The Project Gutenberg eBook of Die Äbtissin von Castro This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Die Äbtissin von Castro Author: Stendhal Release date: December 11, 2004 [eBook #14330] Most recently updated: December 18, 2020 Language: German Credits: Produced by Juliet Sutherland, Hagen von Eitzen and the Online Distributed Proofreading Team. *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ÄBTISSIN VON CASTRO *** Produced by Juliet Sutherland, Hagen von Eitzen and the Online Distributed Proofreading Team. _STENDHAL_ DIE ÄBTISSIN VON CASTRO _DER NOVELLEN ZWEITER BAND_ GEORG MÜLLER VERLAG * MÜNCHEN 1922 _Alle Rechte vorbehalten_ * _Erstes bis drittes Tausend_ DIE FÜRSTIN VON CAMPOBASSO ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL Ich übersetze aus einem italienischen Chronisten den genauen Bericht über die Liebschaft einer römischen Fürstin mit einem Franzosen. Es war im Jahre 1726, und alle Mißbräuche des Nepotismus blühten damals in Rom; niemals war der Hof glänzender gewesen. Benedikt XIII. Orsini regierte, oder vielmehr: es leitete sein Neffe, der Fürst Campobasso unter seinem Namen alle Geschäfte. Von allen Seiten strömten Fremde nach Rom; italienische Fürsten, spanische Granden, noch reich an Gold der Neuen Welt, kamen in Menge, und wer reich und mächtig war, stand dort über den Gesetzen. Galanterie und Verschwendung schienen die einzige Beschäftigung aller dieser Fremden aller Nationen zu sein. Des Papstes beide Nichten, die Gräfin Orsini und die Fürstin Campobasso genossen vor allen die Macht ihres Oheims und die Huldigungen des Hofs. Ihre Schönheit hätte sie aber auch aus den untersten Schichten der Gesellschaft hervorgehoben. Die Orsini, wie man sie familiär in Rom nannte, war heiter und, wie man hier sagt, disinvolta, die Campobasso zärtlich und fromm, aber diese zärtliche Seele war der gewalttätigsten Leidenschaften fähig. Obgleich sie nicht erklärte Feindinnen waren und nicht nur jeden Tag sich am päpstlichen Hof trafen, sondern sich auch oft besuchten, waren diese Damen Rivalinnen in allem: Schönheit, Ansehen und Glücksgütern. Gräfin Orsini, weniger hübsch, aber glänzend, ungezwungen, beweglich und für Intrigen begeistert, hatte Liebhaber, die sie wenig kümmerten und nicht länger als einen Tag beherrschten. Ihr Glück war, zweihundert Menschen in ihren Salons zu sehn und unter ihnen als Königin zu glänzen. Sie lachte über ihre Kusine Campobasso, welche die Ausdauer gehabt hatte, sich drei Jahre hindurch mit einem spanischen Herzog zu kompromittieren, um ihm schließlich sagen zu lassen, daß er Rom binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen habe, wenn ihm sein Leben lieb sei. "Seit diesem großen Hinauswurf", sagte die Orsini, "hat meine erhabene Kusine nicht mehr gelächelt. Seit einigen Monaten ist es klar, daß die arme Frau vor Langweile oder vor Liebe stirbt, aber ihr gewitzter Gatte rühmt dem Papst, unserm Oheim, diese Langweile als hohe Frömmigkeit. Bald aber wird sie diese Frömmigkeit dazu bringen, eine Pilgerfahrt nach Spanien zu unternehmen." Indes war die Campobasso weit davon, ihren spanischen Herzog zu vermissen, der sie während seiner Herrschaft tödlich gelangweilt hatte. Hätte sie ihn vermißt, würde sie ihn zurückgerufen haben, denn sie besaß jenen in Rom nicht seltenen Charakter, ebenso natürlich und unmittelbar in der Gleichgültigkeit wie in der Leidenschaft zu sein. In ihrer exaltierten Frömmigkeit bei ihren kaum dreiundzwanzig Jahren und in der Blüte aller Schönheit widerfuhr es ihr, daß sie sich eines Tags vor ihrem Oheim auf die Knie warf und ihn um den päpstlichen Segen bat, der -- was nicht genug bekannt ist -- ohne jede vorhergehende Beichte von allen Sünden freispricht, mit Ausnahme zweier oder dreier Todsünden. Der gute Benedikt XIII. aber weinte vor Zärtlichkeit: "Erhebe dich, meine Nichte, du hast meinen Segen nicht notwendig, denn du giltst mehr als ich in den Augen des Herrn." Aber trotz seiner Unfehlbarkeit täuschte sich Seine Heiligkeit hierin, wie übrigens ganz Rom. Die Campobasso war kopflos verliebt und ihr Geliebter teilte ihre Leidenschaft; und dennoch war sie sehr unglücklich. Schon seit mehreren Monaten traf sie fast jeden Tag den Chevalier von Sénecé, den Neffen des Herzogs von Saint-Aignan, welcher damals Botschafter Ludwigs XV. in Rom war. Sohn einer der Mätressen Philipps von Orléans, war der junge Sénecé stets Gegenstand der ausgewähltesten Gunstbezeugungen gewesen. Schon lange Oberst, obgleich er kaum zweiundzwanzig Jahre zählte, hatte er einige anmaßende Gewohnheiten, doch ohne Unverschämtheit. Natürliche Fröhlichkeit, das Verlangen, sich immer zu unterhalten und alles unterhaltsam zu finden, Unbesonnenheit, Mut und Güte zeichneten seinen Charakter eigentümlich aus, von dem man freilich damals lobend nur hätte sagen können, daß er in allem ein Musterbeispiel des Charakters seiner Nation war. Diese nationale Eigenart hatte vom ersten Augenblick an die Campobasso berückt. "Ich mißtraue Ihnen, Sie sind Franzose", hatte sie ihm gesagt, "aber ich sage Ihnen etwas im voraus: Den Tag, wo man in Rom wissen wird, daß ich Sie manchmal im Geheimen empfange, werde ich überzeugt sein, daß Sie selber das verbreitet haben, und ich werde Sie nicht mehr lieben." So mit der Liebe spielend verstrickte sich die Campobasso in eine wütende Leidenschaft. Auch Sénecé liebte sie; aber es waren schon acht Monate her, daß dieses Verhältnis dauerte, und die Zeit, welche die Leidenschaft einer Italienerin verdoppelt, tötet die eines Franzosen. Die Eitelkeit des Chevalier tröstete ihn ein wenig über seine Langeweile: er hatte schon zwei oder drei Bildnisse der Campobasso nach Paris geschickt. Er übertrug die Gleichgültigkeit seines Charakters gegen Güter und Vorteile aller Art, mit denen er seit seiner Kindheit überschüttet worden war, auch auf die Interessen der Eitelkeit, die sonst die Herren seiner Nation gewöhnlich sehr besorgt hüten. Sénecé verstand nicht im geringsten den Charakter seiner Geliebten; deshalb belästigten ihn öfters ihre Seltsamkeiten. So hatte er jedesmal an allen kirchlichen Feiertagen, wie am Festtag der Heiligen Balbina, deren Namen sie trug, die Verzückungen und die Selbstanklagen einer glühenden und wahren Frömmigkeit auszuhalten. Sénecé hatte seine Geliebte nicht die Religion vergessen lassen, wie dies bei den gewöhnlichen Frauen Italiens vorkommt; er hatte sie nur mit starker Kraft besiegt, und der Kampf erneuerte sich immer wieder. Dieses Hindernis, das erste, das dem mit allen Gaben des Glückes überschütteten jungen Mann in seinem Leben begegnet war, hielt die Gewohnheit lebendig, zärtlich und zuvorkommend gegen die Fürstin zu sein; von Zeit zu Zeit erachtete er es für seine Pflicht, sie zu lieben. Sénecé hatte nur einen Vertrauten in seinem Botschafter, dem Herzog von Saint-Aignan, dem er durch die Campobasso manchen Dienst leisten konnte. Außerdem war ihm die Bedeutung, die er durch seine Liebesaffäre in den Augen des Botschafters gewann, außerordentlich schmeichelhaft. Die Campobasso, ganz anders als er, war dagegen von der gesellschaftlichen Stellung ihres Liebhabers gar nicht berührt. Geliebt oder nicht geliebt zu sein war alles für sie. "Ich opfere ihm meine ewige Seligkeit," sagte sie, "und er, der ein Häretiker, ein Franzose ist, kann mir nichts, was dem gleicht, opfern." Aber sobald der Chevalier erschien, füllte seine gefällige und dabei so ungezwungene Heiterkeit die Seele der Campobasso mit Entzücken und bezauberte sie. Bei seinem Anblick verschwand alles, was sie sich ihm zu sagen vorgenommen hatte, und alle trüben Gedanken. Dieser für diese hochmütige Seele so neue Zustand hielt noch lange an, nachdem Sénecé gegangen war. Und schließlich fand sie, daß sie fern von Sénecé weder denken noch leben könne. Während in Rom durch zwei Jahrhunderte die Spanier in Mode gewesen waren, begann man sich damals ein wenig den Franzosen zuzuneigen. Man begann, einen Charakter zu verstehn, der Vergnügen und Heiterkeit überall hinbrachte, wo er sich zeigte, und diesen Charakter gab es damals nur in Frankreich; seit der Revolution von 1789 gibt es ihn nirgends mehr. Denn eine so beständige Frohmütigkeit braucht Unbekümmertsein, Sorglosigkeit, und es gibt für niemand mehr heute eine sichere Zukunft in Frankreich, nicht einmal für geniale Menschen, falls es solche gäbe. Es herrscht erklärter Krieg zwischen Menschen vom Schlage Sénecés und der Masse der Nation. Auch Rom war damals vom heutigen Rom sehr verschieden. Um 1726 hatte man keine Ahnung von dem, was sich siebenundsechzig Jahre später ereignen sollte, als das von einigen Geistlichen aufgehetzte Volk den Jakobiner Basseville umbrachte, der, wie er sagte, die Hauptstadt der christlichen Welt zivilisieren wollte. Durch Sénecé hatte die Campobasso zum erstenmal die Vernunft verloren, hatte sich, aus Gründen, die vom gesunden Menschenverstand nicht gebilligt werden, bald im Himmel befunden, bald im fürchterlichen Unglück. Nun hatte Sénecé auch die Religion besiegt; nun mußte sich diese Liebe, welche für diese strenge und wahre Frau weit größere und ganz andere Bedeutung als die Vernunft hatte, schnell in die wildeste Leidenschaft steigern. Die Fürstin hatte einen Monsignore Ferraterra begünstigt und seine Laufbahn erleichtert. Wie wurde ihr zumute, als dieser Ferraterra ihr mitteilte, daß Sénecé nicht nur öfter als üblich zur Orsini gehe, sondern daß die Gräfin seinetwegen den berühmten Kastraten fortgeschickt habe, der seit mehreren Wochen ihr offizieller Liebhaber gewesen war! Hier beginnt, was wir zu erzählen haben: An dem Abend des Tages, wo die Campobasso diese verhängnisvolle Nachricht erhalten hatte. Sie saß reglos in einem hohen Lehnstuhl aus goldfarbenem Leder. Neben ihr, auf einem kleinen schwarzen Marmortisch standen auf hohen Füßen zwei silberne Lampen, Meisterwerke des Cellini, und erleuchteten kaum das Dunkel eines weitläufigen Saales im Erdgeschoß ihres Palastes. Kaum, daß Licht auf die Gemälde an den Wänden fiel, die nachgedunkelt waren; denn die Zeit der großen Maler lag damals schon weit zurück. Der Fürstin gegenüber und fast zu ihren Füßen zeigte der junge Sénecé auf einem kleinen Stuhl aus Ebenholz, mit Ornamenten aus massivem Gold verziert, seine elegante Person. Die Fürstin hatte den Blick auf ihn gerichtet; sie war ihm nicht entgegengeeilt, als er eintrat, hatte sich nicht in seine Arme gestürzt und nicht ein Wort an ihn gerichtet. Im Jahre 1726 war Paris schon Königin des reichen und eleganten Lebens. Sénecé ließ durch Kuriere regelmäßig alles kommen, was die Reize eines der hübschesten Männer Frankreichs hervorheben konnte. Trotz der für einen Mann seines Ranges natürlichen Sicherheit, noch dadurch verstärkt, daß er seine ersten Waffengänge mit den Schönheiten am Hof des Regenten unter der Leitung des berühmten Canillac, seines Oheims, eines der Roués dieses Fürsten gehabt hatte, konnte man eine leichte Verlegenheit in Sénecés Zügen bemerken. Das schöne blonde Haar der Fürstin war etwas in Unordnung; die großen schwarzblauen Augen sahen den Mann starr an; ihr Ausdruck war schwer zu deuten. Dachte sie an tödliche Rache? War es nur der tiefe Ernst leidenschaftlicher Liebe? "Also Sie lieben mich nicht mehr?" sagte sie endlich leise. Ein langes Schweigen folgte dieser Kriegserklärung. Es wurde der Fürstin schwer, sich der reizenden Anmut Sénecés zu entziehen, der ihr, machte sie ihm keine Szene, tausend Torheiten sagen würde; aber sie besaß zu großen Stolz, um die Auseinandersetzung hinauszuschieben. Eine Kokette ist aus Eigenliebe eifersüchtig, eine galante Frau aus Gewohnheit; aber eine Frau, die wahr und leidenschaftlich liebt, hat das ganze Bewußtsein ihres Rechtes. Diese Art, der römischen Leidenschaft eigen, amüsierte Sénecé sehr; er sah darin Tiefe und Unbestimmtheit; man glaubte, die unverhüllte Seele zu schauen. Der Orsini fehlte dieser Reiz der Campobasso. Aber da diesmal das Schweigen so lange anhielt, sah der junge Franzose, der nicht die Kunst verstand, in die verborgenen Gefühle eines italienischen Herzens einzudringen, darin einen Schein von Ruhe und Vernunft, und das machte ihn arglos. Zudem drückte ihn gerade in diesem Augenblick ein Kummer. Als er das unterirdische Gewölbe durchschritt, das von einem benachbarten Haus in diesen Saal des Palastes Campobasso führte, hatten sich einiges Spinngewebe auf die ganz frische Stickerei seines entzückenden, gestern aus Paris gekommenen Anzugs gelegt. Das verursachte ihm Unbehagen und außerdem waren ihm Spinnen schrecklich. Da er im Auge der Fürstin Ruhe zu lesen glaubte, dachte er, ob es nicht besser sei, eine Aussprache zu vermeiden und den Vorwurf sanft abzubiegen, statt ihm zu entgegnen; aber durch die Mißstimmung, die er fühlte, mehr zum Ernst geneigt, sagte er sich: 'Wäre dies nicht günstigste Gelegenheit, die Wahrheit durchblicken zu lassen? Sie selber hat die Frage gestellt, also ist die halbe Peinlichkeit schon erledigt. Ich bin ja sicher nicht für die Liebe geschaffen. Ich habe zwar nie etwas so Schönes wie diese Frau mit ihren sonderbaren Augen gesehen, aber sie hat schlechte Gewohnheiten. Sie läßt mich durch widerliche, unterirdische Gewölbe kommen. Immerhin ist sie die Nichte des Herrschers, zu dem mich mein König geschickt hat. Und mehr noch, sie ist blond in einem Land, wo alle Frauen dunkel sind; das ist eine große Seltenheit. Täglich höre ich ihre Schönheit von Leuten in den Himmel heben, deren Zeugnis unverdächtig ist und die nicht im Entferntesten ahnen, mit dem glücklichen Besitzer dieser Reize zu sprechen. Was die Macht betrifft, die ein Mann über seine Geliebte haben soll, brauche ich nicht beunruhigt zu sein. Wollte ich mir die Mühe nehmen, ein Wort zu sagen, so verließe sie ihr Haus, ihre Goldmöbel, ihren königlichen Oheim, und all das würde sie tun, um sich in Frankreich in die tiefste Provinz zu vergraben und auf einem meiner Güter kümmerlich und kläglich zu leben ... Morbleu, die Aussicht auf solches Opfer begeistert mich nur zu dem festen Beschluß, es niemals von ihr zu verlangen. Die Orsini ist ja viel weniger hübsch; sie liebt mich, wenn sie mich überhaupt liebt, grade ein wenig mehr als den Kastraten Butafoco, den ich sie gestern wegschicken hieß; aber sie hat Lebensart, sie versteht zu leben, man kann im Wagen bei ihr vorfahren. Und ich bin sicher, daß sie mir nie eine Szene machen wird; sie liebt mich dazu nicht genug.' Während des langen Schweigens hatte der starre Blick der Fürstin die hübsche Stirn des jungen Franzosen nicht verlassen. 'Ich werde ihn nicht mehr sehen', sagte sie sich. Und plötzlich warf sie sich in seine Arme und bedeckte mit Küssen die Stirn und die Augen, die sich nicht mehr mit Glück füllten, wenn sie von ihnen erblickt wurde. Der Chevalier würde es sich nie vergeben haben, hätte er nicht in diesem Augenblick jeden Plan eines Bruchs fallen gelassen. Aber seine Geliebte war zu tief aufgewühlt, um ihre Eifersucht zu vergessen. Wenige Augenblicke nachher betrachtete Sénecé sie mit Verwunderung. Tränen des Zornes liefen ihr über die Wangen. 'Wie!' sagte sie sich, 'ich erniedrige mich so tief, daß ich von seiner Veränderung spreche; ich werfe sie ihm vor, ich, die ich mir geschworen hatte, es niemals zu bemerken! Und das ist noch nicht genug Niedrigkeit, ich muß auch noch der Leidenschaft nachgeben, die mir dieses entzückende Gesicht einflößt! Ah, verächtlich, verächtlich! Es muß ein Ende nehmen.' Sie trocknete die Tränen und schien wieder beruhigter. "Chevalier, wir müssen ein Ende machen", begann sie ruhig; "Sie besuchen häufig die Gräfin ..." Da erbleichte sie. Und nach einer Weile: ... -- "Wenn du sie liebst, geh alle Tage hin, meinetwegen! Aber komm nicht mehr hierher." Sie hielt wie gegen ihren Willen an. Sie erwartete ein Wort des Chevaliers; das Wort wurde nicht gesprochen. Mit einem kleinen krampfhaften Zucken preßte sie durch die Zähne: "Das soll mein Todesurteil sein, und das Ihre." Diese Drohung wirkte entscheidend auf die zage Seele des Chevaliers, der bis dahin über die unvorhergesehene Krisis nach solcher Hingabe nur erstaunt war. Er begann zu lachen. Ein plötzliches Rot bedeckte die Wangen der Fürstin, die wie Scharlach wurden. 'Der Zorn wird sie ersticken,' dachte der Chevalier, 'sie wird einen Schlaganfall bekommen.' Er näherte sich, um ihr Kleid aufzuschnüren, sie stieß ihn mit einer Festigkeit und Kraft zurück, die er nicht gewohnt war. Sénecé erinnerte sich später, daß er bei diesem Versuch, sie in seine Arme zu schließen, sie mit sich selbst hatte sprechen hören. Er zog sich ein wenig zurück, unnötig, denn sie schien ihn nicht mehr zu sehen. Mit tiefer Stimme sprach sie, als wäre sie hundert Meilen von ihm entfernt: "Er beleidigt mich, er fordert mich heraus. Bei seiner Jugend und mit der seinem Volke eigentümlichen Indiskretion wird er sicher der Orsini alle Unwürdigkeiten, zu denen ich mich erniedrige, erzählen. Ich bin meiner nicht sicher, ich kann nicht dafür einstehen, daß ich diesem Gesicht gegenüber unempfindlich bleibe." Hier folgte ein neues Schweigen, das dem Chevalier sehr langweilig vorkam. Die Fürstin erhob sich endlich und sagte in einem klagenden Ton: "Man muß ein Ende machen." Sénecé, der durch die Wiederversöhnung den Glauben an den Ernst der Aussprache verloren hatte, sagte einige scherzhafte Worte über ein Abenteuer, von dem in Rom viel gesprochen wurde. "Verlassen Sie mich, Chevalier," unterbrach ihn die Fürstin, "ich fühle mich nicht wohl ..." 'Diese Frau langweilt sich,' dachte Sénecé, indem er sich beeilte, ihr zu gehorchen, 'und nichts ist so ansteckend wie die Langweile.' Die Fürstin war ihm bis zum Ende des Saals mit den Blicken gefolgt. 'Und ich war im Begriff, unbesonnen das Geschick meines Lebens zu entscheiden!' sagte sie mit einem Lächeln. 'Zum Glück haben mich seine Scherze ernüchtert! Wie dumm ist doch dieser Mensch! Wie kann ich ein Wesen lieben, das mich so wenig versteht? Er will sich und mich mit einem scherzhaften Wort amüsieren, wenn es sich um mein Leben und um das seine handelt!' Sie erhob sich. 'Wie seine Augen schön waren, als er das Wort sagte! Man muß zugeben, die Absicht des armen Chevaliers war liebenswürdig; er hat meinen unglücklichen Charakter erkannt; wollte mich den trüben Schmerz, der mich bewegt, lieber vergessen lassen, statt mich nach seiner Ursache zu fragen. Ach, der liebenswürdige Franzose! Habe ich denn das Glück gekannt, bevor ich ihn liebte?' Und sie gab sich mit Entzücken den Gedanken an die Vorzüge ihres Geliebten hin. Aber allmählich gingen diese ihre Gedanken auf die Reize der Gräfin Orsini über, und ihre Seele stürzte ins Dunkel. Qualen der furchtbaren Eifersucht ergriffen sie. Schon seit zwei Monaten beunruhigte sie eine unheilvolle Vorahnung. Ihre einzigen erträglichen Augenblicke waren jene, welche sie mit dem Chevalier verbrachte und doch sprach sie, wenn sie nicht in seinen Armen lag, fast immer gereizt mit ihm. Der Abend wurde schrecklich. Ganz erschöpft und fast ein wenig durch den Schmerz beruhigt, kam ihr der Einfall, mit dem Chevalier zu sprechen. 'Er hat mich wohl gereizt gesehen, aber er weiß nicht den Grund. Vielleicht liebt er die Gräfin nicht. Vielleicht geht er nur zu ihr, weil ein Fremder die Gesellschaft des Landes, in dem er sich befindet, sehen muß und besonders die Familie des Herrschers. Wenn ich mir Sénecé offiziell vorstellen lasse, und er frei und offen zu mir kommen kann, vielleicht wird er ebensogern ganze Stunden bei mir, wie bei der Orsini verbringen.' Aber wieder kam der wildeste Zorn über sie. 'Nein, ich würde mich erniedrigen, wenn ich ihn spreche; er wird mich nur verachten, und das wird mein ganzer Gewinn sein. Das leichtfertige Wesen der Orsini, das ich Närrin so verachtet habe, ist ja wirklich angenehmer als mein Charakter, gar in den Augen eines Franzosen! Ich bin bestimmt nur dazu geschaffen, mich mit einem Spanier zu langweilen. Was gibt es auch Sinnloseres als immer nur schwer und ernst zu sein! Als ob, was das Leben mit sich bringt, dies nicht selber schon genügend wäre! Gott, was wird aus mir, wenn ich nicht mehr den Chevalier habe, der mir das Leben gibt, und das Feuer mir ins Herz senkt, das mir fehlt!' Sie hatte Befehl gegeben, niemanden vorzulassen, aber dieser Befehl galt nicht für den Monsignore Ferraterra, der ihr zu berichten kam, was man bis ein Uhr morgens bei der Orsini getrieben habe. Dieser Prälat hatte bisher aus besten Kräften den Abenteuern der Fürstin gedient; aber seit diesem Abend zweifelte er nicht daran, daß Sénecé der Geliebte der Gräfin Orsini werden würde, wenn er es nicht schon war. 'Die fromme Fürstin wird mir mehr nützen', dachte er bei dieser Beobachtung, 'als die galante. Immer wird es sonst einen geben, den sie mir vorzieht, nämlich ihren Liebhaber; und ist eines Tages dieser Liebhaber ein Römer, so kann er einen Onkel haben, den man zum Kardinal machen muß. Wenn ich sie bekehre, muß sie vor allem und mit dem ganzen Feuer ihres Wesens an den denken, der ihre Seele lenkt, was kann ich nicht alles durch sie von ihrem Oheim erhoffen!' Und der ehrgeizige Prälat verlor sich in köstliche Zukunftsträume; er sah die Fürstin, wie sie sich ihrem Oheim zu Füßen warf, um für ihn den Kardinalshut zu erbitten. Der Papst würde ihm für das, was er eben zu unternehmen im Begriff war, sehr dankbar sein müssen. Sobald die Fürstin bekehrt wäre, würde er Benedikt XIII. die unwiderleglichen Beweise ihrer Liebschaft mit dem jungen Sénecé vorlegen. Religiös, aufrichtig und die Franzosen verabscheuend, wird der Papst ewige Dankbarkeit für den tatkräftigen Prälaten haben, der einer Intrige, die Seiner Heiligkeit so mißliebig, ein Ende bereitet hat. Dieser Ferraterra gehörte dem Hochadel Ferraras an, war reich und über fünfzig Jahre alt. Durch die so deutliche Vision des Kardinalshutes angeregt, wagte er seine Rolle bei der Fürstin jäh zu ändern. Vorher, während der zwei Monate, da Sénecé sie vernachlässigte, war es dem Prälaten zu gefährlich erschienen, den Franzosen anzugreifen; denn er hielt Sénecé, den er schlecht verstand, für ehrgeizig. Der Leser würde die genaue Wiedergabe der Zwiesprache, welche die junge Fürstin, toll vor Liebe und Eifersucht, mit dem ehrgeizigen Prälaten hatte, sehr lang finden. Ferraterra hatte mit einer vollen Eröffnung der traurigen Wahrheit begonnen; und nach solchem heftigen Anfang wurde es ihm nicht schwer, alle Gefühle der Religion und der leidenschaftlichen Frömmigkeit wiederzuerwecken, die im Herzen der jungen Römerin nur eingeschlummert waren; sie besaß den wahren Glauben. "Jede gottlose Leidenschaft muß mit Unglück und Schande enden", sagte nun der Prälat. Es war heller Tag, als er den Palast Campobasso verließ. Er hatte der neu Bekehrten das Versprechen abgefordert, an diesem Tag Sénecé nicht zu empfangen. Dieses Versprechen war der Fürstin nicht schwer gefallen: sie glaubte, daß sie fromm sei und fürchtete zugleich, in den Augen des Chevaliers durch eine Schwäche verächtlich zu erscheinen. Ihr Entschluß hielt bis vier Uhr stand: das war die Zeit der Besuche des Chevaliers. Er ging durch die Gasse hinter dem Garten des Palastes Campobasso und sah das Signal, das die Unmöglichkeit einer Zusammenkunft bekanntgab; er eilte, sehr zufrieden damit, zur Gräfin Orsini. Die Campobasso fühlte den Wahnsinn fast über sich Herr werden. Die sonderbarsten Gedanken und Entschlüsse hetzten sie. Plötzlich lief sie die breite Treppe wie im Irrsinn hinunter, stieg in den Wagen und rief dem Kutscher zu: "Palazzo Orsini". Das Übermaß ihres Unglücks trieb sie wie gegen ihren Willen zu ihrer Kusine. Sie fand sie inmitten einer Gesellschaft von etwa fünfzig Personen. Was Rom an Geist und Ehrgeiz besaß und im Hause Campobasso nicht Zutritt hatte, kam im Hause Orsini zusammen. Das Erscheinen der Fürstin Campobasso wurde ein Ereignis; respektvoll zog man sich zurück; aber sie geruhte, es nicht zu bemerken; sie blickte nur auf ihre Rivalin, bewunderte sie. Jeder Reiz ihrer Kusine war ein Dolchstoß in ihr Herz. Nach den ersten Redensarten der Höflichkeiten nahm die Orsini, welche ihre Kusine schweigsam und zerstreut sah, ihre glänzende und heitere Unterhaltung wieder auf. 'Wie viel besser ihre Heiterkeit zu dem Chevalier paßt, als meine tolle und langweilige Leidenschaft!' sagte sich die Campobasso. Und in einer unerklärlichen, aus Haß und Bewunderung gemischten Verzückung fiel sie der Gräfin um den Hals. Sie sah nur die Reize ihrer Kusine; in der Nähe wie aus der Entfernung erschienen sie ihr gleich anbetungswürdig. Sie verglich ihr Haar mit dem eignen, ihre Augen, ihren Teint. Nach dieser seltsamen Prüfung faßte sie Ekel und Abscheu vor sich selbst. Alles an ihrer Rivalin schien ihr anbetungswürdig und ihr überlegen zu sein. Unbeweglich und düster saß die Campobasso gleich einer Basaltstatue inmitten dieser gestikulierenden und lärmenden Menge. Man kam, man ging; all dieser Lärm störte und verletzte sie. Aber wie geschah ihr, als sie plötzlich Herrn von Sénecé melden hörte! Sie waren zu Anfang ihres Verhältnisses übereingekommen, daß er in Gesellschaft sehr wenig mit ihr sprechen solle, so wie es einem ausländischen Diplomaten zukommt, der nicht öfter als zwei- oder dreimal im Monat die Nichte des Souveräns trifft, bei dem er beglaubigt ist. Sénecé begrüßte sie mit gewohntem Respekt und mit Ernst; dann nahm er, wieder zu der Orsini zurückgekehrt, den heiteren, fast intimen Ton auf, den man im Gespräch mit einer geistvollen Frau anschlägt, von der man gern und fast täglich empfangen wird. Die Campobasso war niedergeschmettert: 'Die Gräfin zeigt mir, wie ich hätte sein sollen', sagte sie sich. 'Ich sehe, wie man sein muß, und trotzdem werde ich es niemals können!' Sie sank auf die letzte Stufe des Unglücks, in die ein menschliches Geschöpf geworfen werden kann; sie war fast entschlossen, Gift zu nehmen. Alle Wonnen aus Sénecés Liebe kamen dem Übermaß des Schmerzes nicht gleich, der sie während einer langen Nacht verzehrte. Man könnte sagen, die römischen Frauen haben eine Fähigkeit und Energie zum Leiden, die andern Frauen unbekannt bleiben. Andern Tages kam Sénecé wieder vorbei und sah fortweisende Zeichen. Er ging vergnügt weiter, trotzdem war er leicht verletzt. 'Also hat sie mir neulich meinen Abschied gegeben? Ich muß sie weinen sehen', sagte sich seine Eitelkeit. Er empfand eine leichte Spur von Liebe, da er eine so schöne Frau und Nichte des Papstes für immer verlieren sollte. Er kroch durch den unsauberen Kellergang, der ihm solchen Widerwillen verursachte, und drang gewaltsam in den großen Saal des Erdgeschosses, wo die Fürstin ihn zu empfangen pflegte. "Sie wagen es hierher zu kommen?" rief die Fürstin erstaunt. 'Das Erstaunen ist nicht aufrichtig', dachte der junge Franzose. 'Sie hält sich in diesem Raum nur auf, wenn sie mich erwartet.' Der Chevalier ergriff ihre Hand; sie zitterte. In ihre Augen kamen Tränen; sie erschien dem Chevalier so schön, daß er einen Augenblick lang an Liebe dachte. Und sie vergaß alle Eide, die sie während zweier Tage dem Glauben geschworen hatte, warf sich in seine Arme. 'Und dieses Glück soll künftig die Orsini genießen!' ... Sénecé, der wie gewöhnlich die römische Seele falsch verstand, glaubte, sie wolle sich in guter Freundschaft von ihm trennen und wünsche den Besuch in guter Form. 'Es ziemt sich nicht für mich als Attaché der königlichen Gesandtschaft, die Nichte des Souveräns, bei dem ich akkreditiert bin, zur Todfeindin, die sie sein würde, zu haben.' Sehr stolz über diese glückliche Lösung begann Sénecé, ihr vernünftig zuzureden. "Sie würden in angenehmster Harmonie leben; warum sollten sie nicht sehr glücklich sein? Was könnte man ihm denn auch vorwerfen? Die Liebe würde einer guten und zärtlichen Freundschaft Platz machen. Er bitte inständig um das Vorrecht, von Zeit zu Zeit an diesen Ort hier zurückkommen zu dürfen; ihre Beziehungen würden immer zarte bleiben ..." Zuerst verstand ihn die Fürstin nicht. Als sie ihn endlich mit Entsetzen begriff, blieb sie unbeweglich stehen, mit starrem Blick. Da unterbrach sie ihn bei der letzten Wendung von den zarten Beziehungen mit einer Stimme, die aus der Tiefe der Brust zu kommen schien, sagte langsam Wort für Wort: "Das heißt, Sie finden mich hübsch genug, um mich als Dirne in Ihrem Dienst zu behalten?" "Aber teure und liebe Freundin, ist Ihre Eigenliebe denn verletzt?" antwortete Sénecé, jetzt wirklich erstaunt. "Wie kann es Ihnen in den Sinn kommen, sich zu beklagen? Glücklicherweise ist unsere Beziehung niemals von irgend jemand geargwöhnt worden. Ich bin ein Ehrenmann; ich gebe Ihnen von neuem mein Wort, nie soll ein lebendes Wesen das Glück, das ich genossen habe, erfahren." "Nicht einmal die Orsini?" fragte sie in einem so kühlen Ton, daß er den Chevalier wieder irreführte. "Habe ich Ihnen jemals von den Frauen erzählt," meinte der Chevalier naiv, "die ich, bevor ich Ihr Sklave wurde, geliebt habe?" "Trotz meiner Achtung vor Ihrem Ehrenwort will ich doch diese Gefahr nicht auf mich nehmen", sagte die Fürstin in einer entschiedenen Art, welche nun den jungen Franzosen doch etwas in Erstaunen setzte. "Adieu, Chevalier ..." Und als er ein wenig unsicher ging: "Komm, küsse mich!" Sie war sichtlich gerührt. Dann wiederholte sie in einem bestimmten Ton: "Adieu Chevalier ..." Die Fürstin ließ Ferraterra holen. "Ich will mich rächen", sagte sie ihm. Der Prälat war entzückt. 'Sie wird sich kompromittieren; sie gehört mir für immer.' Zwei Tage später ging Sénecé, weil die Hitze drückend war, gegen Mitternacht auf den Corso, um Luft zu schöpfen. Ganz Rom war auf der Straße. Als er seinen Wagen wieder besteigen wollte, konnte ihm sein Bedienter kaum antworten: er war betrunken. Der Kutscher war verschwunden; der Bediente meldete stammelnd, der Kutscher sei mit einem Feind in Streit geraten. "Ah, mein Kutscher hat Feinde!" sagte Sénecé lachend. Beim Heimweg merkte er, kaum zwei oder drei Straßen über den Corso hinaus, daß er verfolgt werde. Vier oder fünf Männer hielten an, wenn er stehen blieb, schritten weiter, wenn er weiterging. 'Ich könnte einen Bogen machen und durch eine andre Straße wieder auf den Corso kommen', dachte Sénecé. 'Aber dieses Gesindel lohnt nicht die Mühe, und ich bin gut bewaffnet.' Er nahm seinen blanken Dolch in die Hand. In solchen Gedanken durcheilte Sénecé zwei drei abgelegene und immer einsamere Gassen. Er hörte die Männer ihre Schritte beschleunigen. In diesem Augenblick sah er auf und erblickte grade vor sich eine kleine Kirche, die den Ordensbrüdern des Heiligen Franziskus gehörte; ihre Fenster warfen einen befremdlichen Schein ins Dunkel. Er stürzte zur Türe und pochte heftig mit seinem Dolchgriff dagegen. Die Männer, die ihn verfolgten, waren fünfzig Schritt entfernt von ihm. Nun kamen sie auf ihn zugelaufen. Ein Mönch öffnete; Sénecé stürzte in die Kirche; der Mönch schloß schnell die Türe zu. Im gleichen Augenblick schlugen die Meuchelmörder mit den Füßen gegen die Türe. "Die Gottlosen!" sagte der Mönch. Sénecé gab ihm eine Zechine. "Sicher wollten sie mir ans Leben", sagte er. In dieser Kirche brannten mindestens tausend Kerzen. "Wie? Ein Gottesdienst zu dieser Stunde?" fragte er den Mönch. "Eccellenza, es ist ein Dispens von Seiner Eminenz dem Kardinal-Vikar." Die ganze enge Vorhalle dieser kleinen Kirche San Francesco a Ripa war in ein prächtiges Mausoleum umgewandelt; man sang die Totenmesse. "Wer ist gestorben? Ein Fürst?" fragte Sénecé. "Ohne Zweifel," antwortete der Priester, "denn es ist mit nichts gespart worden; aber dies alles, Wachs und Silber, ist vergeudet, denn der Herr Dekan hat uns gesagt, daß der Verblichene in Unbußfertigkeit gestorben ist." Sénecé trat näher. Er sah ein Wappenschild in französischer Form und seine Neugier verdoppelte sich; er trat ganz dicht heran und erkannte sein eigenes Wappen mit dieser lateinischen Inschrift: Nobilis homo Johannes Norbertus Senece eques decessit Romae. "Der hohe und mächtige Herr Jean Norbert von Sénecé, Chevalier, gestorben zu Rom." 'Ich bin wohl der erste Mensch', dachte Sénecé, 'der die Ehre hat, seinem eigenen Begräbnis beizuwohnen. Ich weiß nur vom Kaiser Karl V., der sich dies Vergnügen geleistet hat. Aber in dieser Kirche ist für mich nicht gut bleiben.' Er gab dem Sakristan noch eine Zechine. "Mein Vater," sagte er ihm, "lassen Sie mich durch eine Hintertür Ihres Klosters hinaus." "Sehr gern", sagte der Mönch. Kaum auf der Straße, begann Sénecé, in jeder Hand eine Pistole, mit äußerster Schnelligkeit zu laufen. Bald hörte er hinter sich Leute, die ihn verfolgten. An seinem Haus angelangt, sah er die Tür verschlossen und einen Mann davor. 'Jetzt heißt es stürmen"[sic! statt: '], dachte der junge Franzose und wollte den Mann mit einem Pistolenschuß töten, als er seinen Kammerdiener erkannte. "Mach die Tür auf!" schrie er ihn an. Sie war offen. Rasch traten sie ein und schlossen sie wieder. "Ach, gnädiger Herr, ich habe Sie überall gesucht; es gibt sehr traurige Neuigkeiten. Der arme Jean, Ihr Kutscher, ist von Messerstichen durchbohrt worden. Die Leute, die ihn getötet haben, stießen Verwünschungen gegen Sie aus. Gnädiger Herr, man will Ihnen ans Leben!" Während noch der Diener sprach, schlugen acht Feuergewehrschüsse durch ein Gartenfenster. Sénecé brach tot neben seinem Diener zusammen; sie waren von mehr als zwanzig Kugeln durchbohrt. Zwei Jahre später wurde die Fürstin Campobasso als das Muster höchster Frömmigkeit in Rom verehrt, und seit geraumer Zeit war Monsignor Ferraterra Kardinal. DIE HERZOGIN VON PALLIANO ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL Ich bin kein Naturforscher und Griechisch verstehe ich nur sehr mittelmäßig; Hauptzweck meiner Reise nach Sizilien war weder die Phänomene des Ätna zu beobachten, noch wollte ich für mich oder andre irgendwelche Klarheit darüber gewinnen, was die alten griechischen Autoren über Sizilien gesagt haben; ich suchte nichts als die Freude meiner Augen, die in diesem eigenartigen Land wahrhaftig nicht gering ist. Man sagt von Sizilien, daß es Afrika gleiche; für mich steht jedenfalls fest, daß es mit Italien nur durch die verzehrenden Leidenschaften Ähnlichkeit hat. Von den Sizilianern kann man wohl sagen, daß es das Wort 'unmöglich' nicht für sie gibt, wenn sie von Liebe oder von Haß entbrannt sind; und in diesem schönen Land kommt der Haß niemals aus einem Geldinteresse. Ich bemerke, daß man in England und besonders in Frankreich oft von italienischer Leidenschaft spricht, von der hemmungslosen Leidenschaft, die man im Italien des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts kannte. In unsern Tagen ist diese schöne große Leidenschaft gestorben und ganz tot, wenigstens in jenen Klassen, die sich der Nachahmung französischer Sitten und Pariser oder Londoner Moden gefallen. Ich weiß wohl, man kann sagen, daß man seit Karl V. in Neapel, in Florenz und sogar ein wenig in Rom die spanischen Sitten nachahmte. Aber waren diese adeligen Sitten und Bräuche nicht auf dem unendlichen Respekt begründet, den jeder dieses Namens würdige Mensch für die natürlichen Regungen seiner Seele haben muß? Weit entfernt, die Energie auszuschalten, übertrieben sie diese vielmehr, während es erste Regel der Gecken um 1760, die den Herzog von Richelieu nachahmten, war, durch nichts bewegt zu scheinen. Ist es nicht Grundsatz des englischen Dandys, dem man jetzt in Neapel den Vorzug vor dem französischen Gecken gibt, von allem gelangweilt und allem überlegen zu scheinen? Die italienische Leidenschaft findet man schon seit einem Jahrhundert nicht mehr in der guten Gesellschaft Italiens. Um mir einen Begriff von dieser italienischen Leidenschaft zu bilden, von der unsre Romanciers mit solcher Sicherheit schreiben, war ich genötigt, die Geschichte zu befragen; aber gewöhnlich sagt die große Geschichte, von talentvollen Männern geschrieben und meist sehr majestätisch, fast nichts von den Einzelheiten des Geschehens und der Personen. Sie nimmt von Torheiten erst Notiz, wenn diese Dummheiten von Königen oder Fürsten begangen worden sind. Ich habe zu der Lokalgeschichte jeder Stadt Zuflucht nehmen müssen; aber da wurde ich wieder durch den Überreichtum an Material erschreckt. Jede kleine italienische Stadt zeigt dir stolz ihre Geschichte in drei oder vier gedruckten Quartbänden und in sieben oder acht handschriftlichen Codices, die kaum mehr zu entziffern, mit Abkürzungen gespickt und mit sonderbar geformten Buchstaben geschrieben sind; zudem eignen ihnen an den fesselndsten Stellen Redewendungen, die im Ort selbst gebräuchlich, aber zwanzig Meilen weiter schon unverständlich sind. Denn im ganzen schönen Italien, wo die Liebe so viele tragische Ereignisse gesät hat, spricht man nur in drei Städten, in Florenz, in Siena und in Rom, ungefähr so wie man schreibt; in allen andren Orten ist die Schriftsprache von der mündlichen Rede unendlich weit entfernt. Das, was man die italienische Leidenschaft nennt, das heißt die Leidenschaft, die sich zu befriedigen und nicht nur dem Nachbar eine prachtvolle Vorstellung von sich selber zu geben sucht, beginnt mit der Entstehung der Gesellschaft also im zwölften Jahrhundert und erlischt wenigstens in der guten Gesellschaft, um 1734. Zu dieser Zeit kommen die Bourbonen in Neapel zur Regierung, und zwar in der Person des Don Carlos, Sohnes einer Farnese, die in zweiter Ehe mit dem Enkelsohn Ludwigs XIV., jenem melancholischen Philipp V. verheiratet war, der mitten im Kugelregen seinen Gleichmut nicht verlor, sich stets langweilte und die Musik so leidenschaftlich liebte. Man weiß, daß ihm vierundzwanzig Jahre hindurch der göttliche Kastrat Farinelli täglich drei Lieblingsweisen vorsang, jeden Tag die gleichen. Ein analytischer Geist könnte aus den Einzelheiten einer Leidenschaft feststellen, ob der Fall in Rom oder in Neapel geschehen ist, und nichts ist, wie ich sagen muß, abgeschmackter als jene Romane, die ihren Personen nichts als italienische Namen geben. Sind wir denn nicht darin einer Meinung, daß die Leidenschaften sich ändern, so oft man hundert Meilen weiter nach Norden kommt? Höchstens kann man sagen, daß jene Länder, die seit langem der gleichen Regierungsform unterstehn, in den sozialen Gewohnheiten eine Art äußerer Ähnlichkeit aufweisen. Wie die Leidenschaften, wie die Musik, wechseln auch die Landschaften, sobald man drei oder vier Breitengrade weiter nach Norden kommt. Eine neapolitanische Landschaft würde in Venedig absurd erscheinen, wäre es nicht, sogar in Italien ausgemacht, die Naturschönheiten Neapels zu bewundern. Wir in Paris halten es darin so, daß wir glauben, der Anblick der Wälder und der bebauten Ebenen sei ganz der gleiche in Neapel wie in Venedig, und wir möchten am liebsten, daß zum Beispiel Canaletto die gleichen Farben hätte wie Salvatore Rosa. Ist es nicht der Gipfel der Lächerlichkeit, wenn eine englische Dame, die mit allen Vorzügen ihrer Insel ausgestattet, aber selbst auf dieser Insel dafür bekannt ist, daß sie außerstande sei, die Liebe und den Haß zu schildern, wenn, sage ich Mrs. Anne Radcliffe den Personen eines ihrer berühmten Romane italienische Namen und große Leidenschaften gibt? Ich werde nicht versuchen, der Einfachheit und der manchesmal abstoßenden Roheit der nur zu wahren Erzählung, die ich der Nachsicht des Lesers empfehle, Anmut zu verleihen. Ich werde zum Beispiel die Antwort der Herzogin von Palliano auf die Liebeserklärung ihres Vetters Marcello Capecce ganz wörtlich übersetzen. Diese Monographie einer Familie befindet sich, ich weiß nicht warum, am Ende des zweiten Bandes einer handschriftlichen Geschichte von Palermo, über die ich keine näheren Angaben machen kann. Diese Erzählung, die ich zu meinem Bedauern sehr kürze -- ich unterdrücke eine Fülle von bezeichnenden Umständen -- enthält mehr die letzten Schicksale der unglücklichen Familie Carafa, als die interessante Geschichte einer bestimmten Leidenschaft. Die literarische Eitelkeit sagt mir, daß es mir nicht unmöglich gewesen wäre, das Interesse an manchen Situationen zu steigern, wenn ich ausführlicher gewesen wäre, wenn ich erraten und dem Leser mit allen Einzelheiten erzählt hätte, was die Personen empfanden. Aber bin ich, ein junger Franzose, im Norden, in Paris geboren, denn wirklich sicher, zu erraten, was diese italienischen Menschen des Jahres 1559 fühlten? Ich kann ja höchstens das zu erraten hoffen, was den französischen Lesern von 1838 elegant und spannend vorkommt. Die leidenschaftliche Art der Italiener um 1559 wollte Taten und nicht Worte. Man wird darum in der folgenden Erzählung sehr wenig Konversation finden. Das ist für diese Geschichte insofern ein Nachteil, als wir uns so sehr an die langen Gespräche unsrer Romanhelden gewöhnt haben, für die eine Konversation genau so viel ist wie eine Schlacht. Meine Erzählung oder vielmehr Übersetzung zeigt eine sonderbare, durch die Spanier in die italienischen Sitten eingeführte Eigenart. Ich bin nirgends aus der bestimmten Haltung des Übersetzers hinausgetreten. Die getreue Wiedergabe der Art des Fühlens im sechzehnten Jahrhundert und auch der Erzählungsweise des Chronisten, der allem Anschein nach ein Edelmann aus dem Gefolge der unglücklichen Herzogin von Palliano war, macht meines Erachtens nach den Hauptvorzug dieser tragischen Geschichte aus -- wenn überhaupt irgendein Vorzug daran ist. Die strengste spanische Etikette herrschte am Hofe des Herzogs von Palliano. Man muß sich erinnern, daß jeder Kardinal und jeder römische Fürst einen Hof hielt, und man kann sich einen Begriff davon machen, welches Bild Rom im Jahre 1559 bot. Nicht ist auch zu vergessen, daß es die Zeit war, wo der König Philipp II., der für seine Intrigen die Stimmen zweier Kardinäle brauchte, jedem von ihnen eine Rente von 200 000 Livres in geistlichen Pfründen gab. Obgleich Rom ohne nennenswerte Arme war, bildete es den Mittelpunkt der Welt. Paris war im Jahre 1559 eine Stadt freundlicher Barbaren. * * * * * Wenn auch Gianpietro Carafa aus einer der vornehmsten Familien des Königreichs Neapel stammte, hatte er rauhe, ungeschliffene und heftige Umgangsformen, die zu einem Hirten der Campagna gepaßt hätten. Er nahm schon früh das Priestergewand und kam ganz jung nach Rom, wo ihm durch die Gunst seines Vetters Oliviero Carafa, des Kardinals und Erzbischofs von Neapel, geholfen war. Alexander VI., dieser große Mann, der alles wußte und alles konnte, machte ihn zu seinem Kämmerer, ungefähr das gleiche, was man bei uns unter einem Ordonanzoffizier versteht. Julius II. ernannte ihn zum Erzbischof von Chieli; Papst Paul machte ihn zum Kardinal und endlich am 23. Mai 1555 wurde er, nach schlimmen Kabalen und vielen Disputen zwischen den zum Konklave eingeschlossenen Kardinälen unter dem Namen Paul IV. zum Papst gewählt; er war damals achtundsiebzig Jahre alt. Selbst über die, welche ihn auf den Thron von Sankt Peter berufen hatten, kam bald die Angst, wenn sie die Härte und die wilde unerbittliche Frömmigkeit des Herrn bedachten, den sie sich selbst gesetzt hatten. Die Neuigkeit dieser unerwarteten Wahl hatte umwälzende Wirkung in Neapel und Palermo. Binnen wenigen Tagen traf eine große Anzahl von Mitgliedern der illustren Familie Carafa in Rom ein, und alle erhielten Stellen; doch zeichnete der Papst, wie ja natürlich, besonders seine drei Neffen aus, Söhne seines Bruders, des Grafen von Montorio. Don Juan, der Älteste, war schon verheiratet und wurde zum Herzog von Palliano gemacht. Dieses Herzogtum, dem Marc Antonio Colonna, dem es gehört hatte, abgenommen, umfaßte eine große Zahl Dörfer und kleiner Städte. Don Carlos, der zweite Neffe Seiner Heiligkeit, war Malteserritter und hatte den Krieg mitgemacht; er wurde zum Kardinallegaten von Bologna und Premierminister ernannt. Als ein entschlossener Mann und treu den Traditionen seiner Familie, wagte er es, dem mächtigsten König der Welt, Philipp II., König von Spanien und beider Indien, feind zu sein, und gab ihm auch Beweise davon. Was den dritten Neffen betraf, den Don Antonio Carafa, so machte der Papst den bereits Verheirateten zum Marchese von Montobello. Schließlich gelang es ihm, Franz, dem Dauphin von Frankreich und Sohn Heinrichs II. eine Tochter aus der zweiten Ehe seines Bruders zur Frau zu geben; Paul IV. dachte, ihr als Mitgift das Königreich Neapel zu schenken, das man Philipp II., dem König von Spanien hätte wegnehmen müssen. Die Familie Carafa verfolgte mit ihrem Hasse diesen mächtigen König, dem es aber, auch durch die Fehler dieser Familie unterstützt, endlich doch gelang, sie gänzlich auszutilgen. Seit Paul IV. den Thron von San Pietro bestiegen hatte, der zu dieser Zeit selbst den erhabenen Herrscher von Spanien zu einem Vasallen machte, wurde er, wie man es bei den meisten seiner Nachfolger gesehen hat, Beispiel aller Tugenden. Er wurde ein großer Papst und ein großer Heiliger; er bemühte sich, die Mißbräuche in der Kirche abzustellen und dadurch auch das allgemeine Konzil abzuwenden, das man vom römischen Hofe von allen Seiten verlangte, in das aber eine kluge Politik nicht einzuwilligen riet. Nach der von der Gegenwart fast völlig vergessenen Sitte jener Zeit, wo ein Souverän niemals Vertrauen in Menschen setzte, die noch ein andres Interesse als das seine haben konnten, wurden die Staaten Seiner Heiligkeit in despotischer Weise von seinen drei Neffen regiert. Der Kardinal war erster Minister und verfügtet nach dem Willen seines Oheims. Der Herzog von Palliano war zum General der Truppen der heiligen Kirche gemacht worden und der Marchese von Montebello ließ als Hauptmann der Palastwache nur Personen eintreten, die ihm genehm waren. Bald begingen diese drei jungen Leute die größten Ausschreitungen; sie begannen damit, sich die Güter von Familien anzueignen, die ihrer Herrschaft abgeneigt waren. Das Volk wußte nicht, an wen es sich um Gerechtigkeit wenden sollte. Nicht nur um seinen Besitz mußte es in Sorge sein, sondern -- im Vaterland der keuschen Lukrezia! -- auch die Ehre der Frauen und Töchter war nicht sicher. Der Herzog von Palliano und seine Brüder entführten die schönsten Frauen; es genügte, das Unglück zu haben, ihnen zu gefallen. Betroffen sah man, daß sie auf den Adel des Bluts gar keine Rücksicht nahmen, und mehr noch: sie ließen sich nicht einmal durch die heilige Abgeschlossenheit der Klöster zurückhalten. Das zur Verzweiflung getriebene Volk wußte nicht, an wen es seine Klagen richten sollte, so groß war das Entsetzen, das die drei Brüder allen einflößten, die sich dem Papst nähern wollten; selbst gegen die fremden Botschafter traten sie unverschämt auf. Der Herzog hatte schon vor der Machtstellung seines Oheims Violante von Cardona geheiratet, aus einer ursprünglich spanischen Familie, die in Neapel zum ersten Adel gehörte. Violante war durch ihre ungewöhnliche Schönheit und durch eine Anmut berühmt, welche sie gut zu zeigen verstand, wenn sie gefallen wollte, mehr aber noch durch ihren maßlosen Stolz. Doch um gerecht zu sein, muß man auch sagen, daß man nicht leicht eine größere, stärkere Seele hätte finden können als die ihre, und dies wurde auch der Welt deutlich, als sie vor ihrem Tode dem Kapuziner, der ihr die Beichte abnahm, nichts gestand. Sie konnte den bewunderungswürdigen Orlando des Messer Ariosto auswendig und trug ihn mit unendlicher Lieblichkeit vor, wie auch die meisten Sonette des göttlichen Petrarca und die Erzählungen des Pecorone. Aber noch verführerischer war sie, wenn sie sich herabließ, ihre Gesellschaft mit den sonderbaren Einfällen zu unterhalten, die ihr der eigne Geist eingab. Sie hatte einen Sohn, den Herzog von Cavi. Ihren Bruder Don Ferrante, Grafen d'Aliffe, zog das große Glück seines Schwagers nach Rom. Der Herzog von Palliano hielt glänzenden Hof. Die jungen Leute der ersten Familien Neapels buhlten um die Ehre, daran teilzuhaben. Rom verwöhnte zu der Zeit mit seiner Bewunderung einen seiner Lieblinge, den Marcello Capecce, einen jungen Kavalier, in Neapel durch seinen Geist und nicht minder durch die göttliche Schönheit berühmt, die ihm der Himmel geschenkt hatte. Die Favoritin der Herzogin war Diana Brancaccio, eine nahe Verwandte ihrer Schwägerin, der Marchesa von Montebello, die damals dreißig Jahre zählte. Man erzählte sich in Rom, daß sie dieser Favoritin nicht ihren sonstigen Stolz zeige, ja ihr alle ihre Geheimnisse anvertraue. Aber diese Geheimnisse bezogen sich nur auf die Politik; denn die Herzogin erweckte wohl Leidenschaften, doch sie teilte keine. Auf den Rat des Kardinals Carafa führte der Papst gegen den König von Spanien Krieg und der König von Frankreich schickte dem Papst eine Armee unter dem Befehl des Herzogs von Guise zur Unterstützung. Aber wir müssen uns an die Ereignisse am Hof des Herzogs von Palliano halten. Capecce war seit einer Zeit wie toll; man sah ihn die seltsamsten Dinge tun. Tatsache ist, daß sich der arme junge Mensch leidenschaftlich in seine Herrin, die Herzogin, verliebt hatte; doch wagte er kein Geständnis seiner Liebe. Aber er zweifelte nicht, an sein Ziel zu gelangen, denn er bemerkte, daß die Herzogin gegen ihren Gemahl, der sie vernachlässigte, aufs äußerste gereizt war. Der Herzog von Palliano war allmächtig in Rom, und die Herzogin wußte für sicher, daß ihn fast jeden Tag die wegen ihrer Schönheit berühmten römischen Damen in ihrem eignen Palast aufsuchten -- ein Schimpf, an den sie sich nicht gewöhnen mochte. Unter den Kaplänen des Papstes Paul befand sich ein ehrwürdiger Mönch, mit dem er das Brevier zu beten pflegte. Dieser wagte es eines Tags, trotz der Gefahr seines eignen Verderbens, vielleicht auf Veranlassung des spanischen Gesandten, dem Papst alle Schurkereien seiner Neffen zu enthüllen. Der fromme Papst wurde vor Kummer krank; er wollte die Wahrheit des Berichtes bezweifeln; aber von allen Seiten kamen die erdrückendsten Bestätigungen. Es war am ersten Tag des Jahres 1559, als das Ereignis eintrat, das dem Papst die Gewißheit gab und vielleicht die Entscheidung Seiner Heilichkeit bestimmte. Es war gerade am Tag der Beschneidung des Herrn, ein Umstand, der das Vergehen in den Augen eines so frommen Papstes noch erschwerte, daß Andrea Lanfranchi, der Sekretär des Herzogs von Palliano, dem Kardinal Carafa ein prächtiges Abendessen gab. Und damit den Reizungen der Völlerei die der Unzucht nicht fehlten, zu diesem Fest die Martuccia kommen ließ, eine der schönsten, berühmtesten und reichsten Kurtisanen Roms. Das Verhängnis wollte, daß Capecce, der Günstling des Herzogs -- eben jener, der im geheimen die Herzogin liebte und für den schönsten Mann der Hauptstadt der Welt galt --, seit einiger Zeit mit dieser Martuccia eine galante Beziehung pflog. An eben diesem Abend suchte er sie überall, wo er hoffen konnte, sie zu treffen. Als er sie nirgends fand und gehört hatte, daß im Hause Lanfranchi ein Fest stattfand, faßte er Argwohn und erschien bei Lanfranchi um Mitternacht, begleitet von vielen Bewaffneten. Man ließ ihn ein, forderte ihn auf, sich zu setzen und am Fest teilzunehmen; aber nach einigen recht gezwungenen Worten gab er Martuccia ein Zeichen, sich zu erheben und ihm zu folgen. Während sie ganz verwirrt und in Vorahnung dessen, was geschehen würde, zögerte, erhob sich Capecce, ging auf das junge Mädchen zu, faßte es bei der Hand und versuchte, es mit sich zu ziehn. Der Kardinal, zu dessen Ehren Martuccia gekommen war, widersetzte sich lebhaft ihrem Fortgehn. Capecce aber bestand darauf und versuchte, sie mit Gewalt aus dem Saal zu ziehen. Der Kardinal, der an diesem Abend gar nicht in Amtstracht gekleidet war, zog den Degen und verhinderte mit all der Kraft und Kühnheit, die ganz Rom an ihm kannte, das Fortgehen des jungen Mädchens. Marcello rief, trunken vor Zorn, seine Leute herein; aber es waren in der Mehrzahl Neapolitaner, und als sie zuerst den Sekretär des Herzogs und dann auch noch den Kardinal erkannten, den seine ungewohnte Kleidung zuerst unkenntlich gemacht hatte, steckten sie ihre Schwerter ein; sie wollten sich nicht mehr schlagen und legten sich ins Mittel, den Streit zu schlichten. Während dieses Streites war Martuccia, obgleich umringt und von Marcello an der linken Hand gehalten, geschickt genug gewesen, zu entschlüpfen. Sobald Marcello ihre Abwesenheit merkte, lief er ihr nach und seine ganze Bande folgte ihm. Aber aus dem Dunkel der Nacht erwuchsen die seltsamsten Gerüchte, und am Morgen des zweiten Januar war die Hauptstadt von Berichten über den gefährlichen Kampf überschwemmt, der, wie man sagte, zwischen dem Kardinal und Marcello Capecce stattgefunden habe. Der Herzog von Palliano, kommandierender General der päpstlichen Armee, hielt die Sache für weit schlimmer als sie wirklich war, und da er mit seinem Bruder, dem Kardinal-Kanzler, nicht sehr gut stand, ließ er noch in der Nacht Lanfranchi verhaften; früh am nächsten Morgen wurde auch Marcello gefangen gesetzt. Dann erst kam man darauf, daß niemand das Leben verloren habe und daß diese Festnahmen nur den Skandal vergrößerten, der ganz auf den Kardinal zurückfiel. Man beeilte sich, die Gefangenen wieder in Freiheit zu setzen und die drei Brüder vereinigten ihre unbegrenzte Macht, um die Angelegenheit niederzuschlagen. Erst hofften sie, es würde ihnen glücken; aber am dritten Tag kam die ganze Geschichte dem Papst zu Ohren. Er ließ seine beiden Neffen zu sich rufen und sprach zu ihnen wie nur ein so frommer und in seiner Frömmigkeit so tief verletzter Fürst der Kirche sprechen konnte. Als am fünften Tage des Januar eine große Anzahl von Kardinälen zur _Congregatio Sancti Officii_ vereinigt war, sprach der Papst als erster von dieser abscheulichen Sache; er fragte die anwesenden Kardinäle, wie sie wagen konnten, ihn nicht davon in Kenntnis zu setzen. "Ihr schweigt! Und doch rührt der Skandal an der erhabenen Würde, die Ihr bekleidet. Kardinal Carafa hat es gewagt, sich in der Öffentlichkeit in einem weltlichen Gewand und den nackten Degen in der Hand zu zeigen. Und zu welchem Zweck? Um sich an einer ehrlosen Kurtisane zu erfreuen!" Man kann sich die Totenstille denken, die diesen Worten gegen den Kardinal-Minister unter allen Anwesenden folgte. Vor ihnen stand ein Greis von achtzig Jahren, voll Zorn gegen den so geliebten Neffen, dem er bisher alle Freiheit gelassen hatte. In seiner Entrüstung sprach der Papst weiter davon, seinem Neffen den Kardinalshut zu nehmen. Der Zorn des Papstes wurde noch durch den Gesandten des Großherzogs von Toskana genährt, der sich über eine neue Anmaßung des Kardinalkanzlers beklagte. Der unlängst noch so mächtige Kardinal meldete sich bei Seiner Heiligkeit für die gewohnte Arbeit. Der Papst ließ ihn volle vier Stunden vor aller Augen im Vorzimmer warten; dann schickte er ihn weg, ohne ihn zur Audienz zuzulassen. Man kann ahnen, wie der unbändige Stolz des Kardinals darunter litt. Er war gereizt, aber keineswegs niedergedrückt; er überlegte, daß der vom Alter geschwächte und wenig an die Geschäfte gewöhnte Greis, der sein ganzes Leben hindurch sich von der Liebe zu seiner Familie hatte leiten lassen, bald wieder genötigt sein würde, auf seine Tatkraft zurückzugreifen. Aber die fromme Tugend des heiligen Papstes trug den Sieg davon; er berief die Kardinäle, und nachdem er sie lange ohne zu sprechen angesehn hatte, brach er in Tränen aus und zögerte nicht, etwas zu tun, das wie eine Buße war. "Die Schwäche des Alters", sagte er, "und die Sorgfalt, die wir für die Angelegenheiten unserer heiligen Kirche aufwenden, in der wir, wie Ihr wißt, alle Mißbräuche ausmerzen wollen, haben uns bewogen, unsere weltliche Autorität unsern drei Neffen anzuvertrauen; sie haben ihr Amt schwer mißbraucht und wir entlassen sie für immer." Man verlas darauf ein Breve, durch welches die Neffen aller ihrer Würde entkleidet und in armselige Dörfer verwiesen wurden. Der Kardinalkanzler wurde nach Civita Lavinia verbannt; der Herzog von Palliano nach Soriano und der Marchese nach Montebello. Durch dieses Breve ging der Herzog auch seiner regelmäßigen Gehälter verlustig, die sich auf 62 000 Piaster beliefen, was im Jahre 1838 mehr als eine Million bedeutet. Es konnte nicht die Rede davon sein, diesen strengen Befehlen nicht zu gehorchen, zumal die Carafa das ganze Volk Roms, das sie verabscheute, zu Feinden und Aufpassern hatte. Der Herzog von Palliano schlug nun, in Begleitung seines Schwagers, des Grafen d'Aliffe und Leonardos del Cardine seinen Wohnsitz in dem kleinen Dorf Soriano auf, während die Herzogin und ihre Schwiegermutter nach Gallese zogen, einem ärmlichen Neste, zwei knappe Meilen von Soriano entfernt. Diese Gegend ist entzückend, aber es war doch eine Verbannung, und man war aus Rom vertrieben, wo man noch gestern mit aller Anmaßung geherrscht hatte. Marcello Capecce war mit den andern Höflingen seiner Herrin in das ärmliche Dorf in die Verbannung gefolgt. An Stelle der Huldigungen ganz Roms sah sich diese noch vor wenigen Tagen so mächtige Frau, die ihren Rang mit dem ganzen Ungestüm ihres Stolzes genoß, nur noch von einfachen Bauern umgeben, deren Staunen sie nur an ihren Fall erinnerte. Sie war ohne jeden Trost; ihr Oheim war so alt, daß ihn voraussichtlich der Tod überrascht, bevor er seine Neffen zurückgerufen hat; und was am schlimmsten war: die drei Brüder verabscheuten einander. Man behauptete sogar, daß der Herzog und der Marchese, welche die ungestümen Leidenschaften des Kardinals nicht teilten und über seine Ausschweifungen aufgebracht waren, so weit gegangen wären, sie ihrem Oheim, dem Papst, zu denunzieren. Mitten im Schrecken dieser tiefen Ungnade geschah etwas, das zum Unglück sowohl für die Herzogin wie für Capecce selber sehr wohl zeigte, daß diesen keine wirkliche Leidenschaft an Martuccia gefesselt hatte. Eines Tages hatte ihn die Herzogin rufen lassen, um ihm einen Auftrag zu geben; er war allein mit ihr, was vielleicht kaum zweimal während des ganzen Jahres vorkam. Als Capecce sah, daß in dem Saal, wo ihn die Herzogin empfing, niemand anwesend war, blieb er erst unbeweglich und ohne ein Wort. Dann ging er zur Türe, nachzusehen, ob jemand da wäre, der sie vom Nebenzimmer hören könnte. Hierauf wagte er es: "Signora, beunruhigt Euch nicht und nehmt die seltsamen Worte, die ich Euch zu sagen die Kühnheit haben werde, nicht mit Zorn auf. Seit langem liebe ich Euch mehr als das Leben. Wenn ich in zu großer Unvorsichtigkeit gewagt habe, Eure göttliche Schönheit wie ein Verliebter zu betrachten, dürft Ihr nicht mir die Schuld geben, sondern der übernatürlichen Kraft, die mich treibt und bewegt. Ich leide Qualen, ich brenne, ich bitte nicht um Linderung der Flamme, die mich verzehrt, sondern nur, daß Euer Edelmut Mitleid mit einem Diener habe, der voll Demut und ohne Vertrauen zu sich selbst ist." Die Herzogin schien überrascht, aber mehr noch beunruhigt. "Marcello, was hast du eigentlich in mir gesehn," sagte sie ihm, "das dir die Verwegenheit gibt, Liebe von mir zu fordern? Hat sich mein Leben, hat sich meine Unterhaltung so weit vom Geziemenden entfernt, daß du dadurch eine solche Unverschämtheit rechtfertigen kannst? Wie konntest du die Vermessenheit haben, von mir zu glauben, daß ich mich dir oder irgendeinem andern Mann hingeben könnte, außer meinem Herrn und Gemahl? Ich verzeihe dir, was du gesagt hast, weil ich denke, daß du von Sinnen bist; aber hüte dich, wieder in den gleichen Fehler zu verfallen, anders schwöre ich dir, daß ich dich für die erste sowie für die zweite Frechheit zugleich strafen lassen werde." Die Herzogin entfernte sich außer sich vor Zorn. Capecce hatte auch wirklich gegen alle Gebote der Klugheit gefehlt; er hätte erraten lassen müssen, aber nichts aussprechen. Er blieb betroffen und fürchtete sehr, daß die Herzogin die Sache ihrem Gemahl erzählen würde. Aber es kam ganz anders, als er besorgte. In der Einsamkeit und Langweile dieses Dorfs konnte die stolze Herzogin nicht umhin, ihrer Freundin Diana Brancaccio anzuvertraun, was man ihr zu sagen gewagt hatte. Diese Frau von etlichen dreißig Jahren verzehrten die heftigsten Leidenschaften. Sie hatte rotes Haar -- der Chronist kommt mehrmals auf diesen Umstand zurück, der ihm alle Torheiten der Diana Brancaccio zu erklären scheint -- und sie liebte mit wilder Leidenschaft Domitiano[sic! weiter unten: Domiziano] Fornari, einen Edelmann vom Hofstaat des Marchese von Montebello. Sie wollte ihn heiraten, aber würden der Marchese und seine Frau, deren Blutsverwandte zu sein sie die Ehre hatte, jemals zustimmen, daß sie einen Mann heirate, der gegenwärtig ihr Bediensteter war? Dieses Hindernis war wenigstens dem Anschein nach unüberwindlich. Es gab nur eine Möglichkeit des Erfolgs: man mußte alles aufbieten, um die Fürsprache des Herzogs von Palliano, des älteren Bruders des Marchese zu erlangen, und Diana war in bezug darauf nicht ohne Hoffnung. Der Herzog behandelte sie mehr als Verwandte denn als Dienerin, die sie als Hofdame war. Er war ein guter Mensch von schlichter Gesinnung und gab lange nicht so viel wie seine Brüder auf die Fragen der Etikette. Obgleich der Herzog als ein richtiger junger Mann alle Vorteile seiner hohen Stellung genoß und seiner Frau nichts weniger als treu war, liebte er sie zärtlich und würde ihr aller Wahrscheinlichkeit nach keine Bitte abschlagen, würde sie nur mit einer gewissen Eindringlichkeit vorgebracht. Das Geständnis, das Capecce der Herzogin zu machen gewagt hatte, schien der brütenden Diana ein unerwarteter Glücksfall. Ihre Herrin war bisher zum Verzweifeln tugendhaft gewesen; wenn sie nun eine Leidenschaft empfände, einen Fehltritt beginge, würde sie Dianas alle Augenblicke bedürfen, und dann konnte sie alles von einer Frau erhoffen, deren Geheimnisse sie kannte. Weit davon, die Herzogin darauf aufmerksam zu machen, was sie sich schulde, und auf die schreckliche Gefahr, der sie sich inmitten eines so indiskreten Hofs aussetzen würde, sprach Diana, von der Unbändigkeit ihrer Leidenschaft fortgerissen, zu ihrer Herrin von Marcello Capecce, als ob sie von Domiziano Fornari spräche. In langen Unterhaltungen einsamer Stunden fand sie täglich Gelegenheit, die Reize und die Schönheit des armen Marcello, der so traurig aussah, in Erinnerung zu bringen; er gehöre doch, wie die Herzogin, den vornehmsten Familien Neapels an, sein Auftreten sei ebenso edel wie sein Blut, und nichts als jene Güter, die eine Laune des Glücks jeden Tag verleihen könnten, fehlten ihm, um in jeder Beziehung der Frau, die er zu lieben wagte, gleichzustellen. Diana bemerkte erfreut als erste Wirkung dieser Reden, daß sich das Vertrauen verdoppelte, das die Herzogin ihr schenkte. Sie beeilte sich, Marcello Capecce von dem, was vorging, zu verständigen. In der Glut dieses Sommers promenierte die Herzogin oft in den Wäldern der Umgebung von Gallese. Neigte sich der Tag, so erwartete sie die kühlende Brise vom Meere her auf den Hügeln dieser Wälder, von deren Gipfel man das Meer in der kurzen Entfernung von kaum zwei Meilen erblickt. Ohne die strengen Regeln der höfischen Sitte außer acht zu lassen, konnte sich Marcello in diesen Wäldern aufhalten; er verbarg sich dort, wie man sagt, und trug Sorge, sich den Blicken der Herzogin erst zu zeigen, wenn sie durch die Worte der Diana Brancaccio genügend vorbereitet war. Diese gab dann Marcello ein Zeichen. Als Diana ihre Herrin nahe daran sah, der verhängnisvollen Leidenschaft nachzugeben, die sie in ihrem Herzen erweckt hatte, gab sie selbst sich der heftigen Liebe zu Domiziano Fornari hin. Nun schien es ihr ja sicher, ihn heiraten zu können. Aber Domiziano war ein kluger junger Mann, von kaltem, zurückhaltendem Charakter, und die ungestüme Leidenschaft seiner feurigen Geliebten wurde ihm bald lästig, statt ihn zu fesseln. Diana Brancaccio war, wie gesagt, eine nahe Verwandte der Carafa; er hielt es für sicher, erdolcht zu werden, wenn der gefürchtete Kardinal Carafa, der, mochte er auch jünger als der Herzog von Palliano sein, doch das eigentliche Oberhaupt der Familie war, auch nur das Geringste über seine Liebesbeziehung erführe. Die Herzogin hatte schon seit einiger Zeit der Leidenschaft Capecces nachgegeben, als man eines schönen Tages Domiziano Fornari nicht mehr in dem Dorf fand, wohin man den Hof des Marchese von Montebello verbannt hatte. Er blieb verschwunden. Später erfuhr man, daß er sich in dem kleinen Hafen von Nettuno eingeschifft habe; ohne Zweifel hatte er seinen Namen gewechselt; nie wieder hörte man von ihm. Wer könnte die Verzweiflung Dianas schildern? Nachdem die Herzogin ihre Anklagen gegen das Schicksal lange mit Güte angehört hatte, gab sie ihr eines Tages zu verstehn, daß dieser Gesprächsgegenstand doch erschöpft zu sein scheine. Diana sah sich von ihrem Liebhaber verschmäht; ihr Herz war den grausamsten Leidenschaften preisgegeben; sie zog die sonderbarste Schlußfolgerung aus dem Augenblick der Langeweile, den die Herzogin bei der Wiederholung ihrer Klagen empfunden hatte. Diana redete sich ein, daß die Herzogin Domiziano Fornari veranlaßt habe, sie auf immer zu verlassen, ja daß sie es gewesen sei, die ihm die Mittel zur Reise gab. Dieser tolle Einfall stützte sich auf nichts als einige Vorhaltungen, welche die Herzogin ihr früher einmal gemacht hatte. Dem Argwohn folgte bald der Wunsch, sich zu rächen. Sie suchte um eine Audienz beim Herzog nach und teilte ihm mit, was zwischen seiner Frau und Marcello vorging. Der Herzog weigerte sich, dem zu glauben. "Bedenkt," sagte er ihr, "daß ich der Herzogin seit fünfzehn Jahren nicht den leisesten Vorwurf zu machen habe. Sie hat den Versuchungen des Hofes und den Verführungen unserer glänzenden Stellung in Rom widerstanden. Die liebenswertsten Persönlichkeiten, der General der französischen Armee, Herzog von Guise selbst, haben nichts erreicht, und Ihr wollt behaupten, daß sie einen gewöhnlichen Edelmann erhört hat?" Das Unglück wollte, daß der Herzog sich in Loriano, dem kleinen Dorf seiner Verbannung, das nur zwei knappe Meilen vom Wohnsitz seiner Frau entfernt lag, sehr langweilte und daß Diana dadurch eine ganze Reihe von Audienzen erreichen konnte, ohne daß dies der Herzogin zur Kenntnis kam. Diana hatte erstaunliche Kräfte; die Leidenschaft machte sie beredt. Sie gab dem Herzog eine Fülle von Einzelheiten; die Rache war jetzt ihre einzige Zerstreuung geworden. Sie wiederholte, daß sich Capecce fast jede Nacht gegen elf Uhr in das Schlafgemach der Herzogin begab und nicht vor zwei oder drei Uhr des Morgens fortgehe. Diese Reden machten im Anfang so wenig Eindruck auf den Herzog, daß er sich nicht die Mühe auferlegen wollte, um Mitternacht die zwei Meilen nach Gallese zurückzulegen und unerwartet in das Schlafgemach seiner Frau zu treten. Aber eines Abends befand er sich in Gallese; die Sonne war schon untergegangen, aber doch war es noch hell, als Diana ganz zerzaust in den Saal stürzte, wo sich der Herzog aufhielt. Alle entfernten sich, und sie sagte ihm, daß Marcello Capecce eben in das Schlafzimmer der Herzogin eingetreten sei. Der Herzog, der ohne Zweifel in diesem Augenblick schlecht gelaunt war, nahm seinen Dolch und lief zum Schlafzimmer seiner Frau, in das er durch eine geheime Tür eintrat. Er fand dort Marcello Capecce. Die beiden Verliebten wechselten wohl die Farbe, als sie ihn eintreten sahen; aber im übrigen war nichts Sträfliches am Anblick, den sie boten. Die Herzogin lag im Bett und war damit beschäftigt, eine kleine Auslage, die sie eben gemacht hatte, zu notieren; eine Kammerfrau war im Zimmer und Marcello stand drei Schritt vom Bett entfernt. Der Herzog packte in seinem Zorn Marcello bei der Kehle, schleppte ihn in ein Nebenzimmer, wo er ihm befahl, Degen und Dolch, mit denen er bewaffnet war, auf die Erde zu werfen. Hierauf rief der Herzog Leute seiner Wache herbei, von denen Marcello sofort ins Gefängnis von Soriano abgeführt wurde. Die Herzogin ließ man in ihrem Schloß, doch unter strenger Bewachung. Der Herzog war durchaus nicht grausam; es scheint, daß er die Absicht hatte, die Schande zu verheimlichen, um nicht gezwungen zu sein, zu den äußersten Mitteln zu greifen, welche die Ehre von ihm forderte. Er wollte glauben machen, daß Marcello wegen einer ganz andern Angelegenheit im Gefängnis gehalten würde; er nahm zum Vorwand, daß Marcello vor zwei oder drei Monaten einige ungewöhnlich große Kröten zu sehr hohem Preis gekauft hatte, und ließ das Gerücht verbreiten, dieser junge Mann habe ihn vergiften wollen. Aber das wirkliche Vergehen war schon zu bekannt, und sein Bruder, der Kardinal, ließ fragen, wann er gedenke, den Schimpf, den man gewagt hatte, ihrer Familie anzutun, im Blute der Schuldigen abzuwaschen. Der Herzog rief den Grafen d'Aliffe, den Bruder seiner Frau, und einen Freund des Hauses, Antonio Torando, zu sich. Sie bildeten zu dritt eine Art Gerichtshof und leiteten die Untersuchung gegen Marcello Capecce ein, der des Ehebruchs mit der Herzogin angeklagt wurde. Die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge wollte, daß der Papst Pius IV., der auf Paul IV. folgte, der spanischen Partei angehörte. Er konnte Philipp II. nichts abschlagen, und dieser verlangte von ihm den Tod des Kardinals und des Herzogs von Palliano. Die beiden Brüder wurden vor Gericht angeklagt, und die Urkunden des Prozesses, den sie zu erdulden hatten, erzählen uns auch alle Umstände des Todes von Marcello Capecce. Einer der zahlreichen einvernommenen Zeugen sagt in folgender Weise aus: "[sic! Das schließende Anführungszeichen fehlt.]Wir waren in Soriano. Mein Herr, der Herzog hatte eine lange Unterredung mit dem Grafen d'Aliffe. Sehr spät am Abend stieg man in ein Vorratsgewölbe zu ebener Erde hinunter, wo der Herzog schon die zur peinlichen Befragung des Schuldigen notwendigen Seile hatte vorbereiten lassen. Zugegen waren der Herzog, der Graf d'Aliffe, der Herr Antonio Torando und ich. Als erster Zeuge wurde der Hauptmann Camillo Grifone, der Freund und Vertraute Capecces gerufen. Der Herzog sagte folgendes zu ihm: 'Sage die Wahrheit, mein Freund. Was weißt du von dem, was Marcello im Schlafgemach der Herzogin tat?' 'Ich weiß nichts; ich bin seit mehr als zwanzig Tagen mit Marcello entzweit.' Weil er hartnäckig darauf bestand, nichts andres zu sagen, rief der Herr Herzog einige Mann seiner Wache herein. Grifone wurde durch den Podesta von Soriano an das Seil gebunden. Die Wachen zogen die Seile an und hoben auf diese Weise den Schuldigen vier Finger vom Boden empor. Nachdem der Hauptmann eine gute Viertelstunde so gehangen hatte, sagte er: 'Laßt mich herunter, ich werde sagen, was ich weiß.' Als man ihn auf den Boden herabgelassen hatte, entfernten sich die Wachen, und wir blieben mit ihm allein. Er sagte: 'Es ist wahr, daß ich mehrere Male Marcello bis zum Gemach der Herzogin begleitet habe, aber weiter weiß ich nichts, weil ich in einem benachbarten Hof bis gegen ein Uhr morgens auf ihn gewartet habe.' Sofort rief man wieder nach den Wachen, welche ihn auf Befehl des Herzogs von neuem so emporzogen, daß seine Füße den Boden nicht mehr berührten. Bald rief der Hauptmann: 'Laßt mich ab, ich will die Wahrheit sagen. Es ist wahr,' fuhr er fort, 'ich habe seit mehreren Monaten bemerkt, daß Marcello ein Liebesverhältnis mit der Herzogin hatte, und ich wollte Eurer Exzellenz oder Herrn Leonardo davon Mitteilung machen. Die Herzogin schickte jeden Morgen zu Marcello, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen; sie ließ ihm kleine Geschenke zukommen, so unter andern Dingen auch sehr teure mit großer Sorgfalt zubereitete Konfitüren; ich habe auch bei Marcello kleine, wunderbar gearbeitete Goldketten gesehen, die er offenbar von der Herzogin erhalten hatte.' Nach dieser Aussage wurde der Hauptmann ins Gefängnis zurückgeschickt. Man führte nun den Pförtner der Herzogin vor, der sagte, daß er nichts wisse; man band ihn an das Seil, und er wurde hochgezogen. Nach einer halben Stunde sagte er: 'Laßt mich herab, ich werde sagen, was ich weiß.' Als er am Boden war, behauptete er aber, nichts zu wissen; man zog ihn von neuem hoch. Nach einer halben Stunde ließ man ihn herunter; er setzte auseinander, daß er erst seit kurzer Zeit mit dem Dienst bei der Herzogin betraut sei. Da es möglich war, daß dieser Mann nichts wußte, schickte man ihn ins Gefängnis zurück. Alle diese Dinge hatten viel Zeit in Anspruch genommen, weil man jedesmal die Wachen wieder hinausschickte. Die Wachen sollten glauben, daß es sich um einen Vergiftungsversuch mit dem Gift der Kröten handle. Die Nacht war schon weit vorgeschritten, als der Herzog Marcello Capecce holen ließ. Als die Wachen draußen waren und man die Tür fest verschlossen hatte, sagte er ihm: 'Was hattet Ihr im Schlafgemach der Herzogin zu suchen, daß Ihr dort bis ein Uhr, bis zwei Uhr und manchmal bis vier Uhr morgens bliebt?' Marcello leugnete alles; man rief die Wache, und er wurde aufgehängt; das Seil verrenkte ihm die Arme; er konnte den Schmerz nicht aushalten und verlangte, herabgelassen zu werden; man setzte ihn auf einen Schemel, aber einmal so weit, verwirrte er sich in seiner Rede und wußte eigentlich nicht mehr, was er sagte. Man rief die Wachen herbei, die ihn von neuem hochzogen; nach einer langen Zeit verlangte er, heruntergelassen zu werden. Er sagte: 'Es ist wahr, daß ich zu dieser ungewöhnlichen Stunde in die Gemächer der Herzogin eingetreten bin, doch hatte ich ein Liebesverhältnis mit der Signora Diana Brancaccio, einer der Damen Ihrer Exzellenz, welcher ich die Ehe versprochen habe, und die mir alles gewährt hat, was nicht gegen die Ehre war.' Marcello wurde in sein Gefängnis zurückgeführt, wo man ihn dem Hauptmann und Diana gegenüberstellte, welche alles leugnete. Darauf führte man Marcello wieder in den unteren Saal; als wir nahe der Tür waren, sagte er: 'Herr Herzog, Eure Exzellenz wird sich erinnern, daß sie mir das Leben zusicherten, wenn ich die volle Wahrheit sagen würde. Es ist nicht nötig, mich von neuem anzubinden; ich werde alles gestehen.' Dann näherte er sich dem Herzog und sagte ihm mit zitternder und kaum verständlicher Stimme, daß es wahr sei, daß er die Gunst der Herzogin genossen habe. Auf diese Worte hin warf sich der Herzog auf Marcello und biß ihn in die Wange, dann zog er seinen Dolch, und ich sah, daß er den Schuldigen erstechen wollte. Ich sagte da, daß es gut wäre, wenn Marcello eigenhändig aufschriebe, was er soeben gestanden hätte und daß dies Schriftstück Seiner Exzellenz zur Rechtfertigung dienen würde. Man trat in den unteren Saal ein, wo sich alles befand, was zum Schreiben nötig war; aber das Seil hatte Marcello so am Arm und an der Hand verletzt, daß er nichts weiter schreiben konnte, als diese wenigen Worte: 'Ja, ich habe meinen Herrn verraten; ja, ich habe ihm die Ehre genommen.' Der Herzog las mit, während Marcello schrieb. In diesem Augenblick stürzte er sich auf Marcello und versetzte ihm drei Dolchstöße, die ihm das Leben nahmen. Diana Brancaccio war da, drei Schritte entfernt, mehr tot als lebendig; sie bereute ohne Zweifel tausend- und abertausendmal, was sie getan hatte. 'Weib, unwürdig einer edlen Familie anzugehören!' schrie der Herzog, 'du einzige Ursache meiner Schmach, die du herbeigeführt hast, um deinen unehrlichen Lüsten zu fröhnen; ich muß dir jetzt den Lohn für all deine Verrätereien zahlen.' Indem er diese Worte sprach, packte er sie bei den Haaren und schnitt ihr den Hals mit einem Messer ab. Diese Unglückliche vergoß Ströme Blutes und fiel endlich tot nieder. Der Herzog ließ die beiden Leichen in eine Kloake nah vom Gefängnis werfen. Der junge Kardinal Alfonso Carafa, der Sohn des Marchese von Montebello, der einzige der ganzen Familie, den Paul IV. bei sich behalten hatte, glaubte ihm dieses Ereignis berichten zu müssen. Der Papst antwortete nichts als die Worte: 'Und die Herzogin? Was hat man mit ihr gemacht?' Man glaubte in Rom allgemein, daß diese Worte den Tod dieser unglücklichen Frau herbeiführen würden. Aber der Herzog konnte sich nicht zu diesem großen Opfer entschließen, sei es, weil sie schwanger war, sei es wegen der außerordentlichen Zärtlichkeit, die er früher für sie gefühlt hatte. Drei Monate nach der sehr edlen Tat, die der heilige Papst Paul IV. vollbracht hatte, indem er sich von seiner ganzen Familie lossagte, wurde er krank und nach drei weiteren Monaten der Krankheit verschied er am 18. August 1559. Der Kardinal schrieb Briefe über Briefe an den Herzog von Palliano und wiederholte ihm unaufhörlich, daß ihre Ehre den Tod der Herzogin erheische. Jetzt, wo ihr Oheim tot war und man nicht die Absichten des kommenden Papstes wissen konnte, wollte er, daß alles in kürzester Frist erledigt werde. Der Herzog, der ein einfacher und guter Mensch war und in Ehrensachen viel weniger ängstlich als der Kardinal, konnte sich nicht zu dem schrecklichen äußersten Mittel entschließen, das man von ihm verlangte. Er sagte sich, daß er selbst unzählige Treulosigkeiten gegen die Herzogin begangen habe und ohne sich die geringste Mühe zu geben, sie ihr zu verbergen und daß solche Untreue eine so stolze Frau leicht auf Vergeltungsgedanken hätte bringen können. Selbst im Augenblick, als das Konklave zusammentrat, schrieb der Kardinal, nachdem er die Messe gehört und die heilige Kommunion empfangen hatte, ihm nochmals, er fühle sich durch dieses ewige Verschieben gepeinigt und wenn der Herzog sich nicht endlich zu dem entschließe, was die Ehre ihres Hauses fordere, beteuere er, daß er sich niemals mehr seiner Angelegenheiten annehmen würde, und nie wieder suchen würde, ihm nützlich zu sein, sei es im Konklave, sei es bei dem künftigen Papst. Ein Grund, der dem Ehrenpunkt fern lag, vermochte es, den Herzog zum Entschluß zu bringen. Obwohl die Herzogin streng bewacht wurde, fand sie, wie man sagt, die Möglichkeit, Marc Antonio Colonna sagen zu lassen -- welcher der Hauptfeind des Herzogs war, weil er ihm sein Herzogtum Palliano hatte abtreten müssen -- sie wolle ihn in Besitz der Festung Palliano setzen, die einem ihr ergebenen Mann unterstellt war, wenn Marc Antonio Mittel fände, ihr das Leben zu retten und sie zu befreien. Am 28. August 1559 schickte der Herzog zwei Kompagnien Soldaten nach Gallese. Am 30. kamen Don Leonardo del Cardine, ein Verwandter des Herzogs und Don Ferrante, Graf d'Aliffe, der Bruder der Herzogin in Gallese an und gingen in die Gemächer der Herzogin, um ihr den Tod zu geben. Sie verkündeten ihr, daß sie sterben müsse und sie nahm diese Nachricht ohne die leiseste Erregung hin. Sie wollte vorher beichten und die heilige Messe hören. Als dann die beiden Herren sich ihr wieder näherten, bemerkte sie, daß sie untereinander nicht einig waren. Sie fragte, ob sie einen Befehl ihres Gatten, des Herzogs, hätten, sie zu ermorden. 'Ja, Signora', erwiderte Leonardo. Die Herzogin wollte ihn sehen; Don Ferrante zeigte ihn ihr. * * * * * Ich finde in dem Prozeß des Herzogs von Palliano die Aussage der Mönche, welche diesen schrecklichen Vorgängen beiwohnten. Diese Aussagen sind weit über die der andern Zeugen zu stellen und das kommt, scheint mir, daher, daß die Mönche ohne jede Furcht vor Gericht aussagten, während alle andern Zeugen mehr oder weniger Mitschuldige ihres Herrn gewesen waren. Der Kapuzinerbruder Antonio von Pavia sagte folgendes aus: "Nach der Messe hatte sie fromm die heilige Kommunion genommen und während wir ihr Trost zusprachen, trat der Graf d'Aliffe, der Bruder der Herzogin ins Zimmer, in der Hand eine Schnur und einen daumdicken Haselnußstab, der etwa eine halbe Elle lang sein mochte. Er verband der Herzogin mit einem Taschentuch die Augen und sie zog es mit großer Kaltblütigkeit tiefer über ihre Augen hinunter, um ihn nicht zu sehen. Der Graf legte ihr die Schnur um den Hals, aber da sie nicht taugte, nahm sie der Graf wieder ab und entfernte sich einige Schritte; als die Herzogin ihn gehen hörte, hob sie das Taschentuch von den Augen und sagte: 'Nun? Was geschieht?' Der Graf antwortete: 'Die Schnur war nicht gut, ich werde eine andre holen, damit Ihr nicht leiden müßt.' Als er diese Worte sprach, ging er hinaus und kam nach einigen Minuten mit einer andern Schnur ins Zimmer zurück; er legte ihr von neuem das Taschentuch über die Augen, schlang ihr die Schnur um den Hals, steckte den Stab durch den Knoten, drehte ihn herum und erdrosselte sie. Die Sache ging, was die Herzogin betraf, ganz im Ton einer gewöhnlichen Unterhaltung vor sich." Ein andrer Kapuziner, Bruder Antonio von Salazar, schließt seine Aussage mit folgenden Worten: "[sic! Die Setzung der Anführungszeichen der nächsten vier Absätze entspricht durchaus der Vorlage.]Ich wollte mich zurückziehen, weil ich Bedenken hatte wegen meines Gewissens und um sie nicht sterben zu sehn, aber die Herzogin sagte zu mir: 'Entferne dich nicht von hier, um Gottes Barmherzigkeit willen.' Nun erzählt der Mönch die Umstände ihres Todes genau so wie wir sie eben geschildert haben. Er fügt hinzu: 'Sie starb als gute Christin, immer wiederholend: Ich glaube, ich glaube.'" Die beiden Mönche, welche offenbar von ihrem Vorgesetzten die nötige Genehmigung erhalten hatten, blieben bei ihren Aussagen, daß die Herzogin immer ihre völlige Unschuld beteuerte, sowohl in allen Unterredungen mit ihnen, wie in jeder Beichte und besonders auch in der Beichte, die der Messe voranging, wo sie das heilige Abendmahl empfing. Wäre sie schuldig gewesen, hätte sie sich durch diesen Stolz bloß in die Hölle gestürzt. In der Gegenüberstellung des Kapuzinerbruders Antonio von Pavia mit Don Leonardo del Cardine, sagte der Bruder: "Mein Gefährte sagte dem Grafen, daß es gut wäre, solange zu warten, bis die Herzogin niederkäme; sie ist seit sechs Monaten schwanger," fügte er hinzu, "und man sollte die Seele des armen unglücklichen Kleinen retten, den sie in ihrem Schoß trägt; man muß ihn taufen." Worauf der Graf d'Aliffe antwortete: "Ihr wißt, daß ich nach Rom gehen muß, und ich will dort nicht mit dieser Maske vor dem Gesicht erscheinen." Mit dieser ungesühnten Schmach wollte er damit sagen. Kaum war die Herzogin tot, als die beiden Kapuziner darauf bestanden, daß man die Leiche ohne Verzug öffne, um das Kind zu taufen; aber der Graf und Don Leonardo hörten nicht auf ihre Bitten. Am nächsten Tag wurde die Herzogin in der Kirche des Orts mit einigem Gepränge bestattet. Ich habe den amtlichen Bericht darüber gelesen. Dieses Ereignis, dessen Kunde sich sofort verbreitete, machte wenig Eindruck; man hatte es schon seit langem erwartet; man hatte schon mehrere Male die Nachricht von diesem Tod in Gallese und in Rom verkündet und außerdem war ein Mord außerhalb der Stadt und zu einer Zeit, wo der h. Stuhl frei war, gar nichts Besonderes. Das Konklave, welches auf den Tod Paul IV. folgte, war sehr stürmisch; es dauerte nicht weniger als vier Monate. Am 26. Dezember 1559 war der Kardinal Carlo Carafa genötigt, bei der Wahl eines Papstes mitzuwirken, welcher von Spanien vorgeschlagen worden war und folglich allen strengen Maßnahmen willig zustimmen mußte, die Philipp II. gegen ihn, Kardinal Carafa, verlangen würde. Der Neuerwählte nahm den Namen Pius IV. an. Wenn der Kardinal zur Zeit, als sein Oheim starb, nicht verbannt gewesen wäre, hätte er auf die Wahl Einfluß gehabt oder zum mindesten hätte er die Ernennung eines Feindes verhindern können. Kurz darauf verhaftete man den Kardinal wie den Herzog; der Befehl Philipp II. ging offenbar dahin, sie zugrunde zu richten. Sie hatten sich gegen vierzehn Hauptanklagepunkte zu verantworten. Man verhörte auch alle, die über diese vierzehn Punkte hatten Aufklärung geben können. Dieser ausgezeichnet geführte Prozeß macht zwei Foliobände aus, die ich mit großem Interesse gelesen habe, weil man dort auf jeder Seite Schilderungen von Sitten trifft, welche die Historiker der Erhabenheit der Geschichte nicht würdig fanden. Ich habe dort sehr merkwürdige Einzelheiten über einen Mordanschlag verfolgen können, der von der spanischen Partei gegen den Kardinal Carafa versucht wurde, als er noch allmächtiger Minister war. Übrigens wurde er und sein Bruder wegen Verbrechen verurteilt, die für andere keine gewesen wären, zum Beispiel: den Liebhaber einer untreuen Frau getötet zu haben und diese Frau auch. Einige Jahre später heiratete der Fürst Orsini die Schwester des Großherzogs von Toscana; er glaubte, daß sie ihm untreu sei und ließ sie in Toscana selbst unter Zustimmung ihres Bruders des Großherzogs vergiften und niemals wurde ihm das Verbrechen angerechnet. Auch mehrere Fürstinnen aus dem Hause Medici sind so gestorben. Als der Prozeß der beiden Carafa beendet war, machte man einen langen Auszug davon, der zu wiederholten Malen von den Kongregationen der Kardinäle geprüft wurde. Nachdem man einmal übereingekommen war, den Mord, der den Ehebruch rächte, mit dem Tode zu bestrafen -- eine Art Verbrechen, mit dem das Gericht vordem sich nie befaßt hatte -- ist es nur zu klar, daß der Kardinal schuldig war, seinen Bruder zum Verbrechen angestiftet zu haben, wie der Herzog schuldig, weil er es ausführen ließ. Am 3. März 1561 hielt Papst Pius IV. ein Konsistorium, das acht Stunden dauerte und bei dessen Schluß er das Urteil über die Carafa in folgender Weise sprach: Prout in schedula -- Es möge nach dem Gesetze geschehn. In der Nacht des folgenden Tages schickte der Fiskal den Borgelloführer der Sbirren nach der Engelsburg, um das Todesurteil an den beiden Brüdern, Carlo, Kardinal Carafa und Giovanni, Herzog von Palliano, vollstrecken zu lassen. So geschah es. Man nahm zuerst den Herzog vor. Er wurde von der Engelsburg in das Gefängnis von Tordinone überführt, wo alles vorbereitet war, denn dort wurden dem Herzog, dem Grafen d'Aliffe und Don Leonardo del Cardine der Kopf abgeschlagen. Der Herzog ertrug diese schrecklichen Augenblicke nicht nur wie ein Mann von hohem Adel, sondern er war auch als Christ bereit, alles aus Liebe zu Gott zu erdulden. Er richtete schöne Worte an seine beiden Gefährten, um sie auf den Tod vorzubereiten; dann schrieb er an seinen Sohn. Der Bargello kehrte zur Engelsburg zurück; er kündigte dem Kardinal Carafa den Tod an und gab ihm nicht mehr als eine Stunde Zeit, um sich vorzubereiten. Der Kardinal zeigte eine Seelengröße, welche die seines Bruders noch übertraf, um so mehr als er weniger Worte sagte; Worte sind immer eine Kraft, die man außer sich selbst sucht. Man hörte ihn, bei der Ankündigung der schrecklichen Neuigkeit, nur mit leiser Stimme sagen: "Ich sterben? Oh, Papst Pius! Oh, König Philipp!" Er beichtete; er rezitierte die sieben Bußpsalmen, dann dann setzte er sich auf einen Sessel und sagte zu dem Henker: "Tu's!" Der Henker erwürgte ihn mit einer Seidenschnur, die zerriß; er mußte es zweimal machen. Der Kardinal blickte den Henker an, ohne ihn eines Wortes zu würdigen. * * * * * Wenige Jahre darauf ließ der heilige Papst Pius V. den Prozeß wieder aufnehmen; er wurde ungültig erklärt; dem Kardinal und seinem Bruder wurden alle ihre Ehren wieder verliehen und der Generalprokurator, der am meisten zu ihrem Tode beigetragen hatte, wurde gehenkt. Pius V. verfügte die Unterdrückung des Prozesses; alle Kopien, die in den Bibliotheken davon existierten, wurden verbrannt; es wurde bei Strafe der Exkommunikation verboten, etwas davon aufzubewahren; aber der Papst dachte nicht daran, daß er in seiner eigenen Bibliothek eine Abschrift des Prozesses aufhob und nach dieser Abschrift sind alle die gemacht, die man heute sieht. DIE CENCI ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL Molières Don Juan ist ohne Zweifel galant, doch vor allem ist er ein Mann der guten Gesellschaft. Bevor er sich der unwiderstehlichen Leidenschaft überläßt, die ihn zu hübschen Frauen zieht, hält er darauf, einem bestimmten Ideal zu gleichen; er will der Mann sein, der am Hof eines galanten und geistvollen jungen Königs unumschränkt bewundert würde. Mozarts Don Juan ist schon weit natürlicher und viel weniger französisch; er denkt weniger an die Meinung der andern über ihn, denkt nicht vor allem daran, zu scheinen, wie der Baron Foeneste d'Aubigné sagte. Wir besitzen aus Italien nur zwei Porträte des Don Juan, so wie er diesem schönen Lande im sechzehnten Jahrhundert zu Beginn der wiedergeborenen Zivilisation erschienen ist. Von diesen beiden Porträten kann ich das eine durchaus nicht bekanntgeben, denn das Jahrhundert ist zu prüde; man muß sich an das große Wort erinnern, das Lord Byron unzählige Male wiederholt hat: This age of cant. Diese so langweilige Heuchelei, die niemand täuscht, hat den ungeheuren Vorteil, daß die Dummen etwas zu reden haben; es entrüstet sie, daß man gewagt hat, über etwas zu sprechen; es entrüstet sie, daß man gewagt hat, über etwas zu lachen, usw. Der Nachteil ist, daß das Bereich der Geschichte dadurch unendlich verengt wird. Hat der Leser den guten Geschmack, es mir zu gestatten, so werde ich ihm in aller Bescheidenheit eine historische Aufzeichnung über den zweiten Don Juan vorlegen, von dem es im Jahre 1887 möglich ist, zu sprechen; er hieß Francesco Cenci. Don Juan zu ermöglichen, muß es die Heuchelei in der Welt geben. Im Altertum wäre Don Juan eine Wirkung ohne Ursache gewesen; die eher heitere Religion ermahnte die Menschen zum Genuß: wie hätte sie also jemand auszeichnen, ja verdammen können, der in einer Lust seine einzige Aufgabe sieht? Nur die herrschende Regierung sprach von Enthaltsamkeit; aber wohl verstanden, sie verbot bloß Dinge, die dem Vaterland schaden konnten, und nichts, was nur den einzelnen schädigte. Jeder, der Geschmack an Frauen fand und reich war, konnte in Athen ein Don Juan sein, ohne daß jemand daran etwas auszusetzen gefunden hätte. Niemand nannte dies Leben ein Jammertal und daß es verdienstvoll sei, zu leiden. Ich glaube nicht, daß der athenische Don Juan so leicht hätte zum Verbrecher werden können wie der Don Juan der modernen Welt; ein großer Teil des Vergnügens des modernen Don Juan besteht darin, die öffentliche Meinung herauszufordern, womit er schon in seiner Jugend damit beginnt, daß er sich einbildet, nur gegen die Heuchelei anzukämpfen. Gesetze zu übertreten in einer Monarchie Louis XV., auf einen Dachdecker einen Flintenschuß abzufeuern und ihn von seinem Dach herunterrollen zu lassen -- ist das nicht ein Beweis, daß man in der Gesellschaft um den Fürsten lebt, daß man zum besten Ton gehört und daß man sich sonst was aus dem Richter macht, der ja ein Bürgerlicher ist? Seinem Richter zu spotten -- ist das nicht der erste Schritt des kleinen werdenden Don Juan? Bei uns sind die Frauen nicht mehr Mode, und das ist der Grund für die Seltenheit der Don Juane. Aber wenn es deren gäbe, würden sie immer mit sehr natürlichen Vergnügungen beginnen und ihren Ruhm darin suchen, den Ideen zu trotzen, die ihnen in der Vernunft nicht begründet zu sein scheinen, trotzdem sie den festen Glauben ihrer Zeitgenossen bilden. Erst viel später, wenn er pervers zu werden beginnt, findet der Don Juan eine erlesene Wollust darin, Meinungen zu bekämpfen, die ihm selber richtig und vernünftig scheinen. Dieser Übergang muß bei den Alten sehr schwierig gewesen sein; erst unter den römischen Kaisern und nach Tiberius findet man Freigeister, welche die Verderbnis um ihrer selbst willen lieben, das heißt: wegen des Vergnügens, den vernünftigen Ansichten ihrer Zeitgenossen Trotz zu bieten. Daher sehe ich in der christlichen Religion die Voraussetzungen für die satanische Rolle des Don Juan. Ist es doch diese Religion, welche die Welt lehrte, daß die Seele eines armen Sklaven, eines Gladiators an Fähigkeit und an Würde der des Cäsar selber völlig ebenbürtig sei; daher muß man der christlichen Lehre für das Auftauchen zarter Gefühle dankbar verpflichtet sein. Ich zweifle übrigens nicht daran, daß früher oder später diese Gefühle auch ohne die christliche Lehre im Busen der Völker aufgetaucht wären -- ist doch die Äneide schon um vieles zarter, gefühlsreicher als die Ilias. Die Lehre Jesu war die der zeitgenössischen arabischen Philosophen, und das einzig Neue, das in der Welt infolge der vom heiligen Paul gepredigten Lehren eingeführt wurde, ist eine Armee von Priestern, die gänzlich von den übrigen Bürgern getrennt sind und sogar diesen entgegengesetzte Interessen haben. Die einzige Aufgabe dieser Priestergilde war, das religiöse Empfinden zu pflegen und zu stärken; sie erfanden bezaubernde Gaukeleien und Kulte, um die Gemüter aller Klassen, vom ungebildeten Hirten bis zum blasierten Höfling im Gefühle zu bewegen; sie verstanden ihre Interessen mit den entzückenden Eindrücken der ersten Kindheit zu verknüpfen; sie ließen nicht die kleinste Pest oder das kleinste große Unglück vorübergehn, ohne daraus Nutzen zu ziehn, die Furcht und das religiöse Empfinden zu verdoppeln oder wenigstens eine schöne Kirche zu bauen, wie die Maria della Salute in Venedig. Diese Kirche bringt das bewundernswerte Ereignis hervor: der heilige Papst Leo widersteht ohne jede materielle Macht dem wilden Attila und seinen barbarischen Scharen, die China, Persien und die Gallier in Schrecken versetzt hatten. So hat die Kirche, wie die absolute, nur durch Chansons gemäßigte Macht, welche man die französische Monarchie nennt, sonderbare Dinge hervorgebracht, welche die Welt vielleicht niemals gesehn hätte, wenn sie diese beiden Einrichtungen hätte entbehren müssen. Unter diese guten oder schlechten, immer aber sonderbaren und seltsamen Dinge, die Aristoteles, Polybius, Augustus und alle andern Köpfe des Altertums sehr in Erstaunen gesetzt hätten, stelle ich ohne Zögern den modernen Charakter des Don Juan. Er ist, wie ich meine, ein Produkt der asketischen Institutionen, welche die Päpste nach Luther geschaffen haben; denn Leo X. und sein Hof folgten noch ungefähr den Prinzipien der Religion Athens. Molières Don Juan wurde zu Beginn der Regierung Ludwig XIV., am 15. Februar 1665 aufgeführt; dieser Fürst war damals noch nicht im geringsten fromm und trotzdem ließ die kirchliche Zensur die Szene des Armen im Walde streichen. Diese Zensur wollte, um sich Nachdruck zu verschaffen, dem so wunderbar unwissenden König einreden, daß das Wort Jansenist gleichbedeutend mit Republikaner sei. Das Original ist von dem Spanier Tirso de Molina; eine italienische Truppe spielte gegen 1664 eine Nachdichtung davon in Paris und erregte Aufsehn. Das Stück ist vielleicht die am meisten gespielte Komödie der Welt, denn sie handelt vom Teufel und von der Liebe, von der Furcht vor der Hölle und von einer überschwenglichen Leidenschaft für eine Frau, von allem also, was es Schreckliches und Liebliches in den Augen der Menschen gibt, sofern sie nur aus dem Zustand der Wilden heraus sind. Es ist nicht erstaunlich, daß das Bild des Don Juan durch einen spanischen Dichter in die Literatur eingegeführt worden ist. Die Liebe nimmt eine große Stelle im Leben dieses Volks ein; sie ist da eine ernste Leidenschaft, imstande, mit Gewalt alle andern sich zu unterjochen, sogar die Eitelkeit. Ebenso ist es in Deutschland und in Italien. Wohl überlegt ist einzig und allein Frankreich vollkommen frei von dieser Leidenschaft, um derentwillen andere Nationen so viele Torheiten begehn, wie zum Beispiel ein armes Mädchen zu heiraten, unter dem Vorwand, daß sie hübsch und daß man in sie verliebt sei. Den Mädchen, welchen nichts als die Schönheit fehlt, fehlt es nicht an Bewunderern in Frankreich; wir sind unvorsichtige Leute. Anderswo sind sie darauf angewiesen, Nonne zu werden, weshalb die Klöster in Spanien unentbehrlich sind. Die Mädchen bekommen in diesem Lande keine Mitgift und dies Gesetz hat den Triumph der Liebe gesichert. Hat sich die Liebe in Frankreich nicht ins fünfte Stockwerk zurückgezogen, das heißt, zu den Mädchen, die sich ohne Vermittlung des Notars und der Familie verheiraten? Man soll hier nicht an den Don Juan des Lord Byron denken, der nichts als ein Faublas ist: ein schöner, unbedeutender junger Mann, auf den sich die unwahrscheinlichsten Arten und Gattungen des Glücks stürzen. Es war, wie gesagt, in Italien, und zwar erst im sechzehnten Jahrhundert, daß dieser sonderbare Charakter zum erstenmal auftauchte. Es war in Italien, und zwar im siebzehnten Jahrhundert, daß eine Fürstin sagte, als sie am Abend eines sehr heißen Tages mit Entzücken ein Eis nahm: 'Wie schade, daß Gefrorenes zu essen nicht eine Sünde ist!' Diese Gefühlseinstellung bildet nach meiner Ansicht die Charaktergrundlage des Don Juan und dazu gehört, wie man sieht, die christliche Religion. Ein neapolitanischer Autor meint dazu: "Ist es nichts, dem Himmel Trotz zu bieten und dabei zu glauben, daß im gleichen Augenblick Euch der Himmel zu Staub zermalmen kann?" Davon, sagt man, rühre die unvergleichliche Wollust her, eine Nonne als Geliebte zu haben, eine von Frömmigkeit erfüllte Nonne, die weiß, daß sie Böses tut und Gott so leidenschaftlich um Verzeihung anfleht, wie sie leidenschaftlich sündigt. Denken wir uns einen sehr perversen Christen, zu der Zeit in Rom geboren, als der strenge Pius V. sich anschickte, eine Menge kleiner religiöser Übungen wieder zu Ehren zu bringen oder neu zu erfinden, welche der einfachen Alltagsmoral völlig fremd sind, die ja nur das Tugend nennt, was den Menschen nützlich ist. Eine Inquisition, so unerbittlich, daß sie sich nur kurze Zeit in Italien halten konnte und bald nach Spanien flüchten mußte, war noch verstärkt worden und jagte aller Welt Schrecken ein. Jahre hindurch setzte man sehr harte Strafen auf die Unterlassung oder auf die öffentliche Mißachtung dieser kleinen und kleinlichen religiösen Übungen, die zum Rang heiligster religiöser Pflichten erhoben wurden. Jener perverse Römer, von dem wir sprachen, wird die Achseln gezuckt haben, als er die ganze Masse der Bürger vor den schrecklichen Gesetzen der Inquisition zittern sah. 'Gut,' wird er sich gesagt haben, 'ich bin der reichste Mann von Rom, dieser Hauptstadt der Welt, ich werde auch der kühnste sein; ich werde mich öffentlich über all das lustig machen, was diese Leute respektieren und was so wenig dem gleicht, was zu respektieren ist.' Denn ein wirklicher Don Juan muß ein Mann von Herz sein und jenen lebhaften und klaren Verstand besitzen, der die Motive der Handlungen der Menschen durchschaut. Francesco Cenci also wird sich gesagt haben: 'Durch welche auffallenden Taten könnte ich, ein Römer, in Rom im Jahre 1527 geboren, genau während der sechs Monate, in denen die lutheranischen Soldaten des Connetable von Bourbon die gräßlichsten Entweihungen an den heiligen Dingen begingen -- durch welche Taten könnte ich meinen Mut bemerkbar machen und mir so eindringlich wie möglich das Vergnügen bereiten, der öffentlichen Meinung Trotz zu bieten? Womit soll ich meine einfältigen Zeitgenossen in Erstaunen setzen? Wie kann ich mir das so lebhafte Vergnügen verschaffen, mich anders als die große Masse zu fühlen?' Es konnte einem Römer, und dazu einem Römer jener Zeit nicht in den Sinn kommen, sich auf bloße Worte zu beschränken. Es gibt kein Land, wo prahlerische Worte mehr verachtet werden als in Italien. * * * * * Der Mann, der so zu sich sprechen konnte, Francesco Cenci, ist am 15. September 1598, unter den Augen seiner Tochter und seiner Frau getötet worden. Nichts Liebenswürdiges bleibt uns von diesem Don Juan zu erinnern. Sein Charakter wurde durch nichts, vor allem nicht durch die Manie, ein guter Gesellschafter zu sein, gemildert und verkleinert, wie bei dem Don Juan Molières. Er kümmerte sich um die andern Menschen nur, wenn er ihnen seine Überlegenheit beweisen, sich ihrer bedienen oder ihnen seinen Haß zeigen wollte. Denn der Don Juan findet nie Gefallen an Sympathiegefühlen, an süßen Träumereien oder an den Einbildungen eines zärtlichen Herzens. Er braucht vor allem Freuden, welche Triumphe sind, von andern bemerkt und nicht abstreitbar; er braucht die Liste, die der freche Leporello vor den Augen der unglücklichen Elvira aufrollt. Der römische Don Juan hat sich gut vor der kindlichen Ungeschicklichkeit gehütet, den Schlüssel zu seinem Charakter zu geben und sich einem Lakaien anzuvertrauen, wie jener Don Juan bei Molière. Er hat ohne einen Vertrauten gelebt und hat nichts andres gesprochen, als was ihm für die Förderung seiner Pläne nützlich war. Niemand überraschte ihn in Augenblicken wirklicher Zärtlichkeit und entzückender Heiterkeit, wegen deren man dem Don Juan von Mozart viel verzeiht. Kurz: das Porträt, das ich hier hinsetzen werde, ist abstoßend. Aus freier Wahl hätte ich nicht diesen Charakter nachgezeichnet. Ich hätte mich damit begnügt, ihn zu studieren; denn er ist dem Gräßlichen näher als dem Seltsamen. Aber Reisegefährten, denen ich nichts abschlagen konnte, baten mich darum. Ich hatte im Jahre 1823 das Glück, Italien zusammen mit liebenswürdigen unvergeßlichen Menschen zu sehn. Ich war gleich ihnen vom Bildnis der Beatrice Cenci hingerissen, das im Palazzo Barberini in Rom hängt. Die Galerie dieses Palastes ist heute auf sieben oder acht Bilder zusammengeschmolzen, doch sind vier Meisterwerke darunter: zunächst das Porträt der berühmten Fornarina, der Geliebten Raffaels, von Raffaels eigener Hand. Das zweite wertvolle Bildnis der Galerie ist vom Guido Reni: das Porträt der Beatrice Cenci, von dem es soviel schlechte Stiche gibt. Der große Maler hat um den Hals Beatrices ein Stück nichtssagenden Stoffs gelegt, und er hat sie mit einem Turban ausgestattet: er getraute sich wohl nicht, die Wahrheit bis zum Fürchterlichen zu treiben, indem er das Kleid, das sie sich für die Hinrichtung hatte machen lassen, getreu wiedergegeben hätte, und das Haar in der ganzen Unordnung eines sechzehnjährigen Mädchens, das sich der Verzweiflung überläßt. Der Kopf ist zart und schön, der Blick sehr sanft und die Augen sehr groß: sie haben den erstaunten Ausdruck einer Person, die im Augenblick heftigen Weinens überrascht wird. Die Haare sind blond und sehr schön. Dieser Kopf hat nichts von dem römischen Stolz und von dem Bewußtsein der eignen Kraft, wie man beides so oft in dem zuversichtlichen Blick einer Römerin antrifft, einer figlia del tevere, wie sie mit Stolz von sich selber sagen. Unglücklicherweise sind die Halbtöne dieses Bildnisses während des langen Zeitraums, der uns von der Katastrophe trennt, brandig geworden. Das dritte Bildnis der Galerie Barberini ist das der Lucrezia Petroni, der Stiefmutter von Beatrice, die mit ihr hingerichtet worden ist. Sie ist der Typus der römischen Matrone in ihrer natürlichen Schönheit und ihrem Stolz, der nicht, wie auf van Dycks Bildnissen, Stolz auf die gesellschaftliche Stellung ist. Die Züge sind groß und die Hautfarbe ist blendend weiß, die schwarzen Brauen sind scharf gezeichnet, der Blick ist gebieterisch und gleichzeitig von Wollust beschwert. Ihr Kopf bildet einen schönen Kontrast mit dem so sanften, einfachen, fast deutschen Aussehen ihrer Stieftochter. Das vierte Bildnis, glänzend durch die Wahrheit und die Pracht seiner Farben, ist eines der Meisterwerke Tizians: eine griechische Sklavin, die Geliebte des berühmten Dogen Barberigo. Fast alle Fremden, die nach Rom kommen, lassen sich alsbald nach der Galleria Barberini führen; besonders die Frauen sind von den Porträts der Beatrice Cenci und ihrer Stiefmutter angezogen. Ich habe die allgemeine Neugier geteilt; dann habe ich, wie jedermann, versucht, Einsicht in den berühmten Prozeß zu erhalten. Wer diese Möglichkeit hat, wird, wie ich glaube, erstaunt sein, in diesen Berichten, in denen alles, bis auf die Antworten der Angeklagten, lateinisch ist, fast gar keine Darstellung der Tatsachen zu finden. Vermutlich, weil im Rom des Jahres 1599 jeder die Tatsachen kannte. Ich habe die Erlaubnis erkauft, eine zeitgenössische Darstellung zu kopieren, und habe geglaubt, eine Übersetzung davon wagen zu können, ohne den Anstand zu verletzen; zum mindesten konnte diese Übersetzung im Jahre 1823 den Damen laut vorgelesen werden. Aber es hört, wie ich bemerken muß, der Übersetzer auf, treu zu sein, wenn es nicht mehr möglich ist: denn anders würde das Grauen leicht stärker sein als die Neugier. Die traurige Rolle des wahren Don Juan, der sich keinem Ideal nachbilden will und der an die Meinung der Welt nur denkt, um sie herauszufordern, ist hier in ihrem ganzen Schrecken dargestellt. Das Übermaß seiner Verbrechen zwingt zwei Unglückliche, ihn vor ihren Augen töten zu lassen; diese beiden Frauen waren: die eine seine Gattin und die andre seine Tochter. Der Leser wird nicht zu entscheiden wagen, ob sie schuldig sind. Ihre Zeitgenossen fanden, daß man sie nicht mit dem Tode hätte strafen dürfen. Ich bin überzeugt, daß die Tragödie von Galeoto Manfredi, der von seiner Frau getötet wurde, ein Stoff, den der große Dichter Monti behandelt hat, und viele andre häusliche Tragödien des fünfzehnten Jahrhunderts, die weniger bekannt und kaum in den Sonderurkunden der italienischen Städte eingetragen sind, mit einer ähnlichen Szene wie der im Schloß von Petrella endete. Was folgt, ist die Übersetzung der zeitgenössischen Darstellung, sie ist in _römischem Italienisch_ verfaßt und wurde am 14. September 1599 niedergeschrieben. * * * * * Das fluchwürdige Leben, das Francesco Cenci, in Rom geboren und einer unsrer wohlhabendsten Mitbürger, von jeher geführt hat, brachte ihn schließlich ins Verderben. Er hat seine Söhne, starke und mutige junge Leute, vorzeitig in den Tod gebracht, ebenso seine Tochter Beatrice, die, obwohl sie kaum sechzehn Jahre alt war, als sie zur Todesstrafe geführt wurde -- es ist heute vier Tage her --, doch schon für eines der schönsten Wesen in den Staaten des Papstes und in ganz Italien galt. Man hört die Neuigkeit, daß Signor Guido Reni, einer der Schüler der bewundernswerten Bologneser Überlieferung, letzten Freitag das Porträt der armen Beatrice gemacht hat, also gerade am Tage vor ihrer Hinrichtung. Wenn dieser große Maler sich dieser Aufgabe in der gleichen Weise entledigt hat wie bei den andern Gemälden, die er in dieser Hauptstadt gemalt hat, wird sich die Nachwelt einen Begriff davon machen können, wie groß die Schönheit dieses außerordentlichen Mädchens gewesen ist. Damit aber auch die Erinnerung an ihr Unglück ohnegleichen und an die erstaunliche Kraft bewahrt bleibe, mit welcher diese wahrhaft römische Seele es zu bekämpfen wußte, habe ich beschlossen, das niederzuschreiben, was ich über die Begebenheiten, die sie in den Tod führten, erfahren konnte, und auch was ich selbst am Tage ihres stolzen Untergangs gesehen habe. Die Personen, die mir meine Informationen gegeben haben, waren so gestellt, daß sie die geheimsten Umstände wußten, die selbst heute noch in Rom unbekannt sind, obwohl man seit sechs Wochen von nichts anderm als vom Prozeß der Cenci spricht. Ich werde mit Offenheit sprechen, sicher wie ich bin, daß aus meinem Bericht, den ich in angesehene Archive zu hinterlegen vermag, alle schöpfen werden. Mein einziger Kummer ist, daß ich -- aber so will es die Wahrheit -- gegen die Unschuld dieser armen Beatrice Cenci sprechen muß, die von allen, die sie kannten, ebenso angebetet und geachtet wurde, wie ihr schrecklicher Vater verhaßt und verabscheut war. Dieser Mann, dem vom Himmel unleugbar erstaunlicher Scharfsinn aber auch Absonderlichkeit verliehen wurde, war der Sohn des Monsignore Cenci, welcher es unter Pius V. Ghislieri bis zur Stellung eines Schatzmeisters, Finanzministers, gebracht hatte. Dieser heilige Papst, der, wie man weiß, ganz mit seinem gerechten Haß gegen die Ketzer und mit der Wiedereinführung seiner bewunderungswürdigen Inquisition beschäftigt war, hatte für die weltliche Verwaltung seines Staates nur Verachtung, so daß sein Schatzmeister in den Jahren vor 1572, Monsignore Cenci, es möglich machen konnte, jenen schrecklichen Menschen, der sein Sohn und Beatrices Vater war, ein Einkommen von 160 000 Piastern zu hinterlassen. Außer diesem großen Vermögen hatte Francesco Cenci einen Ruf von Kühnheit und Klugheit, worin ihm in seinen jungen Jahren niemand in Rom gleichkam, und dieser Ruf verschaffte ihm um so mehr Geltung am Hofe des Papstes und beim ganzen Volke, als die verbrecherischen Handlungen, die man ihm zuzuschreiben begann, nur solcher Art waren, wie die Welt sie leicht verzeiht. Viele Römer erinnern sich noch mit bitterem Bedauern der Freiheit des Denkens und Handelns, die man zur Zeit Leos X. genoß, der uns 1513 genommen wurde, und auch unter dem 1549 verstorbenen Paul III. Schon unter diesem letzten Papst begann man von dem jungen Francesco Cenci zu sprechen wegen gewisser sonderbarer Liebschaften, die durch noch sonderbarere Mittel zum guten Gelingen geführt wurden. Unter Paul III., also zu einer Zeit, wo man noch eine gewisse Redefreiheit genoß, sagten viele, daß Francesco Cenci ganz besonders lüstern auf absonderliche Ereignisse sei, die ihm _peripezie di nuove idee_, neue und beunruhigende Empfindungen verschaffen könnten. Man stützte sich dabei darauf, daß man in seinen Rechnungsbüchern Aufzeichnungen dieser Art gefunden hat: "Für Abenteuer und peripezie von Toscanella 3500 Piaster (im Jahre 1837 etwa 60 000 frcs.) _e non fu caro_, und es war nicht teuer." Man weiß vielleicht in den andern Städten Italiens nicht, daß hier in Rom unser Schicksal und unsre Art des Lebens je nach dem Charakter des herrschenden Papstes wechseln. So war während dreizehn Jahren, unter dem guten Papst Gregor XIII. Buoncompagni, alles in Rom erlaubt; wer wollte, ließ seinen Freund erdolchen und wurde nicht verfolgt, wenn er sich in bescheidener Art zu benehmen wußte. Auf dieses Übermaß von Nachsicht folgte während der fünf Jahre, die der große Sixtus V. regierte, ein Übermaß von Strenge, und von diesem wurde, wie vom Kaiser Augustus gesagt: er hätte niemals kommen dürfen oder immer bleiben müssen. Damals wurden Unglückliche für zehn Jahre lang vergessene Mordtaten oder Vergiftungen hingerichtet, die sie zu ihrem Unglück früher einmal dem Kardinal Montalto, dem späteren Sixtus V. gebeichtet hatten. Besonders viel wurde unter Gregor XIII. von Francesco Cenci gesprochen. Er hatte eine sehr reiche und in jeder Hinsicht zu einem so angesehenen Herrn passende Frau geheiratet, welche starb, nachdem sie ihm sieben Kinder geschenkt hatte. Kurz nach ihrem Tode heiratete er in zweiter Ehe Lucrezia Petroni, eine Frau von seltner Schönheit und vor allem berühmt durch die blendende Weiße ihrer Hautfarbe, aber sie war ein wenig zu beleibt, welcher Fehler unter Römerinnen so häufig ist. Von Lucrezia hatte er keine Kinder. Das kleinste Laster, das man Francesco Cenci vorwerfen konnte, war sein Hang zu infamer Liebe, das größte war, daß er nicht an Gott glaubte. Sein ganzes Leben lang sah man ihn nicht in eine Kirche eintreten. Dreimal wegen seiner schändlichen Liebschaften ins Gefängnis gebracht, machte er sich durch Geldspenden an die Günstlinge der zwölf Päpste, unter denen er der Reihe nach gelebt hat, immer wieder frei. Auf diese Weise verschenkte er 200 000 Piaster, das sind jetzt etwa 5 000 000 fr. Ich habe Francesco Cenci erst gesehen, als er schon ergrautes Haar hatte, unter der Regierung des Papstes Buoncompagni, wo alles erlaubt war, was man zu tun wagte. Er war ein Mann von etwa fünf Fuß vier Zoll, sehr gut gebaut, obgleich zu mager; man hielt ihn für außerordentlich stark, vielleicht hatte er selbst dies Gerücht verbreitet; er hatte große ausdrucksvolle Augen, doch fiel das obere Augenlid ein wenig zu sehr herab, eine zu große und zu weit vorspringende Nase, schmale Lippen und ein Lächeln voll Anmut. Dies Lächeln wurde schrecklich, wenn er den Blick auf einen seiner Feinde heftete; wenn er nur etwas bewegt oder gereizt war, zitterte er heftig und in einer Weise, die ihm lästig wurde. Ich habe ihn in meiner Jugend, unter dem Papst Buoncompagni von Rom nach Neapel reiten sehen, ohne Zweifel wegen irgendeiner Liebesgeschichte; er ritt durch die Wälder von San Germano und La Faggiola, ohne sich um die Briganten zu kümmern und legte, wie man sagt, den Weg in weniger als zwanzig Stunden zurück. Er reiste stets allein und ohne jemanden vorher zu benachrichtigen; wenn sein erstes Pferd erschöpft war, kaufte oder raubte er ein andres. Wenn man ihm Schwierigkeiten machte, fand er jedoch keine Schwierigkeit darin, einen Dolchstoß auszuteilen. Aber es ist die volle Wahrheit, daß in meiner Jugend, als er also etwa achtundvierzig oder fünfzig Jahre alt war, niemand kühn genug war, ihm Widerstand zu leisten. Sein größtes Vergnügen war, seine Feinde herauszufordern. Er war auf allen Straßen der Staaten seiner Heiligkeit wohlbekannt; er zahlte freigebig, aber war auch fähig, wenn ihn jemand beleidigt hatte, zwei oder drei Jahre danach einen seiner Meuchelmörder zu schicken, um den Beleidiger zu töten. Die einzige tugendhafte Handlung, die er während seines langen Lebens vollbracht hat, bestand darin, im Hofe seines ausgedehnten Palastes am Tiber, eine dem heiligen Thomas geweihte Kirche zu erbauen, und auch zu dieser schönen Handlung wurde er nur durch den seltsamen Wunsch getrieben, die Gräber aller seiner Kinder vor Augen zu haben, welche er ausnehmend und in ganz unnatürlicher Weise haßte, schon seit ihrer zartesten Kindheit nämlich, wo sie ihn noch in keiner Weise beleidigt haben konnten. "Dorthin will ich sie alle bringen", sagte er mit einem bittern Lächeln zu den Arbeitern, die er beim Bau seiner Kirche beschäftigte. Er schickte die drei älteren, Giacomo, Cristofo und Rocco zum Studium auf die Universität Salamanca in Spanien. Als sie erst dort in diesem fernen Land waren, machte es ihm ein boshaftes Vergnügen, ihnen gar kein Geld zukommen zu lassen, so daß diese unglücklichen jungen Leute, nach zahlreichen Briefen an ihren Vater, die alle unbeantwortet blieben, zu der elenden Notwendigkeit gezwungen waren, kleine Geldbeträge auszuborgen, um in ihre Heimat zurückzukehren, oder sich längs des Weges durchzubetteln. In Rom fanden sie ihren Vater strenger, härter und rauher als je: trotz seines unendlichen Reichtums wollte er sie weder kleiden, noch ihnen das zum einfachsten Leben nötige Geld geben. Diese Unglücklichen waren gezwungen, den Papst um Hilfe zu bitten, welcher Francesco Cenci dazu zwang, ihnen eine kleine Rente auszusetzen. Mit dieser sehr geringen Unterstützung trennten sie sich von ihm. Bald nachher wurde Francesco zum dritten und letztenmal wegen seiner infamen Liebessachen ins Gefängnis gebracht, worauf die drei Brüder eine Audienz bei unserm zur Zeit herrschenden heiligen Vater dem Papst erwirkten, und ihn gemeinsam baten, ihren Vater Francesco Cenci sterben zu lassen, der, wie sie sagten, ihr Haus entehre. Clemens VIII. hatte große Lust dazu, aber er wollte seiner ersten Eingebung nicht nachgeben, um diese entarteten Kinder nicht zufriedenzustellen, und jagte sie schmählich aus seiner Gegenwart. Der Vater befreite sich aus dem Gefängnis, wie wir schon früher erzählten, indem er denen, die ihm helfen konnten, große Summen Geldes gab. Man begreift, daß der sonderbare Schritt seiner drei ältesten Söhne den Haß, den er gegen seine Kinder hatte, noch verstärkte. Er verfluchte sie jeden Augenblick, die großen wie die kleinen, und alle Tage überhäufte er seine beiden jungen Töchter, die mit ihm im Palast wohnten, mit Stockschlägen. Die Ältere gab sich so lange Mühe, bis es ihr trotz strenger Überwachung gelang, dem Papst eine Bittschrift zukommen zu lassen; sie beschwor darin Seine Heiligkeit, sie zu verheiraten oder sie in einem Kloster unterzubringen. Clemens VIII. hatte Mitleid mit ihrem Unglück, er verheiratete sie mit Carlo Gabrielli, aus der vornehmsten Familie von Gubbio; Seine Heiligkeit verpflichtete auch den Vater, ihr eine große Mitgift zu geben. Nach diesem unvorhergesehenen Schlag geriet Francesco Cenci in furchtbare Wut, und um zu verhindern, daß Beatrice, wenn sie größer wurde, auf den Einfall käme, dem Beispiel ihrer Schwester zu folgen, sperrte er sie im Innern des Palastes ein; dort war es niemand erlaubt, Beatrice zu sehen, die damals kaum vierzehn Jahr alt war und schon im vollen Glanz einer entzückenden Schönheit stand. Sie war so fröhlich, so unschuldig und hatte ein so heiteres Gemüt, wie ich das noch bei niemand andrem gesehen habe. Francesco Cenci brachte ihr selbst das Essen. Es ist wahrscheinlich, daß der Unmensch sich damals in sie verliebte oder wenigstens Verliebtheit heuchelte, um seine unglückliche Tochter noch mehr zu quälen. Er sprach oft zu ihr von dem schändlichen Streich, den ihm ihre ältere Schwester gespielt habe, und brachte sich durch den Klang seiner eigenen Worte so in Zorn, daß er Beatrice mit Schlägen überschüttete. Mittlerweile wurde sein Sohn Rocco Cenci von einem Fleischhauer umgebracht und Cristofo Cenci wurde im Jahre darauf von Paolo Corso de Massa getötet. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich seine schwarze Gottlosigkeit, denn beim Leichenbegängnis seiner beiden Söhne wollte er nicht einmal einen bajocco für Wachskerzen ausgeben. Als er das Schicksal seines Sohnes Cristofo erfuhr, rief er aus: er könne erst ein wenig Freude genießen, wenn alle seine Kinder begraben seien und er wolle beim Tode des Letzten zum Wahrzeichen des Glücks seinen Palast anzünden. Rom war über diesen Ausspruch verwundert, doch hielt man bei einem Mann, der seinen Ehrgeiz darin suchte, die ganze Welt und selbst den Papst herauszufordern, alles für möglich. Hier nun wird es völlig unmöglich, dem römischen Erzähler in dem sehr dunklen Bericht der sonderbaren Dinge zu folgen, durch welche Francesco Cenci seine Zeitgenossen zu erstaunen vermochte. Seine Frau und seine arme Tochter wurden allem Anschein nach die Opfer seiner abscheulichen Einfälle. Als alles dies ihm nicht genug schien, versuchte er mit Drohungen und mit Anwendung von Gewalt seine eigne Tochter Beatrice, die schon groß und schön war, zu schänden. Er schämte sich nicht, sich nackt in ihr Bett zu legen. Er ging ganz unbekleidet mit ihr in den Sälen seines Palastes umher, dann nahm er sie ins Bett seiner Frau; damit die arme Lucrezia beim Schein der Lampe sehen könne, was er mit Beatrice treibe. Er redete dem armen Mädchen eine gräßliche Ketzerei ein, die ich kaum wiederzugeben wage, nämlich: wenn ein Vater seine eigne Tochter umarme, würden die Kinder, die daraus geboren werden, Heilige; ja, daß alle von der Kirche verehrten großen Heiligen solcherart zur Welt gebracht worden seien, sodaß ihr Großvater mütterlicherseits zugleich ihr Vater war. Wenn Beatrice seinen abscheulichen Wünschen widerstand, überfiel er sie mit den grausamsten Schlägen, so daß dieses arme Mädchen solch unglückliches Leben nicht länger aushalten konnte und den Einfall hatte, dem Beispiel, das ihre Schwester ihr gegeben hatte, zu folgen. Sie richtete eine sehr eingehende Bittschrift an unsern Heiligen Vater, den Papst, aber es ist anzunehmen, daß Francesco Cenci Maßnahmen getroffen hatte, denn es scheint, daß diese Schrift nie in die Hände Seiner Heiligkeit gelangt ist; wenigstens war es unmöglich, sie im Sekretariat der Memoriali aufzufinden, als Beatrice im Gefängnis war und ihr Verteidiger das Schriftstück dringend suchte; es hätte wohl in irgendeiner Weise die unerhörten Ausschweifungen im Schloß von Petrella bezeugen können. Wäre es nicht für jedermann augenscheinlich gewesen, daß Beatrice Cenci sich im Fall der berechtigten Notwehr befunden hatte? Dies Memoriale sprach auch im Namen Lucrezias, der Stiefmutter Beatrices. Francesco Cenci kam dieser Versuch zur Kenntnis und man kann sich denken, mit welcher Wut er die schlechte Behandlung der beiden unglücklichen Frauen verdoppelte. Das Leben wurde ihnen gradezu unerträglich, und damals war es -- da sie wohl sahen, daß sie von der Gerechtigkeit des Papstes nichts erhoffen konnten, denn die Höflinge waren durch die reichen Geschenke Francescos gewonnen -- daß ihnen der Gedanke kam, zum äußersten Mittel zu greifen, das sie ins Verderben gebracht hat, aber das wenigstens den Vorteil hatte, ihre Leiden in dieser Welt zu beenden. Man muß wissen, daß der berühmte Monsignore Guerra oft in den Palast der Cenci ging; er war hoch gewachsen und ein sehr schöner Mann und hatte die eigene Gabe vom Schicksal erhalten, daß er alles, was er tun wollte, mit einer ganz besondern Anmut vollbrachte. Man hat vermutet, daß er Beatrice liebte und die Absicht hatte, die Mantellata zu lassen, um Beatrice zu heiraten; aber obgleich er mit äußerster Sorgfalt seine Gefühle zu verbergen suchte, wurde er von Francesco Cenci verabscheut, der ihm vorwarf, mit seinen Kindern gemeinsames Spiel zu machen. Sobald Monsignore Guerra erfuhr, daß Signore Cenci von seinem Palast abwesend sei, stieg er in die Gemächer der Damen, verbrachte mehrere Stunden der Unterhaltung mit ihnen und hörte ihre Klagen über die unglaubliche Behandlung an, der alle beide ausgesetzt waren. Es scheint, daß Beatrice als erste wagte, dem Monsignore Guerra von dem Plan, den sie gefaßt hatten, zu sprechen. Mit der Zeit gewannen sie ihn dafür und auf Beatrices lebhaftes und wiederholtes Drängen willigte er ein, diesen Plan Giacomo Cenci mitzuteilen, ohne dessen Zustimmung man nichts unternehmen konnte, da er der älteste Bruder und nach Francesco das Haupt der Familie war. Es gelang außerordentlich leicht, ihn in die Verschwörung zu ziehen: er wurde von seinem Vater äußerst schlecht behandelt und bekam nicht die geringste Unterstützung, was ihm um so empfindlicher erschien, als er verheiratet und Vater von sechs Kindern war. Man wählte für die Zusammenkünfte, wo man beriet, wie man Francesco Cenci ermorden könnte, die Wohnung des Monsignore Guerra. Die Sache ging in angemessenen Formen vor sich, und man holte bei jeder Einzelheit die Meinung der Stiefmutter und des jungen Mädchens ein. Als endlich eine Entscheidung getroffen war, wählte man Untergebene Francesco Cencis, die ihn tödlich haßten. Der eine hieß Marzio, war ein Mann von Herz und den unglücklichen Kindern Francescos sehr anhänglich; er willigte ein, an dem Vatermord teilzunehmen, um sich ihnen angenehm zu machen. Olimpio, der zweite, war vom Fürsten Colonna zum Kastellan der Festung La Petrella im Königreich Neapel ernannt worden, aber durch seinen allmächtigen Einfluß auf den Fürsten hatte ihn Francesco Cenci davonjagen lassen. Man verabredete alles mit den beiden Männern. Da Francesco Cenci angekündigt hatte, daß er, um der schlechten Luft in Rom zu entgehen, den folgenden Sommer auf dem Kastell La Petrella verbringen würde, war man auf den Gedanken gekommen, ein Dutzend neapolitanischer Banditen anzuwerben; Olimpio erbot sich, sie herbeizuschaffen. Man entschied sich dafür, sie in den Wäldern um La Petrella zu verbergen, damit man sie unverzüglich benachrichtigen könne; wenn Francesco Cenci sich auf den Weg mache, sollten sie ihn dann von der Straße weg entführen und seiner Familie Botschaft schicken, daß sie ihn gegen ein hohes Lösegeld frei lassen würden. Dann würden die Kinder genötigt sein, nach Rom zurückzukehren, um die von den Briganten geforderte Summe zustande zu bringen; sie sollten aber vorgeben, sie nicht in solcher Schnelligkeit aufbringen zu können und die Briganten würden, wenn sie kein Geld anlangen sähen, ihrer Drohung gemäß Francesco Cenci ermorden. Auf diese Weise sollte niemand die wirklichen Urheber dieses Todes verdächtigen können. Aber als Francesco Cenci Anfang des Sommers von Rom nach Petrella reiste, benachrichtigte der Spion, der die Abreise melden sollte, zu spät die in den Wäldern verstreuten Banditen, und sie hatten nicht mehr Zeit, zur Landstraße hinunterzugelangen. Cenci kam ohne Hindernis nach Petrella, und die Briganten, die keine Lust hatten, noch länger auf eine zweifelhafte Beute zu warten, gingen nun anderswo auf eigne Rechnung zu rauben aus. Was den vorsichtigen und argwöhnischen alten Francesco Cenci betraf, so wagte er sich niemals aus seinem Kastell heraus. Und weil sich seine schlechte Laune mit den zunehmenden Altersgebrechen, die ihm unerträglich waren, steigerte, verdoppelte er die grausame Behandlung, die er die armen Frauen erdulden ließ. Er behauptete, daß sie sich über seine Gebrechlichkeit freuten. Beatrice, welche durch die schrecklichen Dinge, die sie erleiden mußte, zum Äußersten getrieben wurde, ließ Marzio und Olimpio an die Mauer des Kastells rufen. Nachts, während ihr Vater schlief, sprach sie aus einem niedrigen Fenster mit ihnen und warf ihnen Briefe zu, die an Monsignore Guerra gerichtet waren. Mittels dieser Briefe wurde verabredet, daß Monsignore Guerra tausend Piaster an Marzio und Olimpio versprechen sollte, wenn sie Francesco Cenci ermorden würden. Ein Drittel der Summe sollte ihnen in Rom durch Monsignore Guerra im voraus gezahlt werden, und die beiden andern Drittel von Lucrezia und Beatrice, sobald sie nach vollbrachter Tat über Cencis Geldschrank verfügen könnten. Außerdem wurde noch vereinbart, daß die Sache am Tage Mariä Geburt geschehen solle, und die beiden Männer wurden durch List in die Festung eingelassen. Aber Lucrezia ließ sich durch den Respekt, den man einem Fest der Madonna schuldet, zurückhalten und bestimmte Beatrice, den Mord einen Tag hinauszuschieben, um nicht eine doppelte Sünde zu begehen. Es war also am 9. September 1598 abends; Mutter und Tochter hatten mit großem Geschick Francesco Cenci Mohnsaft gegeben und dieser Mann, der so schwer zu täuschen war, fiel in tiefen Schlaf. Gegen Mitternacht ließ Beatrice selbst Marzio und Olimpio in die Festung ein; darauf führten sie Lucrezia und Beatrice in das Zimmer des alten Mannes, welcher fest schlief. Dort verließ man sie, damit sie das vollbringen sollten, was ausgemacht war, und die beiden Frauen warteten im Nebenzimmer. Plötzlich sahen sie die zwei Männer bleich und ganz außer sich zurückkommen. "Was gibt es?" riefen die Frauen. "Daß es eine Schande und Schmach ist, einen armen schlafenden Greis zu töten!" antworteten die Männer. "Das Mitleid hat uns gehindert zu handeln." Als sie diese Entschuldigung hörte, wurde Beatrice von Empörung ergriffen und begann sie zu beschimpfen, indem sie sagte: "Also Ihr Männer, die Ihr für solche Tat wohl vorbereitet seid, habt nicht den Mut, einen schlafenden Mann zu töten! Wie viel weniger würdet Ihr wagen, ihm ins Gesicht zu sehen, wenn er wach ist! Und, um es so zu Ende zu führen, habt Ihr gewagt, Geld zu nehmen! Nun wohl, da Eure Feigheit es will, werde ich selbst meinen Vater töten; und was Euch betrifft, sollt Ihr dann nicht mehr lange leben!" Durch diese wenigen zündenden Worte wieder angefeuert und auch, weil sie eine Verminderung des festgesetzten Preises fürchteten, traten die Männer von neuem ins Zimmer ein und die Frauen folgten ihnen. Der eine nahm einen großen Nagel, setzte ihn senkrecht aufs Auge des schlafenden Alten, der andere trieb diesen Nagel mit einem Hammer in den Kopf. In der gleichen Weise ließ man einen großen Nagel in den Hals eindringen, so daß diese arme, von so vielen frischen Sünden belastete Seele vom Teufel geholt wurde; der Körper sträubte sich, allein vergeblich. Als die Sache abgetan war, gab das junge Mädchen Olimpio eine dicke goldgefüllte Börse, Marzio gab sie einen Tuchmantel ihres Vaters, der mit goldener Tresse besetzt war und schickte die beiden fort. Als die Frauen allein geblieben waren, begannen sie den großen in den Kopf gedrungenen Nagel, sowie den im Halse zu entfernen; dann schleiften sie den Körper, nachdem sie ihn in ein Leintuch eingewickelt hatten, durch eine lange Reihe von Zimmern bis zu einer Galerie, die auf einen verödeten Garten führte. Von dort warfen sie den Körper auf einen großen Holunderbaum, der an diesem einsamen Ort wuchs, hinab. Da am Ende dieser kleinen Galerie die Abtritte lagen, hofften sie, wenn man am nächsten Morgen den Körper des Alten in den Ästen des Holunders finden würde, auf die Vermutung, er sei am Wege zum Abtritt ausgeglitten und hinuntergestürzt. Es geschah genau so, wie sie es vorausgesehen hatten. Am Morgen, als man den Leichnam fand, erhob sich großer Lärm in dem Kastell; die Frauen selber verabsäumten nicht, laut zu schluchzen und über den unglücklichen Tod des Vaters und Gatten zu klagen. Allein, wenn die junge Beatrice auch den Mut der beleidigten Tugend besaß, die nötige Klugheit für das Leben hatte sie noch nicht: schon am frühen Morgen hatte sie der Frau, die in der Festung die Wäsche besorgte, ein blutbeflecktes Leintuch gegeben, wobei sie ihr sagte, sie möge sich nicht über eine solche Menge Blut wundern, denn sie habe während der ganzen Nacht an großem Blutverlust gelitten, und so ging für den Augenblick alles gut. Man gab Francesco Cenci ein ehrenvolles Begräbnis, und die Frauen kehrten nach Rom zurück, um die langersehnte Ruhe zu genießen. Sie glaubten an die Dauer ihres Glückes, weil sie nicht wußten, was in Neapel vor sich ging. Die Gerechtigkeit Gottes, der nicht wollte, daß ein so fürchterlicher Vatermord unbestraft bleibe, veranlaßte, daß der oberste Richter, als man in dieser Hauptstadt erfuhr, was im Kastell Petrella vor sich gegangen war, sofort Mißtrauen empfand und einen königlichen Kommissär sandte, um den Leichnam zu untersuchen und alle verdächtigen Personen festzunehmen. Der königliche Kommissär ließ alle, die in der Festung wohnten, verhaften. Alle diese wurden in Ketten nach Neapel geführt, aber nichts erschien in ihren Aussagen verdächtig, außer, daß die Wäscherin aussagte, sie hätte von Beatrice ein blutiges Tuch oder deren mehrere erhalten. Man fragte sie, ob Beatrice eine Erklärung für die großen Blutflecken gegeben habe; sie antwortete, daß Beatrice von einem natürlichen Unwohlsein gesprochen habe. Man fragte sie dann, ob so große Flecken von einem solchen Unwohlsein herrühren konnten; sie meinte, nein, weil die Flecken auf dem Tuch von einem zu lebhaften Rot waren. Man schickte diese Aussage sofort an die Justizbehörde in Rom, aber trotzdem vergingen mehrere Monate, bevor man bei uns daran dachte, die Kinder des Francesco Cenci verhaften zu lassen. Lucrezia, Beatrice und Giacomo hätten sich tausendmal in Sicherheit bringen können, sei es, daß sie unter dem Vorwand einer Pilgerfahrt nach Florenz gingen, sei es, daß sie sich nach Civita Vecchia einschifften; aber Gott versagte ihnen diese rettende Eingebung. Monsignor Guerra hatte von den Vorgängen in Neapel Mitteilung erhalten und rüstete sofort Leute aus, die er beauftragte, Marzio und Olimpio zu töten; aber nur Olimpio konnte in Terni ermordet werden. Die neapolitanische Justiz hatte Marzio verhaften lassen, der nach Neapel geführt wurde, wo er sofort alles gestand. Diese schreckliche Aussage wurde gleich der Justiz in Rom geschickt, welche nun beschloß, Giacomo und Bernardo, die beiden einzigen überlebenden Söhne Francescos, wie auch seine Witwe Lucrezia verhaften und in das Gefängnis von Corte Savella bringen zu lassen. Beatrice wurde im Palast ihres Vaters von einem großen Trupp Sbirren bewacht. Marzio wurde aus Neapel herbeigeschafft und auch in das Gefängnis Savella gebracht; dort stellte man ihn den beiden Frauen gegenüber, die mit Standhaftigkeit leugneten; besonders Beatrice wollte durchaus nicht den Mantel mit den Tressen wiedererkennen, den sie Marzio gegeben hatte. Dieser Brigant war plötzlich voller Enthusiasmus für die bewundernswürdige Schönheit und die erstaunliche Beredsamkeit, mit der das junge Mädchen dem Richter antwortete, und leugnete alles, was er in Neapel gestanden hatte. Man folterte ihn, aber er gestand nichts und zog vor, in Qualen zu sterben: eine gerechte Huldigung der Schönheit Beatrices. Nach dem Tode dieses Mannes und da die Rolle des Mantels nicht erwiesen war, fanden die Richter keine hinreichenden Gründe, um die beiden Söhne Cenci oder die beiden Frauen auf die Folter zu legen. Man führte sie alle vier auf das Kastell St. Angelo, wo sie mehrere Monate ganz ruhig verlebten. Alles schien beendet und niemand in Rom zweifelte daran, daß dieses schöne, mutige Mädchen, das so lebhafte Teilnahme erregt hatte, bald in Freiheit gesetzt würde, als unglücklicherweise die Justiz den Briganten festnehmen konnte, der Olimpio in Terni getötet hatte; nach Rom überführt, gestand dieser Mann alles. Monsignor Guerra, der durch das Geständnis des Briganten so seltsam kompromittiert war, wurde geladen, ohne Verzug vor Gericht zu erscheinen; das Gefängnis und vielleicht der Tod waren ihm sicher. Aber dieser bewundernswerte Mann, dem vom Geschick verliehen war, alles gut zu machen, gelang es, sich in einer Weise zu retten, die ans Wunder grenzt. Er galt für den schönsten Mann am päpstlichen Hof und war in Rom zu bekannt, als daß er hoffen konnte, sich zu retten; übrigens hielt man gute Wacht an den Toren und wahrscheinlich stand auch vom Augenblick der Vorladung an sein Haus unter Aufsicht. Man muß wissen, daß er sehr groß war, von weißester Hautfarbe, einen schönen blonden Bart hatte und wundervolles Haar von der gleichen Farbe. Mit unerklärlicher Geschwindigkeit wußte er einen Kohlenhändler zu gewinnen, nahm seine Kleider, ließ sich Haar und Bart rasieren, färbte sich das Gesicht, kaufte zwei Esel und zog hinkend durch die Straßen Roms, um seine Kohlen zu verkaufen. Er nahm in bewunderungswürdiger Weise ein ungeschliffenes und stumpfsinniges Benehmen an und lief überall, den Mund voll Brot und Zwiebeln, herum, seine Kohlen ausschreiend, während hunderte von Sbirren ihn nicht nur in Rom, sondern auch auf den Landstraßen suchten. Endlich, als seine Erscheinung der Mehrzahl der Sbirren wohl bekannt war, wagte er sich aus Rom hinaus, seine zwei mit Kohlen beladenen Esel immer vor sich hertreibend. Er begegnete mehreren Abteilungen Sbirren, welche nicht daran dachten, ihn anzuhalten. Seither hat man nur noch einen Brief von ihm erhalten; seine Mutter hat ihm Geld nach Marseille geschickt, und man vermutet, daß er als Soldat in Frankreich den Krieg mitmacht. Das Geständnis des Mörders von Terni und diese Flucht des Monsignor Guerra, die in Rom erstaunliches Aufsehen machte, mehrten den Verdacht und die Indizien gegen die Cenci in solcher Weise, daß sie aus dem Kastell St. Angelo fortgeschafft und wieder ins Gefängnis Savella gebracht wurden. Als die beiden Brüder auf die Folter gespannt wurden, waren sie weit davon entfernt, der Seelengröße des Briganten nachzueifern; sie waren so kleinmütig, daß sie alles gestanden. Signora Lucrezia Petroni war so an die Weichheit und an die Annehmlichkeiten des großen Luxus gewöhnt und außerdem war sie so dick, daß sie die Tortur des Seils nicht ausgehalten hätte; sie sagte alles aus, was sie wußte. Aber nicht war es so mit der jungen, lebhaften und mutigen Beatrice Cenci. Weder gute Worte noch Drohungen des Richters Moscati erreichten etwas bei ihr. Sie ertrug die Torturen des Seils ohne ein Zeichen der Aufregung und mit vollendetem Mut. Niemals konnte sie der Richter zu einer Antwort bringen, die sie auch nur im mindesten kompromittierte, und weit mehr noch: es gelang ihr durch ihre geistvolle Lebendigkeit, den berühmten Richter Ulysse Moscati gänzlich in Verwirrung zu bringen. Er war dermaßen erstaunt über die Art dieses jungen Mädchens, daß er es für Pflicht hielt, Seiner Heiligkeit dem glücklich regierenden Papst Clemens VIII. davon Bericht zu erstatten. Seine Heiligkeit wollte die Akten des Prozesses selbst einsehen. Er befürchtete, daß der durch seine profunde Wissenschaft wie durch den überragenden Scharfsinn seines Geistes so berühmte junge Ulysse Moscati von der Schönheit Beatrices getroffen worden sei und sie bei den Vernehmungen schone. Daraus folgte, daß Seine Heiligkeit ihn von der Leitung dieses Prozesses enthob und diesen einem anderen strengeren Richter gab. Wirklich hatte dieser Barbar den Mut, ohne Mitleid einen so schönen Körper ad torturam capillorum zu martern, d.h. man folterte Beatrice Cenci, indem man sie an den Haaren aufhing. Während sie am Seil hochgezogen war, ließ dieser neue Richter ihre Stiefmutter und ihre Brüder vor Beatrice erscheinen. Sobald Giacomo und Signora Lucrezia sie so sahen, riefen sie ihr zu: "Die Sünde ist begangen, man muß nun die Buße auf sich nehmen und sich nicht den Körper mit zweckloser Hartnäckigkeit zerreißen lassen." "Also Ihr wollt unser Haus mit Schande bedecken", antwortete das junge Mädchen, "und in Schmach sterben? Ihr befindet Euch in einem großen Irrtum; aber da Ihr es wünscht, sei es." Und sich zu den Sbirren wendend, fuhr sie fort: "Bindet mich los, und man lese mir die Aussage meiner Mutter vor; ich werde dem zustimmen, dem zugestimmt werden muß und das leugnen, was geleugnet werden muß." So geschah es; sie gestand die ganze Wahrheit. Sofort nahm man allen die Ketten ab und weil es fünf Monate war, seit sie die Brüder nicht gesehen hatte, wollte sie mit ihnen speisen; sie verbrachten alle vier einen sehr heiteren Tag. Aber am folgenden Tag wurden sie von neuem getrennt; die beiden Brüder wurden in das Gefängnis von Tordinona geführt und die beiden Frauen blieben im Gefängnis Savella. Unser Heiliger Vater, der Papst, der den authentischen Akt mit den Geständnissen aller gesehen hatte, befahl, daß sie ohne Aufschub an den Schweif ungezähmter Pferde gebunden und so zu Tode geschleift werden sollten. Ganz Rom erschauerte, als es diese strenge Entscheidung erfuhr. Viele Kardinäle und Fürsten warfen sich dem Papst zu Füßen, indem sie ihn anflehten, den Unglücklichen zu erlauben, ihre Verteidigungsschrift einzureichen. "Und sie, haben sie ihrem alten Vater Zeit gegeben, die seine zu überreichen?" antwortete unwillig der Papst. Schließlich genehmigte er aus besonderer Gnade einen Aufschub von fünfundzwanzig Tagen. Sogleich begannen die ersten Advokaten Roms in dieser Sache, welche die ganze Stadt mit Aufregung und Mitleid erfüllt hatte, zu schreiben. Am fünfundzwanzigsten Tag erschienen sie alle zusammen vor Seiner Heiligkeit. Nicolo d'Angelis sprach als erster; aber er hatte kaum zwei Zeilen seiner Verteidigungsschrift gelesen, als Clemens VIII. ihn unterbrach: "Also, es finden sich in Rom Menschen, die ihren Vater ermorden und danach Advokaten, welche diese Menschen verteidigen!" Alle schwiegen, als Farinacci wagte, das Wort zu ergreifen. "Heiligster Vater," sagte er, "wir sind nicht hier, um das Verbrechen zu verteidigen, sondern um zu beweisen, wenn wir es können, daß einer oder mehrere dieser Menschen am Verbrechen unschuldig sind." Der Papst gab ihm das Zeichen, zu sprechen, und er sprach drei lange Stunden; danach nahm der Papst alle ihre Schriftstücke an sich und schickte sie fort. Als sie gingen, war Altiere der Letzte; er hatte Furcht, sich kompromittiert zu haben und warf sich vor dem Papst auf die Knie, indem er sagte: "Es blieb mir nichts übrig, als in dieser Sache zu erscheinen, denn ich bin Anwalt der Armen." Worauf der Papst antwortete: "Wir wundern uns nicht über Euch, sondern über die anderen." Der Papst wollte sich nicht niederlegen, sondern verbrachte die ganze Nacht damit, die Verteidigungsschriften der Advokaten zu lesen; er ließ sich bei dieser Arbeit von dem Kardinal von San Marcello helfen. Seine Heiligkeit schien dermaßen gerührt, daß man etwas Hoffnung für das Leben dieser Unglücklichen schöpfen konnte. Um die Söhne zu retten, suchten die Advokaten die ganze Schuld auf Beatrice zu wälzen. Da im Prozeß bewiesen worden war, daß ihr Vater mehrmals in einer verbrecherischen Absicht Gewalt angewendet hatte, hofften die Advokaten, daß ihr der Mord vergeben würde, da sie sich im Zustand der berechtigten Notwehr befand; und wenn es so geschah, daß dem Haupturheber des Verbrechens das Leben geschenkt wurde, wie wäre es möglich, ihre Brüder, die durch sie verleitet waren, mit dem Tode zu bestrafen? Nach dieser in seinen Pflichten als Richter verbrachten Nacht, befahl Clemens VIII., daß die Angeklagten ins Gefängnis zurückgeführt und in geheimer Haft gehalten würden. Es war erwiesen, daß Beatrice den Monsignor Guerra liebte, aber niemals die Regeln der strengsten Tugend überschritten hatte: man konnte ihr also bei wahrer Gerechtigkeit nicht die Verbrechen eines Ungeheuers anrechnen und sie strafen, weil sie von ihrem Verteidigungsrecht Gebrauch gemacht hatte. Was hätte man getan, wenn sie eingewilligt hätte? Mußte es sein, daß die menschliche Rechtsprechung das Mißgeschick eines so liebenswürdigen, so bemitleidenswerten und schon so unglücklichen Wesens noch vergrößerte? Hatte sie nicht nach einem so traurigen Leben, daß[sic! statt: das] sie schon, bevor sie 16 Jahr alt war, mit allen Arten des Unglücks überhäuft hatte, das Recht auf weniger schreckliche Tage? Jedermann in Rom schien ihre Verteidigung übernommen zu haben. Wäre ihr nicht verziehen worden, wenn sie Francesco Cenci erdolcht hätte, als er zum ersten Mal das Verbrechen versuchte? Papst Clemens VIII. war milde und voll Erbarmen. Wir begannen zu hoffen, er würde, -- ein wenig beschämt über die Grille, die ihn das Beweisverfahren der Advokaten hatte unterbrechen lassen, -- jener verzeihen, die Gewalt mit Gewalt vergolten hatte, und wahrhaftig nicht als vorschnelle Erwiderung des Verbrechens, sondern erst, als man es von neuem an ihr versuchen wollte. Ganz Rom war in ängstlicher Spannung; da erhielt der Papst die Nachricht des gewaltsamen Todes der Marchesa Constanza Santa Croce. Ihr Sohn Paolo Santa Croce hatte diese sechzig Jahre alte Dame mit Dolchstichen getötet, weil sie sich nicht verpflichten wollte, ihn zum Erben aller ihrer Güter einzusetzen. Der Bericht fügte hinzu, daß Santa Croce die Flucht ergriffen habe und daß man keine Hoffnung hätte, ihn festzunehmen. Der Papst erinnerte sich an den Brudermord der Massini, der vor kurzer Zeit begangen worden war. Aufs Tiefste betrübt über diese Häufung von Morden an Nahverwandten, glaubte Seine Heiligkeit, es sei nicht gestattet, zu verzeihen. Als der Papst den verhängnisvollen Bericht über Santa Croce erhielt, befand er sich, es war am 6. September, im Palast von Monte Cavallo, um am folgenden Tage ganz in der Nähe der Kirche Santa Maria degli Angeli zu sein, wo er einen deutschen Kardinal zum Bischof weihen sollte. Am Freitag, zur zweiundzwanzigsten Stunde, das ist vier Uhr nachmittags, ließ er Ferrante Taverna, den Gouverneur von Rom, rufen und sagte diesem wörtlich: "Wir geben die Sache der Cenci an Euch, damit das Recht durch Eure Fürsorge und ohne jeden Aufschub geschehe." Der Gouverneur kam, sehr bewegt von dem Auftrag, den er erhalten hatte, in seinen Palast zurück; er fertigte sogleich das Todesurteil aus und berief die Kongregation, um über die Art der Vollstreckung zu beraten. Samstag früh, am 11. September 1599, begaben sich die ersten Signori Roms, Mitglieder der Brüderschaft der Confortatori, in die beiden Gefängnisse, nach Corte Savella, wo Beatrice und ihre Stiefmutter waren und nach Tordinona, wo sich Giacomo und Bernardo Cenci befanden. Während der ganzen Nacht vom Freitag zum Sonnabend taten die römischen Herren, die erfahren hatten, was vorging, nichts anderes, als vom Palazzo Monte Cavalli zu denen der ersten Kardinäle zu eilen, um wenigstens zu erreichen, daß die Frauen im Innern des Gefängnisses hingerichtet würden und nicht auf schmählichem Schafott, und daß man den jungen Bernardo Cenci begnadigte, da er kaum fünfzehn Jahr alt und gewiß nicht ins Verbrechen eingeweiht gewesen sei. Der edle Kardinal Sforza hat sich vor allen in dieser verhängnisvollen Nacht durch seinen Eifer ausgezeichnet; aber ein so mächtiger Fürst er auch war, konnte er doch nichts ausrichten. -- Das Verbrechen von Santa Croce war ein niedriges Verbrechen, es war wegen des Geldes begangen; doch das Verbrechen Beatrices war begangen, um die Ehre zu retten. Während die mächtigsten Kardinäle so viele unnütze Schritte taten, hatte unser großer Rechtsgelehrter Farinacci die Kühnheit, zum Papst vorzudringen und, bei seiner Heiligkeit angelangt, besaß dieser erstaunliche Mann die Geschicklichkeit, ihn bei seiner Gewissenhaftigkeit zu packen und schließlich gelang es ihm, Bernardo Cenci das Leben zu retten. Als der Papst dies große Wort aussprach, konnte es vier Uhr morgens sein (vom Sonnabend, dem 11. September). Die ganze Nacht war auf dem Platz bei der Engelsbrücke an den Vorbereitungen dieser grausamen Tragödie gearbeitet worden. Indessen waren alle notwendigen Abschriften des Todesurteils erst um fünf Uhr morgens beendet, so daß man den armen Unglücklichen, die ruhig schliefen, erst um sechs Uhr früh die verhängnisvolle Nachricht ankündigen konnte. Das junge Mädchen vermochte zuerst nicht einmal die Kraft zu finden, sich anzukleiden. Sie stieß in einem fort durchdringende Schreie aus und überließ sich ganz haltlos der schrecklichsten Verzweiflung. "Wie ist es möglich, oh! Gott!" schrie sie, "daß ich so unvorbereitet sterben muß?" Lucrezia dagegen benahm sich ganz gefaßt; erst kniete sie nieder und betete, dann forderte sie gelassen ihre Tochter auf, sich mit ihr in die Kapelle zu begeben, um sich mit ihr auf den großen Übergang vom Leben zum Tode vorzubereiten. Dies Wort gab Beatrice ihre ganze Ruhe wieder; soviel Maßlosigkeit und Aufwallung sie zuerst gezeigt hatte, so gefaßt und verständig war sie nun, seit ihre Stiefmutter ihre große Seele zu sich selbst zurückgerufen hatte. Von diesem Augenblick an war sie ein Spiegel der Standhaftigkeit, den ganz Rom bewundert hat. Sie verlangte einen Notar, um ihr Testament zu machen, was ihr bewilligt wurde. Sie bestimmte, daß ihr Leichnam nach San Pietro in Montorio gebracht werde und hinterließ den Nonnen der Wundmale des Heiligen Franziskus 300 000 Francs, welche Summe dazu dienen sollte, fünfzig arme Mädchen auszustatten. Dieses Beispiel bewegte auch die Signora Lucrezia dazu, daß sie ihr Testament machte und die Anordnung traf, ihren Leichnam nach San Giorgio zu überführen; sie hinterließ 500 000 Francs Almosen für diese Kirche und machte noch andere fromme Legate. Um acht Uhr beichteten sie, hörten darauf die Messe und nahmen das Heilige Abendmahl. Aber bevor sie zur Messe gingen, erwog Beatrice, daß es nicht passend sei, auf dem Schafott, vor den Augen des ganzen Volks mit den reichen Gewändern zu erscheinen, die sie trugen. Sie bestellte zwei Kleider, das eine für sich, das andere für ihre Mutter. Die Gewänder wurden wie Nonnenkutten gearbeitet, ohne Aufputz an Brust und Schultern, nur gefältelt mit weiten Ärmeln. Das Kleid der Stiefmutter war aus schwarzer Baumwolle, das des jungen Mädchens aus blauem Taft mit einer dicken Schnur, welche den Gürtel bildete. Als man die Kleider brachte, erhob sich Signora Beatrice, die auf den Knien lag und sagte der Signora Lucrezia: "Frau Mutter, die Stunde unsres Leidens nähert sich, es wird gut sein, daß wir uns bereiten; legen wir diese neuen Gewänder an und leisten wir uns zum letztenmal gegenseitig den Dienst, uns anzukleiden.[sic! Fehlt: "] Man hatte auf dem Platz vor der Engelsbrücke ein Schafott errichtet. Um die dreizehnte Stunde (acht Uhr morgens) brachte die Brüderschaft der Barmherzigkeit ihr großes Kruzifix zur Tür des Gefängnisses. Giacomo Cenci schritt als erster aus dem Kerker; er kniete fromm auf der Schwelle nieder, betete und küßte die heiligen Wunden des Gekreuzigten. Ihm folgte sein junger Bruder Bernardo Cenci, der gleich ihm gebundene Hände und ein kleines Brett vor den Augen hatte. Die Menge war ungeheuer und es entstand ein Tumult, weil eine Vase aus einem Fenster fast auf den Kopf eines der Bußbrüder fiel, der eine brennende Fackel zur Seite des Banners trug. Alles sah auf die beiden Brüder, als unversehens der Fiskal von Rom hervortrat und sagte: "Signor Bernardo, unser Heiliger Vater schenkt Euch das Leben, fügt Euch darein, Eure Verwandten zu begleiten und bittet Gott um Gnade für sie." Sogleich nahmen ihm seine beiden Begleiter das kleine Brett fort, das er vor den Augen trug. Der Henker machte Giacomo Cenci für den Karren bereit und hatte ihm schon sein Gewand ausgezogen, um ihn mit der Zange zwicken zu können. Als der Henker zu Bernardo kam, beglaubigte er die Unterzeichnung der Begnadigung, band ihn los, nahm ihm die Handschellen ab und weil er wegen der Marter mit der Zange ohne Rock war, setzte ihn der Henker auf den Karren und hüllte ihn in einen prächtigen Tuchmantel mit goldenen Tressen. Man sagte, daß es der Mantel sei, den Beatrice nach der Tat in der Festung La Petrella Marcio gegeben hatte. Die ungeheure Menge in den Straßen an den Fenstern und auf den Dächern kam plötzlich in Bewegung; man hörte ein dumpfes, tiefes Murmeln, man begann weiterzusagen, daß dieses Kind begnadigt sei. Die Psalmgesänge begannen und die Prozession bewegte sich langsam über die Piazza Navona nach dem Gefängnis Savella. An der Türe des Gefängnisses angelangt, hält man an. Die beiden Frauen traten heraus, verrichteten ihr Gebet zu Füßen des Heiligen Kruzifixes, und folgten dann zu Fuß, eine hinter der andern, Sie waren so gekleidet, wie schon erzählt worden ist, und hatten das Haupt mit einem großen Schleier bedeckt, der fast bis zum Gürtel hing. Signora Lucrezia trug, wie es für eine Witwe üblich war, einen schwarzen Schleier und Pantoffeln aus schwarzem Samt, ohne Absätze. Der Schleier des jungen Mädchens war aus blauem Taft wie ihr Kleid, sie trug ein silbriges Gewebe um die Schultern, ein Unterkleid aus violettem Tuch und Pantoffeln aus weißem Samt, die mit karmesinroten Schnüren zierlich verschnürt waren. Sie hatte eine eigenartige Anmut, als sie in diesem Kostüm dahinschritt, und in aller Augen traten Tränen, als man sie bemerkte, die langsam in den letzten Reihen der Prozession dahinschritt. Beide Frauen hatten die Hände frei, aber die Arme am Körper festgebunden, und zwar so, daß jede von ihnen ein Kruzifix tragen konnte; sie hielten es dicht an die Augen. Die Ärmel ihrer Kleider waren sehr weit, so daß man ihre Arme sehen konnte, nach der Sitte des Landes mit einem an den Handgelenken geschlossenen Hemd bedeckt. Signora Lucrezia, die weniger starken Herzens war, weinte fast ohne aufzuhören; dagegen zeigte die junge Beatrice großen Mut; sie richtete den Blick auf jede der Kirchen, an denen die Prozession vorüberkam, kniete einen Augenblick nieder und sagte mit fester Stimme: Adoramus te, Christe! Während dieser Zeit wurde der arme Giacomo Cenci auf seinem Karren mit Zangen gezwickt und zeigte großen Mut. Die Prozession konnte kaum den unteren Teil des Platzes an der Engelsbrücke überschreiten, so zahlreich waren die Wagen und die Volksmassen. Man führte sogleich die Frauen in die Kapelle, welche man errichtet hatte, und brachte auch Giacomo dahin. Der junge Bernardo wurde in seinem reichverzierten Mantel geradenwegs aufs Schafott geführt; da glaubten alle, daß er sterben solle und daß er nicht begnadigt worden sei. Das arme Kind hatte solche Angst, daß es beim zweiten Schritt auf dem Schafott ohnmächtig hinfiel. Man brachte ihn mit frischem Wasser wieder zu sich, und setzte ihn gegenüber dem Fallbeil nieder. Der Henker ging, um Signora Lucrezia zu holen; ihre Hände waren auf dem Rücken gebunden und sie hatte nicht mehr den Schleier um die Schultern. Sie erschien mit dem Banner geleitet auf dem Richtplatz, den Kopf in den Taftschleier gehüllt; dort befahl sie ihre Seele Gott und küßte die heiligen Wundmale. Man sagte ihr, daß sie ihre Pantoffeln auf dem Pflaster zurücklassen müsse; da sie sehr stark war, machte es ihr Mühe, aufs Schaffot zu steigen. Als sie oben war und man ihr den schwarzen Taftschleier fortnahm, war es ihr sehr schmerzlich, daß man sie mit entblößter Brust und Schultern sehen sollte; sie blickte an sich herunter, sah dann das Beil an und hob langsam zum Zeichen der Ergebung die Schultern; Tränen traten in ihre Augen, sie sagte: "O mein Gott! ... Und Ihr, meine Brüder, betet für meine Seele." Da sie nicht wußte, wie sie sich zu verhalten habe, fragte sie Alexander, den ersten Henker danach. Er sagte, sie solle sich rittlings auf den Balken des Schafotts setzen. Aber diese Stellung beleidigte ihr Schamgefühl und sie brauchte viel Zeit dazu. Die Einzelheiten, die jetzt folgen, sind für ein italienisches Publikum, das alles mit peinlichster Genauigkeit wissen will, erträglich; aber dem nicht-italienischen Leser möge genügen, daß die arme Frau durch ihr Schamgefühl eine Verletzung an der Brust davontrug; der Henker zeigte das Haupt dem Volke und umhüllte es dann mit dem schwarzen Taftschleier. Während man das Schafott für das junge Mädchen herrichtete, stürzte ein Gerüst, das von Neugierigen überfüllt war, ein, und viele Menschen wurden dabei getötet. So erschienen sie noch früher als Beatrice vor Gott. Als Beatrice das Banner zur Kapelle zurückkehren sah, um sie zu holen, fragte sie lebhaft: "Ist meine Frau Mutter schon tot?" Man bejahte und sie warf sich vor dem Kruzifix auf die Knie und betete mit Inbrunst für ihre Seele. Dann sprach sie lange mit lauter Stimme zum Kruzifix: "Herr, du bist für mich zurückgekehrt, und ich will Dir aus freiem Willen folgen, denn ich verzweifle nicht an Deinem Erbarmen für meine unermeßliche Sünde." Sie wiederholte dann noch mehrere Psalmen und Gebete zum Lobe Gottes. Als endlich der Henker mit einem Strick vor ihr erschien, sagte sie: "Binde diesen Körper, der gestraft werden muß und erlöse diese Seele, damit sie zur Unsterblichkeit und zur ewigen Herrlichkeit gelange." Dann erhob sie sich, sprach das Gebet und ließ ihre Pantoffeln am Fuß der Treppe stehen; auf dem Schafott schwang sie schnell das Bein über den Balken, legte den Hals unter das Fallbeil und ordnete alles ganz allein, um sich nicht von dem Henker berühren zu lassen. Durch die Schnelligkeit ihrer Bewegungen vermied sie, dem Publikum Hals und Schultern zu zeigen, als ihr der Taftschleier abgenommen wurde. Es brauchte lange, bis der Streich gefällt wurde, weil ein Hindernis eingetreten war. Während dieser Zeit rief sie mit lauter Stimme Jesus Christus und die Heilige Jungfrau an. Ein zeitgenössischer Autor erzählt, daß Clemens VIII. sehr besorgt um das Seelenheil Beatrices war; da er wußte, daß sie sich unschuldig verurteilt fühlte, fürchtete er eine Regung des Aufruhrs. Im Augenblick, als sie ihren Kopf unter das Beil gelegt hatte, gab man von der Engelsburg, von wo man das Schafott gut sehen konnte, einen Kanonenschuß ab. Der Papst, der im Gebet auf Monte Cavallo war, gab, sobald er dies Signal hörte, dem jungen Mädchen die päpstliche Absolution major in articulo mortis. Daher der Aufenthalt in diesem schrecklichen Augenblick, von dem der Chronist spricht. Der Körper machte im verhängnisvollen Augenblick eine heftige Bewegung. Der arme Bernardo Cenci, der immer noch auf dem Schafott saß, fiel von neuem in Ohnmacht und seine Tröster brauchten eine gute halbe Stunde, um ihn wiederzubeleben. Dann erschien Giacomo Cenci auf dem Schafott; aber auch hier muß man über zu schreckliche Einzelheiten hinweggehen. Giacomo Cenci wurde mit der Keule zu Tode geschlagen. Sofort führte man Bernardo in das Gefängnis zurück, er hatte starkes Fieber und man ließ ihn zur Ader. Was die armen Frauen betrifft, wurde jede in ihren Sarg gebettet und einige Schritte vom Schafott entfernt bei der Statue des Heiligen Paulus aufgestellt, welche die erste auf der rechten Seite der Engelsbrücke ist. Sie blieben dort bis viereinviertel Uhr nach Mittag. Um jeden Sarg standen vier brennende Kerzen aus weißem Wachs. Dann wurden sie mit dem, was von Giacomo Cenci noch geblieben war, zum Palast des Konsuls von Florenz gebracht. Um neuneinviertel Uhr abends wurde der Leichnam des jungen Mädchens, wieder mit Kleidern angetan und verschwenderisch mit Blumen bekränzt, nach San Pietro in Montorio gebracht. Sie war von hinreißender Schönheit, man konnte glauben, sie schliefe. Sie wurde vor dem großen Altar mit der Verklärung Christi des Raffael von Urbino beigesetzt. Sie wurde von fünfzig großen brennenden Wachskerzen geleitet und von allen Franziskanermönchen Roms. Lucrezia Petroni wurde um zehn Uhr abends nach der Kirche von San Giorgio überführt. Während dieser Tragödie war die Volksmenge unzählig; so weit der Blick schweifen konnte, sah man die Straßen von Wagen und Menschen, ebenso die Gerüste, die Fenster und die Dächer von Neugierigen bedeckt. Die Sonne hatte an diesem Tag eine solche Kraft, daß viele Leute die Besinnung verloren. Unzählige bekamen Fieber; und als alles um die neunzehnte Stunde (3/4 2 Uhr) beendet war und die Massen sich zerstreuten, wurden viele Leute erdrückt, andere durch Pferde zermalmt. Die Zahl der Toten war sehr beträchlich. Signora Lucrezia Petroni war eher klein als groß und, obschon fünfzig Jahre alt, sah sie noch sehr gut aus. Sie hatte sehr schöne Züge, eine kleine Nase, schwarze Augen, eine sehr weiße Gesichtshaut mit schönen Farben; sie hatte wenig und kastanienbraunes Haar. Beatrice Cenci, die in Ewigkeit Mitleid erwecken wird, war gerade sechzehn Jahre alt; sie war klein, hatte eine leibliche Fülle und Grübchen auf den Wangen, so daß man, als sie tot, von Blumen bekränzt, dalag, hätte glauben können, daß sie schlafe, ja sogar, daß sie im Schlafe lache, wie es ihr oft im Leben geschah. Sie hatte einen kleinen Mund und blondes von selbst gelocktes Haar. Auf dem Weg zum Tode fiel ihr dies blonde lockige Haar über die Augen, was ihr einen besonderen Reiz verlieh und Mitleid erweckte. Giacomo Cenci war klein, dick, mit weißer Haut und schwarzem Bart, er war fast sechsundzwanzig Jahre alt, als er starb. Bernardo Cenci ähnelte völlig seiner Schwester, und da er die Haare lang wie sie trug, hielten ihn viele Leute, als er das Schafott bestieg, für Beatrice. Die Sonne war so glühend gewesen, daß mehrere Zuschauer dieser Tragödie noch in der Nacht starben, unter ihnen Ubaldo Ubaldini, ein selten schöner Jüngling, der sich bisher immer vollkommener Gesundheit erfreut hatte. Er war der Bruder des in Rom sehr bekannten Signor Renzi. So stiegen die Schatten der Cenci wohlgeleitet hinunter. Gestern, am Dienstag, dem 14. September 1599, machten die Büßer von San Marcello gelegentlich des Festes des heiligen Kreuzes von ihrem Vorrecht Gebrauch, um Bernardo Cenci aus seinem Gefängnis zu befreien, der sich dafür verpflichtete, binnen eines Jahres 400 000 Francs für die allerheiligste Dreifaltigkeit von Pontus Sixtus zu stiften. Von anderer Hand ist hier hinzugefügt: Von ihm stammen Francesco und Bernardo Cenci ab, die heute noch leben. Der berühmte Farinacci, der durch seine Hartnäckigkeit das Leben des jungen Cenci rettete, hat sein Plaidoyer veröffentlicht. Er gibt nur einen Auszug aus dem Plaidoyer Nr. 66, das er Clemens VIII. zu Gunsten der Cenci vortrug. Dies Plaidoyer, in lateinischer Sprache verfaßt, würde sechs große Seiten ausfüllen, und leider kann ich es hier nicht unterbringen; es zeichnet die Art des Denkens von 1599; und es scheint mir sehr vernünftig. Viele Jahre nach 1599 fügte Farinacci, als er sein Plaidoyer herausgab, folgende Bemerkung dem hinzu, was er zu Gunsten der Cenci gesagt hatte: Omnes fuerunt ultimo supplicio effecti, excepto Bernardo qui ad triremes cum bonorum confiscatione condemnatus fuit, ac etiam ad interessendum aliorum morti prout interfuit. Das weitere dieser lateinischen Anmerkung ist rührend, aber ich vermute, daß der Leser einer so langen Erzählung schon müde ist. ZU VIEL GUNST SCHADET ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL In einer Stadt Toskanas, die ich nicht nennen werde, gab es im Jahre 1589 und gibt es noch heute ein düsteres und weitläufiges Kloster. Seine schwarzen wohl fünfzig Fuß hohen Mauern verfinstern ein ganzes Straßenviertel. Drei Straßen werden von diesen Mauern begrenzt; an der vierten Seite breitet sich der Garten des Klosters aus, der bis zum Stadtwall reicht. Diesen Garten umgibt eine weniger hohe Mauer. Die Abtei, der wir den Namen Santa Riparata geben wollen, nimmt nur die Töchter des höchsten Adels auf. Am 20. Oktober 1587 waren alle Glocken des Klosters in Bewegung; die Kirche war für die Gläubigen offen und mit prachtvollen Wandteppichen aus rotem mit reichen Goldfransen verziertem Damast ausgeschlagen. Die fromme Schwester Virgilia, die Geliebte des neuen Großherzogs von Toskana, Ferdinand I., war am Abend vorher zur Äbtissin von Santa Riparata erhoben worden, und der Bischof der Stadt, von seinem ganzen Klerus gefolgt, war zur feierlichen Einsetzung gekommen. Die ganze Stadt war in Aufregung und das Gedränge in den Gassen um Santa Riparata so groß, daß es unmöglich war, dort durchzukommen. Der Kardinal Fernando Medici, der auf seinen Bruder Francesco gefolgt war, jedoch ohne deshalb auf den Kardinalshut Verzicht zu leisten, war sechsunddreißig Jahre alt und seit fünfundzwanzig Jahren Kardinal; er war im Alter von elf Jahren zu dieser hohen Würde erwählt worden. Die Regierung Francescos, der heute noch durch seine Liebe zu Bianca Capello berühmt ist, war durch alle Torheiten, zu welchen die Vergnügungssucht einen wenig charakterstarken Fürsten hinreißen kann, gekennzeichnet. Auch Ferdinand hatte sich einige Schwächen dieser Art vorzuwerfen. Seine Liebe zu der Laien-Schwester Virgilia war in ganz Toskana berühmt; doch besonders durch die Unschuld dieser ihrer Beziehungen wie man beifügen muß; ebenso wie man sagen muß, daß der düstere, heftige und leidenschaftliche Großherzog Francesco das Aufsehen, das seine Liebschaften erregten, wenig genug beachtete. Im ganzen Land sprach man nur von der großen Tugend der Schwester Virgilia. Die Ordensregeln, die sie als Laienschwester zu erfüllen hatte, erlaubten es ihr, etwa drei Viertel des Jahres bei der Familie zu verbringen; sie sah dann täglich den Kardinal Medici, wenn er in Florenz war. Zwei Dinge setzten diese der Wollust hingegebene Stadt an dieser Liebschaft eines reichen jungen Fürsten in Erstaunen, dem durch das Beispiel seines Bruders alles gestattet war: die junge schüchterne, nichts weniger als geistvolle Schwester Virgilia war durchaus nicht hübsch und der junge Kardinal hatte sie nie anders als in Gegenwart von zwei oder drei alten Damen aus der edlen Familie Respuccio gesehen, der diese sonderbare Geliebte eines jungen Prinzen von Geblüt angehörte. Großherzog Francesco starb am 19. Oktober 1587 gegen Abend. Am 20. Oktober noch vor dem Mittag begaben sich die Adeligen des Hofs und die reichsten Kaufleute -- denn man muß sich erinnern, daß die Medici ursprünglich Kaufleute gewesen waren; ihre Verwandten und die einflußreichsten Persönlichkeiten des Hofs trieben noch immer Handel, wodurch diese Höflinge verhindert wurden, ganz so albern zu sein, wie ihresgleichen an den anderen zeitgenössischen Höfen -- die ersten Hofherren und die reichsten Kaufleute begaben sich also am Morgen des 20. Oktober in das bescheidene Haus der Laienschwester Virgilia, die über diesen Andrang sehr erstaunt war. Der neue Großherzog wollte weise und verständig dem Glück seiner Untertanen nützlich sein; er wollte vor allem jede Intrige von seinem Hof verbannen. Zur Macht gelangt fand er, daß die Leitung des reichsten Frauen-Klosters seines Staates, das allen vornehmen Töchtern, die von ihren Eltern dem Glanz der Familie geopfert wurden, als Zuflucht diente, unbesetzt war; er zögerte nicht, der Frau, die er liebte, die Äbtissinwürde zu verleihen. Das Kloster von Santa Riparata gehörte zum Orden des heiligen Benedikt, dessen Regeln den Nonnen nicht gestatten, die Klausur zu verlassen. Zum großen Erstaunen des guten Volks von Florenz sah der Fürst-Kardinal die neue Äbtissin nicht mehr, aber in seiner Herzenszartheit, die von allen Frauen seines Hofs bemerkt und, wie man wohl sagen kann, allgemein getadelt wurde, gestattete er sich überhaupt niemals, eine Frau unter vier Augen zu sehn. Als diese Lebensführung offenbar war, verfolgte die Dienstbeflissenheit der Höflinge die Schwester Virgilia bis in ihr Kloster, und sie glaubten zu bemerken, daß sie trotz ihrer ungewöhnlichen Bescheidenheit gar nicht unempfindlich gegen diese Aufmerksamkeit war, der einzigen, die seine außerordentliche Tugend dem neuen Herrscher gestattete. Das Konvent von Santa Riparata mußte oft Angelegenheiten behandeln, die sehr zarter Natur waren: diese jungen Mädchen aus den reichsten Familien von Florenz ließen sich nicht aus der so glänzenden Welt verbannen, aus dieser so reichen Stadt, die damals der Hauptsitz des europäischen Handels war, ohne einen Teil ihres Herzens bei dem zurückzulassen, was man sie zu verlassen zwang; oft erhoben sie laut Einspruch gegen die Ungerechtigkeit ihrer Eltern; manchmal suchten sie Tröstungen in der Liebe, und der Haß wie die Rivalität, die im Kloster herrschten, setzten die vornehme Gesellschaft von Florenz in Aufregung. Dieser Stand der Dinge war der Grund, daß die Äbtissin von Santa Riparata häufig genug Audienzen beim regierenden Großherzog erhielt. Um die Vorschriften des Heiligen Benedikt so wenig wie möglich zu übertreten, schickte der Großherzog der Äbtissin einen seiner Gala-Wagen, in dem zwei ihrer Hofdamen Platz nahmen, welche die Äbtissin bis in den Audienzsaal des weitläufigen großherzoglichen Schlosses in der Via larga, begleiteten. Diese beiden Damen, die Beweise der Klausur, wie man sie nannte, nahmen auf Lehnsesseln dicht an der Türe Platz, während die Äbtissin allein vorschritt, um mit dem Fürsten zu sprechen, der sie am äußersten Ende des Saales erwartete, so daß die 'Beweise der Klausur' nichts von dem, was während dieser Audienz gesagt wurde, hören konnten. Wieder andre Male begab sich der Fürst in die Kirche von Santa Riparata, wo man ihm das Chorgitter öffnete, damit die Äbtissin Seine Hoheit sprechen könne. Diese beiden Arten der Audienz paßten dem Großherzog keineswegs; sie hätten vielleicht einem Gefühl neue Kraft verleihen können, welches er vermindern wollte. Indessen ließ eine der Klosterangelegenheiten delikatester Natur nicht lange auf sich warten: Die Liebesverhältnisse der Schwester Felizia degli Almieri störten den Frieden. Die Familie degli Almieri war eine der reichsten und mächtigsten in Florenz. Da zwei von den drei Brüdern, für deren Eitelkeit man die junge Felizia geopfert hatte, schon gestorben waren und der dritte keine Kinder hatte, bildete sich diese Familie ein, einer Strafe des Himmels ausgesetzt zu sein. Die Mutter und der überlebende Bruder gaben Felizia, trotz ihres Gelübdes der Armut, die Güter, deren man sie beraubt hatte, um der Eitelkeit der Brüder zu frönen, in Form von Geschenken zurück. Das Kloster von Santa Riparata zählte damals dreiundvierzig Nonnen und jede von ihnen hatte ihre Kammerfrau. Das waren junge, dem armen Adel entnommene Mädchen, die an einer zweiten Tafel speisten und jeden Monat vom Schatzmeister des Klosters einen Scudo für ihre Auslagen erhielten. Aber nach einem sonderbaren und für den Frieden des Klosters nicht sehr günstigen Brauch, konnte man nur bis zum Alter von dreißig Jahren Kammerfrau bleiben; an diesem Lebensabschnitt angelangt, verheirateten sich diese Mädchen oder wurden in Klöster niederen Ranges untergebracht. Die sehr vornehmen Damen von Santa Riparata durften bis zu fünf Kammerfrauen haben und die Schwester Felizia degli Almieri verlangte deren acht. Alle jene Damen des Klosters, welche man für galant hielt, und das waren fünfzehn oder sechzehn, unterstützten die Forderungen Felizias, während die sechsundzwanzig andren sich höchst entrüstet darüber zeigten und davon sprachen, einen Appell an den Fürsten zu richten. Die neue Äbtissin, die gute Schwester Virgilia, hatte lange nicht genug Geist, um diese ernste Angelegenheit zu entscheiden; es schien, daß beide Parteien von ihr verlangten, die Sache zur Entscheidung dem Fürsten zu unterbreiten. Schon begannen bei Hof alle Freunde der Familie degli Almieri zu sagen, wie befremdlich es sei, daß man ein Mädchen von so hoher Geburt, noch dazu es ehemals so barbarisch von seiner Familie geopfert, nun wieder verhindern wolle, von seinem Reichtum Gebrauch zu machen wie es wünsche, besonders wo dieser Gebrauch so unschuldig wäre. Von der anderen Seite verfehlten die Familien der älteren oder weniger begüterten Nonnen nicht, zu antworten, es sei zum mindesten sonderbar, daß eine Nonne, die das Gelübde der Armut abgelegt habe, sich nicht mit fünf Kammerfrauen zufrieden geben könne. Der Großherzog wollte einen Klatsch, der die ganze Stadt in Aufregung versetzen konnte, kurz beendigen. Seine Minister drängten ihn, der Äbtissin von Santa Riparata eine Audienz zu gewähren, und da dieses Mädchen in seiner himmlischen Tugend und seinem bewundernswürdigem Charakter seinen ganz in die Dinge des Himmels vertieften Geist wahrscheinlich nicht zu der Kleinlichkeit eines so elenden Klatsches herablassen würde, müßte der Großherzog ihr eine Entschließung eröffnen, die sie nur auszuführen hätte. 'Aber wie könnte ich diese Entschließung fassen,' sagte sich der verständige Fürst, 'wenn ich doch durchaus nichts von den Gründen weiß, welche die beiden Parteien geltend machen können?' Übrigens wollte er sich auch nicht die mächtige Familie degli Almieri ohne hinreichende Gründe zum Feinde machen. Der intime Freund des Fürsten war Graf Buondelmonte, der ein Jahr jünger als er war. Sie kannten sich schon von der Wiege her, da sie die gleiche Amme gehabt hatten, eine reiche schöne Bäuerin von Casentino. Graf Buondelmonte, reich, vornehm und einer der schönsten Männer der Stadt, war durch die außerordentliche Gleichgültigkeit und Kälte seines Charakters bekannt. Er hatte unverzüglich abgelehnt, Premierminister zu werden, was ihm Großherzog Ferdinand schon am Tage seiner Ankunft in Florenz angetragen hatte. 'Ich an Eurer Stelle, Fürst,' hatte ihm der Graf gesagt, 'würde sogleich abdanken; urteilt also selbst, ob ich der Minister des Fürsten sein und den Haß der halben Bevölkerung einer Stadt gegen mich entfesseln möchte, in der ich mein Leben verbringen will!' Mitten in den Unannehmlichkeiten am Hofe, welche dem Herzog durch die Mißhelligkeiten im Kloster von Santa Riparata erwachsen waren, fiel ihm ein, daß er die Freundschaft des Grafen anrufen könnte. Dieser brachte sein Leben auf seinen Gütern zu, deren Pflege er mit viel Aufmerksamkeit leitete. Täglich widmete er der Jagd oder dem Fischen zwei Stunden, je nach der Jahreszeit. Niemals hatte man eine Geliebte bei ihm gesehn. Er wurde durch den Brief des Fürsten, der ihn nach Florenz rief, sehr verstimmt; er wurde es noch viel mehr, nachdem der Fürst ihm gesagt hatte, daß er ihn zum Vorsteher des Damenstifts von Santa Riparata ernennen wolle. "Wißt," sagte ihm der Graf, "daß ich beinahe vorzöge, Premierminister Eurer Hoheit zu sein. Der Frieden des Gemüts ist meine Leidenschaft, und was glaubt Ihr wohl soll aus mir inmitten all dieser wütenden Schäflein werden?" "Was meinen Blick auf Euch gelenkt hat, mein Freund, ist, daß man weiß, eine Frau hat niemals auch nur die Gänze eines Tags hindurch Eure Seele zu beherrschen vermocht; ich bin weit entfernt davon, ebenso glücklich zu sein; es fehlte nicht viel, daß ich die gleichen Torheiten fortgesetzt hätte, die mein Bruder für Bianca Capello begangen hat." Jetzt begann der Fürst ihm vertrauliche Mitteilungen zu machen, mit deren Hilfe er seinen Freund zu verführen gedachte. "Glaubt mir," sagte er ihm, "wenn ich dieses so sanfte Mädchen wiedersehe, das ich zur Äbtissin von Santa Riparata gemacht habe, kann ich nicht mehr für mich einstehn." "Und was wäre dabei?" sagte der Graf, "Wenn es Euch als ein Glück erscheint, eine Geliebte zu haben, warum solltet Ihr dann keine nehmen? Wenn ich keine habe, ist es, weil mich jede Frau durch ihre Klatscherei und durch die Kleinlichkeit ihres Charakters langweilt, schon nach dreitägiger Bekanntschaft." "Ich," sagte der Großherzog, "ich bin Kardinal. Es ist wahr, daß der Papst mir die Erlaubnis erteilt hat, auf den Hut zu verzichten und mich in Anbetracht der Krone, welche mir unvermutet zukam, zu verheiraten; aber ich verlange gar nicht danach, in der Hölle zu brennen, und wenn ich mich verheirate, werde ich eine Frau nehmen, welche ich nicht liebe und von der ich Nachfolger für meine Krone verlangen werde, und nicht die üblichen Süßigkeiten der Ehe." "Darauf habe ich nichts zu sagen," entgegnete der Graf, "ich kann nicht glauben, daß der Allmächtige Gott seinen Blick auf solche Kleinigkeiten herabsenkt. Macht aus Euren Untertanen glückliche und ehrliche Leute, wenn Ihr es könnt und habt im übrigen sechsunddreißig Geliebte." "Ich will nicht einmal eine haben," entgegnete der Fürst lachend; "doch ich wäre dem sehr ausgesetzt, wenn ich die Äbtissin von Santa Riparata wiedersähe. Das ist das vortrefflichste Mädchen der Welt und das unfähigste, nicht nur ein Kloster voll junger widerwillig der Welt entrissener Mädchen zu leiten, sondern selbst die verständigste Vereinigung alter und frommer Frauen." Der Fürst hatte eine so tiefe Furcht, Schwester Virgilia wiederzusehn, daß der Graf davon gerührt wurde. 'Wenn er diesen vertrackten Eid bricht, den er geleistet hat, als der Papst ihm gestattete zu heiraten,"[sic! statt:'] sagte er sich, "[sic! statt: ']ist er auch fähig, für den Rest seines Lebens ein verstörtes Herz davonzutragen.' Am nächsten Morgen begab er sich ins Kloster von Santa Riparata, wo er mit der ganzen Neugier und allen Ehren, die dem Abgesandten des Fürsten gebühren, empfangen wurde. Ferdinand hatte einen seiner Minister ins Kloster gesandt, um der Äbtissin und den Nonnen die Erklärung zu überbringen, daß Staatsgeschäfte ihn verhinderten, sich mit ihrem Kloster zu beschäftigen und daß er seine Machtvollkommenheit für immer dem Grafen Buondelmonte übertragen habe, dessen Entschließungen unwiderruflich seien. Nachdem er mit der guten Äbtissin gesprochen hatte, war der Graf von dem schlechten Geschmack des Fürsten skandalisiert: sie hatte nicht einmal gesunden Menschenverstand und war nichts weniger als hübsch. Der Graf fand die Nonnen, welche Felizia degli Almieri verhindern wollten, zwei neue Kammerfrauen zu nehmen, sehr garstig. Er hatte Felizia ins Sprechzimmer rufen lassen. Sie ließ mit Dreistigkeit antworten, daß sie keine Zeit hätte, zu kommen, was den Grafen amüsierte, den bis dahin seine Mission recht gelangweilt hatte und der seine Gefälligkeit gegen den Fürsten bereute. Er sagte, daß er es ebenso liebe, mit den Kammerfrauen zu sprechen wie mit Felizia selber und ließ die fünf Kammerfrauen ins Sprechzimmer rufen. Nur drei stellten sich ein und erklärten im Namen ihrer Herrin, daß sie sich der Gesellschaft der zwei andren nicht berauben könnte, worauf der Graf von seinen Rechten als Vertreter des Fürsten Gebrauch machte und zwei seiner Leute ins Kloster eindringen hieß, die ihm die beiden widerstrebenden Kammerfrauen herbeibrachten; und er amüsierte sich eine Stunde hindurch über das Geschwätz dieser fünf hübschen jungen Mädchen. Die den größten Teil der Zeit über alle auf einmal sprachen. Erst hierbei, durch das was sie, ihnen selbst unbewußt, ihm verrieten, wurde dem Stellvertreter des Fürsten ein wenig klar, was im Kloster vorging. Nur fünf oder sechs Nonnen waren bejahrt, zwanzig etwa waren fromm, obgleich sie jung waren, aber die andern, jung und hübsch, hatten Liebhaber in der Stadt. In Wahrheit, sie konnten sie nur sehr selten sehen; aber wie machten sie es überhaupt möglich? Das wollte der Graf nicht die Kammerfrauen Felizias fragen, aber er versprach sich, es bald zu wissen, indem er Beobachter rings um das Kloster aufstellte. Er erfuhr zu seinem großen Erstaunen, daß es intime Freundschaften unter den Nonnen gab und vor allem dies die Ursache des Hasses und der inneren Zwistigkeiten war. So hatte zum Beispiel Felizia als intime Freundin Rodelinde di P**; Celia, nach Felizia die Schönste des Klosters, hatte die junge Fabiana zur Freundin. Jede dieser Damen hatte ihre adlige Kammerfrau, welche mehr oder weniger in Gunst stand. Zum Beispiel hatte Martona, die adlige Kammerfrau der Äbtissin, deren Gunst dadurch erworben, daß sie sich noch frömmer als sie zeigte. Sie betete auf den Knien täglich fünf bis sechs Stunden zu Seiten der Äbtissin, aber diese Zeit wurde ihr sehr lang, wie die Kammerfrauen sagten. Der Graf erfuhr außerdem, daß Roderigo und Lancelotto die Namen zweier Liebhaber dieser Damen waren, anscheinend von Felizia und Rodelinde; aber er wollte keine direkte Frage stellen. Die Stunde, die er mit den Frauen verbrachte, erschien ihm nicht im geringsten lang, aber Felizia erschien sie endlos; sie fühlte sich durch diesen Stellvertreter des Fürsten in ihrer Würde beleidigt, der sie zu gleicher Zeit des Dienstes ihrer fünf Kammerfrauen beraubte. Sie konnte nicht an sich halten, und da sie von weitem den Lärm aus dem Sprechzimmer hörte, drang sie dort ein, obwohl ihre Würde ihr sagte, daß diese Art, aus einer ungeduldigen Laune heraus nun doch zu erscheinen, lächerlich aussehen konnte, nachdem sie die offizielle Einladung des Abgesandten des Fürsten ausgeschlagen habe. 'Aber ich werde das Gackern dieses kleinen Herrn wohl parieren', sagte sich die herrische Felizia. Sie brach also in das Sprechzimmer ein, grüßte den Abgesandten des Fürsten sehr nachlässig und befahl einer ihrer Frauen ihr zu folgen. "Signora, wenn dies Mädchen Euch gehorcht, werde ich meine Leute ins Kloster eintreten lassen und sie werden es sofort wieder zurückführen." "Ich werde sie bei der Hand nehmen; werden Eure Leute wagen, Gewalt anzuwenden?" "Meine Leute werden in dieses Sprechzimmer sie und Euch führen, Signora." "Und mich?" "Und Euch selbst; und wenn es mir beliebt, werde ich Euch aus diesem Kloster fortführen lassen und Ihr werdet in irgendeinem armen kleinen, auf dem Gipfel irgendeines Berges des Apennin gelegenen Klosters fortfahren an Eurem Heil zu arbeiten. Ich vermag dies und noch ganz andere Dinge zu tun." Der Graf bemerkte, daß die fünf Kammerfrauen erbleichten; auch die Wangen Felizias färbten sich in einer leichten Blässe, die sie noch schöner machte. 'Dies ist sicherlich,' sagte sich der Graf, 'die schönste Person, der ich in meinem Leben begegnet bin, man muß die Szene länger dauern lassen.' Sie dauerte in der Tat gegen dreiviertel Stunden. Felizia zeigte dabei einen Geist und vor allem ein so stolzes Wesen, daß der Stellvertreter des Fürsten sich sehr damit unterhielt. Gegen Ende der Unterredung hatte sich der Ton sehr gemildert und Felizia erschien dem Grafen minder schön. 'Man muß ihr ihren Zorn wiedergeben', dachte er. Er erinnerte sie daran, daß sie das Gelübde des Gehorsams abgelegt habe und daß, wenn sie in Zukunft auch nur einen Schatten von Widerstand gegen die fürstlichen Befehle zeige, die er dem Kloster übermittle, er es für ihr Seelenheil nützlich halten werde, sie auf sechs Monate in das langweiligste Kloster des Apennin zu schicken. Daraufhin wurde Felizia prächtig vor Zorn. Sie sagte ihm, daß die heiligen Märtyrer mehr als dies durch die Barbarei der römischen Imperatoren gelitten hätten. "Ich bin nicht Imperator, Signora, und ebensowenig brachten die Märtyrer die ganze Gesellschaft in Aufruhr, um zwei Kammerfrauen mehr zu bekommen, wenn sie ohnedies fünf so liebenswürdige wie diese Fräuleins hatten." Er größte[sic! statt: grüßte] sie sehr kalt und ging fort, ohne ihr Zeit zu einer Antwort zu lassen, und sie blieb wütend zurück. Der Graf blieb in Florenz und kehrte gar nicht mehr auf seine Güter zurück; er war neugierig, zu erfahren, was eigentlich im Kloster von Santa Riparata vor sich ging. Einige Kundschafter, die ihm die Polizei des Fürsten beistellte, in der Nähe des Klosters und rings um die unermeßlich großen Gärten postiert, die es beim Tor, das nach Fiesole führt, besitzt, hatten ihm bald alles, was er zu wissen wünschte, mitteilen können: Roderigo L**, einer der reichsten und lüderlichsten Jungen der Stadt, war Felizias Liebhaber, und ihre vertraute Freundin, die sanfte Rodelinde, war die Geliebte Lancelotto P***s, eines jungen Mannes, der sich in den Kriegen, die Florenz gegen Pisa führte, sehr ausgezeichnet hatte. Diese jungen Leute hatten große Schwierigkeiten zu überwinden, um in das Kloster einzudringen. Die Strenge war verdoppelt worden, oder vielmehr, die alte Freiheit war seit der Thronbesteigung des Großherzogs Ferdinand vollkommen unterdrückt worden. Die Äbtissin Virgilia wollte die Ordensregel in ihrer ganzen Strenge durchführen lassen, aber ihre Einsicht und ihr Charakter entsprachen diesen guten Absichten nicht, und die Kundschafter des Grafen berichteten ihm, daß kaum ein Monat verginge, ohne daß es Roderigo, Lancelotto und noch zwei oder drei junge Leute, welche Beziehungen im Kloster hatten, dahin brachten, ihre Geliebten zu sehen. Die Unermeßlichkeit der Gärten des Klosters hatte den Bischof genötigt, nur die Existenz von zwei Türen zu dulden, die auf den weiten Raum hinter der Schutzmauer im Norden der Stadt führten. Die pflichtlosen Nonnen -- und diese bildeten weitaus die Mehrheit im Kloster -- kannten diese Einzelheiten nicht mit solcher Gewißheit wie der Graf; aber sie vermuteten sie und nutzten die Existenz solchen Mißbrauchs, um den Maßnahmen der Äbtissin nicht zu gehorchen, wenn es ihnen nicht paßte. Es war dem Grafen klar, daß es nicht leicht sein würde, die Ordnung in diesem Kloster wiederherzustellen, so lang eine solch schwache Frau wie die Äbtissin Virgilia es leitete. Er sprach in diesem Sinne zum Großherzog, der ihn zur äußersten Strenge aufforderte, aber gleichzeitig nicht im geringsten gewillt zu sein schien, seiner ehemaligen Freundin den Kummer anzutun, sie wegen Unfähigkeit in ein andres Kloster zu versetzen. Der Graf kehrte nach Santa Riparata zurück, ganz entschlossen, äußerste Strenge anzuwenden, um sich so bald wie möglich der Last zu entledigen, die er unvorsichtiger Weise auf sich genommen hatte. Felizia ihrerseits war noch gereizt über die Art, wie der Graf zu ihr gesprochen hatte, und fest entschlossen, die nächste Zusammenkunft auszunützen, den Ton wieder zu finden, der für den hohen Adel ihrer Familie und für die Stellung passend war, die sie in der Gesellschaft einnahm. Bei seiner Ankunft im Kloster ließ der Graf unverzüglich Felizia rufen, um sich des heikelsten Teils seiner Arbeit gleich zu entledigen. Felizia kam, schon vom lebhaftesten Zorn bewegt, in das Sprechzimmer, aber der Graf fand sie sehr schön; er war feiner Kenner in diesen Dingen. 'Bevor wir dieses prachtvolle Antlitz verstören,' sagte er sich, 'lassen wir uns Zeit, es gut anzuschauen.' Felizia bewunderte unwillkürlich den verständigen kalten Ton dieses schönen Mannes, der in seinem vollständig schwarzen Kostüm, das er für die Funktion im Kloster schicklich fand, wirklich bemerkenswert aussah. 'Ich glaubte, weil er über fünfunddreißig Jahre ist,' sagte sich Felizia, 'daß er ein lächerlicher Alter sein würde, wie unsere Beichtväter, aber ich finde statt dessen einen Mann, der wirklich dieses Namens würdig ist. Er trägt freilich nicht die auffallenden Kleider, die einen großen Teil der Verdienste Roderigos und vieler junger Leute, die ich gekannt habe, ausmachten; in der Menge der Goldstickerei und des Samtes ist er ihnen sehr untergeordnet; aber wenn er wollte, könnte er in einem Augenblick über diese Art des Verdienstes verfügen, während die andern, denke ich, recht viel Mühe hätten, die kluge, verständige und wirklich interessante Unterhaltung des Grafen Buondelmonte nachzuahmen.' Felizia legte sich nicht genau Rechenschaft ab, was es war, das diesem großen, in schwarzem Sammet gekleideten Mann, mit dem sie sich schon seit einer Stunde von den verschiedensten Dingen unterhielt, einen eigenartigen Ausdruck gab. Obgleich er mit Sorgfalt alles vermied, was sie hätte reizen können, war der Graf weit davon entfernt, ihr in allem nachzugeben, so wie es nacheinander die Männer getan hatten, welche diesem schönen stolzen Mädchen näher getreten waren, von dem bekannt war, daß es Liebhaber habe. Weil der Graf gar keine Absichten hatte, war er einfach und natürlich mit ihr, nur hatte er bis dahin vermieden, die Dinge, die ihren Zorn erregen konnten, näher zu besprechen. Trotzdem war es notwendig, zu den Forderungen der stolzen Nonne zu kommen; man hatte bereits von der Unordnung im Kloster gesprochen. "In der Tat, Signora, was hier alles in Aufruhr versetzt, ist die in gewisser Hinsicht ja vielleicht gerechtfertigte Forderung, zwei Kammerfrauen mehr als die andern zu haben, welche eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten des Klosters stellt." "Was hier alles in Aufruhr versetzt, ist die Charakterschwäche der Äbtissin, welche uns mit einer gänzlich neuen Strenge behandeln will, von der man niemals einen Begriff gehabt hat. Es kann ja sein, daß es Klöster gibt, wo die Mädchen wirklich fromm sind, die Zurückgezogenheit lieben und davon geträumt haben, wirklich die Gelübde der Armut, des Gehorsams und dergleichen zu erfüllen, die man ihnen mit siebzehn Jahren abverlangt hat; was uns betrifft, haben uns unsre Familien hier untergebracht, um den ganzen Reichtum des Hauses unsren Brüdern zu lassen. Wir haben keine andre Berufung, als die Unmöglichkeit, zu entfliehn und anderswo als im Kloster zu leben, da unsre Väter uns nicht mehr in ihren Palästen aufnehmen wollen. Übrigens, als wir diese in den Augen der Vernunft so nichtigen Gelübde abgelegt haben, waren wir alle ein oder mehrere Jahre Pensionärinnen im Kloster gewesen und jede von uns nahm an, den gleichen Grad von Freiheit genießen zu dürfen, den wir damals an den Nonnen sahen. Und ich versichere Ihnen, Herr Vikar des Fürsten, die Türe der Mauer war bis Tagesanbruch offen und alle diese Damen sahen ihre Freunde unbehindert im Garten. Niemand dachte daran, diese Art des Lebens zu tadeln und wir alle glaubten, wenn wir erst Nonnen wären, ebensoviel Freiheit und ein ebenso glückliches Leben zu genießen, wie diejenigen unsrer Schwestern, denen der Geiz unsrer Eltern erlaubt hatte, zu heiraten. (In der ersten Unterhaltung hatte sie ihm ihr Verhältnis zu Roderigo und ihre andern Liebschaften -- es waren drei -- gestanden.) Es ist wahr, alles ist verändert, seit wir einen Fürsten haben, der fünfundzwanzig Jahre seines Lebens Kardinal war. Herr Vikar, Ihr könnt in dieses Kloster Soldaten oder sogar Dienerschaft, wie Ihr es neulich getan habt, eintreten lassen. Sie werden uns Gewalt antun, wie Eure Diener meinen Frauen Gewalt angetan haben, und das aus dem würdigen und einzigen Grund, weil sie die Stärkeren waren. Aber Euer Stolz darf nicht glauben das geringste Recht über uns zu haben. Wir sind mit Gewalt in dieses Kloster gebracht worden, man hat uns Eide und Gelübde im Alter von sechzehn Jahren mit Gewalt abgezwungen und endlich ist auch die langweilige Art des Lebens, der Ihr uns unterwerfen wollt, nicht im geringsten die, welche wir an den Nonnen dieses Klosters sahen, zur Zeit als wir die Gelübde ablegten. Selbst wenn man diese Gelübde als gesetzmäßig anerkennen wollte, haben wir doch höchstens versprochen, so zu leben wie sie, und Ihr wollt uns leben lassen, wie sie niemals gelebt haben. Ich muß Euch gestehen, Herr Vikar, daß ich Wert auf die Achtung meiner Mitbürger lege. In den Zeiten der Republik hätte man diese unwürdige Unterdrückung nie geduldet, die an jungen Mädchen begangen wird, die nie andres Unrecht getan haben, als daß sie in wohlhabenden Familien geboren sind und Brüder haben. Ich habe die Gelegenheit gewünscht, diese Dinge in der Öffentlichkeit oder wenigstens zu einem verständigen Menschen zu sagen. Was die Zahl meiner Frauen betrifft, liegt mir sehr wenig dran. Zwei und nicht fünf oder sieben würden mir reichlich genügen; ich könnte darauf bestehn, sieben zu verlangen, bis man sich die Mühe gegeben hat, den unwürdigen Betrug, dessen Opfer wir sind, abzustellen, wovon ich Ihnen jetzt einiges mitgeteilt habe; doch weil Euer Anzug aus schwarzem Sammet Euch sehr gut steht, Herr Vikar des Fürsten, erkläre ich Euch, daß ich für dies Jahr auf das Recht verzichte, so viele Dienerinnen zu haben, wie ich bezahlen könnte." Graf Buondelmonte ward sehr ergötzt durch diese Aufständigkeit; er ließ sie andauern, indem er die lächerlichsten Einwände machte, die ihm nur einfallen mochten. Felizia antwortete mit entzückendem Feuer und Geist. Der Graf sah in ihren Augen das ganze Staunen, das dieses junge Mädchen von zwanzig Jahren empfand, als sie solche Albernheiten aus dem Mund eines scheinbar verständigen Mannes hörte. Der Graf verabschiedete sich von Felizia und ließ die Äbtissin rufen, der er weise Ratschläge gab; er berichtete dem Fürsten, daß die Unruhen im Kloster von Santa Riparata beigelegt wären, erhielt viel Lobsprüche für seine tiefe Weisheit und kehrte endlich auf seine Ländereien zurück. Aber öfters sagte er sich: 'Es gibt also ein junges Mädchen, das wohl für das schönste Frauenzimmer der Stadt gelten würde, wenn es in der Welt lebte, und das nicht ganz wie eine Puppe urteilt.' Doch im Kloster fanden große Ereignisse statt. Nicht alle Nonnen urteilten klar und scharf wie Felizia; aber fast alle jungen langweilten sich tödlich. Ihr einziger Trost war es, Karikaturen zu zeichnen und satirische Sonette auf einen Fürsten zu machen, der fünfundzwanzig Jahre lang Kardinal war und als er auf den Thron gelangte, nichts besseres zu tun wußte, als seine Geliebte nicht mehr zu sehen und sie in ihrer Eigenschaft als Äbtissin zu beauftragen, arme junge Mädchen zu ärgern, die der Geiz ihrer Eltern ins Kloster verstoßen hatte. Wie wir schon gesagt haben, war die sanfte Rodelinde die vertraute Freundin Felizias. Ihre Freundschaft schien sich zu verdoppeln, seit Felizia ihr gestanden hatte, daß seit ihren Unterhaltungen mit dem Grafen Buondelmonte, diesem ältern Mann, der schon über sechsunddreißig Jahre zählte, ihr Geliebter Roderigo, um es kurz zu sagen, ihr sehr langweilig erschien. Felizia hatte sich in diesen ernsten Grafen verliebt; die endlosen Gespräche, die sie mit ihrer Freundin Rodelinde über diesen Gegenstand führte, zogen sich manchmal bis zwei Uhr, drei Uhr des Morgens hin. Nun sollte nach der Ordensregel des heiligen Benedikt, welche die Äbtissin in ihrer ganzen Strenge wieder einführen wollte, sich eine Stunde nach Sonnenuntergang jede Nonne in ihre Gemächer zurückziehn beim Ton einer bestimmten Glocke, welche die Retraite genannt wurde. Die gute Äbtissin, im Wunsche, ein gutes Beispiel zu geben, verfehlte nicht, sich beim Ton der Glocke in ihrem Zimmer einzuschließen und war des frommen Glaubens, daß alle Nonnen ihrem Beispiel folgten. Zu den hübschesten und reichsten dieser Damen gehörten die neunzehnjährige Fabiana, die vielleicht das leichtsinnigste Mädchen des ganzen Klosters war und ihre vertraute Freundin Celia; die eine wie die andre waren sehr in Zorn auf Felizia, welche sie, wie sie sagten, verachtete. Tatsache ist, daß Felizia, seit sie einen so interessanten Unterhaltungsstoff mit Rodelinde hatte, die Anwesenheit der andren Nonnen mit schlecht verhehlter oder vielmehr mit unverhüllter Ungeduld vertrug. Sie war die schönste, sie war die reichste, sie hatte unbestreitbar mehr Geist als die andern. Es hätte nicht einmal so viel gebraucht, um in einem Kloster, wo alles sich langweilte, einen großen Haß zu entzünden. In ihrem großen Leichtsinn erzählte Fabiana der Äbtissin, daß Felizia und Rodelinde manchmal bis zwei Uhr morgens im Garten blieben. Die Äbtissin hatte beim Grafen erwirkt, daß ein Soldat des Fürsten vor der Türe des Gartens, die auf die weite Fläche hinter der Nordmauer führte, Schildwache stand. Sie hatte ungeheure Schlösser an dieser Türe anbringen lassen und jeden Abend brachte als Abschluß des Tagewerks der jüngste Gärtner, der ein sechzigjähriger Greis war, den Schlüssel dieser Türe der Äbtissin. Sogleich schickte die Äbtissin eine alte, den Nonnen verhaßte Pförtnerin, um das zweite Schloß der Türe zu schließen. Trotz all dieser Vorsichtsmaßregeln war es ein großes Verbrechen in ihren Augen, bis zwei Uhr morgens im Garten zu bleiben. Sie ließ Felizia rufen und behandelte dieses stolze Mädchen, das jetzt die Erbin der ganzen Familie geworden war, in einer so hochfahrenden Weise, wie sie es sich vielleicht nicht erlaubt hätte, wäre sie nicht der Gunst des Fürsten sicher gewesen. Felizia war umso mehr verletzt durch die Bitterkeit dieser Vorwürfe, als sie ihren Geliebten Roderigo nur ein einziges Mal hatte kommen lassen, seit sie den Grafen kannte; und auch da nur, um sich über ihn lustig zu machen. In ihrer Entrüstung wurde sie beredsam, und wenn die gute Äbtissin sich auch weigerte, ihr die Angeberin zu nennen, gab sie doch Einzelheiten preis, mit deren Hilfe Felizia leicht erraten konnte, daß sie Fabiana diese Unannehmlichkeit verdanke. Sogleich beschloß Felizia sich zu rächen. Dieser Entschluß gab ihrer von Unglück gestärkten Seele die ganze Kraft zurück. "Wissen Sie, Mutter", sagte sie zur Äbtissin, "daß ich einigen Mitleids würdig bin? Ich habe den Frieden der Seele völlig verloren. Nicht ohne tiefe Weisheit hat unser Gründer, der heilige Benedikt, vorgeschrieben, daß niemals ein Mann unter sechzig Jahren in unseren Klöstern eingelassen werden sollte. Der Herr Graf Buondelmonte, der großherzogliche Vertreter für die Verwaltung dieses Klosters, mußte lange Unterredungen mit mir haben, um mich von meinem törichten Einfall abzubringen, die Zahl meiner Kammerfrauen zu vermehren. Er besitzt Weisheit, er vereint einen bewundernswürdigen Geist mit einer unendlichen Klugheit. Ich bin mehr als es einer Dienerin Gottes und des heiligen Benedikt geziemt von diesen großen Eigenschaften des Grafen, unsres Statthalters getroffen worden. Der Himmel hat meine große Eitelkeit bestrafen wollen: ich bin sterblich verliebt in den Grafen; auf die Gefahr, meine Freundin Rodelinde zu entrüsten, habe ich ihr diese Leidenschaft gestanden, die ebenso verbrecherisch wie unfreiwillig ist; und weil sie mir Ratschläge gibt und mich tröstet, weil es ihr sogar manchesmal gelingt, mir Kräfte gegen die Versuchung des Bösen zu verleihen, ist sie zuweilen sehr lange bei mir geblieben. Aber immer geschah es auf meinen Wunsch: ich fühlte zu gut, daß ich, sobald Rodelinde mich verlassen haben würde, an den Grafen denken müßte." Die Äbtissin verfehlte nicht, eine lange Ermahnung an das verirrte Schaf zu richten und Felizia trug Sorge, Betrachtungen anzustellen, welche diese Sittenpredigt noch verlängerten. Von nun an wurde die Langweile Felizias und Rodelindes durch den Plan einer Rache verjagt, der ihre ganze Zeit ausfüllte. "Da Fabiana und Celia sich in hinterlistiger Absicht von der großen Hitze, die herrscht, im Garten erfrischt haben, ist es notwendig, daß die erste Zusammenkunft, die sie ihren Liebhabern gewähren, einen entsetzlichen Skandal verursache, der in dem Geist der ernsten Klosterdamen den auslöscht, welchen meine späten Spaziergänge im Garten verursacht haben. Am Abend des ersten Stelldicheins, das Fabiana und Celia Lorenzo und Pierantonio gewähren, müssen sich Roderigo und Lancelotto zuvor hinter den behauenen Steinen, die sich auf dem Platz vor der Türe unsres Gartens befinden, verbergen. Roderigo und Lancelotto sollen nicht die Liebhaber dieser Damen töten, aber sie sollen ihnen fünf oder sechs kleine Stiche mit ihren Degen verabreichen, so daß sie ganz mit Blut bedeckt sind. In diesem Zustand wird ihr Anblick ihre Geliebten beunruhigen, und diese Damen werden an ganz andere Dinge denken, als mit ihnen Liebenswürdigkeiten auszutauschen." Das Beste, was den beiden Freundinnen einfiel, um diesen heimtückischen Überfall zu veranstalten, war, daß Livia, die Kammerfrau Rodelindes, bei der Äbtissin um einen Monat Urlaub ansuchen sollte. Dieses sehr geschickte Mädchen wurde mit Briefen für Roderigo und Lancelotto ausgestattet. Sie überbrachte ihnen auch eine Summe Geldes, mit deren Hilfe sie Lorenzo und Pierantonio mit Spionen umgeben sollten. 'Nun', dachte sie, 'werden die Ereignisse, welche unsre -- Rodelindes und meine -- Rache herbeiführt, den liebenswürdigen Grafen wieder ins Kloster bringen. So werde ich den Fehler wieder gut machen, der mir unterlief, als ich zu rasch auf die Mädchen verzichtete, die ich in meinen Dienst nehmen wollte. Ich wurde, ohne es zu wissen, durch die Versuchung verführt, einem Manne, der selbst so verständig ist, verständig zu erscheinen. Ich bedachte nicht, daß ich ihm dadurch jede Gelegenheit, wiederzukehren, nahm, um sein Amt als Vikar in unsrem Kloster auszuüben. Daher kommt es, daß ich mich jetzt so sehr langweile. Diese kleine Puppe von einem Roderigo, die mich manchmal belustigte, erscheint mir jetzt vollkommen lächerlich, und durch meine Schuld habe ich diesen liebenswürdigen Grafen nicht wiedergesehen. Es ist nun an uns, an Rodelinde und mir, dahin zu wirken, daß unsre Rache eine solche Unordnung herbeiführt, daß seine Anwesenheit im Kloster oft notwendig wird. Unsre arme Äbtissin ist so wenig fähig, etwas geheimzuhalten, daß sie ihn wahrscheinlich auffordert, die Zusammenkünfte mit mir, die ich bei ihm erlangen werde, nach Möglichkeit einzuschränken und in welchem Fall diese ehemalige Geliebte des Großherzogs sich, wie ich nicht zweifle, die Mühe auflädt, diesem so sonderbaren und kalten Mann meine Erklärung zu übermitteln. Das wird eine komische Szene sein, die ihn vielleicht belustigt; denn, wenn ich mich nicht sehr täusche, läßt er sich nicht von allen Dummheiten zum Narren halten, die man uns predigt, um uns zu demütigen; nur hat er noch keine Frau gefunden, die seiner würdig wäre; und ich werde diese Frau sein oder das Leben dabei lassen.' Livia kam täglich, um Felizia und Rodelinde über die Vorbereitungen zum Angriff gegen die Geliebten Celias und Fabianas Bericht zu erstatten. Die Vorbereitungen dauerten nicht weniger als sechs Wochen. Es handelte sich darum, die Nacht zu erraten, welche Lorenzo und Pierantonio wählen würden, um ins Kloster zu kommen, und seit dem neuen Regiment, das sich mit viel Strenge ankündigte, verdoppelte sich die Vorsicht bei Unternehmungen dieser Art. Überdies stieß Livia bei Roderigo auf große Schwierigkeiten. Er hatte die Lauheit Felizias wohl bemerkt, und verweigerte schließlich rund heraus, sie an Fabiana und Celia zu rächen, wenn sie nicht einwilligte, ihn mit eigener Stimme zu einer schöneren Zusammenkunft zu bestellen. Aber Felizia, die ganz mit dem Grafen Buondelmonte beschäftigt war, wollte niemals darauf eingehen. "Ich begreife wohl," schrieb sie ihm in ihrer unvorsichtigen Offenheit, "daß man sich in die Verdammnis stürzt, um ein Glück zu genießen, aber sich zu verdammen, um einen ehemaligen Liebhaber, dessen Herrschaft beendet ist, wiederzusehen, ist etwas, das ich nie begreifen werde. Immerhin könnte ich wohl einwilligen, Euch noch einmal nachts zu empfangen, um Euch Vernunft hören zu lassen, aber es ist ja kein Verbrechen, was ich von Euch verlange. So könnt Ihr nicht übertriebene Forderungen stellen und Bezahlung begehren, als ob man von Euch verlangen würde, einen Unverschämten zu töten. Begeht nicht den Irrtum, den Liebhabern unsrer Feindinnen so ernste Wunden zuzufügen, daß sie verhindert wären, in den Garten zu kommen und all den Damen, die wir Sorge tragen werden, dort zu versammeln, als Schauspiel zu dienen. Ihr würdet dadurch unsrer Rache jeden Reiz nehmen und ich würde in Euch nur einen Leichtsinnigen sehen, der unwürdig ist, mir das geringste Vertrauen einzuflößen. Wißt nur, daß es besonders wegen dieses wesentlichen Fehlers ist, daß Ihr aufgehört habt, meine Freundschaft zu verdienen." Diese Nacht der Rache, die mit soviel Sorgfalt vorbereitet war, kam endlich heran. Roderigo und Lancelotto, von mehreren ihrer Leute unterstützt, belauerten während des ganzen Tages die Handlungen Lorenzos und Pierantonios. Durch deren Indiskretion erlangten sie die Gewißheit, daß die beiden in der folgenden Nacht das Ersteigen der Mauer von Santa Riparata versuchen würden. Ein reicher Kaufmann, dessen Haus neben der Wachstube lag, welche die Schildwache vor der Gartentüre der Nonnen beistellte, verheiratete an diesem Abend seine Tochter. Lorenzo und Pierantonio, als Domestiken eines reichen Hauses verkleidet, benutzten diesen Umstand, um gegen zehn Uhr abends der Wache ein Fäßchen Wein im Namen ihres Herrn darzubringen. Die Soldaten taten dem Geschmack Ehre an. Die Nacht war sehr dunkel, das Übersteigen der Klostermauer sollte gegen Mitternacht stattfinden; um elf Uhr abends sahen Roderigo und Lancelotto, die nahe der Tür versteckt waren, mit Vergnügen, wie die Schildwache der vorigen Stunde von einem halbbetrunkenen Soldaten abgelöst wurde, der nicht verfehlte, nach einigen Minuten einzuschlafen. Im Inneren des Klosters hatten Felizia und Rodelinde gesehen, daß ihre Feindinnen Fabiana und Celia sich im Garten unter den nahe der Umfassungsmauer stehenden Bäumen versteckten. Ein wenig vor Mitternacht wagte Felizia, die Äbtissin zu wecken. Sie hatte nicht wenig Mühe, bis zu ihr zu gelangen; sie hatte deren noch mehr, um ihr die Möglichkeit des Vergehens, das sie ihr anzeigte, verständlich zu machen. Und schließlich, nach einem Zeitverluste von mehr als einer halben Stunde, während deren letzten Minuten Felizia schon fürchtete, für eine Verleumderin gelten zu müssen, erklärte die Äbtissin: wenn selbst die Tatsache wahr sei, dürfte man einem Verbrechen nicht auch noch eine Verletzung der Regel des heiligen Benedikt hinzufügen. Und die Regel verbot ja durchaus, nach Sonnenuntergang den Garten zu betreten. Zum Glück erinnerte sich Felizia, daß man durch das Klosterinnere, ohne einen Fuß in den Garten zu setzen, auf das flache Dach eines kleinen niedrigen Gewächshauses gelangen konnte, das ganz in der Nähe der von der Schildwache bewachten Türe lag. Während Felizia damit beschäftigt war, die Äbtissin zu überzeugen, versuchte Rodelinde ihre alte Tante zu wecken, die sehr fromm und Unterpriorin des Klosters war. Obwohl die Äbtissin sich bis auf die Terrasse der Orangerie mitziehen ließ, war sie weit entfernt davon, alles zu glauben, was Felizia ihr erzählte. Man kann sich nicht vorstellen, wie groß ihr Staunen, ihre Entrüstung, ihre Bestürzung war, als sie, neun oder zehn Fuß tiefer, zwei Nonnen bemerkte, welche sich zu dieser unerlaubten Stunde außerhalb ihrer Gemächer befanden; denn die vollkommen dunkle Nacht erlaubte ihr nicht gleich, Fabiana und Celia zu erkennen. "Gottlose Mädchen," schrie sie mit einer Stimme, die gebieterisch sein sollte, "unvorsichtige Unglückliche! Dient Ihr so der göttlichen Majestät? Bedenkt, daß der große heilige Benedikt, Euer Beschützer, Euch von der Höhe des Himmels betrachtet und schaudert, da er Euch gegen sein Gesetz freveln sieht. Kehrt in Euch ein und, da die Nachtglocke seit langem geläutet hat, eilt in Eure Gemächer zurück und betet, in Erwartung der Buße, die ich Euch morgen früh auferlegen werde." Wer könnte die Bestürzung und den Kummer Celias und Fabianas schildern, als sie über ihren Köpfen, und so aus der Nähe die gebietende Stimme der gereizten Äbtissin hörten? Sie hörten auf zu sprechen und verhielten sich unbeweglich, als eine ganz andre Überraschung sowohl sie wie die Äbtissin traf. Diese Damen hörten kaum acht oder zehn Schritt entfernt auf der andern Seite der Tür den heftigen Lärm eines Degengefechts. Bald schlugen Schreie verwundeter Kämpfer herüber; einzelne von Schmerzen entpreßt. Welches Leid empfanden Celia und Fabiana, als sie die Stimmen Lorenzos und Pierantonios erkannten! Sie hatten Nachschlüssel zur Gartentür, sie stürzten sich auf die Schlösser, und obgleich die Türe ungeheuer war, hatten sie doch die Kraft, sie in ihren Angeln zu drehen. Celia, welche die stärkere und ältere war, wagte als erste aus dem Garten zu treten. Sie kehrte einige Augenblicke später zurück, ihren Geliebten, Lorenzo, mit ihren Armen stützend, der gefährlich verwundet zu sein schien und sich nur mit Mühe aufrecht halten konnte. Er ächzte bei jedem Schritt wie ein Sterbender, und wirklich, als er kaum zehn Schritt im Garten getan hatte, fiel er trotz der Anstrengungen Celias zu Boden und verschied alsbald. Celia, alle Vorsicht vergessend, rief ihn mit lauter Stimme an und warf sich schluchzend über seinen Körper, als er nicht mehr antwortete. All das geschah ungefähr zwanzig Schritt von dem Dach der kleinen Orangerie entfernt. Felizia begriff sehr wohl, daß Lorenzo tot oder sterbend war und es würde schwer sein, ihre Verzweiflung zu schildern. 'Ich bin die Ursache von all dem,' sagte sie sich, 'Roderigo hat sich hinreißen lassen und wird Lorenzo zu Tode getroffen haben. Er ist von Natur grausam, und seine Eitelkeit verzeiht niemals die Wunden, die man ihr schlägt: in mehreren Maskenzügen wurden die Pferde Lorenzos und die Livreen seiner Leute schöner gefunden als seine eigenen.' Felizia stützte die vor Entsetzen fast ohnmächtige Äbtissin. Einige Augenblicke später kehrte die unglückliche Fabiana, ihren Liebhaber Pierantonio stützend, in den Garten zurück; auch er war von tödlichen Stichen getroffen. Auch er war am Verscheiden, aber inmitten des allgemeinen Schweigens, das diese Szene des Entsetzens um sich gebreitet hatte, hörte man, wie er zu Fabiana sagte: "Es ist Don Cesare, der Malteser. Ich habe ihn wohl erkannt; aber wenngleich er mich verwundet hat, trägt auch er meine Zeichen." Don Cesare war der Vorgänger Pierantonios bei Fabiana gewesen. Diese junge Nonne schien jede Angst um ihren Ruf verloren zu haben: sie rief mit lauter Stimme die Madonna und ihre Schutzheilige zu Hilfe, sie rief auch ihre Kammerfrau, es kümmerte sie nicht, das ganze Kloster zu wecken; das kam daher, daß sie Pierantonio wirklich liebte. Sie wollte ihn pflegen, sein Blut stillen, seine Wunden verbinden. Diese wahrhafte Leidenschaft erregte das Mitleid vieler Nonnen. Man näherte sich dem Verwundeten, man eilte fort, um Binden zu holen. Er saß unter einem Lorbeerbaum und lehnte sich an ihn. Fabiana lag vor ihm auf den Knien und mühte sich um ihn. Er sprach noch gut und erzählte von neuem, daß es der Malteserritter Don Cesare war, der ihn verwundet hatte, -- als er mit einem Male die Arme streckte und verschied. Celia unterbrach die Verzweiflungsausbrüche Fabianas. Einmal des Todes Pierantonios gewiß, schien sie ihn vergessen zu haben und erinnerte sich nur noch der Gefahr, die sie und ihre teure Fabiana umgab. Diese war ohnmächtig auf dem Leichnam ihres Geliebten zusammengebrochen. Celia richtete sie halb auf und schüttelte sie heftig, um sie wieder zu sich zu bringen. "Dein Tod und der meine sind gewiß, wenn du dich dieser Schwäche hingibst," sagte sie ihr mit leiser Stimme, indem sie den Mund an ihr Ohr preßte, um nicht von der Äbtissin gehört zu werden, die sie wohl unterschied, wie sie, an das Geländer des Daches gelehnt, kaum zehn oder zwölf Fuß über dem Garten stand: "Wach auf," sagte sie ihr, "denk an dein Heil und an deine Sicherheit! Du wirst viele Jahre in einein dunklen, ekelhaften Loch gefangen sein, wenn du dich jetzt noch länger deinem Schmerz überläßt." In diesem Augenblick näherte sich die Äbtissin, welche in den Garten hinabsteigen wollte, auf den Arm Felizias gestützt, den beiden unglücklichen Nonnen. "Was Euch betrifft, Signora," sagte ihr Celia so stolz und fest, daß es selbst der Äbtissin Eindruck machte, "wenn Ihr den Frieden liebt und die Ehre des Klosters Euch teuer ist, so werdet Ihr zu schweigen wissen und nicht aus all dem einen Klatsch beim Großherzog machen. Auch Ihr habt geliebt, man glaubt allgemein, daß Ihr ehrbar gewesen seid und das verleiht Euch eine Überlegenheit über uns; aber wenn Ihr ein Wort von dieser Angelegenheit dem Großherzog sagt, wird sie bald das einzige Gespräch der Stadt bilden und man wird sagen: die Äbtissin von Santa Riparata, die in den früheren Jahren ihres Lebens die Liebe kannte, hat nicht genug Festigkeit, um die Nonnen ihres Klosters zu leiten. Ihr werdet uns verderben, Signora, aber Ihr werdet Euch selbst noch sicherer als uns verderben. Gesteht, Signora," sagte sie der Äbtissin, welche Seufzer und verwirrte Ausrufe und leise Schreie des Staunens ausstieß, "daß Ihr selbst in diesem Augenblick nicht wißt, was für Euer Heil und für das des Klosters zu tun ist!" Und weil die Äbtissin verwirrt und stumm blieb, fügte Celia hinzu: "Vor allem müßt Ihr schweigen und sodann ist das Wichtigste, diese beiden Leichen sogleich von hier weit weg zu bringen, welche unser Verderben bedeuten, unsres und Eures, wenn man sie entdeckt." Die arme Äbtissin seufzte tief und war so verstört, daß sie nicht einmal zu antworten vermochte. Sie hatte nicht mehr Felizia neben sich, denn diese hatte sich klüglich entfernt, nachdem sie die Vorsteherin zu den beiden unglücklichen Nonnen hingeführt hatte, von denen sie unter keinen Umständen erkannt werden wollte. "Meine Töchter, tut alles, was Euch notwendig, alles, was Euch passend erscheint," sagte endlich die unglückliche Äbtissin mit einer Stimme, die vor Schauder über die Lage, in der sie sich befand, ganz gebrochen war. "Ich werde unsre Schande verhehlen, aber wisset, daß die Augen der göttlichen Gerechtigkeit immer offen sind für unsre Sünden." Celia schenkte den Worten der Äbtissin gar keine Aufmerksamkeit. "Wisset Schweigen zu bewahren, Signora, das ist alles, was man von Euch verlangt," wiederholte sie mehrere Male, indem sie sie unterbrach. Dann wandte sie sich an Martona, die Vertraute der Äbtissin, welche eben hinzutrat: "Helft mir, liebe Freundin! Es gilt die Ehre des ganzen Klosters, es gilt die Ehre und das Leben der Äbtissin, denn wenn sie spricht, verdirbt sie nicht nur uns; unsre edlen Familien werden uns nicht ungerächt verkommen lassen." Fabiana schluchzte auf den Knien, an einen Olivenbaum gelehnt, und war außerstande, Celia und Martona zu helfen. "Zieh dich in deine Gemächer zurück", sagte ihr Celia. "Denk vor allem daran, die Blutspuren, die sich vielleicht an deinen Kleidern finden können, verschwinden zu lassen. In einer Stunde werde ich mit dir weinen." Felizia war in Verzweiflung. Obgleich dieses Jahrhundert zu nahe den wahren Gefahren lebte, als daß es sich durch eine übermäßige Zartheit hätte auszeichnen können, vermochte sie sich doch nicht zu verhehlen, daß sie es war, die diese ganze Geschichte angezettelt hatte. Auf dem Dache der Orangerie konnte sie nur schlecht verstehen, was Pierantonio sagte, überdies sah sie, daß die Türe ganz offen stand: sie litt Todesangst, daß Roderigos Unvorsichtigkeit und die unbestimmte Hoffnung auf ein Stelldichein ihn dazu verführen könnten, sich zu zeigen; denn seit er nicht mehr geliebt wurde, war er, trotz all seiner natürlichen Leichtfertigkeit, ein leidenschaftlicher Liebhaber geworden. Die vor Grauen erstarrte Äbtissin war unbeweglich geblieben und widersetzte sich auch den Bitten Felizias, welche sie beschwor, in den Garten hinabzusteigen; aber endlich umschlang Felizia, die durch ihre Gewissensvorwürfe der Tollheit nahe war, mit beiden Armen die Äbtissin, und zwang sie fast mit Gewalt, die sieben oder acht Stufen hinabzusteigen, die von der Dachterrasse der Orangerie in den Garten führten. Felizia beeilte sich, die Äbtissin der Sorge der erstbesten Nonnen, die sie trafen, zu übergeben. Sie eilte zum Tor, zitternd vor Furcht, dort Roderigo zu treffen[1]; sie fand nichts, als das blöde Gesicht der endlich durch so viel Lärm aus tiefer Betrunkenheit erwachten Schildwache, welche, die Flinte in der Hand, diese schwarzen Figuren betrachtete, die sich im Garten bewegten. Felizias Absicht war, die Türe zu schließen, aber sie bemerkte, daß der Soldat sie starr anblickte. 'Wenn ich das Tor schließe,' sagte sie sich, beschwert von ihren Gedanken und fast verletzt davon, daß sie sonst niemand sah, 'wird er sich an mein Gesicht erinnern und wird mich kompromittieren können.' Dieser Gedanke gab ihr Klarheit. Sie glitt in einen dunklen Teil des Gartens zurück, und suchte von dort aus zu sehen, wo Rodelinde war; endlich entdeckte sie sie bleich und halbtot an einen Olivenbaum gelehnt, packte sie an der Hand und alle beide liefen in aller Hast in ihre Gemächer zurück. Celia trug mit Hilfe Martonas zuerst den Leichnam ihres Geliebten und dann den Pierantonios in die Straße der Goldarbeiter, die zehn Minuten Wegs von dem Tor des Gartens entfernt lag. Celia und ihre Gefährtin waren so glücklich, von niemand erkannt zu werden. Durch eine ganz besondere Fügung, ohne die all ihre weise Umsicht vergebens gewesen wäre, hatte sich der Soldat, der Wachposten vor dem Gartentor war, auf einen etwas entfernten Stein gesetzt und schien von neuem zu schlafen. Davon hatte sich Celia zuerst vergewissert, ehe sie es unternahm, die Leichen hinauszuschaffen. Bei der Rückkehr von dem zweiten Gang erschraken aber Celia und ihre Begleiterin heftig. Die Nacht war schon etwas weniger finster geworden, es mochte zwei Uhr des Morgens sein; sie sahen ganz deutlich drei Soldaten vor der Türe des Gartens stehen, und, was noch weit schlimmer war: diese Tür schien geschlossen zu sein. "Das ist die erste Dummheit unsrer Äbtissin", sagte Celia zu Martona. "Sie wird sich erinnert haben, daß die Regel des heiligen Benedikt will, daß die Türe des Gartens verschlossen sei. Wir werden zu unsren Eltern flüchten müssen, und bei der Strenge dieses düstren Fürsten, den wir haben, ist es wohl möglich, daß ich bei dieser Sache das Leben lasse. Du, Martona, bist in nichts schuldig; du hast auf meinen Befehl geholfen, die Leichen fortzubringen, deren Anwesenheit im Garten das Kloster entehren konnte. Knien wir hinter diesen Steinen nieder." Zwei Soldaten kamen an ihnen vorbei und gingen von dem Gartentor in ihre Wachstube zurück. Celia bemerkte zu ihrer Freude, daß sie fast vollständig betrunken waren. Sie unterhielten sich, aber der, welcher auf Wache gewesen war, man konnte ihn an seiner hohen Gestalt leicht erkennen, erzählte seinem Kameraden gar nichts von den Ereignissen dieser Nacht; und tatsächlich sagte er im Prozeß, welcher später geführt wurde, nur aus, daß prächtig gekleidete Bewaffnete sich wenige Schritte von ihm entfernt geschlagen hatten. In der tiefen Dunkelheit hätte er sieben oder acht Mann unterscheiden können; aber er hätte sich wohl gehütet, sich in ihren Streit zu mischen; darauf wären sie alle in den Garten des Klosters eingetreten. Als die beiden Soldaten vorüber waren, näherten sich Celia und ihre Gefährtin der Türe des Gartens und fanden sie zu ihrer großen Freude nur angelehnt. Diese weise Vorsicht war das Werk Felizias. Als sie die Äbtissin verlassen hatte, um nicht von Celia und Fabiana erkannt zu werden, war sie zu der Gartentür gelaufen, die ganz offen stand[2]. Sie hatte tödliche Angst, daß Roderigo, der ihr in diesem Augenblick Abscheu einflößte, die Gelegenheit ausnützen und in den Garten eintreten könnte, um sie zu sehen. Da sie seine Unvorsichtigkeit und Verwegenheit kannte und befürchtete, daß er sie bloßstellen möchte, um sich wegen des Nachlassens ihrer Gefühle, das ihm nicht unbekannt war, zu rächen, hatte sich Felizia bei der Tür am Boden hinter den Bäumen verborgen. Sie hatte alles gehört, was Celia zu der Äbtissin und nachher zu Martona gesagt hatte, und sie war es, welche die Türe des Gartens zugelehnt hatte, als sie wenige Augenblicke, nachdem Celia und Martona den zweiten Leichnam fortgebracht hatten, die Soldaten kommen hörte, die den Wachposten ablösten. Felizia sah, wie Celia die Türe mit ihrem Nachschlüssel wieder schloß und sich darauf entfernte. Dann erst verließ sie den Garten. "Also das ist diese Rache," sagte sie sich, "von der ich mir soviel Vergnügen versprochen hatte." Sie verbrachte den Rest der Nacht mit Rodelinde und versuchten die Ereignisse zu enträtseln, die eine so tragische Wendung herbeigeführt haben mochten. Zum Glück kehrte ihre Kammerfrau schon ganz früh am nächsten Morgen zurück und brachte ihr einen langen Brief Roderigos. Er und Lancelotto hatten sich aus Bravour nicht von bezahlten Mördern helfen lassen wollen, wie es damals in Florenz allgemein üblich war. Nur sie beide hatten Lorenzo und Pierantonio angegriffen. Der Zweikampf hatte sehr lange gedauert, weil Roderigo und Lancelotto, dem erhaltenen Befehl getreu, sich standhaft zurückgehalten hatten, um ihren Gegnern nur leichte Wunden zuzufügen, und sie hatten ihnen wirklich nur Degenstöße gegen die Arme beigebracht und waren vollkommen sicher, daß sie an diesen Wunden nicht sterben konnten. Aber als sie sich gerade zurückziehen wollten, hatten sie zu ihrem großen Erstaunen einen wütenden Raufbold sich auf Pierantonio stürzen gesehen. An den Schreien, die er beim Angriff ausstieß, hatten sie deutlich den Malteserritter Don Cesare erkannt. Als sie sich nun zu dritt gegen zwei noch dazu verwundete Männer sahen, beeilten sie sich, zu fliehen und am nächsten Morgen gab es großes Staunen in Florenz, als man die Leichen dieser beiden jungen Männer entdeckte, welche unter der reichen und eleganten Jugend der Stadt den ersten Rang einnahmen. Dieser Rang bewirkte, daß man von ihrem Ende Notiz nahm, denn unter der lockeren Herrschaft Francesco, auf welchen der strenge Ferdinand gefolgt war, hatte Toskana einer Provinz Spaniens geglichen und man zählte jedes Jahr mehr als hundert Morde in der Stadt. Die Erörterungen, welche die vornehme Gesellschaft bewegten, der Lorenzo und Pierantonio angehört hatten, drehten sich um die Frage, ob sie einander im Zweikampf erschlagen hätten oder als Opfer irgendeiner Rache gefallen seien. Am Morgen nach diesem großen Ereignis war alles im Kloster ruhig. Die große Mehrzahl der Nonnen hatte keine Ahnung von dem, was vorgefallen war. Seit Tagesanbruch und noch bevor die Gärtner kamen, hatte Martona die Erde an den Stellen, wo sie mit Blut befleckt war, umgegraben, um die Spuren von dem, was geschehen war, zu zerstören. Dieses Mädchen, das selbst einen Liebhaber hatte, führte mit viel Intelligenz und besonders ohne irgend etwas der Äbtissin zu sagen die Befehle Celias aus. Die machte ihr ein hübsches Diamantkreuz zum Geschenk. Martona, welche ein sehr einfaches Mädchen war, bedankte sich dafür und sagte: "Es gibt eine Sache, die ich allen Diamanten der Welt vorziehen würde. Seit diese neue Äbtissin ins Kloster gekommen ist, habe ich, obgleich ich mich, um ihre Gunst zu erlangen, zu jedem Dienst erniedrigt habe, niemals von ihr erreichen können, daß sie mir auch nur die kleinste Erleichterung gewährt hätte, um Giuliano R**, der mein Freund ist, zu sehen. Diese Äbtissin wird unser aller Unglück sein. Schließlich sind es schon mehr als vier Monate, seit ich Giuliano gesehen habe, und es wird damit enden, daß er mich vergißt. Die vertraute Freundin der gnädigen Signora Fabiana gehört doch zu den acht Schwestern-Pförtnerinnen; ein Dienst verlangt den andern. Könnte Signora Fabiana nicht eines Tages, wenn sie Wache an der Türe haben wird, mir erlauben, fortzugehen, um Giuliano zu sehen oder ihm erlauben, zu kommen?" "Ich werde mein möglichstes tun," sagte Celia, "aber die große Schwierigkeit, die Fabiana mir einwerfen wird, ist, daß die Äbtissin Eure Abwesenheit bemerken wird. Ihr habt sie zu sehr daran gewöhnt, Euch unaufhörlich in der Nähe zu haben. Versucht, Euch hie und da zu entfernen. Ich bin sicher, wenn Ihr Euch an jede andere angeschlossen hättet als an die Frau Äbtissin, würde es Fabiana gar keine Schwierigkeit machen, Euren Wunsch zu erfüllen." Nicht ohne Plan sprach Celia so. "Du verbringst dein Leben damit, deinen Geliebten zu beweinen", sagte sie zu Fabiana, "und denkst nicht an die entsetzliche Gefahr, die uns droht. Unsere Äbtissin ist so unfähig zu schweigen, daß früher oder später das, was geschehen ist, unsrem strengen Großherzog zur Kenntnis kommen wird. Er hat die Ideen eines Mannes, der fünfundzwanzig Jahre Kardinal war, auf den Thron mitgebracht. Unser Verbrechen ist eins der größten, das man in den Augen der Religion begehen kann; mit einem Wort: das Leben der Äbtissin ist unser Tod." "Was willst du sagen?" fragte Fabiana, sich die Tränen trocknend. "Ich will sagen, daß du von deiner Freundin, Vittoria Ammanati ein wenig von dem berühmten Gift von Perugia erlangen mußt, daß ihre Mutter, die ja selbst von ihrem Gatten vergiftet worden ist, ihr sterbend gab. Ihre Krankheit hatte mehrere Monate gedauert und wenige hatten an Gift geglaubt; genau so wird es bei unsrer Äbtissin sein." "Dein Gedanke entsetzt mich," rief die sanfte Fabiana. "Ich zweifle nicht an deinem Entsetzen, und ich würde es teilen, wenn ich mir nicht sagte: das Leben der Äbtissin ist der Tod Fabianas und Celias. Bedenke doch: sie ist vollkommen unfähig, zu schweigen; ein Wort von ihr genügt, um den Kardinal-Großherzog zu überzeugen, der nichts so verabscheut wie jene Verbrechen, die durch die alte Freiheit, die in unsern armen Klöstern herrschte, verursacht wurden. Deine Cousine steht in nahen Beziehungen zu Martona, die einem Zweig ihrer Familie angehört, der durch den Zusammenbruch von 1584 ruiniert wurde. Martona ist sterblich verliebt in einen schönen Seidenweber, namens Giuliano: es ist notwendig, daß deine Cousine ihr als ein Schlafmittel, geeignet, die unbequeme Aufmerksamkeit der Äbtissin zu beseitigen, dieses Gift aus Perugia gibt, das den Tod in sechs Monaten herbeiführt." Als Graf Buondelmonte wieder Gelegenheit fand, bei Hof zu erscheinen, beglückwünschte ihn Großherzog Ferdinand zu der mustergültigen Ruhe, die in dem Kloster von Sante Riparata herrschte. Dieser Ausspruch des Fürsten veranlaßte den Grafen, sich sein Werk anzusehen. Man kann sich sein Erstaunen vorstellen, als die Äbtissin ihm von dem Doppelmord erzählte, dessen Ende sie mit angesehen hatte. Der Graf merkte wohl, daß die Äbtissin Virgilia ganz unfähig war, ihm die geringste Auskunft über den Grund dieses Doppelverbrechens zu geben. 'Außer Felizia', sagte er sich, 'mit ihrem klaren Kopf, dessen Logik mich vor sechs Monaten bei meinem ersten Besuch so in Verlegenheit brachte, gibt es hier niemand, der mir Aufschluß über die fragliche Angelegenheit geben könnte. Aber wird sie sprechen wollen, eingenommen wie sie ist gegen die Ungerechtigkeit der Gesellschaft und der Familien in der Frage der Nonnen?' Die Ankunft des großherzoglichen Vertreters im Kloster hatte Felizia mit maßloser Freude erfüllt. Endlich sah sie diesen unvergleichlichen Mann wieder, der die einzige Ursache all ihrer Handlungen seit sechs Monaten war! Durch eine entgegengesetzte Wirkung hatte die Ankunft des Grafen Celia und ihre Freundin, die junge Fabiana, in den tiefsten Schrecken versetzt. "Deine Bedenken werden uns zugrunde gerichtet haben," sagte Celia zu Fabiana. "Die Äbtissin ist zu schwach, als daß sie nicht gesprochen haben sollte. Und jetzt ist unser Leben in den Händen des Grafen. Zwei Auswege bleiben uns: die Flucht ergreifen! Aber wovon werden wir leben? Der Geiz unsrer Väter wird den Verdacht des Verbrechens, der über uns schwebt, als Ausflucht benutzen, um uns das Brot zu verweigern. Ehemals, als Toskana nur eine Provinz Spaniens war, konnten sich die unglücklichen verfolgten Toskaner nach Frankreich flüchten. Aber der Großherzog-Kardinal will das spanische Joch abwerfen. Unmöglich für uns, eine Zuflucht zu finden; dahin haben uns deine kindischen Bedenken geführt, meine arme Freundin. Wir werden deshalb nicht weniger genötigt sein, das Verbrechen zu begehen, denn Martona und die Äbtissin sind die einzigen gefährlichen Zeugen dessen, was in jener verhängnisvollen Nacht geschehen ist. Die Tante Rodelindes wird nichts sagen; sie wird nicht die Ehre ihrer Verwandten, die ihr so teuer ist, bloßstellen wollen. Martona, die das angebliche Schlafmittel der Äbtissin verabreicht hat, wird sich wohl hüten, zu sprechen, sobald wir ihr gesagt haben, daß dieses Schlafmittel ein Gift war. Außerdem ist sie ein gutes Mädchen und leidenschaftlich in ihren Giuliano verliebt." Es währte zu lang, wollte man die geistvolle Unterhaltung wiedergeben, die Felizia mit dem Grafen führte. Ihr war immer der Fehler gegenwärtig, den sie begangen hatte, als sie zu schnell in der Angelegenheit der beiden Kammerfrauen nachgab. Die Folge dieses Übermaßes von Gutherzigkeit war, daß der Graf sechs Monate hatte verstreichen lassen, ohne im Kloster zu erscheinen. Felizia gab sich das Versprechen, nicht wieder in den gleichen Irrtum zu verfallen. Der Graf hatte sie mit allergrößter Artigkeit bitten lassen, ihm eine Unterredung im Sprechzimmer zu gewähren. Diese Einladung brachte Felizia außer sich. Es war nötig, daß sie sich erinnerte, was sie ihrer Würde als Frau schuldig sei, um die Unterredung auf den nächsten Tag zu verschieben. Aber als sie in dieses Sprechzimmer eintrat, wo der Graf allein war, fühlte sich Felizia von einer ihr ganz fremden Schüchternheit ergriffen, obwohl sie durch ein Gitter ungeheurer Eisenstäbe von ihm getrennt war. Ihr Erstaunen war außerordentlich; sie bereute den Einfall tief, der ihr einstmals so geschickt und gefällig erschienen war. Wir sprechen von dem Geständnis ihrer Leidenschaft für den Grafen, das sie damals der Äbtissin gemacht hatte, damit diese es dem Grafen wiedererzähle. Damals war sie weit davon entfernt, ihn so zu lieben wie jetzt. Es war ihr vergnüglich erschienen, das Herz des ernsten Vertreters anzugreifen, den der Herzog dem Kloster gegeben hatte. Jetzt waren ihre Gefühle ganz anders. Ihm zu gefallen, war notwendig für ihr Glück; wenn ihr dies nicht gelänge, würde sie unglücklich sein, und wie würde ein so ernster Mann die seltsame Eröffnung aufnehmen, die ihm die Äbtissin machen würde? Es könnte leicht geschehen, daß er sie indezent fände, und dieser Gedanke war eine Marter für Felizia. Es war nötig zu sprechen. Der Graf saß ernst vor ihr und sagte ihr Höflichkeiten über ihren starken Geist. "Hat es ihm die Äbtissin schon erzählt?" Die ganze Aufmerksamkeit der jungen Nonne vereinigte sich auf diese große Frage. Zu ihrem Glück glaubte sie zu erkennen, was in der Tat die Wahrheit war: daß die Äbtissin, vom Anblick der beiden Leichen jener verhängnisvollen Nacht noch ganz entsetzt, eine so nichtige Einzelheit wie die törichte Liebe der jungen Nonne ganz vergessen hatte. Der Graf bemerkte die außerordentliche Verwirrung dieses schönen Mädchens sehr wohl und wußte nicht, wem er sie zuschreiben sollte. 'Wäre sie schuldig?' sagte er sich. Diese Idee beunruhigte ihn, den so Vernünftigen. Dieser Verdacht bewog ihn, den Antworten der jungen Nonne außerordentliche und ernste Aufmerksamkeit zu schenken. Das war eine Ehre, die er schon seit langem nicht den Worten einer Frau erwiesen hatte. Er bewunderte Felizias Geschick. Sie traf die Kunst, in einer für den Grafen schmeichelhaften Weise auf alles zu antworten, was er über den verhängnisvollen Kampf an der Türe des Klosters sagte, aber sie hütete sich wohl, ihm entscheidende Antworten zu geben. Nach einer Unterhaltung, die anderthalb Stunden gewährt hatte, während deren der Graf sich nicht einen Augenblick langweilte, beurlaubte er sich von der jungen Nonne und bat sie mit Wärme, ihm in einigen Tagen noch eine Unterredung zu gewähren. Dies Wort erfüllte Felizias Herz mit himmlischer Seligkeit. Der Graf ging sehr nachdenklich aus der Abtei von Santa Riparata. 'Es wäre ohne Zweifel meine Pflicht,' sagte er sich, 'dem Fürsten von den seltsamen Dingen, die ich erfahren habe, in Kenntnis zu setzen. Der ganze Staat hat sich mit dem Tod dieser beiden bedauernswerten, so reichen und glänzenden jungen Leute beschäftigt. Andrerseits hat uns der Fürst-Kardinal jetzt einen so schrecklichen Bischof gegeben, daß man die ganzen Greuel der spanischen Inquisition auf das unglückliche Kloster hetzen würde, wenn man auch nur ein Wort verlauten ließe von dem, was geschehen ist. Es wäre nicht nur eines dieser armen jungen Mädchen, das dieser fürchterliche Bischof umbringen lassen würde, sondern vielleicht fünf oder sechs; und wer wäre an ihrem Tode schuldig, wenn nicht ich, der nur einen ganz kleinen Vertrauensmißbrauch zu begehen hat, damit nichts geschieht? Wenn der Fürst erfährt, was vorgefallen ist und mir Vorwürfe macht, werde ich ihm sagen: Euer entsetzlicher Bischof hat mir Angst eingeflößt.' Der Graf wagte nicht, sich alle die Gründe, die ihn zum Schweigen brachten, genau einzugestehen. Er war unsicher, ob nicht die schöne Felizia schuldig war, und sein ganzes Wesen wurde von Schreck gepackt bei der Vorstellung, das Leben eines armen, von ihren Eltern und von der Gesellschaft so grausam behandelten jungen Mädchens in Gefahr bringen. 'Sie würde die Zierde von Florenz sein,' sagte er sich, 'wenn man sie verheiratet hätte.' Der Graf hatte die vornehmsten Herrn und die reichsten Kaufleute von Florenz zu einer prächtigen Jagdpartie in den zur Hälfte ihm gehörenden Maremmen von Siena eingeladen. Er entschuldigte sich bei ihnen; die Jagd fand ohne ihn statt, und Felizia war sehr erstaunt, als sie schon am übernächsten Morgen nach ihrer ersten Unterhaltung die Pferde des Grafen im äußeren Klosterhof stampfen hörte. Als der Vertreter des Großherzogs den Entschluß gefaßt hatte, dem Fürsten nichts von dem mitzuteilen, was geschehen war, hatte er gleichwohl gefühlt, daß er die Verpflichtung auf sich nehmen müsse, in Zukunft über die Ruhe des Klosters zu wachen. Nun war es, um das zu erreichen, vor allem zu wissen nötig, welchen Anteil die beiden Nonnen, deren Liebhaber ermordet worden waren, an ihrem Tod gehabt hatten. Nach einer langen Unterredung mit der Äbtissin ließ der Graf acht oder zehn Nonnen rufen, unter denen sich auch Fabiana und Celia befanden. Er fand zu seinem großen Erstaunen, was auch die Äbtissin ihm gesagt hatte, daß acht von diesen Nonnen gar nichts von den Vorgängen jener verhängnisvollen Nacht wußten. Der Graf stellte an keine direkte Fragen, außer an Celia und an Fabiana: sie leugneten, Celia mit der ganzen Festigkeit einer Seele, die über alles Unglück erhaben ist, die junge Fabiana wie ein armes Mädchen in Verzweiflung darüber, daß man es in barbarischer Weise an die Quelle aller seiner Schmerzen erinnert. Sie war entsetzlich abgemagert und hatte das Aussehen einer Schwindsüchtigen; sie konnte sich über den Tod des jungen Lorenzo B** nicht trösten. 'Ich bin es, die ihn getötet hat,' sagte sie Celia in den langen Gesprächen, die sie mit ihr führte; 'ich hätte die Eigenliebe des wilden Don Cesare, seines Vorgängers, besser schonen müssen, als ich mit ihm brach.' Kaum in das Sprechzimmer eingetreten, bemerkte Felizia, daß die Äbtissin die Schwäche gehabt hatte, dem Stellvertreter des Großherzogs von ihrer Liebe zu ihm zu sprechen; die Haltung des gelassenen Buondelmonte war dadurch ganz verändert. Das war zuerst ein Anlaß des Errötens und der Verlegenheit für Felizia. Ohne es zu wollen, war sie entzückend, während der langen Unterredung, die sie mit dem Grafen hatte; aber sie gestand nichts. Die Äbtissin wußte nichts genaues über das, was sie gesehen und allem Anschein nach falsch gesehen hatte. Celia und Fabiana gestanden nichts. Der Graf war sehr verlegen. 'Wenn ich die Kammerfrauen und die Dienerinnen verhöre, heißt das, dem Bischof in dieser Sache Zutritt verschaffen. Sie werden zu ihrem Beichtvater davon sprechen und dann haben wir die Inquisition im Kloster.' Der Graf war sehr beunruhigt und kam alle Tage nach Santa Riparata. Er hatte sich entschlossen, alle Nonnen zu verhören, dann alle Hofkammerfrauen und endlich das ganze Gesinde. Er deckte die Wahrheit über einen vor drei Jahren verübten Kindesmord auf, dessen Anzeige ihm der Offizial des geistlichen Gerichtshofs, dessen Präsident der Bischof war, übermittelt hatte. Doch zu seinem großen Erstaunen sah er, daß die Geschichte der beiden jungen Leute, die sterbend den Garten der Abtei betreten hatten, nur der Äbtissin, Celia, Fabiana, Felizia und ihrer Freundin Rodelinde bekannt war. Die Tante dieser Letzteren wußte sich so gut zu verstellen, daß sie dem Argwohn entschlüpfte. Der Schrecken, den der neue Bischof Monsignore einflößte, war derart groß, daß, mit Ausnahme der Äbtissin und Felizias, die offensichtlich lügenhaften Aussagen aller andren Nonnen immer in den gleichen Worten gegeben wurden. Der Graf hatte zum Schluß jeder seiner Sitzungen im Kloster eine lange Unterhaltung mit Felizia, welche sie glücklich machte; aber um sie zu verlängern, befleißigte sie sich, den Grafen jeden Tag nur einen ganz kleinen Teil von dem mitzuteilen, was sie über den Tod der beiden jungen Edelleute wußte. Im Gegensatz dazu war sie von äußerstem Freimut in den Dingen, die sie persönlich betrafen. Sie hatte drei Liebhaber gehabt; sie erzählte dem Grafen, der fast ihr Freund geworden war, die ganze Geschichte dieser Liebschaften. Die völlige Offenheit dieses schönen und geistvollen Mädchens fesselte den Grafen, dem es nicht schwer fiel, sie mit äußerster Aufrichtigkeit zu beantworten. "Ich kann Euch nicht mit so interessanten Geschichten, wie Eure es sind, erwidern," sagte er Felizia, "und ich weiß nicht, ob ich es wagen soll, Euch zu sagen, daß mir alle Eures Geschlechts, die ich in der Welt getroffen habe, stets mehr Verachtung für ihren Geist, als Bewunderung für ihre Schönheit eingeflößt haben." Die häufigen Besuche des Grafen hatten Celia die Ruhe genommen. Fabiana, mehr und mehr von ihrem Schmerz benommen, hatte aufgehört, den Ratschlägen ihrer Freundin ihre Abwehr entgegenzusetzen. Als die Reihe an sie kam, die Tür des Klosters zu bewachen, öffnete sie, wandte den Kopf, und der junge Seidenweber Giuliano, Martonas Freund, konnte ins Kloster eintreten. Er verbrachte dort volle acht Tage, bis Fabiana von neuem Dienst hatte und die Türe offen lassen konnte. Es scheint, daß Martona gegen Ende des langen Aufenthalts ihres Geliebten, gerührt von Giulianos Klagen, der sich allein in ihrem Zimmer eingeschlossen tödlich langweilte, der Äbtissin, welche sie Tag und Nacht um sich haben wollte, die einschläfernde Essenz verabreichte. Als Giulia, eine sehr fromme junge Nonne, eines Abends durch die großen Schlafräume ging, hörte sie in Martonas Zimmer sprechen. Sie näherte sich leise, blickte durch das Schlüsselloch und sah einen schönen jungen Mann unter Scherzen mit Martona zur Nacht speisen. Giulia tat einige Schläge gegen die Türe; als ihr aber einfiel, daß Martona sehr wohl öffnen, sie mit diesem jungen Mann einschließen und sie, Giulia, der Äbtissin anzeigen könnte, wurde sie von großer Bestürzung erfaßt, denn Martona verbrachte ihr ganzes Leben mit der Äbtissin und man würde ihr gewiß glauben. In ihrer Einbildung sah sie sich schon in diesem einsamen und dunklen Korridor, wo noch keine Lampen angezündet waren, von Martona verfolgt, die sehr viel stärker war als sie selbst. Giulia ergriff ganz bestürzt die Flucht, aber sie hörte noch Martona die Türe öffnen und bildete sich ein, von ihr erkannt worden zu sein; so lief sie zur Äbtissin, um ihr alles zu sagen und diese eilte in furchtbarer Entrüstung auf Martonas Zimmer, wo sie jedoch Giuliano nicht mehr vorfand, der sich in den Garten geflüchtet hatte. Aber in der gleichen Nacht, da die Äbtissin aus Vorsicht und im Interesse von Martonas Ruf, diese zu sich nahm und ihr ankündigte, daß sie, damit die Bosheit nicht wieder einen Mann dahinter vermuten könne, am nächsten Morgen in Begleitung des Beichtvaters, an die Türe ihrer Zelle Siegel anlegen werde, mischte Martona, die in diesem Augenblick damit beschäftig war, der Äbtissin das aus einer Schokolade bestehende Nachtmahl, zu bereiten, eine ungeheure Menge des vorgeblichen Schlafpulvers hinein. Am nächsten Morgen befand sich die Äbtissin Virgilia in einem so seltsamen Zustand nervöser Erregung und fand, als sie in den Spiegel sah, ihr Gesicht so verändert, daß sie dachte, sie würde sterben. Die erste Wirkung des Giftes von Perugia ist, daß es die Personen, die davon genossen, fast verrückt macht. Virgilia erinnerte sich, daß eines der Vorrechte der Äbtissinnen des adligen Klosters von Santa Riparata war, in ihren letzten Augenblicken den Beistand Seiner bischöflichen Gnaden zu genießen. Sie schrieb dem Prälaten, der bald im Kloster erschien. Sie erzählte ihm nicht nur von ihrer Krankheit, sondern auch von der Geschichte der beiden Leichen. Der Bischof tadelte streng, daß sie ihm von einem so eigentümlichen und so verbrecherischen Vorfall nicht Kenntnis gegeben habe. Die Äbtissin antwortete, daß der Stellvertreter des Herzogs, der Graf Buondelmonte, ihr nachdrücklich geraten hätte, den Skandal zu vermeiden. "Und wie kann dieser Weltliche die Kühnheit haben, die genaue Erfüllung Eurer Pflichten Skandal zu nennen?" Als sie den Bischof im Kloster erscheinen sah, sagte Celia zu Fabiana: "Wir sind verloren. Dieser fanatische Prälat, der um jeden Preis die Reform des Konzils von Trient in den Klostern seiner Diözese einführen will, wird sich ganz anders zu uns verhalten, als der Graf Buondelmonte." Fabiana warf sich weinend in Celias Arme: "Der Tod macht mir nichts, aber ich werde doppelt verzweifelt sterben, weil ich dich ins Verderben gestürzt habe, ohne damit das Leben dieser unglücklichen Äbtissin zu retten." Sogleich begab sich Fabiana in die Zelle der Nonne, welche an diesem Abend die Torwache hatte. Ohne sich auf die Einzelheiten einzulassen, sagte sie ihr, daß es Ehre und Leben Martonas zu retten gelte, welche die Unvorsichtigkeit begangen habe, einen Mann in ihrer Zelle zu empfangen. Nach vielen Schwierigkeiten willigte die Nonne ein, etwas nach elf Uhr abends die Tür offen zu lassen und sich einen Augenblick zu entfernen. Während dieser Zeit hatte Celia Martona sagen lassen, sie möge sich in den Chor begeben. Das war ein Saal wie eine zweite Kirche, die nur durch ein Gitter von der dem Volke zugänglichen getrennt war; sie hatte mehr als vierzig Fuß Höhe. Martona hatte sich in der Mitte des Chors niedergekniet, so daß niemand hören konnte, wenn sie leise sprach. Celia begab sich an ihre Seite. "Hier" -- sagte sie ihr -- "ist eine Börse, die alles Geld enthält, das Fabiana und ich finden konnten. Heute abend oder morgen abend werde ich es ermöglichen, daß die Türe des Klosters einen Augenblick offen bleibt. Laß Giuliano entschlüpfen und du rette dich bald danach. Sei gewiß, daß die Äbtissin dem schrecklichen Bischof alles gesagt hat und daß sein Gerichtshof dich ohne Zweifel zu fünfzehn Jahren Kerker oder zum Tode verurteilen wird." Martona machte eine Bewegung, um sich Celia zu Füßen zu werfen. "Was tust du, Unvorsichtige?" rief diese, und es gelang ihr, die Bewegung aufzuhalten. "Bedenke, daß man Giuliano und dich in jedem Augenblick verhaften kann. Halte dich von jetzt an, bis zum Augenblick deiner Flucht, so versteckt wie möglich, und gib vor allem acht auf die Personen, die in das Sprechzimmer der Frau Äbtissin eintreten." Als der Graf am nächsten Morgen im Kloster eintraf, fand er vieles verändert vor. Martona, die Vertraute der Äbtissin war während der Nacht verschwunden; die Äbtissin war so geschwächt, daß sie genötigt war, sich in einem Lehnstuhl ins Sprechzimmer tragen zu lassen, um den Vikar des Fürsten zu empfangen. Sie gestand ihm, daß sie dem Bischof alles gesagt habe. "In diesem Fall werden wir Blut oder Gift haben", rief dieser aus. Die erste Sorge des Vertreters des Fürsten war, das Wohl der jungen Felizia zu sichern. Graf Buondelmonte, der menschlich fühlte, konnte den Gedanken nicht ertragen, daß dieses schöne junge, ihm so zärtlich gesinnte Mädchen verdammt sein sollte, keinen andern Gemahl als einen verpesteten Kerker zu haben oder sogar Gift zu trinken. 'Wie schade wäre es,' dachte er sich, 'wenn Felizia wegen der gefährlichen Einfalt unsrer Äbtissin und wegen des Fanatismus dieses schrecklichen Bischofs ein Leben verlieren müßte, welches das Glück eines rechtschaffenen Mannes ausmachen könnte! Man muß um jeden Preis ein so gräßliches Los zu verhindern trachten.' Und er sann nach, wie er sie unter irgendeiner Verkleidung entfliehen lassen könnte. Da erinnerte er sich an eine Einzelheit: die Nonnen des Klosters trugen unter ihrem Schleier ein Kleid aus grüner Seide, welches eng anliegend am Körper und gerade nur unter die Knie reichend, wenig von dem glänzenden Kostüm der Waffenherolde abwich, die bei den großen Zeremonien vor dem Fürsten einherschritten. 'Es wird genügen,' sagte sich der Graf, 'daß Felizia ihren Schleier über dem Kopf zusammenrafft und ihn wie ein Barett faltet; wenn sie dann ihr langes fließendes Gewand wie einen Mantel um die Schultern wirft, wird sie ganz das Ansehen eines großherzoglichen Herolds haben. Man hat mir erzählt, daß eine Nonne in solcher Verkleidung ausging, um ihren Geliebten zu besuchen. Felizia wird ebenfalls keine Schwierigkeit haben, besonders weil sie von mir begleitet ist und die Wache wird ihr die Ehrenbezeugung erweisen.' Er ließ sofort Felizia rufen und teilte ihr seinen Plan mit. Sie antwortete ihm, daß sie ihr Leben in seine Hände gäbe: "Wisset," sagte sie, "daß es weniger Glück für mich ist, es zu behalten, als es Euch zu verdanken und zu wissen, daß Ihr Euch die Mühe genommen habt, für mich zu sorgen." Ein feuriger Blick, der diese Worte begleitete, verriet die Gefühle dieses leidenschaftlichen Mädchens. Es war nicht Zeit für langes Reden. Felizia beeilte sich, den Anweisungen des Grafen zu folgen, und als sie passend verkleidet war, begab sie sich auf dem gleichen Weg zur Terrasse der Orangerie, wie in der Nacht, als Lorenzo und Pierantonio getötet wurden. Sie stieg in den Garten, wohin der Graf ihr vorausgegangen war und fand ihn nahe der Tür, die auf die weite Ebene hinter den Stadtmauern führte. Man hatte grade die Wache abgelöst und dieser Umstand begünstigte noch die Flucht, denn die vorige Wache hätte sich wundern können, einen Waffenherold, den sie nicht eingelassen hatte, aus dem Kloster fortgehen zu sehn. Der Graf und Felizia befanden sich in der Straße der Goldarbeiter, dort führte er sie zu einem Mann, der ihm sehr ergeben war, weil er ihn einstens vor den Galeeren gerettet hatte. Sie wechselte ihre Kleider, nahm die der Tochter ihres Wirts und ritt gegen Mitternacht, von zwei Dienern des Grafen begleitet, zu einem seiner Pächter, der sie bis an die Grenzen Bolognas begleiten sollte, wo die Buondelmonte Freunde hatten. Dort befand sie sich endlich in Sicherheit. Dann bemühte sich Graf Buondelonte[sic! statt: Buondelmonte], auch die sanfte Rodelinde zu retten, und es fiel ihm nicht zu schwer, weil er sich Celias Nachschlüssel bedienen konnte, die man ihr weggenommen hatte. Schon am nächsten Morgen kehrte der Bischof ins Kloster zurück und führte, wie der Graf vorher geahnt hatte, die ganzen Schrecken der Inquisition mit sich. Er leitete den Prozeß gegen die Nonnen in den strengsten Formen ein. Dieses Verfahren dauerte nicht lange und der Prälat lud die schuldigen Schwestern in dem Saal vor sich, wo gewöhnlich die Wahl der Äbtissin stattfand. Der Spruch wurde verkündet: Celia und Fabiana wurden verurteilt, durch Gift zu sterben; andre, der Nonnenkleider verlustig zu gehen und bis ans Ende ihrer Tage in ein Gefängnis geworfen zu werden, und die endlich, die am wenigsten schuldig gefunden wurden, sollten eine Gefangenschaft von zehn Jahren erdulden. Kaum war diese Vorlesung beendet, als eine der zu lebenslänglichem Kerker verurteilten Nonnen zum Fenster lief, es öffnete und sich in den Garten stürzte; eine andre durchstieß sich die Brust mit einem Dolch. Schreckliche Schreie ertönten und verbreiteten Entsetzen im ganzen Kloster. Der Bischof hatte sich zurückgezogen, als die Ruhe wiederhergestellt war, und der Geistliche, dem er seine Macht übertragen hatte, schritt an den schmerzlichsten Teil seiner Aufgabe, jenen, der Celia und Fabiana betraf. Er machte ihnen in rauhester Weise Vorstellungen über den Ernst der Unruhen, die sie veranlaßt hatten und schloß, indem er ihnen sagte, sie müßten dieses Leben verlassen, um den Zorn des Himmels zu besänftigen. "Aber", fügte er hinzu, "Eure Vorgesetzten und Eure Richter, welche den Adel Eurer Familien und die Würde dieses Orts in Betracht gezogen haben, wollten Euch von der vollen Strenge der geistlichen Diszipin[sic! statt: Disziplin] befreien und Euch die Schande eines öffentlichen Urteilsvollzugs ersparen; sie haben also, nach den Grundsätzen der Barmherzigkeit Jesu Christi, beschlossen, Euch Eure Tage in der Umfassung dieses geweihten Orts beenden zu lassen -- und durch den Schierlingstrank." Während dieser Rede sah ihn Celia starr mit verächtlicher Ruhe an. Als er aufgehört hatte, zu sprechen, fragte sie ihn kurz, wo der Giftbecher sei. "Priester eines Gottes der Barmherzigkeit," antwortete er, "habe ich nur das Urteil über die Schuldigen zu sprechen: die Ausführung ist den Laienbrüdern anvertraut, wendet Euch an diese." Ein Leibwächter des Geistlichen brachte zwei mit diesem Gift gefüllte Becher, er reichte sie Celia, die einen davon nahm und zu Fabiana sagte: "Bringen wir diese Todesblume diesem Hanswurst der Seelen" -- und sie schlang es hinunter bis auf den letzten Tropfen. Die schwächere Fabiana gab sich Tränen und Klagen hin; Celia machte ihr Vorwürfe über ihre Anhänglichkeit an ein so unglückliches Leben und über ihre Feigheit, die, wie sie sagte, der dieser Männer gleichkam, die sich nicht schämten, von aller Welt verlassene Frauen zu ermorden."[sic! überzähliges Anführungszeichen] Endlich trocknete Fabiana ihre Tränen, faßte sich wie im Augenblick einer großen Krise und würgte das Gebräu hinunter; es Tropfen für Tropfen schlürfend. Indessen trugen Livia und eine andre Dienerin den leblosen Körper der Nonne vom Garten herein, die sich aus dem Fenster gestürzt hatte. Als Celia sie bemerkte, entschlüpften ihr die Worte: "Wie ist sie glücklich, nicht mehr zu leben!" Dann sprach sie den beiden Dienerinnen ihren Dank für die Ergebenheit aus, die sie ihr gezeigt hatten; sie gab Livia einen Diamantring, den sie am Finger trug, zum Geschenk, und forderte sie auf, den Erlös mit ihrer Gefährtin zu teilen. Das Gift begann auf seine Opfer zu wirken: Fabiana wälzte sich auf der Erde in den Ängsten des Todes; Celia bemerkte, daß der Delegat des Bischofs und seine Leute fühllose Zeugen dieses Schauspiels blieben: "Geht fort!" rief sie aus, "laßt uns fern von Euren Augen sterben! Gerechter Gott, verlängert nicht unsre Marter!" Endlich wurde ihre Natur durch den Schmerz besiegt, und auch sie konnte sich nicht mehr aufrecht halten und fiel zu Boden. In den Krämpfen ihrer Agonie löste sich ihr reiches schwarzes Haar und fiel ihr über Schultern und Brust, welche durch ihre wilden Bewegungen entblößt waren. Alle, sogar der Delegat, waren von Mitleid ergriffen, vielleicht auch von Bedauern, an der Vernichtung eines so vollkommenen Wesens Teil gehabt zu haben; sie konnten den Anblick nicht länger ertragen und gingen in einen Nebenraum. "Nie vielleicht", sagte der Bevollmächtigte des Bischofs, "gab es eine unbeugsamere Seele in einer schöneren Hülle. Wie schade!" Mittlerweile war Felizia in Bologna in aller Sicherheit untergebracht worden. Graf Buondelmonte säumte nicht, ihre seine Tröstungen zu bringen und man sagt, daß dieser Herr in der Folge die Reise von Florenz nach Bologna häufig unternahm. VITTORIA ACCORAMBONI ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL Für mich wie für den Leser bedaure ich, daß dies kein Roman, sondern die treue Übersetzung eines sehr traurigen Berichtes ist, der im Dezember 1585 in Padua aufgeschrieben worden ist. Ich befand mich vor einigen Jahren in Mantua, um Skizzen und kleine Bilder zu suchen, die im Einklang mit meinem beschränkten Vermögen stünden; ich suchte Maler, die vor dem Jahre 1600 gearbeitet hatten, denn etwa um diese Zeit ist die italienische Originalität vollends ausgestorben, die schon durch die Besetzung von Florenz im Jahre 1530 sehr gelitten hatte. An Stelle von Gemälden bot mir ein alter, sehr reicher und geiziger Patrizier alte, von der Zeit vergilbte Manuskripte sehr teuer zum Kauf an; ich bat um die Erlaubnis, sie durchfliegen zu dürfen; er stimmte bei und fügte hinzu, er rechne darin auf meine Anständigkeit, daß ich mich an die pikanten Anekdoten, die ich lesen sollte, nicht erinnern würde, wenn ich die Manuskripte nicht kaufte. Unter dieser Bedingung, die mir paßte, habe ich sehr zum Schaden meiner Augen an dreihundert oder vierhundert Bände durchflogen, worin vor zwei oder drei Jahrhunderten Erzählungen von tragischen Abenteuern angehäuft worden sind, von Herausforderungsschreiben zu Zweikämpfen, Friedensverträgen zwischen vornehmen Nachbarn, Aufzeichnungen über Dinge aller Art usf. Der alte Eigentümer forderte für diese Manuskripte einen ungeheuren Preis. Nach langem Unterreden erwarb ich gegen eine sehr große Summe das Recht, gewisse kleine Geschichten, die mir gefielen und die Lebensgewohnheiten Italiens um 1500 zeigten, zu kopieren. Ich besitze zweiundzwanzig Foliobände davon, und was der Leser hier lesen wird, wenn er überhaupt Geduld dazu hat, ist eine dieser getreu übersetzten Geschichten. Ich kenne die Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts in Italien, und ich glaube, daß das Folgende vollkommen wahr ist. Ich habe mir Mühe gegeben, damit die Übersetzung dieses ernsten, geraden, düsteren, altitalienischen Stils, der voll Anspielungen auf Dinge und Vorstellungen ist, welche die Welt unter dem Pontifikat Sixtus V. beschäftigt haben, nicht etwa die moderne schöne Literatur widerspiegelt und die Ideen unseres vorurteilslosen Jahrhunderts. Der unbekannte Autor des Manuskripts ist eine vorsichtige Persönlichkeit; er beurteilt niemals eine Tatsache, er bereitet nie auf sie vor, sein einziges Bestreben ist, wahrheitsgemäß zu berichten. Wenn er dabei bisweilen, ihm unbewußt, malerisch wird, kommt das daher, daß im Jahre 1585 noch nicht alle Handlungen der Menschen von einer Eitelkeitsaureole verschleiert waren; man glaubte damals, nur dann auf den Nachbar wirken zu können, wenn man sich mit größter Klarheit ausdrückte. Um 1585 dachte außer den Hofnarren oder den Poeten niemand daran, liebenswürdige Redewendungen zu gebrauchen. Man sagte noch nicht im Augenblick, wo man Postpferde holen ließ, um die Flucht zu ergreifen: ich werde zu Füßen Eurer Majestät sterben; dies war vielleicht die einzige Art von Verrat, die nicht üblich war. Man sprach wenig und jeder hörte mit äußerster Aufmerksamkeit auf das, was ihm gesagt wurde. Also, gütiger Leser, suche hier nicht eine beziehungsreiche, leichte Schreibweise, die von frischen Anspielungen auf die Art des modernen Empfindens glänzt, erwarte nicht etwa die spannenden Erregungen eines Romans der George Sand; diese große Schriftstellerin hätte ein Meisterwerk aus dem Leben und dem Unglück der Vittoria Accoramboni gemacht. Die wahrheitsgetreue Erzählung, die ich darbiete, kann nur die bescheidenen Vorzüge der Historie haben. Wenn man aber zufällig bei einbrechender Nacht allein im Postwagen sitzt und sich anschickt, über die große Kunst der Ergründung des menschlichen Herzens nachzudenken, wird man die Begebenheiten dieser Erzählung als Grundlage seiner Beurteilung annehmen können. Der Verfasser sagt alles, erklärt alles, überläßt nichts der Einbildungskraft des Lesers; er schrieb die Geschichte zwölf Tage nach dem Tod der Heldin. * * * * * Vittoria Accoramboni stammte aus altadeligem Geschlecht einer kleinen Stadt des Herzogtums Urbino, die Agubio heißt. Schon von Kindheit an fiel sie allen durch ihre seltene, ungewöhnliche Schönheit auf. Aber diese Schönheit war ihr geringster Reiz. Nichts fehlte ihr, was ein Mädchen von vornehmer Geburt bewundernswert macht, aber nichts war so bemerkenswert, ja, man kann sagen: keine unter so vielen außerordentlichen Eigenschaften grenzte so ans Wunderbare, wie eine ganz eigne reizende Anmut, welche ihr beim ersten Anblick Herz und Willen eines jeden gewann. Und diese Natürlichkeit, die dem geringsten ihrer Worte Macht verlieh, war nicht durch den leisesten Anflug von Künstelei getrübt; von Anfang an faßte man Zutrauen zu dem vornehmen Mädchen, dem eine so ungewöhnliche Schönheit verliehen war. Mit äußerster Kraftanstrengung hätte man diesem Zauber vielleicht widerstehen können, solange man sie nur gesehen hätte; aber wenn man sie sprechen hörte und besonders, wenn man in eine Unterhaltung mit ihr geriet, war es ganz unmöglich, sich einen[sic! statt: einem] so ungewöhnlichen Reiz zu entziehen. Viele junge Kavaliere aus Rom, wo ihr Vater wohnte und man seinen Palast noch heute auf der Piazza Rusticucci nahe Sankt Peter sehen kann, warben um ihre Hand. Es gab viel Eifersucht und Nebenbuhlerschaft; aber schließlich gaben Vittorias Eltern Felice Peretti den Vorzug, dem Neffen des Kardinals Montalto, der später der glücklich herrschende Papst Sixtus V. geworden ist. Felice war der Sohn Camilla Perettis, einer Schwester des Kardinals und hieß früher Francesco Mignucci. Er nahm den Namen Felice Peretti erst an, als er von seinem Oheim in aller Form adoptiert wurde. Als Vittoria in das Haus Peretti einzog, brachte sie, ohne daran zu denken, jenes Überstrahlende mit, das man schicksalhaft nennen kann; so daß man sagen möchte: um sie nicht anbeten zu müssen, dürfte man sie nie gesehen haben. Die Liebe, die ihr Mann für sie fühlte, ging bis zum Wahnsinn; ihre Schwiegermutter und der Kardinal Montalto selbst schienen auf Erden keine andre Beschäftigung zu haben, als die Wünsche Vittorias zu erraten, um sie sogleich zu erfüllen. Ganz Rom staunte, wie dieser Kardinal, der ebenso durch die Geringfügigkeit seines Vermögens, wie durch seinen Abscheu vor jedem Luxus bekannt war, jetzt ständig Freude daran fand, allen Wünschen Vittorias zuvorzukommen. Jung, im Glanz ihrer Schönheit und von allen angebetet, unterließ sie es nicht, bisweilen recht kostspielige Einfälle zu haben. Vittoria empfing von ihren neuen Verwandten die kostbarsten Schmucksachen, Perlen und überhaupt alles, was bei den Goldarbeitern Roms, die damals sehr gut versorgt waren, als Seltenheit galt. Aus Liebe zu dieser liebenswürdigen Nichte behandelte der wegen seiner Strenge so bekannte Kardinal Montalto die Brüder Vittorias, als ob sie seine eignen Neffen wären. Ottavio Accoramboni wurde, kaum dreißig Jahr alt, durch die Vermittlung des Kardinals Montalto vom Herzog von Urbino zum Bischof von Fossombrone vorgeschlagen und vom Papst Gregor XIII. dazu ernannt; Marcello Accoramboni, ein Jüngling von ungestümem Mut, mehrerer Verbrechen angeklagt und eifrig von der Corte verfolgt, war mit größter Mühe den Verfolgungen entgangen, die leicht zu seinem Tode hätte führen können. Durch die Protektion des Kardinals gestützt, konnte er eine gewisse Ruhe wieder erlangen. Ein dritter Bruder Vittorias, Giulio Accoramboni, wurde vom Kardinal Alessandro Sforza zu den ersten Ehrenposten seines Hofs zugelassen, kaum, daß der Kardinal darum ersucht hatte. Mit einem Wort, wenn die Menschen ihr Glück nicht an der unendlichen Unersättlichkeit ihrer Wünsche messen würden, sondern am wirklichen Genusse aller Vorteile, die sie schon besitzen, so hätte den Accoramboni die Heirat Vittorias mit dem Neffen des Kardinals Montalto als Gipfel menschlicher Glückseligkeit erscheinen müssen. Aber dies unsinnige Verlangen nach unermeßlichen und unvorstellbaren Vorteilen treibt selbst Menschen, die auf der Höhe des Glücks stehen, in seltsame und gefährliche Bahnen. Es ist wohl wahr: wenn irgendeiner der Verwandten Vittorias, in dem Wunsch, zu größerem Reichtum zu gelangen, dazu beigetragen hätte, sie von ihrem Gatten zu befreien, -- wie ja in Rom vielfach Verdacht gehegt wurde --, so hätte er bald nachher erkennen müssen, wieviel weiser es gewesen wäre, sich mit den mäßigen Vorteilen eines angenehmen Glücks zu begnügen, welches ja so bald danach zu all dem aufgestiegen wäre, was menschlicher Ehrgeiz nur wünschen kann. Während nun Vittoria gleich einer Königin in ihrem Hause lebte, wurde Felice Peretti eines Abends, gerade als er mit seiner Frau zu Bett gegangen war, ein Brief durch eine gewisse Caterina zugestellt, die aus Bologna stammte und Vittorias Kammerfrau war. Dieser Brief war von einem Bruder Caterinas, Domenico d'Aquaviva, mit dem Spitznamen il Mancino, der Linkshändige, überbracht worden. Dieser Mann war wegen verschiedener Verbrechen aus Rom verbannt, aber auf Bitten Caterinas hatte ihm Felice die mächtige Protektion seines Oheims des Kardinals verschafft, und der Mancino kam oft in Felices Haus, der großes Vertrauen in ihn setzte. Der Brief, von dem wir sprechen, war im Namen Marcello Accorambonis geschrieben, welcher von allen Brüdern Vittorias Felice am liebsten war. Er lebte gewöhnlich versteckt außerhalb Roms, aber trotzdem wagte er sich manchmal in die Stadt und fand dann eine Zuflucht in Felices Haus. In dem zu so ungewöhnlicher Stunde zugestellten Brief rief Marcello seinen Schwager Felice Peretti um Beistand an, er beschwor ihn, ihm zu Hilfe zu kommen und fügte hinzu, daß er ihn in einer Angelegenheit von großer Dringlichkeit beim Palazzo Montecavallo erwarte. Felice teilte seiner Frau von dem seltsamen Brief mit, den er erhalten hatte; dann kleidete er sich an und nahm keine andre Waffe als sein Schwert. Von einem einzigen Diener begleitet, der eine brennende Fackel trug, war er schon im Fortgehen, als er seine Mutter Camilla und alle Frauen des Hauses, auch Vittoria unter ihnen, auf seinem Weg fand; alle baten ihn inständigst, nicht zu dieser vorgerückten Stunde fortzugehen. Da er ihren Bitten nicht nachgab, fielen sie auf die Knie und beschworen ihn weinend, auf sie zu hören. Die Frauen, und besonders Camilla, waren durch die Erzählung seltsamer Dinge in Schrecken gesetzt, die sich alle Tage ereigneten und in dieser Zeit des Pontifikats Gregors XIII., die voller Unruhen und unerhörter Attentate war, ungestraft blieben. Noch ein Gedanke beunruhigte sie: Wenn Marcello Accoramboni es wagte, nach Rom zu kommen, war es nicht seine Gewohnheit, Felice rufen zu lassen, und gar zu solcher nächtlicher Stunde schien ihnen ein derartiger Schritt gegen jeden Anstand zu sein. In dem vollen Feuer seiner Jugend wollte Felice nicht auf diese ängstlichen Vernunftgründe hören; als er noch dazu erfuhr, daß der Brief vom Mancino gebracht worden war, den er sehr gern hatte und dem er Gutes erwiesen hatte, konnte ihn nichts halten, und er verließ das Haus. Ihm voraus ging, wie schon gesagt wurde, ein einziger Diener mit einer brennenden Fackel. Aber der arme junge Felice hatte kaum einige Schritte des Aufstiegs zum Monte Cavallo gemacht, als er von drei Flintenschüssen getroffen zusammenbrach. Als die Mörder ihn auf der Erde sahen, warfen sie sich auf ihn und durchbohrten ihn nach Gefallen mit Dolchstichen, bis er ihnen völlig tot zu sein schien. Augenblicklich wurde diese verhängnisvolle Nachricht zu Felices Mutter und Frau gebracht, und durch diese gelangte sie zu seinem Oheim, dem Kardinal. Der Kardinal ließ sich, ohne eine Miene zu verändern, ohne die kleinste Bewegung zu verraten, sofort wieder ankleiden, dann empfahl er sich selbst und diese arme, so unvorbereitet dahingeraffte Seele seinem Gott. Er begab sich zu seiner Nichte und durch eine das tiefste Gleichgewicht zeigende Miene und bewundernswerte Würde wußte er dem Klagen und Weinen der Frauen, das im ganzen Haus zu widerhallen begann, etwas Einhalt zu tun. Seine Macht über diese Frauen war von solcher Wirksamkeit, daß man von diesem Augenblick an, und selbst, als der Leichnam aus dem Hause getragen wurde, nichts hörte noch sah, was im geringsten von dem abgewichen wäre, was in den korrektesten Familien bei einem längst vorhergesehenen Todesfall stattfindet. Was den Kardinal Montalto selbst betrifft, konnte niemand an ihm die geringsten Zeichen auch nur des einfachsten Schmerzes wahrnehmen; nichts wurde in der Ordnung und äußeren Erscheinung seines Lebens verändert. Rom hatte sich bald davon überzeugt; jenes Rom, welches mit seiner gewohnten Neugier die geringsten Bewegungen eines so tief verletzten Mannes beobachtete. Zufällig wurde gerade am Tage nach der Ermordung Felices das Konsistorium der Kardinäle im Vatikan zusammengerufen. Es gab keinen in der ganzen Stadt, der nicht glaubte, wenigstens an diesem ersten Tage würde sich Kardinal Montalto diesem öffentlichen Auftreten entziehen. Wo er gerade vor den Augen so vieler und so neugieriger Zeugen erscheinen sollte! Man würde die leisesten Regungen der natürlichen Schwachheit beobachten können, während es doch für eine Persönlichkeit, die von einem hervorragenden Posten aus nach einem noch höheren strebt, angemessener wäre, sie zu verheimlichen. Denn jedermann wird zugeben, daß es nicht passend ist, wenn der, dessen Ehrgeiz es ist, sich über alle anderen zu erheben, ebenso menschlich zeigt wie alle andren. Aber die solche Gedanken hatten, täuschten sich doppelt; denn erstens erschien der Kardinal seiner Gewohnheit gemäß als einer der ersten im Saal des Konsistoriums und sodann war es auch den Scharfsichtigsten unmöglich, irgendein Zeichen menschlicher Empfindlichkeit an ihm zu entdecken. Im Gegenteil setzte er jedermann durch seine Antworten in Erstaunen, als einige seiner Kollegen aus Anlaß eines so grausamen Ereignisses versuchten, ihm einige tröstende Worte zu sagen. Die Standhaftigkeit und die augenscheinliche Ruhe seiner Seele inmitten eines so fürchterlichen Unglücks wurden bald zum Gespräch der Stadt. Es ist wohl wahr, daß einige Männer in diesem Konsistorium, die mehr Erfahrung in höfischer Art hatten, diese scheinbare Unempfindlichkeit nicht einem Mangel an Gefühl, sondern einer großen Verstellungsgabe zuschrieben, und diese Auffassung wurde bald nachher von den meisten Angehörigen des Hofes geteilt; denn es war nutzbringend, sich von einer Beleidigung nicht zu tief verletzt zu zeigen, deren Urheber zweifellos hochgestellt war, und später vielleicht den Weg zur allerhöchsten Würde verhindern könnte. Was immer auch die Ursache dieser augenscheinlich vollständigen Unempfindlichkeit sein mochte, war es doch sicher, daß sie ganz Rom und den Hof Gregors XIII. mit einer gewissen Bestürzung erfüllte. Aber, um auf das Konsistorium zurückzukommen: als alle Kardinäle versammelt waren und der Papst selbst in den Saal trat, wandte er sogleich die Augen zum Kardinal Montalto, und man sah Seine Heiligkeit Tränen vergießen; was den Kardinal betrifft, so verloren seine Züge nicht ihre gewohnte Unbeweglichkeit. Das Staunen verdoppelte sich, als im gleichen Konsistorium die Reihe an den Kardinal Montalto kam, sich vor dem Thron Seiner Heiligkeit niederzuknien, um über die Angelegenheiten, mit denen er betraut war, Bericht abzulegen, und der Papst, bevor er ihm zu beginnen gestattete, nicht sein Schluchzen zurückhalten konnte. Als Seine Heiligkeit wieder fähig war, zu sprechen, suchte sie den Kardinal zu trösten und versprach ihm dabei, daß dieses ungeheuerliche Attentat streng und schnell gesühnt werden solle. Aber nachdem der Kardinal Seiner Heiligkeit demütigst gedankt hatte, bat er ihn inständigst, keine Nachforschungen über das, was geschehen war, anzubefehlen, da er, was ihn beträfe, aus vollem Herzen dem Urheber verzeihe, wer es auch sein möge. Und unmittelbar nach dieser in sehr wenigen Worten vorgetragenen Bitte, ging der Kardinal zu den einzelnen Angelegenheiten über, mit denen er betraut war; als ob nichts Außergewöhnliches geschehen wäre. Die Blicke aller beim Konsistorium anwesenden Kardinäle waren auf den Papst und auf Montalto geheftet, und obgleich es sicher sehr schwer sein mag, das geübte Auge eines Hofmanns irrezuführen, wagte doch niemand zu behaupten, daß die Miene des Kardinals Montalto die leiseste Bewegung verraten habe, als er die Tränen Seiner Heiligkeit so aus der Nähe sah, die -- um die Wahrheit zu sagen -- wirklich ganz außer sich geraten war. Diese erstaunliche Fühllosigkeit des Kardinals Montalto verleugnete sich auch nicht während der ganzen Zeit, die er mit Seiner Heiligkeit zu arbeiten hatte. Es ging so weit, daß der Papst selbst dadurch betroffen wurde und nach Schluß des Konsistoriums nicht umhin konnte, dem Kardinal von San Sisto, seinem Lieblingsneffen, zu sagen: Veramente costui è un gran frate! Wahrlich, der ist ein großer Mönch! Das Benehmen des Kardinals Montalto war auch während aller folgenden Tage völlig gleichmäßig. Wie es Sitte war, empfing er die Beileidsbesuche der Kardinäle, der Prälaten und der römischen Fürsten, und keinem gegenüber, in welchen Beziehungen er auch zu ihm stehen mochte, ließ er sich zu irgendeiner Äußerung des Schmerzes oder der Klage hinreißen. Nach einer kurzen Darlegung über die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge, die er mit Sentenzen und Zitaten aus der Heiligen Schrift oder den Kirchenvätern belegte, wechselte er kurz das Gespräch und kam auf die Neuigkeiten der Stadt oder auf persönliche Angelegenheiten dessen zu sprechen, mit dem er sich unterhielt, genau, als ob er seinen Trostspender hätte trösten wollen. Rom war besonders neugierig, was während des Besuchs geschehen würde, den ihm Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano, abstatten mußte, welchem das Gerücht den Tod von Felice Peretti zuschrieb. Das Volk dachte, daß Kardinal Montalto nicht so in der Nähe des Fürsten sein könne und unter vier Augen mit ihm sprechen, ohne irgendwie seine Gefühle zu verraten. Als der Fürst den Kardinal besuchte, war eine ungeheure Menschenmenge auf der Straße und am Eingang; zahlreiche Höflinge erfüllten alle Räume des Hauses, so groß war die Neugier, das Aussehen der beiden zu beobachten. Aber weder an dem einen noch an dem andern vermochte jemand etwas besonderes wahrzunehmen. Der Kardinal Montalto hielt sich genau an das, was der höfische Anstand vorschrieb; er gab seinem Gesicht einen sehr bemerkenswerten Ausdruck von Aufgeräumtheit und die Art, wie er das Wort an den Fürsten richtete, war von Gefälligkeit erfüllt. Einen Augenblick später, als der Fürst seinen Wagen bestieg und sich mit den Intimen seines Hofs allein befand, konnte er sich nicht mehr zurückhalten, lachend zu sagen: "In fatto è vero che costui è un gran frate! Es ist wirklich wahr, jener ist ein großer Mönch![sic! Fehlt: "] Als ob er die Wahrheit des Wortes bestätigen wollte, das dem Papst vor einigen Tagen entschlüpft war. Die Klugen dachten, daß die bei dieser Gelegenheit vom Kardinal Montalto gezeigte Haltung ihm den Weg zum Thron ebnen müsse; denn viele Leute faßten über ihn die Meinung, daß er, sei es von Natur oder durch Tugend, niemandem schaden könne oder wolle, wenn er auch allen Grund habe, gereizt zu sein. Felice Peretti hatte nichts Schriftliches, was sich auf seine Frau bezog, hinterlassen; sie mußte demzufolge in das Haus ihrer Eltern zurückkehren. Der Kardinal Montalto ließ ihr vor ihrem Scheiden die Gewänder, die Schmucksachen und überhaupt alle Geschenke aushändigen, die sie erhalten hatte, während sie die Frau seines Neffen war. Am dritten Tage nach dem Tode Felice Perettis ließ sich Vittoria, von ihrer Mutter begleitet, im Palast des Fürsten Orsini nieder. Manche sagten, die Frauen wurden zu diesem Schritt durch die Sorge um ihre persönliche Sicherheit getrieben, denn die Corte[3] schien sie mit der Anklage zu bedrohen, dem Mord, der begangen worden war, zugestimmt oder zumindest vor der Ausführung von ihm Kenntnis gehabt zu haben; andre glaubten -- und das, was später geschah, schien diese Ansicht zu bestätigen -- daß sie den Schritt getan hatten, um die Heirat zu betreiben, da der Fürst Vittoria zugesichert haben sollte, sie zu heiraten, wenn sie keinen Gatten mehr habe. Immerhin hat man weder damals, noch später den Urheber des Mordes an Felice feststellen können, obwohl jeder auf jeden Verdacht hatte. Die meisten schrieben indessen diesen Todesfall dem Fürsten Orsini zu. Man sagte allgemein, daß er von einer leidenschaftlichen Neigung für Vittoria ergriffen war; er hatte davon unzweideutige Anzeichen gegeben und die Heirat, welche folgte, war ein starker Beweis, denn die Frau stand so weit unter ihm, daß nur die Tyrannei leidenschaftlicher Liebe sie zur Gleichheit der Ehe erheben konnte. Das Volk wurde von der Auffassung auch nicht durch einen, an den Gouverneur von Rom gerichteten Brief abgebracht, den man wenige Tage nach der Tat verbreitete. Dieser Brief war im Namen Cesare Palantieris geschrieben, eines ungestümen jungen Mannes, der aus der Stadt verbannt war. In diesem Brief sagte Palantieri, es sei nicht nötig, daß seine hochgeborene Gnaden sich die Mühe mache, anderswo den Urheber des Mordes an Felice Peretti zu suchen, da er selbst es gewesen sei, der ihn habe töten lassen und zwar infolge gewisser Differenzen, die vor einiger Zeit zwischen ihnen stattgefunden hätten. Viele waren der Meinung, daß dieser Mord nicht ohne die Zustimmung des Hauses Accoramboni geschehen sein konnte; man beschuldigte die Brüder Vittorias, daß sie der Ehrgeiz, mit einem so reichen und mächtigen Fürsten in Beziehungen zu treten, verführt habe. Man beschuldigte besonders Marcello wegen der Verdachtsgründe, die durch den Brief gegeben waren, der den unglücklichen Felice nachts aus dem Haus rief. Man sprach auch von Vittoria selbst schlecht, als man sie ihre Zustimmung geben sah, so bald nach dem Tode ihres Gemahls den Palast der Orsini als zukünftige Gattin zu bewohnen. Man behauptete, daß es wenig wahrscheinlich sei, sich plötzlich so nahe, wie bei einem Messerstich, nebeneinander zu finden, wenn man sich vorher nicht, wenigstens durch einige Zeit, Waffen von größerer Reichweite bedient habe. Die Nachforschung über diesen Mord wurde von Monsignore Portici, Statthalter von Rom, nach den Befehlen Gregors XIII. geleitet. Man ersieht daraus bloß, daß Domenico, Mancino genannt, durch die Corte verhaftet, Geständnisse macht und ohne erst auf die Folter gespannt werden zu müssen, im zweiten Verhör, am vierundzwanzigsten Februar 1582, aussagt: "Daß Vittorias Mutter an allem schuld sei, und daß sie durch die Kammerfrau aus Bologna unterstützt worden sei, welche gleich nach dem Mord Zuflucht in der Feste von Bracciano fand, in die als dem Fürsten Orsini gehörend die Corte nicht einzudringen wagte, und daß die Vollbringer des Verbrechens Macchione de Gubbio und Paolo Barca di Bracciano waren, lancie spezzate eines Herrn, dessen Namen man aus triftigen Gründen nicht nannte." Mit diesen triftigen Gründen vereinten sich, wie ich glaube, die Bitten des Kardinals Montalto, der nachdrücklich ersuchte, daß die Nachforschungen nicht weiter getrieben werden mögen, und wirklich war nicht mehr die Rede von einem Prozeß. Der Mancino wurde aus dem Gefängnis mit dem Befehl entlassen, bei Todesstrafe unverzüglich in seinen Heimatsort zurückzukehren und ihn nie ohne eine besondere Erlaubnis zu verlassen. Die Freilassung dieses Mannes fand 1583, am Tage des San Luigi statt, und da dieser Tag auch der Geburtstag des Kardinal Montalto war, bestärkte mich dieser Umstand mehr und mehr in der Annahme, daß auf seine Bitte hin diese Angelegenheit so beendet wurde. Unter einer so schwachen Regierung, wie es die Gregors XIII. war, konnte ein derartiger Prozeß sehr unangenehme Folgen haben. Die Bemühungen der Corte wurden hiermit eingestellt; trotzdem wollte Papst Gregor XIII. nicht einwilligen, daß Fürst Paolo Orsini, Herzog von Bracciano, die Witwe Accoramboni heirate. Nachdem Seine Heiligkeit der letzteren eine Art Gefangenschaft auferlegt hatte, erließ er für den Fürsten und die Witwe die Vorschrift, daß sie ohne seine oder seiner Nachfolger ausdrückliche Erlaubnis einander nicht heiraten dürften. Gregor XIII. starb zu Beginn des Jahres 1585 und da die von Fürst Orsini konsultierten Rechtsgelehrten geantwortet hatten, daß sie die Vorschrift durch den Tod des Herrschers, der sie verfügt hätte, für annulliert erachteten, entschloß er sich, Vittoria vor der Ernennung des neuen Papstes zu heiraten. Aber die Ehe ließ sich nicht so schnell schließen, wie der Fürst es wünschte; teils weil er die Zustimmung von Vittorias Brüdern haben wollte und es sich ereignete, daß Ottavio Accoramboni, der Bischof von Fossombrone, niemals die seine zu geben gedachte; teils auch, weil man nicht glaubte, daß die Wahl des Nachfolgers Gregors XIII. so rasch stattfinden würde. Tatsache ist, daß die Ehe erst am gleichen Tag geschlossen worden ist, als der Kardinal Montalto, den diese Angelegenheit so interessierte, zum Papst gewählt wurde, nämlich am vierundzwanzigsten April 1585, sei es, daß dies nur Zufall war, sei es, daß der Fürst zeigen wollte, er fürchte die Corte nicht ärger unter dem neuen Papst, als er sie unter Gregor XIII. gefürchtet hatte. Diese Heirat beleidigte die Seele Sixtus V. tief (dies war der Name, den Kardinal Montalto gewählt hatte); er hatte schon die Denkweise aufgegeben, die für einen Mönch passend ist, und seine Seele zu der Höhe des Ranges erhoben, in den ihn Gott jetzt gestellt hatte. Der Papst zeigte aber trotzdem kein Zeichen von Zorn. Allein als sich der Fürst Orsini am gleichen Tage mit der Menge der römischen Edelleute zum Fußkusse eingefunden hatte, mit der geheimen Absicht, in den Zügen des heiligen Vaters zu lesen, was er von diesem bisher so wenig deutlichen Mann zu erwarten oder zu fürchten habe, bemerkte er, daß zum Scherzen nicht mehr die Zeit sei. Der neue Papst hatte den Fürsten in einer eigentümlichen Weise angesehn, und hatte kein einziges Wort auf die Huldigung, die dieser an ihn richtete, geantwortet; daher faßte der Fürst den Entschluß, sofort zu ergründen, welche Absicht Seine Heiligkeit in bezug auf seine Person habe. Durch Vermittlung des Kardinals Ferdinand von Medici, eines Bruders seiner ersten Frau und des spanischen katholischen Botschafters suchte er um eine Privataudienz beim Papste an und erhielt sie. Hier richtete er an Seine Heiligkeit eine wohleinstudierte Rede; ohne der vergangenen Dinge Erwähnung zu tun, sprach er seine Freude anläßlich der neuen Würde aus und bot Seiner Heiligkeit als treuster Vasall und Diener sein ganzes Vermögen und seine ganze Macht an. Der Papst[4] hörte ihn mit außerordentlichem Ernst an und antwortete schließlich, niemand wünsche mehr als er, daß in Zukunft das Leben und die Taten des Paolo Giordano Orsini des Geschlechts der Orsini und eines wahrhaft christlichen Ritters würdig seien, daß sein eigenes Gewissen ihm am besten sagen werde, wie er früher zum Heiligen Stuhl und zu dessen Personifizierung dem Papst gestanden sei; daß er indessen sicher sein könne -- so gern ihm auch alles vergeben sei, was er gegen Felice Peretti und gegen Felice Kardinal Montalto habe unternehmen können -- niemals würde ihm verziehen werden, was er etwa in Zukunft gegen den Papst Sixtus V. unternehmen möchte; daher fordere er ihn hiermit auf, sofort alle Verbannten und Missetäter zu vertreiben, denen er bis heute Unterschlupf geboten habe. Sixtus V. besaß eine besondere Fähigkeit, sich beim Sprechen jedweden Tones, den er wollte, bedienen zu können; aber wenn er gereizt und drohend war, hätte man sagen können, daß seine Augen Blitze schleuderten. Sicher ist, daß Fürst Paolo Orsini, der immer gewöhnt war, daß die Päpste ihn fürchteten, durch die Sprechweise des Papstes, wie er eine ähnliche nicht in einem Zeitraum von dreizehn Jahren gehört hatte, so ernstlich zum Nachdenken angeregt wurde, daß er vom Palast Seiner Heiligkeit schleunigst zum Kardinal Medici eilte, um ihm zu erzählen, was vorgefallen war. Dann beschloß er, auf den Rat des Kardinals, ohne den geringsten Aufschub alle vom Gericht verfolgten Personen auszuweisen, denen er in seinem Palast und in seinen Staaten Unterkunft gewährt hatte, und er überlegte auch, wie er selbst schnell irgendeinen ehrenvollen Vorwand finden könnte, sogleich die Länder zu verlassen, die unter der Macht eines so entschlossenen Papstes standen. Man muß wissen, daß Fürst Paolo Orsini außerordentlich umfangreich geworden war; seine Beine waren dicker als der Körper eines durchschnittlichen Menschen und das eine dieser ungeheuren Beine war von der Krankheit befallen, die man la lupa nennt, weil man ihr eine große Menge frischen Fleisches zuführen muß, welches man auf die leidende Stelle legt, sonst würden die bösen Säfte -- wenn sie nicht totes Fleisch zu verzehren bekämen -- sich auf das umliegende gesunde Fleisch werfen. Der Fürst nahm dieses Übel als Vorwand, um sich in die berühmten Bäder von Albano, nahe Padua, im Bereich der Republik Venedig, zu begeben; er reiste mit seiner jungen Gattin Mitte Juni dorthin. Albano war für ihn ein ganz sicherer Hafen, denn seit vielen Jahren war das Haus Orsini mit der Republik Venedig durch gegenseitige Dienste verbunden. In diesem sicheren Lande angekommen, dachte der Fürst Orsini nur daran, die Annehmlichkeiten eines wechselnden Aufenthalts zu genießen, und er mietete zu diesem Zweck drei prachtvolle Paläste: den einen in Venedig, den Palazzo Dandolo in der via della Zecca; den zweiten in Padua, das war der Palazzo Foscarini auf der prächtigen Arena genannten Piazza; den dritten wählte er in Salò, an dem reizenden Ufer des Gardasees: dieser hatte einst der Familie Sforza-Pallavicini gehört. Die Herren der Republik Venedig vernahmen mit Freude, daß ein solcher Fürst in ihren Staat kommen wollte und boten ihm sofort eine sehr noble Condotta an: das bedeutet eine beträchtliche jährliche Rente, die von dem Fürsten dazu gebraucht werden müßte, ein Korps von zweitausend bis dreitausend Mann aufzustellen, dessen Kommando er zu übernehmen hatte. Der Fürst wies das Anerbieten sehr schnell ab; er ließ den Senatoren antworten: obwohl er sich durch natürliche und von seiner Familie ererbte Neigung in seinem Herzen zum Dienst der erhabenen Regierung geneigt fühle, erschiene es ihm doch, da er gegenwärtig an den katholischen König gebunden sei, nicht passend, eine andere Verpflichtung zu übernehmen. Eine so entschlossene Antwort brachte etwas Lauheit in die Stimmung der Senatoren. Zuerst hatten sie beabsichtigt, ihm bei seiner Ankunft in Venedig im Namen des ganzen Volks einen sehr ehrenvollen Empfang zu bereiten; auf seine Antwort hin beschlossen sie, ihn einfach wie einen Privatmann ankommen zu lassen. Fürst Orsini, der von allem unterrichtet war, faßte den Entschluß, überhaupt nicht nach Venedig zu gehen. Er war schon in der Nähe Paduas, machte aber nun einen Bogen und begab sich mit seinem ganzen Gefolge nach Salò, in das für ihn vorbereitete Haus am Ufer des Gardasees. Er verbrachte dort den ganzen Sommer unter prächtigen und abwechslungsreichen Zerstreuungen. Der Zeitpunkt eines Aufenthaltswechsels war gekommen und der Fürst unternahm einige kleine Reisen, nach denen es ihm schien, daß er Anstrengungen nicht mehr so wie früher vertragen könne; er hatte Befürchtungen für seine Gesundheit und dachte schließlich daran, einige Tage in Venedig zu verbringen. Doch wurde er durch seine Gattin Vittoria davon abgebracht, die ihn veranlaßte, den Aufenthalt in Salò zu verlängern. Viele haben gedacht, daß Vittoria Accoramboni die Gefahr bemerkt habe, der das Leben des Fürsten, ihres Gemahls, ausgesetzt war und daß sie ihn nur veranlaßte in Salò zu bleiben, in der Absicht, ihn später aus Italien fortzubringen, etwa in irgendeine freie Stadt der Schweiz. Durch dieses Mittel hätte sie, im Falle der Fürst starb, sowohl ihre Person, als auch ihr privates Vermögen in Sicherheit gebracht. Ob solche Voraussetzung begründet war oder nicht, Tatsache ist, daß nichts von dem geschah; denn der Fürst wurde am zehnten November in Salò von einem neuen Unwohlsein befallen und hatte gleich die Vorahnung von dem, was geschehen sollte. Er hatte Mitleid mit seiner unglücklichen Frau: er sah sie in der schönsten Blüte ihrer Jugend, arm an Gütern wie an Ansehen, zurückbleiben, von den regierenden Fürsten Italiens gehaßt, von den Orsini wenig geliebt und ohne Hoffnung auf eine neue Ehe nach seinem Tode. Wie ein großer Herr von Treu und Ehre machte er aus eigenem Antrieb ein Testament, in dem er das Vermögen der Unglücklichen sicherstellen wollte. Er vermachte ihr an Geld und Juwelen die bedeutende Summe von 100 000 Piastern, außerdem alle Pferde, Karossen und Möbel, deren er sich auf dieser Reise bediente. Den Rest seines Vermögens hinterließ er zur Gänze seinem einzigen Sohn, Virginio Orsini, den ihm seine erste Frau, die Schwester Franz I. Großherzogs von Toskana, geboren hatte und die er, mit Einwilligung ihrer Brüder, wegen Untreue hatte ermorden lassen. Aber wie unsicher die menschliche Voraussicht ist! Die Verfügungen, welche Paolo Orsini traf, um diese unglückliche junge Frau vollkommen sicher zu stellen, brachten sie in Verderben und Untergang. Nachdem er sein Testament unterzeichnet hatte, fühlte sich der Fürst am zwölften November ein wenig besser. Am Morgen des dreizehnten ließ man ihm zu[sic! statt wie sonst: ihn zur] Ader, und die Ärzte, die ihre Hoffnung in eine strenge Diät setzten, trafen die genauesten Anordnungen, damit er keine Nahrung zu sich nähme. Aber sie hatten kaum das Zimmer verlassen, als der Fürst verlangte, daß man ihm das Essen serviere und er aß und trank wie gewöhnlich. Kaum war die Mahlzeit beendet, verlor er das Bewußtsein und zwei Stunden vor Sonnenuntergang war er tot. Nach diesem plötzlichen Tod begab sich Vittoria, von ihrem Bruder Marcello und dem ganzen Hofstaat des verblichenen Fürsten begleitet, nach Padua, in den bei der Arena gelegenen Palazzo Foscarini, den der Fürst damals gemietet hatte. Kurz nach ihrer Ankunft wurde sie von ihrem Bruder Flaminio aufgesucht, der beim Kardinal Farnese in vollster Gunst stand. Sie tat gerade damals Schritte, um die Auszahlung des Legats, das ihr Gatte ihr vermacht hatte, zu erwirken. Dieses Legat bestand aus 10 000 Piastern in bar, die ihr im Laufe von zwei Jahren ausgezahlt werden sollten, und zwar unabhängig von ihrer Mitgift und der Gegengabe und allen Juwelen und Möbeln, die in ihrem Besitz waren. Fürst Orsini hatte in seinem Testament verfügt, daß man ihr in Rom oder in einer anderen Stadt, die sie wählte, einen Palast im Werte von 10 000 Piastern und ein Landhaus im Werte von 6000 kaufen solle; außerdem hatte er noch vorgeschrieben, daß für ihren Tisch und für ihren ganzen Hausstand gesorgt werden müsse, wie es einer Frau ihres Ranges gebühre. Der Dienst sollte aus vierzig Leuten bestehen und einer Anzahl Pferden. Signora Vittoria setzte große Hoffnung in die Gunst der Fürsten von Ferrara, von Florenz und von Urbino und der Kardinäle Farnese und Medici, welche von dem verstorbenen Fürsten zu seinen Testamentsvollstreckern ernannt worden waren. Es ist zu bemerken, daß das Testament nach Padua gesandt und den Kapazitäten Parrizoli und Menochio vorgelegt worden war, den ersten Professoren dieser Universität und noch heute berühmten Rechtsgelehrten. Fürst Luigi Orsini kam nach Padua, um sich dessen zu entledigen, was er in bezug auf den verstorbenen Fürsten und seine Witwe zu tun hatte und dann als Statthalter der Insel sich nach Korfu zu begeben, wozu er von der erhabenen Republik ausersehen worden war. Zuerst entstand eine Schwierigkeit zwischen Signora Vittoria und dem Fürsten Luigi wegen der Pferde des verstorbenen Herzogs, von denen der Fürst meinte, daß sie, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch folgend, nicht eigentlich Gebrauchsgegenstände seien; aber die Herzogin bewies, daß sie wie eigentliche Gebrauchsgegenstände anzusehen wären und es wurde beschlossen, daß sie bis zu späterer Entscheidung in ihrer Benützung bleiben sollten; sie stellte als Bürgen den Signor Soardi di Bergamo, Condottiere der Signoria von Venedig, einen sehr reichen und zu den angesehendsten seines Vaterlands zählenden Edelmann. Es kam noch eine Schwierigkeit hinzu, die eine gewisse Menge Silbergeschirr betraf, das der verstorbene Herzog dem Fürsten Luigi als Zahlung für einen Geldbetrag ausgesetzt hatte, der ihm von diesem geliehen worden war. Alles wurde durch Rechtsspruch entschieden, denn der durchlauchtigste Herzog von Ferrara verwandte sich dafür, daß die letzten Anordnungen des verstorbenen Fürsten Orsini genau durchgeführt würden. Diese zweite Angelegenheit wurde am dreiundzwanzigsten Dezember, der auf einen Sonntag fiel, entschieden. In der folgenden Nacht drangen vierzig Männer in das Haus der Accoramboni. Sie waren in Leinengewänder von ungewöhnlichem Schnitt gekleidet, die so angelegt waren, daß man sie nicht erkennen konnte, wenn nicht an der Stimme; und sobald sie sich untereinander riefen, gebrauchten sie gewisse verabredete Ausdrücke. Sie suchten zuerst nach der Herzogin, und als sie diese gefunden hatten, sagte ihr einer von ihnen: "Jetzt heißt es sterben." Und ohne ihr einen Augenblick zu gewähren, während sie noch bat, sich ihrem Gott empfehlen zu dürfen, durchbohrte er sie mit einem dünnen Dolch gerade unter der linken Brust. Der Grausame bewegte den Dolch in allen Richtungen und fragte die Unglückliche mehrmals dabei, ob er ihr Herz schon berühre; endlich gab sie den letzten Seufzer von sich. Währenddessen suchten die anderen nach den Brüdern der Herzogin, von denen einer, Marcello, sein Leben rettete, weil man ihn nicht im Hause fand, der andre aber von hundert Stichen durchbohrt wurde. Die Mörder ließen die Toten auf der Erde, das ganze Haus in Tränen und Klagen zurück, und als sie sich der Kassette bemächtigt hatten, welche die Juwelen und das Geld enthielt, verschwanden sie. Diese Neuigkeit gelangte schnell zu den Behörden von Padua, sie ließen die Leichen agnoszieren und erbaten von Venedig Verhaltungsmaßregeln. Während des ganzen Montags war ein ungeheurer Zustrom zum Palast und zur Kirche der Eremiten, um die Leichen zu sehen. Die Neugierigen waren von Mitleid bewegt, besonders als sie die Herzogin so schön sahen: sie weinten über ihr Unglück et dentibus fremebant, und knirschten mit den Zähnen gegen die Mörder, wie der Chronist sagt; aber man kannte noch nicht ihre Namen. Da die Corte auf schwere Indizien hin Verdacht gefaßt hatte, daß die Tat auf Anstiftung oder wenigstens mit Zustimmung des Fürsten Luigi verübt worden sei, ließ sie ihn vorladen und als er ins Gericht zu dem sehr illustren Hauptmann mit einem Gefolge von vierzig Bewaffneten eintreten wollte, versperrte man ihm die Tür und sagte ihm, daß er nur mit drei oder vier Leuten hineingehen dürfe. Aber im Augenblick, als diese eintraten, drängten die andern nach, schoben die Wachen beiseite und traten alle ein. Als Fürst Luigi vor dem sehr illustren Kapitän stand, beklagte er sich über eine solche Beleidigung und betonte, daß noch kein souveräner Fürst eine solche Behandlung erfahren habe. Der sehr illustre Hauptmann fragte, ob er irgend etwas vom Tod der Signora Vittoria und von dem, was in der vorangegangenen Nacht geschehen war, wisse; er erklärte, daß er es wisse und daß er befohlen habe, den Behörden Anzeige zu machen. Man wollte seine Antwort schriftlich niederlegen; er erwiderte, daß Männer seines Ranges nicht an diese Förmlichkeit gebunden seien und daß sie auch nicht verhört werden dürfen. Fürst Luigi bat um die Erlaubnis, einen Kurier nach Florenz mit einem Brief an den Fürsten Virginio senden zu dürfen, dem er von dem Verfahren Mitteilung machen wolle und von dem Verbrechen, das stattgefunden habe. Er zeigte einen fingierten Brief, der nicht der richtige war und erreichte, was er verlangte. Aber der abgesandte Bote wurde vor der Stadt angehalten und sorgfältig untersucht; man fand den Brief, den Fürst Luigi gezeigt hatte und einen zweiten, in den Schuhen des Kuriers versteckten; er hatte folgenden Wortlaut: "Dem Herrn Virginio Orsini Sehr illustrer Herr, Wir haben zur Ausführung gebracht, was zwischen uns vereinbart wurde, und auf solche Art, daß wir den sehr illustren Tondini (scheinbar der Name des Vorsitzenden der Corte, der den Fürsten einvernommen hatte) gefoppt haben, und zwar so gut, daß man mich hier für den untadeligsten Menschen von der Welt hält. Ich habe die Sache persönlich gemacht, versäumt daher nicht, sofort die Leute zu schicken, von denen Ihr wißt." Der Brief machte Eindruck auf die Behörden; sie beeilten sich, ihn nach Venedig zu schicken; auf ihren Befehl wurden die Tore der Stadt geschlossen und die Mauern Tag und Nacht mit Soldaten besetzt. Man veröffentlichte einen Erlaß, der jedem die strengsten Strafen androhte, welcher die Mörder kenne und das was er wisse, nicht der Behörde anzeige. Diejenigen der Mörder, welche gegen einen der ihren Zeugnis ablegten, sollten nicht bestraft werden, man würde ihnen sogar eine Summe Geldes auszahlen. Aber um die siebente Stunde nach dem Ave Maria des Weihnachtsabends (am vierundzwanzigsten Dezember gegen Mitternacht) langte Aloisio Bragadino von Venedig mit weitgehender Vollmacht von Seiten des Senats an und mit dem Befehl, den Fürsten Luigi und sein Gefolge lebend oder tot, was es auch kosten möge, zu verhaften. Der Signor Avogador Bragadino, die Hauptleute und der Bürgermeister vereinigten sich in der Festung. Unter Androhung des Galgens wurde befohlen, daß die ganze Mannschaft, Fußtruppen und Berittene, gut bewaffnet das Haus des Fürsten Luigi einschließen solle, das anstoßend an die Kirche Sant Agostino nahe der Festung auf der Arena lag. Als es Tag geworden war, es war der Weihnachtstag, wurde ein Edikt in der Stadt veröffentlicht, welches die Söhne San Marcos aufforderte, bewaffnet zum Hause des Signor Luigi zu eilen; die keine Waffen besaßen, sollten zur Festung kommen, wo man ihnen so viele geben würde, als sie wollten; dieses Edikt versprach eine Belohnung von zweitausend Dukaten demjenigen, der den Signor Luigi lebend oder tot der Corte einlieferte und fünfhundert Dukaten für jeden seiner Leute. Außerdem wurde ein Befehl erlassen, niemand dürfe sich waffenlos dem Hause des Fürsten nähern, damit er denen, die sich schlagen wollten, nicht im Wege sei, falls der Fürst es für günstig hielte, einen Ausfall zu versuchen. Zu gleicher Zeit brachte man Wallbüchsen, Mörser und schwere Artillerie auf die alten Mauern, dem Hause des Fürsten gegenüber; ebenfalls auf die neuen Mauern, von denen man die Rückseite dieses Hauses erblickte. Auf dieser Seite hatte man auch die Reiterei so aufgestellt, daß sie Bewegungsfreiheit hatte, falls man ihrer bedurfte. Längs der Ufer der Brenta war man damit beschäftigt, Bänke, Schränke, Wagen und andre Gegenstände, die sich zur Deckung eigneten, aufzuhäufen. Man wollte auf diese Weise Unternehmungen der Belagerten erschweren, wenn sie etwa in geschlossener Ordnung gegen das Volk vorgehen würden. Diese Brustwehr sollte auch dazu dienen, die Artilleristen und die Soldaten gegen die Flintenschüsse der Belagerten zu schützen. Endlich setzte man noch Barken auf den Fluß, dem Hause des Fürsten gegenüber und zu dessen beiden Seiten; welche von Bewaffneten mit Musketen besetzt waren, die den Feind bei einem Ausbruchsversuch beunruhigen sollten; gleichzeitig wurden in allen Straßen Barrikaden errichtet. Während dieser Vorbereitungen traf ein Schreiben ein, das in sehr gemäßigtem Ton gehalten war. In diesem beklagte sich der Fürst, weil man ihn für schuldig halte und als Feind, ja sogar als Rebell behandle, bevor man die Angelegenheit geprüft habe. Dieser Brief war von Liveroto verfaßt worden. Am 27. Dezember wurden drei Edelleute, die hervorragendsten der Stadt, von den Behörden zu Fürst Luigi gesandt, welcher bei sich im Hause vierzig Männer, lauter alte kampfgewohnte Soldaten hatte. Man fand sie damit beschäftigt, sich hinter einer Brustwehr aus Balken und mit Wasser getränkten Matten zur Verteidigung einzurichten, und ihre Flinten vorzubereiten. Die drei Edelleute erklärten dem Fürsten, daß die Behörden entschlossen seien, sich seiner Person zu bemächtigen; sie forderten ihn auf, sich zu ergeben und fügten hinzu, daß er durch diesen Schritt, bevor es noch zum Angriff gekommen sei, einige Barmherzigkeit erhoffen könne. Worauf Fürst Luigi antwortete: daß vor allem die Wachen rings um sein Haus entfernt werden sollten, dann würde er sich von zwei oder drei der Seinen begleitet, zu den Behörden begeben, um über die Sache zu verhandeln; aber nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß es ihm immer freistände, sich in sein Haus zurückzubegeben. Die Abgesandten übernahmen diese, von seiner Hand geschriebenen Vorschläge und kehrten zu den Behörden zurück, welche diese Bedingungen zurückwiesen; hauptsächlich nach dem Rat des sehr illustren Pio Enea und anderer anwesender vornehmer Herren. Die Abgesandten kehrten zum Fürsten zurück und kündigten ihm an: wenn er sich nicht einfach und ohne jeden Vorbehalt ergebe, werde man sein Haus durch Artillerie wegfegen lassen; worauf er antwortete, daß er den Tod diesem Akte der Unterwerfung vorzöge. Die Behörden gaben das Signal zum Angriff und obwohl man das Haus fast mit einer einzigen Salve hätte zerstören können, zog man es vor, zuerst mit einer gewissen Vorsicht vorzugehen, um zu sehen, ob die Belagerten sich nicht doch ergeben wollten. Dieser Ausweg glückte und man hat dadurch San Marco viel Geld erspart, das der Wiederaufbau der zerstörten Teile des angegriffenen Palastes gekostet haben würde; indessen wurde er nicht allgemein gebilligt. Hätten die Leute des Signor Luigi ohne Zögern ihren Entschluß gefaßt und einen Sturm aus dem Hause gewagt, so wäre die Entscheidung höchst unsicher gewesen. Es waren alte Soldaten, es fehlte ihnen weder an Munition, noch an Waffen, noch an Mut, sie hatten das größte Interesse zu siegen, denn war es nicht, selbst den schlimmsten Fall angenommen, besser für sie, durch einen Flintenschuß zu sterben, als durch die Hand des Henkers? Übrigens, mit wem hatten sie es denn zu tun? Mit armseligen Belagerern, wenig erfahren in den Waffen; und in diesem Fall hätten die edlen Herren ihre Klugheit und natürliche Milde bereut. Man begann also die Kolonnaden an der Vorderseite des Palastes zu beschießen, dann -- immer ein wenig höher zielend -- zerstörte man die Mauerfront dahinter. Während dieser Zeit unterhielten die Leute aus dem Innern ein starkes Gewehrfeuer, doch ohne andre Wirkung, als daß ein Mann aus dem Volk an der Schulter verwundet wurde. Signor Luigi schrie mit großem Ungestüm: Kampf! Kampf! Krieg! Krieg! Er war eifrig beschäftigt, Kugeln aus dem Zinn der Schüsseln und aus dem Blei der Fensterrahmen gießen zu lassen. Er drohte einen Ausfall zu machen, doch die Belagerer griffen zu neuen Maßnahmen und man ließ Artillerie schwersten Kalibers vorrücken. Beim ersten Schuß stürzte ein großes Stück des Hauses zusammen und ein gewisser Pandolfo Leopratti aus Camerino geriet unter die Trümmer. Das war ein Mann von großem Mut und ein Bandit von Ruf. Er war aus den Staaten der Heiligen Kirche verbannt und der illustre Signor Vitelli hatte auf seinen Kopf einen Preis von vierhundert Piastern gesetzt, aus Anlaß der Ermordung von Vincenzo Vitelli, der in seinem Wagen angegriffen und durch Flintenschüsse und Dolchstiche ermordet worden war, die ihm Fürst Luigi Orsini durch den Arm des genannten Pandolfo und seiner Genossen verabreichen ließ. Ganz betäubt von seinem Sturz konnte Pandolfo keine Bewegung machen; ein Bediensteter der Herren Caidi Lista näherte sich ihm, eine Pistole in der Hand und schnitt ihm tapfer den Kopf ab, den er eiligst nach der Festung brachte und den Behörden ablieferte. Kurz darauf brachte ein anderer Artillerietreffer ein Stück Mauerwerk des Hauses zu Fall und zugleich damit stürzte Graf Montemelino aus Perugia und starb unter den Trümmern, ganz von dem Geschoß zerschmettert. Darauf sah man eine Persönlichkeit, genannt Oberst Lorenzo, von edlem Geschlecht aus Camerino, aus dem Haus treten, einen sehr reichen Herrn, der bei verschiedenen Gelegenheiten Proben seines Werts gegeben hatte und vom Fürsten sehr geschätzt wurde. Er beschloß, nicht gänzlich ungerächt zu sterben, er wollte sein Gewehr abfeuern, aber während er das Rad drehte, geschah es, vielleicht mit dem Willen Gottes, daß sein Gewehr nicht Feuer gab und in diesem Augenblick ging ihm eine Kugel durch den Leib. Der Schuß war von einem armen Teufel getan, einem Repetitor der Schüler von San Michele. Und als dieser sich nun näherte, um dem Oberst, wegen der ausgesetzten Belohnung, den Kopf abzuschneiden, kamen ihm andre zuvor, die schneller und vor allem stärker waren als er, nahmen die Börse, den Gürtel, die Flinte, das Geld und die Ringe des Obersten und schnitten das Haupt ab. Diejenigen, in welche Fürst Luigi das größte Vertrauen gesetzt hatte, waren tot; er blieb sehr bestürzt, und man konnte beobachten, daß er keine Bewegung mehr machte. Signor Filenfi, sein Haushofmeister und Sekretär, machte vom Balkon aus Zeichen mit einem weißen Taschentuch, daß er sich ergeben wolle. Er kam heraus und wurde nach der Festung geführt: "unter dem Arm", wie es Kriegsgebrauch sein soll; durch Anselmo Suardo, Leutnant der Polizei. Er wurde sogleich verhört und sagte, daß er keine Schuld an den Geschehnissen habe, weil er erst am Weihnachtsabend von Venedig gekommen sei, wo er sich mehrere Tage in Angelegeheiten[sic! statt: Angelegenheiten] des Fürsten aufgehalten habe. Man fragte ihn, wieviel Leute der Fürst bei sich habe; er antwortete: "zwanzig oder dreißig Mann." Man fragte nach ihren Namen, er sagte, daß acht oder zehn von ihnen, als Standespersonen gleich ihm an der Tafel des Fürsten speisten und daß er deren Namen wisse, doch besäße er von den anderen, die ein unstetes Leben führten und erst seit kurzem beim Fürsten eingetreten wären, keine nähere Kenntnis. Er nannte dreizehn Personen, darunter den Bruder von Liveroto. Kurz darauf begann die Artillerie auf den Stadtmauern zu spielen. Die Soldaten besetzten die Häuser, die an den Palast des Fürsten grenzten, um die Flucht seiner Leute zu verhindern. Der Fürst, der in gleicher Gefahr gewesen war, wie jene, deren Tod wir erzählt haben, sagte denen, die ihn umgaben, sie möchten ausharren, bis sie ein Schreiben von seiner Hand und ein bestimmtes Zeichen gesehen hätten; danach ergab er sich dem schon erwähnten Anselmo Suardo. Und weil man ihn wegen der Menschenmassen und der in den Straßen errichteten Barrikaden nicht wie es vorgeschrieben war, im Wagen abführen konnte, wurde beschlossen, daß er zu Fuß ginge. Er ging, umgeben von den Leuten des Marcello Accoramboni; ihm zu Seiten waren die Herren Condottieri, der Leutnant Suardo, andre Spitzen und Edelleute der Stadt, alle wohl mit Waffen versehen. Daran schloß gut eine Kompagnie Bewaffneter und Stadtsoldaten. Fürst Luigi ging braun gekleidet, sein Stilett an der Seite und seinen Mantel unter dem Arm, ihn in elegantester Weise tragend; er sagte mit einem Lächeln voller Verachtung: "Wenn ich gekämpft hätte!" Er wollte beinahe zu verstehen geben, daß er den Sieg davongetragen hätte. Vor die Signoria geführt, grüßte er und sagte, auf Signor Anselmo weisend: "Meine Herren, ich bin der Gefangene dieses Edelmannes und bin sehr ungehalten über das, was ohne mein Darzutun geschehen ist." Als ihm auf Befehl des Kapitäns das Stilett, das er an der Seite trug, abgenommen wurde, lehnte er sich an die Fensterbrüstung und begann sich mit einer kleinen Schere, welche dort lag, die Nägel zu schneiden. Man fragte ihn, welche Personen er in seinem Hause hätte; er nannte unter den andren den Obersten Liveroto und den Grafen Montemelino, von denen schon die Rede war, und sagte, daß er für den einen von ihnen zehntausend Piaster und für den andern sogar sein Blut hingäbe, könnte er sie freikaufen. Er forderte, an einem Ort in Gewahrsam gehalten zu werden, wie es einem Manne seiner Stellung zukomme. Als man sich darüber geeinigt hatte, schrieb er seinen Leuten eigenhändig und befahl ihnen, sich zu ergeben; seinen Ring legte er als Zeichen bei. Er sagte dann Signor Anselmo, daß er ihm seinen Degen und seine Flinte schenke und bat ihn, wenn diese Waffen in seinem Hause gefunden würden, sich ihrer ihm zu Ehren zu bedienen, da es Waffen eines Edelmanns seien und nicht die eines gewöhnlichen Soldaten. Die Soldaten drangen in sein Haus, durchsuchten es mit Sorgfalt, und auf der Stelle ließ man die Leute des Fürsten antreten, von denen noch vierunddreißig am Leben waren, dann wurden sie, zwei und zwei, in das Gefängnis des Palastes geführt. Die Toten wurden den Hunden zur Beute gelassen und man beeilte sich, von all dem in Venedig Rechenschaft abzulegen. Man bemerkte, daß viele Soldaten des Fürsten Luigi, Komplizen der Tat, nicht zu finden waren; man verbot, ihnen Schutz zu gewähren, und Zuwiderhandelnden sollten die Häuser zerstört und ihre Güter konfisziert werden; wer sie denunzieren würde, sollte fünfzig Piaster erhalten. Auf diese Weise fand man ihrer mehrere. Man schickte eine Fregatte von Venedig nach Kandia aus, mit dem Befehl für Signor Latino Orsini, daß er unverzüglich wegen einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit zurückkehren möge; und man glaubt, daß er seine Stellung verlieren wird. Gestern früh, am Tage des heiligen Stephan, erwartete alle Welt den Fürsten Luigi sterben zu sehen oder zu hören, daß er im Gefängnis erwürgt worden sei; und man war allgemein überrascht, daß es anders geschah, weil er doch kein Vogel wäre, den man lang im Käfig halten dürfte. Aber in der folgenden Nacht fand der Prozeß statt und am Tage von San Giovanni, ein wenig vor Sonnenaufgang, erfuhr man, daß der Herr erdrosselt worden und in sehr guter Haltung gestorben sei. Sein Leichnam wurde ohne Verzug in die Kathedrale gebracht, vom Klerus dieser Kirche und von den Jesuitenvätern geleitet. Er blieb den ganzen Tag über auf einem Tisch in der Mitte der Kirche aufgebahrt, um dem Volk als Schauspiel zu dienen und den Unerfahrenen zur Lehre. Am nächsten Morgen wurde die Leiche nach Venedig überführt, wie der Fürst es in seinem Testament angeordnet hatte; und dort wurde er begraben. Am Samstag hängte man zwei seiner Leute; der erste und vornehmere war Furio Savorgnano, der andre war ein gemeiner Mann. Am Montag, dem vorletzten Tag des Jahrs, hängte man noch dreizehn, von denen mehrere sehr vornehm waren; zwei weitere, der eine war der Kapitän Splendiano und der andre der Graf Paganello, wurden auf den Richtplatz geführt und dabei leicht mit Zangen gezwickt; auf der Richtstätte angelangt, wurden sie niedergeschlagen, man brach ihnen den Schädel und schnitt sie noch fast lebendig in Stücke. Es waren Edelleute, und bevor sie auf den schlechten Weg gerieten, sehr reich. Man sagt, daß es Graf Paganello war, der Vittoria Accoramboni so grausam getötet habe, wie wir es berichtet haben. Andre hielten dem entgegen, daß Fürst Luigi in seinem aufgefangenen Brief bezeugt, daß er die Tat mit eigner Hand ausgeführt habe. Vielleicht war es nur Ruhmsucht wie damals in Rom, als er Vitelli ermorden ließ, oder geschah wohl auch, um sich die Gunst des Fürsten Virginio noch mehr zu sichern. Bevor Graf Paganello den tödlichen Stoß erhielt, wurde er mit einem Messer wiederholt unter der linken Brust durchbohrt, um sein Herz zu treffen, so wie er es der armen Frau gemacht hatte. Dabei geschah es, daß das Blut wie ein Strom aus der Brust floß. Er lebte so noch länger als eine halbe Stunde, zum großen Staunen aller. Er war ein Mann von fünfundvierzig Jahren, von sehr kräftiger Natur. Die Galgen sind noch gerichtet, um die neunzehn Übriggebiebenen[sic! statt: Übriggebliebenen] am ersten Tag, der kein Festtag sein wird, ins Jenseits zu befördern. Aber weil der Henker außerordentlich ermüdet ist und das Volk wie in Betäubung, weil es so viele Tote gesehen hat, verschiebt man die Hinrichtung während dieser zwei Tage. Man denkt nicht daran, irgend jemand leben zu lassen. Von den Leuten, die zum Fürsten gehörten, wird wohl niemand davonkommen, höchstens Signor Filenfi, sein Haushofmeister, der sich die größte Mühe von der Welt gibt, denn die Sache ist ja wirklich für ihn wichtig, um zu beweisen, daß er nichts mit der Tat zu tun hatte. Selbst von den Ältesten dieser Stadt Padua erinnert sich niemand, daß man je durch ein gerechteres Urteil so vielen Menschen auf einmal ans Leben gegangen ist. Und diese Herren von Venedig haben sich damit einen guten Namen und Ruf bei den zivilisierten Völkern erworben. * * * * * Von anderer Hand hinzugefügt: Der Sekretär und Haushofmeister Francesco Filenfi wurde zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Der Mundschenk Onorio Adami von Fermo, ebenso wie zwei andere zu einem Jahr Gefängnis, sieben andre wurden zur Galeere mit Ketten an den Füßen verurteilt und schließlich freigelassen. DIE ÄBTISSIN VON CASTRO ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL I. Die italienischen Briganten des sechzehnten Jahrhunderts hat uns das Melodrama so oft gezeigt, und soviele Leute haben von ihnen gesprochen, ohne sie zu kennen, daß wir uns heute eine ganz falsche Vorstellung von ihnen machen. Man kann im allgemeinen sagen, daß diese Briganten den Widerstand gegen die unmenschlichen Regierungen ausdrückten, welche in Italien auf die Republiken des Mittelalters gefolgt waren. Der neue Tyrann, gewöhnlich schon der reichste Bürger der Republik, bevor er sie stürzte, schmückte, um das Volk zu gewinnen, die Stadt mit prächtigen Kirchen und mit schönen Gemälden. Von solcher Art waren die Polentini von Ravenna, die Manfredi von Faenza, die Riario von Imola, die Visconti von Mailand die Bentivoglio von Bologna und endlich die Medici von Florenz, die am wenigsten kriegerischen und heuchlerischsten von allen. Unter den Historikern dieser kleinen Staaten ist keiner, der es gewagt hätte, von den unzähligen Vergiftungen und Morden zu erzählen, welche von der quälenden Angst dieser kleinen Tyrannen veranlaßt worden sind; jene würdigen Historiker waren in ihrem Sold. Man erwäge, daß jeder dieser Tyrannen jeden dieser Republikaner, von denen er sich persönlich gehaßt wußte, persönlich kannte, -- Cosimo, Großherzog von Toskana z.B. kannte Sforza --, und daß mehrere dieser Tyrannen ermordet worden sind: dann wird man den tiefen Haß, das dauernde Mißtrauen verstehen, woraus den Italienern des sechzehnten Jahrhunderts soviel Geist und Mut erwuchs und ihren Künstlern soviel Genie. Man wird sehen, daß diese heftigen Leidenschaften das Entstehen jenes lächerlichen Vorurteils verhinderten, das zur Zeit Madame de Sévignés Ehre genannt wurde und vor allem darin besteht, sein Leben für den Herrn zu opfern, als dessen Untertan man geboren ist, oder um den Damen zu gefallen. Im sechzehnten Jahrhundert konnten sich in Frankreich die Tatkraft eines Mannes und sein wahres Verdienst nur durch Tapferkeit auf dem Schlachtfeld oder im Zweikampf zeigen; aber da auch Frauen die Tapferkeit und vor allem die Tollkühnheit lieben, sind sie darin die höchsten Richter geworden. Von da an entstand der Geist der Galanterie, der die allmähliche Vernichtung aller Leidenschaften, ja selbst der Liebe vorbereitete; zugunsten der Eitelkeit, dieses grausamen Tyrannen, dem wir alle gehorchen. Die Könige förderten die Eitelkeit, und mit Recht: deshalb die Herrschaft der Ordenssterne. In Italien zeichnete sich ein Mann durch alle Arten von Leistung aus, ebenso durch starke Degenstöße, wie durch Entdeckungen aus alten Handschriften: man sehe Petrarca, den Abgott seiner Zeit; und eine Frau des sechzehnten Jahrhunderts vermochte einen Mann, der im Griechischen erfahren war, ebenso und heftiger zu lieben, als einen durch kriegerische Tapferkeit Berühmten. Damals erlebte man die Leidenschaften und nicht Gewohnheit der Galanterie. Das ist der große Unterschied zwischen Italien und Frankreich, und das ist es, weshalb Italien die Raffael, Giorgione, Tizian, Correggio gebar, während Frankreich alle jene tapfren Truppenführer des sechzehnten Jahrhunderts hervorbrachte, die heute so unbekannt sind, obgleich doch jeder von ihnen eine so große Anzahl Feinde getötet hat. Ich bitte für diese groben Wahrheiten um Verzeihung. Wie dem aber auch sei, die grausamen und notwendigen Racheakte der kleinen italienischen Tyrannen des Mittelalters versöhnten das Herz des Volks mit den Briganten. Man haßte die Briganten, wenn sie Pferde, Getreide, Geld, mit einem Wort alles, was ihnen zum Leben notwendig war, stahlen, aber im Grund war das Gefühl des Volks für sie, und die Dorfmädchen zogen allen andren jungen Leuten den vor, der sich einmal in seinem Leben genötigt gesehen hatte: "d'andar alla macchia", das heißt: in die Wälder zu fliehen und wegen einer zu unvorsichtigen Tat bei den Räubern Zuflucht zu suchen. Noch heute fürchtet man sich sicherlich allgemein, den Briganten zu begegnen, aber wenn sie in Ketten gelegt werden, bedauert sie jedermann. Das kommt daher, daß dieses so bewegliche, spöttische Volk, das über alles lacht, was unter der Zensur seiner Herrn veröffentlicht wird, jene kleine romantischen Geschichten, die mit Wärme das Leben der Briganten schildern, zu seiner ständigen Lektüre gewählt hat. Was es Heroisches in diesen Schilderungen gibt, entzückt den künstlerischen Nerv, der immer in den unteren Klassen lebt, und außerdem ist es so ermüdet von dem offiziellen Lob, das gewissen Leuten gespendet wird, daß alles, was nicht in dieser Art ist, ihm unmittelbar zu Herzen geht. Man muß wissen, daß das niedere Volk in Italien unter gewissen Dingen leidet, die dem Fremden niemals auffallen, wenn er auch zehn Jahre im Lande lebte. Vor fünfzehn Jahren zum Beispiel, bevor noch die Weisheit der Regierungen die Briganten unterdrückt hatte[5], konnte man nicht selten sehen, wie ihre Heldentaten die Schändlichkeiten der Statthalter in den kleinen Städten bestraften. Diese Statthalter hatten unumschränkte Regierungsgewalt, aber ihr Gehalt überstieg nicht die Summe von zwanzig Talern im Monat, und so waren sie natürlich zu Diensten der angesehensten Familie des Landes, welche durch dieses einfache Mittel ihre Feinde unterdrückte. Wenn es den Briganten auch nicht immer glückte, diese kleinen despotischen Statthalter zu bestrafen, hielten sie sie wenigstens zum Besten und boten ihnen Trotz, was in den Augen dieses spirituellen Volks nicht gering gilt. Ein satyrisches Sonett tröstet es in allen Leiden und niemals vergißt es eine Beleidigung. Dies ist wieder einer der Hauptunterschiede zwischen dem Italiener und dem Franzosen. Hatte im sechzehnten Jahrhundert der Gouverneur eines Orts einen armen Einwohner, der sich den Haß einer einflußreichen Familie zugezogen hatte, zum Tode verurteilt, so geschah es oft, daß Briganten das Gefängnis angriffen, um den Bedrängten zu befreien. Anderseits hatte die mächtige Familie nicht viel Zutrauen zu den acht oder zehn Soldaten der Regierung, die beauftragt waren, das Gefängnis zu bewachen, und sie warb auf eigene Kosten einen Trupp Gelegenheitssoldaten an. Diese Soldaten wurden bravi genannt; sie biwakierten in der Umgebung des Gefängnisses und übernahmen es, den armen Teufel, dessen Tod man erkauft hatte, bis zum Richtplatz zu begleiten. Wenn diese mächtige Familie einen jungen Mann zu den ihren zählte, so stellte er sich an die Spitze dieser militärischen Improvisation. Ich muß zugestehen, daß dieser Zustand durchaus gegen die Moral ist; heute hat man das Duell und die Langeweile, und die Richter verkaufen sich nicht; aber diese Sitten des sechzehnten Jahrhunderts waren höchst geeignet, Männer hervorzubringen, die dieses Namens würdig waren. Viele Geschichtsschreiber, heute noch gedankenlos von der Literatur der Akademien gelobt, hatten versucht, diesen Stand der Dinge, der um 1550 so große Charaktere hervorbrachte, zu verheimlichen. Zu ihrer Zeit wurden ihre vorsichtigen Lügen mit allen den Ehrungen entlohnt, welche die Medici von Florenz, die Este von Ferrara, die Vizekönige von Neapel und andre zu vergeben hatten. Ein armer Historiker, namens Gianone, hat einen Zipfel des Schleiers lüpfen wollen; aber weil er nur einen sehr kleinen Teil der Wahrheit sich zu sagen getraute und noch dazu in zweifelhafter und dunkler Form, ist er sehr langweilig geblieben, was ihn nicht davor bewahrt hat, am 7. März 1758 mit zweiundachtzig Jahren im Gefängnis zu sterben. Wenn man die Geschichte Italiens kennenlernen will, darf man nicht die allgemein beliebten Autoren lesen, denn nirgends war der Preis der Lüge besser bekannt, nirgends wurde sie besser bezahlt. Die ersten Berichte, die man in Italien nach der barbarischen Zeit des neunten Jahrhunderts verfaßt hat, erwähnen schon die Briganten und sprechen von ihnen, als ob sie seit undenklichen Zeiten existiert hätten. Man lese die Sammlung Muratori. Als zum Unglück für das öffentliche Wohl, die Gerechtigkeit und eine gute Verwaltung, aber zum Glück für die Künste die Republiken des Mittelalters unterdrückt wurden, flüchteten die tatkräftigsten Republikaner, die die Freiheit mehr als die Mehrzahl ihrer Mitbürger liebten, in die Wälder. Natürlich begann das Volk, das durch die Baglioni, Malatesta, Bentivoglio, Medici usf. bedrückt wurde, deren Feinde zu lieben und zu ehren. Die Grausamkeiten der kleinen Tyrannen, welche auf die ersten Usurpatoren folgten, z.B. die Grausamkeiten des Cosimo, ersten Großherzogs von Florenz, der sogar die nach Venedig und Paris geflüchteten Republikaner ermorden ließ, vermehrten die Reihen dieser Briganten immer neu. Etwa zur Zeit, als unsre Heldin lebte, also um das Jahr 1550, leiteten Alfonso Piccolomini, Herzog von Monte Mariano, und Marco Sciarra mit Erfolg bewaffnete Banden, welche in der Umgebung von Albano die damals sehr tapfren Soldaten des Papstes hart bedrängten. Die Unternehmungen dieser berühmten Anführer, welche noch heute das Volk bewundert, dehnen sich vom Po und von den Sümpfen bei Ravenna bis zu den Wäldern aus, die damals den Vesuv bedeckten. Der Wald von Faggiola, fünf Meilen von Rom, auf der Straße nach Neapel gelegen, war berühmt als das Hauptquartier des Sciarra, der unter Gregors XIII. Pontifikat oft einige tausend Soldaten beisammen hatte. Die Geschichte dieses berühmten Briganten würde in den Augen der gegenwärtigen Generation unglaubwürdig erscheinen, weil man niemals die Motive seiner Handlungen verstehen würde. Er wurde erst im Jahre 1592 besiegt. Als seine Sache verzweifelt stand, unterhandelte er mit der Republik Venedig und trat mit seinen treuesten oder, wenn man will, schuldigsten Soldaten in ihren Dienst. Auf die Beschwerden Roms hin ließ Venedig, obgleich es einen Vertrag mit Sciarra unterzeichnet hatte, ihn ermorden und schickte seine tapferen Soldaten zur Verteidigung der Insel Kandia gegen die Türken. Denn die venezianische[sic! sonst einheitlich: venetianische] Weisheit wußte sehr wohl, daß eine mörderische Pest in Kandia wütete, und binnen einigen Tagen waren die fünfhundert Soldaten, die Sciarra in den Dienst der Republik gestellt hatte, auf siebenundsechzig Mann zusammengeschmolzen. Dieser Wald von Faggiola, dessen gigantische Bäume einen alten Vulkan bedeckten, war der letzte Schauplatz der Heldentaten Marco Sciarras. Alle Reisenden werden bestätigen, daß dies der herrlichste Ort der wunderbaren römischen Campagna ist, deren düsteres Aussehen wie für eine Tragödie geschaffen scheint. Er krönt mit seinem dunklen Laub die Gipfel des Monte Albano. Einem vulkanischen Ausbruch, Jahrtausende vor der Gründung Roms, verdanken wir dieses prachtvolle Gebirge. Zu einer Zeit, die weit vor jeder Geschichte liegt, erhob es sich aus der weiten Ebene, die ehemals zwischen Apennin und Meer gebreitet war. Der Monte Cave, vom düsteren Laub der Faggiola umkränzt, ist sein höchster Gipfel; man sieht ihn von überall, von Terracina und von Ostia wie von Rom und Tivoli, und es ist dieses Albanergebirge, das jetzt von Palästen übersät den berühmten Horizont Roms gegen Süden abschließt. Auf dem Gipfel des Monte Cave hat ein Kloster der schwarzen Brüder den Tempel des Jupiter Feretrinus ersetzt, zu dem die latinischen Völker kamen, um gemeinsam zu opfern und das Band einer Art religiösen Vertrages fester zu schließen. Unter dem Schutz prächtiger Kastanien gelangt der Wanderer in einigen Stunden zu den ungeheuren Blöcken, welche die Ruinen des Jupitertempels bilden; aber aus diesem tiefen Schatten, der so köstlich in solchem Klima ist, sieht der Reisende selbst heute noch mit Unruhe in das Innere das Waldes; er hat Furcht vor den Briganten. Auf dem Gipfel des Monte Cave angelangt, zündet man in den Ruinen des Tempels Feuer an, um die Speisen zu bereiten. Von diesem Punkt, der die ganze römische Campagna beherrscht, sieht man im Westen das Meer, das nur zwei Schritt weit zu sein scheint, obgleich es drei oder vier Meilen entfernt ist; man unterscheidet die kleinsten Boote, und mit einem ganz schwachen Glas kann man die Menschen zählen, die bei Neapel auf das Dampfschiff steigen. Nach allen Seiten breitet sich der Blick über eine herrliche Ebene aus, die gegen Osten vom Apenin, im Süden von Palestrina und nordwärts von San Pietro und den andren großen Bauwerken Roms begrenzt ist. Da der Monte Cave nicht sehr hoch ist, unterscheidet das Auge die geringsten Kleinigkeiten dieses erhabenen Landes, das keine geschichtliche Verherrlichung brauchte, während dennoch jedes Gehölz, jeder Mauerüberrest, den man in der Ebene oder auf den Abhängen der Berge erblickt, eine jener durch Vaterlandsliebe und Tapferkeit bewundernswerten Schlachten ins Gedächtnis ruft, von denen Titus Livius spricht. Um zu den riesigen Felsblöcken, den Überresten des Jupiter Feretrinus-Tempels zu gelangen, welche die Mauer des Klosters der schwarzen Mönche bilden, kann man noch heute die Via triumphalis verfolgen, auf der einst die ersten Könige Roms eingezogen sind. Sie ist mit ganz regelmäßig behauenen Steinen gepflastert, und man findet mitten im Wald von Faggiola lange Fragmente davon. Am Rande des erloschenen Kraters, der jetzt mit durchsichtig klarem Wasser gefüllt zu dem hübschen, fünf bis sechs Meilen im Umfang zählenden See von Albano geworden ist, lag tief eingebettet in den Lavafels 'Alba, die Mutter Roms', schon zur Zeit der ersten Könige von der römischen Politik zerstört. Jedoch seine Ruinen sind noch vorhanden. Einige Jahrhunderte später erhob sich Albano, die heutige Stadt, eine Viertelmeile von Alba am Hang des Berges, der dem Meere zu liegt; aber Albano ist vom See durch eine Felswand geschieden, welche den See der Stadt und die Stadt dem See verbirgt. Von der Ebene aus heben sich ihre weißen Gebäude vom tiefen Grün des Waldes ab, der so berühmt und den Briganten so teuer ist und der von allen Seiten das vulkanische Gebirge umkränzt. Albano, das heute fünftausend bis sechstausend Einwohner zählt, hatte im Jahre 1540 höchstens dreitausend, als zu den ersten Geschlechtern die mächtige Familie Campireali gehörte, deren unglückliches Schicksal wir erzählen werden. Ich berichte diese Geschichte nach zwei umfangreichen Manuskripten, das eine römisch und das andre aus Florenz. Zu meiner großen Gefahr habe ich gewagt, ihren Duktus wiederzugeben, der fast der gleiche ist wie der unsrer alten Legenden. Aber der feine und gemessene Stil der heutigen Zeit würde, wie mir scheint, zu wenig im Einklang mit den Geschehnissen stehen und gar mit den Betrachtungen der Chronisten. Sie schrieben um das Jahr 1598. Ich erbitte die Nachsicht des Lesers für sie wie auch für mich. II. "Nach so vielen tragischen Geschichten", sagt der Schreiber der florentinischen Handschrift, "werde ich mit der schließen, welche mir am schmerzlichsten zu erzählen ist. Ich werde von Helena von Campireali sprechen, der allzubekannten Äbtissin des Klosters der Heimsuchung in Castro, deren Prozeß und Tod solches Aufsehen in der ersten Gesellschaft Roms, ja ganz Italiens erregt hat. Schon um 1555 beherrschten die Briganten die Umgebung Roms, und die Regierungsbeamten hatten sich den mächtigen Familien verkauft." Im Jahre 1572, welches das des Prozesses war, bestieg Gregor XIII. Buoncompagni den Stuhl von San Pietro. Dieser heilige Papst vereinte alle apostolischen Tugenden, aber man konnte seiner weltlichen Leitung ein wenig Schwäche vorwerfen: er verstand weder ehrenfeste Richter zu wählen, noch die Briganten zu unterdrücken; er jammerte über die Verbrechen und wußte sie nicht zu bestrafen. Es schien ihm, daß er sich mit einer entsetzlichen Verantwortung beladen würde, wenn er die Todesstrafe verhängte. Die Folge dieser Art, die Dinge zu sehen, war, daß die Straßen, die nach der ewigen Stadt führten, von zahllosen Briganten bevölkert wurden. Um mit einiger Sicherheit zu reisen, mußte man Freund der Räuber sein. Der Wald von Faggiola, zu beiden Seiten der von Neapel über Albano führenden Landstraße, war seit langem das Hauptquartier einer Seiner Heiligkeit feindlichen Räuberschaft, und Rom war öfters gezwungen, wie von Macht zu Macht, mit Marco Sciarra, einem der Könige des Waldes, zu unterhandeln. Die Stärke dieser Briganten lag darin, daß sie von ihren Nachbarn, den Bauern geliebt und geschützt wurden. "In dem hübschen Städtchen Albano, so nahe dem Hauptquartier der Briganten, wurde Helena di Campireali im Jahre 1542 geboren. Ihr Vater galt für den reichsten Patrizier des Landes und in dieser Eigenschaft hatte er Vittoria Carafa geheiratet, welche große Liegenschaften im Königreich Neapel besaß. Ich könnte einige Greise anführen, die noch leben und Vittoria Carafa und ihre Tochter gut gekannt haben. Vittoria war ein Muster von Klugheit und Geist, aber trotz all ihrer Begabung vermochte sie nicht dem Untergang ihrer Familie vorzubeugen. Es ist sonderbar: die entsetzlichen Schicksalsschläge, welche den traurigen Stoff meiner Erzählung bilden, können, wie mir scheint, keiner der handelnden Personen, die ich dem Leser vorstellen werde, im einzelnen zur Last gelegt werden: ich sehe Unglückliche, jedoch kann ich keine Schuldigen finden. Die ungewöhnliche Schönheit und die zärtliche Seele der jungen Helena bildeten eine große Gefahr für sie und eine Entschuldigung für ihren Geliebten Giulio Branciforte; wie ebenso der vollkommene Mangel an Geist des Monsignore Cittadini, Bischof von Castro, ihn bis zu einem gewissen Grad entschuldigen kann. Er verdankte seinen raschen Emporstieg auf der Leiter der geistlichen Ehren sowohl der Rechtlichkeit seiner Führung, wie besonders aber seinem edlen Äußern und einem Antlitz, das so regelmäßig schön war, wie man es selten findet. Ich finde geschrieben, daß man ihn nicht sehen konnte, ohne ihn zu lieben. Da ich niemandem schmeicheln will, werde ich nicht verschweigen, daß ein heiliger Mönch des Klosters Monte Cave, der oft in seiner Zelle, gleich dem heiligen Paulus, einige Fuß über dem Erdboden schwebend überrascht worden ist, ohne daß ihn etwas andres als die göttliche Gnade in dieser ungewöhnlichen Stellung hätte halten können, dem Herrn von Campireali prophezeit hatte, daß seine Familie mit ihm aussterben und er nur zwei Kinder haben würde, denen beiden ein gewaltsamer Tod bevorstand. Auf Grund dieser Weissagung konnte er im Lande selbst keine Frau finden und ging nach Neapel, um sein Heil zu versuchen, wo er das Glück hatte, großen Reichtum und eine Frau zu finden, deren Genie fähig gewesen wäre, seine böse Bestimmung zu ändern, wenn so etwas überhaupt möglich gewesen wäre. Dieser Signor Campireali galt für einen sehr ehrenhaften Mann und war sehr wohltätig, aber er besaß gar keinen Geist; deshalb zog er sich nach und nach ganz aus Rom zurück und brachte schließlich fast das ganze Jahr in seinem Palast in Albano zu. Er widmete sich der Pflege seiner Ländereien, die in der reichen Ebene lagen, welche sich zwischen der Stadt und dem Meer ausbreitet. Durch den Rat seiner Frau bewogen, ließ er seinem Sohn Fabio, einem auf seine Geburt sehr stolzen Jüngling, und seiner Tochter Helena, deren wunderbare Schönheit man noch auf einem Bildnis der Galerie Farnese sehen kann, die vortrefflichste Erziehung geben. Bevor ich begonnen hatte ihre Geschichte zu schreiben, bin ich in den Palazzo Farnese gegangen, um die sterbliche Hülle zu betrachten, die der Himmel dieser Frau verlieh, deren verhängnisvolles Schicksal einst so viel Aufsehen machte und noch heute im Gedächtnis des Volkes fortlebt. Die Form ihres Kopfes ist ein längliches Oval, die Stirne ist sehr hoch, die Haare sind dunkelblond. Der Ausdruck ihres Gesichts ist eher heiter; sie hatte große, sehr ausdrucksvolle Augen, und ihre kastanienfarbenen Augenbrauen bildeten einen vollendet geschwungenen Bogen. Die Lippen sind ganz schmal und es sieht aus, als wären die Konturen ihres Mundes von dem berühmten Correggio gezogen. Inmitten der Bildnisse, die sie in der Galerie Farnese umgeben, sieht sie wie eine Königin aus; es ist selten, daß Majestät mit Heiterkeit vereint ist. Nachdem sie acht volle Jahre im Kloster der Heimsuchung in der Stadt Castro zugebracht hatte, wohin man damals die Töchter der meisten römischen Fürsten schickte, kehrte Helena zu ihren Eltern zurück; aber sie verließ das Kloster nicht, ohne für den Hochaltar der Kirche einen prächtigen Kelch gestiftet zu haben. Kaum war sie nach Albano zurückgekehrt, ließ ihr Vater um erheblichen Gehalt den berühmten, damals schon sehr alten Dichter Cecchino kommen, der Helenas Gedächtnis mit den schönsten Versen des göttlichen Virgil erfüllte und seiner großen Schüler Petrarca, Ariost und Dante." Hier fühlt sich der Erzähler gezwungen, eine lange Auseinandersetzung über die verschiedenen Ehrenbezeugungen zu übergehen, welche das sechzehnte Jahrhundert diesen großen Dichtern darbrachte. Es scheint, daß Helena Latein verstand. Die Verse, welche man sie lehrte, sprachen von Liebe, und zwar von einer Liebe, welche uns recht lächerlich vorkäme, wenn wir ihr heute begegneten; ich meine die leidenschaftliche Liebe, welche der größten Opfer bedarf, welche nur von Geheimnis umgeben bestehen kann und der stets das schrecklichste Unheil nah ist. Dies war die Liebe, welche Giulio Branciforte der kaum siebzehnjährigen Helena einzuflößen verstand. Er war einer ihrer Nachbarn und sehr arm; er bewohnte ein armseliges kleines Haus am Berg, eine Viertelmeile von der Stadt, inmitten der Ruinen von Alba, am Rande des grünbewachsenen, hundertfünfzig Fuß tiefen Trichters, der den See einschließt. Dieses Haus, welches im tiefen, prachtvollen Schatten des Waldes von Faggiola lag, ist zerstört worden, als man das Kloster von Palazzuola baute. Dieser arme junge Mann hatte nichts für sich als seine lebhaft leichte Art und die wirkliche Unbekümmertheit, mit der er sein trauriges Los trug. Was man noch zu seinen Gunsten sagen konnte, ist, daß sein Gesicht ausdrucksvoll war, ohne schön zu sein. Aber es hieß von ihm, daß er sich unter dem Befehl des Fürsten Colonna und als einer von dessen bravi in zwei oder drei höchst gefährlichen Unternehmen tapfer geschlagen hätte. Trotz seiner Armut und trotzdem ihm die Schönheit fehlte, besaß er doch nicht wenig in den Augen aller jungen Mädchen von Albano: ein tapfres Herz, das zu gewinnen ihrer aller größter Ehrgeiz war. Überall gut aufgenommen, hatte Giulio Branciforte bis zum Augenblick, als Helena aus dem Kloster von Castro zurückkam, nur flüchtige Liebschaften gehabt. Als bald darauf der große Dichter Cecchino aus Rom in den Palazzo Campireali einzog, um dieses junge Mädchen in den schönen Wissenschaften zu unterrichten, richtete Giulio, der ihn kannte, ein Gedicht in lateinischen Versen an ihn, über das Glück, daß er in so ehrwürdigem Alter so schöne Augen an die seinen gefesselt sehen durfte und eine so reine Seele vollkommen glücklich machte, wenn er ihre Gedanken zu billigen geruhte. Die Eifersucht und der Ärger der jungen Mädchen, denen Giulio vor Helenas Rückkehr Aufmerksamkeiten erwiesen hatte, machten bald alle Vorsicht, mit der er seine wachsende Leidenschaft zu verbergen suchte, nutzlos; und ich muß gestehen, daß diese Liebschaft eines jungen Mannes von zweiundzwanzig und eines jungen Mädchens von siebzehn Jahren in einer Weise geführt wurde, welche die Klugheit nicht billigen kann. Bevor noch drei Monate verstrichen waren, bemerkte Herr von Campireali, daß Giulio Branciforte zu oft an den Fenstern seines Schlosses vorbeiging, das man übrigens noch auf halber Höhe der Straße, die gegen den See führt, sehen kann. Die Freimütigkeit und Gradheit, die natürlichen Folgen der Freiheit, wie sie die Republiken gewähren, und die Gewohnheit, ungebunden und leidenschaftlich zu handeln, die einer Zeit entsprach, die noch nicht von den Sitten der Monarchie eingeengt war, zeigten sich unverhohlen im ersten Schritt des Herrn Campireali. Am gleichen Tag, da er sich durch das häufige Erscheinen des jungen Branciforte verletzt fühlte, fuhr er ihn hart mit diesen Worten an: "Wie wagst du es, unaufhörlich an meinem Hause vorbeizugehen und unverschämt nach den Fenstern meiner Tochter hinaufzuschauen, du, der nicht einmal Gewänder hat um sich zu bekleiden? Wenn ich nicht fürchten müßte, daß mein Schritt von den Nachbarn mißdeutet würde, schickte ich dir drei Goldzechinen, damit du dir in Rom einen besseren Mantel kaufen könntest. Wenigstens würden meine und meiner Tochter Augen nicht mehr so oft durch den Anblick deiner Lumpen beleidigt sein." Ohne Zweifel übertrieb Helenas Vater, denn die Gewänder des jungen Branciforte bestanden nicht aus Lumpen; sie waren nur aus sehr einfachem Stoff; allein, wenn sie auch sehr sauber und gut gebürstet waren, muß man doch gestehen, daß ihr Aussehen auf langen Gebrauch schließen ließ. Giulios Seele wurde durch die Vorwürfe des Herrn von Campireali so tief erschüttert, daß er sich nicht mehr bei Tage vor seinem Hause zeigte. Wie wir schon sagten, waren die beiden Bögen, Überreste eines alten Aquädukts, welche dem vom Vater Brancifortes erbauten und seinem Sohn hinterlassenen Hauses als Hauptmauer dienten, nur fünfhundert oder sechshundert Schritt von Albano entfernt. Um von diesem hohen Punkt nach der neuen Stadt hinabzusteigen, mußte Giulio am Palast der Campireali vorbeigehen. Helena bemerkte bald das Ausbleiben dieses eigentümlichen jungen Mannes, der, wie ihre Freundinnen sagten, jede andre Beziehung aufgegeben hatte, um sich ganz dem Glück ihres Anblicks zu widmen. An einem Sommerabend gegen Mitternacht stand das Fenster Helenas offen; das junge Mädchen genoß die Brise des Meeres, die man auf dem Hügel von Albano gut spüren kann, obwohl diese Stadt durch eine Ebene von drei Meilen Breite vom Meer getrennt ist. Die Nacht war finster und die Stille tief, man hätte ein Blatt fallen hören. Helena lehnte an ihrem Fenster und dachte vielleicht an Giulio, als sie ein Etwas, das dem lautlosen Flügel eines Nachtvogels glich, sanft an ihrem Fenster vorbeistreichen sah. Sie zog sich erschreckt zurück. Der Gedanke, daß dieses Ding ihr von irgendeinem Vorübergehenden dargebracht sein könnte, kam ihr nicht. Das zweite Stockwerk des Palastes, wo sich ihr Zimmer befand, lag mehr als fünfzig Fuß über der Erde. Aber plötzlich glaubte sie in diesem sonderbaren Ding einen Blumenstrauß zu erkennen, der inmitten des tiefen Schweigens vor dem Fenster, an dem sie lehnte, hin und her strich; ihr Herz schlug heftig. Der Strauß schien ihr auf der Spitze von zwei oder drei Rohrstöcken befestigt zu sein, einer Art großer Binsen, die dem Rohr der römischen Campagna sehr ähnlich sind und Stiele von zwanzig bis dreißig Fuß Höhe treiben. Die Schwäche des Rohrs und die ziemlich starke Brise machten es Giulio einigermaßen schwer, seinen Strauß genau vor das Fenster, an dem er Helena vermutete, zu halten. Außerdem war die Nacht so finster, daß man auf solche Höhe von der Straße aus nichts erkennen konnte. Unbeweglich an ihrem Fenster war Helena tief erregt. War es nicht ein Geständnis, den Strauß zu nehmen? Sie hatte übrigens keins von den Gefühlen, die ein Abenteuer dieser Art heute in einem jungen Mädchen der besten Gesellschaft erwecken würde, das durch schöngeistige Erziehung auf das Leben vorbereitet ist. Da ihr Vater und ihr Bruder Fabio zu Hause waren, war ihr erster Gedanke, daß der geringste Lärm einen Büchsenschuß auf Giulio zur Folge haben würde, und die Gefahr, der dieser arme junge Mensch ausgesetzt war, erregte ihr Mitleid. Ihr zweiter Gedanke war, daß er, obgleich sie ihn noch wenig genug kannte, das Wesen sei, das sie dennoch nach ihrer Familie am meisten auf der Welt liebte. Schließlich nahm sie nach einigen Minuten des Zauderns den Strauß, und als sie die Blumen in dem tiefen Dunkel berührte, spürte sie, daß ein Brief am Stengel einer Blume befestigt war; sie lief auf die große Stiege, um diesen Brief beim Licht der Lampe zu lesen, welche vor dem Bild der Madonna brannte. 'Törichte!' schalt sie sich nach den ersten Zeilen, die sie vor Glück erröten ließen, 'wenn man mich sieht, bin ich verloren und meine Familie wird ohne Erbarmen diesen armen jungen Menschen verfolgen,' Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und zündete die Lampe an. Dieser Augenblick war köstlich für Giulio, welcher -- beschämt über seinen Schritt, und als wollte er sich selbst in der dunklen Nacht noch verbergen -- sich dicht an den ungeheuren Stamm einer jener Eichen gedrängt hatte, die grün und bizarr geformt, noch heute dem Palast Campireali gegenüber stehen. In seinem Brief erzählte Giulio mit vollkommner Einfachheit die beschämende Zurechtweisung, die er von Helenas Vater erhalten hatte. "Ich bin allerdings arm," fuhr er fort, "und Ihr könnt Euch schwerlich das ganze Ausmaß meiner Armut vorstellen. Ich habe nichts als mein Haus, das Ihr vielleicht unter den Ruinen des Aquädukts von Alba bemerkt haben werdet; rings um das Haus liegt ein Garten, den ich selbst bebaue und dessen Früchte mich ernähren. Ich besitze auch noch einen Weinberg, der um dreißig Scudi im Jahr verpachtet ist. Ich weiß wirklich nicht, warum ich Euch liebe; sicherlich kann ich Euch nicht bitten, mein Elend zu teilen. Und doch hat das Leben, wenn Ihr mich nicht liebt, keinen Wert mehr für mich; es ist überflüssig, zu sagen, daß ich es tausendmal für Euch hingeben würde. Und doch war dieses Leben vor Eurer Rückkehr aus dem Kloster gar nicht unglücklich: im Gegenteil, es war von den glänzendsten Träumen erfüllt. So kann ich sagen, daß der Anblick des Glücks mich unglücklich gemacht hat. Sicher hätte ehemals kein Mensch auf der Welt wagen dürfen, mir solche Worte zu sagen, wie die, mit denen Euer Vater mich entehrte; mein Dolch hätte mir auf der Stelle Genugtuung verschafft. Damals, mit meinem Mut und meinen Waffen, hielt ich mich aller Welt für ebenbürtig, nichts ging mir ab. Jetzt hat sich alles geändert: ich kenne die Furcht. Es ist schon zu viel des Schreibens; vielleicht verachtet Ihr mich. Wenn Ihr dagegen, trotz der armseligen Gewänder, die mich bedecken, etwas Mitleid mit mir fühlt, werdet Ihr bemerken, daß ich jeden Abend, wenn es am Kapuzinerkloster auf dem Gipfel des Hügels Mitternacht läutet, unter der großen Eiche versteckt bin, dem Fenster gegenüber, welches ich unausgesetzt betrachte, weil ich vermute, daß dort Euer Zimmer ist. Wenn Ihr mich nicht so wie Euer Vater verachtet, werft mir eine der Blumen des Straußes herab; aber gebt acht, daß sie nicht auf ein Gesimse oder auf einen Balkon Eures Hauses falle." Dieser Brief wurde mehrmals gelesen; nach und nach füllten sich Helenas Augen mit Tränen; sie betrachtete gerührt den prächtigen Strauß, dessen Blumen mit einem sehr feinen Seidenfaden gebunden waren. Sie versuchte eine der Blumen abzureißen, aber es gelang ihr nicht; dann ergriff sie Reue. Unter den jungen Mädchen Roms glaubte man, daß durch das Abreißen einer Blume oder durch irgendwelche Verstümmelung eines aus Liebe gegebenen Straußes diese Liebe selbst getötet würde. Sie fürchtete, daß Giulio ungeduldig werden möchte und lief zum Fenster; aber als sie dort war, fiel ihr plötzlich ein, daß sie zu sichtbar sei, da die Lampe das Zimmer mit Licht erfüllte. Helena wußte nicht mehr, welches Zeichen sie sich erlauben sollte; es schien ihr, daß es keins gab, das nicht viel zu viel sagte. Beschämt lief sie wieder in ihr Zimmer zurück. Aber die Zeit verstrich und plötzlich kam ihr ein Gedanke, der sie in unaussprechliche Verwirrung stürzte: Giulio würde glauben, daß sie, wie ihr Vater, seine Armut verachtete! Sie erblickte ein kleines kostbares Marmorstück, das auf ihrem Tisch lag, band es in ihr Taschentuch und warf dies Taschentuch an den Fuß der Eiche hinunter, die gegenüber ihrem Fenster stand. Dann machte sie ihm Zeichen, daß er sich entfernen möge und hörte, daß Giulio gehorchte, denn im Weggehen suchte er nicht mehr den Schall seiner Schritte zu dämpfen. Als er die Höhe des Felsengürtels erreicht hatte, welcher den See von den letzten Häusern von Albano trennt, hörte sie ihn Worte der Liebe singen; sie winkte ihm Abschied, diesmal weniger schüchtern, dann begab sie sich an seinen Brief, um ihn wiederzulesen. Am nächsten Tag und auch an den folgenden, gab es Briefe und ähnliche Zusammenkünfte; aber wie in einem italienischen Dorf alles bemerkt wird, noch dazu Helena weitaus die reichste Partie des Landes war, wurde Herr von Campireali aufmerksam gemacht, daß man jeden Abend nach Mitternacht im Zimmer seiner Tochter Licht sehe, und was noch viel merkwürdiger sei, daß das Fenster offen wäre und Helena dahinter stünde, als kenne sie gar keine Furcht vor den Zanzare, jenen unangenehmen Stechmücken, welche die schönen Abende in der römischen Campagna ganz verderben. Jetzt muß ich wieder um die Nachsicht des Lesers ersuchen. Wenn man Lust hat, die Gebräuche fremder Länder zu kennen, muß man sich auf ganz abgeschmackte, von den unsrigen ganz verschiedene Anschauungen gefaßt machen. Herr von Campireali brachte seine Flinte und die seines Sohnes in Ordnung. Abends, als es 3/4 12 Uhr schlug, verständigte er Fabio, und alle beide schlichen, so leise wie möglich, auf einen großen steinernen Balkon, der sich im ersten Stock des Palastes gerade unter Helenas Fenster befand. Die starken Pfeiler der Steinbalustrade deckten sie bis zum Gürtel gegen Flintenschüsse, die man von außen gegen sie abfeuern könnte. Es schlug Mitternacht; Vater und Sohn hörten unter den Bäumen, die ihrem Palast gegenüber am Rand der Straße standen, ein leichtes Geräusch; aber zu ihrem Erstaunen erschien kein Licht an Helenas Fenster. Dieses Mädchen das bisher so arglos war und in der Lebhaftigkeit seiner Bewegungen ein Kind zu sein schien, hatte einen anderen Charakter bekommen, seit es liebte. Sie wußte, daß die geringste Unvorsichtigkeit das Leben ihres Geliebten gefährdete; wenn ein Herr vom Ansehen ihres Vaters einen so armen Menschen wie Giulio Branciforte tötete, würde er jeder Strafe ledig gehen, so er nur für drei Monate nach Neapel verschwindet. Während dieser Zeit würden seine Freunde in Rom die Angelegenheit ordnen und alles wäre mit der Stiftung einer Silberlampe und einiger hundert Taler für den Altar der Madonna, die gerade in Mode war, erledigt. Morgens beim Frühstück hatte Helena in den Zügen ihres Vaters erkannt, daß er sehr aufgebracht war, und aus der Art, wie er sie ansah, wenn er sich unbemerkt glaubte, schloß sie, daß dieser Zorn zum großen Teil ihr galt. Alsbald machte sie sich daran, ein wenig Staub auf die Schäfte der fünf prächtigen Flinten, die über dem Bett ihres Vaters hingen, zu streuen. Sie bedeckte auch seine Degen und Dolche mit einer leichten Staubschicht. Den ganzen Tag trug sie eine tolle Ausgelassenheit zur Schau: sie durcheilte unaufhörlich das Haus von oben bis unten und alle Augenblicke näherte sie sich den Fenstern, fest entschlossen, Giulio ein abmahnendes Zeichen zu geben, wenn sie das Glück hätte, ihn zu bemerken. Aber der arme Junge war durch den Verweis des reichen Campireali so tief gedemütigt worden, daß er sich niemals bei Tage in Albano zeigte; nur Sonntags führte ihn die Pflicht zur Messe. Helenas Mutter, die sie anbetete und ihr nichts abzuschlagen wußte, ging dreimal an diesem Tage mit ihr fort, aber es war vergeblich; Helena sah nichts von Giulio. Sie war in Verzweiflung. Wie wurde ihr erst, als sie am Abend die Waffen ihres Vaters wieder musterte und sah, daß zwei Flinten geladen und fast alle Dolche und Degen in der Hand erprobt worden waren! Sie wurde von ihrer tödlichen Unruhe nur durch die außerordentliche Anspannung abgelenkt, die sie beobachten mußte, um nicht verdächtig zu erscheinen. Als sie sich um zehn Uhr abends endlich zurückziehen konnte, verschloß sie ihr Zimmer, welches auf das Vorzimmer ihrer Mutter hinausging; dann kauerte sie sich dicht beim Fenster auf den Boden nieder, um nicht von draußen bemerkt zu werden. Man stelle sich die Angst vor, mit welcher sie die Stunden schlagen hörte: es war nicht mehr die Rede von den Vorwürfen, welche sie sich oft machte, sich Giulio zu schnell gegeben zu haben, was sie in Giulios Augen vielleicht weniger liebenswürdig erscheinen lassen könnte. Dieser Tag brachte die Sache des jungen Mannes weiter, als sechs Monate Treue und Beteuerungen. 'Wozu lügen?' sagte sich Helena, 'liebe ich ihn nicht mit ganzer Seele?' Um halb zwölf Uhr sah sie ganz deutlich ihren Vater und ihren Bruder auf dem großen Steinbalkon unter ihrem Fenster Stellung fassen. Zwei Minuten, nachdem es am Kapuzinerkloster Mitternacht geschlagen hatte, hörte sie gleichfalls sehr gut die Schritte ihres Geliebten, der bei der großen Eiche anhielt; sie bemerkte mit Freude, daß ihr Vater und ihr Bruder nichts gehört zu haben schienen: es erforderte die Angst der Liebe, um ein so leichtes Geräusch zu unterscheiden. 'Jetzt', sagte sie sich, 'werden sie mich töten, aber um keinen Preis dürfen sie den Brief von heute Abend bekommen; sie würden diesen armen Giulio auf ewig verfolgen,' Sie machte das Zeichen des Kreuzes und indem sie sich mit einer Hand am Eisenbalkon ihres Fensters festhielt, beugte sie sich so weit wie möglich zur Straße hinaus. Nicht eine Viertelminute war verstrichen, als der Strauß, der wie gewöhnlich an dem langen Rohr befestigt war, ihren Arm berührte. Sie ergriff den Strauß, allein als sie ihn schnell von der äußersten Spitze des Rohrs, auf der er befestigt war, abreißen wollte, geschah es, daß dieses Rohr gegen den Steinbalkon anschlug. Im gleichen Augenblick lösten sich zwei Flintenschüsse, auf die völlige Stille folgte. Ihr Bruder Fabio, ungewiß in der Dunkelheit vermutend, es sei, was heftig gegen den Balkon schlug, ein Seil, mit dessen Hilfe Giulio von seiner Schwester herabsteige, hatte gegen ihren Balkon Feuer gegeben; am nächsten Morgen fand sie den Eindruck der Kugel, welche sich auf dem Eisen breitgeschlagen hatte. Herr von Campireali hatte auf die Straße gezielt; gerade unter den Steinbalkon, weil Giulio beim Zurückziehen des Rohrs, das beinahe gefallen wäre, etwas Geräusch gemacht hatte. Als Giulio das Geräusch über seinem Kopfe hörte, erriet er, was folgen würde und hatte sich unter dem Vorsprung des Balkons gedeckt. Fabio lud schnell seine Flinte von neuem und lief, ungeachtet der Vorstellungen seines Vaters, in den Garten des Hauses; öffnete geräuschlos eine kleine Tür, die auf eine Seitenstraße führte, und schlich sich heran, um die Leute, welche unter dem Balkon des Hauses vorbeigingen, ein wenig zu mustern. In diesem Augenblick befand sich Giulio, der an diesem Abend nicht allein war, zwanzig Schritt entfernt an einen Baum gelehnt. Helena, die über ihren Balkon gebeugt um ihren Geliebten zitterte, begann alsbald sehr laut mit ihrem Bruder, den sie auf der Straße hörte, zu sprechen; sie fragte ihn, ob er die Diebe getötet habe. "Glaub nicht, daß ich mich durch deine schändliche List täuschen lasse," schrie dieser ihr von der Straße aus zu, welche er in allen Richtungen durchmaß, "aber halte deine Tränen bereit, denn ich werde den Unverschämten, töten, der es wagt, sich deinem Fenster zu nähern." Kaum waren diese Worte gesprochen, als Helena hörte, wie ihre Mutter an die Tür ihres Zimmers klopfte. Helena beeilte sich, ihr zu öffnen, indem sie sagte, daß es ihr unbegreiflich wäre, daß die Türe verschlossen sei. "Keine Komödie, teures Kind," sagte ihre Mutter, "dein Vater ist wütend und kann dich vielleicht töten: komm zu mir in mein Bett, und wenn du einen Brief hast, gib ihn mir, ich werde ihn verstecken.[sic! Fehlt: "] Helena sagte ihr: "Hier ist der Strauß, der Brief ist zwischen den Blumen versteckt." Kaum waren Mutter und Tochter im Bett, als Herr Campireali ins Zimmer seiner Frau eintrat; er kam aus ihrem Betgemach, das er soeben durchgestöbert und wo er alles durcheinandergeworfen hatte. Was Helena auffiel, war, daß ihr Vater, blaß wie ein Gespenst, mit Bedacht zu Wege ging, wie jemand, der seinen Entschluß wohl erwogen hat. 'Ich bin tot!' sagte sich Helena. "Wir sind glücklich, Kinder zu haben," sagte ihr Vater, als er zitternd vor Wut, aber den Schein vollkommener Kaltblütigkeit wahrend, am Bett seiner Frau vorbei in das Zimmer seiner Tochter ging; "wir sind glücklich, Kinder zu haben, statt dessen sollten wir lieber blutige Tränen vergießen, wenn diese Kinder Mädchen sind. Großer Gott! Ist es wohl möglich! Ihre Leichtfertigkeit kann einem Mann, der seit sechzig Jahren nicht den mindesten Vorwurf auf sich geladen hat, die Ehre rauben." Bei diesen Worten ging er ins Zimmer seiner Tochter. "Ich bin verloren," sagte Helena zu ihrer Mutter, "die Briefe sind unter dem Sockel des Kruzifixes neben dem Fenster." Sogleich sprang ihre Mutter aus dem Bett und rannte zu ihrem Manne. Sie begann ihm so schlecht wie nur möglich Vernunft zuzusprechen, um seinen Zorn zum Ausbruch zu bringen, und es gelang ihr vollkommen. Der alte Mann wurde wütend, er zerschlug alles im Zimmer seiner Tochter; aber die Mutter konnte unbemerkt die Briefe an sich nehmen. Eine Stunde später, als Herr Campireali wieder in sein Zimmer zurückgekehrt war, das neben dem seiner Frau lag und im ganzen Haus Ruhe herrschte, sagte die Mutter zu ihrer Tochter: "Hier sind deine Briefe, ich will sie nicht lesen; du siehst, was sie uns beinah gekostet hätten! An deiner Stelle würde ich sie verbrennen. Leb wohl und küsse mich." Helena ging, aufgelöst in Tränen, in ihr Zimmer zurück. Es schien ihr, daß sie seit den Worten ihrer Mutter Giulio nicht mehr liebte. Dann machte sie sich daran, seine Briefe zu verbrennen; aber sie mußte sie noch einmal lesen, bevor sie sie vernichtete. Sie las sie so oft und so gründlich, daß die Sonne schon hoch am Himmel stand, als sie sich endlich entschloß, den heilsamen Rat zu befolgen. Am nächsten Morgen, der ein Sonntag war, ging Helena mit ihrer Mutter zur Messe; zum Glück folgte ihr Vater ihnen nicht. Der erste Mensch, den sie in der Kirche bemerkte, war Giulio Branciforte. Mit einem Blick überzeugte sie sich, daß er nicht verletzt war. Ihr Glück war am Gipfel. Die Ereignisse der letzten Wochen lagen tausend Meilen zurück. Sie hatte sich fünf oder sechs mit Bleistift beschriebene Billets vorbereitet, aus alten, mit feuchter Erde beschmutzten Papierfetzen, wie man sie auf den Fliesen einer Kirche finden kann; diese Billets enthielten alle die gleiche Warnung: 'Sie hätten alles entdeckt, bis auf seinen Namen. Er möge nicht mehr in der Straße erscheinen; man werde oft hierherkommen.' Helena ließ eins dieser Zettelchen fallen: ein Blick belehrte Giulio, der es aufhob und verschwand. Als sie eine Stunde später nach Haus zurückkehrte, fand sie auf der großen Treppe des Palastes einen Papierfetzen, der dadurch ihren Blick auf sich zog, daß er vollkommen denen glich, deren sie sich selbst am Morgen bedient hatte. Sie griff danach, ohne daß selbst ihre Mutter es bemerkte und las: "In drei Tagen wird er von Rom zurückkehren, wohin zu gehen er gezwungen ist. Man wird am hellen Tage singen, an den Markttagen, mitten im Lärm der Bauern." Diese Abreise nach Rom erschien Helena sonderbar. 'Fürchtet er die Flintenschüsse meines Bruders?' sagte sie sich traurig. Die Liebe verzeiht alles, nur nicht die freiwillige Abwesenheit. Dies ist die schlimmste aller Qualen. Anstatt sich süßen Träumen zu ergeben und ganz damit beschäftigt zu sein, alle Gründe zu erwägen, die man hat, um seinen Geliebten zu lieben, ist das Leben von grausamen Zweifeln beunruhigt. 'Aber kann ich denn nach allem, was geschehen ist, glauben, daß er mich nicht mehr liebt?' sagte sich Helena während der drei langen Tage, die Brancifortes Abwesenheit dauerte. Plötzlich wich ihr Kummer einer unsinnigen Freude: am dritten Tage sah sie ihn am hellen Mittag auf der Straße vor dem Palast ihres Vaters erscheinen. Er trug neue und fast prächtige Gewänder. Niemals waren die Vornehmheit seiner Haltung und die heitere und mutige Unbekümmertheit seines Antlitzes vorteilhafter hervorgetreten; nie allerdings hatte man auch vor diesem Tage so oft in Albano von der Armut Giulios gesprochen. Es waren die Männer und besonders die jungen Leute, welche dieses grausame Wort wiederholten; die Frauen und vor allem die jungen Mädchen konnten sich in Lobeserhebungen über seine gute Erscheinung nicht genug tun. Giulio verbrachte den ganzen Tag damit, in der Stadt umherzuschlendern; es machte den Eindruck, als ob er sich für die Monate der Haft, zu der ihn seine Armut verdammt hatte, entschädigen wollte. Wie es einem Verliebten zukommt, war Giulio unter seinem neuen Rock gut bewaffnet. Außer seinem Degen und seinem Dolch hatte er sein giacco angelegt, eine Art Weste aus geflochtenem Draht, welche sehr unbequem zu tragen war, jedoch diese italienischen Herzen von einer traurigen Krankheit heilte, deren peinliche Anfälle man in jenem Jahrhundert unaufhörlich erleben konnte; ich spreche von der Furcht, an einer Straßenbiegung durch einen seiner wohlbekannten Feinde getötet zu werden. An diesem Tage hoffte Giulio Helena zu begegnen; übrigens hatte er auch einen gewissen Widerwillen, mit sich allein in seinem einsamen Haus zu sein. Hier der Grund: Ranuccio, ein alter Soldat seines Vaters, der unter diesem schon zehn Feldzüge in den Truppen verschiedener Bandenführer und zuletzt des Marco Sciarra mitgemacht hatte, war seinem Hauptmann gefolgt, als dessen Wunden ihn zwangen, sich zurückzuziehen. Hauptmann Branciforte hatte seine Gründe, nicht in Rom zu leben; er hätte dort die Söhne von Männern treffen können, die er getötet hatte; selbst in Albano sorgte er vor, daß er nicht nur auf die Gnade der regulären Autorität angewiesen sei. Anstatt ein Haus in der Stadt zu kaufen oder zu mieten, zog er es vor, eins zu bauen, das so gelegen war, daß man seine Besucher schon von weitem zu sehen vermochte. Er fand in den Ruinen von Alba einen wundervollen Platz: man konnte von dort, ohne von indiskreten Besuchern bemerkt zu werden, sich in den Wald zurückziehen, wo sein alter Freund und Herr, der Fürst Fabrizio Colonna herrschte. Hauptmann Branciforte kümmerte die Zukunft seines Sohnes wenig. Als er sich, erst fünfzig Jahre alt, aber besät mit Wunden, vom Dienst zurückzog, nahm er an, daß er noch zehn Jahre leben werde, und verbrauchte, nachdem sein Haus gebaut war, jeden Tag den zehnten Teil dessen, was er aus den Plünderungen von Städten und Dörfern zusammengerafft, und denen beizuwohnen er die Ehre gehabt hatte. Er kaufte den Weinberg, der jetzt seinem Sohn dreißig Taler Rente trug, als Antwort auf den schlechten Scherz eines Bürgers von Albano, der ihm eines Tages, da er erregt über die Interessen und die Ehre der Stadt disputierte, zurief, daß es in der Tat einem so reichen Grundbesitzer, wie er einer sei, wohl zustehe, den Eingesessenen Albanos Ratschläge zu erteilen. Der Hauptmann kaufte den Weinberg und kündigte an, daß er noch viele andre kaufen werde; später, als er den Spötter an einem einsamen Ort traf, tötete er ihn mit einem Pistolenschuß. Nach acht Jahren dieser Art des Lebens starb der Hauptmann; sein Adjutant Ranuccio betete Giulio an; trotzdem nahm er, des Nichtstuns müde, wieder Dienst in der Truppe des Fürsten Colonna. Oft besuchte er seinen Sohn Giulio, wie er ihn nannte, und am Vorabend eines gefährlichen Angriffs, den der Fürst in seiner Feste Petrella aushalten mußte, hatte er Giulio mit zum Kampf genommen. Da er ihn sehr tapfer fand, sagte er: "Du mußt wirklich toll und außerdem recht einfältig sein, daß du bei Albano wie der letzte und ärmste seiner Einwohner lebst, während du mit deinem Mut und dem Namen deines Vaters ein glänzender Soldat sein und dein Glück machen könntest." Giulio wurde durch diese Worte gequält; ein Priester hatte ihn Latein gelehrt; aber da sein Vater über alles, was der Priester sonst noch sagte, nur zu spotten pflegte, hatte er außer dem nicht das geringste gelernt. Dafür hatte sich bei ihm, der wegen seiner Armut verachtet und in seinem einsamen Haus ganz auf sich selbst angewiesen war, ein gesunder Menschenverstand entwickelt, welcher durch seine gewagte Kühnheit selbst Gelehrte in Erstaunen gesetzt hätte. Zum Beispiel schwärmte er, bevor er Helena liebte, ganz ohne zu wissen, warum, für den Krieg; aber er hatte einen Widerwillen gegen das Plündern, das doch in den Augen seines Vaters und Ranuccios der kleinen lustigen Komödie glich, die auf die edle ernste Tragödie folgt. Seit er Helena liebte, ließ ihn dieser gesunde Scharfblick, den er sich durch seine einsamen Überlegungen angeeignet hatte, Qualen erleiden. Diese früher so sorglose Seele wagte niemanden wegen ihrer Zweifel um Rat zu fragen und war von Leidenschaft und Unglück erfüllt. Was würde Herr von Campireali nicht alles sagen, wenn er Brigant würde? Dann erst würde er ihm begründete Vorwürfe machen können. Giulio hatte sich immer den Soldatenberuf als eine Sicherung für die Zeit aufgehoben, wo er den Erlös der goldenen Ketten und andren Kostbarkeiten ausgegeben haben würde, die er in der eisernen Kasse seines Vaters gefunden hatte. Giulio hatte trotz seiner Armut gar keinen Skrupel, die Tochter des reichen Herrn Campireali zu entführen, weil zu jener Zeit die Väter ganz nach ihrem Belieben über ihr Gut verfügten, und sehr leicht war es möglich, daß Herr von Campireali seiner Tochter nur tausend Taler als einziges Erbe hinterließ. Aber ein andres beschäftigte die Einbildungskraft Giulios aufs tiefste: erstens: in welcher Stadt würde er die junge Helena unterbringen, wenn er sie ihrem Vater entführt und geheiratet hatte; zweitens: mit welchem Geld würde er sie leben lassen? Als ihm Herr Campireali den beißenden Tadel versetzte, der ihn so empfindlich traf, war Giulio zwei Tage hindurch die Beute der Wut und des heftigsten Schmerzes: er konnte sich weder entschließen, den alten Mann zu töten, noch ihn leben zu lassen. Er verbrachte ganze Nächte weinend; endlich entschloß er sich, Ranuccio zu befragen, den einzigen Freund, den er auf der Welt hatte; aber würde dieser Freund ihn verstehen? Vergeblich suchte er im ganzen Wald von La Faggiola nach Ranuccio; er mußte auf der Straße von Neapel noch über Velletri hinaus gehen, wo Ranuccio einen im Hinterhalt liegenden Trupp befehligte. Er lauerte dort mit einer zahlreichen Schar auf den spanischen General Ruiz d'Avalis, welcher zu Land nach Rom reiste, ohne daran zu denken, daß er kürzlich vor vielen Leuten mit Verachtung von den Briganten des Colonna gesprochen hatte. Sein Feldprediger erinnerte ihn gerade noch zur rechten Zeit an diese kleine Begebenheit, und Ruiz d'Avalis zog es vor, ein Schiff rüsten zu lassen und übers Meer nach Rom zu reisen. Als der Hauptmann Ranuccio Giulios Erzählung gehört hatte, sagte er ihm: "Beschreibe mir genau diesen Herrn Campireali, damit seine Unklugheit nicht irgend einem guten Bürger Albanos das Leben kostet. Sobald die Sache, die uns hier zurückhält, beendet ist, sei es gut oder schlecht, wirst du dich nach Rom begeben und darauf bedacht sein, dich zu allen Tageszeiten in Gastwirtschaften und an andren öffentlichen Orten zu zeigen, denn man darf nicht, wegen deiner Liebe zur Tochter, gegen dich Verdacht schöpfen können." Giulio hatte große Mühe, den Zorn des alten Gefährten seines Vaters zu beruhigen. Es blieb ihm nichts übrig, als ärgerlich zu werden: "Glaubst du, daß ich deinen Degen brauche?" sagte er endlich. "Man sollte meinen, daß ich selbst einen besitze! Ich wünsche einen verständigen Rat von dir." Ranuccio schloß die ganze Auseinandersetzung mit den Worten: "Du bist jung, du hast keine Wunde, die Beleidigung war öffentlich; nun, ein entehrter Mann ist selbst bei den Frauen verachtet." Giulio sagte ihm, daß er mit sich noch darüber zu Rate gehen wolle, wonach ihn gelegentlich verlange, und trotz des Drängens Ranuccios, der durchaus darauf beharrte, daß er an dem Überfall auf den spanischen General teilnehmen möge -- wobei man, wie er sagte, Ehren erlangen könne, ganz abgesehen von den Dublonen -- kehrte er allein in sein Haus zurück. Dort hatte er am Abend vor dem Tage, wo Herr von Campireali auf ihn schoß, Ranuccio und seinen Korporal empfangen, die auf dem Rückweg aus der Gegend von Velletri waren. Ranuccio hatte Mühe, die kleine eiserne Truhe zu sehen, wo sein Herr, der Hauptmann Branciforte, ehemals die goldenen Ketten und andre Schmucksachen einschloß, wenn es ihm nicht paßte, gleich nach der Expedition ihren Erlös auszuheben. Ranuccio fand zwei Scudi darin. "Ich rate dir, werde Mönch," sagte er zu Giulio, "du hast alle Tugenden dazu: die Liebe zur Armut, den Beweis haben wir vor Augen; die Demut: du läßt dich auf offener Straße von einem Geldsack aus Albano beschimpfen. Nun fehlen dir bloß noch die Heuchelei und der Bauch." Ranuccio legte mit Gewalt fünfzig Dublonen in die eiserne Truhe. "Ich gebe dir mein Wort," sagte er zu Giulio, "wenn binnen eines Monats dieser Herr Campireali nicht mit allen Ehren, die seiner Vornehmheit und seinem Reichtum gebühren, eingescharrt ist, wird mein Korporal, so wahr er hier steht, mit dreißig Mann deine Hütte zerstören und deine armseligen Möbel verbrennen. Es darf nicht sein, daß der Sohn des Hauptmann Branciforte unter dem Vorwand der Liebe eine schlechte Figur in der Welt macht." Als Herr von Campireali und sein Sohn die beiden Schüsse abfeuerten, hatten Ranuccio und der Korporal unter dem Steinbalkon Stellung genommen und Giulio hatte die größte Mühe, sie zu verhindern, Fabio zu töten oder mindestens zu entführen, als dieser unvorsichtig aus dem Garten trat, wie wir schon erzählt haben. Die Erwägung, welche Ranuccio beruhigte, war folgende: man soll nicht einen jungen Mann, der noch etwas werden und sich nützlich machen kann, töten, während ein alter Sünder dabei ist, mit mehr Schuld und zu nichts mehr gut als zum Begraben werden. Am Morgen nach diesem Abenteuer schlug sich Ranuccio in die Wälder und Giulio reiste nach Rom. Die Freude darüber, daß er sich mit den von Ranuccio geschenkten Dublonen schöne Gewänder kaufen könnte, war durch einen in seinem Jahrhundert ganz ungewöhnlichen Gedanken grausam getrübt, der die hohe Bestimmung ahnen ließ, zu der er später gelangte. Er sagte sich: 'Helena muß wissen, wer ich bin.' Jeder andre junge Mann seines Alters und seiner Zeit hätte nur davon geträumt, sich seiner Liebe zu erfreuen und Helena zu entführen, ohne im geringsten daran zu denken, was in sechs Monaten aus ihr werden würde, und ebensowenig, welche Meinung sie von ihm hegen könnte. Nach Albano zurückgekehrt, erfuhr Giulio durch seinen Freund, den alten Scotti, am gleichen Nachmittag, da er vor aller Augen in seinen schönen, aus Rom mitgebrachten Gewändern glänzte, daß Fabio zu Pferde die Stadt verlassen habe, um nach einem drei Meilen entfernten Gut zu reiten, das sein Vater in der Ebene an der Küste besaß. Später sah er, wie Herr Campireali in Begleitung von zwei Priestern den Weg durch die prächtige grüne Eichenallee einschlug, welche den Rand des Kraters krönt, auf dessen Grund der See von Albano liegt. Zehn Minuten danach drang eine alte Frau dreist in den Palazzo Campireali ein, unter dem Vorwand, schöne Früchte zu verkaufen; die erste Person, die sie traf, war die kleine Kammerzofe Marietta, die intime Vertraute ihrer Herrin Helena. Diese errötete bis ins Weiße der Augen, als sie einen schönen Blumenstrauß empfing. Der in diesem Strauß verborgene Brief war unermeßlich lang: Giulio erzählte alles, was er seit der Nacht der Flintenschüsse erlebt hatte; aber aus einer eigentümlichen Scham heraus wagte er nicht, das, worauf jeder andre junge Mann seiner Zeit stolz gewesen wäre, zu gestehen: daß er der Sohn eines durch seine Abenteuer berühmten Kapitäns war und selbst bereits in mehr als einem Kampf durch seine Tapferkeit erprobt. Er glaubte stets die Betrachtungen zu hören, welche diese Tatsachen dem alten Campireali eingeben würden. Man muß wissen, daß im sechzehnten Jahrhundert die Mädchen -- einer gesunden republikanischen Vernunft näher als heute -- einen Mann viel mehr seiner Taten wegen schätzten, als wegen der zusammengescharrten Reichtümer oder der berühmten Taten seiner Väter. Aber es waren hauptsächlich die jungen Mädchen aus dem Volk, welche diese Anschauung hatten; die den reichen Klassen oder dem Adel angehörten, hatten Angst vor den Briganten und hielten, wie es sich schließlich versteht, Adel und Reichtum in hoher Achtung. Giulio schloß seinen Brief mit folgenden Worten: "Ich weiß nicht, ob die gefälligen Gewänder, die ich aus Rom gebracht habe, Euch die grausame Beleidigung vergessen ließen, die mir kürzlich jemand wegen meines armsäligen[sic! sonst einheitlich: armseligen] Äußern zugefügt hat, den Ihr verehrt; ich hatte die Möglichkeit, mich schützen zu können, ich hätte es tun müssen, meine Ehre verlangte es: ich habe es wegen der Tränen nicht getan, welche meine Rache Augen gekostet hätte, die ich anbete. Dies kann Euch beweisen, wenn Ihr zu meinem Unglück noch daran zweifeln solltet, daß man sehr arm sein und doch edle Gefühle haben kann. Außerdem muß ich Euch ein schreckliches Geheimnis enthüllen; es würde mir sicher nicht schwer werden, es jeder andren Frau zu sagen; aber ich weiß nicht, warum: ich zittre, wenn ich daran denke, es Euch zu bekennen. Es könnte in einem Augenblick die Liebe, die Ihr zu mir fühlt, zerstören; keine Versicherung von Eurer Seite würde mir genügen. Ich will in Euren Augen die Wirkung lesen, welche dieses Geständnis hervorruft. An einem der nächsten Tage werde ich Euch bei Anbruch der Nacht im Garten hinter dem Palast sehen. Am gleichen Tag werden Fabio und Euer Vater abwesend sein: sobald ich mir die Gewißheit verschafft haben werde, daß sie, trotz ihrer Geringschätzung für einen armen schlecht gekleideten jungen Mann, uns nicht dreiviertel Stunden oder eine Stunde des Beisammenseins zu rauben vermögen, wird vor den Fenstern Eures Palastes ein Mann erscheinen, der den Dorfkindern einen zahmen Fuchs vorführen wird. Später, beim Läuten des Ave Maria, werdet Ihr in der Ferne einen Flintenschuß hören; in diesem Augenblick nähert Euch der Mauer Eures Gartens und wenn Ihr nicht allein seid, singt. Herrscht Schweigen, wird Euer Sklave zitternd vor Euren Füßen erscheinen und Euch Dinge erzählen, die Euch vielleicht entsetzen werden. In Erwartung dieses für mich entscheidenden und schrecklichen Tages, werde ich nicht mehr versuchen, Euch um Mitternacht einen Strauß zu überreichen; aber gegen zwei Uhr nachts werde ich singend vorübergehen und vielleicht werdet Ihr vom großen Steinbalkon eine Blume fallen lassen, die von Euch aus Eurem Garten gepflückt wurde. Dies sind vielleicht die letzten Zeichen der Neigung, die Ihr dem unglücklichen Giulio geben werdet." Drei Tage später waren Helenas Vater und Bruder auf das Gut geritten, das sie am Ufer des Meeres besaßen; sie mußten etwas vor Sonnenuntergang fortreiten, um gegen zwei Uhr nachts wieder zu Hause zu sein. Aber, als sie den Heimritt antreten wollten, waren nicht nur ihre beiden Pferde, sondern alle, die noch in der Farm waren, verschwunden. Sehr erstaunt über diesen kühnen Diebstahl suchten sie nach ihren Pferden, die aber erst am nächsten Tag im Hochwald, der ans Meer grenzt, gefunden wurden. Die beiden Campireali, Vater und Sohn, waren genötigt, in einem von Ochsen gezogenen Landfuhrwerk nach Albano zurückzukehren. Als an diesem Abend Giulio vor Helena kniete, war es beinahe völlig dunkel, und das arme Mädchen war sehr glücklich über diese Finsternis: sie stand zum ersten Male vor dem Mann, den sie zärtlich liebte, der das sehr wohl wußte, aber den sie noch nie gesprochen hatte. Eine Beobachtung, die sie machte, gab ihr ein wenig Mut: Giulio war noch bleicher und zaghafter als sie. Sie sah ihn zu ihren Füßen: "Ich bin wahrhaftig außerstande, zu sprechen", sagte er ihr. Es folgten einige sehr glückliche Augenblicke; sie sahen sich an, aber konnten kein Wort hervorbringen und waren unbeweglich, wie eine sehr ausdrucksvolle Marmorgruppe. Giulio lag auf den Knien und hielt eine Hand Helenas, sie hatte das Haupt gesenkt und betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit. Giulio wußte wohl, daß er irgend etwas hätte versuchen müssen, wenn er den Ratschlägen seiner Freunde, der jungen Lebemänner Roms, hätte folgen wollen; aber dieser Gedanke entsetzte ihn. Er wurde aus diesem Zustand der Verzückung, vielleicht dem höchsten Glück, das die Liebe geben kann, durch das Bewußtsein aufgeschreckt: die Zeit verfliegt schnell, die beiden Campireali nähern sich ihrem Hause. Er begriff, daß er mit seiner gewissenhaften Seele kein dauerndes Glück finden könne, so lange er nicht seiner Geliebten jenes schreckliche Geständnis gemacht habe, das seinen römischen Freunden als große Dummheit erschienen wäre. "Ich habe Euch von einem Geständnis gesprochen, welches ich vielleicht nicht machen sollte", sagte er endlich zu Helena. Giulio wurde ganz bleich, er sprach mühsam und als ob ihm der Atem fehlte, weiter: "Vielleicht sehe ich jetzt die Gefühle schwinden, deren Hoffnung mein Leben ist. Ihr haltet mich für arm; das ist nicht alles: ich bin Brigant und Sohn eines Briganten." Bei diesen Worten fühlte Helena, die als Tochter eines reichen Mannes in allen Vorurteilen ihrer Kaste aufgewachsen war, daß ihr übel wurde, sie fürchtete umzusinken; 'welcher Kummer würde dies für den armen Giulio sein!' dachte sie, 'er wird sich verachtet glauben,' Er lag vor ihr auf den Knien. Um nicht zu fallen, stützte sie sich auf ihn, und fast im gleichen Augenblick sank sie wie bewußtlos in seine Arme. Wie man sieht, liebte man im sechzehnten Jahrhundert Genauigkeit in Liebesdingen. Dies kam daher, daß nicht der Verstand diese Geschehnisse beurteilte, sondern die Einbildungskraft sie fühlte und die Leidenschaft des Lesers sich an der der Helden entzündete. Die beiden Manuskripte, denen wir folgen, und besonders jenes, das einige dem florentinischen Dialekt eigentümliche Wendungen aufweist, beschreiben mit den kleinsten Einzelheiten alle Zusammenkünfte, welche auf diese folgten. Die Gefahr ließ in dem jungen Mädchen keine Gewissenszweifel aufkommen. Oft war die Gefahr außerordentlich, doch dadurch wurden diese beiden Herzen, welche alle Eindrücke, die mit ihrer Liebe zusammenhingen, als Glück empfanden, nur noch mehr entflammt. Öfters waren Fabio und sein Vater nahe daran, sie zu überraschen. Sie waren wütend, weil sie sich gefoppt fühlten. Der öffentliche Klatsch trug ihnen zu, daß Giulio Helenas Liebhaber sei und sie konnten nichts bemerken. Fabio, heftig und ahnenstolz, schlug seinem Vater vor, Giulio töten zu lassen. "So lange er auf der Welt ist," sagte er, "läuft das Leben meiner Schwester Gefahr. Wer schützt uns davor, daß unsre Ehre uns nicht im ersten Augenblick zwingen wird, unsre Hände in das Blut dieser Eigensinnigen zu tauchen? Sie ist zu solchem Unmaß von Verwegenheit gelangt, daß sie ihre Liebe nicht einmal mehr leugnet; habt Ihr sie auf Eure Vorwürfe anders antworten gehört, als mit einem verbissenen Schweigen? Nun wohl, dieses Schweigen ist das Todesurteil für Giulio Branciforte." "Denk daran, was sein Vater war", antwortete Herr von Campireali. '[sic! statt: "]Sicherlich ist es für uns nicht schwer, auf sechs Monate nach Rom zu gehen und während dieser Zeit diesen Branciforte verschwinden zu lassen. Aber wer sagt uns, daß sein Vater, der trotz all seiner Verbrechen tapfer und freigebig war, -- freigebig genug, um viele seiner Soldaten reich zu machen, während er selbst arm blieb -- wer sagt uns, daß sein Vater nicht noch Freunde besitzt, sei es in der Schar des Herzogs von Monte Mariano, sei es in der Truppe Colonna, welche oft die Wälder von La Faggiola besetzt, die nur eine halbe Meile von uns entfernt sind? In diesem Fall werden wir alle ohne Erbarmen umgebracht, du, ich und vielleicht auch deine unglückliche Mutter." Diese oft erneuten Unterhaltungen zwischen Vater und Sohn waren der Mutter Helenas, Vittoria Carafa, nur zum Teil verborgen geblieben und brachten sie zur Verzweiflung. Das Ergebnis der Unterhaltungen zwischen Vater und Sohn war, daß es sich nicht mit ihrer Ehre vertrüge, den Klatsch, der in Albano umging, ruhig dauern zu lassen. Da es nicht klug schien, diesen jungen Branciforte verschwinden zu machen, der täglich unverschämter wurde und jetzt sogar in seinen prächtigen Kleidern die Dreistigkeit so weit trieb, an öffentlichen Orten das Wort an Fabio oder dessen Vater zu richten, erübrigte nichts als einen der beiden folgenden Entschlüsse oder vielleicht alle beide ausführen: die ganze Familie mußte nach Rom gehen, Helena aber im Kloster der Heimsuchung in Castro untergebracht und so lange dort belassen werden, bis eine passende Heirat für sie gefunden war. Niemals hatte Helena ihrer Mutter ein Geständnis ihrer Liebe gemacht: Mutter und Tochter liebten sich zärtlich, sie verbrachten ihr Leben gemeinsam, und doch war nie ein einziges Wort über diesen Gegenstand gesprochen worden, der sie beide fast in gleichem Maße beschäftigte. Zum erstenmal verriet sich in Worten, was fast ausschließlich Gegenstand ihrer Gedanken war, als die Mutter ihrer Tochter zu verstehen gab, man wolle nach Rom übersiedeln und vielleicht sogar Helena für einige Jahre in das Kloster von Castro schicken. Diese Unterredung war von Vittoria Carafa unklug und ließ sich nur durch die unsinnige Zärtlichkeit entschuldigen, welche sie für ihre Tochter hegte. Im Übermaß ihrer Liebe wollte Helena ihrem Geliebten beweisen, daß sie sich seiner Armut nicht schämte und daß ihr Vertrauen in seine Ehrenhaftigkeit ohne Grenzen war. "Wer würde es glauben," ruft der florentinische Chronist aus, "daß trotz so vielen gewagten Zusammenkünften, im Garten und ein- oder zweimal sogar in ihrem eigenen Zimmer, für die sie sich einem schrecklichen Tod aussetzten, Helena unberührt war!" Durch ihre Tugend sicher, schlug sie ihrem Geliebten vor, gegen Mitternacht den Palast durch den Garten zu verlassen, und den Rest der Nacht in seinem kleinen, auf den Ruinen Albas erbauten Haus zu verbringen, das mehr als eine halbe Stunde entfernt lag. Sie verkleideten sich als Franziskanermönche. Helena war hoch gewachsen und glich, so gekleidet, einem jungen Novizen von achtzehn oder zwanzig Jahren. Es ist unbegreiflich und zeigt Gottes Finger, daß Giulio und seine Geliebte, als Mönche verkleidet, auf dem engen, in den Felsen gehauenen Weg, der an der Mauer des Kapuzinerklosters entlang führt, Herr von Campireali und seinem Sohn Fabio begegneten, welche, von vier wohlbewaffneten Dienern gefolgt und einem Pagen mit brennender Fackel voran, aus Castel Gandolfo zurückkehrten, einem unweit am Ufer des Sees gelegenen Ort. Um die Liebenden vorbeizulassen, stellten sich die Campireali und ihre Diener zur Rechten und Linken dieses in den Felsen gehauenen Wegs auf, welcher etwa acht Fuß breit sein mochte. Wieviel besser wäre es für Helena gewesen, wenn man sie in diesem Augenblick erkannt hätte! Sie wäre durch einen Pistolenschuß ihres Vaters oder ihres Bruders getötet worden und ihre Marter hätte nur einen Augenblick gedauert: aber der Himmel hatte es anders beschlossen. Superis aliter visum. Man fügt dieser sonderbaren Begegnung noch einen Umstand hinzu, welchen die Signora Campireali noch oftmals im höchsten Alter erzählt hat, als fast Hundertjährige in Rom, vor Leuten, die selbst sehr alt waren; sie haben es mir wiedererzählt, als meine große Neugierde sie über diesen Gegenstand und über vieles andre ausforschte. Fabio von Campireali, der ein junger auf seinen Mut stolzer Mann und hochfahrend war, rief, als er merkte, daß der ältere Mönch weder seinen Vater noch ihn grüßte, trotzdem er so nah an ihnen vorbeiging: "Das ist ja ein Spitzbube von einem stolzen Mönch! Gott weiß, was er außerhalb des Klosters sucht, er und sein Begleiter, zu so ungehöriger Stunde! Ich weiß nicht, was mich abhält, ihre Kapuzen zu lüften, wir würden sehen, wie sie ausschauen!" Bei diesen Worten faßte Giulio nach seinem Dolch unter der Mönchskutte und stellte sich zwischen Fabio und Helena. In diesem Augenblick war nicht mehr als ein Fuß breit Raum zwischen ihm und Fabio; aber der Himmel befahl es anders und besänftigte durch ein Wunder den Zorn dieser beiden jungen Leute, die sich bald danach in noch anderer Nähe sehen sollten. In dem Prozeß, den man in der Folge Helena von Campireali machte, wollte man diesen nächtlichen Ausflug als einen Beweis ihrer Verderbtheit darstellen; doch es war das Delirium eines jungen Herzens, das in ganz unsinniger Liebe entflammt war, denn dies Herz war rein. III. Die Orsini, die ewigen Nebenbuhler der Colonna und damals in den Dörfern zunächst Rom allmächtig, hatten erst vor kurzem einen reichen Landwirt namens Balthasar Bandini aus La Petrella durch die Gerichte der Regierung zum Tod verurteilen lassen. Es würde zu weit führen, hier die verschiedenen Taten aufzuzählen, welche man dem Bandini zur Last legte: zum größten Teil wären sie heute Verbrechen, aber im Jahre 1559 durften sie nicht in einer so strengen Weise betrachtet werden. Bandini saß in einem den Orsini gehörenden Schloß gefangen, das bei Valmontone im Gebirge lag, sechs Meilen von Albano entfernt. Der Bargello von Rom, von hundertfünfzig seiner Sbirren gefolgt, verbrachte eine Nacht auf der Landstraße; er war gekommen, um Bandini zu holen und ihn nach Rom ins Gefängnis von Tor di Nona zu bringen. Bandini hatte in Rom gegen das Todesurteil Berufung eingelegt. Aber, wie wir schon sagten, war er aus La Petrella gebürtig, einer Feste, die den Colonna gehörte; seine Frau war zu Colonna geeilt, der sich in La Petrella aufhielt, und sagte ihm vor allen Leuten: "Werdet Ihr einen Eurer treuen Diener sterben lassen?" Colonna erwiderte: "Es wäre Gott nicht wohlgefällig, wenn ich die Ehrfurcht verletzte, die ich den Entscheidungen der Gerichte des Papstes, meines Herrn, schulde!" Sofort erhielten seine Soldaten Befehle, und er ließ allen seinen Anhängern Weisung zukommen, sich bereit zu halten. Der Sammelpunkt wurde bei Valmontone bestimmt, einer kleinen, auf dem Gipfel eines niederen Felsens gelegenen Stadt, die aber einen stufenlosen und fast lotrechten Absturz von sechzig bis achtzig Fuß Tiefe zur Schutzwehr hat. In diese kleine, dem Papst gehörende, Stadt war es den Anhängern der Orsini und den Sbirren der Regierung geglückt, Bandini zu schaffen. Unter die eifrigsten Anhänger dieser Partei rechnete man Herrn von Campireali und seinen Sohn Fabio, die übrigens mit den Orsini weitläufig verwandt waren. Seit jeher waren dagegen Giulio Branciforte und sein Vater Anhänger der Colonna. Unter Umständen, wo es den Colonna nicht paßte, öffentlich zu handeln, nahmen sie zu einer einfachen Vorsicht ihre Zuflucht: die meisten der reichen römischen Bauern waren damals wie heute Mitglieder irgendwelcher Büßergemeinschaften. Die Büßer erschienen in der Öffentlichkeit nie anders als den Kopf mit einem Stück Leinwand bedeckt, das ihr Gesicht verhüllte und nur zwei Löcher für die Augen frei ließ. Wenn die Colonna sich zu einer Unternehmung nicht bekennen wollten, luden sie ihre Anhänger ein, sich ihnen im Büßerkleid anzuschließen. Nach langen Vorbereitungen wurde die Überführung Bandinis, welche schon seit vierzehn Tagen das Gespräch der Gegend bildete, auf einen Sonntag festgesetzt. An diesem Tag um zwei Uhr morgens ließ der Bürgermeister von Valmontone in allen Dörfern des Waldes von La Faggiola die Sturmglocken läuten. Man sah aus jedem Ort Bauern in ziemlich großer Anzahl ausrücken. Die Sitten der mittelalterlichen Republiken, als man sich noch schlug, um irgendeine Sache, die man wünschte, zu erlangen, hatten in den Herzen der Landleute sehr viel Tapferkeit erhalten; zu unsrer Zeit würde sich niemand rühren. An diesem Tag konnte man etwas Sonderbares bemerken: So oft ein kleiner Trupp bewaffneter Bauern aus seinem Dorf heraus in den Wald bog, verringerte er sich um die Hälfte; die Anhänger der Colonna schlugen die Richtung nach dem von Fabrizio bezeichneten Treffpunkt ein. Ihre Anführer schienen überzeugt, daß man sich an diesem Tage nicht schlagen würde: sie hatten morgens Befehl erhalten, dieses Gerücht zu verbreiten. Fabrizio durcheilte den Wald mit der Auslese seiner Anhänger, die mit halbwüchsigen jungen Pferden seines Gestüts beritten waren. Er hielt eine Art Heerschau über die verschiedenen Bauerntrupps ab; aber er sprach nichts zu ihnen; weil jedes Wort bloßstellen konnte. Fabrizio war ein großer, magerer Mann von unglaublicher Gewandheit[sic! statt: Gewandtheit] und Kraft; obwohl er kaum fünfundvierzig Jahre zählte, waren seine Haare und sein Schnurrbart von blendender Weiße, was ihm sehr unangenehm war. Denn an diesem Merkmal konnte man ihn auch an Orten erkennen, wo er lieber unerkannt geblieben wäre. Sobald die Bauern ihn sahen, riefen sie: Evviva Colonna! und zogen ihre Leinenkapuzen über. Der Fürst selbst hatte seine Kapuze auf der Brust hängen, um sie überziehen zu können, sobald sich der Feind zeigte. Dieser ließ nicht auf sich warten. Die Sonne war kaum aufgegangen, als etwa tausend Mann der Orsini-Partei von der Seite von Valmontone her in den Wald eindrangen und in einer Entfernung von etwa dreihundert Schritten an den Anhängern des Colonna vorbeizogen, die sich auf seinen Befehl zur Erde geworfen hatten. Einige Minuten, nachdem die letzten dieser Vorhut der Orsini vorbei waren, setzte der Fürst seine Leute in Bewegung; er hatte beschlossen, das Geleit des Bandini anzugreifen, wenn eine Viertelstunde vorbei sein würde, nachdem es den Wald betreten hatte. An dieser Stelle ist der Wald mit kleinen Felsen von fünfzehn oder zwanzig Fuß Höhe übersät; das sind mehr oder weniger alte Lavaflüsse, auf denen die Kastanien wunderbar wachsen und fast ganz den Tag verhüllen. Weil diese Lavablöcke, die mehr oder weniger von der Zeit angegriffen sind, den Boden sehr uneben machen und um der Landstraße eine Anzahl kleiner unnützer Auf- und Abstiege zu ersparen, hat man den Weg in die Lava eingesenkt, und er liegt jetzt oft drei oder vier Fuß tiefer als der Wald. An der Stelle, wo Fabrizio den Angriff vorgesehen hatte, befand sich eine mit Gras bedeckte Lichtung, die an einem Ende von der Landstraße überquert wurde. Dann trat die Straße wieder in den Wald ein, der an dieser Stelle voll von Brombeerbüschen und zwischen Baumstümpfen wuchernder Stauden ganz undurchdringlich war. Fabrizio hatte hier seine Fußtruppen etwa hundert Schritt tief im Walde und zu beiden Seiten der Straße aufgestellt. Auf ein Zeichen Colonnas setzte jeder der Bauern seine Kapuze auf und nahm mit seiner Büchse hinter einem Kastanienbaum Stellung; die Soldaten des Fürsten stellten sich hinter die Bäume zunächst der Straße. Die Bauern hatten strengen Befehl, erst nach den Soldaten zu schießen und diese durften erst Feuer geben, wenn der Feind auf zwanzig Schritt nahe sein würde. Fabrizio ließ in Eile einige zwanzig Bäume fällen, welche mit ihren Zweigen auf die Straße gestürzt sie vollständig sperrten; die Straße war an dieser Stelle sehr eng und lag um drei Fuß tiefer. Hauptmann Ranuccio mit fünfhundert Mann folgte der Vorhut; er hatte Befehl, erst anzugreifen, wenn er die ersten Flintenschüsse hören würde, die vom Holzverhau abgegeben werden sollten, der die Straße versperrte. Als Fabrizio Colonna seine Soldaten und seine Anhänger jeder hinter seinem Baum wohl aufgestellt und voll Entschlossenheit sah, ritt er im Galopp mit seinen Berittenen weiter, unter denen sich auch Giulio Branciforte befand. Der Fürst schlug einen Pfad zur Rechten der Landstraße ein, welcher zum entgegengesetzten Ende der Lichtung führte. Colonna war kaum einige Minuten davon, als man auf der Straße von Valmontone von weitem eine große Schar Berittener nahen sah; das waren die Sbirren und ihr Bargello, die Bandini geleiteten, und alle Herren, die zu den Orsini hielten. In ihrer Mitte befand sich Balthasar Bandini, von vier rotgekleideten Scharfrichtern umringt; sie hatten Befehl, das Urteil der ersten Instanz zu vollstrecken und Bandini sofort zu töten, wenn die Anhänger der Colonna daran wären, ihn zu befreien. Die Reiter Colonnas waren kaum am andern Ende der Lichtung angelangt, als man die ersten Flintenschüsse aus dem Hinterhalt beim Holzverhau auf der Straße hörte. Sogleich setzte er seine Reiter in Galopp und richtete seinen Angriff auf die vier rotgekleideten, Henker, die Bandini umgaben. Wer[sic! statt: Wir] werden nicht im genauen Verlauf diesem kleinen Handstreich folgen, der nicht einmal dreiviertel Stunden dauerte; überrascht flohen die Anhänger der Orsini nach allen Richtungen, aber bei der Vorhut wurde der tapfere Hauptmann Ranuccio getötet, und dieses Ereignis hatte einen verhängnisvollen Einfluß auf das Schicksal Brancifortes. Kaum hatte dieser einige Säbelhiebe ausgeteilt, um sich an die rotgekleideten Männer heranzuarbeiten, als er sich Fabio Campireali gegenüber befand. Auf einem schnaubenden Pferd und mit goldenem Kettenhemd bekleidet, schrie Fabio: "Wer sind diese maskierten Schufte? Laßt uns ihre Masken mit einem Säbelhieb zerschneiden! Seht, wie ich das mache!" Fast im gleichen Augenblick erhielt Giulio Branciforte von ihm einen Säbelhieb über die Stirn. Dieser Schlag war mit solcher Geschicklichkeit geführt, daß das Leinen, welches sein Gesicht verhüllte, fiel, als seine Augen durch das Blut geblendet wurden, welches aus dieser übrigens harmlosen Wunde floß. Giulio ritt abseits, um Zeit zum Aufatmen zu gewinnen und sein Gesicht abzuwischen. Er wollte sich um keinen Preis mit Helenas Bruder schlagen, und sein Pferd war schon einige Schritte von Fabio entfernt; da erhielt er einen wütenden Säbelhieb über die Brust, der dank seinem Kettenhemd nicht durchdrang, aber ihm für einen Augenblick den Atem nahm. Fast gleichzeitig hörte er in seine Ohren schreien: "Ti conosco, porco! Kanaille, ich kenne dich! So verdienst du also dein Geld, um deine Lumpen abzulegen?" Giulio, in solcher Weise gereizt, vergaß seinen Vorsatz und stürzte sich wieder auf Fabio: "Ed in mal ponto tu venisti!" rief er aus. Nach einigen heftigen Säbelhieben fiel das Gewand, das ihre Panzerhemden bedeckte, nach allen Seiten. Das Panzerhemd Fabios war vergoldet und prächtig, das Giulios so gewöhnlich wie nur möglich. "In welchem Dreck hast du dein Giacco aufgelesen?" schrie Fabio. Im gleichen Augenblick fand Giulio die Gelegenheit, die er seit einer halben Minute suchte. Das stolze Panzerhemd Fabios deckte den Hals nicht genug, und Giulio führte nach dieser kleinen ungedeckten Stelle des Halses einen Stoß, der saß. Giulios Schwert drang einen halben Fuß weit in die Gurgel Fabios und ließ einen mächtigen Blutstrahl hervorspringen. "Unverschämter", schrie Giulio dabei und galoppierte auf die Rotgekleideten zu, von denen zwei, hundert Schritte von ihm entfernt, noch zu Pferd waren; als er sich näherte, fiel der dritte Henker, aber im Augenblick, wo Giulio dem vierten schon ganz nahe war, drückte dieser, da er sich von mehr als zehn Reitern umzingelt sah, gegen den unglücklichen Bandini eine Pistole aus nächster Nähe los, so daß er zu Boden fiel. "Meine werten Herrn, wir haben hier nichts mehr zu tun!" rief Branciforte, "machen wir diese Schurken von Sbirren nieder, die nach allen Seiten davonlaufen." Alles folgte ihm. Als Giulio eine halbe Stunde später in die Nähe Fabrizio Colonnas zurückkehrte, richtete dieser große Herr zum erstenmal das Wort an ihn. Giulio fand ihn trunken vor Zorn, während er geglaubt hatte, ihn vor Freude entzückt zu finden; denn der Sieg war vollständig gewesen und gänzlich seinen guten Anordnungen zu verdanken; denn die Orsini hatten nahezu dreitausend Mann und Fabrizio hatte für diese Sache nicht mehr als fünfzehnhundert aufgeboten. "Wir haben unsern tapfren Freund Ranuccio verloren," sagte der Fürst zu Giulio, "ich komme eben von seiner Leiche, er ist schon kalt. Und der arme Balthasar Bandini ist tödlich verwundet. Also haben wir im Grunde nicht gesiegt. Doch der Schatten des tapfren Kapitäns Ranuccio wird wohl begleitet vor Pluto erscheinen. Ich habe Befehl gegeben, alle diese gefangenen Schurken an die Bäume zu knüpfen. Versäumt das nicht, meine Herren!" rief er mit erhobener Stimme. Und er ritt im Galopp zu der Stelle, wo der Kampf der Vorhut stattgefunden hatte. Giulio kommandierte als Vertreter Ranuccios dessen Abteilung; er folgte dem Fürsten, welcher bei dem Leichnam dieses tapfren Soldaten, der von mehr als fünfzig gefallenen Feinden umgeben war, zum zweitenmal vom Pferd stieg, um die Hand Ranuccios zu drücken. Giulio tat weinend das gleiche. "Du bist noch sehr jung," sagte der Fürst zu Giulio, "aber ich sehe dich vom Blut bedeckt und dein Vater war ein tapfrer Mann, der mehr als zwanzig Wunden im Dienst der Colonna erhalten hatte. Übernimm die Führung derer, die von Ranuccios Abteilung übrig sind und geleite seine Leiche in unsre Kirche in La Petrella; vergiß aber nicht, daß du unterwegs angegriffen werden kannst." Giulio wurde nicht angegriffen, aber er tötete mit einem Degenhieb einen seiner Soldaten, der ihm sagte, daß er zu jung wäre, um zu befehlen. Diese Unklugheit hatte Erfolg, weil Giulio noch von Fabios Blut bedeckt war. Die ganze Straße entlang fand er die Bäume mit Männern beladen, welche man aufgehängt hatte. Dieses gräßliche Schauspiel, verbunden mit Ranuccios und besonders mit Fabios Tod, machten ihn fast wahnsinnig. Seine einzige Hoffnung war, daß man nicht den Namen von Fabios Besieger wußte. Wir übergehen die militärischen Einzelheiten. Drei Tage nach dem Kampf konnte Giulio wieder einige Stunden in Albano verbringen; er erzählte seinen Bekannten, ein heftiges Fieber habe ihn in Rom zurückgehalten und ihn gezwungen, die ganze Woche über das Bett zu hüten. Aber man behandelte ihn überall mit einem sichtlich zur Schau getragenen Respekt; die angesehensten Leute der Stadt grüßten ihn zuerst; einige Unvorsichtige gingen sogar so weit, ihn mit Herr Hauptmann anzureden. Er war mehrmals am Palazzo Campireali vorbeigegangen, hatte ihn aber fest verschlossen gefunden, und da der neue Hauptmann sehr schüchtern war, wenn es galt, sich nach gewissen Personen zu erkundigen, vermochte er erst gegen Mittag über sich zu gewinnen, den alten Scotti, der ihn stets mit Güte behandelt hatte, zu fragen: "Aber wo sind denn die Campireali? Ich sehe ihren Palast geschlossen." "Mein Freund," antwortete Scotti mit plötzlicher Traurigkeit, "das ist ein Name, den du niemals aussprechen solltest. Deine Freunde sind wohl davon überzeugt, daß er es war, der herausgefordert hat und sagen es überall; aber schließlich: war er nicht das Haupthindernis deiner Heirat? Und macht sein Tod nicht seine Schwester unermeßlich reich? Und bist es nicht du, den sie liebt? Man kann sogar hinzufügen -- und in diesem Fall wird die Unverschämtheit zur Tugend --, daß sie dich genug liebt, um dich nachts in deinem kleinen Haus in Alba zu besuchen. Daher kann man in deinem Interesse sagen, daß Ihr schon vor dem verhängnisvollen Kampf bei Ciampi Mann und Frau wart." Der Greis unterbrach sich, weil er bemerkte, daß Giulio die Tränen nicht beherrschen konnte. "Gehn wir zum Gasthaus hinauf", sagte Giulio. Scotti folgte ihm; man gab ihnen ein Zimmer, worin sie sich einschlossen und Giulio bat den Greis, ihm alles, was sich seit acht Tagen ereignet hatte, erzählen zu dürfen. Nach Beendigung dieser langen Erzählung sagte der Alte: "Ich sehe wohl an deinen Tränen, daß nichts, was geschehen ist, in deiner Absicht lag, aber Fabios Tod ist deshalb kein weniger böses Ereignis für dich. Es ist dringend nötig, daß Helena ihrer Mutter erklärt, du seiest schon seit langem ihr Gatte." Giulio antwortete nicht und der Greis schrieb dies einer lobenswerten Diskretion zu. In schweres Sinnen versunken, fragte sich Giulio, ob Helena, verletzt durch den Tod eines Bruders, seinem Zartgefühl noch gerecht werden würde; jetzt bereute er, was er damals versäumt hatte. Darauf bat er den Alten, ihm alles, was sich am Tage des Kampfes in Albano zugetragen hatte, frei zu erzählen. Fabio war gegen halb sieben Uhr morgens getötet worden, mehr als sechs Meilen von Albano entfernt und -- so unglaublich es klingt! -- schon um neun Uhr wurde von diesem Tod zu sprechen begonnen. Gegen Mittag hatte man gesehen, wie sich der alte Campireali, tränenüberströmt und auf seine Diener gestützt, in das Kapuzinerkloster begab. Kurz darauf hatten drei dieser ehrwürdigen Väter, auf den besten Rossen der Campireali und von vielen Dienstleuten gefolgt, den Weg nach dem Dorf Ciampi eingeschlagen, in dessen Nähe der Kampf ausgefochten worden war. Der alte Campireali wollte durchaus mit, aber man hatte ihn davon abgebracht, indem man ihm vorstellte, daß Fabrizio Colonna wütend sei (warum, wußte man allerdings nicht recht) und ihm übel mitspielen könnte, wenn er gefangen genommen würde. Nachts gegen die zwölfte Stunde schien der Wald von La Faggiola in Flammen zu stehen: das waren alle Mönche und alle Armen von Albano, die -- jeder eine große brennende Wachskerze in der Hand -- dem Leichnam des jungen Fabio entgegengingen. "Ich will dir nicht verhehlen," fügte der Greis hinzu, die Stimme senkend, als fürchte er, gehört zu werden, "daß die Straße, welche nach Valmontone und nach Ciampi führt ..." "Nun was?" sagte Giulio. "Nun wohl, diese Straße führt an deinem Haus vorbei und man sagt, daß das Blut aus der schrecklichen, Halswunde wieder zu fließen begann, als Fabios Leichnam dort vorbeikam." "Wie entsetzlich!" rief Giulio und erhob sich. "Beruhige dich, mein Freund", sagte der Greis. "Du siehst wohl ein, wie es nötig ist, daß du alles weißt. Und jetzt muß ich dir sagen, daß deine Anwesenheit hier heute ein wenig verfrüht erscheint. Wenn Ihr mir die Ehre erweisen wollt, mich um Rat zu fragen, Kapitän, möchte ich hinzufügen, daß es nicht passend ist, daß Ihr Euch früher als nach einem Monat in Albano zeigt. Es ist wohl nicht notwendig, Euch aufmerksam zu machen, daß es unvorsichtig wäre, nach Rom zu gehen. Man weiß noch nicht, wie sich der Heilige Vater zu den Colonna stellen wird, man denkt zwar, daß er der Erklärung Fabrizios Glauben schenken wird, der vorgibt, von dem Kampf bei Ciampi nicht früher als durch das öffentliche Gerede gehört zu haben; aber der Gouverneur von Rom, der ein treuer Orsini ist, wütet und würde entzückt sein, einige der tapfren Soldaten Fabrizios hängen zu lassen, und dieser könnte sich nicht einmal öffentlich beschweren, weil er schwört, beim Kampf nicht dabei gewesen zu sein. Ich werde noch weiter gehen, und, obwohl Ihr mich nicht danach fragt, mir die Freiheit nehmen, Euch einen militärischen Rat zu geben: Ihr seid in Albano beliebt, sonst wäret Ihr hier nicht in Sicherheit. Aber bedenkt, daß Ihr seit mehreren Stunden in der Stadt umhergeht, daß einer der Anhänger der Orsini sich herausgefordert fühlen könnte, oder mindestens an die Leichtigkeit, eine schöne Belohnung zu gewinnen, denken kann. Der alte Campireali hat tausendmal wiederholt, daß er seine schönste Besitzung dem schenkt, der Euch tötet. Ihr hättet einige der Soldaten aus Eurem Haus nach Albano herunternehmen sollen.[sic! Fehlt: "] "Ich habe nicht einen Soldaten in meinem Haus." "In diesem Fall seid Ihr ein Narr, Kapitän. Diese Herberge hat einen Garten; wir werden uns durch den Garten machen und über die Weinberge flüchten. Ich werde Euch begleiten; ich bin alt und ohne Waffen; aber wenn wir Übelgesinnten begegnen, werde ich mit Ihnen sprechen; Ihr werdet wenigstens Zeit gewinnen." Giulios Seele war zerrissen. Sollen wir zu erzählen wagen, wie weit seine Narrheit ging? Sowie er gehört hatte, daß der Palast Campireali geschlossen war und alle seine Bewohner nach Rom abgereist seien, faßte er den Plan, den Garten wiederzusehen, wo er so oft mit Helena zusammengekommen war. Er hoffte sogar, ihr Zimmer wiederzusehen, wo sie ihn empfangen hatte, wenn ihre Mutter abwesend war. Er hatte das Bedürfnis, sich durch den Anblick der Orte, wo sie so zärtlich zu ihm gewesen war, gegen ihren Zorn zu wappnen. Branciforte und der edelmütige Alte hatten keine unangenehme Begegnung, während sie den kleinen Pfaden folgten, die durch die Weinberge zum See ansteigen. Giulio ließ sich von neuem die Einzelheiten des Begräbnisses des jungen Fabio erzählen. Die Leiche dieses tapfren jungen Mannes war von vielen Priestern begleitet nach Rom überführt und in der Familiengruft im Kloster San Onofrio am Gianicolo beigesetzt worden. Man hatte als einen sehr auffallenden Umstand vermerkt, daß Helena am Vorabend der Zeremonie von ihrem Vater nach dem Kloster der Heimsuchung in Castro zurückgebracht worden war; dies hatte das umlaufende Gerücht verstärkt, daß sie heimlich mit dem Wegelagerer vermählt sei, der das Unglück gehabt hätte, ihren Bruder zu töten. Als er bei seinem Haus ankam, fand Giulio den Korporal seiner Kampagnie[sic! statt: Kompagnie] mit vieren seiner Soldaten; sie sagten ihm, daß ihr früherer Hauptmann nie den Wald verlassen hätte, ohne einige seiner Leute bei sich zu haben. Der Fürst hatte öfters geäußert, daß jeder, bevor er sich aus Unvorsichtigkeit töten lasse, vorher seinen Abschied nehmen möge, damit er die Rache für einen solchen Tod nicht ihm aufbürde. Giulio Branciforte verstand die Berechtigung solcher Gedanken, die ihm bisher völlig fremd gewesen waren. Er hatte, ähnlich, wie es die Naturvölker tun, geglaubt, daß der Krieg in nichts bestünde, als sich tapfer zu schlagen. Er fügte sich auf der Stelle den Wünschen des Fürsten und nahm sich nur noch die Zeit, den weisen Alten zu umarmen, der so edelmütig gewesen war, ihn nach Haus zu begleiten. Aber einige Tage später kehrte Giulio halb verrückt vor Schwermut zurück, um den Palast Campireali wiederzusehen. Mit Einbruch der Nacht kamen er und seine Soldaten, als neapolitanische Kaufleute verkleidet, nach Albano. Er sprach allein bei Scotti vor und hörte, daß Helena noch immer im Kloster von Castro verbannt sei. Ihr Vater, der sie mit dem vermählt glaubte, den er den Mörder seines Sohnes nannte, hatte geschworen, sie nie wiederzusehen. Selbst als er sie ins Kloster brachte, hatte er sie nicht angesehen. Die Zärtlichkeit ihrer Mutter dagegen schien sich zu verdoppeln und oft verließ sie Rom, um einen Tag oder zwei bei ihrer Tochter zu verbringen. IV. 'Wenn ich mich vor Helena nicht rechtfertige', sagte sich Giulio, als er nachts den Standort seiner Kompagnie im Walde wiedergewann, 'wird sie mich am Ende für einen Mörder halten. Gott weiß, was man ihr alles über diesen unheilvollen Kampf erzählt hat.' Er ging zum Fürsten in das befestigte Schloß La Petrella, um seine Befehle entgegenzunehmen und bat um die Erlaubnis, nach Castro zu gehen. Fabrizio Colonna verzog die Stirn: "Die Angelegenheit des kleinen Gefechts ist bei Seiner Heiligkeit noch nicht erledigt. Ihr müßt wissen, daß ich die Wahrheit erklärt habe; versteht: daß ich ganz unbeteiligt an diesem Zusammenstoß war, von dem ich sogar erst am folgenden Tage hier auf meinem Schloß La Petrella gehört habe. Ich habe allen Grund, anzunehmen, daß Seine Heiligkeit schließlich dieser aufrichtigen Vorstellung Glauben schenken wird. Aber die Orsini sind mächtig und alle Welt sagt, daß Ihr Euch in diesem Scharmützel hervorgetan habt. Die Orsini gehen so weit, zu behaupten, daß zahlreiche Gefangene an den Baumästen aufgehängt worden sind. Ihr wißt, wie falsch diese Darstellung ist; aber man kann Repressalien voraussehen." Das tiefe Erstaunen, das in den kindlichen Blicken des jungen Hauptmanns glänzte, belustigte den Fürsten; jedoch empfand er, daß es angesichts solcher Unschuld geboten sei, deutlicher zu sprechen. "Ich sehe in Euch", fuhr er fort, "jene vollendete Tapferkeit, die den Namen Branciforte in ganz Italien bekannt gemacht hat. Ich hoffe, daß Ihr für mein Haus die gleiche Treue haben werdet, die mir Euren Vater so teuer gemacht hat; ich habe sie Euch vergelten wollen. Die Losung meiner Mannschaft ist: Niemals die Wahrheit über irgend etwas zu sagen, das sich auf mich oder meine Soldaten bezieht. Wenn Ihr im Augenblick, wo Ihr zu sprechen genötigt seid, irgendeine Unwahrheit als nützlich erkennt, lügt, wie's der Zufall zusammenfügt und hütet Euch, wie vor einer Todsünde, auch nur im kleinsten die Wahrheit zu sagen. Ihr versteht, daß sie im Verein mit andren Auskünften auf die Spur meiner Pläne bringen könnte. Ich weiß übrigens, daß Ihr eine Liebelei im Kloster von Castro habt. Ihr könnt vierzehn Tage in dem Nest totschlagen, wo es den Orsini weder an Freunden, noch selbst an Agenten fehlt. Geht zu meinem Majordomus, der Euch zweihundert Zechinen geben wird. Die Freundschaft, die ich für Euren Vater hegte," fügte der Fürst lachend hinzu, "macht mir Lust, Euch Anleitung über die Art zu geben, wie Ihr dieses Kriegs- und Liebesabenteuer zu gutem Ende führt. Ihr und drei Eurer Soldaten werdet Euch als Kaufleute verkleiden. Ihr dürft dabei nicht verfehlen, immer auf einen Eurer Gefährten erzürnt zu sein, dessen Beruf es ist, immer betrunken zu scheinen und sich viele Freunde zu machen, indem er allen Nichtstuern von Castro den Wein zahlt. "[sic! Anführungszeichen wohl überzählig, da Rede fortgesetzt wird.]Übrigens", fügte der Fürst in verändertem Ton hinzu, "solltet Ihr von den Orsini gefangen und zum Tode verurteilt werden, so gesteht nie Euren wahren Namen ein und noch weniger, daß Ihr zu mir gehört. Ich habe nicht nötig, Euch anzuempfehlen, daß Ihr alle kleinen Städte erst umgeht und stets durch das Tor eintretet, das der Richtung, aus der Ihr kommt, entgegengesetzt liegt." Giulio war über diese väterlichen Ratschläge gerührt, die von einem sonst so ernsten Mann kamen. Zuerst lächelte der Fürst über die Tränen, die er in den Augen des jungen Mannes erblickte, dann wurde aber auch seine Stimme bewegt. Er zog einen der zahlreichen Ringe ab, die er an den Fingern trug, und Giulio küßte, als er ihn empfing, die durch so edle Taten berühmte Hand. "Niemals hätte mein Vater so vorsorglich mit mir gesprochen", rief der junge Mann begeistert aus. Am übernächsten Morgen, ein wenig vor Anbruch des Tages, zog er in die Mauern des kleinen Städtchens Castro ein, fünf Soldaten folgten ihm, wie er verkleidet; zwei davon gingen für sich und schienen weder ihn noch die drei andren zu kennen. Noch bevor sie in die Stadt eintraten, hatte Giulio das Kloster der Heimsuchung bemerkt, ein großes, von schwarzen Mauern umgebenes Gebäude, das einer Festung glich. Er lief zur Kirche; sie war prächtig. Die Nonnen, die alle adlig und meist aus reichen Häusern waren, wetteiferten untereinander aus Eitelkeit, um diese Kirche reich zu schmücken, die der einzige Teil des Klosters war, welchen die Blicke der Öffentlichkeit erreichten. Es war Gebrauch geworden, daß jene der Damen, die aus einer vom Kardinal-Protektor des Ordens der Heimsuchung dem Papste vorgelegten Liste von drei Nonnen zur Äbtissin erwählt wurde, eine ansehnliche Gabe darbrachte, die dazu diente, ihren Namen zu verewigen. Diejenige, deren Gabe geringer war als das Geschenk der letzten Äbtissin, verfiel samt ihrer Familie der Verachtung. Giulio trat zitternd in dieses prächtige Gebäude, das von Marmor und Vergoldung strahlte. In Wahrheit dachte er kaum an den Marmor und die Goldverzierungen; es schien ihm, daß er unter Helenas Augen sei. Der Hochaltar hatte, wie man ihm sagte, mehr als achthunderttausend Francs gekostet; aber seine Blicke übersahen die Schätze des Hochaltars und hefteten sich auf ein vergoldetes Gitter, das fast vierzig Fuß hoch und durch zwei Marmorpfeiler in drei Abteilungen geteilt war. Dieses Gitter, dem seine mächtige Größe etwas Schreckliches verlieh, erhob sich hinter dem Hochaltar und trennte den Chor der Nonnen von der allen Gläubigen zugänglichen Kirche. Giulio sagte sich, daß Nonnen und Pensionärinnen sich während des Gottesdienstes hinter diesem goldenen Gitter befanden. In diesen inneren Teil der Kirche konnte sich eine Nonne oder eine Pensionärin zu jeder Tageszeit begeben, wenn sie Bedürfnis hatte, zu beten: Auf diesen aller Welt bekannten Umstand gründeten sich die Hoffnungen des armen Liebhabers. Allerdings deckte ein mächtiger schwarzer Schleier das Gitter auf der Innenseite. 'Aber dieser Schleier', überlegte Giulio, 'kann kaum den Blick der Pensionärinnen hindern, wenn sie in die öffentliche Kirche schauen, denn ich -- stellte er fest -- der ich mich nur auf einige Entfernung nähern kann, bemerke doch durch den Schleier die Fenster, die dem Chor Licht geben, sehr gut; ja, ich kann sogar die geringsten Einzelheiten ihrer Architektur unterscheiden,' Jeder Stab dieses prächtig vergoldeten Gitters trug eine scharfe, gegen die sich ihm Nähernden gerichtete Spitze. Giulio wählte einen sehr sichtbaren Platz an der hellsten Stelle, dem linken Teil des Gitters gegenüber. Dort verbrachte er seine Tage damit, die Messen zu hören. Da er sich hier nur von Bauern umgeben sah, konnte er hoffen, selbst durch den schwarzen Schleier hindurch bemerkt zu werden. Zum ersten Mal in seinem Leben trachtete der schlichte junge Mann aufzufallen: sein Auftreten war gesucht; er gab zahlreiche Almosen beim Eintritt und beim Verlassen der Kirche. Seine Leute und er behandelten die kleinen Lieferanten und Arbeiter, die Verbindung mit dem Kloster hatten, mit den größten Aufmerksamkeiten. Doch erst am dritten Tage hatte er endlich Aussicht, einen Brief an Helena gelangen lassen zu können. Auf seinen Befehl folgte man beständig den beiden Laienschwestern, die Vorräte für das Kloster einzukaufen hatten; eine von ihnen hatte Beziehungen zu einem Krämer. Einer der Soldaten Giulios, der Mönch gewesen war, gewann die Freundschaft des Kaufmanns und versprach ihm eine Zechine für jeden Brief, welcher der Pensionärin Helena Campireali zugestellt würde. "Was!" sagte der Kaufmann bei der ersten Andeutung, die man ihm über diese Sache machte, "einen Brief an die Frau des Briganten?" Dieser Name war schon in Castro eingebürgert und doch war Helena erst vor vierzehn Tagen dort angekommen; so schnell läuft alles, was der Einbildungskraft Stoff gibt bei diesem Volk, das leidenschaftlich alle genauen Einzelheiten liebt. Der kleine Kaufmann fügte hinzu: "Diese wenigstens ist verheiratet, aber wie viele unsrer Damen haben solche Entschuldigung nicht und empfangen von draußen ganz andres als Briefe." In diesem ersten Brief erzählte Giulio mit unzähligen Einzelheiten alles, was an jenem unheilvollen Todestag Fabios vor sich gegangen war. "Hassest Du mich?" fragte er am Ende. Helena antwortete nur eine Zeile, worin sie sagte, daß sie niemanden hasse und den Rest ihres Lebens dazu verwenden wolle, den zu vergessen, der ihren Bruder getötet hatte. Giulio beeilte sich, zu antworten; nach Anklagen gegen das Schicksal, die Platon nachahmten und damals in Mode waren, fuhr er fort: "Du willst also das Wort Gottes, das er in der Heiligen Schrift für uns niedergelegt hat, vergessen? Gott sagt: die Frau soll ihre Familie und ihre Eltern verlassen, um ihrem Gatten zu folgen. Wagst du zu behaupten, daß du nicht meine Frau bist? Erinnere dich an die Nacht von San Pietro. Als die Morgenröte schon hinter dem Monte Cave aufstieg, warfst du dich mir zu Füßen; ich wollte dich schonen; du gehörtest mir, wenn ich es gewollt hätte; du konntest der Liebe, die du damals für mich fühltest, nicht widerstehen. Ich hatte dir schon oft gesagt, daß ich dir mein Leben und alles, was mir auf der Welt teuer ist, darbringe; aber plötzlich schien mir, daß du mir auch antworten könntest -- wenn du es selbst niemals tätest -- daß alle diese durch keine äußere Tat erhärteten Opfer vielleicht nur Einbildung sind. Ein gegen mich grausamer, aber im Grunde richtiger Gedanke erleuchtete mich. Ich dachte, daß nicht ohne Grund der Zufall mir jetzt die Gelegenheit gebe, in deinem Interesse auf das höchste Glück zu verzichten, das ich mir je hatte träumen lassen. Du warst in meinen Armen und schon ohne Widerstand, erinnere dich, selbst dein Mund wagte nicht zu verweigern. In diesem Augenblick ertönte das morgendliche Ave Maria im Kloster von Monte Cave und durch einen wundersamen Zufall drang dieser Ton bis zu uns. Du riefst mir zu: Bring dieses Opfer der heiligen Madonna, der Mutter aller Reinheit. Ich hatte schon seit einem Augenblick die Idee dieses Opfers, des einzigen, das ich dir je zu bringen Gelegenheit haben würde. Ich fand es unerhört, daß auch dir der gleiche Gedanke gekommen war. Der ferne Klang dieses Ave Maria rührte mich, ich gestehe es; ich erfüllte deine Bitte. Das Opfer war jedoch nicht ganz allein für dich gebracht; ich glaubte, unsre zukünftige Vereinigung unter den Schutz der Mutter Gottes zu stellen. Damals dachte ich nicht daran, daß von dir, Treulose, wohl aber, daß von deiner reichen und vornehmen Familie Hindernisse kommen könnten. Wie hätte dieses Angelus von so weit her, durch den halben Wald über die Gipfel der im Morgenwind bewegten Bäume ohne übernatürliche Einwirkung bis zu uns dringen können? Da fielst du vor mir auf die Knie, erinnerst du dich? Ich stand auf, zog aus meiner Brust das Kreuz, das ich dort trage, und du schwurst auf dieses Kreuz, das hier vor mir liegt, und bei deiner ewigen Verdammnis, wo du je sein würdest und was immer auch geschehen möge, würdest du, sobald ich dir den Befehl zukommen lasse, wieder ganz mein Eigen sein, wie du es in dem Augenblick warst, als das Ave Maria von Monte Cave von so weit her an dein Ohr rührte. Dann sagten wir fromm zwei Ave und zwei Paternoster. Nun wohl, bei der Liebe, die du damals für mich fühltest oder wenn du sie -- wie ich fürchte -- vergessen hast, bei deiner ewigen Verdammnis befehle ich dir, mich heute Nacht in deinem Zimmer oder im Garten zu empfangen." Der italienische Autor bringt seltsamerweise noch viele lange Briefe Giulio Brancifortes, welche nach diesem geschrieben sind; aber er gibt nur Auszüge aus den Antworten Helena Campirealis. Jetzt, einige hundert Jahre später, stehen wir den Gefühlen der Liebe und der Religion, welche diese Briefe erfüllen, so fremd gegenüber, daß ich fürchte, sie könnten zu lang sein. Aus diesen Briefen geht hervor, daß Helena endlich dem Befehl gehorchte, der in dem von uns gekürzt wiedergegebenen Schreiben enthalten war. Giulio fand ein Mittel, ins Kloster einzudringen; man vermöchte aus einem Wort anzunehmen, daß er sich als Frau verkleidete. Helena empfing ihn, aber nur hinter dem Gitter eines Erdgeschoßfensters, das auf den Garten ging. Zu seinem unbeschreiblichen Schmerz erkannte Giulio, daß dieses einst so zärtliche und sogar leidenschaftliche Mädchen zu einer Fremden geworden war; sie behandelte ihn fast mit ausgesuchter Höflichkeit. Als sie ihn in den Garten einließ, hatte sie fast ausschließlich der heiligen Pflicht des Eides gehorcht. Die Begegnung war kurz: schon nach einigen Minuten gewann der Stolz Giulios, der vielleicht durch die Ereignisse der letzten vierzehn Tage ein wenig gereizt war, die Oberhand. 'Ich sehe nichts vor mir', sagte er zu sich, 'als den Schatten jener Helena, die sich mir in Albano für das ganze Leben hingab,' Nun war es die Hauptsache für Giulio, die Tränen zu verbergen, die bei den höflichen Wendungen, mit denen Helena das Wort an ihn richtete, sein Gesicht überströmten. Als sie aufgehört hatte, zu sprechen und die -- wie sie sagte -- nach dem Tode eines Bruders so natürliche Veränderung zu rechtfertigen, antwortete ihr Giulio, indem er sehr langsam sprach: "Ihr erfüllt nicht Euer Gelöbnis; Ihr empfangt mich nicht im Garten; Ihr liegt nicht vor mir auf den Knien, wie damals, eine halbe Minute, nachdem wir jenes Ave Maria von Monte Cave hörten. Vergeßt Euren Schwur, wenn Ihr könnt, ich vergesse nichts, Gott stehe Euch bei!" Mit diesen Worten verließ er das vergitterte Fenster, an dem er gut noch eine Stunde hätte bleiben können. Wer hätte ihm einige Augenblicke zuvor sagen dürfen, daß er diese so herbeigesehnte Zusammenkunft freiwillig abkürzen werde! Dieses Opfer zerriß seine Seele, aber er glaubte, daß er Helenas Verachtung verdienen würde, wenn er auf ihre Förmlichkeit anders als damit antwortete, daß er sie ihrer Reue überließ. Vor Sonnenaufgang verließ er das Kloster. Er stieg zu Pferde und gab seinen Soldaten Befehl, ihn eine Woche lang in Castro zu erwarten und dann in den Wald zurückzukehren; er war außer sich vor Verzweiflung. Zuerst wandte er sich nach Rom. 'Was?! Ich entferne mich von ihr!' sagte er sich bei jedem Schritt. 'Wie! Wir sind einander fremd geworden! O Fabio! Wie bist du gerächt!' Der Anblick der Menschen, die er auf der Straße antraf, steigerte noch seinen Zorn; er lenkte sein Pferd quer über die Felder und ritt auf den öden verlassenen Uferstreif zu, der das Meer begleitet. Als er nicht mehr durch die Begegnungen mit diesen ruhigen Bauern gestört wurde, deren Los er beneidete, atmete er auf; der Anblick dieser wilden Gegend war in Einklang mit seiner Verzweiflung und mäßigte seinen Zorn; jetzt konnte er sich der Betrachtung seines traurigen Schicksals hingeben. 'In meinem Alter', sagte er sich, 'habe ich eine Hilfe: eine andre Frau zu lieben!' Bei diesem traurigen Gedanken fühlte er seine Verzweiflung sich verdoppeln; er sah nur zu gut, daß es für ihn nur eine Frau auf der Welt gab. Er stellte sich die Qual vor, die er leiden würde, wenn er das Wort Liebe vor einer andern als Helena ausspräche. Dieser Gedanke zerriß ihn. Er wurde von einem Anfall bittren Lachens geschüttelt. 'Ich gleiche hier genau diesen Helden Ariosts,' dachte er, 'die einsam durch öde Länder ziehen, um zu vergessen, daß sie ihre treulose Geliebte in den Armen eines andren Ritters gefunden haben ... Aber sie ist nicht so schuldig,' sagte er sich, indem er nach diesem tollen Lachen wieder in Tränen ausbrach; 'ihre Untreue geht nicht so weit, einen andren zu lieben. Diese bewegsame und reine Seele hat sich durch die schrecklichen Dinge irreleiten lassen, die man ihr von mir erzählt hat; ohne Zweifel hat man es ihr so dargestellt, als hätte ich mich an diesem verhängnisvollen Überfall nur in der geheimen Absicht beteiligt, ihren Bruder zu töten. Man wird noch weiter gegangen sein, man wird mir die schmutzige Berechnung unterschoben haben, daß sie die alleinige Erbin eines ungeheuren Vermögens werde, wenn ihr Bruder tot sei ... Und ich, ich habe die Dummheit begangen, sie ganze vierzehn Tage allein der Überredung meiner Feinde als Beute zu überlassen! Man muß zugeben, daß mir, zu allem meinem Unglück, der Himmel auch noch den Verstand versagt hat, mein Leben zu lenken! Ich bin ein verächtliches, bei Gott ein verächtliches Wesen! Mein Leben war niemand nützlich und mir noch weniger als jedem andren.' In diesem Augenblick hatte der junge Branciforte eine für jene Zeit sehr seltsame Eingebung: sein Pferd schritt am äußersten Uferrand und zuweilen benetzten die Wellen seine Hufe; er hatte den Einfall, es ins Meer zu treiben und so das schreckliche Schicksal zu beenden, dessen Beute er war. Was sollte er fernerhin machen, da das einzige Wesen auf der Welt, das ihn jemals die Möglichkeit eines Glücks hatte fühlen lassen, ihn verließ? Dann hielt ihn plötzlich ein andrer Gedanke zurück. 'Was sind die Qualen, die ich erdulde', sagte er sich, 'im Vergleich mit jenen, die ich leiden würde, nachdem dieses elende Leben beendet ist? Helena wird sich nicht mehr bloß gleichgültig gegen mich verhalten, wie sie es jetzt tut, sondern ich würde sie in den Armen eines Nebenbuhlers sehen, und dieser Rivale wird ein junger römischer Edelmann sein, reich und angesehen; denn die Dämonen werden, wie es ihre Pflicht ist, die grausamsten Bilder suchen, um meine Seele zu zerreißen. So werde ich selbst im Tode Helena nicht vergessen können; ja, weit mehr: meine Leidenschaft für sie wird sich verdoppeln; denn dies ist der sicherste Weg, welchen die ewigen Mächte gehen können, um mich für meine schreckliche Sünde zu bestrafen.' Um die Versuchung gänzlich zu vertreiben, schickte sich Giulio an, das Ave Maria zu beten. Einst, als er das morgendliche Ave Maria gehört hatte, das der Mutter Gottes geweihte Gebet, war jene Versuchung über ihn gekommen, edelmütig zu handeln, die ihm heute als die größte Torheit seines Lebens erschien. Aber aus Ehrfurcht wagte er es nicht, weiterzugehen und den Gedanken ganz auszudrücken, der sich seines Geistes bemächtigt hatte. 'Wenn ich durch Eingebung der Madonna in einen verhängnisvollen Irrtum verfallen bin, muß sie da nicht in ihrer unendlichen Gerechtigkeit irgendeinen Umstand schaffen, der mir das Glück wiedergibt?' Dieser Gedanke an die Gerechtigkeit der Madonna verjagte nach und nach seine Verzweiflung. Er hob den Kopf und sah hinter Albano und dem Wald den von düsterem Grün bedeckten Monte Cave vor sich und das heilige Kloster, dessen Morgenläuten ihn zu dem gebracht hatte, was er jetzt eine schändliche Täuschung nannte, die an ihm verübt worden war. Der unerwartete Anblick dieses heiligen Orts tröstete ihn. 'Nein,' rief er aus, 'es ist unmöglich, daß die Madonna mich im Stich läßt. Wäre Helena meine Frau gewesen, wie ihre Liebe es zuließ und meine Würde als Mann es forderte, so hätte die Erzählung von ihres Bruders Tod in ihrer Seele die Erinnerung an das Band vorgefunden, das sie mit mir verknüpft. Sie hätte sich gesagt, daß sie mir lange angehörte, bevor der unglückliche Zufall mich auf dem Kampfplatz Fabio gegenüberstellte. Er war zwei Jahre älter als ich, er war erfahrener in den Waffen, in jeder Hinsicht gewandter und stärker. Tausend Gründe wären meiner Frau eingefallen, daß nicht ich diesen Kampf gesucht haben könne. Sie würde sich erinnert haben, daß ich nie den mindesten Haß gegen ihren Bruder gehegt habe, selbst damals nicht, als er mit der Büchse nach uns schoß. Ich erinnere mich an unsre erste Zusammenkunft nach meiner Rückkehr aus Rom; ich sagte ihr: 'Was willst du? die Ehre verlangt es; ich kann einen Bruder nicht tadeln!'' Durch sein Gebet zur Madonna der Hoffnung wiedergegeben, spornte Giulio sein Pferd an und gelangte in einigen Stunden zum Standquartier seiner Kompagnie. Er fand sie im Begriff abzumarschieren: man wollte auf die von Neapel über Monte Cassino nach Rom führende Straße gelangen. Der junge Hauptmann wechselte das Pferd und ging mit seinen Leuten. An diesem Tag schlug man sich nicht. Giulio fragte nicht, warum man fortmarschiert sei; es lag ihm wenig daran, es zu wissen. Im Augenblick, als er sich an der Spitze seiner Soldaten sah, erschien ihm sein Schicksal in neuem Licht. 'Ich bin ganz einfach ein Tor,' sagte er sich, 'ich habe Unrecht getan, Castro zu verlassen; Helena ist wahrscheinlich weniger schuldig, als mein Zorn es mir einbildete. Nein, diese kindlich reine Seele, deren erste Liebesregungen ich entstehen sah, kann nicht aufgehört haben, mir zu gehören! Sie war von Leidenschaft für mich durchdrungen! Hat sie mir nicht mehr als zehnmal angeboten, mit mir, der ich so arm bin, zu fliehen, und uns durch einen Mönch von Monte Cave trauen zu lassen? In Castro hätte ich vor allem eine zweite Zusammenkunft erlangen und ihr Vernunft zusprechen müssen; wahrhaftig, die Leidenschaft macht mich zerfahren wie ein Kind! O Gott, daß ich nicht einen Freund habe, einen Rat zu erflehen! Der gleiche Schritt erscheint mir im Zeitraum von zwei Minuten verwerflich und vortrefflich.' Am Abend dieses Tags, als man die Landstraße verließ, um sich wieder in den Wald zu schlagen, näherte sich Giulio dem Fürsten und fragte ihn, ob er noch einige Tage dort, wo er wüßte, bleiben könnte. "Geh zu allen Teufeln!" rief Fabrizio, "glaubst du, daß jetzt der Augenblick sei, mich mit Kindereien zu unterhalten?" Eine Stunde später ritt Giulio wieder nach Castro zurück. Er fand dort seine Leute vor; aber er wußte nicht, wie er Helena schreiben solle, nachdem er sie so hochfahrend verlassen hatte. Sein erster Brief enthielt nichts als die Worte: "Wird man mich in der nächsten Nacht empfangen wollen?" "Man kann kommen", war auch die ganze Antwort. Nach Giulios Abreise hatte sich Helena für immer verlassen geglaubt. Nun erst hatte sie die ganze Tragweite der Überlegungen des armen unglücklichen jungen Mannes verstanden: sie war seine Frau gewesen, bevor er das Unglück gehabt hatte, ihren Bruder im Kampf zu treffen. Diesmal wurde Giulio nicht mit den höflichen Wendungen empfangen, die ihm bei der ersten Zusammenkunft so grausam erschienen waren. Helena erschien allerdings wieder nur hinter ihrem vergitterten Fenster, aber sie zitterte, und da der Ton Giulios sehr kühl war und seine Redewendungen fast als ob er mit einer Fremden spräche, war es jetzt an Helena, zu fühlen, wie grausam solch förmlicher Ton, nach der früheren süßen Vertrautheit wirkte. Giulio, der fürchtete, daß seine Seele wieder durch ein kaltherziges Wort Helenas zerrissen werden könnte, hatte den Ton eines Advokaten angenommen, um ihr zu beweisen, daß sie lange vor dem verhängnisvollen Kampf von Ciampi seine Frau gewesen sei. Helena ließ ihn reden, weil sie fürchtete, von Tränen überwältigt zu werden, wenn sie ihm anders als mit kurzen Worten antworte. Am Ende, als sie kaum mehr an sich halten konnte, bat sie ihren Freund, am nächsten Tag wiederzukommen. Es war am Vorabend eines hohen Festes, die Morgenandacht wurde sehr früh gesungen und ihre Zusammenkunft konnte leicht entdeckt werden. Giulio, der wie ein Verliebter dachte, verließ den Garten in tiefstem Nachsinnen: er vermochte nicht zu unterscheiden, ob er gut oder schlecht aufgenommen worden sei, und weil durch den Umgang mit seinen Kameraden ihm soldatische Sitten vertraut geworden waren, sagte er sich: "Es wird vielleicht dazu kommen, daß ich Helena entführen muß." Und er überlegte die verschiedenen Möglichkeiten, mit Gewalt in den Garten einzudringen. Da das Kloster sehr reich und lohnend zu brandschatzen war, hatte es eine große Anzahl Bediensteter in seinem Sold, die ehemals meist Soldaten gewesen waren; man hatte sie in einer Art Kaserne untergebracht, deren vergitterte Fenster auf einen schmalen Durchlaß sahen, der von dem äußeren Tor, das in der Mitte einer schwarzen, mehr als achtzig Fuß hohen Mauer lag, zu dem inneren führte, welches von der Schwester Pförtnerin bewacht wurde. Zur Linken dieses schmalen Gangs erhob sich die Kaserne, zur Rechten die mehr als dreißig Fuß hohe Mauer des Gartens. Die Fassade des Klosters ward von einer dicken, vom Alter geschwärzten Mauer gebildet, die außer dem äußeren Tor und einem einzigen kleinen Fenster, durch das die Soldaten hinaussehen konnten, keine Öffnungen aufwies. Man kann sich den düstern Eindruck dieser hohen schwarzen Mauer vorstellen, die einzig von einer mit breiten Eisenbändern und ungeheuren Nägeln verstärkten Tür und einem kleinen Fenster von vier Fuß Höhe und achtzehn Zoll Breite unterbrochen war. Wir begleiten den Chronisten nicht weiter in der langen Schilderung aller folgenden Zusammenkünfte, die Giulio von Helena gewährt wurden. Der Ton der beiden Liebenden war ganz so vertraut geworden wie damals im Garten zu Albano, nur hatte Helena niemals einwilligen gewollt, in den Garten hinabzusteigen. Eines Nachts fand sie Giulio sehr nachdenklich: ihre Mutter war aus Rom gekommen, um sie zu sehen und wollte einige Tage im Kloster bleiben. Diese Mutter war so zärtlich und hatte stets so zartfühlende Rücksicht auf die Neigung, die sie bei ihrer Tochter vermutete, genommen, daß es dieser schwere Gewissenspein bereitete, sie täuschen zu müssen. Könnte sie es aber wagen, ihr zu gestehen, daß sie den Mann empfing, der sie ihres Sohnes beraubt hatte? Helena bekannte schließlich Giulio offen ein, daß sie nicht die Kraft haben würde, dieser Mutter, die so gut war, mit Lügen zu antworten, wenn sie nach der Wahrheit gefragt würde. Giulio fühlte ganz die Gefahr seiner Lage, sein Schicksal hing vom Zufall ab, welcher der Signora di Campireali nur ein Wort einzugeben brauchte. In der folgenden Nacht sagte er deshalb mit entschlossener Miene: "Morgen werde ich früher kommen, ich werde eine der Stangen dieses Gitters ausbrechen, du wirst in den Garten heraussteigen, und ich führe dich in eine Kirche der Stadt, wo ein mir ergebener Priester uns trauen wird. Noch bevor es Tag ist, bist du wieder im Garten. Wenn du erst meine Frau bist, habe ich keine Furcht mehr und werde allem zustimmen, was deine Mutter als Sühne für das schreckliche Unglück verlangen kann, das wir alle beklagen, -- wäre es selbst, einige Monate vergehen zu lassen, ohne dich zu sehen." Da Helena von diesem Vorschlage bestürzt zu sein schien, fügte Giulio hinzu: "Der Fürst ruft mich zu sich zurück; die Ehre und alle möglichen Gründe verpflichten mich, zu folgen. Mein Vorschlag ist das einzige, was unsre Zukunft sichern kann. Wenn Du mir nicht zustimmst, trennen wir uns für immer, hier, in diesem Augenblick. Ich werde mit Reue wegen meiner Torheit abreisen. Ich habe an Dein Ehrenwort geglaubt, Du bist dem heiligsten Schwur untreu, und ich hoffe, daß die gerechte Verachtung, die mir Deine Leichtfertigkeit einflößen wird, mit der Zeit mich von dieser Liebe heilt, die schon zu lange das Unglück meines Lebens ist.[sic! Fehlt: "] Helena brach in Tränen aus. "Großer Gott!" rief sie weinend, "wie entsetzlich für meine Mutter!" Schließlich willigte sie in den Vorschlag. "Aber", fügte sie noch hinzu, "man kann uns beim Fortgehen oder beim Wiederkommen entdecken; bedenkt den Skandal, denkt an die schreckliche Lage, in der sich meine Mutter befinden würde; warten wir ihre Abreise ab, die in einigen Tagen stattfinden wird." "Es ist Euch gelungen, mich an dem zweifeln zu lassen, was für mich das Höchste und Heiligste war: mein Vertrauen in Euer Wort. Morgen Abend werden wir verheiratet sein, oder wir sehen uns in diesem Augenblick, auf dieser Seite des Grabes zum letztenmal." Die arme Helena konnte nur mit Tränen antworten, besonders schmerzte sie der grausam entschiedene Ton, den Giulio anschlug. Hatte sie denn wirklich seine Verachtung verdient? Das war also der einst so fügsame und zärtliche Geliebte! Endlich stimmte sie seinen Anordnungen zu. Giulio entfernte sich. Von diesem Augenblick an erwartete Helena die kommende Nacht in allen Zuständen der verzweifeltsten Angst. Wenn sie sich auf ihren Tod hätte vorbereiten müssen, wäre ihr Schmerz weniger qualvoll gewesen, sie hätte Mut in dem Gedanken an die Liebe Giulios und an die zärtliche Neigung ihrer Mutter gefunden. Der Rest der Nacht verging in grausamster Unschlüssigkeit. Es gab Augenblicke, wo sie ihrer Mutter alles gestehen wollte. Am nächsten Morgen war sie derart bleich, als sie vor ihr erschien, daß diese, all ihre weisen Vorsätze vergessend, sich in die Arme ihrer Tochter warf und ausrief: "Was geht vor? Großer Gott! Sage mir, was du getan hast oder auf dem Sprung stehst, zu tun? Wenn du einen Dolch nähmest und mir ins Herz stießest, würdest du mich weniger leiden lassen, als durch das grausame Schweigen, das du gegen mich beobachtest." Die grenzenlose Zärtlichkeit ihrer Mutter ward Helena so deutlich, sie sah so klar, daß diese den Ausdruck ihrer Gefühle zu dämpfen suchte, statt ihn zu übertreiben, daß endlich die Rührung sie überwältigte; sie fiel ihr zu Füßen. Als ihre Mutter, um das Geheimnis zu ergründen, ausrief, daß Helena ihre Nähe fliehe, antwortete sie: daß sie morgen und alle folgenden Tage ihr Leben bei ihr verbringen würde, aber sie flehentlich bitte, nicht weiter zu fragen. Dieser verräterischen Äußerung folgte bald ein volles Geständnis. Signora von Campireali hatte es mit Abscheu erfüllt, den Mörder ihres Sohnes so nah zu wissen. Aber diesem Schmerz folgte ein Strom reinster und lebhaftester Freude. Wer könnte sich ihr Entzücken vorstellen, als sie erfuhr, daß ihre Tochter sich nie gegen ihre Pflicht vergangen hatte? Sofort änderten sich die Pläne dieser klugen Mutter ganz und gar; es schien ihr erlaubt, gegen einen Menschen, der ihr nichts war, zur List zu greifen. Helenas Herz war von den heftigsten Leidenschaften zerrissen: die Aufrichtigkeit ihrer Geständnisse war vollständig; diese gemarterte Seele hatte das Bedürfnis, sich auszuschütten. Signora Campireali, welche jetzt alles für erlaubt hielt, erfand eine Reihe von Vernunftgründen, die zu weit führen würden, wollten wir sie hier wiedergeben. Sie bewies ihrer unglücklichen Tochter ohne Mühe, daß sie statt einer heimlichen Ehe, die immer ein Makel für eine Frau sei, eine öffentliche Trauung in allen Ehren erlangen könne, wenn sie den Akt des Gehorsams, den sie einem so edelmütigen Geliebten schulde, nur um acht Tage hinausschöbe. Sie, die Signora Campireali, würde nach Rom reisen, sie würde ihrem Mann darlegen, daß Helena lange vor dem verhängnisvollen Gefecht von Ciampi mit Giulio verheiratet gewesen sei. Die Trauung sollte in der gleichen Nacht stattgefunden haben, wo sie, als Mönche verkleidet, ihrem Vater und Bruder am Ufer des Sees, auf dem in den Felsen gehauenen Weg begegnet waren, der längs der Mauer des Kapuzinerklosters führt. Die Mutter hütete sich, ihre Tochter während des Tags allein zu lassen, und schließlich schrieb Helena abends ihrem Geliebten einen kindlichen und wie uns scheint sehr rührenden Brief, in welchem sie ihm die Kämpfe, die ihr Herz zerrissen hatten, schilderte. Zum Schluß bat sie ihn kniefällig um einen Aufschub von acht Tagen: "Indem ich diesen Brief schreibe," fügte sie hinzu, "auf den ein Bote meiner Mutter wartet, scheint mir, daß ich das größte Unrecht begangen habe, ihr alles zu sagen. Ich glaube, dich erzürnt zu sehen; deine Augen blicken mich mit Haß an; mein Herz ist von den grausamsten Selbstvorwürfen zerrissen. Du wirst sagen, daß ich einen sehr schwachen, sehr verzagten, sehr verächtlichen Charakter habe, ich gebe es zu, mein teurer Engel. Aber stelle dir dies Schauspiel vor: Meine Mutter, in Tränen aufgelöst, lag fast zu meinen Knien. Da war es mir ganz unmöglich, ihr nicht zu gestehen, daß ein bestimmter Grund mir verbiete, ihrer Bitte nachzugeben; und wie ich erst einmal so schwach gewesen war, dieses unvorsichtige Wort auszusprechen, weiß ich nicht, was in mir vorging, aber es ist mir unmöglich vorgekommen, ihr nicht alles zu erzählen, was zwischen uns geschehen ist. Soweit ich mich erinnern kann, scheint mir, daß meine Seele, aller Kraft entblößt, Rat brauchte. Ich hoffte, ihn in den Worten meiner Mutter zu finden ... Ich hatte völlig vergessen, mein Freund, daß das Interesse dieser geliebten Mutter dem deinen entgegengesetzt ist. Ich habe meine oberste Pflicht vergessen, welche ist, dir zu gehorchen; und scheinbar bin ich der wahren Liebe nicht fähig, welche über jede Prüfung erhaben sein soll. Verachte mich, mein Giulio, aber im Namen Gottes, höre nicht auf, mich zu lieben. Entführe mich, wenn du willst, aber billige mir zu, daß die schrecklichsten Gefahren, sogar die Schande, daß nichts auf der Welt mich hätte verhindern können, deinem Befehl zu gehorchen, wenn meine Mutter nicht im Kloster gewesen wäre. Doch diese Mutter ist so gut! Sie hat so viel Überredungsgabe! Sie ist so edelmütig! Erinnere dich, als damals mein Vater das Zimmer durchforschte, rettete sie die Briefe, welche ich niemals hätte verbergen können. Dann, als die Gefahr vorüber war, gab sie mir sie zurück, ohne sie gelesen zu haben und ohne ein Wort des Vorwurfs! Sie ist mein ganzes Leben hindurch so zu mir gewesen, wie sie es in diesem höchsten Augenblick war. Du siehst, wie ich sie lieben müßte. Und doch scheint es mir, während ich dir schreibe (wie furchtbar zu sagen), daß ich sie hasse. Sie hat erklärt, daß sie diese Nacht der Hitze wegen im Garten unter einem Zelt verbringen wolle; ich höre die Hammerschläge, man errichtet jetzt das Zelt; es ist unmöglich, daß wir uns heute Nacht sehen. Ich fürchte sogar, daß der Schlafsaal der Pensionärinnen verschlossen wurde, ebenso die beiden Türen der Wendeltreppe, was sonst nie geschah. Diese Vorsichtsmaßregeln würden es mir unmöglich machen, in den Garten hinunterzugehen, wenn ich selbst einen solchen Schritt nötig fände, um deinen Zorn zu beschwören. Ach, wie ich mich dir jetzt ausliefern würde, wenn sich mir ein Mittel böte! Wie ich zu dieser Kirche eilen würde, wo man uns trauen soll!" Dieser Brief schloß mit zwei Seiten toller Sätze, in welchen ich leidenschaftliche Redewendungen fand, die auf die Ideen Platons zurückzugehen scheinen. Ich habe in dem eben übersetzten Brief mehrere Sätze dieser Art unterdrückt. Giulio Branciforte war sehr erstaunt, als er abends etwa eine Stunde vor dem Ave Maria dieses Schreiben erhielt; er hatte grade die Abmachung mit dem Priester beendet. Er war außer sich vor Zorn. 'Sie hat nicht notwendig, mir zu raten, daß ich sie entführe. Dieses schwache, zaghafte Geschöpf!' Und er brach sogleich nach dem Walde von La Faggiola auf. Für Signora Campireali stand die Sache folgendermaßen: Ihr Gatte lag auf dem Sterbebett; die Unmöglichkeit, sich an Branciforte zu rächen, brachte ihn langsam zum Grabe. Vergebens hatte er mehrmals den römischen Bravi beträchtliche Summen anbieten lassen; keiner hatte sich an einem der "Korporale", wie sie sagten, des Fürsten Colonna vergreifen wollen; sie waren zu gewiß, samt ihren Familien ausgetilgt zu werden. Es war noch kein Jahr her, daß ein ganzes Dorf zur Strafe für den Tod eines Soldaten des Colonna niedergebrannt wurde, und alle Einwohner, Männer und Frauen, welche in die Campagna zu fliehen suchten, wurden an Händen und Füßen gefesselt in die brennenden Häuser geworfen. Signora Campireali besaß große Güter im Königreich Neapel; ihr Gatte hatte ihr aufgetragen, von dort Mörder kommen zu lassen; aber sie hatte nur zum Schein zugestimmt, denn sie glaubte ihre Tochter unlöslich an Giulio Branciforte gebunden. In dieser Voraussetzung meinte sie, daß Giulio einen oder zwei Feldzüge in den spanischen Heeren mitmachen solle, welche damals Krieg gegen die Aufständischen in Flandern führten. Fiele er nicht, so sollte dies ein Zeichen sein, daß Gott eine Heirat nicht mißbillige, die sich nicht vermeiden ließ; in diesem Fall würde sie ihrer Tochter die Güter geben, welche sie im Königreich Neapel besaß, Giulio Branciforte würde den Namen einer dieser Besitzungen annehmen und einige Jahre mit seiner Frau in Spanien verbringen. Nach allen diesen Prüfungen würde sie vielleicht den Mut finden, ihn zu sehen. Doch alles war seit dem Geständnis ihrer Tochter anders geworden; die Heirat war keine Notwendigkeit mehr -- weit entfernt davon -- und während Helena ihrem Geliebten den Brief schrieb, den wir wiedergegeben haben, schrieb Signora Campireali nach Pescara und nach Chieti und gab ihren Pächtern den Auftrag, ihr sichere Männer nach Castro zu senden, die zu einem Handstreich zu gebrauchen wären. Sie verhehlte ihnen nicht, daß es sich darum handelte, den Tod Fabios, ihres jungen Herrn, zu rächen. Der Kurier machte sich mit diesen Briefen noch vor Ende des Tags auf den Weg. V. Schon am übernächsten Tage war Giulio wieder in Castro, er führte acht seiner Soldaten mit sich, welche ihm freiwillig gefolgt waren, wenn sie sich gleich dem Zorn des Fürsten aussetzten, der einige Male Unternehmungen dieser Art mit dem Tode bestraft hatte. Giulio hatte schon fünf Mann in Castro und acht brachte er hinzu; indessen schienen ihm vierzehn Soldaten, wie tapfer sie auch sein mochten, nicht ausreichend für sein Unternehmen; denn das Kloster glich einer Festung. Es handelte sich darum, durch das erste Tor des Klosters mit Gewalt oder List zu dringen und dann durch einen Gang von mehr als fünfzig Schritten Länge zu kommen. Linker Hand sollten die vergitterten Fenster einer Art Kaserne liegen, wo die Nonnen dreißig bis vierzig Diener, ehemalige Soldaten, untergebracht hatten. Aus diesen vergitterten Fenstern würde, sobald erst das Kloster alarmiert war, ein ausgiebiges Feuer abgegeben werden. Die regierende Äbtissin, eine Frau von starkem Verstande, hatte Angst vor den Unternehmungen der Orsini, Colonna, Marco Sciarra und so vieler andrer, welche die umliegende Gegend beherrschten. Wie war es möglich, achthundert entschlossenen Männern Widerstand zu leisten, wenn sie unversehens eine kleine Stadt wie Castro einnahmen, weil sie das Kloster mit Gold gefüllt glaubten? Gewöhnlich waren im Kloster der Heimsuchung von Castro fünfzehn oder zwanzig Bravi in der Kaserne zur Linken des Ganges, der zur zweiten Klosterpforte führte; zur Rechten dieses Durchlasses lag eine hohe, uneinnehmbare Mauer; an seinem Ende befand sich ein eisernes Tor, das auf eine Säulenhalle führte; nach dieser kam der große Klosterhof, rechts der Garten. Diese eiserne Türe war von der Pförtnerin bewacht. Als Giulio mit seinen acht Mann sich drei Meilen vor Castro befand, machte er in einem abgelegenen Wirtshaus Halt, um die Stunden der großen Hitze verstreichen zu lassen. Dort erst legte er sein Vorhaben dar; dabei zeichnete er den Plan des Klosters, das er angreifen wollte, in den Sand des Hofs. "Um neun Uhr", sagte er seinen Leuten, "werden wir außerhalb der Stadt zu Abend essen; um Mitternacht werden wir eintreten. Eure fünf Kameraden erwarten uns in der Nähe des Klosters. Einer von ihnen wird zu Pferde sein und die Rolle eines Kuriers spielen, der aus Rom kommt, um Signora von Campireali zu ihrem Gemahl zu rufen, der im Sterben liegt. Wir werden versuchen, geräuschlos durch die erste Türe des Klosters zu kommen," sagte er, indem er auf den Plan im Sand deutete, "die hier in der Mitte der Kaserne liegt. Wenn wir den Kampf gleich beim ersten Tor beginnen, haben es die Bravi der Nonnen zu leicht, uns Flintenschüsse nachzusenden, während wir auf diesem kleinen Platz da vor dem Kloster sind oder durch den engen Gang zwischen dem ersten und zweiten Tor laufen. Dieses zweite Tor ist von Eisen, aber ich besitze den Schlüssel dazu. Allerdings sind große, mit einem Ende an der Mauer befestigte Eisenbalken oder Sperrstangen da, welche, wenn sie vorgelegt sind, das Öffnen der Torflügel verhindern. Aber da die beiden Eisenstangen zu schwer sind, als daß die Schwester Pförtnerin sie handhaben könnte, habe ich sie nie an ihrem Platz gesehen und bin doch mehr als zehnmal durch das Eisentor gegangen. Ich rechne darauf, auch heute Abend ohne Hindernis hindurchzukommen. Ihr merkt wohl, daß ich Bekanntschaften im Kloster habe. Mein Ziel ist: eine Pensionärin zu entführen, und nicht eine Nonne; wir dürfen erst im äußersten Notfall von den Waffen Gebrauch machen. Wenn wir den Kampf eröffnen, bevor wir an dieser zweiten Tür mit den Eisen angekommen sind, wird die Pförtnerin nicht verfehlen, zwei alte siebzigjährige Gärtner, die im Kloster wohnen, herbeizurufen, und diese Alten würden die Stangen vorlegen. Wenn uns dieser Unglücksfall zustößt, müssen wir erst die Mauer demolieren, um durch die Tür zu kommen, was uns zehn Minuten kosten würde; auf jeden Fall werde ich als erster zur Tür eilen. Einer der Gärtner ist von mir gekauft, aber, wie Ihr Euch denken könnt, habe ich mich gehütet, ihm etwas von meinem Entführungsplan zu erzählen. Wenn man diese zweite Tür hinter sich hat, wendet man sich nach rechts in den Garten, und sind wir erst in diesem Garten, so sprechen die Waffen; man muß alles niedermachen, was sich in den Weg stellt. Ihr werdet natürlicherweise nur Eure Schwerter und Dolche brauchen; ein einziger Flintenschuß würde die ganze Stadt in Aufruhr bringen und man würde uns beim Abzug angreifen. Glaubt nicht, daß ich mich mit dreizehn Mann, wie Ihr seid, nicht stark genug fühle, durch dieses Nest zu kommen: sicher würde niemand wagen, auf die Straße hinabzusteigen; aber mehrere Bürger haben Flinten und sie würden aus den Fenstern schießen. Nebenbei gesagt muß man sich in diesem Fall längs der Häuser halten. Einmal im Garten, sagt Ihr mit leiser Stimme zu jedem, der sich zeigt: Zieh dich zurück! und wenn er nicht augenblicklich gehorcht, tötet Ihr ihn mit dem Dolch. Ich dringe dann mit denen von Euch, die gerade um mich sind, durch die kleine Gartentür ins Kloster ein, und drei Minuten später kehre ich mit einer oder zwei Frauen zurück, die wir auf unsren Armen tragen und nicht selbst gehen lassen werden. Sofort verlassen wir eilig das Kloster und die Stadt. Zwei von Euch werde ich in der Nähe des Tors zurücklassen, sie werden von Minute zu Minute etwa zwanzig Schüsse abgeben, um die Bürger zu schrecken und in Entfernung zu halten." Giulio wiederholte diese Erklärung zweimal. "Habt Ihr gut verstanden?" sagte er seinen Leuten. "In der Vorhalle wird es dunkel sein; rechts ist der Garten, links der Hof, man darf sich nicht irren." "Zählt auf uns!" riefen die Soldaten. Dann gingen sie trinken; der Korporal folgte ihnen nicht und bat um die Erlaubnis, mit dem Kapitän sprechen zu dürfen. "Nichts ist einfacher", sagte er, "als der Plan Eurer Gnaden. Ich bin schon zweimal in meinem Leben in Klöster eingebrochen; dies wäre das dritte; aber wir sind zu wenig. Wenn der Gegner uns nötigt, die Mauer zu zerstören, welche die Angel der zweiten Tür hält, muß man bedenken, daß die Bravi während dieser langen Arbeit nicht müßig bleiben; sie werden Euch sieben oder acht Mann erschießen und dann kann man uns am Rückweg die Frau wieder abnehmen. Das ist uns in einem Kloster in der Nähe Bolognas passiert: uns wurden fünf Mann getötet, wir töteten acht, aber der Hauptmann bekam nicht die Frau. Ich schlage Euer Gnaden zweierlei vor: ich kenne vier Bauern aus der Umgebung dieser Herberge, die Sciarra tapfer gedient haben und sich für eine Zechine die ganze Nacht lang wie Löwen schlagen würden. Vielleicht werden sie etwas Silber aus dem Kloster rauben; das kümmert Euch wenig, denn die Sünde ist ihre Sache und Ihr bezahlt sie, um eine Frau zu holen, das ist alles. Mein zweiter Vorschlag ist folgender: Ugone ist ein gescheiter und sehr geschickter Bursche; er war Arzt, als er seinen Schwager tötete und ging in die Macchia. Ihr könnt ihn eine Stunde vor Sonnenuntergang zum Klostertor schicken, er wird um Dienst bitten und wird es so geschickt einrichten, daß man ihn in die Wache einreiht; dann wird er die Knechte der Nonnen betrunken machen, und er ist sogar fähig, die Lunten ihrer Flinten zu durchnässen." Zu seinem Unglück nahm Giulio den Vorschlag des Korporals an. Als dieser sich entfernte, fügte er noch hinzu: "Wir wollen ein Kloster angreifen. Das ist excommunicatio major und noch mehr: dieses Kloster steht unmittelbar unter dem Schutz der Madonna ..." "Ich verstehe!" rief Giulio, aufgerüttelt durch dieses Wort. "Bleibt bei mir." Der Korporal schloß die Tür und kam zurück, um den Rosenkranz mit Giulio zu beten. Diese Andacht dauerte eine volle Stunde. Als es Nacht war, brach man auf. Wie es Mitternacht schlug, kehrte Giulio, der gegen elf Uhr allein nach Castro gegangen war, zurück, um seine Leute zu holen, die außerhalb des Tores gewartet hatten. Er trat mit seinen acht Mann, denen sich drei gut bewaffnete Bauern angeschlossen hatten, in die Stadt ein und vereinigte sich mit den fünf Soldaten, welche er schon in der Stadt hatte; so befand er sich an der Spitze von sechzehn entschlossenen Männern; zwei trugen als Diener verkleidet weite Blusen aus schwarzem Leinen, um ihr giacco zu verdecken und ihre Mützen waren nicht mit Federn geschmückt. Eine halbe Stunde nach Mitternacht kam Giulio, der die Rolle des Kuriers für sich übernommen hatte, im Galopp vor dem Klostertor an; er machte mächtigen Lärm und schrie, daß man unverzüglich einem Kurier öffnen möge, den der Kardinal schicke. Mit Wohlgefallen bemerkte er, daß die Soldaten, die ihm durch das kleine Fenster neben dem Tor antworteten, halb betrunken waren. Der Vorschrift folgend, schrieb er seinen Namen auf ein Stück Papier, ein Soldat überbrachte den Namen der Pförtnerin, die den Schlüssel zur zweiten Tür besaß und die Äbtissin in besondren Fällen zu wecken hatte. Die Antwort ließ endlose dreiviertel Stunden auf sich warten. Während dieser Zeit hatte Giulio viel Mühe, seinen Trupp ruhig zu halten; einige Bürger öffneten schon vorsichtig ihre Fenster; endlich traf eine günstige Antwort von der Äbtissin ein; Giulio wurde, gefolgt von zwei als Diener verkleideten Soldaten, mit Hilfe einer fünf oder sechs Fuß langen Leiter, die man ihm aus dem kleinen Fenster reichte, in die Wachstube eingelassen; die Bravi des Klosters wollten sich nicht die Mühe machen, das große Tor zu öffnen. Als er vom Fenster ins Wachzimmer sprang, begegneten seine Augen dem Blick Ugones; die ganze Wache war, dank seiner Vorsorge, betrunken. Giulio sagte dem Kommandanten, daß drei Diener der Campireali, die er als Soldaten habe ausrüsten lassen, um ihn am Marsch zu schützen, sehr guten Branntwein gekauft hätten und um Einlaß bäten, damit sie sich nicht allein auf dem Platze langweilen müßten. Dem wurde einmütig zugestimmt. Er selbst stieg mit seinen zwei Leuten die Treppe hinunter, welche von der Wachstube in den Gang führte. "Trachte die große Tür zu öffnen", sagte er zu Ugone. Dann gelangte er unangefochten zur eisernen Tür. Dort fand er die gute Pförtnerin, welche ihm sagte, daß jetzt, da Mitternacht vorbei sei, wenn er ins Kloster eingelassen würde, die Äbtissin dem Bischof darüber Bericht erstatten müßte. Darum lasse sie ihn bitten, seine Nachrichten der jungen Schwester zu übergeben, welche die Äbtissin zu diesem Zweck schicke. Worauf Giulio antwortete, wegen der Bestürzung, welche durch die unerwartete Agonie des Signor von Campireali hervorgerufen worden sei, hätte man ihm nur ein einfaches vom Arzt ausgefertigtes Beglaubigungsschreiben mitgegeben; alle Einzelheiten sollte er mündlich der Frau und Tochter des Kranken berichten, wenn diese Damen noch im Kloster wären und in jedem Fall auch der Frau Äbtissin. Die Pförtnerin ging, diese Botschaft zu überbringen. Niemand blieb an der Tür als die junge Schwester, welche die Äbtissin gesandt hatte. Giulio plauderte und scherzte mit ihr, dabei steckte er die Hände durch die dicken Eisenstangen des Tors und versuchte es, immer noch lachend, zu öffnen. Die Schwester war sehr schüchtern, sie hatte Angst und nahm die Scherze übel auf. Da hatte Giulio, der sah, daß beträchtliche Zeit verstrich, die Unvorsichtigkeit, der Schwester eine Handvoll Zechinen anzubieten, mit der Bitte, ihn einzulassen, da er zu müde sei, zu warten. "Er wußte wohl, daß er eine Dummheit beging," sagt der Erzähler, "er hätte mit Eisen und nicht mit Gold arbeiten müssen; aber er hatte nicht das Herz dazu; nichts leichter, als sich der Schwester zu bemächtigen, sie war nicht weiter als einen Fuß breit von ihm, auf der andern Seite der Tür.[sic! Hier fehlt wohl: "] Durch das Angebot der Zechinen wurde das junge Mädchen in Schrecken versetzt. Sie sagte später, daß sie aus der Art wie Giulio zu ihr gesprochen habe, wohl verstanden hätte, daß er kein gewöhnlicher Kurier sei: 'Das ist der Geliebte einer unsrer Nonnen,' dachte sie, 'der zu einem Stelldichein kommt'; und sie war fromm. Von Entsetzen ergriffen, begann sie mit aller Kraft die Schnur einer kleinen Glocke zu ziehen, die im großen Hof hing und alsogleich einen Lärm machte, um Tote zu wecken. "Der Krieg beginnt," sagte Giulio seinen Leuten, "gebt acht!" Er nahm seinen Schlüssel, und den Arm zwischen den Eisenstäben durchzwängend, öffnete er die Tür zur größten Verzweiflung der jungen Nonne, die sich über den Kirchenfrevel entsetzt schreiend auf die Knie warf und Ave Maria zu beten begann. Noch in diesem Augenblick hätte Giulio das junge Mädchen zum Schweigen bringen müssen, aber er hatte nicht das Herz dazu; einer seiner Leute ergriff sie und schloß ihr den Mund. Im selben Augenblick hörte Giulio im Gang hinter sich einen Flintenschuß. Ugone hatte das große Tor geöffnet, die übrigen Soldaten traten ohne Lärm ein, als einer der weniger betrunkenen Bravi der Wache sich einem der vergitterten Fenster näherte und in seinem Erstaunen so viele Leute im Gang zu sehen ihnen fluchend verbot, weiterzugehen. Man hätte nicht antworten und ruhig weiter gegen die eiserne Tür vorgehen sollen, so machten es auch die ersten, aber der letzte der Reihe, einer der am Nachmittag erst angeworbenen Bauern, feuerte einen Pistolenschuß nach dem Klosterknecht, der durchs Fenster rief, und tötete ihn. Dieser Pistolenschuß mitten in der Nacht und das Schreien der Betrunkenen, als sie ihren Kameraden fallen sahen, weckten jene Soldaten, welche diese Nacht in ihren Betten lagen und nicht von Ugones Wein gekostet hatten. Acht oder zehn Bravi des Klosters sprangen halb nackt in den Gang und griffen die Soldaten Brancifortes heftig an. Wie wir bereits gesagt haben, begann dieser Lärm im Augenblick, als Giulio das eiserne Tor geöffnet hatte. Von seinen zwei Soldaten gefolgt, stürzte er in den Garten und lief zu der kleinen Türe, die zur Treppe der Pensionärinnen führte. Aber er wurde von fünf oder sechs Pistolenschüssen empfangen. Seine beiden Soldaten fielen; er selbst bekam eine Kugel in den rechten Arm. Diese Pistolenschüsse waren von den Leuten der Signora von Campireali abgegeben, welche auf ihren Befehl die Nacht im Garten zubrachten, wozu sie die Erlaubnis beim Bischof erwirkt hatte. Giulio lief allein zu der kleinen, ihm so wohlbekannten Tür, welche vom Garten zur Treppe der Pensionärinnen führte. Er tat, was er nur konnte, um sie aufzusprengen, aber sie war fest verschlossen. Er suchte nach seinen Leuten, doch die achteten nicht darauf, ihm zu antworten, denn sie starben; er stieß in der tiefen Dunkelheit auf drei Dienstleute der Signora von Campireali, deren er sich mit Dolchstichen erwehrte. Er lief in die Vorhalle, gegen die Gittertür, um seine Soldaten zu rufen; er fand diese Türe verschlossen: die beiden schweren Eisenarme waren auf ihrem Platz und mit Schlössern gesichert, welche die alten Gärtner vorgelegt hatten, als sie das Läuten der jungen Schwester weckte. 'Ich bin abgeschnitten', sagte sich Giulio. Er rief es seinen Leuten zu; vergeblich versuchte er eins dieser Vorlegschlösser mit seinem Degen zu sprengen; wenn ihm das geglückt wäre, hätte er eine der Eisenstangen entfernen und einen Türflügel öffnen können. Sein Degen zerbrach im Ring des Vorlegschlosses; im gleichen Augenblick wurde er durch einen aus dem Garten herbeigeeilten Diener an der Schulter verwundet; er wandte sich um, und gegen die Eisenpforte gelehnt, sah er sich von mehreren Männern angegriffen. Er verteidigte sich mit seinem Dolch; zum Glück, da es völlig dunkel war, trafen fast alle Degenstöße auf sein Panzerhemd. Er wurde schmerzhaft am Knie verwundet, stürzte sich auf einen der Leute, der sich zu weit vorgewagt hatte, um ihm diesen Degenstich zu versetzen, tötete ihn mit einem Dolchstoß ins Gesicht und hatte das Glück, sich seines Degens zu bemächtigen. Nun glaubte er sich gerettet; er stellte sich zur Linken der Tür, an die Seite der Mauer. Seine Leute waren jetzt herbeigeeilt, sie schossen fünf oder sechs Pistolenschüsse durch das Eisengitter hindurch und trieben die Diener in die Flucht. Man sah hier in der Vorhalle nichts, außer beim Aufleuchten der Pistolenschüsse. "Schießt nicht auf meine Seite", rief Giulio seinen Leuten zu. "Ihr seid hier wie in einer Mausefalle gefangen", sagte ihm der Korporal mit großer Kaltblütigkeit durch die Eisenstangen hindurch, "und wir haben drei Tote. Wir werden die Türpfosten auf der Euch entgegengesetzten Seite einreißen. Rührt Euch nicht, denn man wird auf uns schießen; es scheint, daß im Garten Feinde sind." "Die Schufte von Dienern der Campireali", sagte Giulio. Er sprach noch mit dem Korporal, als von der Seite des Vestibüls, die in den Garten führte, Pistolenschüsse, auf das Geräusch gezielt, gegen sie abgefeuert wurden. Giulio verbarg sich in der Loge der Schließerin, zur Linken des Eingangs; zu seiner Freude fand er dort ein kaum wahrnehmbares Lämpchen, das vor dem Bildnis der Madonna brannte; er nahm es mit großer Vorsicht, um es nicht auszulöschen; er bemerkte zu seinem Kummer, daß er zitterte. Er betrachtete seine Wunde am Knie, die ihn sehr schmerzte; das Blut floß in Strömen. Umhersehend, erkannte er zu seinem Erstaunen in einer ohnmächtig auf einem Holzstuhl lehnenden Frau die kleine Marietta, die vertraute Kämmerin Helenas; er schüttelte sie lebhaft. "Aber! Signor Giulio," rief sie weinend, "wollt Ihr Eure Freundin Marietta töten?" "Weit davon entfernt! Sag Helena, daß ich sie um Verzeihung bitte, ihre Ruhe gestört zu haben und daß sie des Ave Maria vom Monte Cave gedenken möge. Hier ist ein Blumenstrauß, den ich in ihrem Garten in Albano gepflückt habe; aber er ist ein wenig mit Blut befleckt; wasche es ab, bevor du ihn ihr gibst." In diesem Augenblick hörte er eine Flintensalve im Gang; die Bravi der Nonnen griffen seine Leute an. "Sag mir, wo der Schlüssel der kleinen Tür ist?" fragte er Marietta. "Ich sehe ihn nicht, aber hier sind die Schlüssel zu den Vorlegschlössern der Eisenstangen, welche das große Tor sperren. Ihr könnt hinaus." Giulio nahm die Schlüssel und stürzte aus der Loge. "Laßt die Mauer," rief er seinen Soldaten zu, "ich habe endlich den Schlüssel des Tores." Einen Augenblick, während er versuchte, ein Schloß mit einem der kleinen Schlüssel zu öffnen, herrschte völliges Schweigen; er hatte sich im Schlüssel geirrt und nahm den andern; endlich öffnete er das Schloß: aber im Augenblick, wo er die Eisenstange hob, erhielt er aus allernächster Nähe einen Schuß in den rechten Arm. Sogleich spürte er, daß der Arm den Dienst versagte. "Hebt den Eisenriegel", schrie er seinen Leuten zu. Er hatte nicht erst nötig, es ihnen zu sagen. Im Licht des Pistolenschusses hatten sie bemerkt, daß das äußerste umgebogene Ende der eisernen Stange schon zur Hälfte aus dem am Tor befestigten Ring herausgehoben war. Sofort lüpften drei oder vier kräftige Arme die eiserne Stange; als das äußerste Ende ganz aus dem Ring war, ließ man sie fallen. Nun konnte man einen der Torflügel ein wenig öffnen; der Korporal trat ein und sagte leise zu Giulio: "Es ist nichts mehr zu machen, wir sind nur mehr drei oder vier ohne Wunden, fünf sind tot." "Ich habe Blut verloren," entgegnete Giulio, "ich fühle, daß ich ohnmächtig werde; laßt mich fortbringen." Während Giulio mit dem tapfren Korporal sprach, gaben die Soldaten der Wache noch drei oder vier Flintenschüsse ab und der Korporal fiel tot zu Boden. Zum Glück hatte Ugone den Befehl Giulios gehört; er rief zwei Soldaten herbei, die den Kapitän forttragen sollten. Da er aber nicht ohnmächtig wurde, befahl er, ihn durch den Garten zu der kleinen Tür zu tragen. Dieser Befehl brachte die Soldaten zum Fluchen, aber sie gehorchten. "Hundert Zechinen dem, der diese Tür öffnet", rief Giulio aus. Aber sie widerstand dem Ansturm dreier wütender Männer. Einer der alten Gärtner schoß unaufhörlich von einem Fenster des zweiten Stockwerks mit der Pistole nach ihnen und beleuchtete so ihre Versuche. Nach den unnützen Anstrengungen, die Tür zu öffnen, wurde Giulio gänzlich bewußtlos; Ugone hieß den Soldaten, den Kapitän eiligst fortzutragen. Er selbst ging in die Loge der Schwester Pförtnerin und warf die kleine Marietta hinaus, indem es[sic! statt: er] ihr mit drohender Stimme befahl, fortzugehen und niemals zu verraten, wer sie wiedererkannt habe. Er zog das Stroh aus dem Bett, zerbrach einige Stühle und steckte das Zimmer in Brand. Als das Feuer gut brannte, lief er so schnell er konnte, mitten durch die Flintenschüsse der Bravi des Klosters davon. Etwa hundertfünfzig Schritt von der Heimsuchung entfernt, fand er den ganz bewußtlosen Kapitän, den man eiligst davontrug. Nach einigen Minuten war man außerhalb der Stadt. Ugone ließ halten: er hatte nur noch vier Soldaten bei sich; er schickte zwei in die Stadt zurück mit dem Befehl, von fünf zu fünf Minuten Flintenschüsse abzufeuern. "Versucht Eure verwundeten Kameraden wiederzufinden," sagte er ihnen, "verlaßt die Stadt vor Tag, wir folgen dem Fußweg über Croce rossa. Wenn Ihr irgendwo Feuer anlegen könnt, verabsäumt es nicht." Als Giulio das Bewußtsein wieder erlangte, befand man sich drei Meilen von der Stadt entfernt und die Sonne stand schon hoch am Himmel. Ugone erstattete Bericht. "Euer Trupp besteht nur mehr aus fünf Mann, wovon drei verwundet sind. Den beiden überlebenden Bauern habe ich je zwei Zechinen Entschädigung gegeben und sie sind davongelaufen. Die beiden nicht verwundeten Männer habe ich in den nächsten Marktflecken geschickt, um einen Wundarzt zu holen." Der Wundarzt, ein zittriger Alter, kam bald auf einem prächtigen Esel angeritten; man hatte ihm drohen müssen, sein Haus in Brand zu stecken, um ihn zum Mitgehen zu bewegen. Es war nötig, ihn erst etwas Branntwein trinken zu lassen, um ihn zu seiner Arbeit instand zu setzen, so groß war seine Furcht. Endlich machte er sich ans Werk; er sagte Giulio, daß seine Wunden ohne Bedeutung seien. "Die am Knie ist nicht gefährlich," fügte er hinzu, "aber Ihr werdet zeitlebens hinkend bleiben, wenn Ihr Euch nicht zwei bis drei Wochen vollkommen ruhig verhaltet." Der Wundarzt verband die verletzten Soldaten. Ugone gab Giulio einen Wink mit den Augen, man entlohnte den Wundarzt, der sich vor Dank gar nicht fassen konnte, mit zwei Zechinen; dann gab man ihm unter dem Vorwand der Erkenntlichkeit eine solche Menge Branntwein zu trinken, daß er fest einschlief. Das war es, was man wollte. Man trug ihn ins nächste Feld, man wickelte vier Zechinen in ein Stück Papier, das man ihm in die Tasche steckte. Das war der Preis für seinen Esel, auf welchen man Giulio und einen der am Bein verletzten Soldaten setzte. Man verbrachte die Stunden der größten Hitze in einer antiken Ruine am Ufer eines Weihers; man marschierte die ganze Nacht hindurch und vermied die Dörfer, die auf diesem Weg nicht zahlreich waren; endlich am übernächsten Morgen bei Sonnenaufgang erwachte Giulio, als er tief im Walde von La Faggiola von seinen Leuten in die Köhlerhütte getragen wurde, die sein Hauptquartier war. VI. Am Morgen nach dem Kampf fanden die Nonnen zu ihrem Entsetzen neun Leichen in ihrem Garten und in dem Gang, der vom äußeren Tor zu dem mit den Eisenriegeln führte; acht ihrer Bravi waren verwundet. Niemals hatte es eine solche Angst im Kloster gegeben; man hatte wohl öfters Flintenschüsse vom Platze her gehört, aber nie solche Menge von Schüssen, noch dazu im Garten, inmitten der Gebäude und unter den Fenstern der Nonnen. Das hatte gut anderthalb Stunden gedauert und während dieser Zeit herrschte die allergrößte Kopflosigkeit im Innern des Klosters. Wäre Giulio Branciforte nur ein wenig im Einverständnis mit einer der Nonnen oder der Pensionärinnen gewesen, wäre es ihm geglückt: es hätte genügt, daß man ihm eine der zahlreichen, in den Garten führenden Türen geöffnet hätte; aber ganz außer sich vor Entrüstung und voll Wut über das, was er den Meineid der jungen Helena nannte, wollte er alles durch eigne Kraft erreichen. Es ging gegen seinen Stolz, sein Vorhaben irgend jemandem anzuvertrauen. Indessen hätte ein einziges Wort an die kleine Marietta den Erfolg verbürgt: sie hätte eine der Türen, die zum Garten führten, geöffnet und -- unterstützt durch die schreckliche Begleitung der Flintenschüsse von draußen -- hätte auch ein einziger Mann der in den Schlafsälen erschien, sich unbedingten Gehorsam verschafft. Vom ersten Schuß an hatte Helena für das Leben ihres Geliebten gezittert und an nichts andres gedacht, als mit ihm zu fliehen. Wie soll man ihre Verzweiflung schildern, als die kleine Marietta ihr die entsetzliche Verwundung beschrieb, die Giulio am Knie erhalten hatte und aus der sie das Blut hatte in Strömen fließen sehen? Helena verabscheute jetzt ihre Feigheit und Zaghaftigkeit: "Ich habe die Schwäche gehabt, meiner Mutter ein Wort zu sagen und Giulios Blut ist geflossen, er konnte bei diesem bewundernswerten Angriff, wo sein Mut vor nichts zurückschreckte, sein Leben lassen." Die Bravi wurden ins Sprechzimmer zugelassen und berichteten den lüstern zuhörenden Nonnen, daß sie nie in ihrem Leben Zeugen einer Tapferkeit gewesen seien, die sich mit der des jungen, als Kurier verkleideten Mannes, der die Angriffe der Briganten leitete, vergleichen ließe. Wenn diesen Erzählungen schon von allen mit dem größten Interesse zugehört wurde, kann man sich vorstellen, mit welch äußerster Leidenschaft Helena die Bravi nach Einzelheiten über den jungen Anführer der Briganten ausfragte. Nach den ausführlichen Schilderungen, die sie sich von ihnen und von den alten Gärtnern geben ließ, die ganz unparteiische Zeugen waren, schien es ihr, daß sie ihre Mutter nicht im geringsten mehr liebte. Es gab sogar eine erregte Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen, die sich am Vorabend des Kampfes so zärtlich geliebt hatten. Signora Campireali war gereizt durch die Blutflecken auf einem gewissen Blumenstrauß, von dem Helena sich nicht einen Augenblick mehr trennen wollte. "Man soll diese blutbefleckten Blumen fortwerfen." "Ich war es, die dieses edle Blut vergossen hat und es ist geschehen, weil ich die Schwäche hatte, Euch ein Wort zu sagen." "Ihr liebt also noch den Mörder Eures Bruders?" "Ich liebe meinen Gatten, der zu meinem ewigen Unheil von meinem Bruder angegriffen worden ist." Nach dieser Bemerkung wurde während der drei Tage, welche Signora von Campireali noch im Kloster zubrachte, kein einziges Wort mehr zwischen Mutter und Tochter gewechselt. Am Morgen nach ihrer Abreise gelang es Helena, zu entkommen, indem sie die Verwirrung benützte, die an beiden Klostertoren durch die Anwesenheit zahlreicher Maurer herrschte, welche im Garten neue Befestigungen aufführen sollten. Die kleine Marietta und sie hatten sich als Arbeiter verkleidet. Aber die Bürger hielten an den Toren der Stadt strenge Wacht und Helene war in großer Verlegenheit, wie sie durchkommen solle. Endlich war der kleine Krämer, der ihr schon die Briefe Brancifortes übermittelt hatte, einverstanden, sie als seine Tochter auszugeben und bis Albano zu begleiten. Helena fand dort ein Versteck bei ihrer alten Amme, der es ihre Wohltaten ermöglicht hatten, einen kleinen Laden zu halten. Kaum angelangt, schrieb sie an Branciforte, und die Amme fand, nicht ohne Schwierigkeit, einen Mann, der es wagen wollte, in den Wald von La Faggiola einzudringen, ohne das Losungswort der Leute des Colonna zu wissen. Nach drei Tagen kam der von Helena abgesandte Bote ganz verstört zurück; erst war es ihm unmöglich gewesen, Branciforte zu finden und seine unaufhörlichen Fragen nach dem jungen Hauptmann hatten ihn verdächtig gemacht, so daß er schließlich gezwungen war, zu flüchten. 'Man kann nicht zweifeln, der arme Giulio ist tot,' sagte sich Helena, 'und ich bin es, die ihn getötet hat! Das mußte die Folge meiner elenden Schwäche und meiner Zaghaftigkeit werden; er hätte eine starke Frau lieben sollen, die Tochter irgendeines Hauptmanns des Fürsten Colonna ...' Die Amme glaubte, daß Helena sterben würde. Sie stieg zum Kapuzinerkloster hinauf, das bei dem in die Felsen gehauenen Weg, wo einstens mitten in der Nacht Fabio und sein Vater den beiden Liebenden begegnet waren, lag. Die Amme sprach lange mit ihrem Beichtvater und unter dem Siegel der Beichte gestand sie ihm, daß die junge Helena von Campireali sich mit Giulio Branciforte, ihrem Gatten, vereinen wolle und daß sie geneigt wäre, dem Kloster eine silberne Lampe im Wert von hundert spanischen Piastern zu stiften. "Hundert Piaster!" antwortete der Mönch gereizt. "Und was wird aus unsrem Kloster, wenn wir den Haß des Signor von Campireali auf uns ziehen? Es waren nicht hundert Piaster, sondern wohl tausend, ohne die Wachskerzen zu rechnen, die er uns gegeben hat, um den Leichnam seines Sohnes vom Schlachtfeld von Ciampi zurückzubringen." Man muß zur Ehre des Klosters berichten, wie zwei betagte Mönche, welche genau über die Lage der jungen Helena unterrichtet waren, nach Albano hinabstiegen, um sie durch Zureden oder mit Gewalt zu veranlassen, in den Palast ihrer Familie zurückzukehren; sie wußten, daß Signor von Campireali sie dafür reich belohnen würde. Ganz Albano war von Gerede über die Flucht Helenas und von der Erzählung der glänzenden Versprechungen erfüllt, die ihre Mutter denen ausgesetzt hatte, die ihr Nachrichten über den Aufenthalt der Tochter geben würden. Aber die beiden Mönche wurden von der Verzweiflung Helenas, die Giulio Branciforte tot glaubte, so gerührt, daß sie, weit davon entfernt, sie zu verraten und ihrer Mutter ihren Zufluchtsort anzuzeigen, sich sogar bereit erklärten, sie bis zur Festung La Petrella zu geleiten. Helena und Marietta begaben sich nachts, wieder als Arbeiter verkleidet, zu Fuß an eine bestimmte Quelle im Wald von La Faggiola, eine Stunde von Albano entfernt. Die Mönche hatten dorthin Maultiere bringen lassen, und als der Tag anbrach, machte man sich auf den Weg. Die Mönche, welche unter dem Schutz des Fürsten standen, wurden von den Soldaten, denen sie im Wald begegneten, mit Respekt gegrüßt, aber nicht so die beiden jungen Bürschchen, welche sie begleiteten: die Soldaten betrachteten sie zuerst mit strengen Blicken und kamen auf sie zu, dann brachen sie in Gelächter aus und machten den Mönchen Komplimente wegen der Reize ihrer Maultiertreiber. "Schweigt, Gottlose! und wißt, daß alles auf Befehl des Fürsten Colonna geschieht", antworteten die Mönche im Weiterschreiten. Aber die arme Helena hatte Unglück; der Fürst war von La Petrella abwesend, und als er ihr drei Tage später, nach seiner Rückkehr, endlich eine Audienz gewährte, behandelte er sie sehr hart. "Warum kommt Ihr hierher, Fräulein? Was bedeutet dieser unvorsichtige Schritt? Euer Weibergeschwätz hat sieben der tapfersten Männer Italiens ins Verderben gestürzt, und das wird Euch kein verständiger Mensch je vergeben. Auf dieser Welt muß man wollen oder nicht wollen. Ohne Zweifel ist es neuen Klatschereien zu danken, daß Giulio Branciforte der Kirchenschändung angeklagt und verurteilt werden soll, zwei Stunden mit glühenden Zangen gezwickt und dann wie ein Jude verbrannt zu werden, er, einer der besten Christen, die ich kenne! Wie hätte man ohne Euer schändliches Geschwätz diese schreckliche Lüge erfinden können, woher wissen sollen, daß Giulio Branciforte am Tage des Klosterüberfalls in Castro war? Alle meine Leute werden Euch sagen, daß man ihn gerade an diesem Tage hier in La Petrella gesehen hat und daß ich ihn gegen Abend nach Velletri schickte." "Aber er lebt?" rief die junge Helena zum zehnten Mal, indem sie in Tränen ausbrach. "Für Euch ist er tot," versetzte der Fürst, "Ihr werdet ihn niemals wiedersehen. Ich rate Euch, in Euer Kloster in Castro zurückzukehren und hütet Euch, von neuem zu schwatzen; binnen einer Stunde werdet Ihr La Petrella verlassen haben. Vor allem erzählt niemandem, daß Ihr mich gesehen habt, oder ich werde Euch zu strafen wissen." Die arme Helena war tief betrübt über einen solchen Empfang von Seiten jenes berühmten Fürsten Colonna, den Giulio so verehrte und den sie liebte, weil er ihn liebte. Was auch der Fürst Colonna daran auszusetzen fand, war dieser Schritt Helenas doch nicht unklug gewesen. Wäre sie drei Tage früher nach La Petrella gekommen, so hätte sie Giulio Branciforte hier gefunden; die Wunde am Knie setzte ihn außerstand, selbst zu gehen, und der Fürst ließ ihn nach dem großen Marktflecken Avezzano im Königreich Neapel transportieren. Bei der ersten Nachricht des schrecklichen durch Signor von Campireali erkauften Haftbefehls gegen Giulio Branciforte, der ihn als Kirchenschänder und Klosterräuber erklärte, hatte der Fürst eingesehen, daß er auf drei Viertel seiner Leute nicht würde zählen können, wenn es sich darum handeln sollte, Branciforte zu schützen. Das war eine Sünde gegen die Madonna, unter deren besonderem Schutz sich jeder der Briganten fühlte. Wenn einer der barigelli aus Rom kühn genug gewesen wäre, Giulio Branciforte mitten im Walde von La Faggiola zu verhaften, hätte es ihm gelingen können. Bei seiner Ankunft in Avezzano nannte sich Giulio Fontana, und die Leute, die ihn trugen, waren verschwiegen. Nach La Petrella zurückgekehrt, verkündeten sie traurig, daß Giulio auf der Reise gestorben sei, und von diesem Augenblick an wußte jeder der Soldaten des Fürsten, daß ein Dolchstich ins Herz dem sicher sei, der den verhängnisvollen Namen aussprach. Es war also vergeblich, daß Helena, nach Albano zurückgekehrt, Brief über Brief schrieb und, um Branciforte Nachricht zukommen zu lassen, ihre ganzen Zechinen ausgab. Die beiden alten Mönche, die ihre Freunde geworden waren -- denn, sagt der florentinische Chronist, die wahre Schönheit ermangelt nicht, selbst auf durch niedrigsten Egoismus und Heuchelei verhärtete Herzen eine gewisse Herrschaft auszuüben --, die beiden Mönche, sagten wir, teilten dem armen jungen Mädchen mit, daß jeder Versuch, Branciforte auch nur ein Wort zukommen zu lassen, vergeblich sei: Colonna hatte erklärt, daß er tot wäre und sicher würde Giulio nicht wieder in dieser Welt erscheinen, ehe der Fürst es wollte. Die Amme Helenas kündigte ihr weinend an, daß ihr[sic! statt: ihre] Mutter endlich ihren Zufluchtsort entdeckt habe und daß die strengsten Befehle ergangen seien, sie, und sei es mit Gewalt, in den Palast Campireali nach Albano zu bringen. Helena begriff, daß ihre Gefangenschaft, wenn sie einmal in diesem Palast war, grenzenlos streng durchgeführt werden könne und daß man ihr jeden Verkehr mit der Außenwelt untersagen würde; dagegen genoß sie im Kloster von Castro die gleiche Freiheit, Briefe zu empfangen und abzusenden, wie alle Nonnen. Überdies, und das entschied ihr Schwanken, war es der Garten dieses Klosters, wo Giulio sein Blut für sie vergossen hatte; sie konnte den hölzernen Sessel der Pförtnerin wiedersehen, auf den er sich einen Augenblick gesetzt hatte, um die Wunde an seinem Knie zu beschauen, es war dort, wo er Marietta die blutbefleckten Blumen gegeben hatte, die sie nicht mehr verließen. Also kehrte sie traurig in das Kloster von Castro zurück, und man könnte ihre Geschichte hier beenden: es wäre gut für sie und vielleicht auch für den Leser. Denn tatsächlich werden wir dem langsamen Sinken einer edlen und reichen Seele zuschauen. Kluge Maßnahmen und gesellschaftliche Lügen, die sie von nun an rings umgaben, verdrängten die aufrichtigen Regungen lebhafter und natürlicher Leidenschaft. Der römische Chronist schaltet hier eine Betrachtung ein, die voll Naivetät ist: Weil sich eine Frau die Mühe gibt, eine schöne Tochter zur Welt zu bringen, glaubt sie das Talent zu besitzen, ihr Leben zu lenken; und weil sie ihr im Alter von sechs Jahren mit Grund sagte: "Mein Fräulein, richtet Euren Kragen", glaubt sie, wenn diese Tochter achtzehn und sie fünfzig Jahre alt ist, -- und diese Tochter ebensoviel oder mehr Geist besitzt als die Mutter --, hingerissen von der Gewohnheit des Herrschens noch immer das Recht zu haben, ihr Leben zu lenken, sei es auch durch Betrug. Wir werden sehen, daß Vittoria Carafa, die Mutter Helenas durch eine Reihe geschickter und überaus klug kombinierter Mittel den grausamen Tod ihrer so zärtlich geliebten Tochter herbeiführte, nachdem sie durch ihre traurige Herrschsucht zwölf Jahre hindurch ihr Unglück gewesen war. Bevor er starb, hatte Signor von Campireali noch die Freude, in Rom den Richtspruch bekannt geben zu sehen, durch den Branciforte verurteilt ward, zwei Stunden lang an den Kreuzungen der Hauptstraßen Roms mit glühenden Zangen gezwickt und dann an langsamem Feuer verbrannt zu werden; seine Asche sollte man danach in den Tiber werfen. Die Fresken, des Klosters Santa Maria Novella in Florenz zeigen noch heute, wie man diese grausamen Urteile gegen die Kirchenschänder vollstreckte. Gewöhnlich war dabei ein großes Wachaufgebot nötig, um das empörte Volk zurückzuhalten, das sich an Stelle der Henker setzen wollte. Jeder gebärdete sich, als wäre er der vertraute Freund der Madonna. Signor Campireali hatte sich dieses Urteil noch wenige Minuten vor seinem Tode vorlesen lassen und schenkte dem Advokaten, welchem er es verdankte, seinen schönen, zwischen Albano und dem Meer gelegenen Landsitz dafür. Dieser Advokat war nicht ohne Verdienst, denn Branciforte war zu diesem gräßlichen Tod verurteilt worden, obwohl sich kein Zeuge fand, der ihn unter der Verkleidung des jungen, mit soviel Autorität die Bewegungen der Angreifer leitenden Kuriers erkannt haben wollte. Die unerhörte Größe dieser Schenkung brachte alle Intriganten Roms in Aufregung. Damals gab es bei Hof einen bekannten Fratone, einen undurchsichtigen und zu allem fähigen Menschen, -- selbst dazu, den Papst zu zwingen, ihm den Hut zu verleihen; er besorgte die geschäftlichen Angelegenheiten des Fürsten Colonna und dieser gefährliche Klient verschaffte ihm großes Ansehen. Als Signora Campireali ihre Tochter nach Castro zurückgekehrt wußte, ließ sie diesen Fratone rufen. "Euer Ehrwürden sollen glänzend belohnt werden, wenn Ihr einer höchst einfachen Sache, die ich Euch erklären werde, zum guten Ausgang verhelfet. In wenigen Tagen wird das Urteil, welches Giulio Branciforte zu einem schrecklichen Tod verdammt, auch im Königreich Neapel bekannt gemacht und vollstreckbar werden. Ich ersuche Euer Ehrwürden, diesen Brief des Vize-Königs zu lesen, der weitläufig mit mir verwandt ist und mir diese Neuigkeit zu melden geruht. In welchem Land kann Branciforte Zuflucht suchen? Ich werde dem Fürsten fünfzigtausend Piaster mit der Bitte übersenden, sie ganz oder zum Teil Giulio Branciforte unter der Bedingung zu geben, daß er beim König von Spanien, meinem Herrn, Dienst gegen die Rebellen von Flandern nimmt. Der Vize-König wird Branciforte ein Hauptmannsdiplom geben, und damit das Urteil wegen Gotteslästerung, welches wohl bald auch in Spanien vollstreckbar sein wird, ihn in seiner Laufbahn nicht hindert, wird er sich Baron Lizzara nennen, nach einem kleinen Gut, das mir in den Abruzzen gehört, dessen Besitz ich ihm durch einen Scheinkauf verschaffen werde. Ich glaube, daß Euer Ehrwürden noch nie eine Mutter so den Mörder ihres Sohns behandeln gesehen haben. Mit fünfhundert Piastern hätten wir uns längst dieses hassenswerten Menschen entledigen können: aber wir wollten uns nicht mit Colonna überwerfen. Habt also die Güte, den Fürsten wissen zu lassen, daß meine Achtung vor seinen Rechten mich sechzig- bis achtzigtausend Piaster kostet. Ich will nie wieder von diesem Branciforte sprechen hören -- und vor allem versichert dem Fürsten meine Ehrerbietung." Der Fratone sagte, daß er in drei Tagen eine Wanderung in die Gegend von Ostia machen werde, und Signora Campireali übergab ihm einen Ring im Wert von tausend Piastern. Einige Tage später erschien der Fratone wieder in Rom und sagte der Signora Campireali, daß er ihren Vorschlag dem Fürsten nicht zur Kenntnis gebracht hätte, aber daß der junge Branciforte sich binnen eines Monats nach Barcelona einschiffen würde, wo sie ihm bei einem der Bankiers dieser Stadt fünfzigtausend Piaster anweisen solle. Giulio bereitete dem Fürsten große Schwierigkeit, denn trotz der Gefahr, die er von nun ab in Italien lief, mochte sich der junge Verliebte nicht entschließen, dieses Land zu verlassen. Vergebens ließ der Fürst durchblicken, daß Signora Campireali sterben könne, vergebens versprach er ihm, daß er in jedem Fall nach drei Jahren sein Vaterland wiedersehen solle; Giulio vergoß Tränen, aber er stimmte nicht zu. Der Fürst war genötigt, diese Abreise als persönlichen Dienst von ihm zu verlangen; Giulio konnte dem Freund seines Vaters nichts abschlagen; aber vor allem wollte er Helenas Wünsche wissen. Der Fürst geruhte, die Übermittlung eines langen Briefes auf sich zu nehmen; ja er erlaubte Giulio, ihm einmal im Monat aus Flandern zu schreiben. Endlich schiffte sich der verzweifelte Liebhaber nach Barcelona ein. Alle seine Briefe wurden vom Fürsten, der nicht wollte, daß Giulio jemals nach Italien zurückkehre, verbrannt. Wir haben vergessen, zu sagen, daß der Fürst, obgleich seinem Wesen nichts ferner lag als eitle Anmaßung, sich doch, um die Geldgeschichte glücklich zu ordnen, zu der Äußerung verpflichtet glaubte, daß er es gewesen sei, der es für angemessen hielt, dem einzigen Sohn eines der treuesten Diener des Hauses Colonna ein kleines Vermögen von fünfzigtausend Piastern zuzuwenden. Die arme Helena wurde im Kloster von Castro als Fürstin behandelt. Der Tod ihres Vaters hatte sie in den Besitz eines beträchtlichen Vermögens gesetzt und ein unermeßliches Erbteil kam noch hinzu. Als ihr Vater starb, ließ sie jedem Einwohner von Castro und Umgebung, der erklärte, um Herrn von Campireali Trauer tragen zu wollen, fünf Ellen schwarzen Tuchs schenken. Es war noch in den ersten Tagen, als ihr von gänzlich unbekannter Hand ein Brief Giulios zugestellt wurde. Es wäre schwierig, die Entzückungen zu schildern, mit denen dieser Brief geöffnet wurde; und nicht minder die tiefe Traurigkeit, die über sie kam, nachdem sie ihn gelesen hatte. Und doch war es ohne Zweifel die Handschrift Giulios; sie wurde mit der größten Aufmerksamkeit geprüft, der Brief sprach von Liebe; aber welcher Liebe, großer Gott! Und doch hatte ihn Signora Campireali, die so viel Geist besaß, verfaßt. Ihr Plan war: die Korrespondenz mit sieben oder acht Briefen voll leidenschaftlicher Liebe einzuleiten; so wollte sie auf die späteren vorbereiten, in denen diese Liebe nach und nach erlöschen sollte. Wir gehen rasch über zehn Jahre eines unglücklichen Lebens hinweg. Helena glaubte sich völlig vergessen; trotzdem wies sie mit Hochmut die Huldigungen der vornehmsten jungen Edelleute Roms zurück. Indessen, als man ihr von dem jungen Ottavio Colonna sprach, dem ältesten Sohn des berühmten Fabrizio, der sie einstens in La Petrella so schlecht empfangen hatte, war sie einen Augenblick unentschieden. Es erschien ihr, wenn sie nun einmal einen Gatten nehmen mußte, um ihrem Besitz im Kirchenstaat und im Königreich Neapel einen Beschützer zu geben, als Linderung, den Namen eines Mannes zu tragen, den Giulio einstmals geliebt hatte. Hätte sie dieser Heirat zugestimmt, dann hätte Helena sehr bald die Wahrheit über Giulio Branciforte erfahren. Der alte Fürst Fabrizio sprach oft und mit Entzücken von der übermenschlichen Tapferkeit des Obersten Lizzara, welcher sich gleich den Helden des alten Roms schlage, und gleich ihnen sich durch große Taten von der unglücklichen Liebe abzulenken versuchte, die ihn für jedes Vergnügen unempfindlich machte. Giulio glaubte, daß Helena längst verheiratet sei: Signora von Campireali hatte nicht nur ihre Tochter mit Lügen umgeben. Helena hatte sich mit dieser so geschickten Mutter wieder halb versöhnt, deren größter Wunsch war, sie verheiratet zu wissen; die Mutter bat ihren Freund, den alten Kardinal Santi-Quatro, den Protektor der 'Heimsuchung', der nach Castro reiste, er möge den ältesten Nonnen des Klosters im Vertrauen erzählen, daß seine Reise durch einen Gnadenakt verzögert worden sei: der gute Papst Gregor XIII. habe aus Mitleid für die Seele eines Briganten, namens Giulio Branciforte, der es einst versuchte, ihr Kloster zu schänden, bei der Nachricht von dessen Tode das Urteil der Gotteslästerung aufheben wollen, überzeugt davon, daß er unter der Last einer solchen Verdammung niemals das Fegefeuer wieder verließe; falls Branciforte, der in Mexiko von den Wilden überrascht und niedergemacht worden sei, überhaupt das Glück gehabt habe, nur ins Fegefeuer zu kommen. Diese Neuigkeit versetzte das ganze Kloster von Castro in Aufregung; sie gelangte auch zu Helena, die sich damals allen Torheiten der Eitelkeit hingab, welche der Besitz eines großen Vermögens in einem aufs tiefste gelangweilten Menschen erwecken kann. Von diesem Augenblick an verließ sie nicht mehr ihr Zimmer. Man muß wissen, daß sie das halbe Kloster hatte umbauen lassen, um das kleine Zimmer der Pförtnerin, wo Giulio in jener Nacht einen Augenblick während des Kampfes ausgeruht hatte, bewohnen zu können. Nach unendlichen Mühen war es ihr geglückt, die drei noch lebenden Bravi zu entdecken, von den fünf aus Giulios Gefolge, die damals dem Gefecht in Castro entronnen waren, und sie hatte sie, trotz des schwer zu besänftigenden Skandals, in ihre Dienste genommen. Unter ihnen befand sich Ugone, jetzt alt und von Wunden bedeckt. Der Anblick dieser drei Männer hatte viel Murren erregt, aber schließlich war die Furcht, welche Helenas hochfahrender Charakter dem ganzen Kloster einflößte, größer, und man sah sie täglich in der Livree des Hauses Campireali Helenas Befehle am äußeren Gitter entgegennehmen, und oft weitläufig auf ihre Fragen antworten, die immer dem gleichen Gegenstand galten. Nach den ersten sechs Monaten der Einschließung in sich selbst und der Abkehr von allen weltlichen Dingen, die der Nachricht von Giulios Tod gefolgt waren, ist das erste Gefühl, welches diese durch einen unheilbaren Schmerz und eine namenlose Langweile bereits gebrochene Seele wieder zum Leben weckte, ein Gefühl der Eitelkeit gewesen. Vor kurzem war die Äbtissin gestorben. Dem Brauch gemäß, hatte der Kardinal Santi-Quatro, der trotz des hohen Alters von zweiundneunzig Jahren noch Protektor des Klosters zur 'Heimsuchung' war, die Liste der drei vornehmen Nonnen aufgestellt, aus welchen der Papst die Äbtissin wählen sollte. Es mußten sehr gewichtige Gründe im Spiel sein, wenn Seine Heiligkeit die beiden letzten Namen der Liste überhaupt las; gewöhnlich begnügte er sich damit, einen Strich mit der Feder durch diese Namen zu ziehen, und die Ernennung war geschehen. Eines Tages stand Helena am Fenster des ehemaligen Pförtnergemachs, das jetzt den äußersten Flügel des neuen, auf ihren Befehl hergestellten Anbaus bildete. Dieses Fenster lag höchstens zwei Fuß über dem Gang, der ehemals mit Giulios Blut getränkt war und jetzt einen Teil des Gartens bildete. Helena hatte die Augen sinnend auf den Boden geheftet. Die drei Damen, welche man seit einigen Stunden auf der Liste des Kardinals zur Nachfolge der verstorbenen Äbtissin wußte, kamen am Fenster Helenas vorüber. Sie bemerkte sie nicht und konnte sie daher auch nicht grüßen. Eine der Damen wurde dadurch gereizt und sagte laut genug zu den andren: "Das ist eine nette Art für eine Pensionärin, ihr Zimmer so den Augen aller zur Schau zu stellen." Durch diese Worte aufgestört, sah Helena auf und begegnete drei boshaften Augenpaaren. 'Nun wohl,' sagte sie sich, das Fenster ohne Gruß schließend, 'lange genug bin ich jetzt das Lamm in diesem Kloster gewesen, man muß Wolf sein, wäre es auch nur, um den Neugierigen in der Stadt etwas Abwechslung zu bieten!' Eine Stunde später brachte einer ihrer Leute folgenden Kurierbrief ihrer Mutter, welche seit zehn Jahren in Rom lebte und verstanden hatte, sich dort großen Einfluß zu verschaffen. "Hochverehrte Mutter! Jedes Jahr schenkst Du mir an meinem Namenstage dreihunderttausend Francs, und ich verwende dieses Geld, um hier Torheiten zu begehen; ehrenvolle allerdings, aber doch Torheiten. Obwohl du es mir schon seit langem nicht mehr zu verstehen gibst, weiß ich doch, daß zwei Dinge imstande sind, Dir meine Dankbarkeit für all Deine guten Absichten zu beweisen. Verheiraten werde ich mich nicht mehr, aber ich würde mit Vergnügen Äbtissin dieses Klosters; ich bin auf diesen Einfall gekommen, weil die drei Damen, welche unser Kardinal Santi-Quatro auf die Liste gesetzt hat, die er dem Heiligen Vater vorlegt, meine Feindinnen sind; und welche immer gewählt wird, muß ich Ärger aller Art erwarten. Spende meine Festgabe den Personen, die in Betracht kommen; schaffen wir erst eine Verzögerung von sechs Monaten für die Ernennung; das wird die Priorin des Klosters, die meine intime Freundin ist und gegenwärtig die Zügel der Regierung in Händen hat, vor Freude außer sich bringen. Schon dies wird eine Quelle des Glückes für mich sein und es ist so selten, daß ich dies Wort anwenden kann, wenn ich von Deiner Tochter spreche. Ich finde meinen Einfall toll, aber wenn Du irgendeine Möglichkeit des Erfolgs siehst, werde ich binnen drei Tagen den weißen Schleier nehmen; ich habe das Recht auf Erlaß von sechs Monaten, da ich seit acht Jahren ununterbrochen im Kloster wohne. Der Dispens kostet vierzig Taler und wird nicht verweigert. Ich verbleibe respektvoll meine ehrwürdige Mutter usw." Dieser Brief bereitete Signora von Campireali die größte Freude. Als sie ihn empfing, hatte sie schon lebhaft bereut, ihrer Tochter den Tod Brancifortes angekündigt zu haben; sie wußte nicht, wie diese tiefe Melancholie, die sie befallen hatte, enden würde; sie sah irgendeinen Gewaltstreich voraus; sie ging so weit, zu fürchten, ihre Tochter könnte nach Mexiko gehen, um den Ort zu suchen, wo, wie man behauptet hatte, Branciforte getötet worden war; in diesem Fall war es leicht möglich, daß sie in Madrid den wahren Namen des Oberst Lizzara erfuhr. Andrerseits war das, was ihre Tochter durch den Kurier verlangte, die schwierigste, und man kann wohl sagen, die absurdeste Sache von der Welt. Ein junges Mädchen, das nicht einmal Nonne war, und außerdem bloß durch die tolle Leidenschaft eines Briganten bekannt war, die sie vielleicht erwidert hatte, sollte an die Spitze eines Klosters gesetzt werden, in dem alle römischen Fürsten Verwandte hatten! 'Aber', dachte sich Signora von Campireali, 'man sagt, daß jeder Prozeß geführt und deshalb auch gewonnen werden kann.' In ihrer Antwort machte Vittoria Carafa ihrer Tochter etwas Hoffnung, die gewöhnlich keine andren als absonderliche Wünsche hatte, zum Ausgleich aber sehr leicht den Geschmack daran verlor. Noch im Lauf des Abends unterrichtete sie sich über alles, was in näherer oder weiterer Beziehung zum Kloster von Castro stehen könnte und erfuhr, daß ihr Freund, der Kardinal Santi-Quatro seit mehreren Monaten sehr schlechter Laune sei; er wollte seine Nichte mit Don Ottavio Colonna, dem ältesten Sohn des Fürsten Fabrizio, von dem in dieser Geschichte so oft die Rede war, vermählen. Der Fürst bot ihm seinen zweiten Sohn Don Lorenzo an, denn um seine Vermögensverhältnisse wieder in Ordnung zu bringen, die durch den Krieg äußerst zerrüttete waren, den der König von Neapel und der Papst -- endlich einig -- gegen die Briganten von La Faggiola geführt hatten, konnte er nicht davon abstehen, daß die Frau seines ältesten Sohnes eine Mitgift von sechshunderttausend Piastern dem Hause Colonna mitbringen müsse. Aber der Kardinal Santi-Quatro, wenn er selbst alle seine andren Verwandten in der anstößigsten Weise enterbte, vermochte höchstens ein Vermögen von dreihundertachtzigtausend oder vierhunderttausend Talern anzubieten. Vittoria Carafa verbrachte den Abend und einen Teil der Nacht damit, sich diese Tatsachen von allen Freunden des alten Santi-Quatro bestätigen zu lassen. Am nächsten Morgen ließ sie sich schon um sieben Uhr bei dem alten Kardinal melden. "Eminenz," sagte sie ihm, "wir sind alle beide recht alt, es ist unnötig, daß wir uns zu täuschen trachten, indem wir Dingen, die nicht schön sind, schöne Namen geben; ich werde Euch jetzt eine Tollheit vorschlagen: alles, was ich zu ihren Gunsten sagen kann, ist, daß sie nicht niedrig ist; aber ich muß selbst gestehen, daß ich sie über alle Maßen lächerlich finde. Als man wegen der Heirat meiner Tochter Helena mit Don Ottavio Colonna verhandelte, habe ich Freundschaft für diesen jungen Mann gewonnen und am Tage seiner Hochzeit werde ich Euch zweihunderttausend Piaster in Landbesitz oder in Silber geben, mit der Bitte, es ihm zuzuwenden. Aber damit eine arme Witwe wie ich ein so ungeheures Opfer bringen kann, muß meine Tochter Helena, die jetzt siebenundzwanzig Jahre zählt und seit dem Alter von neunzehn Jahren nicht einmal außerhalb des Klosters geschlafen hat, Äbtissin von Castro werden; man muß zu diesem Zweck die Wahl um sechs Monate verzögern; die Sache entspricht dem geltenden Recht." "Was sagt Ihr, Signora?" rief der alte Kardinal außer sich, "Seine Heiligkeit selbst vermöchte das nicht, was Ihr von einem alten unvermögenden Greise verlangt." "Ich habe Eurer Eminenz ja auch gesagt, daß die Sache lächerlich sei: die Toren werden sie toll finden, aber Leute, welche wohl über das unterrichtet sind, was bei Hof vor sich geht, werden denken, daß unser ausgezeichneter Fürst, der gute Papst Gregor XIII. die loyalen und langen Dienste Eurer Eminenz belohnen wollte, indem er eine Ehe erleichtert, von der ganz Rom weiß, daß Eure Eminenz sie wünscht. Im übrigen ist die Sache leicht möglich und entspricht vollkommen dem Recht, ich stehe dafür; meine Tochter wird schon morgen den weißen Schleier nehmen." "Aber die Simonie, Signora!" rief der alte Mann mit schrecklicher Stimme aus. Signora von Campireali schickte sich an zu gehen. "Was bedeutet das Papier, das Ihr hier laßt?" "Das ist die Liste der Güter, die ich im Werte von zweihunderttausend Piastern anbieten würde, wenn man bares Geld nicht wünscht; der Wechsel des Eigentümers könnte lange Zeit geheimgehalten werden; zum Beispiel: das Haus Colonna würde mir Prozesse machen, die ich verlieren würde ..." "Aber die Simonie, Signora, erschreckliche Simonie!" "Vorerst muß man die Wahl um sechs Monate hinausschieben, ich werde morgen kommen, um die Anordnungen Eurer Eminenz entgegenzunehmen." Ich glaube, daß es notwendig ist, Lesern, die nördlich der Alpen geboren sind, den fast offiziellen Ton mehrerer Stellen dieser Unterredung zu erklären; ich erinnere daran, daß in streng katholischen Ländern die meisten Unterredungen über heikle Dinge schließlich zum Beichtstuhl gelangen, und dann ist es durchaus nicht gleichgültig, ob man ein respektvolles Wort gebraucht hat oder eine ironische Wendung. Im Laufe des nächsten Tages erfuhr Vittoria Carafa, daß die Wahl, zufolge eines großen, sachlichen Irrtums, der in der Liste der drei zur Äbtissin vorgeschlagenen Damen entdeckt worden war, um sechs Monate verschoben wurde: die an zweiter Stelle der Liste angeführte Dame hatte einen Renegaten in der Familie, einer ihrer Großonkel war in Udine zum Protestantismus übergetreten. Signora von Campireali glaubte einen besonderen Schritt beim Fürsten Fabrizio Colonna unternehmen zu sollen, dessen Hause sie einen so ansehnlichen Vermögenszuwachs angeboten hatte. Nach dreitägigen Anstrengungen gelang es ihr, eine Unterredung in einem Dorf nahe bei Rom zu erreichen; aber sie kehrte ganz erschreckt von dieser Audienz zurück; sie hatte den gewöhnlich so ruhigen Fürsten dermaßen benommen von dem Kriegsruhm des Obersten Lizzara gefunden, daß sie es für ganz zwecklos erachtete, ihn um Stillschweigen über diesen Fall zu ersuchen. Der Oberst war für ihn wie ein Sohn, ja noch mehr: wie ein geliebter Schüler. Der Fürst las gewisse Briefe, die aus Flandern kamen, wieder und immer wieder. Was würde aus dem Lieblingsplan, dem Signora von Campireali seit zehn Jahren schon so viel geopfert hatte, wenn ihre Tochter vom Leben und vom Ruhm des Oberst Lizarra erführe? Ich glaube, daß es besser ist, viele Umstände stillschweigend zu übergehen, welche wohl die Sitten jener Zeit getreu spiegeln, aber trübselig zu erzählen sind. Der Autor des römischen Manuskripts hat sich unendliche Mühe gegeben, um den genauen Sachverhalt dieser Einzelheiten aufzufinden, die ich unterdrücke. Zwei Jahre nach der Zusammenkunft der Signora von Campireali mit dem Fürsten Colonna war Helena Äbtissin von Castro, aber der alte Kardinal von Santi-Quatro war vor Gram über diesen argen Akt von Simonie gestorben. Zu dieser Zeit hatte Castro den schönsten Mann des päpstlichen Hofs zum Bischof, Monsignor Francesco Cittadini, aus Mailändischem Geschlecht. Dieser junge Mann, der durch seinen bescheidenen Anstand und seinen Ton voll Würde auffiel, hatte viele Dinge mit der Äbtissin der 'Heimsuchung' zu erledigen, besonders als sie einen neuen Kreuzgang zur Verschönerung des Klosters erbauen ließ. Dieser junge Bischof Cittadini, der damals neunundzwanzig Jahre alt war, verliebte sich grenzenlos in die schöne Äbtissin. In dem Prozeß, der ein Jahr später stattfand, berichteten viele Nonnen, daß der Bischof so oft wie möglich das Kloster aufsuchte und ihrer Äbtissin sagte: "An andren Orten befehle ich und wie ich zu meiner Schande gestehen muß, es bereitet mir ein gewisses Vergnügen. Euch gehorche ich wie ein Sklave, aber mit einem Genuß, der weit größer ist, als wenn ich anderswo befehle. Ich befinde mich unter dem Einfluß eines höheren Wesens; wenn ich es auch versuchen würde, könnte ich doch keinen andren Willen haben als den seinen und würde lieber in alle Ewigkeit der letzte seiner Sklaven sein, als fern von seinen Augen ein König." Die Zeugen berichten, daß die Äbtissin ihm oft inmitten solcher eleganter Phrasen befahl, zu schweigen und auf harte Weise, in Ausdrücken, die ihre Verachtung zeigten. "Um die Wahrheit zu sagen," fährt ein andrer Zeuge fort, "[sic! Schließendes Anführungszeichen fehlt (wohl einige Absätze weiter).]ihre Gnaden behandelte ihn oft wie einen Dienstboten; in solchen Fällen schlug der arme Bischof die Augen nieder und begann zu weinen, aber er ging nicht fort. Er fand jeden Tag neue Vorwände, um wieder im Kloster zu erscheinen, was die Beichtväter der Nonnen und die Feinde der Äbtissin sehr entrüstete. Aber die Frau Äbtissin wurde von der Priorin lebhaft verteidigt, ihrer intimen Freundin, welche unter ihrem unmittelbaren Befehl der inneren Leitung vorstand. "Ihr wißt, meine Schwestern," sagte diese, "daß seit jener vergeblichen Leidenschaft, die unsre Äbtissin in ihrer ersten Jugend für einen Söldner des Glücks gehegt hat, ihr viel bizarre Einfälle zurückgeblieben sind; aber Ihr kennt alle diesen bemerkenswerten Zug ihres Charakters, daß niemals jemand für sie in Betracht kommt, den sie einmal verachtet hat. Nun hat sie vielleicht in ihrem ganzen Leben nicht so viele beleidigende Worte geäußert, wie in unsrer eigenen Gegenwart zu dem armen Monsignor Cittadini: tagtäglich sehen wir ihn eine Behandlung erdulden, die uns für seine hohe Würde erröten läßt." "Ja," antworteten die aufgebrachten Nonnen, "aber er kommt alle Tage wieder, also wird er wohl im Grunde nicht so schlecht behandelt werden, und in jedem Falle schadet auch der Anschein dieses Abenteuers dem Ansehen des Heiligen Ordens der Heimsuchung." Der strengste Herr richtet an den ungeschicktesten Diener nicht ein Viertel der Beschimpfungen, mit denen die hochmütige Äbtissin den jungen Bischof samt seiner salbungsvollen Art überhäufte; aber er war verliebt und er hatte aus seiner Heimat den unerschütterlichen Grundsatz mitgebracht, daß man sich bei einer Unternehmung dieser Art, -- wenn sie einmal begonnen ist --, nur um das Ziel kümmern darf. "Am Schluß des Handels", sagte der Bischof zu seinem Vertrauten, Cesare del Bene, "trifft die Verachtung den Liebhaber, der sich vom Angriff vorzeitig zurückzog, ohne durch Eingriffe höherer Gewalt dazu gezwungen worden zu sein." Jetzt muß sich meine traurige Aufgabe darauf beschränken, einen notgedrungen sehr trockenen Auszug des Prozesses zu geben, in dessen Folge Helena den Tod fand. Die Beschreibung dieses Gerichtsverfahrens, die ich in einer Bibliothek gelesen habe, deren Namen ich verschweigen muß, umfaßt nicht weniger als acht Foliobände. Das Verhör und die Beweisfassung sind in lateinischer Sprache gehalten, die Antworten italienisch. Ich lese darin, daß sich im Monat November 1572, gegen elf Uhr abends, der junge Bischof allein zum Tore der Kirche begab, wo während des Tags die Gläubigen Einlaß finden; die Äbtissin selbst öffnete ihm dieses Tor und erlaubte ihm, ihr zu folgen. Sie empfing ihn in einem Zimmer, wo sie sich oft aufhielt, das durch eine geheime Tür mit den Emporen in Verbindung stand, welche das Kirchenschiff beherrschen. Eine Stunde mochte kaum verflossen sein, als der Bischof sehr erstaunt wieder nach Hause geschickt wurde; die Äbtissin selbst begleitete ihn zur Kirchentüre zurück und sagte ihm diese verbürgten Worte: "Kehrt in Euren Palast zurück, verlaßt mich schleunigst. Adieu Monsignore, Ihr erregt mir Abscheu; es ist mir, als hätte ich mich einem Lakaien hingegeben." Indessen kam drei Monate später der Karneval. Die Bewohner von Castro waren durch die Feste, die sie in dieser Zeit einander gaben, berühmt; die ganze Stadt widerhallte vom Lärm der Maskenscherze. Alles ging an einem kleinen Fenster vorüber, welches einer wohlbekannten Stallung des Klosters einen schwachen Lichtschein gab. Man weiß, daß schon drei Monate vor dem Karneval diese Stallung in einen Salon verwandelt worden war und zur Zeit der Maskeraden niemals leer wurde. Inmitten aller Narrheiten des Volks fuhr der Bischof in seiner Karosse vorüber; die Äbtissin gab ihm ein Zeichen und um ein Uhr der folgenden Nacht verfehlte er nicht, sich an der Kirchentür einzufinden. Er trat ein; aber nach weniger als dreiviertel Stunden wurde er im Zorn fortgeschickt. Seit dem ersten Stelldichein im Monat November kam er so etwa alle acht Tage ins Kloster. Man sah in seinem Gesicht einen leichten Ausdruck von Triumph und Dummheit, der niemandem entging und das Unglück hatte, den stolzen Charakter der jungen Äbtissin außerordentlich zu reizen. Besonders am Ostermontag behandelte sie ihn wie den letzten der Menschen und sagte ihm Worte, die sich der ärmste der Taglöhner des Klosters nicht hätte bieten lassen. Indessen gab sie ihm einige Tage später wieder das Zeichen, dem folgend der schöne Bischof nicht verfehlte, sich um Mitternacht an der Kirchentür einzufinden. Sie hatte ihn kommen lassen, um ihm mitzuteilen, daß sie schwanger sei. Bei dieser Ankündigung, heißt es in den Akten, erbleichte der schöne junge Mann vor Entsetzen und wurde ganz und gar blöde vor Angst. Die Äbtissin hatte Fieber, sie ließ den Arzt rufen und machte ihm gegenüber kein Geheimnis aus ihrem Zustand. Dieser Mann kannte den großmütigen Charakter der Kranken und sicherte ihr zu, ihr aus der Verlegenheit zu helfen. Er begann damit, daß er sie mit einer hübschen jungen Frau aus dem Volk in Verbindung brachte, die nicht den Titel einer Hebamme besaß, aber deren Kunst ausübte. Ihr Mann war Bäcker. Helena war unbefriedigt von der Unterredung mit dieser Frau, die ihr erklärte, daß sie zur Ausführung des Plans, mit dessen Hilfe sie auf Rettung hoffte, zwei Vertraute im Kloster benötige. "Eine Frau euresgleichen, meinethalben; aber eine aus meinem Stande? Nein. Geht mir aus den Augen." Die Hebamme zog sich zurück. Aber einige Stunden darauf ließ sie Helena, die es nicht klug fand, sich dem Geschwätz dieser Frau auszusetzen, durch den Arzt ins Kloster zurückholen, wo sie freigebig beschenkt wurde. Diese Frau schwur, daß sie niemals, auch wenn sie nicht zurückgerufen worden wäre, das ihr anvertraute Geheimnis verraten hätte, aber sie erklärte nochmals, daß sie sich auf nichts einlassen könne, wenn sie nicht im Kloster zwei dem Interesse der Äbtissin ergebene Mitwisserinnen hätte. Ohne Zweifel fürchtete sie die Anklage wegen Kindesmord. Nachdem sie viel darüber nachgedacht hatte, beschloß die Äbtissin, das schreckliche Geheimnis Schwester Vittoria anzuvertrauen, der Priorin des Klosters, aus der vornehmen Familie der Herzöge von C**, und Schwester Bernarda, der Tochter des Marchese P**. Sie ließ sie auf ihr Brevier schwören, niemals ein Wort von dem, was sie ihnen jetzt anvertrauen würde, verlauten zu lassen, nicht einmal vor dem hochnotpeinlichen Gericht. Diese Damen waren vor Schreck verstört. Sie gestanden später beim Verhör, daß sie sich unter dem Eindruck des hochfahrenden Charakters ihrer Äbtissin auf das Geständnis einer Mordtat gefaßt gemacht hätten. Die Äbtissin sagte ihnen einfach und kalt: "Ich habe mich gegen alle meine Pflichten vergangen, ich bin schwanger." Schwester Vittoria, die Priorin, war tief bewegt und ganz verwirrt wegen der langjährigen Freundschaft, die sie mit Helena verband, und nicht bloß aus Neugierde rief sie mit Tränen in den Augen aus: "Wer ist der Unvorsichtige, der dieses Verbrechen begangen hat!" "Ich habe es selbst meinem Beichtvater nicht gesagt; urteilt also, ob ich es euch sagen werde." Diese beiden Damen beratschlagten sogleich über die Maßnahmen, um das verhängnisvolle Geheimnis dem übrigen Kloster zu verbergen. Sie entschieden vor allem, daß das Schlafzimmer der Äbtissin, das ganz im Mittelpunkt des Klosters lag, nach der Apotheke verlegt werden müsse, die man im entlegensten Teil des Klosters, im dritten Stock des großen, durch Helenas Freigebigkeit entstandenen Neubaus eingerichtet hatte. An diesem Ort war es, daß die Äbtissin einem Knaben das Leben schenkte. Seit drei Wochen war die Frau des Bäckers in den Gemächern der Priorin versteckt. Als diese Frau dann mit dem Kind schnell durch das Kloster eilte, begann es zu schreien, und die Frau flüchtete sich in ihrem Entsetzen in den Keller. Eine Stunde später gelang es Schwester Bernarda mit Hilfe des Arztes, eine kleine Gartentür zu öffnen, und die Frau des Bäckers verließ hastig das Kloster und bald darauf die Stadt. In die Campagna gelangt und von panischem Schrecken verfolgt, flüchtete sie sich in eine Grotte, die der Zufall sie in einem der Felsen entdecken ließ. Die Äbtissin schrieb an Cesare del Bene, den Vertrauten und ersten Kammerherrn des Bischofs, der zu der bezeichneten Grotte eilte; er war zu Pferde, er nahm das Kind in seine Arme und ritt im Galopp nach Montefiascone. Das Kind wurde in der Kirche Santa Margherita getauft und empfing den Namen Alessandro. Die Gastwirtin des Orts hatte eine Amme verschafft, der Cesare acht Taler zurückließ; viele Frauen, die sich während der Tauffeierlichkeit um die Kirche angesammelt hatten, hörten nicht auf, Signor Cesare nach dem Vater des Kindes zu fragen. "Das ist ein großer Herr aus Rom", sagte er ihnen, "der sich erlaubt hat, eine arme Bäuerin wie Ihr zu verführen." Und er verschwand. VII. Bis dahin ging alles gut, trotz dieses ungeheuren Klosters, das von mehr als dreihundert neugierigen Frauen bewohnt wurde; niemand hatte etwas gesehen, niemand etwas gehört. Aber die Äbtissin hatte dem Arzt einige Hände voll neuer in der Münze Roms geprägter Zechinen übergeben. Der Arzt gab mehrere dieser Goldstücke der Frau des Bäckers. Diese Frau war hübsch und ihr Mann eifersüchtig; er durchstöberte ihren Koffer und fand diese glänzenden Goldstücke darin; und da er sie für den Preis seiner Schande hielt, setzte er seiner Frau ein Messer an die Kehle und zwang sie zu sagen, woher die Goldstücke stammten. Nach einigen Ausflüchten gestand die Frau die Wahrheit und der Friede wurde geschlossen. Die Eheleute begannen nun über die Verwendung einer so großen Summe zu beratschlagen. Die Bäckerin wollte einige Schulden bezahlen; aber der Mann fand es schöner, ein Maultier zu kaufen, was auch geschah. Dieses Maultier erregte Aufsehen in dem Viertel, wo man die Armut des Ehepaars kannte. Alle Weiber der Stadt, Freundinnen und Feindinnen fragten eine nach der andern die Frau des Bäckers, wer der freigebige Liebhaber gewesen sei, der sie in Stand gesetzt habe, ein Maultier zu kaufen. Diese Frau wurde dadurch so gereizt, daß sie einige Male die Wahrheit antwortete. Eines Tages, als Cesare del Bene das Kind besucht hatte und zur Äbtissin zurückkehrte, um Bericht zu erstatten, schleppte sich diese, obgleich sie sehr unpäßlich war, bis zum Gitter und machte ihm wegen der Unzuverläßlichkeit der von ihm verwendeten Mittelspersonen Vorwürfe. Der Bischof seinerseits wurde krank vor Angst; er schrieb seinen Brüdern in Mailand, um ihnen die ungerechte Anklage, deren Ziel er war, zu erzählen; auch forderte er sie auf, ihm zu Hilfe zu kommen. Obwohl er sich schwer leidend fühlte, faßte er den Entschluß, Castro zu verlassen; aber bevor er es tat, schrieb er der Äbtissin: "Ihr wißt bereits, daß alles, was vorgefallen ist, bekannt wurde. Wenn Euch deshalb daran liegt, nicht allein meinen Ruf, sondern vielleicht mein Leben zu retten, und um den Skandal zu verkleinern, könnt Ihr Giovanni Battista Doleri beschuldigen, der vor zwei Tagen gestorben ist. Wenn Ihr auf diese Weise auch nicht Eure Ehre wiederherstellen könnt, so läuft wenigstens die meine keine Gefahr mehr." Der Bischof ließ Don Luigi, den Beichtvater des Klosters von Castro, rufen: "Gebt dies eigenhändig der Frau Äbtissin", sagte er zu ihm. Als diese das ehrlose Schreiben gelesen hatte, rief sie laut vor allen, die sich im Zimmer befanden: "So verdienen die törichten Jungfrauen behandelt zu werden, welche die Schönheit des Leibes über die der Seele stellen!" Das Gerücht von allem, was in Castro vor sich ging, kam rasch zu Ohren des schrecklichen Kardinals Farnese. Er hatte sich diese Bezeichnung seit einigen Jahren verdient, weil er hoffte, im nächsten Konklave die Unterstützung der Eiferer zu finden. Sogleich gab er der Obrigkeit von Castro den Auftrag, den Bischof Cittadini zu verhaften. Dessen ganze Dienerschaft ergriff aus Furcht vor der Folter die Flucht. Nur Cesare del Bene blieb seinem Herrn treu und schwur ihm, daß er eher auf der Folter sterben, als etwas gestehen würde, was ihm schaden könnte. Cittadini, der seinen Palast von Wachen umringt sah, schrieb aufs neue seinen Brüdern, die in großer Eile von Mailand ankamen. Sie fanden ihn schon im Gefängnis von Ronciglione eingekerkert. Ich entnehme aus dem ersten Verhör der Äbtissin, daß sie ihre Schuld offen zugestand, aber leugnete, in Beziehung zu dem Hochwürdigsten Bischof gestanden zu haben, ihr Mitschuldiger sei Gian-Battista Doleri, Advokat des Klosters, gewesen. Am 9. September 1573 befahl Gregor XIII., daß der Prozeß in aller Strenge und Eile erledigt werde. Ein Kriminalrichter, ein Fiskal und ein Kommissär begaben sich nach Castro und nach Ronciglione. Cesare del Bene, der erste Kammerherr des Bischofs, gestand, bloß ein Kind zu einer Amme gebracht zu haben. Man verhört ihn in Gegenwart der ehrwürdigen Klosterschwestern Vittoria und Bernarda. Man unterwarf ihn zwei Tage hintereinander der Tortur; er litt gräßlich, aber seinem Wort getreu, gestand er nur das, was zu leugnen unmöglich war, und der Fiskal konnte nicht mehr aus ihm herausbringen. Als die Reihe an die ehrwürdigen Damen Vittoria und Bernarda kam, die Zeugen der Folterung Cesares gewesen waren, gestanden sie alles, was sie getan hatten. Alle Nonnen wurden nach dem Urheber des Verbrechens gefragt, die meisten antworteten, daß es der Hochwürdigste Herr Bischof gewesen sei. Eine der Schließerinnen berichtet die beleidigenden Worte, welche die Äbtissin gebraucht hatte, als sie den Bischof aus der Kirche wies. Sie fügte hinzu: "Wenn man in diesem Ton zueinander spricht, zeigt es an, daß man schon lange ein Liebesverhältnis hat. Der Herr Bischof, der sonst durch übermäßige Selbstgefälligkeit auffiel, hatte ein ganz linkisches Aussehen, als er die Kirche verließ." Eine Nonne, im Anblick der Folterwerkzeuge verhört, antwortet, daß die Katze Urheber des Verbrechens sein müsse, weil die Äbtissin sie nie aus den Armen läßt und immerzu liebkost. Eine andre Nonne behauptet: der Urheber des Verbrechens müsse der Wind sein, weil die Äbtissin an Tagen, wo der Wind weht, glücklich und guter Laune sei; sie setze sich dem Wind auf einem Belvedere, das sie eigens hatte erbauen lassen, aus, und wenn man an diesem Ort eine Gnade erbitten kam, sei sie niemals verweigert worden. Die Frau des Bäckers, die Amme, die Weiber von Montefiascone bekannten aus Furcht vor den Folterqualen, die sie Cesare hatten erleiden sehen, die Wahrheit. Der junge Bischof war krank oder spielte in Ronciglione den Kranken, was seinen Brüdern Anlaß gab, durch das Ansehen und den Einfluß der Signora von Campireali unterstützt, sich mehrmals dem Papst zu Füßen zu werfen und von ihm zu erbitten, daß das Verfahren aufgeschoben werde, bis der Bischof seine Gesundheit wiedererlangt habe. Auf dies hin vermehrte der schreckliche Kardinal Farnese die Zahl der Soldaten, die ihn in seinem Gefängnis bewachten. Da der Bischof nicht verhört werden konnte, begannen die Kommissäre in jeder ihrer Sitzungen immer wieder, die Äbtissin einem Verhör zu unterziehen. Eines Tages, als ihre Mutter ihr hatte sagen lassen, sie solle guten Mutes bleiben und fortfahren, alles zu leugnen, gestand sie alles. "Warum habt Ihr zuerst Gian-Battista Doleri bezichtigt?" "Aus Mitleid mit der Feigheit des Bischofs, und dann, wenn es ihm gelingt, sein teures Leben zu retten, damit er für meinen Sohn sorgen kann." Nach diesem Geständnis schloß man die Äbtissin in eine Zelle des Klosters von Castro ein, deren Wände und Deckenwölbung acht Fuß dick waren; die Nonnen sprachen nur mit Schaudern von diesem Verlies, das unter dem Namen Mönchszelle bekannt war. Die Äbtissin wurde hier ständig von drei Frauen überwacht. Als sich die Gesundheit des Bischofs ein wenig gebessert hatte, kamen dreihundert Sbirren oder Soldaten, um ihn aus Ronciglione zu holen, und er wurde in einer Sänfte nach Rom geschafft. Dort brachte man ihn in einem Gefängnis unter, das Corte Savella hieß. Wenige Tage später wurden auch die Nonnen nach Rom eingeliefert; die Äbtissin wurde im Kloster Santa Marta, untergebracht. Vier Nonnen waren beschuldigt: die ehrwürdigen Schwestern Vittoria und Bernarda, die Schwester, welche an jenem Tage die Aufsicht führte, und die Pförtnerin, welche die beleidigenden Worte gehört hatte, die von der Äbtissin an den Bischof gerichtet wurden. Der Bischof wurde vom Auditor der päpstlichen Kammer vernommen, einem der höchsten Vertreter des Richterstandes. Man spannte den armen Cesare del Bene von neuem auf die Folter; doch er gestand nichts, ja er sagte sogar Dinge aus, die dem Staatsanwalt peinlich waren, was ihm eine neue Folterung eintrug. Diese Einleitungsmarter mußten auch die ehrwürdigen Schwestern Vittoria und Bernarda erleiden. Der Bischof leugnete alles in dümmster Weise, aber mit einer gefälligen Hartnäckigkeit; er zählte mit den größten Einzelheiten alles auf, was er an den drei offenkundig bei der Äbtissin verbrachten Abenden vorgenommen haben wollte. Schließlich stellte man die Äbtissin dem Bischof gegenüber, und obgleich sie beständig die Wahrheit gesagt hatte, wurde sie dennoch der Folterung unterworfen. Weil sie auf dem beharrte, was sie auf ihrem ersten Geständnis immer ausgesagt hatte, überhäufte sie der Bischof, seiner Rolle getreu, mit Beleidigungen. Nach mehreren andren, im Grunde vernünftigen Maßnahmen, die aber von jenem Geist der Grausamkeit befleckt sind, der seit der Regierung Karls V. und Philipps II. zu sehr an den Tribunalen Italiens vorwiegt, wurde der Bischof zu lebenslänglicher Gefangenschaft in der Engelsburg verurteilt. Die Äbtissin wurde verurteilt, ihr ganzes Leben im Kloster von Santa Marta, wo sie sich aufhielt, eingekerkert zu werden. Aber schon hatte es Signora von Campireali unternommen, um ihre Tochter zu retten, einen unterirdischen Gang ausheben zu lassen. Dieser Gang begann bei einer der aus der Herrlichkeit des alten Rom zurückgebliebenen Kloaken und sollte bei dem tiefen Kellergewölbe enden, wo man die sterblichen Reste der Nonnen von Santa Marta beisetzte. Dieser Gang von zwei Fuß Breite hatte Bretterwände, um das Erdreich rechts und links zu stützen und als Deckenwölbung gab man ihm, im Maße man vorwärts kam, zwei wie die Schenkel eines großen A gestellte Bretter. Man grub diesen unterirdischen Weg in einer Tiefe von etwa dreißig Fuß. Das schwierigste war, ihn in der rechten Richtung weiterzuführen; jeden Augenblick waren die Arbeiter durch antike Brunnen und Grundmauern gezwungen, eine Wendung zu machen. Eine andre große Schwierigkeit bereitete die weggeräumte Erde, mit der man nichts Rechtes anzufangen wußte; es sah aus, als ob man sie nachts in allen Straßen Roms aussäte. Man wunderte sich über diese Menge Erde, die sozusagen vom Himmel fiel. Wie groß die Summen auch waren, welche Signora von Campireali ausgab, um ihre Tochter zu retten, wäre ihr unterirdischer Gang doch sicher entdeckt worden; aber der Papst Gregor XIII. starb 1585, und die Herrschaft der Unordnung zog mit der Vakanz des Heiligen Stuhls ein. Helena ging es in Santa Marta sehr schlecht; man kann sich denken, wie sehr die einfachen und armen Nonnen wetteiferten, eine so reiche, eines solchen Verbrechens überführte Äbtissin zu quälen. Helena erwartete mit Ungeduld das Ergebnis der von ihrer Mutter unternommenen Arbeit. Aber plötzlich erfuhr ihr Herz seltsame Bewegung. Schon vor sechs Monaten hatte Fabrizio Colonna, der angesichts des schwankenden Gesundheitszustands Gregors XIII. große Pläne für die Zeit des Interregnums faßte, einen seiner Offiziere zu Giulio Branciforte geschickt, der jetzt in der spanischen Armee unter dem Namen Oberst Lizzara sehr bekannt geworden war. Er rief ihn nach Italien zurück. Giulio brannte darauf, seine Heimat wiederzusehen. Er landete unter einem angenommenen Namen in Pescara, einem kleinen Hafen des Adriatischen Meeres, der unterhalb Chieti in den Abruzzen lag, und kam über das Gebirge nach La Petrella. Die Freude des Fürsten setzte alle Welt in Erstaunen. Er teilte Giulio mit, daß er ihn zurückrufen ließ, um ihn zu seinem Nachfolger zu machen und ihm den Befehl über seine Soldaten zu übergeben. Worauf Branciforte antwortete, daß, militärisch gesprochen, das Unternehmen nichts mehr wert sei, was er leicht beweisen könne; wenn jemals Spanien ernstlich wollte, würde es in sechs Monaten mit geringen Auslagen sämtliche Briganten Italiens vernichten. "Aber trotz allem," fügte der junge Branciforte hinzu, "wenn Ihr es wollt, bin ich bereit zu marschieren, mein Fürst. Ihr werdet stets in mir den Nachfolger des tapferen, bei Ciampi gefallenen Ranuccio finden." Vor Giulios Ankunft hatte der Fürst befohlen, so wie er zu befehlen verstand, daß sich niemand in Petrella unterfangen solle, von Castro und von dem Prozeß der Äbtissin zu sprechen; Todesstrafe ohne Nachsicht war auf das geringste Geschwätz gesetzt. Mitten in den Freundschaftsergüssen, mit denen er Branciforte empfing, bat er ihn, niemals ohne ihn nach Albano zu gehen, und seine Art, diese Reise zu machen, bestand darin, daß er die Stadt durch tausend seiner Leute besetzen ließ, und eine Vorhut von zwölfhundert Mann auf der Straße nach Rom aufstellte. Man stelle sich vor, was der arme Giulio empfand, als der Fürst den alten Scotti, welcher noch lebte, in das Haus, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, holen ließ und ihn in das Zimmer rief, wo er sich mit Giulio aufhielt. Als die beiden Freunde einander umarmt hatten, rief er Giulio zu sich: "Jetzt, mein armer Oberst, mußt du dich auf das Schlimmste gefaßt machen." Darauf blies er das Licht aus und verließ das Zimmer, in dem er die beiden Freunde einschloß. Am nächsten Morgen schickte Giulio, der sein Zimmer nicht verlassen wollte, die Bitte zum Fürsten, nach La Petrella gehen und sich dafür einige Tage beurlauben zu dürfen. Aber man brachte ihm die Meldung, daß der Fürst verschwunden sei samt seinen Truppen. In der Nacht hatte er den Tod Gregors XIII. erfahren; er hatte seinen Freund Giulio vergessen und war über Land. Bei Giulio waren nur etwa dreißig Mann geblieben, die einst zur Kompanie Ranuccios gehörten. Es ist bekannt genug, daß in jenen Zeiten während der Vakanz des Heiligen Stuhls die Gesetze schwiegen; jeder dachte nur daran, seine Leidenschaften zu befriedigen und es galt nur die Kraft; darum hatte, noch vor dem Ende des Tags, Fürst Colonna schon mehr als fünfzig seiner Feinde aufhängen lassen. Giulio aber, obgleich er nicht vierzig Mann bei sich hatte, wagte es, nach Rom zu marschieren. Die ganze Dienerschaft der Äbtissin von Castro war ihr treu geblieben; sie hatten sich in den ärmlichen Häusern um das Kloster Santa Marta herum eingemietet. Der Todeskampf Gregors XIII. hatte länger als eine Woche gedauert; Signora von Campireali erwartete ungeduldig die Tage der Verwirrung, die seinem Tod folgen würden, um die letzten fünfzig Schritt ihres unterirdischen Ganges in Angriff zu nehmen. Da man die Keller von mehreren bewohnten Häusern durchqueren mußte, fürchtete sie sehr, das Ziel ihrer Unternehmung nicht länger verbergen zu können. Schon am übernächsten Tag nach der Ankunft Brancifortes in La Petrella, schienen die drei ehemaligen Bravi Giulios, welche Helena in ihre Dienste genommen hatte, närrisch geworden zu sein. Obgleich jedermann nur zu gut wußte, daß sie in strenger Geheimhaft gehalten und von Nonnen bewacht wurde, die sie haßten, kam doch Ugone, einer der Bravi, zum Klostertor und bat inständigst unter den seltsamsten Vorwänden, daß man ihm erlauben möge, seine Herrin zu sehen, und zwar auf der Stelle. Er wurde abgewiesen und zur Tür hinausgeworfen. In seiner Verzweiflung blieb der Mann aber hier stehn und fing an, jedem der Bediensteten des Hauses, mochte er ein- oder ausgehn, einen Bajocco zu geben, wobei er stets diese gleichen Worte sagte: "Freut Euch mit mir, Signor Giulio Branciforte ist angekommen, er lebt: sagt dies Euren Freunden." Die beiden Kameraden Ugones verbrachten den Tag damit, ihm Bajocchi zuzutragen, und sie fuhren Tag und Nacht darin fort, sie mit den immer gleichen Worten zu verteilen, bis ihnen nichts mehr blieb. Aber die drei Bravi fuhren, einander ablösend, trotzdem fort, die Wache an der Tür des Klosters Santa Marta zu beziehen und richteten mit tiefen Verbeugungen an alle Aus- und Eintretenden immer die gleichen Worte: "Signor Giulio ist angekommen ..." Der Einfall dieser braven Leute hatte Erfolg: keine sechsunddreißig Stunden nach der Verteilung des ersten Bajocco wußte die arme Helena trotz ihrer Einzelhaft in der Tiefe ihres Kerkers, daß Giulio lebte; dieses Wort versetzte sie in Raserei: "O meine Mutter," rief sie aus, "habt Ihr mir genug Leid zugefügt?" Einige Stunden später wurde ihr diese erstaunliche Neuigkeit durch die kleine Marietta bestätigt, die all ihren Goldschmuck für die Erlaubnis geopfert hatte, der Schwester Pförtnerin, die der Gefangenen die Mahlzeiten brachte, zu folgen. Helena warf sich in ihre Arme und weinte vor Freude. "Das ist sehr schön," sagte sie ihr, "aber ich werde kaum mehr bei dir bleiben." "Gewiß!" sagte Marietta, "ich denke wohl, daß die Zeit des Konklaves nicht verstreichen wird, ohne daß sich Euer Gefängnis in eine einfache Verbannung verwandelt." "Ach, meine Teure, Giulio wiedersehen! Und ihn wiedersehen, und ich schuldig!" In der Mitte der dritten Nacht, die dieser Unterredung folgte, stürzte ein Teil des Fußbodens der Kirche mit großem Getöse ein; die Nonnen von Santa Marta glaubten, daß das Kloster versinke. Äußerste Verwirrung herrschte, alle Welt glaubte an ein Erdbeben. Ungefähr eine Stunde nach dem Einsturz des Marmorfußbodens der Kirche drang Signora von Campireali, ihr voran die drei Bravi aus Helenas Diensten, durch den unterirdischen Gang in den Kerker. "Sieg, Sieg, Herrin!" riefen die Bravi. Helena befiel Todesangst, sie glaubte, daß Giulio Branciforte mit ihnen käme. Sie beruhigte sich und ihre Züge nahmen den gewohnten strengen Ausdruck an, als sie ihr sagten, daß sie nur Signora von Campireali begleiteten und daß Giulio noch in Albano sei, welches er mit wenigen tausend Mann besetzt hielte. Nach einigen Minuten Wartens erschien Signora von Campireali; sie ging mit großer Mühe und hatte den Arm ihres Haushofmeisters genommen, der in großem Staat war, mit dem Degen an der Seite; aber sein prächtiges Gewand war ganz mit Erde beschmutzt. "O meine teure Helena! Ich komme, um dich zu retten!" rief Signora von Campireali. "Und wer sagt Euch, daß ich gerettet sein will?" Signora von Campireali war verblüfft; sie sah ihre Tochter mit großen Augen an, sie schien sehr aufgeregt. "Nun wohl, meine teure Helena," sagte sie endlich, "das Schicksal zwingt mich, dir eine Handlung einzugestehen, die nach dem Unglück, das ehemals unsrer Familie zustieß, vielleicht ganz natürlich war, die ich aber bereue und dich zu verzeihen bitte: Giulio Branciforte ... lebt." "Und weil er lebt, will ich nicht leben!" Signora von Campireali verstand erst gar nicht, was ihre Tochter meinte, dann richtete sie die flehentlichsten, zärtlichsten Bitten an sie; aber sie erhielt keine Antwort: Helena hatte sich zu ihrem Kruzifix gewendet und betete, ohne sie zu hören. Es war vergeblich, daß Signora von Campireali eine Stunde lang die äußersten Anstrengungen machte, um ein Wort oder einen Blick zu erlangen. Endlich sagte ihre Tochter ungeduldig: Unter[sic! Vorab fehlt: "] dem Marmor dieses Kruzifixes waren seine Briefe in meinem kleinen Zimmer in Albano verborgen; es wäre besser gewesen, mich von meinem Vater töten zu lassen! Geht ... und laßt mir Gold zurück." Als Signora von Campireali trotz der besorgten Zeichen ihres Haushofmeisters noch länger mit ihrer Tochter reden wollte, wurde Helena ärgerlich: "Laßt mir wenigstens eine Stunde Freiheit. Ihr habt mein Leben vergiftet, wollt Ihr nun auch meinen Tod vergiften?" "Wir werden über den unterirdischen Gang noch zwei oder drei Stunden verfügen können; ich wage zu hoffen, daß du dich noch eines Besseren besinnen wirst," rief Signora von Campireali, in Tränen ausbrechend. Und sie nahm den Weg unter die Erde zurück. "Ugone, bleibe bei mir", sagte Helena zu einem ihrer Bravi, "und sei wohl bewaffnet, mein Bursche, denn vielleicht gilt es, mich zu verteidigen. Laß mich deinen Dolch, dein Schwert, dein Messer sehen!" Der alte Soldat zeigte ihr seine beruhigend guten Waffen. "Nun wohl, halte dich dort vor meinem Gefängnis auf, ich werde Giulio einen langen Brief schreiben, den du selbst ihm zustellen wirst; ich will nicht, daß er durch andre Hände als deine geht, da ich nichts habe, um ihn zu schließen. Du kannst alles lesen, was dieser Brief enthält. Nimm das ganze Gold, das meine Mutter hiergelassen hat, in deine Taschen; ich brauche nur noch fünfzig Zechinen für mich, lege sie auf mein Bett." Nach diesen Worten begann Helena zu schreiben: "Ich zweifle nicht an Dir, mein teurer Giulio; ich gehe von hinnen, weil ich in Deinen Armen vor Schmerz sterben müßte; ich würde sehen, wie groß mein Glück gewesen wäre, wenn ich nicht einen Fehltritt begangen hätte. Glaub nicht, daß ich jemals nach Dir ein andres Wesen auf der Welt geliebt habe; weit entfernt davon, war mein Herz immer von der lebhaftesten Verachtung für den Mann erfüllt, den ich bei mir einließ. Mein Fehltritt geschah einzig aus Langweile und -- wenn man will -- aus Leichtfertigkeit. Bedenke, daß mein Geist, der durch den vergeblichen Versuch zu La Petrella so geschwächt war, wo der Fürst, den ich verehrte, weil Du ihn liebtest, mich so grausam empfing -- bedenke, sage ich, daß mein so geschwächter Geist zwölf Jahre lang von Lügen umlagert war. Alles, was mich umgab, war falsch und verlogen, und ich wußte es. Ich erhielt anfangs etwa dreißig Briefe von Dir, urteile selbst, mit welchem Entzücken ich die ersten öffnete! Aber indem ich sie las, wurde mein Herz zu Eis. Ich prüfte diese Schrift, ich erkannte die Züge Deiner Hand wieder, aber nicht Dein Herz. Glaub mir, daß diese erste Lüge mein innerstes Leben so zerstört hat, daß ich soweit kam, einen Brief mit Deiner Handschrift ohne Freude zu öffnen! Die verabscheuungswürdige Ankündigung Deines Todes vernichtete vollends alles in mir, was noch aus den glücklichen Zeiten unsrer Jugend übriggeblieben war. Meine erste Absicht war, wie Du wohl verstehen wirst, die Küste Mexikos aufzusuchen und die Stelle mit meinen Händen zu berühren, wo die Wilden Dich, wie man mir sagte, getötet hatten. Wenn ich diesen Gedanken ausgeführt hätte ... würden wir jetzt glücklich sein, denn wie groß auch die Zahl und die Geschicklichkeit der von einer wachsamen Hand um mich gesäten Spione gewesen wäre, hätte ich doch in Madrid alle Seelen, in denen noch Mitleid und Güte lebte, mir günstig gestimmt, und wahrscheinlich hätte ich die Wahrheit erfahren; denn schon, mein Giulio, hatten Deine Heldentaten die Aufmerksamkeit der Welt auf Dich gelenkt und vielleicht wußte irgendwer in Madrid, daß Du Branciforte seist. Willst Du, daß ich Dir sage, was unser Glück verhinderte? Zuerst die Erinnerung an den grausamen und kränkenden Empfang, den mir der Fürst in La Petrella bereitet hatte: welche mächtigen Hindernisse gab es von Castro bis Mexiko zu überwinden! Du siehst, meine Seele hatte schon ihre Kraft verloren. Dann kam mir eine Eingebung der Eitelkeit. Ich hatte große Bauten im Kloster durchführen lassen, um die Loge der Pförtnerin, worin Du in der Kampfnacht Zuflucht fandest, als Zimmer zu nehmen. Eines Tages betrachtete ich den Boden, den Du ehemals für mich mit Deinem Blut getränkt hattest; da hörte ich ein verächtliches Wort; ich erhob die Augen und sah gehässige Gesichter; um mich zu rächen, wollte ich Äbtissin werden. Meine Mutter, die sehr wohl wußte, daß Du am Leben warst, leistete das Äußerste, um diese ungeheuerliche Ernennung zu erreichen. Diese Stellung war für mich nur eine Quelle von Langweile; durch sie wurde meine Seele vollends erniedrigt. Ich fand Vergnügen daran, meine Macht oft nur im Unglück der andren zu genießen; ich beging Ungerechtigkeiten. Ich sah mich mit dreißig Jahren in den Augen der Welt tugendhaft, reich, angesehen und trotzdem vollkommen unglücklich. Da zeigte sich dieser arme Mensch, der ja die Güte selbst war, aber die Unbedeutendheit in Person. Seine Unbedeutendheit machte, daß ich seine ersten Anträge ertrug. Meine Seele war so unglücklich durch alles, was mich seit Deiner Abreise umgab, daß sie nicht mehr die Kraft hatte, der kleinsten Versuchung zu widerstehen. Soll ich Dir etwas sehr Indezentes gestehen? Aber einer Toten ist alles erlaubt. Wenn Du diese Zeilen lesen wirst, werden die Würmer diese angeblichen Schönheiten verzehren, die nur Dir gehören durften. Endlich muß ich Dir das sagen, was mir schwer wird; ich sah nicht ein, warum ich nicht, wie alle unsre römischen Damen, die Liebe der Sinne versuchen sollte; ich hatte eine Anwandlung von Leichtfertigkeit; aber ich konnte mich nie jenem Menschen hingeben, ohne ein Gefühl des Abscheus und des Ekels zu empfinden, das jedes Vergnügen zerstörte. Ich sah immer Dich an meiner Seite, in unserm Garten in Albano, als die Madonna Dir den edlen Gedanken eingab, der aber dann durch meine Mutter zum Unglück unsres Lebens geworden ist. Du warst nicht drohend, sondern zärtlich und gut, wie Du immer warst; Du sahst mich an und dann empfand ich Wut gegen diesen andren Mann und ich ging soweit, ihn aus aller Kraft zu schlagen. Das ist die ganze Wahrheit, mein teurer Giulio, ich wollte nicht sterben, ohne sie Dir zu sagen -- und ich dachte auch, daß diese Zwiesprache mit Dir vielleicht den Gedanken an den Tod von mir nehmen könnte. Ich ersehe aber nur klarer daraus, wie meine Freude gewesen wäre, wenn ich Deiner wert geblieben wäre. Ich befehle Dir zu leben und die militärische Karriere fortzusetzen, die mir solche Freude bereitet hat, als ich von Deinen Erfolgen hörte. Was wäre gewesen, großer Gott! wenn ich Deine Briefe erhalten hätte, besonders nach der Schlacht von Achenne! Lebe und rufe Dir oft Ranuccio ins Gedächtnis zurück, der bei Ciampi fiel, und Helena, die in Santa Marta starb, weil sie in Deinen Augen keinen Vorwurf lesen wollte." Nachdem sie den Brief beendet hatte, näherte sich Helena dem alten Soldaten, den sie schlafend fand; sie nahm seinen Dolch, ohne daß er es merkte, dann weckte sie ihn. "Ich bin zu Ende," sagte sie ihm, "ich fürchte, daß sich unsre Feinde des unterirdischen Zugangs bemächtigen. Nimm schnell meinen Brief, der auf dem Tisch liegt und bring ihn Giulio, du selbst bringst ihn, verstehst du? Und gib ihm noch mein Taschentuch, dieses hier; sag ihm, daß ich ihn auch in diesem Augenblick nicht mehr liebe, als ich ihn immer geliebt habe, immer, hörst du wohl!" Ugone blieb stehen und ging nicht fort. "Geh doch!" "Signora, habt Ihr es wohl überlegt? Signor Giulio liebt Euch so sehr!" "Ich auch, ich liebe ihn, nimm den Brief und übergib ihn selbst." "Nun wohl, möge Gott Eure Güte segnen!" Ugone ging und kehrte schnell zurück. Er fand Helena tot: sie hatte den Dolch im Herzen. SCHWESTER SCOLASTICA ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI In Neapel hörte ich im Jahr 1824 in der Gesellschaft von der Geschichte der Schwester Scolastica und dem Kanonikus Cibo sprechen. Neugierig, wie ich bin, kann man sich denken, wie ich herumfragte. Aber kein Mensch wollte mir klar und deutlich Auskunft geben; man fürchtete, sich zu kompromittieren. In Neapel spricht man nämlich von politischen Dingen niemals klar und deutlich; und dies ist der Grund davon: Eine neapolitanische Familie, die zum Beispiel aus drei Söhnen, einer Tochter, Vater und Mutter besteht, zerfällt in drei verschiedene Parteien -- Verschwörungen, wie man das in Neapel nennt. So gehört die Tochter zur Partei ihres Liebhabers; jeder der Söhne gehört einer bestimmten Partei, und die Eltern sprechen mit einem Seufzer vom Hofe, der regierte, als sie zwanzig Jahre alt waren. Aus dieser Isolierung der Individuen ergibt sich, daß man niemals ernstlich und offen von Politik spricht. Bei der geringsten etwas präziseren Aufstellung, die um etwas den Gemeinplatz verläßt, erblassen ein paar Gesichter. Da mein Ausfragen nach der Geschichte mit dem barocken Namen in der Gesellschaft keinerlei Ergebnis hatte, glaubte ich, es handle sich in der Geschichte dieser Schwester Scolastica um eines jener grauenvollen Ereignisse kürzester Vergangenheit, aus dem Jahre 1820 zum Beispiel. Eine vierzigjährige Witwe, eine gute, aber nichts weniger als schöne Frau vermietete mir die Hälfte ihres kleinen Hauses in einer Gasse hundert Schritte weit vom reizenden Park von Chiaja, am Fuß des Hügels, den hier die Villa der Prinzessin Florida krönt, der Freundin des alten Königs. Es ist das vielleicht das einzige ruhige Viertel von Neapel. Meine Witwe hatte einen alten Galan, dem ich eine Woche durch den Hof machte. Als wir eines Tages miteinander durch die Stadt schlenderten, zeigte er mir die Stellen, wo sich die Lazzaroni gegen die Truppen des Generals Championnet geschlagen und den Hinterhof, wo sie den Herzog von *** lebendig verbrannt hatten; da fragte ich ihn im Überfall, doch ganz ruhig, weshalb man ein solches Geheimnis mit der Geschichte der Suor Scolastica mache. Er gab mir ganz ruhig die Antwort: "Die fürstlichen Namenstitel, die jene trugen, sind auf deren heute lebende Nachfahren gekommen, und die würde es vielleicht peinlich berühren, ihre Namen mit einer Geschichte vermengt zu sehen, die so tragisch und für alle Welt so traurig war." "Ist die Sache denn nicht im Jahre 1820 passiert?" "Wer hat Ihnen das gesagt?" sagte mein Neapolitaner und lachte laut auf über meine Jahreszahl. "Wer hat Ihnen denn was von 1820 gesagt?" wiederholte er mit dieser wenig höflichen italienischen Lebhaftigkeit, die dem Pariser so auf die Nerven fällt. "Wenn Ihnen an Ihrem Menschenverstand liegt, so sagen Sie 1745, also das Jahr nach der Schlacht von Velletri, die unserem großen Don Carlos den Besitz von Neapel einbrachte. Hierzulande nannte man ihn Carl VII., und später dann, in Spanien, wo er so Außerordentliches vollbrachte, hieß man ihn Carl III. Er hat in unsere königliche Familie die große Nase der Farnese gebracht. Man nennt heute den Erzbischof nicht gern bei seinem richtigen Namen, vor dem ganz Neapel zitterte, als ihm höchst unangenehm der Name Velletri in die Ohren tönte. Die Deutschen lagerten auf den Hügeln um Velletri und versuchten unsern großen Carlos im Palazzo Grineti, den er bewohnte, auszuheben. Es war ein Mönch, der die Anekdote aufgeschrieben haben soll, von der Sie redeten. Die junge Nonne, die er mit dem Namen Suora Scolastica bezeichnet, war aus der Familie des Herzogs von Bissignano. Der gleiche Chronist gibt in seiner Geschichte Proben eines leidenschaftlichen Hasses gegen den Erzbischof von damals, der, ein mächtiger Politiker in dieser ganzen Affäre, den Kanonikus Cibo als den Handelnden vorschob. Vielleicht war der schreibende Mönch ein Günstling des jungen Don Genarino, Marquis de las Flores, von dem man annimmt, daß er dem Carlos das Herz der schönen Rosalinda streitig gemacht hat, dem sehr galanten König sowohl wie auch dem alten Herzog Vargas del Prado, der für den reichsten Mann seiner Zeit galt. Es gibt sicher in der Geschichte dieser Katastrophe Sachen, welche Personen, die 1760 noch mächtig waren, schwer hätten beleidigen können, denn der Mönch, der um das Jahr schrieb, hütet sich, deutlich zu sein; seine Wortkunst ist beträchtlich; er redet immer in allgemeinen Maximen, sicher von perfekter Moral, aber Bestimmtes ist nicht daraus zu entnehmen. Nur zu oft muß man das Manuskript zuschlagen, um über das nachzudenken, was der gute Pater etwa hat sagen wollen. So wird er zum Beispiel beim Tode des Don Genarino fast unverständlich. Ich kann Ihnen vielleicht in einigen Tagen die Handschrift leihen, die so ennervierend ist, daß ich Ihnen nicht rate, sie zu kaufen. Vor zwei Jahren verkaufte man sie übrigens auf dem Bureau des Notars B. für nicht weniger als vier Dukaten." Acht Tage später war ich im Besitz dieser Handschrift, deren Verfasser jeden Augenblick seine Geschichte, statt sie zu Ende zu erzählen, in andern Worten immer wieder von vorne anfängt; erst glaubt der verzweifelte Leser, daß es sich um ein neues Faktum handelt, und schließlich wird die Konfusion so groß, daß man gar nicht mehr weiß, wovon die Rede ist. Man muß nämlich wissen, daß im Jahre 1742 ein Neapolitaner, ein Mailänder, die vielleicht in ihrem ganzen Leben nicht hundert Worte hintereinander in toskanischer Sprache gesprochen haben, sich des Toskanischen für den Druck bedienen, weil sie das für schön halten. Der vortreffliche General Colleta, der größte italienische Historiker, hatte auch ein bißchen diese Manie, die seinen Leser oft unsicher über das vom Verfasser Gemeinte macht. Das kaum verständliche Manuskript, das sich Suora Scolastica betitelte, zählte nicht weniger als 310 Seiten. Ich erinnere mich, gewisse Seiten daraus ins reine geschrieben zu haben, um des Sinnes sicher zu sein, den ich dem Gelesenen gab. Sowie ich einmal die Geschichte genau kannte, hütete ich mich, direkte Fragen zu stellen. Sooft mir aus vielem Geschreibsel des Mönches irgendein sicheres Faktum deutlich war, erbat ich mir mit der unschuldigsten Miene einige Aufklärungen. Und nach einiger Zeit gab mir eine Person, die zwei Monate früher mir jede Antwort auf meine Fragen glatt verweigert hatte, ein kleines handgeschriebenes Heftchen von 60 Seiten, das auf die Geschichte selber nicht weiter eingeht, aber über gewisse Fakten pittoreske Details gibt. Zum Beispiel über die rasende Eifersucht. Aus den Worten ihres Almoseniers, den der Erzbischof dazu gewonnen hatte, erfuhr eines Tages die Prinzessin Donna Ferdinanda de Bissignano, daß der junge Don Genarino nicht in sie, sondern in ihre Stieftochter Rosalinde verliebt sei. Sie rächte sich an ihrer Rivalin, die sie vom König Carlos geliebt glaubte, indem sie Don Genarino de las Flores in eine heftige Eifersucht hetzte. Dieses folgende nun ist die Geschichte, welche ganz Neapel im Jahre 1740 so heftig bewegt hat. Im Jahre 1740 regierte in Neapel Don Carlos. Er war der Sohn der Fürstin Elisabet von Parma, einer Farnese, die ihm, trotzdem er der Jüngere war, gern eine Krone verschafft hätte, weshalb sie ihm zu günstiger Stunde nach Italien mit einer Armee dirigierte. Er gewann die Schlacht bei Velletri, trotzdem der Kampftag für ihn damit begonnen hatte, daß ihn eine Kompagnie Österreicher des Morgens in seinem Zimmer überraschte. Der Herzog Vargas del Prado, einer der spanischen Granden, welche die Elisabet Farnese ihrem Sohn als Stab gegeben hatte, rettete ihm das Leben oder doch die Freiheit, indem er ihm einen Fußtritt versetzte, der ihn ans Fenster seines nicht niedrig gelegenen Schlafzimmers beförderte, durch das er entkam. Don Carlos mit der ungeheuern Nase war nicht ohne Geist. Als Karl III. von Neapel hielt er einen glänzenden Hof. Er brachte sich seine Untertanen mit festlichem Zirzenses nah und führte gleichzeitig strenges Regiment in allen Zweigen der Verwaltung. Die spanischen Vizekönige, deren Klugheit durch Masaniellos Revolte berühmt geblieben ist, hatte man davongejagt; die harten und geldgierigen österreichischen Generäle hatte man davongejagt; in der Folge so vieler Wechsel und Konfiskationen sah sich der neue König Herr fast über alles Hab und Gut. Die meisten Edelleute hatten die Konfiskation einiger ihrer Güter erlebt oder wurden mit konfisziertem Grundbesitz jener Unzufriedenen beschenkt, die von erkauften Subjekten Verräter genannt wurden. Diese Unsicherheit aller Vermögen verband sich mit der Notwendigkeit großer Ausgaben um der Gunst des Königs willen, und das verpflichtete die großen Herren, hinsichtlich ihrer Geschäfte die Augen recht offen zu halten. Der Adel drängte sich an den Hof, und der Handelsstand gratulierte sich dazu, die unglaublichen Plackereien der Vizekönige und die Habsucht der österreichischen Generäle los zu sein; das gemeine Volk aber war höchlichst erstaunt, eine Regierung zu haben, von der es nicht immerzu geschunden wurde und gewöhnte sich daran, Steuern zu zahlen, von denen ein Teil als Premie an Adel und Geistlichkeit verteilt wurde. Also regierte Don Carlos seit fünf Jahren; Ruhe und Wohlstand kehrten wieder; glückliche Zufälle halfen dabei. Der Winter von 1740 auf 1741 sah Festlichkeiten, wie schon lange keiner mehr. Acht oder zehn Damen von seltener Schönheit teilten sich in alles Lob und Preis, aber der junge König, der ein feiner Kenner war, erklärte für die schönste Dame seines Hofes Rosalinda, die Tochter des Principe d'Atella. Dieser Principe d'Atella, früher österreichischer General, war ein ebenso trübseliger wie kluger Mann, der gegen seinen Willen Donna Ferdinanda, seinem zweiten Weibe, darin nachgab, daß sie sich zu Hofe von seiner Tochter, der schönen Rosalinda, begleiten ließ, die der König für die allerschönste erklärte und die noch nicht sechzehn Jahre zählte. Der Principe d'Atella hatte drei Söhne aus erster Ehe, deren standesgemäße Versorgung ihm Schwierigkeiten machte. Die Titel dieser Söhne, die alle Herzöge oder Prinzen waren, fand er in keinem Verhältnisse zu dem mäßigen Vermögen stehend, das er ihnen hinterlassen konnte. D'Atella liebte seine sehr lustige und sehr unvorsichtige Frau, die, wenn auch um dreißig Jahre jünger als er, doch nicht mehr jung war, und es während der köstlichen Feste dieses Winters nur der Anwesenheit ihrer Tochter Rosalinda verdankte, immer von einem hofmachenden Schwarm der glänzendsten Jugend Neapels umgeben zu sein. Ihre besondere Aufmerksamkeit schenkte sie dem jungen Genarino de las Flores, dessen etwas hochfahrenden spanischen Manieren dem hübschen und lustigen Gesichte mit dem blonden Bärtchen und den blauen Augen, einer Seltenheit in Neapel, sehr gut standen; besonders von diesen blauen Augen waren die Damen des Hofes ganz entzückt. So sehr entzückt, daß Genarino schon zwei Wunden aus Duellen mit Bräutigamen oder Brüdern trug, in deren Familie er Unordnung gebracht hatte. Der junge Marquis war geschickt genug, die Principessa d'Atella zu überzeugen, daß ihr seine Huldigung gelte, aber tatsächlich war er in die junge Rosalinda verliebt und, was mehr ist, eifersüchtig auf sie. Eben jener Herzog, der in der Nacht vor der Bataille von Velletri dem Don Carlos so von Nutzen gewesen war und sich nun der höchsten Gunst des jungen Königs erfreute, war aufs tiefste berührt von der naiven Grazie der jungen Rosalinda und ganz besonders von ihrem einfachen Wesen und ihrer aus den Augen strahlenden Aufrichtigkeit; er machte ihr auf eine majestätische Weise den Hof, wie sich dies für einen dreifachen spanischen Granden gehört. Aber er schnupfte und trug eine Perücke; und gerade Schnupftabak und Perücke sind für eine junge Neapolitanerin die zwei Dinge, die sie nicht ausstehen kann. Und trotz der nur bescheidenen Mitgift von vielleicht zwanzigtausend Francs und keiner andern Aussicht als das vornehme Kloster San Petito ganz oben in der Toledanerstraße, dem Modegrab der jungen Mädchen aus dem Hochadel, konnte sich Rosalinda nicht entschließen, die leidenschaftlichen Augen des Herzogs von Prada zu verstehen; wohl aber begriff sie sehr gut, was ihr Don Genarino mit seinen Blicken sagte, wenn ihn die Principessa d'Atella gerade nicht beobachtete. Der Herzog von Prada war sich nicht ganz sicher, ob die junge Rosalinda nicht manchmal auch Antwort auf Genarinos fragende Augen gab. Die Liebe der beiden hatte wirklich, vernünftig betrachtet, gar keinen Sinn. Gewiß gehörte die Familie der Las Flores zum Hochadel, aber der alte Herzog dieses Namens, Genarinos Vater, besaß drei Söhne und hatte nach Brauch des Landes deren Angelegenheiten so arrangiert, daß der älteste etwa fünfzehnhundert Dukaten Rente bekam, während die beiden jüngeren sich mit zwanzig Dukaten im Monat zufrieden geben mußten samt Logis im Stadtpalais und in der Villa, zufrieden geben mußten, aber nicht damit zufrieden waren. Don Genarino und Rosalinda verwandten all ihre Geschicklichkeit darauf, was sie für einander empfanden, vor der Principessa d'Atella zu verbergen, deren kokettischer Anspruch auf Begehrtwerden dem jungen Marquis niemals die falschen Gedanken verziehen hätte, die sie sich hinsichtlich seiner Liebe zu ihr machte. Aber ihr Gatte, der alte General, hatte bessere Augen als sie. Beim letzten Ball, den in diesem Winter König Carlos selber gab, war es ihm ganz klar geworden, daß der bereits durch mehr als ein Abenteuer berühmte Don Genarino es unternommen hatte, entweder seiner Frau oder seiner Tochter zu gefallen; und das eine paßte ihm so wenig wie das andere. Nächsten Morgen hieß er nach dem Frühstück seine Tochter, mit ihm auszufahren, und er brachte sie, ohne weiter auch nur ein Wort zu sprechen, nach dem Kloster von San Petito; es ist das jenes damals sehr modische Kloster, dessen köstliche Fassade man ganz oben zur linken in der Calle di Toledo sieht neben dem magnifiken Palazzo dei Studi. Die langhin sich streckenden Mauern, die man bei einem Spaziergang auf der Wiese von Vomero immer im Rücken hat, sollen das profane Auge abhalten, in die Gärten von San Petito zu blicken. Der alte Fürst tat erst den Mund auf, als er seiner Schwester seine Tochter vorstellte. Wie eine Mitteilung, die er ihr aus Höflichkeit mache und für die sie ihm dankbar sein müsse, sagte er zu Rosalinda, daß sie das Kloster nur ein einziges Mal noch verlassen würde, nämlich am Vorabend des Tages ihrer Profeß. Rosalinda war über alles das nicht weiter erstaunt; sie wußte ganz gut, daß sie höchstens durch ein Wunder eine Verheiratung erwarten konnte, und den Herzog Vargas del Prado zu heiraten, davor graute ihr in diesem Augenblick. Außerdem hatte sie einige Jahre als Pensionärin in dem Kloster geweilt, in das man sie jetzt zurückbrachte, und alle ihre Erinnerungen an ihren frühern Klosteraufenthalt waren lustig und amüsant; so war sie am ersten Tage nicht arg betroffen von ihrem Lose; aber schon am nächsten Tage war ihr deutlich, daß sie den jungen Don Genarino niemals wiedersehen würde, und das traf sie, trotz ihres Alters Kindlichkeit, tief. Verspielt und betäubt die ersten Tage, wurde sie bald die am wenigsten resignierte und traurigste unter den Mädchen des Klosters. Wohl zwanzig Male dachte sie im Tage an Genarino, den sie nicht mehr sehen sollte, während doch früher und zu Hause an diesen liebenswürdigen jungen Mann zu denken ihr höchstens zweimal im Tage eingefallen war. Drei Wochen nach ihrem Eintritt im Kloster geschah es ihr, daß sie beim Abendgebet die marianische Litanei ohne jeden Fehler hersagte und ihr dafür die Novizenmutter für den andern Tag erlaubte, zum erstenmal, auf das Belvedere hinaufzusteigen; so nennt man die weitläufige Galerie, von den Nonnen mannigfaltig mit Bildern und Arabesken geschmückt, die ganz oben an der Außenmauer des Klosters gegen die Toledanerstraße zu offen liegt. Rosalinda war entzückt über die doppelte Wagenreihe, die um diese Zeit des Korso die Straße füllt; sie erkannte die meisten Wagen und die Damen darin. Das amüsierte sie und bedrückte sie zugleich. Aber Verwirrung kam in ihr Herz, als sie unter einem Torweg einen jungen Mann erkannte, der zärtlich zu ihr hinauf einen Strauß wundervoller Blumen bewegte; es war Don Genarino, der seit Rosalindas Entführung ins Kloster jeden Tag hierher kam in der Hoffnung, sie auf dem Belvedere zu sehen; und da er um ihre Blumenliebe wußte, hatte er jedesmal, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, einen Strauß seltenster Blumen mitgebracht. Als Genarino sich erkannt sah, gab er ein sichtbares Zeichen seiner Freude, und bald folgtem[sic! statt: folgten] diesem andere Zeichen, die zu beantworten sich Rosalinda hütete. Sie überlegte, daß nach der vom Kloster befolgten Regel Benedicti gut ein paar Wochen bis zu neuerlicher Erlaubnis das Belvedere zu besuchen vergehen könnten. Um sie herum war eine Menge sehr lustiger Nonnen, von denen fast alle ihren Freunden Zeichen machten, und diese jungen Damen schienen etwas geniert von der Anwesenheit dieses jungen Mädchens im weißen Schleier, die doch etwas erstaunt sein könnte über ihr wenig klösterliches Benehmen und ihr Sprechen mit den Herren da unten. Man muß wissen, daß in Neapel die Mädchen von Kindheit an die Fingersprache sprechen, bei der die verschiedenen Stellungen der Finger zueinander das Alphabet bilden. Man kann die Mädchen im Salon auf diese Weise leise sprechen sehen, während sich die betreffenden Eltern laut unterhalten. Genarino zitterte bei dem Gedanken, Rosalindas Nonnentum könnte echt sein. Er war noch etwas weiter zurück in den Torweg getreten und sagte ihr von hier aus in den Kindersprache der Finger: "Seitdem ich Sie nicht mehr sehe, bin ich unglücklich. Sind Sie im Kloster glücklich? Haben Sie so viel Freiheit, öfter auf das Belvedere zu kommen? Lieben Sie immer noch die Blumen?" Rosalinda sah ihm voll ins Gesicht, aber antwortete nicht. Auf einmal verschwand sie, entweder von der Novizenmutter gerufen oder von den wenigen Worten Don Genarinos beleidigt. Der stand eine Weile bestürzt. Dann stieg er das kleine Gehölz von Aranella hinauf, das über Neapel liegt; bis da hinauf zieht sich die Umfassungsmauer des weiten Klostergartens von San Petito. Weiter ging er seinen melancholischen Spaziergang und kam auf die Wiesenfläche von Vomero, von wo aus man über Neapel und das Meer blickt; nach ein paar hundert Schritten stand er vor dem großartigen Schlosse des Herzogs Vargas del Prado ehemals eine mittelalterliche Festung mit schwarzen kranelierten Mauern und berühmt in Neapel wegen seiner Düsterkeit und der Manie des Herzogs, sich nur von spanischen Domestiken bedienen zu lassen, die genau so alt waren wie er. Der alte Herzog sagte, daß er sich auf seinem Schlosse in Spanien glaube, und um diesen Eindruck zu vermehren, hatte er auch alle Bäume in der Umgebung umhauen lassen. Sooft es ihm nur der Dienst beim König erlaubte, begab sich der Herzog, um Luft zu schnappen, nach seinem Schloß San Nicola. Das düstere Schloß vermehrte noch Genarinos Melancholie. Da packte ihn, als er unter der Mauer der Gärten von San Petito hinschritt, ein Gedanke. 'Natürlich liebt sie noch die Blumen,' sagte er sich; 'die Nonnen dürften deren kultivieren in ihrem Garten; also muß es wohl Gärtner geben; ich muß diese Gärtner kennenlernen.' In dieser sehr verlassenen Gegend gab es eine Osteria, in die Genarino eintrat; sein Anzug war für diesen Ort viel zu prächtig, und er merkte mit einigem Unbehagen, daß seine Anwesenheit Überraschung und Mißtrauen hervorrief; da tat er, als ob er sehr müde wäre und machte sich Liebkind mit den Wirtsleuten und dem Volk, das da seinen Schoppen Wein trank. Seiner offenen Art hatte er es zu danken, daß die Leute in der Kneipe ihm seine für den Ort etwas zu kostbaren Kleider verziehen. Genarino scheute sich nicht, mit dem Wirt und dessen Freunden ein paar Gläser von dem Bessern zu leeren, den er kommen ließ. Nach Verlauf einer Stunde Arbeit machte seine Anwesenheit keinen mehr mißtrauisch. Man riß Witze über die adeligen Nonnen von San Petito und über die Besucher, die manche von ihnen über die Gartenmauer weg empfingen. Genarino bekam die Gewißheit, daß, worüber man in Neapel so viel redete, wirklich existiere. Die guten Leute von Vomero scherzten darüber, aber zeigten sich nicht im mindesten entrüstet über die weltlichen Gewohnheiten der Nonnen von San Petito. DER CHEVALIER VON SAINT-ISMIER ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI Man schrieb das Jahr 1640. Richelieu war, schlimmer als je, Herr Frankreichs. Sein eiserner Wille und seine Launen eines großen Mannes suchten jene turbulenten Geister zu beugen, die Krieg und Liebe mit der gleichen Leidenschaft trieben. Die Galanterie war noch nicht auf die Welt gekommen. Die Religionskriege und die um das Gold des düstern Philipp II. erkauften Fraktionen hatten in den Herzen ein Feuer entzündet, das der Anblick der auf Befehl Richelieus vom Rumpfe getrennten Köpfe noch nicht zum Erlöschen gebracht hatte. Reim Bauern, beim Edelmann, beim Bürger traf man auf eine Energie, die man in dem Frankreich nach den 72 Jahren Herrschaft Ludwig XIV. nicht mehr kannte. Im Jahr 1640 war der französische Charakter noch imstande, Energisches zu verlangen, aber die Tapfersten fürchteten den Kardinal; sie wußten ganz genau, daß man ihm nicht entginge, besäße man die Unbesonnenheit, im Lande zu bleiben, nachdem man ihn beleidigt hatte. Solchem gab der Chevalier von Saint-Ismier seine Gedanken, ein junger Offizier aus einer der reichsten Adelsfamilien des Languedoc. An einem der schönsten Juniabende ritt er nachdenklich am rechten Dordogneufer hin, Moulons gegenüber. Er hatte nur einen Domestiken zur Begleitung. Er wußte, wagte er nach Bordeaux zu gehen, daß er es hier mit dem Kapitän Rochegude zu tun habe. Dieser Stadtgewaltige war eine Kreatur des Kardinals, und Saint-Ismier kannte die schreckliche Eminenz. Trotz seiner fünfundzwanzig Jahre hatte sich der junge Edelmann im deutschen Kriege rühmlichst ausgezeichnet. Aber da hatte er zuletzt auf dem Schloß einer Tante, die er beerben sollte, auf einem Balle Streit mit dem Grafen de Chaix bekommen, dem Verwandten eines Parlamentspräsidenten der Normandie und treu ergebenen Dieners des Kardinals, für dessen Rechnung er in seiner Körperschaft intrigierte. Alle Welt in Rouen wußte das, und so war der Präsident mächtiger als der Gouverneur selber. Darum beeilte sich Saint-Ismier auch, nachdem er den Grafen elf Uhr des Nachts unter einer Straßenlaterne getötet hatte, aus der Stadt hinauszukommen; er nahm nicht einmal Abschied von seiner Tante. Auf der Höhe des Berges Sainte-Catherine versteckte er sich in dem Walde, der die Spitze damals noch krönte. Seinem Diener ließ er durch einen Bauern, dem er auf der Landstraße begegnet war, Nachricht zugehen. Der Diener nahm sich nur so viel Zeit, die Tante zu verständigen, daß der Chevalier sich sofort zu seinem Schutz auf das Schloß einer befreundeten Familie in die Nähe von Orleans begebe, und traf mit zwei Pferden im Walde ein. Kaum war er zwei Tage auf jenem Schlosse, als ein Kapuziner, ein Protegé des berühmten Pater Joseph und Freund des Schloßherrn, diesem einen Diener zuschickte, der in höchster Eile aus Paris gekommen war, auf zu Tode gehetzten Postpferden. Der Diener überbrachte einen Brief, der nichts als diese Worte enthielt: "Ich kann nicht glauben, was man von Ihnen spricht. Ihre Feinde behaupten, Sie gäben einem Rebellen gegen Seine Eminenz Unterschlupf." Der arme Saint-Ismier mußte aus dem Schlosse bei Orléans flüchten, wie er aus Rouen geflohen war. Der Schloßherr, sein Freund, suchte ihn auf der Jagd auf am andern Ufer der Loire, um ihm den schlimmen Brief zu übergeben. Der Chevalier nahm dankbaren Abschied und ging an den Fluß hinunter in der Hoffnung, da ein Boot zu finden; zu seinem Glück traf er auch einen Fischer, der in einem winzigen Kahn gerade sein Netz einzog. Er rief den Mann an. "Meine Gläubiger sind hinter mir her. Du bekommst einen halben Louis, wenn du die ganze Nacht ruderst. Du mußt mich nah meinem Haus ans Ufer setzen, eine halbe Meile vor Blois." Saint-Ismier fuhr die Loire hinunter bis ***; kamen sie an Städte, stieg er aus und ging zu Fuß durch; die Flucht währte Tag und Nacht. Seinen Diener mit den Pferden erreichte er erst bei ***, einem kleinen Dorf in der Nähe von **. Dann ritt er die Küste entlang südwärts. Auf drängende Fragen ließ er verstehen, daß er ein protestantischer Edelmann und mit den Daubigné verwandt sei und darum ein bißchen verfolgt werde. So erreichte er ohne Abenteuer die Mündung der Dordogne. Wichtige Interessen riefen ihn nach Bordeaux, aber er fürchtete, wie gesagt, der Kapitän Rochegude habe bereits einen Verhaftsbefehl gegen ihn erhalten. 'Der Kardinal', sagte er sich, 'holt viel Geld aus der Normandie, die unter unsern Wirren am wenigsten gelitten hat. Der Präsident Lepoitevin ist das Hauptwerkzeug in seiner Hand, alle die Steuern einzutreiben, er wird sich recht wenig aus dem Leben eines Edelmanns wie mir machen, um des Preises der Staatsräson willen, die ihm zuruft: Vor allem Geld! Mein Unglück ist gerade darum größer, daß der Kardinal mich kennt; ich habe nicht die Chance, vergessen zu werden.' Aber die Gründe, die ihn nach Bordeaux zu gehen zwangen, waren zu mächtig. Er setzte seinen Weg die Dordogne entlang fort und traf in dunkler Nacht hinter der Vereinigung mit der Garonne bei *** ein. Ein Fährmann setzte ihn, seine Pferde und den Diener aufs linke Ufer über. Hier hatte er das Glück, auf Weinhändler zu stoßen, die sich gerade vom Kapitän Rochegude einen Permiß zur nächtlichen Einfahrt nach Bordeaux gekauft hatten, da die Tageshitze ihrem Weine nicht bekomme. Der Chevalier warf seinen Degen auf einen ihrer Karren und fuhr um Mitternacht in Bordeaux ein, eine Peitsche in der Hand und im Gespräch mit einem der Fuhrleute. Einen Augenblick später ließ er einen Taler in die Tasche des Mannes gleiten, nahm ruhig seinen Degen und verschwand, ohne ein Wort zu sagen um eine Straßenecke. Der Chevalier kam bis ans Kirchentor von Saint-Michel; hier ließ er sich auf den Stufen nieder. 'Da bin ich also in Bordeaux', sagte er sich. 'Was gebe ich für eine Antwort, wenn die Wachrunde mich fragt? Wenn diese Leute nicht gerade betrunkener sind als gewöhnlich, hat es wenig Aussicht auf Glauben, wenn ich ihnen sage, ich sei ein Weinhändler; die Antwort wäre neben den Fuhrwerken und den Fässern möglich gewesen. Ich hätte mir, bevor ich meine Pferde wegschickte, Bedientenkleider anziehen sollen, aber so angezogen wie ich bin, kann ich nichts andres sein als ein Edelmann; und als Edelmann errege ich die Aufmerksamkeit dieses Rochegude, der mich in die Feste Trompette steckt, und in zwei Monaten fällt mein Kopf auf dem Marktplatz, hier oder in Rouen. Wird mich mein Kusin, der Marquis von Miossens, der so vorsichtig ist, aufnehmen? Wenn er von meinem Zweikampf in Rouen nichts weiß, so wird er meine Ankunft mit Festen begehen wollen; er wird allen diesen Gaskognern sagen, ich sei ein Günstling des Kardinals. Weiß er aber, daß ich der Eminenz mißfallen könnte, so wird er erst seinen Frieden finden, wenn er seinen Sekretär mit der Anzeige zu Rochegude geschickt hat. Es wäre nötig, zuerst zur guten Marquise zu gelangen, ohne daß ihr Mann von mir weiß. Aber sie hat Liebhaber, und der Marquis ist so eifersüchtig, daß er, wie man sagt, Duennen aus Spanien nach Paris kommen ließ zu ihrer ständigen Überwachung. Wir machten uns lustig über ihn, daß sein Bordeauleser Haus bewacht sei wie eine Festung. Und dann, wie zu dem Haus gelangen, das sehr prächtig sein soll? Ich war nie in Bordeaux gewesen. Wie soll ich einem Passanten sagen: Zeigen Sie mir das Haus Miossens und wie ich ohne Wissen des Marquis hineinkomme? Das wäre verrückt. Sicher aber ist, bleibe ich hier bei den armseligen Häusern um die Kirche herum, besteht keine Aussicht, dem prächtigen Hause meines Kusins zu begegnen.' Die Turmuhr der Kirche schlug ein Uhr. 'Keine Zeit mehr zu verlieren', sagte sich der Chevalier. 'Warte ich hier den Tag ab, um dann in irgendein Haus zu treten, so hat Rochegude davon sofort Nachricht. In diesen Provinzstädten kennt einer den andern, besonders unter den Leuten gleichen Standes.' Der arme Chevalier machte sich also auf die Suche, sehr behindert von seiner Person und nicht wissend, wohin sich eigentlich wenden. Eine tiefe Stille lag in allen Gassen, die er durchschritt, und nicht minder tief war die Dunkelheit. 'Ich zieh mich aus dieser Geschichte nicht heraus. Morgen abend sitze ich im Fort Trompette; daraus entweicht keiner mehr.' Da erblickte er in einiger Entfernung ein Haus, in dem Licht war. 'Und wenn's der Teufel selber wäre,' sagte sich der Chevalier, 'ich muß mit den Leuten da drin sprechen.' Als er näher kam, vernahm er Lärm. Er lauschte und suchte zu erraten, um was es sich handle. Da flog eine kleine Pforte auf, und ein breiter Lichtstrom fiel über die Gasse und noch das gegenüberliegende Haus hinauf. In dem Licht stand ein prächtig gekleideter, junger, sehr schöner Mensch, den Degen in der Faust; er sah verärgert aus, aber nicht wütend, oder es war die hinter Verärgertheit maskierte Wut eines Gecken. Die Leute seiner Umgebung hatten das Wesen von Untergebenen und schienen ihn beschwichtigen zu wollen, wobei sie ihn Herr Graf nannten. Saint-Ismier war noch etwa zwanzig Schritte von der hellen Pforte entfernt, als der junge schöne Mann, der etwa eine halbe Minute in der Türschwelle wie zögernd gestanden hatte, plötzlich und immer wie einer, der, um dafür bewundert zu werden, Wut zeigt, schreiend und fluchend und immerzu mit dem Degen fuchtelnd in die Gasse hinausging, gefolgt von einem, prächtig gekleidet wie er. Saint-Ismier sah auf die beiden, als er von dem ersten bemerkt wurde, den man Herr Graf nannte. Alsbald stürzte der Graf auf Saint-Ismier los und wollte ihm mit einem Fluche den Degen durch das Gesicht ziehen. Saint-Ismier, auf solchen Angriff nicht im mindesten gefaßt, hatte gerade eine Höflichkeit überlegt, die er dem jungen Manne sagen wollte mit der Frage, wo das Haus Miossens läge. Heiteren Wesens hatte er seinem Körper schon jenes liebenswürdige Balancieren eines Chevaliers gegeben, der den Weinen des Landes herzhaft zugesprochen, denn er fand es so lustiger wie sicherer, den Edelmann anzusprechen wie ein leicht Trunkener. Er gab seinen Lippen schon das Lächeln der Liebenswürdigkeit, mit der er beeindrucken wollte, als er den ihm bestimmten Hieb des Grafen vor seinen Augen sah. Und er fühlte dessen ganze Schwere auf den rechten Arm niedersausen, mit dem er sein Gesicht deckte. Er tat einen Sprung nach rückwärts. 'Ich habe einen Schlag bekommen', sagte er sich und Wut stieg ihm rot ins Gesicht. Er ging heftig den frechen Burschen an. "Also du willst mehr davon," rief der Graf, "nur zu, das ist's ja, was ich wollte. Du sollst deine Schläge haben." Und er warf sich mit toller Kühnheit auf Saint-Ismier. 'Gott verzeih mir, er will mir ans Leben,' sagte sich der Chevalier, 'ich muß kaltes Blut bewahren.' Saint-Ismier bekam mehrere Stiche ab, denn nun hatte auch der Edelmann aus des Grafen Begleitung den Degen gezogen, sich an seines Freundes Seite gestellt. 'Sie wollen mich umbringen', sagte sich Saint-Ismier, und machte einen Ausfall. Dabei zog er aus einer Unvorsichtigkeit des Grafen Vorteil, der sich ungedeckt auf ihn gestürzt hatte, um ihm den Degen durch den Leib zu rennen. Der Graf parierte den Stich, indem er ihn nach oben abdrängte; da aber sprang der Degen dem Grafen sechs Daumen tief ins rechte Auge; der Chevalier spürte, wie das Eisen auf etwas Hartes stieß; es war der innere Schädelknochen. Der Graf stürzte tot. Als der Chevalier, stark erschrocken über dieses Ergebnis, ein bißchen zögerte, seinen Degen zurückzuziehen, gab ihm der Mensch, der hinter dem Grafen gestanden hatte, einen starken Hieb in den Arm, und im gleichen Augenblick fühlte der Chevalier mächtig das Blut fließen. Dazu rief dieser Gegner aus allen Lungenkräften um Hilfe. Acht oder zehn Leute stürzten aus der Herberge, denn eine solche und die erste von Bordeaux war das erleuchtete Haus. Saint-Ismier sah gut, daß die Hälfte der Leute bewaffnet war. Er nahm seine Beine unter die Arme und lief, was er konnte. 'Ich habe einen Menschen getötet,' sagte er sich, 'ich bin mehr als gerächt für einen Hieb in den Arm. Übrigens ist Gefängnis oder Tod für mich das gleiche. Nur wird mir, falle ich Rochegude in die Hände, der Kopf ganz gewiß auf dem Marktplatz abgeschlagen, und an einer Straßenecke sterbe ich als ein tapferer Mensch im Kampfe um mein Leben.' Doch aber lief unser Held, was er konnte, um sein Leben zu retten. Er kam wieder an der Kirche vorbei, kam dann in eine sehr breite und wie ihm schien, sehr lange Straße. Die Verfolger hielten an, als sie hier zwei- oder dreihundert Schritte hinter ihm hergelaufen waren. Es war höchste Zeit für den ganz atemlosen Chevalier. Auch er hielt inne, etwa hundert Schritte weiter als die Verfolger; er machte sich, indem er sich stark bückte, so klein als möglich; dann versteckte er sich hinter dem Pfosten einer Brustwehr, die sich in der Straße etwa sechs acht Fuß vor den Häusern befand. Die Verfolger tauchten wieder auf, und der Chevalier begann wieder so gut er konnte zu laufen, immer die breite lange Straße hinauf. Da hörte er vor sich Schritte im Takt; er hielt sofort im Laufen inne. 'Die Scharwache!' dachte er. Und warf sich laufend in eine sehr enge Seitengasse, lief durch viele Gäßchen, jede halbe Minute stillstehend, lauschend; zunächst stieß er nur auf Katzen, denen er Furcht einjagte; aber als er in eine Gasse einbog, hörte er vier fünf Männer kommen; deutlich vernahm er ihr schweres und wohlgesetztes Reden. 'Wieder die Wache! Der Teufel hol mich!' Er stand gerade an einem mächtigen, derb holzgeschnitzten Tor; aber zehn Schritte davon bemerkte er eine ganz kleine Tür; er stürzte hin. Die Tür war offen. Er verschwand dahinter und verschnaufte. Er dachte, die Männer, die er reden gehört hatte, müßten ihn hier eintreten gesehen haben und hinter ihm hereinkommen; dann würde er sich hinter der Tür verstecken und sobald die Männer eingetreten und bis in den kleinen Hofgarten, den er bemerkte, gekommen wären, zu dem diese Tür führte, würde er wieder sehen, daß er hinaus und weiterkomme. Er stand schweratmend hinter der kleinen Tür und wartete. Die Männer blieben just davor stehen und schwatzten. Aber sie traten nicht ein und gingen weiter. Angst in den Gliedern schlich Saint-Ismier in was ihm ein Garten schien der hohen Bäume wegen; er kam in einen großen Hof, dann in einen kleineren, der ihm mit kleinen marmornen Tafeln gepflastert schien. Er spähte vorsichtig, ob er niemanden sähe, mit dem er sprechen könnte. 'Das ist ein reiches Haus. Besser konnte ich es nicht treffen. Finde ich da einen Domestiken, so wird er für meinen Taler empfänglich sein und mich zum Palais Miossens bringen. Vielleicht versteckt er mich für zwei Taler heute Nacht und morgen in seinem Zimmer. Ja, wer weiß, vielleicht wird er einmal noch mein eigener Diener? Glücklicher könnte ich es mir nicht wünschen.' Solches hoffend fand Saint-Ismier eine Treppe, die er hinaufstieg. Sie führte in das erste Stockwerk, wo sie aufhörte. Er trat auf einen Altan und sah sich um. Da war es ihm, als vernehme er ein Geräusch auf der Treppe. Er schwang sich sofort über das Geländer des Balkons und trat auf ein Gesims der Hauswand; mit den Händen hielt er sich an der Holzjalousie des nächsten Fensters fest. Vorsichtig tastete er sich auf dem Gesims weiter und kam auf einen zweiten Balkon, vom ersten ein paar Fuß entfernt. Durch ein offenes Fenster stieg er ein. Eine wie ihm schien marmorne und sehr prächtige Treppe führte in das zweite Stockwerk. Hier stand er nun vor einem mit goldenen Nägeln verzierten Türvorhang. Durch den Spalt zwischen Türvorhang und Boden kam ein schwacher Lichtschein. Er zog die Portiere ganz leise an sich und stand einer Tür gegenüber, deren silberne oder kupferne Ornamente im Dunkel glänzten. Aber wichtiger für den armen Chevalier war das bißchen Licht, das durch das Schlüsselloch drang. Er brachte sein Auge daran; doch sah er nichts; er glaubte einen Vorhang unterscheiden zu können, der im Raume nah vor der Tür hing. 'Das ist jedenfalls ein vornehmer Wohnraum', sagte er sich. Sein nächster Gedanke war, keinerlei Geräusch zu machen. 'Aber', dachte er, 'schließlich muß ich ja doch einmal mit jemandem reden, und so allein, verloren in einem weitläufigen Hause und mitten in der Nacht, ist's besser, ich spreche mit einem Herrn statt mit einem Lakaien. Der Herr wird leicht begreifen, daß ich kein Dieb bin.' Er faßte mit der linken Hand die Portiere, diese beiseite haltend, und faßte mit der rechten an den Türknopf; er öffnete ganz leise und sagte mit seiner liebenswürdigen Stimme: "Herr Graf, erlauben Sie, daß ich eintrete?" Keine Antwort. Er blieb eine Weile in seiner Stellung, auf dem Boden zwischen seinen Füßen den Degen, damit er ihn, wenn nötig, rasch zur Hand hätte. Er wiederholte das Kompliment, so reizend als möglich von ihm ausgedacht: "Herr Graf, wollen Sie mir erlauben, daß ich eintrete?" Keine Antwort. Der Chevalier sah sich in dem mit der Großartigkeit neuesten Stiles gezierten Prunkgemach um. Die Wände deckten gebuckelte vergoldete Ledertapeten. Der Tür gegenüber stand ein mächtiger Schrank aus Ebenholz mit einer Menge kleiner Säulen, deren Kapitale aus Perlmutter waren. Zur Rechten breitete sich ein Bett, dessen Vorhänge aus rotem Damast zugezogen schienen. Er konnte nicht in das Bett sehen. Die eine Fußsäule, die er bemerken konnte, war vergoldet. Zwei Genien, wohl aus Goldbronce, stützten mit ihren hochgehaltenen Armen einen kleinen Tisch mit ockergoldner Platte; zwei vergoldete Leuchter standen darauf, in deren einem eine Kerze brannte; und was den Chevalier nicht wenig beunruhigte, war, daß er neben dem brennenden Leuchter ganz deutlich fünf, sechs edelsteinblitzende Ringe liegen sah. Er machte einen kleinen Schritt ins Gemach, mit kleinen Verbeugungen und schüchtern-liebenswürdigen "Verzeihung, Herr Graf". Über einem Kamin hing ein strahlender Venetianer Spiegel. Da stand ein großer Toilettentisch, mit schwerer grüner Seide überzogen. Auch auf diesem Tisch lagen Ringe und eine steinverzierte Uhr; ihr leises Ticken war das einzige wahrnehmbare Geräusch im Raum. 'Wie wird der Besitzer aller dieser Kostbarkeiten aufschreien, wenn er jetzt aus dem Bett springt und mich erblickt! Aber ich muß doch zu einem Ende kommen, so oder so. Eine Viertelstunde hab ich schon in Zwecklosigkeiten und in der verrückten Hoffnung verloren, nicht für einen Dieb gehalten zu werden.' Er ließ die Tür los, die sich mit einem kleinen Geräusch schloß. Sie war von innen nicht zu öffnen, wie sich der Chevalier gleich überzeugte. 'Ich bin gefangen', sagte er sich und untersuchte genauer noch die Tür; es war unmöglich, sie zu öffnen. 'Ich bin eingesperrt.' Von diesem Umstand beunruhigt, ging der Chevalier entschlossen auf das Bett zu. Dessen Vorhänge waren fest zugezogen. Er schlug sie auseinander, immer allerlei lächelnde Entschuldigungen für die im Bett vermutete Person stammelnd. Das Bett war leer. Aber in hinreichender Unordnung, die sagte, daß es eben noch besetzt war. Die Vorhänge trugen reiche Spitzen. Der Chevalier griff nach dem Leuchter, um besser zu sehen; er steckte eine Hand unter die Decke; es war noch warm da. Nun untersuchte eiligst der Gefangene mit dem Leuchter das Zimmer nach einem Ausgang; zu seinem großen Verdruß fand er keinen andern als die Tür, die sich von innen nicht öffnen ließ, und ein Fenster. Er wußte nichts andres als die Bettvorhänge zu zerreißen und daraus etwas wie ein Seil zu drehen, mit dessen Hilfe er den Abstieg durchs Fenster in ein dunkles Ungewisses wagen könnte, in etwa vierzig Fuß Tiefe, wie er schätzte; ob das da unten ein Dach oder ein Hof sei, dies zu unterscheiden machte er vergebliche Anstrengungen. 'Und was, wenn ich da unten heil und ganz ankomme? Ich bin da vielleicht genau so gefangen wie hier.' Da blitzte ihm ein Gedanke auf: 'Ich sehe keinen Degen hier im Zimmer. Die Kammerdiener der hier hausenden vornehmen Persönlichkeit haben deren Kleider ohne Zweifel mit fortgenommen. Aber seinen Degen hätten sie ihm doch dagelassen. Aber vielleicht drangen Diebe ins Haus und er hat für ihre Verfolgung das Bett verlassen, den Degen in der Faust? Seltsam ist es doch, daß keine Waffe hier im Zimmer ist.' Und mit äußerster Sorgfalt ging nun der Chevalier daran, das Zimmer zu durchforschen. Da stieß er ganz nah am Bett auf dem Teppich auf zwei kleine Schuhe aus weißer Seide und auf ein Paar außerordentlich dünne Seidenstrümpfe. 'Ich bin doch ein großer Schafskopf! Ich bin hier bei einer Frau!' Gleich darauf fand er ein paar Strumpfbänder aus Silberspitze; auf einem Fauteuil einen kleinen Unterrock aus rosarotem Satin. 'Es ist eine junge Frau', rief er hingerissen, und seine Neugierde war so mächtig erregt, daß er ganz seine Angst vor dem Gefängnis oder vielmehr vor dem Tode vergaß, die sein einziges Gefühl war seit der Minute, als er den jungen Menschen mitten auf der Straße niedergestochen hatte. In seiner Neugier vergaß der Chevalier auch gänzlich, für einen Dieb gehalten zu werden. Er öffnete, das Licht in der Hand, den Degen unterm Arm alle Schubfächer des Toilettentischs. Er fand eine große Menge kostbaren Schmucks und von erlesenem Geschmack; einige kleine Kassetten trugen gravierte Inschriften in italienischer Sprache. 'Die Herrin dieses Raumes muß bei Hofe gewesen sein', sagte er sich. Er fand außerordentlich kleine Handschuhe, die getragen waren. 'Entzückende Hände hat sie', sagte er. Da stieß er zu seiner größten Freude auf einen Brief. 'Dieses Gemach ist also von einer offensichtlich jungen und schönen Frau bewohnt. Ein Mann macht ihr die Cour und ohne Glück.' Des Chevaliers Neugierde war zunächst befriedigt, und eine große Müdigkeit kam über ihn. Um sich eine Zeit zu geben, die wohl gleich eintretende Person sich anzusehen, setzte er sich in den Alkov zwischen Bett und Wand nieder. Er rechnete bestimmt darauf, wachend das Ende eines Abenteuers abzuwarten, das schlecht für ihn ausgehen konnte, aber er schlief sehr rasch ein. Er wachte von dem kleinen Geräusch der Tür auf; die Kammerzofe hatte sie geöffnet. "Geh zu Bett. Ich brauch dich nicht mehr. Aber weck mich sofort, wenn es meiner Mutter wieder schlechter geht." Saint-Ismier hatte, aus dem Schlaf geschreckt, kaum Zeit, diese gehörten Worte zu verstehen. Der Bettvorhang öffnete sich; ein junges Mädchen stand da, einen Armleuchter mit zwei brennenden Kerzen in der Hand, die volles Licht über das Zimmer warfen. Ein ungeheurer Schrecken drückte sich in ihren Zügen aus, als sie hinter ihrem Bette einen blutbedeckten Menschen liegen sah. Sie stieß einen kleinen Schrei aus, stützte sich auf das Bett. Und starrer Schrecken verzerrte das Gesicht, als Saint-Ismier sich aufrichtete, um sie zu stützen. Nun schrie sie laut auf und sank, wie der Chevalier aus der Folge erfuhr, in Ohnmacht, erst auf das Bett, dann auf den Boden. Der Leuchter fiel und erlosch. Saint-Ismier wußte erst nicht, was tun; er war ratlos. Den letzten Rest von Schlaftrunkenheit abzuschütteln, setzte er sich mit einem Ruck auf. Er griff nach seinem Degen und horchte; alles war tiefste Stille. Er tastete nach dem, was ihm über die Beine gefallen war; fand eine Frau, die er für tot glaubte; er griff eine Hand, deren Kleinheit und zarte Haut ihn denken ließ, es sei eine Frau, die irgendein Eifersüchtiger getötet habe. 'Man muß ihr helfen', sagte er sich und hatte von diesem Augenblick wieder sein kaltes Blut. Der Kopf der Frau lag auf seinem Knie. Er zog es so vorsichtig als er nur konnte, zurück, hob das Köpfchen und bettete es auf einen Schemel. Er fand so viel Wärme unter den Achseln dieses Leibes, als er ihn hob, daß ihm der Gedanke kam, die Person dürfte nur infolge einer großen Verwundung ohnmächtig sein. 'Ich muß um alles in der Welt von hier heraus', sagte er sich. 'Da ist keine Hoffnung, mit dem eifersüchtigen Gatten oder dem wütenden Vater, dem diese Dame getötet wurde, vernünftig zu reden. Unmöglich, daß er nicht gleich zurückkomme, um zu sehen, ob seine Rache gelungen oder um den Leichnam wegzuschaffen; und findet er mich hier blutbedeckt und ich kann nicht sagen, wie hierhergekommen, so kann ihm leicht der Gedanke einfallen, sich auf meine Kosten unschuldig zu machen und mich als den Mörder dieser Dame zu bezeichnen; ich könnte nichts darauf antworten, das Verstand hätte.' Mit größter Vorsicht erhob sich Saint-Ismier, ganz bedacht nur, der Dame nicht weh zu tun, die in der engen Bettgasse auf ihm lag. Aber da stieß sein Fuß an den Armleuchter, der mit großem Geräusch ins Zimmer rollte. Der Chevalier blieb stehen, unbeweglich und die Hand am Degengriff. Aber alles blieb still. Schritt um Schritt ging nun Saint-Ismier das Gemach ab, mit dem Degen die Wände abtastend. Es war vergeblich; er fand nicht Öffnung noch Tür; die von außen nur zu öffnende war ohne Gewalt nicht aufzubrechen. Von neuem öffnete er das Fenster. Da war weder ein Balken noch ein Gesims, die einen Ausbruch erlaubt hätten. 'Ich hab mir wahrhaftig nichts vorzuwerfen, wenn mich dieser Zwischenfall auf der Flucht vor dem Gefängnis aufs Schafott bringt: ich hab mich selber gefangen gesetzt.' Er horchte; es war ihm, als hätte er vom Bett her etwas sich bewegen gehört. Er tastete sich im Dunkel eilends hin. Es war die junge verwundet geglaubte Dame, die aus der Ohnmacht durch das Geräusch erwacht war, das er mit dem Fenster machte. Er nahm sie beim Arm und die Furcht brachte sie vollends zu sich. Da entriß sie ihm den Arm und gab dem Chevalier einen Stoß, so stark sie konnte. "Sie sind ein Scheusal! Was Sie tun, ist grauenvoll! Sie wollen meine Ehre besudeln und mich dadurch zwingen, Ihre Frau zu werden. Aber ich weiß alle Ihre Absichten zu nichte zu machen. Gelingt es Ihnen, mich vor den Augen der Welt zu entehren, so geh ich eher ins Kloster, als daß ich eine Marquise von Buch werde." Der Chevalier trat einige Schritte zurück auf die andere Seite des Bettes. "Verzeihen Sie, Madame, die Angst, die ich Ihnen verursache. Zunächst kann ich Ihnen eine vortreffliche Neuigkeit berichten: ich bin nicht der Marquis von Buch, ich bin der Chevalier von Saint-Ismier, Kapitän im Regiment Royal-Cravatte, von dem Sie, wie ich glaube, nie reden gehört haben. Ich bin in Bordeaux heut abend um neu Uhr eingetroffen, und auf der Suche nach dem Hause der Miossens wurde ich von einem gutgekleideten Menschen mit dem Degen angefallen, auf der Straße. Wir haben uns geschlagen, und ich habe ihn getötet. Man hat mich verfolgt. Ich fand eine kleine Tür offen; sie führte in Ihren Garten. Ich stieg eine Treppe hinauf, und da ich mich noch immer verfolgt glaubte, stieg ich über einen Balkon in eine Antichambre. Ich sah Licht hier und trat ein, mit vielen Entschuldigungen für den Edelmann, den ich störte, und erzählte ihm, es war etwas lächerlich, laut meine ganze Geschichte, wie ich es eben jetzt tue. Ich starb vor Angst, für einen Dieb gehalten zu werden. Alle meine lächerlichen Höflichkeiten waren Grund, daß ich erst nach einer Viertelstunde merkte, daß das Bett leer war. Dann bin ich, scheint es, eingeschlafen. Ich wachte auf, als der Leib einer getöteten Dame über mich fiel. Ich griff eine entzückende kleine Hand; ich bin hier im Brautgemach eines sehr eifersüchtigen Edelmanns, dessen Geschmack und Reichtum zu bewundern ich alle Gelegenheit hatte. Ich sagte mir, der Eifersüchtige würde behaupten, ich hätte seine Frau umgebracht. Da legte ich Ihr Köpfchen, Madame, so zart ich vermochte, auf einen Schemel, und versuchte mein Letztes, aus diesem Gemach herauszukommen. Ich wiederhole, Madame, ich halte mich für einen sehr tapfern Menschen, und bin seit heute abend um neun zum erstenmal in Bordeaux. Ich habe Sie also noch nie gesehen, Madame, weiß nicht einmal Ihren Namen und bin in Verzweiflung über die Ungelegenheiten, die ich Ihnen mache. Aber Sie haben von mir wenigstens nichts zu fürchten.[sic! Fehlt: "] "Ich tue mein Möglichstes, um mir Sicherheit zu geben", sagte die Dame nach einer Weile. "Ich glaube alles, was Sie mir sagen, aber doch kann der grausame Zufall, dessen Umstände Sie mir erzählen, mich meine Ehre kosten. Ich bin allein mit Ihnen in diesem Gemach, ohne Licht, und es ist drei Uhr nachts; es gehört sich, daß ich gleich meine Kammerjungfer rufe." "Verzeihen Sie, Madame, daß ich nochmals von mir spreche. Der Kommandant Rochegude ist mein Feind, und ich flüchtete nach Bordeaux, eines andern Duells wegen verfolgt, das ich vor einiger Zeit schlagen zu müssen das Unglück hatte. Ein Wort von Ihnen, Madame, kann mich auf die Feste Trompette bringen, und da jener, den ich tötete, sich gewiß aller Protektion erfreut, verlasse ich dies Fort nur auf dem Wege zum Richtblock." "Ich werde vorsichtig sein," sagte die Dame, "aber lassen Sie mich nun gehen." Sie schritt zur Tür, die sie durch ein Geheimschloß öffnete. Nun fiel sie mit dem festen Geräusch wieder zu, und Saint-Ismier war aufs neue allein, ohne Licht, gefangen. 'Ist die Frau häßlich und aus diesem Grunde böse,' dachte der Chevalier, 'so bin ich verloren. Aber sie hatte eine zarte Stimme. Jedenfalls werden Domestiken auf mich losgelassen. Da wird's nichts zu markten geben; ich steche den ersten nieder, der sich zeigt. Das schafft dann einen Augenblick Verwirrung, die ich nütze, die Stiege hinunter und auf die Gasse zu kommen.' Er vernahm draußen Stimmen. 'Gleich wird sich alles entscheiden', sagte er sich. Er packte mit der Linken einen Schemel, den er seinem Angreifer zwischen die Augen werfen wollte, und stellte sich hinter den Bettvorhang. Die Tür ging auf. Er sah ein leidlich hübsches Mädchen eintreten, in der Hand ein Licht, mit der andern die Portiere haltend. Sie sah den Raum mit den Blicken ab und fand den Fremden nicht. Da lachte sie. 'Ich dachte mir's doch, daß es nur ein Scherz wäre. Sie wollten mich nur durch eine seltsame Geschichte am Schlafen hindern, gnädiges Fräulein.' Da trat eine Dame ein, achtzehn oder zwanzig Jahre alt und von blendender Schönheit; doch blickte sie ernst und sogar ein wenig unruhig. Sie ließ die Tür zufallen und ohne ein Wort zu der zuerst eingetretenen Jungfer zu sprechen, machte sie ihr ein Zeichen gegen den Alkoven hin. Als der Chevalier bloß die beiden Frauen sah, trat er, den Degen in der Hand, hinter dem Vorhang hervor. Aber der nackte Stahl und das Blut, das ihn bedeckte, machten Wirkung auf die Zofe, die sich ganz blaß ans Fenster zurückzog. Der Chevalier dachte weder an Gefängnis mehr noch an seine Duelle; er bewunderte die außerordentliche Schönheit der jungen Person, die aufrecht vor ihm stand und ein wenig bestürzt. Nun fiel heftige Röte über ihr Gesicht, und ihre Augen wurden groß vor Neugierde. 'Man möchte glauben, sie erkenne mich', dachte Saint-Ismier. Und dann: 'Ich bin nicht goldbestickt wie der junge Mann, den ich erstochen habe; er war neueste Pariser Mode. Aber vielleicht gefällt ihrem guten Geschmack meine einfache Eleganz.' Er fühlte sich von Respekt ganz durchdrungen. "Das Dunkel war nicht günstig, Madame. Es ließ mir aber mein kaltes Blut. Erlauben Sie mir, daß ich meine Entschuldigungen wiederhole für die schrecklichen Ungelegenheiten, in die Sie mein Unglück gebracht haben." "Sie erlauben, Herr Chevalier, daß alles, was Sie betrifft, auch von meiner Jungfer Alix gewußt wird. Sie hat viel Menschenverstand, alles Vertrauen meiner Mutter und ihr Rat wird uns nützlich sein -- Sie erlauben?" Alix hatte mehrere Kerzen angezündet. Nun nahm sie auf ein Zeichen ihrer Herrin auf einem Stuhl neben dem Fauteuil Platz, in dem sich diese selbst niedergelassen hatte. Die junge Dame schien Mißtrauen und Unruhe verloren zu haben. Sie begann die Unterhaltung damit, den Chevalier aufzufordern, seine Geschichte nochmals zu erzählen. Währenddem dachte Saint-Ismier: 'Allem Anschein nach hat diese Demoiselle Alix großen Einfluß auf die Mutter der jungen Dame, die wünscht, daß die Mama alle Einzelheiten dieser Nacht aus dem Munde dieser Alix erfahre.' Aber etwas beunruhigte fortwährend den Chevalier: das schöne Mädchen machte ihrer Alix heimliche Zeichen. 'Wär's möglich, daß diese Frauen mich verrieten? Daß sie, mich hier durch Erzählen festhaltend, nur die Wache erwarten, nach der sie meinetwegen geschickt haben? Komme, was mag -- ich glaube, in meinem Leben habe ich keine schönere und eindrucksvollere Frau gesehen.' Der Verdacht des Chevaliers wuchs, als die junge Dame zu ihm mit einem unerklärlichen Lächeln sagte: "Wollen Sie mit uns in eine ganz nahe Galerie treten, Chevalier?" 'Weiß Gott,' dachte der Chevalier, 'was für eine Gesellschaft uns in der Galerie erwartet! Ich hätte Lust, das Fräulein zu erinnern, was mir bevorsteht, wenn man mich ins Gefängnis abführt.' So klug zu denken bringt nur ein Mann in großer Todesnot fertig; es auszusprechen, konnte er sich nicht entschließen; er fürchtete die Verachtung einer Dame dadurch zu riskieren, die ein so großartiges Wesen zeigte. Alix öffnete die Tür. Der Chevalier bot der schönen Dame den Arm, deren Namen er noch immer nicht wußte. Man schritt über den Vorplatz der kleinen Marmorstiege. Alix drückte auf einen im Zierwerk der Wand verborgenen Knopf und man trat durch die sich öffnende Geheimtür in eine weitläufige Bildergalerie; der Chevalier packte fest seinen Degen. "Hier wollen Sie sich versteckt halten so lange, bis meine Mutter sich über die Vorfälle dieser Nacht unterrichten konnte, die Sie zu uns geführt haben. Es ist angebracht, daß ich Ihnen sage, in welchem Hause Sie sich befinden. Ich bin Marguerite, Prinzessin de Foix. Die Leute des Herrn Rochegude werden es nicht wagen, hier einzudringen." "Es scheint mir ganz unmöglich, gnädiges Fräulein, daß der Chevalier mit Ihnen unter einem Dache wohne. Wird es bekannt, läßt es sich nicht mehr leugnen. Man muß eine Erklärung geben, und jede Erklärung ist tödlich für den Ruf eines jungen Mädchens, besonders wenn dieses Mädchen die reichste Erbin der Provinz ist." "Vor drei Jahren, Chevalier, verlor ich in der Bataille von ** meine beiden Brüder. Seitdem ist meine Mutter plötzlichen und sehr beunruhigenden Anfällen unterworfen. Wie heute nacht wieder. Ich weilte bei ihr, währenddem Sie in mein Zimmer dringen konnten auf so sonderbare Weise. Diese Galerie enthält nur mäßig merkwürdige Bilder. Ich bitte Sie, sehen Sie sich einige davon an." Der Chevalier blickte die Prinzessin an. 'Sie ist verrückt,' dachte er, 'wie schade.' Und er ging mit ihr ganz unter dem Eindruck dieser Meinung einige Schritte vor ein Bild. "Hier sehen Sie einen jungen Krieger in einer heute nicht mehr üblichen Rüstung. Immerhin schätzt man das Bild des Malers." Der Chevalier stand versteinert vor Erstaunen: er erkannte in dem Bilde sein eigenes Porträt. Er blickte auf die Prinzessin, deren vornehm ernstes Wesen unverändert blieb, nichts verriet. "Mir kommt vor," sagte er nach einer Weile, "als sähe ich in dem Bilde eine zufällige Ähnlichkeit mit mir." "Ich weiß nicht," sagte die Prinzessin, "aber dies ist das Konterfei des Raymond von Saint-Ismier, Fahnenjunker im Garderegiment. Vor vier Jahren wollte mein armer älterer Bruder, der Herzog von Condal, hier die Bildnisse aller jener Verwandten beisammen haben, deren Familien noch existierten. Du siehst, Alix, wie es wohl nicht unmöglich ist, daß meine Mutter einem unsrer Verwandten Asyl gewährt, dem Chevalier von Saint-Ismier, verfolgt wegen eines unverzeihlichen Verbrechens, eines Duells." Bei diesen Worten lächelte Marguerite zum erstenmal und mit entzückendem Zauber. "Es soll alles geschehen, wie das gnädige Fräulein wünschen. Es geht natürlich nicht, die gnädige Frau Prinzessin, Ihre Mutter, nach der schrecklichen Nacht, die sie gehabt hat, aufzuwecken. Ich bitte das gnädige Fräulein, mir Befehle zu erteilen, aber nicht Ratschläge von mir zu verlangen." "Und ich verdürbe mir das außerdentliche[sic! statt: außerordentliche] Glück, das ich diesem Bildnis eines meiner Ahnen verdanke, wenn ich duldete, daß das, was das gnädige Fräulein einem leider sehr entfernten Verwandten schuldig zu sein glaubte, zu irgendeinem Schritt führte, den Mademoiselle Alix mißbilligt." "Ja, wenn Sie fortwollen," sagte Marguerite mit reizender Anmut, "dann bin ich hinsichtlich des Mittels in großer Verlegenheit. Das Haus hat einen Torwächter, einen alten Soldaten, der den pompösen Titel Gouverneur führt. Jeden Abend muß unser Gouverneur die äußeren Tore sperren und die Schlüssel verwahren. Die kleine Gartentür, durch die Sie gekommen sind, ist jetzt zu. Heut nacht um zwölf sah ich, wie unser Pförtner alle Schlüssel meiner Mutter brachte. Sie liegen auf einem kleinen Tisch neben ihrem Kamin. Alix, willst du von dem Tisch den Schlüssel holen, damit wir den Chevalier hinauslassen können?" "Bei Madame der Prinzessin wachen vier, fünf Frauen," sagte Alix, "und den Schlüssel zu holen, wäre das Unklügste, was wir tun könnten." "Dann gib doch ein andres Mittel an, wie wir den Chevalier von Saint-Ismier, unsern Vetter, aus dem Hause bringen." Man besprach manches, ohne Erfolg. Da machte Alix, von den Einwendungen ihrer Herrin in die Enge getrieben, zum Schlusse eine Unklugheit. "Sie wissen, gnädiges Fräulein, daß das Appartement des Herzogs von Condal unberührt und unbetreten ist. Bei einem Bette liegt, wie ich weiß, eine seidene Strickleiter, die vierzig Fuß lang sein muß. Sie ist leicht, und ein Mann kann sie unter dem Arm tragen. Auf dieser Leiter steigt der Herr in den Garten. Ist er einmal da und entdeckte man ihn auch im Garten, so ist die Sache schon weit weniger kompromittierend für Sie. Es gibt doch so viele Frauen im Hause! Am Ende des Gartens, gegen die kleine Kirche vom fleischgewordenen Worte zu, ist eine Stelle, wo die Mauer nicht höher ist als acht Fuß; im Garten gibt's allerlei Leitern. Der Herr kann leicht die Mauer hinaufkommen und auf der andern Seite dient ihm ein Stück der Strickleiter." Als die weise Alix mit ihrem Fluchtplan soweit war, lachte die Prinzessin hellauf. AUS ITALIENISCHEN CHRONIKEN ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI Ich kann mir denken, daß meine Zeitgenossen aus dem Jahre 1833 von den naiven und lebhaften Geschichten, die man hier in der Sprechweise einer Gevatterin wiedergegeben findet, wenig erbaut sein dürften. Mir liefert die Erzählung all dieser Prozesse und Hinrichtungen wahrhafte Daten über das menschliche Herz, über die man des Nachts im Postwagen gern nachdenkt. Es wäre mir viel lieber gewesen, ich hätte Geschichten von Liebeshändeln, Heiraten, klugen Erbschleichereien gefunden. Aber in solche Geschichten hätte, auch wenn ich deren gefunden hätte, die Eisenhand der Gerechtigkeit nicht hineingegriffen, und sie würden mir auch, fände ich welche, wenig vertrauenswürdig vorkommen. Immerhin sind gefällige Leute in diesem Augenblick bemüht, für mich derlei auszuforschen. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hat die Eitelkeit, le desir de parestre, wie der Baron de Foeneste, sagt, in Frankreich einen dichten Schleier über das Tun der Menschen geworfen und insonders über die Motive des Tuns. In Italien ist die Eitelkeit von ganz andrer Art, dessen ich den Leser mit meinem Ehrenwort versichern kann; sie hat hier eine bedeutend geringere Wirkung. Man denkt im allgemeinen an den Nachbar nur, wenn man ihn haßt oder ihm nicht traut; Ausnahmen davon gibt es höchstens bei den drei oder vier großen Festen im Jahr; dann erzwingt sich jeder, der ein Fest gibt, sozusagen mathematisch des Nachbarn billigende Zustimmung. Es gibt da keine flüchtigen Nuancen, die man in jeder Viertelstunde des Lebens mit tödlicher Unruhe im Fluge sich erhascht und merkt. Man sieht hier keines jener unruhigen und magern Gesichter, durch welche alle Ängste einer stets leidenden Eitelkeit blicken, keines dieser Gesichter à la Vixault, Deputierter des Herault im Jahr 1833. Diese italische Eitelkeit ist so sehr verschieden und so sehr viel schwächer als unsere französische, und dies hat mich darauf geführt, die nachfolgenden Klatschgeschichten abschreiben zu lassen. Meine Vorliebe für diese Geschichten dürfte jeden meiner französischen Zeitgenossen spaßig und gesucht vorkommen, die gewohnt sind, ihr literarisches Vergnügen und das Abbild des menschlichen Herzens in Werken wie denen der Herrn Villmain und Delavigne zu suchen. Dessen bin ich sicher, daß das heutige England, Deutschland und Frankreich viel zu zerfressen sind von Affektiertheit und aller Art Eitelkeit, als daß sie imstande wären, ein so scharfes Licht in die Tiefen des menschlichen Herzens zu werfen, wie es diese alten italienischen Berichte tun. Ich muß gestehen, daß ich sehr wenig neugierig bin auf die Denk- und Lebensgewohnheiten der Bewohner von Ceylon oder von Neu-Holland. Diese Völker sind allzuverschieden von den Menschen, die meine Freunde und Nebenbuhler waren. Sie bringen mich zum Gähnen wie die Achille, und Agamemnone und die Helden Racines: ich kenne diese Herrschaften nicht. Aber ich schmeichle mir, die Franzosen und die Italiener meiner Zeit zu kennen; ich liebe das, was das Herz des Menschen darstellt, aber des Menschen, den ich kenne. Rom, Palazzo Cavalieri 24. April 1833. Man wird in dem Folgenden keine komponierten Landschaften finden, sondern wahrhafte Naturansichten. Die Wahrheit muß hier für alle sonstigen Vorzüge stehen; aber wir leben in einer Zeit, der die Wahrheit nicht genügt und die sie nicht genug pikant findet. Die sich in dieser Verfassung Geistes befinden, denen rate ich, jede Woche nur eine der folgenden Geschichten zu lesen, deren Sprache ich liebe; es ist die des Volkes, voller Pleonasmen und alle schrecklichen Dinge bei ihrem schrecklichen Namen nennend. Aber gerade dadurch schildert der Erzähler unbewußt sein Jahrhundert und dessen gemeinübliche Denkweise. Die mehreren dieser Geschichten sind wenige Tage nach dem Tode der armen Teufel niedergeschrieben worden, von denen sie Bericht geben. Meine Korrekturen versuchten, die Sprache etwas weniger dunkel zu machen, damit ich nicht schon beim dritten Lesen die Geduld verliere. Es ist ja überhaupt die Dunkelheit ein großer Fehler des Italienischen oder vielmehr der acht oder zehn italienischen Sprachen, von denen keine ihre Rivalinnen besiegt hat, so wie die Sprache von Paris die Montaignes getötet hat. So sagt man in Rom: vi vedrò domani al giorno, was in Florenz kein Mensch verstünde. Ich persönlich läse lieber eine Geschichte in englischer als in italienischer Sprache, sie wäre mir deutlicher. Nur ein Volk, in dem die Stärke des unmittelbaren Eindruckes, wie in Neapel, und die Stärke der vom Geiste ohne Pause geförderten Leidenschaft, wie in Rom, so bedeutend war, vermochte es, in solch hohem Maße Affektiertheit und Eitelkeit zu unterdrücken oder auszuschalten. Ich bin nicht sicher, ob man außerhalb Italiens -- und Spaniens vor der Unnatur des 19. Jahrhunderts -- eine Epoche fände, kultivierter und interessanter als die der Riccaras, von denen Franklin berichtet, und doch wieder so sehr ohne Eitelkeit, daß das menschliche Herz fast bloß liegt. In diesem Jahre 1833 kann ich feststellen, daß man in Frankreich und besonders in England Totschlag vorwiegend des Geldes wegen begeht. Aber von den beiden armen Teufeln, die vorgestern hier hingerichtet wurden, hat der dreiundzwanzigjährige Vivaldi seine Frau umgebracht, weil er eine andere liebte, und der zweite, siebenundzwanzigjährig, hatte aus politischen Gründen einen Arzt erschossen, der wahrscheinlich ein Vaterlandsverräter war. Von Geldinteressen keine Spur. Rom, 15. Mai 1833. DER KARDINAL ALDOBRANDINI I. Paolo Santacroce, ein römischer Edelmann aus Fano, war wiederholt mit Bitten in seine Mutter gedrungen, sie solle ihn zum gesetzlichen Erben ihres Vermögens einsetzen. Da sie sich dessen weigerte, beschloß er, sie ums Leben zu bringen. In solcher Absicht schrieb er an seinen älteren Bruder Onofrio Marchese von Oriolo, der damals von Rom abwesend war, ihre Mutter beflecke durch ihre Ausschweifungen die Ehre ihres edlen Hauses und daß sie derzeit schwanger sei. In Wahrheit war die arme Frau wassersüchtig, wie sich nach ihrem Tode herausstellte. Onofrio schrieb seinem Bruder zur Antwort, er solle tun, was ein Edelmann seiner Ehre schuldig sei. Daraufhin erdolchte Paolo seine Mutter und floh nach Neapel, wo er bald darauf den Tod fand. Diesem Verbrechen Pardon zu geben schien der Papst gar nicht geneigt, zumal kurz vorher der Brudermord des Marc Anton Massimi sich ereignet hatte und der Prozeß der Cenci wegen Vatermordes im Gange war. Papst Clemens VII. befahl strenge Untersuchung, zumal der Hauptschuldige fehlte; man fand die beiden Briefe der Brüder und alsbald wurde Onofrio verhaftet, gerade als er auf dem Grundstück der Orsini dem Ballspiel oblag. Als des Papstes Neffe, der Kardinal Aldobrandini, von dieser Verhaftung hörte, gab er dem Monsignore Taverna, Gouverneur von Rom, den Auftrag, sich persönlich des Prozesses anzunehmen und versprach ihm durch Verwendung bei seinem Onkel den Kardinalshut, wenn es ihm gelänge, gegen Onofrio ein Todesurteil zu erreichen. Es tut aber selber Hut mehr Wirkung auf die römischen Prälaten als die Farbe des Goldes auf die Augen der Banditen. Der Monsignore Taverna tat getreu, wie ihm aufgetragen. Solange das Verhör dauerte, wollte der Kardinal Aldobrandini ihm anwohnen, und war ihm da kein Tag zu heiß und keine Mittagsstunde; also sah man ihn oft mitten im Juli sein Haus gegen die siebzehnte Stunde verlassen und sich nach dem Kerker von Tordi Nona begeben, woselbst er sieben und acht Stunden hintereinander blieb, um dem Verhör beizuwohnen. Selbes drehte sich immer um jene Briefstelle, in der Onofrio schrieb, sein Bruder möge tun, was die Ehre einem Edelmanne gebiete, und immer wieder wollte der Gouverneur wissen, was er mit diesen Worten gemeint habe. Verwirrt im Geiste durch das lange Verhör gab endlich Onofrio zu, daß er damit den Tod der Mutter gemeint und verlangt habe, auf daß der Flecken abgewaschen würde, mit dem die vermeinte Schwangerschaft des unglücklichen Weibes die Ehre seines berühmten Hauses befleckt habe. Dieses Geständnis kostete ihm das Leben; er wurde zum Tode verurteilt und enthauptet. Man sah eine große Dummheit darin, daß er dieses Geständnis gemacht hatte; denn hätte er erklärt, jene Stelle in dem Briefe bedeutete, daß der Eintritt jener unwürdigen Frau ins Kloster die Schmach abwasche, so hätte er damit nicht nur sein Leben gerettet, sondern Lob geerntet, zumal es nach den Gesetzen ritterlicher Ehre nicht zu den Pflichten des Sohnes gehört, Fehltritte der Mutter zu rächen, sondern nur solche der Gattin oder der unverheirateten Schwester. Unter den Kardinälen, welche der Papst im Jahre 1604 ernannte, befand sich auch Monsignore Taverna. Er hätte seine Barretta im Blute des Onofrio Santacroce rot gefärbt, sagte man damals in Rom. Es soll aber das Verlangen des Kardinals Aldobrandini nach der Verurteilung des Santacroce seinen Grund in der Nebenbuhlerschaft bei einer Dame gehabt haben, die er leidenschaftlich liebte und welche des Onofrio Geliebte gewesen sein soll. Von Aldobrandini hatte sie einen kostbaren Diamantring zum Geschenk erhalten, den die Dame wieder dem Onofrio schenkte, der mit dieser Gunst seiner Geliebten prahlte. Als er eines Tags den Kardinal begrüßte, legte er die Hand auf den Schlag der Sänfte, so daß der Diamant jenem in die Augen funkelte. Man erzählt auch, daß Onofrio eines Nachts den Kardinal mit Faustschlägen angriff, als dieser gerade am Hause seiner Geliebten vorbeiging; und am andern Morgen sei er im Vorzimmer des Kardinals erschienen, um ihm seine Aufwartung zu machen, und tat so, als ob er ihn nicht erkannt hätte. Daher die Wut und Rache des Kardinals. II. Unter dem Papste Clemens VII. war dessen Neffe, eben der genannte Kardinal Aldobrandini, mit der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit des Kirchenstaates betraut. Der Papst hielt streng darauf, daß unter seinem Pontifikat die Gesetze gerecht und genau befolgt würden, weshalb er auch seinen eignen Neffen mit diesem Vertrauensposten bekleidet hatte. Und es wurden auch in der Tat viele Schuldige bestraft, aber andere Verbrechen wieder blieben ungesühnt; so die Ermordung des römischen Ritters Girolamo Longobardi. Dieses Longobardi Haupt fand man am Morgen des Karsamstag auf dem Petersplatz auf eine Lanze gespießt und daran einen Zettel mit dieser Aufschrift: "Du hast allzu tyrannisch regiert und was du andern antun wolltest, das hat man dir angetan." Man kannte nicht die Motive, welche den Kardinal Aldobrandini zum Todfeind dieses kaum zwanzigjährigen Longobardi machten, der von allen, die ihn kannten, so geliebt wurde wie gehaßt jener Kardinal, dem der Papst, da er ihn mit dem Purpur bekleidete, sagte: "Trachte, deine neue Würde nicht zu entehren, denn es wird dir, tust du Böses, nichts nützen, daß du mein Neffe bist." Longobardi hatte zur Geliebten eine junge Sängerin von großem Talente und von außerordentlicher Schönheit, namens Anna Felice Brocchi. Der Kardinal-Nepot hatte durch das Gerede bei Hofe und in der Stadt Talent und Schönheit der Sängerin rühmen hören. Eines Tages, als er an ihrem Hause vorbeiging, erblickte er sie am Fenster liegen und entbrannte allsogleich in heftiger Liebe zu ihr. Und suchte nach einem Mittel, ihr dies zu sagen. Da er sich aber von seinem Onkel überwacht wußte, mußte er hiebei mit äußerster Vorsicht zu Werk gehen. Er erfuhr, daß diese Brocchi dem Longobardi gehöre, den er haßte. Die Sängerin hatte die Leidenschaft des Kardinals wohl bemerkt und fühlte seine Liebe, da er jeden Mittag an ihrem Hause vorbeiging, gerade zu der Zeit, wo sie zur Messe in Santa Maria della Pace zu gehen pflegte und wohin ihr der Kardinal folgte. Hier sah sie der Kardinal unausgesetzt zärtlich an und versuchte es, ihr durch bestimmte Zeichen seine Liebe bekannt zu geben. Dieses Spiel währte eineinhalb Jahr, ohne daß Aldobrandini anders als durch Zeichen mit Anna Brocchi sprechen konnte. Solches erzählte sie nun eines Tages alles dem Longobardi. Worauf dieser sagte, daß es wegen der Feindschaft zwischen ihm und dem Kardinal sehr übel ausgehen könnte; er empfahl ihr größte Zurückhaltung und den lügnerischen Versprechungen des Kardinals nicht zu glauben, vor allem aber, ihn nie bei sich zu empfangen. Auch nicht zu grüßen oder sonst zu beachten. Longobardi, erregt von der Mitteilung und den Versprechungen Annas wenig trauend, ließ seine Geliebte durch Spione beobachten und ihr Haus bewachen, wovon allem Anna nichts merkte, da es mit großer Heimlichkeit geschah. Und bald erfuhr der junge Edelmann durch seine Leute, daß die Liebe zwischen jenen beiden nicht nur nicht aufhörte, sondern täglich fester wurde. Um sich selber davon zu überzeugen, begab er sich am Sankt Matthäustage zur gleichen Zeit wie Anna Brocchi in die Kirche della Pace, wo er sich in einer Seitenkapelle verbarg, von der aus er alles genau sehen konnte, was sich zwischen der Sängerin und dem Kardinal begab. Und es blieben ihm keine Zweifel mehr, als die Brocchi, gefolgt vom Kardinal, die Kirche verließ und dieser sie lachend grüßte, was ihm die Sängerin mit einem Blick zurückgab, der deutlich genug war. Der arme Longobardi lief wütend zu der Sängerin und machte ihr Vorwürfe wegen ihres von ihm doch verbotenen Kirchenbesuches und daß sie den Kardinal gegrüßt habe. Die Brocchi gab den Kirchenbesuch zu, leugnete aber, den Kardinal Aldobrandini da gesehen zu haben. Und fuhr trotz seiner Bitten fort, dieses zu behaupten, daß sie jenen weder gesehen noch gegrüßt habe. Da riß der Ritter Longobardi seinen Dolch heraus und bedrohte sie mit dem Tode, wenn sie nicht die Wahrheit sage. Da gestand die erschrockene Sängerin, den Kardinal gesehen und gegrüßt zu haben, aber dies nur in höflicher Antwort auf seinen Gruß und auf ganz übliche Weise. Sie habe anfangs dies nur geleugnet, weil sie so geringfügiger Ursache wegen keinen Streit zwischen den beiden Männern entfachen wollte. Diese Antwort beruhigte etwas den jungen Edelmann, und er bat sie aufs neue, die Kirche della Pace nicht zu besuchen und den Kardinal nicht zu grüßen oder gar zu sprechen, denn anders würde es sie das Leben kosten, dessen könne er sie versichern. Und die Sängerin versprach, wenn auch sehr gegen ihren Willen, alles zu tun, wie er wünsche. Aldobrandini vermißte zu wiederholten Malen die Sängerin in der Kirche und konnte sich den Grund ihrer unbegreiflichen Abwesenheit nicht erklären; er beschloß aber, auf das Geheimnis zu kommen; doch löste es sich ihm auf eine nicht erwartete Weise. Er erhielt von Anna Brocchi einen Brief, in dem sie ihm mitteilte, daß sie sich unter seinen Schutz stelle; er möge sie von Longobardi befreien, der sie mit grausamer Härte behandle. Der Kardinal war entrüstet über das, was er die Frechheit des Ritters nannte und ließ Anna sagen, daß er ihr ergeben sei und sich um nichts andres kümmere, als ihr zu dienen. Sofort suchte er nach einem Mittel, sich seines Rivalen zu entledigen. Alsbald fand man an jenem Ostersamstag das Haupt des Longobardi auf eine Lanze gespießt auf dem Petersplatze. Der Verdacht richtete sich alsobald auf Aldobrandini, von dessen Besuch bei der Sängerin am selben Abende des Mordes man erfuhr. Und alle Welt wunderte sich über die geringe Tätigkeit, welche die Justiz in dieser Mordsache entfaltete, und über das Schweigen des Papstes in dieser Sache. Den Kardinal sah man nun zu jederzeit in das Haus der Sängerin gehen, derart, daß es ein großes Ärgernis gab. Umgeben von Kreaturen des Kardinals, konnte der Papst nichts wissen. Man pries ihm die Sittenstrenge seines Neffen, an die zu glauben ihn wohl auch seine verwandtschaftlichen Gefühle bewogen. Aldobrandini hätte sich auch fernerhin alles Vertrauen des Papstes, seines Onkels, erfreuen können, hätte diesen nicht ein Zufall mit dem Leben des allzuverliebten Kardinals bekannt gemacht. Im Verlaufe eines Gespräches mit dem spanischen Gesandten beleidigte der Kardinal diesen auf das schwerste. Der Gesandte, ein Edelmann von feinstem Geiste, wollte die guten Beziehungen zwischen seinem Hofe und dem päpstlichen Stuhle von diesem Zwischenfall nicht trüben lassen und tat, als ob er die Beleidigung nicht merkte, bereitete aber im Geheimen seine Rache. Nun erfuhr er durch seine Leute von der Beziehung Aldobrandinis zur Sängerin Brocchi, der schamlosen Straflosigkeit des Kardinals und daß der Papst von den Schandtaten seines Neffen nichts wisse. Dieser pflegte die Sängerin unter den größten Vorsichtsmaßregeln gegen vier Uhr des Nachts zu verlassen; Diener und Wagen erwarteten ihn ein paar Schritte vom Hause entfernt um eine Straßenecke, wohin er sich immer zu Fuß begab. Der Gesandte schickte nun einen seiner Lakaien zu Anna Brocchi und ließ sie bitten, ob er an einem bestimmten Abend zu ihr kommen könne, sie singen zu hören. Er ließ ihr auch sagen, daß sie zu niemandem von dieser Einladung sprechen möge, damit daraus kein Gerede entstehe. Die Sängerin war sehr geschmeichelt, von einer so hohen Persönlichkeit bemerkt worden zu sein, und gab ihre Zustimmung bereitwilligst. An dem beschlossenen Abend schickte der Gesandte einige vertraute Diener voraus, die sich im Treppenhaus versteckt halten sollten. Alle waren mit großen Fackeln versehen, geschickt in besonders dazu gefertigten Gehäusen verborgen. Als nun Aldobrandini heimlich und leise seine Schöne verließ, hielten ihm die Kerle des Gesandten ihre leuchtenden Fackeln ins Gesicht, als Ehrengeleite, wie sie sagten. Der Kardinal, dem diese starke Beleuchtung gar nicht paßte, wollte die Leute wegschicken, aber sie blieben durchaus und geleiteten den Kardinal, der, so gut er konnte, mit seinem Mantel sein Gesicht verhüllte, bis an seinen Wagen. Die Geschichte wurde bald bekannt und kam endlich auch zu den Ohren des Papstes, der alles zu wissen begehrte. In großem Zorne entzog er seinem Neffen sein Vertrauen, entkleidete ihn seiner Ämter und Titel und verbot ihm, jemals mehr vor seinen Augen zu erscheinen, falls er nicht auch des Purpurs verlustig gehen wolle; denn es blieb dem Papste kein Zweifel mehr, daß Aldobrandini auch an der Ermordung jenes Longobardi schuldig war. VERBRECHEN UND TOD DES GIROLAMO BIANCINFIORE EINES FLORENTINISCHEN EDELMANNES Zur Zeit, als sich der fünfte Karl bemühte, das Haus Medici in Florenz auf den Thron zu bringen, gab es unter den edlen Familien dieser Stadt auch eine, die ganz besonders dem Unglücke geweiht zu sein schien, das Geschlecht der Biancinfiore. So starben im Jahre 1520 Madonna Constanza Biancinfiore und ihre Kinder plötzlich an Gift, ohne daß man dem Urheber dieses Verbrechens auf die Spur kam. Nur eines der Kinder kam mit dem Leben davon; es war dies Signor Girolamo Biancinfiore, der fortan in Neapel lebte. Man war allgemein des Glaubens, daß er selber seine Familie umgebracht habe, um deren einziger Vertreter zu sein; darum begab er sich, um sein Leben bangend, alsofort nach Rom, als er erfuhr, daß sein Landsmann, der Papst Leo X. aus dem Hause Medici den päpstlichen Thron bestiegen hatte. Er warf sich dem Papst zu Füßen, der ihn gnädig aufnahm. Dieser Girolamo war von hoher Intelligenz und einer über alle Probe erhabenen Tapferkeit. Unglücklicherweise hatte ihm diese Tapferkeit zu nichts anderem gedient als dazu, ein leidenschaftlicher Zweikämpfer zu werden; denn mit dem Degen verstand er vortrefflich umzugehen. In Neapel hatte er im Zweikampf mehr als sechsunddreißig Gegner getötet, und zumeist aus ganz nichtigen Gründen, was ihn ebenso gefürchtet machte wie den Verdacht bestärkte, den man hinsichtlich des Todes seiner Familie auf ihn geworfen hatte. Girolamo ließ sich in Rom nieder, mietete hier ein Haus und lebte in einem Aufwand, der bald alle seine Einkünfte verschlungen hatte. Er verkehrte mit einer Anzahl junger Adeliger, die ihn nicht wegen seiner persönlichen Tugenden schätzten als wegen der Länge und Lebhaftigkeit seines Schwertes, weshalb sie sich auch hüteten, mit ihm in Streit zu kommen. Aber Girolamo, der sich von denen, die er seine Freunde nannte, so geschätzt sah oder vielmehr glaubte, brannte darauf, eine Probe seines Wertes und seiner Geschicklichkeit abzugeben, rühmte er sich doch immer, nie noch einen Gegner verfehlt zu haben. Und da bot sich ihm auch schon so sehr verlangte Gelegenheit. Am Ostersonntag beleidigte er ohne jeden Grund und Anlaß mitten in der Kirche von Santa Maria in Trefontana einen neapolitanischen Edelmann, den Grafen von Alincastro, den er von früher her kannte, und der in der Kirche seine Andacht verrichten wollte. Der Graf, der ein frommer Mann war, sagte leise zu Biancinfiore: "Signor Girolamo, es ist dies weder der Ort noch die Stunde, Händel auszutragen, aber zu anderer Zeit und an anderm Orte mögt Ihr mich immer finden." Darauf verließ Girolamo wütend die Kirche und wartete draußen auf den Grafen. Als er ihn aus dem Kirchentor treten sah, ging er auf ihn zu und forderte ihn mit Beschimpfungen zum Zweikampf. Und nannte ihn einen Feigling, wenn er die Herausforderung nicht annehme. Da solches vor vielem Volke sich zutrug, blieb dem Grafen, der Ehre und Ruf bedroht sah, nichts andres, als den Zweikampf anzunehmen. Er holte bei einem Freunde, wo er ihn gelassen hatte, seinen Degen und focht mit Biancinfiore; eine große Menge sah zu. Der Graf bekam einen Stich in die Brust, und verschied eine halbe Stunde danach. Die Familie des Grafen erhob beim Papste Klage gegen Biancinfiore, von dessen ruchlosen Taten in Neapel der Papst bei dieser Gelegenheit erfuhr. Er ließ ihn in die Engelsburg werfen. Aber ein paar einflußreiche Freunde Girolamos verwandten sich für ihn und es gelang ihnen, die Sippe des Erschlagenen versöhnlich zu stimmen. Darauf begnadigte ihn auch der Papst, doch unter der Bedingung, daß er in Rom nie mehr Waffen tragen dürfe, unter Strafe des Todes. Dieses päpstliche Verbot machte des Girolamo Bekannte weniger ängstlich vor ihm, denn jeder war der Meinung, er würde jenes Gebot achten. Aber es waren noch nicht zwei Monate nach seiner Haftentlassung vergangen, als er sich durch ein zweideutiges Wort eines venetianischen Edelmanns beleidigt glaubte und diesen, wie er es gewohnt war, mit Beschimpfungen zum Zweikampf forderte. Darauf begab er sich nach Hause, seinen Degen zu holen, und fand sich an dem Orte ein, wo ihn der Venetianer erwartete. Dieser war ein gewandter Fechter, hatte aber das Mißgeschick, über einen Stein zu stolpern und hinzufallen. Alsogleich stürzte Biancinfiore über ihn her und versetzte ihm so viele Stiche, daß dem Unglücklichen kaum Zeit zur Beichte mehr blieb, als er seinen Geist aufgab. Biancinfiore flüchtete vor dem Zorn des Papstes in eine Kirche, wo er sich zwei Monate lang verborgen hielt. Während dieser Zeit legten sich neuerlich einige seiner Freunde beim Papste ins Mittel, und dieser verzieh ihm zum zweiten Male; Girolamo hatte eine hohe Geldbuße zu zahlen und nachher den Kirchenstaat zu verlassen. Nun war aber Biancinfiore schon aus Neapel, Florenz und andern Orten verwiesen und wußte nicht mehr, wohin er sich begeben sollte; also ließ er dem Papste die Beteuerung seiner Reue und seines Gehorsams zukommen und daß er ihn nur immer schwer strafen möge, wenn er inkünftig sein Gebot übertrete. Der Papst begnadigte, gerührt von diesen inständigen Bitten, Girolamo zum andern Male, und hinfort lebte dieser sehr zurückgezogen, um jeden neuen Anlaß zu Vergehungen zu vermeiden. Nun geschah es aber, daß er viel im Hause der Gräfin Oddi zu verkehren begann und sich heftig in die Gräfin verliebte, die auch ihrerseits bald eine solche starke Zuneigung zu ihm empfand, daß sie ihm nicht nur ihren Wagen überließ, sondern ihm alles gab, wessen er bedurfte, ja ihn in einem Trakte ihres Hauses wohnen ließ. Daraus entstand, daß sich Girolamo bald wie ein Eheherr fühlte, denn er verbot, eifersüchtigen Wesens, der Gräfin, die ein großes Haus führte, jede Geselligkeit, insonders den Empfang von Herren in ihrem Hause. Aber die Gräfin kümmerte sich um solches nicht und begann den Biancinfiore lästig zu finden; sie sagte ihm, daß er sie mit seiner Eifersucht langweile. Solche Worte kränkten den Eifersüchtigen um so mehr, als er die Gäste, die er täglich mit bösen Blicken sah, nicht mehr vor seine Klinge fordern konnte. Er konnte es nicht hindern, daß die Gräfin Herren und Damen zu einem Gastmahl lud, worunter besonders ein paar junge Edelleute seinen Haß hervorgerufen hatten; da nahm er seine Zuflucht zu Gift, wohl in der Hoffnung, daß auch dieser Giftmord wie der an seiner Familie verborgen bleiben oder daß ihm dabei das Glück so günstig sein würde wie bei seinen beiden Zweikämpfen. Einen ihm sehr ergebenen Diener der Gräfin machte er zu seinem Vertrauten, indem er ihn mit Geld bestach. Die Gäste waren bereits versammelt, als er diesen Diener in sein Gemach rief und ihm sagte: "Streu dieses Pulver hier unvermerkt auf das letzte Gericht, das du aufträgst, und gib mir dann ein Zeichen. Du bekommst als Lohn mehr als du dir träumst." Hierauf setzte er sich zu den fröhlich Tafelnden und aß mehr wie sonst; als der Diener aber das Zeichen machte, da hörte er zu essen auf. Alle nun, die von der vergifteten Speise gegessen hatten, wanden sich bald in großen Schmerzen, und auch Biancinfiore rannte als wie besessen von Schmerzen durch das Zimmer. Die Mühe der herbeigerufenen Ärzte war vergeblich. Die Gräfin, ihre kleine Tochter und drei Edelleute verstarben. Nur bei Biancinfiore, der sich zu Bett begeben hatte, wirkten die Mittel der Ärzte, die dieses mit Staunen sahen, aber schließlich froh waren, wenigstens einen von sechsen gerettet zu haben. Kaum sah sich Biancinfiore allein, so rief er nach seinem Diener. Er bedrohte ihn mit dem Tode, falls er vor Gericht das Geringste verriete, und gab ihm Geld. Die päpstliche Justizbehörde ordnete Nachforschungen an über dieses auffallende plötzliche Sterben, und als die Gerichtsärzte an den ausgegrabenen Leichen Gift feststellten, wurde die ganze Dienerschaft der Gräfin verhaftet und verhört. Trotz der Folter, unter die man einen Diener stellte, der widerspruchsvoll ausgesagt hatte, kam kein Licht in die Sache, und man mußte alle wieder entlassen, darunter auch jenen Diener. Aber es faßte diesen plötzlich die Furcht. Er flüchtete in eine Kirche und erklärte, er wolle ein Geständnis ablegen, wenn man ihm Straflosigkeit zusichere. Solches geschah, und vor den Gouverneur von Rom geführt, enthüllte er die Untat, zu der er, wie er sagte, durch die Drohungen Biancinfiores gezwungen worden wäre. Dieser wurde verhaftet und in den Kerker von Corte Savella gebracht. Der Papst, der sich selber große Schuld zumaß, ordnete eine strenge Untersuchung an. Anfangs leugnete Biancinfiore alles, auch als man ihn mit dem Diener zusammenbrachte. Aber beim Anblick der Folterwerkzeuge gestand er nicht nur das letzte Verbrechen, sondern auch den Giftmord an seiner Familie. Das Gericht verurteilte ihn zum Feuertode und vorherigem Zwicken mit glühenden Zangen, aber der Papst verwandelte diese Strafe in Ansehung seines adeligen Hauses in einfache Hinrichtung im Kerker. Noch am selben Abende empfing Biancinfiore das Todesurteil. Er erhob ein großes Wehklagen, aber seine Beichtiger beruhigten ihn und tiefe Reue kam über ihn, Gott so sehr beleidigt zu haben. Er bat um Verzeihung für alle seine Missetaten und dankte ihm für seinen bußfertigen Tod. Vor seiner Hinrichtung erbat er sich noch die Gnade des päpstlichen Segens, der ihm auch von einem Prälaten des päpstlichen Hauses überbracht wurde. Dann legte er das Haupt auf den Richtblock. Also endete der letzte aus dem Hause der Biancinfiore. DER HERZOG VON SAVELLI Des Herzogs von Savelli einziger Sohn war, wie der Kardinal Gaetani in einem Briefe schreibt, ein junger Mann von lebhaftem Geiste, großem Mute und untadeligen Sitten, was alles ihn sehr beliebt am römischen Hofe machte. Er wollte kaiserliche Dienste nehmen, aber der Vater war damit nicht einverstanden, dessen Trost im Alter, Stolz und einzige Hoffnung seines Hauses er war; zudem plante er seine Verheiratung mit der Tochter eines der ersten neapolitanischen Geschlechter, des des Marchese de Vastro, deren Mitgift 800 000 Skudi betrug. Die Braut zählte aber erst zehn Jahre, weshalb die Eheschließung auf den Tag verschoben wurde, der ihr dreizehnter Geburtstag war. Inzwischen lebte der junge Herzog auf seinem Landgute Ariccia, wo er sich in ein junges Mädchen von großer Schönheit und Tochter ehrbarer Eltern verliebte, die aber bereits einem jungen Manne des Ortes, namens Christofano, versprochen war. Um die Tochter den Nachstellungen des jungen Herzogs zu entziehen, drängten die Eltern mit der Eheschließung. Sie hielten das Mädchen streng im Hause, auf daß sie der Herzog nicht sehe, der ihr aber insgeheim einige Liebesbriefe hatte zukommen lassen. Es fand die Hochzeit statt und der Herzog sandte als Hochzeitsgabe ein reich mit Blumen verziertes Mieder, was die Eifersucht des jungen Gatten in hohem Maße erregte. Aber er war ein Vasall des Herzogs und konnte mit ihm nicht rechten, ja mußte um sein Leben fürchten, falls er sich den Wünschen seines Herrn widersetzte. Aber er wollte lieber sterben, als solches dulden; so schwor er. Und seine Frau war mit ihm ganz einig. Sie übergab auch die Briefe, mit denen sie der Herzog bestürmte, ihrem Gatten, und sie bezogen ein anderes Haus, als der Herzog in ein nah benachbartes Haus zog, von dessen Fenster aus er die junge Frau zu sprechen suchte. Dem Gatten schien nur die Wahl zwischen Unehre und Tod zu bleiben, und er begann seine Heirat zu bereuen. In seiner Verzweiflung beschloß er, den jungen Herzog zu ermorden, um die Ehre seines Ehebettes zu retten. Er veranlaßte seine Frau, auf einen der Briefe des Herzogs zu antworten, und sie schrieb ihm, er möge um Mitternacht verkleidet zu ihr kommen, damit man ihn nicht erkenne; ihr Mann sei in Geschäften nach Rom gefahren. Daß er den Herzog ermorden wollte, davon sagte Christofano seiner Frau kein Wort; er wollte ihm nur einen Streich spielen, sagte er ihr, ohne ihn zu beleidigen, was die junge Frau in ihrer Unschuld auch glaubte. Der Herzog eilte verkleidet zu dem Stelldichein, aber statt in die Arme seiner Geliebten, fiel er in die ihres Gatten, der die Kleider seiner Frau angelegt hatte und den Liebhaber durch eine Magd in ein entlegenes Gemach führen ließ. Hier schoß er, kaum daß er eingetreten war, fünf Kugeln aus seiner Pistole auf ihn ab und durchschnitt ihm mit einem Messer die Kehle, damit er nicht schrie. Mit Hilfe eines Genossen, den er gedungen hatte, schleppte er hierauf den Leichnam bis zum Tor des Schlosses, wo er ihn in seinem Blute liegen ließ. Nach Haus zurückgekehrt, wollte er nun auch seine Frau ermorden, aber diese war in das Haus ihrer Eltern geflüchtet. Christofano floh mit seinem Genossen nach Aleppo in der Türkei, von wo er Nachricht nach Rom sandte. Auf die Kunde von dem Verbrechen sandte der Papst viele seiner Gerichtsbeamten nach Ariccia, die alsbald in Christofanos Haus die große Blutlache fanden. Die Gattin wurde verhaftet und nach Borgo Castello gebracht, wo sie zwei Monate lang verhört wurde. Sie wurde verschiedenen Graden der Folter unterworfen und gab das Folgende zu Protokoll: "Es ist so, daß mich der junge Herzog Savelli, während ich im Elternhause lebte, mehrfach durch Briefe zu einem Stelldichein zu überreden suchte. Meine Mutter aber sagte mir, ich dürfe darauf nicht antworten, denn er sei ein leichtfertiger junger Mann, der seine Leute um nichts ermorden lasse. So sagten auch mein Vater und alle meine Verwandten. Es war das erste, was mir mein Mann Christofano sagte, daß ich den jungen Herzog nicht ansehen solle. Als er eines Tages an das Fenster des Nachbarhauses trat, stürzte mein Mann mit dem offenen Messer auf mich zu, aber sein Bruder, der Priester Don Angelo Maria, fiel ihm in den Arm. Wir zogen in ein andres Haus, das mein Mann gemietet hatte, dasselbe, in dem der junge Herzog ermordet wurde. Der sandte mir aufs neue Briefe, die ich meinem Manne zeigte. Dann gab er ihm Antwort in einem Briefe und lud ihn zu Mitternacht in unser Haus, um ihm, wie er mir sagte, einen Streich zu spielen. Was ich um so mehr glaubte, da er meine eignen Kleider anlegte, auch Halsband und Ringe, die ich trug. So trat er um Mitternacht dem Herzog gegenüber, mit Messer und Pistole. Ich starb vor Schrecken, als ich den ersten Schuß hörte. Ich habe nichts gesehen, denn ich floh aus dem Haus, aus Angst, es könnten mich die Diener des Herzogs umbringen. Ich floh zu meinen Eltern. Meine Mutter sagte mir, ich dürfe von dem allen nichts verraten, und wir gingen zum Podesta." Die junge Frau blieb fest bei ihrer Aussage im Gefühle ihrer Unschuld; sie wurde aber doch zum Tode durch Enthaupten verurteilt, welche Strafe die Familie des alten Herzogs verlangte. Als die Herzogin Margarete von Parma von der Schönheit der Verurteilten hörte, wollte sie sie durchaus sehen, und da sie großen Gefallen an ihr fand, beschloß sie ihre Rettung. Sie verhandelte mit dem Papste. Der aber wollte sie nur begnadigen, wenn der alte Herzog Savelli damit einverstanden wäre. Die Herzogin erreichte es von ihm, daß ihr die Verurteilte als gerichtet überantwortet würde. Darauf nahm sie sie als Hoffräulein in ihre Dienste und erreichte ihre völlige Freisprechung. Umsonst ließ Papst Paul III. den Mörder in allen Teilen des Kirchenstaates suchen, denn der war in Aleppo. Aber die Eltern der Frau mußten lange im Kerker schmachten und wurden dann aus Ariccia und dem Kirchenstaate verwiesen. Das war die einzige Genugtuung für den Herzog, der über den Tod seines Sohnes dem Wahnsinn verfiel. DIE RACHE ARIBERTIS Ariberti, ein Mailänder Edelmann und Besitzer mehrerer Ortschaften, hatte gegen ein Mitglied der Familie Pecchio einen tödlichen Haß gefaßt; er war in seinem Besitztum und später auch in seiner Liebe schwer beleidigt worden. Pecchio führte gegen ihn einen Prozeß, den er gewann. Im Verlaufe dieses durch Jahre sich hinziehenden Prozesses fiel Pecchio des Ariberti schöne Frau auf, und es gelang ihm, sie von seiner Liebe wissen zu lassen und die ihre zu gewinnen. Nach Verlust des Prozesses erging sich Ariberti in Drohungen gegen seinen Gegner. Pecchio erfuhr, daß Aribertis Gattin auf einem der Schlösser ihres Gatten in strengem Gewahrsam gehalten wurde. Sie trug nur nach einem in der Welt Verlangen: aus Aribertis Tyrannei erlöst zu werden. Insgeheim hatte sie genügend Geld für ihren Unterhalt zusammengebracht. Das Schloß, in dem sie eingeschlossen war, lag nah bei Lecco, eine Stunde Wegs von der Adda, die das Venetianische vom Mailändischen trennt; einmal auf venetianischem Gebiet, konnte sie einen andern Namen annehmen und war vor allen Verfolgungen so gut wie sicher. Und ging es nicht anders, so wollte sie in Venedig in ein Kloster gehen, dessen Regeln zu jenen Zeiten nicht sehr streng waren. Während der kurzen Beziehungen zu Pecchio hatte er ihr Geständnis empfangen. Seitdem waren drei Jahre vergangen, und Aribertis Tyrannei war unerträglich geworden; er hatte drei spanische Duennen in Dienst genommen, die seine Frau abwechselnd bewachten; nicht einmal des Nachts war die Unglückliche allein: die wachthabende Duenna schlief bei ihr im Zimmer. Eine Kammerfrau, vormals die Vertraute von Aribertis Gattin in ihrer Liebschaft, war zwar nicht davongejagt, aber zur Gänsemagd degradiert worden, als welche sie an dem Ufer der Adda ihre Herden hütete. Der seltsame und in der Kunst der Rache raffinierte Mann hatte zu der Kammerfrau gesagt: "Ich strafe dich so mehr, als wenn ich dich wegschicke." Und als die Unglückliche den Wunsch aussprach, bei einer andren Herrschaft in Dienst treten zu dürfen, antwortete ihr Ariberti: "Versuch es nur, aber in weniger als vier Wochen bist du tot." Pecchio wußte um alle diese Dinge, die übrigens in Mailand Stadtgespräch waren zu der Zeit, als er sich für die Drohungen rächen wollte, die Ariberti überall gegen ihn ausstieß seit dem Verluste seines Prozesses. Eines Tages ging Pecchio, wie er sagte, auf die Jagd, wozu er sich als Bauer verkleidete; so kam er an die Adda, wo er die Gänseherde seines Feindes aufsuchte. Er vergewisserte sich, daß an diesem Tage jener Kammerfrau allein die Obhut der Gänse anvertraut war und traf sie wie zufällig. "Großer Gott, wie seid Ihr verändert!" rief er ihr zu, "kaum seid Ihr wieder zu erkennen!" Die Kammerfrau brach in Tränen aus und sprach kein Wort. "Wie leid mir Euer Unglück tut," sagte Pecchio, "erzählt mir doch, wie das kam; zuvor aber wollen wir uns hinter jener Hecke verbergen, damit uns nicht einer der Spione bemerkt, die immer um das Schloß streichen." Die Kammerfrau erzählte ihr und ihrer Herrin Unglück. Sprach die Herrin ihre frühere Kammerfrau einmal an oder lächelte sie ihr nur zu, so wurde die Kammerfrau auf acht Tage bei Wasser und Brot eingesperrt. Die Behandlung ihrer Herrin schien weniger hart, war aber noch grausamer. Ariberti sprach mit ihr immer nur in einem spottenden höhnenden Ton. Pecchio schien von diesen endlosen Berichten sehr bewegt. "Ach, Herr, wenn Ihr ein Christ seid, so solltet Ihr diese unglückliche Frau, die Ihr einst so liebtet, retten. Bleibt sie noch ein Jahr in diesem Zustande, so stirbt sie für sicher. Und sie wäre schon glücklich, könnte sie nur eine Meile weit von hier fern sein! Sie hat ein Kästchen voll Goldzechinen und zudem, wie Ihr wißt, viele Diamanten." "Wohlan, ich werde sie retten", sagte Pecchio. Die alte Kammerfrau und jetzt Gänsemagd fiel auf die Knie. "Ich fürchte nur eines," sagte Pecchio, "Euer Geschwätz. Du oder deine Herrin, ihr werdet reden, werdet euch jemandem anvertrauen und werdet mir den Tod bringen." Und als darauf die Kammerfrau sich zu schweigen verschwor, fuhr er fort: "Genau heut in acht Tagen, am nächsten Dienstag, ist Neumond und zudem Jahrmarkt in Lecco. Die Nacht über wird die Straße voller singender Betrunkener sein. In dieser Nacht, wenn's zehn Uhr auf der Kirchenuhr schlägt, werde ich auf der Adda sein, unten am Schloßgarten, dort, wo die Maulbeerbäume und die vielen Nesseln stehen und wo ich mich früher immer einschlich. Ich werde selber vom Comersee mein Boot herrudern; es ist sehr klein; hoffentlich wird man mich nicht bemerken." "Aber wir brauchen mindestens zwei Männer, um die Duennen festzuhalten und ihnen einen Knebel in den Mund zu stecken; denkt daran, daß sie schreien werden und daß man Euch auf der Adda verfolgen wird. Die Schiffleute Aribertis sind lauter junge Leute, die den Preis auf der Regatta gewonnen haben. Und wie soll ich es anstellen, meiner Herrin Nachricht zukommen zu lassen? Ich kann ihr zwar durch ein zwischen uns verabredetes Zeichen zu verstehen geben, daß ich ihr Wichtiges zu sagen habe, aber wie soll ich ihr es sagen? Es geht oft monatelang, ohne daß ich sie sprechen kann." Die Kammerfrau konnte nicht schreiben; alles schien sich zu vereinigen gegen Pecchios Pläne. Schließlich wurde vereinbart, daß Pecchio ein Fläschchen mit Mohnsaft, ein berühmtes Betäubungsmittel, das man damals in Venedig bereitete, in zwei Tagen bringen solle. Berta hatte Angst, es möchte Gift sein; aber Pecchio beruhigte sie, und sie kamen überein, daß Berta den Duennen etwas von dem Safte geben solle. Darauf sollte sie jenen Dienstboten, welche die Duennen nicht leiden konnten, Geld in die Hand geben, auf diese Weise zu ihrer Herrin kommen und endlich, wenn sie Pecchio etwas zu melden hätte, einen einzelwachsenden kleinen Weidenbaum knicken, der mitten auf einer nahen Wiese stand. Pecchio kehrte nach Mailand zurück und früher als gewöhnlich trieb Berta ihre Gänse in den Schloßhof. Sie suchte hier eine Gelegenheit, mit ihrer Herrin zu sprechen, noch vor der Ankunft jener Betäubungsmittel. Der Herr Pecchio war jung und stand im Rufe geringer Beständigkeit. Berta, welche seine Rachepläne nicht kannte, fürchtete, er könnte vergessen, zum Stelldichein an der Adda zu kommen. Alles ging nach Wunsch. Berta schläferte mit dem Mohnsaft die Duennen ein, sprach mit ihrer Herrin, und am Jahrmarktstage in Lecco betranken sich alle Dienstleute Aribertis, wozu die Zechinen dienten, welche Pecchio der Kammerfrau zugesteckt hatte. Ariberti selber war in Mailand auf einem Balle, den die Signora Arezi, eine der vornehmsten Damen des Landes, gab. Zur ausgemachten Stunde fand Pecchio sich mit seinem Boote an jenem einsamen Ufer des Schloßgartens ein. Die Duennen konnten die Flucht ihrer Herrin nicht verhindern. Berta hatte alle Angst, sie zu vergiften, verloren und ihrem Wein eine sehr große Menge von dem Mohnsaft beigemischt. Sie folgte ihrer Herrin auf das kleine Boot. Zu seinem großen Leidwesen sah Pecchio, daß Donna Teresa Ariberti noch große Leidenschaft für ihn hegte oder daß diese neu entflammt war, während sein einziger Gedanke war, sich von ihr zu befreien. Sobald das Boot auf venetianischem Boden war, übergab er die Dame einem Franziskanermönch, den er bestochen hatte und der ihn auf einer kleinen Insel nah dem venetianischen Addaufer erwartete. Der Mönch versprach, Donna Teresa auf Umwegen nach Venedig zu bringen. Aber sie beschwor Pecchio, sie nicht zu verlassen, und da der Edelmann sich taub stellte, ging sie soweit, ihm Vorwürfe zu machen, daß er sie unter dem Versprechen, mit ihr zusammenzuleben, aus ihrem Schlosse entführt habe. Pecchio beeilte sich, auf das mailändische Ufer zu kommen, wo er bereits vorbereitete Relais fand, die ihn um zwei Uhr morgens nach Mailand auf den Ball der Signora Arezi brachten. Einer der ersten, die er hier traf, war Ariberti, der, obwohl jung und schön, nicht tanzte und düster dreinsah, als ahnte er, was sich auf seinem Schlosse zugetragen hatte. Am andren Tage erhielt er die traurige Kundschaft. In großer Eile fuhr er heim und stellte genaue Nachforschungen an, konnte aber nichts entdecken. Die Duennen waren noch halbtot und vermochten keine Antwort zu geben, dank der ungeheuren Menge Mohnsaft, die Berta in ihrem Zorne ihnen beigebracht hatte. Nach einigen Tagen vergeblichen Forschens entdeckte Ariberti beim Durchsuchen des Zimmers der einen Duenna ein merkwürdig geformtes Fläschchen. Die Duenna antwortete auf seine Frage, sie habe das Fläschchen erst vor zwei Tagen gefunden und es wäre ihr, als habe sie es in den Händen von Berta gesehen. Ariberti schlug sie fast tot dafür, daß sie ihm das nicht früher schon gesagt hatte. Voll Verzweiflung, kein Anzeichen gefunden zu haben, kehrte Ariberti nach Mailand zurück, das Fläschchen nicht vergessend. Er selber nahm sich die Mühe, bei allen Apothekern der Stadt damit herumzugehen und sie auszufragen. Bei einem erfuhr er, das Fläschchen stamme aus einer berühmten, von einem entlaufenen griechischen Mönch gehaltenen Apotheke. Ariberti begriff, daß der Apotheker mehr wußte, als er sagte; er bedrohte ihn erst, dann gab er ihm Geld. Da gestand der Apotheker, daß das Fläschchen kein Gift enthalten habe, sondern ein starkes Betäubungsmittel, das man den Kranken in gewissen Fällen gebe, und daß er selber dieses Fläschchen ein paar Tage zuvor an den Signor Pecchio verkauft habe ... DIE BRÜDER MASSIMI Der Marchese Massimi, ein Verwandter der Colonna und andrer altadeliger römischer Geschlechter, war Witwer geworden und nannte fünf Söhne sein eigen. Nun geschah es, daß sich der alte Marchese ganz toll in die Geliebte des Marcantonio Colonna verliebte, einer sehr schönen Dame, die der Colonna aus Neapel mitgebracht hatte. So stark war die Liebe des Marchese zu dieser Dame, daß er sie zu ehelichen beschloß, was durchaus nicht den Absichten seiner vier älteren Söhne entsprach, die diese Heirat mit allen Mitteln zu hintertreiben dachten. Am Abend nach der vollzogenen Hochzeit verlangte die junge Frau, ihre Stiefsöhne zu sehen, die sie noch nicht kannte. Diese ließen aber durch den nach ihnen geschickten Diener sagen, daß sie an diesem Abend das Glück der Jungvermählten nicht stören wollten, aber andren Tages nicht verfehlen würden, ihre Aufwartung zu machen. Am nächsten Morgen begab sich der Marchese wie gewöhnlich nach dem Vatikan, denn er war Cameriere di Spada e Cappa beim Papste. Dieses hatten die Söhne gesehen, drangen alsbald in das Schlafgemach ihrer Stiefmutter, töteten sie mit Pistolenschüssen und ergriffen die Flucht. Der alte Marchese war von dem Anblick, der sich ihm bei seiner Rückkehr bot, zu Tode getroffen. Dann ergriff er ein Kruzifix, verfluchte seine Söhne und rief Gott dafür zum Zeugen, daß er seine vier Söhne enterbe zugunsten seines Jüngsten, der an dem Morde nicht teilgenommen hatte. Bald danach starb der alte Marchese, und die Mörder kehrten dank ihrer hohen Beziehungen und ihrer vornehmen Verwandtschaft nach Rom zurück, ohne Strafe oder Verfolg. Aber der väterliche Fluch erfüllte sich bald. Marcantonio, den zweiten, gelüstete es nach der Würde des erstgebornen Luca und er brachte den Unglücklichen mit Gift beiseite. Er hatte das Gift zuerst an seinem Kutscher ausprobiert. Erst leugnete er seine Tat und wurde freigelassen. Als sich aber neue Verdachtsgründe zeigten, wurde er in den Kerker von Tordinona gebracht, wo er angesichts der Folter sein Verbrechen in allen Einzelheiten gestand. Der Papst verurteilte ihn am 16. Juni 1599 zum Tode, den er, mit Gott versöhnt und mutig, ertrug. Er legte für die Hinrichtung Festkleider an, als ob es zu einem Mahle ginge. Der Scharfrichter wollte ihm seine Halskrause abnehmen, aber er sagte befehlend zu ihm: "Rühr mich nicht an!" Und als er seiner Fesseln wegen selber den Kragen nicht abnehmen konnte, bat er einen seiner Begleiter, solches zu tun. Hierauf legte er selber sein Haupt auf den Richtblock und fragte den Henker, ob es so richtig sei, worauf dieser Ja sagte und ihm das Haupt abschlug. Seine letzten Worte waren: "In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum." Auch die beiden andern Brüder erreichte die strafende Hand Gottes. Der eine, der Malteserritter war, wurde von den Türken getötet. Der andere wurde in einem Liebeshandel aus einem Hinterhalt erschossen. GEORGE PIKNON In den ersten Jahren des Pontifikates des Papstes Clemens VIII. traf ein Irländer namens George Piknon während der Oktave der Auferstehung den Erzpriester von San Celso und San Giuliano in Banchi auf seinem Wege in die Kirche, um den Kranken die Kommunion zu spenden. Beim Anblick des Prälaten packte den Irländer sinnlose Wut; er ohrfeigte ihn so heftig, daß der Erzpriester das Ziborium fallen ließ. Piknon hätte den Leib Christi mit Füßen getreten ohne die Dazwischenkunft der wütenden Menge. Soldaten entrissen ihn dem Volke und er wurde eingesperrt und verhört. Aber auf alle Fragen antwortete er nur, daß er nichts als seine Pflicht getan habe und bedaure, sie nicht voll erfüllt zu haben. Vergeblich versuchten einige Mönche seiner Nationalität, ihn zu bekehren und zum katholischen Glauben zu bringen: es war verlorene Mühe. Indem der Papst hoffte, ihn solcherweise zu besseren Gefühlen zu bringen, befahl er, daß man Piknon im Gefängnis behalte, aber mit Nachsicht und Güte behandle. Aber es war unnütz. Piknon wollte sich auf nichts einlassen. Schließlich kündigte man ihm an, daß er gehenkt würde; er antwortete mit Hohnlachen; man gab ihm darauf noch die weitere Strafe, das Zwicken mit glühenden Zangen auf dem Wege zum Richtplatz. Als am Abend vor der Hinrichtung der Kerkermeister ihm nach Brauch das Urteil verlas, lachte Piknon auf und spie, von plötzlicher Wut gepackt, dem Mann ins Gesicht und versuchte ihm Fußtritte zu geben. Keinem der Geistlichen, die um ihn waren, gelang es, von ihm andres zu erreichen als eine abweisende Geste. Inmitten einer ungeheuren Menge wurde er zu Tode geführt und mit den Zangen gezwickt, was ihn brüllen machte wie ein Stier, und wovon ein solcher schlechter Geruch entstand, daß einer der ihn begleitenden Geistlichen ohnmächtig wurde. Er übergab sich selbst dem Henker. Sein Leichnam wurde verbrannt und seine Asche in alle Winde verstreut. DIE FARNESE Es geben einige Schriftsteller der Familie Farnese einen uralten Adel, aber, ohne damit die großen Talente ihrer vorzüglichsten Glieder zu leugnen, muß gesagt werden, daß wahrhafter Ursprung der Größe dieser Familie kein andrer war als die Anmut und Schönheit ihrer Ahnin, der Vanozza Farnese. Ranuccio Farnese, ein römischer Edelmann von mäßigem Vermögen, hatte drei Kinder: Pier Luigi, Giulia und Vanozza. Pier Luigi und Giulia heirateten; der erstere hatten einen Sohn, Alexander, der eines Tages die Tiara tragen sollte. Was Vanozza betrifft, so verführte sie durch ihre ungewöhnliche Schönheit den Roderigo Lenzuoli, durch seine Mutter Neffe Calixtus III. aus der Familie der Borgia, der ihm im Jahre 1456 den Purpur verschaffte und ihm die Würde des Vizekanzlers mit einigen tausend Talern Einkünften und sonstigen Benefizien erteilte, wodurch er einer der reichsten Kardinäle wurde. Vanozza wurde die Geliebte dieses Roderigo und hatte einige Kinder von ihm, die, wie der berühmte Cesare Borgia, mit großem Aufwande erzogen wurden, als ob sie zu den mächtigsten Fürstengeschlechtern gehörten. Alexander, ein Sohn jenes Pier Luigi, den seine Tante Vanozza sehr protegierte, trat trotz seiner sehr leichten Sitten in den Dienst des Kardinals Roderigo und war noch nicht zwanzig Jahre alt. Dieser Alexander war in Liebeshändeln höchst verwegen, hatte manche Dolchstiche ausgeteilt und empfangen und fürchtete nichts sonst als die Unerbittlichkeit des sehr gerechten Papstes Innozenz VIII., der von 1484 bis 1491 regierte, und vor dem sein Treiben durchaus geheim gehalten werden mußte. Alexander zählte dreißig Jahre, als er ein Abenteuer bestand, ob dessentwillen ihn die Frommen noch mehr haßten, aber jene, die ihn verehrten, noch mehr liebten. Er ritt eines Tages durch die Campagna und machte zwei Miglien vor Rom halt, um Ausgrabungen zu besichtigen, die er hier von einigen Bauern aus Aquila ausführen ließ. Da kam an der Stelle eine junge Frau aus edlem römischen Geschlecht vorbei, die in ihrem Wagen nach Tivoli fuhr und von drei Bewaffneten begleitet war. Alexander war von der Schönheit der Dame so betroffen, daß er unverzüglich die Bewaffneten anfiel und dem Kutscher zuschrie: "Halt! Das sind meine Pferde! Ihr habt sie gestohlen!" Alexander war gut bewaffnet, aber seine beiden Diener hatten nur ganz kurze Schwerter und nahmen gleich Reißaus. Alexanders Leben war in Gefahr. "Herbei, tapfere Aquilaner!" schrie er, und die Leute verließen ihre Arbeit in dem Augenblick, da er von den Bewaffneten umringt war. Was Alexander so wütend machte, war nicht seine persönliche Gefahr, sondern daß der Kutscher nun seine Pferde antrieb und davonfuhr im Galopp. "Dem Wagen nach!" schrie Alexander zweien von den Aquilanern zu, "und tötet eins der Pferde!" Zum Glücke für Alexander wurde dieser Befehl von allen vernommen. Zwei liefen dem Wagen nach und die andren schlugen mit Harken, ihren einzigen Waffen, auf die Begleitmannschaft ein, die das Leben des jungen Farnese bedrohte. Er stach einen der Leute nieder, zwei andre fielen vom Pferde und liefen davon. Alexander hatte ein paar leichte Wunden erhalten; das hinderte ihn aber nicht, hinter dem Wagen mit der Dame herzurennen. Sie war in Ohnmacht gefallen und er ließ den Wagen querfeldein nach einer kleinen Villa zu fahren, die ihm gehörte, etwa zwei Miglien von Palestrina entfernt. Hier verlebte er einen glückseligen Monat. Niemand in Rom außer dem Kardinal Roderigo wußte um seinen Aufenthalt. Am Tage jenes Verbrechens war Alexander so klug gewesen, jedem der Aquilaner sechs Zechinen zu geben und ihnen zu befehlen, sofort über Tivoli und Rio Freddo in das Königreich Neapel zu verschwinden, was auch getreulich ausgeführt wurde, so daß das Verbrechen ziemlich lange unentdeckt blieb. Aber schließlich kam es doch dem Papste zu Ohren. Der Kardinal wollte nicht als der Schuldige an der Entführung gelten, denn er hatte sich erst kurz vorher einer ähnlichen Untat schuldig gemacht. So wurde Alexander trotz aller Mühe, die sich Vanozza für ihren Neffen gab, in die Engelsburg gesperrt. Der Gouverneur von Rom ließ alle Diener Alexanders einsperren, aber erst auf der Folter redeten sie, und so erfuhr er auch von den Aquilanern. Er ließ sie von Sbirren betrunken machen und über die nahe Grenze locken; hier wurden sie gefaßt und verhört. Erst nach Monaten war die Untersuchung abgeschlossen, und es drohte Alexander schwere Gefahr. Da gelang es dem Kardinal Roderigo und Pietro Marzano, einem Verwandten der Farnese, Alexander ein Seil zukommen zu lassen. Und er war kühn genug, sich von der Höhe der Engelsburg, wo er gefangen war, bis in die Gräben hinunterzulassen. Das Seil war an 300 Fuß lang und von großem Gewicht. Nach dem Tode Innozenz VIII. wurde der Kardinal Roderigo unter dem Namen Alexander VI. Papst. Damit gelangte Vanozza zu höchster Macht und sie erreichte es, daß Alexander begnadigt und zum Kardinal gemacht wurde. Er lebte sein wildes Leben weiter wie zuvor und bis zu dem Tage, da er sich in ein adeliges Mädchen namens Celia verliebte, die er als seine Frau behandelte und von der er einige Kinder hatte. Nach dem Tode Clemens VII. wurde Alexander unter dem Namen Paul III. Papst. DIE FÜRSTIN VON SALERNO Romandina war die schönste von drei Schwestern, Töchtern des Gabriele del Balzo Orsini, Herzogs von Venosa, und mit Roberto Sanseverino verheiratet, erstem Fürsten von Salerno und Großadmiral des Königreichs Neapel. Ihm folgte ihr Sohn Antonello in der Herrschaft. Carlo Caraffa, der jüngste Sohn des Galeazzo und der Corella Brancaccio war des Fürsten nächster Freund, jungaussehend wie ein Knabe noch, schön, hochherzig und voll Begabung. Die beiden waren unzertrennlich; weilte der Fürst in Neapel, so zeigten sie sich überall zusammen. Nun begab es sich, daß Carlo im Duell einen Edelmann aus der Familie Capece erstach und aus Neapel fliehen mußte: er begab sich nach Salerno, wo ihn die Fürstin Romandina auf das liebevollste aufnahm, eingedenk der Freundschaft ihres Gatten. Allmählich entbrannten aber die beiden in Liebe füreinander, und eine Abwesenheit des Fürsten benutzend, verrieten sie ihn, sie den Gatten und er den Freund. Die Fürstin vertraute ihre Liebe einem ziemlich hübschen, aber boshaften Kammermädchen namens Giovanna an und bat, sich ihr hilfreich und wachsam zu zeigen. Als der Fürst zurückkehrte, begrüßte er den ungetreuen Freund auf das herzlichste; er hatte die Verhandlungen zwischen ihm und der Familie des Getöteten geführt und es durch seinen Einfluß zu einem Vergleich gebracht; so daß Carlo zum großen Schmerze der Fürstin nach Neapel zurückkehrte. Es ließ ihm aber nach einigen Monaten die Fürstin durch ein Schreiben wissen, wie sehr sie sich über seine Fremdheit beklage, indem er so lange Zeit nicht nach Salerno gekommen wäre, sie zu sehen. Carlo antwortete, daß er mehr denn je von Liebe für sie erfüllt sei, doch hätte er Salerno gemieden, um sie nicht zu verraten und sie nicht beide um Leben und Ehre zu bringen. Dieser Brief mißfiel aber der Fürstin und sie schrieb ihm, er hätte sie immer besuchen sollen. Dieser Brief brachte Carlo in großen Zwiespalt. Ginge er nicht nach Salerno, so verlöre er die Liebe der Fürstin nicht nur, sondern sie würde ihn für untreu und falsch nehmen. Gehorchte er aber ihrem Wunsche, so würde ihre Liebe leicht bekannt werden durch einen Zufall oder den Ungestüm der Fürstin. Aber nach vielem Schwanken entschied sich Carlo, seiner Geliebten zu folgen, und er ging unverzüglich nach Salerno. Den Fürsten, der sehr erfreut über Carlos Ankunft war, sagte dieser, daß ihm seine Feinde trotz des geschlossenen Friedens nach dem Leben trachteten, weshalb er in Salerno für kurze Zeit ein Asyl suche, während welcher Zeit er sich mit den Wissenschaften, den lange vernachlässigten, beschäftigen wolle. Solches sagte Carlo besonders der Vasallen des Herzogs wegen, die ihn mit mißtrauendem Auge ansahen. Der Fürst bot seinem geliebten Freunde einen einsam liegenden Ort seiner Herrschaft zum Aufenthalte an, aber Carlo sagte, er würde wohl auch am Hofe in Salerno selber einen Platz finden, der ihm erlaubte, sich seinen Studien mit aller Muße hinzugeben; nur daß er zurückgezogen lebe, möge ihm der Fürst erlauben, was ihm dieser gerne zusagte. Die Fürstin aber wartete voll Sehnsucht der Nacht, da ihr Gemahl mit seinem Hofstaat ein Schauspiel besuchen wollte. Giovanna war die Wächterin, und es gaben sich die beiden Liebenden solchem Glücke hin, daß sie schier daran zu versterben meinten. Ein Jahr lang genossen sie dieses Glück, wenn anders solche verbrecherische Liebe ein Glück genannt werden kann, und nicht der leiseste Verdacht fiel auf sie. Da starb Carlos Vater, Galeazzo, und er mußte der damit verursachten Geschäfte wegen nach Neapel zurückkehren. In dieser Zeit ließ der Fürst seinen einzigen Sohn Antonello aus Neapel zurückkommen, wo er als Page dem König Ferrante bis zu seinem vierzehnten Jahr gedient hatte. An diesem Hofe herrschte die Liebe, und des Knaben Sinn war ganz von ihr erfüllt, denn er war heißen Blutes. Er verliebte sich in die lebhafte Giovanna, die wie zwanzig aussah, wenn sie damals auch schon fünfunddreißig zählte. Die Kammerfrau erriet sehr bald die Absichten des jungen Herrn Antonio und tat, als wiese sie ihn ab, um ihn noch stärker an sich zu fesseln. Die Fürstin, die dieses Spiel der beiden merkte, fürchtete, es könnte zur Entdeckung ihrer eigenen Liebschaft führen und verbot der Giovanna, sich mit ihrem Sohne einzulassen. Und sie drohte ihr mit Züchtigung, als sie merkte, daß Giovanna ihrem Verbote nicht folgte. Dieses war sehr unbedacht von ihr, denn sie hätte sich sagen müssen, daß es ihre eigene Ehre verlange, die Schwächen andrer zu schonen. Giovanna fand sich durch solche Behandlung schlecht für ihre treuen Dienste belohnt; sie nahm Abschied von ihrer Herrin und stellte sich unter Antonellos Schutz, der nun fünfzehn Jahre alt geworden war. Zu spät bereute Ramondina, und in ihrer Angst, jene möchte sie verraten, beschloß sie den Tod der Kammerfrau; einige ihrer Getreuen betraute sie mit dieser Tat. Als diese Leute nun Giovanna mit Dolchen angingen, erhob sie ein großes Geschrei, und es gelang ihr, zu entfliehen; sie rettete sich in die Kammer einer Magd, wo sie laut um Hilfe rief. Eine Menge Menschen lief zusammen, und als auch der Bargello erschien, flüchteten die Mörder in die Kirche San Mateo. Antonello, der auf das Geschrei herbeieilte, fand seine Geliebte in ihrem Blute. Er ließ die Kirche umstellen, um die Mörder zu fassen. Seine Mutter befahl ihm aber, sie entkommen zu lassen; was er versprach. Er erzählte sehr unklug Giovanna von dem Befehl seiner Mutter. Da erfaßte die Kammerfrau großer Zorn gegen die Fürstin und sie erzählte Antonello die Geschichte seiner Mutter mit Carlo Caraffa. Antonello berichtete es sofort seinem Vater. Dieser wollte es von Giovanna selber hören, und sie erzählte ihm den Liebeshandel mit allen Einzelheiten, so daß er weder mehr an der Untreue seines Freundes noch an der seines Weibes zweifeln konnte. Er gebot Giovanna und Antonello tiefstes Schweigen. Die Fürstin hatte von der Unterredung durch ihre Spione erfahren und machte sich auf Gift gefaßt, weshalb sie täglich Gegengifte und Elixiere einnahm. Auch Carlo sandte sie durch den Sohn einer alten Dienerin Botschaft von dem Vorgefallenen und ihren Befürchtungen. Aber des Herzogs Spione fingen den Boten ab, und er erfuhr so die Untreue seines Weibes aus ihrem eigenen Schreiben. Nun zögerte er nicht länger und gab ihr Gift, durch das sie ein schleichendes Fieber bekam. Sie starb nach vierzehn Tagen. Dienstleute des Herzogs ermordeten Carlo in Neapel. Auch Giovanna traf seine Rache: er ließ ihre Wunden vergiften. Als der Herzog von Salerno erfuhr, daß einer der vornehmsten Herren von Neapel, der ein schönes aber lasterhaftes Weib hatte, von der Unehre sprach, welche die Fürstin Romandina über das Haus Sanseverino gebracht hatte, da ließ der Herzog gegenüber der Kirche Santa Chiara einen prächtigen Palast bauen und über dem Portal sein Wappen anbringen. Den Wappenhelm krönten zwei Hörner, welche diese Schrift trugen: Porto le Corna che ognun le vede. Altro le porta che non se lacrede. Zu deutsch: Ich trage Hörner, die ein jeder siecht. Ein andrer trägt sie und er weiß es nicht. DIE NONNEN VON BOLOGNA Daß die Klosterfrauen eine andre als die himmlische Liebe in ihrem Herzen tragen dürfen, dieses habe ich nie geglaubt, denn indem sie sich der irdischen Liebe ergeben, schänden sie nicht allein ihren Leib, sondern auch ihre Seele und jagen daraus die Gottheit, die in ihnen hausen soll. Aber ich habe oft gehört, daß manche Nonnen gegen ihren Willen ins Kloster getan wurden und daß diese, weit entfernt, Gott ihren Leib zu weihen, sich dafür entschuldigen wollen, daß man sie von der Welt abschloß. Was ich nun erzähle, ereignete sich unter dem Pontifikat des Maffeo Barberini, der als Papst Urban VIII. hieß, und zwar in Bologna, wo des Papstes Neffe, der Kardinal Antonio Barberini, als Legat residierte. Im Konvertitinnenkloster von Bologna waren damals zwei Nonnen von großer Schönheit und lieblicher Anmut, deren eine die Teverona hieß, die andre wegen der Farbe ihres Haares die Rote. Mit dieser Roten begann der Hauptmann Donato Antonio einen Liebeshandel, während ein Günstling des Kardinals, ein gewisser Carlo Possenti, sich mit Erfolg um die Teverona, bewarb. Beide beschlossen, die Nonnen zu entführen, worein diese gerne willigten. Sie bekamen weltliche Tracht und wurden nahe bei der Porta Carrese mit Hilfe des Grafen Ranucci, eines Freundes des Possenti, untergebracht bei einem gewissen Pallade, wo sie aber nur ein paar Tage verweilten, um in das Haus des Grafen Alessandro Maria Pepoli und von da in das Haus eines Dieners dieses Grafen gebracht zu werden. Inzwischen war man der Missetat auf die Spur gekommen und eine genaue Untersuchung eingeleitet worden. Des Donato Bruder, der Oberst seines Regimentes war, schickte den Donato schleunigst nach der Romagna ins Quartier und versprach ihm, die Rote alsbald nachzuschicken. Possenti, der inzwischen Vize-Herzog von Segni geworden und nicht mehr in Bologna war, hoffte, man würde die Sache bald vergessen, worauf er sich seine Teverona nachkommen lassen wollte. Aber der Prozeß wurde sehr eindringlich geführt, so daß der Oberst für das Leben seines Bruders fürchtete; er verständigte sich mit dem Grafen Pepoli und die beiden beschlossen, die zwei Nonnen umzubringen, was auch geschah. Sie wurden im Keller ihres letzten Wohnortes bei dem Diener begraben. Solange Urban Papst war, wurde das Verbrechen totgeschwiegen, denn man vermutete in dem Kardinal Antonio den Anstifter, der die Nonnen geliebt und nachdem er ihrer überdrüssig geworden wäre, hätte er sie man weiß nicht wohin geschickt. Als nun nach Urbans Tode Innozenz X. den Thron bestieg, standen die zahlreichen Feinde der Barberini auf und klagten den Kardinal vieler während der Regierung seines Onkels begangener Verbrechen an, und obzwar der Papst den Barberinis die Tiara verdankte, verfolgte er doch den Kardinal. Jener Graf Pepoli war inzwischen gestorben und das Haus seines Dieners wechselte den Besitzer. Der entdeckte die Leichen im Keller und erstattete Bericht an die Justiz. Pallade, bei dem sie zuerst gewohnt hatten, machte aus Angst und in Hoffnung auf die päpstliche Gnade ein offenes Geständnis. Darauf wurden am 30. Juli 1645 im Palaste des Kardinals Antonio in Rom jener Carlo Possenti und des Kardinals Haushofmeister verhaftet und nach Bologna gebracht. Auch der Oberst, Donatos Bruder, wurde eingezogen und mit Pallade und Possenti konfrontiert. Possenti starb ohne etwas zu verraten in der Folter. Auch der Oberst ertrug ohne ein Wort die Folter und der Haushofmeister erwies auf ihr seine Unschuld. Er wurde wie der Graf Ranucci nach Pataro verbannt. Der Kardinal floh am hellichten Tage, als ob er einen Spaziergang machen wolle, nach Frankreich. Später söhnte er sich mit dem Papste aus. Von jenem Verbrechen an den beiden Nonnen war nie mehr die Rede. DIE BRÜDER MISSORI Die beiden Brüder Missori erfreuten sich der Gunst des Marchese del Monte, Ministers der Königin Christine von Schweden. Sie trieben was sie wollten in jenem Stadtviertel Roms, das die Königin während ihres Aufenthaltes in der Stadt bewohnte. Christine setzte alles Vertrauen in die Brüder und war gegen ihre Taten um so nachsichtiger als sie sich mit der Absicht trug, aus dem von ihr bewohnten Viertel eine Freistätte zu machen. Solcherart hatten die Gerichtsbeamten keinen Zutritt in dieses Viertel und die immer es versuchten, wurden umgebracht und in den Tiber geworfen. Hier in diesem Viertel fanden zumal alle Frauen, die aus irgendwelchen Gründen ihre Männer verlassen hatten, Zuflucht. Dies währte Jahre, und die Königin zog sich die allgemeine Verachtung zu, da sie sich auf jene Mordbuben stützte, und vergeblich ließ der Papst sie durch mehrere Kardinäle ersuchen, die Verbrecher zu bestrafen; sie verharrte nur um so stärker auf ihren verbrieften Rechten eigener Jurisdiktion, als schlimme Ratgeber ihr einredeten, die Kardinäle wollten sie um ihre Herrschaft bringen. Der Papst sagte immer nur: "Der höchste Richter wird hier Abhilfe schaffen", und er begünstigte mit dieser Schwäche das schändliche Treiben der beiden Brüder, die selbst davor nicht zurückschreckten, Kindern Gewalt anzutun. Täglich kamen neue Klagen, und so mußte der Papst doch dem Gouverneur den Befehl geben, sich der Brüder Missori zu bemächtigen; aber es war ihm dieses nicht gestattet, da sie den Titel "Garde der Königin" führten. Man mußte daher danach trachten, sie außerhalb des Bannkreises von Christinens Macht zu fangen. Als dieses die Missori erfuhren, verließen sie das Viertel nicht mehr. Spione wurden von den Bravi der Königin erkannt, zu Tode geprügelt, erschossen oder in den Tiber geworfen. Der Marchese vermehrte die Wachen des Viertels um fünfundzwanzig Mann. Die Verbrechen nahmen Tag für Tag zu. Nun gelang es einem der Königin wie dem Gouverneur befreundeten Kardinal, die Majestät mit guten Gründen zu veranlassen, daß die Brüder Missori den Kirchenstaat verließen, was sie auch taten. Nicolo wollte sich nach Neapel wenden, während Bernardino dem Großherzogtum Toskana den Vorzug gab, dessen Herr der Königin befreundet war. Der Papst erhielt sofort Nachricht von dem Aufenthalte der Brüder und schickte gleich einen Kurier an den Großherzog mit einem Schreiben, worin er bat, zwei junge Leute auszuliefern, die von Rom nach Toskana gereist wären. Cosimo III. wußte nicht, daß sich die Brüder der Gunst der Königin erfreuten und ließ die Brüder in Livorno verhaften, von wo sie unter Bedeckung nach Rom gebracht und in der Engelsburg eingekerkert wurden. Erst dann erhielt Cosimo die Briefe der Königin, worauf er ihr schrieb, daß es ihm leid täte und wie es der Papst angestellt hätte, die Brüder in seine Hand zu bekommen. Die Brüder waren getrennt untergebracht und mit schweren Fußeisen gefesselt. Bei ihrem ersten Verhör leugneten sie, Missori zu heißen und Brüder zu sein, aber zahlreiche Zeugen erkannten sie. Die Königin bemühte sich ohne Erfolg um ihre Freilassung; in eigner Person begab sie sich nach dem Monte Cavallo zum Staatssekretär, wurde aber nicht vorgelassen. Der Papst war für den Tod der Brüder, sowie sie als die Missori erkannt wären, auch ohne ihr eigenes Geständnis, causis nobis notis, wie er hinzusetzte. Bernardino sah sich, zurückgeführt in seine Zelle, schon dem Tode verfallen; er schrie nach dem Kerkermeister. "Warum", schrie er, "hat man mir den Bart geschoren, mich in Eisen gelegt? Soll ich sterben? Laßt mich nicht in Ungewißheit." Aber der Kerkermeister sagte, dies seien nur rechtmäßige Prozeduren und keine Vorbereitungen zur Hinrichtung. Davon gewann Bernardino einige Beruhigung, die aber wieder schwand, als man das Fenster seiner Zelle vermauerte. Viele hatten schon die Brüder erkannt, als ein Edler von San Stefano, der sie sehr gut zu kennen behauptete, erklärte, er könne die beiden jungen Leute, die man ihm hier vorführe, nicht als die Missori erkennen. Aber es half dieses nichts, denn der Papst hatte das Todesurteil unterzeichnet, und am 14. Januar 1685 begab sich der Marchese Strozzi nach der Engelsburg, um sich mit dem Kommandanten Massimi über die Vorbereitungen zur Hinrichtung zu verständigen. Als man Nicolo das Abendbrot brachte, fragte er: "Wer ist heute nach der Engelsburg gekommen?" Man sagte ihm, daß es nichts Neues gebe. Aber er war voll Angst und aß nichts. Bernardino fragte, ob die Folterinstrumente in der Engelsburg seien. Der Leutnant Marzio antwortete, er sei zwanzig Jahre in der Festung und wisse nichts von solchen Werkzeugen. Bernardino bat um Tabak. Am Tage, da man sie zur Richtstätte führte, den 15. Januar des Jahres, war der Platz vor der Engelsbrücke dicht besetzt von Sbirren, da man einen Rettungsversuch der Königin befürchtete. Deshalb waren die Kanonen auch nach dem Platz gerichtet und mit Kartätschen geladen. Auch war der Befehl gegeben, bei dem geringsten Zeichen von Unruhe zu feuern. Die Missori kamen, der ältere voran. Er war mit seinen sechsundzwanzig Jahren ein Mensch von hohem Wuchs und schönem Ansehn. Seine Haare und Augen waren schwarz und die Farbe seiner Haut olivengrün. Sein Bruder, der ihm festen Schrittes folgte, war um drei Jahre jünger, hatte kastanienfarbnes Haar und einen rötlichen Bart, eine weiße Haut und lebhafte Augen. Beide trugen hirschfarbene Wamse, hellseidne Strumpfhosen und weiße Schuhe; ein grauer Mantel mit pfaufarbnem Futter fiel ihnen bis auf die Füße. Als Bernardino unter der Menge einen Freund erkannte, rief er: "Lieber Freund, wie siehst du mich wieder! Ich empfehle dir meine Seele, die bald ihrem Körper entfliehen wird!" Der also Angerufene fiel bei diesen Worten in Ohnmacht und kam erst wieder zu sich, als die beiden schon tot waren. Sie hatten seit dem Morgen des vorigen Tages nichts gegessen. Bei der Kapelle an der Engelsbrücke bot man ihnen Nahrung. Bernardino wies sie ab, aber Nicolo nahm aus Gehorsam einen in Wein getauchten Zwieback. Er ging als erster in den Tod. Bernardino fiel in Ohnmacht, als er seinen geliebten Bruder verscheiden sah. Man brachte ihn rasch wieder zu sich. Er legte mit größter Ruhe sein Haupt selber auf den Block. Als der Kopf fiel, donnerte ein Kanonenschuß, wie zuvor bei der Hinrichtung Nicolos. Diese Schüsse waren eine besondere Gnade des Papstes, der während der Hinrichtung in seinem Schlafgemach auf den Knien zu Gott um das Seelenheil der Hingerichteten betete. Bei jedem Kanonenschuß sandte er dem Verschiedenen den Segen in articulo mortis nach. POMPILIA COMPARINI Der Abbate Paolo Franceschini aus Arezzo war wohl von edler Herkunft, aber nur sehr wenig mit Glücksgütern gesegnet. Doch besaß er genügend Geist, sein Glück zu versuchen, und begab sich nach Rom, wo er vom Kardinal Lauria als Sekretär bestellt wurde. Er gewann bald die Gunst des wegen seiner Gelehrsamkeit im heiligen Kollegium sehr geschätzten Kardinals, und ausgerüstet mit dieser Gunst wollte Paolo sein Glück und Ansehn damit fördern, daß er seinem Bruder eine reiche Frau verschaffe. Der Bruder Guido war schon ein älterer Mann, von wenig gewinnendem Äußern und geringer Begabung. Er war Sekretär beim Kardinal Nerli gewesen, hatte die Stelle aber verloren, was für die Heiratspläne des Abbate nicht günstig war. Aber er hoffte, die Mängel seines Bruders durch die Vorzüge seiner eignen Person zu ersetzen. Nach mancher Umschau richtete er seine Absicht auf Francesca Pompilia, die einzige Tochter des Pietro Comparini und seiner Gattin Violante, die eine Erbschaft von zwölftausend Skudi zu erwarten hatte. Um so leichter erschien ihm diese Heirat fertig zu bekommen, als die Familie Comparini der seinen nicht ebenbürtig war. Er bediente sich als Vermittlerin einer Haarkräuslerin, die im Hause der Comparini arbeitete und dort vertraulich war. Er versprach ihr für ihre Vermittlung eine Belohnung von fünfzig Goldgulden, und die Frau machte sich gleich ans Werk. Sie redete mit Violante, die ihr versprach, mit ihrem Manne zu reden. Denn der Nießbrauch jener Erbschaft blieb der Familie nur für den Fall, daß direkte Nachkommen vorhanden waren. Der alte Comparini erklärte sich nicht abgeneigt, wenn es mit dem Besitze der Franceschini so stimme, wie sie ihm gesagt hätten. Paolo drang auf Eile; er fürchtete, die Sache könnte ihm entgehen. Er ließ vom Kardinal Lauria den Ehevertrag aufsetzen, was dieser Mann aus Gefälligkeit gegen den von ihm geschätzten Abbate tat. Inzwischen hatte sich Comparini aber anderweitig über die Vermögensumstände der Franceschini erkundigt und die Auskünfte lauteten sehr verschieden von denen des Abbate und dessen Gewährsmänner. Es kam dadurch zu heftigen Auftritten zwischen Mann und Frau, die durchaus auf der Heirat bestand und sagte, daß dies nur Machenschaften von Neidern des Glückes ihrer Tochter wären. Aber der Gatte blieb um so kühler, je mehr die Frau in Hitze kam und sagte, er wolle durch die Verheiratung ja nichts gewinnen, aber auch nichts verlieren. Aber Pietro hatte innerlich längst seinem Weibe, das er zärtlich liebte, nachgegeben, denn er tat ihr immer jeden Willen. Violante aber fürchtete, er könne es schließlich doch noch durch gute Ratschläge von Freunden bereuen, und so beschloß sie, die Hochzeit ohne Wissen ihres Mannes statthaben zu lassen. Die Tochter, immer folgsam dem was die Mutter verlangte, war einverstanden. Man verabredete sich mit Guido, und frühmorgens wurden sie in der Kirche San Lorenzo getraut. Pietro war sehr aufgebracht, als er davon hörte. Doch war an der Sache nichts mehr zu ändern, und er richtete die Hochzeit in seinem Hause, gab seiner Tochter eine Mitgift von fünfundzwanzig päpstlichen Anleihescheinen und machte sie zu seiner Erbin. Schon am Hochzeitstage war es zwischen dem Alten und den Brüdern zum Streit gekommen über die Vorteile, die den beiden Familien aus dieser Heirat erwüchsen, und man war übereingekommen, daß die Comparinis nach Arezzo übersiedeln und im Hause der Franceschini den Rest ihres Lebens verbringen sollten. Comparini überließ seinem Schwiegersohne auch die Verwaltung seines ganzen Besitztumes. In Arezzo wurden die alten Comparini von den alten Franceschini und deren Sippschaft mit großer Liebenswürdigkeit empfangen, wie dies Brauch ist. Aber bald kam es zu Streitigkeiten und schließlich zu offnem Bruch. Guidos Mutter war eine anmaßende und geizige Frau, herrisch schaltend in ihrem Hause. Auf des alten Comparini Vorhaltungen antwortete Guido erst wegwerfend, dann drohend, was Violante in Wut brachte, die an Hochmut der alten Franceschini nichts nachgab. Sie begann Pietro zu quälen und fluchte dem Tag, der sie nach Arezzo gebracht habe und gab ihm alle Schuld, die sie selber hatte. Pietro, von Weibertränen eingenommen, fiel es nicht ein, seinem Weibe zu sagen, daß diese Ehe gegen sein Wissen und Wollen geschlossen worden wäre; er bat sie vielmehr zärtlich, doch die kleinen Unannehmlichkeiten hinzunehmen und abzuwarten, daß die Franceschini ihr Unrecht einsehen. Da starb der Kardinal Lauria, und Paolo wurde römischer Sekretär des Malteserordens; dadurch stieg sein Hochmut über alle Begriffe. Violante, selber zu herrschen gewohnt, wollte es nicht länger ertragen und bestürmte ihren Mann, nach Rom zurückzukehren. Die Franceschinis gaben ihnen für die Reisekosten noch eine Summe Geldes. Alsbald in Rom setzte Pietro zu allgemeinem Staunen eine gerichtliche Denkschrift auf, worin er nachwies, daß Francesca Pompilia gar nicht seine leibliche Tochter sei, und er daher gar nicht verpflichtet war, die Mitgift auszuzahlen. Violante habe sich schwanger gestellt und ein von einer Hebamme für hundertfünfzig Skudi gekauftes Kind untergeschoben zu dem Zweck, ihrer Familie die Nutznießung der fünfundzwanzig Stück päpstlicher Anleihe zu erhalten. Sie hätte diese Täuschung sehr geschickt ins Werk gesetzt. Diese Denkschrift Pietros wurde bald stadtbekannt und erregte mehr Unwillen als Erstaunen, denn man sagte sich, daß die Franceschini von diesem Schriftstück sehr beleidigt werden müßten. Die Franceschini überlegten, daß man, wenn Pompilia kein eheliches Kind sei, die Ehe nichtig erklären und so den guten Ruf der Familie wieder herstellen könne. Die Rechtskundigen, die sie darüber befragten, waren aber verschiedener Meinung und so trauten sich die Franceschini nicht an einen so zweifelhaften Prozeß. Was sie erreichten, war die Anerkennung von Pompilias ehelicher Geburt und damit die rechtsgültige Erbschaft der Anleihescheine. Dagegen appellierte Pietro beim päpstlichen Gericht und erreichte, daß die Franceschini wohl nur die Ausgaben jener Übertragung, nicht aber die Nutznießung des Fideikommisses zugesprochen bekamen. Aller Haß der Franceschini wandte sich auf die unglückliche Pompilia, die in Arezzo zurückgeblieben war. Von den eigenen Eltern als Kind verleugnet, wurde sie von ihrem Gatten täglich mit dem Tode bedroht. Die sechzehnjährige Pompilia ertrug alle Grausamkeit, wie sie vermochte; als sie aber keinen Ausweg mehr sah, wandte sie sich an den Statthalter von Arezzo, aber ohne Erfolg. Nun warf sie sich dem Bischof zu Füßen, und dieser ließ den Guido rufen und mahnte ihn zu Versöhnlichkeit. Aber diese öffentliche Beschwerde brachte ihn ganz außer sich, und er drohte seinem Weibe, es zu töten, wenn sie es nochmals wagen sollte, sich zu beklagen. Da es aber in nichts besser wurde, wandte sich Pompilia an einen Schwager ihres Mannes, den Canonicus Conti, der ihren Jammer kannte, und bat ihn, ihr das Leben zu retten. Der Canonicus sah das Heil nur in der Flucht aus dem Hause; da er sich aber nicht die Feindschaft seiner Sippe aufladen wollte, empfahl er Pompilia, sich an den Canonicus Caponzachi zu wenden, einen Freund und entfernten Verwandten der Franceschini, einen rechtschaffenen und erprobten Mann. Dieser hatte nun erst Bedenken, eine Frau ihrem Manne zu entführen, wenn auch nur zu ihren Eltern, aber schließlich gewann ihn doch das Mitleid und er versprach seine Hilfe. Als diese nicht rasch genug kam, schrieb Pompilia an ihn, leidenschaftlich und schmeichelnd, doch nie derartiges, daß man daraus eine Verletzung ihres ehelichen Treugelöbnisses hätte lesen können, wie die erhaltenen Briefe zeigen. In einem dieser Briefe lobt sie des Caponzachis Bescheidenheit, in einem andern beschwert sie sich über einige frivole Gedichte, die er ihr geschickt habe und bittet ihn, ihr seinen Edelmut rein zu erhalten. Am verabredeten Tage der Flucht bestiegen der Canonicus und Pompilia den Reisewagen und erreichten in raschester Fahrt am frühen Morgen des andern Tags Castelnuovo; da hier der Wirt ihnen nur ein Bett bieten konnte, verbrachte Pompilia die Rast auf einem Lehnstuhl, während der Canonicus im Stall zum Kutscher ging. Kurz nach der Flucht entdeckte Guido das leere Bett und den offenen Schrank, in dem eine darin verwahrte Geldsumme fehlte. Zu Pferde eilte er den Flüchtigen auf der Straße nach Rom nach. Er traf eine Stunde nach ihrer Ankunft in jener Herberge ein, stieß auf Caponzachi, der ihn einen Schurken und Tyrannen nannte. Guido war sehr überrascht, den Canonicus bei seiner Frau zu treffen, und er verlor allen Mut so sehr, daß er wieder nach Hause ritt. Hier angekommen verklagte er seine Frau wegen Flucht und Ehebruch, womit er seine Mitgift gewonnen zu haben glaubte. Sein Bruder, der Abbate Paolo, erhob Beschwerde beim Papste Innozenz XII. und beim Gouverneur von Rom, dieser möge den Canonicus Caponzachi als Entführer und Ehebrecher erklären und seinem Bruder die Mitgift zusprechen. Der mit aller Strenge geführte Prozeß ergab aber nichts gegen das Paar, außer dem Briefwechsel vor der Flucht, diese selber und die Aussage des Kutschers, der erklärte, er hätte beim Umsehen des öftern die beiden Wange an Wange liegend im Wagen gesehen. Aber es möchte dessen Ursache die schlechte Straße gewesen sein. Endlich verfügte das Gericht die Verbannung des Canonicus für Jahre nach Civitavechia wegen Begünstigung der Flucht, wenn auch in guter Absicht. Pompilia wurde mit Zustimmung der Franceschinis in loco carceris nach dem Kloster delle Scalette an der Lungara gebracht, wo Guido ihren Unterhalt zu bestreiten hatte. Da sie aber ihrer Schwangerschaft wegen nicht länger an diesem Orte bleiben konnte, verfügte der Gouverneur ihre Übersiedlung in das elterliche Haus, womit auch der Unterhalt durch den Gatten sein Ende fand. Des Geredes über diese Sache war in Rom so viel, daß der Abbate Paolo seine Stelle beim Malteserorden verlor. Worauf er sich entschloß, Rom zu verlassen und in ein Land zu gehen, wohin kein Gerücht von der Unehre, die ihn betroffen, gedrungen sein konnte. Er hinterließ Guido die Pflicht, die Ehre des Hauses wieder herzustellen. Pompilia gebar einen Sohn, der den Namen Moschio erhielt und von den Comparinis zur Pflege außer Haus gegeben wurde. Alle Welt hoffte, Guido würde nun zur Besinnung kommen und sich mit seinem Weibe versöhnen; aber Guido hatte ganz andere Gedanken: er wollte seine Ehre mit dem Blute aller Contarinis reinwaschen. Einem Feldarbeiter, einem Menschen niedern Wandels, vertraute er seine Schmach und seinen Racheplan an, und der Mensch erbot sich, mit Hilfe von vier, fünf sichern Leuten den Racheplan auszuführen. Zu fünft begaben sie sich verkleidet nach Rom und klopften des Nachts um zwei bei den Comparinis an. Einer rief, er habe einen Brief Caponzachis zu bestellen, aber die Frauen hatten Angst und rieten Pietro, nicht zu öffnen. Der aber, auf den Brief neugierig, öffnete die Tür und Guido stürzte mit zweien seiner Leute herein, während die andern zwei draußen Wache standen. Er stieß dem Alten das Messer in den Leib, so daß er ohne einen Laut hinfiel und starb. Hierauf ermorderte er Violante und die unglückliche Pompilia mit vielen Messerstichen und Fußtritten. Einem seiner Leute befahl er, nachzusehen, ob die Frauen tot seien; der zog sie an den Haaren hoch, ließ sie hinfallen und sagte, sie seien tot. Er zahlte ihnen dann den Lohn aus und wollte sich von ihnen trennen; dies aber ließen die vier Gesellen nicht zu, aus Angst, und so gingen sie alle miteinander zu Fuß die Straße nach Arezzo zu. Guido und Violante waren tot, aber Pompilia lebte noch, trotzdem sie die meisten Messerstiche bekommen hatte. Nun rief sie um Hilfe, so daß die Nachbarn herbeieilten. Mit großer Standhaftigkeit ertrug sie ihre schwere Verwundung, beklagte auch nicht ihren Gatten, sondern bat den Himmel, daß er ihm seine Tat vergebe, und starb eines seligen Todes, bis zuletzt ihre Unschuld beteuernd. In einer Hütte nahe Rom wurden die Mörder aufgegriffen. Guido gestand erst beim Anblick der Folter, rechtfertigte seine Tat aber als seiner Ehre wegen getan. Seine Mitschuldigen wurden an den Galgen geknüpft; er selber wurde geköpft. KÖNIGIN CHRISTINE Die Königin Christine hatte Jahre in Rom gelebt und entschloß sich, einer Einladung Ludwigs XIV. zu folgen und nach Frankreich zu reisen. Mit einem großen Gefolge von Kavalieren und Pagen verließ sie Rom. Der König hatte für seinen erlauchten Gast einen prunkvollen Palast richten lassen und dem Gefolge ein Kavalierhaus angewiesen. In diesem Gefolge befanden sich zwei Herren, die sie mit ihrer besonderen Gunst auszeichnete; Tag und Nacht waren der Marchese Monaldeschi und der Marchese Santinelli um sie, der erste ein witziger Poet in der modischen Art der Marini, der den königlichen Hof zum großen Ergötzen seiner Herrin in scharfen Satiren durchhechelte. Dies führte dazu, daß ihn die Königin zu ihrem geheimen Vertrauten machte. Darüber fühlte sich Santinelli zurückgesetzt, wenn auch die Königin alles tat, ihn huldvoll zu behandeln. Monaldeschi merkte die Eifersucht seines Nebenbuhlers um die Gunst und wollte sich diese allein erhalten; also ließ er am Hofe Briefe mit verstellter Hand verbreiten, in denen sehr vertrauliche Mitteilungen der Königin an Santinelli und was sie miteinander taten, auf das respektloseste erzählt wurden. Diese Briefe kamen auch in Santinellis Hände, und er erkannte die verstellte Handschrift. Er beschloß die Vernichtung seines Gegners. Er brachte, mit der Königin einmal im Garten lustwandelnd, das Gespräch auf jene Briefe, über die man sich bei Hofe sehr skandalisierte. Die Königin verlangte die Briefe zu lesen; doch schwieg sie dazu und bat Santinelli nun, nicht weiter darüber zu sprechen. Ein neuer Brief, in anderer Hand, aber gleichem Stile, teilte weiteres von den Beziehungen der Königin zu Santinelli mit. Die Königin wollte nun die verdiente Strafe für den Briefschreiber nicht länger hinausschieben, aber sie lebte in Frankreich, wo die Gesetze jede Gewalttat strenge ahnden. Die Gesetze waren erst vor kurzem vom Kardinal Richelieu erlassen worden, um den zahlreichen Bluttaten zu steuern. Der König hatte ihre geringste Verletzung mit dem Tode bestraft, auch wenn es Mitglieder seines Hauses waren, die sich solches zuschulden kommen ließen. Durch eine Ermordung des Monaldeschi hatte die Königin den Zorn des Königs zu fürchten; doch war ihre Ehre allzu sehr beleidigt und solches allgemein bekannt geworden. Eines Tages legte die Königin dem Monaldeschi einen mit verstellter Hand geschriebenen Brief vor, er möge ihn lesen. "Wer ihn wohl geschrieben haben mag," sagte sie, "ich kenne die Handschrift nicht." Und als Monaldeschi schwieg, sagte sie: "Welche Strafe verdient wohl der Schreiber solcher Böswilligkeiten?" "Sicher den Tod," sagte der Marchese, "den Tod, den ihm Eure Majestät wählen." "Den Tod, meint Ihr? Ich werde mich Eures Urteils erinnern. Denkt daran." Die Furcht, in die Monaldeschi nach dieser Unterredung geriet, ließ ihn zu Santinelli gehen, von dem er wußte, daß er einige ähnliche Schreiben verwahre; er wollte von ihm erfahren, ob die Königin auf ihn einen Verdacht geworfen habe. Doch Santinelli beruhigte ihn derart, daß Monaldeschi ahnungslos in den Tod ging. Die Königin ließ eines Tages einen Edelmann ihrer Leibwache kommen und gab ihm den Auftrag, am nächsten Morgen in einem entlegenen Zimmer den Marchese Monaldeschi heimlich und ohne Lärm mit einem Degenstoß ins Herz beiseite zu schaffen. Auch einen Mönch ließ sie sich bereithalten, den Marchese auf sein Ende vorzubereiten. Der Mönch bat die Königin, ihm solchen schweren Auftrag zu erlassen, da ihm sonst die Ungnade des Königs sicher sei. Doch sie gab ihm ihr Wort, daß er nichts zu befürchten habe, und versprach ihm eine Belohnung. Andern Morgens ließ sie Monaldeschi in den Garten rufen; sie zeigte ihm wieder einen Brief und neben diesen hielt sie seine Handschrift: er konnte nicht mehr leugnen. Er fiel der Königin zu Füßen und bat um Gnade. Die Königin sagte: "Was Euer Seelenheil anbetrifft, so habe ich Euch der Huld Gottes empfohlen; was mich betrifft, so verzeih ich Euch. Ihr habt in Eurer Sache selbst gerichtet. Euer Urteil soll vollstreckt werden." Damit verließ sie ihn. Zwei Leute hielten den Marchese fest, der ihr nachspringen wollte, und führten ihn in ein abgelegenes Gartenzimmer, wo er, wie sie ihm sagten, gefangen bleiben sollte. Da traf er den Mönch, der ihm auf Befehl der Königin das Urteil verkündete. Auf Ansuchen des Marchese begab sich der Mönch zur Königin und bat um das Leben; aber die rachsüchtige Frau bestand auf seinem sofortigen Tode. So bat der Mönch den Marchese, sich zum Tode vorzubereiten und seine Sünden zu beichten, zumal die Henker schon warteten. Aber der Marchese verweigerte die Beichte, in ungeheurer Wut durch das Gemach stampfend. Da überfielen ihn jene beiden; und der eine stach nach ihm mit dem Degen; doch glitt er am Wamse ab. Ein zweiter Stich, den er abwehren wollte, durchbohrte ihm die Hand und verletzte ihn am Kopfe. Jetzt erst, aus zwei Wunden blutend, verlangte er zu beichten, was die beiden Mörder nur auf Bitten des Mönchs gewährten, der nicht mehr wußte, in welcher Welt er lebte. Nach der Absolution wollte Monaldeschi sein Wams ablegen, um einem Stoß ins Herz freien Weg zu geben; aber als er sein Kleid auszog, drangen ihm zwei Degen durch den Hals, daß er aufstöhnend verschied. 'Herr Jesus' war sein letztes Wort. Den Leichnam schnürte man in eine Decke und vergrub ihn gar kläglich neben einer nahen Kirche, rasch, damit man von dem Tode nichts erführe. Aber es kam doch dem König zu Ohren, der genaues wissen wollte. Er war nah daran, die Königin aus dem Reiche zu verweisen. Er ließ den toten Marchese ausgraben und mit allem Pomp beisetzen, auf daß jeder von der grausamen Tat der blutdürstigen Frau erfahre. Hatte der König vor jener Tat die Königin mit seinem Besuche beehrt, so brach er nun jeden Verkehr mit ihr ab; worin sie eine Beleidigung sah und abreisen wollte. Sie wollte das, um ihre Mißachtung gegen den König damit auszudrücken, ohne jede Förmlichkeit tun; aber der König, der den Tag ihrer Abreise erfahren hatte, besuchte sie und verabschiedete sich kurz von ihr. Soldaten eskortierten sie ein paar Meilen weit; es sah wie eine Ehrung aus, aber es geschah zu ihrer Bestrafung, denn die Soldaten begleiteten sie wie eine Gefangene. ZWEI ROMAN-ENTWÜRFE ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI I. AN-IMAGINATION Der leidenschaftliche Mensch, der junge Jean-Jacques haftet sich an die Weisungen seiner Einbildungskraft, Robert tut nur, was er unmittelbar wahrnimmt. Der Verfasser dachte öfters daran, einen jungen Menschen zu gestalten, der aus der Welt einer bestimmten Epoche, z.B. der Welt von 1811, zu Glück und Ruhm aufsteigt, 1811: Cambacèrés, der Staatsrat, der Kaiserliche Hof in den Tuilerien etc. Der Verfasser wollte vor zehn Jahren einen zärtlichen und anständigen jungen Mann gestalten, und er machte ihn ehrgeizig, aber doch voller Imaginationen und Illusion: Julien Sorel. Er möchte nun diesen Robert völlig frei von jeder Imagination gestalten außer dieser einen, die dazu dient, alle die nötigen Schliche zu erfinden, um zu Reichtum zu gelangen; aber Robert gibt sich keineswegs dem müßigen Vergnügen hin, sich den Reichtum und dessen Genüsse vorzustellen. Erfahrung hat ihm schon beigebracht, daß sich derlei müßige Träumereien niemals realisieren. Alors comme alors ist sein Wahlspruch. Küßt er die schönste Frau, so sieht er nur, was auch der ausgedörrteste Jockey nicht zu leugnen wüßte, nämlich Schönheit und Wert ihrer Ohrgehänge. Indem Robert seiner Einbildung nicht das geringste Vergnügen verdankt, schenkt er der Bequemlichkeit seines Fauteuil größte Aufmerksamkeit, der Qualität seines Diners, dem Komfortablen seiner Wohnung etc. etc. Robert ist, was das Herz anlangt, mit vierzehn Jahren ein vollendeter kleiner Lump. Er stiehlt Bonbons aus den Auslagen der kleinen Händler, gemeinsam mit seinem sechzehnjährigen Kameraden Carière. Dieser Carière hat keinerlei freundschaftliche Gefühle für Robert, erhofft sich aber von dessen Geschicklichkeit Annehmlichkeiten. Der Verfasser erzählt von Carière, dem Bastard einer diebischen Kammerfrau. Carière ist anständig nur eigentlich aus Mangel an Geist; man glaubt, er verspreche was für die Zukunft. Dadurch ist er Robert von Nutzen; Carière zieht sich aus allen Einzelheiten geschickt heraus, hat in der Hauptsache das gleiche Verdienst wie Robert: sein Auge ist nie vom Hauch des Imaginären getrübt. Er erkennt, was in seinem Interesse liegt, aber er steckt voll kleinem Stolz. Diese Schwäche liefert das Komische der Figur. Auch Robert ist nicht ohne diese selbstgefällige Eitelkeit, aber er verneint sie. Carière liefert das Komische. Bertrand, höchst simplen Wesens, führt Roberts Befehle aus, ohne sie zu verstehen. Damit der Robert Effekt mache, muß man ihn handeln sehen. Daher darf sein Reichtum noch keine Tatsache sein. Man muß ihn sehen, wie er sich diesen Reichtum schafft. II. EINE SOZIALE POSITION September 1832--Juli 1833. Ich vermache dieses Manuskript dem Maler Herrn Ab. Constantin, meinem Nachbarn, mit der Bitte, es nicht vor 1880 zu zeigen. Rome, 4. Oktober 1882. H. Beyle. -- Es muß hierin mehr Wohlklang als in Le Rouge sein, damit es leichter ins Ohr gehe. Plan. -- Die Herzogin will de Roizard nur als Tröster. Sie fürchtet nur dieses eine: daß er sie verliebt anblicke. Später sagt sich Roizard: sie will ganz einfach geliebt sein, und parbleu, ich werde sie nicht lieben. Sein Erstaunen, als er entdeckt, daß sie Liebe gar nicht will. Bin ich denn zu alt? fragt er sich. Und da verliebt er sich. Zunächst Beschreibung der Charaktere; die Charaktere gehen aus den Umständen hervor. Die Charaktere sehr sauber festhalten: die Ereignisse bloß en masse, die Details nur in dem Maße zulassen, als sie sich einstellen (12. Dezember 1882). Grund: man denkt nur im Augenblicke des Schreibens selber wirklich und ernsthaft an die Details. Ohne mir das vorher zu sagen, habe ich so in Le Rouge gehandelt. Das Detail strömte mir im Schreiben erst zu. Statt das Buch mit dem Stumpfsinn der Beschreibung nach der Methode Walter Scotts zu beginnen, könnte man anfangen mit der Charakteranalyse der Herzogin, wie ich diese mir aufschrieb im September 1882. Ich fand am 12. Dezember diese zwei Seiten vortrefflich, und hatte sie während der Bataillen von Vidau völlig vergessen. Nach diesen beiden Seiten die Beschreibung der Rue de Palais, und die Soiree oder den Empfang bei der Herzogin. Die Herzogin. Madame la Duchesse de Vaussay, über dreißig alt, eine Leidenschaftliche. Fortgerissen von einem Feuertemperament ergab sie sich allen Freuden und Genüssen, hatte aber doch immer die höchste Idee von der Pflicht, nicht eine vernünftige Idee, sondern eine ganz abergläubische, deren Fond sie niemals untersuchte und deren sie sich aus ihrer Leichtigkeit, gerührt zu werden, bemächtigt hatte. Sie hat, wie man sagt, einige Liebhaber gehabt, und ist das ohne weiteres zu glauben; ihre Seele war Leben und Bewegung; immer war sie von den geschickten Manövern eines Mannes fortgerissen, der Frauen zu haben gewohnt war, oder sie erlag mit blinder Leidenschaft einem wirklich von ihr eingenommenen Manne. Niemals liebte sie als die erste, niemals wollte sie sich hingeben, sondern voller Gewissensqualen über ihren Fall, dem sie ruhigen Blutes nicht ins Gesicht schauen konnte, glaubte sie ihn auslöschen zu können, indem sie dieses Gewissen durch eine völlige Unterwerfung unter den Mann beschwor, der gerade ihr Herr war. In ihrem guten Glauben hielt sie sich noch durch eine befehlende Pflicht gebunden, wenn ihr Verstand ihr schon deutlich sagte, daß der Mann, dem sie ihr Herz bewahrte, längst eine andere anführte. Roizard. For me. In einem Wort ist Roizard der idealisierte Dominique. Ersichtlich höchst wechselvollen veränderlichen Charakters; ein Wort bringt ihn das eine Mal zu Tränen, das andere Mal macht es ihn ironisch, hart, aus Angst, davon weich zu werden und sich hinterher dieser Schwäche wegen zu verachten. Er war von mittlerer Größe und zählte über vierzig Jahre. Seine Züge waren groß, nicht schön, aber höchst beweglich. Seine Augen drückten die geringste Nuance seiner Gefühle aus. Und darüber war sein Stolz verzweifelt. Da er dieses Malheur fürchtete, war er brillant, witzig, voller amüsanter Geschichten, elektrisierte seine Zuhörer und machte das Gähnen im Salon unmöglich. In solchen Augenblicken erregte er Abneigungen wie heftigste Bewunderung seiner Person. Man kann nicht geistvoller sein, sagten seine Bewunderer. Aber die Mittelmäßigen erschreckte die Lebhaftigkeit seines Imprevu. Ohne Emotion war er ohne Geist. Im übrigen war sein Erinnerungsvermögen schwach, oder er mißachtete, es zu Hilfe zu rufen. Dann war sein Wort so diskret wie indiskret der Ausdruck seiner Physiognomie. Daß man erriete, was er fühlte, hätte seinen Stolz zur Verzweiflung gebracht. Das Pompöse -- la sostenutezza -- im Ausdruck eines Gefühles, Affektation im Ausdruck eines Schmerzes waren ihm fremd und zuwider, so legitim solcher Ausdruck auch sein mochte; in solchen Fällen war Roizard Ironie in Blick und Wort. Seriöses, Pompöses, Trauriges waren nie in seiner Konversation, und nie sprach er von dem einzigen, das ein Recht auf sein Interesse hatte; ein echtes Gefühl oder Heroismus, die sich für das Vaterland opferten. Wie weit darf der familiäre Ton des Verfassers dieses Romans gehen? Die außerordentliche Familiarität Walter Scotts und Fieldings bereitet sehr gut die Momente des Enthusiasmus vor. Ist der Ton in Le Rouge nicht zu römisch? 4. Oktober 1832. ANMERKUNG DES HERAUSGEBERS In diesem Bande sind die novellistischen Arbeiten Stendhals gesammelt, deren Abfassungszeit nach Le Rouge et le Noir fällt, also in die Zeit von 1830 bis zum Tode des Schriftstellers. Zwei Romanentwürfe, der eine aus dem Jahre 1882, der andere etwa aus dem Jahre 1840, finden in diesem Bande ihren Platz. In der folgenden Bibliographie sind bloß die ersten Drucke angegeben; von einer Aufzählung der oft sehr zahlreichen nachfolgenden Drucke ist abgesehen. _Les Cenci_ (1599): erster Druck in der Revue des Deux Mondes, 1. juillet 1837, pag. 5-32. Auf eine 1825 in Paris erschienene Broschüre von 87 Seiten: Histoire de la famille Cinci. Ouvrage traduit sur l'original italien trouve dans la Bibliothèque du Vatican, par M. l'Abbé Angelo Maio, son conservateur, hat G. Hanotaux aufmerksam gemacht und hinter dem Verfasser "Angelo Maio" Stendhal vermutet. Auch eine Relation de la mort de Giacomo et Beatrix Cenci, französisch und italienisch 1828 in den Mélanges der Société des Bibliophiles français veröffentlicht und in der kurzen Vorrede mit 'Malartic' unterzeichnet, dürfte Stendhal zum Verfasser haben. Vgl. G. Vicaire in Manuel de l'Amateur de Livres du XIX. siècle, I, 1894, col. 464-465, und: Gli originali delle Chroniques italiennes, con postille autografe inedite: Les Cenci, a cura del dott. Giov. Barburo. Casale, 1912, pag. 27. Die Fürstin von Campobasso, unter dem Titel: _San Francesco a Ripa_, zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. Juli 1853, pag. 166-179. _La Duchesse de Palliano_. Zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. August 1838, pag. 535-554. _Vittoria Accoramboni_. Zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. März 1837, pag. 560-584. _L'Abbesse de Castro_. Geschrieben um 1838 und zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes, Februar 1839, pag. 273-328 und März 1839, pag. 628-653. Die erste Buchausgabe: L'Abbesse de Castro par M. de Stendhal, Auteur de Rouge et Noir, de La Chartreuse de Parme etc. Paris, Dumont, éditeur, Palais-Royal, 88, au Salon litteraire, 1839, in 8°, SS. 329. Der Band enthält außerdem Vittoria Accoramboni, Les Cenci. Von der Äbtissin von Castro, meist vereinigt mit andern Novellen aus dem italienischen Kreise, sind erschienen: fünfzehn französische, drei deutsche Ausgaben, je eine spanische, italienische, schwedische, flämische, tschechische, russische und polnische Ausgabe. Ein Aufsatz Stendhals über etruskische Gräberfunde Les Tombeaux de Corneto, den man in den französischen Ausgaben meist den Novellen beifügt, findet in unserer Ausgabe seinen richtigen Platz in den Essais. _Suora Scolastica_, deren Vorrede vom 21. März 1842 datiert ist -- Stendhal erlitt andern Tags einen Schlaganfall und starb am 23. März des Jahres -- ist 1837 begonnen, wie sich aus einem Briefe vom 16. März 1837 an die Comtesse de Tracy ergibt, und unvollendet geblieben. Das Fragment wurde zuerst von C. Stryienski in La Chronique de Paris Nr. IV, 25. Februar 1893, pag. 195-200, veröffentlicht, die Vorrede in der Revue rétrospective, XVIII, 1. Mai 1898, pag. 289-293. Beides dann in den Soirées du Stendhal Club, Paris 1904, pag. 127-141. _Trop de faveur nuit_ wurde um 1838 geschrieben und aus der Handschrift zum erstenmal veröffentlicht von F. von Oppeln-Bronikowski in La Revue de Paris, 15. Dezember 1912, pag. 678-696, und 1. Januar 1918, pag. 5-26. Dem Manuskript Stendhals gehen folgende Zeilen von seiner Hand voraus: "'Zu viel Gunst schadet' (aufgegeben am 15. April 1889). Personen: der Fürst, Großherzog und Kardinal; der Graf Buondelmonte; die Äbtissin Virgilia; Felizia, Geliebte Roderigos; Rodelinde, Geliebte Lancelottos, Freundin Felizias; Fabiana, 17 Jahre alt, munter, unbesonnen, Geliebte von X**; Celiana, düstre Geliebte von X**, Freundin Fabianas; Martona, Vertraute der Äbtissin Virgilia; Roderigo L., Geliebter Rodelindens; Lorenzo R., Geliebter Fabianas; sie liebt ihn über alles und hat seinetwegen Don Cesare, Malteserritter, aufgegeben; Pierantonio D., Geliebter Celianas, die nur eine sinnliche Liebe zu ihm fühlt; Livia, adelige Kammerzofe Rodelindens. Trop de faveur nuit, Historie aus dem Jahre 1589. Dies der Titel, den ein spanischer Dichter dieser Geschichte gab, aus der er eine Tragödie machte. Ich werde mich wohl hüten, irgendeine der Ausschmückungen zu gebrauchen, mit deren Hilfe die Phantasie dieses Spaniers versucht hat, diese traurige Schilderung klösterlichen Lebens zu verschönern. Gewiß steigern einige dieser Zutaten das Interesse, aber ich bleibe bei meiner Absicht, die elementaren passionierten Menschen jener Zeit zu zeigen, von denen unsere Zivilisation stammt; darum gebe ich diese Erzählung ganz schmucklos." Stendhal hat seine Erzählung aus einer Chronik entnommen, wonach sich der Vorfall im Kloster von Bajano bei Neapel zutrug. Der Schluß der Erzählung ist nach Stendhals Aufzeichnungen gegeben. _Le Chevalier de Saint-Ismier._ Erstmals nach der Handschrift veröffentlicht von F. von Oppeln-Bronikowski in der Revue Bleue, 7. Dezember 1912, pag. 709-714, und 14. Dezember 1912, pag. 737-740. _Zwei Roman-Entwürfe._ Erstmals von C. Stryienski veröffentlicht in den Soirées du Stendhal Club, Paris 1904, pag. 95-100. Der erste Plan -- A-Imagination, das A ist alpha privativum -- ist gegen 1840 aufgeschrieben, wie sich aus der Julien Sorel erwähnenden Textstelle ergibt. Den zweiten Entwurf hat Stendhal selber datiert. Der in dem Legat angegebene Abraham Constantin war ein Miniaturenmaler auf Porzellan und Kopist alter Meister, dessen Hauptwerke sich im Museum von Turin befinden. Die Duchesse de Vaussey dürfte in Menta ihr Urbild haben. Vgl. Vie de Henri Brulard und einen Brief Mentas in Comment a vécu Stendhal, 1900. Roizard ist Selbstporträt; R. Colomb benützt es in seiner Notice. _Aus italienischen Chroniken_. Im Jahre 1833 erstand Stendhal zwölf -- nach Oppeln-Bronikowski, Einleitung zu Chroniken 1908, dreizehn -- handgeschriebene Foliobände mit zeitgenössischen Berichten aus dem Italien des Seicento, vornehmlich des römischen. Was er damit für Absichten hatte und wie er durch ihre Verwendung der Originator des Renaissancismus wurde, geht aus Briefen an den Freund R. Colomb und den Verleger Calman Levy und aus Tagebuchaufzeichnungen hervor: sie sollten ihm das stoffliche Material zu einer Reihe von Erzählungen liefern, denen er den gemeinsamen Titel "_Les Bois de Premol_" geben wollte und die sechs Bände umfassen sollten. "Ich habe alles nichts als Historische beiseite gelassen und nur das gesucht, was das menschliche Herz schildert" und unterm 27. April 1882 an Colomb aus Palermo: "was geht uns heute ein Interdikt gegen Venedig an oder die Geschichte der zahllosen Verträge zwischen Rom und Neapel? Aber es interessiert uns, wie man sich in jener Zeit an einem Nebenbuhler rächte oder eine Frau eroberte. Ich las das Manuskript dieser alten Berichte wie einen Roman." Und: "Die Eitelkeit und die öffentliche Meinung waren kaum im Entstehen, und vom Fürsten verliehene Ehren nahm man mitnichten ernst ... Manche glauben ja gar, jene Kultur wäre der unsern, auf die wir so stolz sind, gleichwertig. Aber wir haben da ein Plus von zwei hübschen Dingen: die Wohlanständigkeit und die Heuchelei. Unsere heutige Prüderie hat nicht die leiseste Vorstellung von jener Kultur ... Aber dafür wären auch alle unsere mumienhaften Tugenden den Zeitgenossen Ariostos und Raffaels höchst lächerlich vorgekommen. Denn man schätzte damals am Manne nur, was er als Person, als er selber war, und es war keine Eigenschaft der Person, so zu sein wie jedermann: die Dummköpfe und Einfaltspinsel hatten da kein Terrain." Und: "Das Leben ohne die Dinge, die es glücklich machen, wurde nicht hoch eingeschätzt. Ehe man den beklagte, der es verlor, rechnete man die Summe von Glück aus, die er genossen, und in dieser Rechnung nahmen die Frauen einen weit größeren Raum ein als heutzutage." Und: "Diese Sitten haben einen Raffael und Michel Angelo hervorgebracht, die man heute höchst lächerlich durch Kunstakademien hervorbringen will. Man vergißt, daß es einer kühnen Seele bedarf, um den Pinsel recht zu führen, und erzielt nichts als arme Teufel, die einem Bureauchef den Hof machen müssen, damit er bei ihnen ein Bild bestelle." Einiges aus diesen Handschriften hat Stendhal in die Formen seiner Novellen gebracht; fast wörtlich folgt er seinen Quellen in der Vittoria Accoramboni und den Cenci. Anderes wird Episode, ja dient als Fabel, wie in der Chartreuse de Parme. An der Ausführung seines Planes der weiteren Bände wurde Stendhal durch den Tod verhindert; der Vertrag über neue Chroniques italiennes mit der Revue des Deux Mondes war bereits abgeschlossen und 1500 Franken an Stendhal als Vorzahlung geschickt worden. Stendhals Schwester Pauline Périer-Lagrange verkaufte durch Mérimées Vermittlung die Manuskriptbände der Quellen an die Bibliothèque nationale: es sind die Codices Italiani 169-179 und 296-297 der Handschriftenabteilung. Zum ersten Male haben gleichzeitig Oppeln-Bronikowski a.a.O. und C. Stryienski im zweiten Bande der Soirées du Stendhal Club, Paris 1908, pag. 214-267, daraus einiges publiziert, der Deutsche sechzehn, der Franzose zwölf gekürzte Stücke. Oppeln-Bronikowski hat außerdem eine genaue Beschreibung der Codices gegeben, die ungeführ fünfzig Geschichten enthalten. Ein kleiner Teil dieser Geschichten ist von Stendhal durchkorrigiert -- "ich mache Bleistiftkorrekturen, um nicht beim dritten Lesen die Geduld zu verlieren", wie er in einer Vorrede schreibt. Unserer Übersetzung dienten als Vorlage: Abschriften nach den Originalen in Paris, Stryienskis Text und für _Ariberti_ und _Farnese_ Stendhals Correspondance. Die ausgewählten Beispiele wären leicht zu vermehren gewesen, doch schien dies überflüssig. Das begrifflich und dokumentarisch Neue von 1830 ist durch Burckhardt und Nietzsche und ihnen nachfolgend durch zahlreiche Veröffentlichungen der Dokumente so vertraut geworden, daß ein ausführlicherer Abdruck Stendhalscher Exzerpte obsolet wäre. Aus einem der drei oder vier literar-kritischen Werke von Rang, die in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland veröffentlicht wurden, aus F.F. Braungartens 'Das Werk Conrad Ferdinand Meyers, Renaissance-Empfinden und Stilkunst', G. Müller, München 1920, seien hier einige Sätze zitiert: "[sic! Anführungszeichen am Ende des Zitats (wohl am Absatzende nach dem Losungswort) fehlt.]Bei Stendhal ist die Renaissancebegeisterung wesentlich revolutionäre Weltanschauung: Stendhals Renaissancehelden sind die Abenteurer, die Briganti und Condottieri. Cesar Borgia, 'le représentant de son siècle' heißt es bei Stendhal ... Er stellt die Renaissance als Ziel des natürlichen und freien Menschen in Gegensatz zu der Knechtschaft und Verlogenheit des ancien régime. Er verherrlicht die Leidenschaft und Aufrichtigkeit der Renaissance als lichte Gegenbilder der Eitelkeit und der Galanterie und des verlogenen Ehrbegriffs des ancien régime, die den Mann im Herrendienst und Frauendienst zum Sklaven macht. Auf diesen von Stendhal festgelegten Grundzügen baut sich das Renaissanceempfinden auf. Auch das erschöpfendste Renaissancebild: die Darstellung Burckhardts hat hier ihre Aufgabe. Stendhal, der immer nur an das XVI. Jahrhundert denkt und von dessen civilisation renaissante spricht, kennt übrigens das Wort Renaissance noch nicht. Stendhal hat die Renaissance als Folie des ancien régime, d.h. des Barocks, geschaut ... Das Renaissancebild des Romanciers Stendhal war rein psychologisch. Er hatte bereits 1817 der Renaissancebewunderung das Losungswort gegeben: "le seul siècle, qui ait eu à la fois de l'esprit et de l'énergie". Stendhal hat einigen seiner Auszüge Bemerkungen vorangestellt; sie sind folgend wiedergegeben: _Zu Kardinal Aldobrandini_: "Das wirkliche Herz der italienischen Kurtisane; die Sitten waren zu wild, als daß sie den Kurtisanen eine leichtherzige Güte erlaubt hätten. Mit dieser Geschichte die Sammlung anfangen. Hierauf chronologische Folge. In der Biographie Michaud den Artikel Aldobrandini zu lesen, um über die Lügereien zu lachen. Alles das ist vor der Kopie von mir in den Originalmanuskripten gelesen worden. Augenschmerzen wegen des Staubes." _Girolamo Biancinfiore_: "Art Don Juan oder giftmischender Casanova. Wildes Geschwätz, sehr abzukürzen, macht den Eindruck, als ob es für Kinder erzählt wäre. 24. April 1833." _Die Brüder Massimi_: "Aus Höflichkeit, aus mondäner Klugheit diese Geschichte nach Neapel verlegen. Anfangen mit der Geschichte der Stiefmutter, umgebracht von den vier Brüdern." _George Picknon_: "Unter Ganganelli kam ein Engländer, wie ich glaube, nach Rom, um den Papst zu bekehren. Ganganelli ließ ihm einiges Geld für die Heimreise geben. Ich hätte den Mann zu meinem Amüsement kommen lassen, aber wahrscheinlich hatte der arme Ganganelli, mit den Jesuiten beschäftigt, keine Zeit, sich zu amüsieren." _Die Farnese_: "Bericht voll naiver Wahrheit im römischen Patois. Rom 1834. To make of this sketch a Romanzotto, 16. August 38. Courier hat ganz Recht. Durch eine oder mehrere Huren haben die meisten großen Familien ihr Glück gemacht. Das ist nun ja in New York nicht möglich, da gähnt man sich aber auch die Kinnbacken aus. Alessandros idealisierte Porträtbüste von della Porta in Sankt Peter auf seinem Grabmal. Das wahrhafte Porträt Alessandros, der Paul III. wurde, zeigen im höchsten Alter zwei Büsten im Palazzo Farnese, eine davon dem Michel Angelo zugeschrieben. Spaßiger aber seiner würdiger Schmuck auf dem Ornat des Papstes." Im ersten Bande von Stendhals Novellen 'Eine Geldheirat' sind folgende Versehen zu korrigieren. S. 371, letzte Zeile, haben die Neuausgaben von Contes bruns zu heißen: Phil. Chasles und Ch. Rabou. Auf S. 372: Le Mari d'argent ist zuerst gedruckt in den Nouvelles Inédites 1855. Die genannte Ausgabe ist der 1902 erschienene Neudruck von den alten Platten. S. 369, Zeile fünf von oben muß es heißen Nouvelles Inédites. Arthur Schurig macht mich auf eine erotische Geschichte aufmerksam, die unediert in Grenoble liegt, die erste schriftstellerische Arbeit des jungen Beyle. Es ist zur Zeit davon keine Abschrift zu erhalten gewesen. Die Heldin der Novelle 'Mina von W.' heißt in Stendhals Handschrift richtig Wrangel. Da die Arbeit unter dem Namen Wangel bekannt wurde, schien es besser, dabei zu bleiben. Zumal auch ein umfangreicher, noch nicht veröffentlichter Roman den Titel 'Mme de Wrangel' trägt und dieser dann zur Unterscheidung von der wesentlich verschiedenen Novelle den richtigen Namen in unserer Ausgabe behalten wird. _Franz Blei_ INHALTSVERZEICHNIS Die Fürstin von Campobasso Die Herzogin von Palliano Die Cenci Zu viel Gunst schadet Vittoria Accoramboni Die Äbtissin von Castro Schwester Scolastica Der Chevalier von Saint-Ismier Aus italienischen Chroniken Zwei Roman-Entwürfe Anmerkung des Herausgebers Gedruckt für Georg Müller in München von Poeschel & Trepte in Leipzig. Gebunden von H. Pikentscher in Leipzig nach dem Entwurf von Paul Renner Fußnoten [1] Ein wenig weiter unten kommt Stendhal darauf zurück und läßt Felizia in einer andern Weise handeln. Dieser ganze Absatz scheint ein erster Entwurf zu sein. D.H. [2] Siehe weiter oben. [3] Die Corte wagte nicht in den Palast eines Fürsten einzudringen. [4] Sixtus V. wurde 1585 mit 68 Jahren Papst und regierte fünf Jahre und vier Monate; er hat verblüffende Ähnlichkeiten mit Napoleon. [5] Gasparone, der letzte der Briganten, unterhandelte 1826 mit der Regierung; er sitzt in der Festung von Civita Vecchia mit sechsunddreißig seiner Leute gefangen. Der Wassermangel auf den Höhen des Apennin, wohin er sich geflüchtet hatte, nötigte ihn zu kapitulieren. Er ist ein Mann von Geist, von einnehmendem Äußern. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ÄBTISSIN VON CASTRO *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. 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