Title: Rabeh und das Tschadseegebiet
Author: Freiherr von Max Oppenheim
Release date: February 2, 2020 [eBook #61299]
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1902 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert.
Transliterationen und Transkriptionen von Namen und Begriffen in den jeweiligen Landessprachen (insbesondere Arabisch) wurden gegenüber dem Original nicht verändert oder vereinheitlicht. Schreibvarianten von zusammengesetzten Wörtern (mit und ohne Bindestrich) wurden beibehalten.
In den Transliterationen aus dem Arabischen wurde in der Originalvorlage der Buchstabe ‚Ain‘ mit Hilfe des Zeichens wiedergegeben. Da dieses Symbol aber in vielen Schriftarten nicht unterstützt wird, wurde es durch das einfache schließende Anführungszeichen ‘ ersetzt.
Umlaute in Großbuchstaben wurden im Original teilweise auch in deren Umschreibung (Ae, Oe, Ue) dargestellt. Im vorliegenden Text wurden dagegen durchgängig die entsprechenden Umlaute (Ä, Ö, Ü) verwendet.
Fußnoten wurden an das Ende des jeweiligen Kapitels bzw. Unterkapitels verschoben.
Die Karte ‚Rabeh und das Tschadseegebiet‘ wurde der Übersichtlichkeit halber in vergrößerten Ausschnitten nochmals wiedergegeben.
VON
DR. MAX FREIHERRN VON OPPENHEIM,
KAISERLICHEM LEGATIONSRAT.
MIT EINER KARTE.
BERLIN 1902.
DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN).
Alle Rechte vorbehalten.
Seite
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Vorwort
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Kapitel
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I.
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Zuber Pascha, Rabehs Lehrmeister | |
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II.
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Zuber Paschas Sohn Soliman und Rabehs erstes Auftreten | |
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III.
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Die ersten Eroberungszüge Rabehs | |
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IV.
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Rabehs Kampf mit Wadai | |
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V.
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Die Gründung des Rabeh’schen Tschadsee-Reiches | |
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VI.
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Das Tschadsee-Reich Rabehs | |
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VII.
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Neue Kämpfe Rabehs | |
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VIII.
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Kämpfe Rabehs mit Frankreich | |
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IX.
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Rabehs Tod | |
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X.
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Das Ende der Rabeh’schen Macht | |
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XI.
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Das deutsche Tschadseegebiet | |
Abriss der Geschichte der Tschadseeländer | |||
1. Darfur | |||
2. Wadai | |||
3. Kanem | |||
4. Baghirmi | |||
5. Bornu | |||
6. Sokoto | |||
Karawanenstrassen im Tschadseegebiet und im Sudan | |||
Zu den kühnsten und erfolgreichsten Eroberern, welche die Welt in den letzten Jahrhunderten hat auftreten sehen, ist Rabeh, der ehemalige Knecht und spätere Truppenführer des bekannten sudan-egyptischen Sklavenfürsten Zuber Pascha, zu rechnen. Rabehs Kriegszüge erinnern in mancher Beziehung an die eines Napoleon. Ein innerafrikanischer Fürst nach dem anderen wurde von ihm unterworfen, und er stürzte Throne, die auf eine viele Jahrhunderte alte Geschichte zurückblickten. In wenigen Jahren konnte er sich ein Reich schaffen, das sich von den Grenzen des mahdistischen Gebietes am oberen Nil bis nach Sokoto ausdehnte, im Süden fast bis zum Kongo reichte und im Norden von Wadai und der Sahara abgeschlossen wurde.
Aber auch darin gleicht das Schicksal Rabehs der Laufbahn des korsischen Eroberers, dass die Herrlichkeit seines Riesenreiches nicht von langer Dauer war. 1894 errichtete er seine Hauptstadt am Südrande des Tschadsees, und schon ist er vom poli[S. vi]tischen Schauplatz abgetreten: in mehreren Kämpfen von den Franzosen besiegt, starb er im April 1900 den Tod auf dem Schlachtfelde. In keinem der gewonnenen Länder hatte er an den Eingeborenen einen sicheren Stützpunkt finden können. Seine Herrschaft war durch seine Grausamkeit verhasst geworden, der einflussreiche religiöse Orden der Senussi hatte sich gegen ihn erklärt.
Rabehs Reich war mit seinem Tode zerfallen, aber sein Sohn Fadel Allah konnte einen Teil der Soldateska, auf welcher seine Macht beruhte, sammeln. Sie reorganisierte sich rasch wieder in der früheren Weise und bildete dann noch eine Zeitlang den stärksten Machtfaktor unter den Völkerschaften des Tschadseegebietes. Zweimal gewann Fadel Allah das Reich seines Vaters bis zum Schari wieder, aber von den Franzosen ebenso oft wieder vertrieben und auf englisches Gebiet verfolgt, fand er am 23. August 1901 seinen Tod. Die decimierten Besiegten, die ihre gesamte Munition und ihr Pulver eingebüsst hatten, mussten sich ergeben. Damit hatte die von Rabeh begründete Macht im Tschadseegebiet ihr Ende gefunden.
Das Hinterland unserer Kamerun-Kolonie, welche mit ihrem nördlichsten Teile an den Tschadsee grenzt, hat in den durch das Auftreten Rabehs entstandenen Wirren eine bedeutende Rolle gespielt. Auf deutschem Boden hatte sich Rabeh seine Hauptstadt Dikoa gewählt, auf deutschem Boden wurde er von[S. vii] den Franzosen bekämpft und getötet, in Dikoa und nicht mehr in dem englischen Kuka residiert jetzt der neue Sultan von Bornu, und auf deutschem Boden lebt der mächtigste Widersacher, den Rabeh im Tschadseegebiet gefunden hatte, der Fürst von Mandara. Gerade für uns Deutsche ist es daher von besonderem Interesse, über die Vorgänge, die sich im Tschadseegebiet abgespielt haben, genau unterrichtet zu sein und die Vorgeschichte und den Entwicklungsgang dieser Ereignisse zu kennen, namentlich auch deshalb, weil wir jetzt durch eigene Expeditionen, die bereits nach Garua am Benue gedrungen sind, an die Eröffnung des uns nach den internationalen Verträgen zustehenden Tschadseegebietes herangetreten sind.
Wenn ich mich an diese Aufgabe gewagt habe, so ist es deshalb geschehen, weil ich seit längerer Zeit Gelegenheit hatte, die Vorgänge im Innern Afrikas zu verfolgen. Im Jahre 1894 wurde ich mit der Führung einer Expedition nach dem Tschadsee, deren Ausgangspunkt Tripolis sein sollte, betraut, als die Nachricht von der Eroberung der in Betracht kommenden Gebiete durch Rabeh und von der darauf erfolgten Sperrung der Karawanenstrassen zwischen dem Tschadsee und Tripolis in Europa eintraf. Infolge dessen wurde meine bereits in Vorbereitung begriffene Expedition zunächst verschoben und darauf gänzlich aufgegeben, zumal inzwischen ein Vertrag zur Regelung der Ostgrenze unserer[S. viii] Kamerun-Kolonie mit Frankreich abgeschlossen worden war.
Seit 1896 konnte ich in Kairo, das für die Beobachtung aller Vorgänge in der muhammedanischen Welt ein hervorragend geeigneter Punkt ist, durch den Verkehr mit Angehörigen der verschiedensten innerafrikanischen Länder unmittelbare Nachrichten über die frühere Entwickelung der Macht Rabehs und über die jüngsten Ereignisse am Tschadsee sammeln.
Jedes Jahr kommen muhammedanische Kaufleute und Pilger, welche der religiösen Pflicht der Mekkafahrt genügen wollen, auch aus jenen Gegenden nach Egypten. Viele der centralafrikanischen Besucher widmen sich dann in Kairo ernsten religiösen Studien an der Azharmoschee, der grössten geistlichen Hochschule der muhammedanischen Welt, oder sie suchen durch die Ausübung zauberartiger Heilkünste und Wahrsagereien im reichen Nillande sich erst einiges Zehrgeld zu verdienen, bevor sie die weite Heimreise wieder antreten. Manche der Centralafrikaner, mit denen ich in Kairo Verkehr pflegen konnte, hatten auf ihrem Wege nach Egypten weite Umwege gemacht und zu der Reise aus den Tschadseeländern oft Jahre gebraucht. Die Fama aber schreitet rasch in Afrika, und man kann beobachten, wie innerafrikanische Geschehnisse oft in Egypten früher bekannt werden, als in Europa.
So glaube ich im folgenden eine Darstellung der soeben zum Abschluss gekommenen Geschichte Ra[S. ix]behs und seines Sohnes geben zu können, welche im grossen und ganzen zutreffend sein dürfte, wenn auch in Einzelheiten kleine Irrtümer zu berichtigen bleiben werden. Die Darstellung beruht im wesentlichen auf meinen Erkundigungen bei meinen centralafrikanischen Gewährsleuten, deren erstaunliches Gedächtnis ich oft bewundern musste. Bei der Wiedergabe der Kämpfe der Franzosen mit Rabeh und seinem Sohn Fadel Allah habe ich die amtlichen französischen Schlachtberichte benutzt, weitere Details verdanke ich persönlicher Aussprache mit den leitenden Mitgliedern der französischen Tschadsee-Expeditionen.
Einige Nachrichten über die Geschichte der für Rabehs Auftreten in Betracht kommenden Länder, deren Kenntnis auch für die Beurteilung der Zustände in dem Hinterlande unserer Kamerun-Kolonie von praktischem Werte ist, glaubte ich beifügen zu sollen. Auch habe ich den Zug der wichtigsten Karawanenstrassen zwischen den Tschadseeländern und dem Mittelmeer als Anhang gegeben.
Der Verfasser.
Rabeh[1] ist ein Sohn des egyptischen Sudan, und hier liegt auch der Beginn seiner Geschichte. Bis zum Jahre 1879 war sein Leben eng verknüpft mit dem des vielgenannten Sklavenfürsten Zuber Pascha, der während der Regierung des Chedive Ismaïl eine grosse Rolle im egyptischen Sudan gespielt hat. Eine kurze Betrachtung der Geschicke Zubers, der gleichfalls für afrikanische Verhältnisse ein bedeutender Mann genannt werden muss, ist für die Darstellung des Entwicklungsganges Rabehs unerlässlich.
Zuber ist kein Neger, sondern ein Araber aus dem Stamme der Djimeab, der sich rühmt, zu den Kuraischiten, also den Nachkommen der Stammesgenossen des Propheten Muhammed, zu gehören; er leitet seine Abstammung von Abbas her, einem Onkel des Propheten. Die Djimeab gehören zu den Djealin, mit welchem Namen im egyptischen Sudan im Gegensatze zu den hamitischen Bestandteilen der Bevölkerung und den Negern die Nachkommen ursprünglich arabischer Einwanderungen bezeichnet werden, die dann natürlich im Laufe der Zeiten durch Vermischung mit schwarzem Blut neben dunkler Hautfarbe starke Abweichungen von dem rein arabischen Typus entwickelten, aber sich doch in ihrem Aussehen von den anderen sudanesischen Völkerschaften scharf unterscheiden. Die Djealin finden wir seit über einem Jahrtausend am oberen, nubischen, Nil, in Sennar, in Darfur u. s. w., in einzelnen Familien oder auch in kleineren Stammesverbänden.[2] Der Sitz der Djimeab ist seit langer[S. 3] Zeit ein Dorfdistrikt gleichen Namens am Nil oberhalb Dongola gewesen. Selbst während der Mahdisten-Herrschaft haben sich dort Verwandte Zubers, natürlich unter Anerkennung der neuen Machthaber, gehalten. Zuber zählte zu den Djellaba[3], die ihre kaufmännischen Unternehmungen und Handelszüge weit nach den südlicher gelegenen Negerdistrikten hin zu richten pflegten. Den Hauptartikel, der neben Elfenbein, Straussenfedern, Gummi verhandelt wurde, bildeten die Sklaven. Diese wurden entweder gekauft, oder, falls die Gelegenheit sich bot und genügende Machtmittel vorhanden waren, erjagt. Zu diesem Zwecke schlossen sich gewöhnlich verschiedene Djellaba unter der Führung eines besonders kühnen Mannes zusammen.
Schweinfurth fand im Jahre 1868 im Bahr el Ghazal neben einer Unzahl kleiner Händler fünf grosse Sklavenjäger, welche dort das Monopol des gewinnbringenden Handels mit Menschenfleisch sich anmassen konnten. Der Mittelpunkt des sudanesi[S. 4]schen Handels war Chartum. Die erbeuteten Sklaven wurden nilabwärts oder nach Darfur und nach dem Hedjaz gesandt. Unter jenen fünf grossen Sklavenhändlern war schon zu Schweinfurths Zeit Zuber fast allmächtig im Bahr el Ghazal[4]. Bald darauf gewann er in solchem Maasse die Oberhand über die anderen Sklavenhändler, dass er als der unumschränkte Herr des Bahr el Ghazal angesehen werden musste. Die Ausübung der egyptischen Herrschaft über diesen Bezirk bestand Zuber gegenüber nur noch in einer Art Oberlehnshoheit. Aus einem Teile der eingefangenen und der bei ihm geborenen Sklaven und auch aus freiwilligen Gefolgsleuten hatte er sich eine achtunggebietende Truppe gebildet, die mit Feuerwaffen, zum Teil sogar mit guten Gewehren und kleinen Kanonen ausgerüstet war. Diesen Soldaten vermochten die Negerstämme keinen nennenswerten Widerstand entgegenzustellen. Kleinere Truppenabteilungen genügten, um grosse Gebiete zu terrorisieren, und, nachdem genügend lebendige Beute gemacht worden war, dauernd in Schach zu halten. In dem eroberten Gebiete wurden Zeriben errichtet: durch Erdwälle und hochaufgetürmtes Dornwerk befestigte Plätze, welche die Sitze der Truppenführer Zubers und gleichzeitig die Sammelstellen für die aus dem umliegenden Gebiete ein[S. 5]gebrachte Beute wurden. Daneben waren die Zeriben die Centralpunkte für friedfertige Djellaba, die von hier aus Handel mit europäischen Waren trieben, welche sie gegen die Erzeugnisse der Eingeborenen, aber auch gegen Sklaven, eintauschten.
Auf diese Weise hatte Zuber seine Vorposten bis nach Dar Fertit, Dar Abu Dinga und Dar Runga vorgeschoben. Am oberen Nil dehnte sich seine Herrschaft bis nach den Seen-Gebieten hin aus. Im Jahre 1873 wurde er vom Chedive Ismaïl Pascha zum Gouverneur der Bahr el Ghazal-Provinz ernannt. Demnächst bot er der Regierung an, das im Westen Kordofans gelegene, einem alten angestammten Königshause folgende Reich Darfur zu erobern, und thatsächlich gelang ihm im November 1874 die Unterwerfung dieses grossen und fruchtbaren Gebiets. Dieser ausserordentliche Erfolg des Sklavenfürsten erschien indess dem Chedive bedrohlich. Ismaïl Ejub Pascha ging in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur des Sudan nach Darfur und setzte Hussen Pascha el Gowesir als Statthalter in Fascher ein. Zuber wurde lediglich mit dem Paschatitel belehnt. Begreiflicherweise kam es zwischen Zuber Pascha und Ejub Pascha alsbald zu Streitigkeiten. Um sich bei dem Chedive persönlich zu rechtfertigen, begab sich Zuber Anfang 1876 mit einer grossen Anzahl wohlbewaffneter Sklaven, vielen Sklavinnen und anderen Geschenken nach Kairo, nachdem er in der nach ihm benannten Hauptstadt des Bahr el Ghazal,[S. 6] in Dem Zuber, einen Dongolaner Idris waled Defter als seinen Stellvertreter zurückgelassen hatte.
Zuber sollte seine Heimat jahrzehntelang nicht wiedersehen. Zunächst wurde er von dem Chedive Ismaïl freundlich aufgenommen. Er begleitete sogar das egyptische Kontingent, das der Chedive im russisch-türkischen Kriege seinem Souverain zu Hilfe geschickt hatte, in der Umgebung des Kommandanten, Prinzen Hassan Pascha[5], nach der Türkei, kehrte freilich nach kurzer Zeit, da er infolge der ungewohnten Kälte erkrankte, nach Kairo zurück. Dann aber wurde er vom Chedive in Unteregypten zurückgehalten. Seine schwarzen Sklaven wurden in egyptische Regimenter gesteckt. Allerlei Anschläge wegen Hochverrats und Anschuldigungen, dass er sich ein selbständiges Königreich im Sudan gründen wolle, wurden gegen ihn vorgebracht. Schliesslich erhielt er ein hohes Jahresgehalt ausgesetzt und ein Haus in Kairo im Viertel der Sitte Zenab zum Wohnsitz angewiesen. Wohl oder übel fügte er sich in das Unvermeidliche. Aber nach dem Tode seines Sohnes Soliman begann er sich zu rühren. Als die Mahdisten ihre ersten grossen Erfolge im egyptischen Sudan zu verzeichnen hatten, zieh man Zuber der Intrigue, und als er bei der letzten Entsendung Gordons nach Chartum, um seine Mitwirkung zur Unterdrückung des Mahdistenaufstandes angegangen,[S. 7] Sühne für das Blut seines Sohnes verlangte, schien seine Anwesenheit in Egypten gefährlich, und er wurde nach Malta und später nach Gibraltar verschickt.
Hier bot er seine endgiltige Unterwerfung an, worauf man ihn wieder nach Egypten zurückbrachte, in der Hoffnung, ihn im Kampfe gegen die unterdessen zu Herren des Sudan gewordenen Mahdisten verwenden zu können. Seitdem lebte Zuber in Kairo und in Heluan in glänzender Gefangenschaft, stets von einer grossen Schar von Leuten aus dem egyptischen Sudan und auch aus anderen innerafrikanischen Ländern aufgesucht. Mit fürstlicher Freigebigkeit pflegte er seine Gäste zu bewirten. Ich habe den alten Herrn, der sich mit seinem von der schwarzen Gesichtsfarbe scharf abstechenden weissen kurz gehaltenen Vollbarte stattlich ausnahm — eine hagere, aber immer noch sehnige Soldatengestalt — vielfach besucht.
Nachdem die Macht des Nachfolgers des egyptischen Mahdi, des Chalifa Abdullahi et Taischi, vollständig gebrochen und der Chalifa selbst gefallen war, erlaubte der Sirdar und Generalgouverneur des Sudan, Sir Reginald Wingate, welcher in seiner langjährigen Eigenschaft als Chef des egyptischen Intelligence Department Zuber genau kennen gelernt hatte, diesem Anfang des Jahres 1900 die langersehnte Rückkehr nach dem Lande seiner Väter, zunächst zu nur einstweiligem Aufenthalte. Fast[S. 8] 25 Jahre waren vergangen, seitdem Zuber Pascha den Sudan verlassen hatte. Die Schreckensherrschaft der Mahdisten hatte hier wie ein Schwamm die Vergangenheit weggewischt, und eine grosse politische Bedeutung dürfte Zuber für den Sudan kaum je wieder erlangen.
[1] Der Name Rabeh hat die vielfältigsten Verstümmelungen erfahren. Er ist eine arabische Participial-Bildung und bedeutet „der Gewinnende“. Der Ton ruht daher auf der ersten Silbe. Von der Bevölkerung der Tschadseegegend, welche in der Umbildung der arabischen Namen grosses leistet — so wird Ali in Aliu, Muhammed in Hammu, Abu Bekr in Abu Kiari entstellt — wird der Name Rabi oder Rabbi, auch Arabi, ausgesprochen. — In den vorliegenden Blättern sind die arabischen, Neger-, Haussa- u. s. w. Namen ihrem Laute entsprechend wiedergegeben, eine genaue Transkription der arabischen Schriftzeichen ist also nicht durchgeführt worden. Ausserdem ist bei einzelnen Namen Rücksicht auf die in den heutigen Karten und Werken gebräuchliche Schreibart genommen, um bei einer Vergleichung mit diesen keine Irrtümer aufkommen zu lassen.
[2] Aus den Djealin ist auch der Mahdi hervorgegangen, und auf sie stützte er sich in erster Linie. Sie traten in den Hintergrund, als seit dem Jahre 1885 sein den Baggara entsprossener Nachfolger Abdullahi et Taischi seine Stammesgenossen, die Nachkommen anderer altarabischer Einwanderungen, die hauptsächlich im Südwesten von Darfur wurzelten, mehr hervorzog.
Die Djealin leiten ihren Namen und ihre Abstammung von einem Araber Namens Djeal ab, der während der arabischen Invasion des Sudan gegen Ende des 2. Jahrhunderts der Hedjra, also etwa gegen 800 n. Chr., nach den Nilländern gekommen sein soll. Der Hauptsitz der Djealin ist die Gegend von Schendi und Metemmeh, wie überhaupt die Landschaft zwischen Berber und Omdurman. Die Djimeab sind ein Zweigstamm der Djealin, ebenso wie die Nimrab, Sadab, Mukabrab u. s. w. Übrigens geben alle Djealin sich als Nachkommen des Abbas, des Onkels des Propheten Muhammed, aus. Abbas soll über 90 freigelassene Sklaven gehabt haben, die er als seine Söhne betrachtete.
[3] Der Name kommt von der Verbalform djalab („importieren“) her, und es werden im Sudan alle diejenigen, welche sich mit Tauschhandel beschäftigen, Djellaba genannt, ohne dass diese Bezeichnung irgend etwas mit dem Volksstamm, dem sie angehören, zu thun hat.
[4] Vergl. Schweinfurth, Im Herzen von Afrika, Leipzig 1874, Bd. II, S. 379, wo der fürstliche Hofhalt, mit dem Zuber sich umgeben hatte, sehr anschaulich geschildert wird.
[5] Prinz Hassan, ein Sohn Ismaïl Paschas, war eine Zeit lang preussischer Offizier im 1. Garde-Dragoner-Regiment.
Als Zuber im Jahre 1874 an den Hof des Chedive Ismaïl zog, liess er seinen ältesten Sohn Soliman, der zum Untergouverneur von Schakka ernannt war, in Darfur zurück. Die Leute Zubers wirtschafteten im Bahr el Ghazal, wo, wie wir gesehen haben, Idris waled Defter als Vertreter eingesetzt war, auf eigene Faust weiter fort. Inzwischen hatte sich Soliman ibn Zuber im Bahr el Ghazal Einfluss zu verschaffen gewusst und war, da seine Vorstellungen in Kairo, seinen Vater nach dem Sudan zurückkehren zu lassen, unberücksichtigt blieben, auf dem Punkte angelangt, sich gegen die Regierung zu empören, als Gordon Pascha im Jahre 1877 Gouverneur des Sudan wurde. Dem klugen Auftreten Gordons gelang es, Soliman zu beruhigen. Im September 1877 wurde dieser zum Gouverneur des Bahr el Ghazal ernannt, und nun entspann sich ein Ränkespiel zwischen Soliman und Idris waled Defter. Gordon glaubte den Versicherungen des letzteren, dass Soliman sich selbständig machen wolle, und[S. 10] setzte Idris an dessen Stelle zum Gouverneur ein. Jetzt ging Soliman, dem die alten Basinger[6], die Sklavenjäger und Soldaten seines Vaters, von allen Seiten zuströmten, zum thätlichen Angriff über. Idris wurde Anfang des Jahres 1878 besiegt und musste fliehen. Mit der Aufgabe, Soliman für diese offene Empörung zu züchtigen, wurde Gessi Pascha, ein geborener Italiener, betraut.
Gessi rückte im Jahre 1878 mit einer beträchtlichen Truppenmacht nach dem Bahr el Ghazal vor. Soliman verschanzte sich in Ganda, wo er im folgenden Winter von Gessi belagert wurde. Die Folge war, dass viele seiner Basinger ihn verliessen und auf die Seite der Egypter traten. Er wurde im Mai 1879 geschlagen und sein grosser Centralplatz, das unweit westlich von Ganda gelegene Dem Zuber, genommen. Den Siegern fielen die von Zuber Pascha und seinen Anführern aufgehäuften Schätze in die Hände. Soliman floh weiter nach Westen; aber trotz aller Anstrengungen Gessis, der ihm nachsetzte, gelang es nicht, seiner habhaft zu werden. Bei dieser Gelegenheit wurde auch eine Abteilung Solimans geschlagen, die von Rabeh geführt wurde.[S. 11] Fast zwei Monate trieb sich Soliman, von Gessi gehetzt, herum. Die Djellaba machten es ihm immer wieder möglich, den egyptischen Truppen zu trotzen oder ihnen zu entschlüpfen. Auf eine entscheidende Schlacht liess er sich nicht ein.
Um diese Zeit fasste Gordon den Entschluss, dem Sklavenhandel im Sudan ein für alle Mal ein Ende zu machen. Die verschiedenen Distriktschechs in den südlichen Provinzen wurden beauftragt, die Djellaba zu vertreiben und sie mit Gewalt in ihre Heimat zurückzusenden.[7] Gessi eröffnete ein Kesseltreiben gegen die Kaufleute, die, ob des Sklavenhandels schuldig oder nicht, ergriffen, ihrer Habe beraubt und nach Chartum abgeführt wurden. Das brach die Kraft Solimans, da er sich jetzt nicht mehr mit Waffen, Munition und Lebensmitteln versehen konnte. Als er sich nunmehr nach der Gegend von Djerra im Südwesten von Darfur gewandt hatte, liess ihm Gessi durch einen Zwischenhändler Verzeihung anbieten. Soliman nahm an, trotz des Widerspruchs eines grossen Teils seiner Ratgeber, der unter Zuber gross gewordenen Heerführer, und ergab sich mit einem Teile seiner Leute. Der andere Teil aber verliess unter Führung Rabehs das[S. 12] Lager, um dem egyptischen Sudan den Rücken zu kehren und nach dem Westen zu gehen. Soliman sollte sein Vertrauen bald bereuen. Sein alter Gegner Idris waled Defter verdächtigte ihn neuerdings bei der Regierung, und am 15. Juli 1879 wurde er von Gessi preisgegeben und mit seinen nächsten Verwandten getötet.
Soliman und seine Mannen starben als Helden. Unmittelbar vor ihrem Tode verhöhnten und beschimpften sie ihre Gegner, welche sie überwältigt und gebunden hatten, bis sie von ihren Kugeln getroffen zu Boden sanken.[8] Diese Art, dem Tode ins Auge zu sehen, ist bezeichnend für die Männer des egyptischen Sudan. Die Berichte, welche uns Slatin Pascha in seinem Buch immer wieder von der Kaltblütigkeit und dem Mut giebt, mit welchem zur Zeit der Schreckensherrschaft des Mahdi und seines Nachfolgers Tausende und Abertausende dem Tode entgegen gingen, müssen mit Bewunderung vor diesen Menschen und mit Staunen über die Geringschätzung des eigenen, aber auch des fremden Lebens erfüllen. Solcher Art waren die Leute, welche mit Rabeh das Nilland verliessen und ihm halfen, sein Riesenreich zu erobern.
[6] Der Name „Basinger“ stammt von der Bezeichnung „Basi“ her, die in dem alten Darfur-Reiche Verwandte des Königs führten, welche eine hohe Hofstellung einnahmen, und „ingue“ bedeutet in der Ta‘afe-Sprache „Sohn“, daher Basingue „der Sohn eines Basi“. — Die Bezeichnung wurde den mit Feuerwaffen versehenen Dienern, Sklaven und irregulären Soldaten gegeben, dagegen nicht den regulären egyptischen Regierungstruppen.
[7] Gordon wurde durch diesen Befehl äusserst unpopulär, und da die meisten der vertriebenen Kaufleute Djealin waren, wurde dieses einer der Hauptgründe dafür, dass er später in Chartum zur Zeit der Erstarkung des Mahdi einen Einfluss auf die Djealin nicht mehr ausüben konnte.
[8] Vergl. Slatin Pascha, Feuer und Schwert im Sudan, Leipzig, 1896, S. 28.
Von der ersten Jugend Rabehs wissen wir nicht viel. Rabehs Vater, Fadel Allah, soll aus dem Djebel Idris in Sennar stammen. Am glaubwürdigsten erscheint die Nachricht, dass Fadel Allah dort als freier Muhammedaner geboren wurde und von Beruf ein Schreiner war. Fadel Allah war jedoch kein Araber, wie sein Sohn später behauptete, sondern ein Neger; er wurde von den egyptischen Truppen erbeutet und als Soldat in ein Sudanbataillon eingestellt. Rabeh, welcher als Sohn eines Soldaten für den Militärdienst bestimmt war, wurde schon als Knabe eingereiht und zunächst als Tambour und dann in der Front verwandt. Später war er imstande, zwei Sklaven an seiner Statt zu stellen, worauf er, dem damaligen egyptischen Gesetze entsprechend, aus dem Militärverband entlassen wurde. Er ging dann nach dem Bahr el Ghazal, und hier wurde er von Zuber, der den aufgeweckten und waffenkundigen jungen Mann brauchbar fand, angeworben. Dem Djellabaführer folgte Rabeh als[S. 14] Knecht und Soldat, später als Einexerzierer, Offizier und Abteilungsführer. Nachdem Rabeh, zu unverhältnissmässig grösserer Macht gelangt war, als Zuber Pascha jemals besessen hatte, und von seinen früheren Beziehungen zu dem depossedierten Sklavenfürsten des Bahr el Ghazal nichts mehr wissen wollte, blieb Zuber doch stolz auf die Erfolge seines ehemaligen Mannes und bestritt mir ausdrücklich, dass Rabeh je sein Sklave gewesen sei.
Als Soliman, der Sohn Zubers, den für ihn so verderbenbringenden Entschluss fasste, sich Gessi Pascha auszuliefern, stand Rabeh an der Spitze derjenigen, die ihm hiervon abrieten und das vollständige Verlassen der alten Heimat, eine unbestimmte Zukunft und ein wildes Nomadenleben der Übergabe an Gessis Leute vorzogen. Damals (1879) muss Rabeh nach der Berechnung Zubers, der ihn als einen Mann von besonderer Energie, grosser Klugheit und rücksichtsloser Tapferkeit schildert, etwa 30 Jahre alt gewesen sein. Als er unter dem Vorantritt der dröhnenden Kriegstrommeln, jener grossen mit einer Ochsenhaut bespannten kupfernen Kesselpauken, das Lager Solimans in Djerra verliess, folgten ihm wohl tausend, vielleicht sogar mehrere tausend der besten Basinger Zubers, der Kern der Leute, denen er seine späteren gewaltigen Eroberungen verdankte, und denen er bis in die letzte Zeit hinein die Offiziere seiner Umgebung mit Vorliebe entnahm.
Die Tapferkeit der Basinger ist bekannt. Wir selbst haben sie in unseren Kolonien vielfach erprobt. Die Askari der deutsch-ostafrikanischen Schutztruppe rekrutieren sich heute noch zum Teil aus solchen sudanesischen Söldlingen. In den Kriegen zur Wiedereroberung des dem Mahdismus verfallenen Sudan haben sie sich in den Reihen der egyptischen Armee auf das glänzendste geschlagen, wie sie im feindlichen mahdistischen Lager den Egyptern und den Engländern schwere Verluste und in früherer Zeit manche Niederlage bereitet haben. Denn der Basinger ist ein Söldner in des Wortes wahrster Bedeutung. Wie der Landsknecht kämpft er für den, dessen Brot er isst; aber er dient auch dem Feinde, nachdem dieser ihn besiegt, ihn erbeutet hat, und ihm nunmehr den Lebensunterhalt gewährt und Aussicht bietet, mit seinen Weibern weiter zu leben oder neue Weiber und neue Beute zu erwerben. Der Abstammung nach sind die Basinger Schilluks, Dinkas und Angehörige anderer meist heidnischer Stämme des oberen Nils und seiner Nachbarländer. Als Kinder, oft aber auch erst als erwachsene Männer gefangen, werden sie nach kurzer Einübung tüchtige Soldaten und dienen dann, bis ihre Haare weiss werden und sie die Waffen nicht mehr tragen können. Sie werden regelmässig Muhammedaner und eignen sich die arabische Sprache nach Möglichkeit an.
Die Basinger, welche Rabeh nach dem Westen folgten, nahmen natürlich ihre Weiber mit sich.[S. 16] Später erhielt Rabeh beträchtlichen Nachschub aus dem egyptischen Sudan. Die Mannschaften, aus welchen sein Heer sich in der Folge weiter ergänzte, die von ihm auf seinen Kriegsfahrten erbeuteten Sklaven, gingen in seine Truppen auf, auch sie wurden Muhammedaner. Die Eroberungszüge Rabehs, die ihn immer mehr nach dem Westen geführt haben, sind als eine Art von Völkerwanderung im Kleinen anzusehen, bei welcher seine ursprünglich aus zahlreichen verschiedenartigen Stammeselementen bestehenden muhammedanischen Truppen einen neuen einheitlichen, fremden, erobernden Stamm in dem vielfach noch heidnischen neugewonnenen Gebiete darstellen.
Es gelang Rabeh, mit Geschick sich den Verfolgungen Gessi Paschas zu entziehen. Er wandte sich zunächst nach Dar Fertit und setzte sich hier in dem gebirgigen Gebiete von Dar Manga[9] fest. Diese Landschaft bildet eine grosse, leicht zu verteidigende natürliche Festung, und hier baute Rabeh sich seine erste Zeribe, von der aus er, vor jeder Verfolgung sicher, bis auf weiteres seine Sklavenjagden nach Süden hin ausführte.
Demnächst unterwarf Rabeh die kleinen Häuptlinge von Dar Banda und dehnte seine Eroberungszüge bis nach Bangasso am Mbomu, also bis in die nächste Nachbarschaft des Ubangi, aus. Auch gegen[S. 17] Semio und Rafai, die gleich Rabeh früher in Zubers Diensten gestanden und sich später im Heidengebiet der Niamniam, nordöstlich von Bangasso, selbständige Fürstentümer gründen konnten, unternahm er erfolgreiche Beutezüge, die damit endeten, dass die Genannten sich zu einem Tributverhältnis ihm gegenüber bequemten. Im Niamniam-Lande hatte Rabeh schon zur Zeit Zubers das Sklavenjagdgewerbe ausgeübt.[10]
Nunmehr wandte sich Rabeh nordwestlich und unterwarf sich die zwischen Dar Banda und Dar Runga gelegene Landschaft Kuti.[11] In Kuti regierte[S. 18] damals ein den Titel Schech führender Duodezfürst, Namens Muhammed waled Abu Bekr es Senussi,[12] der seinerzeit mit Zuber in Beziehung gestanden und ihm eine Art von Tribut gezahlt hatte, als dieser Sklavenfürst seine Menschenjagden so weit nach dem Westen ausdehnen konnte. Gleichzeitig stand der Herr von Kuti aber auch im Vasallenverhältnis zu Wadai, wie ein solches doppeltes Vasallentum in den afrikanischen Staatswesen an der Regel war und ist. Der Schech Muhammed es Senussi von Kuti ge[S. 19]hört zur herrschenden Familie von Baghirmi. Er ist ein Enkel des Sultans Osman Burkomanda von Baghirmi, der 1807–1846 regierte. Muhammeds Vater, Abu Bekr, war aus Baghirmi geflohen, als der älteste Sohn Burkomandas, Abd el Kader, auf den Thron seiner Väter gelangte. Nachdem Abu Bekr eine zeitlang heimatlos umhergeirrt war, machte er die Pilgerfahrt und gewann, nach Afrika zurückgekehrt, im Süden des Bahr es Salamat das Zutrauen des mächtigsten der heidnischen Fürsten in Dar Runga, dessen Tochter er heiratete. Nach dem Tode seines Schwiegervaters gelangte er zur Regierung, nachdem er natürlich seinen Schwager hatte ermorden lassen. Ihm war sein ältester Sohn Muhammed, der gegenwärtig noch Schech von Kuti ist, im Jahre 1875 gefolgt.
Als Rabeh im Gebiete von Kuti erschien, verhielt sich der Schech ihm gegenüber misstrauisch; Rabeh wurde gezwungen, ausserhalb der Hauptstadt zu lagern. Bald traf eine nicht unbedeutende Truppenmacht ein, welche der damalige Sultan Ali von Wadai gegen Rabeh entsandt hatte, vielleicht von dem Schech von Kuti zu Hilfe gerufen, vielleicht aber auch deshalb, weil Rabeh sich auf dem Marsche nach Dar Runga in den anderen zu Wadai gehörigen Distrikten Gewaltakte hatte zu schulden kommen lassen. Rabeh wurde zu einer friedlichen Besprechung aufgefordert. Statt darauf einzugehen, überfiel er nachts die übermächtigen Wadaileute und schlug sie[S. 20] glänzend.[13] Die zersprengten Reste des Wadai-Heeres flüchteten in die schwer zugänglichen heimatlichen Berge im Norden. Rabeh zog dann in Kuti ein, dessen Bewohner ihm huldigten. Damit war seine Stellung in Innerafrika begründet. Der bisherige Gebieter von Kuti und Dar Runga erkannte ihn als Oberherrn an, und von Kuti aus, wo er sich nunmehr consolidierte, begann Rabeh seine Herrschaft nach Süden und Westen auszudehnen. Sehr bald wurde seine Truppenmacht durch weitere frühere Gefolgsleute Zubers, welche sich der Regierung Gessis und der egyptischen Effendis nicht hatten fügen wollen, sowie später auch von solchen, die in den durch den aufkommenden Mahdismus geschaffenen Verhältnissen im Bahr el Ghazal und in Darfur sich nicht mehr wohl fühlten, verstärkt.
Zwischen Wadai und Rabeh kam eine Art stillschweigenden Kompromisses zu Stande. Zuber Pascha teilte mir mit, dass er von Kairo aus mit dem Sultan Ali von Wadai und mit Rabeh in Verbindung ge[S. 21]blieben und dass es seiner Vermittlung gelungen sei, ein gutes Verhältnis zwischen beiden herzustellen. Jedenfalls respektierten beide Teile einander, und es ist wahrscheinlich, dass damals Handelsbeziehungen zwischen Rabeh und Wadai bestanden haben, durch die der Eroberer sich von Norden her mit frischen Waffen und Munition versehen konnte.
In den ehemaligen egyptischen Provinzen des Sudan, in Kordofan, Darfur und im Bahr el Ghazal bis Lado hin, wo Emin Pascha die egyptische Fahne noch hoch halten konnte, war inzwischen das theokratische Reich des aus Dongola stammenden Mahdi Muhammed Ahmed zur That geworden. In geradezu verblüffender Weise hatte der Dongolaner die gegen ihn entsandten egyptischen Truppen immer wieder geschlagen. Es war ihm gelungen, in den Völkern der Nilländer einen religiösen Fanatismus zu entfachen, dessen man die zum Teil vor gar nicht langer Zeit erst dem Islam gewonnenen Neger nicht fähig gehalten hatte. Im August des Jahres 1881 hatte Muhammed Ahmed seine „göttliche Mission“ begonnen. Im Jahre 1882 lagen seine Scharen in der Nähe von Chartum. Nachdem schon der ganze egyptische Sudan ihnen verfallen, wurde auch Chartum im Jahre 1884 genommen, bei der Einnahme der Stadt fand der englische Generalgouverneur Gordon seinen Tod. Bald darauf erstreckte sich das Reich des Mahdi nilabwärts bis in die Gegend des zweiten Kataraktes, in die Nachbarschaft von Wadi Halfa,[S. 22] im Osten bis zum Roten Meere hin reichend, wo Suakin eine egyptische Enclave bildete, im Süden bis nach Lado; im Westen war es begrenzt von den Negerstämmen von Dar Fertit und Dar Banda, weiter nördlich von Wadai und endlich von der Libyschen Wüste, in deren Oasen der Oberschech des Senussiordens allmächtig war.[14] Sowohl mit Rabeh, als auch mit Wadai und dem Schech der Senussi ver[S. 23]suchte der Mahdi Beziehungen anzuknüpfen, jedoch ohne Erfolg. Der Oberschech der Senussi hatte offen den Mahdi als einen Ketzer dargestellt. Wadai und Rabeh wollten ihre Selbständigkeit zu Gunsten des Schreckensfürsten am Nil nicht aufgeben, und zwischen Rabeh und Wadai herrschte Frieden, auf Interessengemeinschaft begründet.[15]
Im Jahre 1884 sandte der Mahdi ein Schreiben an Rabeh, in welchem er diesen auffordern liess,[S. 24] ihn als den geweissagten Welterlöser und Herrn der Welt anzuerkennen. Rabeh antwortete nicht. Drei Jahre später liess der Chalifa Abdullahi, der im Jahre 1885 dem Mahdi gefolgt war, durch seinen Vetter Osman Adam an Rabeh die schriftliche Aufforderung richten, seinen Fahnen zu folgen. Auch dieses Schreiben wurde ignoriert. Erst viel später benutzte Rabeh die Sache der Derwische für seine eigenen Interessen. —
Mehrere Jahre setzte Rabeh von Kuti aus das Handwerk seines früheren Herrn und Lehrmeisters Zuber fort, mit seiner Soldateska die kleinen Negerfürsten und Dorfschaften in der Nachbarschaft von Dar Runga bekriegend und besiegend, hauptsächlich um Sklaven einzujagen, die wiederum Ersatz für die naturgemäss in diesen Kämpfen sich aufreibenden alten Truppen bildeten. Die Weiber wurden den Soldaten zu Frauen gegeben, der Überschuss nach Norden hin verkauft und gegen Waffen und Munition eingetauscht. Gleichzeitig versuchte er überall, ebenfalls nach dem Vorbilde Zubers, eine Art Regierung einzuführen, indem er in den von ihm eroberten Gebieten eigene Gouverneure einsetzte oder von den Stammesfürsten Tribut erhob. In Kuti behielt er den Schech Muhammed waled Abu Bekr es Senussi, dessen Tochter Hadja er mit seinem Sohne verheiratete, als seinen Statthalter bei. Der Schech von Kuti hat später viel von sich reden gemacht. Im Mai 1891 liess er im Auftrage seines[S. 25] Oberherrn Rabeh die französische Expedition unter Crampel massakrieren. Dadurch fielen Rabeh 50 Repetiergewehre, 200 gewöhnliche Gewehre und reiche Munition in die Hände.[16] Einige der Senegalesen Crampels erscheinen später als Offiziere im Heere Rabehs.
[9] Die viel gebrauchte Pluralbildung des Namens lautet Mangiat.
[10] Übrigens haben sich Semio und Rafai, sowie einige andere Häuptlinge im Niamniam-Gebiete, deren Land von den Franzosen kurzweg „les Sultanats“ genannt wird, gegen die mahdistische Invasion halten können. Im Jahre 1884 konnten sie einen Angriff der Mahdisten mit Erfolg abweisen, und seither scheinen sie nicht mehr belästigt worden zu sein. In der Folge haben sie aus Opportunitätsgründen den durchkommenden Belgiern und Franzosen keine Schwierigkeiten gemacht und sich der Handelsexpedition des Bonnel de Mezières entgegenkommend gezeigt. Rafai ist unlängst gestorben, ihm ist sein Sohn Osman gefolgt.
[11] Belgische Quellen (vergl. A. J. Wauters, Mouvement Géographique, 1899, No. 44) geben die ersten Geschicke Rabehs, nachdem er den Verfolgungen Gessis sich hatte entziehen können, wie folgt: Zunächst habe er sich südwestlich nach Dar Fertit gewandt, das er vernichtete. Darauf wäre er, weiter südwestlich ziehend, in das Gebiet der Kresch und der Banda eingedrungen, die er sich unterworfen habe. Dann sei es zu einem grossen Kampfe zwischen ihm und den Sakkara gekommen, deren Anführer damals Bali, der Vater ihres gegenwärtigen Schech Bangasso, gewesen sei. Die Schlacht habe am Bali, einem Nebenflusse des Ubangi, unweit des Dorfes Baso, also in der nächsten Nähe der nördlichen Grenze des Kongostaates, stattgefunden. Die Sakkara seien vollständig geschlagen worden, und ihr Gebiet wäre der Verwüstung und Unterwerfung in derselben Weise wie das der Kresch und Banda anheimgefallen, wenn der Sieger in seinem Marsche nach dem Ubangi nicht durch absoluten Mangel an Lebensmitteln und die Furcht, auch im Süden sich nicht verproviantieren zu können, aufgehalten worden wäre. Infolgedessen habe er sich nunmehr nach dem Nordwesten gewandt. Nach der Überschreitung des Koto, eines anderen Nebenflusses des Ubangi, sei er nach Dar Runga marschiert, dessen in Kuti residierender Sultan, ein Vasall von Wadai, sich ihm unterwerfen musste. Bei dieser Gelegenheit seien Rabeh grosse Waffenvorräte in die Hände gefallen, und von dem Augenblicke an datiere seine eigentliche Macht. Die gedachten belgischen Quellen verlegen diese Ereignisse in die Jahre 1883 und 1884.
Es ist schwer zu entscheiden, ob der gegen die dem Kongostaate nahe liegenden Sakkara gerichtete Kampf der Festsetzung Rabehs in Kuti wirklich vorangegangen ist. Es ist mir wahrscheinlicher, dass es sich dabei um einen jener Kriegs- und Raubzüge handelt, welche Rabeh von Kuti aus strahlenförmig nach dem Südwesten und Südosten ausführte.
[12] Kuti ist der Name einer der Landschaften, in die Dar Runga zerfällt und gleichzeitig der Name der früheren Hauptstadt des Landes. In jüngster Zeit wird N’Delle als Residenz des Schech Muhammed waled Abu Bekr es Senussi genannt. Der Herr von Kuti hat nichts mit der religiösen Bruderschaft der Senussi zu thun. Der Name es Senussi kommt mehrfach vor. Ihn trägt auch eine reiche Kaufmannsfamilie in Alexandrien und ein ganzer tunesischer Beduinenstamm.
[13] Dieser erste Kampf, der zwischen Rabeh und Wadai noch bei Lebzeiten des eigentlichen Mahdi im egyptischen Sudan stattfand, wurde mir von einem Wadai-Manne in seinen Einzelheiten etwas anders dargestellt. Der Kampf sei durch Regen unterbrochen worden. Auf beiden Seiten seien 3–400 Mann gefallen. Oberbefehlshaber auf Seiten Wadais sei der Eunuch Scharaf ed Din, der Akid es Salamat, gewesen. Von hervorragenden Wadai-Leuten, die gefallen, nannte er el Makua Hlata, den Akid der Chamis, den der Djamie u. a. Nach diesem Kampfe habe sich Rabeh zunächst vom Salamat-Gebiet, woselbst der Kampf stattgefunden habe, ostwärts nach dem Bahr el Iro, dann sudwärts nach Dar Runga und Kuti gewandt.
[14] Der Orden der Senussi, deren Namen in diesen Blättern häufig wiederkehrt, ist eine religiöse muhammedanische Bruderschaft, die sich in den letzten Jahrzehnten zu einem nicht zu unterschätzenden Machtfaktor in der afrikanischen Politik herausgebildet hat und namentlich in gewissen Gegenden des nordöstlichen Afrika ausschlaggebenden Einfluss besitzt. In religiöser Beziehung auf puritanischer, den starren ursprünglichen Islam betonender Grundlage stehend, zeichnet sie sich durch eine ausserordentlich straffe Organisation aus, die in blindem Gehorsam dem Ordensoberhaupt gegenüber gipfelt. Unter sich sind die Ordensbrüder zu gegenseitiger Unterstützung gezwungen. Der Gründer des Ordens, der Vater des gegenwärtigen Oberschechs, ein Algerier von Geburt, hat Ende der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts, nachdem er lange Zeit im Hedjaz gelebt, den Ordenssitz in Djerabub, an der tripolitanisch-egyptischen Grenze, in einer Oase aufgeschlagen, die mitten in der Wüste, weitab vom Meere, gelegen ist. Von hier hat der gegenwärtige Schech der Senussi im Jahre 1896 seinen Centralsitz nach der Oase Kufra und im Jahre 1899 noch weiter nach dem Innern, nach Borku, verlegt. In sehr geschickter Weise hat sich das Ordensoberhaupt mit einem mystischen Nimbus zu umgeben gewusst, und der heutige Schech der Senussi wird von seinen Anhängern als der erwartete, wahre Mahdi angesehen. In zahlreichen Orten Innerafrikas, auf den Karawanenstrassen nach Mekka u. s. w. haben die Senussi klosterartige Etablissements, Zauijas, errichtet, welche unter eigenen Beamten, Mokaddims, stehen, und in denen die Gläubigen und vor allem die Ordensbrüder bewirtet und die Lernbegierigen in eigenen Schulen unterrichtet werden. Von diesen Zauijas aus wird die Propaganda für den Islam und für den Orden eifrig betrieben. Gleichzeitig sind sie durch ihre Schulen die Träger einer gewissen Kultur geworden. Die Senussi betonen die Nützlichkeit der Arbeit, und die Zauijas geben in dieser Beziehung selbst ein gutes Beispiel durch Anlage von mustergiltigen Ackerbauwirtschaften und Palmenwäldern. Sie unterstützen nach Kräften den Handel, von dem sie selbst möglichsten Nutzen ziehen. Ein Teil der Einkünfte der Zauijas wird für den Unterhalt derselben verwandt, der Rest wird an die Centralstelle abgeführt. Besonders in letzter Zeit hat sich der Orden der Senussi mehr und mehr im Interesse seiner zahlreichen im Nordosten Afrikas vom Karawanenhandel lebenden Anhänger um die Aufrechterhaltung friedlicher Zustände im Innern des schwarzen Erdteils bemüht. Der Oberschech der Senussi ist über alle Vorgänge in Afrika genau orientiert. Stets stehen in seiner Centrale Sendboten bereit, um seine Befehle und Ratschläge nach den entferntesten Gegenden zu tragen. Der europäischen Expansionspolitik in Afrika haben sich die Senussi stets feindlich gezeigt. Auch ausserhalb Afrikas zählt der Orden zahlreiche Anhänger.
[15] Irrtümlich wird vielfach angenommen, dass Rabeh, nachdem er seinen früheren Herrn, Soliman ibn Zuber, verlassen hatte und bevor er nach Westen zog und seine grossen Eroberungen in Baghirmi antrat, zunächst sich nördlich nach Borku gewandt habe, woselbst er unter Respektierung der geistigen Autorität des Schech der Senussi längere Zeit sich aufgehalten habe. Dieser Irrtum beruht meines Erachtens neben der besprochenen Namensverwechslung des Oberhauptes des Senussiordens mit dem Herrn von Kuti darauf, dass von vielen Afrikanern der Sultan von Wadai auch Sultan von Borku genannt wird. Die im Norden von Wadai gelegenen Berggebiete von Borku sind dem Sultanate Wadai tributär.
[16] Vergl. Harry Alis, La Conquête du Tchad, S. 161, 178. Gerächt wurde dieser Mord durch die nach Kuti vorgedrungenen Leute Dybowskys am 22. November 1892 (a. a. O. S. 162). Allerdings konnte Dybowsky des Urhebers des Mordes, des Schech Muhammed es Senussi selbst, nicht habhaft werden. In der Folge, im Jahre 1898, wurden französischerseits sogar durch Prins freundschaftliche Beziehungen mit diesem angeknüpft. Vergl. unten S. 87 f. Der Schech von Kuti scheint Rabeh jedoch bis zum letzten Augenblicke, also bis zur Zeit seiner Niederlage durch die Franzosen gehorsam und tributär geblieben zu sein, wenn er auch den Franzosen gegenüber, die ihn besuchten, den Anschein zu erwecken trachtete, als ob er sich mit ihnen gegen Rabeh verbünden wollte. Erst neuerdings, im Mai 1901, hat der Herr von Kuti sich den Franzosen endgiltig unterworfen und dem Oberst Destenave, welcher zur Vertretung Gentils den Schari abwärts nach Fort Lamy marschierte, in Gribingi einen Ergebenheitsbesuch abgestattet. In dem französischen Lager erschien der Schech an der Spitze von 1500 Leuten, darunter 600 gut einexerzierte Gewehrträger.
Im Jahre 1887 beginnt eine neue Phase in dem Leben Rabehs. Er glaubte sich nunmehr stark genug, offensiv gegen das Sultanat Wadai vorzugehen, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zum mächtigsten und am festesten gegliederten innerafrikanischen Staatsgebilde entwickelt hatte. Den äusseren Anlass zum Kampfe scheint ein vom Sultan von Wadai abtrünniger Lehensfürst in Salamat[17] gegeben zu haben, der um das Jahr 1887 Beziehungen mit Rabeh angeknüpft hatte, auf Grund deren Rabeh nordwärts vorging.
Wadai besteht aus einer grossen Reihe von entweder direkt von der Hauptstadt Abeschr aus oder von eingeborenen Stammesfürsten verwalteten Provinzen. Eine eigenartige, das Gesamtgebiet um[S. 27]fassende militärische Organisation übt gleichzeitig eine Kontrolle über die unter direkter Verwaltung stehenden Provinzen und über die Tributärstaaten aus. Sie wird durch Heerführer, Akids, repräsentiert, deren es gegenwärtig 98 in Wadai giebt.[18] Vielfach ist die Würde eines Akid erblich, namentlich in der Familie einzelner Vasallenfürsten, so bei den Bulala, einem grossen Stamme östlich des Tschadsees; aber meist werden Günstlinge, auch Eunuchen, solche, die in ihrer Jugend Sklaven und Diener in der nächsten Umgebung des Sultans gewesen waren, zu Akids ebenso wie zu den anderen Hofchargen ernannt. Neben den Akids giebt es in einzelnen Distrikten noch besondere Generäle, Kamkalak genannt.
Nach Mitteilungen von Wadai-Leuten scheint Rabeh die einflussreichsten Leute des Bahr es Salamat insgeheim durch grosse Geschenke an Kühen, Pferden, Elfenbein u. s. w. für sich zu gewinnen gesucht und auf die Zusage der Bestochenen gebaut zu haben, dass sie ihn als ihren Herrn anerkennen würden, falls es ihm gelänge, den Akid und Djerma[19] Osman ed Dahab Abu Djebrin zu töten. Rabeh hatte bereits durch seine Festsetzung in Dar Runga[S. 28] in die Machtsphäre des Sultans von Wadai eingegriffen, allerdings weit im Süden seines Reiches, in einer Gegend, in welcher der Sultan früher selbst Sklaven zu jagen gewohnt war. Seitdem Rabeh sich zum Herrn von Kuti gemacht hatte, scheint dieses nur noch unregelmässig Tribut an Wadai gezahlt zu haben.
Auf die Nachricht von dem Herannahen der Truppen Rabehs vereinigten sich die sämtlichen Heerführer des Südwestens von Wadai, um dem zunächst bedrohten Akid el Baher, Namens Waled Enhaiib, dem Heerführer einer Provinz im Salamat-Gebiete, beizustehen. Die stärksten Kontingente stellten der Akid el Berudj, der Heerführer des Seen-Bezirks, der vorerwähnte Djerma Osman ed Dahab Abu Djebrin und Idris, der Akid der Bulala. Die Truppen von Wadai waren siegreich in dem ihnen aufgedrungenen Kampfe. Zwar blieb die erste Schlacht, welche am oberen Laufe des Salamat-Baches stattfand und von Sonnenaufgang bis zum Abend wogte, unentschieden, und auf Seiten der Armee von Wadai fielen mehr als 400 Mann, darunter der Akid el Baher und der Akid el Berudj. Aber die von Rabeh bestochenen Grossen liessen ihn im Stich und stiessen zu den weiter anrückenden Truppen[S. 29] von Wadai. Rabeh zog sich noch in der folgenden Nacht zurück, überzeugt, dass er von den Salamat-Leuten verraten war. Abu Djebrin liess am kommenden Tage allen, welche des Einverständnisses mit Rabeh bezichtigt wurden, den Kopf abschlagen.
Von Stund an wurde der Sultan Jussuf von Wadai, der Bruder und Nachfolger des bereits genannten Sultan Ali, der gefährlichste Gegner Rabehs. Die späteren Versuche des Eroberers, wieder gute Beziehungen mit ihm anzuknüpfen, blieben fruchtlos, und auch Jussufs Nachfolger, der Sultan Ibrahim, hat sich unversöhnlich gezeigt. Eine weitere Folge des Vorgehens Rabehs gegen Wadai war, dass er sich die Feindschaft des Oberschech der Senussi zuzog. Wohl ist dieses Zerwürfnis nicht direkt zu Tage getreten, in der Folge scheint Rabeh sogar, um vielleicht den steigenden Einfluss der Senussi und den Nimbus, der von ihrem Namen ausging, für sich nutzbar zu machen, seine Truppen als Senussi ausgegeben zu haben. Im Jahre 1892 wurden dem Franzosen Le Maistre als Bewohner des rechten Ufers des Bamingi oder Bahr el Abiad die räuberischen „Senussus“ oder „Rabi Turkos“ bezeichnet, welche häufig Einfälle auf das linke Ufer des Flusses machten, und infolge dessen wurde auch von französischer Seite an eine Identität der Rabeh’schen Truppen mit den Senussi geglaubt.[20] Wohl mögen[S. 30] auch unter den Scharen Rabehs Anhänger des Senussiordens sich befunden haben. Rabeh selbst ist niemals Senussi gewesen, gehörte vielmehr dem Orden der Tidjani an, und der Schech der Senussi ist Rabeh bis zu seinem Tode feindlich gesinnt geblieben.[21]
[17] Das Bahr es Salamat wurde bereits als mutmasslicher Schauplatz des ersten Kampfes zwischen Wadai und Rabeh genannt. Allem Anscheine nach ist dieser Landstrich eine breite südwestlich sich hinziehende Thalsenke, welche einen Teil der südlichen Abwässer von Wadai in sich aufnimmt. Diese fliessen nach dem Iro-See und von hier aus in den Schari und zum Tschadsee.
[18] Die Würde des Akid (die arabische Pluralform lautet Okada) ist eine heute noch bei den Beduinen unter gleichem Namen bestehende Einrichtung. Vergl. hierüber mein Buch „Vom Mittelmeer zum persischen Golf“, Bd. II, S. 86.
[19] Die Würde des Djerma, des Oberstallmeisters, ist eine der bedeutendsten der in Wadai, wie in den übrigen innerafrikanischen Staaten so zahlreichen Hofchargen. Es giebt vier Djerma in Wadai. Die Würde des ersten Djerma bekleidete zur Zeit der Sultane Ali und Jussuf deren mütterlicher Onkel, Abu Djebrin, dessen Sohn der noch jetzt amtirende erste Djerma Osman ed Dahab ist. Schon sein Vater war gleichzeitig Akid im Salamatdistrikt.
[20] Vergl. Jacques Daunis, Un Conquérant Soudanais, in La Revue de Paris 1897, S. 352.
[21] Ganz neuerdings, nachdem Schwierigkeiten zwischen dem Schech der Senussi und dem Sultan Ibrahim von Wadai entstanden waren, ging allerdings das Gerücht, dass das Ordensoberhaupt mit dem Sohne Rabehs bessere Beziehungen anknüpfen wollte. Ein praktisches Resultat hat diese angebliche Sinnesänderung jedoch nicht gehabt.
Nach dem vergeblichen Versuche, durch das Wadi Salamat in Wadai einzudringen, kehrte Rabeh nicht mehr nach Dar Runga und Kuti zurück. Er wandte sich südwestwärts und vergriff sich nunmehr zum ersten Male an dem dem Sultan von Baghirmi gehörigen Gebiete. Rabeh muss damals seine Raubzüge weit nach Westen und Süden hin ausgeführt und am Gribingi bei Akungas (Dakongu) und im Gebiete der Sarra wie überhaupt in der ganzen Gegend westlich von Kuti festen Fuss gefasst haben. Als Länder, die von ihm um diese Zeit erobert wurden, werden ferner angegeben: Banga, Waido und Bandei, kleine Negerstaaten, die sich zum Teil in nächster Nähe vom Ubangi befinden. Der Sultan von Baghirmi hatte Rabeh Tribut geschickt und dadurch einstweilen die Gefahr eines direkten Angriffes seiner Soldateska von sich abgewendet.
Im Winter 1888/89 spielten sich Ereignisse in dem den Derwischen verfallenen egyptischen Sudan[S. 32] ab, welche für die Entwickelungsgeschichte der Macht Rabehs von grosser Bedeutung werden sollten. In Darfur war die sogenannte Gumeza-Revolution[22] ausgebrochen. Nachdem die Bewegung erstickt war, zog es ein grosser Teil der Leute, die sich gegen den Chalifa Abdullahi erhoben hatten, nach verlorener Sache vor, statt sich zu unterwerfen, mit ihren Waffen und Weibern nach Westen zu ziehen und sich mit Rabeh zu vereinigen. Es dürften wenigstens 1–2000 Mann gewesen sein, die aus diesem Anlass vom egyptischen Sudan her zu ihm gestossen sind. Unter ihnen befanden sich zahlreiche ehemalige egyptische Soldaten, die früher zu den Garnisonen von Fascher und anderen Plätzen von Darfur gehört und unter Slatin Pascha gedient hatten.
Rabeh näherte sich zunächst wieder dem Schauplatz seiner ersten Thaten, den er betreten hatte, nachdem er sich von Soliman ibn Zuber getrennt. Er eroberte Dar Fertit, wo sich die Derwische seitdem festgesetzt hatten, wieder zurück. Doch wagte er sich nicht weiter an das Reich des Chalifa heran.
Dann aber trat der entscheidende Wendepunkt in der Laufbahn Rabehs ein; er beschloss, in kühnem Zuge nach dem Schari zu marschieren, den Schwerpunkt seiner Thätigkeit und seines Reiches aus den Gegenden im Süden von Darfur und Wadai nach[S. 33] dem Westen zu verlegen und am Tschadsee die grossen seit Jahrhunderten dort bestehenden reichen Sultanate zu überrennen, um aus ihren Trümmern sich ein eigenes grosses Reich zu schaffen. Infolge der Verstärkung seines Heeres durch die Flüchtlinge der Gumeza-Revolution und infolge seiner neuesten Erfolge im Südosten von Baghirmi glaubte er sich stark genug, diesen Plan zur Ausführung bringen zu können. Hierzu kam, dass er sich in seinem bisherigen Aktionsgebiet nur noch schwer mit Munition und gutem Pulver — deren er in erster Linie immer bedürftig war — versorgen konnte. Durch den Angriff auf Wadai hatte er sich friedliche Handelsbeziehungen mit dem Norden unmöglich gemacht. Das Gebiet von Kanem, welches sich zwischen Wadai und dem Tschadsee befindet, war Wadai tributär oder stand unter dem Einfluss des Ordens der Senussi. Von Norden her konnte er sich also keine neuen Waffen und Munition verschaffen und ebenso wenig nach Norden Elfenbein und den Überschuss an erbeuteten Sklaven absetzen. Das Gebiet von Kuti aber muss nach allen Berichten infolge Rabehs langjähriger Anwesenheit arg mitgenommen und zu dauernder Rückkehr für ihn nicht mehr verlockend gewesen sein.
Im Jahre 1892 scheint Rabeh seinen Angriff gegen das Königreich von Baghirmi begonnen zu haben. Der Herrscher dieses grossen Ländergebiets war Muhammed Abd er Rachman Gauranga, der[S. 34] Sohn des Sultans Abd el Kader abu Sekkin. Gauranga, der dem Sultan von Wadai Tribut zahlte, stand ausserdem in gewisser historischer Abhängigkeit von dem König von Bornu. Der letzte Grund der Feindseligkeiten soll die Weigerung des Sultans von Baghirmi gewesen sein, Waffenhändler von Westen her mit Rabeh verkehren zu lassen. Längere Zeit schlug sich Rabeh im östlichen Baghirmi herum, zunächst in kleineren Gefechten den Sultan Gauranga besiegend. Dieser sah sein Schicksal voraus. Seiner doppelten Vasallenpflicht sich erinnernd, sandte er an beide Höfe Boten mit der Bitte um Hilfe gegen die sich heranwälzende Macht Rabehs, der, wie er richtig vorstellte, nach der Niederwerfung Baghirmis sich zum Herrn des gesamten Tschadseegebietes machen würde. In Bornu predigte er tauben Ohren. Der französische Forschungsreisende Monteil war im Sommer 1892, als er bei dem Bornu-Sultan Haschem in Kuka sich aufhielt, Zeuge der vergeblichen Sendung des Sohnes des Gauranga. Der Sultan Jussuf von Wadai aber war weitsichtig genug, die Situation zu erfassen, und versprach Hilfe.
Den älteren Wadai-Kriegern war der Weg nach Baghirmi bekannt. Schon zweimal war die Hauptstadt Massenja von den Wadai-Truppen erobert worden: das erstemal im Anfange dieses Jahrhunderts durch Abd el Kerim Sabun, welcher den blutschänderischen König Gauranga I. züchtigen wollte; das[S. 35] zweitemal durch Sultan Ali, der Ende 1870 mit seinem Djerma Abu Djebrin und dem Akid der Bulala nach Massenja zog, um an seinem zur Unbotmässigkeit neigenden Vasallen Abu Sekkin, dem Vater des gegenwärtigen Sultan Gauranga, ein Strafgericht zu üben.
Als Rabeh sich Massenja, der Hauptstadt von Baghirmi, näherte, verbrannte Gauranga die Stadt und floh nach Mandjafa (auch Mainheffa oder Mainfa gesprochen), wo er sich verschanzte. Die Stadt Mandjafa muss einen riesenhaften Umfang gehabt haben. Sie hatte eine aus Backsteinen hergestellte breite Mauer, in ihrem Innern befanden sich Felder; genügendes Wasser bot der Schari und ein Zufluss desselben, und so gewährte die Stadt alle Gewähr, einem nicht mit modernen Belagerungsgeschützen ausgestatteten Gegner, selbst wenn er, wie Rabeh, über eine grosse Anzahl von Feuerwaffen verfügte, geraume Zeit Stand halten zu können.
Fünf, nach anderen sieben, Monate lang belagerte Rabeh Mandjafa. Aber ehe er die Stadt einnehmen konnte, langten die von Gauranga erbetenen Hilfstruppen des Sultans Jussuf an. Das Wadai-Heer muss ein bedeutendes gewesen sein. Die natürlich stark übertreibende afrikanische Fama spricht von 40000 Mann. Die sämtlichen südwestlichen Provinzen und Tributärstaaten von Wadai haben am Kampfe teilgenommen, was sich schon aus den Namen der hervorragendsten vor Mandjafa[S. 36] kämpfenden Heerführer ergiebt. Von ihnen werden ausdrücklich genannt: der Djerma Osman Abu Djebrin und zwar als Generalissimus aller Wadai-Truppen, ferner ein Akid aus dem Salamat, Scharaf ed Din, sodann Gudjdja, der Akid der Raschid, Kadai, der Sultan der Bulala, Abd er Rachman, der Sultan der Madru (eines Stammes eine Tagereise östlich vom Fitri-See), Gado, der Akid der Debaba (eines arabischen Stammes in der Umgegend des Fitri-Sees), ferner der Kamkalak Daher, der Adari (Bezeichnung eines anderen hohen Offiziers) Musa.
Diesmal trug Rabeh einen entscheidenden Sieg über die Truppen von Wadai davon; das grosse Entsatzheer wurde vor den Thoren von Mandjafa gründlich geschlagen, viele der edlen Heerführer und eine grosse Zahl ihrer Truppen kamen um. Der Djerma gab seine Sache verloren und führte den Rest seiner Leute nach Wadai zurück, Gauranga konnte sich aus der Stadt flüchten, indem er den Ring der Belagerer durchbrach, und Rabeh zog als Sieger in Mandjafa ein. Die Stadt wurde geplündert und zerstört. Der Fall Mandjafas muss etwa im Juli des Jahres 1893 erfolgt sein. Gauranga floh zunächst nach Massenja und dann nach dem Süden, musste sich jedoch schliesslich unterwerfen und wurde Rabeh tributär, ohne aber seine Tributzahlungen an Wadai einzustellen.
Rabeh verfolgte seinen Sieg über die Wadai-Leute nicht, sondern wandte sich nunmehr west[S. 37]wärts gegen Bornu. Zunächst ging er, durch die Schätze der Baghirmi-Städte bereichert und durch zahlreiche neue Sklaven verstärkt, nach dem Norden der Landschaft von Logon. Er überlistete den dortigen über Kusseri, Gulfei und andere Schari-Städte herrschenden Duodezfürsten, den Sultan Musa, den er zum Herrn von Bornu zu machen versprach. Nachdem ihm eine Furt über den Schari gezeigt und der Übergang über den mächtigen breiten Strom erleichtert worden war, nahm er die Stadt Karnak-Logon und tötete Musa. Damit war Rabeh auf deutsches Gebiet übergetreten, gleichzeitig aber in das Königreich Bornu eingefallen, denn Logon war damals noch dem Sultan von Bornu thatsächlich tributär. Jetzt war der Krieg mit Bornu unvermeidlich geworden, einem der ältesten und grössten innerafrikanischen Reiche, dessen greiser Herrscher aber verweichlicht war, und dessen Bevölkerung längst das Kriegshandwerk verlernt hatte.
Einen wesentlichen Einfluss auf die Entschliessung Rabehs, den Kampf mit Baghirmi zu betreiben, um dann weiter westwärts nach Bornu vorzudringen, hat ein Mann gehabt, welcher um jene Zeit im Süden des Tschadsees eine Rolle zu spielen begonnen hatte. Dieser Mann war Haiatu, ein Spross der seit dem Anfange dieses Jahrhunderts in Sokoto herrschenden Fulbe-Dynastie,[23] welche im Westen von Bornu vom[S. 38] Streifgebiete der Tuareg in der Sahara an bis über den Niger Benue hinaus die zahlreichen kleineren und grösseren Haussa- und Neger-Staaten sich tributär machen und zu dem Riesenreich von Sokoto zusammenschweissen konnte. Dadurch, dass das in dem Hinterlande unserer Kamerun-Kolonie gelegene, aus verschiedenen kleineren Staatengebilden bestehende Gebiet von Adamaua, dessen Emir in Yola residierte, dem Kaiser von Sokoto tributär wurde, umspannte dieses Reich das Sultanat Bornu auch im Süden. Haiatu, ein Urenkel des Stifters der Dynastie von Sokoto, glaubte sich zum Thronerben berufen. Schon als der neunte Sultan der Dynastie, Ma‘azu, ein Sohn des grossen Bello, welcher 1817–1832 regierte und die eigentliche Macht des neuen Reiches begründete, starb, hätte ihm nach dem muhammedanischen Rechte der damalige Senior der Familie, Haiatus Vater, Sa‘id, ein Bruder des Ma‘azu, folgen sollen. An dessen Stelle gelangte jedoch 1875 Omar, der Sohn des Aliu,[24] eines älteren Bruders des Ma‘azu, zur Regierung, und im Jahre 1891 wurde nach Omars Tode abermals der alte Sa‘id übergangen und an seiner Stelle Omar Abdu, der Sohn des Atiko, eines Bruders des Bello, auf den Thron erhoben. Haiatu hatte schon bald nach dem Tode des Ma‘azu,[S. 39] wenn nicht gerade die Fahne der Empörung entrollt, so doch in Gando, dem alten Stammsitze der Familie, unweit östlich der Hauptstadt Sokoto, ein eigenartiges Leben zu führen begonnen. Von Jugend an ein grosser Schriftgelehrter, predigte er gegen die Vernachlässigung der Gesetze des Islam und umgab sich gleichzeitig aus den zahlreichen Getreuen mit einem grossen Hofstaate, ganz in der Art wie die regierenden Könige von Sokoto. Sein Vetter wagte zwar nicht, sich an dem frommen Gegensultan zu vergreifen, aber im Jahre 1878 musste Haiatu doch das Feld räumen und nicht nur Gando, sondern überhaupt das Land seiner Väter verlassen. Er gab vor, die Pilgerfahrt nach Mekka anzutreten. Zunächst wandte er sich nach Kuka, der Hauptstadt des grossen Tschadseereiches Bornu, doch wurde ihm nach einigen Monaten aus Rücksicht auf den mächtigen Nachbarn in Sokoto bedeutet, dass seines Bleibens hier nicht länger sei. Darauf ging er südwärts nach Mandara und von hier aus nach Yola. Aber auch der Emir von Yola sah sich, nachdem er Haiatu etwa ein Jahr lang Gastfreundschaft gewährt hatte, genötigt, ihn zum Weitermarsch aufzufordern. Haiatu zog jetzt durch Adamaua nach der Gegend von Balda, wo noch Heiden (Musgu) hausen.
Nachdem Haiatu Yola verlassen, suchte er unterwegs in Adamaua unter den versprengten Fulbe, sowie überhaupt möglichst zahlreiche Gefolgsleute zu[S. 40] gewinnen, mit denen er immer weiter, angeblich zum Zwecke der Erfüllung der Pilgerpflicht, seines Weges zog. Im Gebiete von Balda erschien der Sokotoprinz zu einer Zeit, als die dortigen Musgu im Kampfe mit benachbarten Stämmen sich befanden, und sein Eingreifen in das Gefecht wirkte wie ein Wunder. Stadtkönig und Volk huldigten dem rettenden Engel. Nach diesem Erfolg verzichtete Haiatu auf die Fortsetzung seiner Pilgerreise. Er setzte sich in Balda fest, gewann zahlreiche Umwohner dem Islam und vergrösserte seine Herrschaft. Die Aussicht auf Beute unter seinen Fahnen liess immer weitere Dorfbezirke der Nachbarschaft ihn als König anerkennen. Kriegerische Fulbe und selbst Araber der weiteren Umgegend verstärkten sein Heer. Der Emir von Yola hatte vergeblich im Jahre 1891 Truppen gegen ihn gesandt. Im Jahre 1892 war er selbst zu Felde gezogen, aber von Haiatu geschlagen worden. Es heisst, dass sogar der Kaiser von Sokoto sich in die Sache gemischt und zunächst eine Gesandtschaft an Haiatu geschickt habe. Dieser begegneten die Leiter der deutschen Kamerun-Expedition, die Herren von Üchtritz und Passarge, Ende 1893 bei Marrua.[25]
Aber seine Absichten auf den Thron von Sokoto hatte Haiatu nicht vergessen, und als die Nachrichten von der Anwesenheit Rabehs auf dem rechten Ufer des Schari nach den Bornu-Landen drangen,[S. 41] setzte sich Haiatu mit dem kühnen Eroberer in Verbindung. Er hatte ihn über die Schwäche des Bornu-Reiches unterrichtet und aufgefordert, den morschen Thron des Sultans von Kuka über den Haufen zu werfen. Mit Rabehs Hilfe hoffte Haiatu alsdann, den Thron seiner Väter in Sokoto besteigen zu können.
Nach der Einnahme von Logon liess Haiatu seinen Sohn Mundjeli in Balda als seinen Stellvertreter zurück und stiess mit einer grossen Anzahl seiner Gefolgsleute zu Rabeh. Um seinen religiösen Nimbus zu erhöhen, gab sich der fromme Betrüger als einen Vorläufer des von Osten heranziehenden Eroberers aus, den er als einen Abgesandten des Mahdi bezeichnete. Von den nach der Gumeza-Revolution geflüchteten Mahdisten waren vereinzelte auch bis zu Haiatu gedrungen, und durch sie war er mit den Einzelheiten des Auftretens des egyptischen Mahdi bekannt geworden. Der geriebene Heilige soll sogar mit einigen seiner Getreuesten die Kleidung der Derwische, die mit bunten Lappen benähte Djibbe, angelegt haben.
Wenn Rabeh, als er an die Unterwerfung der grossen muhammedanischen Tschadseeländer herantrat, es für angezeigt hielt, sich den madhistischen Gedanken zu Nutze zu machen, so hat vielleicht Haiatu dabei seine Hand im Spiel gehabt; doch mag auch der ebenso schlaue wie rücksichtslose Usurpator aus eigener Initiative dazu gekommen sein, die Er[S. 42]folge des Mahdi in den Dienst seiner Eroberungspolitik zu stellen. Vordem, als er noch weiter im Osten seinen Beutezügen in heidnischen Landen oblag, hatte er kein Interesse daran, sich als einen Gefolgsmann der Derwische zu bezeichnen: wir sahen, dass er die Aufforderung des egyptischen Mahdi Muhammed Achmed im Jahre 1884 und diejenige seines Chalifa im Jahre 1887, ihrer Sache zu folgen, unberücksichtigt gelassen hatte. Anders jetzt, wo er gegen Muhammedaner zu kämpfen hatte. Den muhammedanischen Unterthanen der Fürsten, deren Nachfolge er zu übernehmen gedachte, kündete er an, dass er zu ihnen komme, um im Namen des Mahdi sie vom Joche ihrer Herren zu befreien und eine neue gebenedeite Zeit für sie anbrechen zu lassen. Bei seinen Proklamationen soll Rabeh von nun an sogar die Phraseologie des Chalifa angewandt haben. Gentil zeigte mir in Paris zwei erbeutete, von Rabeh selbst geführte Banner, auf welchen der Name des egyptischen Mahdi aufgenäht war. Es hiess damals, dass Rabeh in Baghirmi einen Schatz von 500000 Rial (= Thaler) für den Mahdi gesammelt habe, den er jedoch angeblich nicht absenden konnte, weil er keine zuverlässigen Boten für diesen Auftrag gefunden habe. Deshalb habe er den Schatz immer mit sich in einer Truhe geführt, welche den Namen des Mahdi trug.[26] Sein[S. 43] Siegel führte nach der Eroberung von Bornu sogar die Aufschrift „Rabeh, im Namen des Mahdi Emir von Bornu“.[27]
Jedenfalls kam Haiatu dem Rabeh sehr gelegen, und wurde von ihm in kluger Weise für seine Zwecke benutzt. Rabeh gab ihm seine einzige Tochter Haua und nahm selbst eine seiner Töchter zur Frau. Auch erhob er ihn zum obersten geistlichen Berater und Gerichtsherrn.
Von Logon aus zog Rabeh den Schari aufwärts nach Süden und zerstörte die grossen an seinen Ufern gelegenen Städte, wobei er seitens der terrorisierten Bevölkerung und der kleinen Garnisonen des Sultans von Bornu nur wenig Widerstand fand. Mit rücksichtsloser Grausamkeit ging er vor, und die furchtbaren Blutbäder, die seine Truppen selbst unter Muhammedanern anrichteten, legten den Grund zu dem tiefwurzelnden Hasse, der ihm in der Folge nicht nur von den Kanuri, dem herrschenden Stamme in Bornu, sondern auch von den andern Völkerschaften dieses Tschadsee-Reiches entgegengebracht wurde, und der ihm später verhängnisvoll ward.
Jetzt erst kam der verweichlichte Sultan Haschem[S. 44] von Bornu zur Besinnung. Zu einem sofortigen Zusammenbringen seiner ganzen Macht konnte er sich aber noch immer nicht aufraffen. Er begnügte sich damit, vorerst einen seiner Generäle, den Mala Kerim, gegen Rabeh zu entsenden. Dieser schrieb Rabeh einen hochtrabenden Brief, in dem er ihn zum Rückzuge aufforderte und als Sklaven bezeichnete. Mit leichter Mühe wurde Mala Kerim bei Gilba im Süden des Tschadsees geschlagen und sein Heer vernichtet. Der besiegte Feldherr soll sich auf dem Schlachtfelde auf einen Teppich niedergesetzt haben, um den Tod zu erwarten. In eine frisch abgezogene Kuhhaut genäht, wurde er der Sonne ausgesetzt und fand so gedörrt einen qualvollen Tod. Noch ein Führer der Bornu-Leute, ein gewisser Taher, fiel lebend in die Hände Rabehs, wurde zunächst geschont, aber als er aus der Gefangenschaft Briefe an den Sultan Haschem sandte, getötet.
Darauf wälzte sich Rabeh mit seinem Heere den Tschadsee entlang nach dem Westrande der grossen Wasserfläche und dann nordwärts direkt auf die Hauptstadt Kuka zu. Es heisst, dass ein Kadi des Sultan Haschem, ein Schech Muhammed, von Rabeh bestochen worden sei. Auch herrschte Uneinigkeit zwischen Haschem und seinem Neffen Abu Kiari, der seit langem schon im Streit mit seinem Oheim lag und den Thron von Bornu für sich zu gewinnen trachtete. Haschem wollte das Feld dennoch nicht ohne Kampf räumen, und die Kanuri, so kriegsunge[S. 45]wohnt sie waren, wollten nicht ohne Weiteres einem Fremden sich beugen. Mit einem gewaltigen Aufgebot von Menschen zog Haschem dem Feind entgegen. Bei Taghba, südlich der Hauptstadt Kuka, kam es zur Schlacht. Das grosse, aber in den Waffen nicht geübte und schlecht geführte Bornuheer wurde auf das Haupt geschlagen und vollständig zersprengt. Die Bornuleute flüchteten in wilder Hast, Haschem selbst wagte es nicht einmal, sich in die Stadt Kuka zu werfen, sondern floh nach Westen in der Hoffnung, bei dem thatkräftigen Sultan von Zinder, einem seiner Tributärfürsten, eine Zuflucht zu finden, wenngleich das Abhängigkeitsverhältnis Zinders zu Bornu in jüngster Zeit ins Wanken geraten war.
Rabeh kam die Eifersucht zwischen Abu Kiari und Haschem abermals zu Statten. Abu Kiari verfolgte Haschem, den er zwei Tagereisen westlich von Kuka einholte und tötete. Rabeh hatte inzwischen bei Mbane, einem Orte in der Nachbarschaft von Ngornu, etwa eine Tagereise südlich von Kuka, am Tschadsee, sich gesammelt, um die Belagerung Kukas vorzubereiten. Hier wurde er von Abu Kiari überrascht und geschlagen. Es war dieses die einzige Niederlage, die sich Rabeh seit Jahren zugezogen hatte und mit dem nicht glücklichen Kampfe gegen die Truppen von Wadai im Wadi Salamat der zweite Misserfolg seiner Waffen, seitdem er den egyptischen Sudan im Jahre 1879 ver[S. 46]lassen hatte. Aber während die siegreichen Leute Abu Kiaris das Lager Rabehs plünderten, kehrte dieser zurück und schlug nun die Bornu-Truppen so gründlich, dass seit dieser Zeit an einen ernstlichen Widerstand nicht mehr zu denken war. Abu Kiari selbst wurde gefangen und getötet. Es heisst, dass Rabeh seine Unterfeldherren nach der erlittenen Schlappe gründlich habe durchprügeln lassen, bevor dann zum Angriff gegen Abu Kiari geschritten wurde.
Jetzt rückte Rabeh gegen Kuka vor, das mit leichter Mühe eingenommen wurde. Die Stadt, eine der grössten und volkreichsten Innerafrikas, wurde geplündert und vollständig zerstört. Zahllose Kanuri wurden getötet, unter ihnen die sämtlichen obersten Chargen des grossen Hofstaates des verstorbenen Königs, sowie eine ganze Anzahl Prinzen des königlichen Hauses. Von den zahlreichen Söhnen Haschems konnten sich einzelne nach Zinder retten, einigen anderen scheint Rabeh das Leben geschenkt zu haben; offenbar ging er dabei von der Anschauung aus, dass ihr Vater nicht im Kampfe gegen ihn gefallen, sondern das Opfer des rebellischen Abu Kiari geworden wäre. Diese lebten in der Folge in der Nähe des neuen Herrn des Landes, allerdings unter strenger Aufsicht, mit Pensionen, welche ihnen von dem Sieger ausgezahlt wurden. Der einflussreichste und im Sinne des Seniorats dem erledigten Throne am nächsten stehende Prinz Omar Sanda,[S. 47] der älteste Sohn Haschems,[28] floh zunächst zu dem mächtigen Sultan von Mandara und später nach Zinder.
Auch das grosse Reich Bornu war somit dem kühnen Eroberer anheimgefallen.
[22] Vergl. Wingate, Mahdism and the Egyptian Sudan, London 1801, S. 375 ff. und 456.
[23] Der Singular von Fulbe ist Pullo. (G. A. Krause in seinem Beitrag zur Kenntnis der Fulischen Sprache in Afrika verdeutscht sie „Fulen“.) Die Franzosen nannten sie auch Peul, die Araber Fulla, ferner Fellata.
[24] Aliu fand Barth im Jahre 1853 an der Regierung.
[25] Vergl. Passarge, Adamaua, Berlin 1895, S. 190.
[26] Allem Anscheine nach hatte Rabeh das Geld als Eigentum des Mahdi erklärt, um so seinen Kriegsschatz besser hüten zu können.
[27] Der Mahdi und der Chalifa Abdullahi et Taischi haben mehrfach Emirate über Gegenden, die noch nicht mahdistisch geworden waren, verliehen; so lebt in Kairo ein reicher Kaufmann, der mit den Sudanländern seit langer Zeit Handel treibt und dem der Mahdi das Emirat über Damaskus übertragen hatte.
[28] Nach anderen wäre dieser Omar (auf Kanuri: Sanda) ein Bruder Abu Kiaris, also ein Neffe Haschems gewesen.
Die Hauptstadt Kuka hatte Rabeh derartig der Verwüstung anheimgegeben, dass ein Verbleiben an diesem Platze schon aus gesundheitlichen Gründen nicht rätlich erschien. Er liess in den Trümmern der Riesenstadt nur eine Besatzung zurück, um die einige Stadtteile wieder aufbauenden Kanuri in Schach zu halten. Er selbst zog mit dem Gros seiner Truppen nach dem Süden des Tschadsees und gründete sich hier in dem bereits seit langer Zeit bestehenden, damals aber unbedeutenden Orte Dikoa am Südwestrande des Sees auf deutschem Gebiet unweit der englischen Grenze die Residenz, in welcher er seine Herrschaft über das neue von ihm gewonnene Reich und die früher eroberten Gebiete ausübte. Dikoa war bereits früher einmal, im Anfang des 19. Jahrhunderts, für kurze Zeit die Hauptstadt des Bornu-Reiches gewesen. Die Stadt liegt in der nördlich des Berglandes von Mandara sich bis zum Tschadsee ausdehnenden weiten Ebene, die allem Anscheine nach zu den fruchtbarsten und bevölkertsten Gebieten Innerafrikas gehört.
Mit der Niederwerfung Bornus hatte sich Rabeh ein Reich geschaffen, wie es in dieser Ausdehnung seit Jahrhunderten in Afrika nicht mehr bestanden hat. Die angestammten Fürsten der innerafrikanischen Staatengebilde, welche früher dem schwachen Haschem noch tributär geblieben waren, huldigten dem neuen Herrn von Bornu. Baghirmi war in Rabehs Macht. In den wichtigsten Städten am Schari, in Mandjafa, Buguman, Karnak-Logon, Kusseri und Gulfei sowie in den kleinen Negerstaaten südlich von Baghirmi waren Besatzungen, aus Rabeh’schen Sudanesen bestehend, zurückgelassen. In Kuti sass der Schech Muhammed waled abu Bakr el Senussi, der Schwiegervater seines Sohnes, als sein tributpflichtiger Vasall. Selbst in Dar Fertit und Dar Banda, dem Schauplatze der ersten Thaten Rabehs nach seinem Auszuge aus dem egyptischen Sudan, sollen seine Gefolgsleute noch um diese Zeit die Oberhand behalten und sich als seine Mannen betrachtet haben, wenn auch eine regelmässige Zusendung von Tribut auf diese riesige Entfernung hin wohl kaum aufrecht erhalten werden konnte.
Das von Rabeh beherrschte oder zu seinem Einflussgebiete gehörige Reich grenzte somit im Westen an das Staatengebilde von Sokoto, im Süden an das zu Sokoto gehörige Emirat Adamaua, weiter verlief die Grenze, nach Südosten weit ausholend, fast bis zum Ubangi. Die Ostgrenze bildete das egyptische Mahdistenreich, die Nordgrenze Wadai[S. 50] mit seinen westlichen Tributärstaaten, zu welchen auch Kanem gehörte, wenngleich südlichere Distrikte des letztgenannten Gebiets sich auch in ein Tributverhältnis zu Rabeh begeben hatten. Im Nordwesten wurde das Reich Rabehs begrenzt durch den nördlichen Rand des Tschadsees und die von Tibbu-, arabischen und Tuareg-Stämmen bewohnten und durchstreiften Gebiete der Sahara.
Das Rennen nach dem Tschadsee, das gerade um jene Zeit von verschiedenen europäischen Mächten von Westen, Süden und Norden unternommen wurde, gewann also ein aus dem Osten kommender Outsider, ein muhammedanischer Schwarzer.
Der afrikanische Napoleon bemühte sich nunmehr, seinem Reich ein festes Gefüge zu geben. Diese Aufgabe ist ihm nicht gelungen, derart dass er in der Lage gewesen wäre, die finanziellen und militärischen Hilfsquellen der sämtlichen von ihm eroberten Gebiete sich nutzbar zu machen. Der Grund dafür lag zunächst in der gewaltigen Ausdehnung seines Reichs. Er fand einfach keine Zeit, es in eine feste Organisation zu bringen. Dann aber glückte es ihm nicht, irgend eines der grossen neu gewonnenen Länder dermassen an sich zu binden, dass er auf dessen Bevölkerung bauen und in Kriegszeiten eine willige Gefolgschaft sich hätte sichern können. Er blieb somit im Grunde auch in der Folge nur auf seine aus aller Herren Ländern zusammengewürfelte Soldateska angewiesen. Diese[S. 51] war wohl geeignet, fremde Länder zu erobern, nicht aber unter den obwaltenden Umständen das Rückgrat für eine staatliche Organisation zu bilden, wie dies bei einer angestammten Bevölkerung der Fall gewesen wäre.
Nachdem er alte, festgegliederte Staaten über den Haufen geworfen hatte, in welchen ihm alle Sympathien fehlten, konnte er nur in so weit eine wirkliche Regierungsgewalt ausüben, als die Macht der Truppen seines Hauptlagers und seiner detachierten Besatzungen reichte, und das war im Grunde genommen, nachdem er einmal in Dikoa seine Residenz aufgeschlagen, nur im Bornureich selbst. Die im näheren Umkreis wohnenden Fürsten huldigten ihm aus Furcht, und Rabeh beschränkte sich darauf, Tribut von ihnen einzufordern. Wenn er selbst aus den weit im Osten liegenden Gebieten noch Unterwürfigkeitsbezeugungen und Geschenke empfing, so mag dabei die leicht erklärliche Besorgnis mitgespielt haben, dass der Eroberer dermaleinst nach Osten zurückkehren müsse, wenn er sich in den westlichen Gebieten am Tschadsee nicht mehr würde halten können.
Im allgemeinen hatte er die angestammten grösseren und kleineren Fürsten der von ihm eroberten Landschaften als Vasallen an der Regierung belassen und nur hin und wieder neue Gouverneure eingesetzt. Den Vasallen gab er alsdann ihm treu ergebene Leute als Berater und Beobachter bei. Wo[S. 52] er mit seiner Soldateska nicht thatsächlich die Hand auf die Bevölkerung legte, hatte diese im Grunde genommen nur den fremden Oberherrn, den die kleinen Fürstentümer so wie so gewöhnlich besassen, gewechselt oder einen neuen Oberherrn hinzubekommen. Dabei scheint Rabeh den Grundsatz zur Richtschnur gemacht zu haben, dass die bisherigen Steuern erhalten bleiben sollten, aber die eine Hälfte des Ertrages musste jetzt nach Dikoa abgeführt werden, während die andere Hälfte den Vasallenfürsten verblieb. Selbstverständlich ist dieser Grundsatz bei den von der Centralstelle weiter abliegenden Ländern wohl niemals in vollem Umfange zur Durchführung gelangt. Der näher befindliche Sultan Gauranga scheint allerdings furchtbar unter den Ansprüchen Rabehs gelitten zu haben. In Bornu selbst verlangte Rabeh eine Kopfsteuer im Betrage von 1 Rial für jeden Mann.
Für die Verwaltung des Rabeh’schen Reiches gab ebenso wie für seine Eroberungspolitik der Islam den Grundton an.
In Dikoa wurde das muhammedanische Recht (die Scharia) gehandhabt, welches die Strafen der Wiedervergeltung und blutige Ahndungen für gewisse Verbrechen, das Abschlagen der Hand für rückfälligen Diebstahl u. s. w., vorschreibt. Haiatu, den Rabeh, wie berichtet ist, zum obersten Richter, zum Kadi, gemacht hatte, wird als ein gründlicher Kenner des koranischen Rechts geschildert und war zweifellos[S. 53] ein Mann von besonderer Bildung. Dass man in Centralafrika einem verhältnismässig hohen Bildungsgrad begegnen kann, dafür giebt die Thatsache die Erklärung, dass der Islam im Innern des schwarzen Erdteils seit tausend Jahren Eingang gefunden hat, und dass immer wieder wenigstens einzelne seiner afrikanischen Bekenner durch die Pilgerfahrten[29] nach Mekka mit einer höheren Civilisation in Berührung kommen. Im letzten Jahrhundert haben verschiedene Bruderschaften, in erster Linie die Kaderi und die Tidjani, in jüngster Zeit die Senussi, an der Ausbreitung der panislamischen Bildung mitgewirkt. Europäische Reisende haben im Innern Afrikas Übersetzungen von Aristoteles ins Arabische und andere wissenschaftliche Werke gefunden und in Wadai, Bornu, Sokoto u. s. w. mit gescheiten Männern verkehrt, die ihnen die Niederschreibung der oft glorreichen Geschichte ihrer Länder ermöglichten.[30] Von Kairo aus werden jetzt alljährlich arabisch gedruckte Bücher des verschiedenartigsten Inhalts, ebenso wie arabische Zeitungen, von den centralafrikanischen Pilgern nach der Heimat mitgebracht.
Die Betonung des islamischen Gedankens hat Rabeh nicht gehindert, die Sklavenjagden, die, aus der alten heidnischen Zeit stammend, in allen muhammedanischen Ländern Innerafrikas bis auf den heutigen Tag beibehalten sind, auch seinerseits auszuüben — auf ihnen baut sich ja im Grunde genommen seine ganze Eroberungspolitik auf. Furchtbar müssen die Grausamkeiten sein, welche bei Sklavenjagden ausgeübt werden. In den waldreichen Gegenden pflegen die Gehetzten sich auf die grossen Bäume zurückzuziehen, von welchen die Sklavenjäger ihre Beute nach und nach herabschiessen oder herunterholen. Sind aber die Sklaven einmal erbeutet, so können sie einer menschlichen Behandlung sicher sein, schon der Koran giebt ausdrücklich sehr strenge Vorschriften für eine gute Behandlung der Sklaven. Insbesondere hat Rabeh für diejenigen, die er in die Reihen seiner Soldaten aufgenommen hat, wie für seine alten Basinger gesorgt, ihnen Weiber gegeben und sie an der Beute teilnehmen lassen: die Hälfte der Beute an Vieh und Menschenmaterial gebührte ihm, die andere Hälfte seinen Kriegern. Die frischen Truppen entwickelten sich sehr bald zu ebenso treuen Gefolgsleuten des immer weiter vorwärts dringenden Eroberers, wie die alten Sudanesen, und so wurden die Sklavenjagden für Rabeh die Quelle unversieglicher Machtmittel.
Dikoa entwickelte sich als Hauptstadt des Rabeh[S. 55]’schen Reiches aus einem kleinen Dorfe rasch zu einer gewaltigen Stadt, die bei dem Sturze Rabehs angeblich schon weit über 100000 Einwohner zählte. Rabeh baute sich hier einen Palast, befestigte Wohnungen für seine Truppen, Pulverniederlagen u. s. w. Sein Palast und die Häuser seiner Söhne waren mit grossem Luxus ausgestattet. Sie bildeten mit den Kasernements und Waffenmagazinen ein eigenes von Mauern umgebenes Stadtviertel, um das sich die äussere, durch den Zuzug von Kaufleuten und Menschen aus allen Teilen Afrikas immer mehr sich vergrössernde übrige Stadt ausdehnte.
In seiner neuen Residenzstadt richtete sich Rabeh nach dem Muster der von ihm niedergeworfenen centralafrikanischen Sultane ein; indess scheint er den Titel „Sultan“ oder „König“ niemals angenommen zu haben. Von tripolitanischen Kaufleuten wurde er vielfach als Hakim „der die Regierung Ausübende“ bezeichnet — nicht unmöglich, dass er sich auf Grund eines eigenen Beschlusses so hat nennen lassen. In türkischen Zeitungen findet sich dieser Titel für ihn wieder, und verstümmelt als Kakim oder Abu Hakim ging er auch in europäische Blätter über. Von den eingeborenen Bornu-Leuten wird er wegwerfend als Sklave oder Sklavenführer bezeichnet.
In seinem Familienleben war Rabeh von patriarchalischer Strenge. Er hatte mehrere Frauen. Es scheint, dass er verschiedentlich Töchter über[S. 56]wundener Fürsten selbst heiratete oder seinen Söhnen zu Frauen gab. Wir sahen, dass sein ältester Sohn die Tochter des Schech Muhammed es Senussi von Kuti heiratete und dass eine seiner eigenen Frauen die Tochter des Sokoto-Prinzen Haiatu war. Ausser den vor dem Kadi angetrauten Frauen, deren der Muhammedaner bekanntlich vier gleichzeitig haben darf, besass Rabeh noch zahlreiche Sklavinnen. Das Frauenabteil seines Hauses soll gegen 1000 Personen beherbergt haben.
Von den Söhnen Rabehs sind drei bekannt geworden, Fadel Allah, Niebe und Mahmud. Jedenfalls ist Fadel Allah der Lieblingssohn Rabehs gewesen. Schon seit langer Zeit war er als sein Nachfolger bestimmt und wurde als solcher behandelt. Niebe, den die Franzosen als besonders gefährlich schildern, wurde später in den Kämpfen mit den Franzosen bei Kusseri schwer verwundet und dürfte, wiewohl er das Pferd wieder besteigen konnte, ein Krüppel geblieben sein. Es heisst, dass Niebe sich einmal mit einer Frau aus dem Harem seines Vaters vergangen habe, und dass Rabeh seinen Sohn deswegen öffentlich habe auspeitschen lassen. Der dritte Sohn Rabehs, Mahmud, muss gegenwärtig etwa 12 oder 13 Jahre alt sein. Fadel Allah besass zwei Söhne, Muhammed, den die Tochter des Herrn von Kuti, namens Hadja, ihm geboren hat, und Abdul Medjid, dessen Mutter eine Bornufrau war. Die einzige bekannt gewordene Tochter Rabehs,[S. 57] Haua, eine energische und kriegerische Frau, war dreimal verheiratet. Ihr zweiter Gatte war, wie erzählt, Haiatu, Rabehs Schwiegervater. Als dieser später von den Leuten Rabehs getötet wurde, heiratete sie den Führer eines Fähnleins, Hibid (Abed), der aus Numro im südlichen Wadai stammt.
Rabeh ist stets ein Soldatenfürst gewesen und geblieben. Sein Heer war in 20 Abteilungen geteilt. Wie im Mittelalter die „Fähnlein“, so unterstand jede einzelne Abteilung einem selbständigen Führer, der eine eigene Fahne besass, auf welcher sein Name in arabischer Schrift nebst frommen muhammedanischen Sprüchen, aus buntem Tuche ausgeschnitten, aufgenäht war. Das Banner und die Abteilung selbst wird Alam genannt. Jeder einzelne Soldat war mit einer Beschreibung seines Gewehres in ein Register eingetragen. In den grösseren Garnisonorten waren einzelne Befehlshaber mit ihren Truppen einquartiert, während das Gros sich an dem Hoflager Rabehs in Dikoa befand. Ein Teil der Bannerführer ist in den letzten Kämpfen von den Franzosen getötet oder gefangen worden. Die Namen der Unterführer Rabehs sind von Gentil, welchem demnächst die Aufgabe zufiel, das Reich Rabehs zu zertrümmern, aufgezeichnet und mir in freundlicher Weise zur Verfügung gestellt worden. Es waren dieses 7 Djellaba: Babigir (Abu Bekr), Osman Schecho, Gadem (Guddam), Djebarra, Siddik, Hibid, Tar; 2 Kresch: Kapsul (Abu Kapsul) und Tchokko; 2 Araber:[S. 58] Ith und Schech Dahab, letzterer aus dem Wadai vom Wadi Salamat; 1 Djengi: Serrur; 4 Leute aus Bornu: Beschara, El Hadj Gombo, Scherif Adjila und Abba Gaua.
Die Truppen wurden regelmässig gedrillt, dabei mag es wohl ähnlich zugegangen sein, wie bei den früheren egyptischen Regimentern im Sudan, in denen Rabeh selbst gross geworden war, und aus deren Reihen die meisten seiner Offiziere hervorgegangen waren. Jeden Freitag hielt Rabeh eine Parade über die in seinem Lager vereinigten Leute ab, und er machte die Offiziere persönlich für die Fehler, die er fand, so z. B. für schlechtes Halten der Waffen, verantwortlich; er strafte aber in einem solchen Falle den Offizier mit Prügeln und überliess ihm die Züchtigung seiner Untergebenen.
Die Zahl der Truppen, die Rabeh vor seinem Zusammenstoss mit den Franzosen besass, ist sehr verschieden geschätzt worden. In Egypten glaubte man, dass Rabeh mindestens über 30000 Mann verfügt habe, wovon etwa 8000 mit Gewehren bewaffnet, die allerdings fast zur Hälfte nur Schrotgewehre gewesen seien. Nach französischer Berechnung betrug die reguläre Infanterie Rabehs etwa 4000 Mann, in 20 Kompagnien eingeteilt, mit Gewehren bewaffnet, wovon 1500 Repetiergewehre, und ausserdem etwa 15000 Lanzenträger und 4000 Reiter, die vorwiegend zum Aufklärungsdienst verwendet wurden und während des Kampfes absassen.[S. 59] Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich die mit Schiesswaffen ausgerüsteten Kerntruppen auf 4- bis 5000 Mann berechne. Die Artillerie Rabehs war schwach. Er besass eine Anzahl vor allem in Kuka erbeuteter alter Kanonen und Wallbüchsen. Dennoch wussten einzelne seiner Leute die modernen Geschütze zu bedienen, die ihm bei den Kämpfen mit Bretonnet in die Hände fielen.
Seit jeher war die Beschaffung von Feuerwaffen und Munition eine der Hauptsorgen Rabehs und eine der für seine ganze Eroberungs- und Handelspolitik maassgebenden Erwägungen. Aus dem egyptischen Sudan und von Norden her über Tripolitanien, wahrscheinlich auch von Westen her durch Händler, welche mit der Royal Niger-Company in Verbindung standen, hat er zu verschiedenen Zeiten gute Präcisionswaffen erhalten. Alle im Kampf erbeuteten Gewehre mussten dem Oberanführer abgeliefert werden. Durch die Niedermachung der Crampel’schen und später der Bretonnet’schen Kolonne hat Rabeh sich mehrere hundert französische Hinterlader verschafft. Im Kampfe wurde jedem Gewehrträger ein weiterer Mann beigegeben, der nach dem Tode des Schützen dessen Waffe an sich zu nehmen und den Kampf fortzusetzen hatte. Das unnötige Abschiessen einer Kugelpatrone im Frieden wurde mit dem Tode bestraft.
Unter Rabehs Leuten befanden sich Büchsenschmiede, welche Steinschloss- und Luntenflinten in[S. 60] Präcisionsgewehre für Zündhütchen umzuwandeln und überhaupt die Gewehre in jeder Beziehung auszubessern imstande waren. Die abgeschossenen Metallhülsen der Kugelpatronen wurden sorgfältig gesammelt und aufbewahrt, um wieder frisch gefüllt zu werden. Die neuen Kugeln wurden meist aus Zinn, Zink oder Eisen hergestellt. Pulver soll übrigens auch im Lager selber hergestellt worden sein, das allerdings viel weniger weittragend als das europäische war. In Dikoa ist ein Pulvermagazin bei der Einnahme der Stadt durch die Franzosen in die Luft gesprengt worden. Die Rabeh’schen Basinger werden als gute Schützen geschildert. Die Feuerdisciplin scheint auch nach dem Zeugnis der Franzosen hervorragend gewesen zu sein.
Zu dem Tross der Basinger gehörten regelmässig zahlreiche Weiber und Kinder. Einzelne der Offiziere Rabehs sollen bis zu 80 Weiber gehabt haben. Naturgemäss macht die Ernährung einer solchen Menge keine geringen Schwierigkeiten. Die Mitnahme der Frauen bedeutet übrigens nach afrikanischen Begriffen keine Schwächung des Heeres. Die Frauen helfen den Truppen im Lager, bei den Transporten u. s. w. Die erbeutete Sklavin folgt ihrem Herrn ohne Widerstreben, und der Basinger pflegt seine Frauen und Kinder bis auf das äusserste zu verteidigen, ein Umstand, der zum Ausharren im Kampf und zum Zusammenhalt der Truppen nicht wenig beiträgt.
Rabeh scheint nach seiner Festsetzung in Dikoa zunächst bemüht gewesen zu sein, ein gutes Verhältnis mit seinen mächtigen Nachbarn anzuknüpfen, vor allem, um seinem Reiche eine gedeihliche Handelsthätigkeit zu ermöglichen. Als solche kamen im Grunde für ihn nur zwei in Betracht: im Westen Sokoto, im Osten Wadai. Bei dem westlichen Nachbar Sokoto hatten seine Bemühungen anfänglich Erfolg, wenigstens blieben die Handelsbeziehungen zwischen Bornu und Sokoto zunächst dieselben wie früher. Dem Sultan Jussuf von Wadai sandte er ein höfliches Schreiben und eine ganze Anzahl ausgesucht schöner Sklavinnen aus dem Bestande des in Kuka in seine Hände gefallenen Harems des Sultans Haschem. Aber Jussuf schickte die Geschenke zurück und liess den Brief unbeantwortet. Ein Brief an den Schech der Senussi soll gleichfalls ohne Antwort geblieben sein.
Um das weitere Vorgehen Rabehs zu verstehen, ist es nötig, einen Blick auf die Abwicklung des Handels der innerafrikanischen Länder zu werfen.
Seit unvordenklichen Zeiten hat der Überschuss der Erzeugnisse der Länder des Tschadseegebiets seinen Weg nach Norden gesucht; vom Norden her wurden andrerseits die Fabrikate aus Gegenden höherer Gesittung den Bewohnern Centralafrikas zugeführt. Dieses Verhältnis muss schon zur Zeit der Römer bestanden haben. Die wertvollsten Handelsgüter, welche aus dem Herzen Afrikas zum Mittel[S. 62]meer kamen, waren Straussenfedern und Elfenbein und die menschliche Ware: Sklaven. Die am meisten begangene Strasse war in den letzten Jahrhunderten diejenige, welche vom Tschadsee direkt nordwärts über die Oasen Bilma und Kauar nach Murzuk und Tripolis führte. Diese Strasse verband das Mittelmeer im geraden Zuge mit dem Sultanate Bornu, das viele Jahrhunderte lang das mächtigste Reich in Innerafrika war, und dessen Hauptstadt, wenn auch mehrfach verlegt, sich stets in unmittelbarster Nähe des Tschadsees befand. Von Bornu aus gingen dann weitere Strassen nach Osten und Westen. Die Handelswege waren gleichzeitig die Pilgerstrassen, auf welchen die innerafrikanischen Muhammedaner nach Mekka wallfahrteten.[31]
Der Handel von Bornu mit dem Mittelmeer wird durch tripolitanische Kaufleute vermittelt. Seit Jahrhunderten sind Familien aus Tripolis und aus den tripolitanischen Oasen Ghadames und Ghat in den Städten des Tschadseegebiets ansässig geworden, welche für ihre an der Küste lebenden Verwandten und Geschäftsfreunde den Handel vermitteln: sie nehmen die Waren der vom Norden herkommenden Karawanen in Empfang, stapeln sie auf, und verkaufen sie im Innern oder verschicken sie weiter; die Tauschgüter, welche die Karawanenführer nach Tripolitanien zurücktransportieren sollen, bringen sie[S. 63] zusammen und sorgen nach Möglichkeit für die nach der Küste gehenden Karawanen. Vor allem aber haben sie die oft nicht leichten Verhandlungen mit den Fürsten der einzelnen kleinen Staatengebilde, in denen sie sich aufhalten, zu erledigen, um die Karawanen durch deren Gebiet sicher durchzubringen, ohne dass zu viel Zoll von ihnen verlangt wird. Durch Geschenke, welche sie bei solchen Gelegenheiten an die Mitglieder der Höfe und die Fürsten selbst zu zahlen pflegen, haben diese Kaufleute vielfach und namentlich an den Knoten- und Centralpunkten der Handelsstrassen erheblichen Einfluss gewonnen. In einzelnen Hauptstädten der Tschadseeländer sind oft fünfzig und mehr tripolitanische Familien ansässig und zu gewissen Zeiten des Jahres mehrere Tausend Kaufleute, Karawanenführer, Begleitmannschaften und Kameeltreiber aus dem Norden versammelt. Der bedeutendste Platz dieser Art ist jetzt Kano.
Die Centralstelle für diese Karawanenunternehmungen, für den Kredit und die Zahlungen, befindet sich aber nicht in Innerafrika, sondern in der Stadt Tripolis. Die Vermittelung des Geschäfts mit Europa haben hier meist Levantiner in der Hand; der eigentliche Verkehr und Handel mit dem Innern Afrikas, die Ausrüstung, Leitung und Führung der Karawanen, wird von den eingeborenen tripolitanischen Muhammedanern: Arabern und Berbern, besorgt. Meist sind die Karawanenführer die mit grosser Selbständigkeit[S. 64] ausgestatteten Beamten und Vertreter der tripolitanischen muhammedanischen Kaufhäuser, seltener der levantinischen. Die Karawanen bestehen aus grossen Zügen von Lastkameelen, bewacht und geleitet oft von mehreren Hundert Bewaffneten. Der Wert der Handelsgüter, die eine solche Karawane befördert, soll oft bis zu einer Million Mark betragen. Den Gefahren, die durch Hunger und Durst in der Wüste und durch feindliche Überfälle drohen, entspricht die Höhe des erwarteten Gewinns, der gegen 100 Procent des Wertes der nach dem Innern gebrachten Güter zu entsprechen pflegt.
Dieserart ist Tripolis seit Jahrhunderten der Ausgangspunkt für den Handel nach den Saharaländern, von Timbuktu und Sokoto an bis nach Wadai und Darfur hin gewesen. Den Handel im Südwesten des Tschadsees besorgten namentlich Haussa, denjenigen im Osten von Bornu nach Baghirmi, Wadai u. s. w. vor allem wieder Araber.
Eine Einbusse hatte der tripolitanische Handel durch die Ereignisse im Anfange des 19. Jahrhunderts erlitten. In erster Linie war durch die Flotten Napoleons dem Korsarenunwesen in den afrikanischen Gewässern des Mittelmeers ein Ende gemacht worden. Bis dahin mussten europäische Schiffer, die nach diesen Gewässern ohne Schutz verschlagen wurden, gewärtig sein, ihre Mannschaften und Passagiere als Sklaven landeinwärts wandern[S. 65] zu sehen. Mit der Erstarkung der Expansionspolitik der europäischen Mächte, mit der Eroberung Algeriens durch die Franzosen, dem Zurückgehen der türkischen Macht, der Europäisierung Egyptens, dem Verluste der Selbständigkeit von Tunis, sowie vor allem infolge des starken Dampferverkehrs im ganzen Mittelmeer schon vor der Eröffnung des Kanals von Suez war die Verschiffung der aus Centralafrika nach der Küste gesandten Sklaven aus den Hafenorten fast unmöglich geworden. Tripolis, die Hauptstadt der türkischen Regierung in Nordafrika, hörte auf, ein Sklavenstapelplatz zu sein, und gerade der Sklavenhandel aus Innerafrika musste sich in erster Linie einen neuen Weg suchen.
Diesen fand er zum Teil auf der Strasse, welche im Osten aus Wadai durch die Libysche Wüste, über Kufra und Djalo, nach den Häfen der tripolitanischen Provinz Benghazi führte. Die Strasse stand unter dem Patronat des Schech der Senussi; durch den Einfluss der Bruderschaft traten auf ihr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben den arabisch-tripolitanischen Kaufleuten die Mudjabera, die Handelsleute der Oasenorte am Nordrande der Libyschen Wüste, in den Vordergrund. Auf dieser Strasse verschaffte sich der Sultan von Wadai die Feuerwaffen, durch die er seinem Lande die Suprematie in Innerafrika zu erhalten imstande war.
Eine weitere Beeinträchtigung erfuhr die Strasse vom Tschadsee über Bilma, Kauar und Murzuk[S. 66] nach Tripolis durch den Zurückgang der Macht der Fürsten von Bornu und das Aufkommen der Fulladynastie in Sokoto. Immerhin ging auch der Handel von Sokoto hauptsächlich nach Tripolis auf der Strasse über Zinder oder direkt über Agades, Ghat und Ghademes. Der Verkehr aus Sokoto über den Niger nach der Atlantischen Küste blieb trotz der Bemühungen der Royal Niger Company noch verhältnismässig gering, vor allem wegen der damit verknüpften Schwierigkeiten und wegen des Zwischenzolls, den unterwegs die kleinen Negerfürsten den Waren auferlegten. Der Handel von Algerien und Tunesien direkt nach dem Süden hin ist bis heute ohne Bedeutung geblieben. Viel weiter von den Tschadseegebieten entfernt, sind diese Länder zudem durch die Gebirgszüge des Atlas von den Ebenen des Inneren abgetrennt.
Schwer gefährdet aber wurden die Interessen der Tripolitaner, als seit dem französischen Vorgehen im westlichen Sudan im Beginne der 80er Jahre und vor allem seit der Eroberung von Timbuktu (am 10. Januar 1894), die Tuareg, jene dunkelfarbigen hamitischen Nomadenvölker, die die westliche Sahara durchstreifen, in Bewegung gekommen und nach dem Osten gedrängt worden waren. Sie hatten in den 90er Jahren Bilma und Kauar mehrfach geplündert. Die Niederwerfung Bornus durch Rabeh hatte das übrige gethan, um die Route über die beiden Oasenorte vollständiger Unsicherheit preis[S. 67]zugeben. Bisher waren die Karawanenführer gewohnt, an die Oasenbewohner und die Stämme der Sahara auf den althergebrachten Strassen mässige Transitzölle zu zahlen, und die Regierung von Bornu hatte immerhin noch einen gewissen Einfluss auf die Saharabewohner ausüben können. Von weither kommende räuberische Tuaregstämme waren jetzt die Alleinherrscher dieser Gegenden geworden.
Rabeh glaubte nun, den durch die geschilderten Momente schon so wesentlich geschwächten Handel zwischen den Tschadseeländern und dem Mittelmeer mit einem Schlage vernichten zu können. Als er, wie wir sahen, mit seinem Freundschaftswerben bei dem Sultan von Wadai und dem Schech der Senussi eine Absage erfahren hatte, schloss er sein Land gegen Osten, Nordosten und Norden vollständig ab und verbot insbesondere die Begehung der Karawanenstrasse vom Tschadsee über die Oasen Bilma und Murzuk nach dem Mittelmeer. Damit sollte nicht nur der Handel Wadais geschädigt und das Wirken der Senussi, die auf dieser Route mehrere Zanijas besitzen, gehemmt, es sollten gleichzeitig die tripolitanischen Kaufleute gestraft werden, denen zu zürnen Rabeh einen besonderen Grund hatte.
Als er nämlich in Bornu einbrach, befand sich dort gerade eine starke tripolitanische Handelskarawane. Die Tripolitaner hatten begreiflicher Weise energisch für die alte Bornu-Dynastie Partei genommen, unter[S. 68] deren Schutz sie den Handel mit den Tschadsee-Ländern betrieben hatten. Einzelne von ihnen hatten sich sogar thätlich an dem Kampf gegen den Eindringling beteiligt. Ihr Eigentum wurde beschlagnahmt, einige wurden getötet, andere gefangen gehalten.
Für die Tripolitaner war die Sperrung der alten Karawanenstrasse natürlich ein schwerer Schlag. Durch die Konfiscierung der Karawanengüter in Kuka waren die grössten Kaufhäuser in der Stadt Tripolis in schwere Mitleidenschaft gezogen. Auch die in den westlichen Tributärstaaten von Bornu, in Zinder u. s. w., angesessenen tripolitanischen Kaufleute mussten für ihre Habe und ihre Sicherheit besorgt sein. Drei Jahre lang, von 1894–1896, wurden keine Karawanen von Tripolis nach dem Tschadsee und solche nach Zinder und Sokoto nur vereinzelt und in kleinem Umfange geschickt.
Naturgemäss musste der Handel der Tschadseeländer, dem die alten Wege nach Osten und Norden verlegt waren, neue Ableitung suchen. Dafür konnte jetzt nur eine Richtung in Betracht kommen, nach dem Südwesten über den Benue und den Niger zum Meer. Die Interessen der Royal Niger Company, welche den centralafrikanischen Handel über diese Wasserstrasse an sich ziehen und nach dem Atlantischen Ocean lenken wollte, trafen sich hier mit denen Rabehs, und es scheint, dass die englische Gesellschaft damals mit Rabeh in Verbindung[S. 69] getreten ist[32] Nach einer französischen Auslassung[33] wäre Rabeh sogar seiner Zeit von der Niger Company aufgefordert worden, Bornu, mit dessen Sultan ihr Vertreter Mackintosh im Jahre 1892 vergebens Verbindungen anzuknüpfen versucht hatte, zu überrennen. Es heisst ferner, dass auch der Einfluss des in Egypten lebenden Zuber Pascha aufgeboten worden sei, um Rabeh für die Ableitung des Handels der Tschadseeländer nach dem Gebiete der Royal Niger Company zu gewinnen.[34]
Wadai hatte inzwischen für den ausbleibenden Handel über Bornu Ersatz in einer sich desto kräftiger entwickelnden Handelsthätigkeit auf der Strasse über Kufra nach Benghazi gefunden. Der Schech der Senussi leistete dieser Entwicklung, die den Handel Wadais durch sein eigentlichstes Machtgebiet[S. 70] führte, jeden Vorschub.[35] Um jene Zeit wurde ein besonders starker Import von Gewehren und Schiessmaterial aus Benghazi nach Wadai festgestellt.
Rabeh musste sich sehr bald überzeugen, dass er sich verrechnet hatte und dass es nicht so leicht ist, einen Handel, der seit Urzeiten eine bestimmte Richtung besessen hat, willkürlich in andere Bahnen zu führen. Wohl hatte der Sklavenfürst den tripolitanischen Kaufleuten ausserordentlich grossen Schaden zugefügt, aber der Handel Bornus mit dem Benuë und Niger wurde dadurch in keiner für den ausbleibenden Verkehr mit dem Norden Ersatz bietenden Weise gefördert. Da die Tripolitaner auch die Seele der Handelsthätigkeit in Zinder, Kano und den sonstigen Sokotostädten waren, und sich infolge des schroffen Vorgehens Rabehs mehr und mehr aus den seiner Machtsphäre am nächsten gelegenen Orten zurückzogen — ganz abgesehen davon, dass sie nicht ihre Hand bieten mochten, um den Verkehr mit dem Norden unterbinden zu helfen —, so geriet auch der Handel Bornus mit dem Westen ins Stocken, und Rabeh konnte den Überschuss seiner Einnahmen an Naturalien und seine Beute nun nicht mehr in der gewünschten[S. 71] Weise gegen Waffen, Munition und dergleichen umsetzen.
Infolgedessen zog er andere Saiten auf und gab die Strasse vom Tschadsee nach Norden wieder frei. Es kam hinzu, dass der Pascha von Tripolis Rabeh direkt zur Wiederbelebung des Handels mit dem Mittelmeere aufgefordert hatte, ein Schritt, der von Rabeh dem Vertreter der türkischen Regierungsgewalt im Norden gegenüber mit Höflichkeitsbezeugungen beantwortet wurde. Die gefangen gehaltenen tripolitanischen Kaufleute wurden aus der Haft entlassen, und Rabeh versicherte die Karawanenführer und Kaufleute aus Tripolis nunmehr seines Schutzes. Für Tripolis war dies die höchste Zeit. Ich habe mich dort während eines Besuches davon überzeugen können, wie diese Stadt vollständig auf den Handel mit dem jenseits der Sahara gelegenen Hinterlande im Innern Afrikas angewiesen ist.
Zwar liessen sich einige der von Rabeh freigelassenen Händler jetzt in Dikoa nieder; aber das Misstrauen der übrigen tripolitanischen Kaufleute im Innern und an der Küste war nicht so leicht zu beschwichtigen. Abgesehen von der stets wachen Furcht vor einer neuen Sinnesänderung des Herrn von Bornu war die ganze Gegend im Norden des Tschadsees in jüngster Zeit nur noch sehr schwer passierbar geworden. Die Schreckensherrschaft der ungezügelten Tuareg-Horden, die jetzt hier ihr Unwesen schlimmer als jemals zuvor trieben, lähmte[S. 72] den Unternehmungsgeist der Kaufleute an der Küste.[36] Die in Zinder und den verschiedenen Hauptorten des Sokoto-Reiches ansässigen tripolitanischen Händler verhielten sich geradezu ablehnend gegen Rabeh und zeigten sich nicht gewillt, ihn durch Zuführung von Waffen und Munition weiter zu stärken. Statt dessen begannen sie bei den Fürsten im Westen von Bornu zu intriguieren, die sie zu gemeinsamen Vorgehen gegen Rabeh vereinigen wollten.
[29] Der Beiname Hadji („Mekkapilger“) findet sich auch bei centralafrikanischen Fürsten früherer Jahrhunderte.
[30] Namentlich haben Barth (Reisen und Entdeckungen in Nord- und Centralafrika in den Jahren 1849–55) und Nachtigal (Sahara und Sudan, Ergebnisse 6jähriger Reisen in Afrika, 1868–1874) die Geschichte der Tschadseeländer in zum Teil sehr eingehender Weise an Ort und Stelle aufzeichnen können, und dieses Material ist in den am Schlusse dieser Arbeit gegebenen geschichtlichen Abrissen von mir mit benutzt worden.
[31] Über die hauptsächlichsten innerafrikanischen Karawanenstrassen vergl. den Anhang.
[32] Vergl. Ferryman, Imperial Africa, S. 356.
[33] Vergl. Jacques Daunis, Un Conquérant Soudanais, in der Revue de Paris 1897, S. 362.
[34] Sei dem, wie ihm wolle, jedenfalls hat Zuber Pascha nach der Eroberung von Bornu keinen Einfluss mehr auf seinen ehemaligen Mann gehabt. Wohl hatte er viele Jahre lang Beziehungen mit Rabeh unterhalten, und es ist oben bereits darauf hingewiesen worden, dass Rabeh seinem früheren Herrn im Beginne seiner selbständigen Laufbahn ein gewisses freundnachbarliches Verhältnis mit Wadai zu verdanken hatte, wiewohl er sich in Dar Runga und Kuti festgesetzt hatte, einem Gebiete, das nominell zu den Tributärstaaten von Wadai gehörte. Im Jahre 1896 sind auch noch Boten Zubers an Rabeh von Egypten nach Bornu aufgebrochen, sie wurden jedoch durch die Machenschaften der Senussi in Djalo aufgehalten und nach Egypten zurückgeschickt, wie auch in der Folge die Senussi die Sendung von Nachrichten an Rabeh möglichst zu hintertreiben versucht haben.
[35] Er verlegte, wie gesagt, im Jahre 1896 seine Residenz von Djerabub nach der im Zuge der neuen Handelsstrasse mitten in der Libyschen Wüste gelegenen Oase Kufra und später noch weiter südwärts nach Goru im Lande Borku.
[36] Im Jahre 1901 ist wieder eine tripolitanische Karawane in der Nähe von Agades nördlich von Zinder von Tuareg ausgeraubt worden. Die Karawane soll Waaren im Werte von mehr als einer halben Million Franken mit sich geführt, und bei ihrer Verteidigung sollen 200 Karawanenleute ihr Leben verloren haben. — Sollten die Beraubungen der Karawanen in der Sahara durch die Tuareg noch länger andauern, würde der Stadt Tripolis die Lebensader abgeschnitten sein.
Über ein Jahr scheint Friede in dem Rabeh’schen Reiche geherrscht zu haben. Die Völkerschaften standen unter dem Eindruck der Umwälzung aller bisherigen Verhältnisse und waren derartig eingeschüchtert durch das energische und rücksichtslose Auftreten des brutalen Eroberers, dass sie an keine Erhebungen dachten und Rabeh ihren Tribut sandten.
Die ersten Kämpfe, welche nach seiner Festsetzung in Dikoa gemeldet werden, scheinen im Norden Baghirmis oder im Süden der noch zu Kanem zu rechnenden Gebiete am Ostufer des Tschadsees stattgefunden zu haben. Sie müssen nicht bedeutend gewesen sein. Der Sieg der Rabeh’schen Waffen war rasch und die Folgen anscheinend nicht besonders drückend für die betroffenen Gegenden. Die Leute von Dekena und Assala, Vasallen von Wadai, mussten Rabeh Tribut zahlen. Dieses Vorgehen wurde vom Sultan Jussuf von Wadai mit einer Kriegserklärung an Rabeh beantwortet, die jedoch keine Folgen hatte.
Der erste wirkliche Krieg richtete sich gegen[S. 74] Mandara,[37] das unweit im Süden der Hauptstadt Dikoa gelegene Bergland, welches die Tschadseeebene vom Benue-Gebiet und Adamaua trennt. Hier hatte der bereits erwähnte älteste Spross des entthronten Königshauses von Bornu, Omar Sanda, Zuflucht bei dem angestammten Duodezfürsten gefunden, und allem Anschein nach wollte er von hier aus die Rückeroberung seines Reiches vorbereiten. Mandara weigerte Rabeh den Tribut, und Rabeh ging deshalb gegen das Bergland vor. Der König von Mandara und der Bornu-Prinz unterlagen im Kampfe, der Sultan von Mandara wurde getötet. Rabeh nahm die Hauptstadt ein, verwüstete das umliegende Land und erbeutete zahlreiche Sklaven. Dem Sohn und Nachfolger des Mandarafürsten gelang es aber, in die südlich gelegenen schwer zugänglichen Berge zu flüchten und den Verfolgungen Rabehs sich zu entziehen. Der Sieger kehrte mit reicher Beute beladen nach Dikoa zurück. Doch war im Grunde genommen dieser Kriegszug erfolglos, denn Mandara konnte sich seine Selbständigkeit bewahren. Der neue Sultan von Mandara wagte es sogar später, zweimal grössere Züge in die von Rabeh besetzte Ebene auszuführen, die wieder Re[S. 75]pressalien seitens des Eroberers zur Folge hatten. Überdies hinterliess das Vorgehen gegen Mandara eine Verstimmung bei dem Kaiser von Sokoto, welcher die Lehnsoberhoheit über das Bergland beansprucht.
Demnächst sah Rabeh sich veranlasst, Zinder mit Krieg zu überziehen, dessen Sultan Achmed Jakudima dan[38] Ibrahim (Tanemo) zu grossem Wohlstande — und damit geht im Innern Afrikas Macht Hand in Hand — gelangt war, so dass sein Vasallenverhältnis zu Bornu in den letzten Jahrzehnten bereits locker geworden war. Zinder war, wie erwähnt, einer der Hauptsitze der tripolitanischen Händler und hierher hatte sich auch Omar Sanda, der Sohn des entthronten Bornusultans Haschem, der sich in Mandara nicht mehr sicher fühlte, geflüchtet.
Rabeh hatte im Jahre 1896 einen Residenten in Zinder eingesetzt, um seinen Vasallen besser überwachen zu können. Der Sultan von Zinder versagte aber den Tribut und verstand es, eine Reihe weiterer Duodezfürsten im Westen von Bornu zu bewegen, gemeinsame Sache mit ihm zu machen. Es waren dies der Sultan Duna von Beddi, Abdu ibn Sultan Djebril von Katagum, Na‘am ibn Bochari von Chadidja und Sultan Abdu ibn Habu von Gumel. Chadidja und Katagum gehören zu den im Vasallenverhältnis zu Sokoto stehenden Staaten. Es heisst, der Schech der Senussi habe den Sultanen von Zinder und Gumel,[S. 76] zwischen welchen Differenzen entstanden waren, die Mahnung zugehen lassen, sie sollten die Streitigkeiten unter einander vergessen und lieber gegen den neuen Friedensstörer sich verbünden.
Rabeh schickte seinen Sohn Fadel Allah gegen die widerspenstigen Fürsten. Das erste Ergebnis war, dass das nächst gelegene Beddi schwer heimgesucht und wieder unter Abhängigkeit gebracht wurde. In dem Zusammenstoss mit den Leuten Zinders und seiner anderen Verbündeten war Fadel Allah jedoch unglücklich. Die Herren von Beddi und Gumel sollen bei diesen Kämpfen gefallen sein, aber nach schweren Verlusten musste Fadel Allah unverrichteter Sache sich zurückziehen. Bis zu Rabehs Tode hat Zinder seiner Tributpflicht nicht mehr genügt, vielmehr sich feindlich verhalten.
Dieser unglückliche Kriegszug ist von den Gegnern Rabehs zu einem grossen Triumphe seiner Feinde aufgebauscht worden. In Tripolis tauchten falsche Nachrichten von dem Tode Rabehs und seines Sohnes Fadel Allah auf, die bis nach Europa drangen und sich übrigens auch in der Folge mehrfach wiederholten.
Bald darauf rüstete sich Rabeh zu einem weiteren Kampfe im Westen. Diesmal galt es, den Sultan von Sokoto selbst anzugreifen. Über die genauen Gründe für diesen Krieg ist es einstweilen noch schwer, bestimmte Angaben zu machen. Zunächst zürnte Rabeh dem Kaiser von Sokoto, weil dieser seine Vasallenfürsten von Katagum und Chadidja[S. 77] nicht von der vom Sultan von Zinder geschaffenen Koalition gegen ihn abgehalten hatte. Vor allem aber dürften handelspolitische Erwägungen und der Einfluss der in Sokoto angesiedelten tripolitanischen Kaufleute den Kampf zwischen dem neuen Herrscher von Bornu und dem Kaiser von Sokoto veranlasst haben. Ferner scheint es, dass Haiatu nunmehr das Ziel seiner Wünsche zu erreichen hoffte, den Thron von Sokoto zu besteigen oder wenigstens für seinen Sohn Mundjeli zu sichern, der einstweilen das von ihm gegründete kleine Reich Balda im Süden von Bornu für ihn verwaltete. Das Verhältnis zwischen Rabeh und Haiatu wurde naturgemäss in Sokoto ebenso unliebsam vermerkt, wie der Angriff Rabehs auf Mandara.
Die Vorbereitungen zu dem Kriege gegen Sokoto müssen sehr umfassend gewesen sein. Zum zweiten Male stellte sich Rabeh einer Völker-Koalition entgegen, indem jetzt die sämtlichen im Westen von Bornu gelegenen Tributärstaaten des Kaiserreiches, durch die materielle Interessengemeinschaft zusammengeführt, sich mit ihrem Oberherrn zum Kampf verbanden, obgleich dessen Autorität im Osten seines Reiches in den letzten Jahrzehnten stark erschüttert war.
Indess wurde der Kampf zwischen Rabeh und Sokoto nicht zum Austrag gebracht. Wohl wird von Gefechten gesprochen, die im Osten Kanos stattgefunden haben und für Rabeh günstig ausfielen, während einzelne seiner Truppenführer in kleineren Scharmützeln geschlagen wurden. Rabeh beutete[S. 78] seinen Erfolg aber nicht aus, sondern kehrte, noch bevor er Kano erreichte, mit seinem grossen wohlgerüsteten Heere nach Dikoa zurück. Über die Gründe dieses Verhaltens laufen die widersprechendsten Gerüchte um; Abgesandte des Emirs von Yola und der mit diesem damals verbündeten Royal Niger Company sollen Rabeh bewogen haben, von einem Kampf gegen den Kaiser von Sokoto, den Oberlehnsherrn von Yola, abzustehen. Andererseits heisst es, dass ernste Zwistigkeiten zwischen Rabeh und Haiatu ausgebrochen waren, dessen ehrgeizigen Planen Rabeh nicht weiter Vorschub leisten wollte.[39]
Wie dem auch sei, kaum nach Dikoa zurückgekehrt, hatte Rabeh es mit einem Aufstande Mundjelis, des Sohnes Haiatus, zu thun, der den in Balda bei ihm zurückgelassenen Residenten oder Vertrauensmann Rabehs getötet oder vertrieben hatte. Um diese Zeit wurde Haiatu, wenn nicht auf Veranlassung, so doch zweifellos mit Wissen Rabehs ermordet. Rabeh[S. 79] soll von Haiatu verlangt haben, seinen Sohn nach Dikoa zu bringen, was von Haiatu mit der Entschuldigung abgelehnt worden sei, dass er keine Macht mehr über ihn besitze. Darauf seien Truppen gegen Mundjeli geschickt worden, die erfolglos gekämpft hätten, und Rabeh habe dann Haiatu, den er im Verdacht hatte, mit seinem Sohne zu konspirieren, getötet. Von anderer Seite wird berichtet, der fromme Haiatu habe in seiner Eigenschaft als Kadi einen wegen Mordes angeklagten höheren Offizier Rabehs zu töten befohlen. Infolgedessen sei es zum Kampfe zwischen den alten Soldaten Rabehs, geführt von Fadel Allah, und Haiatus Parteigängern gekommen, und in diesem Kampfe sei Haiatu zur Sühne des Todes des alten Basingers selbst erschlagen worden. Wahrscheinlich sind beide Lesarten zu vereinigen. Rabeh traute seit langem Haiatu nicht mehr, Mundjeli dürfte Selbständigkeitsgelüste gezeigt und Rabeh einen strengen Richtspruch Haiatus als Anlass benutzt haben, um diesen durch die Freunde des Abgeurteilten töten zu lassen. Mundjeli hat sich jedenfalls in der Folge unterwerfen müssen. Das von Haiatu gegründete Staatswesen von Balda ist zerfallen.[40]
Im Jahre 1898 erfolgte ein Aufstand in Kuka. Die Stadt, welche seinerzeit von Rabeh nach siebentägiger Plünderung verlassen wurde, war, wie erzählt, mit seiner Erlaubnis nach Errichtung der Hauptstadt Dikoa teilweise wieder aufgebaut und mit einer Besatzung belegt worden. Der Aufstand wurde mit Energie niedergeworfen, und nunmehr wurde Kuka zum zweiten Male derart zerstört, dass die Franzosen den einst so volkreichen Ort im Jahre 1900 völlig verödet vorfanden.
Bis zum Jahre 1898 hatte Rabeh es nur mit eingeborenen Gegnern zu thun gehabt. Jetzt geriet er in Konflikt mit einer europäischen Macht, mit Frankreich, und dank verschiedenen glücklichen Umständen blieben die Waffen der Weissen bei diesem Zusammenstoss in letzter Linie siegreich.
Wohl hatten die Tschadseevölker im Laufe der Jahrhunderte mehr als eine fremde Invasion erduldet. Auf den meisten Thronen innerafrikanischer Staaten sassen Fürstengeschlechter, die nicht eines Stammes mit den eingeborenen Völkern waren. Die Dynastien gehörten höheren Rassen an, teils waren es Fulbe, teils leiteten sie ihren Ursprung aus Arabien selber her. Sie alle waren jedenfalls Muhammedaner, und gerade dieses hatte ihnen das Übergewicht in ihrer neuen Heimat verschafft. Zur Zeit Rabehs aber[S. 81] waren die dominierenden Volksklassen am Tschadsee überall selbst schon Muhammedaner. Bis zum Benuë hin und weit über diesen hinaus hatte der Islam — wenn auch nicht durchweg — schon Eingang gefunden. Die Neuerung, welche Rabeh durch die Annahme mahdistischer Ideen schaffen wollte, verfing nicht. Die Kaderi — und zu dieser Bruderschaft gehören fast alle Bornuleute und das herrschende Geschlecht in Bornu, die Kanemiden — mussten ihrer religiösen Überzeugung nach den Mahdismus der Derwische von Omdurrman ablehnen. Den gleichen Standpunkt diesem Mahdismus gegenüber vertrat auch der Oberschech der Senussi, der allem Anschein nach selbst im Süden des Tschadsees gegen Rabeh zu wühlen imstande war.
Die rücksichtslose Strenge, mit der der Islam und die Scharia im Hoflager Rabehs geübt wurde, war unbequem, und das tyrannische Auftreten seiner Soldateska hatte ihn über alle Maassen verhasst gemacht.
Wiewohl Rabeh vom Osten kam und als Araber sich ausgab, sahen die Fulbe, Kanuri und die wirklich von Arabern abstammenden Nomadenvölker im Süden des Tschadsees auf ihn herab und bezeichneten den Eindringling verächtlich als Sklaven. In der neuen Heimat, die er sich am Tschadsee schaffen zu können glaubte, vermochte er noch keinen Stützpunkt zu finden, und dies wurde Rabeh in dem Kampfe, den er nunmehr zu bestehen hatte, zum Verderben.
Wäre sein Zusammenstoss mit den Franzosen[S. 82] etwa ein Jahrzehnt später erfolgt, so hätten diese, aller Voraussicht nach, schwierigere Verhältnisse am Tschadsee gefunden. An dem von der neuen Hauptstadt des Usurpators emanierenden Wohlstande hätten auch die eingeborenen Bewohner mehr und mehr teilgenommen. Rabeh und seine Söhne hatten Frauen aus Bornu genommen und naturgemäss hatte sich seine Soldateska gleichfalls durch Heiraten in fortschreitendem Masse mit der Bevölkerung assimiliert. Die dem verrotteten Regierungssystem der Kanemi gegenüber immer noch eine Verbesserung bedeutende Verwaltung des Reiches unter Rabeh hätte trotz harter Bedrückungen doch zur Vermehrung des Wohlstandes und der Widerstandsfähigkeit wie Dikoas so auch des übrigen Bornu beigetragen und die Bewohner von Bornu hätten alsdann in Rabeh den gleichfalls muhammedanischen Begründer einer neuen Dynastie gesehen, den sie gegen fremde Angriffe mitverteidigt hätten, um sich ihre neugefestete Machtstellung in Central-Afrika zu erhalten. Diese mit einiger Wahrscheinlichkeit zu vermutende Entwickelung der Dinge sich vollziehen zu sehen, fand Rabeh keine Zeit. Als die Franzosen ihren Vormarsch gegen ihn begannen, war er in den Augen der Tschadsee-Völker noch der verhasste Eroberer, dessen Joch bitter empfunden wurde. Musste Rabeh doch gegen den Willen der Eingeborenen seine immer neu sich ergänzende Soldateska mit neuen Weibern versehen und für diese Menge von Menschen den nötigen Unterhalt sich verschaffen.
[37] Mandara ist das im deutschen Kolonialatlas von Richard Kiepert, Blatt 2, Äquatorial-Westafrika, abgeschlossen 1892, verzeichnete und in unserer Einflusssphäre gelegene Berggebiet, das Barth auch Wandala nennt. Vergl. Barth Bd. II S. 709, Nachtigall Bd. II S. 382, 433 ff.; Petermanns Ergänzungsheft Bd. XXXIV (1872); Rohlfs No. 2 ff.; Denham and Clapperton Kap. 3 S. 99 ff.; Passarge, Adamaua passim.
[38] Dan ist die Haussa-Bezeichnung für das arabische ibn oder waled = Sohn.
[39] Nach anderen Quellen hätte Rabeh im ganzen dreimal den Anlauf gemacht, das Reich von Sokoto zu erobern, jedesmal aber sei es zum wirklichen Kampfe zwischen den beiden Mächten nicht gekommen. Das erstemal hätte er sehr bald schon nach seiner Festsetzung in Dikoa ein Heer zum Angriff bei Borsari zwischen Kuka und Kano gesammelt. Damals hätte er aus Mangel an Munition den Krieg nicht zum Austrag gebracht. Auch heisst es weiter, dass damals schon die Royal Niger Company sich in dieser Angelegenheit im Interesse des Kaisers von Sokoto verwandt habe. Der zweite Fall wäre der oben beschriebene gewesen, und zum dritten Male hätte Rabeh sich auf dem Kriegspfade nach Westen befunden, als ihm die Ankunft der Franzosen am Schari gemeldet wurde und er zur Bestrafung Gaurangas nach Baghirmi eilte.
[40] Der Tod Haiatus gab neuerdings Veranlassung, dass Gerüchte von der Ermordung Rabehs nach Tripolis drangen. Es hiess, Haiatu habe Rabeh durch seine Tochter vergiften lassen, weil Rabeh in das Land seiner Väter, in Sokoto, eingedrungen sei. Augenscheinlich ist hier der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Vergl. den interessanten Brief eines Haussa-Mannes vom 12. Dezember 1897 bei Lippert, Rabeh, in den Mitteilungen des Seminars für orientalische Sprachen, Berlin, 1899, S. 255. Übrigens scheinen Haussa-Leute Haiatu als einen der ihrigen in Anspruch genommen zu haben. Vergl. Passarge a. a. O. S. 189.
Frankreich hat an der Vereinigung seiner am Mittelländischen Meer und am Atlantischen Ocean, im nördlichen Westafrika, gelegenen Kolonieen mit seinem Besitz am Kongo Jahre hindurch mit bewunderungswürdiger Begeisterung gearbeitet. Zahlreiche wissenschaftliche und politische Expeditionen wurden aus Algerien, vom Senegal und vom Kongo nach dem Inneren Afrikas entsandt. Die Einnahme der geheimnisvollen Neger- und Tuaregstadt Timbuktu war ein Ereignis von grösster Tragweite für den westlichen Sudan, und die planmässige Vorschiebung der Posten in Algerien und Tunesien nach dem Süden beweist, dass das gouvernementale Frankreich die Verwirklichung des Projekts einer Transsaharabahn, die von den französischen Kolonialfreunden seit langem gefordert wird, energisch betreibt.[41] In erster Linie aber galt es, am Tschadsee[S. 84] festen Fuss zu fassen, um eine dauernde Verbindung der bisherigen afrikanischen Besitzungen zu ermöglichen und die zukünftige Erbauung der Saharabahn auch politisch zu sichern. Eine grosse Anzahl von Franzosen büssten in diesen Unternehmungen ihr Leben ein.
Durch internationale Verträge sind in den letzten Jahren die riesigen Gebiete Innerafrikas unter die europäischen Kolonialmächte geteilt. Am 5. August 1890 wurde die Grenze des französischen und englischen Interessengebiets im Westen vom Tschadsee durch die Linie Say-Barrua festgelegt. Diese Grenzlinie erfuhr später durch den Vertrag vom 14. Juni 1898 Änderungen, und jetzt werden in Frankreich Stimmen laut, welche, um eine weitere Umgestaltung der Grenze zu erlangen, Kompensationen in anderen Erdteilen, so die Abtretung gewisser Rechte in Neu-Fundland, vorschlagen. Nachdem Deutschland am 15. November 1893 mit England ein Abkommen getroffen hatte, das unsere Westgrenze von Kamerun festlegte, wurde alsdann durch den deutsch-französischen Vertrag vom 4. Februar 1894 die Grenze zwischen dem deutschen und dem französischen Besitz in Innerafrika bestimmt, bei welcher Gelegenheit Frankreich besonders die von Mizon und Maistre geschlossenen Verträge mit eingeborenen Fürsten zu gute gekommen sind. Durch diesen Vertrag hatte das französische Kongogebiet mit seinem Hinter[S. 85]lande einen Zugang zu dem Tschadsee erhalten, und damals schon konnte die Vereinigung des französischen Kolonialbesitzes am Kongo, am Mittelmeer und am Senegal als gesichert erscheinen, eine Vereinigung, die durch das erwähnte französisch-englische Abkommen vom 14. Juni 1898 sowie durch die Déclaration additionelle vom 21. März 1899 eine endgiltige Regelung erfuhr. Bis auf wenige geringfügige noch streitige Punkte waren nunmehr auch die Grenzlinien der französischen und der englischen Interessensphären in Innerafrika festgelegt.[42]
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde französischerseits mit einem grossen Aufgebot von Mitteln daran gegangen, den französischen Einfluss am Tschadsee auch thatsächlich zur Geltung zu bringen. Monsieur Gentil, einer der Civilbeamten des französischen Kongo, war 1897 mit einem Dampfer den Schari bis zu seiner Mündung in den Tschadsee abwärts gefahren. Bei dieser Gelegenheit war es ihm gelungen, mit dem Sultan Gauranga von Baghirmi einen Handels- und Schutzvertrag abzuschliessen. Gauranga zeigte sich französischen Einflüssen zugänglich in der Hoffnung, von Frankreich gegen Rabeh geschützt zu werden. Schwerlich hatte Gauranga ohne die harten Prüfungen, denen er zuvor durch den Sklavenfürsten ausgesetzt war, freiwillig den Franzosen die Arme geöffnet.[S. 86] Es kann fast als ein Wunder bezeichnet werden, dass der kleine Dampfer Gentils unterwegs nicht von den Garnisonen Rabehs am Schari angehalten wurde. Die eingeborenen Bewohner der Schari-Ufer, die infolge der ungewohnten Erscheinung der Weissen und eines Dampfbootes an eine bevorstehende Errettung von dem harten Drucke Rabehs glaubten, leisteten Gentil in jeder Beziehung Vorschub. Dieser begab sich demnächst nach Paris zurück, wohin er einige Baghirmi-Leute mitbrachte, um eine Expedition im grossen Stile vom Süden aus zur thatsächlichen Ausnutzung der von ihm mit dem Sultan von Baghirmi geschlossenen Verträge und zu wirksamem Schutze dieses Landes gegen zu erwartende weitere Einfälle Rabehs vorzubereiten.
Die Rache Rabehs folgte auf dem Fusse. Kaum hatte dieser von dem guten Empfange, den Gauranga den Franzosen bereitet hatte, erfahren, als er mit seinen Truppen den Schari überschritt und nun vom südlichen Kanem an bis zum 9. Breitengrade Baghirmi verwüstete. Eine Stadt nach der anderen wurde eingenommen und zerstört. Gauranga floh vor dem ergrimmten Lehnsherrn, nachdem er selbst seine Hauptstadt Massenja verbrannt hatte, weiter nach Süden in die Heidengebiete. Hierauf ging Rabeh auf das linke Schari-Ufer zurück und bezog wieder seine Residenzstadt Dikoa. Dabei mag mitgewirkt haben, dass in Baghirmi eine gefährliche Hungersnot ausgebrochen war.
Als Gentil sich nach Paris begab, hatte er einen anderen Beamten des französischen Kongogebietes, Prins, mit der Aufgabe betraut, sich an den Hof Gaurangas zu begeben, um als dauernder französischer Resident bei dem Fürsten von Baghirmi zu verweilen. Prins war eben von einer glücklichen Mission zu dem in N‘Delle residierenden Schech Muhammed waled Abu Bakr es Senussi von Kuti zurückgekehrt. Die neuesten politischen Verhältnisse hatten Frankreich gezwungen, die Ermordung Crampels zu vergessen und freundschaftliche Beziehungen mit dem Mörder anzuknüpfen.
Prins fuhr im April 1898 von der Gribingi-Station den Fluss gleichen Namens bis zu seiner Vereinigung mit dem Schari[43], der dort noch den Namen[S. 88] Bamingi führt, herab. Dann setzte er seine Reise auf dem Schari fort. Im Gebiete der Sarra wurde er durch die Nachricht aufgehalten, dass Gauranga sich auf der Flucht vor Rabeh nach dem Süden befände. Mehr westlich am Logon bei den Bua traf er mit Gauranga zusammen und blieb vier Monate bei ihm. Prins gab Gauranga den Rat, zwischen sich und Rabeh durch gänzliche Vernichtung aller Dorfschaften und Saaten eine für die Truppen Rabehs unpassierbare Zone herzustellen. Die Ausführung des Vorschlages erwies sich als erfolgreich. Trotz der misslichen Lage, in der sich Gauranga befand, musste er damals den fälligen Tribut an Sklaven u. s. w. für Wadai sich verschaffen — auf Kosten der Heidenstämme, in deren Gebiet er sich aufhielt.[44]
Prins wagte Anfang des Jahres 1899 eine Orientierungsfahrt nach Norden. Er schiffte den[S. 89] Schari auf einem eisernen Boote stromabwärts und gelangte auf diesem bis nach Kusseri, etwa 1 km oberhalb der Vereinigung des Logon mit dem eigentlichen Schari. Die Uferbevölkerung des Schari erwies sich auch diesmal den Franzosen gegenüber freundlich, da sie abermals in ihrer Ankunft den Beginn der Rettung vor Rabeh erblickte. In Kusseri erfuhr der französische Vertreter, dass in der unweit westlich gelegenen Stadt Afadé eine etwa 1000 Mann starke Garnison Rabehs sich befinde. Auf der Rückfahrt traf Prins mit Herrn de Behagle zusammen, der einer französischen kaufmännischen Mission angehörte, welche die wirtschaftlichen und Handels-Verhältnisse im Süden des Tschadsees zu studieren beauftragt war. Trotz des dringenden Rates Prins’ liess sich Behagle nicht abhalten, seine Fahrt nach Norden fortzusetzen. Der Unglückliche wurde von den in Afadé liegenden Leuten ergriffen und zu Rabeh geführt. Eine zeitlang wurde er in Dikoa gefangen gehalten. Noch bevor der endgiltige Zusammenstoss zwischen Rabeh und den französischen Waffen erfolgte, soll er dem Verhungern ausgesetzt oder erhängt worden sein.
Inzwischen hatte Gentil, der zum obersten Civilbeamten der ganzen Gegend nördlich von Gribingi[S. 90] ernannt worden war, seine Expedition energisch gefördert, und mit verhältnismässig bedeutenden Machtmitteln ausgestattet erschien er wieder in Afrika. Die Aufgabe, welche er von Paris mitbrachte, war eine doppelte. Erstens sollte er es Gauranga ermöglichen, wieder die Herrschaft in seinem ganzen Reiche anzutreten, und gegebenen Falles Rabeh mit Gewalt von weiteren Angriffen gegen Gauranga abhalten. Zweitens sollte er in Wadai, das nach den jüngsten Vertragsbestimmungen mit England[45] als zur Einflusssphäre des französischen Kolonialbesitzes gehörig erklärt war, Fuss zu fassen suchen und womöglich den Sultan von Wadai bestimmen, gemeinsam mit Frankreich Rabeh zu bekämpfen.
Am oberen Schari angelangt, musste sich Gentil davon überzeugen, dass Rabeh entschlossen war, Gauranga und den Franzosen den Zutritt zu dem nördlichen Baghirmi zu verwehren, und dass nur der Sieg der Waffen zwischen ihnen entscheiden würde. Rabeh hatte Dikoa abermals verlassen und war den Schari aufwärts im Anmarsch begriffen. Es heisst, dass er, als ihm die Ankunft Gentils gemeldet wurde, wieder einmal mit den Vorbereitungen zu einem Kriegszug gegen Sokoto beschäftigt war.
Von den Franzosen waren Verbindungen vom[S. 91] Sitze der Centralregierung des französischen Kongo bis zum Süden Baghirmis etappenmässig eingerichtet worden. In Gribingi befand sich das Hauptquartier Gentils, und dieser sandte einen seiner Offiziere, den Administrateur Bretonnet mit zwei Franzosen, dem Leutnant Braun und dem Maréchal de logis Martin, sowie 30 senegalesischen Schützen, verstärkt durch zahlreiche Eingeborene, als Avantgarde voraus. Ein weiterer französischer Offizier, Durand-Autier, der dem inzwischen nach Frankreich heimgekehrten Prins als französischer Vertreter bei dem Sultan Gauranga gefolgt war, hatte einen französischen Unteroffizier Pouret und 10 Senegalesen bei sich. Rabeh hatte inzwischen in dem schon von Natur geschützten gebirgigen Gebiete von Njellim, ungefähr 20 km südöstlich von Kuno bei Togbao am Schari, 9° 42′ nördlicher Breite, in nächster Nähe der deutsch-französischen Grenze, eine feste Stellung eingenommen. Bretonnet liess sich verleiten, dem Feinde entgegen zu gehen, ohne weitere Verstärkungen abzuwarten. Er schreibt am 17. Juli 1899 an Gentil, dass er seinerseits eine beherrschende, gut zu verteidigende Position, in welcher 30 Mann sich gegen eine Armee halten konnten, bezogen habe, dass er ausser 6 Weissen 44 senegalesische Schützen und 3 Kanonen in einem von ihm errichteten Fort bei sich habe, und dass der Sultan Gauranga mit ungefähr 400 Gewehren bei ihm sei; Rabeh verfüge über 2000 Mann und 1500 Reiter. Später[S. 92] stellte es sich heraus, dass Bretonnet die Streitkräfte seines Gegners weit unterschätzt hatte.[46]
Am folgenden Tage scheint der Zusammenstoss zwischen Bretonnet und Rabeh erfolgt zu sein. Der Kampf endigte mit der vollständigen Vernichtung der Kolonne Bretonnets. Nach dem Berichte Gentils hatte er gegen etwa 12000 Mann zu kämpfen, von denen 2700 mit Gewehren bewaffnet waren. Bretonnet, Braun und Martin wurden getötet. Von den Schützen Bretonnets fielen alle bis auf drei, die verwundet und gefangen wurden. Einem von diesen gelang es, aus der Gefangenschaft zu entkommen und die Nachricht von der Niederlage Gentil zu überbringen. Rabeh selbst hatte starke Verluste. Es hiess, dass sein Sohn Niebe bei dieser Gelegenheit verwundet wurde. Gauranga ergriff wieder einmal die Flucht vor seinem furchtbaren Gegner und setzte sich bei Lai fest. Von Durand-Autier, Pouret und ihren Senegalesen verlautet im ersten officiellen Berichte nichts. Später stellte es sich heraus, dass auch sie gefallen waren. Das gesamte Kriegsmaterial Bretonnets fiel Rabeh in die Hände.
Als Gentil den vorerwähnten Brief Bretonnets empfing, hatte er sich, immer den Schari entlang, mit einer Kompagnie in Eilmärschen auf den Weg gemacht, um der Vorhut Unterstützung zu bringen.[S. 93] In Gaura (9° 20′), am 26. August, erreichte ihn die Hiobspost von dem Untergange Bretonnets. Darauf wurde in Gaura ein Lager bezogen, Verstärkung von Gribingi herbeigeholt und sodann in Tunija (9° 15′) der weitere Vormarsch vorbereitet. Tunija wurde zu einem stark befestigten Fort ausgebaut, das den Namen Fort Archambault erhielt. In den südlichen Stationen waren kleine Besatzungen zurückgelassen worden, in Gribingi 65 Schützen.
Inzwischen hatte sich Rabeh nordwärts nach Kuno zurückbegeben. Gentil erfuhr, dass er sich mit dem Schech Muhammed es Senussi von Kuti vereinigen wolle, um mit ihm gemeinsam die französische Hauptmacht anzugreifen. Infolge dessen ergriff Gentil selbst die Offensive. Den Oberbefehl über die Truppen erhielt der Kapitän Robillot. Die französischen Streitkräfte setzten sich wie folgt zusammen: Erstens die Flotille, deren Führung Gentil persönlich übernahm, bestehend aus einem Dampfboot mit einem Schnellfeuergeschütz, das ein grösseres Boot mit einer anderen Revolverkanone in Schlepptau hatte, ferner aus zwei Stahlbooten und einem Holzboote, das Ganze bedient von 2 Europäern und 45 Eingeborenen, wovon 25 Kombattanten; zweitens die Artillerie, bestehend aus einer Sektion 80 mm-Berggeschütz und einer Sektion 65 mm-Marinegeschütz, geführt von 3 Europäern; drittens drei Tirailleurs-Kompagnien, die eine bestehend aus 3 Europäern und 127 Senegalesen,[S. 94] die zweite aus 3 Europäern und 97 Senegalesen, die dritte aus 3 Europäern und 83 Senegalesen; hierzu kam eine grosse Anzahl eingeborener Träger u. s. w. — im ganzen, wie der officielle Bericht sagt, 20 Europäer und 344 schwarze Kombattanten.[47] Die erste Kompagnie stand unter dem Befehl des Kapitän Jullien, die zweite unter dem Kapitän de Cointet und die dritte unter dem Kapitän de Lamothe. Im Fort Archambault wurde eine kleine Garnison unter einem Europäer zurückgelassen. Der Vormarsch erfolgte auf dem linken Schari-Ufer, die Truppen stets begleitet von den Schiffen. Am 29. Oktober morgens gelangte man in die Nähe von Kuno. 3 km vor der Stadt wurde die Artillerie von den Schiffen an das Ufer gebracht, das hier wellenförmige Formationen zeigte. Die Träger liessen ihre Lasten zurück und beluden sich statt dessen mit Munition. Darauf ging die Flotille wieder vor und auch die Landtruppen setzten sich kampfbereit in Bewegung. Die Schiffe folgten dem Marsche der Avantgarde.
Der Feind hatte den Anmarsch bemerkt, und als die Kolonne 2 km vor Kuno in die Ebene eintrat, sah sie eine Tirailleurs-Kette der Leute Rabehs 500 m von der Stadt entfernt sich ihr in raschem Lauf nähern. Grössere feindliche Massen strömten aus der Stadt. Gleichzeitig wurde aus den Geschützen der Kolonne und den Revolverkanonen der[S. 95] Flotille das Feuer eröffnet. Rabeh antwortete mit den drei Geschützen, die er von Bretonnet gewonnen hatte. Das feindliche Feuer war gut gezielt und ruhig und verursachte während des ganzen Tages grosse Verluste. Der Kampf hatte 9½ Uhr begonnen. Um 11½ Uhr waren die Truppen bis auf 600 m an die Stadt herangerückt, als der rechte Flügel des Feindes in die hinteren Reihen der Franzosen einzudringen drohte. Aber ein koncentrierter Angriff warf den linken feindlichen Flügel derartig, dass der Eintritt in die Stadt erkämpft wurde, in welche der Feind sich geflüchtet hatte. Die Strassen wurden nach und nach genommen und die Häuser in Brand gesteckt. Jetzt sah man sich einem im Innern der Stadt rechteckig angelegten befestigten Lager (Tata) gegenüber, von dessen Pallisadenmauern ein mörderisches Feuer auf die Angreifer herabgeschickt wurde. Die französischen Reihen wurden im Augenblick decimiert und gezwungen, sich hinter die letzten vor dem Befestigungswerk befindlichen Häuser zurückzuziehen. Um das innere Lager entbrannte darauf ein heisser Kampf. Erst nachmittags um 3 Uhr stellte die feindliche Artillerie ihr Schiessen ein. Damit war die Befestigung jedoch keineswegs genommen. Das Gewehrfeuer seitens der Belagerten wurde energisch fortgesetzt, und eine halbe Stunde später war nur eine einzige der französischen Kanonen noch imstande zu feuern. Der Oberstkommandierende Robillot war verwundet. Eine Bresche war in die feind[S. 96]liche Befestigung nicht geschlagen worden. Bei den Versuchen, das Fort zu erstürmen, wurden immer mehr Leute verloren, und endlich um 4 Uhr nachmittags musste die Belagerung aufgegeben werden. Gleichzeitig aber verbreitete sich die Nachricht, dass Rabeh selbst schwer verwundet und nach Westen geflohen sei. Später hiess es allerdings, Rabeh sei schon am Vormittag verwundet worden, und dies habe dazu beigetragen, dass seine Truppen ins Wanken gerieten und die Franzosen in die Stadt eindringen konnten. Auch wurde in der Folge festgestellt, dass Rabeh selbst bis zum Abzug der Franzosen im inneren Fort von Kuno geblieben ist, während der grösste Teil seiner Truppen schon vorher die Stadt verlassen hatte. Die Besatzung des Forts aber hatte den Beweis geliefert, dass sie, um den Rückzug ihres Herrn zu decken, sich bis auf den letzten Mann hatte niedermachen lassen.
Gentil nimmt an, dass der Feind, wie bei Togbao, 12000 Mann stark gewesen sei. Augenscheinlich waren die Soldaten Rabehs seit langem daran gewöhnt, sich lediglich auf ihre Gewehre zu verlassen. Sie nutzten ihre Kavallerie, als der Gegner siegreich war, in keiner Weise zum Angriff aus. Die Befestigung des Forts in Kuno bestand hauptsächlich aus starken, mehr als 2½ m hohen Pallisaden. Aus den Zwischenräumen der Holzstämme wurde herausgeschossen. An mehreren Stellen war eine zweite Pallisadenreihe in einem zweiten Stockwerke über der[S. 97] ersten angebracht, aus welcher gleichfalls gefeuert wurde. Aus hohen Bäumen im Innern der Befestigung wurde sodann noch wie aus einem dritten Stockwerke geschossen. Der Verlust auf französischer Seite war sehr bedeutend: Ein Europäer und 43 Senegalesen tot, fünf Europäer, unter ihnen der Oberstkommandierende, und 106 Senegalesen verwundet, im ganzen also nahezu die Hälfte der gesamten Truppen ausser Gefecht gesetzt. Die Flotte hatte vortreffliche Dienste geleistet durch Bombardierung der Stadt und Verfolgung des aus der Stadt nach den Ufern sich bewegenden oder flüchtenden Feindes, sowie besonders durch eine regelmässige Zuführung von neuen Patronen und Artilleriemunition. Es waren 300 Schuss 80 Millimeter-Geschütz und 600 Schuss Revolver-Kanone abgegeben worden. — Auch Rabeh hatte schwere Verluste zu verzeichnen. Unter den Toten, welche er verlor, sollen sich einige seiner besten Offiziere und namentlich einige seiner Bannerführer befunden haben, nämlich Fakih Achmed, der gleichzeitig ein in hohem Ansehen bei ihm stehender Geistlicher und Rechtsgelehrter war, ferner Abu Bekr und Osman Schecho.
Überzeugt, mit den ihnen verbliebenen Streitkräften das Fort von Kuno doch nicht nehmen zu können, beschlossen die Franzosen, wieder stromaufwärts zu marschieren.[48] Am Abend wurde ein Lager[S. 98] 1200 m oberhalb Kunos am Schari auf einem erhöhten Platze bezogen, die Flotte nahm in nächster Nähe Stellung. Ein vielleicht zu erwartender Angriff des Feindes erfolgte in der Nacht jedoch nicht. Am kommenden Tage wurde nach Überschreitung des Schari der Rückzug nach Fort Archambault auf dem rechten Ufer angetreten, der sich ohne Zwischenfall vollzog. Am 6. November wurde das Fort wieder erreicht.
Hier wurden weitere Verstärkungen erwartet, welche Gentil sich persönlich bei dem Gouverneur des französischen Kongo, Monsieur de Lamothe, der nach Gribingi gekommen war, erbat. Alsbald wurden auch drei weitere Offiziere und 120 Senegalesen nach dem Fort gesandt. Etwas stromabwärts, in Sada, wurde ein äusserster Vorposten unter dem Kommando des Kapitän de Cointet errichtet.
[41] Es sind verschiedene Linien geplant, die vom Norden nach dem Tschadsee bezw. nach Timbuktu und Dahomey führen sollen. Die südlichsten grösseren Ortschaften auf den bereits vollendeten Bahnstrecken sind Biskra und mehr im Westen Ain Sefra.
[42] Vergl. die Karte.
[43] Das Stromsystem des Schari ist sehr verworren. Eine ganze Anzahl Flüsse entspringen von einer breiten, von West nach Ost sich hinziehenden Wasserscheide, die sich in keiner grossen Entfernung vom Ubangi befindet. Im Heidengebiet der Sarra nähern sich die verschiedenen Ströme einander mehrfach derart, dass Sumpfland zwischen ihnen entsteht. Aber etwa am 10. Breitengrade, dort wo die Flüsse in das Tschadseegebiet eintreten, und wo der eigentliche Schari die Ostgrenze zwischen unserer und der französischen Kolonie bezeichnet, haben sich bereits zwei besondere Ströme aus den verschiedenen Nebenflüssen gebildet: der östliche Schari und der westliche Logon. Bemerkenswert ist, dass der Schari, wie Prins mitteilt, zwischen dem 9. und dem 10. Breitengrade die Tendenz hat, seinen Lauf nach Osten zu verlegen. Beide Flüsse sind auf deutschem Gebiet für Dampfboote schiffbar, die allerdings, soweit es sich bis jetzt beurteilen lässt, einen Tiefgang von nicht mehr als 4 m haben dürfen und infolgedessen am besten mit einer Heckrad-Vorrichtung zu versehen sein würden. Beim Zusammenfluss des Logon mit dem Schari messen beide Ströme ungefähr je 2 km in der Breite. Der Logon hat hier eine Tiefe von 5 m. Der Schari schwillt nach Foureau oft derart an, dass sein Bett an einzelnen Stellen mehr als 6 und 8 km breit wird, und dass seine Wasserfläche ausserdem noch die Ufer weithin überschwemmt. Der grösste Teil des westlichen Ufers des Schari nördlich des 10. Breitengrades, also des uns zustehenden Gebietes, ist muhammedanisch. Im nördlichen Teile wird vorwiegend Kanuri, aber auch arabisch gesprochen. Das Land zwischen Schari und Logon ist besonders fruchtbar und reich bevölkert. (Vergl. Prins in Bulletin de la Société de Géographie, 1900, S. 177 ff.).
[44] Es ist bemerkenswert, dass damals noch der Sultan von Wadai, wiewohl Baghirmi in das Rabeh’sche neue Reich aufgegangen war, bei den Bua einen eigenen dauernden Bevollmächtigten unterhielt, der insbesondere für die richtige Eintreibung eines Sondertributs zu sorgen hatte. Trotz der Anwesenheit des französischen Vertreters und trotz der drohenden Haltung Rabehs musste der König Gauranga von Baghirmi, um seinerseits die dem Sultan von Wadai schuldige Anzahl von Sklaven sich zu verschaffen, die Hauptstadt des Bua-Häuptlings, Korbol, einen mit Mauern umgebenen befestigten Platz, zerstören. Vergl. Prins a. a. O. S. 181.
[45] Vergl. Déclaration additionnelle du 21. Mars 1899 à la Convention Franco-Anglaise du 14. Juin 1898.
[46] Vergl. Bulletin du Comité de l’Afrique Française, 1899, S. 362 ff.
[47] Vergl. Bulletin du Comité de l’Afrique Française, 1900, S. 163.
[48] Es ist bemerkenswert, dass dieser Rückzug zu Entstellungen durch die afrikanische Fama führte, so dass Nachrichten von einer Niederlage der Franzosen nach der Küste drangen.
Somit war die Niedermachung der Bretonnet’schen Expedition gerächt, und Gentil hatte mit seinem kühnen Vorstoss Rabeh vor den Mauern von Kuno geschlagen, trotzdem dieser den Kampf persönlich leitete und anscheinend seine besten Basinger zur Verfügung hatte. Der Eindruck der überlegenen französischen Waffen muss ein bedeutender gewesen sein, zumal Rabeh, wie es scheint, derartig verwundet wurde, dass er in der Folge die kriegerischen Aktionen nicht mehr mit der gewohnten Energie zu leiten vermochte. Der Sultan Gauranga stellte sich sofort wieder mit seinen Leuten als Bundesgenosse der Franzosen im Fort Archambault ein, und die Eingeborenen der Umgegend, die seit der Bretonnet’schen Niederlage nur mit Schwierigkeit zu Hilfeleistungen und Überlassung von Lebensmitteln zu bewegen gewesen waren, wurden wieder gern bereite Helfer. Bald nach der Rückkehr nach Fort Archambault machte der französische Dampfer eine Rekognoscierungsfahrt nach dem Norden und stellte fest, dass Rabeh am 8. November Kuno geräumt,[S. 100] sich in Miltu gesammelt und über den Bahr Ergig den Rückmarsch nach dem Norden angetreten hatte.
Es hatte sich aber auch gezeigt, dass die Gentil’sche Truppenmacht zur Niederwerfung Rabehs numerisch nicht stark genug war. Die Kanonen Bretonnets waren Rabeh verblieben, und Gentil musste sich zunächst darauf beschränken, an dem Ausgangspunkte seines Vorstosses, im Fort Archambault, eine abwartende Haltung einzunehmen. Erst dem weiteren günstigen Umstande, dass rechtzeitig und fast im gleichen Augenblicke die sonstigen Expeditionen, welche Frankreich von Norden und Westen her nach dem Tschadsee entsandt hatte, am Schari eintrafen, ist es zu danken, dass die Offensive gegen Rabeh von Süden her wieder aufgenommen werden konnte.
Schon am 21. Juli 1897 hatte eine französische Expedition unter Cazemajou Dahomey verlassen, um über Zinder den Tschadsee zu erreichen. In Zinder wurde Cazemajou mit seinem Dolmetscher Olive auf Befehl des Sultans Achmadu (Amhadu), der seinem Bruder Jakudima gefolgt war, am 5. Mai 1898 meuchlings ermordet. Der Rest der Mission konnte sich nach dem Niger retten.
Noch im selben Jahre ging eine zweite mit grossen Mitteln ausgerüstete Expedition unter Voulet und Chanoine den Niger abwärts, um das Programm der missglückten Expedition Cazemajous aufzunehmen. Sie führte den Namen „Mission[S. 101] Afrique centrale“. Zwei starke Kolonnen unter dem Oberstleutnant Klobb und dem Major Crave sollten diese Expedition begleiten, bis Voulet den Niger verlassen würde, um sie auf der durch Tuareg sehr gefährdeten Route zu beschützen und überhaupt die Tuareg am linken Niger-Ufer zur Raison zu bringen. Voulet hatte gegen 700 Gewehre bei sich; aber seine Truppen bestanden zum grossen Teile aus Gesindel der verschiedensten Nationalitäten, welches er sich durch Verheissungen von Beute angeworben hatte und die auf ihrem Marsche raubten und plünderten, wo sie konnten. Als die Nachrichten über diese Unzuträglichkeiten nach der Küste drangen, wurde Klobb zum Oberbefehlshaber der Expedition ernannt und dem Kapitän Voulet, der bereits den Niger verlassen hatte, mit weiteren Verstärkungen in Eilmärschen nachgeschickt. Als Klobb Voulet den entsprechenden Befehl bei Dankori im Gebiete der Tessaua überbrachte, fanden, am 17. Juli 1899, die bekannten Ereignisse statt, deren Einzelheiten noch unlängst die französische Kammer beschäftigt haben. Voulet verweigerte den Gehorsam, und Klobb wurde auf Voulets Befehl von seinen Tirailleurs erschossen, als er nicht umkehren wollte.[49] Leutnant Meynier, der von Voulet nicht zu bewegen war, mit ihm gemeinsame Sache zu machen, wurde verwundet. Chanoine billigte nachträglich die Hand[S. 102]lungsweise Voulets. Später wurden Voulet und Chanoine von ihren eigenen Leuten, unter welchen besonders der erstere sehr verhasst war, niedergeschossen, da diese ihren Führern, welche die Gründung eines eigenen innerafrikanischen Reiches planten, nicht mehr folgen wollten. Nach dem Tode Klobbs, Voulets und Chanoines gelang es Pallier, Meynier und Joalland, die aufrührerischen Soldaten wieder zu beschwichtigen. Die vereinigten Truppen der beiden Expeditionen setzten ihren Weg weiter nach Zinder fort. Kurz vorher bestanden sie bei Tyrmeni einen siegreichen Kampf mit der Armee des Sultans Achmadu, und am folgenden Tage zogen sie in die Stadt ein, welche von einem grossen Teile der Bevölkerung verlassen war. Der Sultan Achmadu, der Mörder Cazemajous, befand sich unter den Flüchtlingen. Die Franzosen ernannten infolgedessen den Bruder Achmadus, dessen Namen mir von Kanuri als Gambo Guago (Abokadu) genannt wurde, zum Sultan, der nunmehr gleichfalls den arabischen Namen Achmed annahm. Inzwischen war es klar geworden, dass die wild zusammengewürfelten Tirailleurs Voulets die Unbotmässigkeiten, welche sie sich unter dem alten Kommando angewöhnt hatten, nicht mehr lassen konnten, und es wurde für unmöglich gehalten, mit dem gesamten Trupp den schwierigen, auf langen Strecken wasserlosen Marsch nach dem Tschadsee fortzusetzen. Infolgedessen wurde eine[S. 103] Trennung beschlossen. Pallier führte am 3. September 1899 etwa 300 Mann mit dem Dr. Henrique und zwei französischen Unteroffizieren nach Say zum Niger zurück. Über den Rest der in Zinder verbliebenen Truppen übernahm Joalland das Kommando. Am 15. September gelang es einer französischen Abteilung, den Mörder Cazemajous, den entthronten Sultan Achmadu, im Dorf Rumje, 80 km südwestlich von Zinder, zu töten. Das Gebiet von Zinder konnte damit als beruhigt betrachtet werden.
Joalland und der wieder hergestellte Meynier verliessen nun am 3. Oktober Zinder, um mit etwa 200 ausgesuchten Leuten, die auf Kamelen beritten gemacht wurden, und einer 80 mm Gebirgskanone nach dem Tschadsee weiter zu marschieren. In der Stadt wurde eine Besatzung von 100 Tirailleurs unter einem Unteroffizier zurückgelassen. Am 22. Oktober war der 525 km betragende Marsch von Zinder bis zum Tschadsee beendigt, der bei Wudi erreicht wurde. Am folgenden Tage war die Expedition in Ngigmi im Nordwesten des Sees. Darauf wurde durch das Land Kanem marschiert, und nachdem der Tschadsee im Norden und Osten umgangen war, gelangte die Expedition ohne besondere Fährnisse nach dem Schari-Delta. Die Bevölkerung von Kanem scheint den durchziehenden Truppen keine grossen Schwierigkeiten bereitet zu haben, und Joalland konnte mehrere Schutzverträge in Kanem[S. 104] abschliessen.[50] Der Schari wurde am 10. Dezember 1899 Gulfei gegenüber erreicht.[51]
Joalland hatte schon vorher erfahren, dass Weisse am Schari angekommen sein sollten, und er hoffte, bei Gulfei Gentil mit seinen Truppen zu finden. Seine Enttäuschung war gross, als er hörte, dass diese weit oberhalb am Schari lagerten. Er sandte deshalb eine Rekognoscierungspatrouille auf einem Boote flussaufwärts. Diese stiess jedoch auf eine aus 40 Schiffen bestehende Flotille mit Truppen Rabehs, die sich nach der Schlacht von Kuno nordwärts koncentrierten. Es gelang der Patrouille, Rabeh zu entgehen und zurückzukehren.
Joalland war vollständig im Unklaren über das Schicksal Gentils. Es wurde der überlegenen Streitkräfte Rabehs wegen für unmöglich gehalten, mit der Expedition weiter nach dem Süden zu marschieren. Doch wurde, nachdem man in Erfahrung gebracht hatte, dass der Fluss wieder frei war, zwischen Joalland und Meynier vereinbart, dass diesesmal Meynier selbst einen Vorstoss zu Schiffe wagen sollte, um sich womöglich Gewissheit über das Loos der französischen Schari-Truppen zu ver[S. 105]schaffen. Dann sollte die Expedition nach Regelung der Angelegenheiten in Kanem über Zinder den Heimweg antreten.
Die Fahrt Meyniers ging ohne Unfall von statten. Am 28. Dezember bei Gulfei abgefahren, konnte er, nachdem er in 14 Tagen 700 km zurückgelegt hatte, mit den vom Süden gekommenen Franzosen Fühlung gewinnen. Er traf mit dem äussersten vorgeschobenen Posten der Mission Gentils, der, wie bereits erwähnt, unter de Cointet in Sada am Schari sich befand, am 13. Januar 1900 zusammen. Die beiden französischen Offiziere fuhren dann den Strom bis nach Fort Archambault aufwärts, wo das Gros der französischen Streitmacht unter Robillot lagerte. Der vom Westen kommenden Mission war somit das von Cazemajou begonnene Werk gelungen: eine Verbindung mit der von Süden gekommenen Gentil’schen Mission war erreicht.
Bereits am 30. Januar erhielt Meynier eine Nachricht, durch die er von Kapitän Robillot, dem Führer der Gentil’schen Truppen, aufgefordert wurde, am Tschadsee zu verbleiben. Am 8. Februar traf Meynier wieder im Lager Gulfei gegenüber ein. Joalland hatte die Zwischenzeit zu einer weiteren Bereisung von Kanem benutzt.
Eine dritte, vom Norden entsandte Expedition, die „Mission saharienne“, unter dem gelehrten Geographen und Forschungsreisenden Foureau, war schon seit längerer Zeit durch die Sahara unterwegs. Zu[S. 106] ihr gehörten 13 Europäer. Die der Expedition beigegebene starke Schutztruppe wurde von dem Major und Bataillonskommandeur Lamy befehligt. Die Mission hatte grosse Schwierigkeiten aller Art zu überwinden, namentlich schwere Kämpfe mit überlegenen Tuareghorden zu bestehen. Durch Irreleitung von Führern, die erschossen werden mussten, war sie aufgehalten worden; doch gelang es ihr, am 2. November 1899 Zinder über Asben zu erreichen. Wie bereits erwähnt, waren Joalland und Meynier von Zinder bereits am 3. Oktober aufgebrochen. Die Mission fand hier die zurückgelassene Garnison in den besten Beziehungen mit dem Sultan, der Foureau und Lamy ersuchte, ihm zu helfen, die Tessaua seiner Autorität wieder zu unterwerfen. Dies geschah, und bei dieser Gelegenheit wurden 200 Pferde und eine grosse Anzahl Esel neben weiteren Kamelen requiriert, mit welchen man am 25. Dezember den Marsch nach dem Tschadsee antrat.[52]
Bevor der Tschadsee erreicht wurde, traf die Expedition bei Begaro am Komodugu Yobe mit dem Bornuprinzen Omar Sanda zusammen, der zuletzt in Zinder einen Zufluchtsort gefunden hatte. Foureau[S. 107] liess Omar Sanda zum Sultan von Bornu ausrufen und besuchte zunächst Kuka, das er vollständig verödet und in Trümmern liegend fand. Von Kuka aus ging die Expedition, immer von Omar Sanda begleitet, wieder nach Norden und erreichte auf demselben Wege, den Joalland und Meynier genommen hatten, über Ngigme und durch Kanem marschierend den Schari. Gegenüber von Gulfei auf dem rechten Schariufer erfolgte am 24. Februar 1900 ihre Vereinigung mit den Truppen Joallands. Auch der Plan, vom Norden her mit bewaffneter Macht in Achtung gebietender Stärke nach dem Tschadsee zu gelangen, war Frankreich gelungen. Joalland, der der „Mission saharienne“ bis nach dem Orte Deberengi bei Mao entgegen gegangen war, hatte die Neuangekommenen davon unterrichtet, dass die Gentil’schen Truppen vom Süden her im Anzuge begriffen seien.
Der Zweck der „Mission saharienne“ war mit der Erreichung des Schari-Beckens erfüllt. Der Gelehrte Foureau trat Anfang April allein die Heimreise über den Schari und Gribingi durch das französische Kongogebiet an. Die starke Streitmacht der Mission verblieb jedoch am Tschadsee zur Verfügung Gentils und nahm an der Niederwerfung Rabehs thatkräftigen Anteil.
Ihr Führer, der Major Lamy, übernahm zunächst das Oberkommando auch über die Truppen Joallands. Bei dem Orte Mara, den letzterer kurz vor[S. 108] der Ankunft Lamys genommen hatte, wurde am 26. Februar 1900 der Übergang über den Schari bewerkstelligt, und von nun an spielten sich die Ereignisse auf deutschem Boden ab. Rabeh, der noch immer an seiner Wunde litt, lagerte mit dem Gros seiner Truppen in Dikoa. In den einzelnen Städten des linken Schari-Ufers befanden sich starke Besatzungen. Fadel Allah hatte sein Standquartier in Gulfei. Am 3. März fand ein Kampf mit der etwa 1000 Mann starken Besatzung von Kusseri statt. Die Stadt wurde genommen und die erste Fahne Rabehs erobert. Der Bannerführer Kapsul wurde getötet. Kusseri wurde darauf der Stützpunkt der französischen Truppen. Am 9. März bestanden die Franzosen wenige Kilometer vor den Mauern von Kusseri einen Kampf gegen Fadel Allah, der mit etwa 2000 Mann aus Gulfei herangezogen war. Der Sohn Rabehs erlitt eine empfindliche Niederlage und musste 200 Tote und viel Gepäck und Munition zurücklassen. Auf französischer Seite waren nur 5 Tote und 25 Verwundete, darunter 2 Offiziere.
An die Ergreifung der Offensive konnten die bisher vereinigten zwei Expeditionen jedoch nicht denken. Endlich, am 21. April, traf die Truppe Gentils bei Kusseri ein. Es war hohe Zeit. Rabeh selbst war kurz vorher von Dikoa nach dem Schari gekommen und hatte ein befestigtes Lager nur 6 km von der Stadt entfernt bezogen. Er war genau davon unter[S. 109]richtet, dass Lamy und Joalland grossen Mangel an Munition und Lebensmitteln litten. Rabehs Reiter wurden so dreist, dass sie, nur 400 m vom französischen Lager entfernt, vier mit der Bewachung von Vieh betraute Tirailleurs töteten.
So war denn gerade im rechten Augenblicke die Vereinigung der vom Süden gekommenen Schari-Expedition mit den beiden anderen französischen Missionen erfolgt. Gentil konnte diesen frische Munition bringen. Sein Marsch war nur langsam von statten gegangen. Nur ein Teil seiner Leute und seines grossen Gepäcks hatte auf Schiffen befördert werden können, die sich jedoch von dem Rest der am Ufer marschierenden Leute nicht trennen durften. Die Verproviantierung von 600 Menschen, für die Gentil unterwegs zu sorgen hatte, war mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Die Munition allein betrug 500 Schuss für die Kanone, 400 Schuss für das Gewehr Modell 1874 und 500 für das Gewehr Modell 1886.
Es war eine stattliche Truppe unter französischer Flagge im Schari-Delta zusammen: über 800 mit modernen Gewehren bewaffnete und gut gedrillte Soldaten, geführt von zahlreichen europäischen Offizieren. Ein Teil der nördlichen Missionen war auf Pferden beritten und bildete eine geübte Kavallerie. Im einzelnen verfügten die drei Expeditionen über folgende Streitkräfte: Lamy 300 Mann, hauptsächlich algerische Schützen, Joalland 200 Senegalesen, Gentil[S. 110] 300 Senegalesen, Lamy 2 Kanonen, Joalland 1 Kanone, Gentil 4 Kanonen, unter dem Geschütz 5 Gebirgskanonen, Modell 1880, ausserdem hatte sich Gauranga mit mehreren tausend Baghirmileuten, davon viele zu Pferde, eingefunden.
Lamy übernahm als ältester anwesender Offizier das Kommando auch über die Gentil’schen Truppen, und schon am Tage nach der Ankunft der letzteren, am 22. April 1900, erfolgte der entscheidende Zusammenstoss mit Rabeh. In Kusseri wurde eine französische Besatzung zurückgelassen. Es nahmen 700 Soldaten, 30 Spahis und 4 Kanonen, sowie die Baghirmileute am Kampfe teil. Rabeh hatte 5000 Mann, von denen 2000 mit guten Gewehren versehen waren, 600 Reiter und die drei Bretonnet’schen Kanonen zu seiner Verfügung. Es waren dies seine besten Truppen. Sein Sohn Fadel Allah stand in Kornak-Logon mit 500 Gewehren, Niebe, der zweite Sohn Rabehs, in Dikoa mit 400 Gewehren.
Die Franzosen gingen am Schlachttage sofort zum Angriff vor. Der Feind hatte einen 70 cm hohen Erdwall zur Deckung der Schützen um sein durch Pallisaden befestigtes Lager gezogen und auf 300 m alles beseitigt, was der eigenen Schusslinie im Wege stehen konnte. Doch kam den französischen Truppen ausserhalb dieser Zone hohes und dichtes Buschwerk zu statten, welches sie gegen die feindlichen Kugeln schützte, und aus dem heraus sie ihrerseits das Feuer eröffneten. Nach 1½stün[S. 111]diger Beschiessung, nachdem 32000 Gewehrpatronen, 74 Schuss aus dem 80 mm-Geschütz und 20 Schuss aus dem 42 mm-Geschütz abgefeuert waren, wurde ein unwiderstehlicher Angriff ausgeführt, durch welchen die innere Festung des Lagers, der Tata, genommen wurde. Der Feind wurde aus diesem herausgedrängt und begann zu fliehen, verfiel aber auf der anderen Seite des Forts dem Feuer einer weiteren französischen Abteilung. Rabeh selbst war anscheinend seiner Wunde wegen zu schwach zur Flucht und seine Kerntruppen machten daher eine energische Offensivbewegung nach rückwärts, um sich des Tata wieder zu bemächtigen.[53] Bei diesem letzten Zusammenstoss büssten der französische Oberanführer Lamy und der Kapitän de Cointet das Leben ein; aber auch Rabeh fiel auf dem Kampfplatz. Ein Schütze der Mission Afrique centrale brachte den abgeschnittenen Kopf und die rechte Hand des Sklavenfürsten in das französische Lager. Damit war die Schlacht gewonnen, und der Feind floh westwärts nach Dikoa zu. Eine Strecke weit wurde er von der französischen Kavallerie und den Baghirmileuten, von denen 1500 an der Schlacht teilnahmen, verfolgt. Im Lager Rabehs wurden die Fahnen und Kanonen Bretonnets wiedergefunden und grosse Beute gemacht. Ausser Lamy und de Cointet wurden ein französischer Sergeant und 19 Schützen[S. 112] getötet. Der Leutnant Meynier wurde schwer am Bein verwundet. Drei andere französische Offiziere erhielten leichtere Verwundungen. Im übrigen hatten die Expeditionen nur 53 Verwundete, das Heer Rabehs hatte 500 Tote, darunter den Anführer der Reiterei, Guddam.
Den Oberbefehl übernahm nunmehr der zur Foureau’schen Expedition gehörige Kapitän Reibell, der mit 700 Flinten, 30 südalgerischen Reitern, drei Geschützen und zahlreichen zum Teil berittenen eingeborenen Hilfstruppen die Bekämpfung der Söhne Rabehs in Dikoa aufnahm. Ein Teil des geschlagenen Heeres hatte sich zunächst nach Karnak-Logon zu Fadel Allah begeben; als die Franzosen vor die Stadt rückten, war diese geräumt und der Feind bereits nach Dikoa abmarschiert. Weitere Abteilungen der Rabeh’schen Soldateska, die bis dahin in Gulfei und an anderen Plätzen am Schari und Logon gestanden hatten, zogen sich südwestwärts zurück. Schon vor der Entscheidungsschlacht hatten die nomadisierenden Araber im Westen des Schari, verschiedenen Zweigstämmen der Schoa angehörig, sich gegen Rabeh erklärt, und sie waren etwa 10- bis 12000 Mann stark mit ihren Viehheerden, die Foureau auf 15000 Köpfe schätzt, in die Nähe der Franzosen gekommen, wo sie ein eigenes Lager bezogen. Auch die übrige Bevölkerung von Bornu stand Rabeh in keiner Weise zur Seite.
Unbehelligt kamen die Franzosen am 1. Mai in[S. 113] Dikoa an.[54] Die Stadt war in der Nacht zuvor von Fadel Allah eilends verlassen worden, und hier hatte bereits eine allgemeine Plünderung seitens der entfesselten Einwohnerschaft begonnen. Ohne auf Widerstand zu stossen, zogen die Franzosen ein und besetzten den Palast und die Soldatenquartiere Rabehs. Bald darauf flog das grosse Pulvermagazin in die Luft, wodurch der Palast und die Nachbargebäude in Flammen aufgingen. Das Feuer wurde gelöscht, die Ruhe in der Stadt einigermassen hergestellt und schon in der folgenden Nacht die Verfolgung der Söhne Rabehs von Reibell aufgenommen. Das Gros der Franzosen blieb unter dem Befehl des Kapitäns Robillot in Dikoa zurück, wo nunmehr die Plünderung von neuem begann, die erst nach zwei Tagen von Robillot unterdrückt werden konnte. Aus den Trümmern des Palastes wurden 35 alte Festungskanonen und grosse Mengen an Pulver, Munition und Gewehren hervorgezogen.[55]
An der Verfolgung Fadel Allahs beteiligte sich ein Detachement von 160 Schützen zu Pferde mit einer Kanone nebst einer grösseren Anzahl eingeborener Berittener. Am 2. Mai wurden die Zurück[S. 114]weichenden bei Degemba am Flusse Jadzerem eingeholt. Fadel Allah hatte nur 700 oder 800 Gewehre bei sich, ein heftiger Kampf entspann sich, in dem die Franzosen Sieger blieben. Fadel Allah entkam und setzte seine Flucht weiter nach dem Berggebiet von Mandara fort. Unterwegs stiessen von allen Seiten andere Flüchtlinge zu ihm. In Issege, am Nordrande der Mandaraberge, bezog er ein Lager. Am 7. Mai wurde er hier von Reibell überrascht. Nach dem französischen Kriegsbericht wären Niebe und Hibid (Abed), der Schwiegersohn Rabehs, bei diesem Rencontre gefallen, eine Nachricht, die sich später als unrichtig erwiesen hat. Jedenfalls war die Überraschung den Franzosen derartig gelungen, dass Fadel Allah an einen Widerstand nicht mehr dachte, sondern dem Sieger sein Lager überliess und weiter floh. Im Lager fanden die Franzosen 1000 Sklaven und 5000 Weiber jeden Alters, unter diesen Hadja, die Frau Fadel Allahs, die Tochter des Herrn von Kuti und eine Gattin des Rabeh. Im ganzen hatten sie bei der Verfolgung zwölf Fahnen, mehrere Hundert Gewehre und zehn grosse Wallbüchsen erbeutet.
Reibell kehrte nunmehr um und kam am 13. Mai 1900 nach Dikoa zurück.[56] Am 15. und 16. Mai wurde der Rückmarsch nach dem Schari begonnen, und am 22. Mai befand sich die Truppe wieder auf dem[S. 115] rechten Schari-Ufer. Gegenüber Kusseri wurde hier das Fort Lamy als Centralpunkt des Schari-Bezirks errichtet. Zwei weitere befestigte Posten wurden am Schari in Mandjafa (Fort de Cointet) und Busso (Fort Bretonnet) angelegt. Der grösste Teil der Offiziere und Mannschaften der „Mission saharienne“ wurde durch die französische Kongo-Kolonie nach der Heimat gesandt. Die Expedition Joallands blieb noch eine zeitlang zur Verfügung Gentils und trat alsdann durch Bornu über Dikoa, wieder durch deutsches und sodann durch englisches Gebiet marschierend, den Rückweg nach Zinder an, wo sie am 10. Juli anlangte und von wo aus sie erst nach Eintreffen einer weiteren bedeutenden französischen Truppenmacht, die zur Verstärkung der Besatzung von Zinder vom Westen geschickt worden war, über Say die Rückkehr fortsetzen konnte. Gentil hatte Joalland bis nach Dikoa begleitet. Am 25. August trat er von Fort Lamy aus über den Schari und Kongo die Rückreise nach Paris an. In Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste um die koloniale Sache Frankreichs wurde er zum „Gouverneur des Colonies“ ernannt.
Das ganze Gebiet vom Niger bis zur Schari-Mündung, den Tschadsee im Norden umspannend, erhielt nunmehr eine Organisation. Zinder wurde das Centrum eines eigenen Territoire militaire. Das Gebiet im Süden des Tschadsees innerhalb der französischen Kongo-Kolonie wurde in zwei Bezirke ein[S. 116]geteilt, die südliche Région civile du Haut Chari, einschliesslich Kuti mit dem Flusse Wa oder Nahr Sarra als Nordgrenze, und im Norden davon das Territoire militaire du Bas Chari.[57] Zur Vertretung Gentils, dem das gesamte Schari-Gebiet unterstellt war, wurde der Oberstleutnant Destenave ernannt, und diesem gleichzeitig das Kommando über das Territoire militaire du Bas Chari übertragen. Bis zur Ankunft Destenaves in Fort Lamy führte hier Robillot den Oberbefehl über die französischen Streitkräfte im Schari-Bezirk. Diese bestanden aus drei Kompagnien Infanterie und einer von einem der „Mission saharienne“ zugehörigen Spahis-Offizier, Leutnant de Thézillat, aus Arabern der Umgegend und Rabeh’schen Flüchtlingen einexercierten Schwadron Kavallerie.
Übrigens beliessen die Franzosen in den neu eroberten Gebieten möglichst die angestammten Fürsten als die eigentlichen Regierenden des Landes, die natürlich unter strengste Aufsicht genommen wurden. In Baghirmi konnte Gauranga wieder zu seinem Rechte gelangen. Statt der bisherigen schweren Steuer, die an Rabeh und auch noch an Wadai zu zahlen war, wurde ihm ein mässiger Tribut an Vieh und Getreide im ungefähren Werte von 42000 Francs jährlich auferlegt. Das rechte Schari-Ufer und das[S. 117] südliche Ufer des Tschadsees wurden in direkte französische Verwaltung genommen.
Im Gebiete von Kanem im Osten des Tschadsees war von Joalland ein Schutzvertrag mit dem Araber Chalifa Djerab geschlossen worden, der zum Gesamtschech des grössten Teils von Kanem gemacht wurde, allerdings mit dem Vorbehalt, dass ihm erst später zu der thatsächlichen Herrschaft in diesem Gebiete verholfen werden solle. Ferner war die Unterwerfung der Leute von Dekena und Assala im Süden von Kanem angenommen worden, die bisher sowohl Rabeh als Wadai tributpflichtig waren, und endlich waren Beziehungen mit zwei Schechs der Waled Soliman-Araber, Reuss und F’dinn, im Nordosten des Tschadsees in der Landschaft Schitati angeknüpft worden. — Eine Machtentfaltung durch eine dauernde Niederlassung zwischen Zinder und der Schari-Mündung, also im Norden und Osten des Tschadsees, war noch nicht erfolgt.
[49] Vergl. Bulletin du Comité de l’Afrique française, 1899, S. 383 und 422.
[50] Vergl. unten S. 116. Von einem Mudjabera-Kaufmann wurde mir berichtet, die Waled Soliman und andere Stamme von Kanem hätten sich zu der Zeit, als er gerade in Mao und im Gebiete der Dekena sich befand, noch nicht schlüssig gemacht, wie sie sich den Weissen gegenüber verhalten sollten. Währenddem seien die Fremden weiter nach dem Süden marschiert und unbehelligt geblieben.
[51] Vergl. Bulletin de la Societé de Géographie, 1901, S. 396 ff.
[52] Der Deputierte Dorian, welcher vom Mittelmeer aus der Expedition sich angeschlossen hatte, blieb in Zinder zurück und marschierte am 4. März 1900 mit einigen Leuten der Garnison von Zinder nach Say am Niger, das am 23. April erreicht wurde, und sodann auf dem Westwege heimwärts
[53] Vergl. Bulletin de la Société de Géographie, 1901, S. 364; Bulletin du Comité de l’Afrique française, 1900, S. 266, 354.
[54] Vergl. Bulletin du Comité de l’Afrique française, 1900, S. 341.
[55] Vergl. den officiellen Bericht des Major Reibell in den Renseignements coloniaux et documents publ. par le Comité de l’Afrique française, 1901, S. 20. — Die Franzosen fanden in Dikoa mehrere tripolitanische Kaufleute mit ihren Familien, im ganzen etwa 100 Köpfe stark, angesiedelt vor.
[56] Vergl. den Rapport Reibells, a. a. O. S. 15 ff.
[57] Vergl. A. Terrier im Bulletin du Comité de l’Afrique française, 1901, S. 102. Über das französische Gebiet Haut Oubanghi vergl. Bulletin du Comité de l’Afrique française, 1901, S. 295.
Mit dem Tode Rabehs und der Vertreibung seiner Söhne aus der Hauptstadt Dikoa war das Reich Rabehs zertrümmert. Den Franzosen war die Aufgabe gelungen, eine Vereinigung ihres afrikanischen Kolonialbesitzes am Tschadsee zur That werden zu lassen. Ihnen gebührt der Ruhm, die Tschadseeländer von dem schweren Druck der Herrschaft Rabehs befreit zu haben. Dass ihnen die Niederwerfung des sieggewohnten Sklavenfürsten möglich wurde, war, abgesehen von dem grossen Mut, den die französischen Truppen entwickelt haben, dem glücklichen Umstande zu danken, dass im rechten Augenblick gleichzeitig von drei Seiten her bedeutende Streitkräfte auf dem Kampfplatze erschienen, und dass Rabeh selbst gleich im Anfange während des zweiten Zusammenstosses mit den Franzosen bei Kuno schwer verwundet wurde. Zudem war den Franzosen der Umstand zugute gekommen, dass Rabeh bei den eingeborenen Völkerschaften im Süden des Tschadsees, in deren Gebiet er sich festgesetzt hatte, keine Sympathien besass, und dass diese, wiewohl sie[S. 119] Muhammedaner waren, den einrückenden Truppen der Weissen keinen Widerstand entgegensetzten. Mehr als das, sie hatten sich in der Folge geradezu mit diesen zum Kampf gegen den den Islam auf seine Fahnen schreibenden Rabeh verbunden. Beim ersten Vorstoss der Franzosen unter Bretonnet und dann nach dem für Rabeh nicht glücklichen Kampfe bei Kuno focht der König von Baghirmi mit seinen Leuten auf Seiten der Franzosen. Nach dem Erscheinen der drei französischen Expeditionen am Schari und nach dem Tode Rabehs haben die Kanuri und die nomadisierenden Araber im Süden des Tschadsees seiner Soldateska jedenfalls keinen Vorschub mehr geleistet. Auch von anderen muhammedanischen Elementen Central-Afrikas, die als wenig christenfreundlich bekannt sind, hatte Rabeh keine Hilfe erhalten. Wohl hatte er sich nochmals an den Sultan Ibrahim von Wadai gewandt, mit der Aufforderung, gemeinsam mit ihm die europäischen Eindringlinge aus Innerafrika zu vertreiben. Die Aufforderung war ohne Gehör geblieben. Auch der Schech des Senussiordens, an den Rabeh ein Schreiben gesandt haben soll, um ihn zu veranlassen, die arabischen und hamitischen Völker im Osten des Tschadsees zum Kampfe gegen die Franzosen zu begeistern, hatte sich ablehnend verhalten. Ebenso hatte es der König von Mandara unterlassen, Rabeh Hilfstruppen zu senden.
Eine endgiltige Klärung hatten die Verhältnisse[S. 120] in Central-Afrika jedoch auch mit dem Tode des Sklavenfürsten noch nicht erfahren. Wenn auch der überlegene Wille und die rückhaltslose Herrschsucht Rabehs die alten Basinger nicht mehr meisterte, so hatte doch Fadel Allah in der Folge einen beträchtlichen Teil der Truppen seines Vaters um sich sammeln können.
Nachdem Fadel Allah einmal gesehen, dass das Schicksal sich gegen ihn wandte, hatte er es selbst gegen kleinere Truppen der Franzosen nicht mehr zu einer entscheidenden Schlacht kommen lassen. Ganz in der Art wie seinerzeit Soliman ibn Zuber den Verfolgungen Gessi Paschas immer wieder auswich, hatte er sich vor dem von Dikoa nach dem Süden marschierenden Kapitän Reibell immer weiter zurückgezogen. Bei dem Zusammentreffen am Flusse Jadzerem und bei Issege war kein ernstlicher Widerstand geleistet worden. Erst in Mubi[58], im Südwesten der Mandara-Berge, machte Fadel Allah Halt, nachdem die Franzosen bei Issege die Verfolgung aufgegeben hatten.
In Mubi koncentrierte sich Fadel Allah wieder, und hier vereinigten sich die zersprengten Reste der Soldateska seines Vaters. Die von Rabeh nach Gulfei und anderen Orten am Logon gelegten Besatzungen, welche an dem Kampfe bei Kusseri nicht teilgenommen hatten, fanden gleichfalls hierher ihren[S. 121] Weg, und Fadel Allah verfügte nunmehr über eine achtunggebietende Macht, die sich bald wieder in der früheren Weise organisierte. Nur geringe Bestandteile des Heeres seines Vaters und zwar anscheinend hauptsächlich solche, die Rabeh erst in letzter Zeit sich aus nomadisierenden Arabern von Bornu, Baghirmi oder dem Süden von Kanem als Soldaten einexerciert hatte, hatten sich andere Herren gesucht. Ein Teil konnte, wie erwähnt, von den Franzosen zur Bildung einer sich gut entwickelnden Reiterabteilung in Dienste genommen werden. Einige stellten sich dem König von Mandara, andere dem Emir von Yola zur Verfügung.
Die Franzosen hatten die Zertrümmerung des Reiches Rabehs damit besiegelt, dass sie Omar Sanda, dem ältesten Sohn des von Rabeh verjagten Sultans Haschem, der die Truppen der „Mission saharienne“ seit ihrer Begegnung bei Begaro unweit des Tschadsees im Januar 1900[59] immer begleitet hatte, das Land seiner Väter wiedergaben und ihn als „Schech“ von Bornu in Dikoa einsetzten. Als Gentil im Juni 1900 die Expedition Joallands auf dem Rückmarsch nach Zinder bis nach Dikoa begleitete, musste er an Stelle Omar Sandas dessen Bruder Djerbai zum Herrn von Bornu erheben. Omar Sanda hatte sich anscheinend keine Autorität verschaffen können und seinen Wohlthätern mit Un[S. 122]dank gelohnt. Er hatte Gentil nach dem Leben getrachtet; der Anschlag wurde aber rechtzeitig entdeckt und Omar Sanda nach der Station von Krebedji am oberen Schari deportiert. Naturgemäss hätte es den französischen Interessen entsprochen, wenn Djerbais Macht sich hätte kräftig entwickeln und der neue Bornusultan dann den Franzosen ihre linke Flanke, das westliche Baghirmi und den Schari, gegen etwaige neue Angriffe der Söhne Rabehs hätte decken können. Aber bald sah sich Djerbai in einen Kampf mit Fadel Allah verwickelt, sei es, dass letzterer ihn in Dikoa angegriffen, sei es, dass er selbst den Krieg gegen ihn aufnehmen zu sollen geglaubt hat. Jedenfalls war der Kampf ohne Vorwissen der Franzosen ausgebrochen. Djerbai wurde schliesslich vollständig geschlagen. Er ergriff die Flucht und machte nicht eher halt, als bis er in Kanem angelangt war, wo er beabsichtigt haben soll, den Schech es Senussi um Hilfe anzurufen.
Fadel Allah hatte Djerbai bis an das linke Schari-Ufer nach Gulfei verfolgt. Von hier aus sandte er Boten an den damaligen Vertreter Gentils, den Kapitän Robillot, nach dessen Hauptquartier in Fort Lamy. In hochtrabender Weise verlangte Fadel Allah das in dem jüngsten Kampfe von den Franzosen erbeutete Eigentum Rabehs zurück, indem er sich gleichzeitig als Herrn des von seinem Vater ererbten Gesamtkönigreichs Bornu bezeichnete und als Freund der Engländer ausgab. Die Antwort[S. 123] Robillots lautete dahin, dass sich Fadel Allah zunächst persönlich in Fort Lamy einfinden solle. Den beiden von Robillot gesandten Leuten wurde jedoch der Kopf abgeschlagen. Robillot unternahm nun einen Strafzug gegen Fadel Allah auf deutsches Gebiet. Die französische Streitmacht bestand aus 200 oder 300 regulären Soldaten und einer Gebirgskanone nebst der Kavallerie de Thézillats, die mit Gras-Gewehren bewaffnet worden war, und anderen eingeborenen Hilfstruppen. Das Vorgehen Robillots war so energisch, dass Fadel Allah sich bis nach Gudjba zurückzog, wo er zunächst ein Lager bezog. Dieser Ort liegt bereits über 100 km westlich der deutschen Grenze in englischer Interessensphäre. Infolgedessen kehrte Djerbai nach Dikoa zurück. Robillot begab sich wieder nach Fort Lamy.
Nunmehr trat Fadel Allah mit den englischen Regierungstruppen in Verbindung. Er wusste, dass die Engländer am Benue standen, wo der ihm nächstgelegene englische Posten Ibi war. Diesem näherte sich Fadel Allah und bezog zunächst bei Fika ein neues Lager. Im Juni des Jahres 1901 sandte er Boten nach Ibi mit einer Beschwerde, dass er von den Franzosen aus dem von seinem Vater ihm überkommenen Lande vertrieben und auf englisches Gebiet verfolgt worden sei, und sprach wiederholt den Wunsch aus, unter englischem Schutz sein Reich regieren zu dürfen. Daraufhin begaben sich Major[S. 124] Mac Klintock und Leutnant Mac Gregor mit einer Eskorte von 50 Soldaten und 150 Trägern zu Fadel Allah, den sie bei Bergama, 100 englische Meilen nordöstlich vom Gorgola, einem Zufluss des Benue, und 25 Tagemärsche von Ibi entfernt, trafen. 30 englische Meilen vor Fadel Allahs Lager wurde Major Mac Klintock von einer Truppe von 100 ausgesuchten Reitern eingeholt, die ihm ein Begrüssungsschreiben ihres Herrn überbrachten. Das Lager Fadel Allahs fanden die Engländer in weiter Ausdehnung um die alten Stadtmauern von Bergama aufgeschlagen, tausende von kegelförmigen Hütten dienten der Beherbergung der Truppen. Am Eingange der Stadt erwartete Fadel Allah selbst auf weissem Rosse und mit einer weissen Djebba, nach Art der sudan-egyptischen Derwische bekleidet, die englischen Offiziere. Die disciplinierte Streitmacht Fadel Allahs, 2000 Mann, war in zwei Gliedern aufgestellt. Alle waren mit Gewehren bewaffnet und feuerten bei der Annäherung der Engländer eine Ehrensalve. Diese ritten die Front ab, alsdann wurden die Truppen angesichts der Gäste in neun Kompagnien formiert. Jeder Kompagnie wurde ein Banner vorangetragen, jedes Banner war von Trommlern und Hornisten eskortiert. Ausser diesen Kerntruppen fand Mac Klintock noch mehrere Tausend irreguläre Streiter, hauptsächlich Bogenschützen und Lanzenträger, um Fadel Allah vereinigt. Tags darauf begab sich der Sohn Rabehs mit seiner Familie und seinen vornehmsten[S. 125] Anführern in das Lager der Engländer, wo eine lange Aussprache stattfand. Im Verlaufe dieser Unterredung drückte Fadel Allah den englischen Berichten[60] zufolge noch einmal den Wunsch aus, unter englische Protektion zu treten und Bornu, das ihm nach dem Rechte der Eroberung gehöre, unter englischer Oberhoheit und nach englischen Gesetzen zu regieren.
Fadel Allah wird von den Engländern als ein Mann von hoher Intelligenz geschildert, etwa 26 Jahre alt, von sehr dunkler Gesichtsfarbe und ausgesprochenem Negertypus. Sein Bruder Niebe wird als ein kluger junger Mann beschrieben, der bei den Soldaten und bei dem Volk sehr beliebt sei. Von den Folgen der schweren Verwundung, die Niebe im Kampfe mit den Franzosen erhalten hatte, sagen die englischen Berichte nichts. Viele der Hauptanführer Fadel Allahs waren alte Freunde Rabehs, die jahrelang seine Kriegszüge mitgemacht hatten.[61] Major Mac Klintock zu Ehren wurde noch einmal eine glänzende Parade der sämtlichen Truppen veranstaltet. Das gesamte Heer zog mit fliegenden Fahnen und schal[S. 126]lender Musik an den englischen Offizieren und Fadel Allah vorbei. Jede Kompagnie hatte zwei Führer, einen als Ersatz für den Todesfall auf dem Schlachtfelde. Die Haltung der Truppen war vortrefflich. Fadel Allahs Schwester Haua, die Witwe Haiatus, ein junges Weib von 19 Jahren, führte selbst eine Kompagnie. Sie hat an zahlreichen Kämpfen teilgenommen und soll persönlich eine Streitmacht gegen Kilba, einen kleinen heidnischen Staat im Südwesten von Mandara, befehligt haben. 16 Tage blieb Mac Klintock in Bergama. Am Tage vor der Abreise der englischen Gesandtschaft wurden Sportübungen, Wettrennen und Wettspringen veranstaltet, an denen auch die Leute der Rabeh’schen Soldateska teilnahmen. Fadel Allah gab nach herzlichem Abschied an der Spitze von 800 Reitern der Mission fünf Meilen weit das Geleit und bat um baldige Erneuerung des Besuchs.
Ein Dolmetscher Mac Klintocks wurde bei Fadel Allah zurückgelassen, der einen seiner ersten Anführer nach dem englischen Hauptquartier am Benue entsandte. Mac Klintock erreichte nach mancherlei Behelligung seitens der Eingeborenen, besonders der Bewohner von Ubi, den Benue bei Yola. Die Entscheidung über das englische Schutzverhältnis Fadel Allahs sollte erst nach der Rückkehr des Gouverneurs Sir Frederick Lugard nach Nigeria getroffen werden. Inzwischen wurde englischen Blättermeldungen zufolge die Frage erwogen, ob es nicht ange[S. 127]zeigt sei, Fadel Allah als Emir in Kuka einzusetzen und ihm einen britischen Offizier als ständigen Residenten beizugeben in der Art, wie es bei den eingeborenen Vasallenfürsten in Indien die Regel ist. Es sei wohl vorzuziehen, Rabehs Sohn auf diese Weise eine verantwortliche Stellung unter britischer Aufsicht zu übertragen, als vielleicht zu kostspieligen Expeditionen gezwungen zu sein, um die Raubzüge zu unterdrücken, welche Fadel Allah, wenn er eine so grosse Truppenmacht mit Lebensmitteln versehen wolle, notgedrungen unternehmen müsse. Er sei ohne Frage trotz der Niederlagen, die er durch die Franzosen erlitten habe, noch immer weitaus der stärkste Machtfaktor im Tschadsee-Gebiete, zwischen Sokoto und dem Schari, und in muhammedanischen Ländern sei es das beste, sich zur Ausübung der Regierung eines gleichfalls muhammedanischen Fürsten zu bedienen, der allerdings unter strenge Aufsicht genommen werden müsse. Später war davon die Rede, dass eine weitere Mission von 100 Mann unter Führung des Captain Mc. Carthy Morrough und des Leutnant Wilkin zu Fadel Allah nach Bergama gehen sollte.[62]
Aber bevor Sir Frederick Lugard nach Nigeria zurückkehrte, sollte sich das Schicksal Fadel Allahs entscheiden. Bald nachdem Mac Klintock das Lager bei Bergama verlassen hatte, wandte sich Fadel Allah abermals nach Dikoa, wo Djerbai sich wieder festgesetzt hatte. Mit leichter Mühe vertrieb er den Bornu-Sultan zum zweiten Male. Das ganze Gebiet im Süden des Tschadsees bis zum Schari hin wurde wiederum die Beute der Rabeh’schen Soldateska. Die wankelmütigen Araber machten diesmal gemeinsame Sache mit Fadel Allah, aber die Bornu-Leute, insbesondere die Kanuri, mussten ihren Abfall schwer büssen: Auf ihre Kosten versah sich das Heer des Eroberers mit Lebensmitteln, Weibern und Sklaven. Es scheint, dass bis über den Schari hinaus, also auf französisches Gebiet hin, die Dörfer der Eingeborenen gebrandschatzt wurden.
Diesen Zustand fand der Oberstleutnant Destenave vor, welcher, wie erwähnt, den Gouverneur Gentil während dessen Abwesenheit in der Verwaltung des Schari-Gebietes vertrat. Destenave hatte Gentil am 14. Januar 1901 in Brazzaville getroffen und war dann langsam den Schari abwärts marschiert. Unterwegs war es ihm gelungen, den Herrn von Kutti zur Unterwerfung zu bewegen, der sich am 19. Mai 1901 mit 1500 Mann, wovon 600 mit[S. 129] Flinten bewaffnet waren, in Destenaves Lager in Gribingi (Fort Crampel) einfand. Auch der Herr des heidnischen Sultanats Korbol im Süden von Baghirmi hatte sich ohne Blutvergiessen den Franzosen ergeben.
Am 18. Juli war Destenave mit acht Europäern und 130 Tirailleurs im Fort Lamy angelangt. Der durch die neuesten Erfolge Fadel Allahs geschaffenen bedrohlichen Situation musste ein Ende gemacht werden. Es kam hinzu, dass Fadel Allah, der auf seine guten Beziehungen zu den Engländern zu pochen schien, Boten zu dem Schech es Senussi geschickt hatte, die dieser weniger unfreundlich aufgenommen hatte, als seiner Zeit die Abgesandten seines Vaters Rabeh. Mit 500 Mann und einer Kanone überschritt Destenave am 6. August den Schari, um Fadel Allah, der sich in Dikoa befinden sollte, durch Gewaltmärsche zu überraschen. Aber Destenave fand das Nest leer: Fadel Allah hatte den Franzosen wieder nicht Stand gehalten und hatte Dikoa rechtzeitig verlassen können. Angeblich beabsichtigte er, wieder nach dem Südwesten auf englisches Gebiet zu fliehen, nach anderen Berichten wollte er seine im Lande zersprengten Streitkräfte sammeln und dann den Franzosen den Rückmarsch nach dem Schari abschneiden. Destenave liess Dikoa durch starke Wachen schützen und schickte nach allen Seiten Patrouillen aus. Das stärkste Detachement, das aus der Reiterei und anderthalb Kom[S. 130]pagnien Infanterie unter dem Kapitän Dangeville bestand, sollte nach dem Südwesten hin rekognoscieren und hatte das Glück, mit dem Feinde Fühlung zu gewinnen. In der Nacht des 23. August um 5 Uhr morgens überraschte Dangeville bei Gudjba, also auf britischem Gebiete, Fadel Allah und seine Leute im Schlafe und machte eine grosse Zahl der Basinger nieder. Fadel Allah selbst wurde verwundet. Der Feind konnte sich aber ausserhalb des Dorfes im Dickicht sammeln und hielt dort während mehrerer Stunden das Feuer der Franzosen aus. Dabei erhielt Fadel Allah eine Kugel in den Kopf und wurde getötet. Neben ihm bedeckten 500 Mann und 100 Pferde das Schlachtfeld. Jetzt verloren die Rabeh’schen Krieger jeden Mut und verteilten sich in wilder Flucht nach allen Richtungen. Der Körper Fadel Allahs war eine Zeit lang mitgeschleppt und dann in einem Sumpfe liegen gelassen worden, wo die verfolgenden Reiter ihn fanden. Dem Leichnam wurde der Kopf abgeschnitten und dieser Dangeville überbracht. Unter den Flüchtigen befand sich Niebe, Fadel Allahs nächstältester Bruder, der in der Schlacht von Kusseri eine schwere Verwundung am Bein davongetragen hatte.
Den geschlagenen Truppen erging es schlecht. In den Dörfern wurden sie überall von den Eingeborenen mit Pfeilschüssen und Speerwürfen empfangen, und schon nach zwei Tagen hielten sie es für das Beste, sich dem Sieger zu ergeben. Am 25. August zeigten[S. 131] Niebe und die übrig gebliebenen Bannerträger dem Kapitän Dangeville ihre Unterwerfung an. Sie wurden alle 1500, darunter Niebe und Fadel Allahs Schwester Haua, zu Gefangenen gemacht. Die Beute bestand ferner aus 16 Flaggen, 1800 Gewehren, wovon 400 Repetiergewehre, einer Kanone auf ihrer Lafette, 2000 Patronen, 1500 Kilo Pulver und 200 Pferden. Ausserdem wurden im Lager von Gudjba 3000 Sklaven der Söhne Rabehs vorgefunden und in Freiheit gesetzt. Die Franzosen berechnen die Gesamtzahl ihrer Feinde unter Waffen am 23. August auf 2500, die Destenave zur Verfügung stehenden Leute auf 230 Mann, wovon 100 Spahis.[63] Als Sieger zog Dangeville in Dikoa ein. 1000 Gefangene wurden von ihm sofort eingebracht. Der Rest folgte truppweise nach. Die Araber im Süden des Tschadsees, die anscheinend bis dahin bei jeder Rückkehr Fadel Allahs auf dessen Seite gestanden hatten, gaben jetzt ihrer Freude über seinen Untergang Ausdruck, und die eingeborene Bornubevölkerung feierte den Sieg der Franzosen durch laute Feste.
Am 17. September 1901 verliess Destenave Dikoa wieder, überall von den Bornuleuten begeistert[S. 132] begrüsst, und am 25. September wurde in Kusseri ein riesiger Triumphbogen errichtet, unter dem die Besiegten, die mitgenommen worden waren, zu passieren hatten. Am 29. September wurde Fort Lamy wieder erreicht.[64]
Mit dem Tode Fadel Allahs, mit der Gefangennahme seines Bruders Niebe, seiner kriegerischen Schwester Haua, der hauptsächlichsten Bannerführer und fraglos des grössten Teiles seiner Leute war der nach dem Tode Rabehs noch verbliebene Rest seiner Soldateska vernichtet. Die Rabeh’sche Macht ist damit endgültig untergegangen: das von dem Eroberer gegründete Riesenreich war ebenso rasch vergangen wie es entstanden war. Wohl haben aus Afrika nach Egypten gekommene Pilger berichtet, dass sich zersprengte Reste des Heeres in kleinen Banden unter Verwandten Rabehs noch im Süden und Westen des Tschadsees herumtrieben, denselben ist aber ohne Zweifel keine Wichtigkeit mehr zuzuweisen.
Die Franzosen, welche im Kampfe gegen Rabeh soviel Energie und Zielbewusstsein bewiesen haben, sind von dem Zeitpunkt ab, an dem ihre drei vom Nordwesten, Norden und Süden nach dem Tschad[S. 133]see marschierenden Expeditionen sich an der Schari-Mündung vereinigen konnten, vom Glück nicht mehr verlassen worden. Dass es schliesslich einer so kleinen Truppe, wie Dangeville sie befehligte, gelang, den übermächtigen Feind im Schlafe zu überwältigen, muss als wohlverdienter Lohn der opfervollen Arbeit Frankreichs betrachtet werden. Für die ganze Entwickelung der innerafrikanischen Verhältnisse ist der Tod Fadel Allahs bei Gudjba von weittragendster Bedeutung. Die eingeborene Bevölkerung in weitem Umkreise ist jetzt von dem Alb, der sie jahrelang bedrückt hat, befreit: wollte doch selbst Fadel Allah, wie es heisst, die Absicht seines Vaters, Sokoto zu überrennen, wieder aufnehmen. Die europäischen Kolonialmächte, welche sich jetzt auch im Süden und Südwesten des Tschadsees festzusetzen haben, werden mit der Soldateska Rabehs nicht mehr zu rechnen brauchen.
In Dikoa zog abermals Djerbai wieder ein.[65] Niebe wurde weitab nach dem Süden an die Grenze des französischen Kongos, unweit des Ubangi, nach Krebedje deportiert. Von den im Lager Fadel Allahs vorgefundenen Sklaven, Männern und Frauen, wurden diejenigen, die in ihre Heimat in der Nähe des Tschadsees zurückkehren wollten, entlassen. Was von den Basingern Fadel Allahs nicht gefallen[S. 134] oder geflohen war, zum grossen Teil heimatlose Fremde in Bornu, folgte nunmehr widerstandslos den Franzosen auf das rechte Schari-Ufer. Es entsprach ihrem Söldnercharakter, dass sie jetzt demjenigen, den sie als den Stärkeren erkannt hatten, dienten. Sie hatten ihre Munition in Dikoa und Gudjba verloren. Die neue Heimat im Osten des Schari erschien ihnen verlockender als ein weiteres Rauben und Kämpfen im feindlichen Bornu-Gebiet, — ein Kriegszustand, in dem sie hatten beharren müssen, um sich Nahrung zu gewinnen und der ihnen ohne genügendes Pulver wenig aussichtsvoll erschien. Die Franzosen haben sie hauptsächlich bei Gulfei und an einigen Orten im Süden in geschlossenen Kolonien angesiedelt, in nächster Nähe der eigenen Forts, deren Kanonen sie für den Augenblick noch bewachen. Aber wie der Basinger im Sudan auch für die Egypter gegen die Mahdisten gekämpft hat,[66] und wie unter den Reitern, welche Fadel Allah verfolgten, bereits frühere Soldaten Rabehs sich befanden, so werden diese neuen Ansiedler, wie die Franzosen erwarten, von ihnen in ihren weiteren Kämpfen in Centralafrika als wertvolles Truppenmaterial verwandt werden können.
Die französischen Streitkräfte verteilten sich um diese Zeit, wie folgt: Eine Kompagnie Tirailleurs in Gulfei; eine zweite im Fort Lamy; eine dritte[S. 135] zur einen Hälfte in Mandjafa (Fort Cointet) und zur anderen Hälfte in Busso (Fort Bretonnet); eine vierte in Tunea (Fort Archambault) mit detachierten Abteilungen in N’delle bei dem Herrn von Kutti und in Dambar zur Beobachtung des Sultans von Korbol. Die starke, zum grössten Teil aus Resten der Rabeh’schen Truppen gebildete Reiterei stand in Kusseri, die Artillerie war in Fort Archambault und Fort Lamy verteilt. Zwei grosse Abteilungen gleichfalls neuerdings einexercierter eingeborener Fusstruppen waren in Fort Lamy und mehr oberhalb am oberen Schari untergebracht.
Gentil, der Gouverneur des Colonies, wird demnächst auf seinen Posten nach dem Schari zurückkehren und an die Erfüllung der weiteren Aufgaben der Franzosen in Centralafrika herantreten: Im Osten des Tschadsees über Kanem eine definitive, durch feste Posten geschützte Verbindung der Schari-Mündung mit Zinder und dadurch mit Algerien und Senegambien herzustellen und Wadai und die übrigen im Osten und Norden des Tschadsees liegenden Gebiete, welche Frankreich in dem am 14. Juni 1898 geschlossenen und am 21. März 1899 ratifizierten französisch-englischen Abkommen zugesprochen sind, thatsächlich unter französische Herrschaft zu nehmen.[67]
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Wie werden sich die Senussi zu dem Vorgehen Frankreichs und der übrigen Kolonialmächte verhalten? Das ist die schwerwiegende Frage, die sich jetzt aufdrängt. Schon haben blutige Zusammenstösse zwischen Franzosen und Leuten der Senussi in Kanem, unweit von Mao, stattgefunden, und das mit Vorwissen des Ordensoberhauptes. Im November 1901 machte der Oberstleutnant Destenave von Fort Lamy aus einen Vorstoss nach dem Norden. Die Senussi waren über die Bewegung genau unterrichtet und legten bei einer ihrer neu begründeten Zauijas im Süden von Mao einen Hinterhalt. Die französische 200 Mann starke Avantgarde unter dem Kapitain Millot wurde hier von einer grossen Übermacht, bestehend aus Waled Soliman-Arabern, Tuareg und wohlbewaffneten Mudjabera-Kaufleuten überrascht. Die Schiesskundigen waren in Laufgräben untergebracht, die Reiter hinter einer Anhöhe versteckt. Nur der ausserordentlichen Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit der kleinen Truppe war es zu danken, dass die Franzosen sich, allerdings mit schweren Verlusten — unter den Toten befand sich Millot selbst —, auf das Gros und auf Fort Lamy zurückziehen konnten. Ein zweiter Zusammenstoss im Januar 1902, der von Oberstleutnant Destenave persönlich geleitet wurde und in welchem der Feind nur aus Tuareg bestand, scheint erfolgreicher ge[S. 137]wesen zu sein; aber statt auf Mao zu marschieren, begnügten sich die Franzosen damit, zwei kleine Posten im Lande Dekena zu errichten.[68] So unbedeutend diese Ereignisse auch erscheinen mögen, so bezeichnen sie doch den Beginn einer neuen Phase in der Geschichte Innerafrikas. Es ist dies der erste offene Kampf mit der Waffe in der Hand zwischen der Bruderschaft der Senussi und einer europäischen Macht.
Seit einiger Zeit bereits war eine stärkere Entfaltung der Thätigkeit des Senussi-Ordens in Afrika, ein Steigen seines Einflusses und eine Vermehrung der Anzahl seiner Anhänger wahrzunehmen, vor allem im letzten Jahre — als ob das siegreiche Vordringen der Franzosen im Tschadseegebiete eine Reaktion hervorgerufen hätte. In Kanem hat der Einfluss der Senussi die Waled Soliman-Stämme geeinigt, die Häuptlinge, mit denen die Franzosen dort Verträge geschlossen hatten, wurden ignoriert, die beständigen Kämpfe zwischen den Waled Soliman- und anderen Beduinenstämmen und den Tibbu (Gora‘an u. s. w.) hörten auf. Mehr als das, die Tuareg, die gerade mit den Waled Soliman in jahrzehntelanger Fehde lebten und vom Nordwesten her nach Kanem Einfälle zu machen pflegten, haben jetzt in grosser Anzahl den Senussi-Ritus angenommen.[S. 138] Ganze Stämme pilgerten zu dem Schech es Senussi oder schickten Abgesandte zu ihm, um sich demnächst in Kanem niederzulassen. Der eigentliche Herr von Kanem ist jetzt Sidi Muhammed el Barani, der Vorsteher der Senussi-Zauija von Mao, ein ungewöhnlich thatkräftiger Mann.
Die Tuareg, wie an anderer Stelle bereits hervorgehoben worden ist, sind seit einiger Zeit schon in Bewegung.[69] Nach der Einnahme von Timbuktu durch die Franzosen begannen die dortigen Tuareg-Stämme ihre in der Sahara zwischen den fruchtbaren centralafrikanischen Ländern und den südlichen Oasen von Algerien und Tunesien streifenden Vettern nach dem Osten zu drängen. Bis nach der Gegend von Ghat und Ghadames hin beginnt nun der Einfluss der Senussi unter den Tuareg maassgebend zu werden; in der Nachbarschaft der genannten Orte sind unlängst mehrere neue Zweig-Zauijas begründet worden. Es heisst, dass die Sultane von Sokoto und Kano, der Sultan Djerbai von Bornu, Gauranga von Baghirmi und auch der Herr von Kuti im vorigen Jahre dem Schech es Senussi Geschenke geschickt haben.
Der Centralsitz des Ordens ist, wie bereits erwähnt, in den letzten Jahren von Djerabub, unweit der tripolitanisch-algerischen Grenze, zunächst nach Kufra und dann nach Goru in den Tibbu-Bergen,[S. 139] in der Landschaft Borku im Nordwesten von Wadai, verlegt worden. Dieses Gebiet liegt nach dem Abkommen vom 21. März 1899 in der französischen Einflusssphäre. Hier hauste der Schech Muhammed el Mahdi es Senussi — wie seiner Zeit der „Alte vom Berge“ in seinem sagenumwobenen Schlosse Alamut — unsichtbar allen Ungläubigen, von überall her gut unterrichtet, nach allen Richtungen des Innern Afrikas seine Befehle erteilend und selbst in die Angelegenheiten solcher Fürsten sich mischend, die noch nicht seine Lehre angenommen haben.
Wohl hatte der Schech es Senussi aus seiner europäer-feindlichen Gesinnung und seinem Widerwillen gegen das Vordringen der Weissen in die muhammedanischen Länder Afrikas niemals Hehl gemacht, aber bisher liess das ganze Verhalten des Ordensoberhauptes darauf schliessen, dass er jeden offenen Kampf vermeiden und lediglich in friedlicher Weise arbeite an der Verbreitung des Islam und der Vertiefung des Glaubens, sowie an der Herstellung friedlicher Verhältnisse innerhalb der centralafrikanischen Stämme und Staaten im Interesse seiner Anhänger, ihrer kaufmännischen Unternehmungen und ihres Wohlstandes überhaupt. Immer wieder gelangten Gerüchte an die Küsten, dass seine Gefolgsleute ihn drängten, die Rolle, die sein Name ihm zuwies, aufzunehmen und sich als Mahdi, den verheissenen Herrn, der Zeit und der Welt zu bekennen. Der Schech es Senussi hat diesem Drängen[S. 140] keine Folge gegeben. Auch neuerdings, als nach dem ersten Kampfe gegen die Franzosen bei Mao sein thatendurstiger Neffe in Goru das Ross besteigen wollte, um die Franzosen am Schari anzugreifen und aus Baghirmi zu vertreiben, hielt er ihn mit dem Bemerken zurück, seine Zeit sei noch nicht gekommen.
Sollten die Senussi jetzt doch im Verfolg der einmal ausgebrochenen Feindseligkeiten den Djehad, den allgemeinen heiligen Glaubenskrieg am Tschadsee entfachen und sollten infolgedessen die jetzt in Wadai wütenden Thronstreitigkeiten zum Schweigen kommen, und sich auch alle Wadaileute zum Kampf gegen die Ungläubigen vereinigen, so würde den Franzosen im Tschadseegebiet schwereres Ungemach bevorstehen, als Rabeh und seine Soldateska ihnen bereitet haben.[70]
[58] Mubi ist seiner Zeit von Barth besucht worden.
[59] Vergl. oben S. 88.
[60] In den englischen Blättern wird übrigens der Sohn Rabehs fast regelmässig fälschlich Fatarella genannt.
[61] Nach einer Mitteilung von Gentil befanden sich damals noch die folgenden Anführer, die bereits unter Rabeh gedient hatten, bei Fadel Allah: Rabehs Schwiegersohn Hibid (Abed), Djebarra, Siddick und Tar; ferner Serrur, ein Djingi, und Tchokko aus dem Kresch, der Araber Ith und endlich ein Bornu-Mann, Namens Abba Gaua. Vergl. oben S. 57.
[62] Das Bulletin du Comité de l’Afrique française (1901, No. 10 S. 330 ff.) und die französische Presse äusserten sich sehr verstimmt über das Entgegenkommen, welches die Engländer dem Erbfeinde Frankreichs im Tschadseegebiet gezeigt haben. Eine Erklärung des Vorgehens der englischen Offiziere von Nigeria wurde nur in der Besorgnis gefunden, dass Fadel Allah das mit den Engländern in guten Beziehungen stehende Kaiserreich Sokoto niederwerfen könne. Andererseits wurde in englischen Zeitungen die Verfolgung Fadel Allahs auf britisches Gebiet durch die Franzosen als eine Grenzverletzung bezeichnet.
[63] Nach dem Bulletin du Comité de l’Afrique française, 1902, Seite 86, waren im ganzen von der Expedition Destenave 1800 Soldaten zu Gefangenen gemacht worden. Die mit Gewehren bewaffnete und gedrillte Streitmacht Fadel Allahs wird auf 2000 Mann, von denen 600 mit Repetiergewehren bewaffnet waren, berechnet. An erbeuteten Waffen werden aufgezählt, neben der erbeuteten Kanone und den Gewehren, 1500–2000 Kilo Pulver, 30000 Patronen, Lanzen, Pfeile u. s. w.
[64] In Dikoa hatte Destenave die Überreste des von Rabeh seiner Zeit getöteten Herrn de Béhaghle vorgefunden. Dem Forscher wurde dort ein Denkmal errichtet, während seine Gebeine in Fort Lamy neben denen Lamys und anderer im Kampf gegen Rabeh gefallener französischer Offiziere bestattet wurden.
[65] Oberstleutnant Pavel (vergl. unten S. 155) fand später in Dikoa den Kapitän Dangeville als französischen Residenten mit einem weissen Unteroffizier und 50 Spahis vor.
[66] Vergl. oben S. 14.
[67] Neuerdings sind seitens der englischen und der französischen Regierung Kommissare ernannt, welche auf Grund dieses Vertrages die Nordgrenze zwischen Britisch-Nigeria und den anstossenden französischen Besitzungen zu regulieren beauftragt sind.
[68] Infolge dieser Vorgänge ist eine weitere Kompagnie Tirailleurs aus dem südlichen französischen Kongogebiet nach Fort Lamy zur Verstärkung entsandt worden.
[69] Vergl. oben S. 66.
[70] Während der Drucklegung (im September 1902) trifft die Nachricht ein, dass der Schech es Senussi in Goru gestorben ist.
Das Hinterland unserer Kamerun-Kolonie im Norden des Benue bildet ein Dreieck, dessen obere Spitze durch den südlichen Rand des Tschadsees abgestumpft wird. Etwa in der Mitte dieses Gebietes ziehen sich die Mandaraberge hin, in deren Norden eine grosse Ebene südlich des Tschadsees liegt. Diese Ebene gehört zu den fruchtbarsten Gebieten Inner-Afrikas. Von zahlreichen Wasserläufen durchzogen trägt sie alle Arten tropischer Gewächse in üppigster Form. Sie ist verhältnismässig sehr dicht bewohnt und beherbergt zahlloses Wild. Die Mandara-Berge sind zum Teil mit hohem Buschwerk und grossen Bäumen bestanden. Aller Wahrscheinlichkeit nach müssen sich hier reiche Mineralschätze befinden, die Eingeborenen sprechen sogar von Gold. Die Landschaft im Süden der Berge, die ihre Abwässer bereits zum Benue herabschickt, ist gleichfalls sehr fruchtbar.
Von eingeborenen Fürsten kommen in dem deutschen Tschadseegebiete die folgenden in erster Linie in Betracht: Der angestammte Herr von Bornu und[S. 142] die Schechs der Araberstämme im Süden des Tschadsees sowie des Städtebezirks am westlichen Schari-Ufer, der Fürst von Mandara, die Tributärfürsten des Emir von Adamaua und der Herr von Yola selbst.
Ob die alte Bornu-Dynastie, die zur Zeit durch Djerbai repräsentiert wird, sich in der Zukunft wieder in derselben führenden Rolle wird behaupten können, wie in der Zeit vor Rabehs Einbruch, ist zweifelhaft. Nach den letzten Umwälzungen ist es nicht abzusehen, welche der früheren Vasallenfürsten der Bornu-Sultane dem Schech Djerbai die Treue bewahren werden. Die Kanuri selbst, seine Stammesgenossen, haben sich als nur noch wenig kriegstüchtig erwiesen. Nach französischer Schätzung verfügte Djerbai bei seiner Einsetzung in Dikoa über 1000 Gewehre, von denen er jedoch in seinen Kämpfen gegen Fadel Allah eine ganze Anzahl verloren hat. Die Bornu-Prinzen haben sich seit ihrer Rehabilitierung durch die Franzosen nicht gerade als sehr zuverlässig gezeigt. Es sind ebenso prahlerische und eitle, wie verweichlichte und ränkesüchtige Leute. Bis jetzt gehörten sie zu der muhammedanischen Bruderschaft der Kaderi, vielleicht ist Schech Djerbai neuerdings Senussi geworden. Djerbai hat noch zahlreiche Brüder. An seinem Hoflager in Dikoa leben jetzt zwei derselben. Ein anderer, der jüngste Sohn Haschems, Namens Rafai, ist mit Omar Sanda in Krebedji interniert. Ausser[S. 143]dem sollen noch zwei weitere Bornu-Prinzen in Dikoa sich befinden, nämlich ein Onkel des regierenden Schech — es wäre dies also ein jüngerer Bruder des Sultan Haschem — und ein Sohn des mutigen Abu Kiari, der seinen Bruder Haschem erschlagen und zuletzt Rabeh Widerstand geleistet hatte. Der Stammbaum der Dynastie der Kanemi stellt sich daher der umstehenden Tabelle entsprechend dar.[71]
Für unsere Kamerun-Kolonie ist es von grosser Bedeutung, dass das auf deutschem Tschadsee-Gebiete gelegene Dikoa, die ehemalige Hauptstadt Rabehs, in der auch Fadel Allah immer wieder seinen Centralsitz zu etablieren sich bemühte, thatsächlich das Erbe der alten Bornu-Hauptstadt Kuka angetreten hat. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, wie Dikoa in kurzer Zeit sich zu einer riesigen Stadt entwickelt hat und jetzt der Central[S. 145]punkt eines grossen Teiles von Innerafrika geworden ist. Es ist auch heute noch die Residenz der wieder auf den Thron gelangten Bornu-Sultane, deren Machtbereich zwar gegenwärtig arg zusammengeschrumpft sein mag. In Dikoa haben jetzt auch einige tripolitanische Kaufleute ihre Niederlassungen, teils aus der Stadt Tripolis, teils Mudjabera aus Djalo im Süden von Benghazi. Diese sind Senussi; in ihren Händen liegt jetzt der ganze Handel im Norden der Mandara-Berge.
Das auf englischem Gebiete liegende Kuka ist immer noch ein Trümmerhaufen; allerdings ist in neuester Zeit hier wieder eine kleine Niederlassung und gleichzeitig eine Zauija der Senussi entstanden.
Neben den Kanuri, die den Hauptbestandteil der Bevölkerung der Ebene im Süden des Tschadsees bis nach Mandara bilden, kommen hier in erster Linie nomadisierende Araberstämme in Betracht, Nachkommen der vor vielen Jahrhunderten hierher gelangten Einwanderungen aus dem Osten. Einer der bedeutendsten dieser Stämme sind die Schoa, als deren erste Schechs Musa und Dahman genannt werden. Diese Araber bilden ein kräftiges und kriegerisches, aber auch unruhiges Element, das gewiss eine scharfe Überwachung notwendig machen wird. Wie wir sahen, lagerten die Schoa 10- bis 12000 Mann stark kurz vor der Entscheidungsschlacht zwischen den Franzosen und Rabeh in ostentativer Weise unthätig unweit des französischen Lagers.
Sodann wohnen im Schari-Delta und am Tschadsee-Ufer Leute, die mehr zu den Baghirmi-Stämmen gehören. Von ihnen hatten vor Rabehs Einbruch die Kotoko unter dem Sultan Wagaia ibn Ogari und die Makari unter dem Sultan Barao ibn Joga die grösste Bedeutung. Sie sind sehr dunkelfarbig und hauptsächlich Fischer. Ein Bezirk von mehreren Städten auf dem linken deutschen Schari-Ufer, unter diesen Gulfei, Kusseri und Logon, unterstand einem in Karnak Logon residierenden eigenen Sultan, namens Musa, der ein Tributärfürst des Königs von Bornu und der mächtigste Mann zwischen Kuka und Massenja war. In der Tschadsee-Ebene besitzen ferner die geistig und körperlich hoch entwickelten Fulbe eine Anzahl von Dörfern; sie betreiben hauptsächlich Viehzucht. Mehr im Süden hausen die hierher zurückgedrängten, allem Anscheine nach die Urbevölkerung des Tschadseegebietes ausmachenden heidnischen Bevölkerungsteile, (Musgu[72]). Haussa dürften nördlich von Mandara wohl nur in geringer Anzahl als Kaufleute verstreut leben. Der grösste Teil der Bevölkerung nördlich von Mandara ist muhammedanisch. Die am meisten vertretenen Bruderschaften sind die Kaderi und Tidjani, in jüngster Zeit scheinen auch hier die Senussi an Einfluss zu gewinnen.
In dem gebirgigen Teile des Hinterlandes von Kamerun, nördlich des Benuë, dürfte der Sultan Omar von Mandara jetzt der mächtigste Herrscher sein. Früher gehörten die Herren von Mandara zu den Vasallen der Könige von Bornu, wenn dieses Vasallenverhältnis auch in letzter Zeit bei dem Niedergange der Macht der Kanemiden stark ins Wanken geraten war.[73] Jedenfalls gewährte der Vater des Sultans von Mandara dem Bornu-Prinzen Omar Sanda nach dem Tode des Abu Kiari ein Asyl, und er war stark genug, seinen Gastfreund dem anstürmenden Rabeh nicht auszuliefern. Wohl wurde er von diesem besiegt und getötet; doch konnte sein Sohn Omar sich in seinen schwer zugänglichen Bergen gegen die sieggewohnten Leute Rabehs halten. Für das Selbstbewusstsein des Königs von Mandara spricht eine charakteristische Anekdote, die ich in Kairo gehört habe. Danach hätte Rabeh bei dem Vormarsch der Franzosen dem Fürsten von Mandara zehn Kamele mit Geschenken und eine Anzahl ausgesucht schöner Weiber gesandt mit der Bitte, die früheren Feindseligkeiten zu vergessen und ihm Hilfstruppen zu schicken, worauf ihm geantwortet[S. 148] wurde, er möge erst hundert Kamele senden, bevor in Verhandlungen eingetreten werden könne. Nach französischen Quellen dürfte der Sultan von Mandara nicht mehr als etwa hundert Gewehre besitzen, ausserdem verfügt er über eine Anzahl von Panzerreitern, — die übrigens im ganzen Tschadseegebiet vorkommen — und einige tausend Lanzenträger und Bogenschützen, welch letztere besonders gefürchtet sein sollen. Seine kriegerische Macht würde europäisch gedrillten Truppen weit weniger Schwierigkeiten bereiten, als die in seinem Terrain gelegenen Berge, in welchen er immer Zuflucht suchen kann. Nach dem Tode Rabehs war der Sultan von Mandara in gewisse Beziehungen zu den Franzosen getreten. Er bat diese um Rücksendung der ihm von Rabeh geraubten Leute, die als Sklaven fortgeschleppt worden waren, ein Wunsch, welcher erfüllt wurde.
Die Einwohner von Mandara, Musgu, gehören zur Urbevölkerung des südlichen Tschadseegebietes. Sie sind nur zum kleineren Teile muhammedanisch, zum grösseren Teile heidnisch. In ihren noch vielfach mit hochstämmigen Bäumen bestandenen Bergen haust die Bevölkerung in Hütten, die in diesen Bäumen selbst errichtet sind, oder in Höhlenwohnungen. Die Mandaraleute tragen im Winter Fellkleidung.
Das theokratische Fürstentum Balda, welches der Sokoto-Prinz Haiatu im Osten von Mandara[S. 149] sich und seinem Sohne Mundjeli schaffen konnte, scheint mit dem Zusammenbruch seines Begründers aufgehört zu haben.
Südlich der Mandara-Berge bis zum Benuë haben keine Stammverbände oder Dorf- und Stadtvereinigungen besondere Bedeutung. Das Land gehört zu Adamaua und ist dem Emir von Yola tributär. Auch hier besteht das Gros der Bevölkerung aus Musgu; in den grösseren Ortschaften hausen muhammedanische Stadtfürstengeschlechter: wie ihr Lehns-Oberherr, der Emir von Yola und Adamaua, meist Fulbe. Einer der grössten Orte ist Marrua im Südosten von Mandara, der nordöstlichste Punkt, den die Herren von Üchtritz und Passarge im Hinterlande von Kamerun erreicht haben.
Am Benuë[74] ist auf deutschem Gebiet Garua der wichtigste Ort, auch hier residiert ein von Yola abhängiger Fulbefürst oder Statthalter. Schon jetzt entwickelt Garua, das kommercielle Centrum für weite Gebiete im Norden und Süden des Benuë, eine für jene Gegenden nicht unbedeutende Handelsthätigkeit.[S. 150] Zwischen Garua und Yola besitzt der Emir von Adamaua eine Sommerresidenz, Ribago genannt, am Flusse, in der er einen Teil des Jahres zuzubringen pflegt.
Herr von Yola und Adamaua war bis vor Kurzem der Emir Zuber, ein Nachkomme des Adama, welcher im Anfange des 19. Jahrhunderts das Fürstentum Adamaua gründete und sich dann der Oberhoheit des Kaisers von Sokoto unterstellte. Seine Residenz befindet sich auf englischem Einflussgebiete in nächster Nähe des Benuë. Die Stadt Yola bildet mit ihrer Umgebung eine englische Ausbuchtung nach Osten in unseren Besitz, das Land des Fürsten von Adamaua liegt zum grossen Teile in unserer Kamerun-Kolonie. Zu seinen Vasallen gehören ausser dem Herrn von Mandara eine ganze Anzahl von Statthaltern, deren Land auf deutschem Gebiete liegt. Alle diese sind, wie erwähnt, ebenso wie der Emir von Yola muhammedanische Fulbe. Ihre Vorfahren waren zum Teil schon von Adama in einzelnen grösseren Städten von Adamaua eingesetzt worden. Es sind dies die Herren von Tibati[S. 151] (mit Unterstatthaltern in Yoko und Ngute), Ngaundere, Banyo, Gaschaka, Kontscha, Tschamba, Bubandjidda, Garua und Marrua.
Inzwischen haben sich die Verhältnisse in Yola gleichfalls überstürzt. Der Emir Zuber wurde von der Royal Niger Company stets als zweifelhafter Freund betrachtet. Er hatte von den Franzosen, die unter Mizon flussaufwärts gekommen waren, zwei Kanonen erhalten, was seinerzeit zu den englischerseits dem französischen Expeditionschef bewirkten Schwierigkeiten geführt hat. Die Company, die eine Zeit lang eine Station am Benuë bei Yola eingerichtet hatte, hielt es später für besser, diese weiter flussabwärts zu verlegen. Vor zwei Jahren trat die Gesellschaft ihre Hoheitsrechte an die britische Regierung ab. Diese teilte das Niger-Benuë-Gebiet in die Distrikte Süd- und Nordnigeria — zu letzterem gehört Yola — und richtete hier eine mehrere Tausend Mann starke Truppenmacht ein, um nunmehr ernsthaft die durch die internationalen Verträge der englischen Einflusssphäre zugesprochenen Landesteile in Besitz zu nehmen.
In den letzten Jahren scheint nach englischen Berichten der Emir Zuber dem britischen Handel wieder Schwierigkeiten bereitet zu haben, und dies wie seine Sklavenjagden und sein unbotmässiges Verhalten gegen Befehle der Regierung von Nord-Nigeria waren der Grund für das Ende August 1901 erfolgte Vorgehen der Engländer. Auf mehreren[S. 152] Dampfschiffen bewegte sich eine englische Truppe von 12 Offizieren, 7 europäischen Unteroffizieren, 2 Ärzten, 360 eingeborenen Soldaten, 2 Feldkanonen und 4 Maximgeschützen den Benuë stromaufwärts. Der Oberanführer, Oberst Morland, versuchte zunächst Zuber zur friedlichen Übergabe zu bewegen; er fand kein Gehör. Am 2. September wurde die Stadt im Sturm genommen. Unter den 41 Verwundeten befanden sich Oberst Morland selbst und Major Mac Klintock. An Toten hatten die Engländer nur wenige. Der Feind verlor 150 Tote und Verwundete. Den grössten Widerstand hatte eine Anzahl aus dem ehemaligen Rabeh’schen Heer versprengter Streiter geleistet, Bornu-Leute und Araber, die nach dem Tode des sudanesischen Eroberers ihren Weg nach Yola gefunden hatten und sich von dem Emir als Soldaten hatten anwerben lassen. Es gelang Zuber, mit einem Häuflein Getreuer in südöstlicher Richtung zu entkommen. Die Engländer sandten am folgenden Tage ein Verfolgungskorps auf einem Heckrad-Dampfer und landeten bei Ribago oberhalb Yola, um Zuber zu verhindern, seine Absicht auszuführen, hier den Fluss zu überschreiten und nach Norden zu fliehen. Doch konnte Zuber auf deutschem Gebiete bei seinen Stammesgenossen und Vasallen einen Zufluchtsort finden.[75]
Der Stellvertreter Sir Frederick Lugards, Mr.[S. 153] William Wallace, setzte darauf den Bruder Zubers, Achmed (Bobo Amadu), als Emir von Britisch Adamaua in Yola ein. Auf einem beherrschenden Punkte ausserhalb der Stadt wurde ein befestigter Posten errichtet und mit einer starken Besatzung belegt und Kapitän Ruxton als Resident bei dem neuen Emir zurückgelassen. Diesem ist die Ausübung der Sklavenjagden untersagt worden, doch will sich die Regierung einstweilen noch nicht in die Frage der Haussklaverei einmischen.
Ende des Jahres 1901 kehrte Sir Frederick Lugard nach Nigeria zurück. Er fand Fadel Allahs Macht vernichtet. Auf seinen Befehl ging eine 300 Mann starke Expedition unter dem Oberst Morland nach dem Nordosten von Nigeria ab, um genaue Ermittelungen über das Land und die Bevölkerungsverhältnisse, sowie über die Folgen der Herrschaft Rabehs und der Vernichtung derselben durch die Franzosen anzustellen. Unterwegs mussten mehrere aufständische Heidenstämme am nördlichen Ufer des Benue gezüchtigt werden, die sich Räubereien und Morde hatten zu Schulden kommen lassen. In Bautschi wurde der Sultan Omar durch einen Verwandten ersetzt. Die Expedition begab sich demnächst nach Ebi und Lokoja. Von Lokoja aus sollte zu Ende dieses Jahres ein Vorstoss zur Erschliessung des Bussalandes unternommen werden. Der Bestand der britischen Truppen in Nigeria soll jetzt eine weitere Ver[S. 154]stärkung erfahren. Demnächst wird auch eine Expedition nach Kano und Sokoto geplant, deren Herrscher in direkte Abhängigkeit zu der Regierung von Nigeria gebracht werden sollen. Der Centralsitz der Verwaltung der englischen Kolonie ist von Djebba nach Wuschischi in die Nähe des Katonaflusses im Nordosten von Bida verlegt worden. Der Ort ist durch eine Eisenbahn mit dem Katonaflusse verbunden.
Deutscherseits ist jetzt gleichfalls mit der Eröffnung des nach den Verträgen mit Frankreich und England uns zustehenden Tschadseegebietes begonnen worden. Durch den Vertrag vom 15. November 1893 mit England ist unsere Grenze im Westen und durch den Vertrag vom 15. März 1894 mit Frankreich im Osten festgelegt worden.
Am 12. Oktober 1901 war Oberleutnant Dominik, der bereits erfolgreich in Tibati und in anderen Orten Adamauas thätig war, und dem der Oberleutnant von Bülow beigegeben ist, mit einer Expedition von der Küste von Kamerun aus nach dem Benuë marschiert. Er hatte die Aufgabe, auf friedlichem Wege die Einrichtung eines ständigen Beobachtungspostens in Garua und den Beginn der Entfaltung deutscher Handelsthätigkeit im Hinterland unserer Kolonie in die Wege zu leiten, sowie die spätere Festsetzung der deutschen Herrschaft am Tschadsee vorzubereiten.
Kurz vor ihm war Hauptmann Cramer von Claus[S. 155]bruch, der im Oktober 1901 mit zwei Kompagnien der Schutztruppe zunächst nach Tibati gegangen war, über Ngaundere nach Garua gelangt. Am 5. Dezember dort eingetroffen, wurde er am 19. von dem von den Engländern entthronten Emir Zuber von Yola angegriffen. Letzterer wurde jedoch nach heftigem Kampfe zurückgeschlagen. Auch Oberstleutnant Pavel, der Kommandeur der deutschen Schutztruppe in Kamerun, erreichte Anfang des Jahres mit zwei Kompagnien über das Gebiet der Bali, Banjo und Kuntscha Garua, wo er Verstärkungen für den von Dominik errichteten Posten zurückliess. Von Garua aus unternahm Oberstleutnant Pavel einen Rekognoscierungsmarsch durch das deutsche Tschadseegebiet. Er verliess Garua am 26. März, durchquerte unter Gefechten die Ngollo- und Selebebaberge, erreichte Dikoa am 21. April und den Tschadsee am 3. Mai. Der Rückmarsch wurde den Logon entlang über Karnak-Logon nach Maona genommen. Die Wiederankunft in Garua erfolgte am 7. Juni. Dem Sultan Zuber von Yola wurden in den Ausläufern der Mandaraberge, westlich von Marrua, zwei Niederlagen beigebracht, ohne dass es jedoch gelungen wäre, ihn gefangen zu nehmen. In Dikoa wurde eine französische Garnison — Kapitän Dangeville mit einem weissen Unteroffizier und 50 Spahis — vorgefunden. Diese wohnte der feierlichen Hissung der deutschen Flagge bei und zog hierauf auf französisches Ge[S. 156]biet ab. Weitere französische Garnisonen in Kusseri und Gulfei zogen beim Nahen der Expedition gleichfalls ab. Dikoa und Garua erhielten deutsche Garnisonen, und zwar Dikoa 50 Mann unter Oberleutnant Bülow und Garua 50 Mann unter Oberleutnant Dominik.[76] Oberstleutnant Pavel trat am 8. Juni d. J. von Garua aus den Rückmarsch nach der Küste an und ist Mitte August in Duala eingetroffen. Neben Yoko ist jetzt auch in Banyo ein deutscher Militärposten errichtet worden, wodurch die Station von Garua wieder einen näheren Stützpunkt erhalten hat. Das Hinterland von Kamerun ist damit thatsächlich in Besitz genommen.
Unabhängig von diesen staatlichen Unternehmungen ist von dem unter dem Vorsitz des Konsuls Vohsen stehenden deutschen Tschadsee-Komitee eine weitere Expedition über den Niger und Benue stromaufwärts auf einem eigenen gecharterten Dampfer unterwegs. Die Expedition wird geleitet von Herrn Bauer, dem die Herren von Waldow und Bergingenieur Edlinger beigegeben sind. Sie soll zunächst in Garua ein Jahr verbleiben und das Land der Umgebung in möglichst weiter Ausdehnung auf seine natürlichen Hilfskräfte und wirtschaftlichen und Handels-Verhältnisse eingehend untersuchen. Es ist erfreulich, festzustellen, dass die Expedition von den eng[S. 157]lischen Behörden und Kaufleuten in Nigeria das freundlichste Entgegenkommen erfahren hat.
Durch die Siege der französischen Waffen am Schari und im Süden des Tschadsees, der Engländer bei Yola und Bautschi und durch unsere eigenen Erfolge in Adamaua ist das Prestige der Weissen gerade jetzt am Benue und im deutschen Tschadseegebiet sehr hoch gestiegen.
[71] Mir wurde auch ein Sohn Abu Kiaris, namens Omar Sanda, als der gegenwärtige Senior und ehestberechtigte Prätendent der alten Bornu-Dynastie bezeichnet. Es mag dieses der vorerwähnte Sohn Abu Kiaris sein, der jetzt in Dikoa lebt; anderenfalls müsste eine Verwechselung mit dem ältesten Sohne Haschems vorliegen. Vielleicht ist der jetzige Sultan Djerbai mit einem Bornu-Prinzen Djebril zu identificieren, der zur Zeit der Rabeh’schen Schreckensherrschaft in Sia (Kuno), im Südwesten des Tschadsees, am Schari, gestützt auf eine Schar treu ergebener Leute, eine gewisse Selbständigkeit erworben hatte und seinen Einfluss vor allem der Ausübung erfolgreicher Wunderkuren, wie Mitglieder der Bruderschaft der Kaderi sie auszuführen pflegen, verdankte. Er hatte sich den Franzosen gegenüber freundlich gezeigt, und auch Prins, als dieser durch Gaza kam, wo er sich damals aufhielt, in geschickter Weise die Verstauchung einer Hand geheilt.
[72] Mit dem Namen Musgu hörte ich sowohl den in Mandara und im Osten bis zum Schari lebenden eingeborenen Stamm bezeichnen, wie er ausserdem für Heiden überhaupt im Süden des Tschadsees im Gegensatze zu Muhammedanern angewandt wurde.
[73] In den letzten Jahrzehnten war der Sultan von Mandara nicht nur Bornu, sondern auch dem Emir von Yola und dadurch indirekt dem Kaiser von Sokoto tributpflichtig geworden. Doch hinderte dieses den Emir von Yola nicht, von Zeit zu Zeit Raubzüge gegen die heidnischen Distrikte von Mandara zu unternehmen, um Sklaven zu erbeuten, die er wiederum zum Teil als Tribut seinem Oberherrn nach Sokoto sandte.
[74] Der Benuë ist eine breite Wasserstrasse. Grössere Schiffe, die etwa 250 Tonnen halten, können ihn drei Monate des Jahres bis nach Garua aufwärts befahren. Für kleinere Schiffe dürfte der Fluss während des ganzen Jahres bis Bifara an der französischen Grenze passierbar sein. Die Frage, ob zwischen dem Benuë und dem Logon, also zwischen dem atlantischen Ocean und dem Schari und dem Tschadsee eine nicht unterbrochene Verbindung zu Wasser besteht, wäre nach den Mitteilungen des französischen Forschers Bonnel de Mezières zu bejahen. Seiner Ansicht nach könnten zu gewissen Zeiten des Jahres Schiffe vom Benuë über den Majo Kebbi bis zum Schari gelangen. Die Dampfer, welche im Herbst vom atlantischen Ocean über den Niger ihre Bergfahrt beginnen, würden die europäischen Waren nach Garua bringen können und hätten volle Zeit, die dort aufgestapelten Erzeugnisse des Landes wieder nach dem Ocean zurückzuführen. Von Garua aus würden kleinere Bote bis nach Bifara und zum Logon verkehren können, von wo aus die Waren — immer auf der Wasserstrasse — bis zum Tschadsee gelangen würden und umgekehrt. In jüngster Zeit hat Leutnant de Thézillat die Gelegenheit des Antritts eines Heimatsurlaubs benutzt, um vom Fort Lamy aus den Logon aufwärts auch auf deutschem Gebiete zu erforschen.
[75] Es hiess eine Zeit lang, dass er sich mit der Absicht tragen solle, die Pilgerfahrt nach Mekka zu machen.
[76] In jüngster Zeit soll Sultan Djerbai Dikoa verlassen haben und auf englisches Gebiet übergesiedelt sein.
Bis vor kurzen gehörte das Tschadseegebiet zu den unbekanntesten Gegenden der Welt. Die wenigen Routen, welche vereinzelte Reisende innerhalb der Tschadseeländer ausführten, hatten trotz der sorgfältigen Erkundigungen doch nur für die nächste Umgebung der Reisewege erschöpfende Nachrichten gebracht. Wir können stolz darauf sein, dass es Deutsche waren, welche bis jetzt für die Erforschung dieses Gebietes das meiste geleistet haben, sowohl als Geographen und Ethnographen wie als Historiker. Ich brauche für die nächste Umgebung des Tschadsees nur Barth und seine tapferen, auf dem Felde ihrer Forschungen verstorbenen Mitarbeiter Overweg und Vogel, ferner den in Kanem ermordeten v. Beurmann, sodann Gerhard Rohlfs und unseren grossen Nachtigal zu nennen, für den Süden Flegel, Zintgraff, Passarge und v. Üchtritz, für Adamaua unter anderen Morgen, v. Stetten und neuerdings Dominik, für Sokoto Staudinger, für die Gebiete im[S. 159] Süden und Südosten Wadais den Nestor unserer noch lebenden Afrikaforscher Schweinfurth, ferner Junker. Mit dieser Aufzählung ist die Reihe deutscher Namen, welche sich um die Erkundung des Tschadseegebiets verdient gemacht haben, noch nicht erschöpft.
Andere Nationen haben an diesem Werke mitgearbeitet. Die ersten europäischen Forschungsreisenden im Tschadseegebiete waren Engländer: Denham und Clapperton, Oudney und Richardson. Der zu den Beamten der Royal Niger Company gehörige Mackintosh hat vor einigen Jahren noch Bornu erreicht. Zwei Italiener, Matteucci und Massari, haben im Fluge Afrika von Ost nach West und zwar über die Tschadseegebiete durchzogen, leider ohne dass ihre kühne Reise der Wissenschaft viel genützt hätte. Der eine starb noch in Afrika infolge der Anstrengungen und des Fiebers. Dem anderen umnachteten sich bald darauf aus demselben Grunde die Sinne. Eine Holländerin, eine mutige, von tragischem Geschick verfolgte Frau, hat den Versuch, nach dem Tschadsee vorzudringen, mit dem Tode gebüsst: noch bevor sie dorthin gelangte, wurde Fräulein Tinne bei Scharaba unfern von Murzuk von den Tuareg getötet. Belgischen Beamten verdanken wir manche Erweiterungen unserer Kenntnis des Gebiets im Süden von Wadai und Dar Fertit.
In neuester Zeit sind die Franzosen, wie bereits hervorgehoben, mit besonderem Eifer für die Er[S. 160]forschung der Tschadseeländer thätig gewesen. Auch von ihnen hat mancher sein Leben bei dieser Aufgabe lassen müssen. Monteil gelang es, vom Senegal aus den Tschadsee zu erreichen und, durch die Sahara kommend, europäische Civilisation am Mittelmeer wiederzusehen. Besonders die letzten Jahre brachten für Frankreich eine fast fieberhafte Thätigkeit im Tschadseegebiete und im übrigen Innerafrika. Um die Besitzungen am Mittelmeer und am Atlantischen Ocean mit dem französischen Kongo zu einem grossen Kolonialreiche zu vereinigen, musste eine Verbindung dieser Gebietsteile durch die Sahara und über den Tschadsee hergestellt werden. Männer wie Mizon, Crampel, Maistre, Dybowsky, Bonnel de Mézières und Marchand seien als Forscher im Süden und Südosten des Tschadsees genannt. Die Thätigkeit der bei den jüngsten Expeditionen und im Kriege mit Rabeh hervorgetretenen Männer hat wichtige Resultate auch für die Wissenschaft gezeitigt, die dem Gouverneur Gentil, Prins, Joalland und anderen Offizieren zahlreiche Bereicherungen der verschiedensten Art verdankt. Der Gelehrte Foureau hat mit seiner seit langer Hand vorbereiteten Durchquerung Afrikas von Algerien zur Kongomündung die Erforschung der Tschadseeländer jetzt zu einem gewissen Abschluss gebracht.[77]
Die politischen Beziehungen der europäischen Mächte in Centralafrika sind seit einigen Jahren durch internationale Verträge geregelt. Die Grenzen, welche infolge dieser Verträge zwischen den einzelnen Kolonialmächten festgelegt wurden, sind auf der dieser Arbeit beigegebenen Karte ersichtlich.
Die Bevölkerung in den Ländern des Tschadseegebietes ist recht buntscheckig. Neben mehr negerartigen Völkern finden wir hamitische und hamitisch angehauchte Stämme wie die Tibbu, Tuareg, Gora‘an, Baele, Wadaba, Kanuri (Kanembo), Haussa und Fulbe, ferner Araber aus verschiedenen Einwanderungsperioden. Ein grosser Teil der von diesen Völkerschaften bewohnten Gegenden ist bereits muhammedanisch. In einzelnen Strichen ist der Islam schon seit über tausend Jahren heimisch, einen[S. 162] besonderen Aufschwung hat er im 19. Jahrhundert und zwar namentlich durch die Thätigkeit einzelner muhammedanischer Orden genommen.
Im folgenden sei ein Überblick über die historische Entwicklung der hauptsächlichsten für die Geschichte Rabehs in Betracht kommenden innerafrikanischen Staatengebilde gegeben.
[77] Seit mehr als 20 Jahren war Foureau an der Erforschung der Sahara thätig. Von seiner Durchquerung Afrikas von Algerien über den Tschadsee zur Kongomündung, die er von langer Hand vorbereitet hatte, brachte er neben zahlreichen anderen wissenschaftlichen Resultaten über 500 astronomische Ortsbestimmungen mit. Nach den Untersuchungen Foureaus bildet der Bahr el Ghazal im Südwesten des Tschadsees keinen Zufluss des Sees. Vielmehr ist er eher als eine Art von Abfluss zu betrachten, indem er nach Nordosten hin bei starkem Wasserstande des Sees eine golf- oder lagunenartige Verlängerung desselben darstellt, welche zu gewissen Zeiten Wasser an der Erdoberfläche etwa 60 km landeinwärts weiterführen soll. (Vergl. Bulletin de la Société de Géographie, 1900, S. 433 ff., 453.) Die ausführliche Darstellung der wissenschaftlichen Arbeiten seiner Reisen wird Foureau hoffentlich recht bald der Öffentlichkeit übergeben können. Der erste Band mit der eigentlichen Reisebeschreibung ist unter dem Titel „Mission Saharienne Foureau Lamy d’Alger an Congo par le Tsad“ bereits erschienen. (Paris, Masson & Cie, 1902.) Gentil hat eine Schilderung seiner Feldzüge im Tschadseegebiet im „Tour de Monde“ erscheinen lassen.
Das Gebiet von Darfur, welches in früherer Zeit von den negerartigen Stämmen Tadjo und For (Fur) bewohnt war, folgte bis zum 15. Jahrhundert n. Chr. Fürsten aus dem erstgenannten Stamme. Um diese Zeit kamen muhammedanische Mitglieder des aus Tunis stammenden arabischen Geschlechts der Tundjer nach Darfur. Abd el Kerim Tundjer wurde der Schwiegersohn des letzten Königs Kor aus dem Hause der Tadjo und der Begründer der jetzt noch in Darfur regierenden Dynastie. Die Tadjo wurden nach dem Westen von Darfur gedrängt, wo sie bis in die jüngste Zeit ein kleines selbständiges Sultanat besassen.[78] Das Königshaus der Tundjer vermengte sich in der Folge mit Töchtern der Stammeshäupter der For.
Darfur war das mächtigste Sultanat im östlichen Sudan, bis Ende des vorigen Jahrhunderts Wadai sich[S. 164] von Darfur unabhängig machen konnte.[79] Weitere Rivalen von Darfur waren die östlich des Nils lebenden Fürsten von Sennar. Kordofan und Bahr el Ghazal waren bis zu dem Auftreten Zuber Paschas Darfur mehr oder weniger tributär. Durch das Vordringen der Egypter verloren die Sultane von Darfur, nachdem sie bereits 1825 Kordofan eingebüsst hatten, zunächst ihre nordöstlichsten Gebiete, dann nahm Zuber ihnen im Süden einen Landstrich nach dem anderen fort.[80] Im Jahre 1873 rückte Zuber im Auftrage Ismail Paschas in Darfur selbst ein. Der jugendliche Sultan Ibrahim, der letzte König von Darfur, fiel 1874 im Kampfe, und damit hatte die Dynastie der Tundjer in Darfur für geraume Zeit zu herrschen aufgehört. Darfur wurde eine egyptische Provinz. Die übrig gebliebenen Mitglieder der entthronten Fürstenfamilie wandten sich nach Westen und gründeten unter Ibrahims Neffen Harun er Raschid ein eigenes Sultanat in Urmija, dem Gebiete der früheren Tadjo-Fürsten. Im Jahre 1878 wurde Slatin Pascha[81] egyptischer Gouverneur von[S. 165] Darfur. Er nahm sofort den Kampf gegen Harun auf,[82] der niemals aufgehört hatte, das Land zu beunruhigen. Im Jahre 1880 fiel Harun. Die zersprengten Reste seiner Verwandten sammelten sich unter Abdullahi Dudbenga im Djebel Marra, wo sie der Regierung Slatins nicht mehr gefährlich wurden.
Anfang 1882 begann die mahdistische Bewegung in Darfur. Nach vielen Kämpfen wurde Slatin durch seine Offiziere gezwungen, sich dem Mahdi zu ergeben. Dudbenga ging zu den Mahdisten über, und von nun an sahen die Tundjer sich gezwungen, dem Mahdi und später dem Chalifa Gefolgschaft zu leisten. Zur Zeit der Wiedereroberung des Sudan durch die Egypter war das einflussreichste Mitglied dieser Tundjer, Ali Dinar, ein Vetter Haruns und Dudbengas, einer der Heerführer des Chalifa Abdullahi geworden. Als die englisch-egyptischen Truppen im Jahre 1897 vor den Mauern Omdurmans standen, erkannte Ali Dinar die Situation und verliess in der Nacht vor der entscheidenden Schlacht mit etwa 2000 Bewaffneten den Chalifa, um sich geraden Wegs nach Darfur zu wenden. Vorher war es ihm gelungen, dem Sirdar einen Brief zu senden, in welchem er ihn seiner Ergebenheit versicherte.[S. 166] In Darfur, wo nur wenige überzeugte Anhänger des Chalifa sich befanden, machte er sich sehr bald zum Herrn des Landes, und die im Djebel Marra noch vorhandenen Tundjer huldigten ihm.
Auch in der Folge tauschte Ali Dinar mit den Gouverneuren des Sudan Lord Kitchener und Sir Reginald Wingate freundschaftliche Briefe aus, und wenn auch Darfur noch nicht in den Kreis der von Chartum aus direkt verwalteten wiedereroberten Bezirke einbezogen ist, so hofft die egyptische Regierung doch, dass sie von Ali Dinar keine Schwierigkeiten zu erwarten habe.
[78] Jetzt herrschen noch Fürsten aus dem alten Hause der Tadjo in Dar Tama, einem seit einiger Zeit in losem Tributverhältnis zu Wadai stehenden kleinen Gebirgslande im Westen von Darfur.
[79] Eine officielle Anerkennung der Selbständigkeit Wadais erfolgte erst zur Zeit des Chedive Ismail Pascha, als die egyptische Regierung nach der Eroberung Darfurs dem Sultan Ali von Wadai mitteilen liess, dass sie mit Wadai, dessen Fürsten sie als unabhängige Souveräne betrachte, in gute Beziehungen zu treten wünsche.
[80] Vergl. oben S. 5.
[81] Slatin, früher Offizier in österreichischen Diensten, war von Gordon im Jahre 1877 nach Egypten berufen worden. Er wurde damals schon zum Inspekteur des Sudan ernannt, darauf wurde er Gouverneur von Süd-Darfur mit dem Sitze in Dara und endlich von ganz Darfur mit dem Sitze in Fascher. Das seine Gefangenschaft unter den Derwischen behandelnde Buch „Feuer und Schwert im Sudan 1879–1895“ ist das wichtigste Quellenwerk für die Zeit der mahdistischen Herrschaft.
[82] Damals kämpfte Gessi noch im Süden Darfurs gegen Soliman, den Sohn Zubers, und Rabeh.
Das Reich Wadai liegt im Westen von Darfur und ist etwa nördlich des 12. Breitengrades ein bergiges Land. Hier herrschten heimische heidnische Fürsten, bis im 15. oder 16. Jahrhundert Mitglieder der Tundjer, die bereits in Darfur die Königswürde in Händen hatten, auch in Wadai zur Regierung gelangten. Im Anfang des 17. Jahrhunderts usurpierte ein gewisser Abd el Kerim aus dem gleichfalls arabischen Stamme der Djemir (Djami) die Regierung in Wadai. Früher ein Vasall der Tundjer, gründete er eine neue, die heute noch bestehende Dynastie. Abd el Kerim erhob den Islam in Wadai zur herrschenden Religion und legte die Residenzstadt Wara an. Die neue Dynastie behauptete sich erfolgreich gegen Angriffe der Könige von Darfur, musste aber noch eine zeitlang eine gewisse Abhängigkeit von dem östlichen Nachbar anerkennen. Im Anfange des 19. Jahrhunderts eroberte Abd el Kerim der Zweite mit dem Beinamen Sabun das grosse Königreich Baghirmi, das seither Wadai tributpflichtig blieb. Sultan Scherif führte einen sieg- aber auch verlustreichen[S. 168] Krieg gegen Bornu, das in früherer Zeit eine Art von Oberhoheit über Wadai beansprucht zu haben scheint. Um das Jahr 1850 wurde die Residenz von dem Sultan Scherif nach Abeschr verlegt. Dem im Alter erblindeten König folgte 1858 der Sultan Ali, ein kräftiger und gerechter Fürst, der für die Ausbreitung von Handelsverbindungen, besonders nach dem Mittelmeer, sehr viel that. Im Interesse dieser Handelsbeziehungen ist auch die von Ali angeknüpfte enge Verbindung mit dem Oberschech der Senussi erfolgt. Auf den Einfluss dieser Bruderschaft ist auch die ausgesprochene Duldung gegen fremde Muhammedaner zurückzuführen, die Alis Vater weit weniger geübt hat. Unter Alis Regierung besuchte Nachtigal Wadai. Dem Sultan Ali folgte im Beginne der 80er Jahre sein Bruder Jussuf und diesem Ende 1898 Ibrahim, der Sohn Jussufs. Wie regelmässig bei Thronwechseln, fanden auch nach dem Tode Jussufs Bürgerkriege statt. Der um zwei Jahre ältere Bruder Ibrahims, Abd el Aziz, wurde geblendet.[83] Auch der neue Fürst von Wadai hat nach der Thronbesteigung gute Beziehungen mit den Senussi angeknüpft.[84] Später erfuhren diese jedoch infolge des ausschweifenden Lebens und des ehrgeizigen[S. 169] Auftretens Ibrahims unliebsame Störungen. Sehr bald sah sich Ibrahim darauf in Schwierigkeiten mit seinen Akids und anderen Grossen seines Reiches verwickelt, die seinen Vetter Achmed el Ghazali, einen Sohn Alis, als Gegensultan ausriefen. Nach mehreren Kämpfen wurde Ibrahim Anfang 1901 getötet, und Achmed ist gegenwärtig Sultan in Wadai, sieht sich aber jetzt in schwere Kämpfe mit einem Gegen-Prätendenten verwickelt.
Unter der von Abd el Kerim begründeten Dynastie hatte sich Wadai zu dem kräftigsten und bestgegliederten Staatswesen im östlichen Centralafrika emporgeschwungen. In grossem Umkreise gruppieren sich um das innere gebirgige Stammland die Wadai tributären Gebiete: Provinzen unter besonderen vom Sultan direkt ernannten Beamten oder unter Stammesfürsten, die im Vasallenverhältnis zum Sultan stehen. Das im Nordwesten von Abeschr gelegene Gebiet von Borku befindet sich seit etwa 100 Jahren im Besitze der Sultane von Wadai, infolgedessen werden diese auch vielfach Sultane von Borku genannt. Die Thronstreitigkeiten der letzten Jahre haben die Kräfte Wadais sehr erschüttert.
[83] In Wadai gilt das Gesetz, dass ein Blinder nicht auf den Thron gelangen darf.
[84] Sein Staatssiegel wurde in Kairo von einem Mitgliede des Senussi-Ordens bestellt. Auf dem Siegel nennt sich der Sultan Ibrahim einen Sohn des Sultan Jussuf, eines Sohnes des Sultan Scherif, el Kerim, d. h. aus dem Hause Abd el Kerim.
Das Ländergebiet von Kanem besteht aus der weiten Ebene zwischen der Sahara und den Bergen von Tibesti im Norden, Wadai im Osten, dem Tschadsee im Südwesten und Baghirmi im Süden. Zum grossen Teil ist es Steppenland, zur Viehzucht geeignet, mit einzelnen verstreuten Oasen. Hier war die Heimat hamitisch angehauchter Völkerstämme, der eigentlichen Kanembo, der Teda, Daza und Gora‘an, die mit den Tibbu stammverwandt sind. Ausserdem kamen schon vor mehr als tausend Jahren arabische Einwanderer in das Land. Alle diese Stammesteile lebten zum Teil sesshaft, zum Teil nomadisierend.
Vom 7. bis zum 14. Jahrhundert nach Christus hatte hier die Dynastie der Sefua die Oberherrschaft. Die Sefua leiten ihren Ursprung von Sef ab, welcher angeblich aus Yemen oder dem Hedjaz stammen soll, von wo aus das Geschlecht bereits im 7. Jahrhundert n. Chr. nach Kanem gelangt wäre. Ihre Hauptstadt wurde hier Ndjimi. Die Sefua nahmen sehr früh, vielleicht im 9. oder 10. Jahrhundert, den Islam an. Im 14. Jahrhundert erfolgte dann von[S. 171] Südosten her eine Einwanderung der Bulala, eines tapferen Völkchens am Fitri-See, welche in Kanem eine zeitlang die Oberherrschaft gewannen, während die Sefua ihren Sitz nach dem Westen des Tschadsees verlegten, wo nunmehr der Mittelpunkt des von ihnen regierten Bornu-Reiches geschaffen wurde.
Die letzte Umwälzung im Osten und Nordosten des Tschadsees hat sich erst im 19. Jahrhundert vollzogen als Folge der Einwanderung eines arabischen Stammes, der Waled Soliman. Dieser hatte früher seine Weidegründe im Gebiete von Fezzan und in der Syrte am Mittelländischen Meere. Er scheint niemals besonders volkreich gewesen zu sein, soll sich aber durch rücksichtslose Tapferkeit ausgezeichnet haben. Die Lebensgewohnheiten der Waled Soliman, wie überhaupt der zahlreichen versprengten arabischen Stammesteile, die wir in Centralafrika finden, dürften von denen der Beduinen der arabischen Steppen wenig abweichen. Die Waled Soliman suchten vor allem ihre Kamelherden auf Kosten Anderer möglichst zu vergrössern, nur hin und wieder ernteten sie die Datteln, welche sie von Anderen bestellen liessen. Von den festen Ortschaften erhoben sie einen Tribut, meist in Waffen, Vieh, Getreide, Kleidungsstücken u. s. w. bestehend, als Gegenleistung für den Schutz, den sie den Einwohnern gegen anderweitige Feinde angedeihen liessen. Den Überfluss ihrer Kamele, Wolle u. s. w. brachten sie in den grossen Ortschaften der Umgegend auf den Markt.
Während der Regierung des kräftigen Jussuf Pascha von Tripolis, eines Zeitgenossen Muhammed Alis von Egypten, gerieten sie in Streit mit der Amtsgewalt. Die Folge war, dass der Stamm decimiert wurde und fast eine ganze Generation macht- und führerlos blieb. Nachdem die Waled Soliman, ebenso wie andere arabische Stämme in Tripolitanien gänzlich niedergeworfen waren, und die türkische Regierung in Fezzan sich stärker geltend machte, wurden mit den nunmehr unterworfenen Arabern türkischerseits mehrere grosse Züge nach dem Süden unternommen, die sich hauptsächlich nach dem zwischen dem Tschadsee und Wadai gelegenen Lande richteten, aber sich bis nach Baghirmi hin erstreckten. An mehreren dieser Züge nahm der Spross eines führenden Geschlechts, Abd el Djelil, teil, der schon als Knabe in die Hände Jussuf Paschas gefallen war und von ihm als Geisel erzogen wurde.
Inzwischen war eine neue Generation der Waled Soliman emporgekommen, und bald darauf entstanden wieder blutige Kämpfe mit der Regierung, bei welchen Abd el Djelil, der die Führung seines Stammes übernommen hatte, seinen Tod fand. Jetzt beschlossen die Waled Soliman, ihre frühere Heimat endgültig zu verlassen und nach jenen Gegenden in der Nachbarschaft des Tschadsees zu ziehen, welche sie auf ihren Kriegs- und Raubzügen kennen gelernt hatten. Hier[S. 173] befanden sich vortreffliche Kamelweiden, und die Palmenhaine Kanems boten genügend Datteln. In den 40er Jahren folgte ein Teilstamm der Waled Soliman dem anderen in dieses Gebiet. Sie nahmen den dortigen Bewohnern ihre Kamele ab und verdrängten sie nach Westen und Osten. Bald waren sie stark genug, in das Gebiet der Tuareg im Nordwesten des Tschadsees Einfälle zu machen und diesen zahlreiche Kamele zu entwenden. Die kriegerischen Tuareg sammelten sich jedoch zu einem gemeinsamen Zuge gegen die Waled Soliman, und überraschten sie im Jahre 1850. Wiederum wurde ein grosser Teil der waffenfähigen Männer getötet.
Aber die Zähigkeit, welche die Araber überall gezeigt haben, bewahrte sich auch hier. Der Sultan Omar von Bornu, dessen Oberhoheit sie nunmehr anerkannten, stattete sie mit neuen Waffen und Tieren aus, und trotz der Anfeindungen der umliegenden Stämme und insbesondere der Völkerschaften des westlichen Wadai erholten sie sich bald wieder. Während Barth in den 50er Jahren die Überzeugung aussprach, dass die Waled Soliman dem Untergange geweiht seien, fand Nachtigal sie in den 70er Jahren wieder als die unumschränkten Herren in Kanem und in Borku und im Gebiete zwischen dem Tschadsee und Wadai. Inzwischen haben sie von ihrer herrschenden Stellung doch manches eingebüsst. Andere arabische Stämme, dar[S. 174]unter die Mahamid haben sich neben ihnen in dem allerdings genügend grossen Weidegebiete Raum schaffen können, und während sie in früherer Zeit in einer Art von Abhängigkeit Bornu gegenüber standen, hat ein ähnliches Verhältnis dem mehr und mehr erstarkenden Sultanate Wadai gegenüber Platz gegriffen.
Das Sultanat Baghirmi, dessen geographischer Bereich in früherer Zeit in zahlreiche kleinere Fürstentümer zerfiel, gehorcht erst seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts einem einzigen Oberherrn; die damals zur Herrschaft gelangte Dynastie ist — abgesehen von der Rabeh’schen Episode — bis heute ununterbrochen an der Regierung geblieben. Schon zu jener Zeit wurde die Hauptstadt Massenja gegründet. Die Einwohner von Baghirmi lieben es, wie so viele andere innerafrikanische Völkerschaften, ihr Königshaus auf ein arabisches, aus Yemen stammendes Geschlecht zurückzuführen, es dürfte jedoch in Kenga oder Hirla, einige Tagereisen östlich des Schari, seinen Ursprung haben. In der Gegend von Massenja hatten sich früher eingewanderte Fulbe die Herrschaft über die dunkelfarbigen Ureinwohner anmassen können, waren aber dem östlich gelegenen Sultanate Bulala tributpflichtig gewesen.
Die neuen Einwanderer unter dem Sultan Birmi Bessi räumten mit der Herrschaft der Fulbe gründlich auf und behaupteten sich im Kampfe gegen die[S. 176] Bulala, die später ihrerseits den neuen Herren tributpflichtig wurden, in jüngster Zeit jedoch Vasallen von Wadai geworden sind. In Typus und Sprache gingen die Sieger in der Urbevölkerung auf. Schon frühzeitig, im 17. Jahrhundert, scheinen die Fürsten von Baghirmi Vasallen der Herren von Bornu geworden zu sein.
Das Reich Baghirmi hat seine Grenzen vielfach geändert, je nachdem die Könige von einer grösseren oder geringeren Anzahl kleiner Duodezfürsten mit Erfolg Tribut erheischen und ungestraft ihre Sklavenjagden in deren Gebieten ausüben konnten. Im Westen war die Grenze der Schari, im Norden der Tschadsee und das Ländergebiet von Kanem, im Süden war der am weitesten vorgeschobene Tributärstaat das grosse Völkergebiet der heidnischen Sarra oder Sarua, mit deren Fürsten die Könige von Baghirmi vielfach verwandtschaftliche Beziehungen anknüpften, wiewohl sie gerade hier hauptsächlich ihre Sklavenjagden ausübten.
Die grösste Macht besass Baghirmi in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Sultan el Hadj Muhammed el Amin. Sein Sohn Gauranga I. (1785 bis 1806) war ein tüchtiger, kriegerischer, aber selbst für afrikanische Verhältnisse rücksichtsloser und grausamer Mann. Er heiratete seine eigene Schwester. Um diesen gotteslästerlichen Frevel zu strafen, überzog der Sultan von Wadai, Abd el Kerim Sabun, Gauranga mit Krieg. Es war dieser[S. 177] der erste jener Kriege, welche die beiden Mächte miteinander führten und welche regelmässig zu Ungunsten von Baghirmi ausfielen, so dass Wadai sich nach und nach die sämtlichen Tributärfürsten seines Nachbarn zu eigenen Vasallen machte. Es scheint, dass gleichzeitig der Sultan von Wadai von dem damaligen Machthaber in Bornu, dem Fakih Muhammed el Kanemi, zum Kampfe gegen Baghirmi angerufen worden war, da Gauranga Bornu den Tribut verweigerte und dem nominell noch im Vasallenverhältnis und wenigstens in guten Beziehungen zu Bornu stehenden Bulala-Fürsten übel mitgespielt hatte. Gauranga I. fiel in Massenja, das von Abd el Kerim eingenommen und zerstört wurde. Der von Sabun als König von Baghirmi eingesetzte Sohn Gaurangas, namens Ngarba Bire, war nur kurzlebig, er wurde von seinem Bruder Osman Burkomanda verdrängt und getötet. Burkomanda regierte bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts.
Gegen ihn reizte Bornu im Jahre 1818 den Pascha Jussuf von Tripolis zum Kampfe. Dieser entsandte bereitwilligst den Schech Mustafa von Fezzan, der mit den Waled Soliman-Arabern den Nordosten Baghirmis verwüstete. Das Land hatte später noch viel unter den Beutezügen der Waled Soliman zu leiden. Als Burkomanda im Lande selbst Schwierigkeiten erwuchsen und er sich seiner eigenen aufrührerischen Leute nicht erwehren konnte, rief er seinen Oberherrn, den Sultan von Bornu, um Hilfe[S. 178] an. Die von diesem entsandten Truppen waren jedoch ungenügend, und der Sultan von Bornu besass nicht mehr die Energie, selbständig die Ordnung in Baghirmi wieder herzustellen. Deshalb wandte sich Burkomanda an den König von Wadai, wiewohl er gegen denselben mehrfach bereits Kämpfe zu bestehen gehabt hatte. Gegen das Versprechen, von jetzt an Tribut an Wadai zu zahlen, verhalf ihm dieser dann auch wieder zur Regierung. Der an Wadai zu entrichtende Tribut besteht seither aus einer alle drei Jahre wiederkehrenden Zahlung einer grossen Anzahl von Sklaven, gewebten Stoffen und anderen Naturalien, besonders Elfenbein. Später geriet Burkomanda in Krieg mit Bornu und mit Wadai; der Schech von Bornu zog diesmal selbst zu Felde und drang bis Massenja vor; auch von Wadai-Truppen wurde Burkomanda in wiederholten Kämpfen gründlich geschlagen.
Sein Nachfolger wurde sein Sohn Abd el Kader. In den Beginn seiner Regierung fiel der kühne Kriegszug, den der Sultan Muhammed Scherit von Wadai gegen Bornu unternahm. Die Wadaileute drangen bis nach Kuka vor, das zerstört wurde.
In den 50er Jahren zog ein Fulbe, ein heiliger Mann aus Sokoto, mit einer zahlreichen Begleitung nach dem Osten, um die Pilgerfahrt nach Mekka zu unternehmen. Sein Name war Fakih Muhammed Scherif ed Din mit dem Beinamen Abu Scha‘ir, er wurde auch der Mahdi, d. h. „der Rechtgeleitete“,[S. 179] genannt. Dieser Heilige wusste die Muhammedaner in Bornu derartig zu begeistern, dass seine Karawane sich immer mehr vergrösserte und sein Zug sich geradezu zu einer Völkerwanderung gestaltete.[85] Der schwache König Omar von Bornu hatte ihn gewähren lassen; Abd el Kader schickte ihm jedoch Boten an den Schari entgegen, um ihn zu veranlassen, diesen Fluss aufwärts zu marschieren und sein Reich zu umgehen. Aber der Fulbe-Heilige liess sich nicht abhalten, worauf Abd el Kader ihm mit Heeresmacht entgegen trat. Der Geruch seiner Heiligkeit wirkte indess derartig lähmend auf die Truppen von Baghirmi, dass sie auf das Haupt geschlagen wurden und der König von Baghirmi selbst während der Schlacht das Leben verlor. Nach dem Siege zog der Heilige auf dem östlichen Ufer des Schari stromaufwärts; hier erwies sich die Verpflegung seiner zahlreichen Heerscharen als so schwierig, dass diese unter sich in Streitigkeiten gerieten, und als es zudem mit den heidnischen Völkerschaften der Bua oberhalb Niellim zum Kampfe kam, fiel der Fakih Muhammed. Damit fand die Bewegung ihr Ende. Ein Teil seiner Begleiter blieb dort, wo der Führer starb und vermischte sich mit den Bewohnern des Landes. Die Mehrzahl der Fulbe und nomadisierenden Araber von Bornu und dem nördlichen Baghirmi, die sich dem Fakih angeschlossen hatten, suchten nach ihrer[S. 180] Heimat zurückzukehren, ein kleiner Teil nur setzte die Pilgerfahrt über Wadai fort.
Der Nachfolger Abd el Kaders, Sultan Muhammed, zeichnete sich durch besondere Grausamkeit aus, und verdankte dieser Eigenschaft und einer im Anfange seiner Regierung begangenen Treulosigkeit seinen Beinamen Abu Sekkin („Vater des Messers“). Erfolgreich im Kampfe gegen den Sultan von Logon, hatte er desto weniger Erfolg gegen Wadai, dem er den Tribut aufsagen zu können glaubte. Der energische Sultan Ali von Wadai entsandte im Jahre 1870 zunächst seinen Djerma Abu Djebrin nach Baghirmi und zog dann selbst dorthin, um Massenja zu belagern. Die Stadt wurde genommen, und die in ihr aufgehäuften Reichtümer fielen dem Sieger in die Hände. Abu Sekkin konnte nach dem Süden entfliehen. Der Wadai-König zog sich nach einer vergeblichen Verfolgung nach Abeschr zurück, nicht ohne vorher das Land gründlich ausgeraubt zu haben. Als Herrn des Landes liess er einen anderen Baghirmi-Prinzen, Abd er Rahman, zurück, der sich jedoch nicht halten konnte; deshalb nahm Ali später die Unterwerfung Abu Sekkins an. Diesem folgte sein Sohn, der jetzt noch regierende Gauranga II., ein weichlicher, feiger Mann.
Seit der letzten Einnahme Massenjas durch den Sultan Ali ist die Macht Baghirmis vollständig gebrochen, und der dreijährige Tribut ist seit der Zeit regelmässig ohne Unterbrechung an Wadai gezahlt[S. 181] worden, selbst in der jüngsten Zeit, als Rabeh im Jahre 1893 der Herr des Landes wurde, und später, als die Franzosen Ende 1897 den Sultan in ihren Schutz nahmen. Der Sultan Jussuf von Wadai hat diesem Tributverhältnis entsprechend dem Sultan Gauranga ein starkes Heer gegen den anstürmenden Rabeh zur Hilfe gesandt. Schon vor dem Einfalle Rabehs war das Land stark zusammengeschmolzen, Logon und die Bulala hatten sich von Baghirmi emancipiert.
Im Norden leben neben den eigentlichen Baghirmileuten hauptsächlich Fulbe- und Araber-Horden, im Süden verschiedene noch heidnische Völkerschaften, unter ihnen in erster Linie die Niellim, Bua und Sarra. Die Dynastie von Baghirmi ist bereits im 11. Jahrhundert n. Chr. muhammedanisch geworden, und die Bewohner des nördlichen Baghirmi bekennen sich heute wohl alle zum Islam. Die Könige von Baghirmi haben — wie übrigens die Herren aller grösseren innerafrikanischen Staaten — ein reich entwickeltes Hof-Beamtentum. Gewisse Mitglieder der Königsfamilie sind besondere Würdenträger, während die übrigen Beamten zum grossen Teile aus Sklaven, in jüngster Zeit auch aus Eunuchen bestehen. Die höchsten Würdenträger sind: die Königin Mutter (Magire), die oberste der Frauen (Gumso), der Kronprinz (Tschiroma), der oberste Heerführer (Fatscha), ein anderer Heerführer (Mbarma). Der König selbst nennt sich Mbang, ein Teil der Namen ist augenscheinlich von alten heidnischen Traditionen übernommen.
[85] Vergl. Nachtigal a. a. O. Bd. II, S. 720 ff. — Unwillkürlich erinnert dieser Zug an die Wanderungen des Sokotoprinzen Hajatu.
Das grosse Tschadsee-Reich Bornu dürfte eines der ältesten innerafrikanischen Staatengebilde sein.[86] Ursprünglich waren die westlichen und südlichen Ufer des Tschadsees von einer schwarzen Bevölkerung bewohnt, aber schon im 9. Jahrhundert gewann hier die zunächst in Kanem residierende arabische und damals schon muhammedanische Dynastie der Sefua die Oberhoheit.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts verlegten die Sefua ihre Residenz vom östlichen Ufer des Tschadsees nach dem Westufer und gründeten sich in Birni Egomo eine neue Residenz.
Die Ursache für diese Übersiedelung nach dem Westen war das Drängen der Bulala, deren Fürsten den Sefua übel mitspielten und Jahrzehnte lang Tribut von ihnen nehmen konnten. Jedoch gewannen die Sefua wieder die Oberhand, sie warfen die Bulala[S. 183] zurück, behielten aber in der Folge ihre Residenz im Westen des Tschadsees im eigentlichen Bornu bei. Seit der Zeit hat ihre Herrschaft bis in das 19. Jahrhundert hinein keine Unterbrechung erlitten.
Den regierenden Herren folgten immer mehr Leute von Kanem nach dem Westen und Südwesten des Tschadsees, und die dortigen Ureinwohner wurden zum grossen Teile in die Berggebiete von Mandara und die Gegenden östlich und westlich davon gedrängt, wo sie heute noch als Heiden zum Teil in Felsenwohnungen und in Hütten leben.
Die arabischen Mitglieder der Sefua-Dynastie hatten sich im Laufe der Jahrhunderte derartig mit den verschiedenen hamitischen Elementen von Kanem vermischt, dass sie vollständig in ihnen aufgegangen waren. In der Folge fand durch Frauenraub eine weitere Vermischung der aus Kanem nach dem westlichen und südlichen Tschadseeufer gekommenen Stämme mit den Ureinwohnern statt, so dass heute die Bornu-Bevölkerung als eine besondere Mischrasse bezeichnet werden muss, die auch eine besondere Sprache, das Kanuri, spricht.
Der Verfall der Macht der Sefua datiert erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Sefua liessen sich um diese Zeit in schwere Kämpfe mit den Tuareg ein und hatten von ihnen alsbald sehr zu leiden. Im Jahre 1808 erlagen sie dann dem Andrange der von Westen, aus Sokoto, kommenden Fulbe. Ein gewisser Fakih Muhammed el[S. 184] Amin el Kanemi, aus Fezzan gebürtig, vertrieb zwar bald darauf die Fulbe, und das Bornu-Reich erhielt damit seine Selbständigkeit wieder. Aber seither fristeten die letzten Könige aus der Sefua-Dynastie unter seiner und seines Sohnes Omar Regierung nur mehr als Schattenfürsten ein kümmerliches Dasein bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Fakih Muhammed, der das neue Herrschergeschlecht von Bornu begründete, legte im Jahre 1814 Kuka (Kukua) als Hauptstadt[87] an, die bald einer der volkreichsten Orte von Central-Afrika wurde. Der prunkende Hofhalt der Sefua wurde auch von den neuen Landesherrn übernommen.
Schon Muhammed el Kanemi hatte eingesehen, dass er mit seinen mehr und mehr verweichlichenden Kanuri[88] das im 18. Jahrhundert zu grosser Stärke gelangte und abtrünnig gewordene Baghirmi nicht wieder zur Botmässigkeit zwingen könnte, und er hatte daher die im Osten im Aufstreben begriffene Macht Wadai um Hilfe angerufen, die auch gern gewährt wurde. In der Folge riefen die Kanemiden mehrfach fremde Hilfe gegen ungehorsame Vasallen[S. 185] an. Aber zwischen den hilfsbereiten Wadaifürsten und den Kanemiden kam es zu Misshelligkeiten und zu Kämpfen, in denen die Sultane von Wadai siegreich blieben. Im Jahre 1846 konnte der Sultan Scherif, den dieses Mal die Sefua herbeigerufen hatten, sogar Kuka einnehmen und plündern. Seitdem bestand wieder Friede zwischen Bornu und Wadai. Die Folge dieser Treulosigkeit aber war, dass der letzte Schattenfürst aus der alten Sultansfamilie der Sefua, namens Ibrahim, hingerichtet und mit ihm die Mehrzahl seiner Verwandten getötet wurde. Damit hatte die mehr als tausendjährige Dynastie der Sefua ihr Ende erreicht.
Aber die Kanemiden verloren im Osten des Tschadsees ihren Einfluss mehr und mehr an Wadai, und im Westen und Süden machten sich kleinere Herren selbständig oder kamen in Tributverhältnis zu Sokoto. Dennoch hatte das altehrwürdige Bornu-Reich, welches lange Zeit der grösste und mächtigste Staat Innerafrikas gewesen war, immer noch wenigstens dem äusseren Anscheine nach eine gewaltige Ausdehnung. Bis zum Einbruche Rabehs grenzte Bornu im Süden und Westen an Sokoto. Im Osten des Tschadsees gehörte Kanem, das eigentliche Stammland von Bornu, einschliesslich Bulala, sowie Baghirmi zum Reiche. Aber diese nominellen Grenzen entsprachen schon längst nicht mehr den thatsächlichen Macht- und Tributverhältnissen.
Dem Fakih Muhammed el Kanemi war sein[S. 186] Sohn, der Schech Omar el Kanemi, im Jahre 1835 gefolgt. Die Kanemiden haben niemals die Bezeichnung Sultan geführt, sondern nannten sich Schech. Im Jahre 1845 konnte Omars Bruder Abd er Rahman die Herrschaft für kurze Zeit usurpieren. Der Schech Omar war es, welcher Barth, Rohlfs und Nachtigal eine glänzende gastfreundschaftliche Aufnahme in Bornu bereitete. Auf ihn folgten mit kurzen Regierungszeiten seine beiden Söhne Abu Bekr und Ibrahim und alsdann sein dritter Sohn Haschem, welcher im Jahre 1893, ein alter, schwacher Mann in einem morsch gewordenen Reiche, dem Ansturme Rabehs erlag. Abu Bekr II.[89], ein Sohn des älteren Abu Bekr, also ein Neffe Haschems, stellte sich nach des letzteren Niederlage eine kurze Zeit Rabeh entgegen und fiel auf dem Schlachtfelde. Darauf trat das siebenjährige Interregnum Rabehs ein. Erst der Ankunft der französischen Expeditionen am Tschadsee hatten die Kanemiden ihre Wiedereinsetzung auf den Thron ihrer Väter zu danken. Omar, anscheinend der älteste Sohn Haschems, war schon von der Foureau-Lamy’schen Expedition als König von Bornu anerkannt worden und wurde von Gentil nach dem Tode Rabehs als Herr seines Landes im[S. 187] Jahre 1900 eingesetzt, nach kurzer Zeit jedoch wieder entthront und auf französisches Gebiet deportiert. Ihm folgte sein Bruder Djerbai. Seit der Zerstörung Kukas durch Rabeh ist Dikoa die Hauptstadt von Bornu, und somit ist der Schwerpunkt dieses Reiches auf deutsches Gebiet verlegt.
Neben den unter direkter Verwaltung der Bornu-Könige stehenden Gebietsteilen, die sich im Westen und Süden des Tschadsees an dessen Ufer anschlossen, hatten sich zur Zeit des Einbruchs Rabehs noch im Tributverhältnis zu Haschem befunden: im Südosten des Tschadsees die Kotoko mit dem Sultan Wagaia Ibn Ogari, die Makari mit dem Sultan Barao Ibn Joga, das Städtegebiet von Logon, Kusseri und Gulfei, am linken Schari-Ufer, mit dem Sultan Musa, ferner die verschiedenen arabischen nomadisierenden Stammesteile, von denen insbesondere die Schoa unter den Schechs Musa und Dahman Beachtung verdienten; weiter im Süden die verschiedenen Musgu-Schechs, deren Gebiete in erster Linie als Jagdrevier für zu erbeutende Sklaven betrachtet wurden. Im Westen des Reiches waren als Vasallenländer von Bornu zu nennen: Beddi mit dem Sultan Babudja ibn el Hadj, Gumel mit dem Sultan Babankoa Waled ‘Abdullahi, Zinder mit dem Sultan Matschema Ahmadu.
[86] Auch im westlichen Sudan gab es Reiche, deren Gründung vor der Hedjra liegt, die aber schon frühzeitig, etwa im dritten Jahrhundert der muhammedanischen Zeitrechnung den Islam angenommen haben; es sind dies die Reiche Ghana, Melle und Songhai.
[87] Eine zeitlang hatte er vorher in Dikoa, der von Rabeh gewählten Hauptstadt, residiert.
[88] Den Kanuri wird von allen Reisenden, die mit ihnen zusammengekommen sind, im Gegensatze zu den übrigen Völkerschaften Inner-Afrikas, den arabischen und berberischen Stämmen der Sahara, den verschiedenen Tibbu- und Wadai-Leuten, den Fulbe und Tuareg, besondere Liebenswürdigkeit und ein hohes Mass religiöser Duldsamkeit nachgerühmt.
[89] Haschem wurde von seinem Neffen Abu Bekr II. nach seiner Besiegung durch Rabeh getötet. Nach dem muhammedanischen Rechte der Vererbung des Thrones im Grundsatze des Seniorats war Abu Bekr nach seines Vaters Tod zweimal zu Gunsten seiner beiden Oheime Ibrahim und Haschem übergangen worden.
In dem Gebiete, welches das heutige Sokoto-Reich umfasst, regierten bis zum Anfange des 19. Jahrhunderts eine Anzahl grösserer und kleinerer Fürsten, die zum überwiegenden Teile Haussa waren und über Haussa herrschten. Das Reich von Sokoto wurde erst im Jahre 1802 geschaffen durch einen muhammedanischen Fulbe-Schech, Osman ibn Faudani (Dan Fodio), der unter kluger Benutzung des religiösen Moments der Begründer der jetzt regierenden Dynastie wurde.
Die Fulbe hatten ihre ersten geschichtlich nachweisbaren Wohnsitze im westlichen Afrika, in Senegambien, und haben von dort aus in der Zeit unseres Mittelalters ihre Wanderung nach dem Osten nach und nach vollzogen. Im 15. Jahrhundert finden wir sie schon in starken Verbänden bis nach Baghirmi hin, wo sie im Osten des Schari ein kleines Fürstentum begründen konnten. Ihre weitere Wanderung wurde von Arabern, die von Osten her kamen, und noch kriegerischer waren als sie selbst, aufgehalten. Sie bildeten und bilden übrigens überall in Inner[S. 189]afrika nur verstreute grössere oder kleinere Gemeinden, aristokratische Bettler, stolz auf ihre Waffentüchtigkeit, dank welcher sie ihre vorherrschende Stellung bewahren konnten. Die Fulbe sind schon seit einer Reihe von Jahrhunderten muhammedanisch geworden.
Osman ibn Faudani starb im Wahnsinn im Jahre 1817. Der eigentliche Organisator von Sokoto, das vom mittleren Niger bis fast zum Tschadsee sich erstreckte, wurde sein Sohn Muhammed Bello (1817–1837 oder 1838). Schech Osman gilt heute noch nach seinem Tode als heilig, er wie seine Nachkommen führen die stolze Bezeichnung Emir el Mumenin („Beherrscher der Gläubigen“).
In dem für unsere Kamerun-Kolonie wichtigen mittleren und oberen Benuë-Gebiet hatte sich der Fulbe-Häuptling Adama in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts aus den Trümmern des alten Heidenkönigreiches Fumbina ein muhammedanisches Reich zusammen erobert, das nach ihm den Namen Adamaua erhielt. Er erkannte die geistige Oberhoheit des Sultans Muhammed Bello von Sokoto als Emir el Mumenin an, und seither zahlen die Emire von Yola Sokoto ihren Tribut.
Allerdings ist die Herrschaft der Fürsten oder Kaiser von Sokoto, wie sie in europäischen Büchern häufig genannt werden, vor allem in den weit ab von der Residenzstadt Sokoto gelegenen Gebieten nicht mehr eine so strenge und straffe, wie sie unter[S. 190] den ersten Fürsten dieses Hauses geübt wurde, immerhin haben die Vasallen von Sokoto im Westen von Bornu im Kriege mit Rabeh zweifellos einer Aufforderung der Centralgewalt folgend, sich zum Bündnis gegen den aus dem Osten kommenden Eroberer zusammengeschlossen. Als unmittelbare Tributärstaaten von Sokoto in der Nähe des Tschadsees, also in der Nähe der Grenzen des Sultanats Bornu, seien die folgenden genannt: Kano mit dem Sultan Ali ibn Abdallah;[90] Katsena (Katschina) mit dem Sultan Abu Bekr ibn Ibrahim ibn Rifa‘i; Katsauri mit dem Sultan Dambo ibn Zakarija; Daura mit dem Sultan Danda ibn Soliman; Chadidja mit dem Sultan Na‘am ibn Bochari; Katagum mit dem Sultan ‘Abdo ibn Djebril; Misau mit dem Sultan Mudibo ibn Salich; Gombe mit dem Sultan Hasan ibn Gauranga; Bautschi mit dem Sultan Omar ibn Soliman;[91] Adamaua mit dem Sultan Zuber. Der Letztere wurde von den Engländern im Jahre 1901 aus Yola vertrieben und durch seinen Bruder Achmed ersetzt. Ein Teil der genannten Staaten steht nicht nur im Tributverhältnis zu Sokoto, sondern gleichzeitig auch zu dem Sultan von Kano, der selbst wieder einer der Vasallen der Kaiser von Sokoto ist. Ebenso wie der Sultan von Kano ist der Schech von Gando Vasall des Kaisers[S. 191] von Sokoto und gleichzeitig wiederum der Tribut empfangende Oberherr einer Reihe anderer kleiner Fürsten. Sein Gebiet liegt im Südwesten von Sokoto, und seine selbständigere Stellung datiert schon seit dem Tode des Osman Ibn Faudani, dessen Bruder der erste Herr von Gando wurde.
Nachstehend sei die Genealogie des Fürstenhauses von Sokoto wiedergegeben, soweit sie für diese Darstellung in Betracht kommt. Die regierenden Fürsten von Sokoto sind in der Reihenfolge, in welcher sie auf den Thron gelangten, numeriert.
* Bello und Atiko hatten noch fünf andere Brüder, von welchen Nachkommenschaft heute vorhanden sein soll. — Eine merkwürdige Weissagung in Afrika erzählt, dass die Familie der regierenden Dynastie von Sokoto mit dem dreizehnten Fürsten erlöschen werde.
[90] Ali ist ein Neffe des vor wenigen Jahren verstorbenen Kanosultan Muhammed Bello.
[91] Die Hauptstadt dieses Staates, Yakuba, führt ihren Namen nach einem früheren Herrn, der sich Yakub nannte.
Das Bild der im letzten Jahrhundert am meisten begangenen Karawanenstrassen zwischen dem Mittelmeere und den Saharaländern stellt sich wie folgt dar:
Im fernen Westen eine Strasse, die aus Marokko nach Timbuktu und weiter führt.
Dann von Tripolis fächerartig ausgehend eine Reihe von Strassen, nämlich:
1. von Tripolis nach Ghadames und südwestwärts nach den Oasen im Süden von Algerien und nach Timbuktu;
2. von Tripolis über Ghadames und Ghat nach Zinder und von hier aus südwestwärts nach Sokoto, südwärts nach Kano und südostwärts nach Bornu;
3. von Tripolis direkt südwärts über Murzuk nach dem Tschadsee und Bornu;
4. von Tripolis südostwärts über Tibesti und Borku nach Wadai und Darfur;
5. von Tripolis bezw. Benghazi nach der im Süden von Benghazi gelegenen Oase von Djalo und alsdann direkt südwärts durch die Libysche Wüste über Kufra nach Wadai u. s. w.
Endlich weit im Osten der Darb el Arbain, die „Strasse der 40“ (Tagesmärsche)[92], die bei Siut[93] den Nil verliess, um über die Oase Chargeh südwärts eine dem Nil parallel laufende Oasenkette, deren südlichstes Glied die Oase Selime südwestlich von Wadi Halfa ist, zu passieren und dann in südsüdwestlicher Richtung quer durch den östlichen Teil der Libyschen Wüste nach Kobeh in Darfur und nach Wadai zu führen. Diese des Wassermangels wegen stellenweise sehr gefährliche Strasse ist seit dem Ausbruch der mahdistischen Unruhen vollständig ausser Verkehr gekommen. Ihre Erbschaft werden jetzt ohne Frage der Nil selbst mit seinen Dampfern und die an seinen Ufern laufenden Eisenbahnen übernehmen.
Im Folgenden seien die Itinerare der aus den Tschadseeländern nach dem Meere führenden Karawanenstrassen, welche in jüngster Zeit am häufigsten begangen wurden, wiedergegeben; nämlich:
I. nach Mitteilungen eines Fulbe-Mannes: die[S. 194] Route von Sokoto nach Kano und sodann über Zinder nach Agades, Ghat, Ghadames und Tripolis;
II. nach Mitteilungen eines Pilgers aus Mandara, der seine Mekkafahrt zur Zeit, als die Derwische noch im egyptischen Sudan herrschten, angetreten hat, die Route von Mandara im Süden des Tschadsees über Wadai und Darfur nach Omdurman, Berber, Suakin und Djedda;
III. nach Mitteilungen eines Mudjberi aus Djalo, dessen Vater sich im Lager Rabehs in Dikoa befand: die Route von Benghazi und Djalo über Goru durch Kanem nach dem Süden des Tschadsees;
IV. nach Mitteilungen eines Mannes aus Wadai: Die Route von Benghazi nach Abeschr, der Hauptstadt von Wadai.
V. nach Mitteilungen eines Mannes aus Darfur: die Verbindungslinie von der Hauptstadt von Wadai nach Kuka, der alten Hauptstadt von Bornu.
[92] 40 ist eine der Ziffern, mit welcher die Araber eine grosse Zahl ausdrücken wollen, ohne diese genauer anzugeben.
[93] Zahlreiche Ruinen des muhammedanischen Mittelalters sprechen für die Bedeutung von Siut als Handelsstapelplatz in früheren Jahrhunderten.
1. Sokoto; 2. Malamaua; 3. Ghāra; 4. Gaudi; 5. Dambo; 6. Gora; 7. Kaula; 8. Kamaui; 9. Umadau; 10. Wurma; 11. Karōfi; 12. Djaza; 13. Rattā; 14. Kameï; 15. Dumbulum; 16. Jōfa; 17. Bagueï; 18. Kăno; 19. Daumfami; 20. Garungodinja; 21. Djigāmā Āba; 22. Bābūră; 23. Djingāz; 24. Gusāu; 25. Schanschandi; 26. Zinder; 27. Sangīlō; 28. Waufī; 29. Kojāubaua; 30. Damargu; 31. Fāuārī; 32. Do[S. 195]gŏndāzi; 33. Bōdŭnga; 34. Egĭdo; 35. Tumba; 36. Tīgără; 37. Nogarāua; 38. Āgădes; 39. Ghat; 40. Ghadāmes; 41. Tripolis.
1. Rukāmi in Mandăra-Dungāmi (5 Tage zu Fuss); 2. Dungami-Djīna (5 Tage), gehört zu Logon; 3. Djīna-Logon (3 Tage); 4. Logon-Massenja (7 Tage); 5. Massenja-Moï̄to (3 Tage), gehört zu Baghirmi; 6. Moï̄to-Bulāla (5 Tage), Sultan: Baikŭm, gehört zu Baghirmi; 7. Bulāla-Mudagō (3 Tage), Sultan: Djebrīn, gehört zu Wadai; 8. Mudagō-Borku (Abeschr) (15 Tage), damals Sultan: Jusuf; 9. Borku-Turdja (15 Tage), dort Grenze von Wadai gegen Tāma, Sultan: Muhammed; 10. Turdja nach Tāma (7 Tage), unabhängig; 11 Tāma-Masālīt (12 Tage), unabhängig, Sultan: Abu Bekr, gehörte früher zu Fōr; 12. Masālīt-Fāscher (13 Tage), (damals unter dem Derwisch-Emir: Mahmūd) Fāscher-el Obeid (25 Tage, weil Gewährsmann von den Derwischen als Gefangener herumgeschleppt wurde); 14. el Obeid-Djebel Hille (8 Tage), gehörte dem Chalifa; 15. Djebel Hille-Omdurman (23 Tage); 16. Omdurman-Berber (13 Tage); 17. Berber-Suākin (9 Tage); 18. Suākin-Djedda (7 Tage). — Die Marschzeiten insbesondere nach Abeschr sind nicht kritisch zu nehmen.
Benghazi-Djalo (8 Tage). Djalo-Bir Bu Tafal (1 Tag). Bir Bu Tafal-Sighen (7 Tage ohne Wasser). Sighen-Kufra (4 Tage ohne Wasser). Im grossen Oasenbezirk von Kufra ist der nördlichste Brunnen Hauari. Hauari-Djōf (6 Stunden). Eine halbe Stunde im Nordosten von Djōf liegt et Tadj, die frühere Senussi-Residenz, auf einem Berge. Die Zauija el Ustad mit einer grossen Medrese befindet sich in Djōf selbst. Djōf-Bir Tulāb (6 Stunden). Bir Tulāb-Bir Bischre (3 Tage ohne Wasser). Bir Bischre-Tekro (8 Tage ohne Wasser). Hier beginnt das Gebiet der Tibbu (Gura‘ān). Die Gegend von Tekro ist gebirgig. Der Ort hat etwa 200 Tibbu-Häuser. Es wird hier Salz gewonnen. Nunmehr wird die grosse, südwärts nach Abeschr, der Hauptstadt von Wadai, führende Strasse verlassen. Man wendet sich südwestwärts nach Goru (4 Tage). Der Ort liegt bereits in dem zu Wadai im Tributverhältnis stehenden Gebiete Borku und zwar in gebirgigem Gebiet, das hauptsächlich von Tibbu (Gura‘ān), aber auch von nomadisierenden Arabern bewohnt wird. Goru ist gegenwärtig der Centralsitz des Oberschechs der Senussi. Goru-Enguri im W. (3 Tage), 50 Gura‘ān. Enguri-Tiki Bidi im S.W. (1 Tag). Tiki Bidi-Kėrdimēl im S.W. (1 Tag).[S. 197] Kėrdimēl-‘Aīn Kalaka (1 Tag), fliessendes Wasser, warme Quelle, Dattelanpflanzungen, zahlreiche Äcker, neue grosse Senussi-Zauija.
Immer weiter W.S.W. führt der Weg darauf über welliges Gebiet, das dem Hamād der syrischen Wüstensteppe nicht unähnlich sein muss. Nach 3 Tagen wird die Wasserstelle ed Dōma erreicht mit reichlichem Kamelfutter. Darauf marschiert man 6 Tage lang durch eine Ebene mit vorzüglichem Kamelfutter nach Wādī ‘Agai. Das grosse wasserreiche Gebiet des Wādī ‘Agai wird von Gura‘ān bewohnt. Es beginnt schon etwa am zweiten Tagemarsche nach ed Dōma. Dann folgen 3 Tagemärsche ohne Wasser, bis im Gebiete von Kanem die erste Wasserstelle: Abū Fumēn (2 Brunnen)[94] erreicht wird. Auch hier finden sich noch zahlreiche Gura‘ān neben den Waled Solimān-Arabern, welche die Vorherrschaft haben. Das Land Kanem ist eine Ebene von vielen Wadis (im Sommer ausgetrockneten Bachläufen) durchzogen. Von ed Dōma hatte sich der Weg südwestlich gewendet. Am ersten Tage nach Abu Fumēn gelangt man nach Nīre, wo der Oberschech der Waled Solimān, Rēt, der Sohn des ‘Abd el djelīl, welch letzterer vor zwei Jahren gestorben ist, sich befand. Dann 1 Tag bis Wādī Nahl, dann 1 Tag bis Māo, einer grossen, dauernden Niederlassung, wo ein Unterschech von Rēt[S. 198] residiert. Südwärts und nach 3 Tagen kam mein Gewährsmann in das Hauptlager der Dekena, eines von Wadai abhängigen, dunkelfarbigen arabischen Stammes. Von hier sollte es nur mehr 2 Tage bis zum Schari nach Gulfeï sein. Der Tschadsee wurde auf dieser Route nicht berührt. Bemerkenswert ist, dass in Māo eine Medrese der Senussi im Entstehen begriffen war. Sowohl Gura‘ān wie Waled Solimān leben gegenwärtig in Behausungen, die Buschije genannt werden, Hütten aus Palmenblättern, welche wie Zelte abgeschlagen und transportiert werden können. Die Region mit solchen Hütten beginnt auf der beschriebenen Strasse bei Tekro.
[94] Das Killari bei Nachtigal Bd. II, S. 314.
Von Benghazi, wie auf vorhergehender Route, über Djalo durch die Libysche Wüste nach Tekro. Im Süden von Tekro beginnen bald zahlreiche Wadis, Wasserläufe, die im Sommer meist trocken sind, in denen aber Ziehbrunnen überall genügendes Wasser geben. Infolge dessen giebt es mehrere Karawanenstrassen von Tekro nach Wadai. Eine vielbenutzte geht über el Obeid-Wadjanka-Badadi (grosser Ort) nach den Salzgebieten von Fanfan und Wete und dann über Hawasch und Umm esch Schu‘lūba nach Arādah. Zwischen Badadi und Arādah streift der mächtige Stamm der Maḥamīd, hellfarbige,[S. 199] typische Araber. Ihr Schech in dieser Gegend ist Muhammed ibn el Hakkar. Sein Sitz ist im Sommer Arādah, im Winter lebt er in Mattenzelten mehr nördlich.
Von Arādah führt die Strasse weiter nach Wara, der alten Hauptstadt von Wadai und nach Abeschr. Die Marschzeit beträgt von Benghazi nach Djalo etwa acht Tage, von Djalo nach Kufra zwölf Tage, von Kufra nach Tekro gleichfalls etwa zwölf Tage und von Tekro nach Abeschr etwa 18 Tage.
1. Abeschr (1 Tag); 2. Nimro (1 Tag); 3. Kaltaki (2 Tage); 4. Batha (4 Tage); 5. Fitri (2 Tage); 6. el Ḥodjār (2 Tage); 7. ed-Deḳenā (1 Tag); 8. Baḥr schārī (Tschad) (1 Tag Bootfahrt); 9. G̣ulfeï (1 Tag); 10. Makări (2 Tage); 11. Zeïe (2 Tage); 12. Kūka.
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W.