The Project Gutenberg eBook of Briefe aus Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen

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Title: Briefe aus Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen

Author: Bjørnstjerne Bjørnson

Editor: Bergliot Ibsen

Release date: August 17, 2015 [eBook #49722]
Most recently updated: October 24, 2024

Language: German

Credits: Produced by Jana Srna, Jens Sadowski, and the Online
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE AUS AULESTAD AN SEINE TOCHTER BERGLIOT IBSEN ***

 

 

 

Björnstjerne Björnson

Briefe aus Aulestad
an seine Tochter
Bergliot Ibsen

1911
S. Fischer / Verlag / Berlin

Autorisierte Übertragung
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1911 S. Fischer, Verlag, Berlin

Vorwort

Der größte Teil dieser Briefe ist in den Jahren 1887 bis 1890 geschrieben. Der Zeitraum ist kurz, aber gerade aus diesem Grunde verstärkt sich der Gesamteindruck. Als ich sie von neuem durchlas, überraschte es mich, welch ein lebendiges Bild sie von all dem geben, was damals B. B.’s Gemüt und Gedanken beschäftigt hat. Und deshalb entschloß ich mich, sie wenigstens einem engeren Kreise zugänglich zu machen.

Die Sammlung schließt mit einer kleineren Zahl von Briefen ab, die aus späterer Zeit stammen. Sie wurden aufgenommen, weil sie in gewissen Beziehungen die Selbstschilderung der früheren Periode vervollständigen.

 

Obige Zeilen waren das Vorwort zu einer Ausgabe, die nur in fünfzig Exemplaren als Manuskript in Norwegen gedruckt wurde. Gleich nachdem diese Exemplare verteilt waren, ergingen sowohl von privater Seite wie durch die Presse eindringliche Aufforderungen an mich, die Briefsammlung öffentlich erscheinen zu lassen. Das tue ich hiermit, nachdem ich einige wenige, aber notwendige Streichungen vorgenommen habe.

B. I.

Aulestad, 8. Juni 1887.

Liebe, liebe Bergliot, als Mutter aus Deinem Briefe vorlas, Du hättest bei der Nachricht, daß mir mein Dichtersold entzogen sei, stundenlang weinen müssen, da konnt’ auch ich die Tränen nicht zurückhalten. Ich sah Dich vor mir, wie Du weich und bewegt bist; ich liebe Dein Gemüt an Dir, Bergliot, und bin stolz darauf, daß Du mich verstehst. Dank Dir für Dein Mitgefühl; Du kannst mir glauben, es hat mir wohlgetan. Ich mußte nach meiner Pflicht handeln; denn diese schlechten Menschen gingen darauf aus, mir ebenso zu schaden wie Kielland. Ich gebrauche nicht gern das Wort „schlecht“; aber hier darf ich es ohne Bedenken.

Dann waren Mutter und ich lebhaft berührt von Deiner schrecklichen Angst vor einer Untersuchung. Wir fühlen Dir nach, daß es ganz furchtbar ist. Aber wenn es sein muß, muß es eben sein. Ich freue mich mächtig auf den Tag, da Du wieder von Gesundheit und Mut strotzen wirst; so warst Du, ehe diese Sache anfing, und Du mußt wieder die alte werden. Damit ist die Schamhaftigkeit und Vorsicht durchaus vereinbar, von der das Seelenleben einer so unverdorbenen Natur, wie Deiner, beherrscht wird.

Du bist von allen unsern Kindern die vollste und einheitlichste Natur. Daher bist Du unter ihnen auch das Kind, um das ich mir die wenigste Sorge zu machen brauche. Versuche nun, von der Gesellschaft, in der Du lebst, zu lernen; sie sind so gemessen in ihren Empfindungen und Ideen; es läßt sich so friedlich und gut mit ihnen leben. Grüße alle aufs herzlichste. Hast Du auch nicht vergessen, Hegel zu bitten, die Büste von mir, die Runeberg auf die Ausstellung nach Kopenhagen geschickt hat, an meine Mutter nach Kristiania zu senden? — Runebergs sind jetzt auf ein paar Tage in Kopenhagen. Sie reisen nach Finnland.

Hier ist es unglaublich schön in diesen Tagen, durchaus nicht zu warm. Geht es Dir gut? Sobald Du untersucht bist, mußt Du schreiben!

Entsinnst Du Dich der Longworthy-Geschichte, die ich Euch aus England erzählte? Von dem Menschen, der ein junges Mädchen in Belgien heiratete und recht gut wußte, daß kirchliche Trauung nicht genügend war? Und sie später nicht mehr kennen wollte? Nun, er hat jetzt geantwortet (er lebt in Buenos-Aires, Südamerika), und diese Antwort ist vernichtender für ihn als irgend etwas, was die Frau selbst gesagt oder durch Zeugen vor Gericht bekundet hat. Solch ein ausgemachter Schurke! — Hast Du meinen Aufsatz über Rußland gelesen? Oder soll ich ihn Dir schicken? Du liest „Verdens Gang“ jetzt wohl nicht? Es ist ein Brief an Dich aus Kopenhagen gekommen; sollte mich wundern, wenn er nicht vom kleinen Höffding wäre? Du solltest es so einrichten, daß Du so lange wie möglich in Hamburg bleibst, der Sprache wegen. Und solltest eigentlich schon jetzt deutsch lernen. — Ist es nicht drollig, daß Thommessen „Verdens Gang“ gekauft hat, so daß er nun die Hälfte besitzt und zwei andere Freunde je ein Viertel, und nun soll es eine Tageszeitung werden. — Du weißt wohl, daß auch Garborg den Staatsrevisor-Posten verloren hat? Wir sind also nun drei norwegische Dichter, denen man das Geld wegnimmt, weil wir nicht dieselben Ansichten haben wie die Majorität. — Ja, leb’ wohl, liebe, süße Bergliot! Wir wissen, Du machst uns nur Ehre, wo Du auch bist, und Du wirst heimkehren mit ungeteiltem Herzen für Heimat und Eltern! Dein Dir innig zugetaner Freund Vater.

Dein Björnst. Bj.

11. Dezember 1887.

Liebe, liebe Bergliot, innigen Dank für den Brief; worüber ich mich am meisten gefreut habe, war natürlich, daß Du selbst gutes Mutes bist und an Dich selber glaubst. Da kannst Du sehen, wie recht ich hatte, als ich meinte, Du müßtest wieder sicherer werden und Dich sicherer fühlen im Gesang, dies sei der Weg für Dich, um ruhigen, guten Mut zu schöpfen. — Ja, ich freute mich so hierüber, daß ich nicht so viel Gewicht, als ich vielleicht gesollt hätte, auf den Umstand legte, daß Du Dich bei Deiner Dame nicht wohlfühlst. Liebes Kind, scher’ Dich den Teufel um die Person; setzt sie Dir zu oder kannst Du Dich nicht satt essen, so geh sofort weg. Du bist Dein eigner Herr. Wenn man sich wohl fühlen will, so ist es durchaus notwendig, daß man es zu Hause behaglich hat, und selbst wenn Dich Dein Aufenthalt weit mehr kosten sollte, als jetzt, — lieber das, als wenn Du Dich ärgern mußt oder kaum wagst, Dich satt zu essen!

Vergiß das nicht!

Ich möchte Dich so gern einmal hier auf der Hochschule haben; es ist die beste des Nordens, und Schröders sind unsre Freunde von alters her. Liebste, Du solltest die Mädchen turnen sehen! Das wäre was für Dich, — etwas, um ganz und gar gesund zu werden. Doch davon ein andermal.

Ich habe nun 9000 Kronen Schulden bezahlt und werde noch mehr abzahlen. Dann haben wir Ruhe. Zu Weihnachten in Kristiania (bei Björns, die sich rasend freuen), und dann zurück nach Schweden, und aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch nach Finnland. Eine schwere Tournee, eine große, große Anstrengung, über die ich allein durch Mutters immer wache Pflege hinwegkomme. Dies in aller Eile. Wieder weiter!

Dein Freund Vater.

Grüße die lieben Heides und Cavlings und Kiellands und Runebergs, und danke letzteren für die Briefe!

Aulestad, 6. Januar 1888.

Liebe Bergliot, Du müßtest Mutter mit Deiner Büste herumziehen sehen, aus und ein, wie sie die verschiedensten Standorte, jede Art Beleuchtung ausprobiert; dann die Treppe damit hinauf, vor den Spiegel, wo die Büste eine Weile stehen bleibt, dann zu mir herein, damit sie nicht entzwei gehen soll. Heute wieder von da weg — ich weiß noch nicht, wohin. Vermutlich endigt sie vor dem Spiegel im Korridor auf einem eigens dazu angefertigten Sockel. — Sie ist fein, die Ähnlichkeit in einem Teil des Geistigen sicher getroffen; aber das Ganze gewissermaßen verkleinert; besonders die Unterpartie. Immerhin, — nur ein echter Künstler konnte sie modellieren. Es ist ganz famos, daß wir sie haben. Danke ihm vielmals, und innigen Dank Dir, die sie uns geschenkt hat. — Was Du über Arve schreibst, freut uns; ich wußte, er würde ein großer Meister werden. Ich habe sofort den Vater gebeten, ein Darlehen für Arves Rechnung aufzunehmen; sie muß so groß sein, wie der Junge wünscht! In zwei Jahren muß er es selbst übernehmen können. — Und es freut mich in jedem neuen Brief zu lesen, daß Du Dich mit Deiner Kunst verheiratet hast, daß eine Fertigkeit nach der andern aus Deinem gewissenhaften Fleiß im Zusammenleben mit ihr geboren wird. Dieses innige Zusammenleben ist notwendig. Besonders für Dich; denn es liegt kein, absolut kein Erbe von Virtuosität in Dir. Unsere Familie hat diese erarbeitete Gabe nicht; so daß, falls Du sie erlangst, es allein geschehen kann durch eine Energie und einen Fleiß, der seinesgleichen in der Familie nicht gehabt hat. Ohne das geht es nie und nimmer. Und wenn Du auch Deine vier (oder viereinhalb) Jahre lang singst, Du wirst sehen, Du mußt trotzdem noch immer weitermachen. Du mußt das schwer erringen, Zoll für Zoll, was andere leicht nehmen wie im Spiel. Denn Du hast kein Erbe, das Dir als Sprungbrett dient. Daß Du bereits so viel erreicht hast, muß Dich aufmuntern, immer weiter zu gehen! Und mit derselben treuen Behutsamkeit; — die darfst Du niemals außer acht lassen.

Ja, ich bin so glücklich über Deine Fortschritte und Dein Glücksgefühl, daß Du Dich ihrer selbst bewußt bist, — ja, das ist gegenwärtig mein liebster Gedanke. — Hast Du Darwin, 7. und 8. Heft gelesen? Das ist das Herrlichste in seiner Art. Stell’ Dir vor, — Einblick zu gewinnen in die Werkstatt eines so bahnbrechenden, so großen Werks, wie es der „Ursprung der Arten“ ist, eines Werks, das umwälzend gewirkt hat auf das Gedankenleben der Menschen! Ich lese auch sonst viele herrliche Dinge gegenwärtig. Und sammle Leute um mich zum Vorlesen. — Die Politik ärgert mich gewaltig; ich mag nichts über sie schreiben. Aber hier ist ein Keimen in der Luft; die Norweger sackt keiner ein!

Dein Freund Vater.

Ich kann mir kein rechtes Bild von den Leuten machen, in deren Haus Du bist; ich muß Dich mir hinter langen Gardinen in einem leeren Zimmer denken, wo Kohlen im Kamin glimmen, und sehe nur Schatten an Dir vorübergleiten. Es wäre hübsch, wenn Du mich auch Menschen sehen und Stimmen hören ließest.

Es geht uns ja nun gut insofern, als wir Geld für eine Menge kleinere und größere Bedürfnisse haben, die wir früher nicht befriedigen konnten, und dazu die Aussicht, in Zukunft sorgloser leben zu können; aber wir verdienen doch nicht so viel, wie es den Anschein hat. Und all die Menschen, die wir kennen lernen, und all die Freude, die wir erleben! Sind wir erst einmal damit durch, so wird es ergötzlich sein, das Erlebte und Gesehene zu sammeln.

Innig geliebte Bergliot, ich sehne mich so danach, Dich wieder so gesund und fröhlich zu sehen, wie damals, als Du aus Dänemark kamst. Hoffentlich wird es auf Aulestad so gemütlich, wie wir es uns für den Sommer wünschen; ich freue mich von Herzen darauf; aber am meisten auf die Arbeit, selber mit Steine zu brechen und dadurch mehr Erdreich zu gewinnen. Irgendeinen Sammelpunkt muß die Familie auch nach unsern Tagen haben, und das wird wohl Aulestad sein; wir werden versuchen, es so gut in Stand zu setzen, daß es dem, der den Hof besitzt, auch etwas abwirft. Erling ist begeistert für die Landwirtschaft, so daß es den Anschein hat, als müsse er die Aufgabe lösen können.

Wir sitzen nun hier bei Hedlunds, die uns lieben und die wir wieder lieben. Wir haben an vielen Ecken und Enden der Welt Familien, die uns geistig verschwistert sind, und ohne die wir uns unser Leben nicht mehr denken können; wir müssen sie ab und zu besuchen. Wir denken, es soll auch einmal für Euch ein gutes Erbe sein, die treue Anhänglichkeit all dieser warmen Menschen. Die Liebsten sind und bleiben uns Hedlunds.

Ich habe eine ganz mächtige Sehnsucht, wieder an meinen Roman zu gehen! Aber alles läßt sich nicht zu gleicher Zeit tun. Wenn ich doch so gut verdiente, daß ich den Kauf von Solbakken verantworten könnte; dann hätten wir eine Behausung für Sommergäste und auch für Erling, wenn er eine Frau nach seinem Geschmack findet. Wir legten dann Telephon zwischen den Häusern an, und auch hinüber zu anderen, die mit uns in Verkehr stehen. Ich will zusammen mit mehreren in der Gemeinde und im Sanatorium eine Station für Telephon bis nach Lillehammer errichten lassen. Heutzutage meint man ohne Telephon nicht mehr auskommen zu können. — Alle Deine Freundinnen hier lassen Dich grüßen; sie erkundigen sich sehr nach Deinem Gesang; aber ich kann ja nicht viel antworten; ich weiß so wenig davon, und im Grunde wirst Du wohl selbst nicht mehr wissen. So viel scheint mir sicher, daß Du vier Jahre statt drei wirst studieren müssen, und ich hoffe, ich kann es durchführen. Meine Ansicht ist: werde vollkommen darin; was für einen Gebrauch Du später davon machst, ist weniger wichtig; die Hauptsache ist das Talent, und das Bewußtsein, das Meistmögliche daraus gemacht zu haben.

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, Mutter ist ein paar Tage unwohl gewesen; aber nun ist es wieder vorüber. Dank für Deinen letzten Brief. Hier machte in den Zeitungen ein Brief Cavlings an „Politiken“ über Dich die Runde, an dem kein wahres Wort war. Das ist doch ein Satanskerl! Pack’ ihn und hau’ ihn durch! Haben sich Bräkstad und Thommessen in Paris entzweit? Warum? Sag’ es mir! Ferner, erzähl’ uns umgehend, was Du mit Mad. Viardot-Garcia anfängst!

Ich bin in diesen Tagen besonders guter Laune. Ich will so viel und ich glaube, ich vermag auch noch viel. Und dann glaube ich, wir stehen wieder dicht vor einem Aufschwung; ich glaube es. Seltsame, starke ethische Kräfte dringen von allen Seiten herein, strengere Forderungen, ehrlicherer Wille. — Was einen angewidert und dabei gepeinigt hat, die Verräterei im großen und kleinen, hat seinen Hexensabbat gehabt; jetzt sollst Du sehen, es wird bald Tag. Jedenfalls kann der Mensch nicht arbeiten, wenn er nicht diesen Glauben hat. Und ich habe ihn! — —

Dein guter Freund Vater.

Deine Briefe machen uns viel Spaß, liebe Bergliot, und Deine ganze Natur tritt in jedem einzelnen klar zutage. Du bist die wiedererstandene Jugend Deiner Mutter mit dem Mehr, das Dir die Gelegenheit zu zeitiger Entwicklung gegeben hat, die ihr fehlte, die sie aber später nachzuholen wußte; also für mich bist Du etwas von der Wonne, die ich in den Tagen meiner Verliebtheit empfand. — Karl Konow war hier mit seinen Geschwistern; wie der sich herausgemacht hat! Nie ist er so hübsch gewesen, so gesund, so unterhaltend. Er hat alle Herzen erobert, Mutters, meins, Erlings und Keilhaus, der gute Karl. — Wie entzückend doch so ein norwegischer Winter ist; für mein Gefühl übertrifft er den Sommer. Bald sollst Du von Hegel die norwegischen Bücher bekommen, die zu Weihnachten erscheinen. Ich wollte, ich wäre mit darunter; aber ich werde bei weitem nicht fertig. Ich schreibe diesmal was Feines. Bitte keinen Schritt, um mit Lies zusammenzukommen! Ergibt es sich von selbst, ja; sonst auf keinen Fall. Vergiß ja nicht, Tschernings zu grüßen! — Sverdrup ist ja jetzt bald erledigt, soviel ich höre. Die Rechte nimmt nun wohl selbst das Heft in die Hand?! — Erling ist tüchtig in der Wirtschaft. Aber Ejnars Brief verrät, daß er in Footchou in zu große Geselligkeit geraten ist, die gefährlich für Gesundheit und Charakter werden kann.

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, nein, ich bin nicht dafür, daß Du mit Brandes zusammentriffst. Ich meine, schütze nur Krankheit vor, wenn Du in dieser Zeit zu Schandorphs oder Cavlings eingeladen wirst; es ist ja auch die Zeit, in der Du am meisten zu tun hast, — falls Du durchaus den Juni über draußen bleiben willst.

Schandorphs Urteil über Literatur und Kunst ist sehr saftig, wie sein Naturell — kognak-getränkt. Das Urteil der Menschen ist in der Regel wie ihr Leben, immer wie ihre Natur. — Was Strindbergs „Julie“ uns zeigt, ist das Experiment eines begabten, aber ungesunden Burschen, der dasitzt und konstruiert — und ganz und gar nicht dem Leben folgt. Folgen wir dem Leben (womit sie sich immer nur brüsten), so ist alles viel weniger überraschend; Aufsehen wollen sie machen; das ist für sie Nummer eins. — Du kannst ganz ruhig sein: so wird die Literatur nicht werden; aber sie ist voll Verschrobenheit und Ziererei so lang auf Abwegen gewandelt, daß sich mit Recht ein brutaler Protest erhoben hat. Weißt Du noch, daß Arnljot Gellines Lied, wie er seine Liebste als Beute in den Wald trägt, seinerzeit als unanständig ausgemustert wurde; Magnhild war ein Buch über — freie Liebe; auch Leonarda war das! Ja, sogar „Es flaggen Stadt und Hafen“ ist unanständig. Da mußte die Natur ihr Recht wieder geltend machen, und das hat sie durch diese Menschen getan, — aber so getan, daß nun wieder protestiert wird. Es gibt nicht viele unter uns, die ihren gesunden Gang gehen! — Ja, jetzt macht der Schnee Ernst, zu schmelzen. Auf den Höhen ist schon alles kahl, hier durch den Hof geht ein Fluß; aber das Moor liegt noch unterm Schnee. Auf dem Altan den ganzen Tag alle, die nicht arbeiten. — Griegs trafst Du also nicht. Ich hatte einen Brief von Werenskjold, den ich so auffaßte, als wolle er diesen Sommer nach Bergen und Griegs malen, und erst den nächsten nach Aulestad. Ich werde ihm antworten; aber frag’ ihn, ob ich ihn recht verstanden habe. Ich werde diesen Sommer ein Lustspiel mit Gesang schreiben, und ich denke so halbwegs, Grieg zu bitten, daß er hierher kommt und zusammen mit mir arbeitet. Aber das hat noch gute Weile. Das Lustspiel ist nur ein einziger langer, sehr langer Akt, psychologisch ungemein interessant und heißt „Der König kommt“! Es steckt mir schon mehrere Jahre im Kopf. Davon sollst Du nächsten Winter in Paris leben. Ich möchte aber nicht, daß Cavling etwas hierüber in irgendeine Zeitung bringt; vergiß das nicht! Ach, ist das hier ein Wetter! Von morgens bis abends, Tag für Tag, Woche für Woche wundervoll! Ach, wie ich mich in Norwegen wohl fühle! Meine süße, liebe Bergliot, alles, was Du von Deinem Gesang schreibst, freut mich unbändig. Du sollst auch auf Solbakken ein Klavier haben!

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, gestern hatten wir einen Brief von Ejnar; es scheint ihm in jeder Hinsicht ausgezeichnet zu gehen; er schickt eine Photographie von sich selbst mit fünf anderen zusammen, bis auf einen alles Zollmenschen; es scheinen brave, gutmütige Leute zu sein; aber aus den Gesichtern zu schließen, scheint Ejnar ihnen überlegen; er hat sich überhaupt sehr herausgemacht. Es hat auch den Anschein, als würden ihm schwierige Arbeiten zugewiesen, bei denen eine Verantwortung ist, und er ist stolz darauf. Von seinen Geldverhältnissen schreibt er, sie stünden gut. — Wir haben jetzt „Fräulein Julie“ gelesen. Ob wirklich in der Welt ein Mensch glaubt, daß das wahrscheinlich ist? Hat es jemals irgendwo zwei Menschen gegeben, die dieses Zwiegespräch gehabt und sich in einer einzigen Nacht so aufgeführt haben? Oder hat es irgendwelches Interesse, es sei denn, Sensation zu machen mit etwas, was sonst nicht die Regel zu sein pflegt? Auch Ibsens Poesie fällt meines Erachtens allzu stark unter das Ungewöhnliche und rein Unmögliche, um auf die Dauer, d. h. wenn die Sensation verflogen ist, das allgemeine Interesse bewahren zu können. Aber mag es damit sein, wie es will, — Strindbergs Poesie ist obendrein schmutzig. Er ist selbst ein bedenklicher Kerl, und das spiegelt seine Dichtung wieder. Es gibt zwei Arten von Büchern, — solche, die in den Menschen die Freude am Leben, die Sehnsucht nach dem Guten steigern, und solche, die das nicht tun; die ersten sind gut, die anderen sind schlecht, so ausgezeichnet und genial sie auch in Einzelheiten sein mögen. — Es hat mich rasend gefreut zu hören, daß es „brillant“ geht mit Deinem Gesang. Ja, das hat mich gefreut wie nichts anderes augenblicklich. Mein lieber Schatz, wie sich das ganze Haus darüber gefreut hat! Das muß ich Dir sagen: — Du kannst Dir nicht vorstellen, wie gespannt ich bin, was daraus werden wird. Nicht auf die äußerliche Entwickelung, die es nehmen wird, ob Du Opernsängerin wirst usw.; das mag seinen natürlichen Lauf haben; nein, ob Du die Gabe erringst, die ich mir für einen Norweger ersehnt habe — die Gabe, uns hinzureißen, uns in einen Schönheitstaumel zu versetzen. Uns regelrecht zu verzaubern. Noch hat keiner sie gehabt. Erringst Du die, so werde ich wieder jung und froh, — froher, als über irgend etwas, was ich selbst oder ein anderer geleistet hat. Mutter sitzt und schreibt für mich ab in diesen Tagen, daß ihr die Finger steif werden und der Körper krumm und lahm; aber es ist doch ihre liebste Arbeit. Es ist ein Jammer mit meinem Buch, daß es zu lang wird; aber das läßt sich diesmal nicht ändern; es soll auch nie mehr vorkommen. Ich will fortan fünf Jahre lang nichts anderes tun als schreiben, schreiben, schreiben. Und dann punktum finale! — Du hättest die Materna hören sollen; um jeden Preis. Sie war Richard Wagners Liebling. — Es ist wieder Schnee gekommen; also werden wir das Fest der Schmelze noch einmal haben, vielleicht sogar noch zweimal. Nett!

Dein Freund Vater.

Aulestad, April 1888.

Ich finde, liebe Bergliot, es wäre eine wahre Sünde, wenn ich Dir nicht ein paar Zeilen schriebe. —

Mir ist nicht recht klar, weshalb ich an Jonas Lie schreiben soll, nein, ich tue es nicht. Mir liegt nichts daran, daß Du mit ihnen verkehrst; Du wirst keine ungetrübte Freude daran haben. Aber wenn Du es durchaus willst, so würde ich schon eine Form finden können; z. B. jetzt bei meinem neuen Buch.

Ich sehe, Bräkstad ist in Paris gewesen, um sein Geld loszuwerden, das leichtsinnige Huhn. Aber er war wohl gemütlich? — Meine liebe, süße Bergliot, hörst Du auch genug Musik? Du schreibst nichts darüber; und es macht mir Sorge, daß Du vielleicht die Maschine nicht mit dem Verständnis und dem Geschmack ölst, die wir immer aus der Arbeit anderer gewinnen. — Du sagst, wir sollen Cavlings danken. Ja, was ist ein Brief für ein merkwürdig armselig Ding; weder er noch sie zweifeln an unsrer Dankbarkeit. Wir müssen bei Gelegenheit etwas anderes für sie aushecken. Aber ich weiß noch nicht was. — Jetzt beginnt der große Schneeschmelzprozeß, und der ganze lange, kahle Frühling hinterher ohne Grün. Haben wir einen Winter ohnegleichen gehabt, so müssen wir jetzt für ihn büßen. — Ich glaube annehmen zu können, daß Du jetzt gut französisch sprichst. Ist das der Fall? Dann könntest Du vielleicht auch lernen, es korrekt zu schreiben? Ich sehe, Du schreibst immer noch „brilliant“ statt brillant. — Mutter wird entsetzlich taub, Du; aber prachtvoll sieht sie aus! Und so gesund ist sie! Sie behauptet, sie schlafe nicht gut, wenn sie nicht von halb zehn bis acht Uhr durchschläft! — Ich lese das 10. Heft von Darwin; hast Du es bekommen? Wenn nicht, so sag’ es mir oder schreibe an Husebye & Comp., Storgaten, Kristiania. Ich finde, es gehört zum besten, was man in der Welt lesen kann. Gibt es etwas Französisches, was sich lohnt, so kauf’ es, lies es und schick’ es mir! Dann werd’ ich es Ejnar schicken. Nichts geht über einen gemütlichen Schwatz; aber gleich danach kommt ein gutes Buch.

Heute habe ich nichts zu schreiben, ich sitze da mit leerem Kopf, weil das, was ich drin habe, bei der Erzählung ist und fürs erste nicht heimkommt.

Dein Freund Vater.

30. Oktober 1888.

Liebe, süße Bergliot, die Treue, mit der Du an Frau Lürig hängst, berührt mich sehr angenehm, — natürlich vorausgesetzt, daß Du sicher bist, sie kann Dich weiter bringen.

Treue und alles, was einen Menschen darin festigen kann, ist das Mittel, unser Gemüt und unsern Charakter zu erweitern. Nichts bringt so großes Leid, aber auch nichts so große Freuden; deshalb führt auch nichts so viel der Seele eines Künstlers und dem Willen eines Menschen zu. Halt an der Treue fest, Bergliot, sie ist die Krone des Lebens! Alles andere, was die Menschen so nennen, ist es nicht, — mögen nun Priester oder Gott weiß wer sonst es behaupten. Allein die Treue ist es. Dabei aber erhebt sich die Frage: wem schuldet man das Meiste? Also auch die höchste Treue? Dem Vaterland. Unter diesem Namen hast Du Wahrheit, hast Du alles Gute. Paß’ auf, daß Deine Treue gegen die Menschen niemals in Widerstreit kommt mit Deiner höchsten Verpflichtung. Erst sie, dann alles andere! — Ich zweifle nicht, daß gerade Du hierin meinen Spuren folgen wirst, meine liebe, treue Bergliot, und obwohl die Gelegenheit, Dir das zu sagen, etwas fern liegt, so benutze ich sie doch. Du bist außerordentlich pflichttreu (das hast Du wesentlich von Deiner Mutter) und daraus folgt die Treue gegen andere.

Falls Lies keinen Krieg, direkt oder indirekt, gegen uns führen, so magst Du sie besuchen; aber am liebsten in Arves Begleitung; und dann müßt ihr zusammen spielen und singen, was ihr uns vorgespielt und vorgesungen habt; so könnt ihr ihnen ein Stück Sommer von uns bringen und sie gleichzeitig von uns grüßen.

Dein nervöser Brief an Mutter hat uns sehr erschreckt. Was, glaubst Du, wird die Folge sein, wenn Du diese Deine Nervosität nicht bekämpfst? Du mußt mehr an die Luft, Bergliot! Sag’ lieber Deine Unterrichtsstunden ab! Hast Du überhaupt Nutzen davon?

Wir haben einen herrlichen Spätherbst, voll Wärme und Sonnenschein, die Kühe sind noch draußen, und heute schreiben wir den letzten Oktober. Wir haben ein gutes Jahr gehabt. Aber wir haben den großen Kummer, daß X. nicht nur lotterig, sondern unredlich gewesen ist. Er hat mir das Geld durchgebracht zu Tausenden. So werde ich auf alle mögliche Weise geschunden. — Ißt Du jetzt gut? Ißt Du Dich ordentlich satt? Vergiß nicht, das zu beantworten. Lebwohl, mein liebes, süßes Mädel. Und vergaff’ Dich in keinen, sondern komm wieder als unser altes, munteres Prachtmädel!

Dein Vater und Freund
B. B.

2. Dezember 1888.

Liebe Bergliot, das ist ein schöner Vorsatz, an dem Du festhalten mußt, uns jeden Montag zu schreiben. — Deine Briefe machen uns immer Freude. Von allem, was Du erzählst, hat nichts mich so gefreut, wie daß Du nicht lange aufbleibst abends. Wenn Du daran festhalten kannst, wenigstens als Regel, so daß das andere zur seltenen Ausnahme wird, so hast Du darin ein Kräftigungsmittel, besser als die meisten anderen. — Du erzählst nichts davon, wie Du lebst. Du ißt doch gut bei „Deiner alten Dame“ — und genug? Erzähl’ mir das besonders, und verdient sie es, dann grüße sie herzlich. Für Dein Geld, d. h. für das, was Du selbst verdienst, mußt Du Musik hören; für Deinen Unterhalt und Deine Kunst sollst Du genug bekommen. — Ich möchte gerne hören, ob Frau Lürig dafür einsteht, daß das, was so eine deutsche (oder französische) Sängerin Dir sagt, auch wirklich so gemeint ist; nicht bloß gesagt als Aufmunterung oder Schmeichelei. Ist Frau Lürig der Ansicht, die andere habe wirklich das gemeint, was sie sagt, dann wünschen auch wir es zu erfahren. — Was wirst Du in dem Kirchenkonzert singen? Ich habe es nicht recht verstanden. Und was ist es für eine Kirche? Das macht mir viel Freude. — Gestern, an Mutters Geburtstag, machten wir eine Spazierfahrt in unserm, mit blauem Samt ausgeschlagenen Breitschlitten, mit unserm Bärenfell und zwei Pferde vor, und Erling kutschierte. Aber Mutter hat solche Angst jetzt vor dem Fahren, daß ich sie kaum wiederkenne. — Ich lasse Dir Ibsens neues Buch schicken; es scheint großzügig zu sein und auch milder als die vorhergehenden. Ich habe eine patriotische Freude an dem Glück, das er macht als bahnbrechender Dramatiker. — Mir selbst geht es gut mit dem Schreiben augenblicklich; Du wirst seinerzeit Freude daran haben, wenn Du es liest. — Im übrigen herrscht hierzulande eine Reaktion und eine Engherzigkeit, die alles übersteigt, was ich bisher für möglich gehalten habe. Aber wir müssen wieder lichtere Zeiten zuwege bringen. Jeder, der durch Kunst Schönheit und Lebensfreude in unser Leben legt, arbeitet dafür. Wir werden unsre Zeitgenossen erleuchten und erwärmen, und so beharrlich darin sein, daß wir durch den Dunst und Staub vermodernder Vorzeitsüberbleibsel des Glaubens und der Sitten und der materiell und pietistisch versauerten Erde strahlend durchdringen.

Dein Freund Vater.

Aulestad, 12. Dezember 1888.

Liebe, süße Bergliot, Dank für den Geburtstagsgruß und Dank im voraus für die Büste. — Du schreibst, daß ich zu streng bin gegen Dr. N. N. Ja, wieso? Ein besseres, edleres Gemüt gibt es nicht; und eine Begabung, so fein und groß und so reif für allumfassendes Denken, daß sie Seltenes leisten könnte. Und eine Liebenswürdigkeit, eine Süße in Wesen und Augen und Lächeln, die ihn unsterblich macht bei allen, über die er sein Bild ausgegossen hat.

Aber vor lauter Selbstreflexion so unsicher, so zersplittert von eitler Gefallsucht, so eingenommen von seinen eignen Einfällen in Selbstbewunderung und der Bewunderung anderer, daß er vor sich selber nicht mehr zur Ruhe kommt. Und, um immer in günstiger Beleuchtung zu stehen, so unwahr, daß er nicht zwei Personen dasselbe erzählt! Er kann sich große Mühe geben, um etwas zu erreichen; aber hat er es erreicht, so ist er dessen in der Regel überdrüssig. Er kann sich auch um einer Laune willen wegwerfen. Eine derartig unruhige Natur ist nie über den Augenblick hinaus glücklich und wird seine Umgebung mit sich reißen. Ja, ich könnte noch lange so weitermachen. Es gibt wenige Menschen, die ich so lieb haben kann, wie solche einschmeichelnde Begabungen, die die des Geistes und des Herzens in gleich hohem Grade besitzen. Aber während ich ihn genieße, weiß ich, daß er meiner bereits müde ist. Und das Gefühl läßt niemals eine Sicherheit aufkommen.

Es hat mich geärgert, daß Du um Dein Kirchenkonzert gekommen bist. Aber es findet sich wohl etwas anderes für Dich, damit Du den Mut zum Auftreten gewinnst. Du vergißt zu erzählen, wie es mit Deinen Trillern geht? Ob Du es erfaßt hast? Hierzu — besonders aber zu der Fertigkeit, den Ton sicher eine Oktave zu schleudern, — dazu gehört eine Hundearbeit für Deine Art Stimme! Und das erfordert eine raffiniertere Natur als die Deine; denn es liegt wenig oder gar keine Virtuosenbegabung in unserer Familie — von meiner Seite eine alte Bauernsippe, und von Mutters Seite ein Gelehrten- und Handwerkerstamm. Soll sie aber trotzdem erreicht werden, so muß den Mangel an Vererbung die unglaublichste Arbeit ersetzen. Und die unermüdliche und doch vorsichtige Art, wie Du es anpackst, muß, glaube ich, zum Ziele führen. — Danke für Zola! Das ist recht! Kaufe alles, was Aufsehen macht! Hast Du je einen Menschen gekannt wie „die Frau vom Meere“? Was? — Süße Bergliot, laß uns bald von Dir hören.

Dein Freund Vater.

Januar 1889.

Liebe Bergliot, das „mit Seele singen“ beruht nicht allein darauf, daß man selbst „Seele“ hat, die Gabe poetischer Interpretation von Wort und Musik besitzt, es beruht darauf, daß einer (oder eine) gearbeitet hat. Solange das Technische noch Schwierigkeiten macht, ist es außerordentlich schwer, mehr zu erreichen als das Technische; man hat nicht Zeit zu mehr; man wird gehemmt durch das Bestreben, es „richtig“ zu machen; das übrige muß gehen, wie es will. Aber wenn das Technische überwunden ist, dann beginnt dem der „Geist“ der Sache aufzugehen, der Gefühl dafür hat. Dieses „Gearbeitet-Haben“, so daß man in jedem einzelnen Teil Herr ist über das Technische, und dabei die seelische Offenbarung vom Sinn des Stückes hat, das ist Vorbedingung des „mit Seele Singen“. Wer ungeheuer viel studiert und viel Musik gehört hat, kommt leichter dazu; schließlich ist das Technische in dem Maß überwunden, daß man vom ersten Augenblick an einzig mit dem Geist des Stückes beschäftigt ist; für alle aber gilt es, im Augenblicke der Wiedergabe außerdem „aufgelegt“ zu sein, die Inspiration (Beseelung) des Vortrags aus der Macht des momentanen Gefühls zu schöpfen. Wer ein persönliches Leben lebt, wer gebildet ist, so daß sein (oder ihr) Verständnis feiner und mannigfaltiger ist, legt natürlich mehr hinein, als jemand, der bloß alle Kunstgriffe kennt und alle Variationen bei hundert anderen Künstlern gehört hat. Einzig die ursprünglichen Individuen sind es, die dauernd zu erschüttern vermögen; niemand sonst.

Die „reichen“ Naturen, die, welche das große Talent in den tausend Geschehnissen des Lebens geübt haben, deren Herz weich, deren Verstand scharf, deren Mut sicher geworden ist in Kämpfen ohne Zahl, die meistern sich selbst, wo sie auch stehen, sie beherrschen das „Aufgelegtsein“ wie Geister, die ihnen Untertan sind; denn das allein heißt: in sich selbst zu Hause sein, ohne daß andere einen stören können.

Vor allem, Bergliot, will das „nicht mit Seele Singen“ nur besagen, daß entweder das Stück so schwer ist oder Dir so neu und ungewohnt, daß Du nicht in seinen Geist eingedrungen bist, oder auch, daß Du nicht genügend gearbeitet hast, oder daß im Augenblick etwas Dir im Wege steht, so daß Du nicht all das herausbringst, was Du sonst in das Stück hineinlegst.

Ich rate Dir, versuch’ in den Geist jedes einzelnen Stückes auf Deine eigne Weise einzudringen und Dich nicht eher zufrieden zu geben; niemals aufzuhören bei dem ausschließlich Technischen. Je öfter Du auf diese Weise Dich selbst erwärmt hast, um so wahrer machst Du es zuletzt. Um so leichter fällt es Dir von Stück zu Stück.

Gestern bekam ich einen Brief von Franz Beyer, Griegs bestem Freund und Nachbar, mit den flehentlichsten Bitten, „Olav Tryggvason“ für ihn fertig zu schreiben. Ja, so ist es; alle wollen sie mich ausnutzen, alle, alle. Ich soll bei allem mit dabei sein, für die Interessen aller. — Kürzlich erhielten wir einen ungemein wichtigen Brief von Ejnar, er gibt gute Ratschläge für den Kampf des Tages hier daheim; als ob er von China aus eingreifen könnte! — Björn hat zwei rasend amüsante Sachen im Dagbl. geschrieben unter der Spitzmarke „Ein Zivilist“.

Ja, nun reißen sie mir den Brief weg. Hier ist Schneesturm; man sieht nicht zwanzig Ellen weit. Nett.

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, jetzt bekommst Du den „Professor“! „Die Unversöhnlichen“ von Garborg ist gar nichts wert. — Wir lesen täglich Kiellands Blatt; es ist geschmeidig, flüssig und klug geschrieben. Er ist offenbar für Politik veranlagt. Gerade jetzt zeigt er sichere Gewandtheit, während seine ganze Familie sich insolvent erklärt hat; es sieht aus, als wollten sie wieder festen Fuß fassen, und dabei wird er von allen seinen mannigfaltigen Kräften als Leiter einer Zeitung unterstützt. Vielleicht glückt es. „Monogamie und Polygamie“ ist in 11000 Exemplaren verkauft und verkauft sich ständig weiter, also Gift für Bohémiens.

Meine liebe Bergliot, die Sache mit Deinem Heimweh ist wohl auch ein bißchen Verzärtelung, weil Du niemanden hast, an den Du Dich anschließen kannst. In dieser Hinsicht ist Paris auch sonderbar; man kann jahrelang dort leben und kommt nirgendwo hinein. Oder es ist unsre eigne Schuld. Ich schrieb an Sansot, er solle Dich aufsuchen, vielleicht tut er es. — Danke dem lieben Werenskjold für seinen Brief. Dank’ ihm für all seine Güte und Treue in dem alten, schweren Jahr, ihm wie seiner Frau! Ich bin so überbürdet mit Briefen und so gedankenleer, mitten in meiner Schreiberei, daß es ihm nicht ein Jota nützte, wenn er einen Brief von mir bekäme. Nicht ein Jota. — Denke Dir, jetzt ist es erwiesen, daß noch bis ins vorige Jahrhundert Frauen in allen Handwerken vertreten waren (wie noch heute in Frankreich!); die Bürgerbriefe wurden auf Mann und Frau ausgestellt, und sie hatte Spielraum für ihre Talente; erst in diesem letzten Jahrhundert ist sie auch hier herausgedrängt worden. Gleichzeitig ist nachgewiesen, daß sie in der ersten christlichen Kirche Pfarrer war, die Sakramente austeilte, taufte, und daß sie erst im 7. Jahrhundert und im Mittelalter überhaupt so gewaltig unrein und sündig wurde, daß sie mit etwas so Heiligem nicht mehr betraut werden konnte. Und zwei Arten von Einflüssen waren es, die diese Ausschließung verursachten, ein heidnischer von dem Griechen Aristoteles her, der „das Männliche“ so hoch hielt, und ein christlicher (eigentlich ein Einfluß, der durch das Judentum in das Christentum kam), wonach die Asketen (die Selbstquäler) das Weib verfluchten. — Aber nun sind wir in dem großen Revolutionsjahr, nun soll es anders werden!

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, nur ein paar Worte in aller Eile! Herzlichen Dank für Deine treffenden Briefe, die uns jedesmal so viel Neues erzählen. Du hast doch wohl das siebente und achte Heft von Darwin gelesen. Ist „Die Entstehung der Arten“ ein Weltereignis ersten Ranges, so ist ein so lebensvoller Einblick in die Werkstätte, wo sie geworden ist, einzig in der Weltliteratur. Dieses sei die Einleitung für Deine Lektüre. Es sollen Dir ein paar Bücher von hier zugeschickt werden unter der Bedingung, daß Du sie an Ejnar weiterschickst. Auch werde ich für Dich etwas aus dem „Dagblad“ herausschneiden, das ich übersetzen ließ und zurechtgestutzt habe.

Wir bekommen lange prächtige Briefe von Ejnar, und Du kannst Dir denken, wie es uns freut. Er ist also ebenso frei von aller Art Verlobung wie Du. So kommt sie — falls sie kommen soll — um so reifer und überlegter, so daß Rücksicht auf eine gesunde Familie und gutes moralisches und intellektuelles Erbe genommen wird. So etwas darf nicht länger auf gut Glück und Zufall beruhen. Jonas Lies Buch ärgert mich, weil er mit seinem Talent sich zum Stile Krohgs und Jägers herabgelassen hat, der nur Eintagswert besitzt und einen dürftigen Stoff wie die englischen Blaustrumpf-Romane in die Länge zieht. Das hier sollst Du Werenskjold wortgetreu vorlesen. Und ihn sollst Du grüßen wie meinen Bruder, und sie sollst Du umarmen und küssen von mir. Peters älteste zwei Mädels sind hier zu Besuch bei den zwei jüngsten. Sie sind ganz prächtig allesamt, und ich denke bei mir selbst — wenn auch in unserer Familie Fehler sein mögen wie in den meisten —, stolz und innerlich wahr ist sie von Grund aus. — Wie herrlich es jetzt hier ist, das spottet jeder Beschreibung mit Feder und Pinsel; das mußt Du Werenskjold sagen. Noch ist der norwegische Winter nicht geschildert, nicht vom Landschafts- noch Figurenmaler, und am allerwenigsten vom Klein- oder Stillebenmaler. Nein, bloß ein winziges Stück umzäunten Hofes mit Aussicht auf die Baumstämme eines Hügels, wo sie so dicht stehen, daß der Schnee nicht auf den Boden durchschlüpfen kann! Grüß’ Inga!

Dein Freund Vater
B. B.

Liebe Bergliot, rasend wenig Zeit; aber ich muß mich schriftlich darüber ärgern, daß Du zur Belustigung der Skandinavier mitbeiträgst, was nie etwas anderes gewesen ist als undankbar, und niemals zu etwas anderem geführt hat als zu schlechter, ekelhafter Kritik und Feindseligkeit und Mißgunst. Es war ja doch abgemacht, daß etwas Derartiges nie vorkommen sollte. Und jetzt stehst Du mitten drin, und ich bin sicher, Du hast hinterdrein nur Ärger davon. — Nun liegt nur wenig Schnee noch längs der Wege unten auf dem Moor, sonst alles kahl. Wir haben die Maurer gehabt, die Kuhstall- und die Pferdestallmauer frisch verputzt, den Keller aufgebrochen, den inneren mit dazu genommen und zum Weinkeller gemacht, man geht längs der Mauer gegen Süden hinein, gleich unterhalb der winzigen Kammer, in der das Piano steht. Der Wein liegt unter der Stube, wo Keilhau und Arve schliefen. Nun kommen die Maler, und da sollen die Gesindestube und Oles Zimmer in stand gesetzt werden. — Mit meinem Schreiben geht es gut augenblicklich und ich bin in blendender Stimmung. — Jedesmal, wenn ein Brief von Dir kommt, ist das unser Höchstes! Ist es aber bloß Gewäsch, so sitzen wir da wie die begossenen Pudel! Also das mußt Du zu vermeiden suchen. — Erbärmlicher als es jetzt seit einer Weile hierzulande war und ist in Moral und Politik, kann es nicht sein, sollte man denken. Doch ich habe schlimmere Zeiten erlebt. Ich habe das unredliche Regiment der Rechten erlebt, mit bloß einem Drittel des Volkes, die aber doch die Macht nicht aus den Händen geben wollte, ehe sie Bürgschaft dafür hatte, daß sie auch weiterhin die Macht behielte, wenigstens das zu verhindern, was sie nicht zu fördern wünschte. Und was wir schrieben, war Dreck, und wofür wir arbeiteten, war Sünde, und wir selber waren schlechte Kerle. Ich werde in mein Grab steigen müssen als ein schlechter Mensch — in der Vorstellung eines Drittels der Leute, mit denen ich in meinem Vaterland zusammenlebe. Das ist, was mich betrifft, das Ergebnis des langen Kampfes. Und gerade als wir gesiegt hatten, und die herrschende Mehrheit waren, spaltete sich auch dieser Haufe in zwei Teile; und wiederum sieht ein Drittel von ihnen mich für einen schlechten Kerl an. So steht es. — Der Hof bringt nichts ein, weder unter dem einen Verwalter noch unter dem andern. Ich muß Löhne und Maschinen und Saatkorn zu all dem andern bezahlen; der Hof wirft nur das Essen und die Kleider ab. Auf die eine oder andre Weise muß hier Wandel geschaffen werden. — Hier daheim ist es sehr gemütlich; das neue Gesinde einfach entzückend, und es geht so gut, — wenn es sich bloß auch lohnte! Aber für Dich in Paris bezahlen, und den Hof hier, und dann die Schuldenlast darauf, das wird etwas zu viel für Deinen Freund und Vater. Trotzdem — es geht schon! — Ja, leb wohl denn! Gute Fortschritte, keine skandinavischen Narrenspossen, Arbeit und gute Musik, voilà!

Dein Freund Vater.

3. Februar 1889.

Liebe Bergliot, Du mußt ja nicht glauben, daß die Zeiten jetzt unsittlicher sind, als sie früher waren. Sie sind viel besser! Was Frankreich betrifft, so existieren Memoiren, die die größte Unsittlichkeit nachweisen, bis in die Klöster hinein; das ist heute unmöglich. Und eine Menge ähnliche Dinge, die ich nicht herbeten mag. Aber die Frau hat eine Stellung im Handwerk gehabt, die sie später verloren hat.

Ich für mein Teil glaube an einen Kreuzzug gegen die Unsittlichkeit wie jetzt gegen den Alkohol. Aber noch ist die Zeit nicht gekommen, obwohl immer mehr Gemüter begreifen, daß es die Gesundheit des Geschlechts gilt.

Seitdem ich das letztemal schrieb, bin ich auf einer Volksversammlung gewesen und habe da eine der besten Reden gehalten, die ich je gehalten habe (für allgemeines Stimmrecht). Hätte ich nur Zeit und die Mittel dazu, so würde ich für die Sache im Lande herumreisen. Knut Forr ist hier gewesen, der aus Fron, ein angenehmer Mensch. — Morgen wollen wir fort nach Rindal in Fåberg (auf der andern Seite des Mjösen), das ganze Haus und der Gustum. Kommen Montag Morgen zurück. Wir haben viel Ausfahrten heuer gemacht. „Geographie und Liebe“ hat großen Erfolg in Kristiania gehabt; das hat mich mächtig gefreut. — Jeden Abend spielen wir jetzt Boston; es ist sehr gemütlich. — Für die Uhr, die Du kaufen willst, wollen wir gern das Geld auslegen, falls Du es wünschst; aber sie wird natürlich, wie alle solche alten Uhren, schlecht gehen, so daß es Dich einmal ein neues Werk kosten wird, und das sind wieder an die 300 frs. — Wenn Du Krieg oder Revolution in Frankreich befürchtest, so irrst Du. Es kommt bei dem Ganzen nichts heraus als viel Lärm. Du kannst Cavling von mir bestellen, es sei eine Schande von ihm, Äußerungen hinzuwerfen, wie die, daß Gambetta scrutin de liste haben wolle, um Diktator zu werden; das zeigt, wie leichtsinnig er schreibt. Gambetta tat es nur, um der Unsitte ein Ende zu machen, daß die Deputierten ihren Wählern alles mögliche versprachen; er dachte, wenn zehn bis zwanzig Deputierte in einem ganzen Departement gewählt würden, so hätte es ein Ende damit und also auch mit dem Übelstand, daß sie wie ein Alp auf den Ministern lagen, um durchzusetzen, was sie ihren Wählern versprochen hatten. Aber freilich — Verzeihung! — alle die in einem Departement Gewählten machen es jetzt so, daß sie untereinander austauschen, was jeder von ihnen versprochen hat, und womit sie die Minister plagen wollen, — und so ist dasselbe Elend wieder da! — Sag’ ihm das! Und füg’ hinzu, daß er in der Regel teufelswenig weiß von dem, worüber er schreibt; aber in Stil und Esprit nimmt er beständig zu. Alle Menschen müssen ihn lesen.

Hat Mutter Dir erzählt, daß wir eine mächtig feine neue Stute gekauft, und die alte verkauft haben? Andre Neuigkeiten vom Hofe weiß ich nicht. Doch! daß wir eine neue Bergliot im Kuhstall haben; die alte wollte bloß schön sein und nicht recht Milch geben. Nun werden wir sehen, ob die neue ihres Namens würdiger ist. Nein, wie ich es Dir gönnte, wieder einen norwegischen Winter zu sehen! Du kannst Dir solche Pracht gar nicht vorstellen! Ich werde in dem neuen Buche eine Reihe Schilderungen bringen, also erspare ich sie mir hier im Brief. — Karen war ziemlich unentschieden, ob sie bleiben sollte oder nicht. Nun wird sie bleiben, und es wird ihr zu Ehren auf dem Rollboden ein Ball gegeben, worauf sich das ganze Haus freut, d. h. sein jüngerer Teil. — Ich möchte gern wissen, was Mad. Marchesi über Deine Stimme sagt. Schreibe gleich! Du hast jetzt eine ganze Zeitlang nichts von den Fortschritten geschrieben, die Du machst, z. B. im Trillern. — Und was Du über Arve schreibst, ist zu wenig. Wie verhielt er sich zu den anderen Schülern Marzicks und zu Marzick selbst? Maßstab! Und hat sein Spiel mehr Feinheit gewonnen, mehr sichere Gleichmäßigkeit? An diesen beiden Dingen fehlte es letztesmal. Erzähl’ genau und ausführlich. Und was sagt Marzick von ihm?

Nein, was dieser Keilhau für ein netter, guter Junge ist! Aber schwächlich. Er hat einen Schwindelanfall usw. gehabt, einfach Nikotinvergiftung. Nun hat er den Tabak ganz aufgegeben. Er raucht überhaupt nicht mehr. Er geht stark mit dem Gedanken um, nach Drontheim zu gehen als Redaktionssekretär bei „Dagsposten“. In diesem Falle gibt er sein Studium auf. Ich weiß auch nicht, was er damit soll, wenn sein Lebensberuf einen ganz andern Weg einschlägt. — Von zu Hause muß ich Dir erzählen, daß „Han“ und die Katze „Mons“ sich sterblich in sich verliebt haben; sie können einander keinen Augenblick in Frieden lassen. Sie lecken sich und spielen zusammen auf Schritt und Tritt. Aber „Han“ ist ein Bummelköter geworden, der sich auf allen Höfen herumtreibt. — Ja, diesen Brief mußte ich schreiben, weil Mutter keine Zeit hatte; jetzt stehen sie alle — Sonntag morgen — und warten auf mich; die Pferde sind angespannt; wir wollen fort nach Rindalen. Leb’ wohl und verlobe Dich nicht! Verlieb’ Dich auch nicht, außer in Deinen Gesang.

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, Deinen letzten nervösen Brief empfangen und gelesen; gleichzeitig einen sehr nervösen auch von Björn. Ja, das ist ein Fehler bei Euch, daß Ihr so seid; aber das hängt wohl zusammen mit dem Geistigen und dem Gefühlsstarken, mit dem, was die Seele der Kunst ist. — Wir amüsieren uns hier daheim, daß ich Bruun durchprügle. Ja, diesmal soll er Haue haben, Haue, Haue. Jetzt bin ich daheim und den Zeitungen ebenso nahe wie er. Du wirst auch Deinen Spaß daran haben, wenn Du die Zeitungen siehst. — Mein Buch schreitet rasch vorwärts; ich hoffe, ich werde zu rechter Zeit fertig. — All diese Schweinerei, die hier zutage tritt; diese Roheit, mit der sie das Gefühl unterdrücken wollen und das Recht des Stärkeren predigen! Wo käme die Welt hin, wenn es Gesetz würde, daß ich das Recht hätte, einen Mann zu töten, den ich für unnütz hielte, bloß damit ich dadurch das Geld zu etwas Nützlichem bekäme? Wer sollte zuletzt Richter sein darüber, was „nützlich“ ist?

Mir graut nicht vor dem, was kommt; die Kräfte müssen drauf losstürmen; so lange die Reichen ihr Recht so fürchterlich mißbrauchen, wie sie es tun, müssen die Vernichtungskräfte arbeiten. Aber ich weiß, welches die Fortschrittslinie ist, und daß die Menschen niemals darüber hinauskommen. — Du solltest Mutter in diesen Tagen unten im Mistkeller stehen sehen, wie sie ihren Mistprinzen Mist aufladen sieht! Nun ja, er ist auch tüchtig, das finden alle; aber Mutters Schwärmerei für ihn kennt keine Grenzen; wenn sie wieder hereinkommt, geht ein Duft von ihr aus, daß wir lachen müssen. — Denk Dir, der Mist im Keller war so eingefroren, daß wir ihn mit Sprengschüssen sprengen mußten und wegfahren wie Steine. Jetzt ist er fort. Noch nie ist es so rasch gegangen mit so wenig Hilfe. Wir sind Nummer eins im Dorf, und das ist Erlings ganzer Ehrgeiz. — Die neue Haushälterin ist eine prächtige und tüchtige Person; ich habe sie Even Toft zur Frau bestimmt. Paß nur auf! — Der Nordrum kalbt jeden Tag, wir essen Biestermilchkäse, Mädel, wie andere frische Milch trinken. Und Kalbfleisch und Kalbfleischsuppe natürlich. — Es ist möglich, daß Du jetzt einen Monat lang keinen Brief von mir bekommst, der Erzählung wegen; ich muß jeden Augenblick ausnutzen. Aber andere werden Dich schadlos halten.

Dein guter Freund Vater.

Liebe Bergliot, Mutter hat sich im Liegen die Hand verstaucht — hast Du schon so was gehört? — Sie kann nicht schreiben. — Jenny ist hier und hat Anna Finsen mit, gestern große Umkalfaterung im Garten, die alten Stachelbeerbüsche weg usw. Neues dafür. — Noch kein Frühling ist, so lang’ ich denken kann, so schön gewesen in Norwegen wie dieser. 16 und 17 Grad Réaumur jeden Tag. Die Hühner im Sommerstall (wir haben fast keine mehr, Erlings Hunde haben sie gefressen; neulich fraß „Han“ noch eines!), die Frühjahrsbestellung fast fertig. — Wir haben die Mitte des Altans wegnehmen müssen und sind auf diese Weise in der Lage, sie reichlich eine Elle vorrücken zu können, so daß wir nun Platz für einen Tisch und doch noch reichlich Platz zum Spazierenlaufen haben. —

Letztesmal schriebst Du einen netten, langen Brief. Nein, daß Du tanzt und Dich amüsierst, dagegen habe ich gar nichts; aber dagegen, daß Du an den öffentlichen Vergnügungen der Skandinavier teilnimmst; davon hat man nichts als Kritik und Undank; bist Du glücklicher dran — um so besser!

Nein, Du sollst Deine Zeit in Paris bleiben und keinerlei Rücksichten nehmen, weder jetzt noch später, wenn es gilt, vorwärts zu kommen.

Hör’ nun auf, Dich um mich zu ängstigen; ich werde schon den Mund auftun, wenn es notwendig ist. Aber ich denke, wir schaffen’s.

Wenn ich jetzt ein Bild vom norwegischen Frühling geben könnte, so wie er in diesem Augenblick durchs Fenster zu mir hereinschaut; und wenn Du’s Werenskjold vorläsest, so käm’ er vielleicht doch hierherauf. Er hätte hier freie Wohnung in selbigem norwegischen Frühling, und falls er es obendrein bleiben lassen wollte, mich zu malen, so wäre mein Glück, ihn und seine Frau hier zu haben, vollkommen. Das Bild der Schnitter den Hang hinauf, — es steht vor mir, o Gott, — wie herrlich das wäre! — In ein paar Tagen lassen wir das Vieh wieder auf die Weide; den Anblick mußt Du einmal wieder genießen. Björn kommt auf eine Spritztour hierherauf und wird es dann sehen. Neulich kamen die kleinen Mädels, die die fremden Schafe wegjagen, bis an den Kuhstall und schrien und lachten, als man just Mittag läutete. Die Kühe fuhren — 40 bis 50 große und kleine — auf hinter den Raufen; aber der Lärm weckte den Stallhund, und der Hund und der Lärm und die Glocke und die Frühlingswärme stiegen den Kühen zu Kopf, erst sprang die eine, dann die andere auf — alle brüllten der Stunde der Befreiung entgegen; ich war in der Nähe; ich dachte, es sei was los; aber es war nichts weiter, als daß alle die Köpfe über die Raufen streckten und nach dem Engel und der Stunde der Befreiung ausschauten, während sie dabei brüllten, was ihre Lungen halten wollten! Die im Kuhstall geborenen, die noch keine Ahnung von Frühling und Weide haben, drängten sich ängstlich aneinander; sie begriffen die Erinnerungen und Hoffnungen ihrer Mütter und Väter nicht und ebensowenig ihre wilden Gebärden. — Meine Lektüre ist zurzeit: die Entwicklungsgeschichte der Moral von Ch. Letourneau, übersetzt von Boye (Schubothes Verlag). Das mußt Du lesen, wenn Du heimkommst; Werenskjold sollte es auch lesen. Danke W. für die Mitteilung von der Geburt seiner Tochter; hol’ mich der Teufel — ich werd’ ihm schreiben. — Hier soll auf Solbakken großes 17. Maifest sein. Arvesen und Björn kommen. Leb’ wohl, süße Bergliot.

Dein Freund Vater.

Mein Liebling, daß Du so ganz mißverstanden hast, was ich von Deinem Gesang erwarte? Ich habe mich ja gewehrt gegen den Glauben, Du könntest eine Bühnensängerin oder Weltberühmtheit werden oder alles so was; aber ich erwartete, daß Dir etwas von dem geschenkt würde, was keine norwegische Sängerin bisher gehabt hat; die Gabe, uns zu packen und hinzureißen, d. i. die Macht der Persönlichkeit in der Stimme, lieblich, stark, jubelnd oder klagend, so daß wir den lieblichen Sommertag, die starke Lebensfreude, die nordische Wehmut fühlten. All die anderen sind gute Stimmen — weiter nichts. Ein bißchen Leidenschaft, ein bißchen Zärtlichkeit, ein Hauch von Energie, aber keine tiefere Persönlichkeitsbotschaft für uns. Das glaube ich, wird Deine Stimme haben; ja, hat es bereits.

Sei jetzt vorsichtig, liebe Bergliot! Lauf nicht zu viel allein herum, — namentlich nicht, wenn es dunkel wird! Jetzt ist allerhand Gesindel in Paris! Der Abschaum der Menschheit strömt jetzt dort zusammen — aus ganz Frankreich, England, Amerika, Deutschland, Italien.

Wir sind mitten in der Frühjahrsbestellung. Aulestad unter Erlings Leitung ist all den anderen Höfen in Gausdal und Fåberg voran. Er ist sehr stolz darauf!

Wie freue ich mich jedesmal, wenn Deine Briefe kommen und uns erzählen, daß Du Fortschritte machst in Deiner Arbeit, Lebensmut fühlst und Dich nicht ducken läßt oder hemmen!

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, diese Zeilen heute, um mit Dir über Deinen jetzigen Zustand zu reden.

Bist Du so schwach, daß Du ein Jahr aussetzen willst? Überleg’ es Dir!

Sprich in diesem Fall mit Mad. Marchesi darüber.

Daß Du Dich so unendlich einsam fühlst, ist natürlich auch nur Schwäche — das gleichfalls. Ich wüßte nicht, daß jemand leichteren Zutritt hätte zu der besten französischen Gesellschaft als Du durch (Mademoiselle) Breslau und ihre Freunde. Aber Dein ganzer Brief ist nur schwarz in schwarz.

Herrgott, wie sonderbar Du bist! Begabt mit einer bezaubernden Stimme, mit der Möglichkeit, sie auszubilden, mit Sprach- und Menschenkenntnissen, in guter Umgebung, mit den Mitteln zu allem, was Du an Essen, Kleidern, Vergnügen brauchst, und dabei in einer kohlpechrabenschwarzen Laune! Und glaubst bloß an einen Menschen, Frau Cavling!

Mußt Du nicht selbst lachen über die Unnatürlichkeit und die Übertreibung, die darin liegt?

Mutter ist ganz verzweifelt, kannst Du Dir denken; denn sie macht alle die Sprünge Deiner Laune mit; ich halte mich viel tapferer; aber zuletzt muß ich mich ja auch besiegt geben, wenn es bloß immer schlimmer wird.

Liebe Bergliot, hat Deine Gesundheit darunter zu leiden, oder sind Deine Fortschritte infolge der Gesundheit unbefriedigend, dann mache kurzen Prozeß, das ist meine Meinung. Du bist jung und kannst es nachholen.

Wenn Du auf dem Wege warst, Dich zu verlieben oder zu verloben, dann könnte ich ja verstehen — teilweise wenigstens. Aber ich hoffe, das hättest Du uns doch gesagt. Ich hoffe, Du hast Dich frei gehalten, wie Du einmal übers andre versichert hast.

Also muß es unbedingt Schwäche sein, und da bedarfst Du des Ausruhens. Am liebsten möchte ich, Du besorgtest das auf der Askov-Hochschule, da könntest Du einen gründlichen dreimonatlichen Turnkursus durchmachen. Meines Erachtens würde nichts Dir so helfen wie das.

Und Du willst Dich besiegt geben, Bergliot? Schwarz sehen und Tinte spucken? Mut in der Brust, Mädel!

Dein bester Freund Vater.

Liebe, süße Bergliot, die Geschichte mit dem naseweisen Prinzen hat mich furchtbar geärgert. Du mußt doch einsehen, das ist keine Annäherung — durch einen Brief! Solche Leute haben irgendeinen, der ihr Konzert veranstaltet, und durch den Betreffenden oder die Betreffende erfolgt dann die Annäherung. Soll sie nicht durch so jemand erfolgen, sondern direkt, dann kommt man auch direkt, und ist man unverheiratet, mit der Person, die im Hause repräsentiert. Ich kenne Dich gar nicht wieder, daß Du auch nur einen Augenblick von dem fürstlichen Lümmel Notiz genommen hast. Du hättest zu Sansot (rue Clauzel 23) gehen sollen; er ist ein Franzose und ritterlich.

Die Sache mit den Amerikanern gefällt mir gut, wenn Du jedesmal ehrenwerter Leute und ehrenvoller Behandlung sicher bist. Du mußt Dich selbst vor der Öffentlichkeit behaupten lernen, und Du darfst nicht glauben, daß Du das kannst ohne lange Übung im öffentlichen Auftreten. Aber es darf Dir nicht zu viel Zeit wegnehmen und nicht zu große Toilette erfordern; denn sonst ist es nicht lohnend genug und viel zu früh; jetzt hast Du Deine Zeit nötig. Ja, liebe Bergliot, es freut uns ungemein, daß man also — und zwar Leute, die sich auf Gesang verstehen — Dich schon jetzt auffordert, vor den Amerikanern zu singen. Also hast Du Deine Zeit in diesem Winter gut angewandt. Ich verlasse mich darauf, daß Du in diesen Gesellschaften Dich freihältst von allem, was nach Absichtlichkeit oder Koketterie aussieht; so etwas liegt kaum in Deiner ehrlichen, schlichten Natur. Und ich bin überzeugt, daß die Besten dies auch sofort einsehen werden, und die anderen allmählich dahinter kommen. — Ganz gewiß hat Frau Lürig Recht darin, daß vier Monate ohne Gesang zu viel sein würden. Aber bist Du noch nicht so weit, daß Du anderthalb Monate ohne Lehrerin üben kannst, — ich meine durch Tonleitern die Stimme auf der Höhe und gleichmäßig erhältst, und Dir durch Einstudieren norwegischer Lieder ein schönes Repertoire zulegst? Darüber mußt Du sofort und bestimmt mit ihr reden, hörst Du! Darüber ins reine zu kommen, dürft Ihr nicht aufschieben, hörst Du!! Ich glaube nicht, daß es für Dich gut sein wird, bis Ende Juni zu bleiben; ich glaube es wirklich nicht. Das ist wichtig für Dich, weil die Gesundheit ein schwerwiegender Faktor ist in den Dingen, die Deine Studien zu einem hohen Ziel führen sollen. — Jennys Beschreibungen mußt Du buchstäblich nehmen, also genau so, wie sie es sagt; — denn das ist die Seite, die sie ärgert; die andre, die sie ergötzt, vergißt sie, — bis man in ihre Nähe kommt und sieht, wie vergnügt und frisch sie selbst ist. — Liebe, süße Bergliot, wie sehnen wir uns nach Dir; aber das darf Dich auch nicht einen Tag Deiner Übungen kosten! es gilt einzig und allein die Rücksicht auf Dich selbst, auf Deine Gesundheit. — Wieder kalte Tage, die das Fest der Schneeschmelze aufhalten! Wieder blitzende Keilereien mit Bruun; aber er ist jetzt zahmer. Ja, ich fühle mich nun hier daheim behaglich, so wie es nun einmal ist. Wenn bloß unsre öffentlichen Zustände gesunder wären. Aber auch das renkt sich wohl noch ein. — Wir haben aus dem Kutschwagen einen Char-à-banc gemacht und uns einen kleinen zweirädrigen Federwagen und einen großen dito (auch auf zwei Rädern) für Gepäck, den Wein und derartiges, angeschafft.

Dein Freund Vater.

19. Mai 1889.

Liebe Bergliot, ich denke mir, Frau Lürig und Du seid wieder gute Freunde, wenn Du diesen Brief bekommst. Das ist ja zu kindisch im Kern! An Lehrern oder Lehrerinnen soll Deine Zukunft nicht scheitern. Aber wenn es in Deinem Brief aussehen soll, als wollest Du gegen Deine Überzeugung nachgeben, nur um vorwärts zu kommen, so soll der Teufel den Wisch holen. Nein, gib da nach, wo Du unrecht hast, und meinetwegen auch in allerhand Dreck und Blödsinn und sonst was; aber nicht da, wo Du recht hast und es Deine Selbstachtung direkt angeht. Mag dies Erbe Deines innern Wesens Dir auch mancherlei zu schaffen machen, so hast Du doch auch Freude davon und seelische Entwicklung. Es ist ja etwas in Dir, das Du lernen mußt zu beherrschen. Und es ist schlimm, daß Du in Deiner nächsten Umgebung Streitigkeiten hast, wo Du Frieden haben solltest. Im Hause nämlich. Es ist auch schlimm, daß Du niemand hast, zu dem Du gehen kannst, und der jetzt für Dich eintreten könnte. Ich habe es Dir schon früher gesagt, und ich sage es Dir wieder, das ist falsch. Wir müssen alle so dastehen, daß wir gegebenenfalls Verteidiger haben. Aber Du verkehrst nicht mit Runebergs, nicht mit Sansots, nicht mit Tschernings, also mit keinem von denen, die Dir in unserm Namen Ratgeber und Beschützer sein könnten.

Dies muß anders werden! Beherzige das!

Übrigens nimmst Du das Ganze zu tragisch. Sie ist ein Dummkopf, — das habe ich ja immer gesagt, und mit einem Dummkopf muß man Nachsicht haben.

Willst Du nach Hause kommen, um Dich vor all dem zu retten, so tue es.

Wir haben Dikka hier gehabt.

Sie war einfach süß. Dann ist Arvesen hier gewesen zum 17. Mai — unvergleichlich! Er wird immer prächtiger. Gute Laune, überlegne Ruhe bei allem Eifer, — prächtig!

Erling machte seine Sache als Preisausteiler und Festordner und Leiter vorzüglich.

Wir stehen vor einer Reise nach Lillehammer, wohin wir Keilhau folgen werden; er reist heute mit Dikka und Arvesen.

Der Brief ist faselig. Aber Du verstehst ihn schon. Hier im Hause ist es so unruhig. — Vergiß nie — in was für Dummheiten Du auch hineingerätst, und was Du selbst auch für Dummheiten machst —, stets mußt Du die feste Überzeugung haben: wir glauben dann, daß Du bei Deiner prächtigen Natur einfach unglücklich bist, und wir werden nicht böse, sondern selbst unglücklich sein und Dir helfen nach bestem Vermögen. Denke daran, Bergliot, daß Du niemals etwas tun kannst, aus dem Dir herauszuhelfen wir nicht mit aller Kraft versuchen werden. Habe vor allem und unbedingt in Dir die Sicherheit, die das Bewußtsein gibt, daß Du unerschütterlich treue Freunde an uns hast, in Freud und Leid, in Glück und Schande, in unwandelbarer, ausharrender Liebe. Mutter grüßt und küßt Dich, lieber Schatz, und ebenso

Dein Freund Vater.

Ja, das sieht aus wie flott hingeschrieben; aber Du weißt, es ist guter alter Wein, nur zu hastig eingeschenkt; sie drängen mich.

Lillehammer, 20. Mai 1889.

Liebe, süße Bergliot, Dein Brief vom 16. Mai hat einen Jubelsturm hervorgerufen heute; wir bekamen ihn noch im Bette, oben bei Lundes. Heute, das heißt Montag; wir sind gestern, Sonntag, um 11 Uhr hier angekommen, — so zeitig, daß eine kleine Deputation mit Blumen, die von Balberg aus uns entgegenkommen wollte, zu spät erschien; sie waren mit auf dem Solbakkefest gewesen und wollten ihre Dankbarkeit beweisen.

Tausend Dank für Deinen Brief! Mutter und Dagny sind beim Zahnarzt, und ich habe versprochen, Dir ein paar Worte zu schreiben.

Liebe, süße Bergliot, Du sollst in Licht und Hoffnung leben; Du sollst es gut haben. — Ich habe mich sehr gewundert, daß Du nicht mit bei dem Ausflug der skandinavischen Künstler nach Meudon warst. Ich wundere mich sehr, daß Du nichts über Thommessens schreibst, die lange Zeit in Paris gewesen sind. Am 17. Mai bekamen wir ein Telegramm von ihnen, und Dein Name war nicht mit dabei; also warst Du auch nicht da. Das geht aber doch nicht an, daß Du so ganz außerhalb lebst, wenn etwas Derartiges vor sich geht! Hast Du keine skandinavischen Freunde sonst als Cavlings? Hast Du zu niemand Vertrauen? Du bist so exklusiv.

Von Lundes die herzlichsten Grüße! Von allen, allen! Freude darüber, Dich bald wiederzusehen! Wonne darüber, daß es Dir gut geht! Herrliche Sommertage, prächtige Stimmung! Leb wohl!

Dein Freund Vater.

16. Juni 1889, morgens.

Ich wünsche Dir Glück, Du geliebtes Menschenkind! Alle Fahnen gehißt an dem herrlichsten Sommersonntag! Der Hahn kräht in dem hohen Gras, die Küken, die kleinere Brut, piepsen in neunstimmigem Chor in ihrem prächtigen Gelaß unter der Treppe zum Vorratschuppen, und die größere Brut auf dem Hofe draußen, beide unter der weisen Leitung ihrer Mütter; sechs Schweine singen Baß und Bariton weiter weg im Schweinegehege, Elster und Krähe machen einen Heidenlärm dicht davor; von Bö her Knall auf Knall vom Schützenfest; Erling ist Vereinsvorstand; die Schellen der Pferde ertönen vom Tal unten herauf, zwei Hengste halten oben im Stall die gute Laune aufrecht, sie wiehern um die Wette nach einer Stute, die den letzten Tag dort steht (sie soll unter der Obhut eines Hengstes auf die Weide); Großmutter geht herum und knickst „gratuliere“! Oline ist angekommen und huscht umher, stiller als ein Mäuschen, und räumt auf, Karen hat die Hälfte von Mutters sechs Paar Strümpfen aufgefressen und tut ganz geschwollen vor Scham und Reue, Dagny trappelt im Hemde umher mit staubigen Füßen noch von gestern, Erling streckt seine verbundenen Finger von sich und überlegt, ob er zu Amtmanns fahren und um Marit anhalten soll (Karoline ist gekommen); Petter reist hinter Keilhau her; — und Sonne und Fliegengesumme und Hahnenschrei und Stille und Flaggen — und

Dein Vater,
der schreibt.

Juni 1889.

Liebe Bergliot, wir sind ganz entsetzt, daß Du in dieser Sonnenhitze von Pontius zu Pilatus rennst nach Zeugnissen; im nächsten Brief bist Du wohl gar bei Präsident Carnot und Madame Marchesi gewesen. Vom Champ de Vincennes nach tour d’Eiffel und Mad. Viardot! Und Du behauptest, Du seiest nervös? Das glaube ich; das wird man von weniger! Allein die arme Madame Lürig läßt Du sitzen und sich die Nägel kauen. Und im übrigen heidi — in einem cours triomphal! Hast Du nie Deinen alten Drachen mit oder ihren Hund oder ihr Dienstmädchen? Läufst Du allein umher? Nein, es ist ja wahr, Mad.selle Breslau war ja einmal mit, und ein andermal eine geheimnisvolle englische Dame, und in Vincennes Cavling, jedesmal weranders! Ich hoffte, von Sansots zu hören; aber nicht ein Wort! — Du bist so betriebsam geworden, daß, wenn jemand mir erzählte, Du hättest vor Ambroise Thomas gesungen in Gegenwart des Schahs von Persien, ich es für ganz wahrscheinlich halten würde. Du endigst mal als Operndirektrice; der unternehmende Geist Deiner Mutter ist in Dir wiedergeboren, und sie hätte eigentlich das Bon marché oder Les grands magasins du Louvre leiten sollen. — Unsre Töchter werden sicher noch mal unsern Jungens die Butter vom Brote nehmen; denn nun glaub’ ich, auch Dagny wird Künstlerin, — entweder Schauspielerin oder Schriftstellerin, oder beides. Auch sie fängt an, diese nervöse Unverzagtheit an den Tag zu legen, die Du hast. — Ja, im Ernst — ich fange an, auch in Dagny so was zu ahnen. — Mein süßes Mädel, in ein paar Tagen bist Du hier; und ist das Wetter wie jetzt, so kommst Du wie im Schlafe angeschwommen. Gib Dich nicht dazu her, den Leuten an Bord was vorzusingen, so daß wir den ganzen norwegischen Klatsch hören müssen, lang eh Du selber kommst! Mein Rat; aber tu Du, wie Du willst. Das Piano bereits in Lillehammer; jetzt schaffen wir es hier herauf, daß es dasteht, wenn Du kommst. — Arvesen hat angekündigt, daß ein amerikanischer Freund von Arve hierher kommt und Arve selber. — Ich freue mich nicht auf all den Klimbim. Je älter ich werde, desto weniger. Im übrigen ist die Luft so voll Elektrizität, daß ich kaum arbeiten kann. — Mutter berichtet wohl von Erlings Unfall. Mir imponiert es mächtig, daß er es wagt, sich einem scheu gewordenen Pferd entgegenzuwerfen und es zum Stehen zu bringen. Dazu gehört ein Mut, wie ihn nicht viele haben; und denk Dir, er hatte sich dabei an dem anderen Pferde die Hand so abgeschunden, daß er mit dem roten Fleisch das tolle Tier anpackte, das ihm mit dem Wagen auf einem Rad entgegenkam! Tapferer Bengel! Ja, wenn dies also der letzte Brief ist, ehe Du kommst, — Dank für all Deine Montagsplaudereien, liebe, süße Bergliot! Und mach’ die entsetzliche Hitze dafür verantwortlich, daß Du wieder nichts bekommst als Unsinn.

Dein Freund Vater.

Ich habe nicht von Erling berichtet, weil ich nicht zuhause war und es nicht gesehen — sondern bloß gehört habe und nicht genau weiß, wie es zuging.

22. September 1889.

Wahltag in Paris; wenn er bloß gut abläuft.

Lieber, lieber Schatz, Du mußt doch nicht immer die wechselnde Laune eines anderen Menschen so tragisch nehmen, wie Du’s bei Madame Marchesi getan hast, oder es so auffassen, als sei nun alles, was ein anderer sagt, auch seine endgültige Meinung. Du mußt von Dir selbst wissen, wie leicht Deine eigne Meinung wechselt nach Deinen eignen Stimmungen, und selbst die stärksten Menschen sind nicht immer so neutral, so selbständig unbeeinflußt, daß ihr Urteil völlig ihr eignes ist. Stell’ Dir vor, Du kommst bei Madame Marchesi an die Reihe nach einer Stimme, die wie ein Meer von Klang ist? Dann hast Du ja eine „kleine“ Stimme; stell’ Dir vor, daß dieses Meer oder etwas andres Privates sie geärgert hat, — dann sagt sie Dir, daß Du „eine kleine“ Stimme hast. Das hast Du ganz und gar nicht. Zu den „großen“ gehört sie nicht; aber sie wird (wenn sie nie forciert, nie bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angespannt wird, sondern immer in vollem Wohlklang ist) sich überall groß genug anhören, sei es in der Oper oder im Volkskonzert; ihre intensive Klarheit wird es schon mit weit größeren Stimmen aufnehmen können.

Auch ich, wenn ich die Stimme zum erstenmal hörte und von allem Persönlichen in ihr und in Dir absähe, würde sagen, ganz unbedingt sagen: es ist eine lyrische Stimme, keine dramatische. Kannst Du Dich erinnern, wie ich Dir sagte, Madame Marchesi würde zweifellos den Versuch machen, sie für die feinsten Sachen auszubilden? Und Du würdest deshalb jedenfalls zwei Jahre bei ihr singen müssen statt einem? — Sei ganz sicher, — an dem Tage, an dem sie Dich frei von der Leber weg hat singen hören oder überhaupt Dich richtig erfaßt hat — wenn auch nur als Persönlichkeit — wird sie ihre Ansicht ändern. Vorläufig ist es ja auch ganz gleichgültig für Dich, was sie über Deinen zukünftigen Beruf denkt. Richte Du Dich ein, wie es Dir nach Deinem eigenen Gefühl am besten erscheint; nimm Unterricht in Plastik usw.

Die Hauptsache ist ja doch, daß Du Dich vervollkommnest in der Gesangskunst, und das kannst Du am leichtesten, am allseitigsten (jedenfalls was das Technische betrifft) als „lyrische“ Sängerin. Dein Temperament, Deine ganze Veranlagung weisen Dich auf den Weg zur Oper; und den betrittst Du, wann Du selbst es willst, — hast Du erst die ganze Kunst, die ganze, ganze Kunst bis ins Feinste und Letzte weg. Und dahin mußt Du kommen!

Selbst das ärgert Dich, daß sie will, Du sollst ganz im kleinen anfangen. Natürlich geschieht das deshalb, um die Fehler in Deiner Stimme zu packen. Es sind Töne da, die Du nicht so frei nimmst wie andre Töne, die Du quetschst; z. B. mit dem „l“, in das Du ein „i“ oder was Ähnliches hineinbringst, ehe Du es nimmst. Übrigens habe ich nie von einem Musiklehrer gehört, der nicht von seinen Schülern verlangt hätte, sie sollten wieder von vorn anfangen; da ist sicher auch viel Wichtigtuerei mit im Spiel!

Du mußt es bei Dir selbst fühlen, Bergliot, was wir, die Dich hören, wissen: daß in Deiner Stimme etwas ist, das durch seine Klarheit, seinen Ausdruck, seinen Liebreiz bezaubert oder „vertrollt“, wie es auf norwegisch heißt. Und auf dem Ankergrund dieses Bewußtseins sollst Du Deine Arbeit befestigen, daß niemand daran rütteln kann. Du sollst Dich ruhig und sicher rüsten für Deine Fahrt —, wohin sie führt, wird sich schon zeigen. Daß Du aus Deinen ganz besonders schönen Mitteln gemacht hast, was sich daraus machen läßt, darauf kommt es an; denn dadurch hast Du selber Sicherheit und wir anderen Gewißheit. Wenige müßten sich so glücklich und arbeitsfreudig fühlen wie Du, Bergliot.

Hier ist mannigfarbiger Herbst, schöner denn alle andre Jahreszeit. Von den gemütlichen, warmen Stuben aus sehen wir ihn oder wir genießen ihn auf Spaziergängen. Sonntagmorgen; Mutter just aus dem Bett, Großmutters Geburtstag, alle Flaggen gehißt, Sonnenwetter, aber noch im Morgennebel; oben Dagny und Inga im lustigsten Vogelgezwitscher, Großmutter kommt eben strahlend heraus, ich laufe und küsse sie, und wieder hinein zu Dir, um es Dir zu erzählen. Erling, mit dem ich zusammen gefrühstückt habe, ist mit seinen zwei Hunden unten auf dem Schießstand (eben kommt er heim); Hermann Anker hat ihm seinen feinen Hühnerhund „Lord“ geschenkt. Alles auf dem Hofe eingeherbstet, die Felder herbstgrün, Pferde und Vieh draußen zum Morgengetummel; Dienstag kommt die Herde von der Alm zurück; aller Almsegen ist eingebracht.

Dein Freund Vater.

28. September 1889.

Liebe Bergliot, wir haben heute schmerzlich auf die Post gewartet, um zu sehen, ob Du noch ebenso mißmutig seist. Das warst Du also nicht; obwohl ich mich gründlich ärgere, daß Du so schwach bist, — so schwach, daß die Stimme darunter leidet! Was in aller Welt ist denn das nur, Bergliot? Du, die früher ein Hüne war. — Ich glaube, Du mußt Dir ein paar Hanteln anschaffen und Dich auf etwas kräftigere Gymnastik legen. Das stärkt die Muskeln und den Appetit. — Prachtvoll ist es, daß Du zu netten Leuten gekommen bist. Daß Du keinen aufregenden Spektakel hast, meine ich. Ißt Du nun auch gut dort? Liebling, antworte mir hierauf! Die Sache mit den Eiern ist schon recht schön; aber die Mahlzeiten müssen kräftig und appetitlich sein; gelähmte Leute natürlich essen wie Hühner auf der Stange; wenn sie Dich nach ihrem Maßstab messen, dann gnade Dir Gott! — Iß, iß, iß! Schreibe an Jakob Hegel, Klareboderne 4, Copenhague, Danemarc, um Geld. Dort liegen mehrere Tausende zu Deiner Verfügung, liebe Bergliot. Du mußt stark und froh werden. — Zwei Bücher sollst Du kaufen, sie selber lesen und sie dann mir schicken (Du kannst sie billig bekommen, wenn Du es klug anstellst, z. B. sie durch einen Agenten, z. B. Fougner, kaufst). Un caractère par Léon Hennique. Und Un amour artificiel par Jules Case. Björn und Jenny sind nun bei Dir gewesen; ich habe bloß Angst, Du kannst Arbeit und Vergnügungen nicht vereinigen, wenn sie Dich tagsüber mit sich schleppen. Jetzt gilt es für Dich, die anderen einzuholen, und so lange mußt Du mit Deinen Kräften haushalten. — Hier ist nichts Neues; ich habe ein Herbstlied geschrieben, das ich Dir bei Gelegenheit schicke; das Wetter war zu herrlich; es lockte mich. Ole Nordrum und die Kühe sind hier; Oles Zimmer ist getäfelt und gemalt und sieht aus wie eine Puppenstube; jetzt wird das von Karen und der Jungfer neben Erlings frisch beworfen und gemalt; die Gesindestube ist getäfelt und gemalt. Ich liefere also die Gebäude in vorzüglichem Zustand ab (ausgenommen die Einrichtung des Viehstalls). Meine Lektüre war ein Buch über den hervorragenden englischen Geist Carlyle (sprich Carleil). Hättest Du Zeit und Lust für dergleichen, so würde ich es Dir schicken; es ist vorzüglich gemacht von einem jungen Bergenser Troye. Dann werde ich Dir drei Exemplare des „Dagblad“ senden; ich habe über den „Bettelsack“ auf Schwedens Rücken geschrieben; das wird Spektakel machen! — Leb’ wohl für heut abend, liebe B. B.! Deine Mutter sendet Dir wohl auch ihr Teil. Ich freue mich über die Wahlen in Frankreich! Oh, wie ich mich freue! Grüß’ Deine Alten!

Dein Freund Vater.

Nein, wie ich gelacht habe über Deine verrückte Alte beim Besuch bei Euch!

Inga Björnson ist das Prachtvollste, was Du Dir denken kannst.

Grüße Cavlings.

6. Oktober 1889.

Wahltag. Bin gespannt!

Liebe Bergliot, nun also der Brief war schon heiterer. Mad. Marchesi hat Dich nicht umgebracht, Deine Stimme ist nicht eingerostet, Du selbst bist nicht in die Seine gesprungen, Paris ist auch nicht untergegangen. Das letztemal sah es recht trübe aus. Es wäre doch sehr nett, wenn es wenigstens etwas gäbe, was fest bestehen bliebe, selbst wenn Deine Laune zum Teufel geht. Aber wenn die ganze Welt aus den Fugen gehen soll, so oft die Marchesi den Mund verzieht, so kann mir die Welt nur leid tun. Wenn Du nur z. B. Dir selber klar würdest, daß Deine Stimme von einem Klang und einer Reinheit erster Klasse ist, so ließe sich ja der Gedanke ertragen, daß sie nicht groß ist oder an augenblicklicher Schwäche leidet. Und wenn es feststände, daß Du seltene dramatische Schwungkraft und Illusion in Dir hast, so wäre es ja wohl möglich, mit der Entscheidung der Frage: wozu? zu warten, bis die Stimme völlig ausgebildet ist. Selbst wenn es etwas länger dauern sollte: die vollständige Ausbildung der Stimme ist das Erste.

Auf Zweierlei bin ich sehr gespannt jetzt: findest Du, daß Du Fortschritte machst, etwas lernst, das Dir ganz besonders vorwärts hilft, Fehler ablegst, Neues aufnimmst, — und ferner auf den Preis! Du mußt Dir doch einmal darüber klar werden, was der Spaß kostet. — Erling und Anna sind gestern abend gekommen, und Freitag, den 11., soll die Hochzeit stattfinden, so gibt es viel zu tun hier; darunter mußt auch Du leiden. Alles soll umgekrempelt werden; wir glaubten, es sollte am 14. sein; also Mutter ist böse und hat keine Zeit zum Schreiben. Anna ist wirklich lieb, so ganz unberührt; sie müßte für eine ganz bedeutende Entwicklung empfänglich sein, und es ist eigentlich eine Sünde, daß das alles nun in der Sorge ums tägliche Brot aufgehen soll, — wenn wir auch das Unsrige dazu tun werden, daß es nicht so wird.

Du wolltest die Frauenzimmer in der Rue Labic (oder wie sie heißt) aufsuchen, nur ein Frühstück im Hause, nur ein Zimmer; erkundige Dich! Das Paar meldet seine hohe Ankunft telegraphisch. Sie möchten gern irgendwo in Ternes wohnen; Du hast freie Hand, Vorsehung zu spielen.

Wir haben einen neuen Ochsen aus Telemarken, eins der schönsten Tiere, das man je hier gesehen hat, 130 Kronen, 1½ Jahr alt. Ullmanns Knecht hat ihn gebracht. Dann haben wir unsern eignen Ochsen und eine Färse verkauft — ohne daß das den Preis für das Biest aus Telemarken eingebracht hätte. — Mutter, Erling und Anna sitzen und schreiben die Einladungen zur Hochzeit. Bloß Annas Eltern, Fyksens, Pfarrers, Börresens, Even Toft und Kätnerleute von hier. Lundes und Mejdells aus Lillehammer und mein Bruder mit Frau aus Xania. Die Neuvermählten fahren Freitag um 5 Uhr von hier nach Lillehammer ins Victoria-Hotel — ha! wie Bergliot schreibt! — Wir haben das allermildeste Wetter. Wir pflügen für nächstes Jahr im voraus und lassen den Stall und den Schweinekofen inwendig bewerfen, ebenso Karens Raum (oben neben Erlings), und eins wird wärmer als das andre. Alle Gebäude instand zur Übergabe außer der Einrichtung des Kuhstalls.

Hier ist ein solcher Wirrwarr, daß das Schreiben gar keinen Sinn hat.

Dein Freund Vater.

Sonntag, 13. Oktober 1889.

Liebe Bergliot, das Haus ist noch immer voll von Gästen; Peter und Laura, Sigurd und Lina, Frau Mejdell, Frau Lunde und Elisabeth Konow sind alle hier.

Daß Du es entgelten mußt, das kann nicht anders sein. Du mußt einen Ersatz dafür in Erlings und Annas Besuch diese Woche sehen. Morgen abend (Montag) reisen sie von Kristiania ab.

Also am Hochzeitstag war gutes Wetter mitten in der Regenzeit. Gutes Wetter, klarer Himmel für die Flaggen. Am Abend vorher waren Sigurd und Lina gekommen und Peter und Laura und Arvesen; so daß das Haus in Festlichkeit erwachte; und die Flaggen verkündigten es sofort; auch Bö hatte geflaggt.

Um halb eins kamen die Gäste, alle in Wagen mit zwei Pferden, Fyksens und Annas Eltern, Konows, Amtmanns, Börresens, der Landrichter und Lundes. Ohne Verzug ging es zur Trauung. Hier im Arbeitszimmer war alles hergerichtet (das beschreibt Mutter). Die Leute vom Gut waren auch da, und als die beiden treuherzigen, lieben, jungen Menschen sich erhoben und „Ja“ sagten, da brachen wir alle, die ihnen die nächsten sind, in Tränen aus, und ich weine jetzt wieder, während ich das schreibe. Die Handlung war feierlich, nicht ein unwahres Wort dabei. Und der alte Mejdell so rührend, und stellte die Fragen an Erling wie an einen Sohn, mit „Du“ und mit solcher Wärme und Teilnahme! Und Anna war so unglaublich niedlich in ihrem schwarzen Atlaskleid und so freudig und so gerührt. Und das waren wir samt und sonders. Wir waren mit einemmal eine Gemeinschaft.

Keines von uns vergißt den Tag; er hinterließ eine Stimmung, von der wir noch heute zehren. — Aber ich muß Dir noch vom Essen erzählen, es war so angeordnet, daß jede einen Tischherrn hatte (Inga, Elisabeth, Cäcilie Mejdell und Dagny die Kätner), da sagte Ole Dokken, wie er so dasaß, mit einemmal zu seiner Dame, Inga, so daß es alle hörten: „Nee, nu muß ich ’n bißchen raus“, und damit ging er ab und kam kreuzvergnügt und harmlos wieder herein. Seitdem heißt es hier im Hause: „Nee, nu muß ich ’n bißchen raus!“ jedesmal, wenn einer aufs Örtchen muß. Und dann muß ich Dir erzählen, daß das Tintenfaß, das beim Unterschreiben des Kontrakts benutzt wurde und ebenso die Feder (eine Goldfeder mit Diamantspitze) meine Jubiläumsgeschenke waren, und wir machten aus, Du und Dagny dürften sie auch benutzen. Und der Brautschleier war Mutter ihrer, und den sollt ihr, Du und Dagny, auch tragen.

Elisabeth, Inga und Dagny machen einen Heidenlärm über mir, ich kann fast nicht schreiben. Nein, ist diese Inga eine Perle! So ein gediegener, verständiger, guter, entzückender Mensch! — Na, ich weiß ja, Du erfährst alles mündlich, also will ich lieber einen langen Spaziergang machen mit Peter und Sigurd, anstatt mit Dir zu schwatzen heute. Mir ist auch so weinselig im Kopf. Dein letzter Brief gab ein Bild davon, daß Du Dich über Deine Fortschritte freust. Erzähl’ etwas von Deinen Klassenkameraden, und wie es dort zugeht. Singt Ihr Euch gegenseitig vor? Wie lange dauert es dann? Ihr müßt also mehrere Stunden hintereinander da sein?

Dein bester Freund, Dein Vater
B. B.

Aulestad, 19. Oktober 1889.

Liebe Bergliot, Deinen nächsten Brief mußt Du nach Kristiania richten, denn gleichzeitig mit diesem reisen Deine Mutter und ich dorthin. Ich habe einen so herzlichen Brief von Grieg bekommen, und dann will ich mir die Ausstellung ansehen und „Olaf Trygvason“ hören, und sehen, was in aller Welt Thommessen vorhat, und noch so allerhand andres. Übrigens ist es eine Schande, daß ich meine unterhaltsame Arbeit unterbrechen muß. Deine Erkältung hat mich erschreckt. Zwei Dinge verbiete ich Dir, nämlich, Dich zu verloben und Dich zu erkälten. Denn beides ist unmöglich, wenn man es nicht selbst will. Durchaus unmöglich. Das ist auch das erste Mal, daß Du von Erkältung schreibst und eine Sängerin muß lernen, sich nicht zu erkälten, und streng befolgen, was sie durch Erfahrung darüber gelernt hat. Wer von seiner Kehle leben will und doch sich erkältet, dem gehören Prügel. Das ist meine Meinung. Ich bin das ganze Jahr nicht erkältet.

Björns großer Erfolg in Kopenhagen hat uns und alle möglichen Menschen erfreut. Ein voller Triumph! Die da drinnen (in Kristiania) wissen nichts davon, daß wir jetzt kommen. — Wir freuen uns rasend. — Lies nun endlich Letourneau von Anfang bis Ende. Wenn Du diese Dinge kennst, so kommst Du eher zum Ergebnis der Geschichte als eine Menge Menschen, die Weltgeschichte zum Abiturium studiert haben. Und möchtest Du es lieber auf norwegisch haben, weil es Dir unangenehm ist, es auf französisch zu lesen, so sollst Du es sofort haben. Versprich mir das! Aber wo bleiben die zwei Bücher, die ich Dich bat zu kaufen? Bei denen eilt es sehr mit dem Lesen, sieh zu, daß ich sie bekomme, nicht beide auf einmal, aber eins nach dem andern. — Hier oben sind sie dabei, den Bauplatz zu graben, Bauplatz, Bauplatz, Bauplatz! Übrigens hübsch, daß man weiß, da werden sie wohnen! — Sage Erling und Anna, daß sie nicht lange wegbleiben dürfen, lieber ein andermal wieder fort, wenn vielleicht wir auch fort sind. Du mußt ein bißchen von ihnen erzählen; sie kommen wohl nicht dazu, selbst viel zu schreiben. Sag’ Erling, daß wir im Handumdrehen große Ersparnisse machen. Dem Baumeister geben wir 3 Kronen täglich bei eigner Beköstigung, und er macht für uns die Akkorde mit den anderen. Wir streichen eine ganze Menge von dem, was der Architekt hingeschmiert hat; will man es später nachholen, so ist immer Gelegenheit dazu. Wir legen Schieferboden in den Kellern anstatt Ziegel, legen keinen Zinkboden im Badezimmer, bauen keine Veranda, richten es aber so ein, daß einmal eine gebaut werden kann, wenn es gerade paßt. Und die Fensterrahmen erneuern wir nicht; das kann auch ein andermal geschehen. Wir graben auch keine Abflußrinnen durch die Keller; der Grund ist vorzüglich, und das sind überflüssig angeordnete Dinge. Wir mauern die Keller nicht aus; das wird rasend kostspielig und ist sicher ganz unnötig. Auf diese Weise sparen wir viele tausend Kronen. Und der Baumeister steht dafür ein, daß das Haus auch ohne das gut und schön wird. Das hier mußt Du den „Jungen“ vorlesen und ihnen sagen, daß wir alle Tage von ihnen reden, und sie, sobald sie sich losreißen können, wieder zu Hause haben möchten. — Ich habe mich gefreut, in Deinem letzten Brief einiges von der Klasse und dem Unterricht zu lesen; Du solltest Dich darin üben, mehr derartiges zu sehen und wiederzugeben; es wird Dir selbst Freude machen, es zu können; denn Du hast zweifellos Anlage; aber es gehört Übung dazu. — Es hat mir dieser Tage Spaß gemacht, von der Begegnung zwischen dem deutschen Kaiser und dem russischen zu lesen. In der zierlichsten Form die entschiedenste Werbung und die entschiedenste Ablehnung. Und beide dachten bei jedem Wort, das sie sagten, an Frankreich, obwohl der Name nicht genannt wurde. Wenn Du die Reden gelesen hast, so verstehst Du, was ich meine.

Wir haben einen langen Brief von Ejnar gehabt und haben ihm wieder lange Briefe geschickt und die Zeichnungen vom Haus, hübsch ausgeführt, und einen Deiner Briefe und Sansots letzten Brief und noch allerhand sonst. — Mit Inga und Dagny geht es ausgezeichnet. Diese Inga ist prächtig. Ich habe ihnen zum Frühjahr eine Spritztour nach Kristiania versprochen. Dagny soll wenigstens einmal im Jahre nach Kristiania, ins Theater usw. Wenn wir sie doch nach Paris schicken könnten! Du mußt wirklich Deine alten Leute von uns grüßen; ich freue mich so sehr darüber, daß Du bei guten, gebildeten Menschen bist, die Dich gern haben. Und wie ich mich freue, daß Du so gut schläfst! Mehr als darüber, daß Du arbeitest! — Ist ja wahr, Du mußt Erling erzählen, daß „Han“ ein ausgelernter Dieb geworden ist. Er muß zweifellos aus einer Diebsfamilie stammen. Nicht allein, daß er hier stiehlt, darauf spannt, wenn die anderen gegessen haben und der Tisch unbeaufsichtigt ist, und dann auf den Hinterpfoten herumgeht, mit den Vorderpfoten auf den Tisch, die Teller abschleckt, alles nimmt, was ihm zusagt; sondern er geht auch auf andere Höfe und stiehlt; auf einem Gehöft erwischte er einen Ziegenkäse, auf einem andern fraß er eine Schüssel kalten Brei aus, Frau Börresen stahl er Fleisch, — und so die Runde herum, zum Schrecken der Leute. Das wird noch sein Verhängnis werden, armes Tier. — Erzähle, daß hier jetzt gedroschen ist. Wenig, aber vorzüglich. Der Kleesame ist völlig mißraten; wir haben ihn nicht einmal durch die Maschine gehen lassen. Tausend Grüße von uns allen!

Dein Freund Vater.

Ich schicke kein Buch.

Cavlings. Er ist ja in Kopenhagen, und ich weiß seine Adresse nicht.

Liebe Bergliot, ich habe eine arbeitsreiche Woche hinter mir, es geht nun flott mit der Erzählung. Und mitten in der Arbeit mußte ich mich über Dich freuen, mein keckes Mädel, daß Du es das erstemal, wo Du aufgetreten bist, so gut gemacht hast. Cavling strich Dich natürlich zu sehr heraus; aber es war so gutherzig und warm geschrieben, daß ich es den andern nicht vorlesen konnte, sondern es Keilhau geben mußte. Die Namen der beiden Damen, von denen Du schreibst, daß die eine mit Dir, die andre mit Madame Lürig gesprochen hat, kann ich nicht lesen. Du mußt ein einziges Mal versuchen, deutlich zu schreiben. — Herrgott, Bergliot, Du solltest bloß wissen, was es heißt, etwas Schönes über seine Kinder zu lesen, und dabei sicher zu sein, daß es wahr ist. Das übertrifft alles, was man überhaupt lesen kann. — Nun fängst auch Du an, uns diese Freude zu bereiten. — Propstens sind vor kurzem hier gewesen; die Mädels sind nach Bergen gereist, um unter die Haube gebracht zu werden, und ich habe ihn bös geneckt. — Sonst keine Neuigkeiten von hier, außer daß N. N. vor die Tür gesetzt ist. Sie hatte eine Nasenspitze, die trippte gerade ins Essen hinein, und darüber entzweiten sich Karen und sie, und noch hundert andre Dinge kamen dazu, und schließlich wurde sie ganz unmöglich. Wir setzten den Koffer und die Kommode und die Tasche und das Weibsbild und die Trippnase auf einen Langschlitten und fort damit, adieu! — Große Freude im ganzen Hause. Großer Spektakel mit Geschichten über sie, seit sie weg ist. — Ich habe nichts gehört, ob Du jetzt Darwin liest. Ich schickte Dir das über die Vererbung; das solltest Du nach Dir Frau Runeberg lesen lassen; es wird ihr großes Vergnügen machen, und Du könntest gleichzeitig herzlich für den Brief danken. Glaube mir, der war reizend. — Jetzt sind wir des Abends vom Whist zum Boston übergegangen, und weiß Gott, die Mädelchens sind dabei ebenso pfiffig wie wir! — Heute wurde Peters Mutter begraben; der Sarg wurde hier gemacht, und die Pferde gingen von hier, so daß die ganze Gesellschaft von Baklien aus in Schlitten zur Kirche fuhr, alle Dienstboten und Kätner. Und die Mädelchens kamen mit ihren Handschlitten zur Kirche hinauf, und weil der Leichenzug nicht rechtzeitig kam, schlitterten sie den neuen Weg hinunter bis nach Solhejm; und dann saßen sie bei der Leiche auf bis oben und fuhren vor dem ganzen Leichenzug noch einmal hinunter! Keilhau und Erling mit zurück, wo große Gesellschaft war, und sie spielten Whist mit Fedje und Peter (der vielleicht außer Erling der beste Whistspieler in Gausdal ist) und kamen um 7 Uhr heim und waren sehr erbaut von der Fahrt und der Gesellschaft. Aber es sieht so aus, als ob Peters jüngstes Kind (3 Wochen alt) ebenfalls dran glauben muß, also gibt es noch ein Begräbnis. Auch Mathias’ Frau, die Ingeborg, stirbt gewiß bald. Wir haben ihm mit Geld und Essen und Kleidern für die Kinder helfen müssen, obwohl er das größte Anwesen des Gutes, vielleicht des ganzen Kirchspiels hat; es geht rückwärts, wenn die Frau krank liegt. Also, Ihr taugt doch zu etwas, Ihr Frauensleute, selbst wenn ihr uns nicht vorsingt. Ja, Du bist doch unsre einzige herrliche Bergliot, Du! Oh, wie ich Dich lieb habe, ganz gleich, zum Teufel, ob Du eine berühmte Tochter wirst oder nicht.

Grüße Mad. Lürig und Deine alte Dame. Du kannst Geld für die Uhr geliehen bekommen.

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, hast Du den „Professor“ gelesen? — Falls nicht, so schicken wir Dir das Buch, und Du es Ejnar! Dank für alles, was Du mir schickst! Es freut mich erstens an und für sich, und dann, weil es von Dir kommt und zeigt, daß Du selber Anteil nimmst und willst, daß auch wir Anteil nehmen. Ich lese noch immer täglich „Le Temps“. Fertig mit „Le rêve“, nachgemachte, gut nachgemachte Legenden-Poesie, aber unwahrscheinlich. Ja, liebe Bergliot, wenn Du jetzt Sehnsucht hast, so vergiß nicht, daß in ihrer unklaren Arbeitszeit das alle haben, und am meisten diejenigen, die ihrer Arbeit wegen sich abschließen müssen. Die Belohnung kommt später. Sei nicht ungeduldig. Aber sag’ uns alles, was sich Dir in den Weg stellt, zeichne alle Wolken, die Dir dräuen, selbst nur momentan; schon sie abzeichnen zu können, ist der halbe Weg, sie los zu werden.

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, Dank, tausend Dank für Deinen Brief! Die Stelle über Hanka als Mezzosopran war allerliebst! Sag’ ihr von mir, daß sie einen Mann heiraten muß, der um ein Viertel größer ist, und der die Liebhaberpartien singt, sonst kann sie sich auf keiner Bühne sehen lassen. — Was Du über die Aussprache des Französischen schreibst, ist richtig. — Du mußt auch noch lernen, das Norwegische auszusprechen. Wer einen herzlichen Eindruck machen will, muß die Worte genau so sagen, wie wir selbst sie sagen, wenn wir am natürlichsten sind.

Hier zu Hause ist es so gemütlich. Voller Winter, Schnee, Schnee, Schnee; in diesem Augenblick dichter Schneefall bei nebligem Wetter, als wären grauweiße Gardinen vor den Fenstern draußen. Herrlich in der warmen, behaglichen Stube. — Möglich, daß Björn und Peter, vielleicht L. Holst zu Weihnachten herkommen. Denk nur, wenn Du es wärst! Denk nur, wenn Du wieder Schlitten fahren kannst! Wenn Du Deinen Gesangskursus hinter Dir hast (mutmaßlich in anderthalb Jahren), dann kannst Du wohl ein Jahr lang Ferien machen; oder soll’s gleich losgehen? — Ich stimme für Ferien und Allotria ein Jahr lang, damit Du zu Kräften kommst. Aber alles zu seiner Zeit; — Schlittenfahren mußt Du, Mädel, und frische norwegische Winterluft einatmen so bald als möglich; denn das ist das Köstlichste, was wir haben, die Winterluft! Ebenso wie das Land im Schnee das Schönste auf der Welt ist. Aber die Menschen, Du, wie die kalt sind und starr! Genau wie eine nicht durchgearbeitete Stimme, so ist der ganze Mensch. Ich leide Herzensqualen vor Sehnsucht nach Wärme und Glauben an irgend eine Kraft in ihnen. Herzensqualen. Ich warte von Jahr zu Jahr; aber hie und da ein kleines Aufflackern, dann weg, erloschen, trocken, nichts. — Leb’ wohl, liebe Bergliot, leb’ wohl!

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, nur ein paar Worte. Dies ist die Parnell-Woche gewesen; alle Zeitungen schreiben, alle Leute reden von nichts als Parnell, den man seit länger als einem Jahr beschuldigt, zusammen mit seinen Freunden heimlich auf seiten derer zu stehen, die die Sache Irlands mit Mord und Raub verteidigen, während er öffentlich sich als der Mann gäbe, der streng auf dem Boden des Gesetzes stünde. Nun liegt die ganze Verleumdung (und die Times, die sie angezettelt hat) im Schmutz! Alles war Lug und Trug!

Diese Woche gehört zu den frohsten, die ich erlebt habe. Ich habe auch in diesen Tagen ausgezeichnet geschrieben, und ich werde ein prächtiges Buch fertig bringen Frühjahr, glaub’ es mir!

Hier ist es noch immer ganz wundervoll! Heute Sonntag sitze ich und lese meinen zweiten Artikel über Norwegen in Harpers Monthly; heute Nachmittag wollen wir zum Propst im Breitschlitten mit zwei Pferden vor. Hurra! — Also nun ist Frau Lürig wieder brav; — ja, ihr Weibervolk! — Wenn Du turnst, hast Du da eiserne Hanteln zum Heben? Du kannst sie kaufen, wo die Av. des Ternes mit dem Faubourg Honoré zusammenstößt.

Carl Keilhau hat angefangen, Bruun zu studieren, um eine Reihe Aufsätze zu schreiben über seine „Bruniana“. Er verdient, daß er einmal unters Schermesser kommt, der alte Zopf! — Hier zu Hause freuen wir uns mächtig über Sverdrup, daß er nun endlich erledigt — und der Verachtung aller Menschen preisgegeben ist. Jetzt ist „V. G.“ der rechte Ausdruck für das, was fast alle fühlen, sogar manche Oftedöler. Vater Fougner war eines Sonntags hier, und sagte dasselbe. — Arbeit nützt doch etwas.

Von Björn nichts in letzter Zeit. Von Kielland vergnügten Brief. Seine Zeitung geht. Siehst Du, ein paar Zeilen hab’ ich doch zuwege gebracht für mein einzig süßes Mädel!

Dein B. B.

Grüße Cavlings!

Liebe Bergliot, es gefällt mir ungeheuer, daß Du nur den rechten Weg zum Ziele gehen willst, nicht lügen, nicht schmeicheln, nicht feig sein; sondern treu und gehorsam und wahr. Ich glaube zwar nicht, daß Du auf die Dauer die Künstler-Charakterlosigkeit und die Intrigen aushältst; aber ich sehe nichts Schlimmes darin, wenn Du nicht auf die Dauer Opernsängerin wirst. Wenn Du bloß ein tüchtiger Mensch wirst, der seine Sache kann bis zur Meisterschaft, und durch die persönliche Macht Deines Gesanges hinreißt; dann hängt das übrige von Dir ab; dann kriegen sie Dich nicht unter.

Schon wieder ein langer Brief von Ejnar. Sie hatten gerade die Nachricht von Parnells Rechtfertigung erhalten, und da die meisten dort Konservative sind, die die schärfsten Ausdrücke über ihn gebraucht hatten, so erzählt Ejnar, daß er die „Ziegenböcke“ in ihrem eigenen Fett hat braten lassen. Ja, necken kann er. — Hierzulande zurzeit nur Doktor Nansen; — sein Einzug muß großartig gewesen sein.

Der Haß zwischen Norwegern und Schweden wird immer heftiger. Ich darf wohl behaupten, daß die Stimmung jetzt für offenes Entgegenarbeiten gegen die Umwandlung der Union in einen Bund ist. Selbst die Rechte schließt sich bald an. — Wie es mich freut, daß Hejmann endlich etwas zu tun hat. Denn zum Kindermädchen paßt er gewiß. Na ja, im übrigen weiß ich nicht; es wird ihm wohl auch das leid werden! — Einen ähnlichen Frühling hat noch kein Mensch, nicht der allerälteste erlebt. Nachts Regen, Tags Sonnenschein! Wie die Küh’ auf die Alm sind ’zogen, habn’s ’tanzt! Nein, wie schön die Herde geworden ist! Schade, daß Du sie nicht sehen kannst, — nie sehen, wenn sie ausgetrieben wird, nie, wenn sie weidet, nie, wenn sie heimkehrt. Das ist das Schönste von allem, was das Landleben in Norwegen bietet.

Andere haben Dir wohl schon geschrieben, daß Großmutter gekommen ist, und daß kein Mensch die geringste Veränderung an ihr bemerkt; auch derselbe prächtige Humor! — Jetzt solltest Du die Küken sehen in ihrem Stall unter der Treppe des Vorratsschuppens mit Drahtnetz darüber, einem großen Raum, mehrere Ellen lang und anderthalb breit, und an dem einen Ende eine von Björns Hundehütten, frisch rot angestrichen. Jeder steht davor und schwatzt mit den Küken und wirft ihnen Gras hinein oder gibt ihnen Wasser oder Futter. Und vorn auf der Veranda, die nun gestrichen ist, ein Schwalbengezwitscher, Bergliot, und bald wird der würzige Duft vom Klee kommen. Und die herrlichen Sonnenuntergänge über den Bergen über Bleike! Und das Bad wartet auf Dich und ein neuer Hengst, Spellet wie aus dem Gesicht geschnitten, nur breiter. Du sollst selbst von Lillehammer heimkutschieren! Ja, komm nun! Du sollst sehen, die See ist ausnahmsweise einmal artig.

Dein guter Freund Vater.

Hurra dem Frühling auf Aulestad!

22. November 1889.

Süße Bergliot, ich habe so wenig Zeit; aber ich muß Dir doch sagen, wie sehr uns Dein letzter Brief erfreut hat. Wenn Du gut ißt, gut schläfst, gut singst, ... dann ist Sonnenschein und Festtag. Und dann sind Erling und Anna hier und erzählen von Dir und dem reizenden gichtbrüchigen Manne, bei dem Du wohnst, und wie Du in Deinem Element bist, wenn Du gut gegen ihn sein kannst. Und ich finde es so hübsch, daß Du ständig Deine Herzenswärme übst an denen, die der Hilfe bedürfen. Das Herz muß geübt werden, mindestens ebenso sehr wie der Geist und der Charakter; aber darauf legen die Menschen kein Gewicht. Und als Sängerin singt man mit dem Herzen genau so viel wie mit der Stimme selbst; es muß die Stimme und die Worte durchdrungen haben. Darum muß es auch reich genug sein, um durch Schule, fremde Sprache, Verlegenheit vor der Öffentlichkeit, Nichtaufgelegtsein hindurchzudringen mit der impulsiven Naturmacht der Stimmung.

Was für Sachen singst Du? Ist die Marchesi freundlich zu Dir? — An Hegel mußt Du solange im voraus schreiben, daß Du gerüstet bist, selbst wenn er es ein paar Tage oder so vergißt.

Erling und Anna sind so entzückend, so entzückend, Du, daß ich mich gar nicht satt an ihnen sehen kann. Sie sind so dumm und köstlich und so voll frischen Glaubens an sich selbst und an die Zukunft. Sie machen mir riesigen Spaß. Und obschon Mutter nicht wohl war, ist dies doch der fruchtbarste Aufenthalt gewesen, den wir je in Kristiania gehabt haben. So tätig und mit so viel Erfolg tätig bin ich noch nie gewesen. Und wer glaubt, er könne mich zu Boden werfen, oder könne vorbeigehen an dem, wofür ich mein Leben eingesetzt habe, der hat wieder umlernen müssen.

Ja, zu mehr habe ich nicht Zeit.

Dein Freund Vater.

1. Dezember 1889.

Sonntag, Mutters Geburtstag.

Mutter hat ausgezeichnet geschlafen und ist heute auf, um alle ihre Geschenke entgegenzunehmen — von den Kindern hier Kleinigkeiten zum Backen und derartiges, und von Jenny ein Paar französische Lederpantoffeln, von Björn eine große tiefe blaue Kruke zum Regenschirm-Hineinsetzen, von Ida Lie einen köstlichen, köstlichen Maiglöckchentopf, von Erika wundervolle Rosen, und es kommt wohl noch mehr; ich beeile mich, zu schreiben, ehe die Besuche hereinbrechen. — Per Stejne hat mir geschrieben, sein Vater Ivar sei gestorben, und der Alte habe gewünscht, nicht Konow sollte die Trauerrede halten, sondern ich. Selbstverständlich fahre ich hin. Am Tage nach meinem Geburtstag reise ich. — Großmutter ist unwohl gewesen, ist aber nun wieder munter. Sonst keine Neuigkeiten von dort. Hier großer Aufstand und Spektakel in der Verteidigungssache, die man in Kristiania auf die hysterische und unnatürliche Art betreibt, die dieser Stadt eigen ist. Du mußt auf das „Dagblad“ abonnieren von Neujahr ab, wir werden es besorgen; „V. G.“[1] (d. h. eigentlich Vullum) nimmt einmal übers andere Gelegenheit, was ich schreibe, zu verzerren und darüber Lügen zu verbreiten. Du mußt also um Neujahr herum in einem liebenswürdigen Brief dafür danken, daß Du das Blatt bekommen hast, und Dir die weitere Zusendung verbitten.

Keine Zeit zum Schreiben. Sie kamen, die Besuche, sehr zeitig. Peters, Lies, Welhavens usw., Störmer usw. usw. Zum Abend werden Julie Nielsen, Rolfsens (aus Bergen) und Peters hier sein, Mutter ein wenig angegriffen von all dem Lärm. Und weil ich sehe, daß es sie mitnimmt, bin ich auch müde. — Björn spielt „Olav Trygvason“ von Grieg; Du sollst es haben (d. h. geborgt), damit Du siehst, was das für eine herrliche, großartige Musik ist.

Jetzt geh’ ich daran, „Mariannes Kaprizen“ mit Björn in der Hauptrolle einzustudieren (leihe Dir ein Heft Alfred de Musset und lies das Stück!). Ich will eben sehen. Ich hoffe, es geht. Auch dieser Theatermonat ist gut gewesen. — Der alte Jahn in Bergen, Mutters Pflegevater, hätte heute goldene Hochzeit feiern können, wenn seine „Catterin“ noch lebte. Wir telegraphierten. Es geht ihm so armselig, daß wir ihm helfen müssen. — Du hast wohl gesehen, daß mein Buch jetzt in zweiter Auflage erscheinen soll. Es hat noch immer überall den größten Erfolg. Keins meiner Bücher hat so großen Erfolg gehabt, vielleicht überhaupt keins in unserer neueren Literatur. Erste Auflage 7000, zweite 2000. Was Du über Dich und Deinen Gesang schreibst, ist mir immer das Wichtigste und das Liebste. Daß die anderen über Dich lachen, beweist wohl, daß Du selbst freundlich und fröhlich bist; hast Du geschrieben defendu de touché, dann haben sie auch über Deinen grammatikalischen Fehler gelacht. Aber was halten sie von Deinem Gesang? Hast Du sie darüber reden hören? Hast Du überhaupt Dir selbst einen Maßstab geschaffen nach dem Gesang der anderen? Kannst Du objektiv oder nach dem ruhigeren Urteil anderer Dir eine Meinung darüber bilden, was Dein Gesang in Umfang, Ausdruck, Wirkung jetzt ist? — Leb’ wohl denn, lieber Schatz, laß uns wünschen, daß Mutter bald wieder gesund wird; ich werde schreiben, falls die Besserung anhält, oder etwas Gutes sich ereignet; sofort schreiben.

Dein Freund Vater.


[1] Die Zeitung „Verdens Gang“.

Liebe Bergliot, also Du bist krank? Das geht weiß Gott nicht! Was soll denn das heißen? Werde wieder gesund, hörst Du, raff’ Deinen Willen zusammen und sei vorsichtig! — Mutter ist jetzt wieder ganz wohlauf, aber mager; es geht täglich vorwärts. Was für ein herrliches Wetter! Der Wald überzuckert und glitzernd im Sonnenschein, — unbedingt der schönste Naturanblick, den es gibt. Ein Bild der feinsten, reinsten, lautersten Gefühle des Herzens. — Und „Der Handschuh“ auf der Freien Bühne in Berlin! Folgendes Telegramm bekam ich von der Leitung und deren Freunden (es ist eine Vereinigung, die Neues auf dem deutschen Theater einführen will); sie waren hinterher zu einem Fest versammelt: „Lebhafte, herzliche Aufnahme. Wiederholter, starker Beifall bei offener Szene, vortreffliche Darstellung. Trotz Meinungsverschiedenheiten (über die Tendenz) hielt das Werk alle in seinem Bann. Die versammelten Leiter und Freunde der Freien Bühne grüßen Sie in froher Dankbarkeit.“ Otto Sinding telegraphiert: „Der Handschuh stürmischer Beifall, ausgezeichnetes Spiel.“ Fräulein Klingenfeld, die Übersetzerin: „Der Handschuh großer Erfolg, ausgezeichnete Wirkung.“ — Die Freie Bühne spielt ein Stück nur einmal. Dies ist von allen, die gegeben wurden, das erste, das einen durchschlagenden Erfolg gehabt hat. (Also auch nicht Ibsens, trotz allem Geschreibe, hat das gehabt! Nun kommt die Wahrheit zutage!) Das bedeutet, daß nunmehr verschiedene Bühnen es haben wollen; ein großer Schauspieler, Reicher, hat bereits gesagt, mit dem Riis, den er gespielt hat, würde er durch ganz Deutschland ziehen! Ferner bedeutet das, daß ich meine anderen Stücke folgen lassen kann! Ach, wenn ich das bloß könnte! — Dann wird man einsehen, daß ich zuerst Ibsen den Weg gebahnt habe und daß er ihn jetzt mir gebahnt hat. Wenn es doch glückte! es sah einmal so hoffnungslos aus. — Ich reise für etwa vierzehn Tage durch das Gudbrandsdal und halte politische Vorträge. Ich bin im Grunde nicht sehr erbaut darüber. Aber wen haben wir sonst? — Ich werde Dir Alexander Kiellands Broschüre über die Verteidigungsfrage zusenden lassen. Besseres ist in Norwegen nicht geschrieben worden. Herrgott, ist das ein Aufwaschen! Da stießen sie auf einen alten Groll, der seine Zunge zu brauchen weiß! Ich habe nie etwas Ähnliches in unserm heimischen Kampf gelesen! — Und jetzt wird er dem Journalismus untreu! — Werde wieder gesund und schicke uns gute, lichte, frohe Nachrichten, Du unser Sonnenvogel!

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, daß Poesie in einem Gesang ist, das will besagen, daß die Stimme durchleuchtet ist von einer ansprechenden Persönlichkeit; außer dem Ton und dem Wort hören wir die Sehnsucht, das Weh, die Freude, den Feuertrieb einer Seele; die Kunst selbst steht hier im Zusammenklang mit dem Wesen des Menschen vor uns; das ist es, was uns ergreift und hinreißt, die Stärke des Gefühls oder des Willens oder der Phantasie des Menschen und daß sie zum Durchbruch kommen in seinem Gesang. Eine große Stimme, die aber nicht erfüllt ist von diesen Dingen, nützt nichts; und umgekehrt, die größte Stärke der Persönlichkeit nützt nichts, wenn der Gesang nicht für sie ausreicht.

Hat Mad. Marchesi Dir jetzt „Halleluja“ gegeben, so meint sie damit, daß in Deiner Stimme eine Wasserklarheit ist, die einen reinen Sinn widerspiegelt, eine Innerlichkeit, die sphärische, phantastisch hinblauende Wege geht. Daneben aber müßtest Du ein Gesangsstück voll Leidenschaft und Willen haben und eins voll Schelmerei. Das kommt auch wohl. Hast Du mit ihr über das gesprochen, was Du Dir wünschtest, weil sie getroffen hat, was Dir gefällt? oder hast Du einfach so frei herausgesungen, daß sie einsieht, wo Deine Stärke liegt? Antworte mir hierauf. — Die Dachsparren auf Erlings und Annas Haus sind errichtet; nun liegt das Haus mit ausgebreiteten Flügeln da; sie decken all das schicksalreiche Erbe von Vätern und Müttern her bis zurück zur Kindheit unsres Volkes, ein Erbe, das ausgebrütet werden soll und gehütet unter seinem Schutz — sie decken alles Leid, das da weinen wird, alle Freude, allen Leichtsinn, die da lachen werden, alle Kräfte, die geweckt werden und arbeiten sollen, alle Ausschweifung in Sünde und Gedanken, alle Dummheit, alles edle Streben, alle Befriedigung, alle Reue und grübelnde Verzweiflung. Es wird wohl bald da etwas wachsen, was die Ehre unsres Namens schirmt oder ihn schändet, entweder bloß unsre starken Triebe erbt und nicht zugleich auch unsern Arbeitsmut und unsre Selbstbeherrschung. Von allem ist in unsrer Sippe etwas, und auch in Annas Familie soll es so sein; obendrein stoßen sie schon früher zusammen, sie haben sich schon ehedem gekreuzt. Ich sehe auf die Haussparren wie auf die Rippen in einem Schicksalkörper, dem langen, vielnamigen des Geschlechts. Möge er mehr werden als bloß Fischbrut, möge er etwas ans Licht tragen von dem Vielen, das ich für dies Land gedacht habe, sich kraft dieser Gedanken aufrichten als ein stärkerer Wille, denn die Gegenwart ihn hat, und so ein gesundes Erbteil kundtun! Dies ist der höchste Wunsch für mich selbst, den ich auszudrücken vermag. Und da es unser Familiensitz ist, so wird das Haus wohl starke Mächte gegen sich haben, abbrennen oder ähnliches; aber wieder auferstehen! schöner und bequemer! Also auch darin muß das Asyl des Geschlechts dem Geschlecht gleichen.

Deine zwei letzten Briefe waren ausgezeichnet; Deine Schilderungen des Gesangs in der Klasse, aller derer, die in der Matinee mitwirken sollen usw., sowie über Dein eignes Verhältnis zu Mad. Marchesi sind so gezeichnet, daß wir alle eine Vorstellung davon haben. — Die Menschenscheu, die Du beschreibst, ist eigentlich nicht das, sondern die Lust und der Drang, viel allein zu sein, und das ist ein Erbe von mir (der es von Vater hat). Aber das Mißtrauen, das ist nicht von mir. Vater hatte es. Du irrst auch darin, daß die meisten Menschen falsch und unwahr seien; es sieht so aus, wenn sie bald diese Meinung haben und bald jene; aber die Sache ist lediglich, daß sie gar keine Meinung haben, sondern von dem ansteckenden Einfluß der Umgebung sich zu allem und jedem verleiten lassen, was nicht gegen die Gewohnheit geht, denn die Gewohnheit ist stärker als alles andere. Aber nun liegt es gerade in der Gewohnheit des Franzosen, Komplimente zu machen, daß es nur so hagelt, und nicht aus Falschheit tun sie das, sondern aus „gutem Ton“ und unter dem Einfluß der Umgebung. — Runebergs Brief habe ich schon beantwortet. Er lobte Deine Stimme und Deinen Vortrag und freute sich an Dir. Nein, Runeberg lügt nicht; zu seinen Fehlern gehört es auch nicht, sich von der Umgebung beeinflussen zu lassen — er ist eine sehr selbständige Natur. — Da fällt mir ein, Du könntest diesen Brief und den Brief über Kiellands dem Ejnar zum Lesen schicken, damit er sich in den Gedankengang und die Zustände hier hineinversetzen kann. Du kannst ihn bitten, sie zurückzuschicken. — Ich hatte keine Lust, ihm zu schreiben, so lange diese monatelangen Verfolgungen anhielten. Jetzt, da sie so vollständig mißglückt sind, ist es mir widerlich, nur daran erinnert zu werden. Aber dadurch kommt er um mancherlei vom Gegenwärtigen, was vielleicht gerade diese zwei Briefe am besten geben. — Wir wissen im Grunde nichts über ihn; er schickt ein paar Betrachtungen und ein bißchen was über allgemein-chinesische Verhältnisse; nie ein Wort über sich selbst, außer z. B., daß er nicht mehr schreiben könne, er müsse in Gesellschaft; oder er sei sehr beschäftigt. Wir kennen weder seinen Umgang, noch seine Beschäftigung in oder außerhalb des Amts, nicht sein Gedankenleben und seinen Gemütszustand, so daß wir eigentlich bloß an ein Porträt schreiben. Und da erstirbt die Lust, Bilder von der Heimat zu geben, wenn wir nicht fühlen, wem wir sie geben. —

Alles hier auf Aulestad ist nach und nach sehr gemütlich geworden. Ich freue mich, daß es der schönste Hof im Gudbrandsdal ist dem Aussehen nach, und da allmählich auch alle Geräte, Tiere und Einrichtungen ebenfalls erstrangig werden, so ist es hier gut sein. Jetzt fehlt nur, der Hof wird wirtschaftlich so gehoben, daß er wie ein Garten ist; er hat alle Vorbedingungen dazu. Dann kann er 60 Milchkühe ernähren, Bö ernährt jetzt auch nicht mehr; wir ziehen heuer 10 Kälber auf, um es (nach dem schlechten Vorjahr) wieder auf über 40 zu bringen, wie es früher war. Bloß noch einige Morgen Land und besseren Dünger, dann ernährt der Hof schon jetzt 50 Milchkühe. Mit einem solchen Hof und dem, was sie an Rente haben, können Erling und Anna selbst gut leben und gut für die neue Familie sorgen. Leb’ wohl, süße Bergliot (und Ejnar!) und denk an

den Freund Vater.

Aulestad, 13. Januar 1890.

Frohes neues Jahr, Du unser lieblicher Singvogel! Mögest Du lange und weithin zwitschern! Und das Glück haben, die Übung des Herzens im Guten, die Vorbedingung!

Kam Mittwoch den 8. abends nach Hause, — unerwartet — und fand Mutter im Bett, Erling und Anna auf Vestad bei Mählums und alle mehr oder weniger unwohl — entweder noch mitten im Kranksein oder eben darüber weg. Karen ist sehr unwohl; eine Drüsenanschwellung, die gefährlich ist; und Mutter aufs neue angegriffen; heut aber wieder auf und schreibt ein bißchen für mich ab; Großmutter und ich die einzigen auf dem Hofe, die gesund waren (und sind).

Meine Reise ein einziger großer Erfolg von Anfang bis Ende. Peter und die Pferde im höchsten Wohlbefinden, ich frisch wie ein Fisch, überall so gestopft voll von Menschen, als ihre kleinen Stuben mit den anstoßenden Kammern und Dielen nur fassen konnten. Überall ist die Linke im Aufschwung, und „V. G.“s Richtung abgelehnt. Das Volk will reinliche Verhältnisse haben. Es freut mich, daß Du den Grieg-Rummel mitgemacht; aber mir ist dies des Guten viel zu viel, das ist sicher. Na, — hat es Dir Vergnügen gemacht, so ist es gut und schön. — Du mußt uns erzählen, wie Du lebst, Bergliot. Ißt Du gut? Schläfst Du gut? Ist Madame freundlich gegen Dich? Auch das Mädchen? — Es freut mich sehr, daß Du Mademoiselle Breslau und ihre Freunde, die ja auch die Deinen sind, wieder getroffen hast. An denen solltest Du festhalten. Und dann solltest Du Sansots wieder aufsuchen. Runebergs habe ich ein Buch geschickt. — Daß Du „leichtere“ Sachen mit Mad. Marchesi singen sollst, bedeutet, daß sie glaubt, Du hast esprit und bon sens, und Dir tut nur noch mehr Geschmeidigkeit not. Alle die feinsten Geheimnisse der Kunst liegen in dem leichten Gesang. Was Du innig und leidenschaftlich singen mußt, damit hat es bei Dir keine Gefahr, jedenfalls ist das kein Gegenstand des Studiums in demselben Grad wie der leichte Gesang mit all seinen Anforderungen an technische Vollendung und Stil. Und singst Du so, daß sich Seele darin offenbart, dann gehst Du zu größeren Dingen über. Denn Seele drängt nach mehr Seele, beim Lehrer wie beim Schüler.

Ich bin einigermaßen gespannt auf Erlings und Annas Reise. Sie werden Annas Sachen einpacken, und viele davon sind täglich auf Vestad im Gebrauch gewesen, so daß es wohl sein könnte, es setzt saure Mienen und vielleicht gar Zweifel über die Abrechnung. Selbst schienen sie an so etwas nicht zu denken, und ich wollte nichts im voraus sagen, aber es wird sich schon zeigen. Sie sind beide sehr hitzig; ich hoffe, Mählum ist es nicht. Wahrscheinlich kommen sie heute (Sonntag) abend nicht nach Hause, denn es schneit entsetzlich, und die Schlittenbahn ist zu schlecht für Jakob; aber ich bin sehr gespannt darauf, was sie erzählen. — Die Frau oben auf Lunde liegt im Sterben; über fünfzig an Lungenentzündung in Gausdal. X. Y. und Frau telegraphierten an Torstein Lunde und baten ihn, zu kommen. Er antwortete, seine Frau sei krank. Worauf X. Y.s antworteten: „Dann kommen also wir!“ Dann legte sich auch Lunde, — und X. Y.s kamen! — Ich soll Dich von Lina und Sigurd und den Kindern grüßen. Nein, wie es gemütlich dort ist, und wie artig die Kinder sind und wie hübsch! Die alte Frau, die Mutter des Küsters, liebt Dich und bat mich, Dich zu grüßen. Hast Du ihr Dein Bild geschickt? Liebling, es freute mich so, zu hören, was für Erwartungen sie in Dich setzt. Sie war bei Sigurds als Köchin die Tage, als wir dort waren. — Bei Forr auf Forr in Fron waren wir auch (Castberg und ich); es ist das größte und stattlichste Haus im Tal, und die Menschen dort sind meine besten Freunde. Wir müßten an einem Sommertag hinfahren. Tausend Grüße von allen durch

Deinen Freund Vater.

26. Januar 1890.

Liebe Bergliot, diese Woche also ist Hejbergs „König Midas“ gestiegen. Die Wirkung war „außerordentlich“, sagt man, und wir werden nun sehen, ob sie andauert. Ferner, ob die Sache zu guterletzt mir wirklich zum Schaden gereicht.

Ich hätte darüber schreiben sollen; aber ich hab’ es in mich selbst hinuntergeschluckt; so habe ich Dir nichts davon abzugeben.

Wie findest Du das — zu tun, als ob dies kein Angriff auf mich sei; und es damit zu verwechseln, daß ein Dichter eine Figur entlehnt, und hiermit zu verwechseln, daß man eine bekannte Persönlichkeit nimmt und sie beschimpft, indem man ihr Eigenschaften andichtet, die sie nicht hat, und Handlungen, die sie niemals begehen könnte!

Nein, ein konsequentes Leben zu leben, etwas in der Welt zu wollen, es mit Ernst zu wollen, das kostet was! Und hier in Norwegen gewiß mehr als anderswo. Ich könnte Dir manches davon erzählen, liebe Bergliot; meines Erachtens hast Du auch etwas von derselben Art, und das Theaterleben wird deshalb zu schwer für Dich sein; also ich bin nicht gerade begeistert, daß Du da hineinwillst.

Schatz, wie ich Dich darin wiedererkenne, daß Du nicht „mit Gefühl singen“ kannst, ehe Du zwanzigmal ohne Gefühl gesungen hast. Noch kannst Du nichts aus Dir selbst; sondern erst nach der hartnäckigsten Übung. Mit Mut aufzutreten, das will auch geübt sein, und von Dir mehr als von irgend jemand anders, weil Du so mißtrauisch bist, und alle, die das sind, fühlen sich am leichtesten unsicher.

Nichts über oder von Mademoiselle Breslau und den Leuten? Und Sansots, die so freundlich gegen Dich sind, und Runebergs. Nun schreibe ich bald an ihn und antworte ihm auf seinen langen, prächtigen Brief. Aber es ist gar nicht so einfach, an einen zu schreiben, der seinem Lande Kaiser[2] wie Kunst und Wissenschaft und Industrie schenkt. — Sansot antworte ich auch. Er hat mir einen höchst interessanten Brief geschrieben.

Hier haben wir einen Schneefall gehabt, daß Gott erbarm’! — Kein Wunder, daß der Wald Märchen erzählen kann. Wir gingen in der Dämmerung hinunter ins Nevrådal, der Schnee hatte alle Laubbäume geebnet, daß sie wie ein schneeweißes gestricktes Tuch in Wellen sich weithin breiteten, und hie und da ragten Fichten daraus auf, trutzig, rank, dunkel innen, jung, stark wie ein Hurra; nie hast Du etwas Keckeres und Anmutigeres, etwas Anmutigeres und Keckeres gesehen. — Das Haus schreitet nun rasch vorwärts, wir sind alle oft stundenlang drüben. — Das Heu, das wir gleich nach dem Schnitt einbrachten, fressen die Kühe lieber als alles andere. So daß es geradezu ein Ereignis geworden ist. — Abends ist es immer so gemütlich; wir spielen draußen am Tisch auf der Diele Boston und essen Apfelsinen und lesen und schwatzen. Jetzt erwarten wir Forrs hier und Blekastads. — An den Sonntagen werde ich künftighin immer aus sein und Vorträge halten. — Anna gedeiht so gut unter uns und ist in jeder Hinsicht eine echte „Björnson“ geworden. Und ihr Vater, der anfangs fraglos gegen die Verbindung war, hat uns recht lieb gewonnen. Ja, es erhebt sich eine hohe Mauer von Verleumdung um den Mann in Norwegen, der Er selbst sein will, und versucht, andre dahin zu bringen. — Wenn Du schreibst, mußt Du uns immer, wie jetzt, damit trösten, daß es Dir inbezug auf Essen und Schlafen gut geht und daß Du Fortschritte bei der Marchesi machst. — Aber ich für mein Teil sehne mich grenzenlos nach dem Tage, da das Unmittelbare und Frische Deiner Natur in Deinem Gesang zum Durchbruch gekommen sein wird, so daß er alle ergreift und fesselt. Dahin muß es kommen, muß es kommen.

Jetzt mußt Du Zeugnisse sammeln, Kind, für das Gesuch um ein Stipendium. Es eilt nicht; aber Du darfst es nicht vergessen. (Doch, es eilt, sehr sogar — denn jetzt muß es geschehen!) Kann nicht auch Dein Freund Gouzien (oder wie er heißt) Dir eins geben?

Dein Freund Vater.


[2] Runeberg, ein berühmter finnischer Bildhauer, modellierte 1889 die Statue Alexanders II. von Rußland. Anm. d. Übers.

Aulestad, 2. Februar 1890.

Liebes Kind, heute muß ich nach Helleberg, Svartum und einen Vortrag halten, zwei Meilen von hier. Aber ich habe nicht besonders gut geschlafen heute nacht vor lauter Zeitungen und Infamie und Lügen. Na, ich werde schon damit fertig; aber daß ich insofern alt geworden bin, daß ich nicht immer einschlafen kann, das ist schlimm.

Der „Olav“ für Grieg ärgert mich. Das liegt so weit ab von meinem Weg, und ich möchte am liebsten für mich selber arbeiten. Was tut Grieg für andere? Aber daß sie gut zu Dir waren, war prächtig.

So, also Du willst Mutter bei Dir haben! Das glaube ich! Hätten wir nur die Mittel dazu! Aber Du kostest uns so viel jetzt, weil Du alles haben sollst, was Du brauchst, daß wir hier zu Hause so sparsam sein müssen, wie wir können. Wir kommen ohnehin nicht aus. Also, wenn wir noch mehr für Dich tun sollen und Dir die Mutter schicken, dann bittest Du um mehr, als wir vermögen.

Ich war so froh über Deinen Brief, was den Gesang betrifft. Das ist der erste Brief in diesem Jahr, der meldet, daß es so geht, wie Du und Mad. Marchesi es wünschen. Der erste. Ich habe mich sehr danach gesehnt. — Aber noch immer nichts darüber, ob Du mit Mademoiselle Breslau verkehrst. — Ich wußte ja freilich, daß der Fleiß den Ausschlag geben würde, wenn es galt, „Seele“ hineinzulegen. Du erzählst, daß Du mehr als je arbeitest, und daß Mad. Marchesi jetzt zufrieden ist. Erzähl’ mir ein wenig von der Kopka. Ist sie eine große Sängerin, ist sie wirklich freundlich zu Dir, und was hält sie von Dir? Ich sehe nie so recht klar, wie Du mit den Leuten stehst. Ich sehe Dich nicht mitten unter ihnen. Cavlings werden jetzt wohl bald abreisen; die sind die einzigen, über die Du ordentlich Bescheid gibst; bei denen sehe ich Dich. Liebes Kind, schreibe so, daß wir sehen!

Hier bereitet man wieder eine Schlittenpartie vor. Ich kann gar nicht sagen, wie unvergleichlich die Bahn ist! Ich habe sie nie besser gesehen.

Du solltest nur den herrlichen Klebersteinofen sehen, den ich jetzt in meinem Arbeitszimmer habe! Aber ich fürchte, er hat leider keinen guten Zug. Der Ofen von hier oben ist in die Stube unten umgesetzt worden. — Am nächsten Sonntag spreche ich auf Haug, Sonntag darauf im Gemeindehaus zu Öjer. Ich bin immer auf der Walze; denn jetzt müssen die Ansichten der Linken durchdringen. — Wir sind so froh darüber, daß Du Dich in Deinem Zimmer und mit den zwei Damen und dem Dienstmädchen wohlfühlst. Alles was wir das letzte Mal von Dir hörten, klang so heiter. — Das Haus für Erling und Anna schreitet nicht schnell genug vorwärts; aber von morgen ab kommen mehr Arbeiter. Anna ist sehr lieb, aber tüchtig verzogen. Die Zwei sind ein gutes Gespann, glaube ich, aber ich will sie erst sehen, wenn sie beide müde werden. Er arbeitet nichts heuer, führt bloß das Leben eines Großbauern, die Hände in den Taschen, und kommandiert vom „Oberhof“ die Leute auf dem „untern“. Aber das gibt sich wohl wieder, hoffe ich.

Zurzeit lese ich Carlyle (Carlejl), den großen englischen „Propheten“, der Seele fordert für alles Leben und Materialismus und Snobismus und Affektation und Eigenbrödelei und kirchlichen Dogmenkram haßt. Ich wünschte, Du wärst fürs Lesen, dann würde ich Dir seine Lebensbeschreibung schicken; denn darin steckt der ganze Kerl, weil darin so viel von ihm zitiert wird. Er ist eine Größe durch die Initiative, den Schwung, die er in den Menschen weckt. Aber er ist grenzenlos willkürlich. Dann lese ich von neuem den „Ursprung der Arten“ von Darwin und ein gut Teil Belletristik.

Ich bin heute nicht aufgelegt, wie Du siehst, und ich bin mit meinem Vortrag beschäftigt. Am Dienstag, an Landrichter Mejdells 70. Geburtstag, soll ich die Festrede halten.

Dein Freund Vater.

9. Februar 1890.

Liebes Kind, das Zeugnis war ja „brillant“. Wir freuten uns. Auf solch ein Wort habe ich gewartet; ich hoffe, daß Mad. Marchesi die Wahrheit sagt. Denn ich erinnere mich noch, daß sie auch Y. eine große Zukunft prophezeite; ich widersprach und sagte, ein Mensch, der keine Seele habe, würde auch nie eine bekommen, und ich habe recht behalten. Aber der Irrtum war von ihrer Seite ganz natürlich; denn sie hörte einzig auf die Stimme, und die war groß und schön. Ich freue mich über das Zeugnis, denn wenn sie das von Dir glaubt, so setzt sie sicher alle ihre Arbeit daran, Dich vorwärts zu bringen, und dann bürge ich dafür, daß auch Du arbeitest. Ich freue mich auch aus dem Grunde, weil Dir das Bewußtsein, sicheren Boden unter den Füßen zu haben, das Leben leichter macht. Selbstvertrauen gehört dazu, und nicht das des Trotzes, sondern das der Freude.

Mein lieber Schatz, ich bin seit langem nicht so froh gewesen.

Deine Somnambule ist eine Gedankenleserin, die fühlt, was der Mensch, dessen Hand sie hält, denkt. Voilà tout.

Forr ist mit Frau und Töchtern ein paar Tage hier gewesen, und wir haben uns gut unterhalten. — Der Dreck mit „König Midas“ ist doch bloß zu meinem Vorteil ausgeschlagen. Das wußte ich im voraus. „V. G.“ hat keine Seide damit gesponnen.

Meine Sonntagsvorträge hier in der Nachbarschaft nehmen meine Zeit und Gedanken gefangen, und Du mußt ein bißchen darunter leiden, Bergliot. Aber da ich einmal schreibe, möchte ich für die Auskunft über Schlaf und Essen danken, und bitten, jedesmal eine ähnliche zu schicken. Also: schläfst Du gut? Ißt Du gut? Stehst Du Dich gut mit den Leuten des Hauses? Du bist nicht heftig, ungeduldig gegen irgendeinen von ihnen? Diese beiden Fehler sind Deine Lieblingssünden. — Hast Du bei Mademoiselle Breslau öfters die Gräfin Martel („Gyp“) getroffen? Ich sehe, sie war vor Gericht, wegen ungebührlicher Einmischung in die Wahlen (in der Normandie). — Du solltest Dir noch ein oder zwei weitere Zeugnisse verschaffen; wir behalten dies und reichen es zusammen mit dem Gesuch ein, das bald abgehen soll. Es kommen mehrere Stipendien zur Verteilung, so daß wir um mehrere auf einmal nachsuchen. — Wir haben das allerherrlichste Wetter; Sonnenschein und Schlittenbahn Tag aus, Tag ein. Unsre Schlittenpartie (mit fünfzehn Pferden) und großem Ball hinterher auf Rokvam war vorzüglich gelungen; also diese Woche war voller Vergnügungen für die Jugend; dann waren wir ja auch auf Mejdells siebzigstem Geburtstag. Wir fuhren mit drei Pferden bei vorzüglicher Bahn in 1½ Stunden hin. Es waren 130 Menschen. Mejdells waren sehr vergnügt. Anna und Erling schenkten ihnen eine Säule und eine antike Figur. — Heute ist Torp hier gewesen und hat Annas Kardialgie untersucht. Nichts von Belang. Forr und Erling sitzen hinter mir und lesen die Zeitung, also ich habe nicht viel Ruhe. — Brief von Ejnar; er schimpft immer über das eine oder andere, und lebt in großer Geselligkeit, über die er nichts berichtet. Ein sonderbarer Bengel. — Jetzt hat das Haus anderthalb Mannshöhe, und jetzt erst begreifen die Leute, wie gut der Platz gewählt ist. Die Leute, d. h. Smehus und Even, sind wegen Annas Sachen in Vestad gewesen. Als sie zurückkamen, erzählten sie, daß im ganzen Tal kein Hof so schön sei wie Aulestad. Und auf dem ganzen Weg hätten die Bauern gesagt: „Nee, was für Gäule!“ Wenn sie so pikfeine Gäule hätten, meinten sie, das wäre famos! Uff, ich sitze hier und kann bloß tratschen, — zu mehr kann ich mich nicht sammeln. Hast Du Dr. Sigurd Ibsens Aufsatz im „Dagblad“ bemerkt? Da kannst Du die Union in all ihrer Häßlichkeit sehen! Ja, an so was hat man seinen Halt! — Und mich verfolgt man, weil ich kein Blatt vor den Mund nehme. Einmal werden die Leute sich schon schämen müssen. — Ach, Du hättest diesen Wintertag sehen sollen, Bergliot! Aber sehen, ohne unter norwegischer Geistesenge, Feigheit und Mißgunst zu leiden.

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot in Paris! Wer an das Verhältnis zur Kirche und das Verhältnis zu Schweden (und dem König, denn der König ist Schweden) rührt, der ist ehrlos! Nun soll Sigurd Ibsen auch ehrlos gemacht werden. Ich habe ihn eben willkommen geheißen unter der Zahl der Ehrlosen! Daß sie sich sofort gegen uns wehren müssen durch derartige hämische Versuche, beweist deutlich, wie falsch das Verhältnis ist, wie in der Wurzel unecht. — Eine große Hilfe war mir das in meinem Kampf um die Forderung, daß eine Vereinigung, die an sich neu unter den Völkern ist, sich auch neue Formen schaffen muß! Unsre Vereinigung ist andern ein Beispiel geworden (Österreich-Ungarn); schafft sie sich eine neue Form in dem Verhältnis zum Ausland, so wird auch das ein Beispiel werden. Der einzig mögliche Versuch, die Vereinigung als solche fortbestehen zu lassen, ist, eine Teilung der auswärtigen Angelegenheiten anzustreben und jedes Land seine eignen führen zu lassen. Damit ist nicht gesagt, daß nicht vieles gemeinsam bleiben kann; aber es muß jedesmal auf freier Übereinkunft beruhen. Zwei Minister des Äußern, jeder verantwortlich für sein Volk.

Ich lese zurzeit Carlyle (Carleil) „Die französische Revolution“. Die schicke ich Dir. Ich hätte eher daran denken sollen, daß Carlyle etwas für Dich sein muß! Daß Du so leselustig bist, ist ein großes Glück für mich. — Ich sitze wie auf Kohlen, weil ich mich fertig machen muß zur Reise. Ich will nämlich heute nach Öjer, d. i. fast drei Meilen, bei der vorzüglichsten Schlittenbahn von der Welt, mildem Wetter und mit der Großstute, die lang und mächtig ausholt, im Zweipferdelängenschritt. Der Wald ist wie fein bepudert, Schneewolken lagern zwischen den Bergen, die Luft daunenstill. — Sie sind rein verzweifelt, alle die „Landesverteidiger“, so oft ich mich rühre. Sie wollen durchaus mit mir „diskutieren“. Ja, das glaube ich, wenn ich ihnen erst Leute verschafft habe, zu denen sie reden können, dann wollen sie auch gern reden! Aber daraus wird nichts. — Frits Hansen muß sich außerdem erst bei mir entschuldigen, bis ich ihn einer Unterredung, geschweige denn einer Diskussion würdige. Ein bißchen Anständigkeit muß man beobachten, selbst mir gegenüber. Ich schreibe gegenwärtig an etwas, das „Ditmar Mejdell“ heißt und Dich amüsieren wird, wenn es fertig ist. Ich bin in der vorzüglichsten Laune, wieder ganz auf der Höhe nach all dem Skandal, der so kläglich ablief für die Skandalmacher. Mutter hat draußen im Flur einen Saltomortale über „Lord“, den Hund, gemacht, der beiden teuer hätte zu stehen kommen können; aber es blieb beim bloßen Schrecken. Der Köter rannte, hast du nicht gesehen! bis nach Bö und ließ sich später viele Stunden nicht blicken.

Dein Freund Vater.

Aulestad, 23. Februar 1890.

So sollst Du also schon im März öffentlich singen? Mir wurde ganz bange; denn ich mag euren Dressur-Gesang nicht, und viel anderes wird es wohl nicht, wenn Du nicht selbst wählen darfst. Uff, nun soll ich mich auch damit noch abängstigen! — Aber andererseits beweist es ja, daß Mad. Marchesi Zutrauen zu Dir hat; und kein geringes zu Deiner Zukunft, da sie Dich schon jetzt auftreten läßt.

Hier ist es nur widerlich. Jetzt wollen die Schweden mit König Midas Norwegen bereisen; ist es nicht unglaublich, daß auch meine Freunde das richtig finden? Entweder fühle ich anders als andere, oder hier muß eine neue Denkart aufkommen, die jetzt noch nicht die Oberhand hat.

Jetzt will ich mein Drama fertig schreiben (ich habe das andre beiseite gelegt), und sobald ich mir damit ein packendes Bild von unsrer unglaublichen Verantwortungslosigkeit von der Seele geschrieben habe, nehme ich meine Vorträge wieder auf und zeige den Leuten im großen und kleinen, wie unverantwortlich wir gegeneinander handeln.

Wenn man denkt, daß meine sogenannten „Freunde“ gleichzeitig „Freunde“ sind von Chr. Krohg und von mir, von Gunnar Hejberg und von mir! Und wenn ich tausend Jahr alt werde, ich verstehe das nicht, ich will davon nichts wissen. Aber ich werde dreinfahren!

Du tust mir so leid, immer wenn ich daran denke, wie tief Du Dir zu Herzen nimmst, daß Du Cavlings verlierst. Du mußt jemand haben, mit dem Du auch Unsinn treiben kannst; deshalb kann Mad. Sansot Dir nicht das werden, was Dir das liebste ist; aber im übrigen ist sie kernecht durch und durch, Bergliot. Und der Mann! Alles Vornehme, Gebildete, was französischer Geist erreichen kann, verkörpert sich in diesem Manne! Ich kenne wenige Männer auf der Welt, die ich höher schätze. Ja, meine geliebte Bergliot, Du wirst bald lernen, daß solche Menschen wertvoll sind, weil sie selten sind. Ich glaubte an alle Welt, und nun blutet es in mir aus hundert Wunden — der Enttäuschung.

Ich habe nie die Geschmeidigkeit besessen, mich, wie Du, zwischen so vielen Mitschülern bewegen zu können, und mit keinem Freund oder Feind zu werden. Ich gebe zu, das mag das Beste sein; und daß Du das schon kannst, wird Dich gewiß sehr fördern und Dir vieles ersparen. Die allermeisten sind nicht mehr wert, als daß wir Ihnen gegenüber die höfliche Umgangsform nicht verletzen. — Ach, Bergliot, ich hätte nie geglaubt, ich würde eines Tages solche Worte niederschreiben. Und ich kann mir nicht helfen, ich fühle starke Ergriffenheit, nun ich es getan habe. — Wenn ich bloß meine Arbeitsstimmung wieder hätte!

Dein Freund Vater.

2. März 1890.

Liebe Bergliot, ich habe Deinen Brief noch nicht gelesen, nur davon berichten hören; aber ich hatte auch so viel zu hören, zu lesen und war außerdem gestern weg zu einem Vortrag. Große Freude, daß Peter und Dikka hier gewesen sind, große Freude! Und nun kommen auch Kiellands! Wir sind also jetzt glänzend auf der Höhe hier! Es ist, als hätten wir Paris hier. — Und Du Ärmste lebst in der Millionenstadt viel verlassener als wir hier in unserm Winkel. — Nun habe ich Deinen vortrefflichen Brief gelesen, Bergliot. Deine ganze Natur liegt in diesem Brief. Hast Du die Revolutionsgeschichte von Carlyle, die ich für dich bestellt habe bei Huseby & Co. in Kristiania, nicht erhalten, so schreibe selbst! Du mußt sie lesen. Du mußt das Menschenmeer in Aufruhr sehen und die gewaltige Wogenmasse, wo einer den andern jagt, bis alles eine unendlich wogende Bewegung ist, so daß die, die mitgewälzt werden, ihren eigenen Willen verlieren und nur drängen, weil alles drängt. Und das wird noch einmal kommen, wenn man nicht beizeiten gerecht ist. Darum eifre ich. Niemand weiß Zeit oder Stunde oder von wannen. Hebt es aber an, dann weiß keiner, ob unsre Arbeiter stärker sind als andere, ob nicht auch sie mitgerissen werden und niederreißen. Denn auch hier im Lande ist viel Unrecht. — Grüße Frau Sansot herzlich; jetzt will ich mich endlich zu einem Brief an sie aufschwingen. Und Runebergs! Ja, ich weiß, das sind Menschen, sie haben mich verstanden, und sie verschleudern nicht, was sie verstehen. —

Ich habe noch andre Briefe zu schreiben und muß schließen.

Dein Freund Vater B. B.

9. März 1890.

Liebes, süßes Mädchen Du, Sonntagmorgen, scharfer Wind überm Schnee, das Barometer auf seinem tiefsten Stand, also haben wir Schlimmes zu erwarten; aber im Hause warm; bei offenen Türen unten und oben kommt die Wärme vom Flur zu uns herein und mischt sich mit der Wärme aller Öfen; Karoline geht umher und sieht nach und räumt auf; unten ein Frühstückstisch mit geräuchertem Lachs, kaltem gebratenen Schneehuhn, fünf Sorten Käse, darunter ein neuer „Storthingskäse“, und unter all der Herrlichkeit ein weißes Tischtuch, und blaue Karaffen und Gläser. Karoline und ich sind eben von Tisch aufgestanden, jetzt hören wir Beate und Alexander Kielland im Fremdenzimmer sich rühren; das Haus erzittert unter seinen Schritten. Er ist — ich werde ihm das nie vergessen — hierhergekommen, um demonstrativ seinen Protest gegen die Verfolgungen einzulegen, hat den Mjösen herauf in seinem Breitschlitten wie der Teufel gefroren, wurde in Lillehammer von mir empfangen, fiel mitten in die Geburtstagsgesellschaft bei Lunde, wurde in die Stube geführt, schneebedeckt, sah aus wie Gustav Adolfs Statue an einem Wintertag, so prachtvoll, daß die Leute schrien, und erzählte Geschichten, daß ich mich ganz krank lachte. Du hättest die Verzweiflung der Lillehammerschen Damen sehen sollen, aber lachen mußten sie doch! — Er trank eine Flasche Rotwein, Grog, Schnaps, aß ein Schneehuhn; aber unterhielt uns dabei den ganzen Abend, dampfte unter allgemeinem Gelächter ab und schlief zwei Stunden darauf. Etwas dicker als früher, aber dieselbe unerschütterliche Verachtung für das „Pack“, und voll Gesundheit und Kraft im Kampfe gegen dies Volk. Bei brillanter Bahn und brillantem Wetter hierherauf, ich voran in einem Schmalschlitten mit Kiellands Koffer hintendrauf, sie hinterdrein in einem Breitschlitten, zum Schluß scharfer Trab, alle Flaggen über der Schneelandschaft an den hellen, strahlenden Häusern gehißt, Feststimmung und Freude beim Empfang seitens Karoline, Karen, Mutter, Inga, Dagny, Anna und Erling, großes Diner, wobei er wieder Schneehuhn und Wein für zwei oder drei bekam, und ein Gelächter, daß das Dach dröhnte. Und den ganzen Tag gestern ein Schwatzen und Lachen und Apfelsinen und Possen bis zehn. Wieder neun bis zehn Stunden Schlaf heute, und jetzt höre ich die Lachsalven unten vom Frühstückstisch her; denn dort sind sie nun, nachdem sie mich begrüßt und meine Glückwünsche entgegengenommen haben, weil Babys Geburtstag ist. „Die ist das Beste, was Du je gemacht hast“, sage ich zu Beate. — „Entschuldige, ich habe sie gemacht“, antwortet er und zieht, den Arm um Beates Taille, wie ein Gott stolz von dannen, begleitet vom Gelächter aller. Er ist in seiner roten „Amtmannsweste“, falls Du Dich ihrer entsinnst. Und als ich ihn fragte, ob er nicht Storthingsabgeordneter werden wollte, antwortete er: „Du meinst als dekorative Figur?“ — Gestern ist kein Brief von Dir gekommen; vermutlich ist in Jütland Schneesturm; wenn nur nicht auch unser Brief an Dich für einen Tag oder zwei weggeweht ist. — Hedlund hat an mich geschrieben, er halte es nicht länger aus, in Unfrieden mit mir zu leben. Ja, ich renkte es denn wieder ein, soweit ich konnte. Ich habe ja nichts gegen ihn, ich habe ihn sogar gern; aber ich könnte z. B. nicht mehr über das mit ihm reden, was ich glaube. — Beate Kielland — nun, Du weißt ja, wie lieb sie mir ist, und sie ist so warm und entzückend hier bei uns, und dabei so bekümmert um ihrer Zukunft willen. Alexander Kielland arbeitet an einem Roman, in dem ein Bauernbursche vom Lande in die Stadt kommt und es bis zum ersten Mann dort bringt, einfach weil er genau alle Schurkenstreiche und Nichtswürdigkeiten nachmacht, die die anderen machen, und die von der guten Gesellschaft geheiligt sind. Ist das nicht ergötzlich? — Jetzt wird Erlings und Annas Haus gedeckt. In der großen Welt nichts, was mich im Augenblick fesselt, und auch nichts hier in der Heimat. — Ich habe die große Angst, daß Mad. Marchesi kein Verständnis für Dein Naturell hat und Dir eine verkehrte Aufgabe stellt. Du mußt etwas haben, worin Leidenschaft ist und Phantasie oder Schelmerei. Kannst Du ihr das nicht selber sagen? Ein Hurra dem Tag und Dir und mir und allen miteinander.

Dein Freund Vater.

Alexander Kielland sitzt jetzt hier oben; als er hörte, daß das Barometer so gewaltig sinkt, sagte er: „Es wird uns gehen, wie es in der Frithjofsaga heißt: Der Fremde blieb, bis der Frühling kam!“

Heut steht der Wald weiß; denn es schneit die ganze Zeit, und etwas Schöneres als einen weißen Wald hat die Natur nicht. — Der Schnee liegt auch weiß über den Dachsparren des neuen Hauses. Die Maurer setzen jetzt die Schornsteine auf. Alles ist groß dort, z. B. sollen auch vier — sage: vier — Schornsteine hinkommen! Einmal wird das Haus uns allen doch viel Freude machen, obwohl es verdammt viel kostet jetzt.

Wir haben ein Buch hier, die Selbstbiographie eines Dänen aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts, Aerebo heißt er; das werden wir Dir schicken; Du mußt doch sehen, wie der Ton damals war; wenn man bedenkt, daß wir noch vor anderthalb Jahrhunderten roher waren als jetzt die Bauern. — Also dürfen wir heute nicht zu viel voneinander erwarten, dünkt mich. Wir müßten solche Selbstbiographien mehrere Meilensteine weit in der Zeit zurück haben, dann begriffen wir, wie die Menschen noch heutigen Tags Reißaus nehmen, wenn es gilt, den Arbeiterinnen zu helfen, und mitten im schönsten Frieden Geld sammeln für Kanonen. — Dies ist die Bismarck-Woche gewesen; er ist gestürzt, und vorläufig auch sein Sohn! Jetzt sagen alle, wofür ich dereinst meine Prügel bekam, so oft ich es sagte, er sei, nachdem er gewaltsam die Einigung Deutschlands zustande gebracht hatte, im wesentlichen ein Schachspieler, der alle Spiele gewann, darüber aber die Zukunft verlor; denn er war ein Mann des Mittelalters, und die moderne Denkart erschien ihm als eine Ausschweifung. Seine schlimmste Sünde, Rußland großzuziehen, aber Frankreich zu beschneiden, — unheilvoll für ganz Europa — wird von seinem Erben, dem Kaiser, nicht wieder gut gemacht werden. — Ich fürchte, wir stürzen durch den jungen Kaiser in eine ganze Reihe von Fehlgriffen, die die Reaktion zu einer strengeren Tonart beeinflussen, und vielleicht Bismarck oder auf jeden Fall sein System wieder von neuem heraufbeschwören werden. Ja, wir gehen einer schweren Zeit entgegen! Hätte ich nur so einigermaßen unsre Zukunft gesichert! — Um unser Volk ist mir nicht bang, nicht im geringsten. Das geht seinen Weg. — Hurra! Bei uns gilt es nur, das Volk zu wecken. Ist es erst wach geworden, so ist mir nicht bang darum. — Grüß’ unsre Freunde! Runebergs und Sansots haben beide ihre Briefe bekommen; aber grüße sie, grüße sie! Gratuliere Hejde zum blauen Band! Möge er erleben, daß es rot wird! — Leb’ wohl!

Dein Freund Vater.

30. März 1890.

Liebe Bergliot, Du mußt die Sache endlich sehen, wie sie ist, — wenn es eine Niederlage für Dich ist, daß Du nicht bei der Matinee mitsingen darfst. Das ist wohl besonders Madame Lürigs Schuld, die nicht die Fähigkeit hatte, Dich weiterzubringen; aber Schuld trägt wohl auch der Umstand, daß sich in unserer Familie keine Spur von Virtuosität findet, so daß Du also nicht eine ererbte Anlage weiterbilden kannst, sondern mit unendlichem Fleiß und mit Ausdauer Dir Stück für Stück erringen mußt, — schwerer, langsamer als jeder andere. Daß Du die Triller und alles das „hassest“, darin stimme ich mit Dir überein; aber als Ausbildung der Fertigkeit, als Weg zu einer biegsamen Stimme, einem selbstsicheren Gefühl von Überlegenheit über das Technische mußt Du diesen Spießrutenweg gehen, um „fertig“ zu werden. Gibst Du Dich hierin besiegt oder richtiger: wirst Du hier nicht Meister, so wird stets hinter dem, was Du tust, die Angst stecken vor dem, was Du nicht kannst. Überwinde diesen ganzen düstern Spuk! Werde ein unerschrockener Künder des Lichts, des Herzens; räum’ mit allem auf, was Dich verzagt macht; sondern zwinge es, dem Höheren zu dienen!

Nur eines steht noch beängstigend mir vor Augen: daß Du nicht kräftig bist! Du schläfst, Du ißt, Du lebst das geregeltste Leben, und trotzdem ist es, als schwäche Dich etwas? Du arbeitest doch wohl nicht über Deine Kraft, ich meine, ohne die Regeln für gesunde Arbeit zu befolgen? Das sähe Dir auch nicht ähnlich. Gib Obacht auf Dich selbst, lieber Schatz; ergründe, was das ist!

Ich habe jetzt „La bête humaine“ gelesen, und ich bin im Grunde erschrocken, daß auch Du es gelesen hast. Es hat einige so zwecklos unterstrichene liederliche Stellen. Pfui Teufel! Wahrhaftig, Du bist ein tapferes Mädel, daß Du durch den Kot watest, ohne davon beschmutzt zu werden. Tut es Dir nichts, Bergliot? Antworte mir aufrichtig!

Bismarck geht in sein eignes Garn; er hat selbst damals, als er es brauchen konnte, die Alleinherrschaft des Kaisers proklamiert, und er hat selbst bis in den Tod Männer verfolgt, die wagten, eine andre Meinung zu haben als der Kaiser und er. Und nun ist er der erste, der dem Willen des Kaisers entgegenarbeitet, heimlich und öffentlich, und darüber fällt er! — — Entweder wird er binnen kurzem wieder das Heft in Händen haben, oder er behält recht darin, daß es jetzt schief geht. Mit aller Art von Neuerungsideen läßt sich ein Staat nicht leiten, am allerwenigsten einer, der so exponiert liegt wie Deutschland. — Es soll sich nur keiner einbilden, daß hierdurch mehr Freiheit, mehr Licht in die Welt kommt; kein Prinzip des modernen Zeitgeistes hat den Großen gefällt; kein größerer Schachspieler hat den größten seiner Zeit matt gesetzt, keine weitschauende Politik die kurzsichtige; denn mit allen seinen Augenblickssiegen war Bismarck doch nur ein kurzsichtiger Mensch, der nicht die Zukunft aufbaute, sondern nur Sieg auf Sieg gewann im Kleinkram der Gegenwart. Nein — wir werden dasselbe mittelalterliche System haben, nur ohne die Siege, ... bis es am Boden liegt. —

Das Haus hat also jetzt einen Schornstein auf dem Dach und eins seiner vier Kreuzdächer ist mit blauen Ziegeln gedeckt. Ferner sind die Fehlböden, die unter den eigentlichen Fußböden liegen, im untersten Stockwerk fast fertig. Die Tischler und Amund (der Maler und Sattler, Du weißt) machen schöne Möbel und verhältnismäßig billig. All mein altes, trocknes Material kommt uns nun gut zustatten.

Geliebter Schatz, Du mußt bei frischen Kräften bleiben. Und Verkehr suchen mit den vielen, die Dich gern haben. Durchaus! Wir haben gedacht, Du könntest diesmal auf dem Landweg nach Hause kommen und einige Tage bei Hegel bleiben. Vielleicht ist dann Mutter dort, so daß Ihr zusammen heimkehrt. Mutter hat unter meinen Papieren folgende Strophe aus alten Tagen gefunden:

Im Walde.

Der Wald gibt sausenden sachten Bescheid;

Was immer er sah in den einsamen Stunden,

Was immer er litt, als man doch ihn gefunden,

Das klagt er dem Winde; der trägt es weit.

Ist das nicht schön? Das müßte sich in Musik setzen lassen. — Heuer geht die Schneeschmelze ohne Hast und Schönheit vor sich, recht heimtückisch. Draußen über dem niederen Ackerland liegt er kreideweiß und schwindet hin, hier oben ist er ausgezehrt, wie einer, der die Schwindsucht hat; hektische Flecken da und dort. — Sie fahren Holz mit sechs Pferden den ganzen Tag; es fragt sich, ob wir es ins Haus einbringen heuer wegen des schlechten Schnees. — Dagny und Anna haben sich beide das Haar kurz geschnitten, es steht ihnen ausgezeichnet. Leb’ denn wohl, geliebter Schatz, tausend, tausend Grüße von allen durch

Deinen Freund Vater.

Aulestad, 4. April 1890.

Liebe, Süße Du, wie unterhaltend und klar Du schreibst! Die Briefe allein schon zeigen, daß Du im Wachstumsalter bist. Nicht die Briefe aller zeigen das, selbst wenn sie zwanzig Jahre alt sind; denn es wachsen leider nicht alle. Und es ist etwas wert, daß Du wächst durch Umgang, Arbeit, Bücher; denn das ist es, was Dir den Gehalt gibt, der später den Gesang füllt und färbt.

Ich muß heute mal mit Dir reden über Mad. Marchesis bornierte Methode, von allen eine Art des Singens zu verlangen. Das ist natürlich verkehrt. Aber eines bedenke: sie hat mehr singen hören, als ihr alle miteinander, und darunter die Allergrößten; denn die Allergrößten haben zu ihrer Zeit gelebt, und nicht in Eurer. Infolgedessen hat sie (ohne selbst sehr poetisch zu sein) dadurch Musterbeispiele, und als Sängerin ein solches Gedächtnis für die Behandlung jedes einzelnen Stückes, daß Ihr, wenn Ihr ihr folgt, immer der besten Fährte folgt. Aber hier hört ihr Recht auf. Denn nicht alle können so singen, wie die Größten; wenn sie ebenso groß sind, haben sie ihre eigene bahnbrechende Art, und wenn sie nicht groß sind, liegt ihr einziges Verdienst darin, daß sie sie selbst sind; haben sie das nicht, dann können sie sich begraben lassen! Es ist der reine Zufall, wenn jemand dieselbe Natur hat, wie der, der dieselbe Nummer von allen am vollendetsten sang.

Ich habe Garborgs „Bei Mama“ gelesen, das aus unsrer schmutzigen Wäsche zusammengestückelt ist. Ein hysterisches Weibsbild (Tochter eines sinnlichen Faultiers von Mutter) gezeichnet von einem hysterischen Mannsbild, — das soll „das Weib, wie es ist“, sein! Das Buch besteht, wie alle Bücher Garborgs, aus tausend kleinen Geschichten. Er ist kein Dichter, er ist ein Schriftsteller, der einem Menschen mit kritischen Bemerkungen nachgeht, und die genügende Gewandtheit hat, ihnen verschiedenartige Form zu geben; es stimmt uns oft nachdenklich, aber wir sind nie ergriffen. Die hysterische Unruhe, dieses Jagen vom einen ins andre stört; ein Bild wird am besten mit ein paar kräftigen, sicheren Linien gezeichnet; durch diese tausend Strichelchen wird es wieder verwischt. In „König Midas“ heißt es, „daß niemand so lügt, wie die, die herumlaufen und die Wahrheit sagen“. Das paßt ausgezeichnet auf die Art Bücher, die nur in Geruch und Anblick und Zerknülltheit der schmutzigen Wäsche leben; die „Wahrheit“ ist derbe Lüge. Die schmutzige Wäsche muß auch sein; aber nicht als das einzige oder das entscheidende für unsre Anschauung des menschlichen Lebens. Er haßt die „Ideale“, weil sie die Menschen verleiten, an sie zu glauben, und — wenn sie sie nicht erreichen können — mutlos zu werden. Nun ja, das geht gewiß vielen so, besonders so lange die religiöse Verkündigung ist wie sie ist: ein Einziges für alle. Aber als Lebensziel, d. h. als das, was der einzelne erreichen kann, und was die Generation erreichen soll, sind die Ideale nichts anderes, als die Erfahrung unsrer eignen Natur; dadurch werden wir, und mit uns alles, besser; das haben wir gelernt. Ist das manchem zu viel, nun schön, — die kommandieren darum nicht die anderen; es sind niemals die letzten, die kommandieren, sondern die ersten. Diese siegen und ihre Nachkommen siegen nach ihnen; die Stärksten siegen. Wir müssen versuchen, den Schwachen zu helfen, namentlich versuchen, immer mehr Menschen auf die Seite des Sieges herüberzuziehen; aber wir können nichts von den Idealen ablassen, ohne die Richtung des ganzen Menschenzuges zu ändern, den Zielen untreu zu werden, und zu mißachten, was wir bisher aus Erfahrung als das Rettende erkannt haben. Dahin kommt es niemals! Laß uns die Ausnahmen recht sichtbar ans Licht heben in unserm Leben; jedesmal werden sie uns an eine vergessene Schuld erinnern; aber zu Kommandorufen für die ewige Richtung des Zuges dürfen die Schreie derer, die nicht zu folgen vermögen, niemals werden; das wäre der Untergang aller, anstatt der einzelnen. Immer weniger und weniger werden ihrer; aber die Zeit kommt kaum je, daß ihrer nicht, was wir auch tun, leider allzu, allzu viele wären!

Dein Freund Vater.

13. April 1890.

Liebe Bergliot, Dein Brief mit seiner Entrüstung, weil ich es eine „Niederlage“ genannt hatte, daß Du nicht in der Matinee sangst, hat uns riesig ergötzt, und Dein Mut und Deine Lust freuen uns, — obschon wir natürlich auf einen zweiten, tief niedergeschlagenen, gänzlich zerschmetterten Brief gefaßt sind. Diesmal versicherst Du, Du könntest Dich nie mehr verlieben; wir sind sicher, daß bereits eine neue Verliebtheit im Anzug ist, Deine hundertzwanzigste! Aber mehr als alles andre hat mich gefreut, daß Du ein Buch wie das Zolas in Dich aufnehmen kannst, ohne von ihm anders gepackt zu werden, als das starke Bild packen muß.

Wenn Du von Zolas letztem Buch sagst, es sei die lautere Wirklichkeit, so wie kein anderes Buch, das Du gelesen hast, so beruht dies auf einem Irrtum. Dieser Kniff mit der Eisenbahn, mit ihr zu spektakeln, immer wieder und wieder, bis einem ganz schwindlig wird, ist ein alter Kniff von ihm, und an und für sich um kein Haar anschaulicher, als wenn Maupassant es in wenigen Zeilen gibt. Zola macht so lange fort, bis es zu hysterischen Vorstellungen wird, bis die Lokomotive zur Naturkraft wird im Geiste des Persönlichkeits-Jahrhunderts, zum Dampf-Geist.

Das ist Mystik, sind symbolische Schwindeleien, und nicht Wirklichkeit. Alle Wirklichkeit bei Zola wird verzerrt; er kann nicht einfach etwas so lassen, wie es ist; es wird schlimmer und schlimmer. Vergegenwärtige Dir einmal die Bilder und Personen, dann siehst Du es selbst. Und dann weiß er nicht richtig Bescheid über das, was er aus der medizinischen Wissenschaft bringt. So zum Beispiel hier, wenn er einen Menschen zeichnet, der einzig Wollust am Blut hat. Das ist völlig richtig; aber — wenn ich bitten darf — nicht zusammen mit sinnlichem Genuß, nein, an Stelle des sinnlichen Genusses. Wie es hier geschildert ist, wird der Mensch völlig unverständlich. — All der Schmutz, der da ausgegraben wird, all diese Morde und Selbstmorde, und all diese Verruchtheit, ... Du fühlst doch selbst, daß er da Ausnahmen schildert, ungeheuerliche seltene Ausnahmen, und das Leben nennt. Selbst in der Farbengebung, die sonst seine große Stärke ist, schwelgt er nachgerade so toll, daß es mich abstößt. Herrgott, was solch ein Buch für eine ungesunde Lektüre ist, und so verführerisch durch Häufung von ungewöhnlichen, grauenvollen sinnaufreizenden Orgien aller Art!

In dieser Woche will Arnoldson aus Schweden hierher kommen; Kristofer Kristofersen und Frau kommen entweder in dieser oder der nächsten, und Redakteur Holst will auch kommen.

Denke Dir, heute, am 13. April, liegt wieder einviertel Meter hoch Schnee, der Wald großartig unter der Last. Keine Überraschung hätte größer sein können als heute dies Erwachen. — Famoser Brief von Sansot gestern; grüß’ ihn von mir. Ich schreibe bald. Vorläufig nur, daß W. Lange in Berlin eine Übersetzung von „Es flaggen ...“ gemacht hat, die ich dem Schweizer zum Lesen anempfehlen kann. Es gibt auch eine deutsche Übersetzung (im Manuskript) vom „König“ von Fräulein Klingenfeld, München, Bayern, Gabelsbergerstraße 21, die der Schweizer bestimmt geliehen bekommt, wenn er darum schreibt. Mehr weiß ich ihm nicht zu sagen. Die Sansots halten große Stücke auf Dich, und falls ich sie, wie Sansot schreibt, 1891 hier begrüßen dürfte, so wäre das einer meiner glücklichsten Tage auf Aulestad. Für dasselbe Jahr habe ich geplant, mit der ganzen Familie nach Romsdalen zu reisen, und da könnten sie sich uns anschließen. Das würde eine Karawane! Meine geliebte Bergliot, ich habe oft gewünscht, das erstemal, daß Du in Norwegen öffentlich sängest, sollte es in Romsdalen, in Molde sein. Aber das sei in Dein Belieben gestellt. Dann reisten wir von dort nach Nässet, wo ich als Junge herumsprang, und dort versammle ich die Leute und rede zu ihnen. Ein großer Tag soll das werden, wenn das Wetter gut ist. — Wenn doch auch Ejnar mit dabei sein könnte! Die Volksversammlung soll an der Stelle stattfinden, wo der Kerl hingerichtet wurde, über den ich einst schrieb. — Ich kenne keinen schöneren Punkt in Norwegen, als den ganzen Bezirk dort. Ach, soll das eine Fahrt und ein Tag werden! Und den ganzen Weg da hinauf habe ich Freunde, also wir werden sehr vergnügt sein. Und dort uns auf den Fjorddampfern herumtummeln! Die launenvolle Lieblichkeit und ruhige Größe des Romsdalfjords geht über alle Beschreibung. Oh, wie vergnügt wir sein werden! — Ja, nun sag’ ich Dir für heut Adieu. Ich habe verlockende Bücher zu lesen und muß mich auch ein bißchen in meinen großen Stoff hineindenken. Es geht gut, geht uns allen vorzüglich, wir sind alle fröhlich und alle gesund. Hier ist die Stätte, wo gearbeitet wird. — Hast Du „Die französische Revolution“ von Carlyle gelesen? Ich lese den Freiheitskampf der Niederlande von Motley (einem Amerikaner), also über meinen Liebling Wilhelm von Oranien. Ein ganzes Leben lang immer unterliegen und dennoch ausharren, nicht nur selber, sondern auch alle anderen zum Ausharren anfeuern — ja, das ist mein Lebensideal! Das ist größer, als der größte Sieg, denn dazu gehören mehr und größere Eigenschaften als zu einem glänzenden, im Augenblick alle Kräfte anspannenden Sieg. — Und das versteht jeder, der weiß, was ausdauernde Arbeit, treuer Sinn und leuchtender Glaube bedeuten.

Dein Freund Vater.

30. April 1890.

Mein lieber, süßer Schatz, wie schön ist es jetzt, einen Brief von Dir zu bekommen, weil Deinem Gemüt eine feste Hoffnung aufdämmert; Du wirst sicherer und stärker dadurch. Es ist, als wäre jeder Brief eine Meile näher dem Ziele geschrieben, es ist, als hättest Du jedesmal geloggt und nachgerechnet und die Fahrt für gut befunden. Und die Zeugnisse anderer sagen dasselbe. Wir warten und warten auf Dich wie auf die Frühlingsschwalbe. Möchtest Du nun auch Glück haben zur Lebensfahrt und nicht wie ich Gegenwind das ganze Leben, — obschon er die Flagge so fröhlich wehen läßt.

Jetzt sollst Du aber hören: ein Franzose, Crépieux-Jamin, ist Graphologe (Schriftdeuter), und hat aus Dänemark drei Handschriften zugesandt bekommen: die Mark Twains, der Gräfin Danner und meine. Ich habe den dänischen Übersetzer seines Buchs gebeten, Dir ein Exemplar zu schicken, und da kannst Du selbst sehen, was er über mich sagt nach der Handschrift. Mutter und ich sind ganz platt. Ja, Du wirst ja sehen!

Wir werden Dir Garborgs neues Buch schicken, oder Du kannst es lesen, wenn Du hierher kommst. „König Midas“ besitzen wir nicht. Wir erwarten heute Kristofersen und vielleicht Lunde. Immer noch liegt Schnee in allen Spalten und am Wald; aber der Tag ist schön, der Altan ein Schutzdach gegen frische Brise, und der Bau drüben reift im Verein mit den Bäumen dem Sommer entgegen. Jetzt haben wir unser Haus wieder für uns, die Küche wird renoviert, und es ist still hier. Ein Frühlingstag in Norwegen zwischen den Bergen ist reicher als jeder andere, weil die Seele, die wir ihm entgegenbringen, gewaltiger sich sehnt und mehr erhofft, als dies anderen Völkern in einer andern Natur möglich ist.

Gestern las ich eine schwedische Kritik über mein letztes Buch; ich glaube, ich sende sie Dir. Sie war glänzend. Es heißt dort (nach einem andern schwedischen Kritiker), daß B. B. der am wenigsten blasierte von allen nordischen Schriftstellern ist. Ich glaube selber, daß das wahr ist.

Hier auf dem Hofe laufen fünf bis sechs Ferkel herum, schneeweiß und voller Leben, und ich muß bei ihnen an Dich denken. Ich glaube, Du wärst solch ein Kleines, wenn Du ein Tier wärst. Und dabei noch etwas von einem Vogel, vielleicht einer Schwalbe. Kleines Ferkel und große Schwalbe, eins und das andre, ich muß lachen. — Mutter hat sich in der letzten Zeit herausgemacht, sie ist „rund un woll“, wie sie hier sagen; aber mit dem Gehör ist es zu dumm. Übrigens steht es ihr gut, so als Sibylle dazusitzen und von dem einen und von dem andern ein Wort hier, ein Wort da zu borgen. Wenn es doch bloß wieder besser würde mit ihr! Ich kann und kann die Hoffnung nicht aufgeben. — Ich hatte wirklich Angst, Du könntest nicht mehr leben, nachdem Cavlings abgereist waren; aber Gott sei Dank, Du schreibst, als habest Du die Absicht, auch ferner am Leben zu bleiben. — Ich möchte gern wissen, ob Du einmal „La légende des siècles“ von Victor Hugo auftreiben könntest; eine billige Ausgabe. In diesem Falle möchte ich es haben. Und vergiß nicht, mir den Namen des Bildhauers zu schreiben, so, daß ich ihn lesen kann; Donnerwetter ja, dies ewige Elend mit den Namen! — Brief von Hejde und Frau Hejde; es geht ihnen brillant. — Dagny hat sicher große Begabung für Musik; aber keinen Fleiß, obwohl ich allmählich glaube, wenn sie eine gute Lehrerin hätte, käme der auch. Sie ist ja im ganzen sehr flüchtig; aber so lieb und so begabt! Sie ist jetzt im Alter des Romanlesens und der ewigen Freundschaften. Marie Hansen ist das Höchste auf Erden. Das heißt, vielleicht daß Dagny nun doch anfängt, auch an ihr Kritik zu üben; damit ist sie sonst rasch bei der Hand. Anna ist wirklich reizend; so lebhaft und klug; und so wohl wie sie sich bei uns fühlt! — Meine liebe Bergliot, Dank für alle Deine Briefe und für alle guten Nachrichten! Bewahre Dir Deinen Humor, härte Dich ab gegen Kritik und Widrigkeiten, werde stark! Und grüße Deine gute Wirtin! Du wirst wohl auch nächstes Jahr dort wohnen? Hast Du in letzter Zeit Deine Freundin besucht, das Mädchen bei Deinem alten Hausdrachen? Hast Du Gouzien vorgesungen? Bist Du bei Sansots gewesen? Voilà! Leb’ wohl! In Frühling und Arbeit, in schmucken Kleidern und Sonnenschein, in guter Gesellschaft und Vergnügen, bei guter Lektüre und gesunden Gedanken!

Dein Freund Vater.

Aulestad, 27. April 1890.

Liebes Kind, Du mußt das alles selbst entscheiden, Du steckst in Deiner eigenen Haut und in Deinen eigenen Kleidern, Du allein kannst wissen, wie müde Du bist, und was Deiner Gesundheit neben Deinem Gesang, oder vielleicht gerade um dessentwillen nottut.

Du mußt sofort Mad. Marchesi sagen, wofür Du Dich entschlossen hast. In jedem Fall: bleib nicht so lange wie gewöhnlich, komm nicht so elend nach Hause, daß Du abreisen mußt, eh Du wieder Bergliot geworden bist. — Möchtest Du bis zum 1. Juni bleiben, dann meine ich, solltest Du schon am 15. Mai bis zum 1. Juni bezahlen. Dann wirst Du ja hören. Aber bezahle lieber voll, als Streit anzufangen. — Entschließest Du Dich, schon am 15. Mai aufzuhören, so vergiß nicht, daß zwischen der Witterung im Norden und in Frankreich ein Unterschied ist, der Dich nicht zu Dummheiten verleiten darf. Du mußt Dich jedenfalls danach anziehen. Den einen Tag ist es hier ganz warm, den andern halber Winter bis Mitte Juni; besonders aber im Mai. Dein Arbeitsplan wäre nicht so schwierig, wie er Dir scheint, wenn nicht diese verteufelten Reisen wären. Aber Paris ist ja ohne Eisenbahnen. Richte Dich für die Reise hierher beizeiten ein. Und verlobe Dich nicht unterwegs! Komm heim und sei Bergliot toute entière et toute seule. — Diese „Köbenhavn“ ist wirklich ein grausiges, ganz grausames Blatt. Ich muß dabei an das Grüne denken, das in den Windeln der Säuglinge liegt. Mich dünkt, daß „K.havn“ überhaupt nicht just das im Norden repräsentiert, was gesund und stark ist; sondern das Überfeinerte und Frivole. — In den Zeitungen und Zeichnungen, die Du aus Paris heimschickst, ist ein ganz andrer Zug. Da wird das Kleine nie groß, das Gleichgültige nie wichtig; wir haben keinen gesunden Maßstab. Octave Feuillets letztes Buch solltest Du aufzutreiben suchen, ebenso Maupassants; ich sehe, man lobt sie beide sehr. Du mußt es billiger kaufen können als für den Ladenpreis. Übrigens kannst Du es auch lassen. — Keines von uns sehnt sich mehr nach dem Sommer als ich. Ich kann nicht arbeiten, es sei denn, es wird besseres Wetter, und am liebsten bei offenen Fenstern. Bringst Du das gute Wetter mit? Hier ist es scheußlich jetzt.

Wir sind ein bißchen in Sorge um Erling, es könnte ihm schaden, daß er so ohne Arbeit in vermögende Verhältnisse gekommen ist. Besonders Mutter ist besorgt. Aber es kann ja gut gehen, auch wenn er noch nicht weiß, wie er im Sattel sitzen soll. Ich halte mich von ihm zurück; ich habe ja kein einziges Interesse mit ihm gemeinsam; denn bei dem einzigen, das ich haben könnte, dem Betrieb auf dem Hof und dem Bau, fragt er nie um Rat und erzählt nie davon. Er ist vollkommen, er ist Selbstherrscher. Nun, Du wirst ja selber sehen! — Hier ist es öde. Diese Zeit ist schrecklich. Graue Erde, grauer Laubwald, unheimlich finsterer Tannenwald, Schnee auf den Höhen und in den Spalten, kalter Regen, kalte grüne Ansätze hie und da. Nirgends ein Mensch. Die Bücher gleichfalls kalt. Kalte Kritiken in den Zeitungen, unerfreuliche Politik daheim und draußen, Unfruchtbarkeit und Mutlosigkeit der Mittelmäßigkeit überall. Ich langweile mich. Komm Du heim mit Sommer, mit Mut, mit Gesang, mit Zukunft! Dann bin ich in guter Laune, wie einer, der in einen dichterischen Zauberkreis gebannt wird, wo es nichts Graues gibt.

Dein Freund Vater.

4. Mai 1890.

Liebes Kind, Dank für Deinen langen Brief! Ja, jetzt ist er gekommen — in wenigen Tagen — voller, voller Sommer, alle Fenster und Türen auf, Sonne über dem Altan, Hähnekrähen und Vogelsang den lieben langen Tag, und Glocken und Hammerschlag und der Klang der Egge an den kleinen Steinen.

Also vermissen wir auf Aulestad jetzt nur noch eines, und das ist unser Pariser Singvogel. Das beherrscht in dem Grade meine Stimmung, daß ich nur mit der größten Überwindung an Dich schreiben kann. Du bist nicht dort, sondern hier. Und die Briefe sterben aus Sehnsucht nach dem Menschen.

Ich habe eben ein Buch bekommen: „Pepitas Hochzeit“ von Heidenstam (einem Schweden), das völlig übereinstimmt mit meinem Aufsatz „Die neue Kunst“. Ich möchte wissen, was z. B. von Garborg übrigbliebe, wenn die poetische Kraft, mit der hier geschildert wird, ausschlaggebend würde? Da würden nicht viele von diesen Matt in Matt-Kopien bestehen können. — Ich bin durchaus einverstanden, wenn geschrieben wird, daß jeder, was die Kunstform anlangt, seine eigene Art haben dürfe; — seine poetische Fülle, das Wesen und der Reichtum seiner Persönlichkeit seien es, die über den Eindruck entscheiden. Bin ganz einverstanden — nur nicht mit der Leichtfertigkeit. Man darf nicht um den Augenblick die Zukunft verkaufen. Ich verstehe auch die nicht, die, um fröhlich zu sein, absolut Punsch brauchen. Ich antworte immer: ich kann genau so fröhlich sein wie ihr, ohne daß ich Punsch trinke. Auch verstehe ich nicht, daß nicht zwei Verschiedengeartete fröhlich sein und sich aneinander freuen können, ohne daß sie sich sofort in die Haare geraten müssen. Wird nicht gerade durch die Kraft der Selbstbeherrschung die Freude etwas, das unser Leben bereichert, das Wesen der Persönlichkeit stärkt und die Selbstachtung und die Achtung anderer in eins verwandelt? Gib Dich hin da, wo Dein Herz Heimat und Zukunft gewählt hat; sei fröhlich ohne diese letzte Hingebung überall da, wo Menschen für dasselbe leben wie Du. — Übrigens sind das Dinge, über die man nicht zu streiten braucht, das Blut entscheidet hier; die Starken (weil sie selbstbeherrschend gewesen sind) erzeugen Starke, die Schwachen (weil sie Schweine gewesen sind) erzeugen Schwache. Und die Welt gehört den Starken.

Hier ist das allerherrlichste Wetter, Du! Aber wirst Du Dich auch hier wohl fühlen können ohne irgendwelche Abwechslung vier Monate im Jahr? Ich hätte an Sansots schreiben sollen; na, ich hol’ es nach. Sag’ ihnen, daß Ernest Tissot mir soeben ein Buch geschickt, das er herausgegeben hat: „Les évolutions de la critique française“. Es ist ausgezeichnet. Die Librairie académique Didier hat es herausgegeben. Das ist der Tissot, über den ich Sansots geschrieben habe, weil er an mich schrieb; er wünschte eine Studie über meine Werke zu schreiben. Ich sagte ihm zu, schien es.

Meine geliebte Bergliot, wir sehnen uns zu hören, was Du beschlossen hast. Du freust Dich selbst so sehr, daß auch wir unsre Freude auf das Wiedersehen aussprechen dürfen.

Dein Freund Vater.

8. Mai 1890.

Sonntag, nachdem ich vormittags an Dich geschrieben hatte, fuhren wir zu Amtmann Nielsens. Frits Hansens Kinder sollten den ganzen Tag dort sein. Aber während wir gerade gemütlich bei Nielsens saßen, kamen plötzlich Frits Hansen, Ingeborg Hansen und der Hauslehrer! Sie wußten, daß wir da waren. Ich ging sofort in den Garten, der Amtmann hinterdrein, und nun waren also zwei Parteien, eine im Garten und eine drinnen, Amtmanns völlig verzweifelt. Und nun alle Menschen (und Mutter nicht als letzte) auf Frits Hansen los, der sagte, er wäre einzig gekommen, um es wieder gut zu machen. Aber erst müsse er mich um Entschuldigung bitten. Und so kam er denn heraus in den Garten und machte es sehr nett, indem er immer wieder und wieder versicherte, es sei niemals seine Meinung gewesen, ich wäre ein weniger ehrenwerter Mann, als irgend einer von ihnen. Und er war überhaupt so überströmend liebenswürdig, daß ich mit Herz, Seele und Sinn mich ergab; und am andern Tag kam er hierher, den Tag darauf waren sie beide hier zu Annas Geburtstag und gestern wir bei ihnen oben zusammen mit allen Vonhejmsleuten. Es ist ein altes Wort: alte Liebe rostet nicht, und das hat sich wieder auf beiden Seiten bewahrheitet. — Wir sind sehr froh darüber allerseits, sehr, sehr froh.

Kristofer Kristofersen und Frau sind hier; sie sind so sehr gemütlich, besonders er. Schlicht, klar, warm. Sie lassen Dich herzlich grüßen. Sie wollen den Sommer über auf Solhejm wohnen. Überhaupt werden eine Menge prächtige Menschen hier sein im Sommer. Und ich will im Sommer nur Gedichte machen. Jeder Mensch muß zugeben, ich bin so jung an Kraft und Saft, als wäre ich (aufs Haar) knapp über 40. Wenn das so fort geht, dann muß ich ja ein sehr alter Knabe werden. — Denk Dir, heute wollen wir nach Sönstevold, um zu beschließen, daß in Gausdal Telephon gelegt wird! Telephon in Gausdal! Telephon bis in unsern Flur, und da stehen und mit Kristiania sprechen, so wird es enden!

Ob Du heute einen Brief von Mutter bekommst? Jedenfalls ist sie bei Dir mit allen ihren Gedanken. Ich war so erfüllt von der Frage, wann Du nach Hause kommen würdest, und sie nicht minder, daß ich nun voll Betrübnis Deinen Brief ihr zugehen lasse, zugleich mit diesem.

Wir wollen alle hinüber zu Peter Sletterud, deshalb beeile ich mich so. Sie warten alle auf mich. Wenn Du es bloß lesen kannst!

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, Du hättest in Norwegen sein sollen und dies Winterauftauen sehen! Es erscheint mir gar nicht anders möglich, als daß in einem Volk, das unter diesen alljährlichen Eindrücken lebt, der Glaube wachsen muß, auch die schlimmsten Hindernisse und Schwierigkeiten müßten weichen vor einem frischen Frühlingswillen in uns selbst. Der Schnee ging den Leuten bis unter die Arme, sobald sie außerhalb der gebahnten Wege gingen; und die Wege vereist, um sich Arme und Beine zu brechen. Entsetzlich kalt manche Tage, ziemlich warm an anderen, niemals gleich, immer unsicher.

Und dann eines Tags ganz unvorhergesehene Wärmegrade; anfangs ein Tröpfeln von den Dächern, Rinnsale auf den Wegen, Ballen unter den Pferdehufen; aber dann Schneestürze von den Dächern, daß die Häuser erbeben, Bäche durch die Gehöfte und Wege, der Schnee geht scheffelweise jeden Tag, Schlamm und Eis ein Brei, und alles Wasser schwarz. Wo Du gehst, ein Murmeln von Bächen, Funkeln in der Luft, blauer Dämmer im Schnee und unter den Vögeln eine Lustigkeit — die Hühner kommen heraus, die Hähne krähen, die Schweine laufen wie wahnsinnig; die bisher noch nie draußen gewesen sind, stehen ganz still, die Köpfe aneinander gedrängt und getrauen sich keinen Fuß zu rühren; die Pferde wälzen sich und sausen vorüber in rasendem Trab, und die Menschen mit Hacken, Spaten, Schaufeln, Beilen, um die Wasserströme zu regulieren und ihnen Wege zu graben, daß sie nicht den ganzen Hof mit sich fortfegen. Die Luft so stark, daß einem schwach wird, wenn man zu lang darin bleibt.

Und nun muß ich ein Lied für Dich abschreiben:

Wann wird es wirklich Morgen?

Wenn goldner Strahlenglanz

Über Firnen hüpft im Tanz,

Tief in den Abgrund dringend,

Beschwingend

Den zum Lichte kletternden Stengel,

Daß er sich träumt als seligen Engel.

Dann ist es Morgen,

Wirklich, wirklich Morgen.

Doch wenn’s wettert und sprüht

Und krank mein Gemüt,

Kann das Morgen sein?

Nein.

Wohl ist es wirklich Morgen,

Wenn Blümlein im Frühlicht blinken,

Und Vöglein Tautropfen trinken

Und zwitschernd dem Baume zum Lohne

Eine Krone

Von jungfrischem Grün versprechen,

Vom Meere erzählen den sehnenden Bächen.

Dann ist es Morgen,

Wirklich, wirklich Morgen.

Doch wenn’s wettert und sprüht

Und krank mein Gemüt,

Kann das Morgen sein?

Nein.

Wann wird es wirklich Morgen?

Wenn die Kraft, die das Leid durchdringt,

Sonne der Seele bringt,

Wenn in Deinen Armen

Erwarmen

Alle die Menschen, groß und klein,

Dann gegen alle nur gut zu sein.

Dann ist es Morgen,

Wirklich, wirklich Morgen.

Die gefährliche Kraft,

Die das Höchste schafft,

Ist sie’s, die Dir nah?

Ja.

Grüße Griegs vielmals von uns und geh gleich zu ihnen.

Dein Freund Vater.

p. t. Lillehammer, 18. Mai 1890.

Liebe Bergliot, ich sitze hier bei Lundes, Sonntag, den 18. Mai, und schreibe ein paar Worte, damit Du nicht vergessen sein sollst. Wir fuhren gestern im herrlichsten Wetter hierher, der Wagen mit grünem Birkenlaub geschmückt, so daß wir in einem Zelt saßen, Erling auf dem Bock, Anna, Kristofersen und ich drinnen. Unsre seidne Flagge voran. Kein Mucks, weil ich dasaß und über meine Rede sann; aber alle, denen wir begegneten, wurden froher Laune, und in der Stadt große Freude. Auf dem Markt ein paar Tausend Menschen und die Stimmung gut. Am ersten Pfingsttag kommen die Rindalsleute, Gustums und einer von Svartum zu uns. Um Johanni soll ich hinunter nach Sarpsborg und dort im liberalen Verein des Smålener Bezirks reden. Vielleicht können wir uns dann auf Torö bei Frau Möller treffen. Du kommst ja diesmal auf dem Landweg und bleibst ein paar Tage bei Hegels? — Mutter will nicht vor dem Herbste hin, sie reist dann mit Dir. Ich wollte, der Teufel holte die Matinee in der Salle Erard! Deinen Brief mit den Montmartre-Schilderungen schicke ich Mutter. Dann ist ein lieber Brief von Ragna Kristensen eingetroffen, die Dagnys Lehrerin werden sollte und am liebsten sofort gekommen wäre; aber nun hat Jenny eine Stellung für sie gefunden als Gesellschaftsdame bei einem reichen Herrn, Dr. Rohde, der eine kranke Frau hat und ein Kind, mit denen er nach Paris will. Kennst Du Ragna? Ihr werdet sehr gute Freunde werden!

Dr. Georg Brandes ist in Kristiania. Sein Zweck ist lediglich, indirekt und direkt mich unmöglich zu machen. Thommessen sein getreuer Helfer. Aber seine Zeit ist vorbei.

Mein guter, lieber Schatz, Dein letzter Brief atmete Zuversicht und Freude, und es tat mir wohl, das zu lesen. Wärst Du nur bald bei uns! Ach, wie schön es jetzt hier ist! Nach einem starken Regen hat alles starke Fortschritte gemacht; ein Duft gestern von Vogelkirsche und Birke ohne Unterlaß, und die Sturzbäche dampften. Aller Frühling ist ein Bild des Starken. Ich schloß meine Rede gestern mit einem Bild von zwei Staren, die an der Südecke unsres Hauses sich ihr Nest gebaut haben. Das Männchen sitzt auf dem Knauf der Flaggenstange und singt ihr vor und spielt und unterhält sie, während sie sitzt und brütet. Und sein Spielen und Singen deute ich als die Festtage zwischen den Arbeitstagen; sie sangen und spielten auf für die Frühlingsarbeit im Land. — Aber komm nun auch Du und singe und spiele auf für die Frühlingsarbeit, die Zukunftssaat — erst in Deinem Vaterhaus und später für das ganze Land. So alt wir sind, wir haben den Glauben, daß es der Frühling ist, dem wir dienen, und die Arbeit ihr neues Lied verdient.

Dein Freund Vater.

22. Mai 1890.

Du Liebe, Liebe, um 11 Uhr gestern abend (denk Dir, erst um 11!) kamen Frau Karoline Björnson und John Lund (die sich unerwartet getroffen hatten) hier an, am Pfingstabend also, und heute, am Pfingstsonntag, habe ich die schöne Zeit verplaudert; vollständig vergessen, daß wir eine Bergliot in Paris haben; also dieser Brief wird nichts als eine Wurst sein. Aber fressen mußt Du sie doch, von einem Zipfel zum andern.

Du Liebe, Süße, wie hübsch Dein letzter Brief zu lesen war! Wenn Du Dich nur nicht in zu viel Geselligkeit verzettelst! Aber Du hast den Leuten gegenüber ja keine Verpflichtungen; Du kannst in Gesellschaft gehen und es lassen. Enfin! So wenig davon wie möglich. Und zugleich viel Freude und Vergnügen dazu! — Kein Mensch auf der Welt brächte mich dazu, in einer Matinee oder sonst wo etwas anderes zu singen, als was mir selber paßte. Kein Mensch! Ich würde diese Bedingung stellen und mich um keinen, keinen Preis davon abbringen lassen. — Hier ist das allerwundersamste Frühlingswetter, ein paar Tage lauter Sonnenschein, den nächsten Tag Regen, und das abwechselnd Wochen hindurch. Dieses Jahr muß, falls es lange so anhält, großartig werden. Gestern ließen wir die Kühe heraus. Einen so schmucken Viehbestand, wie unserer jetzt ist, haben wir noch nie gehabt. Es war ein schöner Anblick. Hansens und Kristofersens teilten ihn. Gestern badete ich auch zum erstenmal im Freien. Prächtig! — Mutter ist recht müde. Die Ärzte in Kopenhagen sind einstimmig der Ansicht, daß ihre Taubheit von Nervosität herrührt, und daß sie nur dann abnehmen oder wenigstens nicht weiterschreiten könnte, wenn ihre Nerven sich besserten.

Ich glaube, das ist anders; ich glaube, die Heilkunde muß hierin erst Fortschritte machen. Der Hypnotismus spielt unter anderm da eine große Rolle. Ferner müssen Instrumente erfunden werden, vermittelst derer schwache Ohren hören, wie vermittelst der Brillen schwache Augen sehen.

Lund und Mutter kommen mit den widerlichsten Erzählungen über die Bohêmerei heim, und ich muß schon sagen, solche Kerle sind nicht gefährlich.

Heute habe ich 13 — sage: dreizehn — Bauern zu Tisch und Mutter und John Lund als Extragäste. Karen ist rein aus dem Häuschen. Frau Hansen hat uns Fisch geschickt, so daß wir wohl über das Schlimmste wegkommen. — Gestern war ich oben und sah mir ein Fohlen von „Spellet“ an; Erling kaufte es auf dem Fleck, so entzückend war es. Nun warten wir auf „Musmärra“, auch bei ihr ist es bestimmt sehr bald soweit. In diesen warmen Tagen haben wir voll Mitleid an Dich gedacht; ich glaub’ es noch nicht recht, wenn Du sagst, Du seist gesund; es kann ein Umschlag kommen. — Das Haus ist nun fertig in Mädchenkammer und Küche und Speisekammer; alles andre mehr oder weniger unfertig, und dann fehlt die Holzverkleidung außen. Die Leute hatten mit der Frühjahrsbestellung zu tun, deshalb geht es so langsam mit dem Bau. — Schön wird es, wenn es fertig ist, und einen großen, flotten Hofraum gibt es rundum! — Anna ist ein prächtiges Mädchen; nie etwas Unangenehmes los mit ihr; sie hat es eigentlich früher nie in ihrem Leben recht gut gehabt, bis jetzt; das trägt auch dazu bei, daß sie so fröhlich ist. — Mutter erzählt, „Das neue System“ werde in Kopenhagen beständig vor vollen Häusern gegeben. „König Midas“ dagegen ist unwiderruflich abgetan. „Das neue System“ bezahlt ein gut Teil für Dich.

Sonst nichts zu berichten. Ich freue mich, daß Thaulows (und nicht Tauwlows) freundlich zu Dir sind. Ich halte große Stücke auf ihn; aber in einigen wesentlichen Punkten ist er nicht so, wie ich ihn haben möchte. Ich gehe indessen davon aus, daß eine solche Naturkraft so sein muß, wie er ist. Im Verhältnis zu mir fordere ich Treue, und die, denke ich, hat er. Ich meinte, er sei ein Freund von Chr. Krohg; aber seitdem ich hörte, daß er das nicht ist, ist alles andre mir gleichgültig, z. B. daß er mich Ramseth genannt hatte. Er ist ja ein großes Schwatzmaul. — John Lund sitzt hier und wartet auf mich, ich muß schließen.

Dein Freund Vater.

Ich meine, Du solltest über Kopenhagen fahren, um Hegel zu danken, der so gut gegen Dich ist. Dort haben wir gute Freunde, und die soll man festhalten. „Auf dem Wege zu Deinem Freund soll kein Gras wachsen.“

Aulestad, 22. April 1892.

Süße Bergliot, die Sache mit dem Gelde mußt Du nicht so tragisch nehmen. Du kannst Dir doch denken, daß Mutter und ich immer genug zum Leben haben werden, und könnt Ihr uns etwas wiedergeben, so ist es gut; könnt Ihr nicht, so ist es auch gut. Dafür leben wir doch nicht. Und am allerwenigsten ich, der den größten Teil seines Lebens für andere gelebt hat. Das ist ja die einzige Freude, die ich habe.

Deine Stimme läßt Dich noch immer bisweilen im Stich; — ich bin sicher, sie wird Dir eine Lebensfreude werden, wie sie in ihren guten Stunden die unsre ist. Wenige Menschen können so hell ins Leben schauen wie Du, die zweifellos großen Aufgaben und mancher schönen Tat entgegengeht.

Wir müssen unsern Lebensmut hüten, er ist unser höchster Schatz. Gut essen, gut schlafen, das Rechte tun, gute Menschen in unser Herz schließen und die Zerstörungslust der anderen hindern, das erhält den Mut in uns. So ausgerüstet und begabt und geliebt, wie Du bist, — — Bergliot!

Du kannst überzeugt sein, ich leuchte Jonas Lie heim; denn ich habe Briefe gefunden, die alles bestätigen, was ich gesagt habe. Ich glaube nicht einmal, daß er es selbst erlebt haben kann; dazu war der Konflikt in Rom wegen der gleichen Angelegenheit zu heftig.

Grüß’ Ingeborg, an die ich niemals wieder schreiben darf, und Björn, der bereits seine Sommergage erhoben hat — wozu? Hier ist alles wohl; meine Herzbeschwerden gänzlich vorüber.

Dein Freund Vater.

Roma, Quattro Fontane 155. Sonnabend,
24. April 1894.

Ihr solltet uns in Schwaz treffen und mit uns weiter gehen nach Italien. — Ihr werdet nie Italien sehen, wenn Ihr es nicht jetzt seht. Das „nie“ meine ich nicht so bitter ernst; denn sicher kommt Ihr einmal hin. Aber nicht jetzt, nicht in Eurer Jugend, nicht zusammen mit so vielen guten Freunden, wie die, die wir hier um Euch versammeln, und dann zusammen mit Ejnar und uns; denn Ejnar kommt zum Herbst heim, wir hatten kürzlich einen Brief! Ihr solltet das unbedingt tun! Erst nach Tirol, dann nach Rom; — was sollten das für Tage werden! Und wie Ihr Euch nach einer Veränderung sehnen müßt! Selbst die alten Ibsens müssen Eure Sehnsucht verstehen — und auch unser Recht, Euch und den kleinen Buben einmal zu genießen. Und der Gedanke, den Du verlauten ließest, über Dagnys Gesang die Führung zu übernehmen, hat sich in mir festgesetzt. Sie hat Anlage für Musik; ich sehe das an ihren Fortschritten auf dem Klavier, obwohl sie kaum spielt. Und dann bedarf sie eines Anhalts. Sie zerfließt reineweg in bloßer Konversation. Ihre schwache Gesundheit hat bisher jede Regel und Anstrengung unmöglich gemacht; aber jetzt ist das anders; sie wird kräftiger. Sie macht hier großes Glück und ist selbst glücklich. Sie ist auch in allen Stücken ein braves, kluges Ding, und hübsch. Aber sie muß nun ein festes Interesse haben. Ich denke, es ist keinerlei Opfer für Euch, ihr dieses zu verschaffen; aber selbst wenn es das wäre, so ist sie es wohl wert. —

Der Maler Ross ist uns ein guter Freund. Er hat sich zu einem gutartigen (obwohl etwas scharfzüngigen) Weltmann entwickelt, ohne jede Spur von Unarten oder Snobismus; er gehört zu den angenehmsten und gefälligsten Bekanntschaften, die man haben kann; — und uns ist er außerdem, und ist es stets gewesen, der beste Freund. Ihr werdet beide Eure helle Freude an ihm haben. Seine Freunde hier sind auch die meinen, und edlere, natürlichere, gebildetere Männer und Damen hat das europäische Gesellschaftsleben nicht aufzuweisen — außer etwa in Kreisen, die ich nicht kenne. — Wir erfuhren gestern zu unserer Überraschung, daß „Die Neuvermählten“ am Montag, den 23. im Valle-Theater aufgeführt werden sollen! Man fragte mich, ob ich nicht der Generalprobe beiwohnen wolle, morgen — Sonntag —! Die genieren sich nicht. „Ein Fallissement“ geht über ganz Italien und hat großartigen Erfolg. Nun sollen auch „Die Neuvermählten“ und „Geographie und Liebe“ folgen. Aber ich bekomme nicht einen Schilling. Das einzige, was ich davon habe, ist die Freundschaft des Übersetzers, eines vortrefflichen, liebenswürdigen Mannes. Ich habe auch in Rumänien einen liebenswürdigen Übersetzer gefunden; aber, wie gesagt, ihre Liebenswürdigkeit ist der ganze Gewinn. Ich hatte jetzt Gelegenheit, meine neue kleine Erzählung (sie ist in den Zeitungen angekündigt worden) ins Deutsche, Französische, Englische, Russische, Italienische, Ungarische, Rumänische, Tschechische, Littauische und Kroatische übersetzen zu lassen!! Ich habe laut aufgelacht über alle die Nein, die ich in die Welt hinaussenden mußte (außer an den Engländer), weil Hegel das ganze Buch, in dem die Erzählung stehen sollte, vertrödelt hat! Er hat es seit November, und hat jetzt vier — sage: vier — Bogen fertig gedruckt. — Mir ist solche Geschäftsordnung unbegreiflich.

Wir sind alle bei vorzüglicher Laune. Meine Krankheit unterbrach sie eine Weile; aber wir sind darüber weg, seitdem wir die nötige Vorsicht gelernt haben. Ich habe Schwindelanfälle, und ich vertrage nicht viel, ohne daß ich müde werde. Aber es geht gut vorwärts. Im übrigen stecke ich mitten in der größten Arbeit, die ich je vorhatte, und bin ungeduldig. Mutter sieht vorzüglich aus und erregt großes Aufsehen in den Gesellschaften, so hübsch ist sie; sie ist ungemein munter — außer wenn sie Briefe schreibt.

Entwirf nun einen klugen Kriegsplan, wonach Ihr ein Jahr lang mit uns hier unten zusammen sein könnt! Oder wenn es nur ein Besuch wird, bis Sigurd nach Hause berufen wird ... Er und Du habt dann auf alle Fälle den Sommer in Tirol und den Oktober in Rom, die schönste Zeit für Italien! Küsse den kleinen Tankred, grüss’ Deinen Herzensmann und die alten Ibsens und andre Freunde von

Deinem Freund Vater.

Besonders Sörensens!

Bitte Sörensen, daß er mir noch eins von Utheims Büchern schickt, ich habe das erste zu Agitationszwecken weggegeben. Er verschickt sie wohl an Zeitungen und Reichstagsabgeordnete in Schweden?

Ich wäre ihm sehr dankbar, wenn er Sars’ Abhandlung und Utheims Buch an Prof. Fridtjof Holmgren in Upsala senden wollte. Er war neulich hier (auf dem Ärztekongreß), und ihm fehlten die Beweise für das Recht unsrer Sache. Einem Mann wie ihm dürfen sie nicht fehlen.

Dein Freund Vater.

Wie ich den Brief zusammenfalten will, erhalte ich folgendes Telegramm von L’Arronge, Direktor des „Deutschen Theaters“: „Außerordentlich beifällige Aufnahme. Habe mehrmals für Sie danken können. Alle großen Zeitungen voll Lob. Gruß, Glückwünsche. L’Arronge!“ Hurra, hurra; das bedeutet nämlich ganz Deutschland! Und für mich folglich ein ganzes Kapital.

Schwaz, Tirol, 29. Mai 1894.

Liebe Bergliot, Du kannst Dir denken, wie uns Deine Schilderung des 17. Mai ergötzt hat! Und daß ich einen Vertreter von meinem Fleisch und Blut und Temperament hatte, machte mir nicht am wenigsten Spaß.

Hierher kam an dem Tage — ohne an den Tag zu denken! — Z. mit Frau. Wir tranken „Vöslauer Schaumwein“, und vielleicht waren es Zeit und Ort und Stimmung, die es bewirkten; aber der beste Champagner behagt mir nicht so wie dieser. Es ist ein süßes Singen darin, ein Preislied auf Tirol an einem klaren Tag und das Echo dazu. Ihr müßt ihn, falls er aufzutreiben ist, kosten und ihn auf den Tiroler Sommer trinken, obwohl er ein Stück weit von Tirol geboren und gewachsen ist, aber doch in derselben Art Natur, wie man sagt. Z. war völlig der Alte, nur fand ich ihn noch häßlicher, schiefbeinig, buckelrückig, langarmig, und die fette Zunge immer vorne zwischen den Zähnen. Aber wie klug und anhänglich und treu er ist! Seine Frau hat ihn vom Vegetarianismus abgebracht; sie hat die Hosen an. Aber sie ist eine brave Person und so innig anhänglich an ihn, wie bloß eine erlöste Gouvernante es sein kann. Sie ist hübsch, „besonders wenn sie einen Schleier um hat“, fügen Dagny und Mutter hinzu. Für die, die besser sehen als ich, soll sie etwas Angejahrtes haben, wenn sie ihn heruntertut. Sie ist groß, schlank, dunkelhaarig, mit schönen Augen. Nun habe ich es so weit gebracht, daß ich französisch (mangelhaft) sprechen kann über Gott weiß was alles, und bis ich wieder nach Italien zurückkomme, werde ich es ebensoweit im Italienischen gebracht haben. In Rom mußte ich eine ganze Menge der neuesten Belletristik lesen, um mein Urteil abzugeben. Die italienische Jugend ist so naiv, frisch, poetisch, es ist eine Freude, mit ihr zu verkehren. Ich begreife vorläufig nicht, was der Grund ist, daß ihre sozialen und politischen Verhältnisse so bedauerlich im Rückstand sind. Daß kein großer Reformator ersteht. Ich glaube, Italien gibt zum drittenmal der Welt einen neuen Anfang, oder vielleicht besser: zum vierten Male, wenn das Papsttum ebenfalls als solcher gerechnet wird. Die Römerherrschaft, das Papsttum, die Renaissance. Kein andres Volk hat solchen Reichtum besessen, und wenn ich unter der Jugend bin, so habe ich den Eindruck, als sei er noch immer da.

Du mußt Sigurd erzählen, daß sein ganzer Vergleich zwischen Leo dem Dreizehnten und Gladstone in die „Review of Reviews“ aufgenommen ist. Aber sage ihm auch, daß ich nicht gemeint habe, er müsse in einer Berliner Zeitung dem entgegentreten, was sie über mich oder den Kampf in Norwegen gesagt haben; ich schere mich den Teufel um ihre Niedertracht; nein, eine kurze Darstellung dessen geben, um was es sich handelte; denn darüber herrschen nachgerade irrige Anschauungen. Die Schweden sind sehr fleißig gewesen. So schlecht, wie es mit dem Parlamentarismus steht in Europa, und so fest, wie sich der Satz eingebürgert hat, daß die Norweger Wirrköpfe sind, ein Haufen Abnormer — ist die Lage nicht ohne Gefahr.

Die Mutter ist von einem Magenübel geplagt, wozu mitunter starke Rückenschmerzen kommen. Gegen diese gebraucht sie Salicyl, und mit gutem Erfolg, aber die Magenbeschwerden kommen häufig wieder. Heute weint sie vor Schmerzen. Bis dato ist es nichts Ernsteres; Malthe untersuchte sie in Rom; aber es muß ja ernst werden, wenn nichts dafür getan wird. Dann ist es wieder acht bis vierzehn Tage gut, aber kaum länger. Das schlägt auf die Stimmung. Es wäre eigentlich ganz gut, wenn Du eines Tages zu Malthe hingingst. — Bitte Sigurd, mir zu sagen, was er über die Wahlen denkt. Jetzt ist also die Zeit gekommen, da, wie ich erwartete, das Ministerium Steen Kopf oder Schrift spielen würde mit dem schwedischen König, der gleichzeitig der unsre sein soll. Jetzt hätten die Bewilligungen für Konsuln und Diplomaten, die schon in der vorigen Session vorbereitet und angekündigt wurden, abgelehnt werden müssen. Und die Regierung müßte vor die Alternative gestellt sein, entweder zu gehen oder die Wahlen über am Ruder zu bleiben. Dann hätten wir unser Ministerium bis jetzt gehabt und ständen zehnmal besser da in den Wahlen.

Dagny spielt wirklich recht gut. Sie macht im ganzen große Fortschritte.

Peter hat uns alten Käse geschickt, Dikka geräucherten Lachs, wir sind jeden Tag „auf den Fischbrücken des Westlands“ und im Vorratshaus und haben ein so echtes Konterfei von Norwegen, wie kein Gedicht es stärker oder wahrer geben kann. Siehst Du Peter, so umarme ihn, Dikka ebenfalls! —

Erzähl’ auch von Cato! Wir müssen doch von Cato hören! Ihr dürft Cato niemals weggeben, finde ich. Er war Euer erster Hausgenosse, und Zuschauer von Anbeginn des Anbeginns und Zuhörer von Tankreds erstem endlosen Geplärre. Wenn Dagny davon erzählt mit dazupassenden Bildern von Sigurds mannhaftem Zorn, Deiner Verzweiflung und Catos Verzweiflung am ganzen Leben, lachen wir, daß wir uns den Bauch halten.

Mit meiner Arbeit geht es gut jetzt. Björns und Ingeborgs Triumphe in Kopenhagen haben uns furchtbar gefreut. Grüße Sigurd und Tankred, Peters und die alten Ibsens vielmals von

Deinem Freund Vater.

Schwaz, Tirol, 22. Juni 1894.

Liebe Bergliot, Mutter soll nach Innsbruck; wir warten nur auf Geld. Dort ist ein Arzt, der berühmt ist wegen seiner Kuren für Magengeschichten. Es kommen viele von weither zu ihm.

Es freute mich, daß Du kein Hase warst. „Absalons Haar“ ist das Stärkste, was ich geschrieben habe, weil es die teuerste Erfahrung meines Lebens ist. Wer Dichter ist, und das auf meine Weise ist, und etwas so Fürchterliches erlebt, und dann nicht das Seine tut, um zu warnen und die Wiederholung im großen und kleinen zu verhindern, der wird seiner Aufgabe untreu. Rücksichten wie: dann sagen die Leute das, und dann denken sie so von Dir, nehme ich nicht. Ich gehe drauf los, und dafür sollten alle einstimmig mir danken und mich ehren. So habe ich ja mein ganzes Leben lang gehandelt, und das wollen die Leute nie sehen, und es mir nie lohnen. Denn Aufopferung wird ihren Lohn und ihren Ruhm haben, wenn die Zeit gekommen ist. Sie ist nämlich ein Vorschuß, den starke und gesunde Menschen auf das Ganze nehmen.

Rache? — Nicht ein Wort der Rache, nicht ein Wort der Bosheit findet sich in der Schilderung, um die es sich hier handelt. Derartiges verdunstet mir, wenn ich vor dem Ernst der Aufgabe stehe. Ja, mehr noch: ich wehre mich dagegen, ganz entschieden. Um sicher zu gehen, lasse ich mindestens ein Drittel von dem, was das Bild verschlimmern könnte, weg und rücke den Rest in das Licht des Verstehens vom psychologischen Gesichtspunkte aus. Ihr, die Ihr das Modell kennt, wißt alle, daß ich auch diesmal so verfahren bin. Ich werde später darüber öffentlich etwas schreiben, falls kein anderer es kann oder will.

Tausend Grüße an Euch alle!

Euer Freund Vater.

p. t. Schwaz, Tirol, 25. September 1894.

Liebe Bergliot, was ist denn das für ein Unsinn, daß Du uns etwas von dem Gelde, das wir für Deinen Gesang ausgelegt haben, zurückbezahlen willst! Das ist doch Deine Mitgift. Es wird sich mit der Zeit schon zeigen, daß diese Mitgift sehr bedeutend ist. Es freut uns sehr, daß Du glaubst, diese Zeit sei bereits gekommen.

Ich freue mich über die Drontheimer Wahl; aber wenn ich das Wachsen der Rechten in Akershus und im Westland sehe, dann merke ich wohl, daß die Wahlen im ganzen nicht nach Wunsch ausfallen. Leider! Eine falsche Taktik wird von den besten Reden nicht aufgewogen. Es sieht ja aus, als könnten wir in einem ganzen Menschenalter diese Bezirke nicht gewinnen. — Das ganze Ausland ist gegen uns. Ich glaube auch nicht, daß wir dem Ausland das Verständnis beibringen können, ehe wir unserer Unabhängigkeit ein Ziel stellen, das alle fassen. Dieses kann einzig sein: Schiedsgerichte für alle vorkommenden Fälle, und ein Ansuchen deswegen in allererster Linie bei Rußland. Wenn das Ausland einsieht, daß es das ist, dem die Schweden sich widersetzen, werden ihm die Augen aufgehen. Wie lange soll ich diese Weise herleiern, ehe ich die Leute mitkriege?

Dein Freund Vater.

Liebe Bergliot, schon jetzt kann ich aus den Wahlen sehen, daß die Rechte sich behauptet. Die Linke bringt es zu keiner Zweidrittel-Majorität; und dann begreife ich nicht, was Ihr daheim wollt, besonders wenn auch Ibsens reisen. Ich werde die Reise nach dem Süden für Euch bezahlen, falls sie jetzt stattfindet, d. h. diesen Herbst. — Nimm Dich in acht vor Arlbergs allzu offnen Vokalen; im übrigen hat er selbst eine brillante Gesangsmethode gehabt. Ob er irgendeinen hervorragenden Schüler hat, weiß ich nicht. Ich glaube, das einzige, was Deiner Stimme fehlte, wäre mehr Kraft in den Stimmbändern, und die käme durch Elektrisieren und bei größerer körperlicher Gesundheit. — Aber Ihr versteht das ja besser, weil Ihr kundige Leute zu Rate ziehen könnt.

Ich stimme im wesentlichen mit Sigurd in der Beurteilung Bismarcks überein. Nur schwärme ich nicht, wie er, für das Große, bloß weil es groß, für das Interessante, bloß weil es interessant ist. Dafür bezahle ich einmal Entree oder zweimal und bin fertig damit. Napoleon ist für mich um vieles bedeutsamer geworden, seit seine Psychologie so offenkundig vor allen liegt, daß wir den tiefen menschlichen Zusammenhang sehen, den Zusammenhang des Herzens, des Charakters mit den gärenden, schaffenden Mächten der Zeit nach allen Seiten hin. Etwas Ähnliches ist es mit Bismarck; das ist es, was ihm immer Bewunderung sichern wird.

Dein B. B.

Liebe Bergliot! Ich schrieb gerade an Graf Prozor: daß der Phantast Lugné-Poë und die ganze französische Komödie mit norwegischen Stücken zu uns kommen, ist eigentlich zum Lachen. Ich ahnte, daß sie nicht einmal gut spielen. — Eine Affektation ist das, die mir so zuwider ist, daß ich mich einfach abwende. Und nun folgt eine Reaktion, daß es in allen Fugen kracht. — Aber das Ärgerlichste ist, daß wir eine Rolle dabei spielen sollen; das müßte schon eine ganz andere sein! Nun ja, ich will nicht weiter darüber reden; es wird genug geredet. Ich verfolge das in allen Literaturen und sehe den Umschlag kommen. Die Geschäftigkeit der Juden und ihre Begeisterung bei all dem hätte uns mißtrauisch machen müssen. Nun — die Abrechnung wird schon kommen. —

Wir ziehen also südwärts — zum letztenmal. Noch einmal mag ich nicht. Aber solange wollen wir draußen leben, als die Verhältnisse daheim keine Gefahr bergen, oder klar sind. Es würde mich nur stören; ich habe Hemmungen genug. Mit meiner Arbeit geht es gut.

Unsere innigsten Glückwünsche zu Eurem Hochzeitstage! Möge es Euch alles in allem so wohl ergehen, wie es doch Summa Summarum uns gegangen ist! Es ist eine fruchtbare Lebensreise, die hinter uns liegt; etwas lebt nach uns — und mehr wird noch kommen.

Ja, das ist wahr, immer habe ich vergessen, von dem Ringe zu erzählen. Ich entdeckte ihn durch einen Zufall unter Mutters merkwürdigem Krimskrams und war ganz erschrocken, daß sie ihn mitgenommen hatte. Denn ein solcher Gegenstand war zu verlockend zum Stehlen; ich bat sie, entweder ihn nach Hause zu schicken oder ihn zu tragen. Sie wollte beides nicht, und so nahm ich ihn an mich, lediglich, um ihn aufzubewahren. Freude hatte ich keine daran; ich kann ja nicht sehen, daß er leuchtet; das können bloß die anderen. Allmählich ist er mir vertraut geworden einfach dadurch, daß ich morgens und abends an ihn denke, so daß er ein Teil meines täglichen Lebens geworden ist. Aber Du kannst ihn wiederhaben, sobald Du willst. Es ist buchstäblich nur Vergeßlichkeit, daß ich nicht eher davon geschrieben habe. — Mildes, herrliches Herbstwetter, wie der Spätsommer bei uns daheim. Grüße Sörensen!

Dein Freund Vater.

Roma, Quattro Fontane 155,
11. Dezember 1894.

Liebe Bergliot, so oft schon wollte ich Dir von Deinem alten Freund Dr. N. N. erzählen.

Äußerlich gänzlich unverändert. Nur kann man jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm reden, ohne daß er wie zufällig hinwirft, er sei neulich nach S.... zur Königin berufen worden, die ihn nicht habe wieder weglassen wollen; er mußte den Vorwand gebrauchen, daß er nach London zu einer Konsultation müsse, und merkwürdig genug, als er abreisen wollte, bekam er wirklich ein Telegramm von Lord Dufferin. Dieser Lord Dufferin segelte mit ihm den Sommer über im Golf von Neapel; aber N. N. mußte ihn auf Capri absetzen, weil er zur Fürstin Ruspoli nach Rom berufen wurde. Als ich wieder einmal mit N. N. sprach, war gerade einer von Amerikas jungen Milliardärsöhnen zum erstenmal nach Rom gekommen, lediglich, um Dr. N. N. zu konsultieren; er litt an Trunksucht und wollte keinem andern folgen als Dr. N. N., und jetzt folgt er sogar seiner Mutter, weil Dr. N. N. ihm das befohlen hat; N. N. erwartet 10000 Dollars Honorar.

Er wohnt an der spanischen Treppe „in der Wohnung, in der der englische Dichter Keats starb; obendrüber wohnte Shelley“. Wenn man zu N. N. kommt, liegen Keats und Shelleys Gedichte ganz zufällig aufgeschlagen da; beides Prachtbände von höchster Eleganz. Eine ungeheure Schale mit Visitenkarten begrüßt einen im Vorzimmer; zu oberst die Gladstones, — man sollte glauben, er sei erst gestern bei N. N. gewesen. Dr. N. N. fährt entweder mit zwei Staatspferden oder mit zwei Ponys aus. Neben ihm sitzen entweder die Kronprinzessin von X. oder seine zwei Hunde, ein kleiner und ein großer von Englands edelstem Blut, der kleine auf dem Rücksitz, der große auf dem Vordersitz. Ein Groom sitzt auf dem Bock beim Kutscher, beide in Livree. N. N. selbst dagegen so einfach gekleidet wie Napoleon. Nie sieht man ihn einen Orden tragen, selten Handschuhe. Ganz zufällig, man kann sagen unversehens, erwähnt er, was er der Königin, der Kronprinzessin, der Fürstin Ruspoli, dem amerikanischen Milliardärsohn gewesen ist, oder er streift die Konsultation, die dem Tode des englischen Gesandten voriges Jahr hier vorausging, bei der Dr. N. N. Recht behielt und alle die anderen im Unrecht waren. So was kommt eben ganz ungewollt heraus, wie wir mitunter etwa erzählen, daß wir schon Mittag gegessen oder schon Kaffee getrunken haben. Für einen Besuch erhält er 50-100 Lire oder mehr. Das Geld liegt im ganzen Zimmer herum, zum Teil zusammengeknüllt. Oft nimmt er auch kein Honorar. Was hat er denn weiter getan als seine Pflicht?! —

Er hat drei Mädchen, die alle einer Familie in A. angehören, deren sämtliche Mitglieder er gerettet hat. Der übrige Teil der Familie wohnt jetzt in seiner Villa dort. In A. kennt man nur einen Namen, und das ist der seine. (Neulich war ein Norweger dort und konnte niemand finden, der wußte, wo Dr. N. N.s Villa läge.) —

Ich bin einmal — sage: einmal bei N. N. gewesen; somit hat er nun auch meine Visitenkarte in seiner Schale; später hatte er keine Verwendung mehr für mich und ich auch keine für ihn.

Lebe wohl, liebe Bergliot. Gott behüte Dich!

Dein Freund Vater.

Aulestad, 3. Oktober 1896.

Liebe Bergliot, ich meine, Du solltest jetzt die Bekanntschaft einer Dame suchen, die Dich begleiten und mit Dir hierher kommen könnte und überhaupt sich an Dich und uns so anschlösse, daß sich daraus eine Tournee entwickeln ließe, wenn die Zeit kommt. Am liebsten möchte ich ja, sie wäre einigermaßen hübsch, daß ich mich so ein bißchen in sie verlieben könnte, denn das ist zu nett; aber da solche Damen meistens häßlich sind, mußt Du wenigstens dafür sorgen, daß sie in dieser Hinsicht nicht geradezu den ersten Preis verdient. Ihr Spiel muß Seele haben, sonst taugt es nichts; aber sie selber muß diskret und umgänglich sein, sonst ist sie nichts für uns, weißt Du. Wenn Du es darauf anlegst, mußt Du schon eine finden können.

8. Juni 1900.

Liebe Bergliot, ich soll von Tankred grüßen. Ich machte ihn auf der Herreise für den Mjösen verantwortlich. Jedesmal, wenn er verschwand, war das Tankreds Schuld, und er bekam Prügel dafür, und jedesmal, wenn der Fluß wieder zum Vorschein kam, war er nur schnell um den Wald herumgelaufen, um ihn vor den Prügeln zu retten. Tankred wurde natürlich dieses Spiels nicht müde. Besonders spannend war es jedesmal, wenn die Bäume anfingen, die Aussicht aufs Wasser zu versperren, und ganz entsetzlich wurden die Prügel, wenn wir durch einen Tunnel kamen; dann hatte er den Mjösen nämlich weggeworfen. Kaum waren wir in Aulestad, so war Tankred auch bereits verschwunden. Um halb 10 kam er wieder herein — wir hatten ihn nämlich total vergessen, wir hatten so vielerlei zu ordnen — und da war ihm schlecht und er war sehr blaß. So müde war er! Heute um 6 Uhr hörte ich, wie ein Rouleaux in die Höhe gezogen wurde. Was meinst Du wohl? Das war er! Um 8 Uhr gelang es uns endlich, ihn zum Frühstück einzufangen. Aber er hatte nur gerade Zeit, einen Bissen zu essen! Die Kühe sollen auf die Alm, und Gott weiß, was alles ihn jetzt in Anspruch nimmt. Wir denken so: er mag den ersten Rausch austoben. Jörgen und Else traben mit. Er freute sich, als er Arne in Jungenskleidern sah und gab sich eine Weile mit ihm ab. Aber weil Arne glaubte, Tankreds Ball sei lebendig und deshalb sich nicht mitzuspielen getraute, war Tankred dieses zu dummen Verwandten bald überdrüssig.

Ja, weiter wäre nichts zu berichten. Grüße Sigurd!

Aulestad, 19. Dezember 1902.

Liebe Bergliot, Dank für neulich; — ich habe oft Deines Mannes Gewissenhaftigkeit bewundert, aber niemals wie jetzt, da ich sehe, daß die Verhandlungen, die ihn verhinderten, am 6. mit Dir hierher zu kommen, erst am 15. eröffnet werden sollten.

Hier sitze ich und beantworte die allernötigsten Briefe; sie sind (bis auf einen, von den Professoren an der Hochschule in Göteborg) alle aus Kristiania. Telegramme sind es 727, sagt Mutter; ich möchte wissen, wie viele darunter von Gesellschaften und Vereinen. Die Briefe sind Legion; ich muß ja einmal daran.

Vorläufig arbeite ich für Alexander Kielland. Die 40000 geerbt haben pro Kopf, sind seine Geschwisterkinder, und die haben ein paar Verwandten zu helfen, die höchst bedürftig sind. Alexander Kielland hat in allen diesen Jahren mit einem Einkommen von 4000 Kronen dagesessen und hat davon bis zu 600 Kronen Steuern zahlen müssen. Ich glaube nicht, daß er so sehr zu tadeln ist. Er hätte wohl etwas tun sollen, ehe die Schulden bis 10000 angewachsen waren. Aber nun sind sie es, und wir müssen helfen.

Ich habe eine Bitte an Dich: geh zum Großkaufmann Sörensen. Der biedere Mann wird mir vielleicht helfen, wenn er hört, daß ich nicht vom Flecke komme, bis ich die 10000 beieinander habe, die in diesen Zeiten sehr schwer aufzutreiben sind — auch aus dem Grunde, weil wir mit einer gewissen Diskretion vorgehen müssen. Ich wende mich am liebsten an reiche Norweger außerhalb Norwegens. Leg’ ihm ans Herz, daß Alexander Kiellands Konkurs jetzt ihn um seine Stellung bringen würde und eine Schande für das ganze Land wäre. Dafür arbeite und arbeite ich. Sag’ ihm, daß ich ein gewisses Recht habe, andere um Hilfe zu bitten, weil ich selbst Kielland mehrere Male geholfen habe; so zahlte ich ihm damals, als er seinen Dichtersold verlor, diesen Betrag das erste Jahr ganz allein aus.

Uns geht es gut nach der Reise. Hier ist es herrlich! Aber ganz Gausdal und ganz Gudbrandsdal sind ohne Wasser. Unter dem Blachfrost sind alle Quellen ausgegangen. Die Gausa ist fast wasserleer; die Fabrik steht still. Unsere Wasserleitungen auf dem Hofe laufen auch bald nicht mehr; bloß das Wasser, das wir aufgespeichert haben, der Neversee, gibt noch was her. Wäre nicht im Herbst in den Damm ein Loch gekommen (durch eine tiefe Sandader, die durchbrach), so hätten wir bis zum April Wasser gehabt. Jetzt haben wir kaum bis Mitte Januar. Wir haben eine schwedische Mühle, die Tag und Nacht geht; im ganzen Kirchspiel ist nur die eine. Wenn das Wasser ausgeht, bringen wir den Motor an, also mahlen wir den ganzen Winter für andere. Wenn doch die Mühlen erst fertig wären; jetzt meinen alle, wir müßten versuchen, sie aufzustellen, was höchstens 5000 Kronen kosten könnte. Aber die habe ich eben nicht.

Das nötige Wasser für Haus, Viehstall und Pferdestall muß den ganzen Winter über angefahren werden! Eine herrliche Aussicht! Wahrscheinlich aus dem Fluß, — falls überhaupt so viel da ist, wenn die Zeit kommt! Grüß’ Sigurd und Deine Kinder von uns.

Dein Freund Vater.

Aulestad, 8. Januar 1903.

Liebe Bergliot, in diesem Augenblick schickt Midling in Hudiksvall (ein Mann, den Treschow törichterweise verabschiedet hat, und der nun Millionär ist) 1000 Kronen für Alexander Kielland. Ich darf hoffen, ich habe in diesem Augenblick 9000 Kronen. Auf jeden Fall habe ich 7000.

Und ich finde, Ihr beide, Du und Sörensen, müßtet elende Patrioten und Waschlappen sein, wenn Ihr mich nicht mit einer gleichen Summe überrascht. Midling sandte das Geld in einem Schein. Konsul Fredrik Hansen ist Kassierer, aber Ihr müßt den Schein an mich schicken. Ich muß ihn in der Hand halten, weil er für Alexander Kielland ist, den ich liebe.

Also: Tankred war zu Ball; dort verliebte er sich. Er sah „sie“ tanzen; er ließ sie nicht aus den Augen, er legte seinen Kopf in Lizzies Schoß und flüsterte: „Ist sie nicht entzückend?“ Gleich darauf fügte er hinzu: „Jetzt will ich auch tanzen lernen.“ Als sie ihn mit nach Hause nehmen wollten, während sie noch dablieb, weinte er. Erling, der sehr erfahren ist in Liebessachen und deshalb Mitleid hatte, nahm sich seiner an, und er durfte bleiben. Als ihn Erling später in seinen Pelz wickelte und ihn so mit ins Hotel nahm, war er so müde, daß man ihn ausziehen mußte, und er flehte, man möge ihm das Waschen erlassen, was Erling — immer voll Mitleid — auch bewilligte, zum tugendsamen Entsetzen der beiden Dienstmädchen, seiner Vormünder.

Ach so, — also die Unionssache sollte zuerst am achten behandelt werden und wurde dann auf den fünfzehnten verschoben. Verzeihung!

Dagny hat ihren Koffer bekommen.

Euer Freund Vater.

Aulestad, im Juli 1903.

Du Vöglein, wenn der Lenz begann,

Mit all den Deinen pflegst du dann

Zum alten Hof zu eilen

Und schwelgst in anmutvollem Sang,

Voll Jugend und voll Jubelklang,

Hier wieder zu verweilen.

Verleih’ das Glück dir Heil und Kraft,

Daß sich zum Himmel unerschlafft

Die hohen Töne schwingen,

Die deinem Überfluß entsprühn

Als Zeugen, daß du grad so kühn

Im Handeln wie im Singen.

Björnstjerne Björnson.

Roma, via Gregoriana 38,
17. März 1904.

Ich befinde mich so wohl in Rom, daß, wenn bloß auch die Arbeit sich in das Klima und die Natur schicken will, man mich nicht wieder nach Hause kriegt.

Herrgott, wie schmutzig mir von hier aus die norwegische Politik vorkommt, wie ich das stolze herrische Wort im Storthing vermisse! Ich fange an, mich nach größeren Staatswesen zu sehnen.

Dieser Brief ist eben so sehr für Dagny wie für Dich. Ich sehne mich so nach ihrem klaren, offenen Charakter, dem alles Kleine klein ist. Und so schrecklich nach ihren Jungens. Ich habe die feste Überzeugung, daß wir uns bald sehen werden. Aber es freut mich, daß die Jungens Aulestad wieder lieb gewonnen haben dank ihrem Winteraufenthalt. Es wird ihnen unvergeßlich bleiben, was sie jetzt erlebt haben.

Eine große, schwere Arbeit habe ich jetzt vor. Gelingt sie, dann wird sie einem großen Gedanken, einem gewaltigen Gegensatz Gehör schaffen. Aber ich kann nicht sagen, daß es schnell vorwärts geht. — Mutter ist hier ganz flott und frisch geworden; gedeiht und schläft und schwatzt, als wäre sie wieder jung. Wir haben viele gute Freunde, und mir ist sogar der Rom-Geruch lieb wie Wein. Bald ist die Luft so mild, daß wir in ganzen Karawanen in die Kneipen vor die Stadt ziehen, Speckeierkuchen und Artischocken essen und Landwein trinken. Marias Makkaroni duften aus der Küche. Wir wollen essen.

Euer Freund Vater.

Roma, via Gregoriana,
26. Oktober 1904.

Liebe Bergliot, mit dem Buche habe ich Euch nicht vergessen, sondern die Sache verhielt sich so: Collin und Naerup, besonders der erstere, teilweise auch Björn, wollten nicht, daß ich es herausgeben solle, „ehe es fertig sei“. So war es zu schlecht. Besonders Collin war rein verzweifelt. Nun wußte ich ja, daß sie falsch sahen; aber ich bekam es doch so satt, daß ich es lange Zeit niemandem schickte. Auch habe ich nicht ein einziges Wort in einer Zeitung darüber gelesen. So ist es zugegangen.

Nach und nach habe ich dann so viele Telegramme und Briefe darüber bekommen, daß ich meine gute Laune wiedergewonnen habe; aber ganz überwunden habe ich es noch nicht. Ich habe seitdem nicht wieder an Collin schreiben können, und bringe es gewiß auch noch lange nicht fertig. In diesem Augenblick sind 9000 Exemplare von dem Buche verkauft. Bis zu Weihnachten werde ich also über 10000 verkauft haben, und damit ist unsre ganze Reise nach Italien bezahlt.

Wir sorgen uns so um Irenes Operation, ja wir sorgen uns so seit Deinem heutigen Brief, der die Nachricht brachte, so daß ich nicht arbeiten kann. Schreib, schreib!

Via Gregoriana 38,
3. November 1904.

Du unsre liebe Bergliot, niemals hast Du uns einen Brief geschrieben, der uns weher getan hat. Es ist ja zu dumm, denn jetzt ist es vorüber. Aber der Gedanke, wie fürchterlich es gewesen ist, reibt uns ganz auf. Wir sind eben alt geworden, und wir haben nicht mehr die Spannkraft, die uns nach diesem Eindruck wieder aufrichtet. Wir konnten nicht davon los. Oh, wie grauenvoll ist das gewesen! Ich erlebe das Ganze immer wieder von neuem. Ich komme nicht wieder heraus aus diesem Zimmer. Und der Tag im Bett und die Nacht, und die nächste: ja, Du bist schwer geprüft, bei all Deiner Jugend. Du, die eigentlich immer fröhlich sein müßte! Grüße und küsse Irene von uns! —

Was Du von Boström erzählst, kam überaus unerwartet. In dem Brief von Michelsen, den ich kürzlich erhielt, war eine Andeutung; aber ich ahnte nicht, daß sie auf Boström ging.

Ist denn kein schwedischer Mann da von Ansehen, der uns das Wort redete? Der sich einsetzte für ein gutes Verhältnis? Haben wir immer noch kein Verständnis gefunden bei den leitenden Mächten! Ich glaubte, das sei jetzt vorbei.

Aber Irene, die kleine Irene, sie jagt alle diese Kümmernisse in den Wind. Sie nimmt sie alle in Anspruch im Verein mit Dir.

Dein Freund Vater.

Roma, via Gregoriana 38,
25. November 1904.

Liebe Bergliot, ich denke so viel an Euch. Sigurd seinerseits und Du Deinerseits, müht Euch so schrecklich ab. Und die Kinder halten Euch so in Atem.

Ich bitte um etwas fleißigere Nachrichten. Es bedarf nicht vieler Worte; aber ein bißchen öfter, so lange diese Spannung andauert. Auch die politische.

Über Boström sagte ich zu Blehr, er sei wie Frau Wolf. Er weint vor Rührung, und im nächsten Augenblick ist es vergessen. Er ist zwei verschiedene Menschen in einer und derselben Stunde. Der Charakter und Staatsmann ist Lagerheim. Jetzt, da er geht, wird dies gewiß allgemeiner verstanden. Das merke ich an Tor Hedberg, der hier ist.

Um eins möchte ich Dich bitten, und zwar recht herzlich. Ich habe Sigurd Ibsen nicht dazu bringen können, Adolf Hedin zu besuchen. Ich finde das politisch unrichtig, ich finde es anstößig. Keiner ist für Norwegen so eingetreten wie er, und zwar seit seiner frühsten Jugend. Ich bin sicher, Sigurd würde nach einer halbstündigen Unterredung mit ihm sagen: das ist der begabteste und interessanteste Mensch in Schweden.

Aber Adolf Hedin hat unter seinen menschlichen Eigenschaften auch die, daß er mein ältester und bester Freund in Schweden ist. Deshalb sollst Du zu ihm gehen, Bergliot. Du hast Deinen eignen Kopf und Dein eignes Herz, und beide sind ein bißchen verwandt mit meinen. Geh Du zu ihm und plaudre eine halbe Stunde mit ihm. Nimm etwas Obst mit oder ein paar Blumen und grüße ihn von mir, wenn Du ein liebes Mädel sein willst.

Ich habe viel Ärger und großen Zeitverlust gehabt durch die Finnländer: sie haben L’Européen zu einer Tageszeitung umschaffen wollen!!! Da der Redakteur keine Bestimmung in den Statuten durchsetzen konnte, die diese Art Überraschungen verhinderte, stiftete er einen neuen L’Européen. Mir will sein Vorgehen nicht gefallen; aber zwei L’Européen sind schlimmer als gar keiner, deshalb hätten die Finnländer einen Ausgleich suchen müssen. Nein, die wollen Kampf und Sieg —! Und verlieren dabei so ungeheuer viel. Ich kann sie nicht soweit bringen, das einzusehen. Sie stehen von vornherein nicht gut in der öffentlichen Meinung; nunmehr wird das noch schlimmer. Je eher dieser Zwist aus der Welt kommt, desto besser. Ja, ja, nichts als Spektakel und Rechthaberei! Grüße Tankred und Irene.

Dein B. B.

Roma, via Gregoriana 38,
1. Dezember 1904.

Liebe Bergliot, Mutters Geburtstag; sie liegt noch im Bett mit einer großen goldenen Kette um den Hals und eine Uhr daran. Mein Geschenk.

Wir sind beide so unglücklich über die kleine Irene. Das einzige, was ich mir zum Troste sagen kann, ist, daß bei einem energischen und begabten Menschen ein Schönheitsfehler die Folge haben kann, daß sein Wille stärker und sein Dünkel geringer wird. Vielleicht ist es eine Gabe für ihre Zukunft — und ein Schutz. Einer vollendeten und bewußten Schönheit drohen viele Gefahren, vor allem in ihrem eigenen Seelenleben; ich sitze gerade über der Schilderung einer solchen. Denkt darüber nach, Ihr beide.

Dein Freund Vater.

Aulestad, 28. Juni 1908.

Mein lieber, lieber Singvogel, am elften September kommen alle Kinder hierher, auch Björn. Aber nicht Du, die mehr Fest mitbringt, als alle die anderen zusammen.

Hier ist es so wundervoll jetzt, daß ich mich einer ähnlichen Fruchtbarkeit nicht entsinnen kann, oder einer Reihe von so gleichmäßigen, leuchtenden Tagen. Hier ist neu gestrichen und aufgefrischt außen und innen. Es mag ein Selbstbetrug sein, aber nirgends findet sich herzlichere, traulichere Gemütlichkeit. Unten bei Thekla ist auch alles wie neu, und jedem, der dort eintritt jetzt, macht der Besuch reiche Freude. Sie ist so fröhlich, gleichmäßig, gut, klug, daß Erling imstande ist, der Mann zu werden, den das Beste in ihm ahnen ließ, ohne daß er früher vermocht hätte, es zu entwickeln.

Dann Dagny! In ihrem Salon mußte ich mich sofort hinsetzen und schreiben; ich habe nie Ähnliches gesehen. Entworfen von dem großen Maler Ingres zu Beginn des vorigen Jahrhunderts und eingerichtet mit Dagnys Möbeln und mit ihrem Farbensinn. Ein Balkon die ganze Front entlang, auf den Hauptweg auf Longchamps zu, mit seinen baumreichen Alleen, und die Festungswälle und das Boulogner Wäldchen ganz nahe, so daß sie eigentlich in einem Walde wohnt und auf dem Lande. — Bei Thöres in Hamburg hatten wir es großartig. So gesunde, klare Menschen in üppigen Verhältnissen. (Vier Automobile!) Hegels waren ganz besonders liebenswürdig. Wir waren ihre Gäste im Hotel. Am letzten Tag Schriftstellerdiner bei Vilh. Andersen. Alle auf dem Bahnhof mit Hurra. Dasselbe Hurrawesen mit Musik dazu in Fredriksstad. Dort hielt ich eine meiner besten Reden, gut aufgelegt und vorbereitet. Bei Dikka diesmal über alle Maßen herzlich und warm, und das Zusammensein mit der Verwandtschaft das denkbar Beste für uns beide. Die Rede auf sie wurde mit einer Dankbarkeit aufgenommen, die echt war. Sie war auch selbst echt, innig und scherzhaft, so daß wir alle durcheinander weinten und lachten. Ejnars Kinder sind hier. Prachtkinder. Gott, wie ist es hier schön und beseligend! Karoline schläft und kommandiert und legt Patiencen, aber ißt kein Fleisch. Heute abend Doktors und die Böleute.

Dein Freund Vater.

 

 

Im gleichen Verlag ist erschienen:
Björnstjerne Björnson
Gesammelte Werke
in fünf Bänden.

Herausgegeben und eingeleitet von Julius Elias. Mit dem Bilde des Dichters. Gebunden 15 Mark.

1. Bd. GEDICHTE. ERZÄHLUNGEN: Thrond / Die gefährliche Freite / Synnöve Solbakken / Arne / Der fröhliche Bursch / Der Vater / Das Fischermädel.

2. Bd. ERZÄHLUNGEN UND ROMANE: Der Falbe / Ein Lebensrätsel / Staub / Ein schauriges Erlebnis / Mutters Hände / Es flaggen Stadt und Hafen.

3. Bd. ROMANE UND ERZÄHLUNGEN: Auf Gottes Wegen / Mary.

4. Bd. DRAMEN: Zwischen den Schlachten / Sigurd der Schlimme / Die Neuvermählten / Ein Bankrott / Der König / Leonarda.

5. Bd. DRAMEN UND BRIEFE: Über die Kraft, erster Teil / Über die Kraft, zweiter Teil / Geographie und Liebe / Paul Lange und Tora Parsberg / Laboremus / Wenn der neue Wein blüht / Briefe aus Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen / Nachwort.

Spamersche Buchdruckerei in Leipzig

Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert.

Die Schreibweise und Grammatik des Originals und auch die Verwendung der im Deutschen gebräuchlichen Umlaute ä und ö anstatt der im Norwgischen verwendeten æ und ø in Eigennamen wurden weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden, teilweise unter Verwendung des norwegischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):