Title: Die Schlüssel des Himmelreichs; oder, Sankt Peters Wanderung auf Erden
Author: August Strindberg
Translator: Erich Holm
Release date: September 9, 2014 [eBook #46817]
Language: German
Credits: Produced by Jens Sadowski
Märchenspiel in fünf Akten
von
August Strindberg
1917
Kurt Wolff Verlag / Leipzig
Bücherei „Der jüngste Tag“ Bd. 47/48
Druck von Ernst Hedrich Nachf. in Leipzig
Autorisierte Übersetzung aus dem
Schwedischen von Erich Holm
Der Schmied
Der Arzt (Doktor Allwissend)
Sankt Peter
Don Quixote
Sancho Pansa
Narzissus
Tersites
Der Pfarrer
Seine Frau
Tochter
Schwiegersohn
Der Däumling
Das Aschenbrödel
Der ewige Jude
Ein Papst
Ritter Blaubart u. a. Schatten
Liebhaberin
Oreaden Nymphen Volk Zwerge
I. Akt: | In der Schmiede |
II. Akt: | Don Quixote auf Romeos silberner Hochzeit |
III. Akt: | Der Hoberg-Alte |
IV. Akt: | Schlaraffenland |
V. Akt: | Am Calvarienberge. Beim Papste. Im Turm zu Babel |
(Bei einer Aufführung sind diese fünf Akte in drei zusammenzuziehen)
(Kammer hinter der Schmiede, von der letzteren durch eine Bretterwand, in deren Mitte sich eine große Öffnung befindet, getrennt. Hierdurch sieht man die Schmiede, die zugleich Verkaufsladen ist und nach der Straße zu ein großes offenes Fenster hat. — In der Mitte der Kammer ein Ambos mit Schlegel. An der linken Wand drei leerstehende Kinderbettchen. Spielsachen auf einer nebenbefindlichen Bank; über den Bettlehnen Kinderkleidchen, unter den Bettstellen Kinderschuhe. An der rechten Wand ein Kachelofen aus grünen Kacheln mit einer eingemauerten Bank. — An den Wänden gewebte Bilder, Darstellungen aus der biblischen Geschichte, des Ganges nach Golgatha, der Höllenfahrt Christi. Auf dem Getäfel Krüge, Kannen, Silber- und Zinngefäße. Draußen in der Schmiede ein langer, die Mitte einnehmender Tisch mit Eisenwaren, Werkzeugen, Blechschilden, Schlüsseln, Schlössern, Waffen, Rüstungen. Die Zugstange des Blasebalgs hängt rechts an der Zwischenwand hervor. — Durch das im Hintergrund befindliche offene Fenster der Schmiede wird eine Straße im mittelalterlichen Stile sichtbar.)
Der Arzt. Der Schmied. Sankt Peter.
(Der Arzt, schwarz gekleidet, in Doktorstracht, sitzt unbeweglich auf der Bank am Kachelofen, so daß er dem Zuschauer den Rücken zuwendet. Der Schmied in Trauerkleidern tritt aufgeregt und verweint beim Aufgehen des Vorhangs ein.)
Der Schmied
Was half mir deine Kunst, du Wunderdoktor?
Was nützten wohl Mixtur und Balsam,
Da nun die Pest mein Haus verödet?
Was liest du unaufhörlich, schwarzer Meister,
Von Säuren und von Salzen,
Von Theriak und des Weisen Stein,
Der in dem Magen eines Krebses sitzt?
Kannst du in meine Kinder Leben lesen,
Die jüngst sie senkten in die schwarze Erde?
Ich kam zu spät zum letzten Scheidekuß,
Zu spät, sie zu der Grube zu geleiten,
Darein, was lieb uns war und teuer,
Vergraben wird und fault zum Schmutz. —
O, du mein Gott! Nun ist die Stube leer,
Und leer sind auch die kleinen Betten!
Sieh, hier lag Katharina! Ach, sie war mein Ältstes!
Sieh hier den Abdruck ihres schönen Köpfchens
Im Kissenüberzug . . . .
Sie war mein Freund, seit Mutter starb, —
Und ich war ihrer!
Und Mutter ward sie den Geschwistern.
So klug, so zärtlich und so ernst . . . .
Sie kam zur Welt in unsern allertrübsten Zeiten
Und brachte mit das Glück,
Und Wohlstand, reichen Segen unserm Haus.
Gesegnet sei dein Angedenken, Engel! —
Und hier mein Margarethel!
Du frische Rose voller Duft,
Du kleiner Vogel, der mit frohem Zwitschern
Das Haus erheitert, der Geschwister Kreis!
Mit offner Hand und offnem Herzen,
Wie war dir’s Geben Lust!
Da steht dein kleiner Schuh!
Den Heller leg’ ich dir hinein —
Daß, wenn du aufwachst . . . Wenn du aufwachst? Wenn? —
Ja, dies der Schuh, doch wo das Füßchen,
Das kleine runde Füßchen, —
Das kaum berührt den Blumenanger,
Das eine Emse nicht zertrat, —
Ohn’ daß ein leises „Gott verzeih“
Von leicht gerührtem Herzen Zeugnis gab?
Du kleiner Schuh . . . .
Schlaf süß, mein liebes, liebes Margarethel!
Und du, mein Sohn, mein Schmerzens-Kind,
Doch meiner Sorgen nicht!
Mein Benjamin,
Der Mutter Bild war mir zurückgegeben,
Wenn aus der Wiege deine großen, hellen Augen
Mich, wie dereinst die ihren, angelacht.
Ich hatt’ dich lieb! Wie lieb, das kann
Ich gar nicht sagen. Doch weiß ich eins,
Als du mir starbst, starb ich. —
Dein kleiner, zarter Leib
Barg einen männlich starken Willen!
Dein schönes blondes Köpfchen,
So reich an mächtiger Gedanken Keim,
Ließ dir zu Spielen niemals irgend Ruh.
Und in der schwachen Brust ein edles Herz dir klopfte,
Daß du dich strafen ließest für die Schwestern. —
Denk, schwarzer Doktor, dir,
Er nahm der andern Schuld auf sich —
Dem Jesuskinde war er gleich:
Sein liebstes Spielzeug war das kleine Lämmchen,
Das Lämmchen, sieh, so unschuldsweiß!
Das sollte schlafen ihm im Arm,
Es sollt’ ihm fressen aus der Hand! . . . .
Mein kleines, weißes Lamm, leb wohl,
Leb wohl, mein Liebling, mein Johannes!
(Läßt sich am Bette des Kindes nieder.)
Der Arzt (aufstehend)
Hat, armer Freund, der Schmerz nun ausgetobt?
Der Schmied
Wo gab’s ein Ende solchen Grams,
Arzneien wo?
Ja, gib mir meine Kinder wieder, und ich bin geheilt!
Der Arzt
Hör mich und nimm Vernunft zu Hilfe!
Nicht immer heilt man Gleiches nur mit Gleichem,
Brandwunden linderst du mit kühler Salbe:
Du weißt, die des Gesichts entraten,
Sie helfen sich mit Ohr und Hand;
Und bald, als deine Frau dir starb,
Vergaßest du sie um die Kinder.
Der Schmied
Und nun sind auch die Kinder mir gestorben!
Der Arzt
So höre doch! Kann ich zum Leben wecken,
Die von uns schieden?
Ich kannte deine Kinder, habe nie
So liebe Kleinen noch gesehen.
Und daß sie dich geliebt, das weiß ich,
In Leidensstunden sah ich sie
Und hörte, wie sie Vater riefen.
Mit Tränen in der Stimme! Väterchen,
Komm, Vater! Komm! Wir sterben.
Der Schmied
Ach! Nach dem Vater riefen sie!
Was weißt du noch? So sprich . . .!
Sie litten schwer? Wie sahn sie aus?
Wer war am tapfersten?
Berichte alles! Auch das Kleinste
Ruf ins Gedächtnis dir zum Leben!
Der Arzt
Zuletzt, im Fieber, dem Ersticken nah — — —
Der Schmied
Halt ein, zum Satan! Sie erstickten!
O Gott! Der du sie mir erstickt,
Ich hasse dich!
Der Arzt
Bedeckten sie mit Küssen meine Hand
Und nannten Vater mich — — —
Zum erstenmal hört’ ich mich Vater rufen,
Und als ich fühlte ihre heißen Lippen
Auf meiner harten Hand, die schnitt in Menschenfleisch,
Empfand ich deine Seligkeit, dein Wehe . . .
Der Schmied
Du bist ein Mann von Herz, du Doktor!
So ziemlich, ja!
Indessen kam ich da auf den Gedanken —
Und denken ist ja meine stille Seite —
So dacht’ ich denn:
Wie schön der Tod ist in der Jugend,
Bevor des Lebens Bosheit uns verderbte.
Der Schmied
Ein altes Wort, und wohl so unwahr nicht.
Der Arzt
Du bist ein Mann von Kopf, du Schmied!
Der Schmied
So ziemlich, ja!
Der Arzt
Doch sollst ein lust’ger Kerl du von Natur
Auch sein. So spricht man in der Zunft.
Der Schmied
Ich war’s. Doch bin ich es nicht mehr.
Nun ist mein Frohsinn hin.
Der Baum, dem seine Wurzeln abgestorben,
Der welket ab!
Der Arzt
Doch setzt die Zweige man ins Wasser, schlägt er neue Wurzeln.
Ich hab’ mir auch erzählen lassen
Von deinem Wissensdrang und Weisheitsdurst,
Und daß du mehr von deinem Fach verstehst als andre.
Man sagt’s. Und wahr ist’s ohne Prahlerei,
Wenn in den Krug die andern gingen,
Saß bei den Kindern ich und lernte lesen.
Und als ich’s selbst verstand, da lehrt’ ich es die Großen,
Mein Käthchen . . .
Der Arzt
Was aber lasest du am liebsten?
Der Schmied
Von Höfen, Fürsten, Schloß und Burgen,
Der Großen Streit, von Heer und Feldschlacht,
Von alten Zeiten, längst entschwund’nen Tagen;
Kabalen, Diplomaten, Glaubensstiftern,
Von fremden Ländern, Türken, Persern,
Kreuzfahrern und den Sarazenen,
Und seltsam war’s: je mehr ich las,
Je mehr wuchs mein Verlangen nach dem Wissen.
Der Arzt
Du sehntest dich nie, fortzukommen, nie zu reisen?
Der Schmied
Oh, reisen! Ja! Die große, weite Welt zu sehen,
Nicht nach dem Hörensagen bloß von ihr zu reden!
Wer träumt ihn nicht, den Jugendtraum,
Wer hegte nicht die Jugendhoffnung?
(Während der vorhergehenden und nächstfolgenden Szene verschwinden zuerst die Kinderschuhe, dann die Spielsachen, hierauf die Kleider. All dies aber nach und nach.)
So sollst du reisen!
Der Schmied
Was sagst du da? —
Mit wem? Wieso?
Der Arzt
Mit mir!
Der Schmied
Wohl hörte ich, daß einst in früher Zeit
Der Herr auf Erden sei umhergewandert,
Die Menschenkinder zu beglücken!
Doch daß in unsern Tagen
Der Volksaufklärung und der Ketzerei
Noch solch ein Wunderwerk geschehen könnte,
Das hätt’ ich, Doktor, nimmermehr geglaubt!
Der Arzt
Ja, Wunder kannst du alle Tage schauen,
Bis an der Welten Ende!
Wenn du das Meer siehst an die Wolken steigen,
Und Wolken sich zur Erde senken, —
Und wenn dem Samen in der Erd’ entsprießt die Pflanze,
Der Blitz den Baum zerschellt, das Eis die Sonne schmilzt,
Wenn Worte spricht der Mund, das Hirn Gedanken denkt,
Geschehen Wunderwerke noch und alle Tage.
Der Schmied
Sag, kannst du zaubern, Doktor?
Ja, ich so gut wie du!
Siehst du ein Weib, so häßlich wie die Sünde,
So faul wie Jauche, scharf wie Gift,
Und du erschaust in ihr die schöne,
Die gute, engelsgleiche, reine,
So zauberst du!
Als eben jetzt aus der Erinn’rung Tiefen
Du auferweckt die toten Kleinen,
Und du sie deutlich eins vom andern schiedest,
Daß meinem Auge leibhaft sie erschienen,
Daß ich sie sah und ihre Stimmen hörte,
Da wecktest du die Toten auf,
Da konntest du auch zaubern!
(Er zieht einen Totenschädel aus der Tasche)
Sieh hier die Zauberbüchse, die Natur uns gab,
In dieser Kapsel lag vor kurzem noch,
Grauweißlich, eine Masse phosphorhalt’gen Fetts!
Durch diese runden Höhlen drangen
Hinein des Lichtes Wellen,
Durch diese die des Lautes,
Da des Geruchs und des Geschmacks.
Und wenn sie sich im Innern trafen,
Zurück ließ jeder seinen Abdruck,
Bei manchem stärker und bei andern schwächer,
Gesammelt so, vereint, geschieden,
Befruchtend wirken sie und zeugend.
Da hast du nun die ganze Denkmechanik,
Zwar stark verkürzt, doch nach dem Wunsch des Publikums.
(Die Betten der Kinder verschwinden.)
(Sankt Peter kommt zwischen dem Kachelofen und der Wand hervor. Er ist hochbetagt und hat einen stark ergrauten Bart. Kostüm und Maske entsprechen der biblischen Tradition. Die Linke hält einen Fisch, am Gürtel hängt ein leerer Schlüsselring.)
Der Schmied. Der Arzt. Sankt Peter.
Der Arzt
Sieh da, am Freitag abend einen Kunden.
Der Schmied
Doch welchen Weg nahm er?
Der Arzt
Den schmalen.
Der Schmied
Verkauft er Fische?
St. Peter (mürrisch)
Das ist kein Fisch! Das ist ein Symbol!
Der Arzt
Das merkt man am Geruch, daß er zur Symbolik gehört.
St. Peter
Ich bitte Euch, sprecht wie ein ehrlicher Mensch, damit ich verstehen kann, was Ihr sagt.
Der Arzt
Euch führt wohl ein besonderes Geschäft hierher, da Ihr den Zugang durch den Kachelofen wähltet. Was immer es sei, macht’s kurz, denn der Schmied und ich, wir stehen im Begriff auf Reisen zu gehen.
Mein Geschäft? . . . Wartet ein wenig! Ja ja! Mein Gedächtnis läßt mich im Stich, seitdem ich alt geworden bin.
Der Arzt
Ihr seht in der Tat nicht jugendlich aus, aber wie alt Ihr seid, dessen erinnert Ihr Euch doch wohl?
St. Peter
Laßt mich mal nachdenken. Wann habe ich denn die Taufe empfangen?
Der Arzt
Ihr seid getauft?
St. Peter (indigniert)
Ob — ich — getauft — bin?
Der Arzt
Mich wollte, der Nase nach, bedünken, daß Ihr beschnitten aussähet. Konfirmiert seid Ihr auch?
St. Peter
Was ist denn das? Davon weiß ich nichts.
Der Arzt
Seid Ihr etwa zum Priester geweiht?
Das nicht, aber verheiratet war ich. — Wie hieß sie doch nur? Konstantia nannten sie die Kirchenväter, allein sie führte den Namen Perpetua, ihrer unerschöpflichen Ausdauer wegen.
Der Arzt
Hört, Ihr seid doch nicht . . .? Ist nicht etwa Euer Name Petrus oder dergleichen?
St. Peter
Damit hat es seine Richtigkeit, obgleich ich mich, so auf der Fußwanderung begriffen, nur des familiäreren St. Peter bediene.
Der Schmied
Das klingt ja wie aus dem Legendenbuch, wo Petrus auch auf Erden wandelt.
Wie oft nicht las am warmen Winterherd
Ich meinen Kindern diese Märe vor.
Der Arzt
Geh, schwätz’ nicht, Schmied! Sieh lieber, daß du deinen Ranzen packst!
Der Schmied
Apostel, Heil’ger, der du weckst die Toten,
Gib meine Kinder mir zurück!
Ich war meiner Treu kein Heiliger und kann auch nicht Tote auferwecken. Wenn Ihr Eure Kinder verloren habt, so müßt Ihr Euch in Geduld fassen. Oben im Himmel, da treffen wir uns ja alle wieder.
Der Schmied
Alle?
St. Peter
Alle. (Salbungsvoll.) Denn die Macht der Hölle ist niedergeworfen durch ihn, der in die Welt kam, das Gesetz aufzuheben, oder wie der Apostel spricht: Du Tod, wo ist dein Stachel, du Hölle, wo ist dein Sieg? Ja, so verhält es sich! Doch, was wollte ich nur eigentlich sagen?
Der Arzt
Dem betrübten Vater ein Wort des Trostes?
St. Peter
Ein Wort des Trostes, jawohl. Danach verlangen sie alle. Von einem Mahnwort aber will niemand wissen. Weißt du, weshalb der Herr gegeben und genommen? Um deiner Selbstsucht, deiner Sünde willen.
Der Arzt
Der Schmied war kein selbstsüchtiger Mann und sündigte weniger als andere, die ihre Kinder behalten.
St. Peter
Ja, seht, wie soll ich das beurteilen können?
Nun, dann laßt aber auch das Verurteilen sein!
St. Peter
Und an einem Trostwort lasse ich es niemals fehlen. (Er zieht ein Bündel Traktätchen aus der Tasche, von denen er dem Schmied eins reicht.) Ist’s gefällig? Es kostet nichts.
Der Arzt
Und bittet er um Brot, so erhält er einen Stein! Bist du mit dem Einpacken nun fertig, Schmied?
St. Peter
Alle Wetter! Den Schmied, den suche ich ja gerade!
Der Schmied
Jetzt haben wir keine Zeit, uns länger aufzuhalten!
St. Peter
Nur einen Augenblick! Seht, die Sache ist die — aber Ihr werdet am Ende glauben, daß ich Euch etwas vorlüge!
Der Arzt
Allerdings!
St. Peter
Im Grunde weiß ich selbst nicht recht, ob etwas Wahres dran ist, allein man sagt es nun einmal. Es heißt auf Erden, ich gäbe so eine Art Torwart des Himmelreiches ab, und jedenfalls kann ich mich aus der Zeit, da ich vor dem Kölner Dom stand, recht wohl erinnern, in dieser Hand einen Schlüssel gehalten zu haben — den Fisch, den hielt ich stets in dieser hier — jetzt aber ist der Schlüssel fort — man mag sich doch sozusagen gerne komplett sehen. Mit einem Wort, Herr Schmied, verachtet mich, aber macht mir einen Schlüssel.
Der Arzt
Das nenne ich mir eine vornehme Bestellung, wie, Schmied?
Der Schmied
Einen Schlüssel zum Himmelreich soll ich verfertigen? Das ist doch ein bißchen viel von einem Schmied begehrt.
St. Peter
Das ist allerdings nicht zu leugnen. So aber stehen nun einmal die Dinge. Und soll nicht einer dem andern helfen?
Der Schmied
Und wenn ich’s nun tue? Was bekomme ich dann?
St. Peter
Bekommen? Alles!
Der Schmied
Wie freigebig! Was ist das: alles?
St. Peter
Vergebung der Sünden!
Ich habe nie gesündigt!
St. Peter
Unverschämt!
Der Schmied
Gewiß nicht! Ich hatte niemals andere Götter, habe nie am Sabbat gearbeitet, nie gestohlen, nie gelogen (mit geringen Ausnahmen natürlich), habe nie gemordet, bin nie unehrerbietig gewesen gegen meine Eltern, nie liederlich, (ja, ein wenig getrunken hab’ ich hie und da) — — — — mit einem Wort, ich war immer ein ganz honetter Mensch. Um aber doch noch ein übriges zu tun, sollst du deinen Schlüssel haben! Wo hast du das Schloß?
St. Peter
Das Schloß?
Der Schmied
Ja freilich. Muß doch Maß nehmen!
St. Peter
Das Schloß ist selbstverständlich an der Pforte.
Der Schmied
So hast du etwa die Pforte mit?
St. Peter (sinnt nach)
Die Pforte wird sich wohl am Himmelreich befinden.
Und das Himmelreich? Wo hast du das?
St. Peter (spitz)
Das wissen allein die Armen im Geiste, Herr Doktor!
Der Arzt
Wahrhaftig, du siehst so geistesarm aus, daß du es wissen müßtest.
St. Peter
Nun ja, jetzt, in meinem hohen Alter. Aber ich hatte auch eine Zeit . . .
Der Arzt
Das ist hübsch lange her! — Willst du uns den Weg weisen, so schließen wir uns dir an.
St. Peter
Der Weg ist schmal, aber die Pforte weit . . . . .
Der Arzt
Nein, du! Richtig zitieren ist nicht deine Sache!
(Zum Schmied)
Der Alte, glaub ich’, ist schon dekrepit!
Die Sprache ist so simpel, riecht nach Schimmel,
Auch läßt ihn das Gedächtnis oft im Stich.
Kaum weiß er recht mehr über sich Bescheid.
Sieht bald in sich — sich selbst, bald einen Schatten,
Vermischt Geschichte, Bibel, Sagen,
Er lebt um tausend Jahr zu lange,
Und morsch sind der Erinnrung Speicher worden.
Schwätz jetzt du nicht, Doktor, und machen wir uns auf den Weg.
Der Arzt
Sollen wir den Alten wirklich mitnehmen?
Der Schmied
Es wird sicherlich manchen Spaß geben, ihn ein wenig zu hänseln, und findet er das Himmelreich nicht, was liegt dran? Vielleicht bringen wir ihn auf vernünftigere Gedanken.
Der Arzt
Ich glaube nicht, daß dieser Pharao-Mumie überhaupt Gedanken beizubringen sind. Allein seine Unerfahrenheit, sein Dünkel und seine Unsauberkeit werden die Annehmlichkeit der Reise erhöhen, denn ich habe mich in schlechter Gesellschaft noch immer wohl befunden.
Der Schmied (zu St. Peter)
Bist du nun bereit, Apostel?
St. Peter
Wie beliebt?
Der Schmied
Da haben wir’s! Taub ist er ja auch!
Der Arzt
Zum letzten Male, Schmied, bist du gerüstet,
Die Fahrt ins Leben zu beginnen?
Mach deine Rechnung mit dem Alten
Und wende dich nicht rückwärts, wenn einmal
Die Hand du an den Pflug gesetzt.
(Er bläst in ein Pfeifchen, die Dekoration verwandelt sich. Ein Vorhang wird vor die Öffnung zwischen Kammer und Schmiede herabgelassen, so daß die Verwandlung dahinter vor sich gehen kann, der Ofen tritt in die Wand zurück usw.)
Der Schmied
Was ist das? Hebt die Erde sich
Aus ihren Angeln? Weh! Der Boden zittert.
Nach beiden Seiten weicht die Wand!
Ich glaubt, es birst die Decke!!
Oh, meine Kinder!
Der Arzt
Du weißt, hier sind sie doch nicht mehr!
Und wenn du je sie wiedersiehst,
So ist es sicher nicht mehr hier.
Doch trage die Erinnerung an sie mit,
Als Kompaß in des Meeres Sturm,
Als trockne Blum, im Taschenbuche,
Die das Gedächtnis weckt des Besten,
Des Lieblichsten, das uns das Leben beut,
Vielleicht des einzig Guten,
Das Wirklichkeit besitzt.
Der Schmied
(der die Bettchen der Kinder suchen gegangen war, stellt sich wieder an des Doktors Seite)
Wer bist du, Zauberer? Verkehrst du mir den Blick?
Ich bin ein Meister der Magie,
Doch ist die Hexerei natürlich.
Das hier ist bloße Szenerie,
Wenn auch Mechanik, wie gebührlich,
Man aus dem Grunde muß verstehen,
Sonst heißt’s Verwandlung, mag sie vor sich gehen. —
Verwandlung
(Die Szene stellt einen Wald mit einem mit Wasserblumen bewachsenen See vor.)
Narzissus
(lehnt an einem Baumstamm und betrachtet sein Bild im Wasser).
Tersites
(äußerst häßlich, groß und feist, mit schmaler Stirn, verglasten Augen und aufgedunsenen Wangen, sitzt in einem Kahn und wirft Steine ins Wasser, um das Bild des Narzissus zu trüben).
St. Peter
(späht anfangs nach allen Seiten umher, zieht dann seine Brille aus der Tasche, entdeckt eine Angelrute und setzt sich an das Ufer des Sees, um zu angeln).
Narzissus. St. Peter. Der Arzt. Der Schmied.
Der Schmied
Den Reiseanfang lob’ ich mir! Im Wald ein Abenteuer!
Just das ist mein Geschmack.
Man hat doch etwas zu erzählen,
Kommt man mit heiler Haut nach Haus.
Doch wer ist jener schöne Jüngling dort,
Der so versunken steht in Träumen?
Das ist Narzissus!
Der Schmied
Narzissus! Ach! Der Narr der Eigenliebe,
Der nimmermüd sein eigen Bild bewundert?
Der Arzt
So sagt die häßliche Canaille auch,
Die dort im Hinterteil des Bootes
Kot in das klare Wasser wirft!
Sieh nur die kolossale Fleischbank,
Tersites nennt sie sich.
Soll auch dabei gewesen sein im Trojerkriege,
Wo er von allen Helden aus dem Trosse
Der Größte war dem Maul nach und dem Suff.
Und obendrein der häßlichste von allen.
Er hält sich Wunder was für einen Sänger,
Und läßt sich gerne auf den Brettern sehn.
Von seiner Schönheit ist er überzeugt,
Und doch voll Neid Narzissus gegenüber.
Darum auch trübt er des Narzissus Bild
Mit Schmutz, den er aus seinen Nägeln kratzt.
Paß auf, wie bei der kleinsten Schmeichelei
Er schnell bereit vor uns sich produziert —
Tersites, Bester, sing uns etwas vor!
Tersites
(erhebt sich und macht eine Verbeugung)
Mit allerhöchster Freude!
Ich bin nicht diffizil wie andre! Hm!
Und was Natur an mich verschwendet,
Ich geb’s zurück mit vollen Händen.
(Sechs Frösche steigen aus dem Wasser auf und deklamieren unter Tersites Anführung.)
Die Frösche
__ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __
Koak koak-koak koak koak-koak koak
‿ __ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __ ‿
Koak koak koak-koak koak koak-koak koak-koak[1]
(Bis)
Tersites (singt)
Ich bin ein kleiner Vogel,
Der singt den Sommer lang,
Und lernt’ ich auch nicht singen,
Ist doch recht schön mein Sang!
(Räuspert sich)
Die Frösche (applaudieren)
Tersites (singt)
Ich bin ein kleines Blümlein
Und dufte rein im Tann’,
Und lernt’ ich auch nicht duften,
So duft’ ich, wie ich kann.
(Räuspert sich)
Die Frösche (applaudieren)
Tersites (singt)
Ich bin ein kleiner Falter,
Zu schäkern flieg ich aus,
Und lernt’ ich auch nicht fliegen,
Ich flieg, trotz einem — Strauß.
(Er tanzt)
[1] __ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __ | ‿ __ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __ ‿
(applaudieren und rezitieren hierauf wie s. 30)
Koak koak-koak koak usw.
Der Arzt
Du singest wie Narzissus selbst!
Und hätte Midas nicht schon ganz verpfuscht das Genre,
So könntest du dich messen mit Apoll!
Tersites
Ihr seid zu gütig, Doktor,
Und daß ich’s nur gesteh’, ich dachte selbst daran,
Doch hielt die angeborne Schüchternheit
Mich stets davon zurück.
Der Arzt
Hast du Narzissus nie zum Wettkampf aufgefordert?
Das wär, doch immer ein Triumph, ob auch nicht groß.
Tersites
Der dünkelhafte Narr!
Die Vorigen. (Eine Oreade der Felsen des Waldes tritt hervor. Um sie scharen sich Dryaden, welche sich hinter Baumstämmen verborgen gehalten, sowie aus dem Wasser tauchende Najaden.)
Die Oreade
Halt ein! Tersites! Hör’, bevor du redest
Von Dingen, die dir unbegreiflich sind.
Du liest die Sagen wie ein Kind
Und findest alles einfach.
Doch der Gedanke, der dahinter steckt,
Bleibt deinem trüben Blick verdeckt.
So klingt die wahre Sage von Narzissus:
(Rezitiert oder singt)
So erzählt die Sage von Pan, | ‿ ‿ __ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Dem Gotte des rauschenden Wald’s, | ‿ __ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Einer Nymphe stellt er einst nach, | ‿ ‿ __ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Die Echo mit Namen genannt. | ‿ __ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Nicht geneigt war Echo dem Pan, | ‿ ‿ __ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Ihr Herz einem andern gehört; | ‿ __ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Doch Narzissus, den sie erwählt, | ‿ ‿ __ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Statt Liebe die Weisheit erkor. | ‿ __ ‿ ‿ __ ‿ ‿ __ |
Gnothi Seauthon! ‿ __ ‿ ‿ __
Die Nymphen
Das da heißt! Erkenne dich selbst! ‿ ‿ __ | ‿ __ ‿ ‿ __
Die Oreade
In Gedanken sieh ihn dort stehn:
Er schaut in der Tiefe sein Bild,
Seines Wesens Grund zu erspähn,
Das hinter den Zügen sich birgt.
Doch im Wasser rudert ein Narr,
Im See nur den Spiegel er sieht,
Und er wähnt, der Denker begafft
Sich dort, wo ins Tiefste er blickt.
Gnothi Seauthon!
Die Nymphen
Das da heißt: Erkenne dich selbst!
Gnothi Seauthon![2] Ach! Der Narr,
Damit soll ich vielleicht gemeint sein!
Doch zeigen will ich euch, daß auch der Narr,
Wenn’s sein muß, in die Tiefe blickt,
Obgleich ich, grad’ heraus, dort nichts gewahrt als Schlamm.
(Er lehnt sich über den Bootsrand)
Die Oreade
Das glaub’ ich gern, Tersites,
Doch ist’s, weil du allein die Oberfläche siehst.
Tersites (auf der Bootskante)
Den Himmel seh’ ich jetzt sich unten spiegeln!
Die Oreade
Ja, auf der Oberfläche; tiefer blick, Tersites!
Tersites
(Das Boot schlägt um, und er versinkt)
Ich sinke! Weh! Kein Boden unter mir!
Die Oreade
Das war zu tief für dich!
Und also heißt es jetzo Wasser schlucken.
Die Nymphen
Gnothi Seauthon!
Das da heißt: Erkenne dich selbst!
(Tersites sinkt in die Tiefe. Die Frösche hüpfen ihm nach. Die Nymphen verschwinden in das Dickicht, Narzissus zieht sich in die Höhlung des Baumes zurück. Der See bedeckt sich mit einer Grasmatte, und St. Peter, der ohne auf die sich abspielende Szene zu achten, während der ganzen Zeit erfolglos mit Angeln beschäftigt gewesen, wird schließlich gewahr, daß etwas Ungewöhnliches vorgeht.)
[2] Für den Schauspieler: Tersites skandiert falsch, in Jamben.
Der Arzt
Nun Schmied, was dünkt dich von dem Abenteuer?
Der Schmied
Gewiß, recht nett und auch sehr instruktiv —
Etwas zu tief wohl auch für mich —
Philosophie ist just nicht meine Stärke.
Der Arzt
Nein, nein, das geb, ich zu! denn leben erst
Und sehn, hören und sodann summieren,
Den Abzug machen, Wurzel, Mittel suchen,
So spinnt sich ja der Hergang ab.
Nicht eher lernst du dich erkennen,
Als bis im kleinen Finger du das Leben hast,
Also zurück zu Fuß auf neuen Wegen.
Wie steht’s mit unserm Freund Apostel?
Sind seine Rappen schon bereit?
St. Peter
(der die Angelrute auf die Wiese ausgeworfen)
Ich glaube, meiner Seel’, der See ist alle!
Der Arzt
Du fischest auf dem Trocknen, alter Fischer,
Komm mit und fische Menschen, Petrus.
Das Wort hab’ ich einmal gehört
Vor vielen, vielen Jahren schon — — —
Wie mir das Alter das Gedächtnis trübt —
Und dennoch wie durch ein Gewölk
Seh’ einen Mann ich licht und mild,
Mit Malen an der Brust, den Händen —
In Büchern las er niemals, sondern wanderte
In Waldeseinsamkeit und auch auf Bergen,
In Dörfern, Städten . . . Da, nun reißt der Faden ab —
Doch immerhin! . . . Kommt, laß uns Menschen fischen, Doktor!
(Er wirft die Angelrute weg; sie gehen.)
(Der Hof eines Gasthauses. Zur Linken und Rechten von Baulichkeiten eingeschlossen, im Hintergrunde von einer Mauer mit großem Einfahrtstore begrenzt. Im Trakte rechts die Schenke, links Kuh- und Pferdeställe, Wagenschuppen und dergleichen. In der Mitte des Hofes ein Brunnen. Vor der Schenke ein paar längliche Holztische mit Bänken.)
Der Schmied und Der Arzt (sitzen am Tische, vor sich ein Schreibzeug und das Fremdenbuch).
Der Schmied (schreibt)
Hier denn mein Name, Stand, etcetera,
Nun ist’s an dir zu schreiben!
Der Arzt
Schreib’ du für mich, das ist ja alles eins.
Der Schmied
Wie heißest du?
Der Arzt
Anonymus.
Der Schmied
Ein sonderbarer Name das! Dein Stand?
Mein Stand? Da könnt ich manchen nennen! —
Sag’: Doktor!
Der Schmied
Von Wannen?
Der Arzt
Vom Mutterleibe!
Der Schmied
Dein Reiseziel?
Der Arzt
Das Grab!
Der Schmied
Stets mystisch!
Wer bist du, wunderlicher Mann, der mein Geschick
In deine Hand du nahmst? — Was willst du mir?
Der Arzt
Das sollst du wissen, wenn du fertig bist!
Der Schmied
Wann bin ich fertig denn?
Der Arzt
Wenn du, wie ich,
Dich selbst erkennen lerntest!
Der Schmied
Mich selbst?
Was ist dies selbst, das du beständig predigst?
Das ist der feste Punkt, den Archimedes suchte,
Von da er sich vermaß, das Weltall zu bewegen.
Das ist dein Ich, das nie ein andres ist,
Dein Mittelpunkt in deinem Horizont.
Der Schmied
Wer bin ich denn?
Der Arzt
Ein Bursche vorderhand
Von vierzig Jahr, versetzt mit Erz und Schlacke,
Empfindlich wie ein Kind und gleich gestimmt zu Lust und Leid!
Gewiß, noch locken dich des Lebens schlichte Freuden:
Ein voller Tisch, ein schäumend Glas,
Ein Tanz mit Dirnen in dem Grünen . . . .
Die Wirtin
(mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern)
Der Wein ist für die Herren, nicht? (Geht ab.)
Der Arzt (schenkt dem Schmied ein)
Das nicht, doch einerlei! — Trink, Schmied!
Der Schmied
Und Ihr?
Der Arzt
Ich trinke nicht!
Der Schmied
Wohl aus Prinzip?
Beileibe nicht! Ich trank so viel in meiner Jugend,
Daß nichts mehr mich berauschen kann!
Der Schmied
Na, dann trink ich!
Der Arzt
Ich aber geh’,
Denn wer nicht mittrinkt, wird leicht lästig.
Sorg’ nun für dich, dort kommen Leut!
Gesellschaft hast du nun beim Kruge,
Zum mindesten, solang er voll;
Doch wenn du in die Klemme kommst,
Und nach dem Doktor dich’s verlangt,
So rufe nur; ich steh’ dir bei! —
(Entfernt sich durch das große Tor).
Der Schmied allein. Dann Die Liebhaberin.
Der Schmied
Philosophie, bah! Horizont und Archimedes,
Was kümmert’s mich, mag sich die Erde drehen,
Mag sie auf Vieren kriechen!
Die Liebhaberin
Zu Hilfe! Helft mir, edler Herr!
Der Schmied
Was stieß’ Euch zu, mein schönes Fräulein?
Ich bin ein hilflos elend Weib,
Geplündert wurd’ ich eben auf der Straße.
Der Schmied
Von wem? — Wer war es? Sprecht ein Wort,
Und stracks den Arm zu Eurem Schutze,
Wie’s Ehrenmännern ansteht, will ich heben.
Ward Eure Tugend, Eure Sittsamkeit verunehrt,
Laß ich die ganze Räuberbande hängen!
Doch sprecht nur, sagt: Wer seid Ihr?
Und wo geschah’s? Wer ist der freche Täter?
Die Liebhaberin
Seid Ihr der Edelmann, der Ihr mir scheinet,
So fragt mich nicht um meinen Namen.
Der Schmied
Ich fragte nicht, ich stellte bloß in Frage . . .
Die Liebhaberin
In Frage stellet, was Ihr wollt,
Nur glaubt an meine Ehrlichkeit
Und Tugend, an die Schmach, die ich erlitten . . .
Der Schmied
Ich glaub’ daran, wie nur an Eure Schönheit,
Die ich mit meinen offnen Augen sehe,
Wie nie zuvor dergleichen ich erschaut! —
Ich wußt’ es ja: Ihr seid ein edler Mann . . .
Nun denn! mein Vater wollte mich zur Ehe zwingen!
Der Schmied
Ha! Nun versteh’ ich alles! — Ihr;
Ihr liebtet einen andern!
Die Liebhaberin
Nein! — Doch ist das mein Geheimnis.
Ich bitt’ Euch, fragt nicht mehr! Erlaubet nur,
Daß ich mich Eure Schwester nenne
Und unter diesem Namen suche Schutz und Schirm.
Der Schmied
Als Schwester? Herzlich gerne, edles Fräulein,
Wenn Eure Schönheit, Eure edle Art
Nicht allzu tief mich stellt in Schatten
Und dies nicht allzu unwahrscheinlich macht.
Die Liebhaberin
Sprecht nicht von Schönheit, von der meinen gar,
Das Schöne ist nur Schein!
Der Schmied
Ein strahlend heller Schein, der wärmt und leuchtet.
Die Liebhaberin
Ein Irrwisch nur auf Wiesensumpf.
Das ist nicht wahr, kann nimmermehr so sein!
Allein der Güte Widerschein ist Schönheit,
Wenn sie mit solchen Augen redet —
Kein böses Wort von Euren Lippen
Kann ich mir denken! Diese klare Stirn,
Die furchen Zornesfalten nimmer,
Und diese kleine Hand erhebt sich wohl
Zum Handschlag nur und zur Versöhnung —
O wollt Ihr folgen mir, doch nicht als Schwester!
Die Liebhaberin
Wie mancher freite mich und hat sich’s überlegt!
Du kennst mich nicht, du weißt es nicht,
Wie elend und bedrückt ich bin!
Der Schmied
Noch besser! — Gleich und gleich gesellt sich gern!
Die Liebhaberin
Wie krank . . .
Der Schmied
So will ich warten dein!
Die Liebhaberin
Wie böse!
Der Schmied
Nur Kraft verrät es! Eine Tugend mehr!
Wenn ich dich schlag’ und schelte!
Der Schmied
Vertreibt’s mir nur die üble Laune!
Die Liebhaberin
Das deutet wirklich schon auf echte Liebe!
Sag’, kannst du, Mann, ein Weib denn lieben?
Trotz all, und jedem — Nein, rühre mich nicht an!
Sagt, wirst du, wenn verschwunden meine Schönheit
Durch Alter, Krankheit, Gram,
Mich lieben wie zuvor?
Der Schmied
Seit ich ins Auge dir geschaut,
Kann ich dich nimmer, nimmermehr vergessen!
Und auf des Alters Schreckbild würde sich
Erinnerung wie eine Maske legen,
Ob Pest auch ihre schwarzen Zeichen ließe,
Ob Feuer deine weißen Wangen sengte
Und deine Augen aus den Höhlen träten,
Ich säh’ es nicht!
Dein schönes Bild in meinem Herzen blieb,
Das seh ich überall, das hab’ ich lieb!
Die Liebhaberin
Aussätzig bin ich, nun besteh’ die Probe!
(Sie lüftet ihre Maske und läßt ihr vom Aussatz verwüstetes Antlitz sehen)
(anfangs etwas verzagt, faßt sich allmählich)
Ich traure, wie im schneeigen Winter
Man trauert um des Sommers Blumen;
Gram ist der Liebe Schnee,
Und unterm Schnee, da treiben Rosen!
Wie früher lieb’ ich dich,
Nein, wärmer noch!
Ich lieb’ in dir Erinnerung
An das, was ich geliebt! Mein Lieb,
Zum Unterpfand der Liebe küsse mich.
Die Liebhaberin
Rühr’ mich nicht an! Ich trag’ den Tod
Auf meinen Lippen!
Der Schmied
So laß uns beide sterben,
Und nichts mehr kann uns fürder trennen!
Nicht Zank, nicht Zwist, des Lebens Kümmernisse,
Nicht Neid, Verleumdung nicht, wir sterben selig
Der Jugend wunderschönen Tod!
Die Liebhaberin
O Gott, nie hätt’ ich solche Lieb! erträumt!
Der Schmied
Sieh, darum sollst du nicht an Träume glauben!
Die Vorigen. St. Peter
(St. Peter, der während dieser ganzen Szene sich ab und zu im Hintergrunde gezeigt und dem Gespräche gelauscht hat, tritt hervor).
St. Peter
Jetzt aber glaub’ ich, daß wir das Himmelreich gefunden haben. Solche Liebe ist sicherlich nur bei Engeln daheim.
Der Schmied
Sieh da, alter Petrus, bist du’s? — Sag, willst du uns zum Altar führen?
St. Peter
O ja, sehr gern, wenn ich nur dürfte!
Der Schmied
Was sollte denn im Wege stehen?
St. Peter
Ich weiß, siehst du, nicht, ob ich ordiniert bin, und übrigens glaube ich, daß man abgesetzt werden kann, wenn man eine — Aussätzige traut.
Der Schmied
Du bist feig, Petrus!
St. Peter
Wenn man das so nennen will, sich an die Gesetze und Verordnungen zu halten.
Die Vorigen. Don Quixote (kommt zu Pferde durch das große Tor hereingeritten. Er ist mit der traditionellen Rüstung bekleidet, doch stark beleibt).
Die Liebhaberin
Komm fort von hier, Geliebter, ehe mehr Leute kommen! — Ach, da ist ja dieser abscheuliche Don Quixote. (Sie zieht den Schleier vors Gesicht)
Don Quixote
Guten Tag, liebe Leutchen!
Der Schmied
Wen sucht Ihr, mit Verlaub?
Don Quixote
Ich bin der Ritter Don Quixote de la Mancha, und von Romeo und Julia zu ihrer silbernen Hochzeit im Gasthause: „Zum goldenen Roß“ eingeladen. Bin ich etwa fehlgegangen?
Der Schmied
Das Gasthaus ist allerdings das genannte, ob aber Romeo und Julia hier ihre silberne Hochzeit feiern sollen, darüber kann ich keine Auskunft geben, um so weniger, als ich in den Geschichtenbüchern nirgends eine Andeutung gefunden habe, daß die beiden jungen Leutchen sich bekamen.
Don Quixote (sitzt ab)
In den Geschichtenbüchern! Sprecht mir nur von diesen nicht! Was haben sie nicht alles über mich zusammengelogen! — Komm her, Sancho Pansa! —
Die Vorigen. Sancho Pansa (mager wie ein Jockey, faßt Don Quixotes Pferd am Zügel, um es in den Stall zu führen).
Sancho
Zu Befehl, gestrenger Ritter!
Don Quixote
Führ’ meinen Vollbluter in den Stall und gib ihm Hafer!
Der Schmied
Mir scheint, so mager Sancho Pansa geworden, so fett ist jetzt Rosinante.
Don Quixote
Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Selbst ich habe vom Leben gelernt, meine Vernunft zu Rate gezogen und mich zum klugen Mann entwickelt! O, ich bin jetzt verteufelt klug.
Der Schmied
Sollten Sie, Herr Ritter, sich sozusagen auch einer bestimmten Laufbahn zugewendet haben und in die engen Verhältnisse des bürgerlichen Lebens eingetreten sein?
Don Quixote
Ich züchte Traber und besuche Pferdemärkte. — Darf ich Sie mit einer Adresse versehen?
(Reicht St. Peter einen Prospekt, der ihm dagegen ein Traktätchen einhändigt)
Vielen Dank, Ritter, aber meine Pferde brauchen nie gewechselt zu werden.
Don Quixote
Was sind das für Pferde?
St. Peter
Apostelpferde!
Don Quixote
Haha, alter Spaßvogel! Läßt sich mit diesen Rappen gut auf und davon reiten?
St. Peter
Jedenfalls vor Windmühlenflügeln.
Don Quixote
Pfui, schämt Euch!
Die Vorigen. (Der Hochzeitszug aus dem Brunnen hervor. Zuerst Musikanten. Hierauf Montecchi und Capulet, Arm in Arm, sodann die Brautführer und Brautführerinnen, nämlich Hamlet und Ophelia; Othello und Desdemona; Ritter Blaubart und seine Gattin Lady Macbeth; endlich Romeo und Julia, schon recht alt, mit fünf, teils erwachsenen, teils halbwüchsigen Kindern.) Volk. Der Wirt (auf der Vortreppe stehend, empfängt den Hochzeitszug).
Don Quixote
In meiner Eigenschaft als Festordner bei dieser silbernen Hochzeit, heiße ich die Gäste im Namen des Brautpaares willkommen. Euch, alter Montecchi, und Euch, Capulet, es freut mich, Euch nach so vieljähriger Feindschaft, deren Haltbarkeit sich nur mit der Festigkeit Eurer jetzigen Freundschaft vergleichen läßt, Arm in Arm zu sehen; wenngleich nicht verschwiegen werden kann, daß die Freundschaft der beiden alten Seidenfirmen Montecchi & Capulet in Verona eigentlich von dem Mailänder dreiprozentigen Anlehen datiert.
Es ist mir ferner eine teure Pflicht, die Anwesenheit des Brautpaares, des Herrn Romeo, Chef des Hauses Romeo & Söhne, und seiner vielgeliebten Gattin Julia zu konstatieren. Ich möchte dieses Wiedersehen gewiß zu keinem schmerzlichen gestalten, noch einen Mißton in ein so angenehmes Familienfest bringen, kann aber gleichwohl, wenn ich die beiden taubstummen Kinder besagter Gatten sehe, eine Bemerkung nicht unterdrücken. Gestatten Sie mir denn nur zu sagen, diese Ehe wäre besser unterblieben, und als Moral hinzuzufügen: so geht es, wenn ungehorsame Kinder ihren Willen durchsetzen.
(Gemurmel des Unwillens)
Was das Brautgefolge betrifft, so ist es mir vor allem ein Vergnügen, darauf hinweisen zu können, daß Ritter Blaubart über seine verderblichen Instinkte triumphiert und sich in einer relativ glücklichen Ehe mit Lady Macbeth, welche ihn durch eine sehr anerkennenswerte Arbeit über die Abschaffung der Todesstrafe auf bessere Gedanken brachte, absolut monogam entwickelt hat. Ich heiße euch willkommen.
(Murren)
Mit der gleichen Befriedigung sehe ich meinen alten Freund Othello von Venedig wieder. Er hat sich nach überstandenen Stürmen, trotz des ihm gewordenen vollen Beweises, daß seine Gattin Desdemona ihn nicht nur wirklich betrogen, sondern ihre Gunst sogar zwischen dem Unteroffizier Jago und einem gewissen Leutnant Cassio geteilt habe, wieder mit ihr ausgesöhnt und führt jetzt eine recht unglückliche Ehe mit der eifersüchtigen Desdemona, die in ewiger Angst schwebt, der Mohr möchte Revanche nehmen! Ich gratuliere euch; insonderheit Othello!
(Murren)
Zum Schlusse habe ich noch dem Prinzen Hamlet und dem Fräulein Ophelia Polonius zum Ringwechsel zu gratulieren. Wie es diesen beiden Schwärmern ergehen dürfte, ist schwer vorherzusagen, doch glaube ich, daß sie viel zu hoch begonnen haben, um nicht tiefer als gewöhnlich zu enden. Jedenfalls viel Glück!
Und nun zum Feste! Daß es dabei in solch einer Gesellschaft nicht sonderlich lustig hergehen kann, versteht sich von selbst, und ich möchte demnach die Teilnehmer davor warnen, sich irgendwelchen Illusionen hinzugeben. Vor allem: keine Illusionen! Um auch mich selbst vor den allerunliebsamsten, vor unbezahlten Rechnungen nämlich, zu salvieren, ersuche ich in meiner Eigenschaft als Festordner, die Abgabe beim Eingange zu entrichten. Hamlet als Künstler ist natürlich nicht bei Kasse, allein er ist ein schwacher Esser, und Romeo hält ihn frei. — Begebt euch nun hinein, aber, bitte, bezahlt! Bezahlt!
Montecchi (zu Capulet)
Ich glaube, Bruder, der Mensch ist jetzt total verrückt!
Don Quixote
Ja, sagt das nur! Als er an Windmühlen, Schankmädchen, Stechbecken, unbezahlte Rechnungen und Schindmähren glaubte, da war er verrückt; und wenn er jetzt nicht mehr an Schankmädchen, unbezahlte Rechnungen, Stechbecken und Windmühlen glaubt, ist er gleichfalls verrückt! Geht, Gesindel! Stopft euch mit Essen und Trinken an, redet von Liebe, aber nennt sie nicht Brunst, besingt Dulzinea, aber hütet euch zu sagen, daß sie eine Schenkmamsell gewesen; feiert den Ritter Blaubart, aber laßt kein Wort von seinen polygamen Instinkten verlauten; preist Romeo, laßt aber ja nicht merken, daß ihr von seiner ersten Verlobung wißt, verhimmelt Desdemona, ohne je die leiseste Andeutung fallen zu lassen, daß sie eine kokette Dirne gewesen! Geht, Gesindel! Lügt euch einander so voll, so voll, daß ihr um die Ecke schleichen müßt, zu schauen, wie ihr innen beschaffen seid!
(Die Hochzeitsgäste begeben sich ins Innere des Gasthauses.)
St. Peter. Don Quixote. Der Schmied. Die Liebhaberin. Sancho.
St. Peter
Verzeiht, Ritter, aber Ihr scheint mir ein Mann zu sein, dem das Beste abhanden gekommen.
Don Quixote
Wieso? Was sollte mir abhanden gekommen sein?
St. Peter
Das Ideal, Ritter!
Das Ideal! In welchem Kapitel und welchem Vers der Heiligen Schrift kommt das Wort Ideal denn eigentlich vor?
St. Peter (sinnt nach)
Don Quixote
Spekuliert bis zum Anbruch des Jüngsten Tages, Ihr kriegt es doch nicht heraus, denn es steht einfach nicht drin. Meint Ihr vielleicht die Illusionen? Was die sind, weiß ich!
St. Peter
Nun, was sind sie?
Don Quixote
Windmühlen, Schankmädchen, Stechbecken — —
St. Peter
Wartet ein wenig! — Seht Euch diesen Mann hier an!
Don Quixote
Nun! Er sieht in diesem Augenblicke dümmer aus als selbst Othello, der sich von Desdemona hintergehen ließ. Wer ist dieses Frauenzimmer da?
St. Peter
Seine Braut!
Don Quixote
Schön! Weshalb heiraten sie sich nicht?
Wird schon kommen! Wird schon kommen! Seht, sie ist krank, mit Aussatz behaftet, aber er liebt sie dennoch.
Don Quixote
Da ist er ja verrückt, der Mensch. Schickt ihn aufs Beobachtungszimmer und sie ins Spital.
St. Peter
Nein, Ritter! Seht, dies ist die Liebe!
Don Quixote
Verschiedene Namen für das gleiche Ding. Muß mir das Weibsbild doch mal ansehn! (Reißt ihr den Schleier weg) Ha! (Zum Schmied) Und die willst du heiraten?
Der Schmied
So wahr ich lebe und sie mich würdigt, mir ihre Hand zu reichen.
Don Quixote
Das mußt du nochmals sagen.
Der Schmied
Auf Ehre und Gewissen!
Don Quixote
Daß sie aussätzig ist, das siehst du selbst. Daß sie aber eine liederliche Dirne ist, die im Spinnhause saß, das sollst du nun von mir erfahren.
Das lügst du!
Don Quixote
Komm ins Freie und fechten wir’s aus!
Die Liebhaberin
Opfert nicht euer Leben für ein Wesen wie mich. Vergreift euch nicht aneinander!
Der Schmied
Ist es wahr, was der Mann da sagt? Ist das wahr?
Die Liebhaberin
Es ist wahr!
Der Schmied
O, Herr, steh mir bei! Du logst also, als du dich unbemakelt nanntest?
Die Liebhaberin
Ich log!
Don Quixote
Eine aussätzige, lügnerische Dirne. — Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht trennen!
Der Schmied
So lüg’ doch nochmals, Weib! Lüg’ in des Himmels Namen noch einmal: sag’ daß jetzt du logst!
Die Liebhaberin
Ich vermag nicht mehr zu lügen, seit ich mich von der Unendlichkeit deiner Liebe überzeugte.
Ich glaube dir — und folge dir!
Mit einem Herzen wund und weh,
Gleich deinen Zügen, jüngst so hold!
Ob du nun siech, ich bin es auch,
Vergingst du dich, so fehlte ich.
Dein Joch ich trage, fluch ihm nicht,
Nein, segne es, denn Liebesschmerz
Er überdauert Liebeslust,
Und ich, ich will dich lieben ewiglich!
St. Peter
Was sagt Ihr nun, Herr Ritter?
Don Quixote
’s ist zum Teufel holen.
St. Peter
Das ist die wahre Liebe.
Don Quixote
Es ist zum Teufel holen!
St. Peter
Habt Ihr je so etwas gesehen?
Don Quixote
Es ist rein zum Teufel holen!
St. Peter
Na, aber so flucht doch nicht!
Sancho, führ’ mir mein Roß vor.
Sancho (kommt mit dem Roß)
Herr Ritter!
Don Quixote
Hast du den Hafer bezahlt?
Sancho
Alles in Ordnung, Ritter!
Don Quixote
Wieviel hast du dabei gestohlen? Mach dir nur keine Illusionen darüber, mich betrügen zu können!
Sancho
Was wäre das Leben ohne Illusionen, Herr!
Don Quixote
Was soll das nun heißen! Hast du deinen praktischen Blick verloren, du, der sich früher so geschickt aus den vielen Verdrießlichkeiten zu retten wußte, während ich in der Patsche stecken blieb?
Sancho
Da Ihr mir auf unseren bekannten Irrfahrten so oft die Peitsche gabt, weil mir die Flügel — Ihr wisset ja, die Flügel fehlten, bewirkte dieses Peitschen endlich, daß sie mir wuchsen! So will ich denn auch, so schmerzlich und unklug es sein mag, die Wahrheit zu sprechen, nicht verfehlen, Eure Lehren zu beherzigen und — Illusionen zu nähren.
Was der Teufel!
Sancho
Ritter! Ich kann nicht leugnen, daß meine niedre Herkunft, mein Stand, um nicht zu sagen, meine beschränkten Verhältnisse, mich zuweilen in die peinliche Lage versetzten, unter den Mißlichkeiten des Lebens empfindlicher zu leiden, als bei der Natur der Dinge eigentlich der Fall zu sein brauchte.
Don Quixote
Faß dich kürzer!
Sancho
Und — so — fand ich es rätlich, gleichsam — wie sag’ ich nur — das fehlende Ende anzustücken.
Don Quixote (zieht ihn am Ohr)
Sancho
Ritter, so ausgemacht ist das nicht, daß es nicht auch Euch einmal passieren kann, ein Pferd satteln zu müssen, vielleicht gar das meine!
Don Quixote
Was sagst du?
Sancho
Und ich damit in die Lage käme, Euch durchzuprügeln: Ja!
Sancho! Du redest wahr! — Alles ist möglich, und ich könnte mich durch eine Verkettung von Umständen — wenn du, was ja möglich ist, ein junges, reiches Mädchen in Illusionen zu wiegen vermöchtest — ist doch die Macht der Illusion groß — in die Lage versetzt sehen, dein Pferd satteln zu müssen. Allein deinen Hafer stehlen, so etwas, siehst du, würde ich nie und nimmermehr tun!
Sancho
Was, Sie würden nie meinen Hafer stehlen? Welch irrer Traum!
Don Quixote
Ach, ich habe Schlangen an meinem Busen gezüchtet. Sancho, laß uns Freunde sein!
Sancho
Freunde! Freundschaft! Mir scheint, meiner Seele, Eure alten Illusionen wandeln Euch wieder an.
Die Vorigen. Der Brautzug (erscheint im Laufe der Szene). Der Arzt.
Der Arzt
Ei sieh da, meine Reisegefährten! Und Ihr, Ritter Don Quixote de la Mancha. Ein interessanter, belehrender Umgang! Ihr leistet uns wohl Gesellschaft?
Irre ich nicht, so sehe ich Doktor Allwissend vor mir! Ich bin wohl infolge meiner teuer erkauften Erfahrungen, mit denen ich weder großtun noch Verstecken spielen kann, hinter gar manche Dinge gekommen, aber alles weiß ich denn doch nicht, und wenn die Herren mit ihrer Reise nicht gerade einen bestimmten Zweck verfolgen, so gestatten Sie mir, mich Ihnen anzuschließen.
Der Arzt
Der Zweck unserer Reise ist, den Schlüssel zum Himmelreich, den St. Peter irgendwo verloren hat, zu suchen. Finden wir ihn nicht, so wollen wir uns direkt nach dem Himmel aufmachen!
Don Quixote
Vortrefflich! Wohl habe ich, seitdem ich mich überzeugte, welche Hölle das Leben ist, alle Illusionen in bezug auf einen Himmel auf Erden aufgegeben, will aber dennoch mit —
Der Arzt
Herr Ritter! Euer tiefgewurzelter Unmut über das Leben scheint mir daher zu kommen, daß Euch die Ideale verloren gingen.
Don Quixote
Bums! Da haben wir das Wort wieder! Was ist denn das Ideal? Seht Euch den Schmied da an. Er hat sein Ideal an einer aussätzigen Spinnhausdirne gefunden, deren vornehmste Tugend darin besteht, daß sie nicht leugnet, gelogen zu haben! Ist der Schmied glücklich?
Wahrscheinlich! Er berauscht sich an seinem Unglück!
Don Quixote
Denkt Euch, wenn er so wirklich glücklich wäre! Denkt Euch, wenn . . . Aber hört, ich glaube, ich werde in der Tat guttun, mich Euch anzuschließen, um nach meinen verlorenen Idealen zu fahnden. Etwas Glück täte mir nur zu not, nachdem ich den ganzen Kehrichthaufen der Jugendideale sich auf dem Boden umherschleppen gesehen habe. Seht Euch nur dieses fette Schwein Romeo an, wie er seinen Knaster raucht und der Braut eines andern die Kur macht. Seht da diesen Blaubart, der sich der moralischen Liga angeschlossen und Lady Macbeth geehelicht hat, die ihrerseits Präsidentin des Vereins zur Abschaffung der Todesstrafe ist. Pfui! Pfui! Pfui! Ich wollte, ich könnte sie alle auf einen Haufen werfen, Teer darüber spritzen und hernach das Ganze in Brand stecken.
Der Arzt
Ihr Schatten, die ich hier ans Licht beschwor,
Gedanken in ein sichtbar Bild zu kleiden,
Hinab mit euch, dahin, woher ihr kamt!
Erzeugt aus trocknen Brunnens sumpf’ger Luft,
Seid Irrwisch wiederum am alten Ort!
Marsch, alle marsch! Macht fort!
(Der Brautzug kehrt in den Brunnen zurück. Der Arzt schlägt den Deckel zu, sperrt ihn ab und wirft den Schlüssel weg. Als zuletzt auch die Liebhaberin hinabsteigt, springt der Schmied auf und will ihr nach, wird aber von dem Arzte zurückgehalten. Die Liebhaberin winkt dem Schmied ein Lebewohl zu. Irrlichter erscheinen hierauf oberhalb des Brunnendeckels.)
Sie ging, und ich, ich darf nicht mit!
Der Arzt
Ihr seht Euch wieder! Stör, nicht meinen Plan!
Der Schmied
Ich armer Mann! Was soll nun aus mir werden?
Der Arzt
Sag, selbst! Ich laß dir freie Wahl!
Was wärst du gern?
Schmied
Was gern ich wär?
Was bin ich? O! Ich fühle mich so alt,
So böse, seit des Lebens holder Trug
Mir ward geraubt!
Mir ist, als wandelt’ ich auf Modergrund.
Man fürchtet mit den Beinen einzusinken
Und dazusitzen, wie der Fuchs im Eisen.
Ach! Wie’s des Lebens mich, der Menschen ekelt!
Je mehr man lernt, je weniger man glaubt,
Und wer am meisten meint zu wissen,
Weiß nichts! Ja, dieses kaum!
Ah, daß ein Ries’ ich wär, die Alpen tragend
Auf meinem breiten Schulterblatt,
Ich wollt’ mich bücken und die ganze Last
Zur Erde wälzen, daß sie flög’ in Trümmer!
Groß will ich sein und stark, der Allerstärkste,
Das Universum mit dem Fuß zertreten,
Auf daß beim Schreiten der Vergänglichkeit
Mit Stolz mich der Gedanke schwellte,
Allein zu fallen von der eignen Hand,
Wenn all die anderen von fremder fielen!
Der Arzt
Mich dünkt der Wunsch so deutlich vorgetragen,
Daß nicht daran zu zweifeln ist! Wohlan!
Magst Riese sein, die alte Erd’ erschüttern!
Nur gib hübsch acht, wie du den Kreisel peitschst,
Daß er dir laufe, ohne anzuprallen!
Hinweg nun, marsch!
(Hinausrufend) Laßt Eure Künste spielen!
(Verwandlung.)
(Rechts die von Laub und Blumen umrankte Veranda des Pfarrhofgebäudes. In der Mitte des Hofes eine Linde. Darunter ein Tisch. Zur Linken ein jäher Abhang, über den sich der Hoberg-Alte erhebt, ein Pfad schlingt sich am Fuße des Bergriesen hin. Im Hintergrunde sieht man das Tal mit einem See, an dem die Dorfkirche liegt.)
Der Hoberg-Alte (Schmied, allein.)[3]
So bin ich richtig nun ein Riese worden,
Und keinen größern siehst du hier im Norden!
Bin ich nicht gerade schön, bin ich doch schaurig groß,
Und weithin kann ins Land ich wie kein Zweiter sehen.
Ich spiegle mich im See, das Haupt im Wolkenschoß,
In Weiß hüllt mich der Schnee, grün kleidet mich das Moos,
Im warmen Sonnenschein laß ich mir’s wohlergehen.
Dort unten in dem Tale, da wohnt ein Priestergreis,
Aus seiner Kirche hör’ ich’s immer bimmeln,
Im alten Trotte wallet das Volk hin scharenweis,
Um seinen weißen Balder gläubig zu verhimmeln.
Doch ihn, den Bergesriesen, ehrt keiner mehr fürwahr,
Obgleich an Kraft er allen überlegen;
Er schützt im Tal die Menschen vor wilder Sturmgefahr.
Die blauen Blitze fängt er in seinem eignen Haar,
Dem Acker gibt er Wärme, die Sonnenlicht gebar,
Im tiefen Schoße sammelt er den Regen.
[3] Der Riese wird durch eine Felsenformation dargestellt.
Ach, welch erbärmlich Volk ist’s, das unten haust im Tal;
Das bimmelt und das klingelt, bekreuzt sich, und zumal
Glaubt Sagen, alte, aufgefärbte, von dem Gotte,
Getötet durch die Mistel, den Baldur licht und rein,
Und glaubt nicht an den Riesen, der selber wirft den Stein,
Eh’ er sich stein’gen ließe von der Zwergenrotte!
Nun sinkt ins Meer die Sonne, still bricht die Nacht herein,
Und alle Menschen rüsten sich zum Schlafe.
Da klingt gen Spuk und Wetter das Abendglöckelein,
Und in den Betten stammeln Gebete Groß und Klein,
Denn Finsternis dünkt jedem Frommen Strafe.
(Es dunkelt, von der Kirche her ertönen dreimal drei Glockenschläge.)
Der Riese liebt das Dunkel, in dem die Ruhe thront,
Im Dunkel herrscht die Stille, wo der Gedanke wohnt,
Denn vor der Sonne tanzen doch nur Mücken.
(Eine Eule kommt geflogen und setzt sich ihm auf die Schulter.)
Da ist mein Lieblingsvogel, mein Nachtfreund und Berater,
Zwei Augen und zwei Schwingen, mit Krallen wie ein Kater.
Man glaubt im Bund dich mit des Teufels Tücken!
Sing, kleiner Vogel, mir dein altes kluges Lied.
In Schwarz schaust du die Welt und singst doch stets —
Snee wit!
Der Hoberg-Alte
Um Weisheit kann man dich allein befragen,
Gebären Berge Ratten, füllst du den Kropf dir gut,
Und überwuchern Hasen, hältst Razzia in der Brut,
Und niemand wird den Strauß mit Ries’ und Vogel wagen.
Der Hoberg-Alte. Zwerge (kommen mit Grabscheiten, Hauen und Spaten und fangen unten am Berge, zu Füßen des Riesen, an zu hacken und zu graben).
Die Zwerge (singend oder rezitierend)
Wir picken, wir hacken,
Wir knicken, wir knacken,
Wir geben nicht Ruh’,
Wir hetzen, wir fetzen,
Wir wetzen, wir setzen
Dem Bergkönig zu.
Zu! (Lang anhaltend.)
Der Hoberg-Alte
Was treiben denn die Knirpse da unten?
Die Zwerge
Wir schütteln, wir schmeißen,
Wir rütteln, wir reißen
Den Riesen schon um.
Wir picken, wir packen,
Wir knicken, wir knacken,
Im Staub liegt er — plumm!
Plumm! (Lang anhaltend.)
Der Hoberg-Alte
Wenn ihr Knirpse nicht vom Berge lasset, so kommt der Riese und schleudert Steine.
Erster Zwerg
Wirf nur!
Der Hoberg-Alte
Oho! Nehmt euch in acht! Ksst!
Zweiter Zwerg
Hört ihr, was er sagt? — Er sagt: Ksst! Wie man’s mit Katzen macht! (Die Zwerge lachen.)
Der Hoberg-Alte
Ja so, ihr glaubt nicht, daß das wahr ist. Seht her, ich niese nur, und es regnet Geröll. Aufgepaßt da unten!
(Er niest. Geröll kollert über den Berg hinunter.)
Erster Zwerg
Ich glaube wirklich, der wirft Steine! (Er nimmt einen Stein und wirft ihn nach dem Riesen.)
Der Hoberg-Alte
Achtgegeben! Jetzt werden wir einmal husten! (Er hustet, Steine stürzen herab und verschütten Zwerg I.)
Der Zwergkönig ist tot, es lebe der Zwergkönig!
Zweiter Zwerg
Nun bin ich König.
Die Zwerge
O nein, das gibt’s nicht . . .
Zweiter Zwerg
Wer denn?
Die Zwerge
Ich! Ich!
Zweiter Zwerg
Ihr könnt doch nicht alle auf einmal König sein. Und da ich der Älteste bin, halte ich mich für den Nächstberechtigten.
Dritter Zwerg
Aha! Jetzt ist er der Älteste! Als aber der Älteste auf dem Thron saß, da war er zu alt zum regieren. Wir brauchen junge Leute, hieß es da!
Zweiter Zwerg
Das war damals, als Lasse noch lebte. Doch nun ist Lasse tot, und da herrscht jetzt ein anderes Regiment. Wollt ihr übrigens, daß wir wählen, so bin ich auch dabei, unter einer Bedingung.
Unter welcher?
Zweiter Zwerg
Daß ich das absolute Veto behalte und außerdem die ausschlaggebende Stimme.
(Die Zwerge schreien und raufen.)
Der Hoberg-Alte
Wenn die Diebe sich prügeln, führt der Bauer seine Kuh heim! — Ihr kleinen Teufel! Ihr rauft am Sonnabend! Ihr seid meiner Seel nicht um ein Haar besser als die großen Menschen!
(Steine stürzen herab und töten Zwerg II.)
Die Zwerge
Der Zwergkönig ist tot, es lebe der Zwergkönig!
Die Vorigen. Der Däumling (in Siebenmeilenstiefeln, hinter ihm) Aschenbrödel (in einem Schuh von einer Ratte gefahren).
Däumling
Nein! König bin ich!
Dritter Zwerg
Wer bist du?
Ich bin der Däumling, und hier ist meine Königin Aschenbrödel.
Dritter Zwerg
Mit welchem Rechte, wenn ich fragen darf, erlaubt Ihr Euch Ansprüche auf den erledigten Thron zu erheben?
Däumling
Mit dem Recht, daß ich der Kleinste unter den Kleinen bin, und wer sich erniedrigt, der soll erhöht werden. Und meine Königin hat bekanntlich den kleinsten Fuß der Welt!
Dritter Zwerg
Für eine Königin kann diese Eigenschaft eine Empfehlung sein, aber von einem König fordert man selbst bei den Kleinen denn doch noch etwas anderes, als daß er klein sei! Mein Herr! Haben Sie die Güte und stellen Sie sich in Socken.
Däumling
In Hemdärmeln meinen Sie wohl!
Dritter Zwerg
Nein, ich meine in Socken. Denn ich schlage mich niemals mit einer Person in Siebenmeilenstiefeln.
Nicht sich schlagen! Nicht sich schlagen! Ihr dürft es nicht!
Däumling (zieht die Stiefel aus)
Ein Rittersmann schlägt sich alle Zeit und überlegt nicht lange, meine Königin!
Aschenbrödel
Oh! mir schwindelt! Ich werde ohnmächtig! Zu Hilfe!
Däumling (bemüht sich um sie)
Dritter Zwerg (zieht die Siebenmeilenstiefel an)
Nun aber schlage ich mich nicht, Herr Winzig!
Däumling
O, der kleine hinterlistige Spitzbub! Der kleine falsche Diebskerl! (Weint und beißt sich in den Daumen.)
Dritter Zwerg
Huldigt mir nun, Gesindel! Solch einen König habt ihr bis jetzt noch nicht gehabt. Marsch! Sonst lasse ich euch alle miteinander die Köpfe abschlagen.
(Allgemeines Geschrei, Schlägerei. Neuer Steinregen vom Berge. Däumling und Aschenbrödel fallen tot um.)
Die Vorigen. Sankt Peter.
Dritter Zwerg
Hier riecht’s nach Christenblut!
(Alle verschwinden, St. Peter setzt sich unter die Linde.)
Der Hoberg-Alte
Bist du da, St. Peter?
St. Peter
Die Stimme ist des Schmiedes Stimme, aber . . . Ja, ich bin hier . . . Wo bist du?
Der Hoberg-Alte
Hier oben!
St. Peter (erblickt den Hoberg-Alten)
So groß bist du geworden, Schmied!
Der Hoberg-Alte
Das will ich glauben! Wie geht’s denn dir aber, alter Petrus?
St. Peter
Ich weiß nicht, ob ich recht habe, aber mit dem Wissen dieses Dr. Allwissend scheint es mir durchaus nicht so weit her zu sein, als er uns weismachen wollte. Wie mich dünkt, führt er uns auf Irrwege.
Ja, das ist auch meine Meinung! Und wenn ich aufrichtig sprechen soll, habe ich Lust, mich von ihm loszureißen.
St. Peter
Ich glaube, er ist der Böse selber. Du aber, der du so groß und stark geworden bist, könntest ihm doch den Garaus machen.
Der Hoberg-Alte
Lock’ ihn nur in Niesweite, so werde ich Steine auf ihn regnen lassen.
St. Peter (bemerkt Aschenbrödel und den Däumling auf der Erde)
Was ist denn das? — Mir scheint gar, das ist der Däumling! (Er packt ihn heim Knie.) Wer hat ihn getötet?
Der Hoberg-Alte
Das hab’ ich getan!
St. Peter
Wie, du schlägst die Kleinen, du großes Ungeheuer?
Der Hoberg-Alte
Ja, wenn sie meine Stellung als Riese untergraben wollen.
Wer einen dieser Kleinen ärgert . . .
Der Hoberg-Alte
Sie haben ja mich geärgert! Aber du bist von jeher der Kleinen Freund!
St. Peter
Und hier ist das kleine Aschenbrödel!
Der Hoberg-Alte
Deren größter Vorzug ihr kleiner Fuß war.
St. Peter
Und diese Armen hattest du das Herz zu töten! Oh!
Der Hoberg-Alte
Sonst hätten sie mich getötet! Und Notwehr ist erlaubt! Übrigens hättest du sehen sollen, wie sie zankten und rauften, einander betrogen und sich balgten, ganz wie die großen Menschen. Glaubst du, sie hätten soviel Pietät gehabt, ihre Trauer zu bezeugen, als der Zwergenkönig totgeschlagen war? Bewahre. — Sie gerieten sich sofort wegen der Krone in die Haare und ließen die Leiche liegen. Wahr dich vor den Zwergen, sie beherrschen die Welt. Im Innern der Berge verbringen sie ihre Zeit damit, nach Gold zu schürfen, für das die Menschenkinder Glauben und Seele verkaufen, um Schwerter zu schmieden, mit denen die Menschenkinder einander umbringen.
Das ist nur Verleumdung! Und könnte ich diese Kleinen zum Leben erwecken, so würdest du sie gleich dankbaren Kindern mir auf meiner langen Wanderung folgen sehen.
Däumling (erwacht)
Guten Morgen, Großpapa!
St. Peter
Nein, sieh, er lebt! — Und ich, der ich glaubte, die Zeit der Wunder wäre vorbei! — Wie kam das, du kleines Wechselbaby?
Däumling
Ah, ich stellte mich nur tot, um den Zwergen und ihren Prügeln zu entwischen.
St. Peter
Fliehen ist des Fechtens bessrer Teil! — Ja, du warst allezeit ein kleiner schlauer Teufelskerl! Na, was ist denn mit dem kleinen Aschenbrödel? —
(Der Däumling geht herum, findet St. Peters Fisch, den dieser auf den Tisch gelegt hat, nimmt ihn und steckt ihn ein.)
Aschenbrödel (erwachend)
O, ich bin nur in Ohnmacht gefallen, wie’s mich meine Stiefmutter lehrte. Sonst hätte sich Däumling geschlagen.
So klein und so klug! Ach, wieviel Raum ist nicht in einem so kleinen Hühnerhirn, du großer Riese droben!
Der Hoberg-Alte
Und wieviel Raum, glaubst du, ist in Däumlings Brusttasche?
St. Peter
Was sagst du da oben?
(Aschenbrödel schleicht sich zum Tisch und packt St. Peters Brille, die er weggelegt hat.)
Der Hoberg-Alte
Ja, ich mag’s nicht noch einmal sagen; aber wenn vier Augen mehr sehen als zwei, so siehst du nicht über deine Nasenspitze hinaus.
St. Peter
Das ist gewiß sehr tiefsinnig! — Da muß ich erst darüber nachdenken! . . . Laß mich sehen . . . Wo ist denn meine Brille?
(Er sucht. Däumling und Aschenbrödel schleichen links hinaus.)
St. Peter
Und mein Symbol! Wo ist mein Symbol!
Meinst du den Fisch, der denselben Weg wie die Brille nahm? So, jetzt hast du noch ein klein wenig mehr zu tun, St. Peter; und nun du auch die Brille nicht mehr hast, wirst du niemals der Schlüssel zum Himmelreich habhaft werden.
St. Peter
Ja, aber ich habe sie doch hier auf den Tisch gelegt!
Der Hoberg-Alte
Ja, aber der Däumling hat sie in seine Brusttasche gesteckt.
St. Peter
Ach, der Schelm! — Meiner Seel, ich werd’ ihm . . .
Der Hoberg-Alte
Was wirst du?
St. Peter
Ich werd’ ihm eine Tracht Prügel zukommen lassen — das werd’ ich! (Petrus wendet sich zum Gehen.)
Der Hoberg-Alte
Einem von diesen Kleinen? Pfui, Petrus! — Bleib doch! — Geh nicht von mir . . . und leiste mir Gesellschaft.
Ich weiß nicht! Aber mir ist hier nicht recht geheuer!
Der Hoberg-Alte
Ach, ich bin so einsam und brauche Freundschaft!
St. Peter
Freundschaft kann nur zwischen Personen von einigermaßen gleicher — Korpulenz bestehen. — Du bist zu groß für mich, Schmied! — Viel zu groß! —
Der Hoberg-Alte
Und der Däumling zu klein! — Wie groß soll man denn in deiner Gesellschaft sein? —
St. Peter
Na, ungefähr wie ich!
Der Hoberg-Alte
Demokrat!
St. Peter
Despot! — Adieu! — (Links ab.)
Der Hoberg-Alte. Der Pastor. Die Pastorin. Der Sohn. Die Schwiegertochter. Die Enkelin und deren Bräutigam. Zweite Enkelin (acht Jahre alt).
(Sie kommen zu zwei und zwei die Veranda herab. Erstes Paar Arm in Arm. Zweites Paar die Arme um den Leib geschlungen. Drittes Paar Hand in Hand. Das Kind folgt dem zweiten Paare.)
Pastor
Ein schöner Abend! — Und nach schönem Tag!
Habt Dank, ihr meine Kinder, Kindeskinder!
Der Jahre achtzig füllte heut der Greis,
Nun neiget sich dem Abend zu sein Leben.
Habt Dank, daß wolkenlos die Rüste ihr gestaltet,
Ihr alle, die ihr meine Welt gewesen.
Denn nie verließ ich noch dies stille Tal.
So recht mein Leben erst den Anfang nahm,
Als hier ich mit der Frau das Heim uns baute.
Ich weiß nicht, wie es kommt, doch dieser Abend
Ruft das Vergangne neu mir ins Gedächtnis.
Kind (erschrocken)
Großvater, sieh, der Hoberg-Alte rührt sich!
Pastor
Du siehst Gespenster, Kind! — Der Berg ist’s,
Und der hat sich noch nie gerührt!
Es geht vom Hoberg-Alten eine Sage,
Ein Märchen, weißt du, Kind, daß er ein Riese,
Der einst verhext von einem Bischof ward,
Und eher nicht Erlösung finden kann,
Bis er sich eines Weibes Lieb erringt! —
Sei also nur getrost, mein Enkelkind,
Der Hoberg-Alte sitzt noch lange still.
Sohn
Nein, Vater, das ist gar noch nicht so sicher;
Hier spricht man schon von einem Schienenweg,
Den mitten durch den Berg man ziehen will.
Pastor
Sieh, das ist mehr, als ich gewußt — — —
Das freut mich und betrübt mich auch,
Denn teuer war mir dieses Tal,
So still und einfach, fern vom Weltgetriebe . . .
Kind
Sieh nur, nun schüttelt sich die Linde,
Großvater, und doch bläst kein Wind.
Pastor
Er bläst gewiß dort oben in der Krone,
Ob wir’s hier unten auch nicht fühlen, Kind.
Bräutigam (zur Braut)
Vielleicht, daß sich vor Schmerz die Linde schüttelt,
Weil morgens in die Rinde wir den Namen ritzten.
Braut
Vor Schmerz sah ich sie weinen, und wie sollte
Denn sie nicht leiden, während wir genießen,
Ist unser Glück doch stets auf andrer Schmerz gebaut.
Sie blühte diesmal reich, die alte Linde,
Da wird’s viel Honig geben in den Körben.
Schwiegertochter
Du denkst doch stets an deinen Haushalt, alte Mutter.
Pastorin
Wer, glaubst du, sollte sonst wohl daran denken?
Man ritzt nicht mehr den Namen in die Linde,
Hat man die siebzig hinter sich.
Großmutter pflückt da lieber Blüten
Und trocknet sie, um Tee zu haben,
Wenn an dem Sarg der Husten hobelt.
Kind
Großvater, komm, bevor das Dunkel fällt;
Sobald die Sonne sinkt, wird mir so bang.
Pastor
Recht gern! Und laßt uns nun zur Kirche gehn.
Hab’ in der Sakristei noch manches zu besorgen,
Für morgen, für den Gottesdienst! So kommt!
(Der Pastor und seine Gattin rechts ab.)
Schwiegertochter (zum Sohn)
Wie schön ist Eintracht bei Verwandten!
Ich sah noch nie bei andern solche Liebe;
Gesegnet preis’ den Tag ich, da ich hierher kam
Und eingefügt durch dich in diese Kette ward!
Die erste Frau, die nicht die Kette drückt!
Schwiegertochter
Du Schelm du! Gib mir einen Kuß, im Ernst!
(Sie gehen.)
Bräutigam
Mein Jugendglaube nicht zu Schanden ward:
Das Glück wohnt nicht im hohen Marmorsaale.
Ich strebt nach Lammes-, nicht nach Wolfesart
Und such’ die Unschuld in dem stillen Tale.
(Die Eule schreit.)
Braut
Oh, die abscheuliche Eule!
(Sie gehen.)
Der Hoberg-Alte. Don Quixote (ohne Pferd).
Don Quixote (nimmt den Helm ab und trocknet sich die Stirn)
Der Hoberg-Alte
Heda, alter Ritter!
Don Quixote
Ist das der Schmied? — der ein Riese geworden ist?
Und das ein richtiger, ohne Windmühlenflügeln an den Schultern.
Don Quixote
Ei, still davon!
Der Hoberg-Alte
Bist du verdrießlich, Ritter?
Don Quixote
Ja, sehr.
Der Hoberg-Alte
Wie kommt das? Und wo hast du deine Stute gelassen?
Don Quixote
Sprich nicht von ihr! (Erhebt sich) Weißt du, wie es um einen Menschen steht, der nicht essen kann?
Der Hoberg-Alte
Der Arme hat wohl kein Geld, sich Essen zu schaffen!
Don Quixote
Possen! — Hast du einen Begriff, wie das einen Menschen hernimmt, nicht schlafen zu können?
Der Hoberg-Alte
Vielleicht hat er zu tief in den Tag hinein geschlafen.
Possen! — Welche niedere Auffassung!
Der Hoberg-Alte
Mir scheint, der Herr Ritter beginnen wieder in höheren Regionen zu schweben. Wie kommt das?
Don Quixote
Weißt du, warum ich meine Stute verkaufte?
Der Hoberg-Alte
Geldmangel!
Don Quixote
Materialist! Geld! Ha! Was ist lumpiges Gold gegen — das Goldhaar eines Weibes —
Der Hoberg-Alte
Haha! So habt Ihr Euch verliebt, Ritter?
Don Quixote
Sprich nicht in so niedern Ausdrücken von einer so hohen Sache! — Ich liebe!
Der Hoberg-Alte
Gott in deinem Reich! Ja, ja! Hat man Silber im Haar, möchte man Gold haben!
Ich liebe! Liebe rein, unschuldig, uneigennützig und — absolut monogam.
Der Hoberg-Alte
Das heißt, er möchte der einzige sein.
Don Quixote
Pfui, schäme dich, Schmied, Riese, oder wie du dich sonst zu nennen beliebst!
Der Hoberg-Alte
Und wird die heilige Flamme erwidert — uneigennützig — absolut monogam?
Don Quixote
Ja, siehst du, das weiß ich nicht! Aber darin besteht gerade der Zauber.
Der Hoberg-Alte
Oder der Reiz. Und Rosinante?
Don Quixote
Das Ziel meiner Wünsche vertrug den Stallgeruch nicht, und demzufolge —
Der Hoberg-Alte
Wie sieht es denn aus, dieses Ziel Eurer Wünsche, oder richtiger Eures Begehrens?
Ich habe die Angebetete nie gesehen! Doch ich hörte sie, hörte sie sogar auch beschreiben.
Der Hoberg-Alte
Ist sie schön?
Don Quixote
Was kümmert das dich?
Der Hoberg-Alte
Ich finde, daß Ihr Euch in sehr ungeziemender Weise ausdrückt, Ritter, und ist’s Euch gefällig, so brechen wir eine Lanze miteinander.
Don Quixote
Es gab allerdings eine Zeit, da ich mich mit Riesen schlug, darüber bin ich jedoch nunmehr hinaus, und hast du nichts dagegen, so scheiden sich unsere Wege.
Der Hoberg-Alte
Ihr weigert Euch also, mir Genugtuung zu geben?
Don Quixote
Ja, ich will überhaupt nichts mit dir zu schaffen haben. Du bist mir zu groß! Leb wohl! — Sancho!
Die Vorigen. Sancho Pansa.
Der Hoberg-Alte
Also auch ihm bin ich zu groß!
Don Quixote
Wieviel hast du für die Stute bekommen?
Sancho
Sechsunddreißig Taler, gestrenger Herr!
Don Quixote
Her damit!
Sancho (sucht in seinen Taschen)
Don Quixote
Du hast sie vertan!
Sancho
Ich habe sie deponiert.
Don Quixote
Her denn mit dem Depositenschein.
Sancho (sucht in den Taschen)
Du hast nie einen besessen. Ja, du bist ein schlechter Mensch, aber bei allen deinen Gaunereien steckt eine gewisse Ehrlichkeit in dir, die ich zu schätzen weiß, weshalb ich dir denn, wie nicht minder in Anbetracht meiner Liebe, verzeihen will. Folge mir nun, und wandern wir weiter. Doch hinaus aus dem engen Tal, hinauf auf die Höhen, Sancho! Auf die Höhen!
Sancho
Ach, also wieder auf die Höhen! Und dann wird es wieder ins Tal hinunter heißen?
Don Quixote
Alle Vorwärtsbewegung geht der Welle gleich, erst hinauf, dann hinab, und nur durch Veränderung läßt sich ein fester Halt gewinnen, sagt der weise Konfuzius.
Sancho
Gewiß, ein verteufelt kluger Mann! Allein, obgleich ich mich stets in Krümmungen bewegte, habe ich den festen Halt im Leben immer noch nicht finden können.
Don Quixote
Vorwärts, Sancho, vorwärts!
Sancho
So schwanken wir denn in Gottes Namen weiter! — Gehen Euer Gnaden gefälligst voran. (Sie gehen.)
Der Hoberg-Alte. Dann Die Liebhaberin.
Der Hoberg-Alte
Wie gräßlich hier zu sitzen und so groß zu sein,
Da niemand Umgang pflegen will mit Recken.
Das können auch die Ammen, Kinder schrecken,
Und schließlich glaubt an Riesen weder Groß noch Klein.
(Die Liebhaberin tritt auf.)
Haha! Da kommt mit frecher Stirne,
Die jüngst so schmählich mir entrann.
Nun will ich imponieren dieser Dirne,
Und augenblicks ist sie mir untertan! —
Hörst meine Schöne, die im Tal du wandelst:
Ich bin der Größte, den’s auf Erden gibt.
Willst mein du sein, so trägst du goldne Krone
Und sitzt im Bergessaal auf meinem Throne.
Die Liebhaberin
Nicht paßt für meine Stirn die Krone, Riese,
Und auch dein Bergschloß ist zu groß für mich!
Der Hoberg-Alte
Ha, du bist stolz, du kleine Schlange,
Verschmähst den Riesen, weil er häßlich ist.
Die Liebhaberin
Das nicht, doch weil du auf das pochst,
Was andre sich gleich einer Gunst erbetteln.
Ich bettle nie, das ist mein Stolz,
Und ford’re ich, so geb’ ich voll zurück.
Die Liebhaberin
Was könntest du mir geben, die nichts sich wünscht,
Da Liebe unter deinen Schätzen fehlt?
Der Hoberg-Alte
So fahr’ zur Hölle, störrisch Weib,
Das einst ich aus dem Schmutze zog.
Ich seh’ nun, wie in schönem Leib
Ein fauler Kern mich gleißend trog!
Mag Liebe denn in Haß sich wenden,
Und mag die Sage nun mit grausem Schrecken enden!
(Starkes Getöse. Felsen stürzen herab und verschütten die Kirche, den Pfarrhof und das Tal. Der Hoberg-Alte wird mitten auf die Bühne vorgeschoben, wo er einsam auf den Trümmern sitzt, unter denen die Liebhaberin begraben wird.)
Der Hoberg-Alte. Der Arzt (tritt auf).
Der Arzt
Nun, Riese, wie verbringst du deine Zeit?
Befindest du dich wohl in deiner Stellung?
Der Hoberg-Alte
O schauerlich, so auf Ruinen sitzen
Und einsam brüten über sein Geschick!
Das sprichst du wahr. Nun graut dir selbst,
Da alles du zerschmettert und zerstört.
Aus grünem Tale schufst du eine Wildnis,
Zerstörtest freventlich der Kleinen Glück,
Die Freude fanden an dem Schlichten, Kleinen . . .
Der Hoberg-Alte
Ja, schwatz’ nur zu; ich glaube doch, die Zwerge,
Sie hätten’s ebenso gemacht.
Ja, wärst du selbst hier auf der Höhe . . .
Der Arzt
Das bin ich; ja und höher noch.
Vergißt auch du, daß nur durch mich
Du thronest, wo du thronst!
Der Hoberg-Alte
Das woll’n wir sehn. Stürz, Berg, hernieder!
(Es poltert im Berge, doch lockert sich kein Stein.)
Der Arzt
Ja, poltre nur, das rührt mich nicht,
Ist der Effekt doch abgebraucht.
Doch gibst du gute Worte, läßt sich reden,
Und Freunde sind wir wie vordem.
Der Hoberg-Alte
Ja, Doktor, eh’ ich sitze bis zum Jüngsten Tag,
Ergeb’ ich mich und bitte um Pardon.
(schleudert eine Kugel gegen den Hoberg-Alten, der unter zuckenden Blitzen seine Form verliert, worauf der Schmied hervortritt)
Bist endlich nun zufrieden, armer Tor,
Nachdem du auf den Höh’n gesessen,
Geseh’n wie klein es ist hier unten?
Fand’st du im Lebensgarn des Fadens Anfang?
Genügt dir das, was du gelernt?
Nein, du bist mißvergnügt, nichts ist dir recht,
Und darum will ich dich zum Lande führen,
Wo nichts zu wünschen übrig bleibt, sag’, willst du?
Der Schmied
Aus dieser Welt der Mängel und Gebrechen
Laß ich mich gerne führen, Herr; doch eins!
Nicht einsam will ich wieder wandern.
Der Arzt
Du hast ja mich, den Ritter, den Apostel!
Der Schmied
Ja, ja! Doch fühlt der Mann sich stets allein,
Fehlt ihm ein Weib!
Der Arzt
Oho! Oho!
Wie lang ist’s her, daß du sie steinigtest.
Die Niederste der Niedern in ihr sah’st?
Mich reut es tief, könnt’ es was helfen!
Sie war die Beste von den Besten,
So stolz, so von Berechnung frei,
Nicht machtverliebt noch feil für Gold . . .
Der Arzt
So scheint dir’s jetzt, seit sie gestorben ist,
Doch wenn sie wiederkäme, sprächst du anders.
Der Schmied
Versuch’ es nur, und Besserung gelob’ ich.
Der Arzt
Versuchen wir’s denn noch einmal — — —
Laß nun in jenes sel’ge Land uns wandern,
Wo man für sich nicht lebt, nur für die andern,
Wo Stube ist der Wald, die Wiese Saal,
Wo in den Bächen Milch und Honig fließen,
Wo dir ins Maul gebrat’ne Tauben schießen,
Wo nie ein Tag durch Müh’ und Plag’ zu lang,
Das Leben eitel Tanz und nur Gesang,
Das als Schlaraffenland bekannt,
Die Pforte öffnet uns dies Wunderland.
(Eine Landschaft im Schlaraffenland. An den Bäumen hängen allerlei Eßwaren, Früchte und dergleichen. Drei Bäche kommen aus dem Hintergrunde hervor. In dem einen fließt Milch, in dem andern Honig und in dem dritten Sirup. — Mit der leichten bunten Tracht wilder Volkstämme bekleidete Menschen liegen schlafend oder schlummernd der Länge nach hingestreckt. In der Mitte der Bühne ein niederer römischer Speisetisch mit Ruhebetten ringsum. Rechts ein Ziehbrunnen, der gesperrt und oben mit einer königlichen Krone versehen ist. Der Däumling und Aschenbrödel liegen am Sirupbache.)
Sancho (tritt auf)
Sancho
Welch ein gesegnetes Land, welch ein glückliches Volk! Nun bin ich volle acht Tage hier, und noch habe ich keinen mißvergnügten Laut gehört; nichts von Opposition, nichts von Steuern, nichts von Polizei! Tag und Nacht gleich lang: am Tage scheint die Sonne, bei Nacht der Mond. Gebratene Tauben fliegen in den Mund, Milch und Honig fließen. O, es ist alles so vollkommen, daß es einen rasend machen könnte! Ein Hagelschauer, ein Donnerschlag, eine kleine Überschwemmung dort und da, würde in dieses verschlafene Volk doch etwas Leben bringen! — Ein träges Volk, das sich wund liegt und an Magenkatarrhen leidet! Wenn ich nur zu entdecken vermöchte, wie ich in diese schlafenden Gemüter auch nur das winzigste Samenkörnchen Unzufriedenheit säen könnte. Ritter Don Quixote, der hier sein Ideal und seinen Idealstaat wiedergefunden hat, ist Staatsminister geworden, nachdem er anderwärts der prinzipiellen Opposition angehörte. Nun ist er natürlich ein eifriger Gegner aller und jeder Neuerung!
Das Volk (regt sich ein wenig auf)
Sancho
Gibt es gar niemanden, der einen noch so geringfügigen Grund zur Unzufriedenheit hätte?
Einer aus dem Volk
Womit sollten wir unzufrieden sein?
Sancho
Mit einer Bagatelle! — Mit allem! — Dem Bestehenden!
Einer aus dem Volk
Etwas einförmig ist’s freilich!
Sancho
Ei, sieh doch! Das Essen ist gut, die Wärme wohlig, der Schlaf exzellent! Vielleicht daß es Euch an Arbeit fehlt?
Das Volk
Ja, Arbeit!
Schön! Eine kleine Arbeiterfrage als Anfang. — Gibt es nicht sonst noch etwelche kleine Mängel in Regierung oder Verwaltung, denen allerdings nicht abzuhelfen ist, die sich aber gerade dadurch als dauernd wertvoll herausstellen könnten? Däumling, du bist doch sonst voller Finten! Fällt dir nichts ein?
Däumling
Herr Waffenträger! Meine Unbedeutendheit, meine geringe Herkunft —
Sancho
Bravo! Du dokumentierst dich sofort als Ministerkandidat!
Däumling
— Sowie meine vollkommene Unkenntnis in bezug auf staatliche Angelegenheiten, veranlassen mich die Frage aufzuwerfen, ob wir denn in einem privilegierten Gemeinwesen leben oder nicht, und zwar auf Grund eines Sachverhalts, der schon längst den öffentlichen Unwillen hätte auf sich ziehen sollen.
Sancho
Was ist dies! Sprich, Engel!
Däumling
Bemerkt das Volk denn nicht, daß der Brunnen gesperrt ist und obendrein noch von einer Königskrone verunziert wird?
Ha! Eine Kabinettsfrage, die leicht mit einer Ministerkrise endigen kann! — Was sagt das Volk zu dieser Verletzung der verfassungsmäßig gewährleisteten Grundrechte?
Das Volk (ermuntert sich)
Sancho
Das Volk erwacht! Die Opposition hat sich gebildet, und ich eile, eine Interpellation an den Staatsminister zu richten.
Die Vorigen. Don Quixote
Don Quixote
Ist dies nicht der ideale Staat, Sancho? Siehst du, daß das Ideal denn doch auf Erden zu finden ist, was du stets in Zweifel zogst! O, beglücktes Land, o, beglücktes Volk! — Wenn mir nun noch vergönnt wäre, mein Ideal, mein Liebesideal zu schauen, ich würde mit Freude und mit grauen Haaren in die Grube fahren!
Sancho
Das wäre auch das Ratsamste, Euer Gnaden, denn seine Ideale soll man nicht überleben!
Sehr wahr, Sancho! Doch was hat sich während meiner kurzen Abwesenheit hier zugetragen? Das Volk schläft nicht mehr!
Sancho
Nein, das Volk erwacht!
Don Quixote
Wer hat es aus seinen süßen Träumen geweckt?
Sancho
Der Zeitgeist, das Klassenbewußtsein und — ich!
Don Quixote
Warum tatest du uns das? Denn der da schläft, sündigt nicht, und im Schlafe kommen uns die schönsten Träume! — Was wünscht das Volk?
Sancho
Als Führer der Opposition liegt mir die schmerzliche Pflicht ob, die Wünsche des Volkes dessen erleuchtetem Diener vorzutragen!
Don Quixote
Was wünscht das Volk?
Sancho
Arbeit!
Arbeit? Wo soll ich die hernehmen?
Sancho
Ja, seht, wenn wir dies wüßten, so wäre die Frage gelöst!
Don Quixote
Und es ist dir ja gar nicht darum zu tun, daß sie gelöst werde! Du Schelm!
Sancho
Zugleich bekundet sich eine allgemeine Unzufriedenheit betreffs des privilegierten Brunnens, der verschlossen gehalten wird und überdies im Widerstreite mit der geltenden Verfassung des Reiches mit einer Königskrone versehen ist.
Don Quixote
Gut! Liegt noch etwas vor?
Sancho
Für den Augenblick nicht.
Don Quixote
Gut! Die großen Fragen sollen im Zusammenhang gelöst werden. Ich werde bei dem königlichen Landesherrn über die Angelegenheiten Vortrag halten.
(Ab.)
Die Vorigen. St. Peter
St. Peter
O, welch wonnigliches Reich! Sollte ich nun wirklich an das Ziel meiner Wanderung gelangt und dies das Himmelreich sein? — Doch ich habe keine Pforte gesehen!
Sancho
Hast du sie nicht gesehen? Sie stand ja sperrangelweit offen.
St. Peter
Ach, ist das nicht der widerwärtige Sancho Pansa? Nein, wenn der da ist, kann das nicht das Himmelreich sein!
Sancho
Du glaubst also nicht an den bußfertigen Schächer? Komm her, Däumling, und bring den Fisch sowie das Augenglas zur Stelle, damit der Prophet sich überzeugt, daß er sich in guter Gesellschaft befindet. Komm hervor, Däumling!
Däumling (zu Sancho)
Das sollst du mir entgelten. (Zu St. Peter, dem er den Fisch und das Glas übergibt.) Hier habt Ihr den Plunder, den ich auf einem Tisch unter einer Linde gefunden.
St. Peter
Ah, mein Symbol!
Sind das deine Augengläser?
St. Peter
Und meine Brille!
St. Peter (betrachtet die Szenerie durch sein Augenglas)
Hm! Mich dünkt, es sieht hier so weltlich aus! Auch die Mienen der Leute entsprechen meinen Vorstellungen nicht! Nein! Hier ist sicherlich nicht das Himmelreich!
Sancho (zum Däumling)
Der Alte hat dich und deine Dieberei total vergessen. Gratuliere dir!
Die Vorigen. Der König (der Schmied) und die Königin (die Liebhaberin)
König (zur Königin)
Hier ist der Himmel, ja, und deine Augen
Sie spiegeln ihn so blau, so licht!
Königin
Es ist das nicht der Widerschein des Himmels,
Nein, deines eignen liebevollen Blicks!
Der sich am hellen Feuer deiner Tugend,
An deiner Schönheit sich entzündet hat . . .
Königin
Ihn zeugte deiner Milde Majestät,
Wie ihn auch nähret deine Güte, König!
Die Vorigen. Don Quixote
Don Quixote
Eure Majestät sollten einen Entschluß fassen, denn die Flamme des Aufruhrs wächst und droht um sich zu greifen.
König
In welchem Maße? Du siehst immer alles im Großen, Don Quixote. — Um was handelte es sich doch? Ja, richtig, das Volk begehrt Arbeit, und das Volk begehrt eine Abänderung beim Brunnen! Und du siehst dich also nicht imstande, diese Fragen in ihrem Zusammenhange zu lösen?
Don Quixote
Nein, Eure Majestät!
Verzeiht, liebe Königin, aber ich muß ein wenig regieren, um zu Tische Appetit zu bekommen! — (Zum Volke.) Gibt es jemanden hier, der diese Nuß mit einem Griff zu knacken vermag, so soll er Staatsminister werden!
Sancho (reckt die Hand in die Höhe)
König
Sancho! Nun wohl, so sprich! Aber sprich weise, und vor allem, kurz!
Sancho
Ich hab’ mir die Sache so zurechtgelegt, nichts für nichts, und etwas gegen etwas! Die Mißvergnügten stehen von ihrer Forderung nach Arbeit ab, dafür wird der Brunnen der allgemeinen Benutzung überlassen.
König
Sehr schön! Man pflegt das einen Kompromiß zu nennen!
Don Quixote
Weißt du denn aber auch, Waffenträger, ob die Mißvergnügten auf den Kompromiß eingehen?
Sancho
Was? Man ladet die Opposition zu einem Korruptionsdiner und verleiht dem Führer ein Portefeuille.
In diesem Falle sehe ich mich genötigt, mein Mandat in die Hände Eurer Majestät zurückzulegen. Ich trage das Bewußtsein davon . . .
Sancho
Doch nicht den Sieg!
König
(hebt die Krone von dem Brunnen und reicht Sancho den Schlüssel)
Hier ist der Schlüssel zum Düngerbrunnen! Pumpt nun, Leutchen! Doch gebt acht, daß ihr euch nicht bespritzt!
Das Volk
Ei!
König
Nachdem der Grund zur Unzufriedenheit nunmehr behoben ist, hoffe ich, du wirst gut regieren, Sancho, auf daß das Land künftighin vor Zerwürfnissen bewahrt bleibe.
Sancho
Eure Majestät! Da nunmehr aller Anlaß zur Unzufriedenheit hinweggeräumt ist, wird das Volk alsbald wieder in jene beseligenden Träume gelullt sein, aus denen es jüngst in so unliebsamer Weise aufgestört worden ist! Schlummere, Volk!
(Er macht mit den Händen einige hypnotische Gebärden.)
König
Ist das ein Staatsmann, dieser Sancho! Ist das ein Staatsmann! (Ab mit der Königin.)
Die Vorigen (ohne den König und die Königin)
Don Quixote
Du bist ein Schurke, Sancho!
Sancho
Der König bediente sich des Wortes Staatsmann in einem ganz anderen Sinne!
Don Quixote
Bist du nun zufrieden?
Sancho
Nun bin ich zufrieden!
Don Quixote
Müssen aber deshalb auch schon alle andern zufrieden sein?
Sancho
Ich hoffe, sie sind es bereits! Ich weiß, daß sie es sind!
Das Volk
(das der Däumling unter der Hand bearbeitet hat, beginnt zu lärmen)
Sancho
Weshalb lärmt das Volk?
Die allgemeine Unzufriedenheit, das Klassenbewußtsein, der Zeitgeist und ich, wir haben uns in unsern — Wünschen dahin geeinigt . . .
Sancho
Womit seid ihr unzufrieden?
Däumling
Mit allem! Mit dem Bestehenden, dem Gegenwärtigen und Zukünftigen!
Sancho
Das ist doch merkwürdig, daß man nie und nimmer zur Ruhe kommen kann, daß es ewig nur Hader und Unzufriedenheit geben muß! Wolltet ihr mir nur gehorchen, nur tun, was ich euch sage, der Himmel wäre auf Erden! Du bereitest mir Kummer mit deinen übertriebenen Forderungen, Däumling, schweren Kummer! Das Volk hatte es so gut, als es nur immer wünschen konnte: weshalb es unglücklich machen?
Das Volk (lärmt)
Don Quixote
Jetzt kehrt sich der Spieß gegen dich, Spitzbube!
Sancho (zum Däumling)
Was begehrt denn aber das Volk? Detailliere! Detailliere!
Ja, seht, einige möchten den Brunnen gesperrt haben!
Sancho
Hat man nicht eben erst verlangt, daß er geöffnet werde?
Däumling
Jawohl! Wieder andere wünschen eben auch, daß er geöffnet sei!
Sancho
Alle Wetter! O, du kleiner, großer Schelm! Ich beuge mich vor dem Meister, der die Parteien ins Leben rief.
Däumling
Teile und herrsche!
Die Vorigen. König (und die) Königin
König
Was gibt es nun wieder?
Sancho
Eine Ministerkrise! Der Parteigeist ist los!
König
Sei den Parteien zu Willen!
Es ist nicht möglich, beiden Parteien zugleich zu Willen zu sein!
König
Nein, das ist freilich nicht möglich! Ist es der Brunnen, der wieder spukt? — Wißt ihr was, Leutchen, ich geh’ jetzt meiner Wege!
Königin
Nein, du mußt bleiben!
König
Ich muß? Was redest du da?
Königin
Welche Sprache! Welcher Ton!
König
Du willst mir wohl meine niedrige Herkunft vorrücken, daß ich ein Schmied war. Da muß ich dich doch daran erinnern, was du gewesen! Was bist du! (Regt sich mehr und mehr auf.) Dirne, Metze! (Er schlägt mit der einen Hand auf die andere.)
Königin (sinkt um)
So also liebtest du mich!
St. Peter
Mir scheint, ich bin geradenwegs in die Hölle geraten! (Ab.)
König (auf den Knien neben der Leiche)
Tot ist sie, o ihr Himmel, sie ist tot.
Du holder Engel, der das Leben mir versüßte!
Sancho
Hier wird es mehr und mehr ungemütlich. Ich geh’ jetzt auch, so erspare ich, gegangen zu werden! (Ab.)
Don Quixote
Ich fange an zu glauben, daß, was nie gewesen, das Beste ist. — Dulzinea! — Dulzinea! (Ab.)
Däumling
Weißt du, Aschenbrödel, du bist ein prächtiges kleines Weibchen. Du fällst doch nicht gleich in Ohnmacht, wenn ich gegen dich grob bin, wie diese großen Prinzessinnen!
Aschenbrödel
Nein, da mach ich’s besser. Ich geb’s zurück!
Däumling
Und bei Geschenken und Gegengeschenken erhält sich die Liebe am längsten. Komm, gehen wir. Mir sind solche Szenen in der Seele zuwider! Hier wäre unstreitig ein gutes Land, aber es ist ein schlechtes Volk, das doch eine bessre Regierung verdiente! (Ab, Arm in Arm mit dem Aschenbrödel.)
König (an der Leiche der) Königin. Arzt. Sankt Peter
König
Unsel’ges Leben, oh, und grimmer Tod!
Der Arzt
Hast wieder ’mal was Schönes angerichtet!
König
Ja, was hab’ ich denn eigentlich getan? Kann ich dafür, daß man ihr kein Wort sagen darf!
Der Arzt
Weißt du, Schmied, ich glaube, es ist am besten, daß sie dahin ist. Da schwärmst du immer am meisten für sie. Und Engel werden wir ja doch erst, wenn wir tot sind!
König
Leider, daß dem so ist! Aber nur einmal noch, wenn sie wiederkehrte! Wie wollte ich mich dann zusammennehmen!
Der Arzt
Einmal noch? — Nein! Nie wieder!
St. Peter
Hört, meine lieben Freunde! Aufrichtig gesagt, ich fange an, dieser Wanderung hier herzlich müde zu sein, und wenn ich so sehe, wie der Schmied immer nur Spektakel macht, so fürchte ich, daß wir gänzlich das hohe Ziel aus den Augen verlieren . . .
Das Ziel? Ach ja, das war das Himmelreich! Wir kommen sicher noch dahin, nur müssen wir eben erst durchs Fegefeuer. Sag, Schmied, bist du der Erdenwanderung auch schon müde?
Der König
Ob ich es bin! War’s schier von allem Anfang!
Und seit ich tiefer nun ins Aug’ geblickt
Dem Menschen und dem Leben, widert’s mich!
Das Große ist mir nicht genügend groß,
Das Kleine wieder dünkt mich allzu klein,
Und hat hier unten man bankrott gemacht,
Dann eben sehnt das Herz sich nach dem Oben!
Der Arzt
Man sagt, der Teufel wird im Alter Mönch,
Verlangt dich etwa nach dem Schoß der Kirche?
Der König
Du hast’s vielleicht erraten; in den heil’gen Stand
Wünscht’ ich als Knabe schon dereinst zu treten.
Der Arzt
Wohlan, zwei Fliegen schlagen wir mit einem Schlag.
Erhält doch Petrus so des Himmels Schlüssel,
Die dort in Rom verwahrt der heil’ge Vater,
Auf daß er bind’ und löse, ihm von jenen
Zum Erbe einst gegeben, die die Kirche
Erbauer auf dem Fels — so heißt es doch?
Auf denn zum letzten Male, über’n letzten Steg,
Es gehet über Rom zum Himmel unser Weg!
(Die Szene beginnt sich zu verändern; der Vorhang fällt.)
(Eine Kapelle der Peterskirche in Rom, von den Seiten her Musik und Gesang. Rechts das Erzstandbild Petri.)
Der Schmied (und) Sankt Peter (treten auf, sie entblößen ihre Häupter)
Der Schmied
Ist’s hier aber gewaltig fein! Und dieses hohe Deckengewölbe!
St. Peter
Ja, wahrhaftig, es macht mich ganz befangen!
Der Schmied
Was sollen wir nur sagen, wenn der Papst kommt? Es wird am besten sein, wenn du zuerst sprichst!
St. Peter
Still, mir scheint, er kommt! Nein, das war er nicht!
Der Schmied (deutet auf das Standbild)
Himmel, wen mag das vorstellen! Lesen wir, was darunter steht. P,e,t,r,u,s; Petrus, das bist du ja!
Nein, wirklich! Haben sie mich da gar in Bronze abgenommen! Haha! Es sieht mir aber gar nicht ähnlich, scheint mir.
Der Schmied
Oh ja! — Vielleicht, daß das Haar hier etwas voller ist, weißt du?
Die Vorigen. Der Papst
Der Schmied
Sieh, da ist er nun! Fall auf die Knie!
(Der Schmied und St. Peter fallen auf die Knie)
Der Papst (bleibt stehen)
Wer seid ihr?
Der Schmied (zu St. Peter)
Antworte du! Ich fürchte mich so sehr!
St. Peter
Ein geringer Diener des Herrn.
Der Papst
Wie heißt du, alter Mann?
St. Peter
Petrus!
Wie noch?
St. Peter
Simon!
Der Papst
Steh’ auf!
St. Peter (erhebt sich)
Der Papst
Simon Petrus! Wie seltsam! — Und dein Vater hieß . . .?
St. Peter
Jona, Fischer in Kapernaum!
Der Papst
Warst du Petrus? (Er bekreuzt sich.) Du bist schon einmal in dieser Stadt gewesen!
St. Peter
Niemals! Achthundert Jahre stand ich vor dem Kölner Dom, in Rom aber war ich noch nie!
Der Papst
Dein Gedächtnis läßt dich im Stich. Hier auf diesem Platze littest du den Märtyrertod, weshalb zur Sühne und ewigen Erinnerung diese Kirche erbaut wurde . . .
Den Märtyrertod litt ich nicht . . .
Der Papst
So sagen die Kirchenväter!
St. Peter
Ich bin älter als die Kirchenväter und weiß darüber besser Bescheid als sie!
Der Papst
Und die Dekretalen . . .
St. Peter
Ich kenne keine Dekretalen . . .
Der Papst
Aber deine eigenen, in höchst vortrefflichem Stile geschriebenen Briefe!
St. Peter
Ich habe keinerlei Briefe geschrieben.
Der Papst
Auf Griechisch im Novum Testamentum?
St. Peter
Als Hebräer verstand ich nicht Griechisch. War ich doch ein armer, ungelehrter Mann, der sich mit Fischerei ernähren mußte!
Bist du Petrus, oder bist du es nicht?
St. Peter
Ich bin Petrus, derselbe, den du meinst, Papst!
Der Papst
Der Fels, auf dem die Kirche ruht, als dessen Nachfolger ich bestellt bin?
St. Peter
Ich war kein Fels, nur ein schwankes Rohr. Hab’ ich doch in jener denkwürdigen Nacht im Schreck meinen Herrn und Meister verleugnet! Zur Strafe wandre ich denn auch auf Erden, ohne Ruhe zu finden.
Der Papst
Und dies der Grund, auf dem sich die Kirche aufbaut!
St. Peter
Deshalb wackelt sie auch so, kracht in allen Fugen!
Der Papst
Daß du ein Ketzer bist, höre ich, und würde auch den großen Bann über dich aussprechen, wenn ich dich nicht im Verdacht hätte, irgendein entsprungener Tollhäusler zu sein! — Wer ist dieser dein Gefährte da?
St. Peter
’s ist nur der Schmied!
Welcher Schmied? Was ist sein Begehr?
Der Schmied
Ja, es klingt wohl wie eine Sage, aber eigentlich ist St. Peter hierher gekommen, sich nach den Schlüsseln zum Himmelreich umzusehen —
Der Papst (ruft hinaus)
Sbirre!
Sbirre (tritt auf)
Der Papst
Treib das Gesindel aus der Kirche! (Ab.)
Der Schmied. St. Peter. Sbirre
Sbirre
Hinaus!
Der Schmied
Dich nennen sie Gesindel, Petrus!
Sbirre
Hinaus!
Schön! Schön! Ihr wißt nicht, Sbirre, wen Ihr hier die Ehre habt hinauszujagen!
Sbirre
Hinaus! Gesindel!
St. Peter
Was sagst du, was sie alles über mich zusammengelogen haben! Da gehen sie hin und lesen Briefe von mir, die ich nie geschrieben. Aber seien wir demütig, Schmied!
Der Schmied
O, du brauchst nicht demütig zu sein, du, dessen Standbild in der Kirche steht —
St. Peter
Ja, doch! Ich schäme mich! Ich schäme mich!
Der Schmied
Das magst du wohl, und glaube nur ja nicht, daß ich im Schoße einer Kirche bleibe, in der es von Sbirren spukt.
St. Peter
Ich glaub’, ich habe mich mein Lebelang dem Himmel nicht so fern gefühlt als eben jetzt.
Sbirre
Hinaus!
So geht es einem, wenn man blöde ist und die Wahrheit reden will. (Zum Sbirren.) Hinaus? — Jawohl, Schmied, wieder hinaus, zu irren und zu wallen, sonder Rast noch Ruh! Weißt du, woran es uns gebricht, warum wir nicht ans Ziel gelangen?
Der Schmied
Nein.
St. Peter
Am Glauben. Denn nun kommt mir’s auf einmal in den Sinn: Der Weg zum Himmel ist der Weg des Kreuzes! Laßt uns das Kreuz aufsuchen!
Der Schmied
Du meinst das Leiden?
St. Peter
Ich meine das Leiden!
Der Schmied
Wohl. Nur dünkt mich, der leide am schwersten, der an nichts glaubt, und doch steht er dem Kreuze am fernsten.
St. Peter
Krieche zu Kreuz, Schmied, und wir werden uns überzeugen! (Gehen ab.)
(Ein Kreuzweg und ein Kalvarium, steinerner Sockel, darüber Christus zwischen den zwei Schächern am Kreuze, letzteres mit der Rückseite gegen das Publikum.)
Don Quixote (sitzt am Fuße des Kreuzes). Der ewige Jude (der Arzt verkleidet, tritt auf, den Kramkasten am Riemen um den Hals.)
Jude
Kauft vom ewigen Juden, gestrenger Herr Ritter!
Don Quixote
Was hast du denn noch zu verkaufen, nachdem du deinen Herrn und Meister verkauft hast?
Jude
Manschettenknöpfe und Krawattennadeln, Spiegel und Kämme, Bleistifte und Notizbücher!
Don Quixote
Gib mir einen Spiegel!
Jude
Ist’s gefällig?
Don Quixote
Was kostet er?
Jude
Eine Mark!
Kannst du auf dreißig Silberlinge herausgeben?
Jude
Jawohl!
Don Quixote
Du verstehst keine Satire, Jud’?
Jude
O, ich schon! — Aber der Herr Ritter?
(Er spuckt auf das Geld und steckt es ein.)
Don Quixote
Du spuckst aufs Geld?
Jude
Ja, ich mach’ es, wie der Herr Ritter mit dem Juden. Ihr spuckt ihn an und nützt ihn dennoch aus.
Don Quixote
Für dein schlechtes Gewissen hast du einen merkwürdig guten Humor!
Jude
Wieso?
Don Quixote
Nun, gingst du nicht auch hin und kreuzigtest . . .?
O nein, das taten der Römer Pilatus und seine Kriegsknechte, und mußte Pilatus sich auch seine Hände waschen, weil sie nicht rein waren, brauch’ doch ich die meinen nicht zu waschen, die rein sind! (Setzt sich.)
Don Quixote
Steh auf! Und geh! Geh, geh, solange die Welt steht, du, der du dem Herrn auf seinem letzten Gange die Rast verweigert hast!
Jude
Sagen, Ritter! Nichts als Sagen! Übrigens, wenn ich tue wie der bußfertige Schächer und um Verzeihung bitte, wird mir dann das Paradies nicht offen stehen?
Don Quixote
Hast du denn um Verzeihung gebeten?
Jude
Ich habe noch mehr getan: ich habe meine Strafe abgebüßt, und nun bin ich müde.
Don Quixote
Setz’ dich her, armer Jude, und möge der Schatten des Kreuzes dir Kühlung spenden!
Jude
Wißt Ihr, Ritter, weshalb Judas die dreißig Silberlinge wegwarf und hinging und sich erhängte?
Nein!
Jude
Das Geld war falsch!
Don Quixote
Deine Gedanken drehen sich fort und fort um Geld und weltliche Dinge, und du bist noch weit vom Kreuz.
Jude
Ich will mit Euch nicht streiten, Herr Ritter, und finde es vernünftiger, Eure Meinung zu teilen; so sind wir mindestens in der Hauptsache eins.
Die Vorigen. St. Peter. Der Schmied
St. Peter
Hier, seh’ ich, sammelten sich müde Pilger: Der Ritter nahm den ersten Platz.
Don Quixote
Am Scheidewege treffen wir uns alle,
Allein wir treffen uns nur, um zu scheiden!
Du scheinst nun allen Ernstes müde, Ritter!
Don Quixote
Nicht müde bin ich bloß, zusammen brech’ ich!
Mein Leben, war es auch nur eine Sage,
Neu leben wird es jegliches Geschlecht,
So lang’ die Erde kreist, der Himmel steht,
Die Menschen hinter Truggebilden jagen,
Solange man nichts lernt und nichts vergißt,
Wird Don Quixote weiter leben
In Jünglings Torheit, Mannes Klugheit!
Fahr’ wohl, du Welt, voll grimmen holden Trug’s!
(sinkt nieder.)
St. Peter
Der edle Ritter, er ist tot!
Jude
Und lebt doch!
Er hielt sich selbst die beste Leichenrede,
Wie keiner sie ihm besser halten konnte. —
Doch sieh’, mich dünkt, daß auch St. Peter
Sein müdes Haupt zur Ruhe neigt.
St. Peter (hat sich niedergesetzt und scheint schläfrig)
Der Plag’ und Mühen bin ich nunmehr satt,
Und ohne Klage geh’ ich aus der Welt,
Denn nicht auf Erden findest du den Himmel,
Nur dessen Pforte — die da heißt der Tod!
(Stirbt.)
Der Jude ([der Arzt] läßt die Verkleidung fallen). Der Schmied
Der Schmied
(will sich setzen, wird jedoch vom Arzte zurückgehalten)
Der Arzt
Nein, nein! Du darfst dich noch nicht setzen,
Zur Hälfte kaum verstrichen ist dein Leben.
Der Schmied
So warst das du? — Dann laß uns scheiden,
Denn ich will ruhn hier in des Baumes Schatten,
Und deine Wege, nie verstand ich sie.
Der Arzt
Es ist gut ruhen nicht im Schatten solcher Bäume,
Auch leg’ auf andrer Schultern nicht dein Kreuz,
Das ist bequem, doch führt es nicht ans Ziel,
Steh’ auf und trage selbst es bis ans Ende.
Der Schmied
Das tat ich auch, und hier ist nun das Ende.
Der Arzt
Nein, hier!
Verwandlung
(Das Innere der Ruinen des Turms zu Babel. Galerien und Gänge. Im Hintergrunde eine große Nische. Rechts eine Leiter, die auf halber Wand aufhört, mitten im Raume ein Tisch, über den eine zierliche Decke gebreitet ist. Unter derselben ein Korb.)
Wo bin ich hier? — Ist das die Unterwelt?
Der Arzt
Das nicht. — Doch in dem Turm zu Babel bist du.
Der Sage doch gedenkst du aus der Jugend,
Wie einst die Menschen sträflich sich vermaßen
Und in den Himmel klettern wollten,
In Turmesform sich eine Treppe bauend?
Die Götter — nein, hm, Gott vertrug das nicht,
Und er zertrümmerte den stolzen Bau.
Der Schmied
Weshalb ihn heut nicht wieder auferbaun,
In diesen Tagen, da wir nachgeahmt
Den Blitz, hinan zum Himmel segeln,
Herniedersteigen auf des Meeres Grund
Und durch den Draht mit fremden Ländern sprechen.
Der Arzt
Du Himmelsstürmer, lebst du immer noch?
Sieh hier im Bilde deine ältsten Ahnen!
Phantasmagorien
(auf weißem Grunde in der Tiefe de Nische)
Der Arzt
1. Ikarus
Hier sieh, wie Ikarus sich Flügel bildet,
Um zu der Sonne sich emporzuschwingen,
Sie aber schmolz das Wachs im Mechanismus,
Und den Entflügelten verschlang das Meer.
Hier ist Prometheus, wohl der Kuckuck
In deiner Himmelsstürmer Schar,
Im übrigen verwandt dem Riesen,
Du denkst doch sein? Willst lieber ihn vergessen! —
3. Jakob ringt mit Jehova
Hier sieh den Patriarchen Jakob,
Der kämpfen wollte wider seinen Gott
Mit dem Erfolge, den die Bibel lehrt. —
Wünschst du noch mehr zu sehn, so sprich!
Der Schmied
Ich sah genug, hab’s auch verstanden!
Der Arzt
Bist also du des Himmelsfluges satt!
Wohlan, zurück denn auf die Erde!
Der Schmied
Ein Wort noch! Diese Leiter hier?
Der Arzt
O, das ist die berühmte Jakobsleiter.
Der Schmied
Auf der die Engel steigen auf —
Der Arzt
Und nieder!
Bei Gott, es läßt dich noch nicht ruhn,
Dem Himmelswahne nachzujagen!
Der steckt in einem, wie die Sünde selbst!
Der Arzt
Kein Wunder das! Demselben Baum
Entsproß er wie die Sünde.
Wohlan, klimm auf, versuch’ die Leiter,
Und trägt sie dich nicht himmelan,
Steht sie doch fest auf Erden.
Nun scheiden wir, doch eh’ du gehst,
Nimm hier die kleinen Angedenken
Von ihm, der dich geführt ins Sagenland.
Am Herbstesabend, da mit deinem Gram
Der Regen draußen um die Wette weinte,
Zog ich aus meinem großen Korb
Des Spielzeugladens beste Waren,
Gebrauchend sie nach Zauberart.
(Während des folgenden nimmt er Spielsachen und Märchenbücher aus dem Korbe und legt sie auf den Tisch.)
Hier sieh’ den Riesen, greulich anzuschaun,
Der Felsen schleudert und die Kleinen schluckt.
Da haben wir den winz’gen Däumling,
Der Riesen fräße, käm’ er ihnen bei,
Und seine treue Gattin Cendrillon.
Sieh hier die Sagen mit den hübschen Bildern,
Den Ritter Blaubart mit den Frauen,
St. Peter, der auf Erden wandelt,
Ob er auch lang schon, lange tot,
Den Schuster aus Jerusalem, Schlaraffenland — — —
Laß dir’s genügen und trag’s heim den Kindern.
Der Schmied
Was soll der Hohn, der grausamer denn all die Bilder?
Nie sprach ich je ein wahrer Wort! —
Steig auf die Jakobsleiter dort,
Und du wirst sehn — mag’s gar nicht mit anschaun,
Dort wirst zu allererst du sehn
Die Schmiede und dein Kämmerlein;
Drin an der Wand drei kleine Bettchen.
Der Schmied
Die Räume will ich niemals wiederschaun!
Der Arzt
Und in der Kammer findest du Bekannte!
Doch glaub’ nur nicht, der Himmel falle nieder,
Und daß auf Leitern seine Engel wallen.
(Die Kinder des Schmiedes erscheinen in der Nische.)
Der Schmied
O, meine Kinder!
Der Arzt
Nun geh’ ich fort,
Denn meine Zauberkunst vermag hier nichts.
Bau nun ein neues Himmelreich dir selbst,
Glaub’ denen nicht, die mit den Schlüsseln klappern,
Vertrau’ der Wirklichkeit und nicht dem Schein,
Bau keinen Babelsturm; er stürzt dir ein.
(Der Vorhang fällt.)
(Schluß)