartigem Benehmen), Nystagmus, Pupillenverengerung und Erblindung; 3 Rinder starben.
Botanisches. Die zu der Familie der Papilionaceen (Abteilung Genisteae) gehörende Gattung Lupinus wird als Futterpflanze besonders in Norddeutschland in verschiedenen Arten kultiviert. Die wichtigsten derselben sind: 1. Lupinus luteus, eine dicht weichhaarige Pflanze mit goldgelben, wohlriechenden, festsitzenden Blüten, neunzähligen Blättern und zottig rauhen Hülsen mit je 2–5 nierenförmigen, schwarz- und weiss-gefleckten Samen. 2. Lupinus albus, eine weichzottige Pflanze mit weissen, geruchlosen Blüten, siebenzähligen Blättern und kurzbehaarten Hülsen mit 2–5 stumpfkantigen, gelblichweissen oder rötlichweissen Samen. 3. Lupinus angustifolius, eine kleinere, angedrückt weichhaarige Pflanze mit kleinen blauen Blüten und zerstreut behaarten Hülsen mit je 2–5 rundlich nierenförmigen, marmorierten Samen. Ausserdem können giftig werden Lupinus Thermis, linifolius und hirsutis.
Die Lupinensamen enthalten neben den Proteinsubstanzen (Konglutin) einige Alkaloide (sogen. Lupinenalkaloide), nämlich das Lupinin, Lupinidin und Lupanin, welche den bitteren Geschmack der Lupinen bedingen. Die Giftigkeit der Lupinen wird jedoch nicht durch die genannten Lupinenalkaloide, sondern durch ein anderes chemisches Gift bedingt,[S. 317] welches sich mittels alkalisch gemachtem Wasser aus den Lupinen ausziehen lässt. Auch durch den Regen wird wenigstens in den oberflächlichen Schichten der im Freien aufbewahrten Lupinenhaufen das Gift ausgelaugt, so dass diese Schichten hierdurch ungiftig werden. Arnold und Schneidemühl haben für dieses Gift den Namen Lupinotoxin vorgeschlagen. Das besonders in den Schalen, bezw. Hülsen und Körnern, aber auch in den übrigen Teilen der Pflanze enthaltene Gift wird durch Extraktion mit 1½proz. Sodalösung gewonnen. Im übrigen sind die Untersuchungen über den Giftstoff der Lupinen nicht abgeschlossen. Kobert hat das Lupinotoxin von Arnold und Schneidemühl unwirksam gefunden. Ueber die Modalität der Entstehung des Lupinotoxins in den Lupinen ist nichts Sicheres bekannt. Vielleicht entsteht das Gift als Umsatzprodukt parasitischer, auf den Lupinen schmarotzender Pilze. Diese Annahme wird durch die Tatsache unterstützt, dass die Lupinen nicht allgemein, sondern nur in gewissen Gegenden und zu gewissen Zeiten giftig wirken. Einige Landwirte haben die Beobachtung gemacht, dass die Lupinen nicht im ersten Jahr, sondern nur dann giftig wirken, wenn sie mehrere Jahre auf demselben Felde angepflanzt werden; ausserdem soll durch das Bestreuen der Lupinenäcker mit künstlichem Dünger die Lupinose verhütet werden (Mitteilung von Sonnenberg-Ostrowo).
Krankheitsbild. Die Giftwirkung der Lupinen zeigt eine sehr grosse Aehnlichkeit mit der Wirkung des Phosphors. Die Lupinen veranlassen Verfettung und akute gelbe Atrophie der Leber mit Icterus gravis, parenchymatöse Nephritis und Gastritis, Herzverfettung, fettige Degeneration der Skelettmuskulatur, Eingenommenheit der Psyche, Schwäche und Lähmungserscheinungen. Die Krankheitserscheinungen der Lupinose, welche als Herdekrankheit bei Schafen, namentlich in Norddeutschland, ausserdem vereinzelt bei Ziegen, Pferden, Rindern, Schweinen und beim Damwild beobachtet wurde, sind folgende: Die Tiere zeigen zunächst einen verminderten und später ganz aufgehobenen Appetit, sowie Symptome einer fieberhaften Krankheit (Temperaturerhöhung, Pulsbeschleunigung). Nach einigen Tagen tritt eine ikterische Verfärbung der Konjunktiva und Sklera und späterhin auch der Haut und der übrigen Schleimhäute auf. Dieselben gelbsüchtigen Erscheinungen können jedoch auch fehlen. Ausserdem beobachtet man teils Mattigkeit, starke Eingenommenheit des Sensoriums, welche sich bis zur Bewusstlosigkeit steigern kann, und Lähmungserscheinungen, teils Schreckhaftigkeit und Kaukrämpfe (Trismus). Der Kotabsatz ist im Anfang meist verzögert, später wird der Kot zuweilen teerartig, blutig und diarrhoisch. Der Harn ist gelb gefärbt und enthält Gallenfarbstoffe, Gallensäuren, Eiweiss, Harnzylinder, Nierenzellen, Rundzellen und Blasenepithelzellen. Die[S. 318] Atmung ist gegen das Ende der Krankheit beschleunigt und erschwert: zuweilen besteht ein schleimiger oder blutig-schleimiger Nasenausfluss. Bei Pferden hat man ausserdem schwere zerebrale Depressionszustände, sowie schwere ulzeröse Entzündung der Maulschleimhaut und Nasenschleimhaut (Rotzverdacht) beobachtet. Schweine zeigen zuweilen anhaltende Schlafsucht.
Der Verlauf der Lupinose ist entweder akut, wobei der tödliche Ausgang schon innerhalb 1–2 Tagen erfolgen kann, meist indessen erst nach 4–5tägiger Krankheitsdauer eintritt, oder chronisch, wenn eine fortgesetzte Fütterung von nur geringgradig giftigen Lupinen stattfindet. Diese chronische Lupinose verläuft meist ohne Ikterus unter dem Bild der Bleichsucht und Kachexie; ausserdem beobachtet man zuweilen Hautausschläge, namentlich am Kopf, sowie die Erscheinungen des Nasen- und Konjunktivalkatarrhs. (Ausführlichere Angaben über die Lupinose finden sich in dem Lehrbuch der speziellen Pathologie u. Therapie von Friedberger und mir, 7. Aufl. 1908.)
Sektionsbefund. Die wichtigsten Veränderungen weist die Leber auf. Sie zeigt das Bild der akuten parenchymatösen Hepatitis mit fettiger Entartung der Leberzellen und akuter gelber Leberatrophie. Die Leberzellen zeigen zunächst starke körnige Trübung und fettige Degeneration, wodurch eine Vergrösserung der Leber bedingt ist. Hieran schliesst sich später infolge Resorption des Inhaltes der Leberzellen eine Verkleinerung der Leber (akute gelbe Leberatrophie). Ausserdem ist die Leber hochgradig ikterisch verfärbt, von zitronengelber, ockergelber oder rotgelber Farbe. Bei der chronischen Lupinose findet man chronische interstitielle Hepatitis mit Verkleinerung, Schrumpfung, Induration und höckeriger Oberfläche der Leber. Die Nieren zeigen das Bild der parenchymatösen Nephritis mit körniger Trübung des Nierenepithels und Ansammlung von Exsudatzylindern in den Harnkanälchen; ausserdem kann eine katarrhalische Zystitis zugegen sein. Die Schleimhaut des Digestionsapparates zeigt entzündliche Rötung, katarrhalische Schwellung, Hämorrhagien, sowie glanduläre Entzündung (Gastritis glandularis). Die Muskulatur des Herzens, sowie die Körpermuskulatur zeigt körnige und fettige Degeneration, graugelbe Verfärbung, Brüchigkeit und Neigung zu rascher Fäulnis. In den meisten Organen finden sich kapilläre Hämorrhagien.[S. 319] Endlich findet man die Schleimhäute, die Bauchhaut, die Subkutis, das Netz und das Gekröse gelb gefärbt.
Behandlung. Als chemische Gegengifte gegen das Lupinotoxin werden verdünnte Säuren empfohlen, welche das Gift unlöslich machen sollen. Dagegen sind Alkalien wegen der Beschleunigung der Resorption zu vermeiden. Von Säuren sind zu nennen der Essig, verdünnte Schwefelsäure, Salzsäure, Phosphorsäure, Zitronensäure und Weinsäure. Als Abführmittel werden Rizinusöl und Krotonöl dem Glaubersalz vorgezogen, weil letzteres die Lösung des Lupinotoxins beschleunigen soll. Gegen die Depressionserscheinungen sind Exzitantien (Aether, Kampfer, Alkohol, Ammonium carbonicum) anzuwenden. Ausserdem hat natürlich die weitere Fütterung von Lupinen zu unterbleiben.
Der Nachweis der Vergiftung wird durch die Untersuchung des Futters geliefert. Ausser den Lupinensamen wirken die Lupinenschalen und das Lupinenstroh giftig. Zuweilen kommt es auch vor, dass Lupinenvergiftungen durch Verfälschung anderer Futterstoffe mit Lupinen bedingt werden, z. B. von Oelkuchen, welche mit Lupinenschrot gemischt sind. In diesem Fall wird der Nachweis durch Lupen- und mikroskopische Untersuchung geführt.
Vergiftung durch Wicken. Nach der Verfütterung von Wicken hat man bei Pferden, Rindern und Schweinen eigenartige Vergiftungserscheinungen beobachtet, welche zuweilen Aehnlichkeit mit dem Bild der Lupinose zeigten. Stöhr (B. T. W. 1892) beobachtete bei Pferden nach ausschliesslicher Wickenfütterung Abmagerung, völlige Kahlheit, Ikterus, orangefarbene Konjunktiva, pochenden Herzschlag, 60–100 Pulse p. M., sowie Temperaturverminderung; die Sektion ergab auffallend grosse, orangefarbige Leber. Auf einem andern Gute, wo pro Pferd und Tag 15 Pfund halb Wickenschrot, halb ganze Wicken und daneben noch Wickenheu gefüttert wurden, starben von 60 Pferden 10. Dieselben waren allmählich stark abgemagert, hatten die Haare verloren und waren unter Kolikerscheinungen verendet; bei der Obduktion fand man Darmentzündung, sehr grosse, dunkelbraune Leber und Milzschwellung. Bei Ochsen entwickelte sich ein der Schlempemauke ähnliches Hautleiden mit trockenem Absterben wunder Hautstellen. Gleichzeitig starben 80 Schweine infolge von Darmentzündung und Leberschwellung. — Wenke (Berl. Arch. 1894) sah nach der Wickenfütterung bei Pferden Schwäche und Lähmung des Hinterteils, sowie Tod nach wenigen Tagen; Mason (Vet. journ. 1896) bei 4 Pferden Amaurose, Hufentzündung und Trismus.
Nach der Verfütterung der Zottelwicke (Sandwicke, Vicia villosa), auf der in Unmenge Jassus sexnotatus (Zwergzikade) lebte, erkrankten 36 Rinder, von welchen 6 starben. Die Tiere zeigten Quaddeln, zunächst am Kopf und Hals, welche sich später über den ganzen Körper ausbreiteten, Husten, herpetischen Ausschlag im Maul, Rötung und Zyanose der[S. 320] Schleimhäute, eitrigen Nasenausfluss, Rasselgeräusche in der Lunge, Haarausfall, gänzlich unterdrückte Futteraufnahme, Verfall der Kräfte, keuchende Atmung, dagegen freies Sensorium bis zu dem nach 12–15 Tagen eintretenden Tod. Die Sektion ergab blutig-seröse Ergüsse unter der Haut, entsprechend dem Sitze der Quaddeln, ausgebreitete Entzündung in den ersten 3 Mägen, einmal katarrhalische Entzündung des Labmagens, hochgradige Bronchitis und beginnende Bronchopneumonie, Glottisödem, punktförmige Blutungen im Myokard, lehmfarbige Leber, sowie vereinzelt Peritonitis und Nephritis (Röder, Sächs. Jahresber. 1893).
Botanisches. Die Gattung Equisetum, Schachtelhalm (Katzenstert, Duwock) bildet einen Ueberrest verloren gegangener Kryptogamen der Vorwelt, welche besonders auf sumpfigem Boden und im Wasser wachsen. Die Schachtelhalme sind charakterisiert durch ein unterirdisches, kriechendes Rhizom, aufrechten, gegliederten, hohlen, von gestreckten Internodien unterbrochenen Stengel, kleine, rudimentäre, schildförmige, quirlständige, zu trockenhäutigen, gezahnten Scheiden verwachsene Blätter mit Sporenbehältern an der Unterseite. Die wichtigsten Arten sind: 1. Equisetum arvense, der Ackerschachtelhalm oder das Heermoos, mit vierkantigen, rauhen Aesten und einem Stengel, welcher im Frühjahr rötlich und im Sommer grün ist. 2. Equisetum palustre, der Sumpfschachtelhalm (Kuhmoos), mit gefurchtem, rauhem, einfach ästigem Stengel und sechszähnigen Scheiden. 3. Equisetum limosum, der Schlammschachtelhalm, mit einfachem, glattem, bis 80 cm hohem Stengel und zwanzigzähnigen Scheiden. Seltener sind Vergiftungen durch Equisetum hiemale.
Der Schachtelhalm ist ähnlich wie die Lupinen je nach dem Standort und Klima eine bald giftige, bald ungiftige Futterpflanze, welche gleich jenen an Giftigkeit verliert, wenn sie durch den Regen ausgelaugt wird. Der Giftstoff selbst ist nicht genauer bekannt. Vielleicht wird derselbe ebenfalls, wie man dies bei den Lupinen annimmt, indirekt durch Befallungspilze erzeugt. Nach Pancerzynski soll ein alkaloidartiger Stoff, nach Lohmann das Alkaloid Equisetin, nach Ludewig die Akonitsäure der giftige Bestandtteil sein (die letztere Annahme wurde von Reinecke widerlegt). Nach Richter (Dessau) prädisponiert vielleicht die gleichzeitige Aufnahme reizender Gräser (Riedgräser) zur Vergiftung durch den sonst unschädlichen Schachtelhalm. Vielleicht gehören manche Fälle von angeblicher Equisetumvergiftung ins Kapitel Pilzvergiftung (vergl. S. 335).
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Der im Schachtelhalm enthaltene Giftstoff besitzt eine lähmende Wirkung auf das Rückenmark und das Kleinhirn. Equisetumvergiftungen sind bei Pferden, Rindern und Schafen beobachtet und von alters her mit dem Namen „Taumelkrankheit“ bezeichnet worden. Die ersten Krankheitserscheinungen bestehen in gesteigerter Reflexerregbarkeit, auffallender Schreckhaftigkeit, Aufregung und Aengstlichkeit, sowie Unsicherheit im Gang und in den Körperbewegungen.[S. 321] Später beobachtet man Schwanken und Taumeln, Lähmung des Hinterteils, Zusammenstürzen, sowie allgemeine Lähmung. Die Futteraufnahme ist meist längere Zeit hindurch trotz der schweren motorischen Störungen normal, auch das Bewusstsein ist gewöhnlich erst in den späteren Stadien der Vergiftung gestört. Der Verlauf der Krankheit kann sehr akut sein, indem der Tod zuweilen schon innerhalb einiger Stunden oder eines Tages eintritt. Häufiger ist eine längere Krankheitsdauer von mehreren (2–8) Tagen. Ausserdem kann sich bei fortgesetzter Aufnahme kleinerer Mengen des Schachtelhalms auch eine chronische Vergiftung ausbilden, welche unter den Erscheinungen der Abmagerung und Kachexie, verbunden mit lähmungsartiger Schwäche, verläuft.
Bei der Sektion findet man angeblich Hyperämie, ödematöse Durchtränkung, sowie Ansammlung seröser Flüssigkeit in den Häuten des Kleinhirns und Rückenmarkes.
Behandlung. Vor allem muss mit der Fütterung gewechselt werden. In leichteren Fällen der Erkrankung genügt diese Massregel allein. Bei schwereren Erkrankungen sind neben Abführmitteln Exzitantien anzuwenden. Da die Vergiftung vorwiegend unter dem Bild einer spinalen Lähmung verläuft, sind besonders Strychnin (0,05–0,1 für Pferde), Veratrin (ebensoviel) und Koffein (5–10,0) als erregende Mittel für das Rückenmark und die Muskulatur anzuwenden. Ausserdem empfiehlt sich die Verabreichung von kleinen Dosen Aether, Kampfer, Alkohol, Salmiakgeist, Ammonium carbonicum, Atropin oder Hyoszin.
Kasuistik. Die Literatur der Equisetumvergiftung bei den Haustieren (Pferd, Rind, Schaf) ist sehr reichhaltig. Allemeier (Berl. Arch. 1890) beobachtete bei 3 Pferden, deren Futter lediglich aus Schachtelhalm (Equisetum hiemale) bestanden hatte, Schwanken, leichtes Umfallen, mühsames Wiederaufrichten, sowie Lähmung des Hinterteils; der Appetit war während der Krankheitsdauer gut. Nach eingeführtem Futterwechsel trat im Verlauf von 2–6 Wochen allmählich Besserung und Heilung ein. — Schmidt (Adams Wochenschr. 1875) fand bei fünf Fohlen nach der Verfütterung von Equisetum auffallende Schreckhaftigkeit, indem sie bei dem geringsten Geräusch zusammenfuhren, ausserdem Taumeln, schwankende Bewegung und Umknicken. Dabei war das Sensorium frei, der Appetit normal, die Respiration regelmässig. 4 Fohlen genasen, 1 starb; bei der Sektion fand man als Haupterscheinung eine Hyperämie des Kleinhirns. — Pelschimofski (Oesterr. Vereinsmonatsschr. 1886) berichtet, dass die Equisetkrankheit unterhalb Bozens an den Ufern der Etsch häufig vorkommt, indem die tiefliegenden Wiesen von Equisetum palustre und arvense bewachsen sind. Dagegen kommt die Krankheit in hochgelegenen Gemeinden nicht vor. In den ersten Tagen der Erkrankung zeigen die Tiere leichte Erregbarkeit und Schreckhaftigkeit, ängstlichen und unsicheren Gang auf den Hinterbeinen, sowie leichtes Schwanken mit der Nachhand. Später zeigt sich eine Zunahme der Unsicherheit[S. 322] im Gehen, stärkeres Schwanken, sowie wechselnder Appetit, worauf eine Lähmung der Nachhand und zuletzt auch Lähmung des Vorderkörpers folgt; die Sensibilität ist während der ganzen Krankheitsdauer erhalten. Der Tod tritt durchschnittlich nach 6–14 Tagen ein. Die Prognose ist im allgemeinen günstig, bei ausgeprägtem Schwanken dagegen ungünstig. — Dominik (Preuss. Mitt. 1858) fand bei einem Pferd, welches während des Lebens Schwäche im Hinterteil, taumelnden, unregelmässigen Gang, Schreckhaftigkeit, Aufregung und Zusammenstürzen bei sonst normalen Funktionen gezeigt hatte, bei der Sektion Ansammlung von Serum in den Rückenmarkshäuten. — Leistikow (Berl. Arch. 1892) sah bei 3 Pferden Erscheinungen der akuten Kreuzlähmung, gesenkte Kopfhaltung, serös-eitrigen Augenausfluss, starke Schwellung der Lider und Konjunktiven, randförmige Trübung der Kornea, schwankenden Gang und starkes Einknicken der Hintergliedmassen. — Rind (B. T. W. 1894) hat in der Danziger Niederung oftmals Equisetumvergiftung und zwar ausschliesslich in den Monaten Januar bis Mai und bei solchen Pferden beobachtet, welche kein Körnerfutter erhielten. Die Erscheinungen bestanden in unsicherem Gang, Muskelschmerzen, Schwäche der Nachhand und Lähmung. — 7 Pferde erkrankten nach der Aufnahme grosser Mengen von Equisetum arvense im Streustroh unter dem Bilde der Kreuzlähmung bei vollständiger freier Psyche und gutem Appetit; eines davon starb an allgemeiner Lähmung. Die leicht erkrankten Pferde erholten sich in 8 Tagen; bei 3 schwerer kranken hielt die lähmungsartige Schwäche mehrere Monate an, 2 davon genasen erst nach 4 Monaten (Pr. Mil.-Vet.-Ber. 1896). — Pruns (B. T. W. 1899) bezweifelt, dass die Taumelkrankheit, welche er im Winter 1899/1900 mehrmals bei Pferden beobachtet hat, durch Equisetum veranlasst wird, da sie wiederholt in Besitzungen aufgetreten ist, deren Ländereien frei von Equisetum sind. — Löfmann (Finische Vet.-Zeit. 1901) sah bei einem Pferde, welches 4 Monate Equisetumheu gefressen hatte, Bewegungen wie bei einem trunkenen Menschen; der Appetit war gut. Nach 4 Tagen trat vollständige Heilung ein. — Zix (Woch. f. Tierheilk. 1905) hält eine bei Militärpferden in Landau aufgetretene Erkrankung, die sich in Schwanken, Taumeln und Lähmung der Hinterhand bei sonst ungestörtem Allgemeinbefinden äusserte, für eine Schachtelhalmvergiftung. — Ludewig und Wünsch (Zeitschr. f. Vet. 1902) halten die im Sommer 1902 bei der 1. Eskadron des 2. Leibhusarenregiments in Danzig aufgetretene Massenerkrankung (sog. „Lendenmarkseuche“) auf Grund des Krankheitsbildes, der Futteruntersuchung und eines Fütterungsversuches für Schachtelhalmvergiftung. Die Krankheitserscheinungen bestanden hauptsächlich in Lähmung der Hinterhand, des Schweifes, der Blase und des Penis bei gutem Appetit, freiem Bewusstsein und Fieberlosigkeit. Von seiten des Proviantamts wurde gegen die Diagnose Schachtelhalmvergiftung geltend gemacht, dass das beschuldigte, aus der Danziger Niederung stammende Heu nur 0,04 Prozent Schachtelhalm enthielt, während bei anderen Truppenteilen Heu mit einem Schachtelhalmgehalt bis zu 0,3 Proz. ohne jeden Schaden verfüttert wurde, dass das fragliche Heu ferner seit Monaten an sämtliche Pferde der Danziger Garnison ohne Nachteil verabreicht wurde (nur die 1. Eskadron des 2. Leibhusarenregiments erkrankte), und dass die Krankheit noch fortdauerte, trotzdem seit einigen Wochen ganz schachtelhalmfreies Heu verfüttert wurde. — Lohmann (Arb. d. Deutschen Landw.-Ges. 1905; Fortschr. d. Vet.-Hyg. 1903) glaubt, dass nicht die Akonitsäure, sondern alkaloidartige Nerven- und Muskelgifte die Schachtelhalmvergiftung veranlassen („Equisetin“). Er fand solche jedoch in grösserer Menge nur in Equisetum palustre. 600 g der frischen oder 150 g der lufttrockenen Pflanze genügten, um ein junges Kaninchen innerhalb einer Woche unter krampfartigen Erscheinungen verenden zu lassen. Von Equisetum silvaticum waren über 3 kg frisches Kraut nötig, um Kaninchen zu töten. Als ungiftig erwiesen sich auch bei monatelanger, fast ausschliesslicher Fütterung Equisetum arvense, pratense, maximum und limosum. — Reinecke (Monatshefte f. prakt. Tierheilkde. 1903) hat Versuche mit Akonitsäure an Pferden angestellt und bewiesen, dass diese ganz indifferente Säure nicht das Schachtelhalmgift sein kann; Pferde ertrugen pro Tag 30 g, in 5 Tagen sogar 95 g Akonitsäure, ohne Krankheitserscheinungen zu zeigen. — Pancerzynski (Beitr. z. Kenntnis des Equis. pal. und limosum. Dorpat 1890) fand bei seinen Versuchen, dass Equisetum palustre[S. 323] auf Wiederkäuer in hohem Grade giftig wirkte, während es von Pferden ohne Schaden aufgenommen wurde. Das umgekehrte Verhältnis besteht bei Equisetum limosum. Die entgegengesetzten Angaben der Literatur sollen auf einer Verwechslung der beiden Arten beruhen (?). — Der Preuss. Vet.-Ber. pro 1906 enthält einen Fall von Schachtelhalmvergiftung bei 3 Pferden (Schreckhaftigkeit, unsicherer und taumelnder Gang; Heilung 3 Wochen nach Futterwechsel). — Richter (B.T.W. 1907) beschreibt 2 Fälle von Schachtelhalmvergiftung beim Pferd; auffallend war der grosse gleichzeitige Gehalt des Futters an Riedgräsern (Karex), die vielleicht durch Reizung der Darmschleimhaut zur Vergiftung prädisponieren.
Botanisches. Der Buchweizen, Polygonum Fagopyrum (Fagopyrum esculentum, Heidekorn, Heidegrütze) ist eine ursprünglich aus dem Orient stammende einjährige, krautartige Polygonazee mit endständiger, doldentraubiger Blüte und glänzenden, grauen, oft braun marmorierten, scharfkantigen, 5–6 mm grossen Früchten. Der Buchweizen ist eine häufig kultivierte Futterpflanze (Polygonum Persicaria wird seltener angebaut), welche unter gewissen Umständen Vergiftungen bei Schafen und Schweinen, seltener bei Ziegen, Rindern und Pferden bedingt, und zwar sowohl im grünen, namentlich im blühenden Zustand, als auch in Form des Strohs, der Stoppeln, des Spreus, Kaffs und der Körner. Als Ursachen der Giftwirkung wurden Befallungspilze angenommen. Nach Koefeld soll der Buchweizen einen roten Stoff, das Fluorophyll enthalten, der die Ursache des Hautausschlags sein soll („biologischer Sensibilator“). Nach Oemke lässt sich der Giftstoff durch Alkohol ausziehen (vergl. unten). Vergiftungen ereigneten sich insbesondere bei gleichzeitiger Einwirkung des Sonnenlichts und bei weissen oder weissscheckigen Tieren während des Weidegangs, viel seltener bei Stallfütterung und bei bewölktem Himmel; schwarze oder schwarz angestrichene Tiere erkrankten nicht. In den letzten 20 Jahren sind Vergiftungen durch Buchweizen nur selten vorgekommen, vielleicht deshalb, weil die Körner nur noch ausnahmsweise an Tiere verfüttert, sondern meist zu Gries und Grütze verarbeitet werden. (Genaueres über das Vorkommen des Fagopyrismus findet sich in der Speziellen Pathol. und Therapie von Friedberger und mir, 1908, 7. Aufl.).
Krankheitsbild. Der giftige Buchweizen enthält einen scharf-narkotischen Stoff, welcher auf Haut und Schleimhäute eine entzündungserregende, innerlich auf das Zentralnervensystem eine krampferregende und betäubende Wirkung ausübt. Die Vergiftungserscheinungen bestehen hauptsächlich in einer Hautentzündung am Kopf, sowie an den weissen Körperstellen. Die Haut ist höher gerötet und geschwollen, gleichzeitig besteht starker Juckreiz. In höheren Graden zeigt die Haut die Erscheinungen einer vesikulären, bullösen, phlegmonösen und selbst gangräneszierenden Dermatitis (Kopfrose, Blatterrose der Schafe). Aehnliche Erscheinungen treten auch an den Kopfschleimhäuten auf (Konjunktivitis, Laryngitis, Stomatitis,[S. 324] Bronchitis). Wahrscheinlich handelt es sich bei der Entzündung der Haut und Schleimhäute um die Ausscheidung eines scharfen Stoffes aus dem Blute (toxisches Exanthem). Dabei zeigen die Tiere oft starke Aufregung und Unruhe, zuweilen sogar tobsuchtartige Zufälle.
In vielen Fällen beschränkt sich die Vergiftung auf die beschriebene Hautaffektion; sog. Buchweizenausschlag, Fagopyrismus. In anderen Fällen beobachtet man auch zerebrale Erregungs- und Lähmungserscheinungen, welche sich in Krämpfen, Drehbewegungen, Betäubung, Schwindel und psychischer Benommenheit äussern. Diese letzteren Symptome können zusammen mit der Entzündung der Haut oder für sich allein auftreten. Vereinzelt kommen ferner gastroenteritische Zufälle, sowie Erscheinungen der Blasenreizung (Zystitis, Strangurie) zur Beobachtung.
Behandlung. Prophylaktisch empfiehlt sich Stallfütterung und Vermeidung des Weidegangs im Sonnenschein. Kranke Tiere bleiben ebenfalls im Stall und werden äusserlich mit entzündungswidrigen Mitteln (Bleiwasser), innerlich mit Abführmitteln behandelt.
Kasuistik. Nach Klein (Berl. Arch. 1890) traten bei einer Schafherde nach dem Beweiden eines schlecht entwickelten Buchweizenfeldes Rötung und schmerzhafte Schwellung der Gesichts- und Kopfhaut, pustulöse Ekzeme der Lippen, starkes Juckgefühl, Entzündung der Konjunktivalschleimhaut, hochgradige Gehirndepression, Taumeln, Zuckungen und Zusammenbrechen auf; nach drei Stunden hatte sich bei den Tieren die Fresslust wieder eingestellt, und nach Ablauf von 5 Tagen waren alle wieder hergestellt. — Richter (Preuss. Mitt. 1871) beobachtete bei Schweinen, welche mit grossen Mengen von Buchweizen gefüttert wurden, unterdrückte Futteraufnahme, trockenen Kot, Harnzwang, Fieber, Atmungsbeschwerden und Krämpfe; bei der Sektion der gefallenen Tiere fand man Entzündung der Magendarmschleimhaut, heftige Entzündung des Blasenhalses, vereinzelt selbst Blasenrupturen, endlich starke Lungen- und Gehirnhyperämie. — Rabe u. a. (Preuss. Mitt. Bd. 16 und N. F. Bd. 17) konstatierten bei Pferden und Schweinen epileptiforme Anfälle und Schwindelerscheinungen ohne entzündliche Veränderungen der Haut. — Popow (Petersburger Arch. f. Veterinärmedizin 1888) sah junge weisse Schweine nach der Verfütterung von Buchweizenkleie erkranken. Die schwarzen, bunten und roten Schweine blieben dagegen gesund. Die Vergiftungen ereigneten sich nur im Frühling und Sommer an warmen, sonnigen Tagen. Die Krankheitserscheinungen bestanden in beschleunigtem Atmen, Unruhe, Schreien, Schäumen, Drehbewegungen, andauernden krankhaften Zuckungen der Extremitäten und Lippen, Umfallen, Gefühllosigkeit. Nach den Anfällen zeigten die Tiere grosse Mattigkeit und schwankenden Gang, erholten sich aber bis zum nächsten Tage. — Koschel (Berl. Arch. 1892), beobachtete bei Schweinen nach der Fütterung mit Schalen der Heidegrütze Lähmung des Hinterteils und Tod. — Oemke (Z. f. Physiol. 1909) konnte an weissen Mäusen und Meerschweinchen durch Verfütterung von Buchweizen bei Belichtung mit Sonnenschein die gleichen Hautaffektionen usw. hervorrufen, wie sie bei Schafen vorkommen. Die blosse Verfütterung von Buchweizen an weisse[S. 325] Mäuse und weisse Kaninchen genügt, um bei diesen Tieren den Tod unter Lähmungserscheinungen hervorzurufen, wenn sie im diffusen Tageslicht gehalten werden. Der Kern und die Schale sind gleich giftig. Durch Alkohol extrahierter Buchweizen war ungiftig. Dagegen wirkte der aus dem alkoholischen Extrakt durch Abdampfen gewonnene Rückstand bei belichteten weissen Mäusen nach Einverleibung in den Magen tödlich.
Maisvergiftung. Beim Menschen verläuft die unter dem Namen Maidismus oder Pellagra (Lombardei) bekannte Maisvergiftung chronisch unter den Erscheinungen des Ekzems (Dermatitis), der Gastroenteritis, sowie von Delirien, Tobsucht, Blödsinn und spinaler Lähmung. Die Ursachen sind nicht bekannt (Aspergillose? Bacillus maidis? Pellagrocein?). Nach Ceni und Besta (Zentralbl. f. allg. Pathol. 1902) soll es sich um eine Schimmelpilzvergiftung (Aspergillosis), speziell um Toxine von Aspergillus fumigatus und flavescens handeln. Der Maidismus des Menschen hat Aehnlichkeit mit dem Fagopyrismus der Tiere (vergl. S. 323). Die tierärztliche Literatur enthält ferner einen dem Maidismus des Menschen analogen Vergiftungsfall bei Rindern. Nach der ausschliesslichen und reichlichen Verfütterung von Maisschlempe trat bei 12 Kühen und 13 Kälbern eine der Schlempemauke ähnliche, aber heftiger verlaufende Krankheit auf, welche den Eindruck einer dem Pellagra des Menschen verwandten Intoxikation machte. Die Tiere lahmten, zeigten starke Anschwellungen der Klauen-, Fessel- und Sprunggelenke, starke Rötung der Haut und der sichtbaren Schleimhäute, Dyspnoe, sowie stieren Blick; hochträchtige Kühe abortierten und gingen sehr schnell zugrunde; die ausgetragenen Kälber starben nach 2–3 Tagen. Die Sektion ergab multiple Arthritis und jauchige Metritis. Auch ein Pferd erkrankte unter ähnlichen Erscheinungen; dasselbe zeigte ausserdem Anschwellungen am Kopf, Hals und an den Seitenbrustwandungen.
Botanisches. Melampyrum pratense, silvaticum, nemorosum und commutatum (Wachtelweizen, Kuhweizen) sind Futterarten aus der Familie der Skrophulariazeen, welche für gewöhnlich ohne Schaden verfüttert werden. Melampyrum pratense ist ein 1jähriges Kraut mit gegenständigen Blättern, kegelförmigen Blütenähren, purpurnen Blüten mit röhrigglockigem Kelch, sowie sehr harten, glatten, Weizenkörnern ähnlichen Samen. Aehnlich wirkt Rhinanthus (Alectorolophus), der sog. Klappertopf. Die Samen der genannten Melampyrumarten enthalten das scharf narkotisch wirkende Glykosid Rhinanthin, welches auch in anderen Skrophulariazeen enthalten sein soll.
Wirkung. Die Vergiftungserscheinungen bestehen in Darmentzündung und Lähmung. Da das Rhinanthin in den übrigen Teilen der Pflanze nicht vorkommt, sind nur die Samen giftig, während die Pflanze selbst ohne Schaden verfüttert werden kann. Eine Vergiftung durch Wachtelweizen (Samen von Melampyrum silvaticum) ist von Czako (Ungarischer Veterinärbericht 1886/87) bei einem Schafbock beobachtet worden; durch die Sektion wurde Hyperämie der Darmschleimhaut, des Gehirns und der Gehirnhäute[S. 326] konstatiert. Angestellte Fütterungsversuche mit den Samen an Kaninchen ergaben als wichtigste Vergiftungserscheinungen Schläfrigkeit und hochgradige Abstumpfung; bei der Sektion wurde ebenfalls Hyperämie des Darmes und Gehirns vorgefunden. Mesnard (Recueil 1894) sah bei einer Stute, die mit dem Hafer viel Wachtelweizen erhielt, Kolik, Schwäche im Hinterteil, Abgeschlagenheit, Herzklopfen, schwachen, kaum fühlbaren Puls, Schwindel, blutigen Harn und schnellen Tod; bei der Sektion wurden Darmentzündung, sowie Hyperämie und Hämorrhagien im Gehirn festgestellt.
Allgemeines. Die als Futtersurrogat eingeführten amerikanischen Baumwollsaatkuchen (Gossypium herbaceum, Malvazee) bedingen zuweilen, namentlich bei jüngeren Tieren charakteristische Vergiftungserscheinungen. Auf diese Vergiftung ist zum erstenmal im Jahre 1863 in England aufmerksam gemacht worden. Später haben Gautier, Gips, Esser, Bongartz, Tietze u. a. die Krankheit genauer untersucht und beschrieben. Die Ursache der Vergiftung ist mit Sicherheit noch nicht festgestellt, sie scheint aber in einem scharf wirkenden chemischen Körper gesucht werden zu müssen, welcher nach Cornevin im Samenkern, nach andern in der braunen Samenschale enthalten ist. Die vollständigen abgeschälten Baumwollsamen sollen nach den in Aegypten gemachten Beobachtungen ungiftig sein, desgleichen das Baumwollsamenöl. Nach Peddi soll das Toxin der Baumwollsamen mit dem Muskarin verwandt sein. In der Anwesenheit von Befallungspilzen (Schimmelpilzen) oder Spaltpilzen ist die Ursache der Vergiftung wahrscheinlich nicht zu suchen. Erfahrungsgemäss wirken Saatkuchen von bestem Aussehen und ohne besonderen Geruch giftig.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Krankheitserscheinungen sind im wesentlichen die einer hämorrhagischen Gastroenteritis und Nephritis. Die Tiere — meistens erkranken jüngere Tiere, Kälber und Lämmer — zeigen Verdauungsstörungen, Tympanitis, Verstopfung, Durchfall, blutigen Kot, sowie die Symptome der Nieren- und Blasenreizung: Hämaturie, Harndrang, Albuminurie und Blasenlähmung. Ausserdem findet man Muskelschwäche, Schwanken, Schlafsucht, Lähmungserscheinungen und Abortus. In Amerika hat man ferner schwere, oft zu Erblindung führende Augenerkrankungen (Hornhautgeschwüre infolge von Trigeminuslähmung) bei Rindern beobachtet. Vereinzelt ist auch über das Auftreten von Ikterus berichtet worden. Der Krankheitsverlauf ist zuweilen sehr akut, indem der Tod schon nach wenigen Stunden eintreten kann. Meist[S. 327] beträgt jedoch die Krankheitsdauer einige Tage. Bei fortgesetzter Verfütterung kleinerer Mengen der giftigen Saatkuchen entsteht das Bild einer chronischen, mehrere Wochen andauernden Vergiftung, welche sich in Durchfällen, Abmagerung, zunehmender Mattigkeit, Kachexie, Hydrämie und Auftreten von Katarrhen im Respirationsapparat äussert. Die Sektion ergibt bei akutem Verlaufe der Krankheit das Vorhandensein einer hämorrhagischen Gastritis, Enteritis und Nephritis neben Schwellung der Leber und Flüssigkeitsansammlung in den Körperhöhlen. Bei chronischem Verlauf findet man allgemeine Abmagerung, wassersüchtige Zustände (Hydrothorax, Aszites, Anasarka), sowie parenchymatöse Nephritis.
Behandlung. Neben dem Aussetzen der Fütterung mit Baumwollsamenkuchen empfiehlt sich die Verabreichung von abführenden und einhüllenden Mitteln, namentlich von Rizinusöl (Kälbern und Schafen 50–100,0, Lämmern 10–25,0) in Verbindung mit Leinsamenschleim als Emulsion. Den blutigen Durchfall behandelt man mit Tannin oder Opium, die Nieren- und Blasenentzündung mit Kali chloricum, die Schwäche und Lähmungserscheinungen mit Exzitantien.
Kasuistik. Eine ausführliche Beschreibung der Vergiftung hat zuerst Gautier (Deutsche Zeitschrift für Tiermedizin 1886) geliefert, welcher mehrere Massenerkrankungen bei Kälbern beobachtete und auch Fütterungsversuche anstellte. Zwei 10 Wochen alte Kälber erhielten täglich je ein Pfund guten, unverdorbenen Baumwollsamenkuchen. Am 7. Tag traten die ersten Krankheitserscheinungen auf, am 11. Tag zeigte sich Durchfall, am 16. Tag Blutharnen. Das eine Kalb starb am 28. Tag, das andere Kalb zeigte nach dem mehrtägigen Aussetzen der Fütterung Besserung, bei der jedesmaligen Wiederaufnahme derselben jedoch wieder von neuem Durchfall, Hämaturie, Hämoglobinurie, Albuminurie, Taumeln, Mattigkeit. — Gips (Berliner Archiv 1886) beobachtete eine tödliche Erkrankung bei 3 Bullen, welche täglich ⅓ Pfund Baumwollsamenkuchen erhielten. Bei der Sektion fand man die Darmschleimhaut geschwollen, den Darminhalt blutig, in der Bauchhöhle eine braun gefärbte Flüssigkeit, die Leber und Nieren stark vergrössert und erweicht, in der Harnblase blutigen Urin, in der Brusthöhle und im Herzbeutel blutige Flüssigkeit, in den Bronchien blutigen Schaum, das Myokardium wie gekocht, unter dem Epikardium und Endokardium Hämorrhagien. — Esser (ibidem) sah 300 Lämmer, welche täglich je 250 g Baumwollsamenmehl als Beifutter erhielten, nach wenigen Tagen unter den Erscheinungen von Tympanitis und blutigen Durchfällen erkranken und nach 2 bis 3tägiger Krankheitsdauer zu einem Drittel sterben. Bei der Sektion fand man eine akute Gastroenteritis. — Schwanefeldt beobachtete bei Lämmern als Hauptsymptom der Erkrankung allgemeinen Ikterus. — Bongartz (Berliner Archiv 1888) konstatierte bei Schafen als wesentlichste Krankheitserscheinung nach der Verfütterung von Baumwollsaatmehl die Ausbildung eines akuten Nierenleidens (Harnbeschwerden, schmerzhaftes Drängen, Blasenlähmung, unfreiwilligen Harnabgang). Bei der Sektion fand er die Nieren um mehr als die Hälfte vergrössert, die Nierenkapsel von stecknadelkopf- bis erbsengrossen Blutungen durchsetzt, in einem Falle ausserdem ein gänseeigrosses Blutkoagulum in der Umgebung der Nierenkapsel, die Marksubstanz graugelb verfärbt, die geraden Harnkanälchen, die Schleimhaut des Nierenbeckens, der Harnleiter und der Harnblase geschwollen[S. 328] und die letztere stellenweise fleckig und streifig gerötet. Der Harn enthielt Spuren von Eiweiss. — Tietze (Hamburg. Mitt. 1893) fand bei mehreren 9 bis 12 Monate alten Rindern nach der täglichen Verfütterung von 3 Litern Baumwollsaatmehl allgemeine Abgeschlagenheit, Muskelschwäche, Appetitmangel, unterdrücktes Wiederkauen sowie Harndrang; bei der Sektion waren ausser Veränderungen an den Nieren im wesentlichen nur Stauungserscheinungen nachzuweisen. — Meyers (Journ. of comp. 1890) beobachtete bei einer grossen Anzahl Mastochsen Niedergeschlagenheit, Speicheln, unterdrückte Futteraufnahme, blutigen Kot, Schwindelanfälle, Zusammenstürzen, Zittern; die Dauer betrug 2–3 Tage. — Peters (Berl. Arch. 1892) sah bei einem Rind Versagen des Futters, Apathie, blutigen Durchfall, Bewusstlosigkeit, Tränen, starke Pupillenerweiterung, schleimigen Nasenausfluss sowie Tod am 3. Tag; bei der Sektion fand man eine starke Entzündung des Labmagens und Darmes. — Ostermann (ibid. 1894) beobachtete bei Rindern völligen Appetitmangel, unsicheren, schwankenden Gang, Schlummersucht sowie hochgradige, an die Gebärparese erinnernde Schwäche. Die Tiere lagen mit herumgeschlagenem Kopfe am Boden und konnten sich nicht erheben. Der Tod erfolgte nach 2–3 Tagen. — Fischer (D. T. W. 1895) sah bei Jungvieh nach der täglichen Verfütterung von 1–1½ Pfund Baumwollsaatmehl Unruhe, Atemnot, Erstickungsanfälle sowie Hämoglobinurie (Hämaturie?). Die Sektion ergab Nierenentzündung, Blasenentzündung sowie Lungenödem. — Prietsch (Sächs. Jahresber. 1896) sah bei trächtigen Kühen oft Abortus eintreten. Auch von den Frauen sollen die Samen als Abortivum in Sachsen benützt werden. — Aubry (Recueil 1897) beobachtete bei 2 Jungrindern nach der täglichen Verabreichung von 4½ Kilo Samenkuchen grosse Atemnot und Abgeschlagenheit, sowie bei der Sektion Pneumonie, Dünndarmentzündung und Peritonitis. — Delmer (ibid.) fand bei 10 Kälbern 1 Monat nach dem Beginn der Oelkuchenfütterung Traurigkeit und Stöhnen als einzige Vergiftungserscheinungen; die Krankheit dauerte nur 24–48 Stunden; bei der Sektion zeigten die Nieren die auffallendsten Veränderungen (schwärzliche Farbe). — Nach Peddy (The Vet. 1898) erkrankten in einer Milchwirtschaft nach Verfütterung grosser Mengen von Kuchen aus nicht enthülsten Baumwollsamen 20 Kühe. Die Symptome waren Schüttelfrost, beständiges Rülpsen, stierer Blick sowie konstante Lähmung; 5 Kühe gingen ein oder mussten geschlachtet werden. Die Sektion ergab Gastroenteritis, Nierenhyperämie und Ekchymosen am Herzen. — Nach Ziegenbein (Berl. Arch. 1898) erkrankten 15 Rinder unter den Symptomen einer Magendarmentzündung und einer starken Verstopfung des 3. Magens. — Curdy (Journ. of comp. 1895) beschreibt eine nach übermässiger Verfütterung von Baumwollsaatkuchen bei Rindern auftretende, mit schweren Depressionserscheinungen einhergehende Krankheit, welche stets mit einer schweren, oft zur Erblindung führenden Augenkrankheit kompliziert ist. Letztere besteht in Geschwüren, Abszessen und Staphylombildung der Hornhaut, wahrscheinlich infolge einer Trigeminuslähmung. Nach Curdy ist diese Wirkung des Baumwollsamens auf die Augen den amerikanischen Farmern wohl bekannt. — Eder (Woch. f. Tierh. 1902, S. 232) sah 5 Kälber nach reichlicher Fütterung mit Baumwollsaatmehl unter Erscheinungen der Dyspnoe und Hinfälligkeit erkranken und nach 12–24 Stunden sterben. Bei der Sektion konnte nur leichte, fettige Degeneration der Leber nachgewiesen werden. — Ijmker (Holl. Zeitschr. 1902) sah sämtliches Jungvieh eines Rinderbestandes nach der Verfütterung von Baumwollsaatmehl in Trankform erkranken. Die Krankheitserscheinungen bestanden in starker Muskelschwäche, Schwanken, Blutharnen und Lungenödem. — Rust (Preuss. Mitt. 1905) sah bei mehreren Zugochsen, die täglich je 1 kg Baumwollsaatmehl erhielten, ödematöse Schwellungen der Extremitäten, Schwanken der Hinterhand, Gleichgewichtsstörungen, sowie in 4 Fällen (unter 15) Erblindung mit abnormer Erweiterung der Pupille und starkem Hervortreten des Bulbus.
Vergiftung durch Sesamkuchenmehl. Deyerling (D. T. W. 1900) beobachtete bei etwa 100 Ochsen nach der Verfütterung von Sesamkuchenmehl Aufblähung, Husten und grosse Atemnot; ausserdem bestanden Eingenommenheit, Zittern und leichte Kolikerscheinungen.
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Botanisches. Das Mutterkorn, Secale cornutum, ist das Dauermyzel (Sklerotium) von Claviceps purpurea, eines Kernpilzes (Familie der Pyrenomyzeten). Der Pilz parasitiert am häufigsten auf dem Roggen, kommt aber auch zuweilen auf Hafer, Weizen, Gerste und auf Gramineen vor (Elymus virginicus, Agrostis vulgaris, Poa, Phleum, Anthoxanthum, Glyceria u. a.). Das Mutterkorn bildet walzenförmige, gerundet dreikantige, oft gebogene, 2–4 cm lange und bis ½ cm dicke, schwarzviolette, innen weisse Körper, welche schwach bläulich bereift und an beiden Enden verschmälert sind. Sie besitzen im frischen Zustande eine derbfleischige, im getrockneten eine hornartige Konsistenz. Die Entwicklung des Pilzes ist folgende. Die Sporen von Claviceps purpurea verwandeln, wenn sie zufällig auf junge Roggenblüten etc. gelangt sind, den Fruchtknoten dieser Blüten in ein Pilzlager (Sphacelia segetum), welches aus dicht verflochtenen Hyphen besteht und an seiner Oberfläche Sporen (Konidien) abschnürende Zellen besitzt, welche ausserdem eine schleimige, süssliche Flüssigkeit, den sog. Honigtau, absondern, durch welchen die Sporen unter Vermittlung von Insekten auf andere Roggenähren übertragen werden. Aus dem Pilzlager entwickelt sich dann allmählich das walzenförmige Dauermyzel, das eigentliche Mutterkorn, welches die Aufgabe hat, den Pilz zu überwintern. Aus diesem Mutterkorn entwickeln sich im darauffolgenden Frühjahr schlankgestielte Keime mit runden, violettroten Köpfchen (Perithecien), aus welchen sich zahllose Sporen bilden, welche durch den Wind auf die Roggenblüten fortgetragen werden, worauf die Entwicklung wie anfangs geschildert vor sich geht.
Bezüglich der Literatur der Mutterkornvergiftung ist namentlich das ausführliche Werk von Heusinger, Studien über den Ergotismus, Marburg 1856, hervorzuheben.
Wirksame Bestandteile des Mutterkorns. Nach Kobert sind im Mutterkorn drei giftige Stoffe enthalten.
1. Das Kornutin oder Sekakornin ist ein Alkaloid und der Träger der spezifischen Wirkung des Mutterkorns auf den Uterus. Das Kornutin bewirkt infolge Reizung des im Lendenmark gelegenen Uteruszentrums Uteruskontraktionen bei trächtigen und nichtträchtigen Tieren. Bei nichtträchtigen Tieren tritt eine deutliche Verstärkung der rhythmischen Uteruskontraktionen schon nach der subkutanen Injektion von ½ mg Cornutinum hydrochloricum pro kg Körpergewicht ein. Trächtige Tiere reagieren auf Kornutin im Beginne der Schwangerschaft nicht, in der Mitte nur nach sehr grossen Dosen, dagegen bewirken am Ende der Trächtigkeit die kleinsten Dosen eine Austreibung des Fötus. Die weiteren Wirkungen des Kornutins bestehen in der Erregung des Krampfzentrums mit tonisch-klonischen allgemeinen Muskelkrämpfen, in einer veratrinähnlichen Einwirkung auf die Muskelfasern mit Muskelsteifheit, in einer Erregung des Vaguszentrums mit Pulsverlangsamung[S. 330] und nachheriger Vaguslähmung, in Erregung des vasomotorischen Zentrums mit starker Blutdrucksteigerung und Gefässverengerung, und bei grossen Dosen in einer Lähmung des Atmungszentrums.
2. Die Sphazelinsäure wirkt gangränerzeugend (Sphazelus = kalter Brand) infolge einer hyalinen Degeneration und Thrombose der peripheren Arterienäste. Sie ist die eigentliche Ursache der Mutterkornvergiftung. Nach experimentellen Versuchen erzeugt sie bei Schweinen und Hähnen Gangrän, insbesondere an der Zungenspitze, am Kamm, Kehllappen, am Gaumen, Kehldeckel, an den Flügeln, auf der Haut, sowie auf der Darmschleimhaut (Geschwüre und Nekrose); in sehr kleinen Dosen längere Zeit verabreicht führt sie zu ähnlichen Veränderungen auch im Rückenmarke mit Ataxie. In sehr grossen Dosen erzeugt sie strychninartige Krämpfe und Uterus-Tetanus.
3. Die Ergotinsäure, ein stickstoffhaltiges, leicht zersetzliches Glykosid, ohne Wirkung auf den Uterus. Dasselbe ist lediglich ein Narkotikum, welches die Reflexerregbarkeit vermindert und zuletzt aufhebt.
Sphazelotoxin. Nach Jakoby und Freund ist, im Gegensatz zu den Angaben von Kobert, im Mutterkorn nur ein giftiger Körper enthalten, nämlich das Sphazelotoxin. Das im freien Zustande leicht zersetzliche Sphazelotoxin soll im Mutterkorn an Sekalin bezw. Chrysin gebunden als Sekalintoxin und Chrysotoxin enthalten sein. In diesen Verbindungen soll es sowohl heftige Uteruskontraktionen bewirken, als auch Gangrän erzeugen. Nach Vahlen enthält das Mutterkorn das Klavin.
Krankheitsbild. Die Mutterkornvergiftung bietet nach Erscheinungen, Verlauf und Grad der Intensität sehr verschiedenartige Krankheitsbilder, welche teils durch die Tiergattung, teils durch die stärkere oder schwächere Giftigkeit des Mutterkorns, teils durch die aufgenommene Menge bedingt sind. Am empfindlichsten scheinen Rinder und Geflügel zu sein. Pferde zeigten nach experimentellen Untersuchungen auf ½ kg Mutterkorn nur eine vorübergehende Erkrankung. Ein Schwein starb angeblich erst, nachdem binnen 2 Monaten 11 kg Mutterkorn verfüttert worden waren (Tessier). Hühner und Tauben starben auf 5–15 g, Enten auf 60 g Mutterkorn. Beim Menschen unterscheidet man je nach dem Verlauf eine akute und eine chronische Mutterkornvergiftung, ferner je nach den Krankheitserscheinungen einen gangränösen und spasmodischen Ergotismus. Die einzelnen Krankheitserscheinungen bei den Haustieren sind folgende:
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1. Gastroenteritische Erscheinungen. Nach amerikanischen Berichten (Salmon, Law) hatte der im Jahre 1884 in verschiedenen Staaten Nordamerikas unter den Rindern epizootisch auftretende Ergotismus eine grosse Aehnlichkeit mit dem Krankheitsbilde der Aphthenseuche (Maulseuche) und Rinderpest. Die wichtigsten diesbezüglichen Erscheinungen, welche auch sonst bei sporadischen Fällen von Mutterkornvergiftung beobachtet werden, sind starkes Speicheln, umschriebene Rötung, Blasenbildung, Entzündung, Erosion und Gangräneszierung der Maulschleimhaut, ebensolche Veränderungen auf der Schleimhaut des Mastdarms und der Scheide, ausserdem Erbrechen (bei Schweinen), Kolik und Durchfall.
2. Gangräneszierung und Mumifikation extremitaler Teile. Bei dem in Nordamerika seuchenartig auftretenden Ergotismus gesellten sich zu den geschwürigen Prozessen der Digestionsschleimhaut Erscheinungen, welche eine grosse Aehnlichkeit mit Klauenseuche hatten, so dass die Vergiftung längere Zeit für eine Invasion der Maul- und Klauenseuche (Aphthenseuche) gehalten wurde. Die Erscheinungen des „Ergotismus gangraenosus“, wie diese Form der Mutterkornvergiftung bezeichnet wird, kommen ausser beim Rind auch beim Schwein und Geflügel vor und bilden eine besonders charakteristische Affektion. Man beobachtet nämlich bei längerer Dauer der Vergiftung ein Absterben (Mumifikation) der extremitalen Körperteile, namentlich der Klauen, Phalangal-, Metatarsal- und Metakarpalenden, der Ohren, des Schwanzes, der Zitzen, beim Geflügel des Kammes, Kehllappens, der Krallen, Zehen, Flügel, der Zungenspitze, des Kehldeckels etc. Die ersten Krankheitserscheinungen bestehen hiebei in Lahmgehen auf einem oder mehreren Beinen, sowie im Unvermögen der Tiere aufzustehen. Bei der Untersuchung der Klauen findet man Rötung und schmerzhafte Schwellung der Haut an der Krone, am Fessel, am Schienbein, allmähliches Absterben umschriebener Hautstücke, Austrocknung und Mumifikation der abgestorbenen Teile, Einschnürung an der Begrenzungsstelle gegen das gesunde Gewebe und endlich Ablösung der mumifizierten Gewebe: einer Klaue, des Fessels, des unteren Teiles der Hinterbeine bis zur Mitte des Schienbeins, der Ohren, der äusseren Hälfte des Schwanzes.
3. Erscheinungen von seiten des Uterus. Sie bestehen in Wehen, schmerzhaftem Drängen, Abortus und Frühgeburt,[S. 332] Uterus- und selbst Mastdarmvorfall. Bei ausgedehnter Verbreitung der Vergiftung kann der Abortus enzootisch und selbst epizootisch auftreten. Zuweilen ist der Abortus auch mit Metritis kompliziert; ausserdem entwickelt sich im Anschluss an denselben häufig bleibende Sterilität.
4. Nervöse Störungen. Dieselben bestehen in Eingenommenheit des Sensoriums, Schlafsucht, Gefühllosigkeit, Lähmungserscheinungen (Mutterkorntabes, Polyneuritis toxica), Pupillenerweiterung, Erblindung (Katarakt), sowie in Krampf der Beugemuskeln (Ergotismus spasmodicus oder convulsivus) mit Muskelatrophie.
Die Krankheitsdauer erstreckt sich gewöhnlich über Wochen und Monate. Die Mortalitätsziffer ist trotz der schweren Krankheitserscheinungen niedrig.
Behandlung. Zunächst muss mit der Verfütterung des mutterkornhaltigen Getreides, Heus, Brotes ausgesetzt werden. Als chemisches Gegengift gegen die im Mutterkorn enthaltenen Gifte kann das Tannin versucht werden. Ausserdem empfiehlt sich die Anwendung gefässerweiternder und krampfstillender Mittel (Amylnitrit, Morphium, Chloralhydrat). Die gastroenteritischen Erscheinungen werden symptomatisch, die abgestorbenen extremitalen Teile nach den Regeln der Chirurgie (Amputation) behandelt.
Nachweis. Der Nachweis des Mutterkorns im Getreide und Heu ist botanisch leicht zu führen, wenn dasselbe in ausgebildeter Form darin enthalten ist. Zerkleinertes Mutterkorn kann auf verschiedene Weise nachgewiesen werden. Mikroskopisch ist das Gewebe des Mutterkorns charakterisiert durch die langgestreckten, mit violettem Farbstoff gefüllten Zellen der Bindeschicht. Diese Farbstoffe können auch spektroskopisch durch Extraktion mit schwefelsäurehaltigem Aether und das Auftreten zweier Absorptionsstreifen in Grün und Blau festgestellt werden. Endlich entwickelt sich beim Erwärmen mutterkornhaltiger Futterstoffe mit Kalilauge ein Geruch nach Heringslake (Trimethylamin).
Kasuistik. Salmon (Amerikanischer Veterinärbericht 1884) berichtet über eine Mutterkorn-Epizootie, welche im Jahre 1884 in verschiedenen Staaten Nordamerikas (Kansas, Missouri, Illinois, Jova, Colorado) unter dem Rindviehbestande grosse Verheerungen angerichtet hatte und anfänglich für Maul- und Klauenseuche gehalten worden war. Die Aufnahme des Mutterkorns erfolgte durch das Heu, welches teils aus Elymus virginicus var. submuticus, teils aus Agrostis vulgaris bestand, und wobei die genannten beiden Pflanzen stark mit Mutterkorn besetzt[S. 333] waren, so dass 75 Gewichtsteile des Heues 1 Teil Mutterkorn enthielten. Das Krankheitsbild hatte bald mehr Aehnlichkeit mit Maulseuche, bald mehr mit Klauenseuche. Die Veränderungen in der Maulhöhle bestanden in Speicheln, Schnalzen, diffuser Rötung, dunkelroten Flecken, 1 cm grossen dunkelfarbigen Erosionen, sowie umschriebener Nekrose der Maulschleimhaut. Auch die Schleimhaut des Mastdarms und der Scheide zeigten sich höher gerötet, gefleckt und mit Erosionen besetzt. An den Klauen war Rötung, Schwellung und Schmerzhaftigkeit der Haut zu konstatieren, wobei die Tiere von vornherein lahmten. Später starben umschriebene Hautstücke, einzelne Klauen, sowie zuweilen die Fussenden an sämtlichen Extremitäten bis zum Fessel und selbst bis zur Mitte des Schienbeins brandig ab, worauf sich die abgestorbenen Teile meist in der Nähe eines Gelenks unter Bildung einer ringförmigen Einschnürung abstiessen. Auch die Ohren und die Schwanzspitze zeigten Mumifikation. Ausserdem wurde epizootischer Abortus beobachtet. — Law (Americ. vet. rev. 1884) beschreibt dieselbe Mutterkorn-Epizootie in Kansas. Es erkrankten fast nur Rinder, während Pferde, Schafe und Schweine fast ausnahmslos gesund blieben. Die Krankheit wurde anfangs wegen des gleichzeitigen Auftretens von Blasen im Maul und von Lahmheit für Aphthenseuche gehalten und hatte ausserdem eine gewisse Aehnlichkeit mit der Rinderpest. Die erkrankten Tiere zeigten starkes Speicheln und unterdrückte Futteraufnahme. Auf der Maulschleimhaut zeigten sich rinderpestartige Erosionen. Daneben bestand Verstopfung, Tympanitis und profuse Diarrhöe. Später beobachtete man auch nervöse Störungen: Schwindel, unsteten Blick, schwankenden Gang, Pupillenerweiterung, Mattigkeit, Schlafsucht, abwechselnd mit Aufregung und Hyperästhesie; einige Tiere starben auch unter diesen Erscheinungen innerhalb 1–2 Tage. Weiterhin wurde vielfach Abortus beobachtet. Die schwersten Veränderungen zeigten sich an den Fussenden. Die Tiere lahmten zunächst; ausserdem war Rötung und schmerzhafte Schwellung der Haut im Klauenspalt, an der Krone und am Fessel bis hinauf zur Mitte des Schienbeins wahrzunehmen. Die geschwollenen Teile zeigten später die Erscheinung des Absterbens: Eintrocknen, Rissigwerden, Unempfindlichkeit, livide Verfärbung, demarkierende Eiterung und Nekrose und wurden bis zum Fesselgelenk brandig abgestossen. Dieselben Veränderungen zeigten sich an den Schwänzen, Ohren und Zitzen. — Kowalewski (Russ. Archiv für Veterinärmedizin 1884) sah bei 20 Rindern gangränösen Ergotismus nach der Verfütterung von Roggen, welcher ⅕ Mutterkorn enthielt. In den ersten 4 Wochen zeigten die Tiere Lahmheit und Entzündung der unteren Fussenden; im Verlaufe weiterer 4 Wochen trat Absterben der Fussenden und Schweifspitzen ein. Die lokalen Veränderungen bestanden in schmerzhafter, heisser Schwellung der Kronenhaut, weisslicher Verfärbung derselben, Eitersekretion und Schorfbildung; im Anschluss hieran zeigte sich Nekrose der Haut, Sehnen, Bänder und Knochen bis zum Krongelenk mit Abfallen dieser Teile. Ausser starker Abmagerung waren Appetit und Allgemeinbefinden nicht gestört. — Armbruster (Badische Mitteil. 1877) beobachtete bei 6 Mutterschweinen und einem Zuchteber Erscheinungen der Mutterkornvergiftung. Die Tiere zeigten Erbrechen, Würgen, Zittern, Zuckungen an den Beinen, Schwäche und Lähmung des Hinterteils. Bei einem derselben blieben Schwäche im Hinterteil, Eingenommenheit des Sensoriums und dauernde Erblindung zurück. Ein Schwein starb. — Magnus (Preuss. Mitt. Bd. 16) sah mehrere Kühe nach der Aufnahme von Mutterkorn abortieren. Einige zeigten ferner Wehen und Gebärmuttervorfall. Bei 2 Pferden und 5 Schweinen wurde ausserdem Mastdarmvorfall beobachtet. — Kolb (Preuss. Mitt. N. F. Bd. 1) fand bei einem trächtigen Schwein als Erscheinungen der Mutterkornvergiftung Kolik, Erbrechen, Wehen, Abortus, Gebärmutterentzündung und Schwächezustände. — Decoste (Recueil 1848) sah bei einer Kuh, welche mehrere Wochen hindurch mit mutterkornhaltigem Weizen gefüttert wurde, Mumifikation des linken Vorderbeins bis zur Vorderfusswurzel, sowie Absterben der Klauen und Fussenden; dabei war die Futteraufnahme nicht alteriert. Auch Hühner und Enten zeigten nach 2–3 Wochen Mumifikation der Zehen, des Schnabels und des Kamms. — Goldstein (Berl. tierärztl. Wochenschrift 1894 S. 196) beschreibt 2 Fälle von Mutterkornvergiftung, welche sich bei den Kühen eines Müllers nach der Verfütterung von Abfallkorn zeigten, das stark mit Mutterkorn durchsetzt war. Die Erscheinungen bestanden in Gangrän[S. 334] der Haut an den Hinterbeinen, am Schwanz und am Euter, Lockerung des Hornschuhs, sowie brandigem Absterben des Unterschenkels, der Ohren und des Schwanzes mit Abfallen derselben. Auffallend war das muntere Benehmen der Tiere trotz der schweren Erkrankung, sowie der Umstand, dass eine der kranken Kühe ein lebendes, ausgetragenes Kalb zur Welt brachte. — Reisinger (Veterinarius 1896) sah bei 4 Pferden nach Verfütterung von stark mutterkornhaltigem Roggen heftige Kolik, hohe Pulsfrequenz (80 P.), Muskelzittern und Hufentzündung. — Nach Robin (Recueil 1899) verlor eine mit mutterkornhaltigem Roggen gefütterte Kuh durch brandiges Absterben die Ohren, einen Teil des Flozmauls, über die Hälfte des Schwanzes, sowie die Phalangen vorn rechts und hinten linke; ausserdem trat Durchfall und Abmagerung ein.
Experimentelles. Grünfeld (Beiträge zur Kenntnis der Mutterkornvergiftung, Arbeiten des pharmakologischen Institutes zu Dorpat 1892, Bd. 8, und Zur Kenntnis der Sphalezinsäurewirkung, Arbeiten des pharmakologischen Institutes zu Dorpat 1895, Bd. 12) hat die Wirkung des Mutterkornes bei Hähnen und Ferkeln untersucht. Die häufigste Erscheinung bei Hähnen bestand zuerst in Dunkelviolett-, dann in Schwarzwerden des Kammes und der Bartlappen. Sobald die Giftdarreichung fortdauerte, blieben die Kammspitzen schwarz und trockneten ein (Gangrän). Bei der Erkrankung des Kammes und der Bartlappen fanden sich Thromben, mit hyalinen Massen gefüllt, sowie hyaline Degeneration der Gefässwand. Die Zungenspitze zeigte öfters den gleichen Befund. Später stellten sich Appetitlosigkeit und grosser Schwächezustand ein; Erbrechen und Speichelfluss gingen dem Tode voran. Die Obduktion bot das Bild eines hochgradigen follikulären Katarrhes der Schleimhaut des Schlundes, Kropfes und Mageneinganges; der Kropf selbst wies zahlreiche charakteristische nekrotische Geschwüre auf. In der Darmschleimhaut liessen sich Blutextravasate in Menge erkennen; die Lebergefässe waren verbreitert, stark gefüllt und mit eigenartigen, als Amyloid anzusprechenden Klumpen gefüllt. Bei Ferkeln war eine anfangs dunkelbraune, dann schwarze Verfärbung der Ohrmuscheln zu beobachten; dieselben trockneten ein und liessen sich ohne Blutung abziehen oder fielen von selbst ab. Das mikroskopische Bild im ersten Stadium der Mutterkornvergiftung bei Hähnen lässt starke Dilatation und Füllung der Gefässe erkennen, die mit einer dunkelbraunen Masse gefüllt sind. Das Lumen der Gefässe ist mit Thromben angefüllt. Im zweiten Stadium ist die Dilatation und Füllung der Gefässe bis fast in die kleinsten kapillären Verzweigungen zu konstatieren. Das dritte Stadium des Mutterkornbrandes lässt schon mit blossem Auge in peripherer Richtung drei Zonen erkennen. Die eine (Basis des Kammes) hat eine schwach violette Farbe; die nächste zeigt mehr gelbbraune Nuance; die letzte (Spitze des Kammes) ist dunkelviolett und selbst schwarz gefärbt. Unter dem Mikroskop erweist sich diese als vollkommen abgestorbene Partie. Der mittlere Teil bildet eine hyalin degenerierte Masse, in welcher nur selten mehr gut erhaltene Zellen und Blutkörperchen zu sehen sind. In der Basis des Kammes begegnet man spärlich hyalinen Massen; sie weist stellenweise noch normale Struktur auf. Die hinterste mumifizierte Partie des Kammes stellt das vierte oder Endstadium des Mutterkornbrandes dar; vom epithelialen Ueberzug ist so gut wie nichts mehr vorhanden. Im papillären Gewebe sind an vielen Stellen frei im Bindegewebe hyaline Klumpen zu erkennen. Vom Inhalt und der Wandung der einzelnen Kapillaren ist nichts mehr zu erkennen. — Albrecht (Münchener Jahresber. 1894/95) stellte durch Versuche bei kleinen trächtigen Wiederkäuern fest, dass nach Mutterkorngaben, welche das Doppelte der therapeutischen Dosis betragen, besondere Wirkungen nicht eintreten. Auf das 4–5fache der therapeutischen Dosis erkrankten die Versuchstiere nur vorübergehend (Auftreibung, Versagen des Futters, Traurigkeit, Muskelzittern). Abortus trat nicht ein.
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Botanisches. Die Schimmelpilze (Mukorineen) geben dadurch, dass sie auf den verschiedenartigsten Futterpflanzen parasitieren, sehr häufig Veranlassung zu Vergiftungen bei den Haustieren. Die einzelnen pathogenen Arten sind folgende:
1. Mucor, der Blasenschimmel, mit den Unterarten Mucor Mucedo (gemeiner Kopfschimmel), Mucor racemosus, Mucor stolonifer und Mucor Phycomyces.
2. Aspergillus, der Kolbenschimmel, mit der Vergiftungen erzeugenden Unterart Aspergillus glaucus; (A. fumigatus, niger und flavus sind nur insofern pathogen, als sie sich zuweilen im Innern des Tierkörpers, z. B. in der Lunge, ansiedeln; sog. Pneumomykosis).
3. Penicillium glaucum, der Pinselschimmel, ein sehr verbreiteter, namentlich auf Brot parasitierender Schimmelpilz.
4. Oidium lactis, der Milcheischimmel, als schimmelartiger Anflug auf saurer Milch vorkommend.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Vergiftungen durch Schimmelpilze kommen am häufigsten bei Pferden, ausserdem bei Rindern und Schafen vor. Sie ereignen sich durch die Aufnahme verschimmelter Futterstoffe: Hafer (sog. multeriger Hafer), Stroh, Heu, Häcksel, Kleeheu, Brot, Mehl, Lupinen, Rapskuchen, Leinkuchen und sonstige Oelkuchen, Rüben, Schlempe, Obst, Kürbisse. Während erfahrungsgemäss verschimmelte Futterstoffe von vielen Tieren längere Zeit ohne Schaden aufgenommen werden können und in Uebereinstimmung mit dieser Erfahrung Fütterungsversuche mit verschimmelten Futterstoffen unter Umständen negativ ausfallen, bedingen bei anderen Tieren Schimmelpilze oft eine schwere, unter den Erscheinungen der Gastroenteritis oder einer charakteristischen Affektion der Nervenzentren verlaufende Vergiftung. Die genaueren Vorgänge bei der Giftwirkung der Schimmelpilze sind nicht bekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Toxin von scharf narkotischer Wirkung, welches von den Schimmelpilzen auf den genannten Futterstoffen erzeugt wird. Leber hat in Kulturen von Aspergillus fumigatus und Penicillium glaucum ähnliche entzündungserregende Toxine nachgewiesen, wie das von ihm in den Kulturen der Eiterbakterien (Staphylokokken und Streptokokken) gefundene Phlogosin. Je nach der Menge und Beschaffenheit dieses Toxins, je nach dem Zustand der Magen- und Darmschleimhaut (gesund und krank), sowie je nach der individuellen Prädisposition (Immunität!) sind die Erscheinungen der Schimmelpilzvergiftung verschieden. Eine physikalische Einwirkung der Schimmelpilze[S. 336] auf den Körper (Einwanderung von Pilzen in die Blutbahn) ist nicht anzunehmen.
Die wichtigsten Krankheitserscheinungen des polymorphen, ungleichartigen Vergiftungsbildes sind in vielen Fällen folgende: Appetitlosigkeit, Kolik, Tympanitis, Verstopfung, Durchfall, blutiger, schleimiger, oft sehr übelriechender Kot; ausserdem wurden Speicheln, Schlingbeschwerden, Aufstossen und Erbrechen (bei Pferden), sowie ikterische Erscheinungen beobachtet. In anderen Fällen beobachtet man, namentlich bei Pferden, nach der Verfütterung von schimmligem multrigem Hafer eine hochgradige und anhaltende Polyurie (sog. Lauterstall); auch Erscheinungen der Nephritis und Zystitis sind konstatiert worden. Nicht selten äussern sich ferner die Schimmelpilzvergiftungen in Schwindel, Schwanken, Taumeln, Betäubung, dummkollerartigem Benehmen, Gefühllosigkeit, Apathie, Lähmung der Gliedmassen, des Hinterteils, der Zunge, Blase, der Ohren, der Retina (Amaurosis), Umfallen, sowie allgemeiner Körperlähmung. Zuweilen werden jedoch auch zerebrale Erregungserscheinungen beobachtet: Vorwärtsdrängen, Brüllen, Bohren in die Wand, Zittern, Konvulsionen und selbst epileptiforme Krampfanfälle. Ausserdem findet man starken Schweissausbruch, unfühlbaren, sehr frequenten Puls, starke Injektion und rotbraune Verfärbung der Konjunktiva, sowie rasch zunehmende Abmagerung. Diese Verschiedenartigkeit des Krankheitsbildes lässt sich vielleicht in der Weise erklären, dass die Schimmelpilze je nach den wechselnden äusseren Verhältnissen (Temperatur, Nährboden, Alter und Entwicklungsstadium des Pilzes) chemisch und physiologisch verschiedenartige giftige Stoffwechselprodukte liefern. Der Verlauf ist oft sehr akut, so dass der Tod schon innerhalb 12–24 Stunden eintritt; in anderen Fällen dauert die Krankheit mehrere Tage. Auch Nachkrankheiten, wie Erblindung, lähmungsartige Schwäche, sowie angeblich auch Dämpfigkeit (Lungenemphysem) können zurückbleiben.
Die Sektion ergibt umschriebene oder ausgebreitete Schwellung, Entzündung, Ekchymosierung und Erosion der Magendarmschleimhaut, Ansammlung von Serum in den Hirnventrikeln und im Arachnoidealsack, Hyperämie und ödematöse Durchtränkung des Gehirns und Rückenmarks, blutige Flüssigkeit in der Bauchhöhle, sowie zuweilen die Erscheinungen der Nephritis, Zystitis, Peritonitis und akuten gelben Leberatrophie. In anderen Fällen ist der Sektionsbefund negativ.
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Behandlung. Die Therapie der Schimmelpilzvergiftung besteht neben dem Aussetzen der betreffenden Fütterung in der Verabreichung von Abführmitteln. Wegen seiner gleichzeitig desinfizierenden Wirkung gibt man bei Pferden besonders Kalomel. Ausserdem empfiehlt sich die Verabreichung gärungswidriger Arzneimittel (Kreolin). Als chemisches Antidot kann Tannin, Tannoform und Jod (Lugolsche Lösung) versucht werden. Im übrigen ist die Behandlung eine symptomatische; die Erscheinungen der Magendarmentzündung werden mit einhüllenden und beruhigenden Mitteln (Leinsamenschleim mit Opium), die zerebralen Lähmungserscheinungen mit Exzitantien behandelt (Kampfer, Aether, kohlensaures Ammonium, Veratrin).
Kasuistik. Die Zahl der in der tierärztlichen Literatur verzeichneten Fälle von Schimmelpilzvergiftungen ist ausserordentlich gross. Es mögen nur die nachstehenden klinischen Beobachtungen kurz hier zusammengestellt sein. Zwei Pferde wurden 8 Tage lang täglich mit je 6 Pfund schimmligem Brot gefüttert, welches einen bitteren, etwas scharfen Nachgeschmack hatte. Nach Ablauf der Woche zeigten sie Appetitlosigkeit, Kolik, starkes Zittern der Vordergliedmassen, taumelnden Gang, Pupillenerweiterung, rotbraune Verfärbung der Konjunktiva, unfühlbaren Puls und Kälte der extremitalen Teile. Bei der Sektion wurde starker Meteorismus, sowie Ansammlung einer grossen Menge blutiger Flüssigkeit in der Bauchhöhle vorgefunden. Die Blinddarmschleimhaut war stellenweise entzündet. Nach Eröffnung der Schädelhöhle fand sich starke Vaskularisation der Pia, die Gehirnsubstanz zeigte auf dem Durchschnitte zahlreiche schwarze Punkte, das Rückenmark war erweicht (Abadie, Recueil 1882). — 2 Pferde hatten je 1 Pfund verschimmeltes, schwarz und orangefarben angelaufenes Brot gefressen. Zuerst traten Kolikanfälle auf, die 3–4 Minuten anhielten und sich alle ½ Stunde wiederholten. Dabei wälzten sich die Tiere nicht, sondern bogen sich beim Gehen mit dem Hinterteil nieder. Die Kolikanfälle dauerten die ganze Nacht. Gegen Morgen schwankten die Tiere mit dem Hinterteil hin und her und stützten den Kopf gegen die Wand, schliesslich konnten sie nicht mehr stehen, sie zeigten Schwindel und fielen erschöpft nieder. Der Puls war dabei klein und sehr frequent, es trat Schweissausbruch ein, die Konjunktiva zeigte Petechien. Am Boden lagen die Tiere etwa ½ Stunde wie tot, ohne Gefühl. Dann erhoben sie sich plötzlich, drängten gegen die Wand, gerieten wieder in Schweiss und zeigten denselben Anfall wie vorher. Unter Nachlassen der Anfälle erholten sich die Tiere allmählich. Es bestand aber noch mehrere Tage starke Schwäche im Hinterteil, welche vollständig erst nach Wochen verschwand (Perrin, Recueil de méd. vét. 1881, S. 184). — Pferde zeigten nach der Verabreichung von schimmligem Hafer Appetitlosigkeit, Kolik, Polyurie, Abmagerung, sowie nach einem Monat schwarzen Star mit bleibender Erblindung (Hugues, Annal. de Bruxelles 1874). — Hühnerbein (Preuss. Mitteil. 1877) beobachtete bei Pferden und Rindern nach der Verfütterung von schimmligem Kleeheu Speicheln, Stomatitis und Abmagerung. — Bonnet (Repertorium 1875) sah bei 22 Artilleriepferden nach der Aufnahme von schimmligem Heu heftige Kolik, Magendarmentzündung, Nephritis, Zystitis, sowie vereinzelt die Erscheinungen des Dummkollers; 3 Pferde starben. — Morro (Berliner Archiv 1890) beobachtete bei Pferden, welche mit grossen Mengen schimmligen Brotes gefüttert wurden, hohes Fieber, starke Gehirndepression, Kolik, blutigen mit Schleim überzogenen Kot, unterdrückte Futteraufnahme, Aufstossen und Erbrechen. Ein Pferd vermochte sich kaum von der Stelle zu bewegen und ging wie ein verschlagenes Pferd. Der Tod erfolgte nach 18stündiger Krankheitsdauer. — Strittmaker (Bad. Mitteil. 1888) sah bei 3 dreijährigen Fohlen nach der Aufnahme von schimmligem Mehl Kolik,[S. 338] Durchfall und unfühlbaren Puls; am 4. Tage waren die Tiere wieder genesen. — Kammerer (Bad. Mitt. 1871) berichtet über einen Fall von Vergiftung durch schimmliges Kleeheu bei 7 Kühen, welche nach 3–6 Tagen starben. Sie zeigten unterdrückte Futteraufnahme, Schäumen, starke Rötung der Konjunktiva, zerebrale Erregungserscheinungen (Bohren mit den Hörnern in die Wand), Betäubung, Umfallen, epileptiforme Krämpfe und Konvulsionen. — Leistikow (Preuss. Mitt. 1882) sah 9 Rinder nach der Verfütterung von schimmligen Rapskuchen unter den Erscheinungen von heftiger Kolik, Tympanitis, Verstopfung, Durchfall, Benommenheit und angestrengter Atmung erkranken; 4 starben, bei der Sektion zeigte sich die Schleimhaut des Magens und Darmes entzündet. — Jakobi (Preuss. Mitteil. 1879) sah 52 Mutterschafe nach dem Genusse von schimmligem Heu unter ikterischen Erscheinungen sterben; die Sektion ergab akute gelbe Leberatrophie. — Köppke (Preuss. Mitteil. 1880) fand bei 11 Rindern nach dem Genusse von schimmligem Buchweizenstroh Aufblähung, Steifheit der Bewegung, sowie dünnflüssigen, schleimigen, blutigen Kot. — Weigel (Sächs. Jahresber. 1880) sah bei 2 Kühen nach der Aufnahme von schimmligem Kürbis vermehrte Kaubewegung, Kolik, Tympanitis, Brüllen, Zittern und Steifheit im Kreuze. — Van Vallendael (Belg. Annal. 1888) berichtet über eine Vergiftung von 5 Kühen durch verschimmeltes Malz. Sie zeigten vollständige Appetitlosigkeit, Tympanitis, Verstopfung und später Durchfall, Kolik, Zittern, Schwäche in der Nachhand, schwankenden Gang und beschleunigtes Atmen. Nach der Verabreichung von Glaubersalz trat nach 5 Tagen Genesung ein. — Esser (Berl. Arch. 1889) sah bei Rindern nach der Verfütterung schimmliger Erdnusskuchen Tympanitis und heftigen Durchfall. — Pikernig (Vet. journ. Bd. 27) sah eine Kuh nach der Aufnahme von schimmligem Heu anhaltend erbrechen. — Nach Koch (Repertorium 1889) erkrankte ein Pferd nach der Aufnahme von 4 Pfund schimmligem Brot an Verstopfung und leichter Kolik, worauf Lähmung der Nachhand mit sehr beschleunigtem (90 P.) und fast unfühlbarem Puls hinzutrat. Die Sektion ergab Gastroenteritis. — Rinder zeigten nach der Verfütterung von schimmligem Kleeheu Aufblähen, Kolik und Durchfall (Uebele, ibid.). — Schimmliger Hafer verursachte bei einem Pferd allgemeine Schwäche, schwankenden Gang, Ikterus, sowie gastrische Störungen (Repiquet, J. de Lyon 1890). — Verschimmeltes Brot hatte bei einem Pferd starke Benommenheit, Leibschmerzen, Aufstossen, Erbrechen, Lähmungserscheinungen, sowie den Tod nach 18 Stunden zur Folge (Berl. Arch. 1890). — Nach der Verfütterung schimmliger Leinkuchen zeigte ein Rind grosse Apathie, starkes Speicheln, Schlingbeschwerden, und bei der Sektion die Erscheinungen der Gastroenteritis (Winter, ibid.). — 7 Stück Jungvieh erkrankten nach der Fütterung schimmliger Malzkeime unter Lähmungserscheinungen; die Tiere machten fortgesetzt vergebliche Versuche zum Aufstehen (Martin, Woch. f. Tierhlkde. 1890). — 5 Brauerpferde, welche mit schimmeligem Hafer (Penicillium glaucum) gefüttert wurden, zeigten, nachdem sie am Abend vorher noch regelrecht ihr Futter verzehrt hatten, am darauffolgenden Morgen die Erscheinungen einer schweren Muskelschwäche und Hinfälligkeit, so dass sie nicht imstande waren, sich zu erheben, sondern gelähmt am Boden lagen. Zu dieser allgemeinen Muskellähmung gesellten sich später gegen das tödliche Ende hin Symptome von Herz- und Lungenlähmung. Die Krankheitsdauer betrug durchschnittlich nicht mehr als 24 Stunden. Merkwürdigerweise war während der ganzen Krankheitsdauer die Futter- und Wasseraufnahme nicht gestört, auch liess sich bei keinem Pferde eine fieberhafte Steigerung der Körpertemperatur nachweisen. Bei der Sektion waren ausser einer Verfärbung des Blutes und der Muskulatur krankhafte Veränderungen der inneren Organe nicht zu konstatieren; es zeigten sich speziell Magen und Darm, Lunge, Leber, Milz und Nieren in durchaus normalem Zustande (Fröhner, Monatshefte für praktische Tierhlkde. IV. Bd. 1892). — 4 Rinder zeigten nach der Aufnahme verschimmelter Rüben vollständige Körperlähmung, konnten sich nicht vom Boden erheben, knirschten mit den Zähnen und zeigten gänzlich unterdrückte Wanstbewegung; die Sektion ergab ein vollkommen negatives Resultat (Marquard, Bad. tierärztl. Mitt. 1892). — 9 Pferde erkrankten nach der Fütterung schimmligen Kleeheus unter dummkollerartigen Erscheinungen, Dyspnoe und starkem Schweissausbruch; eines derselben verendete nach 10 Stunden an perakuter Gastroenteritis (Herbst, Woch. f. Tierhlkde. 1893). — Mulotte (Deutsche tierärztl.[S. 339] Wochenschr. 1893) beobachtete bei 10 Pferden vorübergehend das Auftreten von Kehlkopfpfeifen nach der Verfütterung von stickig riechendem Kleeheu. — Berger (ibid.) sah 2 Pferde nach der Verfütterung stark schimmligen Brotes (3 Kilo) unter starkem Zittern, Dyspnoe, unsicherem Gang, Tympanitis und Kolik erkranken. Ein besonders hochgradig krankes Pferd war vollständig teilnahmslos und zeigte auffallend starkes Herzklopfen. — Zippel (Zeitschr. f. Vetkde. 1894) machte Fütterungsversuche bei Hunden, Kaninchen, Ziegen und einem Pferde mit verschimmeltem Brot, Kartoffeln und Kleie, sowie mit Schimmelkulturen. 2 Kaninchen gingen unter Lähmungserscheinungen ein. Die übrigen Versuche fielen negativ aus. — Nach Thary und Lucet (Recueil 1895) hatte Aspergillus fumigatus bei jungen Pferden eine influenzaähnliche Erkrankung zur Folge. — 3 Pferde erkrankten plötzlich unter Schweissausbruch, starker Pupillenerweiterung, zunehmender Schwäche und schliesslich Lähmung der Nachhand; die Sektion war durchaus negativ (Lothes, Berl. Arch. 1896). — 3 Schweine, welche verschimmelte Malzkeime gefressen hatten, konnten sich am nächsten Morgen schwer erheben, taumelten beim Gehen, stöhnten und stürzten hin. Ein ebenfalls erkrankter Eber zeigte sich matt, frass nicht und taumelte stark beim Gehen (Uhlich, Sächs. Jahresber. 1897). — Truthühner erkrankten nach der Aufnahme von schimmligem Buchweizen (Aspergillus fumigatus) seuchenhaft; sie zeigten Traurigkeit, Somnolenz, Schwäche, Diarrhöe, Abmagerung, sowie Kachexie. Die Sektion ergab eine Peritonitis aspergillosa in Form von Flecken, Knötchen und Kapseln auf dem Bauchfell, welche reichlich Aspergillussporen enthielten (Lignières und Petit, Recueil 1898). — 4 Schweine erkrankten nach der Fütterung mit schimmligem Mehl unter Erscheinungen von Tympanitis und Traurigsein (Römer, D. T. W. 1899). — Sickert (Berl. Archiv 1898) sah bei Zugochsen nach der Verfütterung verschimmelten Kraftfutters Verdauungsstörungen, Kolik, Diarrhöe, Blutharnen und grosse Hinfälligkeit. — Arndt (ibid. 1899) beobachtete nach der Fütterung sehr stark verschimmelter Hanfkuchen bei 12 Pferden Beschwerden beim Kauen und Schlucken, Schlinglähmung, Zungenlähmung, Schwäche und Lähmung im Hinterteil, sowie Tod nach 10–24 Stunden; die Obduktion lieferte einen vollkommenen negativen Befund. — Eggeling (Berl. Arch. 1900) sah in 3 Dörfern mit 8 Gehöften zahlreiche Kühe nach der Verfütterung verschimmelter Malzkeime erkranken. Die Tiere zeigten psychische Erregungserscheinungen, Muskelzittern, klonische Krämpfe, Salivation, Appetitlosigkeit und schnelle Abmagerung; später kamen Lähmungserscheinungen, Unvermögen zu stehen und heftige Krämpfe mit Opisthotonus hinzu. Bei mehreren Kühen trat der Tod nach 3–5tägiger Krankheitsdauer ein. — Kovácz (Veterinarius 1900) beobachtete bei 26 Ochsen nach der Verfütterung von schimmligem Wickenstroh hochgradige Schwäche, Durchfall, Gelbfärbung der Schleimhäute, sowie hohes Fieber; nach der Verabreichung von je 20 g Kreolin erholten sich, mit Ausnahme von 2 Ochsen, sämtliche Tiere nach 3–4 Tagen. — Im Kreise Herford wurden nach der Verfütterung schimmliger Hafergarben allgemeine Lähmungserscheinungen mit tödlichem Ausgang, im Kreise Hameln nach der Verfütterung von schimmligem Heu bei Pferden Bronchitis und später Dämpfigkeit beobachtet (Preuss. Vet.-Ber. 1900). — Nach der Verfütterung von schimmligem, in Ziegelsteingruben aufbewahrtem Getreide zeigten mehrere Kühe (nicht alle!) grosse Abgeschlagenheit, angestrengte Atmung, Verstopfung und Durchfall, schleimig-eitrigen Nasenausfluss und Gehirnerscheinungen (Drängen mit dem Kopf gegen die Wand); nach etwa 5 Tagen trat der Tod ein. Die Sektion ergab fleckige Entzündung der Magen- und Darmschleimhaut, Tracheitis und Bronchitis, Lungenemphysem sowie Gehirnhyperämie (Mayo, Am. vet. rev. 1901). — Nach der Verfütterung von schimmligem Haferstroh verendeten 4 Rinder, nachdem übelriechender Durchfall, Lähmung des Schlundkopfes, Schwäche der Nachhand sowie allgemeines Sopor vorausgegangen waren (Bild der Gebärparese); die Sektion ergab zahlreiche Hämorrhagien und geschwürige Substanzverluste auf der Magendarmschleimhaut, blutigen Darminhalt, Fettdegeneration der Leber, sowie Schwellung der Lymphdrüsen (Wiedenmayr, Woch. f. Tierh. 1901). — 72 Schafe erkrankten nach Fütterung mit schimmliger Kleie, 61 starben an Gastroenteritis, sie zeigten Depressionserscheinungen, Drängen nach vorne und Lähmung. 4 Kühe starben gleichfalls an Gastroenteritis; sie zeigten Schlinglähmung, Schlummersucht und allgemeine Lähmung (Hesse, Hoppe,[S. 340] Preuss. Veter.-Bericht 1904). — Nach der Fütterung von 2 kg schimmligem Schwarzbrot (Mucor Mucedo) zeigte eine Stute Kolik, Dyspnoe, Verstopfung, hohes Fieber, sowie dummkollerartige Erscheinungen; erst nach 4 Wochen konnte durch entsprechende Behandlung (Laxantien) Heilung erzielt werden (Motz, Bad. Mitt. 1905). — 2 Pferde starben innerhalb 24 Stunden nach der Fütterung von schimmligem Häcksel unter Kolikerscheinungen, angestrengter Atmung, Verstopfung und Durchfall, Schlafsucht und allgemeiner Lähmung; die Sektion ergab Darm- und Bauchfellentzündung, Leberschwellung und lackfarbiges Blut (Kränzle, Woch. f. Tierh. 1908). Weitere Fälle von Vergiftung durch Schimmelpilze finden sich im Preuss. Vet.-Ber. pro 1907. — Nach Sturli (Wien. klin. Woch. 1908) erzeugt der alkoholische Extrakt von Penicillium glaucum bei Kaninchen Krämpfe.
Botanisches. Die Brandpilze (Ustilagineen) wirken in folgenden Gattungen giftig:
I. Tilletia Caries, der Steinbrand, Schmierbrand oder Stinkbrand des Weizens und Dinkels. Die Sporen besitzen eine kugelige Form, blassbraune Farbe, sowie eine netzartige Oberflächenzeichnung. Die damit befallenen Weizen- und Dinkelähren produzieren leichte, kurze, gedunsene Körner mit graubrauner, dünner Schale und schmierigem oder pulverigem, nach Heringslake riechendem Inhalt (Sporen).
II. Ustilago. von toxikologischer Bedeutung sind: 1. Ustilago Carbo, der Staubbrand, Flugbrand, Russbrand des Weizens, Hafers, der Gerste und der Wiesengräser, welcher in Form einer schwarzen, geruchlosen, pulverigen Staubmasse die Aehren und Gräser befällt. Seine Sporen sind ebenfalls kugelrund und braun, besitzen aber im Gegensatz zu den Sporen von Tilletia Caries eine glatte Oberfläche und geringere Grösse (halb so gross). 2. Ustilago maïdis, der Maisbrand oder Beulenbrand, welcher streifen- oder beulenförmige Auftreibungen von anfangs weisser, später schwarzgrauer Farbe an den Stengeln, Blättern und Blüten des Maises hervorruft, deren Inhalt eine schwarze, schmierige oder pulverige Masse bildet. Die Sporen sind braun, kugelig, halb so gross wie Tilletia Caries und besitzen eine schwach stachelige Oberfläche. 3. Ustilago longissima, befällt Glyceria (Poa) aquatica (Süssgras, Wasserschwaden) und bildet hellbraune, mit braungrünem Pulver gefüllte Streifen. Die Sporen sind unregelmässig rund, blassbraun, glatt und etwa nur ¼ so gross wie die von Tilletia Caries. 4. Ustilago echinata kommt auf Phalaris arundinacea (Schilf) vor. Auch auf dem Schilfgras (Phragmites communis, Phalaris arundinacea) siedeln sich Brandpilze an.
Krankheitsbild. Von den oben genannten Brandpilzen ist weitaus am giftigsten und gefährlichsten der Schmier- oder Stinkbrand des Weizens und Dinkels, Tilletia Caries. Vergiftungen sind namentlich bei Rindern, aber auch bei Schafen und Pferden (Müllerpferden) sowie Schweinen nach dem Verfüttern der brandigen Dinkelspreu beobachtet worden. In Bayern wurden Vergiftungen namentlich unter dem Vieh der Abdecker beobachtet (sog. Wasenmeisterkrankheit). Auch bei den Brandpilzen hat man, ähnlich wie[S. 341] bei den Schimmelpilzen, vielfach die Erfahrung gemacht, dass sie von den Haustieren längere Zeit ohne Schaden aufgenommen werden können. In Uebereinstimmung damit sind Fütterungsversuche bei gesunden Tieren (vergl. unten) teils negativ ausgefallen, teils haben sie eine relativ geringe Wirkung ergeben. Diese Beobachtungen berechtigen jedoch nicht zu der allgemeinen Schlussfolgerung, dass die Brandpilze wenig oder gar nicht giftig sind. Vielmehr ist die Giftigkeit der Brandpilze ähnlich wie die der Schimmelpilze offenbar nach den äusseren und inneren Umständen sehr verschieden (Entwicklungsformen der Pilze, Menge, Nährboden; Beschaffenheit der Magen- und Darmschleimhaut, individuelle Disposition, Immunität). Wie bei den Schimmelpilzen handelt es sich nicht um ein physikalisches Eindringen der Sporen ins Blut, sondern um die Bildung eines Toxins. Dieses Toxin der Brandpilze äussert neben einer reizenden Wirkung auf die Schleimhäute vor allem eine lähmende Wirkung auf das Schlingzentrum und das Rückenmark. Die Krankheitserscheinungen sind folgende. Die Tiere zeigen infolge Lähmung des Schlundkopfes und Schlundes sowie der Zunge Speichelfluss und anhaltende Kaubewegungen. Ausserdem beobachtet man bei meist völlig freier Psyche Schwäche und Schwanken beim Gehen, Taumeln, Umfallen und vollständige motorische und sensible Lähmung, wobei die Tiere hilflos am Boden liegen. In anderen Fällen treten die Erscheinungen einer entzündlichen Reizung der Schleimhäute in den Vordergrund. Die Tiere zeigen dann Verstopfung, Durchfall, Drängen auf den Kot und Harn, Scheidenausfluss, Schwellung der Augenlider, Tränenfluss, erschwerte Atmung sowie die Erscheinungen eines Katarrhes der oberen Luftwege. Endlich kann bei trächtigen Tieren Abortus eintreten.
Sektionsbefund. Die Sektion bietet in manchen Fällen einen durchaus negativen oder nur wenig charakteristischen Befund. In anderen Fällen findet man, insbesonders beim Rind, entzündliche Veränderungen der Magendarmschleimhaut. Namentlich die Labmagenschleimhaut ist zuweilen gerötet, entzündlich geschwollen und mit Erosionen und hämorrhagischen Herden bedeckt. Im Dünndarm findet man häufig eine strichartige, russige Verfärbung der Schleimhaut (sog. Aalhaut). In der Bauchhöhle hat man ferner in einzelnen Fällen eine Ansammlung blutiger Flüssigkeit angetroffen. Endlich hat man zuweilen Rötung und[S. 342] Entzündung der Maulschleimhaut, Rachenschleimhaut, Nasen-, Kehlkopf-, Bronchial-, Tracheal- und Scheidenschleimhaut beobachtet, wodurch der Krankheitsbefund eine gewisse Aehnlichkeit mit Rinderpest bot. — Die Behandlung der Brandpilzvergiftung ist dieselbe wie bei der Schimmelpilzvergiftung.
Kasuistik. Albrecht (Landwirtschaftliches Zentralblatt für den Netzedistrikt 1868) beobachtete bei 8 Rindern nach der Verfütterung brandiger Spreu eine rinderpestähnliche Erkrankung, deren Haupterscheinungen in anhaltendem Kauen und Speicheln, Kreuzschwäche, allgemeiner Gefühllosigkeit, Tränenfluss, Lidschwellung, angestrengtem Atmen, Durchfall, Drängen auf den Kot und Harn, sowie Sehnenhüpfen der Halsmuskeln bestanden. Im Verlaufe von 3 Tagen starben 3 Rinder. Bei 2 derselben ergab die Sektion wenig charakteristische Erscheinungen, indem nur eine Rötung der Digestionsschleimhaut nachzuweisen war. Im 3. Falle waren dagegen entzündliche Schwellung der Magendarmschleimhaut, Erosionen und Hämorrhagien im Labmagen und Dünndarm sowie strichartige, russige Verfärbung der Darmschleimhaut („Aalhaut“) nachzuweisen. Zwei Pferde erkrankten unter ähnlichen Erscheinungen. Eine ältere Kuh, welcher versuchsweise der aus der Spreu erhaltene schwarze Staub gefüttert wurde, erkrankte am 2. Tag an Kreuzschwäche und zeigte am 3. Tag Schwanken, Umfallen, Eingenommenheit und Speichelfluss. — Adam, Koch und Herele (Adams Wochenschr. 1876–1878) konstatierten ebenfalls bei Rindern und Schafen eine rinderpestartige Erkrankung nach der Aufnahme brandiger Dinkelspreu. Die Erscheinungen bestanden in andauerndem Speichelfluss, Kauen, Verstopfung, Drängen auf den Kot, Tränenfluss, Scheidenausfluss, Lähmung des Schlingapparates, sowie Paralyse des Hinterteils. Der Tod erfolgte nach mehrtägiger Krankheitsdauer. Bei der Sektion fand man Rötung der Magendarmschleimhaut, entzündliche Schwellung, Ekchymosen, Erosionen im Labmagen, im Dünndarm eine sog. Aalhaut, in der Bauchhöhle blutige Flüssigkeit, ausserdem Entzündung der Respirationsschleimhaut, sowie der Schleimhaut der Maulhöhle, der Nasenhöhle und Scheide. — Vogel (Repertor. 1879) beobachtete bei 4 Müllerpferden nach der Verfütterung brandiger Dinkelspreu im wesentlichen nur die Erscheinungen einer allgemeinen Körperlähmung bei freier Psyche; die Tiere lagen gelähmt am Boden, unfähig sich zu erheben. Ausserdem zeigten dieselben Schlinglähmung. Die längste Krankheitsdauer betrug 9 Tage. Bei der Sektion fand man mit Ausnahme der sog. Aalhaut im Dünndarm nichts Charakteristisches. — Berndt (Ad. Woch. 1880) sah bei Schweinen eiterige Bronchitis, entzündliche Rötung der Magenschleimhaut, Erosionen und entzündliche Schwellung der Dünndarmschleimhaut, Nasen-, Kehlkopf- und Trachealschleimhaut. — Gerlach (Gerichtl. Tierheilkunde 1872), Haselbach (Magazin 1860) und Bertsche (Landwirtschaftl. Tierzucht 1885) beobachteten bei mehreren Rindern nach der Verfütterung von Tilletia und Ustilago Maïdis Abortus, welcher auch nach der Verfütterung von Phalaris arundinacea vorkommen soll (Ustilago echinata). — Wankmüller (Ad. Wochenschr. 1884) sah nach Aufnahme von Russbrand Speichelfluss, Zungenlähmung, unterdrückte Peristaltik, Kolik, Durchfall, Mydriasis, vermehrte Tränensekretion, Koma und Tod nach 15–18 Stunden. Die Sektion ergab Entzündung des Schlundes und Kehlkopfes, umschriebene Rötung im Dünn- und Dickdarm sowie seröse Durchfeuchtung des Gehirns. — Köpke (Preuss. Mitteil. 1877) hat nach der Aufnahme von Wasserschwaden (Glyceria = Poa aquatica), welcher mit Ustilago longissima besetzt war, beim Rind plötzliches Aufhören im Fressen, Schlinglähmung, Schwanken, Zusammenstürzen, Unvermögen sich zu erheben, Zähneknirschen und Herzklopfen beobachtet. — Rost (Sächs. Jahresber. 1889) sah innerhalb weniger Tage zahlreiche Kühe erkranken, welche mit befallener (Tilletia Caries) Weizenspreu gefüttert worden waren. Sie zeigten Mattigkeit, Schläfrigkeit, schwere Beweglichkeit oder Unvermögen aufzustehen. — Neidhardt (Woch. f. Tierheilkunde 1890) beobachtete bei Rindern Zittern, Schlingbeschwerden, Geifern, Husten, Schwäche und Lähmung der Nachhand, rapide Abmagerung, anfangs Verstopfung,[S. 343] später Durchfall. Der Tod trat nach 2–7 Tagen ein. — Hohenleitner (ibid.) sah bei seinem eigenen Pferde nach der Verfütterung von brandiger Kleie auffallendes Schwanken der Nachhand. — Eckmeyer (ibid. 1891) sah bei Rindern heftige Kolik, Speichelfluss, Durchfall und Polyurie sowie Abortus. — Nach Voss (Berl. Arch. 1892) erkrankten 5 Pferde nach dem Genuss von brandigem Weizenkaff unter Verdauungsstörungen, Harndrang, Pupillenerweiterung und Schwäche der Nachhand. — Kögl (Woch. f. Tierheilkunde 1897) sah bei 2 Kühen heftigen Speichelfluss mit andauernden Kaubewegungen, Schlinglähmung sowie Lähmung des Hinterteils; der Sektionsbefund war negativ. — Grossmann (Veterinarius 1899) sah 25 Schafe nach dem Fressen von Maisfruchtstielen erkranken, welche reichlich mit Brandsporen von Ustilago maïdis besetzt waren. Sie zeigten grosse Hinfälligkeit; 19 Schafe starben; bei der Sektion fanden sich Erosionen im Magen und Darm. — In verschiedenen Dörfern Sigmaringens erkrankten mehrere Pferde nach dem Verfüttern von Spelzen, die mit Brandpilzen (Tilletia und Ustilago Carbo) befallen waren. Die Pferde zeigten verminderte Fresslust, Schwanken und Taumeln und konnten sich ohne Hilfe nicht erheben. In gerader Richtung gingen sie gut, sobald aber Seitwärtsbewegungen ausgeführt wurden, fielen sie um (Preuss. Veterinärber. 1900). — Nach der Fütterung von brandigem Mais starben angeblich 3 Hirsche sowie zahlreiche Pferde, die letzteren, nachdem Kolik, Verstopfung, blutiger Durchfall, Schweissausbruch, Schwanken und Taumeln vorausgegangen waren; die Sektion ergab das Vorhandensein von Gastroenteritis (Nessl, Tierärztl. Zentralbl. 1907). — Der im Gestüt Beberbeck im Jahr 1907 aufgetretene seuchenartige Abortus ist wahrscheinlich durch Brandpilze veranlasst worden; der Weizen war nämlich in diesem Jahr stark mit Brandpilzen befallen; ausserdem zeigten die Weidegräser viel Rostpilze (Mieckley, Zeitschr. f. Gestütkunde 1908). — Gänse starben nach der Aufnahme von brandiger Kleie an korrosiver Magendarmentzündung (Spitzer, Preuss. Veterinärber. pro 1907).
Fütterungsversuche. Pusch (Deutsche Zeitschr. f. Tiermed. 1893) hält auf Grund von Fütterungsversuchen mit brandigem Weizen (Tilletia Caries) bei Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen im Gegensatz zu den in der Literatur enthaltenen positiven Beobachtungen die Giftigkeit des Stinkbrands nicht für erheblich. Die Versuchstiere ertrugen verhältnismässig sehr grosse Mengen von brandigem Futter ohne wesentliche Nachteile. Nur bei einzelnen Tieren trat Durchfall, bei andern übelriechender Kot sowie Appetitsverstimmung auf. Die subkutane Injektion von Sporenextrakten sowie die Inhalation von Sporen rief keinerlei Krankheitserscheinungen hervor. Dagegen trat bei 6 tragenden Meerschweinchen Verkalben auf. Mäuse, Sperlinge und ein Hahn starben an einer schweren hämorrhagischen Gastroenteritis. Auch Albrecht (Münch. Jahresber. 1894/95) ist auf Grund von Fütterungsversuchen bei trächtigen Ziegen und Schafen zu der Ansicht gekommen, dass selbst viel grössere Mengen von Tilletia Caries, als unter gewöhnlichen Verhältnissen zur Verfütterung kommen, Abortus nicht hervorrufen, überhaupt den Gesundheitszustand in keiner Weise beeinträchtigen. Ein ähnliches negatives Resultat ergaben Fütterungsversuche mit brandigem Weizen (Ustilago maïdis) bei trächtigen Schafen, Ziegen und Hündinnen (Woch. f. Tierh. 1902). Appel und Koske (Versuche über die Wirkung einiger als schädlich verdächtiger Futtermittel. Arb. a. d. Kais. biol. Anstalt für Land- und Forstwirtschaft 1907) stellten Fütterungsversuche mit dem Steinbrand des Weizens (Tilletia tritici) bei Schweinen und beim Geflügel an. Gesunde Schweine erkrankten nicht, auch wenn grosse Mengen von Steinbrandsporen dem Futter beigemengt wurden, ebenfalls nicht Hühner und Tauben. Sie sind der Meinung, dass in den Fällen einer ungünstigen Futterwirkung der Nachweis von Brandsporen nicht als eine genügende Erklärung für die Schädlichkeit eines solchen Futters angesehen werden könne (?).
Botanisches. Von den Rostpilzen (Uredineen) sind nachstehende Gattungen von toxikologischer Bedeutung:
[S. 344]
I. Puccinia und zwar: 1. Puccinia Graminis, der gemeine Gras- oder Getreiderost, erzeugt rostgelbe Flecken an den Blättern des Roggens, Weizens, Hafers, der Gerste, von Triticum repens, Agrostis vulgaris, Lolium perenne. 2. Puccinia Straminis, der Strohrost, bildet schwarze Flecken auf Roggen-, Weizen-, Gerstenstroh, Hordeum murinum. 3. Puccinia coronata, der Kronenrost, schwärzliche Flecken auf Hafer und Alopecurus pratensis bildend. 4. Puccinia arundinacea, auf den Blättern und Halmen des gemeinen Schilfrohrs, Phragmites communis, in Form schwarzer, länglicher Flecken vegetierend.
II. Uromyces, der Leguminosenrost, namentlich auf schwedischem Klee (Trifolium hybridum) in Form kleiner, schwarzer Punkte als Uromyces apiculatus parasitierend.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Vergiftungen durch Rostpilze ereignen sich bei Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen nach der Verfütterung von rostigem Grünfutter, Heu, Stroh, Schilfgras (Phragmites communis) und schwedischem Klee (Trifolium hybridum). Das Krankheitsbild scheint je nach dem Entwicklungszustand der betreffenden Rostpilze (Uredosporen — Teleutosporen) sowie nach der individuellen Disposition der einzelnen Tiere verschieden zu sein. Die Rostpilze wirken nämlich bald entzündungserregend auf Haut und Schleimhäute, bald lähmend auf das Zentralnervensystem. Von den Schimmelpilzen und Sprosspilzen unterscheiden sich die Rostpilze durch eine stärkere, auch auf die äussere Haut sich erstreckende, reizende Lokalwirkung (Dermatitis).
Die wichtigsten Krankheitserscheinungen der Rostpilzvergiftung sind: Rötung, Schwellung und Entzündung der Haut, der Lippen, Backen, der Lider, des Kopfes, Urtikaria über den ganzen Körper, starker Juckreiz, Konjunktivitis, Tränen. Dieselben Entzündungserscheinungen bilden sich auf der Digestionsschleimhaut. Die Tiere speicheln anhaltend und intensiv infolge einer Stomatitis, Glossitis und Pharyngitis (Verwechslung mit Maul- und Klauenseuche; sog. sporadische Aphthen), zeigen Kolikerscheinungen, ruhrartigen und selbst blutigen Durchfall, sowie als Symptom einer gleichzeitig bestehenden Nephritis Hämaturie. In manchen Fällen soll bei Pferden auch Hämoglobinurie beobachtet worden sein. Die Allgemeinerscheinungen bestehen in Schwanken, grosser Schwäche und Hinfälligkeit, Lähmung des Hinterteils, Zusammenbrechen, Unvermögen aufzustehen, Blasenlähmung, Abortus, Benommenheit des Sensoriums, Somnolenz, Zähneknirschen, pochendem Herzschlag, Temperaturerhöhung etc. Der Verlauf ist[S. 345] zuweilen sehr akut, so dass der Tod schon innerhalb weniger Stunden eintreten kann. In einzelnen Fällen hat man endlich ikterische Erscheinungen beobachtet.
Bei der Sektion findet man neben den beschriebenen Veränderungen auf der Haut hämorrhagische Gastroenteritis, Nephritis und Zystitis, Rötung und Schwellung der Scheiden- und Mastdarmschleimhaut, sowie Hämorrhagien unter den serösen Häuten. — Die Behandlung ist dieselbe wie bei der Schimmelpilzvergiftung.
Kleekrankheit. Die bei den Pferden zuweilen in grösserer Verbreitung, seltener bei Rindern vorkommende sog. Kleekrankheit, welche nach der ausschliesslichen Fütterung von schwedischem Klee (Trifolium hybridum) beobachtet wird, ist wahrscheinlich ebenfalls durch Rostpilze, und zwar durch Uromyces apiculatus bedingt. Die Erscheinungen dieser Krankheit bestehen in einer Anschwellung des Vorkopfes nebst einer hochgradigen Stomatitis, welche sich durch intensives Speicheln äussert und wobei sich Geschwüre bilden. Aehnliche Veränderungen beobachtet man auch auf den mit weissen Abzeichen versehenen Hautstellen des Kopfes und der Gliedmassen (Blässe, weisse Fessel). Es entstehen hier gelbliche, an einzelnen Stellen mit Blasen besetzte und allmählich durch Mumifikation sich abstossende Flecke, welche sehr schmerzhaft sind (ähnliche Prozesse werden auch bei der Lupinose beobachtet). Die lupinoseähnlichen allgemeinen Krankheitserscheinungen nach ausschliesslicher Kleefütterung äussern sich in ikterischer Verfärbung der Maulschleimhaut und Konjunktiva, Kolikanfällen, hochgradiger Mattigkeit und Schlafsucht neben nervöser Aufregung (Zuckungen, Raserei, epileptiforme Zufälle), Schwanken, Taumeln, Lähmungserscheinungen (Amaurosis, Schlund- und halbseitige Lähmungen). Die letztgenannten Erscheinungen haben grosse Aehnlichkeit mit dem Krankheitsbild der Gehirnentzündung des Pferdes. Genaueres über die Kleekrankheit ist in dem Lehrbuch der speziellen Pathologie von Friedberger und mir zu finden (7. Aufl. 1908, I. Bd.).
Kasuistik. Schmidgen (Sächs. Jahresber. 1876) beobachtete bei 60 Pferden einer Kaserne, welche rostiges Stroh erhalten hatten, schmerzhafte Anschwellungen am Kopf, namentlich an den Lippen, Backen und Lidern, bei einzelnen ferner Urtikaria über den ganzen Körper mit starkem Juckreiz, ausserdem Appetitlosigkeit, leichte Kolik, Durchfall, schmerzhaften Husten und Schweissausbruch. - Stöhr (Preuss. Mitteil., N. F. I) sah bei zwei Pferden, welche stark rostiges Roggenstrohhäcksel erhalten hatten, leichten Durchfall, vollständige Lähmung des[S. 346] Hinterteils, Krämpfe, sowie nach 5–24 Stunden Tod. — Bluhm (ibid., Jahrgang 22) sah nach der Verfütterung rostiger Hafergarben anginaähnliche Erscheinungen. Gleichzeitig stellten sich bei den dreschenden Arbeitern Anschwellungen der Kopfschleimhäute ein. — Rosenbaum, Haarstick und Friebe (Preuss. Mitteil., Bd. 26; N. F. 3 und 6) beobachteten nach der Fütterung von rostigem Schilfgras entzündliche Schwellung der Maul-, Nasen- und Augenschleimhaut, Speicheln, Kolik, Verstopfung, blutigen Durchfall, Hämaturie, Schwäche, Hinfälligkeit, Lähmung des Hinterteils, sowie Tod innerhalb 24 Stunden. Bei der Sektion fand man hämorrhagische Gastroenteritis, Nierenentzündung, Blasenentzündung, sowie Hämorrhagien unter den serösen Häuten. — Köpke (Preuss. Mitteil. 1878 und 1885) sah bei Rindern nach der Aufnahme von rostigem Schilf Schwanken, Umfallen, unwillkürlichen Harnabgang, Zähneknirschen, pochenden Herzschlag; in einem Falle erkrankten 80 Rinder, von welchen 12 innerhalb 1–1½ Stunden unter allgemeinen Lähmungserscheinungen starben. Bei der Sektion fand man Rötung der Labmagenschleimhaut, der Konjunktival-, Scheiden- und Mastdarmschleimhaut, sowie Hämorrhagien unter den serösen Häuten. — Plättner (Zeitschrift für Veterinärkunde 1893) beschreibt bei Pferden eine akute tödliche Vergiftung nach der Aufnahme von mit Rostpilzen befallenem Futter, deren Erscheinungen in leichter Kolik, Appetitlosigkeit, Harnbeschwerden, Schwanken und allgemeiner Lähmung bestanden. — Wienke (Berl. Archiv 1893, S. 311) beobachtete in einem Rindviehbestande nach der Verfütterung von Haferstroh, welches stark mit Rostpilzen besetzt war, Speichelfluss, Rötung und Schwellung der Maulschleimhaut, steife Bewegung sowie Hinfälligkeit; alle Tiere genasen nach dem Aussetzen des Futters. — Lameris u. Poels (Holländ. Jahresber. 1889) beschreiben eine in Südholland alljährlich grassierende Rindviehkrankheit, welche daselbst grosse Verluste verursachte, und führen dieselbe auf eine Vergiftung durch Puccinia und Ustilagopilze zurück. Die Krankheit beginnt mit klonischen Krämpfen und Hyperästhesie, worauf Depression, Sopor, Anästhesie und Lähmung folgt. Der Verlauf ist bald perakut (wenige Minuten bis 2 Stunden), bald akut (2 Stunden bis 1 Tag), bald subakut (2–7 Tage). — Grischin (Petersb. Archiv 1887) beobachtete seuchenartigen Abortus und Sterben der Kälber infolge Fütterung der Kühe mit Haferstroh, das stark mit Rostpilzen befallen war. — Bauer (Wochenschr. f. Tierh. 1890) sah bei 2 Kühen nach der Aufnahme von rostigem Weizen und Hafer Speicheln, Schlingbeschwerden, Schlinglähmung sowie allgemeine, an das Bild des Kalbefiebers erinnernde Lähmung mit schlafartigem Zustande. Die Kühe verendeten nach 8tägiger Krankheit. — Johow (Berl. Arch. 1897) beobachtete nach der Verfütterung von rostigem Stroh und Kleeheu bei Rindern Lähmung der Zunge, des Schlundkopfes und der Gliedmassen. — Ostermann (B. t. W. 1895) beschreibt eine Vergiftung durch Uromyces viciae (Wickenrost) bei einem Rinde. Dieselbe äusserte sich hauptsächlich in Lähmung der Kau- und Schlingmuskeln. — Vogel (D. t. W. 1893) behandelte eine durch Uromyces verursachte Massenerkrankung von Kühen, bei der ausser einer hämorrhagischen Gastroenteritis papulöse und eiternde Exantheme auf der Haut, Bindehaut und Schleimhaut die Hauptrolle spielen. — Hahn (Preuss. Mitteil., N. F. IV. Jahrg.) sah bei 12 Sauglämmern einer Herde, die auf Lupinen und Kleestoppel gehütet wurde, rings um die Maulöffnung an beiden Lippenflächen Pusteln, mit gelbweissem Inhalt sowie Schorfe; in der Maulhöhle, namentlich am Zahnrand des Unterkiefers, waren granulierende Geschwüre vorhanden. Andere Lämmer zeigten einen Knötchenausschlag auf der Haut. Bei den Mutterschafen waren vereinzelt am Euter Pusteln wahrzunehmen. Mit dem Einstellen des Weidegangs verschwand die Erkrankung. — Szilasci (B. t. W. 1908) beobachtete in einem Halbblutgestüt von 100 Pferden toxische Hämoglobinurie nach dem Weiden auf einer Kleeweide, die stark mit Rostpilzen (Uromyces Trifolii) befallen war. Die Vergiftungserscheinungen bestanden in Verstopfung, Durchfall, blutigen Kot, Hämoglobinurie (?), Anämie, leichtem Ikterus und mässigem Fieber. Trypanosomen im Blute fehlten. — M. Müller (ibid.) berichtet über seuchenartiges Auftreten von Rostpilzvergiftungen bei Pferden, Rindern und Schafen in Elsass-Lothringen. Die Pferde zeigten Lähmung der Nachhand bei feinem Sensorium; das Krankheitsbild bei Rindern erinnert teils an Maul- und Klauenseuche, teils an Gebärparese: Lähmung, starkes Speicheln (Schlundkopflähmung);[S. 347] der Sektionsbefund war völlig negativ. — Trattner (D. t. W. 1909) sah bei 54 Artilleriepferden nach der Aufnahme von stark befallenem Stroh (Puccinia graminis) die Erscheinungen der Stomatitis und Dermatitis (Lippen, Nase) auftreten.
Kleekrankheit. 5 Pferde erhielten längere Zeit hindurch ausschliesslich blühenden schwedischen Klee (Trifolium hybridum). 3 ältere Pferde erkrankten hierauf schwer, während 2 Fohlen gesund blieben. Die Pferde standen schlafsüchtig, mit hängenden Köpfen auf der Wiese, nahmen zeitweise ein Maul voll Gras, ohne es abzuschlucken, und zeigten ein ähnliches Bild wie bei der subakuten Gehirnentzündung. Die Schleimhäute des Maules und Auges waren zitronengelb gefärbt. Auf der Maulschleimhaut zeigten sich grosse Epitheldefekte. Der Gang war schwankend, taumelnd. Ausserdem bestand wässeriger Durchfall, und die Tiere waren ausserordentlich schwach und abgemagert. Ein Pferd starb am 3. Tage plötzlich; die beiden andern erholten sich später (Michael, Sächs. Jahresber. 1898). — Nach der Verfütterung von schwedischem Klee starben zwei Pferde. Sie zeigten Appetitlosigkeit, Gehirndepression, taumelnden Gang, orangerote Verfärbung der Bindehaut, häufiges Urinieren, Kolik, sowie Nekrose kleiner Schleimhautpartien der Zunge. Ein anderes Pferd zeigte allgemeine Lähmung, Schlinglähmung und Koma (Kleine, Preuss. Vet.-Ber. 1904).
Botanisches. Von den Kernpilzen (Pyrenomyzeten) ist die wichtigste Gattung, Claviceps purpurea, bereits in einem besonderen Kapitel (Mutterkornvergiftung) besprochen worden. Sonstige pathogene Kernpilze sind: 1. Polydesmus exitiosus, der Rapsverderber (Sporidesmium exitiosum), schwarzgraue oder schwarzbraune Flecken auf den grünen Teilen des Rapses bildend. 2. Polythrincium Trifolii (Sphaera Trifolii), die Ursache des Schwarzwerdens des Klees. 3. Epichloë typhina (Polystigma typhinum), auf verschiedenen Grasarten parasitierend.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Die Kernpilze besitzen eine ähnliche entzündungserregende Wirkung auf Haut und Schleimhäute wie die Rostpilze. Das Krankheitsbild hat infolgedessen beim Rind oft grosse Aehnlichkeit mit dem der Maul- und Klauenseuche. Sie wirken ferner lähmend auf das Zentralnervensystem. Die wichtigsten Krankheitserscheinungen sind: Stomatitis, Pharyngitis, Rhinitis, Konjunktivitis, Dermatitis, Gastritis, Enteritis, Schwanken, Kreuzschwäche, allgemeine Lähmung.
Einen Fall von Vergiftung bei Lämmern nach der Aufnahme von Rapskuchen, welche stark mit Polydesmus exitiosus durchsetzt waren, hat Berndt (Berliner Archiv 1887) beschrieben. Die Krankheitserscheinungen bestanden im wesentlichen in einer letal verlaufenden Stomatitis und Rhinitis ulcerosa. Die Maul- und Nasenschleimhaut zeigten Erosionen; zwischen den Epithelzellen liessen sich Fäden und Sporen des Rapsverderbers mikroskopisch nachweisen. Die Tiere starben unter den Erscheinungen von Mattigkeit,[S. 348] Schwanken und erschwerter Respiration. Nach Brümmer (Der Tierfreund 1879) erkrankten 16 Kühe, welche auf Rapsstoppelfeldern weideten, unter den Erscheinungen der Maul- und Klauenseuche. Sie zeigten Stomatitis, Dermatitis am Klauenspalt und Euter, Rhinitis und Konjunktivitis. Auch 4 Pferde sowie mehrere Versuchskälber und Versuchsferkel zeigten die Erscheinungen der Stomatitis. Die Ursache der Erkrankung liegt nach Brümmer in der Keimung und Ansiedlung der Sporen des Kernpilzes auf den Schleimhäuten und auf der Haut. Roloff (Preuss. Mitteil. XIX) beobachtete bei einer grösseren Schafherde, welche bei Sonnenschein auf einem Rapsfelde weidete, heftige Stomatitis, Anschwellung der Lippen, sowie Konjunktivitis. Ueber eine Vergiftung durch Polythrincium Trifolii hat Weber (Sächs. Jahresber., Bd. IX) berichtet: 5 Kühe zeigten plötzlich Kolik, Schwanken, sowie vollständige Lähmung des Hinterteils; 4 mussten geschlachtet werden, die fünfte genas, zeigte aber noch mehrere Wochen hindurch Kreuzschwäche und schwankenden Gang. Bei der Sektion der übrigen fand man hämorrhagische Gastroenteritis, Nephritis, Hyperämie der Rückenmarkshäute, sowie Hydrorrhachis in der Lendengegend. Frank (Ad. Wochenschr. 1867) beobachtete nach der Verfütterung der mit Epichloë typhina befallenen Halme von Poa pratensis bei einem Kaninchen Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Schwellung und Gangrän an den Pfoten, sowie Tod nach 10 Tagen. Weitere Mittheilungen über Kernpilzvergiftung hat Schöberl (B. T. W. 1896 und 1899) gemacht.
Vergiftung durch verdorbene Futterstoffe. Ausser den im vorstehenden beschriebenen Pilzvergiftungen kommen alljährlich bei den Pflanzenfressern und Omnivoren zahlreiche Vergiftungen nach der Aufnahme verdorbener Futterstoffe vor, deren Aetiologie nicht aufgeklärt ist. Wahrscheinlich ist ein Teil derselben ebenfalls durch Pilze, namentlich durch Schimmelpilze, bedingt. In anderen Fällen sind Fäulnis- und Gärungsprozesse die Krankheitsursache. Sodann spielen bei der Pathogenese dieser Vergiftungen, ähnlich wie bei der Fleischvergiftung der Fleischfresser (vergl. S. 351), vermutlich auch spezifische Bakterien eine Rolle. Leider ist dieses sehr wichtige Kapitel der Veterinärtoxikologie so gut wie gar nicht bearbeitet, während das der Fleischvergiftungen hinreichend geklärt ist. Die bakteriologische und chemisch-toxikologische Erforschung dieser bisher rätselhaften Vergiftungsfälle dürfte insbesondere eine wichtige Aufgabe der hygienischen Institute der tierärztlichen Lehranstalten bilden.
Die gewöhnliche Veranlassung zu den oft seuchenartig auftretenden und dann den Verdacht auf Milzbrand, Rinderpest, Schweinerotlauf usw. erweckenden Erkrankungen gibt die Aufnahme verdorbener Futterstoffe. Als solche sind namentlich zu nennen: faule Kartoffeln, verdorbene[S. 349] Rübenschnitzel (Rübenpresslinge, Rübenblätter), gärende Schlempe und Biertreber, ranzige Oelkuchen, verdorbenes Stroh etc. Die dadurch bedingten Krankheitserscheinungen haben grosse Aehnlichkeit mit denen der Ptomainevergiftung (vergl. S. 351). Sie bestehen einerseits in Symptomen der Magendarmentzündung (sog. mykotische Gastroenteritis), andererseits in nervösen Erregungs- und Lähmungserscheinungen.
Kasuistik. Aus der sehr reichhaltigen Literatur mögen die nachfolgenden charakteristischen Fälle Erwähnung finden. Prietsch (Sächs. Jahresber. 1898) beobachtete im Frühjahr 1898 enzootisch auftretende Magendarmentzündungen bei Rindern, welche mit angefaulten Kartoffeln gefüttert wurden. Die Tiere zeigten hohes Fieber, Kolikerscheinungen, anfangs Verstopfung, später unstillbaren, oft blutigen Durchfall, grosse Schwäche und Hinfälligkeit und starben meist nach eintägiger Krankheit. — Röbert (ibid.) machte genau dieselbe Beobachtung nach der Verfütterung angefaulter Kartoffeln bei Schweinen; die Tiere verendeten unter profusem Durchfall innerhalb 2 Tagen. — Fadyean (Journ. of comp. 1897) sah 11 Pferde nach der Aufnahme alter, stark fauliger Kartoffeln unter Schwäche und Lähmungserscheinungen sterben; die Sektion ergab nur leichte Dickdarmentzündung. — Nach der Verfütterung verdorbener Runkelrübenblätter zeigten mehrere Rinder hochgradige Gehirnreizungserscheinungen, Vorwärtsdrängen, Taumeln, Schwanken, Zusammenstürzen, sowie heftige Krämpfe, andere standen stumpfsinnig mit gesenkten Köpfen da; die Sektion ergab ein negatives Resultat (Gotteswinter, Wochenschr. f. Tierhlkde. 1893). — Nach der Aufnahme angefaulter Runkelrübenköpfe verendeten 2 Kühe nach kurzer Krankheit; sie zeigten hohes Fieber, Tympanitis, trockenen, blutigen Kot, lähmungsartige Schwäche des Hinterteils und raschen Kräfteverfall; die Sektion ergab hochgradige Entzündung der Labmagen- und Dünndarmschleimhaut, sowie eiterig-fibrinöse Peritonitis (Wilhelm, Sächs. Jahresber. 1892). — Nach Peters (Berl. Arch. 1891) treten auf den meisten Zuckerfabriken, in welchen Schafe zur Mast gehalten werden, alljährlich erhebliche Verluste infolge der Verfütterung von Rübenschnitzeln auf. Die Schafe zeigen am ersten Tag Durchfall, am zweiten Erscheinungen von Gehirnlähmung und sterben am dritten Tag. Die ersten Todesfälle treten in der Regel 8–10 Wochen nach Beginn der Mastfütterung auf. — Bayne (The Vet., Bd. 67) sah Rinder nach der Aufnahme kranker, fauliger Rüben schon innerhalb zweier Stunden sterben; als bestes Gegenmittel bewährte sich Schnaps. — Nach Arloing (L’Echo vét. 1893) bedingt die Verfütterung der in Gruben aufbewahrten Rübenpresslinge bei Rindern zuweilen tödlich verlaufende Vergiftungen, welche wahrscheinlich durch Bakterien veranlasst werden. — Albrecht (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1893, Nr. 47) beobachtete nach der Verfütterung verdorbener, faulig riechender Träber bei Rindern Verdauungsstörungen, psychische Depression, Muskelschwäche, sowie kleinen Puls. Dagegen fehlten die sonst bei der Fütterung derartig verdorbener Nahrungsmittel zu beobachtenden Durchfälle, die Tympanitis, sowie Fieber. Kontrollfütterungsversuche mit den verdorbenen Träbern bei Schweinen fielen negativ aus. — Lehmann (Berl. Arch. 1894) berichtet über eine tödliche Vergiftung bei 8 Rindern nach der Fütterung von Branntweinschlempe. Die Tiere zeigten unterdrückte Peristaltik, Verstopfung, Krämpfe, Vorwärtsdrängen, Tobsucht, Pupillenerweiterung, heftiges Muskelzittern, Ermattung, Durchfall und Lähmung des Hinterteils; bei der Sektion fand man Darmentzündung. — Gips (Berl. Arch. 1896) sah bei Pferden nach der Verfütterung von Schlempe neben starkem Durchfall eigenartige Gehirnreizungserscheinungen: starke Aufregung, gegen die Wand rennen, senkrecht in die Höhe steigen, Brüllen, Opisthotonus; bei anderen Pferden bildete sich ein lähmungsartiger Zustand aus. — Nach Gruber (D. T. W. 1893) zeigten 2 Kühe nach dem Verfüttern von frisch eingebrachtem Heu kalbefieberähnliche Erscheinungen: schlafsüchtiges Benehmen, seitlich zurückgelegten Kopf, Unvermögen aufzustehen, Unempfindlichkeit gegen Nadelstiche. — Reinländer (Zeitschr. f. Vet. 1899) sah bei 7 Pferden nach der Aufnahme von verdorbenem Heu schwankenden, taumelnden Gang, Blasenlähmung, blutigen Harn, Husten und Schwellung der Gliedmassen. — Dorn[S. 350] (Wochenschr. f. Tierhlkde. 1894) beobachtete bei 6 Rindern nach der Verfütterung von schlecht heimgebrachtem, halbfauligem Heu heftigen Schüttelfrost, Angst, beschleunigtes Atmen, starken Schweissausbruch, sowie Oedeme am Kopf, Hals und an den hinteren Extremitäten. — Schmid (ibid.) sah nach derselben Fütterung bei 3 Pferden Durchfall, hohes Fieber, starke Benommenheit des Sensoriums, sowie Schwäche und Hinfälligkeit. — Kampel (Repert. 53. Bd.) sah bei mehreren Pferden nach der Fütterung von schlechtem Erbsenstroh Lähmung der Nachhand, der Blase und des Mastdarms bei sonst nicht gestörtem Allgemeinbefinden. Die Krankheit dauerte 3 Wochen; 3 Pferde starben, die übrigen genasen langsam. — Höhne (Berl. Arch. 1894) sah nach Roggenfütterung bei Pferden Schlinglähmung auftreten, welche gewöhnlich nach 8 Tagen zum Tod führte (sog. Longerkrankheit). — Bedel (Recueil 1897) beobachtete bei Kühen nach der Aufnahme angefaulter, sehr reifer Aepfel Schwanken, tiefes Koma, Umfallen, Pupillenerweiterung, sowie übelriechenden Durchfall. — Bissauge berichtet über Vergiftung bei 6 Kühen durch mehltaubefallene Rebenblätter. — Zeisler (B. T. W. 1896) sah bei 35 Rindern nach der Aufnahme ranziger Erdnusskuchen Kolik mit Durchfall und Verstopfung; bei 5 geschlachteten Tieren ergab die Sektion Gastroenteritis. — Nach dem Trinken fauligen Wassers aus Teichen erkrankten ganze Rinderherden in eigenartiger Weise. Die Tiere stiessen ein heiseres Gebrüll aus, wurden aufgeregt und gingen aggressiv gegen Personen und Tiere vor; schliesslich stellten sich Lähmungserscheinungen ein; sämtliche kranke Tiere starben (Johnson, Am. vet. rev. 1894). — 11 Rinder, welche aus einem fast ausgetrockneten Tümpel getrunken und Schilfgras gefressen hatten, stürzten apoplektiform zusammen; 6 davon verendeten unter Zuckungen; Milzbrand war ausgeschlossen (Tietze, Berl. Arch. 1894). — Zissler (Woch. f. T. 1901) sah 7 Stück Rinder nach der Verfütterung angefaulter Kartoffeln unter grosser Schwäche, Umfallen, Lähmungserscheinungen und Schlingbeschwerden schwer erkranken. — Laméris (Holl. Zeitschr. 1900) sah bei 12 Rindern nach der Fütterung verdorbener Rübenschnitzel Salivation infolge von Schlinglähmung, Ptosis, Unempfindlichkeit der Kornea, kalbefieberähnliches Koma, hochgradige Muskelschwäche, Lähmung des Hinterteils, sowie anfangs Verstopfung, später Durchfall. Die Sektion ergab Entzündung des Dünndarms, eine sog. Aalhaut in demselben, sowie vereinzelt Labmagenentzündung. — Sauer (Woch. f. Tierh. 1902) sah bei 7 Rindern nach der Aufnahme von faulem Kartoffelkraut Speichelfluss und Schlinglähmung bei regem Appetit, Verstopfung, Durchfall, Schwäche und Lähmung der Nachhand bei freiem Sensorium. Sämtliche Tiere mussten notgeschlachtet werden; der Befund war völlig negativ. — Im Kreis Niederbarnim traten Vergiftungen nach Verfütterung von verdorbenen Bierträbern auf. Die erkrankten Tiere zeigten teils Gehirnkrämpfe, unsichern Gang und Lähmung, teils Nierenentzündung und Lähmung der Harnblase (Preuss. Vet.-Ber. 1900). — Eine Anzahl 4–7 Monate alter Kälber erkrankte unter den Erscheinungen der mykotischen Magendarmentzündung, nachdem sie gebrühtes Gerstenschrot erhalten hatten, das unvorsichtigerweise mit den Kulturen des Löfflerschen Mäusetyphusbazillus infiziert worden war (Krickendt, Berl. Arch. 1901). — Diem (Woch. f. Tierh. 1902) beobachtete nach Träberfütterung bei Rindern Tympanitis, Schlingbeschwerden, Apathie und Schwächezustände. — Hentrich (Zeitschr. f. Vet. 1905) sah nach der Verfütterung von Bierträbern (trockene Bierträber wurden in kaltem Wasser angefeuchtet) bei 22 Pferden Magendarmkatarrh, Nierenentzündung und Blasenkatarrh auftreten. — Schilffarth (Woch. f. Tierh. 1906) beobachtete nach der Fütterung verdorbener Träber bei 4 Kühen stinkenden Durchfall; 3 andere Rinder starben. — Die Verfütterung von frischgeerntetem Frühroggen erzeugt nach Eloire (Progr. vét. 1903) bei Pferden Kolik, Darmentzündung, Hämaturie, Nephritis, Rehe, sowie Lähmung der Hintergliedmassen. — Ueber eine Vergiftung durch Luzernesamen (Krämpfe, Taumeln, Herzklopfen) hat Ravier berichtet (ibid). — In Dänemark wurden neuerdings (1908) mehrfach Vergiftungen bei Rindern beobachtet, die sich durch Schlinglähmung und allgemeine Lähmung äusserten (Andersen und Berg).
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Allgemeines. Durch Aufnahme von zersetztem, krankem, verdorbenem oder in Fäulnis übergegangenem Fleisch werden wie beim Menschen so auch bei den Karnivoren (Hund, Katze), Omnivoren (Schwein) und beim Geflügel eigentümliche Krankheitserscheinungen hervorgerufen, welche mit dem Sammelnamen „Fleischvergiftung“ bezeichnet werden. Je nach der Art der aufgenommenen animalischen Nahrungsmittel wird genauer unterschieden zwischen Fleischvergiftung im engeren Sinn, Wurstvergiftung (Allantiasis, Botulismus), Fischvergiftung und Käsevergiftung. Die Ursachen dieser Vergiftungen sind teils in einer Aufnahme von Bakterien (septische Infektion), teils in einer Einwirkung chemischer, als Stoffwechselprodukte von Spaltpilzen anzusehender Stoffe (septische oder putride Intoxikation) zu suchen. Häufig sind beide Ursachen gleichzeitig zusammen wirksam. Die chemischen, beim Stoffwechsel von Spaltpilzen entstehenden Giftstoffe werden Ptomaine (πτῶμα = Leichnam) oder Toxine genannt. Die Fleischvergiftung gehört daher, soweit sie durch Ptomaine verursacht wird, ins Gebiet der Toxikologie, während die durch Aufnahme von Spaltpilzen bedingten septikämischen Erkrankungen Gegenstand der Pathologie sind.
Unter Ptomainen (Ptomatinen, Toxinen, Kadaveralkaloiden, Septizinen, Leichengiften, Fäulnisgiften) versteht man im allgemeinen Stoffwechselprodukte von Bakterien innerhalb und ausserhalb des Tierkörpers (Nahrungsmittel). Dieselben entstehen nicht bloss im toten, sondern auch im lebenden Körper; die letzteren hat man im Gegensatz zu den sog. Ptomainen wohl auch Leukomaine (Leukomatine) genannt. Ihrer chemischen Natur nach sind die Toxine nicht bloss Basen, wie man früher annahm (Kadaveralkaloide), sondern auch Eiweisskörper (Toxalbumine), Säuren usw. Ihre sehr verschiedenartige chemische Zusammensetzung erhellt am besten aus nachstehender, dem Lehrbuch der Intoxikationen von Kobert entnommenen Einteilung.
1. Gruppe der Fettsäuren. Hieher gehören Säuren von der Formel CxH2xO2, und zwar Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure, Valeriansäure etc., welche sich teils als Produkte der Fäulnis, teils als Zersetzungsprodukte im Körper bilden.
2. Gruppe der Oxysäuren. Sie haben die Formel CxH2xO3 und liefern als giftige Stoffwechselprodukte namentlich die Milchsäure (Oxypropionsäure) und Oxybuttersäure (Ursache des Coma diabeticum).
3. Gruppe der Oxalsäure. Die Oxalsäure von der Formel C2H2O4 wirkt als Stoffwechselprodukt des Körpers giftig bei der Oxalurie.
4. Gruppe der Amidofettsäuren. Dieselben sind häufig Produkte der Fäulnis von Eiweiss und Leim, jedoch ungiftig. Hieher gehören Glykokoll (Amid der Essigsäure), Alanin (Amid der Propionsäure), Propalanin, Butalanin und Leuzin (Amid der Kapronsäure). Letzteres findet man z. B. im Verlauf der Phosphorvergiftung (Leuzinurie).
5. Gruppe der Amine. Die Amine sind organische Ammoniakderivate der Eiweissfäulnis mit basischem Charakter (Aminbasen). Die drei Wasserstoffe im Ammonik (NH3) werden durch ein (primäre Amine, Amidbasen), zwei (sekundäre Amine, Imidbasen) oder drei einwertige Alkoholradikale ersetzt (tertiäre Amine, Nitrilbasen). Hieher gehören die Produkte der Leichenfäulnis: Methylamin (auch in der Heringslake enthalten) von der Formel CH3.NH2, das Aethylamin, C2H5. NH2, [S. 352]Propylamin, C3H7.NH2, Dimethylamin, (CH3)2NH, Diäthylamin, (C2H5)2NH und Trimethylamin, (CH3)3N, das Gift der Heringslake, welches sich ausserdem in faulem Käse, sowie in Leichenteilen findet. Die Amine erzeugen zerebrale Krämpfe und selbst Tetanus; neben der Gehirnreizung findet auch lokale Reizung statt.
6. Gruppe der Diamine. Dieselben sind Verbindungen des Ammoniaks mit zweiwertigen Alkoholradikalen und bilden sich bei der Leichenfäulnis, sowie bei gewissen Krankheiten im lebenden Körper. Besonders bekannt sind das Tetramethylendiamin oder Putreszin von der Formel NH2(CH2)4NH2, und das Pentamethylendiamin oder Kadaverin von der Formel NH2(CH2)5NH2, mit welchem zwei andere Fäulnisbasen isomer sind, nämlich das Saprin und Neurodin.
7. Gruppe des Cholins. Hieher gehören sehr wichtige Leichengifte, welche darin übereinstimmen, dass sie alle bei der Zersetzung Trimethylamin liefern und eine muskarinähnliche Wirkung besitzen. Es sind dies Cholin, Betain, Neurin, Leichenmuskarin (im Fischgift enthalten, identisch mit dem Muskarin des Fliegenpilzes) und Mydatoxin. Neben einer kurareartigen Wirkung erregen diese Körper wie das Fliegenpilzmuskarin die Drüsensekretion und Darmperistaltik und töten unter Krämpfen.
8. Gruppe des Guanidins. Es sind die im lebenden Körper entstehenden Zersetzungsprodukte des Eiweisses: Guanidin, Kreatin und Kreatinin.
9. Gruppe der Nukleinbasen. Zu diesen auch wohl als Guanin-, Xanthin- oder Puringruppe bezeichneten Körpern gehören Xanthin (Xanthinurie), Hypoxanthin, Guanin (Guaningicht), Adenin (in Drüsen vorkommend, Formel C5H5N5), Karnin, Allantoin und in gewissem Sinn auch die Harnsäure von der Formel C5H4N4O3 (Toxin der Gicht). Die Nukleinbasen besitzen eine dem Koffein, einem ihnen ebenfalls chemisch verwandten Alkaloid, ähnliche Wirkung.
10. Gruppe des Pyridins. Giftige Toxine sind namentlich Pyridin, Pikolin, Lutidin, Parvolin, Koridin. Sie besitzen eine nikotinartige Wirkung.
11. Gruppe der aromatischen Substanzen. Hieher gehören Tyrosin, Phenol, Kresol, Brenzkatechin, Indikan und andere im Harn auftretende aromatische Körper.
12. Gruppe der schwefelhaltigen Substanzen. Die wichtigste ist der Schwefelwasserstoff mit spezifischer toxischer Wirkung. Ebenfalls aus dem Eiweiss durch Zersetzung gebildet ist das Methylmerkaptan, ein im Darm neben Schwefelwasserstoff enthaltenes Gas von der Formel CH3.HS; ausserdem sind zu nennen Taurin und Taurocholsäure.
13. Gruppe der Isozyanide. Diese auch unter dem Namen Karbylamine bekannten Körper finden sich als äusserst giftige Substanzen im Krötengift als Isozyanmethyl, CH3NC, im Tritonengift als Isozyanäthyl, C2H5NC, und im Salamandergift als Isozyanamyl C5H11NC (?).
14. Gruppe von Basen unbekannter Struktur. Hieher gehören das Sepsin, das Produkt des Proteusbazillus, chemisch als Dioxy-Kadaverin aufzufassen, wahrscheinlich die Ursache der choleriformen Ptomainevergiftungen, ferner das Tetanotoxin, Tetanin, Gadinin, Typhotoxin, Anthrazin, Phlogosin, Botulin = Ptomatoatropin, Ptomatokurarin, Ichthytoxin, Tyrotoxin, Lupinotoxin, Lysotoxin, Pellagrozein u. a.
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15. Gruppe der eiweissartigen Gifte (Toxalbumine). Die bekanntesten sind Tuberkulin, Mallein, das Schlangengift, Bienengift, sowie die verschiedenen Toxalbumine der Infektionskrankheiten. Hieher gehören auch gewisse eiweissartige, in Pflanzen enthaltene Gifte, die sog. Phytalbumosen, enzymartige Körper, von welchen das Rizin, Krotin, Abrin, Robinin und Phallin besondere Bedeutung erlangt haben.
Aetiologie der Fleischvergiftung. Beim Menschen werden die zahlreichen Fälle von Fleischvergiftung in der Regel durch den Genuss des Fleisches von septisch oder pyämisch erkrankten Schlachttieren veranlasst (Uterus-, Nabel-, Euter-, Darmkrankheiten). Bollinger hat zuerst im Jahr 1876 gezeigt, dass es sich hiebei um keine Milzbrandinfektion, sondern um eine intestinale Sepsis handelt. Durch die bakteriologischen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte sind eine Reihe von Bakterien als Ursachen der Fleischvergiftung nachgewiesen worden.
1. Gärtner fand bei einer in Frankenhausen (1888) beobachteten Massenvergiftung in dem giftigen Fleische sowie in den Organen eines infolge der Fleischvergiftung verstorbenen Mannes charakteristische Bakterien, welche er mit dem Namen Bacillus enteritidis belegte. Diese Bakterien zeigten im hängenden Tropfen lebhafte rotierende Bewegung und färbten sich mit Anilinfarben an einem Ende sehr stark, während der Rest wenig gefärbt erschien. Ausserdem enthielt das Fleisch durch Kochen nicht zerstörbare Giftstoffe, welche bei Impftieren Enteritis, Krämpfe und Lähmungserscheinungen hervorriefen. Gegen die Bakterien selbst erwiesen sich Hunde und Katzen immun, dagegen starben Kaninchen, Meerschweinchen und Mäuse unter den Erscheinungen einer heftigen Enteritis. Johne hat ebenfalls den Bacillus enteritidis bei einer Fleischvergiftung in Bischofswerda (1894) gefunden.
2. Gaffky und Paak fanden bei einer Massenerkrankung infolge des Genusses von Pferdefleischwaren (Röhrsdorf 1885) in der betr. Pferdewurst charakteristische Wurstbazillen in Form beweglicher, an den Enden abgerundeter Stäbchen, welche bisweilen zu Scheinfäden auswuchsen und in schwach alkalischer Bouillon am besten gediehen. Die Verfütterung dieser Wurstbazillen erzeugte bei Affen, Meerschweinchen und Mäusen Enteritis und Durchfall; Hunde, Katzen, Schweine und Kaninchen zeigten sich dagegen immun.
3. Poels und Dhont fanden bei einer Fleischvergiftung in Rotterdam die von ihnen so genannten Rotterdamer Bazillen, kurze und sehr feine Stäbchen, welche bei der intravenösen Injektion[S. 354] grösserer Mengen Versuchsrinder schon nach 14 Stunden töteten.
4. Van Ermengem fand bei der Fleischvergiftung von Moorseele bei zwei Kälbern die sog. Moorseeler Bazillen; dieselben sind sehr beweglich, zeigen zahlreiche Geiseln, erzeugen ein Toxalbumin, welches selbst durch die Erhitzung auf 130° nicht getötet wird und wirken bei jeder Art der Einverleibung auf Versuchstiere pathogen (Enteritis).
5. Flügge hat bei der Breslauer Fleischvergiftung den Breslauer Bazillus gefunden, welcher einerseits mit dem Kolibazillus, andererseits mit dem Moorseeler und Rotterdamer Bazillus Aehnlichkeit hatte.
6. Basenau bezeichnete einen aus Kuhfleisch gezüchteten Bazillus als Bacillus bovis morbificans und ist der Ansicht, dass alle bisher bei den Fleischvergiftungen gefundenen Stäbchen eine grosse Uebereinstimmung mit dem Kolibazillus zeigen.
7. Kuborn hat bei einer Fleischvergiftung als Ursache den Staphylococcus pyogenes albus nachgewiesen.
8. Bei Fleischvergiftungen in Hildesheim und Berlin (1906) wurde der Bacillus paratyphosus (Paratyphusbazillus) zuerst als Ursache ermittelt. Diese Bazillen erzeugen beim Menschen eine dem Abdominaltyphus ähnliche Infektionskrankheit.
Aetiologie der Wurstvergiftung. Die beim Menschen seltener als die Fleischvergiftung vorkommende Wurstvergiftung (Botulismus, Allantiasis) entsteht nicht nur durch die Aufnahme von zersetzten Würsten, sondern auch von fauligem Fleisch, zersetztem Schinken, Leber, Sülze, Büchsenfleisch, Gänsebraten. Der Botulismus wird durch einen spezifischen Bazillus, den Bacillus botulinus verursacht. Derselbe ist anaërob und bildet ein gerades Stäbchen mit etwas abgerundeten Enden und Sporenbildung. Er erzeugt ein hochgradig giftiges Toxin, welches Kaninchen schon in Dosen von 1⁄2000 Milligramm tötet, und wächst besonders auf gekochtem, gezuckertem und alkalisch gemachtem Schweinefleisch. Seine Kulturen riechen intensiv nach Buttersäure (kein Fäulnisgeruch!). Durch eine einstündige Erwärmung auf 70° wird das Botulismustoxin unwirksam. Seltener ist der Proteus mirabilis die Ursache von Wurstvergiftung (Hannover 1900).
Krankheitsbild der Fleischvergiftung. Nach der Aufnahme des Fleisches kranker Tiere (Septicaemia puerperalis, Pyämie, Polyarthritis[S. 355] pyaemica, eiterige und septische Nieren-, Leber-, Lungen-, Darm-, Magen-, Bauchfell-, Milchdrüsenentzündungen), sowie nach der Aufnahme von fauligem, zersetztem und verdorbenem Fleische tritt bei Hunden, Katzen, Schweinen und beim Geflügel nicht selten eine Vergiftung auf, welche im wesentlichen die Erscheinungen einer hochfieberhaften und rasch tödlich verlaufenden Gastroenteritis mit gleichzeitiger starker zerebraler Depression zeigt. Die Krankheitserscheinungen, wie sie namentlich bei Hunden beobachtet werden, bestehen in einer plötzlich auftretenden, sehr heftigen und häufig blutigen Diarrhöe, Erbrechen, starkem Durst, hohem Fieber (40–42°), ausserordentlicher Schwäche, Hinfälligkeit und Mattigkeit, sowie in rasch folgendem Kollaps. Der Tod tritt oft schon nach wenigen Stunden, durchschnittlich innerhalb 12–24 Stunden ein. Bei Hunden wurden ferner Netzhautblutungen ophthalmoskopisch festgestellt.
Krankheitsbild der Wurstvergiftung. Die Wurstvergiftung (Botulismus, Allantiasis) verläuft anfangs unter denselben Erscheinungen wie die Fleischvergiftung: Erbrechen, Verstopfung, seltener Durchfall, Mattigkeit, Schwindel, Somnolenz, Kollaps. Häufiger beobachtet man charakteristische Lähmungserscheinungen im Gebiet des 2.-6. Gehirnnerven, namentlich Sehstörungen: Pupillenerweiterung (Optikuslähmung), Ptosis (Lähmung des oberen Augenlides infolge von Okulomotoriuslähmung), Schielen und Akkommodationsstörungen. Ausserdem treten Lähmungen des Schlundkopfes (Schlinglähmung), des Magens (Tympanitis), sowie des Kehlkopfes (Aphonie) auf.
Krankheitsbild der Fischvergiftung (Heringslakevergiftung). Die bei Schweinen nach der Verfütterung von Heringslake häufig beobachtete sog. Lakevergiftung ist zum Teil auf den Kochsalzgehalt der Heringslake zurückzuführen. Insoweit stimmt dieselbe in ihren Erscheinungen mit der Kochsalzvergiftung überein. Sie unterscheidet sich jedoch wesentlich von dieser (vgl. S. 116) durch das Hinzutreten charakteristischer nervöser Symptome, welche auf eine Ptomainevergiftung bezogen werden müssen und sich namentlich in Gehirnreizungserscheinungen, Krämpfen und Schlinglähmung äussern (Trimethylamin und muskarinartige Toxine). Die wichtigsten Erscheinungen der Heringslakevergiftung bei Schweinen sind: Zähneknirschen, Kaukrämpfe, epileptiforme[S. 356] Krämpfe, Opisthotonus und Pleurothotonus, Rotieren der Augen, krampfhaftes Blinzeln (Nystagmus), ausgebreitete Zuckungen, Drehbewegungen, hundesitzige Stellungen, kollerartige Erscheinungen, Stumpfsinn und Gefühllosigkeit, amaurotische Pupille (Erblindung) und Schlinglähmung. Der Verlauf ist sehr akut, der Tod tritt meist nach 6–12 Stunden ein.
Sektion. Bei der Fleischvergiftung findet man den Inhalt des Magens und Darmes aus halbverdauten, übelriechenden Fleischmassen bestehend, die Schleimhaut geschwollen, höher injiziert, hämorrhagisch infiltriert, die solitären und agminierten Follikel sowie die Gekrösdrüsen geschwollen, den Darminhalt schokoladefarbig, blutig, von schleimigflüssiger Konsistenz, das Blut zersetzt, die Leber vergrössert und rasch faulend, die Milz geschwollen und mit hämorrhagischen Herden durchsetzt, die Herzmuskulatur sehr mürbe.
Dass übrigens die Empfänglichkeit für das mykotische Gift unter den Fleischfressern sehr ungleich ist, beweisen die mit verdorbenem Fleisch angestellten Fütterungsversuche. So sah Semmer bei Verfütterung von Fleisch eines an Septikämie verendeten Pferdes Hunde und Katzen ganz gesund bleiben, während drei Schweine daran verendeten. Colin beobachtete bei ähnlichen Versuchen nur ganz leichte Durchfälle, Lemke erzielte nach Verfütterung rauschbrandkranken Fleisches bei drei jüngeren Hunden sehr heftigen Durchfall, während ein älterer Hund keinerlei krankhafte Erscheinungen zeigte. Ganz dieselben Beobachtungen hat man bei den Pilzvergiftungen der Pflanzenfresser gemacht (vergl. S. 335 ff.).
Behandlung der Ptomainevergiftung. Neben der Verabreichung von Brechmitteln und Abführmitteln kann man durch die Anwendung von Kalomel oder Kreolin eine Desinfektion des Darmes vorzunehmen versuchen. Im übrigen ist die Behandlung eine symptomatische. Die Lähmungserscheinungen werden durch Aether, Kampfer, Alkohol, Wein, Kaffee, Koffein, Ammonium carbonicum oder Veratrin, die Gehirnreizungserscheinungen bei der Heringslakevergiftung durch Morphium, Chloralhydrat oder Bromkalium behandelt. Gegen die Entzündung der Magendarmschleimhaut gibt man einhüllende und schleimige Mittel (Gummi arabicum, Leinsamenabkochung, Oel, Rizinusöl).
[S. 357]
Kasuistik. Schindelka (Oesterr. Zeitschr. 1891) sah bei Hunden, welche auf der Strasse rohes Fleisch verzehrten, plötzliche Erkrankung, Erbrechen, Durchfall, sehr übel riechenden, blutigen Kot, auffallende Mattigkeit sowie Störungen des Sehvermögens. Bei der Untersuchung der Augen liessen sich beiderseitige Ptosis, maximale Pupillenerweiterung, starre Pupille, sowie auf dem Augenhintergrunde beider Augen zahlreiche, meist fleckige, hie und da auch streifige Blutungen nachweisen. — A. Eber (D. T. W. 1897) beschreibt eine Ptomainevergiftung bei Schweinen nach der Aufnahme von Heringslake. Sie zeigten sehr schnell und heftig auftretende klonische Muskelkrämpfe, Kaukrämpfe, hochgradige Gehirnreizung, fortschreitende allgemeine Lähmung. Bei der Sektion der notgeschlachteten Schweine wurde meist nur venöse Stauung in sämtlichen Organen, sowie in einem Falle teerartige Beschaffenheit des Blutes festgestellt; Entzündungserscheinungen im Magen und Darm fehlten. — von Rátz (Monatshefte f. prakt. Tierheilkunde 1893) hat bei einem Löffelreiher eine Fischvergiftung nach der Aufnahme verdorbener gesalzener Heringe beobachtet. Die Erscheinungen bestanden in profuser Diarrhöe, heftigem Durst, Krämpfen und Lähmungen; die Sektion ergab kruppöse Magenentzündung und hämorrhagische Darmentzündung. — Ortmann (B. T. W. 1902, S. 206) sah bei Schweinen, welchen eine Heringstonne mit etwas Lakeninhalt als Futterbehälter vorgesetzt worden war, Unruhe, Schreien, starken Durst, allgemeine Lähmung (an der Erde liegen), Kaukrämpfe, ausgebreitete klonische Krämpfe und Pupillenerweiterung. Die Sektion ergab lehmfarbige Beschaffenheit der Leber, gelblichgraue Verfärbung der Nierenrinde, sowie dunkelbraunrote Färbung und Schwellung der Schleimhaut des Magengrundes. — Freitag (Sächs. Jahresber. 1899) beobachtete bei Schweinen nach der Aufnahme grösserer Mengen von Heringslake Laufwut, Kaukrämpfe, sowie Drängen mit dem Kopf gegen die Wand; ein Schwein verendete nach wenigen Stunden, ein anderes nach 2 Tagen.
Giftigkeit des Pferdefleisches. Pflüger (Archiv f. Physiologie, 80. Band) beobachtete nach der Verfütterung von magerem Pferdefleisch bei Hunden anhaltende Durchfälle und stellte fest, dass diese Abführwirkung durch einen muskarinähnlichen, in der Fleischbrühe enthaltenen Giftstoff bedingt wird, welcher Lezithin und Neurin enthält. Die Giftigkeit des Pferdefleisches wird durch einen Zusatz von Fett aufgehoben. Die Pferdefleischbrühe wird jedoch am besten weggegossen.
Botanisches. 1. Agaricus muscarius (Amanita muscaria), der Fliegenpilz oder Fliegenschwamm mit feuerrotem Hut, enthält die Alkaloide Muskarin und Amanitin. 2. Agaricus (Amanita) phalloides, der Knollenblätterschwamm, von weisslicher oder gelbgrünlicher Farbe, enthält das Toxalbumin Phallin. 3. Fungus laricis, der Lärchenschwamm, enthält das Agarizin (Agarizinsäure). 4. Russula emetica, der Speiteufel, von ekelhaftem Geruch und scharfem Geschmack. 5. Cantharellus aurantiacus, der falsche Eierschwamm, von pomeranzengelber Farbe. 6. Boletus satanas (sanguineus), der Satanspilz (Blutpilz), mit genetztem oder gestricheltem Hut und blauanlaufendem Durchschnitt. — Ausserdem gelten als giftig: Agaricus rubescens, Agaricus pantherinus, Agaricus virosus, Agaricus vellereus, Agaricus pyrogallus, Agaricus torminosus, Russula virescens, Boletus luridus, Sclerodosma vulgare, Amanita virescens, A. citrina, A. bulbosa, A. alba, A. candida, A. verna, A. virosa, A. mappa, A. recutita, A. porphyria, Lactarius torminosus, Hebeloma tastibile und rimosum. Zuweilen erweist sich auch die essbare Morchel, Helvella esculenta, namentlich im frischen Zustande, als äusserst giftig (Helvellasäure).
[S. 358]
In den Giftschwämmen sind somit teils giftige Alkaloide (Muskarin, Bulbosin, Phalloidin), teils giftige Säuren (Agarizinsäure, Helvellasäure), teils Toxalbumine bezw. Mykozymasen (Phallin) mit sehr verschiedenartiger Wirkung enthalten. Die Schwammgifte sind teils strychnin- und atropinartige Nervengifte (Muskarin, Agarizinsäure), teils ausgesprochene Blutgifte (Phallin, Helvellasäure). Die Pilzvergiftung äussert sich bald in Form eines Magendarmkatarrhs, bald durch Kollaps- und Lähmungserscheinungen, bald durch psychische und motorische Erregung, bald in Form von Ikterus.
Wirkung. Das im Fliegenschwamm enthaltene Muskarin ist eine sehr giftige, mit dem Neurin und Cholin verwandte Base von der Formel N.(CH3)3C2H5O2.OH (Trimethylammoniumbase), welche in ihrer Wirkung viel Aehnlichkeit mit dem Eserin, Pilokarpin und Arekolin besitzt. Sie erzeugt gesteigerte Sekretion aller Drüsen, Darmtetanus, Uteruskontraktionen, Krämpfe, Aufregung und Lähmung des Gehirns, Herzstillstand und Lungenödem. Nach Ellenberger (Berliner Archiv 1887) traten bei Pferden schon nach Dosen von 0,04 Muskarin schwere Vergiftungserscheinungen auf. Die im Lärchenschwamm enthaltene Agarizinsäure von der Formel C10H30O5 stimmt mit dem Atropin in der sekretionsbeschränkenden Wirkung überein. Es tötet durch Lähmung der im verlängerten Mark gelegenen Zentren (Herzzentrum, Atmungszentrum, vasomotorisches Zentrum) und erzeugt ausserdem Gastroenteritis. Amanita phalloides enthält nach Kobert ein ausserordentlich giftiges Toxalbumin, das Phallin, das stärkste bekannte Blutgift, welches die roten Blutkörperchen noch bei 125000facher Verdünnung vollständig auflöst (Hämolyse) und dadurch zu Hämoglobinämie und Hämoglobinurie, Polycholie, multiplen Blutgerinnungen durch das infolge der Auflösung der Blutkörperchen freigewordene Fibrinferment (Leukonuklein) mit ihren Folgen, und zu schweren zerebralen Störungen Veranlassung gibt. Hunde und Katzen sterben schon nach der intravenösen Einverleibung von weniger als einem halben Milligramm Phallin pro Kilogramm Körpergewicht und zeigen schon eine halbe Stunde nach der Applikation Hämoglobinurie. Dabei erscheint im Harn zunächst Oxyhämoglobin, sehr bald aber infolge Umwandlung desselben im Blute Methämoglobin und sogar Gallefarbstoff. Hieran schliessen sich wie bei der Hämoglobinämie der Pferde parenchymatöse Nephriten mit Anurie und Urämie an. Die essbare Morchel enthält im frischen Zustand die sehr giftige Helvellasäure von der Formel C10H20O7, welche gleichfalls hämolytische Eigenschaften besitzt und infolge Auflösung[S. 359] der roten Blutkörperchen Hämoglobinämie erzeugt; ausserdem bestehen die Vergiftungserscheinungen in Tetanus, Trismus, Schwindel, Somnolenz, Bewusstlosigkeit, Erbrechen und Durchfall.
Krankheitsbild. Vergiftungen durch Giftschwämme kommen bei den Haustieren ausserordentlich selten vor. Die tierärztliche Literatur enthält nur vereinzelte einschlägige Beobachtungen. Nach Bizky (Monatshefte für prakt. Tierheilkunde 1898) erkrankten mehrere Fohlen nach der Aufnahme von Waldheu, welches Fliegenschwamm enthielt; sie zeigten Durchfall, Speichelfluss und Pupillenverengerung (Muskarinvergiftung). Munkel (Preuss. Mitteil. 1878) berichtet, dass eine Herde Mutterschafe erkrankte, nachdem sie im September in ein Gehölz getrieben wurde, in welchem zahlreiche Pilze wuchsen und zwar insbesondere Agaricus muscarius und delicissus, Cantharellus cibarius, Boletus edulis und Klavariaarten. Mehrere Schafe, welche mit grosser Begierde von den Pilzen gefressen hatten, erkrankten, indem sie umfielen und nicht mehr aufstehen konnten, so dass sie in diesem gelähmtem Zustande nach Hause getragen werden mussten; die erkrankten Tiere genasen jedoch alle. Mundesgruber (Repertor. 1843) beobachtete eine Vergiftung bei Gänsen. 600 Stück Gänse hatten im Walde unter anderen Pilzen Agaricus muscarius und pyrogalus aufgenommen. 180 Stück davon erkrankten und starben innerhalb 24 Stunden. Die Krankheitserscheinungen bestanden in Taumeln, wutähnlichem Benehmen und Wälzen. Bei der Sektion fand man Rötung und Entzündung der Schleimhaut des Schlundes, Kropfes und Darmes.
Therapie. Die Behandlung besteht in der Anwendung von Brechmitteln, Abführmitteln, Tannin, Lugolscher Lösung und in symptomatischen Massnahmen.
Rhus toxicodendron, der Giftsumach, ist eine in Nordamerika einheimische, bei uns in Gärten kultivierte und auch wild vorkommende Terebinthazee (Anakardiazee), welche ein mit dem Kardol (schwarzbraunes Oel der sog. Elefantenläuse, der Früchte von Anacardium occidentale) verwandtes stark reizendes Gift, die Toxikodendronsäure, enthält. Die Pflanze erzeugt bei ihrer Berührung Hautentzündung. Vergiftungen sollen bei Schafen und Ziegen nach dem Genusse der Blätter und Beeren beobachtet worden sein. Auch die chilenische Litrepflanze (Lithrea caustica), ebenfalls zu den Anakardiazeen gehörig, scheint einen kardolartigen Stoff zu enthalten. — Das Kardol ist eine ölige, gelbliche[S. 360] Flüssigkeit, gewonnen aus den unter dem Namen „Elefantenläuse“ bekannten Früchten von Anacardium occidentale und Semecarpus Anacardium (Terebinthazeen), von scharfer, kantharidinartiger Wirkung auf Haut und Schleimhäute (Dermatitis, Gastroenteritis besonders im Dickdarm).
Cyclamen europaeum, das Alpenveilchen (Schweinebrot, Saubrot, Erdscheibe), eine Primulazee, besitzt ein knolliges, kuchenförmiges Rhizom, welches ein mit dem Saponin bezw. Sapotoxin in der Wirkung verwandtes Glykosid, das Zyklamin, enthält. Dasselbe zerfällt beim Kochen in Zucker und Zyklamiretin. Die Knollen wirken reizend, entzündungserregend (Gastroenteritis), scheinen aber von Schweinen („Schweinebrot“) gut ertragen zu werden. In Italien werden die Knollen zum Fischfang verwendet (Lähmung der Fische). Das Zyklamin besitzt ausserdem blutauflösende Eigenschaften.
Aristolochia Clematidis, Osterluzei (Hohlwurz) ist ein auf Aeckern und in Hecken vorkommendes Unkraut mit weithin kriechender Wurzel, ½-1 m hohem, aufrechtem Stengel, am Grunde herzförmigen Blättern und gelben Blüten. Die Pflanze enthält ein scharf narkotisches Alkaloid, das Aristolochin, welches Nierennekrose, Leberverfettung und hämorrhagische Diathese erzeugen und ausserdem eine aloinähnliche Wirkung besitzen soll (Pohl, Arch. für exper. Pathol. 1891). Ein Vergiftungsfall nach der Aufnahme von Osterluzei bei 5 Pferden ist von Jeanin (Recueil 1850) beschrieben worden. Die Vergiftungserscheinungen bestanden in Schwanken, Schlafsucht, Pupillenerweiterung, Sehstörungen, Konvulsionen, Verstopfung, Absatz blutigen Kotes, Polyurie, Abmagerung und Schwäche, sowie Haarausfall (bei einem Pferd). Die Tiere erholten sich erst wieder vollständig nach Ablauf eines Vierteljahres.
Polygonum, Knöterich, kommt in 3 Arten vor. 1. Polygonum Persicaria, der pfirsichblätterige Knöterich, ist ein ästiges Unkraut mit länglichlanzettlichen bis linealen Blättern und roten oder weissen Blüten. Die Pflanze soll einen scharfen Stoff, die Polygoninsäure enthalten, welche jedoch nach anderen nur ein Gemenge von Gerbsäure und Gallussäure darstellt. Der Knöterich erzeugt bei Schweinen Gastroenteritis und Zystitis. 2. Polygonum hydropiper, der Wasserpfeffer, soll bei Schweinen Blutharnen bedingen. 3. Polygonum convolvulus, der windende Knöterich, verursachte bei einem Pferd akute Darmentzündung (Galtier, J. de Lyon 1887). — Eine Vergiftung bei Schafen durch verschiedene Polygonumarten hat Born (Veterinarius 1896) beschrieben. Die Tiere zeigten starke Depression des Sensoriums, Nystagmus, Krämpfe und Lähmung.
Caltha palustris, die Sumpf-Dotterblume (grosse Butterblume, Kuhblume), eine Ranunkulazee, enthält einen scharfen Stoff, welcher wahrscheinlich mit dem Anemonenkampfer (vergl. S. 242) identisch ist. Nach andern soll sie ein nikotinartiges Alkaloid enthalten. Bonin (Journal de Lyon 1888) berichtet über einen Vergiftungsfall bei Pferden. Nach der Aufnahme von Grünfutter, welches fast nur aus Sumpf-Dotterblumen bestand, zeigten sich Kolikerscheinungen, Tympanitis, Harndrang, sowie dunkelroter Harn von scharfem, charakteristischem Dotterblumengeruche. Ein Pferd starb. Nessler (Bad. landwirtschaftl. Wochenblatt 1870) beobachtete bei Rindern Durchfall nach dem Genuss der Pflanze.
[S. 361]
Ledum palustre, der Sumpfporst (Wilder Rosmarin), ist ein auf Torfwiesen wachsender bis meterhoher Strauch (Erikazee) mit immergrünen, linealen, rostbraunen, filzigen Blättern, welche Aehnlichkeit mit Rosmarin haben, und weisser Blumenkrone. Er enthält den Ledumkampfer und wirkt entzündungserregend auf die Digestionsschleimhaut.
Sium latifolium, der Merk (Wassermerk), ist eine in Wassergräben wachsende Umbellifere mit weisser Blütendolde. Sie enthält einen scharfen, reizenden und zugleich narkotisch wirkenden Stoff, welcher Gastroenteritis, Kolik, starke Aufregung und Betäubung erzeugt. Vergiftungen bei Rindern sind von Beyerstein (Repertor. 1850) und Löfmannn (Fin. Vet.-Zeit. 1901) beschrieben worden.
Gratiola officinalis, das Gottesgnadenkraut (Erdgalle) ist eine Sumpfpflanze aus der Familie der Skrophularineen mit stielrundem, ästigem Rhizom, bis 30 cm hohem, vierkantigem, kahlem Stengel, feingesägten kahlen Blättern und weisslichen, gelbrötlich angelaufenen Blüten. Die Pflanze enthält 2 Glykoside von purgierender Wirkung: das Gratiosolin von der Formel C46H42O25 und das Gratiolin von der Formel C40H34O14 sowie andere scharfe Stoffe (Gratiolacrin). Die Pflanze soll eine hämorrhagische Magendarmentzündung veranlassen.
Lactuca virosa, der Giftlattich, ist ein aufrechtes Kraut mit blaugrünen Blättern, gelben kleinen Blütenköpfchen und widerlichem Geruche (Komposite). Er enthält einen Milchsaft, Lactucarium, welcher durch scheibenweises Abschneiden des 2jährigen Stengels und Sammeln des austretenden Milchsaftes gewonnen wird. Man unterscheidet deutsches (Zell an der Mosel), österreichisches, französisches, englisches und amerikanisches Lactucarium. Der Milchsaft enthält das hypnotisch wirkende Laktuzin. Vergiftungen bei den Haustieren sind bisher nicht beobachtet worden.
Actaea spicata, das gemeine Christophskraut (Beschreikraut, Hexenkraut, Feuerkraut, Schwarzkraut, Wolfswurz, Christophoriana) ist eine in schattigen Laubwäldern, besonders auf den nordeuropäischen Gebirgen und in der Schweiz vorkommende Ranunkulazee mit glänzend schwarzen Beeren und einer dem Helleborus-Rhizom sehr ähnlichen Wurzel von bitterem, kratzendem, beissendem Geschmack, welche früher statt der Nieswurz therapeutisch angewandt wurde. Die Wurzel enthält ein scharfes Harz, das Zimifugin oder Makrotin, welches Erbrechen und Durchfall erzeugt. Vergiftungen bei den Haustieren sind bisher nicht beobachtet worden. Aehnlich wirkt Actaea cimifuga = Cimifuga fötida, das stinkende Wanzenkraut, sowie die in Amerika als Tonikum angewandte Actaea racemosa = Cimifuga racemosa, die schwarze Schlangenwurzel.
Bryonia alba und dioica, die Zaunrübe oder Gichtrübe (Stickwurz, Hundskürbis; Kukurbitazee), besitzt eine fleischige, aussen gelbe, innen weisse, milchende, über armsdicke, widerlich riechende und ekelhaft bitter schmeckende Wurzel, welche das giftige Glykosid Bryonidin neben dem ungiftigen Bryonin enthält. Die Wurzel, ein Hauptmittel der Homöopathie, besitzt purgierende und hämostatische Eigenschaften. In grösseren Mengen aufgenommen erzeugt sie eine hämorrhagische Gastroenteritis. Anger (Vet. Esc. 1899) beobachtete bei 7 Pferden reheähnliche Steifheit und Lähmung. Eine ausführliche Arbeit über Bryonia hat Mankowsky veröffentlicht (1890).
[S. 362]
Galega officinalis, die Geissranke (Geissklee, Geissraute, Fleckenraute, Pockenraute), ist eine im südlichen Europa an feuchten Stellen wachsende Papilionazee mit weisslichen, violetten Blütentrauben, unpaar gefiederten Blättern und linealen, einfächerigen Hülsen. Blanchard (Journal de Lyon 1888) beobachtete bei 10 Schafen nach der Aufnahme der blühenden und halbreife Schoten tragenden Pflanze eine innerhalb 24 Stunden tödlich verlaufende Vergiftung. Eine ähnliche Vergiftung bei 20 Schafen hat Bieler (ibid. 1889) beobachtet. Moussu (Bull. soc. Agric. 1907) berichtet, dass 50 Schafe einer Merinoherde innerhalb 2 Tagen an Geissrautenvergiftung eingingen, 2 mit Geissraute gefütterte Lämmer starben rapid, während Kaninchen und Meerschweinchen damit mehrere Tage ohne Schaden gefüttert wurden.
Pedicularis palustris, das Läusekraut, ist eine auf Sumpf- und Moorwiesen wachsende Skrophularinee mit ästigem Stengel, trübgrünen, gefiederten Blättern und grossen, fleischroten Blütenähren von widerlichem Geruche und scharfem Geschmacke.
Ferula communis, das Steckenkraut, eine Umbellifere, soll nach Brémond (Journal de Lyon 1887) in Algerien im Februar und März in allen Teilen giftig, nach dem Verblühen (April und Mai) dagegen durchaus ungiftig und eine gute Futterpflanze sein. Durch das Trocknen geht die Giftigkeit verloren. Die Vergiftung tritt erst nach 6–8tägigem Besuch der Weide auf. Am empfindlichsten sind Schafe, dann Ziegen, Rinder, Pferde und Schweine. Die Pflanze erzeugt eine hämorrhagische Diathese, Nasenbluten, Hämaturie, Darmblutung, sowie Hämatome auf den Psoasmuskeln. Die Krankheitsdauer beträgt 12–48 Stunden; die Mortalitätsziffer beläuft sich auf 98 Proz.
Hypericum perforatum, das Johanniskraut (Hexenkraut, Hasenkraut, Hartheu), eine Hyperikazee, enthält das Hyperizin und Hyperikumrot, 2 Farbstoffe, und wahrscheinlich noch ein ätherisches Oel. Pangoué (Rep. 1861) hat eine Vergiftung bei Tieren beobachtet. Die Erscheinungen bestanden in Abstumpfung, Benommenheit, Mydriasis und purpurroter Färbung der fleischfarbenen Lippenabzeichen.
Hydrocotyle vulgaris, das Nabelkraut (gemeiner Wassernabel), ist eine auf Moorwiesen und an sumpfigen Ufern wachsende Umbellifere von brennendem Geschmacke, welche einen scharfen Stoff, das Vellarin, enthält. Die früher als Diuretikum und als Wundmittel angewandte Pflanze soll bei den Haustieren Darmentzündung und Blutharnen erzeugen.
Scrophularia aquatica, die Wasserwurzel (Scr. alata, Betonica aquatica), enthält das Harz Scrophularacrin. Nach Bunciman (The vet. journ. 1885) erkrankten 6 Schafe nach dem Genusse der Pflanze an Appetitlosigkeit und Lähmungserscheinungen. Ueber eine Vergiftung durch Scrophularia nodosa, welche sich in Durchfall, Mattigkeit und Lähmung äusserte, hat Walley berichtet (Journ. of comp. 1891).
Madia sativa, die Saatmadie, eine 1jährige, aus Amerika stammende Komposite mit schwarzen, 4–5kantigen, 6–7 mm langen, ölhaltigen Früchten (Madiaöl), soll eine opiumähnliche Wirkung besitzen.
Sonchus arvensis, die Ackersaudistel, erzeugte nach Lecouturier (Repertor. 1860) bei 70 Schafen Betäubung und Lähmung, sechs davon starben.
[S. 363]
Asarum europaeum, die Haselwurz (Brechwurz), ist eine in ganz Europa, namentlich in Buchenwäldern vorkommende Aristolochiazee. Die Pflanze besitzt ein 10 cm langes Rhizom mit schuppenförmigen Niederblättern, nierenförmigen Laubblättern und braunen, innen purpurroten Blüten. Das Rhizom enthält das Asaron = Asarumkampfer von der Formel C20H26O5, sowie ein ätherisches Oel, das Asaren, von der Formel C10H16. Die Wirkung ist eine reizende, emetinähnliche. Noch giftiger ist Asarum canadense.
Paris quadrifolia, die Einbeere (Giftbeere, Sauauge, Fuchstraube), ist eine in Laubwäldern wachsende Liliazee mit schwarzen, kugeligen Beeren. Sie enthält 2 saponinartig wirkende Giftstoffe: das Paridin und Paristyphnin. Vergiftungen sind bei den Haustieren bisher nicht beobachtet worden. Eine toxikologische Monographie über die Einbeere ist von Schroff veröffentlicht worden.
Andromeda polyfolia, die Rosmarinheide, eine Erikazee, enthält das Glykosid Andromedotoxin = Asebotoxin mit blausäure- und akonitinähnlicher Wirkung (vgl. Rhododendron, S. 276). Auch Andromeda florida wirkt nach Dougall (Vet. journ. 1896) bei Schafen giftig.
Pirola, das Wintergrün, ist eine in schattigen Wäldern wachsende Erikazee mit fadenförmigem, ästigem Rhizom, rundlich ovalen Laubblättern und traubigen Blüten. Die früher als Wundmittel (Adstringens) benützte Pflanze enthält Gerbsäure, Gallussäure, Arbutin, Erikolin und Urson. Sie soll beim Rinde Blutharnen erzeugen (Weinmann, Ad. Woch. 1865).
Typha latifolia, das Kolbenrohr, eine Sumpfpflanze (Typhazee), soll für Kühe giftig sein.
Selinum palustre, die Sumpfsilge, soll für Schafe giftig sein.
Chenopodium hybridum, der Gänsefuss (Schweinemelde), enthält das Glykosid Chenopodin. Die Pflanze soll bei Schweinen Gastroenteritis, Betäubung und Blutauflösung erzeugen.
Azalea pontica, ein 1–2 m hoher Strauch (Erikazee), im Garten als Zierpflanze kultiviert, mit goldgelben, trichterförmigen Blüten, hat in einem von Zirkel (Preuss. Mitt. 1864) beobachteten Fall bei Ziegen Magendarmentzündung verursacht. Auch bei einer Katze wirkten die Blätter tödlich (Magdeburg).
Astragalus mollissimus soll nach Sayre (Amer. vet. Rev. 1888) die Ursache der in Mexiko, Colorado und Kansas auftretenden sogen. „Lokokrankheit“ sein, welche sich bei Pferden und Rindern in schweren Gehirnstörungen, Halluzinationen, Hyperästhesie, Krämpfen, Muskelschwäche, unsicherem Gang und Abmagerung äussert. Sayre hat das Krankheitsbild auch experimentell durch Verfütterung von Astragalus bei Pferden erzeugt. Die Tiere verlieren das Taxieren der Entfernungen, drehen sich im Kreise und fallen plötzlich erschrocken um. Nach Klench soll die Vergiftung durch Crotallaria sagittalis bedingt sein. Nach Crawford enthalten die schädlichen Astragalusarten giftige Baryumverbindungen.
Evonymus europaeus, das Pfaffenhütlein (gemeiner Spindelbaum, Spillbaum), ist eine in Europa wild wachsende und auch angepflanzte Celastrazee, welche ein purgierendes und digitalisähnlich wirkendes Harz, das Evonymin, enthält und angeblich bei Ziegen und Schafen Veranlassung zu tödlichen Vergiftungen gegeben hat. Das unter dem Namen Evonymin[S. 364] neuerdings als Abführmittel empfohlene Fluidextrakt wird aus Evonymus atropurpureus (Wahoo), einer nordamerikanischen Celastrazee, dargestellt.
Clematis, die Waldrebe (Cl. vitalba, erecta und flammula), ist eine Ranunkulazee, deren verschiedene Arten einen stark reizenden Stoff, den Clematiskampfer, enthalten; derselbe stimmt in seiner Wirkung mit dem Anemonenkampfer (vgl. S. 242) überein.
Viburnum lantana, der Schneeball (türkische Weide), soll bei Rindern Blutharnen erzeugen.
Drosera, der Sonnentau (Dr. rotundifolia und longifolia), eine Droserazee, soll für Schafe giftig sein.
Thuja occidentalis, der Lebensbaum, und andere Thujaarten besitzen eine sabinaähnliche Wirkung.
Ruta graveolens, die Gartenraute, enthält ein scharfes ätherisches Oel und besitzt angeblich eine abortive Wirkung.
Mentha Pulegium, der Poley, eine zuweilen auch medizinisch gebrauchte Labiate, enthält ein ätherisches Oel, Oleum Pulegii, von phosphorartiger Wirkung, indem es sehr intensive Verfettung der Leber, der Nieren und des Herzens erzeugt.
Gelsemium sempervirens, der gelbe Jasmin, enthält 2 giftige Alkaloide, das Gelseminin, welches eine lähmende Wirkung auf das Atmungszentrum und die Muskulatur, sowie eine nikotinartige auf den Vagus besitzt, und das Gelsemin, ein strychninartig wirkender Körper. Vergiftungen haben sich bisher nur beim Menschen durch zu hohe Dosierung der Tinctura Gelsemii (Antineuralgikum) ereignet; sie äusserten sich in Schwindel, Mydriasis, Ptosis, Schwäche in den Beinen und Dyspnoe. Therapie: Exzitantien, künstliche Respiration.
Templetonia glauca und Sophora secundiflora, zwei ausländische Schmetterlingsblüter, sind nach den Untersuchungen von Cornevin (Journ. de Lyon) Giftpflanzen (Erbrechen, Krämpfe, Lähmung).
Plumbago, die Bleiwurz, von Plumbago europaea, sowie andere als Zierpflanzen in Gärten kultivierte ausländische Plumbaginazeen enthalten das blasenziehende Plumbagin = Ophioxylin (früher als „Radix Dentariae“ benütztes Vesikans).
Sedum acre, der Mauerpfeffer, eine Krassulazee (nicht zu verwechseln mit Ledum palustre), enthält ebenfalls einen scharf reizenden, blasenziehenden Stoff.
Atractylis gummifera, eine zu den Kompositen gehörige Distelart der Mittelmeerländer, enthält nach Saloignol (Recueil 1897) ein scharf narkotisches Gift. 4 Schweine verendeten nach 2 Stunden unter tetanischen Erscheinungen; die Sektion ergab hämorrhagische Gastroenteritis.
Corchorus capsularis, eine in China und Japan kultivierte, die Jute (chinesischen Hanf) liefernde Tiliazee, enthält in den Samen ein Glykosid, das Corchorin, welches zu den stärksten Giften gehört, indem es Pferde schon in subkutanen Dosen von 3 mg pro Kilo Körpergewicht unter den Erscheinungen der Vaguslähmung tötet. In Japan sind zahlreiche Vergiftungen bei Pferden und Rindern vorgekommen (Tsuno, Monatshefte für prakt. Tierhlkde 1896, VI. Bd.).
[S. 365]
Cannabis sativa, der Hanf (Urtikazee), ist im Gegensatz zum indischen Hanf in der Regel ungiftig. Nach Tyroler (Veterinarius 1896) sollen 25 Rinder, die aus einem Hanf enthaltenden Wasser getrunken hatten, kurze Zeit darauf sich wie betrunken benommen haben; eins derselben soll gestorben sein. Mermelstein (ibid. 1900) sah bei einem 4jährigen Pferde, das auf dem Felde Hanf gefressen hatte, Kolik, Taumeln, kreuzweise Stellung der Hinterbeine, Muskelzittern und pochenden Herzschlag; das Tier erholte sich nach Verabreichung eines Abführmittels.
Echium vulgare, der Natternkopf, eine Boraginee, erzeugte bei 15 Pferden Erbrechen und starkes Speicheln (Michotte, Belg. Ann. 1892).
Prosopis Juliflora, eine in des wärmeren Gegenden vorkommende Mimose, erzeugt nach Abrahams (Vet. journ. 1897) die sog. Cashaw-Vergiftung.
Populus balsamifera wirkt nach Walley (Journ. of comp., 7. Bd.) auf junge Pferde und Rinder giftig und selbst tödlich; die Aufnahme der Blätter erzeugt heftige Kolik und Durchfall.
Kürbis verursachte bei 4 Pferden, welche frischen Kürbis gefressen hatten, Abstumpfung, Aufregung, schnarchendes Atmen, Pupillenerweiterung, hohe Pulsfrequenz und Muskelzittern (Werkner, Veterinarius 1897). Nach dem Füttern von Kürbiskernen traten bei Mastochsen milzbrandähnliche Erscheinungen auf: hohes Fieber, Schwäche, Benommenheit; die Sektion ergab blutige Entzündung der Vormägen und des Dünndarms (Szatmary, B. T. W. 1909).
Knoblauch erzeugte bei 40 Rindern tollwutähnliche Erscheinungen (Pascault, Recueil 1889).
Tamus communis, die schwarze Zaunrübe, eine Smilazee, besitzt rote, kugelige Beeren von giftiger Wirkung (Gastroenteritis, Lähmung).
Leucojum aestivum, die Sommerlevkoje, eine Amaryllidee, enthält einen scharf narkotischen Stoff, welcher Magendarmentzündung, Schwindel und Betäubung erzeugt.
Ligustrum vulgare, der Hartriegel, eine Oleazee, enthält in seinen Beeren das giftige Syringin, sowie das Ligustron; die Beeren wirken scharf, entzündungserregend.
Cynoglossum, die Hundszunge, besitzt kurareähnliche Wirkungen.
Onopordon Acanthium, die Eselsdistel, eine Komposite, bewirkt Erbrechen, Durchfall und Krämpfe.
Nigella sativa, der Schwarzkümmel (Ranunkulazee), enthält das Melanthin mit saponinartiger Wirkung.
Paeonia officinalis, die Gichtrose oder Pfingstrose, eine Ranunkulazee, enthält in den Blüten und Samen einen scharfen, Gastroenteritis erzeugenden Giftstoff; desgleichen Paeonia corallina und peregrina.
Berberis vulgaris, die Berberitze (Sauerdorn, Weinschädling), eine Berberidee, enthält das giftige Alkaloid Berberin, welches Konvulsionen, sowie Erregung und spätere Lähmung des Atmungszentrums bedingt.
Heracleum sphondylium, die deutsche Bärenklau, erzeugte bei Rindern Schäumen, Taumeln, bedenkliche Schwäche und Niederstürzen; eine Kuh wurde durch den Magenschnitt gerettet (Honeker, D. T. W. 1900).
[S. 366]
Urtica dioica, die Brennessel, soll nach Rohr (Progr. vét. 1907) besonders zur Herbstzeit ein scharfes Gift enthalten, welches sogar Hühnerhunde beim Streifen durch das Gebüsch unter Krampferscheinungen töten soll; ausserdem entsteht durch das Eindringen der Nesselhaare Hautentzündung, Stomatitis, Pharyngitis und Laryngitis. Bei einem jungen Teckel glaubt Holterbach (B. T. W. 1908) eine ähnliche tödliche Vergiftung beobachtet zu haben (Taumeln, Lähmung).
Senecio Jacobaeus, das Jakobskraut, soll nach Gilruth (The Vet. Bd. 75) bei Pferden und Rindern in Neu-Seeland häufig Leberzirrhose veranlassen. Die Krankheitserscheinungen bestehen in Ikterus, Aszites, Durchfall, schneller Abmagerung und Schwäche; bei der Sektion erscheint die Leber lederartig derb und schieferartig gefärbt. Auch experimentell liess sich bei 2 gesunden, 6 Monate alten Kälbern nach Ablauf eines Monats tödliche Leberzirrhose durch die tägliche Verfütterung von 3 kg Jakobskraut erzeugen.
Cardamine pratensis, das Wiesenschaumkraut erzeugte nach Stottmeister (Zeitschr. f. Vet. 1902) bei 15 Remonten des Remontedepots Wirsitz Verschlag. Schon im Jahr 1894 waren 24 Remonten ebenfalls an Verschlag erkrankt. Auch experimentell liess sich bei einigen Pferden und sogar bei Kühen nach 5–8 Stunden durch Verfütterung des frischen Krautes (nicht des getrockneten) Rehe erzeugen.
Centaurea Cyanus, die Kornblume, erzeugte nach Dopheide (Berl. Arch. 1901) bei einer Kuh, welche eine grössere Menge vom Besitzer ausgezogener grüner Kornblumenpflanzen gefressen hatte, wenige Stunden später eine vollständige Lähmung des Hinterteils; nach Verabreichung von schwarzem Kaffee trat in kurzer Zeit Heilung ein.
Cuscuta Trifolii, die Kleeseide, veranlasste nach Holterbach (D. T. W. 1908) bei 4 Kühen eine Vergiftung, nachdem sie Klee (Trifolium pratense) mit 50% Kleeseide gefüttert erhielten. Die Tiere zeigten Anfälle von Muskelzittern, Krämpfen der Gliedmassen und Raserei; die Anfälle dauerten ¼ Stunde (eine Kuh zeigte 4 Anfälle), worauf Erschöpfung und Schweissausbruch eintrat; alle Tiere genasen.
Strobuli Lupuli, die Hopfendolden, bedingen nach Zaruba (Tierärztl. Zentr. 1907) alljährlich zur Zeit der Hopfenernte einen eigentümlichen Futterausschlag beim Rind, wenn die Hopfenranken verfüttert werden, in Form eines papulösen Exanthems am Euter und an den Hinterbeinen, das stellenweise vesikulär und pustulös ist und sich in einem Falle über den ganzen Körper verbreitete; nach 10 Tagen trat Heilung ein.
Daucus Carota, gelbe Rüben (Mohrrüben), wirken nach Böhm bei der Verfütterung an Frettchen giftig. Auch bei Pferden sollen sie unter Umständen schwere Darmentzündung (Preuss. Mil. Vet. Ber. 1900), Lähmungserscheinungen (Holterbach, B. T. W. 1907) und Abortus (Suckow, B. T. W. 1908) bei zu reichlicher Fütterung veranlassen. Auch die weissen Rüben bedingen nach Thomassen (Monatsh. f. prakt. Tierheilk. 1902) nach ausschliesslicher Verfütterung bei Pferden die Erscheinungen der enzootischen Bulbärparalyse: Schlinglähmung sowie Lähmung des Hinterteils aszendierend auf das Vorderteil; sie sollen einen Giftstoff enthalten, dessen Wirkung speziell auf die Medulla oblongata gerichtet ist.
[S. 367]
Melassevergiftung. Pferde, welche längere Zeit hindurch täglich 1–2 kg Torfmehlmelasse erhielten, zeigten Harndrang, Polyurie, Darmkatarrh, Durchfall, Kolik, Herzschwäche, Petechien auf Augen- und Nasenschleimhaut, Mauke, Lähmungserscheinungen usw.; die Sektion ergab chronische Nephritis (Dammann, Preuss. Vet. Ber. 1904; Preuss. Mil. Vet. Ber. 1902 ff.).
Cotyledon ventricosa erzeugt nach Jakobsen (Viehseuchen in Deutsch-Südwestafrika 1907) bei Schafen und Ziegen Taumeln.
Phytolacca decandra, die Kermesbeere (Scharlachbeere) enthält eine saponinartige Substanz. Rinder erkrankten nach dem Beweiden ihres Standorts an Gastroenteritis (White, Journ. of comp. 1902).
Festuca Hieronymi bezw. das darauf schmarotzende Pilzmyzel von Endoconidium tembladerae erzeugt bei den Pflanzenfressern der südamerikanischen Anden eine charakteristische Vergiftung, die sog. „Trembladera“, die sich in Muskelzittern, Schüttelfrost, Druckempfindlichkeit der Wirbelsäule, Gleichgewichtsstörungen, Lähmungserscheinungen und Harnverhaltung bei freier Psyche äussert (Rivas und Zanolli, La Trembladera, La Plata 1909).
Diversa. Poa aquatica wirkt an und für sich nicht giftig, sondern nur, wenn es von Ustilago longissima befallen ist. Dasselbe gilt vom Schilfgras (Phragmites communis), welches häufig von Puccinia arundinacea befallen ist. Von giftigen Pilzen sind ferner noch zu erwähnen Peronospora viticola, der Rebenmehltau, welcher bei Kühen Kolik, Tympanitis, Verstopfung, Durchfall und Abortus hervorruft (Bissauge, Recueil 1893), Peronospora Herniariae, welches bei Schafen starke Salivation und Peronospora Viciae (Mehltau der Wicken und Erbsen), welches Abortus erzeugen soll.
I. Colchicaceen. Colchicum autumnale, Herbstzeitlose; Veratrum album, weisse Nieswurz; Sabadilla officinalis, Sabadillsamen.
II. Solaneen. Atropa Belladonna, Tollkirsche; Hyoscyamus niger, Bilsenkraut; Datura Stramonium, Stechapfel; Nicotiana Tabacum, makrophylla und rustica, Tabak; Solanum nigrum, Nachtschatten; Solanum Dulcamara, Bittersüss; Solanum tuberosum, Kartoffelkraut; Skopolia atropoides, Duboisia myroporoides, Ephedra vulgaris.
III. Apocyneen. Strychnos nux vomica, Brechnussbaum; Strychnos gujanensis, Kurarebaum; Strychnos Ignatii, Ignatiusstrauch; Strophanthus hispidus, Kombesamen; Nerium Oleander Oleander; Nerium odorum; Apocynum cannabinum.
IV. Euphorbiazeen. Euphorbia Cyparissias, Peplus, helioskopia, marginata u. a., Wolfsmilch; Mercurialis annua und perennis, Bingelkraut; Croton Tiglium, Krotonsamen; Ricinus communis, gemeiner Wunderbaum; Buxus sempervirens, Buchsbaum.
[S. 368]
V. Ranunkulazeen. Ranunculus sceleratus, acris, arvensis, repens, Ficaria, flammula, bulbosus, lanuginosus, Lingua, auricomus, polyanthemus, Hahnenfuss; Helleborus fötidus, viridis und niger, Nieswurz; Aconitum ferox, neomontanum, variegatum und Napellus, Sturmhut; Aconitum lycoctonum, Wolfseisenhut; Clematis erecta, Waldrebe; Adonis vernalis, Delphinium Staphisagria, Stephanskörner; Caltha palustris, Sumpfdotterblume; Actaea spicata und racemosa, Christophskraut, Schlangenwurzel; Nigella sativa, Schwarzkümmel; Paeonia officinalis, Gichtrose.
VI. Umbelliferen. Conium maculatum, Fleckschierling; Cicuta virosa, Wasserschierling; Aethusa Cynapium, Gartenschierling; Oenanthe crocata und fistulosa, Rebendolde; Chaerophyllum temulum, Taumelkerbel; Sium latifolium, Merk; Ferula communis, Steckenkraut; Hydrocotyle vulgaris, Nabelkraut.
VII. Papilionazeen. Physostigma venenosum, Kalabarbohne; Cytisus Laburnum, Goldregen, und andere Cytisusarten; Lathyrus cicer, Kichererbse; Lathyrus sativus, Platterbse; Coronilla scorpioides, Kronenwicke; Melilotus officinalis, Steinklee; Lupinus luteus, albus und angustifolius, Lupine; Galega officinalis, Geissranke; Astragalus molissimus; Robinia Pseudoacacia.
VIII. Amygdaleen. Amygdalus communis, Bittermandelbaum; Prunus laurocerasus, Kirschlorbeer; Prunus Padus, Traubenkirschbaum; Prunus persicus, Pfirsichbaum; Prunus domesticus, Pflaumenbaum; Prunus cerasus, Kirschbaum.
IX. Scrophularineen. Digitalis purpurea, Fingerhut; Gratiola officinalis, Gottesgnadenkraut; Pedicularis silvatica und palustris, Läusekraut; Antirrhinum majus, Orant; Melampyrum, Wachtelweizen; Scrophularia aquatica, Wasserwurzel.
X. Koniferen. Taxus baccata, Eibenbaum; Juniperus Sabina, Sadebaum; Pinus abies usw.; Thuja occidentalis, Lebensbaum.
XI. Papaverazeen. Papaver somniferum, Mohn; Papaver Rhöas, Klatschrose; Chelidonium majus, Schöllkraut.
XII. Caryophyllazeen. Agrostemma Githago, Kornrade.
XIII. Kupuliferen. Fagus silvatica, Buche (Bucheckern); Quercus Robur, Eiche.
XIV. Polygoneen. Rumex acetosa und acetosella, Sauerampfer; Polygonum fagopyrum, Buchweizen; Polygonum convolvulus, Persicaria und hydropiper, Knöterich.
XV. Amaryllideen. Narcissus pseudonarcissus und poëticus, Narzisse; Leucojum aestivum, Sommerlevkoje.
XVI. Thymelaeazeen. Daphne Mezerëum und Laureola, Seidelbast.
XVII. Erikazeen. Rhododendron hirsutum, ferrugineum, maximum, ponticum und chrysanthum, Alpenrose; Andromeda polyfolia u. a., Rosmarinheide; Ledum palustre, Sumpfporst; Pirola, Wintergrün; Azalea pontica.
XVIII. Aroideen. Arum maculatum, Aronstab; Calla palustris, Schweinekraut; Dieffenbachia seguina, Schweigrohr.
XIX. Asklepiadeen. Asklepias Vincetoxicum, Schwalbenwurzel.
XX. Konvolvulazeen. Ipomoea Purga, Jalappe; Cuscuta europaea, Flachsseide.
XXI. Kruziferen. Brassica nigra, Senf; Brassica Rapa, Rübsen; Brassica Napus, Reps; Brassica juncea, Sareptasenf; Sinapis arvensis, Ackersenf; Raphanus Rhaphanistrum, Hederich; Erysimum vulgare,[S. 369] Wegsenf; Arabis tartarica, Gänsekresse; Cochlearia Armoracia, Meerrettig.
XXII. Piperazeen. Piper nigrum, Pfeffer.
XXIII. Liliazeen. Aloë ferox etc., Aloe; Paris quadrifolia, Einbeere.
XXIV. Rhamneen. Rhamnus cathartica, Kreuzdorn.
XXV. Berberideen. Podophyllum peltatum.
XXVI. Polypodiazeen. Pteris aquilina, Adlerfarn.
XXVII. Malvazeen. Gossypium herbaceum, Baumwollpflanze.
XXVIII. Terebinthazeen. Rhus toxicodendron, Giftsumach; Anacardium occidentale und Semecarpus Anacardium, Elefantenläuse.
XXIX. Primulazeen. Cyclamen europaeum, Alpenveilchen.
XXX. Aristolochiazeen. Aristolochia Clematidis, Osterluzei; Asarum europaeum, Haselwurz.
XXXI. Kompositen. Lactura virosa, Giftlattich; Madia sativa, Saatmadie; Sonchus arvensis, Ackersaudistel; Achillea Millefolium, Schafgarbe; Onopordon Acanthium, Eselsdistel.
XXXII. Kukurbitazeen. Bryonia alba und dioica, Zaunrübe; Momordica Elaterium, Springgurke; Citrullus Colocynthis, Koloquinthengurke.
XXXIII. Hyperikazeen. Hypericum perforatum, Johanniskraut.
XXXIV. Typhazeen. Typha latifolia, Kolbenrohr.
XXXV. Chenopodiazeen. Chenopodium hybridum, Gänsefuss.
XXXVI. Celastazeen. Evonymus europaeus, Pfaffenhütlein.
XXXVII. Caprifoliazeen. Viburnum Lantana, Schneeball.
XXXVIII. Droserazeen. Drosera rotundifolia, Sonnentau.
XXXIX. Rutazeen. Ruta graveolens, Raute; Pilocarpus pennatifolius.
XL. Labiaten. Mentha Pulegium, Poley.
XLI. Plumbaginazeen. Plumbago europaea, Bleiwurz.
XLII. Krassulazeen. Sedum acre, Mauerpfeffer.
XLIII. Smilazeen. Tamus communis, Zaunrübe; Convallaria majalis, Maiblume.
XLIV. Oleazeen. Ligustrum vulgare, Gemeiner Liguster.
XLV. Berberideen. Berberis vulgaris, Berberitze.
XLVI. Artokarpeen. Antiaris toxica, javanischer Giftbaum.
XLVII. Kannabineen. Cannabis indica, indischer Hanf; Cannabis sativa, deutscher Hanf.
XLVIII. Lobeliazeen. Lobelia inflata, aufgeblasene Lobelie.
XLIX. Menispermeen. Anamirta Cocculus, Kokkelskörnerstrauch.
L. Palmen. Areca Catechu, Arekanuss.
LI. Sapindazeen. Paullinia australis und Cururu, amerik. Pfeilgift.
LII. Lineen. Linum usitatissimum, Lein.
LIII. Equisetaceen. Equisetum arvense, palustre, limosum, hiemale, Schachtelhalm.
LIV. Gramineen. Lolium temulentum, Taumelloch.
LV. Filizes. Aspidium Filix Mas, Wurmfarn.
[S. 370]
LVI. Schimmelpilze (Mukorineen). Mucor, Blasenschimmel; Aspergillus, Kolbenschimmel; Penicillium, Pinselschimmel; Oïdium, Milchschimmel.
LVII. Brandpilze (Ustilagineen). Tilletia Caries, Schmierbrand; Ustilago, Flugbrand.
LVIII. Rostpilze (Uredineen). Puccinia Graminis, Straminis, coronata und arundinacia, Getreiderost; Uromyces, Leguminosenrost.
LIX. Kernpilze (Pyrenomyzeten). Claviceps purpurea, Mutterkorn; Polydesmus exitiosus, Rapsverderber; Polythrincium Trifolii; Epichloë typhina.
LX. Schwämme (Fungi). Agaricus muscarius, Fliegenpilz; Agaricus phalloides, Knollenblätterschwamm; Fungus Laricis, Lärchenschwamm; Russula emetica, Speiteufel; Cantharellus aurantiacus, falscher Eierschwamm; Boletus Satanas, Satanpilz; Helvella esculenta, Morchel.
[S. 371]
Allgemeines. Die Kanthariden oder spanischen Fliegen (Lytta vesicatoria) sind 1½-3 cm lange und 6–9 mm breite Käfer mit intensiv grünen, metallisch glänzenden, oblongen Flügeldecken. Sie leben auf Liguster, Flieder, Eschen und Pappeln und enthalten im ganzen Körper, namentlich aber in den Geschlechtsteilen (junge Käfer sind deshalb weniger giftig) einen kampferähnlichen, säureartigen Stoff, das Kantharidin von der Formel 2(C5H6C2). Das Kantharidin stellt chemisch eine Laktonsäure dar, die sich vom Orthoxylol ableitet; es ist verwandt mit dem in den Ranunkulazeen enthaltenen Anemonin, deren Blätter dem ebenfalls kantharidinhaltigen Maiwurm (Meloë majalis) als Nahrung dienen. Die Ursachen der Kantharidenvergiftung sind in zu konzentrierter oder ausgedehnter äusserlicher Anwendung der Kantharidenpräparate (Salbe, Tinktur, Oel, Pflaster) als Epispastika, in zu hoher Dosierung des Mittels als Aphrodisiakum, sowie in der Aufnahme der spanischen Fliegen mittelst des Futters zu suchen. Die Todesdosis beträgt bei innerlicher Anwendung für das Rind und Pferd 25–35 g, für den Hund ½-1 g.
Von kantharidinhaltigen Käfern sind ferner zu nennen: Lytta violacea, gigar und adspersa, Meloë proscarabaeus, majalis (Maiwurm) und angusticollis, sowie verschiedene Mylabris- und Kantharisarten.
Krankheitsbild und Sektionsbefund. Das Kantharidin wirkt auf der Haut blasenziehend, auf der Digestionsschleimhaut entzündungserregend; ausserdem erzeugt es bei seiner Ausscheidung durch die Nieren Nephritis und Zystitis. Bei der innerlichen Einverleibung treten die Erscheinungen der Stomatitis und Gastroenteritis, bei der epidermatischen Anwendung die der Nephritis in den Vordergrund. Die einzelnen Krankheitserscheinungen sind, soweit sie den Digestionsapparat betreffen: Speicheln, Schlingbeschwerden, Erbrechen, Kolik, blutige Diarrhöe, Tenesmus. Beim Rind wird auch zuweilen Abgang von Kruppmembranen mit dem Kot beobachtet (Enteritis crouposa). Die entzündliche Reizung der Nieren-, der Blasen- und Harnröhrenschleimhaut äussert sich in aufgeregtem Geschlechtstrieb,[S. 372] Polyurie, Harndrang, Blutharnen, Eiweissharnen, Rötung und Schwellung der Vaginal- und Präputialschleimhaut und selbst Anschwellung des Präputiums und der Eichel. Diese Wirkung auf den Urogenitalapparat beobachtet man auch bei ausgedehnter äusserlicher Anwendung der Kanthariden oder beim Einstreuen derselben in Wunden; die entzündliche Reizung der Digestionsschleimhaut fehlt aber in diesen Fällen. Der Tod erfolgt unter den Erscheinungen der allgemeinen Schwäche durch Atmungslähmung.
Bei der Sektion findet man die Erscheinungen der Stomatitis, Pharyngitis, Gastritis, Enteritis haemorrhagica, Zystitis und Nephritis (sog. Kantharidin-Nephritis; hauptsächlich Erkrankung der Glomeruli und der gewundenen Harnkanälchen). Zuweilen beobachtet man auch Laryngitis, Rhinitis und Konjunktivitis. Die Behandlung besteht in der Verabreichung schleimiger, einhüllender Mittel in Verbindung mit Opium. Oelige Mittel sind wegen der Auflösung des Kantharidins und der dadurch beförderten Resorption desselben zu vermeiden. Die Lähmungserscheinungen behandelt man mit Exzitantien (Kampfer).
Nachweis. Sind die Kanthariden in unpräparierter Form innerlich aufgenommen worden, so genügt das Auffinden der charakteristischen grüngefärbten Flügeldecken zum Nachweise der Vergiftung. Bei Vergiftungen nach äusserlicher Anwendung der Kanthariden kann ferner das Kantharidin durch chemische und physiologische Reaktionen nachgewiesen werden. Dasselbe wird wie die Alkaloide nach der Stasschen Methode schon aus sauren wässerigen Lösungen durch Aether, Benzol, Chloroform, Amylalkohol ausgeschüttelt; am besten eignet sich hierzu Chloroform. Zur Untersuchung von Blut und Körperteilen auf Kantharidin hat ausserdem Dragendorff eine besondere Methode angegeben. Danach wird das Untersuchungsmaterial fein zerschnitten und mit Kalilauge (1 Kalihydrat auf 12–15 Teile Wasser) in einer Porzellanschale so lange erhitzt, bis eine durchaus gleichartige Flüssigkeit entstanden ist. Nach dem Erkalten wird dieselbe mit Wasser verdünnt, mit Chloroform ausgeschüttelt (kantharidinsaures Kali), nach Abtrennung des Chloroforms mit Schwefelsäure bis zur stark sauren Reaktion versetzt und sofort mit dem vierfachen Volum Alkohol gemischt, das Gemisch eine Zeitlang im Sieden erhalten, heiss filtriert, das Filtrat möglichst stark abgekühlt, noch einmal filtriert und durch Destillation[S. 373] vom Alkohol befreit (Kantharidin). Die zurückbleibende wässerige Flüssigkeit wird mit Chloroform wie oben behandelt, nachdem zuerst die an den Wandungen der Retorte haftenden Massen (Kantharidin) durch dasselbe aufgenommen worden sind. Alle Chloroformauszüge werden dann verdunstet und der Rückstand, das reine Kantharidin, mit etwas Mandelöl aufgenommen.
Die wichtigsten Reaktionen des Kantharidins sind: 1. Die physiologische Reaktion, welche im Auftragen des in Oel aufgenommenen Kantharidins auf die menschliche Haut besteht, wobei die Substanz als blasenziehend erkannt wird. Am besten lässt man die Kantharidinlösung in ein Stück englische Charpie einziehen und befestigt dasselbe mit Heftpflaster auf seiner Brust oder auf dem Oberarme. 2. Metallniederschläge entstehen beim Zusammenbringen des Kantharidins mit verschiedenen Metallsalzen. Man löst das Kantharidin in wenig Kali- oder Natronlauge und löst die dabei entstehenden Kristalle in etwas Wasser auf. Die Lösung gibt dann mit Chlorbaryum und Chlorkalzium weisse, mit Kupfervitriol und schwefelsaurem Nickeloxydul grüne, mit schwefelsaurem Kobaltoxydul rote, mit Bleizucker, Sublimat und Höllenstein weisse, kristallinische, meist rhombische Niederschläge von kantharidinsauren Metallen.
Kasuistik. Römmele (Bad. Mitteil. 1866) berichtet, dass auf einem Gute spanische Fliegen von benachbarten Eschenpflanzungen und Holundersträuchen in das Wiesengras gelangten, was zur Folge hatte, dass ein grosser Teil des Viehstandes mehrere Jahre hindurch Blasenbildung auf der Maulschleimhaut, Nasenschleimhaut und Scheidenschleimhaut, erregten Geschlechtstrieb, Hämaturie, Harndrang, Abortus, Anämie und Abmagerung zeigte. — Brandes (Magazin Bd. 3) sah nach scharfen Einreibungen beider Brustwandungen mit je 50 g Kantharidensalbe, wobei nach 12 Stunden beiderseitig je 15 g Salbe nachgerieben wurden, bei Pferden regelmässig Polyurie eintreten. 3 Pferde zeigten ausserdem schwankenden Gang und Lähmungserscheinungen. — Bertsche (Bad. tierärztl. Mitt. 1890) beschreibt eine Vergiftung bei einer Kuh, welcher zum Zwecke des Brünstigwerdens etwa 25 g Kantharidenpulver von einem Landwirt eingegeben worden waren. Die Maulschleimhaut war weisslich verfärbt, das Epithel an der Zunge, am Zahnfleisch und Gaumen bis in die Nasenhöhle in Fetzen abgelöst. Urin wurde häufig, aber immer nur in geringen Mengen abgesetzt, derselbe war rötlich gefärbt. Die Futteraufnahme war ganz aufgehoben, beim Abschlucken zeigte das Tier grosse Schmerzen. Mit dem Kot gingen 1–1½ m lange darmähnliche Kruppmassen ab. Die Bewegung war matt und schwankend. Nach eingeleiteter Behandlung trat langsame Genesung ein. — Ein Pferd starb nach der Einreibung von Kantharidensalbe an Nephritis nach 2 Tagen (Pr. Mil. Vet. Ber. 1895). — Metzger (D. T. W. 1896) sah bei einer Kuh, welche etwa 10 g Kanthariden eingegeben erhalten hatte, schwankenden Gang, Salivation, Stomatitis und Pharyngitis sowie Polyurie. Das bis zum Skelett abgemagerte Tier brauchte etwa ein Vierteljahr zur Erholung. — Carougeau (Journ. de Lyon 1897) beobachtete bei einem Pferde nach der Einreibung mit Kantharidensalbe akute hämorrhagische Nephritis, wobei die Glomeruli um das 2–3fache vergrössert waren. — Heck (Am. vet. rev. 1898) sah bei einem Hengst nach der Verabreichung von 8 g Kanthariden Stomatitis,[S. 374] Pharyngitis, Polyurie, Kolik und Tod nach 12 Stunden; die Sektion ergab Gastroenteritis und Nephritis. — Nach den experimentellen Untersuchungen Friedbergers (Münchener Jahresbericht 1878) hatten 50 g Kantharidensalbe äusserlich eingerieben keine giftige Wirkung, während die innerliche Verabreichung von 25 g des Pulvers nach 4 Stunden bei einem Pferd schwere Vergiftungserscheinungen hervorrief. — Eine Stute erhielt 5 g Kantharidenpulver auf Brot und erkrankte infolgedessen an einer Stomatitis diphtherica; ein anderes schweres Pferd zeigte nach derselben innerlichen Dosis ausser Appetitverminderung keine Krankheitserscheinungen (Groll, Woch. f. T. 1903). — Nach dem Einreiben von 70 g Kantharidensalbe zeigte ein Pferd Polyurie und Kolikerscheinungen; ein Ablecken der Salbe hatte nicht stattgefunden (Lungwitz, Sächs. Jahresber. 1900). — Ich habe mehrmals ähnliche Beobachtungen gemacht.
Allgemeines. Die in einzelnen Gegenden Deutschlands noch vorkommende Kreuzotter, Vipera Berus (Coluber Berus), gibt zuweilen durch ihren Biss Veranlassung zu Vergiftungen bei Hunden, Rindern, Pferden und Schafen. Ausser der Kreuzotter ist als einheimische Giftschlange die in Oesterreich und der Schweiz vorkommende redische Viper, Vipera Redii (V. Aspis, Schildotter) zu erwähnen. Ausländische Giftschlangen sind die Klapperschlangen (Krotaliden) und die Vipern (Viperiden), die Brillenschlangen (Elapiden), die Hydrinen und australischen Schlangen. Das Schlangengift ist auch im Blute vorhanden und wird in den zwischen den Kaumuskeln eingelagerten Giftdrüsen ausgeschieden, welche als modifizierte Speicheldrüsen (etwa der Parotis entsprechend) aufzufassen sind. Der Ausführungsgang dieser Giftdrüsen mündet in den im Oberkiefer befindlichen Giftzahn. Bei jedem Biss erfolgt durch die Kontraktion der Kaumuskeln eine Kompression der Drüse mit Entleerung des Sekrets. Die Giftflüssigkeit besitzt eine neutrale Reaktion und enthält wahrscheinlich keinerlei geformte Elemente. Letzteres geht daraus hervor, dass das Schlangengift auch nach längerem Kochen, sowie nach Erwärmen auf 125° seine Wirkung nicht verliert, dass ferner eine Infektion anderer Tiere durch Blutübertragung nicht gelingt und dass das Schlangengift sehr lange, selbst monate- und jahrelang in getrocknetem Zustand oder in Glyzerin haltbar und auch durch Fäulnis nicht zu zerstören ist. Vom vollen Magen wird Schlangengift verdaut, vom leeren resorbiert. Bei allen Giftschlangen ist der Giftvorrat schon nach wenigen Bissen erschöpft, so dass sie alsdann ungiftig sind.
Literatur. Fontana, Abhandlung über das Viperngift, Berlin 1787. — Russel, Indian Serpents 1796. — Fayrer, The Thanatophidia of India 1874. — Brunton und Fayrer, Natur und Wirkung des Najagiftes 1873. — Albertoni, Ueber die Wirkung des Schlangengiftes 1879. — Lacerda, Uebermangansaures Kali als Antidot des Kopragiftes 1871. — Schulz, Ueber Schlangengift 1881. — Aron-Binz, Exper. Studien über Schlangengift, Zeitschr. f. klin. Medizin, Bd. 6. — Weir Mitschel und Reichert, Untersuchungen über Giftschlangen, Washington 1886. — Feoktistow, Desgln. Dorpat 1888. — Phisalix und Bertrand, Bull. de la soc. de méd. 1895. — Fraser, Brit. med. journ. 1897. — Calmette, Annal. de l’inst. Pasteur 1892; Les venins, les animaux venimeux et la sérotherapie antivenimeuse, Paris 1907; Die tierischen Gifte und ihre antitoxische Serumtherapie. Handb. d. pathol. Mikroorganismen von Kolle u. Wassermann, 1909. — Kaufmann, Die Giftschlangen in Frankreich, Paris 1893. — von Linstow, Die Gifttiere 1894. — Faust, Die tierischen Gifte, Braunschweig 1906.
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Wirkung des Schlangengiftes. Die chemische Natur des Schlangengiftes ist noch nicht aufgeklärt (Eiweissgifte?). Jedenfalls enthalten die einzelnen Schlangengifte ganz verschiedenartig wirkende Substanzen. Fast alle Schlangengifte enthalten zunächst Hämolysine, d. h. Toxine, welche die roten Blutkörperchen auflösen. Das Gift der Viperiden und Kolubriden enthält ferner Hämorrhagine, d. h. Toxine, welche eine örtliche Schädigung des Gefässendothels veranlassen und dadurch hämorrhagische Schwellungen hervorrufen. Andere Schlangengifte (Elapiden, Hydrinen) bewirken durch ihren Gehalt an Neurotoxinen vorwiegend allgemeine Lähmung. Alle drei Giftstoffe sind z. B. im Ophiotoxin, dem Gift der Kobraschlange, enthalten. Aehnlich wie bei den Toxinen der Infektionskrankheiten lassen sich auch gegen die einzelnen Toxine der Giftschlangen Antikörper in Form verschiedener Sera darstellen (Antivenenin, polyvalentes Serum).
Krankheitsbild. Das Schlangengift der Kreuzotter (Viperin) erzeugt lokal eine phlegmonös-hämorrhagische Entzündung der Bissstelle, welche sich durch Anschwellung der Haut in der Umgebung der letzteren äussert. Die Allgemeinwirkung des Viperins ist eine lähmende auf Herz, Atmungszentrum und Körpermuskulatur. Bei der Sektion findet man Blutextravasate in den Organen der Hinterleibshöhle. Die tödliche Dosis des Viperins beträgt für den Hund 0,01 g pro Kilo Körpergewicht. Im übrigen ist die Giftigkeit des Kreuzottergifts je nach der Gegend und Jahreszeit verschieden; besonders giftig scheint dasselbe gegen Ende des Sommers zu sein.
Behandlung. Die Therapie der Schlangenbisse zerfällt in einen örtlichen und einen allgemeinen Teil. Wird man unmittelbar nach stattgefundenem Bisse gerufen, so kann man versuchen, das Gift in der Bisswunde zu zerstören oder seine Resorption zu verhindern. In dieser Beziehung sind das Ausbrennen und das Ausätzen der Wunde, sowie das Anlegen einer Ligatur oberhalb der Bissstelle empfohlen worden. Von Arzneimitteln, welche lokal das in der Wunde befindliche Gift zerstören, werden namentlich das Kalium permanganicum (3–5prozentige Injektionen), Chromsäure (1prozentige Lösung), ferner Jodtinktur, Chlorkalk, Chlorwasser, unterchlorigsaures Natron und Kali, Eisenchlorid, Goldchlorid, Platinchlorid gerühmt. Sublimat,[S. 376] Chlorzink, Höllenstein, Karbolsäure, Zitronensäure, Pikrinsäure, Salmiakgeist, sowie Ferridzyankalium sollen die Wirkung des Giftes ebenfalls abschwächen. Im übrigen behandelt man die Bisswunde und die phlegmonöse Schwellung nach chirurgischen Regeln. Die innerliche Behandlung der Lähmungserscheinungen besteht in der Anwendung von Exzitantien: Alkohol, Aether, Kampfer, Atropin, Hyoszin, Koffein, Strychnin, Veratrin, Liquor Ammonii anisatus, Wein. Nach Fraser und Phisalix bildet die Galle der Giftschlangen (und in geringerem Grade auch der ungiftigen Schlangen) bei subkutaner Einspritzung das stärkste Gegenmittel gegen das Schlangengift. Nach Calmette soll die Behandlung mittels Serum immunisierter Pferde ebenfalls ein sehr wirksames Mittel sein („Antivenenin“).
Kasuistik. Gerlach (Gerichtl. Tierheilkunde 1872) beobachtete unter einer Rinderherde, welche in einem Gehölze weidete, wo die Kreuzotter vorkam, 5 Todesfälle. Die erste Krankheitserscheinung bestand in einer unbedeutenden, talergrossen, aber sehr schmerzhaften Anschwellung am Sprunggelenk oder in der Umgebung des Fesselgelenkes, welche von vornherein starkes Lahmgehen verursachte und sich allmählich innerhalb 6–8 Stunden nach oben über den ganzen Schenkel bis zur Kruppe und über einen Teil des Bauches verbreitete. Mit der Zunahme der Geschwulst stellten sich Hinfälligkeit, Apathie und Lähmungserscheinungen ein. Die Tiere konnten sich nicht mehr erheben, zeigten grosse Unruhe, Stöhnen, Zittern, Dyspnoe, Herzklopfen, sehr gesteigerte Pulsfrequenz und schliesslich Unfühlbarwerden des Pulses. Der Tod trat nach 24–30stündiger Krankheitsdauer ein. Bei der Sektion fand man an den geschwollenen Stellen das subkutane Bindegewebe serös infiltriert, die Lymphdrüsen geschwollen, die benachbarte Körpermuskulatur wie gekocht, sowie am Dünndarm viele erbsengrosse Blutextravasate. — In einem von mir beobachteten Falle (Monatshefte für praktische Tierheilkunde 1889) zeigte bei einem Hühnerhunde, welcher auf der Jagd bei Spandau von einer Kreuzotter gebissen worden war, die rechte Vordergliedmasse namentlich in der unteren Hälfte eine starke phlegmonöse Schwellung, welche sich vermehrt warm anfühlte und sehr schmerzhaft war. Die Haut zwischen den Zehen und die innere Fläche der ganzen Extremität war stärker gerötet. Auf der Mitte der Vorderfläche der vierten Zehe befand sich eine rundliche, mit Blutkrusten bedeckte, etwa senfkorngrosse Bisswunde. Am Uebergang der rechten Vorderextremität in die Brust zeigten sich an der Innenfläche Blutunterlaufungen der Haut in einer handtellergrossen Ausdehnung. Die Bewegung des rechten Vorderfusses war ganz aufgehoben. Dabei war das Tier fieberlos (38,1° C.). Die Schleimhäute der Maulhöhle und der Augen waren zyanotisch, bleigrau verfärbt. Die Pulsfreqnenz war sehr gesteigert (120), der Puls selbst sehr schwach, kaum fühlbar, unregelmässig, der Herzschlag beiderseits fühlbar, die Herztöne rein. Futter- und Wasseraufnahme war gut, die Palpation des Schlundkopfes, Schlundes und Hinterleibes ergab nichts Krankhaftes. Die Atmung war angestrengt und beschleunigt (36). Die Bewegung des Tieres war matt, es bestand grosse allgemeine Körperschwäche, sowie stark eingenommene Psyche. Nach einer 8tägigen Behandlung ging die Schwellung allmählich zurück und das Tier konnte als genesen entlassen werden. — Kretschmar (Sächs. Jahresbericht 1861) fand bei der Sektion einer nach dem Genusse von Waldgras plötzlich nach vorausgegangener Aufblähung, Brüllen und Tobsucht verendeten Kuh eine Kreuzotter im Pansen. — Przybilka (Magazin, Bd. 17) beobachtete bei einem Hunde, welcher von einer Kreuzotter in die Nase gebissen worden war, nach 3 Stunden eine unförmliche Schwellung des Kopfes und Halses, grosse Schmerzhaftigkeit der Bissstelle, Winseln,[S. 377] Brechneigung, grosse Unruhe und starke Pulsbeschleunigung. Die Heilung dauerte 5 Tage. — Eine Kuh, welche beim Ackern graste, wurde, wie der Besitzer zufällig sah, von einer Kreuzotter (Vipera Berus) in die Unterlippe gebissen. Bis zum andern Morgen hatte sich eine sehr starke, schmerzhafte Anschwellung des Kopfes, hochgradiges Speicheln, grosse Unruhe, Stöhnen, Zittern, Herzklopfen bei 41° C. Temperatur, 95 Pulsen, 40 Atemzügen eingestellt. Nach Erweiterung der Bisswunde, Umschlägen von verdünntem Salmiakgeist, später von Kaliumpermanganatlösungen und Anwendung von branntweinhaltigem Maulwasser besserte sich der Zustand in 5 Tagen. Nach 8 Tagen war die Kuh geheilt (Hauboldt, Sächs. Jahresber. 1895). — Binder (Tierärztl. Zentralbl. 1894) sah bei einem Rind und einem Hund Zuckungen, Zusammenstürzen und allgemeine Lähmung. — Webb (J. of comp., 20. Bd.) sah bei Pferden ödematöse Anschwellungen am Kopf, Petechien auf der Konjunktiva, blutigen Nasenausfluss, blutigen Harn, Brechneigung, 40,5° und bei der Sektion Blutextravasate unter der Pleura und in der Bauchhöhle. — Weitere Beobachtungen sind von Förderreuther, Koppitz, Lammert, Huth, Petzold, Falke, Kitt, Martin, Uhlich, Giovanoli, Gresswell, Leibenger, Sepp u. a. beschrieben worden.
Giftige Fische. Abgesehen von der durch Ptomaine bedingten sog. Fischvergiftung (vergl. S. 365) gibt es verschiedene Arten lebender Fische, welche teils in besonderen Giftdrüsen und im Blute, teils in den Ovarien Gifte produzieren. Zu den ersteren gehören z. B. die Gattungen Synanceia brachio, Plotosus lineatus, Trachino draco (Drachenfisch) und vipera, Serranus scriba, Stomias boa, Cottus scorpio und bubalis, Muraena Helena, Scorpaena scropha und porcus. Bekannt ist insbesondere die Giftigkeit des Blutserums der Muräniden (giftiges Aalserum). In Japan enthalten verschiedene Spezies (12) der Gattung Tetrodon (Fugu) in den Ovarien und Hoden namentlich zur Sommerzeit die lokal reizende Tetrodonsäure (Brechdurchfall) und das allgemein lähmende, kurareähnliche Tetrodonin. Füttert man Hunde mit den Geschlechtsorganen obiger Fische, so zeigen sie Speichelfluss, heftiges Erbrechen und Krämpfe. Dieselben Erscheinungen treten nach subkutaner Einverleibung auf; hierbei tritt jedoch in der Regel der Tod nach 1–2 Stunden unter dem Bild der Lähmung und Erstickung ein (Remy). Das Gift des Drachenfisches wirkt hämolytisch (Evans).
Kröten (Bufo). Die Kröten, namentlich die gemeine Kröte (Bufo cinereus), die Kreuzkröte (Bufo calamita), die Knoblauchskröte (Pelobates fuscus), die Unke (Bombinator igneus) und die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans), besitzen in ihrer Haut zahlreiche Giftdrüsen, welche namentlich in der Schläfengegend Hautwülste (sog. Parotiden) bilden. Das Sekret dieser Drüsen enthält den ausserordentlich stark reizenden Giftstoff Phrynin (Bufotalin, Bufonin), welcher auf Schleimhäuten eine intensive Entzündung erzeugt und innerlich eine digitalisähnliche Wirkung hat. Bekanntlich zeigen Hunde, welche Kröten erfassen, zuweilen Würgen, Erbrechen und Speicheln (Phryninvergiftung).
Salamander. Der Feuersalamander, Salamandra maculata, besitzt in seinem Parotissekret alkaloidartige Körper, das Samandarin, Samandaritin und Samandatrin, welche ähnlich wie das Phrynin stark reizend und daher im Magen brechenerregend wirken und innerlich strychninartige Krämpfe erzeugen; ausserdem wirkt es auf die Blutkörperchen zerstörend ein, enthält also Hämolysine. Für Hunde, welche, wenn auch selten, Salamander aufgreifen und sich dann erbrechen, sollen 2 mg Samandarin tödlich wirken (Langlois, Compt. rend. 1889). Aehnlich soll das Gift des Wassersalamanders, Triton cristatus, wenn auch schwächer, wirken.
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Miesmuschel. Die Miesmuschel, Mytilus edulis, enthält eine giftige Albumose, das Kongestin, welche nach Richet (Pasteurs Annalen, 21. Bd.) bei Hunden Erbrechen, Durchfall und Kolik hervorruft und dieselben in einer Dosis von 0,075 g pro Kilogramm Körpergewicht tötet. Bei der Sektion findet man eine heftige Hyperämie des Magens und Darmes („Kongestin“). Werden gesunde Hunde mit Kongestin behandelt, so soll sich die Empfänglichkeit für das Gift steigern (sog. Anaphylaxis), indem im Gegensatz zur Bildung von Antikörpern bei der Immunität toxogene Stoffe gebildet werden (biologische Reaktion des Körpers).
Allgemeines. Das Gift der Honigbiene, Apis mellifica, Wespe, Vespa vulgaris, und Hornisse, Vespa crabro (Akuleaten), enthält neben Ameisensäure ein dem Schlangengift verwandtes Gift. Nach Morgenroth und Carpi (D. med. Z. 1906) ist das dem Schlangengift analoge Gift ein Prolezithid, das sich mit dem Lezithin zu einem hämolytisch wirkenden Toxolezithid vereinigt. Nach Langer (Arch. f. exper. Pathol. 1897), der zu seinen Versuchen ungefähr 25000 Bienen verwendete, wurde das Gift in der Weise gewonnen, dass eine jede Biene vorsichtig mit zwei Fingern gefasst, am Abdomen mässig gedrückt und nun der sofort hervorgeschnellte Stachel schnell in Wasser eingetaucht wurde, damit das daran hängende Gifttröpfchen in Lösung gebracht werden konnte. Oder es wurde der mit einer Pinzette herausgerissene Stachel samt Giftblasen in Wasser verrieben und die so erhaltene Flüssigkeit mehrmals filtriert. Das frisch entleerte Gifttröpfchen, ein spezifisches Sekret der Giftdrüse, war wasserklar, reagierte sauer, schmeckte bitter, roch fein aromatisch, löste sich in Wasser und schwankte in seinem Gewicht zwischen 0,0002–0,0003 g. In dem Gifttröpfchen ist Ameisensäure enthalten; dieselbe hat zwar ebenfalls hämolytische Wirkung, bildet jedoch nicht den wichtigsten Bestandteil des Bienengiftes. Das wirksame Prinzip im Akuleatengift ist vielmehr eine Basis mit den Reaktionen eines Eiweisskörpers. Der dem Gift eigene, fein aromatische Geruch rührt von einem flüchtigen Körper her. Das Gifttröpfchen ist ein bakterienfreies Sekret. Von anorganischen Stoffen liess sich Salzsäure, Phosphorsäure, Natron und Kalk nachweisen.
Wirkung des Bienengiftes. Das Auftragen des Bienengiftes auf die unversehrte Haut vermag nach Langer keine reizende Wirkung hervorzurufen. Bei Schnittwunden ruft es jedoch die bekannten entzündlichen Erscheinungen hervor. Bei subkutaner Applikation zeigen sich die Tiere sehr unruhig, traurig, verschmähen die Nahrung und zeigen wohl auch Eiweiss im Harn. Als örtliche Wirkung tritt hierbei eine lokale Nekrose ein, in deren Umgebung infolge des abnehmenden Wirkungsgrades Rundzelleninfiltration, Oedem und Hyperämie zur Entwicklung kommen. Bei intravenöser Applikation von 6 ccm einer 1,5proz. Giftlösung machte sich bei einem Hund bald starkes Sinken des Blutdrucks und Pulsverlangsamung geltend. Später traten noch klonische Zuckungen[S. 379] mit Trismus und Nystagmus ein, und das Tier ging unter Respirationsstillstand zugrunde. Bei der Sektion war das Blut lackfarben (Hämolyse); im mikroskopischen Präparat zeigten sich nur sehr wenig gut erhaltene Blutkörperchen; spektroskopisch liess sich Methämoglobin nachweisen. In der Lunge fanden sich hämorrhagische Infarkte. Die Nieren waren sehr hyperämisch, das ganze Gewebe blutig imbibiert, der Darmkanal blaurot mit schleimig blutigem Inhalt.
Krankheitsbild. Die Vergiftungserscheinungen bei den Haustieren bestehen in lokaler Anschwellung der Haut, welche zuweilen brandig abfällt. Ausserdem können bei sehr grosser Anzahl der Stiche schwere Allgemeinerscheinungen (Lähmung, Hämoglobinurie, Sepsis, Erstickung) auftreten, welche zuweilen schon im Verlaufe weniger Stunden den Tod herbeiführen. Die Behandlung der Bienenstiche ist dieselbe wie die der Schlangenbisse; eventuell ist die Tracheotomie vorzunehmen.
Kasuistik. Fünfstück (Sächs. Jahresber. 1886) sah 2 Pferde, welche von einem Bienenschwarm überfallen wurden, nach 6 resp. 10 Stunden sterben. Bei der Sektion fand man Hämorrhagien unter der Haut und unter dem Endokardium, enorme Vergrösserung der Milz, deren Pulpa mit dunklem teerartigen Blute überfüllt war, mürbe, lehmartige Beschaffenheit der Leber, mürbe, wie gekochte Körpermuskulatur, sowie sehr dunkles Blut. — Meyerheim (Preuss. Mitt. 1882) beobachtete bei 2 Pferden enorme Schwellungen über den ganzen Körper, wobei ein Ohr und mehrere Hautstücke brandig abfielen; das eine Pferd zeigte eine schwere Allgemeinerkrankung, das andere starb. — Lange (Preuss. Mitt. 1883) sah 6 Gänse nach Bienenstichen sterben. — Nach Albrecht (Monatsh. für prakt. Tierheilkde. 1892, III. Bd.) wurden zwei von einem Knechte in der Nähe eines Bienenhauses angebundene Pferde von Tausenden von Bienen gestochen. 1½ Stunden später traf A. die Tiere in schwerkrankem Zustand an. Kopf, Hodensack, After und Unterbrust waren stark geschwollen; der Rumpf war mit Beulen wie übersät. Die Atmung war sehr erschwert, der Puls klein und frequent (100 in der Minute). Anfangs hatten sich die Pferde wie rasend benommen, um sich gehauen, mit den Füssen den Boden aufgegraben, sich gewälzt, waren wieder aufgesprungen. Ein Tier hatte später blutigen Urin abgesetzt. Sehr bald war aber eine allgemeine Erschöpfung eingetreten und die Tiere konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten. Beide Tiere gingen in sehr kurzer Zeit ein. Bei der sogleich vorgenommenen Sektion waren die Kadaver stark aufgetrieben. Die Subkutis war gelb und sulzig infiltriert. Die Milz erwies sich um das Doppelte vergrössert, ihre Pulpa war ganz schwarz. Die Nieren hatten eine dunkelbraune rote Farbe. In der Bauch- und Brusthöhle befand sich nur ganz wenig blutig-seröse Flüssigkeit. Die Lungen zeigten das Bild der Hyperämie und waren mit hämorrhagischen Infarkten durchsetzt. Die Herzoberfläche sah braunrot gefärbt aus und war mit einigen Ekchymosen besetzt. Die Gehirnhäute waren hyperämisch, die Pia mit kapillären Apoplexien versehen. Der in der Harnblase enthaltene Urin war von fast normaler Farbe, enthielt aber Eiweiss und Methämoglobin und nahm schon nach kurzer Zeit sehr üblen Geruch an. Die Schleimhaut des Magendarmkanales zeigte den Zustand leichtgradiger Hyperämie. — Dochtermann (Repert. 1889) sah ein Pferd nach 12 Stunden unter Blutharnen zugrunde geben; ein anderes genas nach mehreren Wochen unter Nekrose grösserer Hautpartien. — Wagenheuser (Woch. f. Tierheilkde. 1893) beobachtete bei einem Pferd Schreien vor[S. 380] Schmerz, Betäubung, starke Schwellungen der Haut und Kopfschleimhäute (nilpferdähnlicher Kopf), bordeauxroten und später himbeersaftähnlichen Urin, Dyspnoe, starke Prostration, sowie Tod am 4. Tag. — Jagnow (Zeitschr. f. Vet.-kunde 1899) sah bei einem Pferd unzählige, walnuss- bis handtellergrosse Beulen auf der Haut, rötlichen Ausfluss aus Nase und Maul, Dyspnoe, dunkelroten Urin, dummkollerartiges Drängen, sowie Herzschwäche. Bei der Sektion fand man die Milz um das Doppelte vergrössert. — Berger (Oesterr. Monatsschr. 1899) beobachtete bei einem Fohlen hohe Atemnot, welche die Tracheotomie notwendig machte, sowie Tod durch Lungenbrand. — Bissauge (Rec. 1902) hat bei einem Pferd eine Vergiftung durch Stiche von Erdhummeln (Bombus terrestris) beobachtet (starke, schmerzhafte Hautschwellungen, Kolik, Dyspnoe, Lähmung, 40,6°).
Vergiftung durch Columbaczer und Kriebelmücken. Die Vergiftung durch Stechmücken (Simulia Columbaczensis und ornata) äussert sich in Schwellung und Entzündung der Haut und Schleimhäute (Maul-, Nasen-, Augen-, Scheiden-, Mastdarmschleimhaut), Unruhe, Schmerzäusserungen, sowie Erstickungserscheinungen infolge Verschwellung der Kopfschleimhäute. Bei der Sektion findet man blutige und sulzige Infiltration der Subkutis, Schwellung und Entzündung der Körperschleimhäute sowie suffokatorische Veränderungen. Die Behandlung ist eine chirurgische und symptomatische. — Stöhr (Preuss. Mitt. 1882) beobachtete bei Rindern, welche von Columbaczer Mücken überfallen wurden, schmerzhafte Schwellungen im Kehlgang, an der Unterbrust, am Unterbauche und Euter, hochgradige Aufregung, hohes Fieber, pochenden Herzschlag, starke Injektion der Kopfschleimhäute, sowie Füllung der Jugularvenen; viele Tiere starben. — Müller (B. T. W. 1890 und Berl. Arch. 1892) beobachtete eine seuchenartige Erkrankung bei Rindern, Pferden und Schafen durch Kriebelmücken (Simulia ornata). Es zeigten sich teigige Anschwellungen im Kehlgang, welche sich zuweilen über den Hals und die Brust ausbreiteten und vereinzelt auch am Bauch und Euter nachzuweisen waren. Auf den nicht pigmentierten Hautstellen waren linsengrosse, hellrote, flohstichartige Flecken mit kleinen Blutschorfen sichtbar. Die Halsvenen waren stark gefüllt und zeigten Venenpuls. Von 170 erkrankten Rindern starben 26, von den erkrankten Pferden und Schafen starb dagegen keins. Als gutes Prophylaktikum erwies sich das Petroleum. — Ueber einen ähnlichen Fall berichtet Liesenberg (Berl. Arch. 1893); danach gehen im Kreise Meseritz alljährlich viele Rinder durch Simulia ornata ein; prophylaktisch hat sich am besten Naphthalinsalbe bewährt (1 : 10). — Nach Bergmann (Fortschr. d. Vet.-Hyg. 1903) erkrankten in Schweden im Jahr 1901 viele hundert Pferde und Rinder nach dem Stich von Simulia reptans. 15 Rinder starben, 1 schon nach ½ Stunde. Die Sektion ergab Oedem in der Unterhaut, Lungenödem und serofibrinösen Erguss in den Herzbeutel. Als bestes Prophylaktikum erwiesen sich Einreibungen der Haut mit Kreolinöl (1 : 20).
Vergiftung durch Raupen. Nach der Aufnahme grösserer Mengen von Raupen sind bei verschiedenen Haustieren Vergiftungen beobachtet worden, welche teils durch die Behaarung der Raupen, zum Teil wohl auch durch ein chemisches Gift (Ameisensäure, Enzym) herbeigeführt wurden. Röpke (Berl. Arch. 1887) sah bei Kühen und Pferden Erkrankungen nach massenhafter Aufnahme des Baumweisslings mittelst des Grünfutters. Die Pferde zeigten heftige Kolikerscheinungen, Brechneigung, sowie Schwäche des Hinterteils. Bei den Kühen beobachtete man Zittern, gesträubtes Haar, Schäumen, Aufblähung, Kolikerscheinungen, sowie Schwanken im Kreuz. Beim Schlachten fand man eine Entzündung der[S. 381] dünnen Gedärme, blutreiche, mit talergrossen dunklen Flecken durchsetzte Milz, punktiertes Herzfleisch, sowie blutreiche Nieren. Dinter (Sächs. Jahresber. Bd. 21) sah nach der Aufnahme des Kohlweisslings (Pieris brassica) Stomatitis, Speichelfluss, sowie Erosionen an den Lippen und am Zahnfleisch. Dammann (Gesundheitspflege 1886) sah von 90 Enten, welche zur Vertilgung von Raupen in Wruckenbeete getrieben wurden, innerhalb 3 Tagen 53 sterben. Berndorfner sah bei 8 Kühen nach der Aufnahme von Schmetterlingsraupen Kolik, Durchfall und subnormale Temperatur, schliesslich Bewusstlosigkeit, Lähmung und Tod am 7.-8. Tag. Die Sektion ergab hochgradige Gastroenteritis. Die Prozessionsraupen (Cnethocampa processionalis, pithyocampa und pinnivora; der sog. Eichen-, Fichten- und Kiefernspinner) erzeugen bei Pferden nach dem Fressen Stomatitis, desgleichen die Raupe des Weissdornspinners, Porthesia chrysorrhoea (Kösters). Aehnlich wirken die Haare der Bärraupe (Arctia) und der Saft der Raupe des Weidenbohrers (Cossus ligniperda). Die Exkremente der Seidenraupe erzeugten nach Jouet (J. de Lyon) Schweinen verfüttert eine Darmentzündung mit Mastdarmvorfall.
Vergiftung durch Blattläuse (Aphis). Die zu den Hemipteren oder Rhynchoten gehörenden Blattläuse enthalten einen scharfen Stoff, welcher auf der Haut und auf Schleimhäuten Entzündung hervorruft. Steiner, Schrebe und Burmeister (Preuss. Mitteil. Bd. 9 u. 10), sowie Pilz (Zeitschr. f. Veterinärkde. 1893) beobachteten bei Pferden nach der Aufnahme von Grünfutter, Luzerne und Grünwicken, welche stark mit Blattläusen besetzt waren, entzündliche Anschwellung der weissen Abzeichen mit Hautnekrose und scharfer Abgrenzung gegenüber den unpigmentierten Hautstellen. Bei Schimmeln und Schecken zeigten sich grössere Hautstellen am Kopf und an den Beinen entzündlich geschwollen. Aehnliche Erscheinungen waren an der Maul- und Augenschleimhaut wahrzunehmen. Schweine (Schweizer Archiv 1848) zeigten nach der Aufnahme von Kohlblättern, welche mit Blattläusen besetzt waren, Kolik, Tympanitis und Konvulsionen; bei der Sektion wurde das Vorhandensein einer hämorrhagischen Gastroenteritis konstatiert. Auch die Wanzen (Acanthia) enthalten einen ähnlichen scharfen Stoff.
Spinnen. Die Spinnen und Skorpionen produzieren ähnliche Gifte, wie die Giftschlangen (Hämolysine, Hämorrhagine, Neurotoxine). Nach Kobert (Beitr. z. Kenntnis der Giftspinnen, Stuttgart 1901) wirken die echten Spinnen giftig teils durch das lokal reizende Sekret ihrer Giftdrüse, teils durch ein im Spinnenkörper überall enthaltenes, allgemein wirkendes Toxalbumin. Durch letzteres sollen in Russland auch bei Haustieren Vergiftungen bedingt werden; sehr gefährlich wirken die Malmignatte und Karakurte. Die Erscheinungen der häufig tödlich verlaufenden Vergiftung bei Pferden, Kamelen und Schafen sollen hauptsächlich in Kollaps, monatelang andauernden Lähmungen der Extremitäten und hochgradigen Schmerzen bestehen. Von europäischen Spinnen kommen Chiracanthium nutrix und Lathrodektes guttatus in Betracht. Alle Kreuzspinnen scheinen giftig zu sein.
Käfer. Von Käfern (Koleopteren) mit scharf reizenden Sekreten sind zu nennen Cetonia aurata (Goldkäfer, Rosenkäfer), Carabus auratus (goldiger Laufkäfer), die Coccinelliden, Chrysomela und Brachinus (Bombardierkäfer). Ueber kantharidinhaltige Käfer vergl. S. 371. Das aus Käferlarven (Diamphidia locusta) bereitete Pfeilgift der Buschmänner in[S. 382] Afrika enthält ein Hämolysin, das bei Hunden und Kaninchen tödliche Hämoglobinämie erzeugt. Von Orthopteren sind zu nennen Blatta orientalis und germanica (Küchenschabe), welche seit alters in der Volksmedizin als reizendes Diuretikum angewandt wird (Antihydropin), Decticus verrucivorus (Warzenbüsser) und andere Heuschrecken.
Harnvergiftung. In einzelnen Fällen werden namentlich bei Schafen rasch tödlich verlaufende Vergiftungen nach der Aufnahme von Menschenharn beobachtet. Die Erscheinungen der Vergiftung haben Aehnlichkeit mit der Ptomainevergiftung und werden durch die normalen Bestandteile des Harns: Novain, Reduktonovain, Methylguanidin, Vitiatin, Myngin, Gynesin u. a. erzeugt. So beobachtete ich bei einem 1jährigen Schaf, welches etwa ½ Liter frischen Menschenharn ausgetrunken hatte, den Tod innerhalb sechs Stunden unter den Erscheinungen einer allgemeinen zerebralen und spinalen Lähmung eintreten. Hasse (Berl. Arch. 1886) sah 4 Schafe nach der Aufnahme von frischem Menschenharn unter den Erscheinungen der Tympanitis und allgemeinen Lähmung erkranken. Göckel (Berl. Arch. 1887) konstatierte bei Pferden, welche mit Düngerjauche versetztes Brunnenwasser getrunken hatten, Mattigkeit, Schläfrigkeit, Taumeln, Schwanken, sowie leichte Schwellung der Lymphdrüsen. Diese Vergiftungen können sich nicht auf den Harnstoffgehalt des Harns beziehen, weil nach experimentellen Untersuchungen der Harnstoff nicht Lähmung, sondern tetanische Krämpfe erzeugt. Solche Krämpfe sind von Riggio bei Versuchstieren durch Pferdeharn erzeugt worden (Tossicità dell’ Urina del Cavallo normale e pathologica; Neapel 1898).
Vergiftung durch Gallensäuren. Die im Verlaufe des Ikterus gravis auftretenden schweren Allgemeinerscheinungen (Autointoxikation) haben zu einer experimentellen Prüfung der Giftigkeit der Galle geführt. Es hat sich hierbei gezeigt, dass die Giftigkeit derselben nicht auf ihrem Gehalt an Gallenfarbstoffen, sondern an Gallensäuren beruht. Stark giftig sind namentlich das taurocholsaure und glykocholsaure Natron, ausserdem das chenocholsaure und hyocholsaure Natron, ferner die Zersetzungsprodukte Cholsäure und Choloidinsäure. Die Gallensäuren resp. die gallensauren Salze sind Blutgifte, Muskelgifte und Nervengifte. Sie lösen noch in einer Verdünnug von 1 : 1500 die roten Blutkörperchen auf (Methämoglobinämie). Auch auf sonstiges Protoplasma, namentlich auf die weissen Blutkörperchen, Flimmerzellen der Schleimhäute und Leberzellen wirken sie zerstörend ein. Die Muskulatur des Herzens, die quergestreifte Körpermuskulatur, sowie die nervösen Zentralorgane werden unter Eiweissgerinnung und Auflösung der Zellen gelähmt (Herzverlangsamung, Schwäche und schwere zerebrale Benommenheit bei Ikterus gravis). Ausserdem soll eigentümlicherweise die Gallenbildung angeregt und dadurch die Produktion der giftigen Gallensäuren noch gesteigert werden. Die Gallensäuren werden als eigentliche Todesursache bei Ikterus gravis, akuter gelber Leberatrophie, Lupinose und zum Teil auch bei Phosphorvergiftung angesehen.
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