The Project Gutenberg eBook of Der Abenteurer This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der Abenteurer Author: Rudolf Herzog Release date: October 4, 2024 [eBook #74515] Language: German Original publication: Stuttgart: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger Credits: Peter Becker, Alpo Tiilikka and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ABENTEURER *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist ~so ausgezeichnet~. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist =so markiert= und in kursiv gesetzter Text ist _so markiert_. Der Übersichtlichkeit halber wurde die Buchwerbung am Ende des Buches zusammengefasst. Der Abenteurer Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und Berlin [Illustration: Unterschrift _Rudolf Herzog_] Der Abenteurer Roman von Rudolf Herzog Mit Porträt des Verfassers 36.–40. Auflage [Illustration: MDCXL] Stuttgart und Berlin 1913 J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger =Copyright, 1907, by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger= Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart Meinem Bruder Albert zu eigen =I= Jenseits der Schiffsbrücke, auf der Deutzer Seite, hockten die spielmüden Kinder auf der Kaimauer, drückten die heißen Gesichter gegen die Eisenstäbe und blickten durch die Umzäunung über den Strom hinweg auf das langgestreckte, halbmondförmige Köln. Ein paar verlorene Strählchen der Wintersonne glitzerten noch auf dem Wasserspiegel, suchten vergebens zueinander zu gelangen, verquirlten langsam in der Strömung und erloschen als glimmende Pünktchen ... Ein silbriger Ton blieb in der Luft zurück. Jene überraschende Klarheit, die vor dem letzten Verdämmern noch einmal die Seele der Menschen wie die Seele der Natur erfüllt und alle Bilder in scharfen Konturen erstehen läßt. Gegiebelt und gezackt, die Türme des Domes und der Kirchen wie deutende Finger gen Himmel gestreckt, zog sich die altersgraue Silhouette Kölns den Rhein entlang. Es war still auf der breiten Wasserstraße. Die ungefügen Lastkähne, die Schlepperzüge und die hochbordigen Passagierdampfer lagen zusammengedrängt im Hafen wie eine müde Herde, hielten Wintersruh und warteten auf besseren Pegelstand. Nur die kleinen Lokalboote huschten schwalbenflink von Ufer zu Ufer, fühlten sich als alleinige Herren des Stromes, ließen den Rauch noch schwärzer hinter sich dreinqualmen und Dampfpfeife und Schiffsglocke doppelt hell und grell erklingen. Legten sie an, um neue Passagiere abzuwarten, so zog das Schweigen über den Strom und duckte sich der alten, mächtigen Rheinstadt zu Füßen. »Sie is schon mal versunken gewesen,« sagte das kleine Mädchen, das zwischen den beiden Knaben auf der Deutzer Kaimauer hockte, hob die Schultern, als ob es ein Gruseln verspürte, und blickte mit glänzenden Augen geradeaus. »So dumm,« höhnte ihr Nachbar zur Linken, schob die bunte Gymnasiastenmütze in den Nacken und spuckte ins Wasser. »Der alte Klaus hat es mir doch erzählt,« ereiferte sich die Kleine. »Zwei Bauern hatten Köln verflucht, weil sie von den Kölner Kaufleuten betrogen worden waren. Da verschwand die Stadt vor ihren Augen.« »Is ja zu dumm,« beharrte der Aufgeklärte. »Wo käm’ sie denn auf einmal wieder her?« »Die Bauern haben sie wieder herausgebetet, weil sie doch sonst ihr Gemüs’ nicht absetzen konnten.« »Sieh mal, wie schlau. Wenn das wahr wär’, hätten doch die Kölner die Bauernklüngels, wie sie das nächste Mal in die Stadt kamen, ohne viel Fisimatenten aufgeknüpft. Uzerei ließen die sich vom Gemüsbauer nicht gefallen.« »Gott, ich weiß es doch,« sagte die Kleine pikiert und drehte ihm den Rücken zu. — Die Dämmerung rührte die Stadt an. Die Gassen und Straßen wichen wie hinter einem Schleier zurück. Nur die Türme hielten stand und bildeten weithinaus die Wahrzeichen, in langem Sichelkranz die erhabene Masse des Domes flankierend. Hellebardiere im Dienste der Majestät. Die Kleine seufzte. Ihr zweiter Begleiter, der sich aus seiner Träumerei nicht herausgerührt hatte, fuhr hastig herum. »Ist dir kalt?« Sie schüttelte den schwarzen Lockenkopf. Ein feuerrotes Seidenband trug sie durch das Haar gezogen. »Hach, es is so schön ...« Und nach einer Pause: »Ich kann alle Türm’ zählen. Und jeder Turm weiß eine Geschichte. Ich möcht’ sie alle kennen ...« »Frag mich,« bat der andere und strich sich das rötliche Haar unter den Hutrand. Der Buntbemützte maß ihn mit dem Blick des Patrizierjungen. »Du weißt doch höchstens in eurer Synagoge Bescheid!« »Hab’ ich dich gefragt oder den Moritz?« fuhr das Mädchen auf. »Frag mich nur,« sagte der ältere. Er war blaß geworden und sah unruhig auf das Mädchen. »Der Laurenz kann ja nach Hause gehen, wenn’s ihm hier nicht paßt.« »Geh ~du~ doch. Immer drängst du dich uns auf. In Sekunda wollen sie dich wohl nicht?« »Untertertianer,« sagte der andere und zuckte mit der Lippe. »Judenjung.« »Das ist keine Beleidigung.« Er wandte sich dem Mädchen zu, das erwartungsvoll hinhorchte. »Ich werd’ mir doch den schönen Abend nicht verprügeln.« »O — —,« machte die Kleine verblüfft. »Ich hätt’ aber gern gesehen, wie der Laurenz mal Wichs’ gekriegt hätt’.« Und dann sprang sie mit der Raschheit der Kinderempfindungen auf ihr altes Thema: »Sieh mal, der Dom! Is es wirklich wahr, daß den ersten Baumeister der Teufel geholt hat?« »Das ist eine Legende,« erklärte Moritz Lachner. »Weil der Bau nie fertig wurde, erzählten sich die Leute, Meister Gerhard von Ryle, der Bauherr, habe hoch oben auf dem Domkran mal mit dem Teufel gewettet, daß er schneller mit dem Dombau fertig sein würde, als der Teufel einen Kanal von Trier nach Köln graben könne. Meister Gerhard aber hätte durch die Schwatzhaftigkeit seiner Frau die Wette verloren und sich vom Turmgerüst in die Tiefe gestürzt. Das wäre der Grund gewesen, weshalb kein neuer Stein mehr hätte fassen wollen.« »Weil die Wette sündhaft war,« triumphierte Laurenz Terbroich. »Alle Künstler sind Sünder.« Moritz Lachner warf einen schnellen Blick auf die kleine Spielgefährtin, die gerade in die rotgewordenen Hände blies. »Weiter, Moritz. Und der große Sankt Martin nebenan? Davor könnt’ ich mich fürchten.« »Der ist so trotzig aufgebaut, weil er früher auf einer Insel stand und sich gegen das Wasser wehren mußte.« »Waren wirklich keine Räuber drin?« »Man sagt, schottische Mönche hätten die Kirche gleichzeitig als Wohnhaus für sich gebaut. Wie ein schottisch Kastell. Ob das wahr ist, muß ich erst noch untersuchen.« Laurenz Terbroich klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Der Moritz. Der Moritz Lachner will es untersuchen! Morgen sag’ ich es dem Herrn Erzbischof!« »Rechts vom Dom, da liegt Sankt Gereon. Schnell, Moritz, was weißt du davon?« »Auf dem Platz, auf dem diese Kirche steht, wurde der Hauptmann Gereon mitsamt seiner thebaischen Legion niedergemetzelt, weil er und seine frommen Soldaten nicht vom Christenglauben lassen wollten.« »Huih! — So düster sieht die Kirch’ auch grad’ aus.« »Die Geschichte macht dem Lachner besonders viel Spaß,« behauptete der Untertertianer frech. »Eine ganze Legion Christen! Abgemurkst!« »Wenn du von Sankt Martin nach links guckst, Terbroich,« sagte der und blies die schmalen Nasenflügel auf, »so siehst du den Rathausturm. Das ist der schönste Turm von Köln, ja der schönste von ganz Deutschland. Frag nur deinen Ordinarius. Und der ist euch Patriziern zu Ehren gebaut worden.« »Du willst dich wohl wieder einschmeicheln?« »Euch zu Ehren. Weil euch das Volk glücklich allzusammen festgenommen und ins Kittchen gesteckt hatte. Und von der Buße, die ihr habt zahlen müssen, errichteten die Zünfte diesen schönen Rathausturm.« »I ja,« echote Terbroich, »und neben diesem schönen Rathaus liegt die Judengasse, und weil nun der Rathausturm gar so schön geworden war, wurde diese Nachbarschaft nicht mehr als passend befunden, und man fegte sie sauber und euch all zusammen zu den Toren hinaus, wo ihr bis zur französischen Revolution liegen bleiben konntet. I ja.« »Du hast ja — überraschende Geschichtskenntnisse,« stammelte Lachner. »Die hab’ ich mir extra dir zu Ehren eingepaukt, weil du so sehr unseren Verkehr suchst.« »Euren — Verkehr?« »Zankt euch doch nachher,« rief die Kleine ungeduldig und trippelte nervös auf den Mauerquadern. »Was ist das mit den elftausend Jungfrauen?« Und dienstfertig belehrte Moritz Lachner: »Sie liegen zu Sankt Ursula. Im Norden der Stadt. Von hier aus kannst du das uralte Kirchlein nicht sehen. Es war ein Heidenprinz, der wollte die Tochter des Königs von Britannien zur Frau oder das Land mit Krieg überziehen. Da sagte sich die fromme Ursula ihm zu, aber unter der Bedingung, daß er Christ würde und sie mit elftausend Jungfrauen des Landes eine Wallfahrt nach Rom machen dürfe. Als sie aber vom Papst zurückkam und in Köln landen wollte, das von den Hunnen belagert wurde, wurde sie mit allen ihren Begleiterinnen von dem wüsten Heidenvolk erschlagen.« »Gewiß, weil sie die häßlichen Soldaten nicht heiraten wollten.« »Wenn sie nicht einen Prinzen zum Bräutigam gehabt hätt’, hätt’ sich die Ursula wohl nicht besonnen,« warf Laurenz Terbroich skeptisch ein. »Darin sind sich alle Mädchen gleich.« »Ja, einen Prinzen — —,« sagte die Kleine gedehnt und sah den hübschen, vornehmen Jungen mit flimmernden Augen an. »Soll ich weitererzählen?« fragte Moritz Lachner hastig. »Dort drüben, am Neumarkt, liegt Sankt Aposteln. Eine arme Rittersfrau hatte Zwölflinge bekommen —« »Er lügt,« sagte Laurenz Terbroich, »Zwölflinge kriegen nur Kaninchen.« »Zwölf Knaben,« fuhr Lachner eilig fort, als fürchtete er, um seinen Erzählerposten zu kommen. »Und weil sie sie nicht ernähren konnte, wollte sie sie ertränken lassen. Aber der Herr Erzbischof fand die Kinder am Wasser und nahm sie mit und erzog sie zu Stiftsherren und gründete für sie die Kirche zu den Aposteln, da die doch auch zwölf gewesen waren. Und mehr nach Süden, siehst du, da liegt Sankt Maria im Kapitol. Das ist auf demselben Platz gebaut, aus dem die alten Römer, als sie noch in Köln wohnten, ihr Regierungsgebäude hatten, und die Frau vom König Pippin, die ihren Stiefsohn Karl Martell in Köln gefangen hielt, liegt darin begraben. Und in der Kirche Sankt Alban wird eine Hostie verwahrt, die im Munde eines Gottesleugners plötzlich zu Fleisch wurde. Aber interessanter ist die Albertuskapelle in Sankt Andreas. Die enthält die Gebeine von dem großen Dominikanergelehrten Albertus Magnus. Der konnte hexen und zaubern und war doch ein Heiliger und der Lehrer von Thomas von Aquino, dem in dem spitzfindigen Franziskaner Duns Scotus ein gefährlicher Gegner entstand. Der Duns Scotus aber liegt nebenan in der Minoritenkirche und —« »Nu hör doch nur endlich auf,« unterbrach ihn Laurenz Terbroich ärgerlich. »Daß du zum Herrn Pater in die Katechisierstund’ gehst, kannst du uns doch nicht weismachen.« Da schwieg der Lachner. Auf der Schiffsbrücke wurden die Laternen hochgezogen. Die Stadt war langsam in der Dunkelheit verschwunden. Nur die Masse des Domes hob sich gespenstisch, einer rätselhaft übernatürlichen Erscheinung gleich, gegen den Abendhimmel ab. Und als hätten die Laternen der Schiffsbrücke das Zeichen gegeben, so blitzte es am jenseitigen Ufer auf, und die Lichter liefen die Hafenstraßen entlang bis zur alten Trutzburg Kölns, dem Bayenturm, entzündeten sich in der Rheinstraße und drangen weiter ins Herz der Stadt, kreuz und quer durch die Gassen der Altstadt in die Prunkstraßen der Neustadt. Und aufs neue trat die Silhouette Kölns hervor, in roten, magischen Dunst gehüllt. Gegiebelt und gezackt, von deutenden Türmen und Basiliken überragt. Von dem tiefen Atemzug der Vergangenheit erfüllt und dem heißen Pulsschlag seiner Gegenwartskinder. Die ewige Sagenstadt am Rhein ... »Ha,« rief die Kleine und lief am Geländer entlang, um den Lichtern zu folgen, »wenn ich könnt’, wie ich möcht’ — möcht’ ich ganz Köln haben.« »Ich will es dir schenken,« sagte Lachner atemlos und griff nach ihrer Hand. »Du — —? Was willst du denn werden?« »Historiker.« »Was ist das: Historiker?« »Geschichtsschreiber.« »Märchen und so?« »Die Geschichte der Menschen und ihrer Städte.« »Ich übernehm’ die Fabriken vom Vater,« sagte Laurenz Terbroich und legte den Kopf in den Nacken. »Teppichwebereien. Ein Ballen Teppiche bringt mehr ein als hundert Ballen Geschichtenbücher.« »Wahrhaftig?« fragte die Kleine verblüfft. »Wenn’s dem Lachner seine Geschichten sind: mehr als tausend Ballen.« »Du, Laurenz, dann werd’ ich deine Frau.« »Ich weiß nicht, ob das meine Eltern erlauben.« »Och, sieh mal! Der stolze Laurenz! Mein Vater ist mehr als der deine!« »Das fragt sich doch.« »Das fragt sich nicht! Mein Vater ist ein Doktor und — und —« »Ein Künstler,« sagte Moritz Lachner, »ein großer Künstler.« »Deshalb heißt du auch so komisch,« meinte Laurenz mit einem schiefen Blick. »Du hast nicht mal einen richtigen Christennamen.« »Ich heiße Carmen! Das bedeutet: das Lied, wenn du das noch nicht in der Schule gelernt hast. Weil ich sein schönstes Lied wär’, sagt mein Vater. Darum.« »Ist denn der Herr Doktor Otten überhaupt dein Vater?« nörgelte der Junge. »Was sagst du?« »Nu, weil er doch nie in Köln bei euch ist.« »Was —?« »Und überhaupt. Künstler haben nie richtige Frauen, und daher auch keine richtigen Kinder.« Da war die Kleine an ihn heran. »Au, au! Katze! Du hast gekratzt!« Wie der Wind flog sie zurück. Wütend rannte der Junge hinter ihr drein. Sie erwischte Moritz Lachner beim Ärmel und zerrte den schwerfälligen Freund zwischen sich und dem Verfolger hin und her. »Nimm mich auf!« keuchte sie. Da beugte er sich nieder und nahm sie Huckepack. »Drauf, drauf!« triumphierte sie von ihrem hohen Sitz, und Moritz Lachner vergaß seine Untersekundanerwürde und stürzte sich wie ein Kriegselefant, der eine Amazonenkönigin trägt, auf den Feind. Nun hatte sie dem Gegner die Mütze vom Kopf gerissen und warf sie, aufjauchzend, mitten auf den Straßendamm. Da machte sich der Barhäuptige an Lachner, der seine Hände, die der Reiterin als Steigbügel dienten, nicht freibekommen konnte, und bearbeitete mit den Stiefelspitzen die Schienbeine des Gegners. Moritz Lachner kniff die Lippen zusammen und gab keinen Laut. Blitzschnell bog sich das Mädchen herab und griff mit beiden Händen in das weiche, schwarze Haar des Angreifers. »Au, au! Carmen! Loslassen!« »Werd’ ich deine Frau? Ja oder nein!« »Loslassen! Maria Joseph!« »Werd’ ich deine Frau?« »Ja! Jawohl!« — Da glitt das Mädchen an Lachners Rücken nieder, rannte auf den Straßendamm, hob die weggeschleuderte Mütze auf und klopfte säuberlich den Staub heraus. Mit kleinen, wiegenden Schritten kam sie zurück, den Arm vorgestreckt. »Hier ist sie,« sagte sie und sah den wiedergewonnenen Freund von unten herauf an. »Sie is wirklich nicht schmutzig geworden.« »Gib her,« knurrte der Laurenz grob, riß ihr die Mütze aus der Hand und stülpte sie auf den Kopf. Dabei verzog er das Gesicht. »Hab’ ich dir arg weh getan, Laurenz?« »Ich blut’,« sagte der Junge wehleidig und tippte mit dem Finger auf die Schläfe. »Du hast mich gekratzt.« »Zeig!« Sie hob sich auf den Fußspitzen und betrachtete aufmerksam den Riß an seiner linken Schläfe. »Hast du kein Pflasterpapier?« »Ich hab’ keins.« »Und du, Moritz? Gott, so mach doch.« Moritz Lachner holte umständlich ein großes Bügelportemonnaie aus seiner Hosentasche hervor und brachte ein Blättchen englisch Pflaster zum Vorschein. Bevor er es präsentieren konnte, hatte die Kleine es ihm schon aus der Hand genommen und angeleckt. Er stand beiseite und sah zu. »Neig dich, Laurenz. So — —!« Sie pappte das Pflästerchen über seine Schläfe. »Jetzt bist du ein Ritter, Laurenz, und trägst eine Narbe, deiner Dame zu Ehren. So — —! Und deine Dame gibt dir dafür einen Kuß.« Sie legte ihm die Hände über die Ohren und küßte ihn mit ungeschickten Kinderlippen. »Komm,« sagte der Junge, »wir laufen in die Stadt. Da ist es jetzt am amüsantesten.« Er nahm das Mädchen bei der Hand, lief mit ihr zur Schiffsbrücke, erlegte ritterlich für sie mit das Brückengeld, und dann galoppierten sie über die ächzenden, schaukelnden Planken. — Moritz Lachner stand noch immer auf demselben Fleck. Langsam stieg ihm das Blut aus den Wangen bis in die Stirn. Er nahm sein rundes Filzhütchen ab und strich mechanisch über sein rötliches Haar. Er schämte sich ... Da war er, der vierzehnjährige Untersekundaner, mit diesem zwölfjährigen hochmütigen Bengel und der kleinen zehnjährigen Carmen hierhergelaufen, statt hinter den geliebten Büchern zu sitzen. Nur, weil der Junge ein Patriziersohn und das Mädchen ein Künstlerkind und — ja doch — und schön war. Dr. Joseph Ottens, des berühmten Sängers und modernen Rezitators Otten Tochter! Und er hatte ihr Geschichten erzählt, den ganzen Nachmittag lang, und alle seine Weisheit vor ihr ausgekramt. Und Pferd gespielt und sich von dem wütenden Laurenz um ihretwillen die Beinkleider verderben lassen. Und zum Schluß sein englisch Pflaster geopfert und zugesehen, wie der bekämpfte Rivale noch dazu einen Kuß erhielt. Und dann — — Es stieg ihm feucht in die Augenwinkel. Dann hatte man ihn stehen lassen. In der Freude hatte man ihn vergessen. — — In der Ferne sah er sie über die Schiffsbrücke laufen. Sie jagten sich und rannten gegen ein paar Brückenarbeiter, die hinter ihnen herschimpften. Noch einen Augenblick kämpfte er mit sich. Dann senkte er den Kopf und trabte hinterher. »Sie weiß noch nicht, daß ihr Vater heut kommt und im Gürzenich singt,« beschwichtigte er seine Scham. »Das muß ich ihr noch sagen ...« »Heut kann ich bis wenigstens acht Uhr draußen bleiben,« verriet die Kleine ihrem Freunde Laurenz, als sie die Brücke verließen. »Mutter gab keine Antwort, als ich sie fragte. Sie war den ganzen Tag so still. Da bin ich echappiert.« Sie drückten sich an der Rheingasse vorbei. Schmal und hochgiebelig, mit schweren Balkenlagen und reichem, altkölnischem Schnitzwerk stand das Haus der Ottens. In der Haustür lehnte trotz des Winterabends ein untersetzter Mann mit grauem Stoppelbart, fest in ein gestricktes Wollenkamisol eingeknöpft, eine Schiffermütze auf dem Kopf. Er rauchte aus einer dünnstieligen holländischen Tonpfeife und blies die Kringel über die Gasse. »Der alte Klaus,« flüsterte die Kleine. »Komm schnell.« Und sie tauchten in den Schatten der nächsten Häuser und entflohen auf den Heumarkt. Der Schiffer nahm behutsam die Pfeife aus dem Mund und blinzelte hinter ihnen her. »Materdeies, dat wor doch uns Carmche? Mit dem Nixnotz, dem junge Terbroich?« Und er schüttelte mißbilligend den grobgeschnitzten Kopf. Eben bog eine neue Gestalt um die Ecke, sah sich suchend um und wollte eiligst verschwinden. »Der Lachners Moritz,« knurrte der Alte befriedigt. »He, du Moritz, op de Heumarkt sinn se. Dat du mr got oppaßt op et Carmche.« Moritz Lachner fuhr herum. Ertappt und verärgert. »Was geht das mich an?« fragte er trotzig. »Ich bin doch nicht ihre Kinderfrau?« »Un ich sagen der nor dat ein: dat du mr got oppaßt.« Damit schob er die Pfeife ruhig zwischen die gespitzten Lippen. »Ich geh’ nach Haus,« sprach der Junge vor sich hin, und nahm doch den Weg zum Heumarkt, »ich geh’ auf der Stelle nach Haus, auf der Stelle.« Nun hatte er das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms des Dritten erreicht, des ersten Preußenkönigs in Rheinlanden. Er kroch gebückt um das Eisengitter herum und lugte nach allen Seiten. Enttäuscht erhob er sich. »Sie werden auf den Altenmarkt gelaufen sein,« überdachte er. »Aber ich geh’ jetzt nach Haus.« Und dann lief auch er auf den Altenmarkt. Dort entdeckte er sie, wie sie Hand in Hand über den Platz bummelten. »Ich ~will~ mich nicht aufdrängen,« murmelte er, »ich ~will~ nicht.« Am Jan-van-Werth-Brunnen hatte er sie erreicht. »Du,« hörte er die Kleine sagen, »das is der Jan un et Griet.« Laurenz lachte. »Weshalb lachst du denn nur?« »Als der Jan Reitergeneral geworden war, hat er et Griet sitzen lassen.« »Soo —! Und als der Jan noch als Bauernknecht auf dem Kümpcheshof in Köllen diente, da hat die Bauerntochter, et Griet, ihm einen Korb gegeben. Ätsch!« »Und dann ist et Griet eine alte verschrumpelte Appelfrau geworden, und der Jan zog als ein stolzer Reitersgeneral durch das Severinstor in Köln ein, und da saß et Griet vor seinem Appelkram und briet sich Kastanien.« »Weiter.« »Der Jan van Werth kriegte eine große Schadenfreude —« »Das ist nicht wahr!« »Er hielt aber doch sein Pferd an und sagte: Och, Griet, wer et hätt’ gedonn!« »Und et Griet ließ sich nicht foppen und sagte: Och, Jan, wer et hätt’ gewoß’!« Nun lachten sie miteinander. »Wenn ich dich sitzen lass’, wirst du et Griet!« »Du aber noch lang’ nicht der Jan!« Er galoppierte mit steifen Beinen auf sie zu, salutierte und schnarrte: »Griet, wer et hätt’ gedonn!« Und sie wischte sich das Näschen, grämelte und piepte alsbald: »Jan, wer et hätt’ gewoß’!« »Ich fang’ dich!« »Möchtste wohl — kriegst mich nicht!« »Griet, wer et hätt’ gedonn!« schrie er und suchte sie zu haschen. »Jan, wer et hätt’ gewoß’!« jauchzte sie zurück und entkam ihm um das Denkmal herum. Atemlos, lachend und aufkreischend, rasten sie hin und her. Jetzt streckte er die Hand nach ihren flatternden Locken, und sie fiel ihm in die Arme. Mit dem letzten Sprung waren sie gegen Moritz Lachner geprallt. »Was fällt dir ein?« wütete Laurenz Terbroich und ballte die Faust. »Bist du denn so dickfellig, daß du nicht merkst, daß wir dich nicht haben wollen? Scher dich in euren Laden! Da kannst du deinem Alten helfen, Hasenfelle verkaufen.« »Jawohl, geh nach Haus,« echote zornig die Kleine. Moritz Lachners Augen irrten vom einen zum andern, unablässig von einem zum andern. Zum ersten Male kam ihm die Erkenntnis von der Grausamkeit der Kinderseele. Ihm war grenzenlos elend zu Sinn. »Was stehst du noch?« schnaubte der Patrizierjunge. »Ja, was stehst du noch?« zürnte die Kleine. »Der Klaus,« stotterte Moritz, »der alte Klaus hat mich hergeschickt. Damit dir nichts passiert, Carmen.« »Sag dem Klaus,« höhnte Laurenz, »er solle sich um seine Nase kümmern, damit sie nicht windschief wird.« »Ja, sag ihm das!« jubelte die Kleine. Moritz Lachner zog tief die Luft durch die Nasenflügel. Seine Augen suchten unruhig am Boden. Er rang mit einem Entschluß und fand die Worte nicht. Dann trat er vor und faßte der kleinen Carmen Hand. »Carmen — ich hätt’ dir noch was zu sagen ...« »Sag’s mir morgen.« »Nein, heute. Dein Vater kommt nach Köln. Vielleicht ist er schon da. Er singt heut abend im Gürzenich.« Sie starrte ihn an. Ungläubig. Begierig. »Der — Vater? — Der meine —?« »Verlaß dich drauf.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaub’s nicht. Die Mutter hätt’s gesagt.« »Vielleicht, daß er sich nicht hat anmelden können ...« Hinter ihnen kicherte jemand. Es war Laurenz Terbroich. Mit sprühenden Augen fuhr sie zu ihm herum. »Du ~sollst~ nicht lachen!« Und sie stampfte mit den Füßen wie eine Wilde. Da brach sein Lachen ab. »Du,« sagte Moritz und machte ein fröhliches Gesicht, »um halb acht beginnt das Konzert. Jetzt ist es sieben. Wollen wir zum Gürzenich laufen. Wenn er aus dem Wagen steigt, kriegen wir ihn zu sehen.« »Du willst mich uzen.« »Wenn du’s nicht glaubst, da an der Säule kleben die Plakate.« Ehrfürchtig gingen sie hin und lasen. »Liederabend von Dr. Joseph Otten. Im Saale des Gürzenich.« Zweimal und dreimal lasen sie. Das Mädchen erschauerte und blickte mit fiebrigen Augen auf das Papier. »Der Vater — —« Und wortlos trollten sie sich durch die Martinsstraße nach dem Wunderbau mittelalterlicher Gotik, einst »der Herren Tanzhaus«, dem Gürzenich. Eine Horde Gaffer drängte sich an der Eingangstür: Frauen in Umschlagtüchern, Kinder auf dem Arm; Kleinbürger, die zum Abendschoppen strebten; Eckensteher in Schiffermütze und buntgestickten Plüschpantoffeln. Der Joseph Otten sang! Auf den Jupp waren sie stolz. Es war »ene Köllsche Jung«! Die Kinder hatten sich in die vordere Reihe gedrängt. Die kleine, schlanke Carmen hielt sich fest an Moritz Lachners Hand. Wagen auf Wagen fuhr vor. Herren in vornehmer Haltung, Damen in großer Konzerttoilette entstiegen ihnen und eilten, durchs Portal zu kommen. Denn die Zaungäste kritisierten scharf und laut. »Jessesmarijusepp, die hätt’ sich äwer fies fein angedonn.« »Süch ens, die meint, sie wär’ em Huchsommer. Madam, Sie werde sich verkühle!« »Achtung, Här, der Kopp oder der Zylinder!« »Das war mein Vater,« sagte Laurenz Terbroich, als der geradgereckte Herr, dem der Zuruf gegolten hatte, im Portal verschwunden war. Es schlug halb acht. In raschem Trab kam ein Wagen heran und hielt. Ein hochgewachsener, früher Vierziger sprang elastisch heraus, gab dem Kutscher Weisung und wandte sich dem Eingang zu. »Guten Abend, Herr Doktor Otten,« scholl es hinter ihm her. Da wandte er sich lachend um, grüßte mit dem Schlapphut und winkte mit der Hand. Im Begriff, ins Portal zu treten, blickte er noch einmal über die Schulter, als sei ihm vorhin irgend etwas aufgefallen. Sein stahlblaues Auge traf die Kinder, suchte die erglühende Carmen heraus. Eine Erinnerung ging durch seinen Blick, ein Erkennen. Ein Aufstrahlen, und ein Nicken hüben und drüben. Dann war er im Gürzenich verschwunden. — — »Das war ~mein~ Vater,« sagte die Kleine triumphierend zu Laurenz Terbroich. Und die beiden liefen hinter dem Volk her, um zu hören, was gesprochen würde. Moritz Lachner blieb allein vor dem Gürzenich zurück. Seine Seele war mit dem bewunderten Manne hineingegangen, und er wartete, daß er sie ihm wieder herausbrächte. — — =II= Im ersten Stockwerk des Ottenschen Hauses waren seit Beginn der Dämmerung die Rouleaus herabgelassen. Die rotbeschienenen Säume verrieten, daß in der Wohnung frühzeitig die Lichter angezündet worden waren. Hin und wieder zeichnete sich hinter den Vorhängen der Schattenriß einer Frau, der erst kürzer, dann länger verweilte und sich wieder verlor ... Der alte Klaus hatte in der Haustür seine Pfeife ausgeraucht. Während er von dem langen, dünnen Tonstiel ein Stück abbrach, um ein frisches Mundstück zu bekommen, trat er auf die Gasse und blinzelte zu den Fenstern des Stockwerks hinauf. Kopfschüttelnd stopfte er mit dem Daumen den Pfeifenkopf, brachte den überflüssigen Tabak sorgsam wieder in der Hosentasche unter, knickte ein Bein, um an dem gespannten Schenkel ein Schwefelholz in Brand zu setzen, schmatzte den ersten Rauch aus dem Rohr, spuckte und ging kopfschüttelnd ins Haus hinein. Als sich die Haustür schloß, erschien hinter dem beleuchteten Vorhang hastig der Frauenschatten, verharrte einen Augenblick reglos und schwand. Von den Türmen der Stadt schlug es halb acht Uhr. Die hohe Kastenuhr im Eßzimmer der Wohnung tat gleichzeitig einen dumpfen Schlag. Die Frau, die an der geschweiften Säule des breiten, flämischen Büffetts lehnte, hob einen Moment den Kopf, als ob noch etwas folgen müsse. Und schon pinkte hell aus dem Nebenzimmer eine Rokokouhr. »Alles geht seinen geregelten Gang,« dachte sie und legte die Hände wie einen Reif um die Stirn, als sollten widerspenstige Gedanken zur Ruhe gebracht werden. Dann ließ sie müde die Arme sinken. »Er kommt nicht,« sagte sie laut. »Nun könnte ich eigentlich die Lampen löschen.« Ihr Kleid raschelte, als sie ein paar Schritte tat. Sie sah an ihm hinab. Es war ein weißer Brokat, der die kräftige Gestalt fest umschloß. Ohne einen Ausschnitt zu zeigen, ließ er den Hals frei. Eine Kette großer, blaßroter Korallen hing über der Brust. Nur dieser eine, erlesene Schmuck. Sie strich mit der Hand über den Stoff. »Wie lang’ ist das her,« kam ihr in den Sinn, »daß ich dies Kleid zum erstenmal trug. Er wollte mich in keinem anderen sehen. Jedesmal sollte ich es tragen, wenn er heimkehrte, jedesmal wie eine Braut ... Das Kleid ist wie neu geblieben. Ich hab’ es also nicht oft zu tragen gehabt.« — »Ach, nicht so!« wies sie sich selbst zurecht. »Ich hab’s gewußt. Und ich freu’ mich doch, daß es so ist, wie’s auch ist.« Sie ging in ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen durch das Zimmer. Ihre Augen hatten den Hausfrauenblick zurückgewonnen, und ihre Hände suchten Beschäftigung, rückten an den blumengefüllten Kristallvasen, dem schönen Tafelporzellan, und ruhten nicht, bis eine neue Harmonie die festliche Anordnung schmückte. Von der Balkendecke herab streckte der massive Leuchter sechs lampenbewehrte Arme ins Zimmer. Alle Lichter brannten. Der ganze Raum war voll Erwartung. Als die Frau den Blick hob, ging ein Lächeln über ihr Gesicht. An der Wand hing ein Bild, das Bild eines Mannes in Havelock und Schlapphut. Aus lachenden Augen schaute er in die Welt. Sie trat näher heran. Sie betrachtete es, als wäre es ihr ein Neues. »Man kann das Bild nicht ansehen, ohne froh zu werden ...« »Liebster — —« Dann wandte sie sich zum Tisch zurück, hob die Arme und drehte die Gashähnchen der Lampen ab. Bei der letzten zögerte sie, und der Arm blieb gereckt. Leise knisterte an ihrem Leib die Seide. »Vielleicht kommt er doch noch. Dann soll es wenigstens nicht ganz dunkel sein in seinem Haus.« Und noch einen Blick über die Tafel werfend, ging sie mit ihrem ruhigen Schritt ins Nebenzimmer, setzte sich an ihr Arbeitstischchen und nahm ein Kinderkleidchen in den Schoß, das der Ausbesserung bedurfte. Acht schlug es von den Türmen, und dumpf und hell befleißigten sich die Uhren in der Wohnung, nicht hinter den beamteten Kameraden zurückzubleiben. »Jetzt hat er die ersten Lieder gesungen,« sagte die Frau und ließ die Arbeit sinken. »Nun wird er gefeiert ...« — »Gott im Himmel,« unterbrach sie sich, »acht Uhr! Und Carmen ist noch nicht im Hause. Wie konnt’ ich nur über den Vater das Kind vergessen.« Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Die Rheingasse lag still. Sie horchte angestrengt in das Dunkel, aber nur das Rauschen des Rheinwassers, das gegen das Bollwerk schwankte, fing sie auf. »So lang’ ist sie doch noch nie ausgeblieben,« murmelte sie. »Und gerade heute ... Wär’ doch das Kind hier.« Noch ein paar Minuten blieb sie. Dann schloß sie das Fenster. Sie schauerte in den Schultern und wußte nicht, ob es von der Winterluft oder einem Angstgefühl kam. »Gerade heute ... Ich hätte es daheim halten sollen. Wenn er nun gekommen wär’.« Dabei fiel ihr der alte Klaus ein, und sie atmete erleichtert. »Er wird das Kind bei sich haben. Nun wird’s aber Zeit, daß ich es hol’ — —« Der alte Klaus Gülich saß in seinem Stübchen zu ebener Erde, das ihm als Hausmannswohnung angewiesen war, spießte mit dem Taschenmesser das letzte Stückchen eines Käses auf und schaute dabei verlorenen Blickes in sein Schoppenglas Wein. Irgend etwas suchte er in seinen Erinnerungen, und das forderte Zeit, denn er hatte auf ein langes Leben zurückzuschauen und war ein gutgerechneter Siebziger. »I ja,« nickte er vor sich hin, »die hätt’ ming Frau werde müsse, dat wor ene leckere Puht. On lew hät die mich gehatt, esu lew wie keen Minsch op der Welt. Wenn ich mich doch, Düwel noch ens, op ehre Name besinne künnt’!« Es klopfte. Und gleich ein zweites Mal. »Angtreh!« rief er ärgerlich und streckte das Kinn vor. »Guten Abend, Klaus. Ist das Kind bei Ihnen?« »Uns’ Carmche?« »Also auch hier nicht. Und es ist acht Uhr vorbei. Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein? Klaus, was meinen Sie?« »Ich meine, et Carmche is augenblicks lebendiger als sing Mutter.« »Wissen Sie das bestimmt?« Sie legte dem Alten die Hand auf die Schulter, und der Alte spürte durch das gestrickte Kamisol, wie diese lange, schlanke Frauenhand zitterte. »No, no, no,« beschwichtigte er und erhob sich so schnell, wie es ihm die müden Füße erlaubten. »Wat sinn denn dat för Sache? Jung’ Frau, jung’ Frau! Dat wor doch früher uns’ Art nit? Nerve! Setzen Se sich ens en der Sessel. Su, ganz gemötlich — —« Sie ließ es sich gefallen, daß er sie in den Sessel drückte. In ihrem weißen Kleide saß sie und bot ein seltsames Bild zu der schlichten Umgebung. »Nun sagen Sie, wo Sie Carmen gesehen haben.« »Se is mit Terbroichs Laurenz op der Heumarkt gelaufe. Auch möglich, zum Gürzenich. Un weil ich den vörwetzige Rotzjung, den Terbroichs Laurenz, nit leide mag, hann ich den Lachners Moritz hingerhärgeschickt. Dä paßt op.« Und mit väterlicher Fürsorge fuhr er fort: »Sie dürfe sich beruhige, Frau Otten. Et passiert nix.« »Ich schäm’ mich,« sagte sie plötzlich. »Ich darf doch nicht die Ruhe verlieren.« Der Alte sah sie respektvoll an. »Un do meint manch eine, dat wör alle Dag Zuckerlecke, Danze un Kirmeß.« »Es ist viel mehr, Klaus.« »Sie hann ooch nix öwermäßig zo lache.« »O doch, das wißt ihr andern nur nicht.« »Jung’ Frau,« meinte der Alte ruhig, »wenn ich dodrop et heilige Sakrament nehme künnt’, säßen Sie jetz nit beim ahle Klaus em Stübche.« Einen Augenblick blieb es still zwischen ihnen. Dann sagte die Frau mit dem Versuch eines scherzenden Lächelns: »Sie haben mich vorhin wohl belauscht? Klaus, das war die Vorfreude.« »Der Herr Joseph is äwwer nit gekumme,« beharrte der Alte. »Er hat nicht gekonnt, Klaus. Gestern hat er in Frankfurt gesungen und bis vor wenigen Tagen in München. Ich hab’ doch einen Brief bekommen, in dem er mir alles schrieb.« »Der Herr Doktor is zwei Johr von Kölle fort gewese. Da is et mit enem Breef nit gedonn.« »Ach, Klaus, er wollte ja auch vor dem Konzert noch herkommen, wenn er den richtigen Zug bekäm’. Aber die Menschen hängen sich ja alle so an ihn und wollen ihn feiern. Das seh’ ich ein.« »Ich nit, ich weiß Gott nit. Een Stündche hätt’ hä sich schon abspleiße könne.« »Für so kurze Zeit will er den Haushalt nicht beunruhigen.« »Un die Haus~frau~? Die duht er auf die Weis’ weniger beunruhige.« »Ach, Klaus, die Hausfrau — —« Der Alte stutzte. Er blinzelte ein paarmal mit den Augen und blickte in die Stubenecke. »Ich bin seine Cousine. Daß ich ebenfalls Otten heiße, macht die Sache nicht anders.« »Ihr seid sing Frau. Cousine kennt der Joseph Otten nit.« »Nein,« sagte sie, und es flog ein Schimmer über ihre Augen, »die kennt er nicht.« Der Alte sah verblüfft auf. Dann kratzte er sich hinter den Ohren. »Ich hann woll jet Dommes gesagt?« »Nein, nein. Es war schon recht so. Seine Frau bin ich, und ich hab’ ihn und die Carmen. Das ist ein glückliches Gefühl, Klaus, und ich hab’s immer und immer, auch wenn er jahrelang fort ist. Gerade deshalb. Da hab’ ich für ihn mitzusorgen, denn ohne Sorge kann ich doch nicht sein. Er ist ein Wandervogel, Klaus, er muß in alle Welt schweifen und singen, singen und weiter schweifen, aber wenn er heimkommt, bringt er auch das Glück der ganzen Welt ins Haus. Welche Frau kann das sagen ...?« »Sie haben ihn arg lieb, den Jupp,« sagte der alte Klaus. Er hatte hochdeutsch sprechen müssen. Sie lehnte sich zurück, damit er ihr Gesicht nicht sähe. Die Seide spannte sich. Es war Kraft in dem Frauenkörper. »Und Sie — Klaus?« »Ich hann ihn doch schon zu de Nönncher gedrage, als hä noch en Dotz wor un et Stillsitze lerne sollt.« »Er hat es nicht gelernt, Klaus.« »Enä. Un öwer et Paternosterbete is hä auch nit herausgekomme.« »Manchen schadet das nicht, Klaus. Es gibt Menschen, die können tun, was sie wollen, und es ist, als trügen sie ein heimlich Gebet in sich. Da wird schön, was bei anderen häßlich wäre.« »Mr nennt dat: eine Schutzengel. Äwwer de Schutzengel sinn Sie.« Sie schüttelte nur den Kopf. »Das steckt im Menschen selbst drin. Das ist das Geheimnis unseres Herrgotts, weshalb. Wir sollen nicht fragen und doch glauben. Glaube macht selig. Ich bin’s.« »Nä, nä,« sagte der Alte zweifelnd, »ich würd’ doch lewer ens beim Jupp op der Busch kloppe. Hä wor fröher schon ene Dorchgänger.« »Und doch haben Sie ihn gern gehabt.« »No ja, hä wor ooch keene gewöhnliche Dorchgänger, hä wor su ene staatse Dorchgänger. Ohne Fisimatente. Hä däht niemals die Unwohrheit sage, ooch als Jung nit. Wenn se ihn attrapierte, sagt hä geradheraus: Geweß, so is dat gewese. Un dann lachten hä, und et blew nix anders öwrig, mer moßt mitlache.« Die Frau im Sessel hatte seltsam strahlende Augen bekommen. Sie sah einen wilden Jungen vor sich. »Als er zu uns nach Koblenz kam, Klaus, war er schon der berühmte Doktor Otten, von dem alle Zeitungen schrieben. Nicht immer gutes. Aber daraus machte er sich nichts. Dickköpfen muß man eine Sache hundertmal sagen, bevor sie dahinterkommen, meinte er, wenn es Angriffe regnete. Man muß die Menschen zu ihrem Glück zwingen. — Mich hat er nicht zu zwingen brauchen. Als er es ~einmal~ sagte, glaubte ich es.« »Su ne Hanak!« lobte der Alte den jungen Freund. »Mr konnt ihm nix affschlage.« »Sie haben die ganze Jugend mit ihm verlebt, Klaus.« »Ich wor zuerst beim ahle Otten Knecht op enem Kohlenschiff. Später word ich von der Firma als Schiffer angestellt. Och, jung’ Frau, un wenn ich dann mit mingem Schiff im Hafen lag, am Bayeturm, dat wor en Gedöhns. Dann kamen der Jupp mit singer Freundschaft, un ich moßt Harmonika spille un ihne Schabau zu drinke gewe un allerhand Stückelcher un lustige Krätzcher verzälle, un zum Schluß dähte se et ganze Schiff op der Kopp stellen. Wenn ich se denn flöck beim Schlafittche nehme wollt, sprung der Jupp — ich kreeg als immer ene Schlaganfall — in Hos und Kamisol pardautz in et Wasser, un singe beste Kamerad, der Drickes, der Kochs Heinrich, der heut geistlicher Här un Professor is, pardautz hinger ihm drein, im Lewen un im Sterwen, un wuppdich krabbelten se in der Nache, dä am Schiff hing, sägten mit ihre Taschenmetz dat Tau dörch, packten de Ruderstang un gingen heidi. Dazu dähten sie dat Räuwerlied singe: ›Ein freies Leben führen wir!‹ Nor der Dritte von dem Kleeblatt, der Medardus Terbroich, der feinen Här von der Ringstraß, dä esu fromm is un su ville Milliöncher us singe Arbeiter rusquetscht, dat wor als früher ene heimtückische Grielächer. Meist wor ~er~ der Anführer, wenn et galt, mr ene Schabernack zu spille, un wenn hä dat Kreppchen glücklich eingerührt hatt’ und der Jupp un der Drickes woren als im Wasser, wofor die Bangbüx en Scheu hatt’, un ich kamen herangelaufen, ihn zu versolle, maacht der Medardus esu e spitz Gesicht und unschullige Äugelcher und säht seelenruhig: ›Sieh, Klaus, dort flüchtet das böse Gewissen. Ich hann et nit gedonn. Ich gonn fott.‹ Wupp, wor he weg.« Die Frau im Sessel lächelte. Sie hatte nur die Hälfte von der Erzählung gehört. Sie sah den wilden Jungen vor sich und horchte auf seine Stimme. »Haben Sie ihn denn nie verprügelt, den Joseph?« Der Alte lachte in sich hinein. »Ach Frau, de Jupp kannt’ ming schwache Seit’. Ich heißen doch Klaus Gülich. Un de Gülichs waren als kleine Leut’ bereits vor ville hundert Johr in Kölle. Un et is als arg lang her, do hät ein Nikolaus Gülich, ein Manufakturwarenhändler, Rebelljon in Kölle gemach’ un die vornehme Häuser plündere un Ratsherre verhafte und köppe lassen. Bis et Blättche sich gewandt hat un der Nikolaus Gülich sich attrapiere ließ. Op enem freie Platz, der danach der Gülichsplatz genannt worde is, is dann der große Verbrecher sälwer geköppt worde. Äwwer weil hä esu ’ne Berühmtheit gewesen is, hann die Kölner ihm en Säul’ op der Gülichsplatz gesetzt, obe dropp der affgeschlagene Kopp in Bronce. Un ich hann als noch en ahl Buch, dat is mr heilig wie die Bibel, denn dadrin steht et zu lesen: ›eine Säule zu des Ächters ewiger Schande mit einer Aufzählung der Untaten und Verbrechen desselben allda errichtet.‹ Dat Buch hann ich geerwt, un dat is e Glöck, denn als die Franzose nach Kölle kumme sin, die gerad ihre König geköppt hatte, wollten sie dat mit de Säul’ nit un hann se ömgestürzt, un de schöne Broncekopp, dä doch von rechtswege in der Familig hätt’ bleiwe müsse, is nach Paris gekumme. Un op den ahl Nikolaus Gülich bin ich ärg stolz gewesen, un der Jupp hät dat gewoß’, un nach jedem schläächte Uz is der Jupp gekumme und hät mich beim Händche genomme un gesagt: ›Flöck, Klaus, jetzt gonn mr op der Gülichsplatz. Da mußte mr von dingem Ahnherr verzälle. Ich kann et als garnich erwarte.‹ — Dä Nixnotz!« — »Und dann hat er in Bonn und Leipzig studiert,« nahm die Frau nach einer Weile das Gespräch auf, »Geschichte und deutsche Literatur, und ist der Doktor Joseph Otten geworden.« »Ja, ja ... Phantasie hät hä gehatt.« »Und überall in Deutschland hat er Vorträge gehalten, und überall war ein Aufsehen, weil er die Seele der Gedichte lebendig machen wollte über die Form.« »Dat verstonn ich nit.« »Vom Gedichte-Rezitieren kam er zum Lieder-Gesang. Den alten Singsang reformieren wollte er, die Töne wieder mit Gedanken füllen. Da hat er aufs neue studiert und studiert, bei den großen Meistern in Frankfurt und in Mailand, denn er mußte alles kennen lernen und ließ nicht ab, bis er alles kannte. Zehnmal soviel hat er gearbeitet als die anderen, und als es ihm gelungen war, nannten es die Trägen und die Gedankenlosen — Glück!« »Un wenn et so wör! Stolz is hä nit geworde, de Jupp, ene echte Köllsche Jung mit dem Härz op dem rechte Fleck is hä gebliwwe. Wie der ahl Otten gestorwe is un die Firma is opgelöst worde, da hät hä zuerst an mich gedacht. ›So, Klaus,‹ säht der Herr Doktor, ›jetz bis du minge Hausverwalter. Un wenn du nix zu donn häs, kannste de Fremden op dem Rhein erömgondeln. Den Nachen kannste behalten.‹ Nee, nee, nix op minge Jupp Otten.« Die Frau im Sessel beugte sich vor. Sie zählte die Glockenschläge. »Neun Uhr, Klaus. Jetzt halt’ ich’s nicht mehr aus.« Der Alte nahm seine Schiffermütze vom Riegel. »Bong. Ich gonn ens zum Lachner in de Obenmarspforten, nachkucke.« Da wurde heftig an der Hausschelle gezogen. Der alte Klaus hängte seine Mütze wieder an den Riegel. Die Frau war schon auf dem Hausflur. »Kind — — Kind — —,« brachte sie nur hervor, nahm das Mädchen bei der Hand und lief mit ihm die Treppe hinauf. »Mutter! Hör doch! Ich hab’ den Vater gesehen!« »Komm, komm — —!« Oben in ihrem Zimmer kniete sie vor der Kleinen nieder und nestelte ihr das Mäntelchen aus. »Mir solch eine Angst zu machen. Wegzubleiben. Ohne Erlaubnis ...« »Aber ich hab’ doch den Vater gesehen!« »Das konntest du doch gar nicht wissen, als du fortliefst. Ich hab’ dir doch nichts gesagt.« »Ja, weshalb hast du mir denn nichts gesagt?« »Weil der Vater dich überraschen wollte. Weil er sehen wollte, wie artig du seist. Ganz erfrorene Hände hast du und dazu die heißen Backen. Wo bist du denn nur gewesen?« »Am Gürzenich, den Vater sehen,« beharrte sie. »Aber doch nicht bis jetzt, Kind. Das ist doch schon so lange her.« »Dann sind der Laurenz Terbroich und ich auf der Hohestraße gewesen. Der Laurenz wollt’ mir die schönen Läden zeigen mit den Weihnachtsausstellungen.« »Herrgott, in dem Gewühl!« Und plötzlich schlang die Frau die Arme um die feingliedrige Kindergestalt. »Hast du denn gar nicht an deine Mutter gedacht, Carmen; gar nicht an deine Mutter?« »Du hatt’st ja den ganzen Tag keine Zeit für mich gehabt.« »Das ist meine Strafe,« murmelte die Frau, strich sich mit der Hand über die Augen und erhob sich. »Carmen,« sagte sie ruhig, »du wirst das nie wieder tun. Nie mir wieder Sorgen machen. Du bist doch mein großes, vernünftiges Mädchen und weißt, daß die Mutter dann allein ist. Ich will dir heute die Strafe erlassen. Aber nie wieder etwas tun, ohne daß die Mutter davon weiß. Ich hätte doppelt darunter zu leiden. Und nun schnell deinen Kakao. Und dann ins Bett.« Als die Mutter nach einer Weile mit der dampfenden Tasse aus der Küche hereinkam, saß die Kleine, die Arme aufgestemmt, am Tisch und baumelte mit den Beinen. »Du, Mutter, ich stand ganz vorn, als der Vater am Gürzenich vorfuhr. Er hat mich erkannt.« Die Tasse zitterte und klirrte ein wenig, als sie hingesetzt wurde. »Woher willst du das wissen ...?« »Er hat mir zugenickt und gelacht.« »Und — gelacht — —?« »Weil er sich so gefreut hat, mich zu sehen.« »Und — und gesprochen hat er nicht mit dir?« »Du, Mutter, er kam ja schon zu spät. Alle Leute waren schon drin im Saal. Hundert Wagen sind vorgefahren. Und die Leute waren so fein wie bei ’ner Hochzeit.« »Er kam zu spät,« wiederholte die Frau und atmete tief. »Ich wußte ja, daß er keine Zeit mehr gehabt hatte.« »Und so viele Leute standen vor dem Gürzenich, Mutter. Nur um den Vater zu sehen. Und als er hineinging, riefen sie alle: ›Guten Abend, Herr Doktor Otten!‹ Und da hat er wieder gelacht.« »Hat er wieder gelacht? So fröhlich war der Vater?« »›Guten Abend, Herr Doktor Otten,‹ riefen sie alle.« »Da warst du wohl stolz — —?« »Er war aber auch der schönste,« und sie aß das letzte Stück Zwieback. »Du eitler Narr,« sagte die Frau und fuhr dem Kind durch die schwarze Lockenfülle. Ihre Augen sahen in die Weite und trugen wieder den seltsamen Schimmer. — — »Mutter,« begann die Kleine aufs neue, »das ist aber doch nicht wahr?« »Was soll nicht wahr sein, Kind ...?« »Was der Laurenz gesagt hat.« »Und was hat der Laurenz gesagt?« »Er hat gefragt, und der Moritz war dabei: ›Ist denn der Herr Doktor Otten überhaupt dein Vater?‹« Die Frau fuhr zusammen. Ihre Gesichtszüge strafften sich. Sie tat sich Gewalt an, den furchtbaren Schrecken zu bemeistern. »Was — ist das? — Was führt ihr — für Gespräche?« »Der Laurenz hat gesagt: Künstler hätten nie richtige Frauen und daher auch keine richtigen Kinder.« »Und da — hast du mit dem ungezogenen Jungen noch gespielt — und bist mit ihm auf die Hohestraße gelaufen?« »Das war doch nachher. Vorher hab’ ich ihn gekratzt und ihn in die Haare gerissen.« »Und der Moritz —?« »Der hat mir geholfen.« »Da siehst du es,« sagte die Frau und zwang den erregten Atem. »Da siehst du es. Der Moritz ist älter und vernünftiger. Der hat seinen Vater lieb. Und wer seinen Vater lieb hat, der weiß überhaupt gar nichts anderes. Der würde sich schämen, auch nur im Scherz über seinen Vater zu sprechen. Und gar über deinen Vater ...« »Mutter,« rief die Kleine erschrocken, »ich hab’s ja auch gar nicht getan! Und der Laurenz hat sich nur geärgert, weil ich gesagt hab’, mein Vater wär’ mehr als der seine. Gelt, Mutter, das ist er auch?« »Ach, du!« stieß die Frau hervor, griff mit beiden Händen den Kopf des Kindes und preßte ihn gegen ihre Brust. Die Kleine lag ganz ruhig. Sie fühlte sich wohl an der weichen, schwellenden Mutterbrust, in der es so geheimnisvoll klopfte und pochte. Und der kühle Seidenstoff schmeichelte ihrer Wange. »Wie schön bist du, Mutter. Weshalb hast du dich so schön gemacht?« »Weil der Vater kommt.« »Dann mußt du mich aber auch schön machen.« »O, du liebe Eitelkeit, ich bring’ dich jetzt ins Bett.« »Wird der Vater denn an mein Bett kommen?« »Gewiß, gewiß, er wird an dein Bett kommen.« »Dann mußt du mir aber ein frisches Nachtkleid anziehen. Und die rote Schleife ins Haar!« »Willst du dann aber auch einschlafen?« »Wenn ich kann — —.« »Ich hol’ es dir herunter. Lauf in die Küche und zieh dich aus. Dort ist es wärmer. Ich werde dich schnell noch waschen. Aber ganz schnell, damit der Vater uns nicht überrascht.« »Ich muß ihr heute den Willen tun,« beruhigte sie sich, als sie in der Giebelstube das neue Nachtkleidchen hervorholte, und eine feine Röte kam und ging auf ihrem Gesicht. »Ich mach’ es ja selbst nicht besser ...« Carmen stand bereits ausgezogen vor einer kleinen Blechwanne, die sie voll Wasser gefüllt hatte. Die Tropfen spritzten um ihre schlanken, gelenkigen Glieder. »Du brauchst mir nicht zu helfen, Mutter, ich bin schon fertig.« »Ich reib’ dich ab. Du bist ein Leichtsinn.« Sie hüllte den schauernden Kinderkörper in ein Badetuch, hob ihr Kleid, als sie auf einem Vorlegeteppich niederkniete, und rieb die Kleine trocken. Durch das Tuch spürte sie bald die Wärme der Glieder. Da warf sie das Tuch beiseite, zog mit einer heftigen Bewegung das zappelnde Kind an sich und bedeckte es mit Küssen. »Was ist das nur,« schoß es ihr durch den Sinn, »daß man sein Kind so lieb hat? Ist es das Kind selbst? Oder ist es der Vater —?« »Abmarschiert,« sagte sie und schloß den Knopf des Nachtkleidchens. »Noch die rote Schleife, Mutter.« »Schön, auch noch die Schleife.« »Der Klaus soll mich herauftragen.« »Kind, jetzt gibst du Ruhe. Du mußt den Abend nicht so ausnutzen.« »Aber wenn der Klaus mich heraufträgt, schlaf’ ich auch schneller ein.« »Versprichst du mir das?« »Ja — — er soll mir nur noch eine Geschichte erzählen.« Sie ging zur Tür. »Nur damit der Joseph alles in Ordnung findet,« gestand sie sich. Und sie rief in den Hausflur hinab: »Klaus — Klaus, sind Sie noch auf?« »Wat sall et sinn, jung’ Frau?« scholl es herauf. »Klaus, die Carmen will sich nur von Ihnen ins Bett bringen lassen.« »Op der Stell’ kommen ich.« Der Alte kam steifbeinig die Treppe herauf: »Wo is dat Mamsellchen?« »Hier!« rief die Kleine und stellte sich in Positur. »Donnerlütsch,« wunderte sich der Alte und schlug die Hände zusammen, »dat is doch nit uns’ Carmche, dat is doch e Engelche!« »Gelt, Klaus? Schön?« »Es ist ein unartiges Engelchen, Klaus, und quält seine Mutter. Bringen Sie sie schnell fort.« »Na denn allong.« »Huckepack!« befahl die Kleine, und der Alte bog schmunzelnd den steifen Nacken und ließ sie aufsitzen. Doch plötzlich warf sich das Mädchen so jäh herum, daß der Alte nur mit Mühe die Beine erwischen und an sich drücken konnte. »Mutter! Gute Nacht, Mutter!« Sie umschlang sie und küßte sie stürmisch. Auf die Augen, auf den Mund, auf die Seide, die sich über ihrer Brust spannte. »Du! Liebe, Liebe, Liebe!« Und aufjauchzend ließ sie sich die Treppe hinauftragen. »Erzählen!« befahl sie und streckte sich in ihrem Bettchen. Und der alte Klaus setzte sich geduldig auf den Bettrand und begann: »Es waren einmal ein klein, nackig Engelchen —« »Das ist doch eine Kleinkindergeschichte. Schäm dich doch, Klaus.« »— und das klein, nackig Engelchen sagten zu einem alten Mann: Hä sall sich jet schamen. Als das aber der liebe Gott hörten, da sagten der liebe Gott: Pfui Deuwel!« »Das ist nicht wahr. Der liebe Gott nimmt den Namen des Teufels nicht in den Mund.« »För gewöhnlich maag dat sing Richtigkeit hann. Äwwer wenn der leewe Gott ens in Wut kütt wegen Ongezogenheiten von singe Menschekinder, dann säht hä dat Schläächteste, wat hä kennt, un dann säht hä: Pfui Deuwel!« Die Kleine hatte sich den Schluß des pädagogischen Vortrags geschenkt. Sie war eingeschlafen. Und unten in ihrem Zimmer stand die Hausfrau, erregt noch immer von den ungestümen Liebkosungen des Mädchens, erregter noch von dem, was es gesagt hatte. »Sie wird es morgen vergessen haben,« murmelte sie. »In ihrem Alter verwischen sich Eindrücke schnell. Aber sie wächst heran — —« Durch die geöffnete Tür sah sie in das geschmückte Speisezimmer, auf das unbekümmerte Männerbildnis. Die brautweiße Seide an ihrem Körper knisterte, als sie den Kopf hob. »Komm bald, Joseph — —« — — =III= Es klingelte leise. Kaum, daß die Glocke anschlug. Der Ton konnte nicht bis zum alten Klaus in die Giebelstube gedrungen sein, und um das Kind durch Abrufung des Alten nicht zu ermuntern, ging Frau Maria Otten selbst, die Türe zu öffnen. Mit abgezogenem Hütchen wartete Moritz Lachner draußen. »Nun, Moritz — so spät noch?« »Der Herr Doktor schickt mich —« »Wir wollen nach oben gehen,« sagte sie. »Es ist kalt an der Haustüre.« Und sie ging voran. Eine Botschaft Josephs mochte sie nicht zwischen Tür und Angel verhandeln. Moritz Lachner folgte ihr respektvoll. Der Mutter Carmens brachte er heiße Bewunderung entgegen. Und diese Bewunderung war wie eine heilige Verehrung, als er hinter der großen Frauengestalt herschritt, der der weiße Brokatstoff ein so feierliches Ansehen schuf. Nur seine Mutter hatte er so verehrt, die, als sie noch lebte, tagaus, tagein in dem einzigen hellen Zimmer gesessen hatte, das die Trödel- und Maskengarderobelager des väterlichen Geschäftes übrig gelassen hatten, den Blick auf eine Stickerei gerichtet und nur schnell und freudig aufschauend, wenn der Sohn ins Zimmer trat. Seit sie gestorben war, wie eine arme zitternde Zimmerpalme, gehörte seine leidenschaftliche Frauenverehrung der ruhigen, selbstsicheren Frau in Joseph Ottens Haus. Nicht zuletzt, weil es Joseph Ottens Haus war. Alles Eigene, Freie und Kühne lockte seine scheue Seele. »Der Herr Doktor hat dir einen Auftrag gegeben?« sagte Frau Maria und setzte sich in ihren Arbeitssessel. »Warst du denn im Konzert, Moritz?« »Ich habe draußen gewartet, bis es aus war.« »Zwei Stunden in der Kälte? Du bist ein Schwärmer, Moritz.« Der Knabe freute sich des freundlichen Tons. Er errötete und drehte sein Hütchen. »Nun?« »Der Herr Doktor kam wenige Minuten nach den anderen. Der Herr Terbroich war bei ihm und der geistliche Herr, der Herr Professor Koch. Als er mich stehen sah, rief er mich heran. Er hat mich sofort erkannt,« fügte er stolz hinzu. »›Das ist doch des Lachners Moritz,‹ meinte der Herr Doktor, und ich könnte ihm wohl einen Gefallen tun und schnell hierherspringen und bestellen: Der Herr Doktor würde in einem Stündchen hier sein. Er müßte nur eben noch ins Domhotel. Und ich möchte ihm den Hausschlüssel hinbringen.« Frau Maria hatte ruhig zugehört. Sie nahm den Schlüsselbund vom Tisch und nestelte den Schlüssel los. »Es war nett von dir, Moritz, daß du dir die Mühe gemacht hast. Warte. Du bekommst ein Glas Portwein, das macht dich wieder warm.« »Es war keine Mühe,« stotterte der Junge. »Wirklich nicht.« Ihm wurde glühend heiß, als er den Wein trank. Aber daß es nicht vom Wein kam, das wußte er besser. Er machte eine Verbeugung, bedankte sich und ging mit dem Schlüssel zur Tür. Mit einem Gefühl, als wäre ihm der Schlüssel zum Herzen dieser Leute zum Geschenk gegeben worden. Sie reichte ihm freundlich die Hand. »Grüß den Herrn Doktor schön.« »So was!« sagte Frau Maria, als sie das Zuklappen der Haustür vernommen hatte. »Nun läßt er sich auch noch verführen. Ein Stündchen ... Und er hält Wort. Aber« — sie schüttelte den Kopf — »aber sie werden ihn mit einem Stündchen nicht loslassen, sie werden einfach mitkommen, ich weiß das ja von früher ...« Sie zog die Augenbrauen zusammen. Nur einen Augenblick lang, und sie schüttelte die kurze Verstimmung ab. »Es ist ja doch nur die Wiedersehensfreude. Die anderen wollen auch ihr Teil. Der Joseph gehört vielen.« »Vielen — —?« Nun lachte sie ganz leise in sich hinein. »Sie sollen alle kommen.« Die Hausfrau regte sich in ihr. Sie ging ins Speisezimmer und musterte den Tisch. Zwei Gedecke lagen aus. »Ich werde also verzichten und noch ein drittes Gedeck hinzufügen. Joseph — Terbroich — und Professor Koch.« Sie traf die Anordnungen und war befriedigt, daß die Delikatessen reichten. »Es sind verwöhnte Zungen, die Kölner.« In der Küche stellte sie noch ein paar Flaschen kalt. Dann lauschte sie hinaus. Der alte Klaus kam von oben. »Hat es so lange gedauert?« fragte sie mitleidig. »Ratsch, war sie eingeschlafen,« berichtete der Alte und klappte sich mit dem Handrücken gegen den gähnenden Mund. »Aber et Schlafen sticht an. Ich hann gedrömelt.« »Gehen Sie schnell zu Bett, Klaus. Der Herr hat sich den Hausschlüssel holen lassen.« »Dat wor ene kloge Gedanke,« lobte der Alte mit dem Egoismus des Siebzigers. »Zwei Jahr — oder zwei Jahr un eine Dag — dat macht beim Wiedersehen nix aus. Schlaft wohl, Frau.« Und er stapfte zufrieden die Treppe hinunter und suchte sein Lager. »Nun schläft alles,« dachte Frau Maria, als sie wieder vor ihrem Arbeitstischchen saß. »Nur ich wache im Hause. Und so wird er mich, als was er mich zurückließ, als Wächterin des Hauses, auch bei der Heimkehr wiederfinden.« Einige Male klapperten noch Schritte Vorübereilender über die Rheingasse. Dann wurde es still. Aber die Frau am Arbeitstischchen ließ sich durch die Stille nicht zu Träumereien verlocken. Sie hatte das Schulkleid des Kindes über den Schoß gebreitet und nähte die zerzausten Schleifen fest. Nun lauschte sie ... Vom Heumarkt her kamen Schritte. Männerstimmen klangen durch die Luft. Ein Lachen flog voraus. — Da packte sie das Kleidchen weg und erhob sich. Und mit einem Male kam eine grenzenlose Befangenheit über sie, daß sie aus großen, bangenden Augen ziellos um sich blickte, daß ihr Lächeln eine Sekunde lang wie ein Weinen wurde und die Kehle sich zuschnüren wollte. Unten drehte sich der Schlüssel im Schloß. Schritte von Männern auf der Treppe. Einer den anderen in großen Sätzen vorauf. Die Türe zu ihrem Zimmer öffnete sich, schloß sich sofort. »Joseph — —!« schrie sie auf. — — Er hielt sie fest. Der Schlapphut war ihm abgefallen, der Mantel von der Schulter gerutscht. Der Siegesübermut schwand. Eine mächtige Bewegung ging durch den Mann. Und sie preßte den Kopf gegen seinen Arm und fühlte wie eine Erlösung, daß Lachen und Weinen sich befreit hatten in dem einen Aufschrei: Joseph! — »Bist arg böse?« fragte er. — »Hast auf mich geschimpft?« Sie hob den Kopf, um zu sprechen. »Herr Gott noch mal,« murmelte er und preßte seine Lippen auf die ihren. — — Von draußen pochte es an die Tür. Sie überhörten es. Dann pochte es lauter. »Soll ich sie herausschmeißen, Maria?« »Ach, du —!« verwies sie ihn. »Na, ja. Ich hab’ sie mitgenommen. Könnt hereinkommen!« rief er und zog die Taschenuhr. »Eine halbe Stunde. Dann bitt’ ich mir Feierabend aus.« »Das langt nicht,« rief Medardus Terbroich von der Türschwelle zurück. »Eine Stunde fällt wohl noch ab.« Joseph Otten sah Maria an. Die nickte ihm zu. »Also eine Stunde! Oder ich mach’ von meinem Hausrecht Gebrauch. Klebpflaster — —« »Verzeihen Sie, Frau Otten,« sagte der zweite der Herren und schüttelte die Hand, die sich ihm entgegenstreckte. »Ich wär’ nicht so unhöflich gewesen, Ihnen zu so später Stunde Unruhe ins Haus zu tragen. Aber da Medardus nicht abließ, dacht’ ich: geh mit und üb dich in der Christenpflicht, ihn zu gegebener Zeit nach Hause zu schaffen.« »Guten Abend, Hochwürden.« »Wirklich, Frau Otten, das sollte zwischen uns doch überflüssig sein.« »Also guten Abend, Herr Professor. Und guten Abend, Herr Terbroich.« »Guten Abend, Frau Otten. Und was der Heinrich Koch vorhin von Christenpflicht und Nachhauseschaffen zu äußern geruhte — ja, wenn ich nicht die felsenfeste Überzeugung hätte, daß ein geistlicher Herr überhaupt nicht lügen könnte —« Joseph Otten fuhr sich durchs Haar. Und Frau Maria öffnete die Tür zum Speisezimmer. »Wollen Sie nicht näher treten, meine Herren. Sie sehen, ich habe auf Sie gerechnet.« Medardus Terbroich strich sich seinen eleganten Schnurr- und Spitzbart. »Alle Wetter, Sie haben auf uns gerechnet? Zu viel Güte, Frau Otten.« Und er verbeugte sich. »Du scheinst das wirklich als ein Kompliment zu nehmen, daß die verehrte Hausfrau auf dich gerechnet hat, mein lieber Medardus,« lachte Koch heiter. »Sollte sie dich nicht vielmehr erkannt haben?« »Meinst du? — Die Kirche hat natürlich überall Freitisch.« »Überall? — Ich werde mich morgen zu ~dir~ zum Essen einladen. — Sehen Sie doch, wie er die Farbe wechselt!« Joseph Otten war durch die Zimmer geschritten. Er fühlte sich zu Hause, sofort, und das dankte er Maria. Ein wohliges Gefühl durchrann ihn, fast wie ein Geborgensein. Bei ihr! Wieder einmal bei ihr. Nein — ~endlich~ wieder bei ihr ... Er wandte sich. »Zu Tisch!« rief er. »Die Stunde vergeht, und ohne Salz und Brot will ich euch nicht heimsenden. Was! Da sind ja nur ~drei~ Gedecke —« »Ich hab’ schon mit dem Kind gegessen,« flüsterte sie ihm zu. »Und willst uns jetzt allein lassen?« Er verstand sie. ›Es dauert nicht lange,‹ sagte sein Blick. ›Verzeih mir. Ich war ein Dummkopf!‹ Und dies stumme Geständnis tat ihr wohl. »Guten Abend, meine Herren.« »Was? Sie wollen uns verlassen?« »Ich komme wieder, wenn Sie gespeist haben. Ich möchte nur Carmens Schularbeiten begutachten.« »Ich kann Ihnen das nicht verdenken, Frau Otten. Unseren guten Medardus eine Klinge schlagen zu sehen, dazu gehört ein tapferes Herz.« Joseph Otten hatte die Gläser gefüllt. Er nahm sein Glas und hob es gegen Maria. Wortlos. Und trank es in durstigem Zuge aus. — Die Herren waren allein. »Hochwürdiger Heinrich,« meinte Terbroich spitz, »du könntest deine Witze vor — nun, vor einer Dame doch wohl unterlassen.« Er hielt eine Gänseleberpastete dicht vor die Augen und nahm die Hälfte. »Mein lieber Medardus,« erwiderte Koch milde, »du übersiehst, daß du selber den schlechtesten Witz machst.« »Ich —? Wieso?« »Allein dadurch, daß du hier bist.« Terbroich wollte heftig entgegnen, bezwang sich aber und fand die Pastete großartig. »Ohne die Empfindungen des hochwürdigen Herrn Professors zu verletzen, bitte ich um ein Glas Rauentaler. Ah — — der hat Blume, der hat Bukett. Der ist würdig, auf Kölns siegreichen Sohn getrunken zu werden. Auf unsere heilige Jugendfreundschaft, die uns ewig treu bleiben soll, auf die Freude, ihn, unseren Besten, wieder unter uns zu haben und uns in seinem Ruhme zu sonnen: Prosit!« »Mensch,« sagte Koch bewundernd, »das hast du heraus. Wenn deine Besuche doch auch so kurz wären wie deine Toaste.« »Bin ich dir vielleicht schon einmal lästig gefallen?« »Einmal? Nein, du Unschuld vom Lande. Zweimal warst du erst in Rom bei mir.« »Ja,« lachte Otten, »anhänglich bist du. Ich kann in Paris singen oder in London, in Berlin, in Brüssel oder Mailand — ganz egal, wenn den Medardus eine Geschäftsreise hinführt, er logiert sich bei mir ein. ›Was willst du mit zwei Hotelzimmern?‹ sagt er dann, und sein Zug geht immer eine Stunde vor dem meinen.« »Dafür besoldet er aber auch die billigsten Geschäftsreisenden,« lobte Koch. »Einer seiner jungen Leute — na, ich bin ja kein Beichtiger mehr — hat’s mir mal privatim geklagt. ›Wir können uns noch so krumm legen, der Herr Terbroich gebraucht noch weniger auf der Tour.‹ Mein Sohn, antwortete ich ihm, ich will dir das Geheimnis künden. Schaffe dir in jeder Stadt einen gastfreien Bekannten an, lasse dich nie einladen, sondern lade dich selber ein, hör nur das ›Guten Tag‹ und nie das ›Adieu‹ und — halte zur Revanche den Daumen auf den Beutel. Also aber wirst du ein hochvermögender Kaufmann, ein zweiter Medardus.« »Lieber Heinrich,« meinte Terbroich und ließ sich den Kaviar reichen, »ich will dir nicht zu nahe treten, aber aus dir spricht der Neid des geistlichen Herrn, dem die guten Bekannten fehlen.« »Ich habe keine guten Bekannten,« sagte Koch, »ich habe Freunde. Prost, Joseph, alter Waffenbruder, heut hast du gesungen, nein, Lieder zum Leben erweckt, daß mir das Herz noch jetzt erbebt, und ich selbst diesem wackeren Medardus seine Lebenskunst verzeihe.« »Prost, Heinrich. Das macht mich stolz.« »Geschimpft haben ja auch einige,« berichtete Terbroich. »Das wäre kein Singen, das wäre Deklamieren. Aber ich habe ihnen geantwortet: Das ist die moderne Kunst, meine Herrschaften, die in der großen Welt den Ton angibt, und vor meinem Freunde Joseph Otten liegen selbst die Damen der höchsten Aristokratie auf den Knien.« »Das hat dir wohl mehr imponiert als mein Singen.« »Ehrlich gestanden: ja. Es muß doch ein wohltuendes Gefühl sein, zu wissen: ich brauche nur den Handschuh zu werfen. Prost, Joseph. Laß mich in deinem Schatten fechten.« Heinrich Koch drehte ihm den breiten Rücken zu. Er strich über fein rasiertes Gesicht und sann vor sich hin. »Wie du die ›Grenadiere‹ sangst — mir war, als säh’ ich sie vor mir hermarschieren, mit verbundenen Wunden und blutendem Herzen. Und mit ihnen eine ganze Epoche. Das wuchs und wuchs und wurde greifbar und faßbar. Und wie hast du die ›Wallfahrt nach Kevlaar‹ gesungen. Ich bin trotz meiner Weihen nicht so fromm wie der Medardus. Aber als du die ›Wallfahrt‹ anhobst — mitten im Zuge bin ich gegangen und andächtig hab’ ich mitgesungen: Gelobt seist du, Maria ...« Otten gab ihm die Hand. »Wir verstehen uns noch immer.« »~Und~ immer, Joseph.« Terbroich war ein wenig trinkselig geworden. »Erzähl, Joseph, erzähl doch. Wieviel Male hast du das gesungen: Gelobt seist du, Maria? Im weltlichen Sinne natürlich. Alles zu seiner Zeit, und hier sind wir unter uns.« Otten sah mit glänzenden Augen über den Tisch. »Ach ja, das Leben ist schön. Wundervoll die Ausfahrt und selig die Heimkehr. Was dazwischen liegt — geht dich nichts an.« »Dann erzähl von der seligen Heimkehr.« »Ich vergönne dir noch das letzte Glas.« »Jawoll, damit du wieder vergleichenderweise singen kannst: Gelobt seist du, Maria. In jeder Stadt, in jeder Stadt. Selbst in Köln. Joseph, du hast Geschmack.« Joseph Otten erhob sich. »Das einzige, was mich immer wieder an dir interessiert, ist deine gewöhnliche Gesinnung.« Frau Maria war ins Zimmer getreten. »Frau Otten,« rief Terbroich und hob sein Glas, »Sie beide haben es gut. Trennung und Brautstand, Brautstand und Trennung! Das hält jung und neu!« »Die Herren wollen sich verabschieden, Maria,« sagte Otten und zuckte mit keiner Miene. »Medardus ist bereits in Abschiedsstimmung. Heinrich, du bringst ihn wohl nach Hause. Ich danke dir und weiß es zu schätzen. Ich bin so wonnig müde, wie ich es nur als Junge war.« — — Er hatte seine Gäste zur Haustür begleitet und kehrte zurück. Langsam Stufe für Stufe. Als müßte er sich zu dem Alleinsein mit der Frau, die ihn dort oben seit zwei Jahren erwartete, sammeln, als müßte er ihr jetzt — und ihr allein — den Erwarteten heimbringen. Sie stand im Zimmer und sah ihm entgegen. Und auch er stand und nahm das Bild in sich auf. Einer suchte in den Zügen des anderen die Erinnerung und ihre Versprechungen ... Joseph Ottens Brust weitete sich. Er hob die Hände und trat einen Schritt vorwärts. Da war sie bei ihm und legte ihre Hände in die seinen. Auge in Auge standen sich die beiden Menschen gegenüber, daß sich ihre Stirnen fast berührten. Und beide sahen, daß ihre Lippen zitterten. »Küß du mich zuerst,« sagte er leise, »das ist wie eine Vergebung aller Sünden.« Da löste sie ihre Hände aus den seinen, legte sie ihm um den Kopf und küßte ihn lange auf den Mund. »Nun bist du zu Hause, Joseph.« »Ich danke dir,« sagte er erschüttert. »Du machst es mir immer wieder leicht.« »Ich tu’ nichts, als dich erkennen, Joseph.« »Aber diese Erkenntnis schmerzt dich auf die Dauer.« »Wer ein größeres Glück genießt als andere, muß auch größere Schmerzen ertragen können.« »Ob es ein großes Glück für dich ist? Ich ruchloser Mensch?« »Ja!« rief sie heftig, »ja, ja! Zweifle nicht daran! Und nun bist du hier — —« Er trat einen Schritt zurück. Er hielt sie an den Armen und betrachtete sie staunend. Die hohe, volle Gestalt, den weißen Hals und den dunklen Kopf, den Ernst auf der Stirn und die Freude in ihren Augen. »Bist du gewachsen, Maria?« »Nein, nein.« »Aber schöner geworden, noch schöner.« Sie schüttelte den Kopf. »Es scheint dir nur so. Es ist das Kleid.« »Das Kleid — sieh da, das Kleid. Du bewahrst alles treu im Sinn. Selbst Nebensächliches, wenn es mich freute.« »Deine Freude ist doch nichts Nebensächliches für mich.« »Wie wohl das tut, dich anzusehen — —« »Nicht so —« »~Doch~ so!« Kaum vermochte sie zu atmen, so fest hatte er sie an sich gezogen. Aber sie rührte sich nicht an seiner Brust. Sie lag ganz still, als läge sie so Abend für Abend. Und schloß die Augen vor seinen Liebkosungen. »Bist du müde?« fragte er. Sie verneinte lächelnd. »Aber du wirst müde sein. Die lange Fahrt, das Konzert, die Freunde —« »Ich werde dir alles erzählen.« »Morgen. Ein andermal. Du bist jetzt müde.« »Ach du,« sagte er, »diese selige Müdigkeit.« Den Arm um sie gelegt, wanderte er mit ihr durch das Gemach, trat er mit ihr in das Nebenzimmer. »Hier hast du gesessen,« sagte er und stand vor ihrem Sessel still, »und auf mich gewartet. Wie oft hab’ ich dich, wenn ich herdachte, hier sitzen sehen. Immer wollte ich eine Pause machen, immer mir Urlaub geben und ihn bei dir verbringen. Aber das rebellische Blut jagte mich immer wieder in den Strudel ... Setz dich hin,« bat er und zog den Sessel heran, »so wie du all die Tage gesessen hast. Du sollst spüren, daß es heute anders ist. Nein, nein, ich will mich auf den Teppich legen, mich recken und strecken, den Kopf in deinem lieben Schoß. Weshalb vergönne ich mir das so selten ... ich bin selber mein größter Feind.« Sie beugte sich zu ihm nieder und legte ihm ihre kühle Hand auf die Augen. »Joseph, hör mich einmal an. Wenn du dich anklagst, um mich zu trösten — das brauchst du wirklich nicht. Ich gehöre dir doch nun schon zwölf Jahre. Meinst du denn, ich wäre in dieser langen Zeit so klein geblieben, daß ich nicht einen Unterschied zu machen verstände zwischen dir und anderen Männern, die Frauen haben? Ich bin mit sehenden Augen in mein — ja, in mein Glück gegangen. Denn wenn ich alles überdenke und vergleiche, so ist es mein Glück. Ich hätte nie einen anderen Mann liebhaben können als dich. Schön, wenn du es hören willst: andere Männer mögen mehr Tugenden haben, was man so Tugenden nennt. Aber dafür sind sie auch nicht — der Joseph Otten. Sieh, das verstehe ich. Und weil du der Joseph Otten bist, da muß ich wohl auch — deine Fehler liebhaben.« »Ich fürchte, es wird außer den Fehlern nicht viel bleiben, Maria.« »Das laß meine Sorge sein. Menschen, die eine Mission haben, können keine Alltagsmenschen sein, und daran halte ich fest, wenn sich die Fehler zu häufen scheinen. Du gehörst der Welt.« »Mit meiner Kunst! Aber nicht mit meinem Menschen. Das ist es ja gerade.« »Als ob ihr das trennen könntet.« »Ich kann’s nicht, Maria. Und die, die draußen um mich herum sind, wollen’s noch weniger.« »Deshalb bleibe ich ja doch, was ich bin, Joseph.« »Was bleibst du?! Der Hafen für das vom Sturm zerpflückte Schiff. Die Krankenstube für den zerzausten Soldaten.« »Wenn es Soldaten geben soll, muß es auch Krankenschwestern geben.« »Soldaten und Künstler sollten keine Frauen an sich ketten.« »Doch, Joseph. Sie müssen einen Hafen wissen, in dem sie von ihren Wunden genesen können, um — neue Kräfte zu neuer Ausfahrt zu sammeln.« »Du glaubst also nicht an mein Bleiben?« »Nein, Joseph,« sagte sie und sah mit einem tapferen Lächeln in sein verfinstertes Gesicht. »Daß du jetzt, wo du müde bist, den ehrlichen Wunsch hast, daran glaube ich. Aber eines Tages — ja eines Tages würde ich dich selber fortschicken müssen, um dich — zu behalten.« »So einer bin ich?« spottete Otten bitter. »Gott sei Dank, so einer bist du, Joseph.« »Und daß du mehr gibst als ich, das ist dir einerlei? Daß ich das Reisegeld, das du mir auf den Weg gibst, draußen vertue, verjubele — ach, ich darf gar nicht daran denken.« »Komm nur oft heim. Damit du dich überzeugst, daß ich noch viel mehr Reisegeld habe.« Joseph Otten bewegte sich nicht. Nur daß er den Kopf plötzlich fester in ihren Schoß drückte. »Heimkehr!« dachte er. »Das ist Heimkehr.« Und dann begann er seinen Gedanken Worte zu geben. »Ja, wahrhaftig, der Hafen. Solange das Schifflein munter auf den Wellen schwimmt, träumt man von der lachenden Ferne und winkenden Abenteuern. Vergessen, was dahinten ist; willkommen, was vorauf ist. Und das Schifflein treibt sich in allen Zonen, in allen Gewässern umher, immer lustig, immer im Segel jeden Wind, bis es eines Tages bemerkt, daß die Schnelligkeit nachläßt, und in einer windstillen Stunde konstatiert wird, daß auf den fröhlichen Fahrten in aller Herren Länder Schmarotzer sich an den Schiffsboden angesetzt haben, fressende Muscheln, saugender Tang, Schmutz und Getier jeder Gattung, das auf fremde Kosten lebt und das Schifflein langsam niederzieht. Hoho, sagt der Kapitän, wo ist der beste Hafen, wir müssen mal wieder ins Dock. Und auf einmal besinnt er sich auf die Heimat. Wenn sie zu sonst nichts taugt, zum Reparieren des alten Kastens, zum Putzen und Scheuern taugt sie am besten. Denn die Heimat ist wie eine Mutter, und Mütter haben den Sinn für Reinlichkeit. Hier bin ich, Maria.« Sie strich durch sein Haar, hin und her. Er war bei ihr. »Es wird grau, Maria.« »Es ist so blond und eigensinnig wie bisher.« »Nein, nein, die grauen mehren sich. In der letzten Zeit. Und das erinnert mich daran, daß ich müde bin.« Sie hob seinen Kopf von ihrem Schoß. Wie ein Kind ließ es sich der große Mann gefallen. »Komm, Joseph.« »Maria, daß ich die beiden mit ins Haus brachte! Von Heinrich Koch will ich schweigen, der tat’s aus Hilfsbereitschaft, weil ich den Terbroich nicht abschütteln konnte. Der hatte sich noch kurz vor der Hafeneinfahrt fest an den Schiffsboden gesaugt. Und daß ich dich vor dem Konzert nicht sah! Man ließ mich in Frankfurt nicht los, und mir machte das Festgehaltenwerden mal wieder Spaß. So sehr bin ich verwildert. Und dann freute es mich, daß du mich zuerst im Konzertsaal wiedersehen solltest. Das aber — das mußt du mir besonders verzeihen. Es war beschämend zu glauben, ich müßte dich neu erobern. Für dich beschämend.« »Hast du die Kleine wiedererkannt, Joseph?« »Carmen?« Er sprang auf. »Du! Du hattest sie mir geschickt?« »Sie war ohne Erlaubnis hingelaufen. Ich war heute wohl zu sehr Frau und zu wenig Mutter. Da war sie unbeaufsichtigt.« »Vorne in der ersten Reihe stand sie. Als ich vorbeilief — ich mußte mich sputen — war’s mir gerade, als hätt’ ich einen Sonnenstrahl verspürt. So warm flitzte mir etwas durchs Blut und zwang mich, mich noch einmal umzusehen. Da stand das Kind ...!« »Wollen wir zu ihm?« Er atmete tief. »Ja,« sagte er leise und lachte in sich hinein. »Es wird immer schöner.« Behutsam gingen sie die Stiege hinauf. Frau Maria hatte die Lichter gelöscht und trug die Flurlampe. Er hatte den Arm um ihren Leib gelegt. Und so traten sie an das Bett des schlafenden Mädchens. »Es ist fast ein Fräulein geworden,« sagte er nach einer Weile. »Sie ist nicht leicht zu erziehen,« erwiderte sie, »aber es ist Blut in ihr.« »Sonderbar, wie sie dir gleicht. Das Haar, die Züge. Das freut mich am meisten.« »Sie ähnelt mir nur, wenn sie in Ruhe ist. Sobald sie lebhaft wird und erzählt, gleicht sie dir, daß es mich oft schon durchzuckt hat.« »Vor Schreck?« »Psst —! Sie bewegt sich. Das Licht blendet sie.« Und sie stellte die Lampe auf den Tisch und kehrte zurück. Rechts stand der Vater über das Bett des Kindes gebeugt, links die Mutter. Ihre Atemzüge wurden eins. »Willst du sehen, wie lang der Schlingel geworden ist?« flüsterte Frau Maria. Er nickte. Und sie schlug die Decke zurück. Die Kleine verschränkte die Hände hinter dem Kopf, bäumte sich ein wenig, suchte mit den Füßen und schlief weiter. Das Nachtkleid hatte sich zusammengerollt, und lang und schlank streckten sich die weißen Schenkel. Joseph Otten bewegte die Lippen. »Gibt es etwas Rührenderes?« »Ich will täglich beten, daß sie so rührend bleibt,« sagte Frau Maria leise. »Fürchtest du ihretwegen? Ich fragte dich vorhin schon.« »Noch nicht, und doch — schon. Sie ist ihren Jahren voraus und hat eine Liebe für das Außergewöhnliche.« »Meine Tochter — —,« meinte Joseph Otten, und es war ein sonderbarer Tonfall in seiner Stimme. Dann beugte er sich schnell nieder und drückte einen Kuß auf jedes Kinderbeinchen. Frau Maria breitete sacht die Decke über die Schlafende. »Maria,« begann Otten und stockte. »Sprich, Joseph.« »Je länger du die Meine bist, Maria, umsomehr habe ich dir zu danken. Das Konto schwillt von Jahr zu Jahr. Du willst nicht, daß ich davon spreche. Weil wir erwachsene Menschen waren, als wir den Lebensweg miteinander begannen, und jeder wußte, was der andere dazu mitbringen würde. Ich spreche also nicht davon. Aber wenn du einen Dank verdienen willst, der über alles hinausgeht, Maria, dann behüte mir die dort, Maria. Und sollte ich einmal Schiffbruch leiden, rette mir nichts als das Kind.« »Von mir aus soll nichts versäumt werden, Joseph. Ich verspreche es dir.« Er drückte ihre Hand. »Hast du einen Wunsch? Ich möchte dir etwas so ganz, ganz besonders Liebes tun. In dieser Stunde mehr als je. Hast du einen Wunsch?« Sie sah ihn an, schüttelte den Kopf und umschlang ihn. »Du weinst — —?« Sie hob ihm ihr Gesicht zu und zeigte ihm ihre Augen. »Diese lieben, sehnsüchtigen Frauenaugen,« sagte er. »Ich werde wieder lernen, darin zu lesen —.« »Tu das, Joseph.« Sie nahm das Licht und wartete. »Ist unser Schlafzimmer immer noch hier oben?« »Es ist alles an seinem Platz geblieben, während du fort warst. Selbst der alte Klaus.« »Der alte — Klaus? Auch der noch treu? Und ich —?« »Bleibe du dir selber treu, Joseph. Und wir hier — bleiben es für dich.« »Menschenkinder, wie schön ist es zu Haus —!« Sie nahm leise seine Hand, und wie träumend schritt er neben ihr her in ihr gemeinsames Zimmer. =IV= »Carmen — —! Carmen!« Frau Maria, im weichen Morgenrock, rüttelte lachend das Kind. »Siebenschläfer, willst du denn heute gar nicht aufstehen? Es eilt nicht mit der Schule? Und der Vater? Willst du auch nicht den Vater begrüßen? Der wird aber einen schönen Begriff von seiner Tochter bekommen.« Das Mädchen saß aufrecht im Bett. »Der — Vater?« Verwundert rieb es sich die Augen, besann sich, warf die Decke zurück und sprang aus dem Bett. »Der Vater ist da?« jubilierte es. »Schnell, Mutter, bring mich zu ihm!« »Erst den Schlaf aus den Augen waschen. Frisieren und fix und fertig anziehen. Der Vater soll doch sehen, was für ein Fräulein seine Tochter geworden ist.« »Mutter, das dauert so lange. Gelt, du hilfst mir schnell.« Das zwitscherte und lachte in der Giebelstube in einem Wettstreit, als wäre Frau Maria über Nacht auch zum Kinde geworden. Eine Viertelstunde später standen sie in der Türe zum Wohnzimmer, beide in kaum verhaltener Erregung. Joseph Otten saß im Sofa, die Morgenzeitung in der Hand. Der Frühstückstisch war gedeckt, und die Blumen auf dem Tisch schufen ein farbenfrohes Bild. »Vater ...,« sagte die Kleine zag. Und dann ein Ruf in ausbrechender Freude: »Vater!« Sie stürmte das Sofa, mit einem Schwung war sie auf seinem Schoß, zerknitterte die Zeitung, küßte sein Gesicht, wohin sie traf, schrie ihm in die Ohren und kuschelte sich aus einem Arm in den anderen. Und er hob sie hoch und wiegte sie in der Luft, daß die langen, schwarzbestrümpften Kinderbeine Halbkreise beschrieben. »Wildfang, Wildfang! Ja, du lebst, das spür’ ich.« Frau Maria aber war in der Tür stehen geblieben und rief Worte in den Tumult, die keiner verstand. Dann reichte er ihr das Kind und ließ sich mit einem Seufzer des Behagens in die Sofaecke fallen. »Nun alle heran, jetzt wollen wir uns stärken.« Das Mädchen verlangte neben dem Vater zu sitzen. »Das ist der Platz der Mutter,« verteidigte der Vater das Recht der Hausfrau. Aber Frau Maria ergriff für die Tochter Partei. »Heute ist Carmen an der Reihe.« Und sie zog sich schnell zurück, um den Kaffee aus der Küche zu holen. »Weshalb bist du nicht schon gestern morgen gekommen, Vater? Heute muß ich den ganzen Tag in die Schule.« »Ich bitte sehr um Verzeihung, mein Fräulein, daß ich das versäumte. Dafür bleibe ich jetzt aber recht lange bei dir. Wenn die Mutter mich behalten will.« »Ach, die Mutter!« plauderte das Mädchen und warf Frau Maria einen raschen Blick zu. »Der könntest du gar keinen größeren Gefallen tun. Sie braucht dann doch nicht immer allein zu sein, wenn ich in der Schule bin.« »Weshalb geht sie denn nicht spazieren?« »Ohne seinen Mann kann man doch nicht spazieren gehen.« »Jetzt wird aber Kaffee getrunken, Carmen,« sagte Frau Maria energisch. »In fünf Minuten mußt du auf dem Schulweg sein. Heute mittag kannst du mehr erzählen.« Das Mädchen blickte von der Seite den Vater an, streichelte ihm heimlich den Ärmel und aß in Hast das Frühstück. In Mantel und Pelzmütze, die Schultasche am Arm schlingernd, fiel sie noch einmal über die Eltern her. »Ruhig, Carmen, ruhig,« mahnte Frau Maria. »Gott,« sagte die Kleine, »ich hab’ doch fast nie was von euch.« Dann stürmte sie davon. Otten war ans Fenster getreten, öffnete es und beugte sich hinaus. Er verfolgte sein Kind mit den Blicken, bis es in die Nebengasse eingebogen war. Als er das Fenster wieder geschlossen hatte und an den Tisch zurückkehrte, lag ein nachdenklicher Ernst auf seinem Gesicht. Eine Zeitlang saß er ruhig in seiner Sofaecke, faltete und glättete an dem Zeitungsblatt, zog die Augenbrauen hoch und summte vor sich hin. »Die Kleine ist groß geworden,« sagte er plötzlich. Frau Maria nickte ihm zu. »Dumm scheint der Racker auch nicht zu sein,« fuhr er fort. »Sie kommt jetzt in das grüblerische Alter, in dem sich Kinder über Sein und Nichtsein des Storches unterhalten. Wer weiß? Vielleicht ist sie schon weiter.« Er wartete. »Maria.« Sie sah ihn an. »Was meinst du dazu, Maria?« »Es ist so, Joseph.« »Hm. Also es ist so. ... Und eines Tages wird sie mit Fragen kommen, die die Mutter gern beantworten möchte und nicht kann. Das würde der Mutter, wie ich sie kenne, schwere Stunden bereiten, und dem Kind ungesundes Kopfzerbrechen.« Durch die Stille des Zimmers gingen die Atemzüge der Frau — —. »Ja, Maria, ich bin doch nun schon im Schwabenalter. Vor mir selber kann ich den Fünfundvierziger nicht mehr verleugnen, höchstens vor der Welt.« Er spielte mit den Tischtuchfransen. »Wie denkst du darüber?« »Über — was?« sagte sie gepreßt. Das Herz schlug ihr bis in die Kehle. Er zupfte an den Fäden. Eine Pause nur von Sekunden, und doch wollten sie nicht verrinnen. »Ich gehöre zwar eigentlich unter Kuratel,« versuchte er zu scherzen, »aber dann ist es schon besser, ich geb’ mich von vornherein in sichere Hände. Du würdest es mich nicht fühlen lassen, Maria.« Er prüfte noch immer das Gewebe der Decke, und er gewahrte nicht, wie ihre Hände in ihrem Schoße zitterten. »Ein Kind hat ein Recht auf Schutz. Es darf keinen Unterschied verspüren zwischen sich und den anderen, oder es kriegt eine wunde Stelle fürs Leben mit. Wenn man selber jung ist und seine Leidenschaft über Kirche und Rathaus springen läßt, bedenkt man das nicht. Man freut sich, daß man den Sprung über die Philisternasen mit Grazie vollzog. Kindern ist solche Elastizität aber versagt. Sie haben eines Tages die Kosten zu bezahlen. Wenn ich annehme, daß ein Mensch es wagen könnte, unsere Carmen über die Achsel — Oho! Gibt’s nicht. Wird’s nicht geben. Wollen wir unsere Angelegenheit formell in Ordnung bringen?« Nun schaute er auf, und die tastende Verlegenheit wandelte sich jäh in Überraschung. »Maria!« Sie saß aufrecht neben ihm im Sofa. Die Hände in ihrem Schoß waren ruhiger geworden. Wortlos sah sie zu ihm hin. Aber dieser tränenschwere Frauenblick sagte: »Sieh, Joseph, ich bin immer stolz auf dich gewesen, wenn es zuweilen auch etwas in mir zu bekämpfen gab. Aber heute weiß ich, daß mein Stolz auf dich recht hatte. Das ist das Glück —« »Du — weinst?« Und sie konnte noch immer keine Worte finden. Da kam ein Begreifen über den Mann. Ein Begreifen alles dessen, was die Liebe einer Frau zu verschenken vermag, und daß die größte Liebe ist, die unter stummen Schmerzen verschenkt und immer wieder verschenkt. »Ich habe noch nie an einer Frau den Madonnenschein gesehen,« sagte er leise und legte ihr die Hand aufs Haar. »Also den gibt es. Meine Frau hat ihn. Da darf ein Mensch wie ich getrost auf Vergangenheit und Zukunft blicken.« »Joseph — —« erwiderte sie nur. Aber der Klang griff ihm ans Herz. Mit ganz zarten Händen streichelte er ihr Gesicht, zog es an sich heran und küßte ihr die Tränentropfen von den Wangen. »Nun wollen wir sorgen, daß wir aus der Elegie wieder herauskommen. Mein Talent gravitiert mehr nach der anakreontischen Seite. Achtung: sind deine Papiere in Ordnung? Ja oder nein?« »Ja.« »Und dein Herz?« »Auch.« »Na, dann wickle mir mal beides in die Kölnische Zeitung, damit ich’s aufs Standesamt tragen kann. Wird der Beamte eine Freude haben! Ja, ja, die bürgerliche Moral — —!« Jetzt strömte das Leben in sie zurück. Das Blut pulste ihr in den Wangen, die Worte überhasteten sich vor Freude. Altes und Neues mischte sie durcheinander. »Daß du mir das nachfühlen konntest! Gestern nacht — weißt du noch — fragtest du mich, ob ich einen Wunsch hätte. Ich hatte einen Wunsch. Aber ich hätte ihn nicht über die Lippen gebracht. Es gibt Dinge, die man nur denken kann, und der andere muß sie aussprechen. Sonst haben sie ihren Segen verloren. Verstehst du das, Joseph? Ich hätte sonst doch immer glauben müssen: Ich — ich hab’ ihn dazu gezwungen. Das hätte mir ja die Freude an der Erfüllung geraubt. Und es war hohe Zeit, Joseph, jetzt kann ich’s dir schon sagen. Das Kind war aufmerksam gemacht worden, und es hat mehr Phantasie, als ich wünschte. Das Kind! Unsere Carmen! Zwölf Jahre sind es, daß du nach Koblenz kamst. Ich weiß Datum und Stunde. Ein Jahr waren die Eltern tot, und ich wußte nicht aus noch ein. Nachdem wir ein paar Tage überlegt hatten — ach nein, wir haben nicht überlegt, wir haben von der Kunst gesprochen und dem Leben, von Sonne, Mond und Sternen — da nahmst du mich mit auf Reisen, mit in die blühende Welt. An deiner Seite! Du, wie ich dir das heute noch danke. Da habe ich mehr eingesammelt, als ich im Leben aufzehren kann. Und als zwei Jahre darauf unsere Carmen kam, da brachtest du mich hierher, ins alte Ottensche Familienhaus, von dem meine Eltern mir schon als Kind Sagen erzählt hatten. Mit jedem Stück konnt’ ich von dir sprechen, jedes Stück sprach mir von dir. Und ich hab’ alles gehegt und gepflegt, daß es blieb, wie es war und am alten Orte, wo du es schon als Knabe gewußt hattest, damit du einmal deine Schaffnerin loben könntest. Und nun kommt die Krönung.« Mit lächelndem Erstaunen war Otten dem Wortstrom der Erregten, deren gleichmäßige Ruhe er so oft bewundert hatte, gefolgt. »Liebste, Liebste, du tust ja, als setzte ich dich auf einen Königsthron.« »Das tust du auch.« »Mit dieser schriftlichen und gestempelten Erklärung? O, du moderne Frau. Mehr als ein Jahrzehnt rührt sie mit keiner Silbe daran, und ich wähne, ich besitze in dir die Reinkultur des neuen Weibes, und mehr als ein Jahrzehnt — ich bin jetzt sicher, daß es nicht einen Tag weniger ist — trägt sie in ihrem innersten Herzen das richtige, altmodische Sehnen mit sich herum, wie —« »Wie es jede, auch die modernste Frau, insgeheim mit sich herumträgt. Davon kommt ja keine Frau ganz los. Selbst die Freidenkendste hofft im stillen, und wenn es nach Jahren ist. Und wenn wir Verzicht leisten, tun wir es, um nicht zu verlieren.« »Man kann so alt werden, wie man will, und die Frauen in Nord und Süd studieren: ihr gebt einem immer Rätsel auf.« »Weil ihr immer Rätsel lösen wollt.« »Hast du mir sonst noch ein Rätsel aufzugeben?« »Nein, Joseph, es war das einzige.« »Dann also in Gottes Namen, du liebe, offene Seele, hol die Papiere. Du wirst nicht lange zu suchen brauchen.« Sie kam zurück, mit geröteter Stirn. Kopfschüttelnd betrachtete Otten sie. »Solch eine stattliche Frau, und doch, solch ein Kind, solch ein liebes, kleines — —« Da fiel sie ihm um den Hals. — — — Eine Stunde später verließ Otten das Haus. Vor der Haustür traf er auf den alten Klaus, der im gestrickten Wams nach der Wintersonne äugte und zu dieser Beschäftigung seine langstielige Tonpfeife schmauchte. »Kütt Ihr ooch ens noh Hus, Ihr Erumdriewer?« begrüßte er den Hausherrn und schüttelte ihm die Hand. »Ich hann als en Seelemess’ för Euch lese lasse wolle, äwwer der Här Pastor säht: diese Seele scheint mir nicht ganz reinlich zu sein.« »Der Här Pastor hät domet ~ding~ Seel’ gemeint, ahl’ Grielächer. Na, un sons? Immer noch flöck zu Wege?« »Ich kann nit mehr in et Wirtshus.« »Oh! Es et schlemm? Gonn de Fööß nit mieh?« »Die Fööß gonn schon. — Äwwer ich hann kein Geld.« »Dat es ene bedenkliche Fall. Ich wörd’ doch ens der Doktor froge.« »Grad’ donn ich der Herr Doktor froge.« »Ach so,« lachte Otten, »un Ihr wollt et Rezept gleich sälwer in de Apothek trage?« »Geweß dat, Herr Doktor. Un ene schöne Gruß vom Här Doktor, un et wörd’ nach Bedarf erneuert werde. Ich hann Se doch richtig verstande?« Otten griff in die Tasche. »Hier, Klaus, als Anzahlung. Und nun gebt mal acht. Ich hab’ da einen Weg vor, und ich bin abergläubisch. Deshalb sollt Ihr den ganzen Morgen auf mein Wohl trinken. Und noch eins, im Vertrauen und Hand darauf: Wißt Ihr zufällig den nächsten Weg zum Standesamt?« »Jupp,« sagte der alte Klaus ernsthaft, »ich gonn met. Du fändst dat allein in dingem Lewen nit.« — Es war Mittag, als Joseph Otten von seinem Ausgang zurückkehrte. Er war heiter, aber still. Carmen blickte bei Tisch fragend vom Vater zur Mutter. Aber als sie die heiteren Mienen gewahrte, war sie zufrieden, daß sie allein das Wort führen durfte. Stolz berichtete sie von der Handarbeitsstunde, und daß die neue Lehrerin erzählt habe, daß sie gestern einen unvergeßlichen Abend im Konzert des Herrn Doktor Otten hätte verleben dürfen. Und es wäre eine »Offenbarung« gewesen — und dabei himmelte die Kleine zur Decke, wie die Lehrerin gehimmelt hätte — und dann hätte sie sie gefragt, ob sie verwandt mit dem Herrn Doktor Otten wäre. Und sie hätte geantwortet: verwandt nicht, aber er wär’ ihr Vater. Da wäre die Lehrerin mit so komisch gravitätischen Schritten auf sie zugekommen, daß alle Mädchen in der Klasse ins Taschentuch gebissen hätten vor Lachen, und hätte ihr die Hand auf den Kopf gelegt und dabei gesagt: O du gesegnetes Kind —! — Und die Kleine wollte sich aufs neue ausschütten vor Lachen. »Ja,« sagte Frau Maria und strich dem wilden Kind die Locken aus dem Gesicht, »da hat die Lehrerin recht gehabt. Du mußt dich nur danach betragen.« »Laß sie,« bat Otten, den ihr übermütiges Wesen heimlich belustigte, mit einem Augenwinken Frau Maria. »Der Moritz Lachner kam an der Schule vorbei. Er fragte mich, ob ich heute nachmittag mit in den Dom ging’. Wenn der Nachmittagsunterricht vorüber ist.« »Der Moritz? Wie kommt Saul unter die Propheten?« »Er will Historiker werden,« sagte Frau Maria, »und er erzählt dem Kind Geschichten. Er ist sehr anhänglich an Carmen, obwohl er schon Sekundaner ist.« »Er drängt sich auf,« bemerkte die Kleine wegwerfend. »Carmen!« »Ja, darf ich denn mit ihm gehen? Nachher soll ich mit zu ihm in den Laden. Eine ganze Sendung neuer Maskenkostüme sei eingetroffen.« »Es scheint mir das ein ziemlich starker Gegensatz,« meinte Otten. »Aber da es zu Studienzwecken geschieht, darfst du mit. Die Kunst ist so ernst wie der Dom und so heiter wie eine Maskerade. Als Hauptsache aber: heute ist ein Feiertag.« »Ein Feiertag?« zweifelte die Kleine. »Ein ganz neuer: Maria und Joseph! — Sag’s keinem wieder.« — — Carmen Otten war an diesem Nachmittag unaufmerksam in der Schule. Sie horchte verstohlen auf die Glockenschläge, die über die Dächer der Stadt hinhallten, und war die erste, die im Laufschritt die Schulpforte verließ. An der Ecke der Hohestraße traf sie auf Moritz Lachner. Ohne anzuhalten, machten sie sich auf den Weg, doch kaum, daß sie wenige Schritte getan hatten, wurden sie von Laurenz Terbroich angerufen. »Wo wollt ihr hin?« »In den Dom.« »Der Moritz auch? Wenn der nur hereingelassen wird.« »Geh mit,« sagte das Mädchen ängstlich, und er ließ sich bereit finden. »In den Dom darf jeder, der sich anständig beträgt,« wies Moritz Lachner ihn finster zurück, »ich brauch’ dich nicht.« »Ich geh’ in den Dom, meine Andacht verrichten. Du nicht.« »Was weißt du von meiner Andacht?« Aus der Hohestraße herrschte dichtes Gewühl. Aber es war ein gemütliches Tempo darin. Der Schwarm von Menschen, der sich auf dieser trotz ihrer Enge beliebtesten Verkehrsader Kölns dahinschob, war des Schauens wegen unterwegs, staute sich vor den glänzenden Auslagen und bog, ohne ärgerlich zu werden, anderen Trupps aus. Über den Straßendamm zog eine alte Frau einen Leierkasten. Ein Invalide schritt nebenher, drehte den Schwengel und entlockte dem Instrument das schöne Lied »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...« Die Leute auf den Trottoirs pfiffen es mit. Eine Kleinstadtidylle im stärksten Verkehr der Großstadt. Moritz Lachner zog das Mädchen, das neben der Orgel herlaufen wollte, eilig mit. »Das schickt sich nicht für dich, Carmen. Weil dein Papa eine so bekannte Persönlichkeit ist.« Über den Wallrafsplatz gelangten sie zum Dom. Sie staunten, wie sie es immer taten, zu der schwindelnden Höhe hinauf. »Das sind Stein gewordene Gedanken,« sagte Moritz Lachner. »Das sind Pfeilerbündel,« erklärte Laurenz Terbroich. »Weißt du, wo der Dom herstammt?« fragte Moritz das Mädchen. »Aus dem Siebengebirge, aus dem Drachenfels. Aus dem Leib des Berges hat man die Steine gebrochen.« Und sie traten ein. Auf den Zehenspitzen schlichen sie durch die ragenden Gänge. Und sie erschauerten vor der Weihe des Ortes. »Daraus hatten die Franzosen,« flüsterte Moritz, »als sie zur Zeit der großen Revolution nach Köln kamen, ein Heumagazin gemacht.« »Und das Blei haben sie von den Dächern gestohlen,« entrüstete sich Laurenz. Das Mädchen hörte nicht hin, es wies auf die farbensprühenden Glasmalereien der unzähligen Kirchenfenster. »Das sind Szenen aus der Bibel und der Heiligenlegende,« flüsterte ihr Moritz zu. »Das brauchst ~du~ uns doch nicht zu sagen,« trumpfte Laurenz ihn ärgerlich ab. »Du bist doch nicht mal getauft.« Mit erschrockenen Augen starrte Carmen auf den ungetauften Freund. Sie hatte Angst, mit ihm weiterzugehen. Die Heiligenbilder schauten so sonderbar herüber. »Wer ist denn der da?« fragte sie scheu und deutete auf ein mächtiges Standbild. Moritz wartete ab, bis Laurenz seine Unkenntnis eingestehen mußte. »Das ist der heilige Christoph,« sagte er, »das ist der Schutzpatron aller Handwerksburschen.« Laurenz Terbroich rümpfte die Nase. »Ich dacht’s mir doch. Ein Heiliger für gewöhnliche Leute. ~Wir~ haben ganz andere.« Sie betrachteten die Standbilder der zwölf Apostel und kamen zum abgeschlossenen Chor. Carmen mühte sich, durch das Gitter zu blicken. »Wir können nicht hinein, es kostet zu viel Geld,« meinte Laurenz und ging weiter. »Was mag da alles drin sein, Moritz ...« — »Die Schatzkammer,« berichtete er geheimnisvoll. »Der goldene Dreikönigsschrein steht drin, ganz mit Edelsteinen überzogen, und der enthält die Gebeine der heiligen drei Könige aus dem Morgenland, die die Kaiserin Helena einst nach Konstantinopel gebracht hatte, und von dort sind sie nach Mailand gekommen, und nach der Zerstörung Mailands hat sie der Kaiser Friedrich der Erste dem Kölner Erzbischof geschenkt.« »Jesus, wie klug du bist,« sagte die Kleine und griff heimlich nach seiner Hand. Da freuten den Moritz seine christkatholischen Kenntnisse. Zwei alte Nönnchen trippelten vorbei. Vor jedem Gegenstand machten sie halt, knicksten und sahen sich selig lächelnd in die Augen. Dann machte ein scharlachroter Domschweizer die Runde, spähte mit scharfem Blick nach den Liebespärchen, die sich, als Säulenheilige, hinter die Pfeiler drückten, streifte die Kinder und brummte etwas vor sich hin. Am Altar wurde eine Messe gelesen. »Komm,« sagte Moritz Lachner kleinlaut, »jetzt müssen wir beten oder heraus.« Und sie schlichen zum Portal und kamen ins Freie. Laurenz Terbroich war bereits verschwunden. Er hatte Kaffeedurst verspürt. »Gehen wir jetzt zu euch, Moritz?« Der Knabe bejahte lebhaft. Er ließ ihre Hand nicht mehr aus der seinen, bis sie das windschiefe, vom Obergeschoß zusammengedrückte Häuschen in der Obenmarspforten erreicht hatten. Ein kleiner, graubärtiger Jude in speckigem Rock, ein rundes Seidenmützchen auf dem Kopf, kam eilig in den Laden, als die Türklingel bimmelte. »Ah,« sagte er strahlend, »unser Moritz. Und das kleine Fräulein Otten. Nein, es ist ein großes Fräuleinchen geworden!« Das Mädchen gab ihm verschüchtert die Hand und blickte den Freund dabei an. »Wir waren im Dom, Vater, und jetzt will ich der Carmen die neuen Kostüme zeigen.« »Im Dom!« verwunderte sich der Simon Lachner. »Ist der Moritz nicht ein gescheiter Mensch, Fräuleinchen? Alles weiß er, alles kennt er, die Steine sprechen zu ihm und die Vergangenheit, im Tempel und im Dom. Er ist der Gescheiteste auf der Schule und will ein studierter Herr werden. Er wird’s, er wird’s. Nein, nein, Fräuleinchen, wegen des Umgangs mit dem Moritz braucht sich nicht einmal das Kind vom Doktor Joseph Otten zu schämen.« »Sie tut’s ja auch nicht, Vater.« Er tätschelte dem Jungen das Gesicht. »Geht, Moritzchen, unterhaltet euch. Ich bring’ was für deinen Besuch.« »Er ist so seltsam, dein Vater,« sagte die Kleine, als sie auf dem Kostümlager standen, und lachte nervös. »Er arbeitet nur für mich,« erwiderte Moritz, »und er denkt nur an mich.« »Ich glaube, mein Vater denkt draußen nie an mich.« »Doch, doch. Nur anders. Unsere Väter vergessen uns nie. Einmal zeigt es sich immer.« Dann tummelten sie sich in dem von einem Öllämpchen spärlich erleuchteten Raum herum, und Carmen drückte sich ein Diadem ins Haar, ließ sich einen golddurchwirkten Purpurmantel über die Schultern legen und hielt Hof ab wie eine Königin. Ein Pagenwams mußte Moritz überziehen und wieder eine blecherne Ritterrüstung, in der er verschwand, und während sie auf einem Haufen alter Kleider thronte, ließ sie sich schwärmerische Gedichte von ihm aufsagen und Uhlandsche Balladen. Die Stimmen der Kinder drangen bis zum alten Simon, der an der Tür horchte und bei den pathetischen Deklamationen des Jungen heftig mit dem Kopfe nickte, sich dann während einer Pause schlurfend entfernte, um in der verräucherten Küche Feigen, Datteln und Apfelsinen auf einen Teller zu häufen, den er den Kindern mit Spendermiene brachte. »Wer zu meinem Moritz kommt, findet, was er nur braucht,« erklärte er dem staunenden Mädchen. Moritz Lachner brachte die kleine Freundin nach Hause. Ihm war ganz traumselig zu Mute, weil es seinem Gaste so sehr bei ihm gefallen hatte, und er drückte ihre schlanken Fingerchen. »Da sind wir,« sagte er. »Gute Nacht, Carmen.« »Gute Nacht, Moritz.« Sie überlegte. »Ich möcht’ dir einen Kuß geben, aber wenn’s der Laurenz erfährt —« Sie lief ins Haus, und Moritz Lachner war zufrieden, daß sie doch den Wunsch gehabt hatte, und trollte sich heim. — — — Weihnachten ging vorüber. Täglich fegte der alte Klaus knurrend den Schnee vom Trottoir, um nicht von der Polizei in Strafe genommen zu werden. Und eines Tages zog er sich seinen altväterischen Bratenrock an. Ohne daß die Öffentlichkeit davon erfuhr, sollte er mit aufs Standesamt. Er und der Herr Professor Koch fungierten als Zeugen. Es war am Abend des Tages. Joseph Otten saß im Zimmer seiner Frau. Sie hatte den Arm um ihn gelegt. »Nun? Zufrieden, Maria?« »Jetzt bin ich wunschlos.« »Mein altes Mädchen, wer kann sich vor seinem Tode glücklich preisen?« »Ich, Joseph. Das Leben hat mir sein Schönstes gegeben.« »Bin ~ich~ das?« »Ach du — nicht spotten jetzt ...« »Carmen!« rief Otten. »Die heilige Familie muß doch beisammen sein.« Und er hob sie auf den Schoß und ließ das große Mädchen auf seinen Knien reiten. Aber trotz seines Spottes, er fühlte sich warm und wohl. Und täglich, wenn es dämmerig wurde und er die Bücher schloß, in denen er studiert hatte, wenn er am Klavier saß und in die Dämmerung hineinphantasierte, während draußen der Nordost an den Fensterläden rüttelte, wenn er zu Tisch gerufen wurde und er nachher, Frau Maria im Arm, im Sofa lehnte und oft auch von der abenteuerlichen Welt berichtete, wiederholte er es sich und der dankbaren Frau: »Das Beste ist, zu Nest geflogen zu kommen.« — — — Zuweilen war er mit Heinrich Koch zusammen, der sich aufs neue einen langjährigen Urlaub von der Kirchenbehörde erwirkte, um in Rom, in den vatikanischen Archiven, an der Geschichte der katholischen Kirche weiter zu schreiben. »Wenn man Kirchenhistoriker ist,« pflegte der Gelehrte zu sagen, »gerät einem ein Schuß fröhlichen Heidentums ins Blut. Das macht für den geregelten Kirchendienst unbrauchbar. Die Geschichte erkennt kein Dogma an.« Selten traf er Terbroich. Das verkappte Jesuitentum war ihm widerlich. Frau Maria ging nach wie vor den Erfordernissen des Hausstandes nach. Sie genoß die Stunden und Tage, die ihr die Gegenwart des geliebten Mannes schenkte, wie Feste, die kommen, damit man lange an ihnen zehrt. — — — Der Rhein führte Hochwasser, und die Kinder liefen ans Bollwerk, um die Eisschollen schwimmen zu sehen. Ein paar warme Tage lösten die Regenzeit ab. Die Wasser beruhigten sich, und die Schiffahrt wurde wieder eröffnet. Mit vollen weißen Segeln zogen die Schiffe zu Tal, vorüber an Kölns altersgrauen Mauern und Türmen. Unter Volldampf brachten kleine, muntere Dampfer die langen Schlepperzüge zu Berg und grüßten die Stadt mit einem gellenden Pfiff. Joseph Otten stand oft am Kai und blickte ihnen nach. Wenn Segel und Rauch verschwunden waren, fuhr er auf, als hätte er hinter ihnen hergeträumt. Dann ging er schnell nach Hause, scherzte mit Maria oder übte stundenlang mit seinem Töchterchen am Klavier, wenn sie aus der Schule heimgekehrt war. Aber immer öfter stand er am Kai, immer länger schaute er hinter den Schiffen her, und wenn er sich endlich mit Gewalt losriß, war sein Schritt müde und sein Auge ohne Glanz. Abends, in den heimlichen Stunden mit Maria, begann er plötzlich aufgeregt zu erzählen. »Jetzt ist es im Süden Frühling. Der Ätna hat einen saftiggrünen Gürtel umgelegt. Auf Capri blühen die Rosen. Das Meer ist wie ein Türkis, und der Seewind trägt berauschende Blumendüfte von der Küste. Ja — davon weiß man in Köln nichts — — —.« Frau Maria hatte die Veränderungen von ihren ersten, flüchtigen Spuren an bemerkt. Sie hatte es erwartet, und deshalb schmerzte es nicht. Wenn sie Schmerz verspürte, so war es, weil sie den Mann sich quälen sah, über sein Blut Herr zu werden. Und sie sah, daß er unterlag und sich dennoch wehrte. Er las ihr einen Brief vor, den er von Heinrich Koch aus Rom erhalten hatte. »Sonnentage in der Campagna. Das blüht und schwelgt, als wäre die Welt noch nie so schön gewesen.« »Als wäre die Welt noch nie so schön gewesen —,« wiederholte er und blickte über den Brief weg in die Ferne. Frau Maria fühlte mit einem Male ihr Herz rasend pochen. Jetzt mußte es geschehen. Und sie zwang sich mit aller Gewalt, ruhig zu erscheinen. »Das darfst du aber nicht versäumen, Joseph.« Es war heraus, und sie konnte lächeln, als er sie wie ein Nichtverstehender anblickte. »Du machst dich lustig,« kam es stockend bei ihm heraus. »Aber es hält dich doch keine dringende Arbeit? Die Konzertverpflichtungen für den Rest der Saison hast du auch gelöst. Ich wüßte wirklich nicht, was dich hindern könnte.« »Wahrhaftig — das wüßt’ ich auch nicht.« »Du schreibst an Koch, er könnte dich in einigen Tagen erwarten.« »Der wird Augen machen.« »Oder möchtest du ihn lieber überraschen?« »Ach, wenn ich die Wahl hätte — Rom bleibt Rom, aber auf Sizilien müßte es sich jetzt herrlich streifen lassen.« »Dann würde ich aber auch Sizilien vorziehen. Wenigstens zunächst.« »Und von Palermo hinüber nach Tunis, wie Scipio auf den Trümmern Karthagos zu sitzen.« »Da will ich doch gleich deine Koffer nachsehen. Du nimmst wohl morgen den Nachtzug. Der hat Schlafwagen.« »Sag mal, Maria — —,« und er saß rotübergossen am Tisch, »das ist ja gerade, als ob du mich fortschicktest.« »Tu’ ich auch, Joseph.« »Du selber — schickst mich fort? Weshalb denn das? Ich hab’ doch nichts gesagt?« »Ich ~schick’~ dich fort, damit du mir nicht fort~läufst~, Joseph.« Sie mußte an sich halten, um ihm ein heiteres Gesicht zu zeigen. »Du hast eine kluge Frau.« »Aber ich denke ja nicht daran, dir fortzulaufen.« »Innerlich, Joseph. Und wenn du nicht selber läufst, so nimmt dich was mit. Die Vorboten des Frühlings, die alte Wanderlust, der Zug nach der Romantik des Lebens —« »Sag nur nach Abenteuern. Herr Gott, ich bin ein Vagabund!« »Du kannst doch nichts für dein Blut, Joseph. Vielleicht lieb’ ich dich deshalb noch mehr. Die Sorgenkinder liebt man am meisten. Und du machst ja auch kein Hehl aus deinem Blut. Du hast den Mut — ~du~ zu sein.« »Landstreichermut,« sagte er, aber er lachte bereits. »Wie lange hab’ ich dich nicht so lachen sehen. Schon deshalb.« »Die schlechtesten Ehemänner haben die besten Frauen. Es muß wohl des Ausgleichs wegen sein, denn die Welt ist harmonisch.« Er erhob sich, und auch sie hatte sich erhoben. »Ernsthaft, Maria, du rätst mir selbst — mal wieder eine kleine Fahrt zu wagen?« »Groß oder klein, ich rat’ es dir.« »Frau, Frau! Was für ein Prachtgeschöpf hab’ ich an dir gefangen!« Er preßte sie in seine Arme, und sie hielt sich an seinen Schultern. »Nur eins, Joseph —« »Frag mich.« »Nicht wahr, Joseph, — es war doch — ein schöner Winter zu Haus?« »Schön? Schön? Was ist das für ein armselig Wort. Im Paradies war ich, Maria! Und wenn ich daran denk’ — nein, weißt du, nicht morgen schon. Ich warte noch ein paar Tage.« Sie machte sich von ihm los. »Nein, morgen. Es bleibt dabei. Wir wollen uns doch nicht quälen — —.« Und sie lief zur Tür hinaus. Ihre Kraft war zu Ende. — Bevor Otten abreiste, ging er zum alten Klaus hinab. »Heute abend geht’s fort, Klaus.« »Domet verzälle Sie mr kein Neuigkeit.« »Hast du es gewußt?« »Seit die erste Schwalw retour is, hann ich et gewoß’.« »Adieu, Klaus. Und wenn ich länger bleiben sollt’ — gib acht auf die Frau.« »Dat brauchen Se mr nit extra zu sage. Adjüs, Jupp. Un komm klöger no Hus.« — Frau Maria kam vom Bahnhof zurück. Der alte Klaus saß bei Carmen am Tisch und bastelte Segelschiffchen aus Walnußschalen. Als er die Frau eintreten sah, wünschte er gute Nacht und verließ das Zimmer. »Nun ist der Vater fort,« sagte Frau Maria und setzte sich still zu dem Kinde. In Hut und Mantel. »Du, Mutter?« »Was denn, Carmen?« »Der Laurenz Terbroich sagt, der Vater hielt’s in Köln nicht aus, weil er hier nichts erleben könnt’.« »Nein, Kind. Aber Köln ist zu eng für ihn. Er muß die weite Welt um sich haben, weil er so groß ist.« »Und der Laurenz sagte: weil draußen so viel schöne Frauen wären.« Frau Maria nahm ihr Kind in den Arm. »Hör mich an, Carmen. Du wirst größer und klüger. Ich kann schon manches mit dir besprechen. Dein Vater — siehst du, dein Vater ist ein Mann, wie es ihn nicht zum zweiten Male gibt. Ich, deine Mutter, sage dir das. Und wenn man dir einmal etwas anderes erzählen will, glaube es nicht. Das ist gar nicht dein Vater, von dem man etwas anderes spricht. Das ist nur ein Doppelgänger.« »Ein Doppelgänger?« »Das ist ein Mann, der gerade so aussieht, gerade so sonnig und groß, und der — zuweilen — auf Kosten des anderen — Fehler begeht.« »Und kennt der Vater den Mann nicht?« »Nein,« erwiderte sie trübe lächelnd, »er kennt ihn noch immer nicht. Aber wenn er ihn erst findet, dann — ja, dann ist es vorbei mit dem anderen — für immer.« Und plötzlich zog sie das Kind an sich und küßte es heiß, küßte es, als ob sie den Kuß fortsetzen müßte, den sie dem Manne zum Abschied gegeben hatte ... »Komm, Kind, wir wollen zu Bett gehen. Ich bin heute müde.« Als sie das Mädchen zu Bett gebracht hatte, ging sie in ihr Schlafzimmer. Sie blickte sich um. Allein — — —. »Es war ein Märchen,« dachte sie, »aber ich hab’ es doch erlebt.« Und sie löschte das Licht. — — — =V= »Wie die Wasser des Trevi heute melancholisch rauschen ...« Joseph Otten nahm dem fettleibigen Peppe, dem Patriarchen der Osteria, Glas und Flasche ab, schwenkte das Glas mit einigen Tropfen des blinkenden Frascati um, die er in das schmale, weindunstdurchzogene Zimmer spritzte, goß ein und trank Heinrich Koch zu. Wieder war es ein Vorfrühlingstag, ein sommerwarmer Februarmorgen. Die Sonnenstrahlen strömten durch die weit offene Tür der Osteria, kitzelten den Staub auf Tischen und Fußboden, ließen ihn in feinen Säulen tanzen und flirren wie eine neckische Mahnung für den Wirt, der sie gutmütig lächelnd übersah, und trieben ein frohes Farbenspiel in den Weinresten, die verschüttet auf den Tischen lagen, ohne daß sie einen Gast genierten. Heinrich Koch, im langen, etwas abgetragenen Gehrock, schlürfte langsam den Wein. »Ich höre die Fontana, wie ich sie seit Jahren höre. Sie rinnt und verrinnt, rinnt und verrinnt — höchstens, daß ich das ~Ver~rinnen jetzt deutlicher höre.« »Oho! Damit hat es noch lange Zeit.« »Ich war es nicht, der die melancholische Note ins Gespräch trug.« »Ich auch nicht.« »Also war es die Treviflut. Trink, Joseph, der Frascati spült das nichtsnutzige Gehirn rein. Du bist gestern beim Botschafter zu sehr gefeiert worden.« »Zu sehr —? Das ist kein Kompliment für meine Kunst.« »Nein,« sagte Koch und schenkte sein Glas voll, »von deiner Kunst habe ich nicht gesprochen. Sie steht außerhalb dieses Frühschoppens, denn dazu ist sie mir doch zu heilig. Wenn es für dich darin noch eine Höhe zu erreichen gab, du hast sie erreicht. Sie ist gereift wie ein edler Wein. Voll und feurig .... Sonderbar, ist es dir nicht auch mehr als oft aufgefallen, daß man den besten Wein in den — in den ungeniertesten Kneipen trinkt?« »Prosit, Hochwürden. Ich wittere es: jetzt kommt’s.« »Schön, wenn du es hören willst. Den Künstler ›=hors concours=‹. Der Mensch gefällt mir nicht so recht.« »Hm — —. Du meinst damit: der Mensch ist dir gestern auf der Soiree zu sehr gefeiert worden.« »Das wäre nicht so schlimm. Nur — daß es dem Herrn Doktor Otten gar nicht unlieb zu sein scheint.« »Lieber Heinrich, deine Freundschaft und tiefen Kenntnisse in Ehren. Aber ob ein Zölibatär in diesen Dingen die richtige Entscheidung zu treffen vermag —« »Ich denke gar nicht daran, eine Entscheidung zu treffen. Ich bin, wie du es aussprachst, sozusagen doch immer nur ein Zaungast, wenn es an die Hauptfesttafel geht. Möglich, daß auch der Neid mein Auge schärft. Denn ich fliehe nicht umsonst meine kahle Wohnung und sitze bis tief in die Nacht beim biederen Peppe an der Fontana Trevi oder beim nicht minder biederen Onkel Pasquale in der Via San Giuseppe hinter der Flasche, mir die Einsamkeit wegzutäuschen. Lassen wir das. Dir gegenüber bin ich ohne Neid, das weißt du, und wenn dir der Padischah als Honorar ein Passepartout überreichen ließe. Aber gerade deshalb bin ich — deine Objektivität.« »Hat dir die kleine ›=eccellenza=‹ so sehr mißfallen? Sie ist jung, apart, elegant. Die Sonne Roms hat ihr Blut gekocht. Soll ich die Augen niederschlagen, wenn sie — das Feuerzeichen gibt? Es reizt mich, zu erfahren, welche Art Edelmetall in diesem Feuer glüht.« »Unverbesserlicher Optimist. Du wirst Asche finden.« »Und wenn! Ich muß von Zeit zu Zeit die Probe auf meine Jugend machen, denn — ich bin nicht mehr der Jüngste. Ich muß von Zeit zu Zeit die Gewißheit erneuern, daß ich noch die Macht in Händen habe, die Macht über Frauenherzen. Das stößt mich vorwärts. Und der Erfolg gibt mir recht. Ich wandle durch einen Blumengarten, und die Blumen schmeicheln sich mir in die Hand.« »Und du glaubst immer noch, daß das dem Manne in dir gilt?« »Wem sonst?« Heinrich Koch schwieg eine Weile. Er spielte mit seinem Glas, schob es von sich und sah den alten Jugendgefährten offen an. »Es ist der Geruch des Lorbeers, der die Frauen zu dir zwingt, Joseph. Damit ist alles gesagt.« Joseph Otten trommelte mit den Fingern hart auf den Tisch. »Das heißt zu Deutsch: wenn mein Stern sinkt —« »Geht eine neue Gruppierung am Sternenhimmel vor sich.« Joseph Otten lachte. »Ich werde die Konstellation noch einige Zeit mitbestimmen. Ich habe meine Zeichen. Beruhige dich.« Die Treviflut rauschte von der Fontana herüber. Sie saßen und horchten auf die einwiegende Melodie. »Wie lange ist es, Joseph, daß du nicht in Köln warst?« »Drei Jahre,« antwortete er kurz. »Und drei Jahre hast du die Maria nicht gesehen und die Carmen? Daß du das aushältst!« »Es war die längste Trennung bisher. Ein Engagement reihte sich an das andere. Es waren Strapazen. Ich suchte in Italien Erholung.« »Ich kann mir diese Gründe nicht vorstellen.« »Gründe? — Ja, wenn ich Gründe hätte. Die würd’ ich schon aus der Welt schaffen. Denn ich wüßte keine Menschen, die ich so lieb hätte wie die beiden in Köln. Aber — es ist eine Verlegenheit — —. Ich — ach, Heinrich, weshalb soll ich mich vor dir verstellen — ich habe keine Seßhaftigkeit. Ich muß wechselnde Bilder um mich haben. Mein Blut muß in Wallung bleiben. Ich muß das Gefühl haben, frei über mich verfügen zu können, will ich bleiben, der ich nun einmal bin. Das aber läßt die Ehe nicht zu. Ich bin inkonsequent gewesen, als ich mich band. Ich tat’s, um eine Liebe mit einer anderen zu vergelten. Aber die Konsequenzen dieser Bindung im bravbürgerlichen Sinne auf mich zu nehmen, das bedeutete für mich die größte Inkonsequenz meines Lebens. Das will zu Ende gelebt sein, wie es begonnen wurde. Alles andere wäre Scharlatanerie, Pose schlimmster Art, ein Belügen meiner selbst und anderer, die das Recht hätten, nun einen neuen Menschen von mir zu verlangen, den ich beim besten Willen nicht präsentieren könnte.« »Ich hätte dich für einen bedeutenderen Lebenskünstler gehalten. Um rückhaltlos nur den eigenen Wünschen zu folgen, dazu bedurfte es keines Joseph Otten. Dazu reicht zuletzt eine gewöhnliche Portion Leichtsinn aus.« »O nein, mein Alter, es gehört mehr dazu, wenn der Gewinn dem Einsatz entsprechen soll.« »Der Gewinn! Revidiere mal deine Gewinne. Du kannst die armen Seelchen in eine taube Nuß stecken, und sie wird dennoch taub bleiben. Fahr nicht gleich auf. Du könntest Namen nennen, wenn das nicht gegen deine Kavalierstugenden ginge, Namen von Frauen und solchen ohne den Frauentitel, die in der Bewegung der Zeit eine Rolle spielen. Was beweist das? Höchstens doch, daß auch sie sich vor den Konsequenzen drücken und nur den Gewinn einstreichen wollen. Einer betrügt den anderen. Fühlst du das denn nicht heraus?« »Nein. Ich fühle nur heraus, daß dein Verständnis für diese Dinge nicht ausreicht.« »Dem könntest du ja leicht zu Hilfe kommen. Aber du wirst dich hüten. Denn es müßte auf Kosten deines Siegergefühls geschehen.« »Du gefällst dir in Rätseln.« »Ist das so schwer? Oder glaubst du, daß diese Frauen dir gegenüber nicht dasselbe Siegergefühl hätten?« »Pah!« »Damit bläst du den Staub von den schönen Bildern nicht herunter. Der haftet fester.« »Du hast heute deinen sentimentalen Tag, Heinrich. Das liegt an diesem jungen Vorfrühlingstag. Mich stachelt die erste warme Sonne auf zu neuen Erlebnissen, dich schlägt sie nieder, weil du keine alten hast. Das ist es. Denn im Grunde genommen ~spürst~ du die Sonne gerade so sehnsüchtig wie ich.« Heinrich Koch blickte an seinem langen schwarzen Rock hinab, der keine sorgende Hand verriet. Seine Lippen preßten sich aufeinander. »Ich habe kein Weib,« sagte er dann. »Aber hätte ich es, ich wüßte den Unterschied zu machen zwischen Weib und Weibern.« »Die Frauen von heute sind anders geworden, als unsere Mütter waren, Heinrich. Und wir sind es auch.« »Wir — das unterschreibe ich. Der Kampf um den Erwerb ist heißer geworden, und damit auch die Gier. Das geht immer Hand in Hand. Aber daß die Frauen anders wie unsere Mütter werden könnten? Ach, du meinst, im äußerlichen Behaben, auch in der wissenschaftlichen Fortschulung, beides zusammengenommen in der Emanzipation? Aber doch wahrhaftig nicht im Mutterwerden.« »Auch darin. Weshalb nicht?« »Weil im Liebesleben ein Teil der passive sein muß, und weil die Natur diese Stelle der Frau zugesprochen hat. Man kann gegen die Naturgesetze verstoßen, aber man kann sie auf die Dauer nicht wegdisputieren. Weil sie das Ewige sind.« »Weshalb soll nicht auch den Frauen die Aktivität in ihrer Liebe zugesprochen werden?« »Sobald ihr euch herbeilaßt, Unterröcke anzuziehen. Sonst ist der heilige Spaß beim Teufel.« »Mein lieber Heinrich, es stehen Frauen an der Spitze, die geistvoller sind als wir beide.« »Geistvoll. Aber auch reizvoll? So jung, so schön, so lieb und umworben, daß sie die Wahl haben unter Männern von Schrot und Korn? Da hapert’s. Altes oder dürres Holz brennt am leichtesten, mein lieber Joseph. Und es weiß auch, weshalb. Stellt mir statt eurer Agitatorinnen Mädel und Frauen an die Spitze, die über die Leibes- und Seelentugenden verfügen, wie ich sie schilderte, und die sich dennoch aus purster Begeisterung für die Sache ausbieten, und ich will mich auf der Stelle bekehren.« »Ausbieten? Du weißt wohl nicht, was du sprichst. Eine jede Frau hat das Recht, das Glück zu erfahren, das ihre bevorzugtere Schwester erfährt.« »Schön gesagt. Das müßte dann aber auch für alle Männer gelten, für alle! Oder die Gleichstellung wäre schon wieder illusorisch. Ich bezweifle nur, daß die Frauen darauf eingingen.« »Und was Jugend, Schönheit und Gesinnungsadel betrifft,« fuhr Otten unbeirrt fort, »so ist daran unter den Frauen, die sich von der Schablone befreiten, kein Mangel, das kann ich dir versichern.« »Und — die Treue?« »Sie sind so treu wie wir!« »Das heißt also: ausgeschlossen.« »Können wir nicht auch treu sein? Übrigens, wenn du bei uns die Treue für ausgeschlossen hältst —« »Bei uns? O nein. Bei euch! Das ist ein Unterschied. Nur bei euch Menschen der ›wechselnden Bilder‹, der ›Wallung des Bluts‹, der Menschen mit dem umgekehrten kategorischen Imperativ, wenn so was wie Selbstkultur auftaucht.« »Wir sind mündig. Es gibt ein Selbstbestimmungsrecht.« »Laßt es euren Töchtern passieren,« sagte Heinrich Koch trocken. Otten sah auf. Eine Röte lief über seine Stirn. »Was soll das? Du willst mir die Laune verderben.« »Laßt es euren Töchtern passieren,« wiederholte der andere. »Und seid ihr im stande, euch auszudenken, daß auch eure Töchter dasselbe Leben leben könnten wie ihr, mit demselben ausgedehnten Selbstbestimmungsrecht, und es wird euch nicht plötzlich schwarz vor den Augen, dann darfst du mich ruhig dem vatikanischen Museum als lebendige Mumie überweisen lassen, die überfällig ist.« Otten erhob sich. »Das geht zu weit,« sagte er. »Auf das Gebiet der Sophismen folge ich dir nicht.« »Das ist keine Antwort. Denn der Sophist, der vor den Realitäten den Kopf in den Sand steckt, bin nicht ich.« »Peppe, zahlen!« Heinrich Koch zog den Unwirschen auf seinen Platz zurück. »So entlass’ ich dich nicht, Joseph. Zeig, daß du eine Ausnahme bildest, und ich finde mich damit ab. Aber stelle dich nicht mit in die Regel. Das verkleinert dich, und ich kann meinen einzigen Freund nicht klein sehen. Lebe, wie du willst, aber hänge den Dingen kein Mäntelchen um, wie es die kleinen Menschentierchen müssen, um ihren wild gewordenen Instinkten ein Relief zu geben. Das hast du nicht nötig. Denn du gibst mehr, als du empfängst. Deshalb gib aber auch mit offenem Visier. Wenn sich diese Weibchen an dich werfen, nur weil sie den Geruch des Lorbeers verspüren und sich mit dir ausputzen möchten, laß sie nicht im unklaren darüber, daß du sie richtig einschätzest — als =quantité négligeable=. Und wir haben unseren prachtvollen Joseph Otten wieder, dessen helles Lachen auf dieser Welt so viel wert ist wie ein Kirchgang des tugendhaften Jünglings. Prost, Joseph!« »Heinrich,« lachte Otten, »ich weiß nicht, hast du nun Moral oder Unmoral gepredigt. Aber der Pfeil sitzt. Und mit diesem Glas Frascati wasch’ ich die letzten Spuren des Unsinns aus der Kehle, den ich vorhin hinaufbefördert habe. Ach, du, die liebe Sonne!« »Du bezahlst die Flasche,« bestimmte Koch. »Ich habe mich trocken reden müssen.« »Peppe! Eine zweite! ... Nur eins, Heinrich —« und des Mannes lachende Augen wurden ernst, »das mit — mit unseren Töchtern, das darf zwischen uns nicht wiederholt werden. Meinetwegen nicht und — Marias wegen nicht.« Er griff sich in den Halskragen. »Das ist dein Beweis. Maria. Also! —« Heinrich Koch sah den alten Jugendkameraden liebevoll an. »Joseph,« sagte er und legte seine Hand auf die des Freundes, »ich würde doch einmal wieder nach Köln gehen.« »Später. — — Ich hab’ ja selbst Sehnsucht, mich mal wieder in die Rheingasse zu schleichen und in die Fenster hineinzusehen. Ob sie gesund sind, die große Maria und die kleine Carmen. Nur einen tiefen, umfassenden Blick, und dann weiter. Denn was ich dir sagte, Heinrich: ich werd’ der Verlegenheit nicht Herr. Der Verlegenheit, ganz regelrecht verheiratet zu sein wie der richtige Bourgeois und von Rechts wegen Sonntags mit Frau und Kind in die Flora oder in den Zoologischen spazieren zu müssen; jedenfalls aber die Verpflichtung zu haben, zu Hause zu hocken, bis wieder ein Konzert mich erlöst! Wenn ich daran denke, bricht mir der Angstschweiß aus, und ich fühle mich als komische Figur. Das wäre aber gerade das Letzte, wozu ich Neigung hätte.« »Ich würde doch einmal wieder nach Köln gehen.« »Ja, ja, auf der Durchreise vielleicht. Aber vorher noch einen Atemzug.« »Denk dir die Freude deiner Beiden. Und es gibt keine größere Freude als die eigene an der Freude geliebter Menschen.« »Heinrich, du wärst ein vortrefflicher Hausvater geworden.« »Das ist möglich. Ungleich verteilt sind des Geschickes Gaben.« »Kannst du nicht —« Otten stockte. »Nein,« sagte Koch. »Und käm’ ich auch los, ich kann meine Kirchengeschichte nicht im Stich lassen. Die vatikanischen Archive müssen mir offen bleiben. Nachher — ist es zu spät.« »Da verpfuschest du dir nun mit den Schmökern dein Leben.« »Und du?« Ein feiner Spott zuckte um Kochs Lippen. »Laß gut sein, Abenteurer sind wir alle.« Er nahm sein Glas und stieß es gegen das des Freundes. »Also, wer’s am längsten aushält. Den soll der andere beweinen. Prosit!« »Oder beneiden. Prost!« An der Tür der Osteria drängten sich Köpfe. Ein Flüstern war und unterdrücktes Gelächter. Dann schob sich ein Trüpplein Männer in den Eingang, und der vorderste, mit beiden Händen den Philosophierenden auf die Schultern schlagend, rezitierte mit schmerzlichem Pathos: »Wenn der Vater mit dem Sohne — auf dem Zündloch der Kanone — ohne Sekundanten paukt — glauben Sie mir, meine Herren, das wird ein verlorener Vormittag.« »Peppe, Wein!« »Peppe, eine Schachtel gerollter Sardinen. Und Wein für mich und meine Katze männlichen Geschlechts.« »Kinder, das ist ja der reine Frühling! Wird das ein gesegneter Karneval!« »Doktor, Ihr Wohlsein. Gestern beim Botschafter haben Sie Rom auf die Köpfe gestellt, soweit es weibliche waren.« »Im Vatikan ist das Konzil zusammengetreten. Man will Sie heilig sprechen, um Ihr irdisches Teil vor dem Andrang zu schützen.« »Und die Augen der Schönen nachdrücklich auf das Seelische in Ihnen zu richten.« »Wohlsein, Herr Professor Koch! Wir haben Sie im Verdacht, daß Sie bereits ausgesandt sind, die Verhandlungen mit dem =corpus delicti= einzuleiten.« Der Tisch der Freunde war bis auf den letzten Platz besetzt. Zwei römisch-deutsche Journalisten ließen ihr Feuerwerk los. Sie apportierten die Stichworte, die sie sich zuwarfen, mit einer Geschicklichkeit, wie sie nur jahrelange Übung bei Vater Peppe oder Onkel Pasquale hervorzubringen vermocht hatte. Und eine Anzahl junger Maler und Bildhauer bildeten den lärmend respondierenden Chor. Der Wein zog in glitzernden Rinnsalen über den Tisch. Hin und wieder schwenkte einer sein Glas in die Stube aus. Der beizende Geruch italienischer Zigaretten legte sich über die Tafelrunde. Und draußen plätscherte die Fontana Trevi und lachte die römische Sonne. »Was habt ihr vor?« rief Joseph Otten in das Stimmengewirr. »Wollt ihr Frühlingsanfang um sechs Wochen vordatieren? Wollt ihr den Lenz, den lieblichen Knaben, aus der Campagna hervorzulocken versuchen: ich bin dabei!« »Meister,« staunte ein junger Maler, »Ihr seid ein Gedankenleser. Zwei stattliche Karossen werden in einer Viertelstunde vor dieser Tür halten, um uns zu entführen.« »In die Campagna?« »Was Rom zu heißen verdient, wird am Nachmittage draußen sein.« »Wo speisen wir? Vor der Porta San Giovanni? In der Faccia fresca? Es ist Sonntag und ein Sonnentag dazu!« Jubelnd wurde Ottens Vorschlag aufgegriffen. »In der Faccia fresca! Die Augen auf! Die Herzen auf! Die Magen nicht vergessen! Kommen Sie mit, Professor? Die Geschichte der Kirche wird aufatmen! Leben und leben lassen!« Koch dankte. Er habe noch eine wichtige Prüfung vor. »Wetten, daß wir ihn am Abend prüfend bei Pasquale finden?« »Da kommen die Landauer! Den Bauch geschweift, ordentlich ausgebuchtet. Man sieht’s ihnen an, daß sie im Hinblick auf den Transport von Kirchenvätern gearbeitet wurden, die nicht nur auf Fülle der Gedanken hielten. Segen ihrer Korpulenz! Wir werden davon Nutzen ziehen.« Die beiden Kutscher, Vollblutrömer, klatschten mit ihren Peitschen. Otten stieg in den Fond des ersten Wagens. Neben ihm nahm der junge Maler Platz, der mit ihm das Gespräch geführt hatte. Die übrigen verteilten sich nach Zufall und Laune. Heinrich Koch stand, das Glas in der Hand, auf der Straße und sah sie abfahren. »Leichtfertig Volk,« murmelte er und kehrte an seinen Platz zurück, »aber verdammt glücklich.« — — Die mächtigen braunen Karossiers trabten stolz durch die Sonne. Die Stadt wurde durchquert, die imposante Komposition von San Giovanni in Laterano tauchte auf, und der junge Maler an Ottens Seite begrüßte sie mit dem alten Weihespruch: »Hochheilige Laterankirche, aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises Mutter und Haupt!« »Verleiht das Heiligengewimmel auf dem Prachtbau dem ehrwürdigen Monument nicht das Aussehen einer Fregatte, in deren Rahen die Mannschaften aufgeentert sind?« rief der Journalisten einer. Und die Porta San Giovanni lag hinter ihnen. Otten saß still. Vor ihm breitete sich, von der Via Appia Nuova majestätisch durchschnitten, das Panorama aller Panoramen, die römische Campagna. Die leise Wirkung des Weines war verflogen. Andächtig wurden seine Augen vor den Spuren eines vergangenen Weltreichs, das hier die Sommerpaläste seiner Großen und — ihre Gräber hatte. Wie ein Rahmen aus edelster Künstlerhand legte sich die geschwungene Linie der Albanerberge um das Bild. »Schauen Sie,« sagte er leise und berührte des jungen Malers Knie, »vor solch einer Gottesschöpfung kann man gar nicht kleinlich werden. Man sollte die Sektierer in der Kunst hierher führen.« »Und dort haben Sie das Volk, Herr Doktor, unverändert durch die Jahrhunderte!« Die Wagen hielten vor einer Osteria, der Faccia fresca, deren Lauben von schmausenden und trinkenden Menschen besetzt waren, lustigen Kleinbürgern mit ihren Schönen, braunen Bewohnern der Campagna, abenteuerfrohen Jüngern der Kunst. Bänkelsänger schmetterten ihre Arien in das Stimmengewirr, Gitarre- und Mandolinespieler rissen an den Saiten, dunkeläugige, kecke Mädel in bunter Volkstracht, die wochentags auf der spanischen Treppe ihre Maler erwarteten, rasselten mit dem schellenbesetzten Tamburin. Dazwischen das Aufkreischen einer Schönen, der zu handgreiflich der Hof gemacht wurde, ein wilder Wortwechsel, ein Aufhorchen ringsum — und aufs neue Stimmengewoge, Gläser- und Tellerklirren, zerflatternde Arien, Mandolinengeseufze und rasselndes Tamburin. Die Gesellschaft hatte sich einen Tisch erobert. Das Mahl wurde bestellt und nach wenigen Minuten serviert. Platten dampfender Spaghetti, gebratene Hühner, Salatschüsseln, Obst und Käse. Dazu der begnadete Weißwein der Castelli Romani. Man trank sich zu, von einem Tisch zum andern, man bestellte eine neue Romanze, die Musikanten wurden an den Tisch gerufen und die augenblitzenden Tamburinschlägerinnen um die Mitte genommen. Die Lebensfreude flammte auf. Einen wilden Juchzer sandte Otten in die sonnenzitternde Luft. »Jugend, du meine Jugend, ich halte dich!« »Weiter, immer weiter, ins Glück hinein! Man lebt nicht umsonst auf römischem Boden!« Die Landauer fuhren vor. Die Musikanten gaben den Herren das Geleit. Und weiter trabten die Karossiers, unwillig, sich nicht auch im Feuer der Jugend zeigen zu können. Aber die Passage wird enger. In langer Reihe rollen die Equipagen der römischen Gesellschaft einher. Mitten unter ihnen Droschken voll geputzter Stadtleute. Die Via Appia ist zur Korsostraße geworden, voll Leben und Eleganz. Fächer winken von hüben und drüben, beringte Händchen, offen, heimlich, zögernd und temperamentvoll. Näher schwingen sich die Albanerberge. Die helle Februarsonne funkelt in den Fenstern von Frascati, von Albano. Eine Stunde lang geht’s vorwärts. Verwundert starrt die erhabene Trümmerwelt zu beiden Seiten der Straße auf das sonderbare Menschenvolk, das jetzt nur noch Auge und Ohr für seinesgleichen hat. Da winkt das neue Ziel, ein weißes Gebäude, die Osteria Antica. Auf dem abgeplatteten Dache, auf der Diele, auf den Treppen sitzen römische Kleinbürger Kopf an Kopf. Ein Wagenpark umgibt die Schenke. Neu anfahrende biegen zur Seite und stellen sich am Straßenrande auf oder lenken in die Wiesen. Die Kellner in Hemdärmeln laufen mit Flaschen und Gläsern, in die sie die Finger stecken, Ungeduldige spielen selber den Kellner, erhandeln am Weinschank die gefüllten, strohumwundenen Flaschen, Laibe Brot, Stücke saftigen Schinkens oder riesenhafter Salami, deren Duft nach dem Orient weist. Männer trinken und Frauen, die Ammen geben den Säuglingen die Brust, die Kutscher kneipen und die Herrschaften. Und des Schreiens und Gestikulierens ist kein Ende. In der Ferne eine Staubwolke, die größer und größer wird. Räder tauchen auf, die sich in rasendem Tempo drehen. Vornweg vier Pferdebeine, die sich krampfhaft zusammenziehen und auseinanderschnellen. Jetzt saust es heran — ist vorüber! Der Applaus des Publikums hinterdrein. »Das war die =eccellenza=,« sagte der junge Maler. »Sie kutschiert selbst.« Otten war es, als hätte ihn ein heißer Blick gestreift. Er lachte. Dann sah er sich nach den Gefährten um, die sich unter die Menge mischten, blind für alles, was nicht Römerin war. »=Donna è mobile= ...« summte er vor sich hin, gewann den Ausgang und schlenderte die Straße entlang ... Eine Viertelstunde war er gewandert, als er den Wagen zurückkommen sah. Der silbergeschirrte Grauschimmel streckte die Beine in ruhigem Trab. Nachlässig hielt die Lenkerin die Peitsche. Jetzt gewahrte sie den Spaziergänger. Sie setzte sich aufrecht, daß die Büste das graue Fahrkleid spannte, zog die Zügel heran und hielt. Eilig sprang der knabenhafte Groom vom Rücksitz und nahm das Pferd beim Kopf. »Sieh da, der =maëstro= — —!« Otten trat an den Kutschbock, zog den Hut und schüttelte die Hand, die sie ihm reichte. »Ich such’ den Frühling, =eccellenza=.« »Und werden ihn finden?« »Und werde ihn finden.« »Es ist erst Februar — —« »Weshalb? Wenn wir ihn Mai taufen, ist es der Mai.« »Dazu gehören Zauberkünste.« »Als wenn sich eine Frau jemals vor Zauberkünsten gescheut hätte.« »Wie stellen Sie sich die vor?« Unter den schweren Augenlidern huschte ihr Blick über den Mann. »Ich lasse mich gern überraschen, =eccellenza=.« Sie schlug die Augen voll auf. Auf dem Grunde sah er ein Glimmern. Unbeweglich hielt er dem Blick stand. »Ich habe noch einen Platz im Wagen für Sie frei.« »Auch in Ihrem Herzen?« »Ich bin keine Wahrsagerin.« »Und ich suche den Frühling, =eccellenza=. Muß ich weiterziehen ...?« »Steigen Sie auf.« Und sie machte ihm Platz. »Vielleicht, daß er sich von Ihnen anlocken läßt.« Er legte den Finger auf den Mund. »Er ist um uns. Spüren Sie? — Nicht verscheuchen!« Das Pferd machte einen Seitensprung vor der niederwippenden Peitsche. Dann zog es an. Der Groom sprang auf und kreuzte die Arme. Links und rechts flogen die Felder der Campagna. Bald, und die Osteria Antica lag im Rücken. Ruinen tauchten auf und verschwanden, Grabdenkmäler, in der Ferne die melancholischen Bogen der antiken Wasserleitung, ein einsames Kastell, und die meilenweite Steppe. Das Pferd fiel in Schritt. Die Lenkerin lächelte vor sich hin. Sie spürte den Blick des Mannes an ihrer Seite. Und Otten tat einen tiefen Atemzug. Ein Rauschen war in seinem Blut, und er legte seine Hand auf ihr Gelenk. Dort blieb sie. Als sie sich der Porta San Giovanni näherten, senkte sich die jähe Dunkelheit des Februarabends. Otten wandte sich um. »Die Heimat des Frühlings ...« Hinter ihnen stand die Campagna in Brand, leuchtete noch einmal auf und sank ins Dunkel. »Das schafft Heimweh, wenn man wieder in Deutschland ist.« »Gut, daß wir den Lärm hinter uns haben,« sagte sie schnell. »Den Lärm vergißt man. Man sieht nur noch die Farben.« »Was bleibt uns von dem schönsten Tag —?« »Das Geheimnis der Sehnsucht. Die Farben bleiben.« »Ich liebe die Farben,« erwiderte sie. »Und hier sind wir am Ziel. Nehmen Sie ein Glas Tee bei mir? Mich schauert, seit die Farben verschwunden sind.« »Wir tun die Tore der Seele auf und lassen heraus, was wir für festliche Stunden ersparten, =eccellenza=.« Das Gefährt bog in den Vorgarten einer Villa. Otten sprang vom Kutschsitz und hob die Dame herab. Der Groom öffnete das Portal, und sie schritten über die hallenden Marmorfliesen in ein kleines, zartgetöntes Gemach. Lachend blickte Otten sich um. »Wie kommt mein alter Flügelmann in solche Kompanie?« »Sie müssen mich zwei Minuten entschuldigen, Herr Doktor.« »Nicht umkleiden,« bat er. »Es darf kein Unterschied sein. Das wäre ein Grenzpfahl.« »Ich werde selbst den Tee holen. Für solch einen werten Gast.« Er saß im Sessel und erhorchte ihre Schritte, als sie zurückkam. Sie setzte das Silbertablett nieder, goß ein und sandte einen schnellen Blick auf ihn hinab. »Gleich wird mein Gatte eintreten ...« »Nicht schlecht,« erwiderte er nur. »Nicht schlecht? Er behauptet, daß die Wiege seiner Ahnen in Trastevere gestanden hat. Sie wissen doch? Wo die Eifersucht zur Welt gekommen ist.« »Das muß für Ihren Gatten sehr interessant sein.« »Ein solches Tete-a-tete. Fürchten Sie denn nichts?« »Ich fürchte nur eins. Daß Ihr Gatte eintritt, bevor ich Sie geküßt habe.« Sie stellte das Teekännchen hin, beugte sich plötzlich über ihn und küßte ihn aufs Haar. Er schlang den Arm um ihre biegsame Taille. Er suchte in ihren dunklen, leuchtenden Augen. »Wir kennen uns schon seit Tausenden von Jahren.« »Seit gestern. Als Sie beim Botschafter sangen. Ungestümer Barbar.« »Seit Tausenden von Jahren. Seit Erschaffung der Welt. Ich bin der erste Mann, und Sie sind das erste Weib. Nichts anderes gibt es. Nichts als das Paradies und diese Stunde.« Sie bog sich zurück. »Gut, daß wir allein sind. Ich log.« »Das tat auch das erste Weib, und es schadete ihrer Schönheit nicht.« »Als ich Sie gestern sah, wollte ich Sie erobern. Es ist mir geglückt.« »Euch erobern zu lassen, habt ihr verlernt. Aber ich lasse mir mein Recht nicht nehmen.« »O — nicht so stolz. Unsere Zeit ist gekommen.« »O — nicht so stolz. Sie wird an Fahnenflucht zu Grunde gehen. Mit Wonne. Lesen Sie Aristophanes.« »Selbst Männer führen heute die Sache der Frauen.« »Sie sind auch danach. Herostratennaturen, die anders nicht von sich reden machen können und im trüben fischen.« »Ach,« machte sie, »ich dachte, man müßte euch großen Männern imponieren. Wie fang’ ich’s an?« Er erhob sich und breitete die Arme. »So!« sagte er und lachte sie an. Sie trat einen Schritt zurück, um sein Bild aufzunehmen. Er hörte ein Knistern, wie von angespannter Seide. Dann schloß er die ausgebreiteten Arme. Er fühlte seine Gefangene ... »Jetzt räche ich Thusnelda, schöne Römerin.« »Barbar — —,« gab sie zurück und schloß die Augen. — — — — — Es ging auf Mitternacht, als Otten die Via San Giovanni entlang schritt. Ihn dürstete. »Daß sie sich alle gleich sind, wenn die Sinne sprechen. Wieder eine Puppe, mit Häcksel gefüllt. Und jedesmal erwarte ich die große Offenbarung. Aufgespielt, Bajazzo!« Aus der Weinstube des Zi Pasquale scholl feuchtfröhlicher Gesang. Deutsche Burschenlieder. Rheinlieder. Otten stutzte. »Nur das jetzt nicht. Nur nichts Deutsches jetzt. Und nichts — vom Rhein. Da gibt es Leute, die an mich glauben.« Er wandte sich und suchte die Weinstube Peppes an der Fontana Trevi auf. Von ferne schon hörte er das Rauschen der Trevifluten. Und plötzlich gab er den Gedanken an Wein und Gesellschaft auf. »Wenn ich endlich wieder — nach Köln reiste —.« »Ich glaub’ fast — mein Schiff — trägt unsichtbar schon — den Heimatswimpel. Es muß ins Dock.« Er starrte in den Wasserstrudel. Es überlief ihn kühl. »Aber nicht abtakeln. Jung bleiben. Wiederkommen.« Er warf über die Schulter ein Geldstück in das flutende Wasser. »Es ist ein alter Aberglaube,« dachte er, »und wer von dem Wasser trinkt, den zieht die Trevinixe zurück. Es ist gewiß schön in der Heimat, und man kann in Frieden alt und grau dort werden — —. Aber ich will doch lieber trinken.« Er beugte sich über den Beckenrand und trank ein paar Tropfen des niederströmenden Wassers. »Ich komme wieder.« =VI= Joseph Otten hatte Rom ohne Abschied verlassen. Nur Heinrich Koch hatte er durch ein lakonisches Billett, das nichts als die Worte enthielt: »Ich werde doch wieder einmal nach Köln gehen,« lebewohl gesagt. Als er sich um neun Uhr Abends in seiner Schlafwagenkabine zur Ruhe ausstreckte, tat er es mit dem Gefühl eines Mannes, der nichts sehnlicher wünscht, als zehn Stunden lang einen solid bürgerlichen Schlaf zu tun. Der Wunsch ging ihm in Erfüllung. Traumlos schlief er wie in der Knabenzeit nach einer langen Fußwanderung. Beim Erwachen fand er sich nicht gleich zurecht. Er machte Toilette, trat auf den Gang hinaus und öffnete ein Fenster. Der Zug fuhr durch eine Station. Otten erhaschte den Namen. Es ging auf Mailand zu. Und auf einmal überkam es den Mann wie eine Schulbubenfreude, heimzureisen, während sich die Zurückgebliebenen den Kopf zerbrachen. Die Freude währte noch an, als der Zug Mailand verlassen hatte und den Como- und Luganosee passierte. Die Vorfrühlingssonne lag in glänzenden Streifen auf dem Gewässer. Dann umfing den Eilzug die Alpenregion. Ohne Übergang fast war es wieder Winter geworden. Unruhig sah Joseph Otten zum Fenster hinaus. Vor ihm baute sich die majestätische Scheidewand des Gotthard auf. Schneebedeckt lagen die Joche, unheimlich glitzernd die Eisfelder. Und unaufhaltsam, immer tiefer ging es hinein in die totenstille Winterwelt. Eisige Kälte drang dem unruhigen Beobachter ins Blut, und doch war es warm im Speisewagen, in dem er sich zum Mittagessen niedergelassen hatte, und der rote Neufchâteler, der vor ihm im Glase funkelte, feuriger Art. Aber ein unerklärliches Angstgefühl war nicht zu bannen. »Was, Teufel,« dachte der Mann, »treibt dich vom Frühling hinweg in den grauen deutschen Winter? War es bisher nicht immer umgekehrt der Fall? Wenn man achtundvierzig Jahre zählt, ändert man nicht ungestraft seine Gewohnheiten.« Als der Zug in Airolo hielt, dachte er einen Moment daran, auszusteigen. Der Bergriese schien sich höhnisch vor ihm aufzurecken, der Eingang zum Tunnel schien ihm der Höllenschlund, und von der Steinwand flimmerte es ihm entgegen, ein Hexensabbat feuriger Buchstaben, die er mühselig in eine geordnete Reihe zu bringen trachtete, bis er den Schreckensspruch aus Dantes Göttlicher Komödie entzifferte: Laßt jede Hoffnung hinter euch, die ihr eintretet ... »Ich hätte nicht reisen sollen,« murmelte er. »Man verläßt Rom nicht um einer Laune willen, wenn man nicht weiß, wann und wie man es wiederfindet.« Der Zug fuhr langsam durch den Bauch des Berges, der zwei Welten trennt und verbindet. Und wieder wurde es Licht. Göschenen ruhte friedlich im Winterkleid. »Sieh da,« sagte Otten zu sich und rieb sich die Augen, »hinter dem Berge wohnen auch Leute. Und es fährt sich genau so leicht von Göschenen nach Airolo wie von Airolo nach Göschenen. Diesen Beweis gedenke ich anzutreten. Freute sich nicht schon Till Eulenspiegel deshalb so unbändig, wenn er einen unangenehmen Berg heraufkraxelte, weil ihm nachher der liebliche Rückweg winkte? Till, heute fühle ich mich dir geistesverwandt. In diesem Sinne sei’s gewagt!« Aber in Basel beredete er sich dennoch, eine Fahrtunterbrechung eintreten zu lassen. »Zwei Nächte im Schlafwagen sind nicht unbedingt notwendig, wenn man an keine Zeit gebunden ist. Morgen mit dem Frühzug reise ich frischer.« Die Grenze hatte aufs neue ernüchternd auf ihn gewirkt. »Ich komme als Gatte und Vater,« ironisierte er, als er im Hotelbett den Morgen erwartete. »Noch dazu als Vater einer Tochter, die mit ihren fast vierzehn Jahren Anforderungen an das erzieherisch wirkende väterliche Beispiel zu stellen berechtigt ist. Ist das wirklich schon der Zeitpunkt, an dem eine Etappe — und nicht die häßlichste des Lebens — wiederum als abgeschlossen zu betrachten ist? Während man sie noch bis ins Unendliche verlängern möchte? Während man Blut und Mark noch ganz anders spürt als in den grünen, unkundigen Jünglingstagen? Während man jetzt erst — jetzt erst so recht — verstehen gelernt hat, was es heißt: Und setzest du nicht dein Leben ein, nie wird dir das Leben gewonnen sein? — —! Joseph, du stehst am Scheidewege. Unvorbereitet wie immer, und wie du es früher liebtest. Ihr guten Götter, helft! ›Das Schlimmste und das Dümmste, das trag’ ich geheim in der Brust!‹« — — Die Beklemmung, die ihn befallen hatte, war nicht gewichen, als er sich am Morgen erhob. »Wenn ich erst den Rhein sehe, wird’s besser werden,« tröstete er sich. Wieder schaute er zum Wagenfenster hinaus, Stunde für Stunde, und wieder eilten seine Gedanken rückwärts statt vorwärts. Dann zwang er sich, an Maria zu denken, an ihre stillen, vor Freude glänzenden Augen, an den Jubel des Kindes. Heiß stieg es in ihm auf. Er hatte ihr eine andere Stimmung ins Haus zu tragen. Resignation war daheim zur Genüge aufgespeichert. Lachen sollte durchs Haus schallen, das Lachen von drei Menschen, jungen, jung gebliebenen. Selbst der Brummbaß des alten Klaus erhielt eine veredelnde Note. So mußte es sein, so sollte es werden. Eine fröhliche Stunde in Köln — und der Bann war gebrochen. Ja, das war’s. Noch einen freien, fröhlichen Abend der Vorbereitung, der Akklimatisierung. Und dann — ins alte Geschlechterhaus, in die Rheingasse. Vom Mainzer Bahnhof gab er eine Depesche auf. »Medardus Terbroich, Köln, Ringstraße. Ankomme sieben Uhr mit Basler Schnellzug. Hole mich Bahnhof ab. Joseph Otten.« Mit einem Schlage war die verlorene Stimmung zurückgekehrt. Nun zog er doch nicht als Lebensinvalide in die alte Vaterstadt. — Der Zug lief auf der Deutzer Seite ein. Mit alter Elastizität sprang Otten aus dem Wagenabteil, beorderte einen Dienstmann, sein Gepäck in die Aufbewahrungshalle zu tragen, und wandte sich Terbroich zu, der diesen ersten Anordnungen des Heimkehrenden mit vielsagendem Lächeln folgte. »Inkognito, Joseph?« »Nur heute abend. Ich fühl’ mich noch nicht widerstandsfähig nach so langer Abwesenheit.« »Verstehe. Ich und was folgt, wir sollen sozusagen die ersten Stationen zum Kalvarienberge bilden. Was befiehlt der große Maëstro, das zunächst geschehen soll?« »Irgendwohin. Wo unverfälschte Kölner Luft weht. Damit hab’ ich’s eilig.« »Das Hänneschen-Theater ist leider geschlossen.« »Bring mich in eine Kölner Kneipe, Hanswurst. Ich trag’ noch den Wein aus der römischen Campagna auf der Zunge. Entwöhne mich. Gib mir den Kölner Biersäuerling. Das schafft kühlere Gedanken.« »Hast du so heiße zurückgelassen?« »Du wirst deine Neugier zügeln müssen. Aber gottlob, du wenigstens hast dich nicht geändert.« »Ich hatte schon kommen wollen. Besonders, als ich gestern eine Depesche in der ›Kölnischen‹ las, daß du auf dem Feste beim Botschafter der Gegenstand großer Ovationen gewesen seiest. Das muß famos sein. Deine Ovationen sind Herzenssache. Und so ein römisches Herz — Hand drauf, Joseph, das nächste Mal!« »Du bist ein Geck,« sagte Otten lachend. »Klär dir dein Terrain selber auf.« »Ich habe so viele Rücksichten zu nehmen. Ich bekleide so viele Ehrenpöstchen. Da darf man sich nicht zu sehr exponieren. Aber auch im Schatten läßt sich’s tafeln. Es muß eben einer die Rolle der spanischen Wand übernehmen. Na, Joseph, das sollen jetzt schöne Tage werden, und der Karneval steht auch vor der Tür.« »Da meldet er sich schon.« Auf dem blauen Postbriefkasten, der an einem der Häuser hing, thronte ein kleiner Junge, klapperte mit seinen Holzpantinen gegen die Hauswand und sang aus vollem Halse. Ein paar andere, die kaum in den ersten Holzpantinen zu Hause waren, sprangen wie Stehaufmännchen um den Briefkasten herum und jauchzten das Lied mit. »Fastelowend kütt eran ...!« »In vierzehn Tagen,« sagte Medardus Terbroich und strich sich schmunzelnd Schnurr- und Spitzbart. »Komm, wir gehen über die Schiffsbrücke.« Es war ein abendliches Gewimmel. Fabriken und Kontore hatten Feierabend gemacht, und über die Schiffsbrücke zog es wie eine lange, schwarze Prozession. Am Zahlhäuschen staute sich ein Knäuel. Die Hintenstehenden drängten. In der Ferne hatte ein Dampfer gepfiffen, und das Mittelstück der Brücke sollte ausgefahren werden. Die schon auf der Brücke standen, setzten sich in Trab, um trotz des Geschimpfes der Brückenbediensteten noch hinüberzukommen. Am Zahlschalter, an dem das Brückengeld in Empfang genommen wurde, wetterte ein Handlungskommis über die langsame Abfertigung. »Ärgere dich nit, Mensch,« meinte das Billettmädchen gelassen, »et schadet deiner Schönheit.« Ein Schmunzeln ging durch die lange Reihe. »Dich möcht’ ich lew hann,« sagte der Nächste am Zahlbrett. Und prompt kam die Antwort: »Ha, das glauben ich auch!« In einer Seitengasse, die auf den Domplatz mündete, machten die Freunde halt. »Hier hinein?« fragte Terbroich, und Otten bejahte. Es war ein altes, unscheinbares Haus. Auf der Diele wurden Fässer gerollt, die leeren seitlich aufgetürmt, die vollen auf Bänke gehoben und eilig angezapft. Übertriebene Höflichkeit wurde nicht geübt. Wirtsleute und Bedienung verließen sich auf die werbende Kraft ihres Stoffes. Das lange, schlauchartige Lokal war dicht gefüllt. Im Hintergrund hatten die Seßhaften Platz genommen, Stammgäste, die einen Jahresnachweis führen konnten, eingeborene Bürger, Beamte jeder Rangklasse. Im Vorderlokal saßen die Passanten, die nur auf eine oder zwei Schoppenlängen vorsprachen und sich dazu durch ein Röggelchen mit Holländerkäse stärkten. Standesunterschiede wurden nicht beliebt. Der Dienstmann rückte seinen Stuhl neben eine Magistratsperson, der Mann in der Arbeitermütze trank neben dem Mann im Zylinder. Dicker Zigarrenrauch schwamm in wolkigen Schichten über den Köpfen. Die Schankburschen in blaugestricktem Kamisol, Schurz und Lederriemen drückten sich durch die Stuhlreihen, ersetzten die leeren Schoppen schleunigst durch gefüllte und ließen keine Stockung im Betrieb aufkommen. Und hinter dem kleinen Büfett thronte auf einer Estrade die dicke Wirtin mit einer Gemütsruhe, als pflege sie von ihrer Höhe aus Gnadenerlasse zu erteilen. »Der Herr möchten zahlen, Pitter.« Otten und Terbroich hatten an einem Seitentischchen Platz gefunden. In durstigem Zuge leerte Otten sein Glas, schüttelte sich und ließ sich ein frisches reichen. »Ich glaub’, das reinigt selbst die Kleider.« »Weißt du noch,« meinte Terbroich, »wie wir das erste Bier getrunken haben? Als zahlende Gäste? Wir waren Sekundaner und hatten auf dem Eis ein paar Mädel aufgegabelt, denen unsere Mützen mächtig imponierten. Um als Kavaliere vor ihnen zu bestehen, luden wir die Damen zu einem Imbiß, als wenn wir gewohnt wären, täglich um diese Stunde unseren Schoppen zu uns zu nehmen. Dabei schlug uns das Herz bis in den Hals, als wir in der Altstadt das elendeste Kneipchen aufsuchten. Ich ging voran.« »Und verschwandst durch die Hoftür, während wir drei armen Seelen zitternd den Wirt erwarteten. O Medardus, du hast dich in dieser Sache nicht mit Ruhm bedeckt.« »Ich wollte doch nur Geld von zu Hause holen,« verteidigte Terbroich sein erstes Abenteuer. »Dort, wohin du dich verschämt zurückzogst, war jedenfalls keins zu finden.« »Ich kletterte über den Zaun —« »Und grinstest dann durch das Fenster. Am nächsten Tage kassierte ich deine Schulden durch eine Tracht Prügel bei dir ein, da du die bare Genugtuung verweigertest.« »Davon ist mir nichts bekannt,« lenkte Terbroich ab und prostete den Jugendfreund höflich an. Am nächsten Tische war man aufmerksam auf die beiden Herren geworden. Man sandte respektvolle Blicke herüber und flüsterte sich in die Ohren. Das Stammtischgespräch verstummte auf einen Augenblick. Terbroich bemerkte es geschmeichelt und gab sich eine vornehm-lässige Haltung. »Wir werden erkannt,« sagte er leise. Otten schaute sich um. Sein lachender Blick flog über den Stammtisch, und als ein paar der Abendschöppler Miene machten, ihn zu grüßen, kam er ihnen zuvor. »Guten Abend, meine Herren!« »Guten Abend, Herr Doktor,« scholl es gemütlich zurück. Einer hob sein Glas. »Ihr Wohlsein, Herr Doktor!« »Ist es erlaubt?« fragte Otten. »Große Ehre, Herr Doktor. Wir rücken zusammen. Raum für alle hat die Erde.« Otten wandte seinen Stuhl und rückte in den Kreis. »Das nenn’ ich eine gemütliche Ecke. Sie haben es gut.« »Ja, ja, so en echt Glas Kölsch, dat kann Ihne selvs der heilige Vater nit fürsetze.« »Dafür ist dort aber Freizeche.« »Wenn dat allens is: Pitter, ene Runde!« Schallendes Gelächter lohnte dem Spender. »Nix für ungut, Herr Doktor, äwwer ich hann als esu en Freud’, den Herrn Doktor Otten bei uns zu sehn. Da kütt et mr ratsch op enen Dahler nit an.« Nun hatte auch Terbroich seinen Stuhl in den Kreis geschoben. »Der Herr Doktor ist deshalb expreß von Rom gekommen.« »Hät hä ding ärm Seel losbete müsse? Dann is die nächste Rund’ beim Herrn Terbroich.« Terbroich protestierte. Aber man hatte den Auftrag bereits erteilt. »Jetzt wird mir wieder heimatlich,« sagte Otten. »Daß man das draußen vergessen kann.« »Aber wir haben den Herrn Doktor Otten nicht vergessen.« »Der Prophet gilt sonst nicht viel im Vaterland. Wer einen als dummen Jungen gekannt hat, hält es später für unter seiner Würde, sich von dem Bild loszureißen. Daher tragen so viele Künstler ein getrübtes Heimatserinnern mit sich herum.« »Das mag anderwärts wahr sein, Herr Doktor. Aber wir Kölner sind immer noch stolz auf unsere Künstler gewesen. Und um Ihnen das zu beweisen, fordere ich die hier anwesenden Herren auf, ihr Glas zu erheben und mit mir einzustimmen in den Ruf: Uns’ Jupp — der Herr Doktor Joseph Otten — soll leben: hoch!« Der Hochruf brauste über den Tisch, wurde an anderen Tischen aufgefangen, weitergegeben, und ein paar Sekunden lang erhob sich selbst die phlegmatische Wirtin verwundert von ihrem Thron. »Nun singen wir,« rief ein Begeisterter — — Da winkte die Wirtin kühl ab. »Wir müssen weiter,« flüsterte Terbroich dem Freunde zu, der Miene machte, seßhaft zu werden. »Es fängt ja erst an.« »Ich habe noch was =in petto= für dich.« »Was Gescheites?« »Mehr als gescheit. Du wirst dich wundern, wie klein du wirst.« »Deine beleidigende Zuversicht könnte mich reizen. Ich bin in Stimmung, Terbroich.« »Ich setze meine Seele gegen deine.« »Da werden sich die Teufel freuen.« »Also erheb dich. Guten Abend, meine Herren. Sie müssen entschuldigen, daß ich Ihnen den Herrn Doktor jetzt entführe. Wir haben noch wichtige Geschäfte.« »Lüg du un der Düwel. Guten Abend, Herr Doktor. Aufs Wiederkommen.« »Wohin?« fragte draußen Otten und schob sich den Schlapphut aus der Stirn. »Mensch, das hat gut getan. So eine spontane Huldigung geht einem ins Blut wie ein übermütiger Most. Bring mich, wohin du willst. Aber laß Freude bei der Sache sein.« »Erinnerst du dich Lüttgens? Karl Lüttgens? Der mit uns auf der Schule war? Eisenwalzwerk. Großer Industrieller. Er spricht häufig von dir.« »Lüttgen? — Natürlich! Prächtiger Kerl. Wenn ich nicht irre, starb ihm seine Frau.« »Er ist wieder verheiratet. Mit einer Berlinerin. Vornehme Person, klug, daß man vor ihrem Blick verschwinden möchte. Dabei klein, fein, biegsam, spöttisch und —« »Alterier dich nicht.« »Ich kann mir nicht helfen, wenn ich sie ansehe, muß ich an die Versuchung des heiligen Antonius denken.« »Du heißt aber Medardus, mein Sohn. Vergiß das nicht.« »Wollen sehen, wessen Kopf am längsten oben bleibt.« »Ist sie jung?« »=La femme de trente ans.= Das gefährliche Alter.« »Schneegänse waren nie mein Fall. Frauen unter dreißig sind keine Frauen. Gehen wir hin?« »Wir sind auf dem Wege.« »Unangemeldet?« »Es ist Empfangsabend. Ich habe uns durch Laurenz ansagen lassen.« »Durch deinen Jungen? Trägt der schon lange Hosen?« »Der? Du wirst staunen, wie der sich entwickelt hat. Er ist sechzehn geworden, seit einem Jahre Lehrling auf meinem Kontor, ein bildhübscher Bengel und verdreht allen Mädels die Köpfe.« »Es ist ~dein~ Sohn,« lächelte Otten. Sie nahmen einen Wagen und fuhren zum Hohenzollernring. Otten rauchte seine Zigarre zu Ende. »Hast du — zufällig einmal — meine Carmen gesehen?« »Letzten Sonntag im Zoologischen Garten. Laurenz hatte sie abgeholt. Ich war auch da, des schönen Wetters wegen. Da sah ich sie promenieren.« »Sind wohl gut Freund, die beiden?« »Und einer eitel auf den andern. Ich sag’ dir, alle Welt dreht sich nach ihnen um, wenn sie zusammen anmarschieren.« »Bißchen vorzeitig,« murmelte Otten .... Der Name Marias schwebte ihm auf der Zunge. Da hielt der Wagen schon. Im Vorraum nahm ein Diener den Herren Hut und Mantel ab. Otten warf einen Blick in den facettierten Wandspiegel. »Geht das an? Ohne hochzeitliches Gewand? Ach was. =Qui vivra, verra.=« Im großen Salon und im angrenzenden Musikzimmer saßen die Gäste und horchten auf das Spiel einer Pianistin. Das braune Haar in tiefer Frisur von der Wange zurückgestrichen und im Nacken zu einem schweren Knoten genommen, die mädchenhafte Figur in einem weißen, goldbordierten Phantasiegewand, das oberhalb der weiten Ärmel die Schultern freigab, spielte die Dame eine virtuose Variation, ohne sich durch den Eintritt der neuen Gäste im geringsten ablenken zu lassen. Erst, als sie an der leisen Bewegung, die durch das Auditorium ging, fühlte, daß ihre Zuhörer nicht mehr bei der Sache waren, schloß sie mit einem Lauf, den sie auf hoher Note abbrach. Die Hände auf den Tasten, blieb sie sitzen und wandte nur langsam den Kopf. »Liebe Amely,« hörte sie über sich die Stimme ihres Mannes, »da hab’ ich aber mal eine Überraschung für dich. Es ist nur ein Schulkamerad, aber nebenher ist es auch der Doktor Joseph Otten.« Der korpulente Mann, dessen gerötetem Gesicht man die Freude an dem unerwarteten Besuch ansah, klopfte dabei dem Gast kräftig auf die Schulter. Frau Amely zuckte ein wenig. Da ließ der Gatte verlegen von den Freundschaftsbezeigungen ab. »Meine Frau,« stellte er vor. Joseph Otten verbeugte sich tief. Als er den Kopf hob, gewahrte er einen verwundert forschenden Ausdruck in den Augen der Dame des Hauses. Der Blick lief an ihm hinab. »Ich habe Ihre Entschuldigung nachzusuchen, gnädige Frau. Ich weiß, das ist keine Besuchstoilette.« »Die gnädige Frau wird mir sicher nicht zürnen, daß ich den Herrn Doktor direkt von der Bahn hierher brachte,« warf Terbroich ein. »Berühmte Männer fallen unter das Ausnahmegesetz.« »Sie kommen direkt von der Bahn?« »Nicht ganz direkt. Ich habe erst meine Kölner begrüßt.« »~Meine~ Kölner —? Ach, ich vergaß. Es soll der Sänger mit dem König gehen.« »Meine Gnädige,« beeilte sich Terbroich, »es war eine Ovation. Kaum, daß wir das Lokal betreten hatten.« »Machen Sie doch Ihren Freund nicht schlecht,« verwies sie ihn mit spielender Ironie. »Er wird den Wert einer Kneipenovation richtig zu taxieren wissen.« »Ich weiß den Wert einer jeden wahren Gefühlsäußerung richtig zu taxieren, gnädige Frau.« »Sie leben nur selten in Köln?« »Ich lebe in der Welt.« »Ah — und Köln zählt für Sie zu den Außenposten.« »Ich komme von Zeit zu Zeit, um Studien zu machen.« »Musikalische?« »Menschenstudien, gnädige Frau. Köln ist ein Hauptstapelplatz für Typen jeglicher Art.« Sie sah mit einem mokanten Zug um den Mund zu ihm auf. »Ich werde mich also fürchten müssen.« »Ich habe nicht den Vorzug, Sie so genau kennen zu dürfen.« Einen Augenblick sah sie zur Seite, als suchte sie etwas. »Graue Augen hat die Katze,« dachte Otten, »sie will mit mir spielen. Ein graues Auge — ein schlaues Auge — —.« »Mein Mann,« begann die Dame des Hauses nach kurzer Pause, »wird bereits ungeduldig, daß ich ihm Ihre Gesellschaft so lange entziehe. Ihre Freundschaft muß eine sehr bewährte sein, daß Sie so schnell schon zu ihm eilen. Mein Mann ist darin rührend alte Schule. Freundschaft, Liebe, Freiligrath und Rüdesheimer. Sie haben sich den Anspruch darauf verdient. Ich beurlaube Sie einstweilen, Herr Doktor.« »Mein lieber Joseph,« sagte Lüttgen, nahm seines Gastes Arm und drückte ihn herzhaft. Über den Korridor führte er ihn ins Rauchzimmer, um dem Schwarm der Gäste zu entgehen. »Du erlaubst doch, Joseph, daß ich dich noch du nenne? Trotz der Ironie meiner Frau. Ich kann keine schönen Worte machen, ich bin Fabrikant und basta. Aber das hindert nicht, dir zu sagen, daß ich mich bärenmäßig freue, endlich einmal einen vernünftigen Menschen in meinem Hause zu sehen. Sag schnell, was du trinken willst: Rhein? Mosel? Bordeaux? Rheinwein, das ist schön! Mosel ist Modesache, aber Rheinwein — na, wir beide brauchen uns nichts zu sagen. Prosit, Joseph! Auf neue alte Freundschaft!« »Prosit, Lüttgens Karl! Du imponierst mir!« »Ach du —!« Der Fabrikant stieß seinen Gast in die Seite. »Du willst dich wohl auch lustig machen. Aber wenn du wüßtest, wie ich schon auf der Schule an dir gehangen habe. Nur zu schwerfällig war ich, so recht an dich heranzukommen. Und nun — nun gehört man schon zum alten Eisen.« »Oho! Pereat! Das sagt ein junger Ehemann?« »Nein, mein lieber Joseph, das sagt eine junge Ehefrau.« »Du scherzest. Ein Mann wie du. Erste Nummer in der Welt des Eisens. Aber nicht des alten.« »Ich kann mich in den neumodischen Kram nicht hineinleben. Trink mal. Gelt, ein Tröpfchen? Ja, was ich sagen wollte: oft frag’ ich mich, leide ich seit meiner neuen Ehe an Gehirnerweichung? Hab’ ich plötzlich jedes eigene Urteil verloren? Bin ich wirklich mit dem Dämelsack geschlagen? Wir lesen einen Roman zusammen. Meine Frau fiebert vor Entzücken. Und mir ist zum Übelwerden langweilig zu Mute. Ich halte den Kerl, den Romanschreiber, für einen Idioten, für einen schlappen Hund. Meine Frau hält ihn für einen Halbgott, für einen feinnervigen Kulturmenschen. Weiter. Wir genießen Musik. Wir Kölner sind alle musikalisch — na, wem sag’ ich das, Meisterseele. Und nun fegt etwas daher, duckt sich, springt mir an den Kopf, wirbelt mir das Gehirn zuunterst, zuoberst, entläßt mich mit einem Schlag auf den Magen, und meine Frau schluchzt vor Entzückung: Das ist Musik, das ist Gedankenvertonung, Geistesextrakt! — Ich bin wahrhaftig ein moderner Mensch. Sieh dir meine Fabrik an. =Lüttgen to the front!= Darauf kannst du ruhig das Sakrament nehmen. Ich habe die modernste Fabrik. Aber modern — zum Teufel, das ist doch nicht hysterisch! Prost, Joseph! Eine Flasche mit Verständnis trinken, das ist nämlich gemein.« »Ihr versteht euch nicht?« »Meine tausend Arbeiter verstehen mich aufs Wort. Für meine Frau rede ich kalmückisch.« »Das wird wieder anders werden.« »Was? Du denkst wohl, ich lamentiere? Jeder liegt, wie er sich bettet. Und nun freu’ ich mich, daß ich dich hier habe. Du mußt häufig kommen. Wir verstehen uns.« Eine Anzahl Herren traten ein. »Nicht zu sagen! Wir genießen mit den Ohren, und hier genießt man mit der Zunge. So eine Hinterhältigkeit.« »Wenn ihr Kunstkenner sein wollt, müßt ihr der Kunst ein Opfer bringen können. Beeilt euch! Drinnen gibt’s jetzt ein Violinkonzert.« »Lüttgen, sei barmherzig. Ein Glas Wein und eine Zigarre. Frau Amely sieht’s nicht.« Vor Otten stand ein junger, hübscher Mensch. Dunkles weiches Haar fiel ihm über die Stirn, und die großen, dunklen Augen kokettierten mit ihrer Schönheit. »Herr Doktor,« sagte er schmeichelnd, »Sie kennen mich ganz gewiß nicht mehr.« »Ganz gewiß nicht.« »Laurenz Terbroich.« »Ach — Sprößling meines Freundes Medardus? Das ist ja schön. Wenn man euch ansieht, merkt man, wie die Zeit vergeht und daß man auf den Großvater zusteuert.« »Wenn ich mit Ihnen tauschen könnt’, gäb’ ich zwanzig Jahre drum. Ihre Erfolge! In der Kunst und im Leben!« »Das ist die Stimme meines Medardus. Sie sind ein Schmeichler, junger Freund.« »Nur ein Enthusiast. Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ich möchte mit Ihnen anstoßen.« »Wohl bekomm’s. Also Sie streben jetzt auf dem Kontor des Herrn Papa?« »Noch zwei Jahre. Dann geht’s als Volontär nach Paris und nach London. Sie waren zuletzt in Italien, nicht wahr? Sind nun die Römerinnen wirklich so schön, wie man sagt?« »Mein Junge, die Frauen sind überall dort am schönsten, wo sie unseren Sinnen so scheinen. Sie haben eine unbegrenzte Heimatsberechtigung. Darin liegt ihre Schönheit und ihre Gefährlichkeit. Verstanden?« »Ich bin in der besten Lehre,« erwiderte der junge Mensch keck. »Dann lassen Sie sich ~eins~ sagen: Man beleidigt die Frauen, wenn man über ihre Schönheit diskutiert. Man liebt sie, oder man liebt sie nicht. Damit ist man am Ende.« »Und ~wenn~ man sie liebt?« »Ist es immer noch zweierlei, ~wer~ sie liebt. Vergessen Sie das nicht. Guten Abend, Herr Terbroich.« Durch die Portiere lauschte die Frau des Hauses herein. »Geben Sie auch Lektionen in Ihrer — Menschenkenntnis, Herr Doktor?« »Ich bin nicht so dreist, mehr als ein ewiger Schüler sein zu wollen, schöne Hausfrau.« »Ah — schön — —? Daraus müßte man konsequenterweise nach Ihrer Methode folgern —« »Sie haben gelauscht, gnädige Frau?« »Ich besitze noch mehr Untugenden, Herr Doktor. Verachten Sie mich.« »Ich bewundere Ihre Offenheit so sehr, daß —« »Daß —?« »Daß ich eine Absicht dahinter vermute.« »Welche Absicht könnte das wohl sein? Mit Ihnen zu kokettieren? Mir von dem berühmten Manne ein wenig den Hof machen zu lassen? Ich würde, wie so viele, glücklich sein.« »Ich pflege in dieser Beziehung selbständig vorzugehen, gnädige Frau.« »Ich glaub’s, Herr Doktor. Und das Siegen ist Ihnen zur zweiten Natur geworden.« »Es muß Sie doch sehr interessieren, einen solchen Sieg zu sehen.« »Alles, was von der Eva stammt, ist neugierig, Herr Doktor. Üben Sie Mitleid. Wir sind das inferiore Geschlecht.« Otten biß sich auf die Lippe. »Sie wünschen?« fragte er kurz. Sie lachte klingend auf. »Das stolze Mannestum bereits beleidigt?« »Meine gnädige Frau,« sagte Otten mit einer Verbeugung, »ich bin mir wohl bewußt, daß im geselligen Kreise jeder nach seiner Begabung zur Unterhaltung beizutragen hat. Genügt Ihnen diese Unterhaltung, ich stehe zu Diensten. Ob Ihnen meine Begabung genügen wird — das hängt von Ihrer Gewöhnung ab.« »Ich fürchte, Ihren Geschmack zu sehr zu beeinträchtigen,« meinte sie mit einem feinen, spöttischen Lächeln, knixte und zog sich durch die Portiere in den Salon zurück. Otten stieg das Blut in die Schläfen. Was sollte das? Hatte er dieser Frau einen Anlaß gegeben? Wodurch? Durch sein saloppes Erscheinen etwa? Dadurch vielleicht, daß er die Aufmerksamkeit von ihr abgezogen hatte? Oder spielte sie die geistreiche Frau, die sich daran ergötzt, Männer schwach werden zu sehen, um unverwundet von dannen zu kommen? »Dazu diese zarten Schultern. Dieses viel verschweigende, nervöse Gesicht. Wahrhaftig, dieser infame Gegensatz ärgert mich am meisten.« »Joseph,« sagte der Hausherr und trat mit gefülltem Glase zu ihm, »ich habe eine unverschämte Bitte.« »Er tut’s nicht,« rief Terbroich. »Die Wette ist gewonnen. Er singt nie, wo er eingeladen ist.« Joseph Otten schüttelte den Ärger ab. Sich in die Ecke stellen zu lassen von der kleinen, mokanten Person? Das wäre das erste Mal. Singen oder zechen jetzt! Wohl denn: Singen! Ohne Antwort zu geben, ohne sich umzublicken, schritt er durch den Salon in den leeren Musiksaal. Er schlug den Bechstein auf. Seine Hände griffen in die Tasten. Totenstill wurde es. Joseph Otten sang. »Nach Frankreich zogen zwei Grenadier’ ...« Er sang sie nicht die Grenadiere, er lebte sie. Er ließ die Klagen des Müden von dem ungebrochenen Aufbegehren des alten Feldsoldaten verschlingen. Er ließ aus zerlumpten Kleidern heraus den Mann erstehen, der nur die Tat sucht. »Was schiert mich Weib, was schiert mich Kind!« Wie ein Hohnlachen fuhr es über die Hörer in Frack und Seidenrobe. — — Er hatte geendet. Der Deckel klappte zu. Und langsam wandte sich Otten, öffnete, die Benommenheit der Hörer nutzend, die Tür zum Korridor und trat hinaus, um sich Hut und Mantel reichen zu lassen. Neben ihm stand die Frau des Hauses. »Sie kommen wieder.« Das klang wie ein Befehl. »Gute Nacht, gnädige Frau. Sie haben zu viel Geist für einen Aventurier meines Schlages.« »Reden Sie nicht.« »Und — zu zarte Schultern.« »Das gebe ich zu.« Und ihr Lachen klingelte ihm in den Ohren. »Gute Nacht.« Er stieg die Treppe hinab, reichte dem Diener ein Trinkgeld und wanderte durch die nachtdunklen Straßen. »Ich bin in Köln,« sprach er vor sich hin. Er lachte hart auf. Mit gefurchter Stirn schritt er weiter. »Ein Narr wartet auf Antwort.« =VII= Der alte Klaus hatte den kurzen Schlaf des Alters. Die Jahreszeit sprach für ihn nicht mit. Schlug es vier Uhr von den Kirchtürmen, so regte sich der einstmalige Schiffer in ihm, der auch im Ruhestand die Gewohnheit der Stundeneinteilung festhält. Er machte Licht, kontrollierte seine Uhr, zog brummelnd die Hosen über und zündete Feuer im eisernen Trommelöfchen an. Bis das Kaffeewasser im Topf brodelte, rauchte er sinnend die erste Morgenpfeife. Heute wollte das Wasser nicht so schnell zum Kochen kommen. Aber der Alte hatte Zeit. Er langte vom Bort ein abgegriffenes Büchelchen herunter, das handlich zwischen Töpfen und Tabakskasten steckte, befestigte die Brille hinter den Ohren, leckte den breiten Daumen an und blätterte die Seiten um. Buchstabe für Buchstabe las er die Historie von seines großen Ahns Nikolaus Gülich, Band- und Manufakturwarenhändlers zu Köln, Heldentaten, Untaten und ruhmreichem Tode durch Henkershand auf freiem Platze, zu seinem ewigen Andenken genannt Gülichsplatz. Ein Lächeln der Befriedigung auf den verwitterten Zügen, hielt der Alte seine Morgenandacht ... Plötzlich schob er mit einem Ruck die Brille auf die Stirn. Hatte es da nicht geklopft? Von draußen ans Fenster geklopft? Und jetzt klopfte es wieder. Leise, aber bestimmt. Der Alte erhob sich, legte das Buch sorglich auf den Schemel und schlurfte zum Fenster. Er öffnete und suchte mit geschärftem Blick in der Dunkelheit. Draußen stand ein Mann, den Hut in die Augen gedrückt. »Wer is da?« »Ein armer reisender Handwerksbursche bittet um Herberge.« »Ich glöw, du bis besoffe. Hier is kein Schlafstell’.« »Beim heiligen Christoph, aller Vagabunden Schutzpatron, laß mich herein, Klaus.« »Materdeies, der Jupp! Jitz äwwer flöck!« Vorsichtig, um die Ruhe des Hauses nicht zu stören, schlurfte er zur Haustür, öffnete leise und ließ den Herrn eintreten. Und leise schloß er die Tür zum Flur, als sie im Zimmer standen. Joseph Otten warf Hut und Mantel aufs Bett, stellte sich an den Ofen und rieb sich die Hände. Der Alte sah zu. »Morjen, Här.« »Morgen, Klaus.« »Auch widder mal das Vergnügen?« »Auch wieder mal.« Joseph Otten wandte sich um und sah dem Alten ins Gesicht. »Oben,« und er nickte mit dem Kopf zur Decke, »oben alles mobil?« »Bestens in Ordnung.« »Das freut mich.« »Die Freud’ sollt’ mr verlange könne. Ich hätt’ Ihne dat äwwer auch schriftlich mitteile gekonnt, Herr Doktor.« »Ihr seid wohl alle — sehr zornig auf mich?« »Kann ich nit behaupte. Der Mensch gewöhnt sich an alles.« »Dann braucht’ ich ja eigentlich gar nicht zu stören?« »Wenn Sie bloß komme, um zu störe — dat wird nit verlangt.« Joseph Otten wandte sich schweigend wieder dem Ofen zu. Das Wasser im Topf brodelte und erfüllte den Raum mit seinem Singsang. Und schweigend langte der alte Klaus sein Kaffeebüchschen vom Bort, schüttete eine Portion gemahlenen Kaffees in eine Steingutkanne, hob mit seinen harten Händen den heißen Topf vom Feuer und brühte den Morgentrank. Zwei große Steinguttassen rückte er auf den Tisch, schnitt vierkantige Stücke von einem Schwarzbrot, zog Stuhl und Schemel heran und kehrte sich zu seinem Gast. »Nehmen Sie Platz, Herr Doktor.« Joseph Otten blickte auf. Der Duft des Kaffees lockte nach der langen, nächtlichen Wanderung, die er noch unternommen hatte. Dann fiel sein Blick auf den Alten. »Klaus,« sagte er und packte ihn bei der Schulter, »sei nicht so bärbeißig, oder du jagst mich zum Teufel.« »Dat hier is ~Ihr~ Haus.« »Viel merk’ ich nicht davon bei der Behandlung.« »Ich hann en zu steif Rückgrat, um ene Katzenbuckel riskiere zu könne. Wenn ich äwwer von der Heimkehr des Herrn Doktor gewoß’ hätt’, hätt’ ich mich übe gekonnt.« »Nächstens werd’ ich dir vorher depeschieren, Klaus.« »Dat kann nit schade. Mer weiß sonst nie: is et der Här oder is et ene Spitzbow.« Joseph Otten ließ sich auf dem Schemel nieder und wärmte sich die Hände an der bauchigen Kaffeetasse. Dann tat er einen tiefen Zug. »Donnerlütsch, Klaus, dä Kaffee hat sich nit gewäsche.« »Enä, Här, hä es esu schwatz als wie ne Mohr.« »Süch, dä bringt mich op zartere Gedanken.« Er beugte sich tief und griff unter seinen Sitz. »Wat es denn dat?« Klaus schmunzelte. »Kennt Ihr dat nit mieh? Ihr hatt op mingem Historiebüchelche gesesse.« »Dat Büchelche mit dingem Ahn, dem staatse Nikolaus Gülich drin?« »Datselbigte, Jupp. Un ich sehen, dat Ihr doch noch de ahle, brave Jung sitt. Dat is mr nu doch en Freud’.« »Verzäll mr jet von dingem Ahn. Hext hä noch ömmer op dem Gülichsplatz erömm?« »Hä es usgewandert un spookt jetz in Paris, weil die Franzose die Biesterei gemach’ hann, den Broncekopp von singem Denkmal zu stehle. Nu is Kölle öm die größte Berühmtheit ärmer.« »Wann mr widder nach Paris marschiere, hole mr dä Kopp retour.« »Dat soll e Wort sinn, Här. Der Gülichsplatz muß widder zu Ehre gebrach’ werde.« »Dadrauf häst du et Rähcht, Klaus.« »Die Welt kennt kein’ Pietät mieh,« brummelte der Alte und trank seinen Kaffee. Joseph Otten saß, die Hände zwischen den Knien, und wartete. Minuten vergingen. Dann meinte Otten, und es zuckte um seine Lippen: »Mir scheint, nachdem wir nun ~deine~ Familienangelegenheiten erörtert haben, könnten wir wohl zu den ~meinen~ übergehen. Also Frau und Kind sind wohl —?« »Die Frau is wie immer. Aufrecht un beim Tagwerk. Nix zu erinnern.« »Und die Carmen?« »Is nu als zur Kommunion gegange. En Mädcher wie e Fichtenbäumche. Mr kennt sich nit aus. Kregel un stolz, en junge Dam’ un als widder e Kind, dä Kopp voller Spän’, un wann et ihr paßt, als widder lammfromm. Akkerat wie ihr Vadder.« »Akkurat wie ich? Dann wird sie so schlimm nicht sein.« »Dat weiß ich nit.« »Klaus,« sagte Joseph Otten, »nun rede mal die Wahrheit. Hältst du — hältst du mich für so schlimm?« »Jupp,« sagte der Alte, »enä un eja. Süch, mr braucht nit schlimm zu sein, äwwer mr kann so scheinen. Un et gitt Minsche, dene is et e Leid, wenn der andere, den se als en Art Erzengel bewundere möchte, von der Menschheit bloß för ene löstige Prinz Karneval estimiert werd. Dene is dat e herzlich un e schmerzlich Leid. Jaja, so is dat. Un et is schlimmer als schlimm för die, die et Leid hann, weil sie et besser wisse, un könne doch ihre Weisheit nit an dr Mann bringe, weil — nu, weil et der Jupp partuh nit will.« »Ich will nicht?« »Enä, nit öm de Welt! Hä kann sich nit herbeilasse, daröwer nachzudenke, dat die Liebe von der Frau die Sorg öm dr Mann is. Un weshalw kann hä sich nit herbeilasse? Weil hä sonst der Frau spornstreichs die Sorg affnehme wörd. Äwwer Sorgen, dat is nix för der Jupp. Dat steiht nit in singem Lewenskontrakt. Domet kann’r nit dörch die Welt zigeunere. Un so denkt hä: Et is ritterlicher, ich fragen gar nit erst. Adjüs.« Joseph Otten saß vornübergeneigt und strich mechanisch mit den Händen über die Knie. »Das verstehst du nicht, Klaus.« »Nee, nee, ich bin ene ahle Schafskopp.« »Davon hab’ ich kein Wort gesagt. Im Gegenteil, mit dem, was du gesagt hast, hast du mehr als recht. Du hast mir nicht schlecht den Kopf gewaschen. Alle Welt wäscht mir jetzt den Kopf. Und alle Welt meint, der meine wär’ wie der ihre. Das ist aber der Irrtum.« »Kopp is Kopp. Mr frisiert sich nur anders.« »Man — sich? — Ich glaub’ eher, der Herrgott frisiert einen anders.« »Oder der Düwel.« Es blieb eine Weile still zwischen ihnen. Draußen trabten ein paar belastete Menschenkinder zur Frühmesse. Ein Lehrjunge lief pfeifend über die Gasse. Fern ein Wagenrollen. Und es war wieder still ... »Ich bin nun mal so,« sagte Otten endlich. »Die Rechnung geht nicht mehr anders auf ...« Sein Blick begegnete dem Blick des Alten. »Schau mich nicht so mitleidig an. Dazu liegt wahrhaftig kein Grund vor. Man hat ja nur ein Recht auf seine Lebensführung, wenn man sie nicht bereut.« Der Alte räumte das Kaffeegeschirr zusammen. »Minge Broder in Zons maacht et nit mieh lang’,« meinte er nebenbei. »Dein Bruder? Der in Zons das Häuschen hat?« »Hä is als achzig.« »Dann wirst du ja Hausbesitzer?« »Einer muß dat Krömche öwernehme. Zu vermiete is in Zons nix. Et sind zu wenig Menschen im Städtchen.« »Und dann willst du übersiedeln.« »Ich will ene stille Lewensowend hann.« »Bis dahin fließt noch viel Wasser den Rhein herunter. Die Gülichs sind eine zähe Sorte. Dein Bruder wird es noch ein paar Jährchen mittun. Und bis dahin liegst du hier an der Kette und bellst die Einbrecher an.« »Ich wollt’ Sie bloß drop opmerksam mache. So wat kütt öwer Nacht.« »Und da möchtest du mich jetzt gelinde an die Kette legen?« »Dat sinn nit minge Sache. Wer en Hus hät, der moß wisse, wat hä zu donn hät.« »Warten wir’s ab,« sagte Otten und erhob sich. »Fünf Uhr vorbei. Ich möcht’ mir ein Bett suchen.« »Soll ich Sie bei der Frau anmelde? Domet sie nit erschreckt?« »Ich geh’ ins Hotel. Vor Mittag komm’ ich wieder. Ich weiß ja jetzt, daß alles — wohlauf ist.« »Ihr wißt dat. Äwwer die Frau weiß dat nit von Euch.« Joseph Otten nahm seinen Mantel über und drückte den Hut in die Stirn. »Ich komm’ bei Tageslicht, Klaus. Wenn die Sonne scheint, haben alle Dinge ein fröhlicher Gesicht.« »Dat kütt bei der Frau nit in Anrechnung. Die Frau hat en Rähcht darop, dat mer sie nit warte läßt. Nit en einzig Minut. Ich gonn se wecke.« »Das wirst du bleiben lassen. Ich bring’ Aufregung genug ins Haus.« »So! Und wie nennt Ihr denn dat, wenn der Mann an der Schlafkammer von der Frau vorbeigegange is? Dat is kein Aufregung. Enä. Dat is Rücksicht. Äwwer Rücksicht op die eigene Gemötlichkeit. Ming Lewdag nit Rücksicht op die Gemötlichkeit der Frau. Hotel! Nit eine Schritt!« Otten stieg die Röte in die Stirn. Er faßte die Türklinke und öffnete. »’Morgen, Klaus,« sagte er kurz, und es war ein hochfahrender Ton in den Worten. »Schließt Euch die Haustür nur selver op.« »Mach keinen Lärm.« Ärgerlich ließ Otten die Stubentür los. Das Geräusch lief durch das alte Haus. Otten stand auf dem dunklen Flur und horchte. Oben öffnete sich leise eine Tür. Schritte huschten an die Treppe. »Klaus — —?« rief eine Stimme. Der alte Klaus kam aus seinem Zimmer. »Ja, Frau Otten?« »Ist jemand bei Ihnen? Mir war schon die ganze Zeit so.« »Maria — —,« sagte Otten leise, und seine Stimme vibrierte. Ein atemloses Schweigen erfüllte das Haus bis in den Giebel. Der alte Klaus verschwand lautlos in seinem Zimmer. Und nach einer Spanne, die sich dehnte und dehnte, fragte Otten: »Bist du noch da?« »Warte, ich komme.« Und die Schritte huschten zurück. »Nein,« sagte Otten, »ich komme.« Und langsam stieg er die Treppe hinauf zur Giebelstube. Durch den Türspalt fiel das Licht einer Lampe. Und in dem Lichtkreis stand Maria und nestelte hastig den Morgenrock zu, den sie übergeworfen hatte. Da trat er ein. Sie ließ die Hände sinken, hob den Kopf und sah ihn an. Ihr Gesicht war schneeweiß. Und er stand und nahm ihren Blick entgegen und fühlte die brennende Röte in seinem Gesicht. »Wie der Dieb bei der Nacht, Maria.« »Du bist — gekommen.« »Wir wollen kein gemästetes Kalb schlachten, Maria. Die Rolle des verlorenen Sohnes liegt mir nicht. Ich bin gekommen.« Nun bemerkte er, wie blaß sie war. Er streckte die Hände aus. »Ich habe dich erschreckt.« Sie legte ihre Hände in die seinen. Ihr Blick heftete sich immer noch an sein Gesicht. »Bist du — gesund?« »Mütterchen,« sagte er und zog sie näher, »muß ich denn krank sein, wenn ich heimkomme?« »Ich hatte es — fast — gewünscht — —« »Maria — —! Und wenn ich’s wäre?« »Leg dich hin, Joseph. Wir sprechen bei Tag weiter.« »Willst du mich nicht küssen?« »Ich dachte — du würdest — —« »Komm,« sagte er nur ... Er fühlte, wie ihre Lippen zitterten. Da küßte er sie behutsam auf die Augen. Und auch hier spürte er das Zittern. »Traust du dich nicht, Maria? Bin ich dir so fremd geworden?« Sie schüttelte den Kopf. »Es wird wohl die Freude sein. Ich fass’ es noch nicht.« »Die Freude? Ich hab’ dich nicht verwöhnt. Also ist es ein Vorwurf, und ich verdien’ ihn.« »Nein, nein!« Und plötzlich zog sie seinen Kopf nieder und küßte ihn lange auf den Mund. »Willkommen, Joseph.« »Willst du mich hier behalten?« »Du sollst nichts versprechen.« »Ich will es auch nicht. Nur wünschen will ich. Deinetwegen. Und Carmens wegen.« »Sie ist kein Kind geblieben.« »Umsomehr werde ich von nöten sein.« »Der Vater ist von nöten, Joseph.« »Ja, darauf werde ich mich nun wohl besinnen müssen. Ich glaube, ich habe hier manches nachzuholen. Und nicht nur in der Vaterrolle. Wenn ich nun diese Augen hier wieder glänzen machte?« »Sie blicken nicht immer so. Laß es Tag werden.« »Aber wenn sie geweint haben. Und dazu sparst du dir die Nacht auf. Wenn du allein liegst, Maria, und dich um einen Menschen sorgst, der es nicht verdient. Ich seh’ es. Auch diese Nacht hast du geweint.« »Ich spürte dich so greifbar nahe. Das war wohl, weil du auf der Reise zu mir warst.« »Ich bin schon gestern abend gekommen, Maria.« Da lief es über sie hin wie ein Frost. »Gestern — abend —?« Er legte schnell den Arm um sie. »Ich hätte es nicht sagen sollen.« »Du kannst nicht lügen,« und sie strich sich über die Augen. »Das hab’ ich immer gern an dir gehabt.« »Setz dich, Maria. Ich will versuchen, es dir zu erklären.« »Nein,« sagte sie, »das wäre gegen die Abrede. Du bist Herr deiner selbst. Das habe ich mir geschworen, als ich freiwillig mit dir ging. Und daß ich nun seit drei Jahren deinen Namen zu Recht trage, das wird mich doch nicht kleiner gemacht haben. Größer, Joseph, größer. Dein Name legt Pflichten auf.« »Die ich dir allein überlasse.« »Du darfst sie mir ruhig anvertrauen. Ich werde dich nie fühlen lassen, daß du dich gebunden hast.« »Aber ich werde es ~dich~ fühlen lassen.« Nun mußte sie dennoch lachen. »Mein großer Junge,« sagte sie und strich über sein Haar. »Immer die guten Vorsätze. Immer die besten Absichten. Ich weiß das ja und muß dich schon deshalb lieb behalten.« »Nur deshalb?« Sie schloß die Augen. »Frag mich nicht. Ich freue mich ja doch.« Da nahm er sie fest in die Arme und blickte über ihr Haar hinweg, damit sie ihrer Bewegung nachgeben konnte. »Wollen wir jetzt Carmen besuchen?« »Sie ist eine Langschläferin,« sagte sie und trocknete sich heimlich die Augen. »So große Fräulein besucht man eigentlich nicht am Bett.« »Es scheint, daß ich mir hier erst wieder Respekt verschaffen muß.« »Tritt leise auf. Wir gehen in ihre Kammer.« Sie nahm das Licht und ging voraus. Und während er ihr leise folgte, staunte er über ihre Selbstbeherrschung, und es durchzuckte ihn wie ein Stolz, daß die Seele dieser Frau nichts wußte als sein Bild. Er berührte ihre Schulter, und sie blickte nach ihm zurück. Eine Sekunde zögerte ihr Fuß. Und er beugte sich vor, mit bittenden Augen, stützte ihren Arm, der das Licht hielt, und wartete. Da lehnte sie den Hinterkopf gegen seine Brust. So küßten sie sich. — — Sie traten leise in die Kammer und sahen sich mit flimmernden Augen um. Kaum erkannte er sein Kind wieder. Der dunkle Lockenkopf, der da in den Kissen lag, zeigte eigene Züge. Lieblichkeit und Eigenwillen. Aber der Eigenwille herrschte vor. Und der Mann am Bette dachte an die Worte des alten Klaus: Akkerat wie ihr Vadder ... »Sie wird sehr selbständig werden,« sagte Frau Maria draußen. »Man möchte Kinder immer am liebsten klein behalten.« »Freu dich, daß sie so aufblüht. Die Rasse läßt sich nicht unterkriegen.« »Darum trauere ich nicht,« meinte Frau Maria. »Es ist etwas anderes, etwas, wofür ich schwer die Worte finde. Die Mutter fühlt, daß das Kind mehr und mehr ihrer Sorge entwächst.« »Ja,« erwiderte Otten nachdenklich, »darin muß für die Eltern eine Lebenstragik liegen, daß sie zusehen müssen, wie die Kinder sich ablösen, wie der Teil ihres Selbst für sich ein Ganzes wird.« »Wenn beide Eltern leben, ist es minder schwer. Man rückt noch um ein weniges näher zusammen und verdeckt sich so die Lücke. Nun, darüber vergehen noch Jahre.« »Daß wir zusammenrücken?« »Bis die Lebenstragik der Eltern, wie du es nennst, an uns herantritt.« Frau Maria stellte das Licht auf den Tisch ihres Schlafzimmers. »Du siehst abgespannt aus, Joseph. Ich lass’ dich jetzt allein.« »Du glaubst doch nicht, daß ich jetzt noch schlafen werde?« »Tu es mir zulieb, Joseph. Wenn du aufwachst, bist du erst wirklich daheim, und die alten Traumbilder sind in die Ecken gescheucht. Versuch es.« »Die alten Traumbilder? Alte oder neue, unter mein Dach sollen sie mir nicht folgen.« »Tu es mir zulieb,« bat sie noch einmal. »Wenn du es so bestimmt möchtest ... Aber nur auf das alte Kanapee dort. Und nachher ein Bad.« »Ich werde dich wecken, Joseph.« »Nein,« sagte er, »es ist noch eine Bedingung dabei. Du mußt bei mir sitzen bleiben. Ich kann nicht sofort einschlafen. Und ich will deine Hand in der meinen fühlen.« »Das ist ja, als hättest du eine stille Absolution nötig.« Ein leises mütterliches Lächeln zog über ihr Gesicht. »Nun, leg dich hin.« Er entledigte sich seines Rockes und streckte sich auf das alte Ledersofa. »Ah,« machte er dabei, »wie gut!« Und sie legte ihm eine Decke über, rückte einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm. »Stille Absolution ...,« griff er ihr Wort auf und faßte auf der Decke ihre Hand. »Du hast es getroffen, Maria. Es wird sehr wenig Anlaß sein, sie laut und stolz zu verkünden, denn es wird auch eine sehr leise Beichte sein.« »Schlaf,« sagte sie, »du hast nichts zu beichten. Wenn du nachher die Augen aufschlägst, lachst du dich selber aus.« »Es ist immer dasselbe. Wie es um dich steht, kommt für dich nicht in Betracht. Du suchst nur, es mir leicht zu machen.« »Wer weiß den Beweggrund,« erwiderte sie. »Vielleicht bin ich eine größere Egoistin, als du denkst. Vielleicht mache ich es dir nur so leicht, um es mir nicht — schwerer zu machen.« »Du wirst mir noch einreden, du seist eine arge Sünderin und ich sei ein Heiliger.« »Nein, Joseph, das werde ich dir nicht einreden. Deine Heiligkeit« — sie lächelte vor sich hin — »ist mir gewiß nicht unbekannt. Und die meine — ich hab’ in den vielen Jahren, in denen ich allein saß, gelernt, auf mich zu achten, damit mir meine Empfindungen nicht zu jeder Zeit davonliefen. Das ist meine Heiligkeit.« »Du bist zehnmal stärker als ich.« »Zehnmal schwächer. Sonst hätte ich die Schutzwehr nicht nötig.« »Und wenn du sie nicht hättest? Was wäre dann gewesen?« Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Ihre Brust hob sich, als wollte sie eine Last abschütteln. »Laß das, Joseph!« »Sag es mir,« bat er und streichelte ihre Hand. »Was dann — gewesen wäre?« wiederholte sie stockend. »Wenn du heimgekommen wärst wie jetzt, und ich — hätte dich in meine Kammer eingelassen? An den Hals hätt’ ich mich dir geworfen, an den Hals! Ohne Scham, ohne Stolz! Wie eine Verdurstete hätt’ ich mich meinem Mann an den Hals geworfen. Herr Gott!« Die Erregung schüttelte sie. Sie sprang auf und ging bis in die Ecke des Zimmers. »Still,« sagte sie, »antworte nicht. Jetzt um Gottes Willen nicht antworten. Wo käm’ ich hin, wenn ich meine Ruhe verlöre? Wohin kämen wir alle? Und eins will ich vor den anderen Frauen voraus haben, die sich um dich drängen: mich selbst!« Sie hatte sich beruhigt und kehrte zurück. »Siehst du, Joseph, damit halte ich uns das Haus.« »Es ist wie Weihnachten,« sagte Otten, »als ich noch ein Junge war. Das ganze Jahr hatt’ ich Unfug getrieben, vor dem Klingelzeichen macht’ ich ein fromm Gesicht, spürte plötzlich starke Gewissensbisse und kriegte für diese geringe Anstrengung den Schoß voll Geschenke.« »Und dann spieltest du nach rechter Jungensart doch am liebsten mit den Geschenken, die dir nicht gehörten.« »Ja, das tat ich, und es ist an mir hängen geblieben.« »Die Menschen sind schuld,« verteidigte sie ihn, »sie haben dich verwöhnt, ob mit, ob gegen deinen Wunsch.« »Bande!« stieß Otten hervor. »Sie will den Künstler gar nicht anders. Sie macht uns zu dem, was wir werden, durch ihre verdammte Sklaverei. Bleib bei mir sitzen, Maria. Der eigene Weihnachtstisch ist doch der beste. Es schwebt selbstlose Liebe darüber.« »Du sollst jetzt schlafen, Joseph.« »Ach du, Maria, es tut so gut, auf andere Leute schimpfen, wenn man sich selber nicht ganz sauber fühlt ...« Dann betrachtete er sie verstohlen, während er ruhig atmend lag. Die Jahre hatten ihr wenig angetan. Um die Augen ein paar kaum sichtbare Runen, um den Mund eine tiefer gezogene Spur — aber die aufrechte Haltung des Körpers und die ernste Ruhe des Kopfes lenkten den Blick von den Einzelheiten auf das Gesamtbild. Und er drückte, einer heißen Wallung folgend, fest ihre Hand, die er noch immer hielt. »Auch du hast Kämpfe gehabt, Maria, und sie waren schwerer als meine. Weil du dich nicht mitteilen konntest.« »Ich habe dir regelmäßig berichtet, Joseph.« »Ja, wenn du schreiben konntest: das ist nun geordnet, oder: es lohnt nicht der Mühe darauf einzugehen.« »Es ist doch ein Glück, daß ich Arbeit habe.« »Das ist bei dir die Umschreibung für Sorge. Von mir will ich nicht sprechen. Aber Carmen? Sie hat dir viel zu schaffen gemacht.« »Sie ist in dem Alter, das an alle Mütter größere Anforderungen stellt. Weshalb sollte mich eine Ausnahme treffen?« »Sah sie hübsch aus, als sie zur ersten Kommunion ging?« Frau Maria lächelte. »Du bist ein eitler Mensch.« »Und es sind dir keine Hindernisse in den Weg gelegt worden?« »Wegen der Firmelung? Nein.« »Dem Kind nicht. Aber der Mutter?« »Ach, Joseph,« sagte Frau Maria abwehrend, »was bedeutet das? Mir kann das doch nichts anhaben. Ich lass’ mir doch mein Leben, das ich eines Tages schön und später für lebenswert befunden habe, durch äußere Einflüsse nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Sei unbesorgt. Ich nenne heute nicht schwarz, was ich gestern weiß nannte.« »Also hat dir die Seelsorge stark zugesetzt?« »Der Pfarrer kam häufig ins Haus. Dann hin und wieder einmal. Zuletzt blieb er fort. Es lohnte nicht.« »Es lohnte nicht,« wiederholte Otten. »Und alles, was dazwischen liegt, ist damit abgetan. Wie groß muß dir das erscheinen, was sich für dich lohnt.« Sie antwortete nicht. Sie fühlte, daß ihr Tränen kommen würden, und die Nacht war doch vorbei. Der Tag aber machte andere Rechte an sie geltend. Und heute zumal. Es würden doppelte Mutterpflichten werden, für das Kind, das in die Jugend hineinwuchs, und für den Mann, der aus der Jugend nicht herauswachsen wollte und konnte. Sie beugte sich über ihn. Er war eingeschlafen. So ruhig atmend lag er, als hätte kein Sturm über ihn Gewalt, als wäre er des Wächters sicher. Knabenhafter Friede mischte sich mit den kühnen Manneszügen. Und Frau Maria dachte: »Das ist eine der Stunden, in denen er mir ganz allein gehört. Auch seine unruhige Seele. Jetzt halt’ ich sie in Händen.« — Das Tageslicht fiel durch die Spalten des Fenstervorhangs. Frau Maria hatte geträumt. Sie sah den Mann, dem sie sich unwiderruflich anheimgegeben, um fünfzehn Jahre jünger. Als Neuerwecker des deutschen Liedes zog er aus, und sie glückberauscht an seiner Seite. Ein Frühling war über die Lande gekommen, über ihr Herz. Kein Mensch hatte ein solches Blühen erlebt als nur sie. Als nur sie! Das strich man nicht aus einem Leben, wollte man nicht seinen ganzen Inhalt preisgeben. Und die Frau las in den Zügen des vor ihr Liegenden und las und las, und immer mehr las sie den Frühling ihres Lebens heraus, träumend in Erinnerungen, dankerfüllt, daß sie sie zu eigen hatte. Als Verkünder des deutschen Liedes war er ausgezogen — als Künstler kehrte er heim. Nein, das war nicht die Erfüllung aller Hoffnungen. Und dennoch der besten: er fand zu ihr heim. Mochte er sonst sein, wer er wolle. »Ich weiß nichts, als daß ich ihn lieb behalten muß.« — — Im Zimmer Carmens regte es sich. Die Frau horchte auf. Sie hörte die Tür gehen. Und leise löste sie ihre Hand aus der des Schlafenden, erhob sich und ging hinaus. »Guten Morgen, Mutter. Es ist spät geworden.« »Guten Morgen, Kind. Du trinkst ein Glas heiße Milch. Denke dir, ich habe den Kaffee vergessen.« »Aber Mutter! Und wie du ausschaust! Wie ein junges Mädchen!« »Wie eine alte, verträumte Frau.« »Sind die auch glücklich?« »Ausruhen können, Kind, ist immer schön, wenn man einen Rückblick hat, der lohnt.« Sie blieb bei der Tochter, bis sie den Schulweg angetreten hatte. Eine mädchenhafte Röte überzog ihre Wangen, als sie leise ins Schlafzimmer zurückkehrte. »Sie soll ihren Vater frisch und strahlend sehen,« gestand sie sich. »Das mag Eitelkeit sein. Trotzdem, ich will es. Es gehören die Augen einer Frau dazu, um den Mann immer im gleichen Bilde zu sehen. Die Augen einer Frau, die mit dem Mann eine gemeinsame Geschichte hat.« Still setzte sie sich auf ihren alten Platz, nahm die Hand des Schlafenden in die ihre und horchte auf seine Atemzüge. Wie eine Pflegerin saß sie da, die nichts will als die Gesundung. »Denn ich hab’ ihn nur lieb ...« murmelte sie. =VIII= Zwei Tage hatte Joseph Otten sein Haus in der Rheingasse nicht verlassen. Eine wohlige Abspannung war über ihn gekommen, hatte Körper und Geist gleichermaßen ergriffen und jenen Zustand feinsten Genießens heraufbeschworen, den der Rekonvaleszent lächelnd in sich aufnimmt, wenn er in der augenblicklichen Schwäche die Kräfte zurückfluten und neu sich sammeln sieht. Das erste Wiedersehen mit Carmen war für ihn eine kleine Überraschung gewesen. Daß es für ihn eine Enttäuschung bedeutet hatte, wollte er sich nicht gern eingestehen. Der Freudenausbruch des Mädchens, der ihn zuerst entzückt hatte, war allzu rasch dem Interesse an allerlei Tagesfragen gewichen, der Vater spielte die Rolle des Besuchs, auf den nicht zu rechnen ist, die Tochter nickte ihm freundlich zu, fand aber wenig Veranlassung, sich mit ihren Wünschen an ihn zu wenden, und es war offensichtlich, daß sie verlernt hatte, seine Zufriedenheit oder Unzufriedenheit in Rechnung zu stellen. »Racker,« dachte Otten, »ich werde dich schon wieder einfangen.« Und er begnügte sich zunächst, mit wachsendem Wohlgefallen die Grazie des Mädchens und den bunten Wechsel ihres Temperaments zu beobachten. »Ich habe sie doch richtig getauft,« sagte er sich mit heimlichem Behagen. »Carmen! Das Lied! In jedem Gewande ist sie es. Bald ein naives Volksliedlein, bald ein fortstürmender Triumphgesang, bald — wer weiß, wie bald — ein heißes Liebeslied.... Nun, der Meister wird sich finden, der ihren Sinn auf die richtige Harmonie stellt. Nur Geduld wird er haben müssen, denn das Material ist so spröde wie kostbar.« Am Abend des zweiten Tages saß Otten allein im dämmerigen Zimmer, als Carmen von einem Ausgang zurückkehrte und ins Zimmer trat. »Hallo, Kleine.« »Gott, wie du mich erschreckt hast! Bist du es, Vater?« »Du hast wohl ein schlechtes Gewissen? Komm doch mal näher.« »Du kannst mich ja doch kaum sehen. Es ist ja beinah’ dunkel.« »So, damit rechnest du also. Aber ich werde es machen wie der alte König, der eine junge Frau genommen hatte und dem verliebten Pagen nachlief, den er vor ihrer Tür betraf.« »Das ist lustig.« »Das ist sehr traurig, aber ich will es dir doch erzählen, damit du einsiehst, daß es ein Vertuschen nicht gibt. Als der verliebte Junge vor seinem Verfolger in den Schlafsaal entwischt war und sich zwischen den anderen Pagen schlafend stellte, ging der alte, weise König von einem zum andern und legte jedem die Hand aufs Herz. Und siehe da, ein Herz schlug ganz ungestüm. ›Hab’ ich dich?‹ sagte der alte, weise König und nahm das Herzchen beim Ohr.« »Au, Vater.« »Au, mein Herzchen, laß es dir eine Lehre sein. Die alten, weisen Könige leben noch.« Sie faßte seine Hand, die ihren Ohrzipfel hielt. »Der alte König war nur so weise, weil er früher auch mal Page war.« »Daß dich das Mäuschen beißt! Solche Logik verbitt’ ich mir.« »Und du warst auch mal Page. Sonst wüßtest du das alles nicht.« »Aber man schämt sich hinterher seiner Pagenstreiche. Und das vermisse ich doch sehr bei dir.« »Vater,« lachte sie leise und drückte ihren Kopf gegen seinen Ärmel, »ich möcht’ dir auch mal die Hand aufs Herz legen.« »Willst du schweigen! Es ist doch ein Glück, daß es dunkel ist.... Mädel, ich glaub’ fast, du wärest besser ein Junge geworden.« »Dann hätte ich dein Kamerad werden können.« Er nahm sie fester in den Arm. »Hätte dir das Freude gemacht? Mit deinem Vater durch die Welt zu ziehen?« »Du mit der Mandoline, Vater, und ich mit dem Tamburin. Und kein Mensch, der uns was zu sagen hätte. « »Und Abends im Städtlein, Da kehr’ ich durstig ein —« summte Otten. »Die Sterne stehen am Himmel und winken zu neuen, unbekannten Fernen, und wir flüstern noch im Schlaf: morgen — morgen kommen wir zu ~euch~!« »Ach, Vater —« »Hast du mich lieb, Töchterchen?« »Jetzt wieder. Nun behandelst du mich nicht als kleines Mädchen. Das geht doch nicht gut.« »Und weshalb soll das nicht gehen?« fragte er erstaunt. »Du bist doch nie zu Hause gewesen. Vor der Mutter brauch’ ich mich nicht zu genieren. Ich kann dir das nicht so sagen, aber ich weiß nun mal nicht anders, als daß sie immer zu mir gehört hat. Verstehst du?« »Närrchen,« sagte er, hob ihr Kinn und küßte sie. »Ich gehöre auch dazu.« Sie erwiderte nichts. Aber sie schlang die Arme um seinen Nacken und schwang sich auf sein Knie. »Was? Doch noch ein Schoßkindchen? Solch ein großes Frauenzimmer!« »Es sieht ja keiner. Ich freue mich, daß du da bist.« »Mit einem Male? Ich hatte schon die Hoffnung verloren.« »Ach du! Du verlierst nie die Hoffnung. Ein so berühmter Mann wie du hat ein Zauberstäbchen.« »Das möchtest du wohl auch haben?« »Ich bin furchtbar stolz auf dich. Ich höre immer zu, wenn die Leute von dir sprechen. Und sie sprechen immer so Interessantes von dir.« »Na, na,« machte er zweifelnd. »Du kannst es mir glauben. Und ich weiß, daß mich alle meine Freundinnen um dich beneiden.« »Schmeichlerin,« knurrte Otten. »Du schmeichelst wohl nur so schön, weil du dir schmeichelst.« »Hast du auch Prinzessinnen kennen gelernt? Oder interessieren sich die nicht für uns?« »Mein liebes Kind,« sagte Otten, »jeder Mensch sehnt sich in seinem Unverstand am meisten nach dem, was nicht für ihn ist. Wenn wir uns ein Märchen ausdenken, muß es eine Prinzessin sein, und wenn eine Prinzessin ein Märchen spinnt, muß es ein Gänsejunge sein. Aber bald schon, und wir bekommen die Prinzessin und die Prinzessin bekommt uns über.« »Wann soll das kommen?« »Wenn der holde Unverstand schwindet. Wenn wir sehend werden und der schadenfrohe Tag uns das Spielzeug aus den Händen schlägt. Wer dann noch nicht klug ist, rennt hinter neuen Märchen her. Es gibt eben so viele Prinzessinnen und so viele Gänsejungen.« »Erzähl doch.« »Kind, nach so etwas fragt man nicht. Kleine Mädchen haben hübsch Fastenspeise zu essen.« »Ich bin kein kleines Mädchen.« »Verzeihung, mein Fräulein, aber ich wußte nicht, wie ich Sie als junge Dame anders behandeln sollte.« Plötzlich lachte sie in sich hinein. »Was hast du, großer Racker?« »Mir fiel nur eine Geschichte ein, weil du von Fastenspeise sprachst. Der alte Klaus hat sie mir erzählt.« »So, so. Eine Geschichte vom alten Klaus. Ist sie auch fromm?« »Sie ist von einem Mönch aus einem Kloster im Siebengebirge. Wie heißt er doch?« »Cäsarius von Heisterbach.« »So heißt er. Soll ich sie dir erzählen?« »Du fieberst ja darauf. Und tugendhaft ist sie? Nun, ich werde sehen, ob ich mich daraufhin beruhigen kann.« »Hör zu, Vater. Beim Dechanten von Sankt Andreas kehrten einmal an einem Fasttag einige Mönche ein, die er zu Tisch lud. Da aber keine Fische im Hause vorhanden waren, sprach er zu seinem Koch: ›Wir haben heute keine Fische, aber es sind einfache Klosterbrüder, und sie haben Hunger; da wird es ein Fleischgericht auch tun. Du mußt aber die Knochen sauber herausnehmen und es so kneten und klopfen, daß es aussieht wie ein Fisch. Dann tust du brav Pfeffer daran, bringst die Schüssel auf den Tisch und sagst dazu: Gesegne der Herr euch diesen Butt allesamt!‹« »Carmen, Carmen — —!« »Der Koch tat genau nach Auftrag, und sobald er gesagt hatte: ›Gott gesegne euch diesen Butt,‹ begaben sich die Mönche ans Essen, und es mundete ihnen vortrefflich. Der fromme Betrug blieb ihnen verborgen, und obgleich der Butt seltsam schmeckte, so war der Geschmack doch nicht unangenehm. Fragen wollten sie nicht, ob er vielleicht aus der See herkomme, weil sie den Wirt keiner Unwahrheit zeihen mochten. Wie aber der Grund der Schüssel schon sichtbar war, fischte einer der Mönche mit dem Löffel ein Schweinsöhrchen, und der andere zog ein Schnüßchen hervor. Lächelnd sahen sich die beiden an und zeigten ihren Fund. Der Dechant aber sagte scheinbar erzürnt: ›Esset doch in Gottes Namen weiter! Mönche sollen nicht vorwitzig sein. Butte haben doch auch Ohren und Schnüßchen!‹« »Nun? Nun?« Otten lachte, daß ihm die Tränen kamen. »Also aßen sie die Ohren und Schnüßchen ohne Gewissensbedrängnis,« schloß das junge Mädchen, und ihr klingendes Lachen mischte sich mit dem des Vaters. »Und die Nutzanwendung für mich? Denn das hast du doch bezweckt?!« »Mönche und junge Mädchen sollen nicht vorwitzig sein.« »Das stimmt! Nun also? Das stimmt doch?« »Und deshalb kannst du mir ruhig erzählen, was du willst. Ich werde es —« »Nun, was wirst du —« »Ich werde es für einen Butt nehmen.« »Mädel!« rief Otten und nahm sie beim Kopf. »Durchtriebenes Frauenzimmer. Ist das deine Tochter, Joseph Otten?« Er wiegte sie auf dem Schoß hin und her. Und summte dazu, als gälte es ein Wiegenlied. »Ich hatt’ einen Kameraden, Einen beßren findst du nit ...« Frau Maria trat mit der Lampe ins Zimmer. Überrascht schaute sie, vom rötlichen Lichtschein umflutet, von der Schwelle auf das Bild. »Was treibt ihr beide denn im Dunkeln?« »Wir erteilen uns Unterricht, Frau. Kannst dran teilnehmen.« Frau Maria trug die Lampe auf den Tisch und zupfte den Schirm herunter. »Daran teilnehmen? An eurem Unterricht? Ich habe meinen Kopf für euch Feuerköpfe nüchtern zu halten.« »Wird auch anerkannt, Hausengel. Aber ich muß doch auch meinerseits etwas für die Erziehung meiner Tochter tun.« Sie suchte im Zimmer ihre Handarbeit und strich im Vorübergehen über sein Haar. Mit der stillen, liebkosenden Gebärde, wie sie Mütter haben. — — Am nächsten Tag stellte sich, unerwartet, Moritz Lachner ein. Er war aufgeregt und hatte leuchtende Augen. »Ich wollte gern Herrn und Frau Doktor begrüßen.« »Erfuhrst du denn schon meine Rückkehr?« meinte Otten verwundert. »Gestern abend. Durch Herrn Gülich.« »Durch Herrn Gülich? Wer ist das doch gleich? Ah so, der Klaus, natürlich. Nimm Platz, mein Junge, es ist hübsch von dir, daß du an mich denkst. Aber brauchst du denn heute nachmittag nicht zur Schule?« »Ich habe heute morgen — mein Abiturientenexamen bestanden. Vom mündlichen dispensiert.« »Alle Wetter! Hand her! Meinen Glückwunsch, Moritz. Heute morgen? Und kommst gleich hergelaufen? Anhängliche Seele du, nimm Platz.« Auch Frau Maria gratulierte herzlich. »Und wohin soll es nun gehen, Moritz?« »Nach Bonn, Frau Doktor.« »Nach Bonn — —,« wiederholte Otten. Und noch einmal leiser: »nach Bonn — —. Junge, Junge, wie sich das ausspricht. Was das für musikalische Worte sind. Die ganze Stube ist plötzlich wie mit Maienluft gefüllt. Ich seh’ den Alten Zoll, und ich selber lehne oben an der Mauer, ein Dutzend bunte Mützen um mich her, und wir singen den Vater Rhein an und das Siebengebirge in seiner versunkenen Romantik, und kein Mensch wüßte zu sagen, sind wir voll der süßen Jugend oder des süßen Weines. Das ist ja eins, das ist ja einerlei! Wichtiger ist, daß noch immer die Linden duften ›beim Ännchen‹ zu Godesberg, Lindenwirtin du junge! Moritz, das ist mir im Leben noch nicht vorgekommen: heute beneide ich einen Menschen.« »Ich will Geschichte studieren, Herr Doktor.« »Gut, daß du Vorsätze hast. Aber ~was~ du studierst, ist einstweilen schnuppe. ~Daß~ du studierst, ~daß~ du! Und daß du in Bonn studierst.« »Nun freue ich mich erst wirklich, Herr Doktor. Mit Ihnen hätt’ ich in Bonn studieren mögen.« »Wünsch dir das nicht, mein Junge. Nur der winkende Tag hat seinen Wert. Du wärst heute höchstens wie ich — um ein Menschenalter unvernünftiger.« »Nein, Herr Doktor, statt des winkenden Tags hätte ich die Fülle der Tage. Sie haben sie in Besitz genommen.« »Komm ins Freie. Wir wollen einen Bummel machen. Es ist noch zu früh, um einen Trunk zu tun, aber wir werden irgendwo nachher den =mulus= begießen.« »Wollen Sie Carmen von mir grüßen, Frau Doktor?« »Gern, Moritz. Auf Wiedersehen.« Das Straßenleben lenkte Otten ab. »Doch ein famoses Nest, unser Köln. Ich lieb’ es, wenn die Gegensätze aufeinanderstoßen. Das hält das Blut in Fluß. Diese göttliche Lebensfreude und dazu diese ewige Himmelsbereitschaft. Da läuft schon wieder ein Trüppchen in die Kirche. Besser ist besser.« »Jetzt ist doch keine Messe,« sagte Moritz Lachner und zog die Uhr. »Keine Messe? Ist es noch nicht so weit? Übrigens: seit wann interessierst du dich für den Katholizismus?« »Ich interessiere mich für jedes Glaubensbekenntnis. Ich soll doch mit den anderen leben.« »Hör mal, Moritz, das war ein gescheites Wort. Wer mit seinem Nächsten als Bruder leben will, sollte vor allem den Herrgott seines Bruders kennen lernen, und er hat den Faden zu seiner Seele. Aber in der Beziehung steckt unsere hochgepriesene moderne Zeit noch immer im dicksten Mittelalter, und die Schule hüllt sich in heimtückisches Schweigen. Ist das nicht ein klägliches Zeichen? Unsere gebildeten Schüler lernen den Kultus von Isis und Osiris und die Molochsgebräuche auswendig, daß sie sie des Nachts wie ihr eigen Vaterunser aufsagen können. Aber der junge Katholik weiß vom Protestanten nicht viel mehr, als daß er ein Ketzer ist, und Wesen und Gebräuche der katholischen Kirche bleiben dem jungen Protestanten unheimliche Rätsel. Mit den Jahren wird das Brett vor dem Kopf noch etwas dicker. Von der jüdischen Religion will ich gar nicht sprechen. Wenn nur der zehnte Teil von dem wahr wäre, was über euren armen Talmud gelogen wird, müßtet ihr wie die Katzen in den Rhein. Heilige Mystik! Den Menschen soll’s gruseln, damit er bei der Stange bleibt. Und unser Griechenhimmel ist dennoch voll von Göttern!« Moritz Lachner schritt, ein glückliches Leuchten in den Augen, neben dem Idol seiner Kindheit her. Daß es auch das Idol seiner Jünglingsjahre bleiben würde, das spürte er in dieser Stunde. So frei werden, so warmherzig in der Freiheit! Wie er ihn liebte! — — — »Was spintisierst du, Moritz? Deine Gedanken flattern wohl um Bonn?« Hastig wehrte der junge Mann ab. »Ich dachte nur daran, ob sich das, was Sie mir soeben erschlossen, nicht zur Grundlage einer — einer Kulturgeschichte machen ließe.« »Mir scheint es wirklich,« meinte Otten, »als ob ein Jude noch am ehesten berufen wäre, eine europäische Kulturgeschichte objektiv zu schreiben. Er ist an den Kämpfen der herrschenden Parteien am wenigsten beteiligt gewesen, ihm konnte es zuletzt gleich sein, ob Doktor Luther oder Doktor Eck recht behalten würde, ihm kann es — die Vornehmheit seiner Gesinnung vorausgesetzt — nur darauf ankommen, zu bestimmen: welche Aufgaben sind gelöst, welche Lösungen sind verhindert worden? Das Resultat aber zeigt den Weg, den wir gehen müssen.« »Dann müßte die geistliche Verfolgungssucht zuerst aus der Kultur ausgeschaltet werden.« »Verfolgungssucht in religiösen Dingen schafft immer Unfreiheit, niedere Instinkte. Ein Glaube, der jeden anderen wütend ausschließt, muß in sich selbst zum Aberglauben werden, genau wie ein Geschlecht, das immer nur unter sich heiratet, entartet.« »Das werde ich bei meinen Arbeiten nicht vergessen, Herr Doktor.« »Schau dir Köln an, wie es vor hundert Jahren, wie es zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts aussah. Das ist ein Schulbeispiel. Nur durch die Unduldsamkeit seiner geistlichen Behörden war es zu einem schmutzigen, finsteren Nest herabgesunken, das kaum vierzigtausend Menschen beherbergte. Und was für Menschen. Das ist der springende Punkt. Die Hälfte, an die zwanzigtausend, Pöbel, die Miliz der Orden. Und als Gardetruppe darunter fünftausend Bettler, fünftausend Tagediebe, eine Bedrohung jeder Intelligenz, als Gilde anerkannt, nur auf Müßiggang verpflichtet und Drangsalierung anständiger Bürger, denen sie zum Mittagessen in die Häuser rückten ›von Gottes wegen‹! Und diese vertierte Gesellschaft durfte selbst ihre Plätze an den Kirchentüren erblich hinterlassen oder als Heiratsgut ihrer Töchter in Anrechnung bringen! Erst als die französische Revolution den dumpfen Aberglauben aus den Gassen hinausfegte, als auch die Vernunft als ein göttliches Teil anerkannt wurde und Ehrfurcht forderte, schien die Sonne aufs neue über Köln, und es kam ein Frühlingsdrängen, ein Frühlingswunder über die Stadt, daß sie binnen kurzem eine Größe, Schönheit und Bedeutung erlangte, wie es ihr in solchem Maße selbst in ihren geschichtlichen Glanztagen nicht beschieden gewesen war. Der Bürger gab dem Bürger die Hand aus gemeinsamem Bürgersinn! Aus gemeinsamem Kulturinteresse! Und diese Art Religionsübung ist dem Herrgott immer die wohlgefälligste. Wir sehen’s am Segen.« »Ich danke Ihnen, Herr Doktor!« »Keine Ursache. Aber wir wollen von was anderm reden.« »Ich könnte noch lange zuhören.« »Lieber Moritz, ich will deinem Professor in Bonn nicht vorgreifen. Der Mann wird für seine Leistung bezahlt.« »Dann werde ich Sie als meinen Gläubiger eintragen, Herr Doktor.« Sie waren aus der Stadt herausgekommen und spazierten im Bayental das Rheinufer entlang. Die graugrünen Wasser zogen fast lautlos an ihnen vorbei. »Weißt du, weshalb sie so still sind, Moritz? Weil sie von Bonn kommen.« »O nein, Herr Doktor.« »Bau auf die Erfahrung. Bonn ist die letzte Etappe ihrer ungeteilten Jugendseligkeit. Von dort dienen sie nur noch dem Alltag, und in Holland verrinnen sie im Sande.« »Auch der Niederrhein hat jedes Jahr seinen Frühling, Herr Doktor. Und man empfindet ihn noch viel stärker als in gesegneteren Ländern.« »Ich bin hier, um es abzuwarten. Wenn’s nur kein Altweibersommer wird.« »Schauen Sie,« sagte Moritz Lachner, »dort hinaus liegt Bonn.« Otten klopfte dem jungen Begleiter die Schulter. »Hast recht. Dort liegt Bonn. Für dich. Aber die Wasser, die einmal ins Strömen gekommen sind, fließen nicht mehr den Berg hinauf. Und es ist doch ein ganz verdammtes Gefühl, zu denken, sie fließen in die Niederlande, um alldort im Sande zu verrinnen.« »Aber die Straße bleibt, die sie durchzogen haben. Von der Quelle bis zur Mündung. Und alle die Stationen.« Joseph Otten blieb stehen. »Das hat dir ein guter Geist eingegeben. Mich faßt in diesem grauen Heimatland, über dem schon die holländischen Nebel liegen, immer diese seltsame Melancholie, die nichts ist als Sehnsucht nach der Farbe. Und ich brauch’ mich doch nur umzuschauen und sehe die Spur meiner Erdentage in allen Regenbogenfarben schimmern. Das ist sehr lehrsam. Denn man merkt, daß es auch Regentage geben muß, um am Regenbogen zu erkennen, wieviel Sonne dahinter liegt. Es mag undankbar erscheinen, aber am liebsten pfiff’ ich auf diese Erkenntnis und stände dahinten, wo die Sonne scheint. Auf die Gefahr hin, ewig unwissend zu bleiben. Na, werden wir klug!« »Dort kommt ein Nachen.« »Und junge Menschen darin. Jung sein heißt mit der Welt Fangball spielen wie mit dem eigenen Kindskopf. Einmal sitzt einem die Welt auf den Schultern, hupla, gleich wieder der Kindskopf. Komm, Moritz, es ist nach diesem philosophischen Nachmittag höchste Zeit, daß wir das auch wieder üben. Du bist mir überhaupt für deine Jahre viel zu alt, und ich fühle zu meinem Schrecken, daß das ansteckend wirkt. Apage, Satana, wir wollen auf Bonn anstoßen.« Er faßte den jungen Mann freundschaftlich unter den Arm. »In die nächste Herberge.« »Herr Doktor, ich glaube —« »Laß mich endlich mit deinem Glaubensbekenntnis zufrieden. Wenn ich zum Weine gehe, verlangt mein irdisches Teil sein Recht. Fangball, Moritz, die Übung beginnt.« »Und es ist doch Carmen, Herr Doktor!« »Wer — —?« »Carmen und Laurenz Terbroich. Dort legen sie an.« »In — der — Tat. Wollen hier in der Wildnis spazierengehen. Das Fräulein mit der Schulmappe, und der Herr Lehrling mit dem Schreibärmel. Fern der mißgünstigen Welt. Das ist rührend fürsorglich.« Die beiden Ankömmlinge hatten unterdes den Nachen an einem Pflock befestigt und wandten sich der Landstraße zu. »Heda, Carmen, auf ein Wort!« Das Mädchen fuhr zusammen. Einen Moment nur. Dann reckte es sich in den Schultern und winkte dem Vater zu. »Da bist du ja, Vater!« »Bitte näherzutreten. Herr Terbroich darf sich anschließen. So, so ... Guten Tag. Wie ich aus deinem Anruf entnehme, habt ihr mich ganz gewiß gesucht?« »Laurenz traf mich, als ich aus der Schule kam. Er war gerade zur Post gewesen. Und am Hafen —« »Liegt der auf dem Nachhauseweg?« »Nein, aber am Hafen trafen wir doch den alten Klaus, der uns sagte, du wärst mit Moritz spazieren.« »Eiserne Logik. Sei’s drum. Und nun drängte euch euer kindliches Empfinden, dem Klaus den Nachen abzubetteln und auf gut Glück hierher zu rudern, weil ihr mich in der Einöde am ehesten vermutetet.« »Jawohl, Herr Doktor.« »Herr Terbroich,« meinte Otten ironisch, »ich hätte an Ihrer Stelle einen besseren Zeitpunkt zur Antwort abgewartet. Schön lügen ist eine Kunst. Ich lass’ sie gelten. Aber plump lügen ist eine Beleidigung.« »Laurenz lügt nie, Vater.« »Umso schlimmer, wenn er es dir überläßt. Still! Tapferkeit ist lobenswert, Tollkühnheit eine Dummheit. Und gestern erst schienst du mir ein ganz kluges Mädel zu sein.« »Ach, Vater,« schmeichelte sie, »war das gestern abend schön.« »Da hört doch die Weltgeschichte auf. Du wärest im stande, hier eine Wiederholung zu befürworten.« »Du, Vater, sei doch nicht böse. Um solch eine Kleinigkeit brauchst du doch nicht gleich den alten König zu spielen, der einem die Hand aufs Herz legt. Da gibt’s doch ganz andere Sachen.« »Das wird ja immer hübscher. Darf ich ergebenst fragen, was das für Sachen sind?« »Ja,« sagte sie, warf den Kopf zurück und blinzelte den Vater an, »das kann ich doch noch nicht wissen. Mönche und kleine Mädchen sollen nicht vorwitzig sein.« Joseph Otten strich sich mit der Hand über das Gesicht, um seine Würde zu bewahren. »Mir scheint, mir soll da ein Butt mit Ohren und Schnüßchen serviert werden.« »Ein Butt, nur ein Butt!« rief Carmen lachend und hängte sich an des Vaters Hals. Mit Mühe erwehrte er sich ihrer stürmischen Liebkosungen. Aber die ernste Miene war unrettbar dahin. »Viel Talent zum Kindererziehen ist nach dieser Probe nicht zu konstatieren,« sagte er sich seufzend. »Nimmst du mich mit, Vater? Wohin geht ihr?« »Herr Doktor,« bat Moritz Lachner. »Hast du Vorschläge zu machen? Ich höre.« »Mein Vater würde sich sehr freuen, Herr Doktor, wenn Sie — meines Examens wegen —« Er stockte. »Ein Glas Wein bei euch? Abgemacht. Du hast es verdient.« »Und Laurenz?« fragte das Mädchen schnell. »Ich verzichte auf die Simon Lachnersche Gastfreundschaft,« warf der junge Kaufmann hochmütig hin. Joseph Otten runzelte die Brauen. Aber er ging über die Ungezogenheit hinweg. »Der junge Herr Terbroich,« meinte er gelassen, »kann leider an unserem festlichen Symposion nicht teilnehmen, da er sich des ehrenvollen Auftrags zu entledigen hat, den Nachen zurückzubringen. Da er nur einer schönen Regung folgte, als er der Tochter den Vater suchen half, so wollen wir seine Uneigennützigkeit einen ganzen Sieg erstreiten lassen. Adieu, Herr Terbroich.« »Lauf,« rief Carmen und gab ihm einen lustigen Schlag, »du hast dich blamiert.« Ohne weiteres hängte sie sich in des Vaters Arm. »Nehmen wir am Severinstor eine Droschke?« »Ich werde einen Einzug unter Trompetengeschmetter mit dir veranstalten. Wünschest du nicht auch noch eine öffentliche Belobigung?« Carmen hängte sich fester in seinen Arm, hielt mit ihm Schritt und summte vor sich hin. Otten betrachtete sie verstohlen. Und am Severinstor winkte er einer offenen Droschke. »Obenmarspforten. Lachner.« »Zum Jud Simon, ich verstonn, Här.« Carmen tirilierte vor Vergnügen, und Moritz stieg mit rotem Kopf in den Wagen. Der Doktor wurde in vielen Straßen erkannt und begrüßt. Oft kreuzte eine Equipage den Weg ihrer Droschke. Dann sah Carmen ihren Vater an, ihren schönen, stolzen Vater, der jeden Gruß mit der gleichen Liebenswürdigkeit, der gleichen Ritterlichkeit entgegennahm, und sie lehnte sich graziöser noch in ihre Wagenecke, mit heißen Wangen und dunkel leuchtenden Augen. Und wieder zwang es Otten, verstohlen sein Kind zu betrachten. Trotz allem: sie machte ihm Freude .... Moritz Lachner hockte ihnen auf dem Sitzbrettchen beklommen gegenüber. Er kam sich vor, als ob er sich in die vielen Grüße heimlich mit eingeschlichen hätte. Den Eindruck aber mochte er am wenigsten erwecken, und so starrte er krampfhaft auf seine Knie. »Na, Moritz? Junger Musensohn! Kopf hoch! Dir gehört die Welt!« Da blickte er auf, mit großen, dankbaren Augen. Und von nun an ließ er ruhig die Blicke wandern, erwiderte die Grüße, die Otten galten, durch ruhiges Hutabnehmen und fühlte sich zugehörig. So kamen sie in die Obenmarspforte. Der kleine, graubärtige Simon Lachner wischte wieder und wieder mit den Händen an seinem speckigen Rock, bevor er sie den Gästen zur Begrüßung reichte. »Große Ehre, Herr Doktor, große Ehre. Ich weiß, daß sie meinem Sohn gilt. Aber lassen Sie mir die Vaterfreude.« »Verehrter Herr Lachner, Ihr Sohn ist ein ganz prächtiger Kerl. Das mußte ich Ihnen sagen. Deshalb komm’ ich.« »Auch wenn der Herr Doktor nicht sich herbemüht hätte, wär’ für mich der Moritz ein prächtiger Sohn gewesen. Aber daß der Herr Doktor es besonders betont, das tut mir sehr gut, Herr Doktor. Und nun ist das Fräulein schon eine Dame und doch noch die Freundin meines Moritz. Bitte, diese Stiege hinauf. Sie ist eng, aber das Glück sieht nicht auf enge oder breite Stiegen. Heute kommt’s in mein Haus. Bitte, die Tür rechts. Da wären wir. Seien Sie willkommen in meinem Haus.« Sie saßen sich am Tische gegenüber. Der Alte hatte sein Mützchen vom Scheitel genommen, drehte es in den Händen und sah einen nach dem andern strahlend an. »Herr Lachner, ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen.« »Die Vorschläge des Herrn Doktor sind immer gut.« »Wie wäre es, wenn wir auf den glorreichen Abiturienten ein Trankopfer —« »Ist das Ihr Ernst? Sie würden ein bescheidenes Glas Wein mit uns teilen?« »Sagen wir eine Flasche. Und auf die Bescheidenheit lege ich weniger Wert.« »Ich habe einen Italiener, ein Festweinchen, Herr Doktor. Durch einen Geschäftsfreund in Toskana. Extra für den heutigen Tag bezogen, an dem der Moritz mir die Freude mit dem feinen Examen bereiten würde. Der Herr Doktor sind ja Kenner. Nein, ich hole ihn, Moritz. Du bist heute der Gefeierte, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Doktor, und der Erlaubnis von Fräulein Carmen. Ohne der Gastfreundschaft Abbruch zu tun.« Er stieg eilig in den Keller und kehrte mit einer großen, strohumwundenen Flasche zurück. Aus einem alten Kredenzschrank suchte er Gläser hervor. »Es ist seltenes Kristall. Venezianer Arbeit. Aber auch der Tag ist selten, der solche Gäste bringt, und selten —« Er schenkte ein und murmelte das letzte in den Bart. »Sie dürfen es laut sagen, Herr Lachner. Und selten ein wackerer Sohn. Aber die Väter geben die Beispiele. Und deshalb bringen wir das erste Glas auf den Vater unseres jungen Freundes Moritz. Herr Simon Lachner lebe hoch!« »Gott, Herr Doktor, Gott, Herr Doktor — —« »Und nun schenke ich selber ein. Her mit dem Kristall aus Venedig. In kristallklarer Schale edles Traubenblut. Das sei das Wahrzeichen für den, der auszieht, ein Mann zu werden. Und wenn die Schale einmal anläuft, der Wein darf’s nicht entgelten. Der Schale können wir den alten Glanz geben, einem getrübten Wein nie wieder sein göttliches Feuer. Und wenn es um dich her Schloßen hagelt, laß dir kein Wasser in den Wein deiner Begeisterung gießen, mein Junge. Die Begeisterung ist das halbe Leben, und die andere Hälfte ist die Kraft, die sie erhält. Beides wünsche ich dir. Bewahr es dir als dein unantastbares Reservatrecht, und die Jugend höret nimmer auf. Prost, Student!« Moritz Lachner stand und atmete schwer. Dann leerte er sein Glas bis auf die Nagelprobe. In kleinen Zügen trank der Alte seinen Wein. Das Schlucken wollte nicht recht. Carmen schmiegte sich an den Vater. »Du!« stieß sie hervor und preßte seinen Arm. »Wilde,« und er lachte dem heißblütigen Geschöpf vaterstolz in die Augen, »such dir ein ander Vorbild.« »Nie!« — — »Es ist italienisch Blut in den Kölnern, Herr Historiker,« sagte Otten, »das muß ertragen werden.« Draußen senkte sich der Abend. Feuchte Nebel aus den Niederlanden schwebten über der Stadt. Die Väter und ihre Kinder merkten das nicht. Den vier fröhlichen Menschen, die die Gläser klingen ließen, war es, als zöge eine der lauen, gestirnten Nächte Hesperiens auf, die so jung machen, weil ihre Sterne froh machen. =IX= Auf den Straßen Kölns herrschte schon Karnevalsvorfreude. Sie drang aus den Häusern heraus, in denen Frauen und Mädchen geheimnisvoll in Flitterzeug hantierten, um mit Zuhilfenahme vieler Phantasie echte Zigeunerinnengewänder und Prunkbeinkleider orientalischer Haremsfrauen erstehen zu lassen, während die Hausväter angestrengt an ihrem Arbeitstisch saßen, um hinter verschlossenen Türen für die nächste Narrensitzung ihres Vereins einen humoristischen Vortrag gegen die Stadtverwaltung auszuklügeln. Die Kinder tobten mit papiernen Geckenkappen auf den Treppen, rannten auf die Straßen und zogen untergefaßt in langen Reihen über die Trottoirs. »Fastelowend kütt eran, Spille mer op der Büsse, Alle Mädcher kriegen ’ne Mann, Ich un och min Söster!« Die ganze Stadt war von dem alten Karnevalsliedchen erfüllt. Die Kleinen sangen es laut, und die Großen, die ihre Stimmen noch für die Fastnachtstage schonten, summten es wenigstens mit, um sich die Melodie wieder geläufig zu machen. Im Anzeigenteil der Zeitungen prangten süße Vertröstungen, der Postassistent, der die postlagernden Sendungen zu sortieren und auszugeben hatte, arbeitete mit Verstärkung, der Humor hob kecker sein Haupt, und Witzworte flogen, schlagfertig pariert, über die Straße her und hin. Abends, wenn die Läden geschlossen wurden, blieben die Mädels länger als sonst an den Ecken stehen und flüsterten miteinander. »Als was gehst du?« »Ich maachen mich ne Donna Elvira.« »Ich maach ner Matros.« »Puh enä. Da moßte ja en Botz anduhen.« »Duhst du kein’ an?« »Willste stell sinn, du nixnotzig Ding?« »Wat denn? Nachher kriegst du akkerat su en Aschekrützcher op der Stirn als ich.« — In den Hinterzimmern der Bierlokale saßen die »Gecke« Kopf an Kopf, vom Elferrat zu drastischen Herrenabenden oder Gala-Damenabenden einberufen. In diesen Narrensitzungen wurden die neuesten Karnevalslieder approbiert, und ein Witz galt als ein Witz, unbeschadet seiner Saftigkeit. Die vornehmeren Häuser zeigten erleuchtete Fensterreihen. Die Privatmaskenbälle standen in Flor, und kostümierte Damen und Herren huschten schnellfüßig aus den Wagen ins rettende Portal, um sich dem bewundernden »Hah!« der Straßenjungen und eingehenden Ehrenbezeigungen zu entziehen. Walzerklänge drangen ins Freie, und die Vorübergehenden blieben stehen, deuteten nach den Schatten, die hinter den Vorhängen einen Geistertanz aufzuführen schienen, lustige Brüder riskierten eine groteske Imitation, und Mütter ließen ihre Kinder auf den Armen hopsen. Köln bereitete sich darauf vor, närrisch zu werden. — Joseph Otten war in diesen Tagen viel unterwegs. Er schlenderte durch die Straßen, mischte sich unter das Volk und ließ die Spannung, die in der Luft lag, auf sich wirken. Er liebte den Fasching, und er behauptete, er liebe ihn als Menschenfreund. »Es ist die einzige Zeit im Jahre,« erklärte er lachend Frau Maria, »in der sich die Menschen vernünftig, das heißt ihrer innersten Veranlagung gemäß, betragen. Wenn sie brüllen, tun sie es nicht, weil sie es an diesem Tage dürfen, sondern weil sie es an anderen Tagen ~nicht~ dürfen. Und wenn die Moral wackelt, so zeigt sie nur damit, auf welch schlechten Füßen sie das Jahr hindurch gestanden hat. Außerdem ist mir das alles persönlich eine Beruhigung.« »Joseph!« antwortete Frau Maria. Er nahm sie in den Arm. »Und dir sollte es auch eine sein. Wenn ich das ganze Jahr hindurch mehr oder minder an den Maskenscherzen im Leben teilnehme, so müßte sich diese Frau hier, wenn sie klug wäre, sagen: Der Unterschied zwischen dem anderen Volk und dem Joseph ist nur der, daß der Joseph ~niemals~ aus seinem Herzen eine Mördergrube macht.« »Ich ~bin~ eine kluge Frau.« »Weiß ich,« sagte er, strich ihr ein Haarsträhnchen aus der Stirn und küßte sie auf die Augen. Der Briefträger brachte die Post, und Frau Maria ließ den Gatten allein. Der Konzertagent schrieb wegen einer englischen Tournee. Otten steckte das Schreiben ein. »Werd’ ich mir wohl noch überlegen dürfen.« Dann griff er nach dem zweiten Brief. »Ein Stadtbrief? Unbekannte Handschrift?« Er drehte das schmale Kuvert ein paarmal zwischen den Fingern, riß es auf und zog eine lithographierte Karte heraus. »Herr und Frau Karl Lüttgen geben sich die Ehre, Herrn Doktor Joseph Otten auf nächsten Mittwochabend zu einer kleinen Tanzfestlichkeit einzuladen. Bitte, Kostüm.« Er blickte über die Karte hinweg ins Weite. Um seinen Mund zuckte es kurz. »Sieh da — die gnädigste Frau Lüttgen ... So schnell eine Kommandierung ... Bedaure.« Er nahm eine Visitenkarte und füllte sie mit einer Zeile aus. »Dr. Joseph Otten — bedauert, der freundlichen Einladung auf Mittwochabend nicht Folge leisten zu können.« Er kuvertierte und schrieb die Adresse. »Herrn Fabrikbesitzer Karl Lüttgen und Frau Gemahlin.« »Erstens,« sagte er sich, als er den Brief in den Kasten steckte, »ladet man mich nicht wenige Tage vorher durch eine übriggebliebene Drucksache ein, als ob ich mit beiden Händen danach greifen würde. Zweitens: eine schöne Frau, die nur Malicen zu vergeben hat, das ist Destillation auf trockenem Wege. Scheußlich.« — Am Abend brachte ein Dienstmann ein Briefchen. »Ich kriegen Antwort, Herr Doktor.« Otten sah nach der Unterschrift. »Karl Lüttgen.« Er zuckte die Achsel. »Solche Zähigkeit.« Dann las er: »Lieber Joseph! Du würdest mir eine große Freude bereiten, wenn Du mir gestattetest, den Abend mit Dir gemeinsam zu verbringen. Wollen wir uns in der Komödienstraße, in der ›Ewigen Lampe‹ treffen? Nur um ein Dir bequem liegendes Rendezvous anzugeben. Von dort können wir weiter. Fürchte kein Attentat wegen Deines Erscheinens respektive Nichterscheinens am Mittwoch. Im Gegenteil. Dein Karl Lüttgen.« Otten schüttelte den Kopf. »Dieses ›im Gegenteil‹ ist so köstlich, daß es belohnt zu werden verdient.« Er setzte sich hin und schrieb Antwort: »Werde in einer Stunde zur Stelle sein. Ebenfalls sehr erfreut. Dein Otten.« Er händigte das Billett dem Dienstmann ein, der es sorglich im Innern seiner Mütze unterbrachte. »Et rücht hier jet brenzlich, Herr Doktor.« Otten nahm seine Zigarrentasche heraus. »Probiert ens selwer.« Der Dienstmann grinste und machte einen Kratzfuß. »Ich danken auch, Herr Doktor.« — Eine Stunde später trat Otten in die »Ewige Lampe« ein. An einem Tischchen entdeckte er die behäbige Gestalt des einstigen Schulfreundes, der ihm fröhlich entgegenwinkte. »Das war schön von dir, Joseph, daß du mir keinen Korb gegeben hast. Nimm Platz. Einstweilen ein Glas von diesem?« »Du bedankst dich wohl noch, daß ich ~euch~ einen Korb gegeben habe?« Otten gab dem Kellner Hut und Mantel und rückte seinen Stuhl an den Tisch. »In der Tat, Joseph, das tue ich auch.« »Sonderbarer Gastgeber.« »Ich sag’ dir, Joseph, heute mittag, als dein Brief kam! Wir saßen gerade bei Tisch. Ich las und gab die Karte meiner Frau. ›Aha, der große Künstler,‹ sagte sie. ›Schreibt ab,‹ sagte ich. Sie wurde ganz blaß vor Ärger. ›Dieser große Herr. Allüren hat der Mensch! Bedauert, nicht Folge leisten zu können. Schluß. Als ob er an dem Abend gerade beim Gouverneur oder beim Herrn Erzbischof speiste.‹ — ›Wird er auch wohl, Amely.‹ — ›Albernheiten ...‹ — ›Du siehst, Amely, der Mann hat nicht nötig, auf uns zu warten.‹ — ›Das scheint dich wohl noch zu freuen? Manieren habt ihr Rheinländer!‹« Der Fabrikant trank einen Schluck. »Wahrhaftig, Joseph, darin hatte sie recht. Und es ~schien~ nicht nur mich zu freuen, es freute mich sogar ganz gewaltig. Ich hatte sogar eine diabolische Schadenfreude.« »Ein sehr beliebter Gast schein’ ich demnach nicht bei dir zu sein.« »Mehr als das, viel mehr. Nur — du weißt ja, ich hab’ immer eine geheime Liebe zu dir gehabt, aber du standst mir geistig immer etwas zu hoch, als daß ich mich getraute. Und als du nun vor einigen Tagen bei mir hereinschneitest und warst so ein prächtiger, frischer Kerl, da sagte ich mir: ~Den~ Freund behältst ~du~. Den gibst du nicht für den Hofstaat ab. Etwas muß der Mensch haben, woran er sein Herz hängt. Prost, Joseph.« »Du begannst deinen Satz vorhin mit ›Nur —.‹ Also?« »Ich meinte damit: ich gönne dich ihr nicht. Nicht auf die Art, wie’s ihr beliebt. Befehlen — und kuschen. Oder allergnädigst: Luft! Und nun passierte es ihr zum erstenmale, daß ~sie~ — Luft war. So etwas nimmt sie nämlich höllisch persönlich. Und darum rieb ich mir die Hände.« Joseph Otten trank gedankenvoll sein Glas Wein. Der Kellner brachte eine neue Flasche. »Eine Musterehe scheint ihr mir gerade nicht zu führen, Lüttgen.« »O doch. Musterhaft im Nebeneinander. Das ist ja heute wohl das Neueste. Und meine Frau geht mit der Zeit, darauf kannst du dich verlassen.« »Sag mal, Lüttgen, beichtest du mir nicht etwas viel?« Der Fabrikant wandte dem Fragesteller langsam sein rotes, fleischiges Gesicht zu. »Nein, Joseph.« »Das ist kategorisch. Aber steht dir unter den alten Freunden keiner näher?« »Sie sind alle zu meiner Frau übergegangen.« »Mann, dann geh du doch auch zu deiner Frau über.« Lüttgen zog die Stirn zusammen. Eine Weile spielte er mit seinem Glas. »Glaubst du etwa, daß ich das nicht versucht hätte? Oder weshalb, glaubst du, daß ich sie vor drei Jahren geheiratet hätte, nach meiner glücklichen ersten Ehe? Die Antwort? Weil ich verliebt war. Weil ich mich noch jung genug fühlte, dem Herzen etwas zu bieten. Weil ich so eitel war, nun mal was Apartes haben zu wollen, und nicht auf Vermögen zu schauen brauchte. Denn sie hatte keinen Groschen. Pardon — das gehörte nicht hierher.« »Und deine Ausgleichversuche sind dir mißglückt?« »Lieber Joseph,« sagte Lüttgen, »du drückst dich sehr zartfühlend aus. Ausgleichversuche! Soll also heißen: Unterwerfungsversuche. Beruhige dich, ich habe sie unternommen, täglich, stündlich. Denn ich liebte ja diese Frau. Und um wahr zu sein: ihre wechselnden Stimmungen waren für mich, der ich von komplizierteren Frauennaturen so gut wie gar nichts kannte, ein Reiz. Soeben noch ein hochmütiges, herrschsüchtiges Weib, dem es Freude machte, mich mit ihren geistreichen Bosheiten bis aufs Blut zu peinigen, war sie eine Stunde darauf ein kleines, hilfloses Mädchen, dem es Freude machte, sich auf meinem Arm durch die Stube schleppen zu lassen. Dieser beständige Umschwung hielt mich in Atem. Ich kam überhaupt nicht mehr zu mir selber, und das war der tiefere Sinn. Diese Frau brauchte für alle Lebenslagen einen guten, treuen Bernhardiner. Sie richtete mich ab.« »Auch ein Bernhardiner kann eine Heldenrolle spielen, mein lieber Freund.« »Aber nur ein abgerichteter. Und auf Kommando.« »Einer muß in der Ehe das Kommando führen.« »Auch das zugegeben. Du siehst, ich bin nicht kleinlich. Aber ich fragte mich bald: Wo ist denn hier die Ehe? Wo ist denn hier überhaupt noch eine Gemeinschaft, und wenn’s eine Gedankengemeinschaft gewesen wäre? Ich hatte tagsüber auf den Werken zu schaffen. Die Konjunktur der letzten Jahre forderte den ganzen Mann. Donnerwetter, ich hab’ den Karren weitergeschoben. Und wenn ich Abends heimkam und suchte ein fröhlich Geplauder, um mich von Grund aufzufrischen, so wurde mein Geist gewogen und zu leicht befunden. Ich weiß, ich bin keine Leuchte auf literarischem Gebiet. Aber es gibt ja auch noch andere Gebiete. Ich weiß, ich bin kein Causeur. Aber muß man denn beständig Perlen speien? Ein paar liebe Worte, sollt’ ich meinen, sind auch keine leichte Ware. Joseph, bis dahin glaubte ich ein Gott weiß wie stolzer Mensch zu sein und — wenn ich durch die Fabrik schritt — Berechtigung dazu zu haben. Dieser Stolz war mir bei der Arbeit von nöten, wie mir nach Feierabend die Fröhlichkeit von nöten war. Ich wurde eines anderen belehrt. Der Stolz war rheinischer Fabrikantendünkel, die Fröhlichkeit dick aufgetragene Schminke, das geistige Manko zu verdecken. Ich lernte, daß ich sowohl des Schwungs wie der Tiefe ermangelte, ich lernte, daß ich — von meinem Verständnis für die höhere Schlosserei abgesehen — ein geistiger Plebejer sei. Und meine Freunde, die auf die schönen Augen meiner Frau Schwüre leisteten, lernten das ebenfalls — von mir glauben ...« Otten blickte auf die Tischplatte. Nun hob er den Kopf. »Sie ist sehr schön, deine Frau — —. Eigenartig stilisiert schön. Und geistvoll. Beides weiß sie.« »Von ~meinem~ Geistesreichtum habe ich schon gesprochen. Und meine Schönheit —? Ich weiß, daß ich ein dicker, vollblütiger Kerl bin. Aber das sah sie ja auch, bevor sie mich heiratete. Nun war ich unelegant, ohne Manieren. Alle meine Lieblingsgewohnheiten wurden nacheinander durchgenommen und mir verleidet. Andere Ambitionen konnten nicht geweckt werden. Ich war auch zu störrisch dazu. Die Freunde umringten meine Frau, deren Launen sie für himmlisch erklärten, um nicht als Dummköpfe zu gelten. Ich wurde Portier. Auch ein schöner Posten. Aber er wurde mir zur Last. Gottlob, daß du gekommen bist.« »Ich habe dich ruhig angehört,« meinte Otten nach einer Pause, »und ich kann mir wohl denken, daß selbst den Stärksten und Zurückhaltendsten Stimmungen überrumpeln können, in denen er Dinge preisgibt, die man sonst geheimzuhalten pflegt. Ihr steht augenblicklich in Kampfstellung zueinander. Ihr seid gereizt und übertreibt daher. Und in kurzer Zeit vielleicht schon, lieber Lüttgen, möchtest du das heutige Gespräch ungeschehen machen. Das ist dann ein peinliches Gefühl, aber es soll auch das einzige sein, denn ich werde die Dummheiten vergessen haben. Im Grunde deines Herzens nämlich bist du ja doch stolz auf deine Frau und liebst sie über die Maßen.« Der Fabrikant schob sein Glas zur Seite und legte seine Hand auf die Hand des Freundes. »Ich nehme als selbstverständlich an, Joseph, daß das, was hier gesprochen wird, unter uns beiden bleibt. Es ist das erste Mal, daß ich die Maske des heiteren Haus- und Eheherrn so gänzlich beiseite lege. Und ich setze sie schon wieder auf, sobald wir das Lokal verlassen. Aber ich will auch einen Menschen für mich haben. Einen Menschen für mich, bei dem ich hin und wieder mal vor Anker gehen kann, damit ich mir nicht selber zum Spott werde. Und nun schau mich mal ganz ruhig an. Ich bin ganz normalen Geistes. Und mein Verhältnis zu meiner Frau will ich dir jetzt in drei Worten erleuchten, denen nichts an die Seite zu stellen ist: Ich — hasse — sie.« »Lüttgen.« rief Otten, erschüttert von der Ruhe des Mannes. »Ich hasse sie. Das ist der Rest, an den sich meine Selbstachtung klammert.« Eine Minute ging hin. Das Schweigen wurde drückend. »Wir sind verdammt ernst geworden, Lüttgen,« sagte Otten dann. »Verzeih. Das lag durchaus nicht in meiner Absicht. Und ich hoffe, nun wird’s für mich auch in meinem Hause heiterer werden. Ich hoffe auf dich.« »Du denkst doch nicht daran, daß ich in eurem Hause aus und ein gehe? Vorhin erst freutest du dich über meine Absage.« »Das tat ich, mein lieber Joseph, und tu’ es noch. Sie sieht daraus, daß du die Leute auf ~dich~ zukommen läß’t. Das ist sie nicht gewohnt. Und wenn du ein andermal kommst und dann viele Male, werden wir beide Arm in Arm durch den Saal marschieren, und ihr Hochmut wird an dir klein werden.« »Lieber Lüttgen, das ist keine Rolle für mich. Ich habe der Dame des Hauses, in dem ich verkehre, meinen Respekt zu erweisen.« »Das darfst du. Du darfst ihr selbst den Hof machen. Du darfst sogar ihr Freund werden, denn sie hat Eigenschaften, die das erklärlich scheinen lassen. Ich bin ja nicht blind. Nur soll sie dabei erfahren, daß du in erster Linie — ~mein~ Freund bist.« »Und davon versprichst du dir so viel?« »Für jetzt nicht, aber für mein Alter.« »So bescheiden also kann man werden,« dachte Otten, »daß man von den Jahren, die da kommen, nur noch Ruhe wünscht ...« »Was meinst du?« fragte Lüttgen und zog die Uhr. »Wir gehen noch hinüber ins Domhotel. Uns tut eine andere Umgebung not, wenn wir auf eine andere Stimmung reflektieren. Hier ist die Luft jetzt mit Trauertönen geschwängert. Weg damit.« »Ja,« sagte Otten und erhob sich, »gehen wir.« Als sie über die Straße schritten, Otten elastisch, der Fabrikant schwerfällig, schob Lüttgen den Arm in den des Freundes. »Neben dir komme ich mir wie ein Greis vor. Ja — das war einmal.« »Trink nicht so schwere Sorten,« erwiderte Otten, »das macht sentimental.« — — — Der nächste Tag war ein Sonntag. Otten war übernächtig am Frühstückstisch erschienen und hatte alsbald einen längeren Spaziergang unternommen, um sich zu erfrischen. Die Gedanken sprangen in seinem Hirn hin und her. Er wollte sie ordnen. Der Morgen rückte vor. Carmen war zur Elfuhrmesse in den Dom gegangen, und Frau Maria saß untätig in ihrem Sessel und hielt ein Feierstündchen. Sie liebte die hellen Sonntagmorgenstunden, die klarer scheinen als die Morgenstunden anderer Tage. Sie nahm ein stilles Leuchten daraus für die Woche mit. Unten schlug die Klingel an. Der alte Klaus, der auch seine Feierstunde hielt, öffnete die Haustür. Leichte Schritte kamen die Treppe herauf. Nun klingelte es am Korridorpförtchen. Frau Maria erhob sich, um nachzusehen. »Herr Doktor Otten zu Hause?« »Mein Mann ist ausgegangen. Ich bin ~Frau~ Otten. Wollen Sie nähertreten?« »Sehr gern.« Im Zimmer wies Frau Maria auf einen Stuhl. »Kann ich meinem Mann etwas ausrichten, gnädige Frau?« »Frau Lüttgen. Der Name wird Ihnen wohl bekannt sein als der eines Freundes Ihres Mannes.« »Ich hörte ihn gestern. Die Herren hatten eine Verabredung.« »So geht es. Auch ich hörte erst gestern von Ihnen. Sonst wäre mir sicher nicht der Fehler passiert, Sie nicht ebenfalls zu unserem kleinen Fest zu bitten.« »Ich wußte gar nicht, daß mein Mann eine Einladung angenommen hatte. Aber ich gehe so wenig aus, daß es wirklich keiner Entschuldigung Ihrerseits bedarf.« »Die Einladung angenommen? Nein, Sie irren. Er hat sie ziemlich kurzgefaßt abgelehnt. Und deshalb sehen Sie mich hier. Ich hatte mir eine so hübsche Überraschung ausgedacht. Ich wünschte mit Herrn Doktor Otten als wanderndes Sängerpaar aufzutreten, als Harfner und Mignon. Es ist ein kleines Kostümfest, und nun macht Ihr zürnender Gatte einen Strich durch die schöne Rechnung.« »Nein,« sagte Frau Maria, »wie sollte er Ihnen zürnen? Er ist kaum eine Woche von einer mehrjährigen Kunstreise zurück und wird sich noch etwas müde fühlen.« »Von Ermüdung habe ich am ersten Abend nicht viel an ihm bemerkt. Das spricht die sorgende Hausfrau.« »Er war bereits bei Ihnen?« fragte Frau Maria freundlich. »Am Abend seiner Ankunft. Und das hat er verschwiegen? Das ist so recht Männerart.« »Ich bin nicht neugierig,« sagte Frau Maria lächelnd. Frau Amely Lüttgen stutzte. Ihre klugen, grauen Augen hafteten an den ruhigen Zügen der Frau, die sich so leidenschaftslos zu geben wußte. »Das versteh’ ich nicht,« sagte sie. »Oder aber — wir müßten dieselbe Tugend vom Mann verlangen können.« »Nicht neugierig zu sein? Damit hätten wir doch nichts gewonnen.« »Nichts —?« »Höchstens, daß man den Mann um nichts eifersüchtig machte. Wenn Sie das meinen?« Frau Maria lachte. »Es brauchte ja nicht immer ›um nichts‹ zu sein.« »Sie scherzen, gnädige Frau.« »Hören Sie mal, dies Thema interessiert mich. Aber Sie interessieren mich doch noch viel mehr.« »Damit Sie keine Enttäuschung erleben, schlage ich Ihnen lieber vor, bei dem Thema zu bleiben.« »Im Ernst, Frau Otten, Sie verlangen doch nicht, daß wir Frauen Menschen zweiter Klasse werden?« »Im Gegenteil. Menschen erster Klasse. Damit der Mann einen Maßstab behält.« »Der Mann! Immer der Mann! Ist seine Person wirklich so wertvoll, daß sie mit so zarter Rücksicht behandelt werden muß?« »Als Vater unseres Kindes, sollt’ ich meinen. Wenn man von seiner Person absehen will.« »Des Kindes!« »Sie sehen, bei dem Wort stockt schon unser Eifer. Im Grunde ist es doch ein ganz einfaches Exempel, wenn wir wollen.« Das ruhige Gleichmaß in der Frau reizte die Besucherin, das Thema noch nicht fallen zu lassen. »Sie sagten: das Kind. Gewiß, darin pflichte ich Ihnen bei. Das Kind ist heilig. Aber gerade darum müssen wir frei in der Wahl seines Vaters sein können.« »Ich glaube nicht daran,« erwiderte Frau Maria, »daß das Kind in der Geburt heilig ist. Ich glaube aber daran, daß die Mutter es heilig machen kann. Durch ihr Beispiel. So weit das ausreicht. Die Erziehung macht den Menschen.« »Demnach erscheint es Ihnen auch unfaßlich, daß sich eine Frau einem Manne gesellt, ohne — wie sage ich — ohne Formalität?« Über Frau Marias Stirn zog sich eine feine Röte, die sich mehr und mehr vertiefte. »Wie sollte mir das unfaßbar erscheinen? Aber man müßte den Mann so sehr lieben, daß man ihn auch — zu jeder Stunde heiraten würde.« »Tut’s das wirklich?« fragte Frau Amely spöttisch. »Ich sagte ›auch‹. Das bedeutet: man muß wissen, daß man verbunden ist, — so — oder so. Man muß wissen, daß man das, was man tat, aus einem großen, gewaltigen, wunderbaren Triebe heraus tat, und nicht aus Widerstandslosigkeit gegen sich selbst oder, umgekehrt, aus eitel Berechnung und Vernünftelei. Unsere Kinder haben Blut nötig, und das Blut kommt aus dem Herzen.« »Solch ein Herz kann sich auch verbluten.« »Verbluten wohl. Aber das Blut kann nicht wässerig werden, dadurch, daß man nach hierhin und dorthin abgibt. Das würde ein elendiges Menschengeschlechtlein werden.« »Und an sich selbst, an Ihre eigenen Rechte denken Sie gar nicht?« »Verzeihung,« sagte Frau Maria und erhob sich. Unten hatte die Türklingel angeschlagen. Carmen kam lustig aus der Messe. »Meine Tochter Carmen,« präsentierte Frau Maria das Mädchen. Und Carmen knixte und reichte die Hand. »Was für ein intelligentes Köpfchen,« sagte die Besucherin staunend. »Ich werde dich einmal in meinem Wagen abholen.« »Ach ja — bitte.« »Schau mal nach dem Vater aus, Kind. Er wird am Rhein entlang zurückkommen.« Carmen stürmte hinaus. »Und solch ein sprühendes Wesen soll nun in die alte Schablone gepreßt werden, nur weil’s das Herkommen so will?« »Sie halten mich für rückständiger, als ich bin, gnädige Frau. Ich bin eine unbedingte Anhängerin der neuen Zeit, die von uns Frauen eine Erneuerung und Weiterbildung in allen Wissenschaften fordert, je nach der persönlichen Befähigung natürlich. Hat Carmen erst mit ihrem jetzigen Schulstudium abgeschlossen und hält ihre Befähigung stand, so wird sie den Gymnasialkursus absolvieren, der jetzt eingerichtet ist. Wir bleiben also nicht stehen, gnädige Frau.« »Und in der neuen Ethik?« Frau Maria lächelte vor sich hin. »Daß Sie daran so festhalten. An dem Worte ›neu‹. Sie bleibt ja doch dieselbe. Immer die, die ~wir~ für gut und schön halten, und immer die, die ~andere~ für gut und schön halten. Das wird sich niemals ändern. Nur, daß man bisher kein Wesen davon machte, wenn man die eigene für besonders schön hielt. Daraus wurde Poesie. Trägt man aber die Poesie auf den Markt, so muß wohl Marktgeschrei daraus werden. Deshalb sollte man die neue Ethik nicht immer so laut verkünden.« Frau Amely zog die Augenbrauen hoch. »Sei dem, wie ihm sei. Der Erfolg wird Recht sprechen. Aber jedenfalls,« und sie erhob sich rasch, »haben wir uns nicht über Dienstmädchensorgen und die billigsten Bezugsquellen unterhalten. Bei einem ersten Besuch! Wir sind also wirklich bildungsfähiger als die Männer, die über die Weinpreise noch nicht hinausgekommen wären.« »Die armen Männer,« lachte Frau Maria belustigt. »Wahrhaftig. Es sind arme Teufel. Und sie sollen es wissen.« »Nehmen Sie meinen Mann aus.« »Sie machen mich wirklich begierig, ihn näher kennen zu lernen. Er muß die Tugenden wie Orden auf der Brust tragen.« »Kennen Sie nicht den starken Wahlspruch der Engländer, gnädige Frau? =Right or wrong, my country?= So denke ich über meinen Mann.« »Ich hätte fast den Zweck meines Herkommens vergessen,« sagte Frau Amely. »Wollen Sie mir helfen, Ihren Mann umzustimmen? Und werden Sie mir ebenfalls die Freude machen?« »Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, an mich zu denken. Aber ich kann mich des Abends nicht gut von meinem Kinde trennen. Wir leben so zurückgezogen, daß Carmen gerade am Abend ganz auf mich angewiesen ist.« »So schicken Sie Ihren Mann allein. Sagen Sie ihm, daß ich darauf rechnete, daß er mir nicht die Harfner- und Mignon-Idee verdürbe. Ich würde mich als Mignon so entzückend wie möglich machen. Ganz allein ihm zuliebe. — Vielleicht hilft das.« »Es wäre wenigstens die heftigste Beschwörung.« »Adieu, gnädige Frau. Es war eine reizende Stunde bei Ihnen.« »Adieu, gnädige Frau.« »Sie werden jetzt öfter von mir hören. Das haben Sie nun davon.« »Ich werde mich gern daran gewöhnen.« — — Frau Amely schritt die Gasse hinunter und bog am Rheinufer ab. Frau Maria sah ihr vom Fenster aus nach. »Das ist nicht nur Kleidereleganz,« sagte sie, »das ist vererbte Kultur.« Und sie bewunderte die feine Körperlinie und die Art des Gehens. »Körperkultur. Und die Gedanken werden davon abhängig gemacht. Das ist das Geheimnis.« Sie kehrte sich langsam ab, um in die Küche zu gehen. Es wurde Zeit, die Anrichtung des Mittagsmahls zu übernehmen. Ihr Blick fiel in den Spiegel. »Du gehörst Joseph Otten und keinem sonst,« und sie nickte der großen, ebenmäßigen Figur, deren Bild der Spiegel zurückwarf, zu. »Das ist eine bessere Freiheit. Keinem sonst ...« Eine halbe Stunde später kam Otten heim. Carmen hing an seinem Arm. Der Spaziergang hatte ihn erfrischt, er war munter und wortreich. »Du hast Besuch gehabt, Maria? Carmen erzählte mir von einer Dame, der lauter Pelzschwänzchen von der Schulter gebaumelt hätten. Das Mädel will partout auch so einen Pelz.« »Bist du ihr nicht begegnet?« »Wie, ging sie denn, mich suchen?« »Sie ging von hier aus das Rheinufer entlang. Ob das dem Rhein gegolten hat?« »Schelm, du willst mich wohl eitel machen? Wer war’s denn?« »Kennst du eine gewisse Mignon?« »Nur die eine, von der man nie recht weiß, ob sie ein Jung’ oder ein Mädel ist.« »Und den Harfner kennst du auch?« »Auch den Harfner.« »In welchem Verhältnis steht denn der zur Mignon?« »Das wird ihm wohl selbst schleierhaft sein. Ist er der Vater, der Geschäftsführer oder — der Liebhaber?« »Wäre das nicht eine passende Rolle für dich?« »Höre mal,« sagte Otten und griff ihr unters Kinn, »wenn sich bei mir auch schon ein paar graue Haare zeigen, so bitte ich doch sehr, mich nicht als rätselhaften Mummelgreis zu verschleißen. Oder soll ich dir Respekt beibringen?« »Bleibt also noch die Mignon,« lachte sie unter seinem Griff. »Ein Wesen, von dessen Weiblichkeit ich nicht einmal fest überzeugt bin? O Maria, habe ich denn mit dir umsonst gelebt?« Sie legte ihm die Hand auf den Mund. »Die Frau deines Freundes Lüttgen war hier.« Verblüfft staunte er sie an. »Frau Amely — —? Hier?« »Wegen ihres Kostümfestes.« »Ich hab’ ihr doch unzweideutig abgeschrieben,« murmelte er und gab ihr Kinn frei. »Sie behauptete, du zerstörtest ihre Pläne. Sie müsse dich als Partner haben.« »Bin doch neugierig, wozu?« »Als Harfner, Joseph, und sie würde dir zuliebe eine ganz entzückende Mignon sein.« Otten ging zum Fenster und trommelte an die Scheiben. »Eine sehr schöne Idee,« meinte er endlich. »Schade, daß ich diese Rolle gerade nicht auf dem Repertoire habe.« »Du willst nicht, Joseph?« »Mich ausspotten lassen? Denn das ist doch Spott!« Er kam zurück, legte den Arm um Frau Maria und promenierte mit ihr durchs Zimmer. »Sprechen wir von was anderem. Die Sache ist erledigt.« — Carmen hatte inzwischen den Tisch gedeckt. Frau Maria servierte selbst. Eine heitere Stimmung füllte den Raum. Und mitten in einem Gespräch fragte Otten: »Wie hat sie dir denn eigentlich gefallen?« Frau Maria sah ihn lächelnd an. »Die Frau deines Freundes? Wie nanntest du sie doch: Frau Amely? Ja, Joseph, ich glaube, ganz so wie dir. Sehr bestechend, aber — man weiß nicht recht.« »Ja, ja, ja. Man weiß nicht recht. Jung’ oder Mädel.« Am Nachmittage wurde musiziert. Otten sang ein paar Balladen und einige Volkslieder, und er ließ sich von seiner Kunst weiter und weiter reißen. »Jetzt werde ich die Strophen einmal rezitieren. Gib acht, ob ich der Komposition auch nur einmal gestattet habe, den Geist der Gedichte zu Gunsten einer musikalischen Phrase zu vergewaltigen. Man singt nicht Töne, man singt ein gedichtetes Lied!« Und er sprach die Verse, daß sie ihr Innerstes offenbarten. Frau Maria saß wie im Banne. »Hat sie eigentlich auch Geist?« »Wer, Joseph?« »Ach, ich kam gerade darauf. Ihr habt euch doch lange unterhalten. Lassen wir sie in Frieden.« Wie ein farbenprangender Sonnenuntergang war der Abend. Und als die Nacht kam, zitterte es durch den Raum, in dem die drei Menschen beieinander saßen, wie eine selige, fern verhallende Liedstrophe ... »Gute Nacht, Carmen. Gute Nacht, Töchterlein.« Dann gingen auch Joseph Otten und Frau Maria zur Ruhe. »Du — Maria!« »Joseph?« »Trotzdem! Ein Alltagswesen ist sie nicht. Sie hat was von der Sphinx. Verführerisch und grausam. Arme Opfer — —.« »Großer Junge,« lachte Frau Maria leise ... Um sie her und in ihr war noch der Sonntag. =X= Rosenmontag — —! Geck, looß Geck elans! Maskenfreiheit! Eine ganze Stadt in Ekstase ... In den Gassen und Straßen der Altstadt tobte der Aufruhr. Das Narrentum stand auf wider den Griesgram Vernunft. Es sprach seine eigene Sprache, deren gellend Gejauchz nichts wußte vom Trommelfell der Umstehenden, es machte seine eigene Musik, die in Kinderraspeln, Waldteufeln, Mundharmonikas und Vogelpfeifen versuchte, der Freude der Seele gerecht zu werden, es sang seine eigenen Lieder, trug seine eigene Tracht, und wo die Schönheit zu kurz kam, wurde sie durch Begeisterung ersetzt. Rosenmontag ... Die Hohestraße hatte die Führung. Wer von den Fenstern niedersah, blickte in ein Meer von blauen und roten, gelben und grünen Farben, dessen Wogen sich ballten, sich verschlangen, sich übersprangen, und aus denen Dominos, blaubekittelte Bauern, Höllenfürsten, Hexen und Balleteusen hochgehoben wurden, um zu vergehen wie ein Spuk und großkarierten Engländern, den Brüdern Straubinger, politischen und Phantasiemasken Platz zu lassen. Wo zwei Menschen nebeneinander eingekeilt wurden, bildeten sie eine Musikkapelle, wo sich ein Fräulein aus dem Trubel herausschälte, gab’s fröhliche Jagd mit anschließendem Reigentanz. Hin und wieder ein Aufkreischen über allen Lärm hinaus. Ein Kuß hatte gesessen. Eine Schar gescheckter Narren stürmte heran, warf sich in den Menschenstrom, hieb mit den knallenden Pritschen drein, ließ Schweinsblasen auf die Köpfe niedersausen und machte die Bahn frei. »Der Zug! Der Zug! Hä kütt! Platz for der Zug! Hau, du lecker Mädchen, ich fressen dich!« Und der Karnevalszug trabte, rollte heran. Voraus nach alter Sitte kölnische Bauern und Jungfrauen; die Funkenkompanie, die Karikatur ehemaliger Stadtsoldaten, etwas schwankend schon hinterdrein; und nun Wagen auf Wagen, auf denen in kecker Persiflage die Revüe des Jahres abgehalten wurde, der Geist der Stadtväter unvorhergesehene Würdigungen erfuhr, Denkmalsfragen gelöst wurden und eine Narrheit die andere an Witz und schillernden Farben übertrumpfte. Gedruckte Lieder flatterten in die Menge, unaufhörlich schmetterten Musikbanden die Melodie, kostümierte Reiter kitzelten mit langen Pfauenfedern die Mädchen, die lachend danach schlugen, am Halse. »Weg, du Räuwer!« — »Wat denn? Ein Pfauenaug kann doch nit blind werde!« Und Prinz Karneval, an der Seite sein hochgemutes Gemahl, entbot vom turmhohen Wagen seinem getreuen, wonnejauchzenden Volk landesväterlichen Gruß. »An alle meine Narren! Alaaf Kölle!« Joseph Otten hatte in einem Restaurant in der Hohestraße zu Mittag gegessen. An dem Tisch, der dicht vor eines der Fenster gerückt war, saßen neben ihm seine Tochter Carmen und Moritz Lachner. Frau Maria war daheim geblieben. »Ich habe mehr davon, wenn ich euch später erzählen höre,« hatte sie gesagt; »ich bilde dann das Publikum, und ihr habt die Freude zweimal.« Mit belustigtem Blick schaute Otten seine Tochter an. Sie hielt ihre schlanke Figur wie eine junge Dame und gab sich ein Aussehen, als ob sie gewöhnt sei, täglich in den besten Restaurants zu Mittag zu speisen und Volksbelustigungen von ihrem Fenster mit der gleichen Geneigtheit entgegenzunehmen wie etwa in Nizza oder in Rom. »Sie ist ihren Jahren an Kopf und Wuchs voraus,« dachte Otten, »man könnte sie für sechzehn halten, und sie weiß es.« Und das belustigte ihn. Moritz Lachner hingegen blieb sich seiner ungeschickten Halbreife so sehr bewußt, daß er nur zuweilen hastig um sich zu blicken wagte. Dann fragte Carmen erstaunt: »Wünschest du etwas, Moritz? Gefällt es dir nicht?« — »Nein, Nein. — O ja!« — Als sich der Rosenmontagszug heranwälzte, hob Otten mit elegantem Schwung das junge Mädchen auf den Tisch und hielt den Arm um ihre Taille. Und sie legte schmeichelnd die Hand auf sein Haar und dachte: »Jetzt werden die Leute glauben, es ist mein Bräutigam.« Das machte sie stolz und gab ihrem feinen Gesicht einen herablassenden Zug. Moritz Lachner wandte kein Auge von ihr. Der Rosenmontagszug hatte ihm nichts mehr mitzuteilen. »Du, Vater, schau hier!« »Der schöne Landsknechtsfähnrich?« »Ach, das ist ja unser Bierhändler. Nein, der rote Teufel da, der immer in die Luft federt. Siehst du ihn? Erkennst du ihn nicht? Jetzt hat er uns entdeckt. Hurra!« Und sie schwenkte die Hand wie eine Fahne. »Das ist Laurenz Terbroich,« sagte Moritz Lachner. »Ich mag ihn nicht gern, Carmen,« meinte Otten. »Sein Teufel hat mir zu viel Mache, gerade wie der Mensch.« »Aber es ist doch Karneval, Vater. Laß ihn doch zu uns.« »Na, Kind, wenn ich deinen Freund nur an Karnevalstagen zu Gesicht bekomme, soll es mir recht sein. Er ist windig und frech. Heut soll er Maskenfreiheit genießen. Den Deubel zum Gruß, Herr Terbroich.« »Den Deubel auch, Herr Doktor!« In grotesken Sätzen war der Rotseidene durchs Lokal gesprungen und machte Miene, sich des lachenden Mädchens zu bemächtigen. »Sonst wünschen Sie nichts?« rief Otten und fing den Teufel auf. »Meine Großmutter läßt Sie grüßen, Herr Doktor. Und Sie möchten ihr doch auch mal die Ehre geben.« »Ich werde Sie als Quartiermacher vorausschicken, wenn Sie nicht artig sind. So, setzen Sie sich. Hier ist ein Glas Sekt. Nun wollen wir singen und klingen, bis sich draußen der Schwarm verlaufen hat.« Er hob das junge Mädchen vom Tisch herunter. Die Wogen der Fastnachtsseligkeit schlugen kräftig ins Lokal. »Du, Carmen ...« flüsterte Laurenz Terbroich. Er saß neben ihr und erhaschte ihre hin und her pendelnde Hand. »Ja — —?« »Dein Vater soll dich heute abend mit auf den Gürzenichball nehmen.« »Ich darf noch nicht hin. Ganz gewiß nicht.« »Frag ihn doch. Die halbe Tanzstunde kommt.« »Vater,« schmeichelte Carmen, »wohin gehen wir denn von hier aus?« »Nach Hause, du Nimmersatt.« »Bleibst du denn auch zu Hause? Sag doch. Oder gehst du zum Gürzenich? Ach du. Sag’s doch.« »Du möchtest wohl mit? Kind, daran ist nicht zu denken.« »Wenn ich einen Domino anziehe, sehe ich aus wie eine Erwachsene. Du, dann sind wir das schönste Paar. Nein, wirklich. Und du weißt es auch selber. Ach, Vater, mach mir doch den Spaß, ich hab dich doch noch nie um was gebeten.« Er strich ihr über das erhitzte Gesicht. »Na, na, na. Ich tät’s schon. Aber die Mutter wird es nicht erlauben.« »Wenn du’s ihr nur richtig sagst. Der Laurenz geht auch hin.« »Soll ich das als Empfehlung nehmen?« »Der Moritz auch,« sagte sie rasch und blickte den Abiturienten befehlshaberisch an. »Was? Der Moritz auch? Du willst auf den Gürzenichball, Moritz?« Moritz Lachner saß mit rotem Kopf. Er fühlte den verwunderten Blick Ottens, aber er fühlte auch die Aufforderung, die in dem Blick des Mädchens lag. »Ja, Herr Doktor,« sagte er, »ich wollte hin. Und ich würde Carmen nicht von der Seite gehen.« Laurenz Terbroich blinzelte in sein Glas. Otten sah langsam von einem zum andern. »Das scheint mir hier ja eine Verschwörung zu sein. Aber wenn die Sache so hoch veranschlagt wird, daß selbst der Moritz lügt —« »Herr Doktor, ich gehe ganz wahrhaftig zum Gürzenichball. Und Dominos für uns alle kann ich aus dem Geschäft meines Vaters bringen, der sich sehr freuen wird —« »Das übrige schenk’ ich dir. Ihr seid ja eine heillose Gesellschaft. Soll ich im Gürzenich vielleicht als Kindergärtnerin auftreten?« »Vater, sei lieb! Du sollst uns gar nicht merken.« »Umgekehrt, mein Herzchen. Ich möchte euch sehr bemerken. Aber ich möchte nicht, daß ihr euch auch anderen bemerkbar macht.« »Ich werde mich doch selbstverständlich wie eine junge Dame betragen.« »Du bildest dir wohl ein, es schon zu sein, Kindskopf?« »Sieh mich doch an,« lachte sie übermütig und fiel ihm im Lärm des Saales um den Hals. Da gab er nach. »Ausgetrunken, ihr Herren. Wir schlagen uns jetzt durch zur Rheingasse. Der rotseidene Teufel wird uns eine Gasse bahnen, und Moritz und ich, Carmen in der Mitte, halten uns dicht an seinen Fersen. Hierher, Kellner. Die Rechnung ... Das wäre abgemacht. Und nun: vorwärts!« »Alaaf Kölle!« schrie der rote Teufel und sprang aus dem Lokal in den Menschenknäuel, der eine Sekunde stutzte. Otten und Lachner drängten nach. Das Mädchen hing zwischen ihnen. Sie erreichten eine Querstraße und bogen ein. Hier war Luft. Und ungehindert erreichten sie in zehn Minuten die Rheingasse. Moritz Lachner verabschiedete sich. »In einer halben Stunde bin ich zurück. Ich hole nur die Dominos.« Carmen wandte sich auf der Treppe um und winkte ihm nach. »Maria,« sagte oben Otten zu seiner Frau, »ich habe ein leichtsinniges Versprechen gegeben.« »Es ist ja heute Karneval, Joseph.« »Das mein’ ich auch. Man drückt ein Auge zu. Aber nun muß ich es dir wohl sagen?« »Du willst auf den Gürzenichball. Hab’ ich’s erraten?« »Halb. Und die andere Hälfte ist: ich hab’ dem jungen Volk versprochen, es mitzunehmen.« »Nein, Joseph, das geht nicht. Carmen ist erst vor ein paar Tagen vierzehn geworden. Und dann der Laurenz. Der imponiert ihr durch das Geld seines Vaters sowieso zu viel.« »Wir haben den Moritz Lachner als Gegengewicht. Und außerdem: Bin ich nicht auch da?« »Bis zur Saaltür.« Sie hielt ihm den Mund zu. »Willst du schon wieder leichtsinnige Versprechungen abgeben? Sobald der Moritz kommt, will ich mit ihm reden. Er soll mir auf euch alle achtgeben.« »Mit anderen Worten: eine glatte Erlaubnis. O Maria, du unterstützest den Leichtsinn deines Mannes. Aber es ging wirklich nicht anders. Das Mädel fiel mir ~zu~ lieb um den Hals.« »Hoffentlich bleibt’s bei diesem einen Mädel, das dir heute um den Hals fällt,« scherzte sie. »Ich krieg’ ja schon graue Haare.« »Du kriegst immer schon graue Haare, wenn es dir paßt. Und ich fürchte fast — immer nur bei mir.« »Carmen!« rief Otten durch die Zimmertür. »Die Mutter hat’s erlaubt! Gib ihr einen Kuß. Denn jetzt redet sie karnevalistische Sachen. Ach, Kinder,« und er schloß Mutter und Tochter in ~eine~ Umarmung, »es ist doch eine vergnügte Welt! Und da kommt schon der Moritz.« Moritz Lachner kam die Treppe herauf. Er trug ein schwarzes Bündel unterm Arm wie ein Schneider. Carmen zog ihn ins Zimmer und begann eilfertig, den Knoten des Bündels aufzulösen. Zwei schwarze Dominos und ein feiner rotseidener fielen heraus. »Der ist für mich,« jubelte das Mädchen. »Daß du auch an die Farbe gedacht hast, Moritz.« »Das Rot wird gut zu deinem schwarzen Haar stehen, Carmen.« »Nein, dieselben Kostüme haben wir jetzt, der Laurenz und ich. Das ist famos!« Daran hatte Moritz Lachner nicht gedacht. Schweigend half er ihr in den eleganten Umhang, der ihr bis zu den Füßen reichte und ihre Figur groß und schlank erscheinen ließ. Und schweigend band er ihr das Seidenläppchen vor die Augen. Sie stand vor dem Spiegel und bestaunte sich. Ein tiefer Atemzug ließ die Seide über ihrer Brust zittern. Frau Maria winkte den jungen Mann zu sich. »Moritz, Ihnen vertrau’ ich sie an. Ich will dem Kind die Freude nicht stören. Aber ich lasse sie nur mitgehen, weil Sie dabei sind.« Sie reichte ihm die Hand. »Ich werde mich nicht von ihrer Seite drängen lassen, Frau Doktor.« Er hob den Kopf. Vor dieser Frau wurde ihm frank und frei. Und sie nickte ihm zu wie eine gute Mutter. Carmen war ins Nebenzimmer zu ihrem Freunde Laurenz geschlüpft. Die Hände auf dem Rücken stand sie vor ihm und wiegte sich auf den Fußspitzen. »Donnerwetter, Carmen —!« »Wie gefall’ ich dir?« »Ich sagte es ja schon.« »Du sagtest: Donnerwetter. Das ist garnix.« »Ich möchte dir einen Kuß geben, Carmen ...« »Wenn du mir versprichst, nie eine andere —« »Carmen, das schwör’ ich dir!« »Nachher — —!« Frau Maria rief sie ins Speisezimmer. »Erst nehmt ihr jetzt alle einen Imbiß. Und zwar tüchtig, denn später kann ich euch nicht mehr kontrollieren. Dazu trinkt ihr ein Gläschen kölnisch Bier. Das kühlt. Klaus hat einen Krug frisch über die Straße geholt. Ihr kommt mir immer noch viel zu früh in den Gürzenich.« Moritz Lachner blieb hinter seinem Stuhle stehen. »Verzeihung,« stotterte er. Und dann nahm er sein Bierglas und sagte ruhig und ohne zu stocken: »Ich möchte das Wohl der Frau ausbringen, die immer nur an uns denkt, immer nur unser Bestes will, der Frau dieses Hauses, unser aller Ideal. Frau Doktor Otten — sie lebe hoch, hoch, hoch!« Joseph Otten erhob sich, stieß mit ihm an, faßte ihn bei der Weste, sah ihm strahlend in die Augen und ließ ihn wieder los. »Mutter,« rief Carmen, »der Moritz liebt dich!« »Er liebt alles, was Otten heißt,« rief der junge Terbroich, »das war schon immer so. Huh, was für ein Herz!« Moritz Lachner setzte sich. Er blickte lächelnd auf seinen Teller. — — Als Joseph Otten mit seiner kleinen Truppe den Festsaal betrat, zog er sich die Kapuze seines Dominos fester über die Augen. Ein prickelnder Strom durchrann ihn, ein übermütiges Gefühl, jung sein zu dürfen, und ein Mutwille, es auch zu sein! Die Geigentöne fingen sich in seinem Ohr und ließen die Gedanken hüpfen, die schönen Gestalten der Frauen umgaukelten sein Auge, blitzartige Blicke aus Seidenlarven kreuzten sich und wirbelten das Blut hoch, und das Klingklang-Gloria der Becherfreuden läutete im Hintergrund von allen Tischen. Er gedachte schnell noch ein paar Verhaltungsmaßregeln zu geben, da huschte es schon wie eine rote Flamme an ihm vorüber, ein roter Teufel und ein roter Domino, Walzertakte, Viola, Baß und Geigen, Gesang, Gelächter und Sprachenverwirrung. »Punkt zwölf Uhr an dieser Tür, Moritz. Wenn wir uns verfehlen, direkt nach Hause!« Der schwarze Domino neben ihm glitt stumm von dannen. »Dieser köstliche Lärm macht betrunken,« dachte Otten, »diese Farben, diese gelösten Glieder und Sinne.« Eine Mädchenschar umzingelte ihn. Tirolerinnen, Zigeunerinnen, Schulmädchen in kurzen Röckchen und langen Seidenstrümpfen, Tafel, Schwamm und klappernde Griffelbüchse an der Seite. Sie sangen ihm das alte Liedchen in die Ohren, das er im Kreis der Gespielen als Kind auf der Gasse gesungen hatte, das Liedchen von »Bloh, bloh Fingerhot, Hätte mer jet, dat wär wal got, Blumen alle Tage — —« Und die Jahre waren nicht gewesen, er spielte als ausgelassenes Kind im Mädchenkreis auf der Gasse, die Wechselstrophen fanden sich mühelos ein, und er sang zurück: »Schäflein, Schäflein, knie dich, Knie zu meinen Füßen Und erlaube mir das Recht, Deinen Mund zu küssen.« Er breitete die Arme aus und man stieß ein Schulmädel hinein und stob auseinander. Einen Augenblick hielt er die junge Brust fest an der seinen, dann walzte er mit seiner Beute in weitem Schwung in das Gewoge der Tanzenden. »Für einen Domino hast du eine sehr ausgebildete Stimme,« lachte sie in seinem Arm. »Für ein Schulmädel bist du meiner Treu auch nicht zurückgeblieben.« »Das sieht nur so aus,« kicherte sie. »Ich hab’s auch im Gefühl,« schloß Otten und zog sie im Tanze näher heran. Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter und summte beim Tanz die Melodie ... »Halt, Maske.« Er ließ seine Tänzerin los und wandte sich um. »Ah — —! Meinen Respekt, schöne Herzogin.« »Kennst du mich?« »Ich kenne dich, denn du bist in jedem Weibe. Du bist die Eva, der es heute gefällt, als Herzogin von Berg zu tanzen.« »Und wenn es mir gefällt, mit dir zu tanzen?« »Herzoginnen sind später meist vergeßlich. Aber auch ich habe gefürstet Blut. Denke daran.« »Willst du?« »Die Stunde will es.« Er schlang den Arm um ihre Taille, die umso zarter erschien, als über den Hüften der gebauschte Rock sich schürzte. »Du hast einen eisernen Griff,« sagte sie und bog sich im Tanz zurück. »Mit was für Geschöpfen hast du im Leben getanzt?« »Mit Mädchen, welche Männer lieben ...« sang er ihr ins Ohr. »Männer? Wo sind sie? Ich habe eine Neugier, einen Mann kennen zu lernen.« »Heirate, schöne Herzogin.« »Das tat ich schon. Und ich wurde neugieriger als je.« »Armer Herzog.« »Hältst du ihn für ärmer oder mich?« »Ihn! Wen anders als ihn! Denn er hat ein weißes Weib mit rotem Blut und weiß es nicht.« Die Geigen jubelten auf, und die Menge jubelte mit. Ein Freudenrausch lag in der Luft. Er lag in Kopf und Herz. »Ihr Männer seid Egoisten. Weil ihr alle dasselbe Manko in euch verspürt, haltet ihr gegen uns zusammen. Ihr redet so viel und so laut von der Liebe, damit wir glauben sollen, sie wäre so und ihr verständet sie.« »Belehre mich eines besseren, und du hast deinen ersten Schüler.« »Mit Keckheit kommst du den Dingen nicht auf den Grund. Wenn ihr angreift, ergeben wir uns. Aber wenn ~wir~ befehlen, ~verschenken~ wir. Ahnst du den Unterschied?« »Nein, hohe Frau. Denn wenn ihr euch ergebt, beginnt für den wahren Ritter des Turniers zweiter Teil. Durch seinen Adel die Ergebene in eine Schenkende zu wandeln. Aus Winterhaft den schüchtern knospenden Frühling zu locken, den Frühling zur Sommersonnenglut zu steigern und den Sommer zur süßen Reife des Herbstes. Nur die Entwicklung macht glücklich und hält uns voll spannenden Lebens. Ein Geschenk? Morgen ist es alt.« Sie promenierten durch die Reihen der Paare, die Zufall, Wissen oder lustige Intrige zusammengeführt hatte. »Sei ehrlich, Domino. Du sagst es selbst: der Wechsel macht glücklich. Das Suchen und Sichsteigern. Und ihr laßt euch an der Oberfläche genügen. Wir aber —« »Ihr trinkt das Blut.« »Wir trinken das Blut.« — Sie saßen an einem Tischchen, und Otten füllte zwei Champagnergläser. Sie sah ihm auf die Hand. »Habe ich dich erschreckt?« »Du führst sonderbare Gedanken in deinem Köpfchen spazieren. Laß mich in dein Herz sehen. Ich sehe nur die weiße Haut.« »Sie spricht mehr als das Glaubensbekenntnis, das wir im Munde führen. Unter Rassemenschen. Aber wo sind sie?« »Der eine trinkt dem andern zu, wenn es auch kein Blut ist.« Sie hob ihr Glas und trank unter der Seidenlarve. »Kein Blut — —! Das Wort hat dich also doch erschreckt. Oder dich stutzig gemacht. Weshalb, wenn wir beide uns zur selben Rasse bekennen? Wenn ich diese Schale Wein liebe, so trinke ich sie aus. Bis auf den letzten Tropfen. Sieh her. Und wenn ich einen Menschen liebe, soll ich nur nippen? Auf morgen die Schale Wein zurückstellen und auf übermorgen? Damit der Wein sauer wird oder ein anderer ihn mir wegtrinkt? Belügen wir uns doch nicht mit schönen Worten. Menschen wie wir lieben nicht das erstbeste. Wir lieben im anderen etwas, was wir nicht besitzen, was wir haben möchten. Und wenn wir schenken, wissen wir, daß wir tauschen und daß uns im Tausch ein Gewinn bleibt. Das Blut des anderen macht uns stärker, sein bestes, sein tiefstes. In diesem Sinne trinken wir Blut, — wenn wir lieben.« »Und wenn der eine — ausgetrunken ist?« »So bleibt er auf dem Platze. Kein schöner Sterben in der Welt ....« Otten beugte sich vor. Aus den Augenlöchern der Seidenmaske traf ihn ein aufzuckender Blick. »Das mag ein schönes Spiel sein, kühne Frau. Aber es ist keine Liebe.« »Nicht die Liebe von Schulmädchen mit zwanzigjähriger Brust und Flatterröckchen. War deine Tänzerin von vorhin ein Examen wert? Nicht die Liebe aus der Zeit, da der Großvater die Großmutter nahm. Nein, ~unsere~ Liebe.« Otten trank sein Glas aus. Bis auf den Rest. »Streiten wir nicht über das Wort. Wenn du es für dich in Anspruch nimmst, soll es Liebe heißen. Aber deine Liebesberechnung hat einen Gedankenfehler.« »Der wäre?« »Sie könnten ~beide~ auf dem Platze bleiben. Der eine ~und~ die andere. =Finis Poloniae!=« »O,« lachte sie auf — — »ich kenne mich.« »Aber du kennst noch keinen Mann. Noch nicht! Wir gingen davon aus!« »Und du, stolzer Domino, sprichst nur immer von ihm und zeigst ihn nicht. Das ist Männerart, und bei dir — verzeihe — kompliziert durch den Sänger.« »Du — weißt, wer ich — bin?« fragte Otten langsam. »Mir scheint,« sagte die bergische Herzogin und lehnte sich weit im Stuhl zurück, »ich weiß es besser als du selbst. Soll ich es dir offenbaren? Wenn du als Frau auf die Welt gekommen wärest, wärest du ich. Da du aber als Mann auf die Welt gekommen bist —« Auch Otten hatte sich weit im Stuhl zurückgelehnt, »— so habe ich das Goethische Wort nicht vergessen. ›Die Frauen sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen.‹ Laß mir diesen Glauben, holde Unbekannte. Du gewinnst dabei.« Sie hob den Kopf. Als ob sie lauschte. Dann stand sie mit nachlässiger Gebärde auf. »Ich finde diese Rede voll Verstand. Aber es ist Karneval, und ich möchte des Lebens Unverstand genießen. Gehen wir.« »Zürnt mir die unbekannte Herzogin der Frauen?« »Sie zürnt nicht. Sie findet es nur langweilig.« »Das ist ein Todesurteil. Und da ich nun doch in Euren Augen sterben muß, möchte ich die Stunde genießen.« »Frauen haben keine Logik. Aber Männer noch minder. Küsse mich also nicht. Du gewinnst dabei.« »Ah — kehrst du die Waffen um? Man kann auch küssen, um zu verletzen.« Sie legte ihre Hand wie eine Klammer um die seine. »Achtung. Der Herzog naht. Wir sprechen weiter.« Ein schwerfälliger Domino schob sich durch die Menge. Jetzt hatte er den Tisch erreicht. Und in animierter Stimmung schlug er Otten schallend auf die Schulter. »Jupp, Jupp! Wat siehste schlääch us!« »Kennt mich denn hier alle Welt? Trotz der Maske?« »Erstens: deine Figur. Zweitens: daß meine Frau dich gekapert hat und dich versteckt hält. Ach — Donnerwetter — ich sollte wohl nichts verraten? Pardon. Nun ist es heraus. Schadet auch nix. Gut amüsiert zusammen?« »Frau Amely Lüttgen — —« sagte Otten gedehnt, beugte sich nieder und küßte ihre Hand. »Ich bin dabei, deinem Freunde etwas mehr Höflichkeit gegen uns Frauen zu predigen.« »Läßt er sich nicht um den Finger wickeln? Das ist höchst unrecht. Vielleicht erreichst du es auf andere Weise.« Sie lüftete für einen Augenblick die Seidenlarve. In dem blassen Gesicht glühten die Augen. »Diese zornigen Augen weich werden sehen — —« dachte Otten und konnte von dem nervösen Gesichtchen nicht los .... »Jetzt ist der Reiz des Intrigierens vorbei,« meinte sie und fächelte sich Kühlung, »und zu neuen Abenteuern ist es zu spät. In einer Viertelstunde beginnt die Demaskierung, und bei dem Tumult möchte ich über alle Berge sein. Fahren wir nach Hause.« »Wir —?« wiederholte Otten. »Wenn Sie sich zu unserer Gemeinschaft rechnen.« Der Satz hatte einen Unterton. Und sie wußte, daß er ihn verstand. »Otten fährt mit,« entschied der Fabrikant. »Joseph, mein Freund, tu’s mir zuliebe. Ein Fläschlein Rauentaler daheim und ein gutes Männergespräch.« »Und ich?« fragte Frau Amely und ließ die Seidenlarve über die Augen fallen. »Ein Männergespräch,« sagte Otten, »kann nur ein gutes sein, wenn eine Frau es leitet.« Als sie im Wagen saßen, griff Otten sich an die Stirn. »Was haben Sie, Herr Doktor? Ein Rendezvous vergessen? Das dralle Schulmädchen? Die Entwicklung vom Frühling zur ›Sommersonnenglut‹? Gott, wir sind nicht neidisch, wir fahren Sie zurück.« »Ich habe ja meine Tochter auf dem Ball.« »Verehrtester, Sie möchten wohl plötzlich den alten Mann spielen? Den sogenannten Vater? Fürchten Sie nichts. Wir trinken Rauentaler und führen ein gutes Männergespräch. Alles wohl temperiert.« »Herzogin, Euer Spott könnte aus Jünglingen Männer, geschweige denn aus Männern —« »Nun?« »Den Mann machen.« Hatte er sich getäuscht? Ihm war gewesen, als hätten wie zufällig ihre kühlen Finger seine Hand gestreift. Er spürte es an dem plötzlichen Stillstehen seines Herzens. Nein — es war ein Irrtum. Sie schaute in Gedanken verloren zum Fenster des rasch dahinrollenden Gefährtes hinaus. Er hatte sich also getäuscht. Aber der Gedanke, daß es hätte sein können, blieb, und er fühlte, wie das heiße Herz noch immer unregelmäßig schlug. Torheit! Diese Frau! »Ich hasse sie,« hatte ihm der Freund gesagt. Und er? Er haßte sie nicht. Er liebte sie noch weniger. Aber sie war besonderer Art. Sie interessierte ihn — aus einem Kräftevergleich. »Der junge Lachner wird Carmen pünktlich heimbringen,« beschwichtigte er sich. »Vielleicht sind sie schon zu Haus und amüsieren sich mit Frau Maria über den väterlichen Durchgänger.« — Frau Maria — Carmen — Vater — es zog ihm durch den Sinn und versank. »Sie hat ~doch~ meine Hand gestreift ...« »Wann soll der Kutscher Sie erwarten?« fragte ihn Frau Amely, als der Wagen hielt. »Sie sehen, auf welchen gut bürgerlichen Ton die Mitternachtsstunde gestimmt wird.« »Um eins, gnädige Frau. Dann ist die Geisterstunde zu Ende.« »Für heute. Oder für die, deren Geist nur für eine Stunde reicht. Treten Sie ein, meine Herren. Der Kutscher hat Weisung, Herr Doktor.« Die Herren warfen in der Garderobe nur den Domino ab. Als sie den Salon betraten, vernahmen sie aus dem Nebenzimmer Musik. Frau Amely, im Gewand der bergischen Herzogin, das rostbraune Haar in halblangen Locken auf der nackten Schulter, saß im Musikzimmer am Flügel und spielte eine wilde, eigenwillige Phantasie, aus der es immer wieder wie ferne Geigen und Flöten erklang. Zum Hochzeitsreigen zu unheilig, zum bloßen Tanz zu toll und kapriziös — — — Karneval! »Komm,« sagte Lüttgen und zupfte den Freund am Ärmel, »wir haben nichts gehört. Das kann lange dauern. Wir pilgern gen Rauental.« Die Geister des Weines waren über ihm. Otten machte sich mit einer mechanischen Bewegung von ihm frei. Er trat an den Flügel. Er lehnte sich in die Buchtung. »Was ist das, was ich spiele?« fragte ihr Blick. Und er antwortete laut: »Nur ~ein~ Gedicht ließe sich dazu rezitieren, und Sie haben daran gedacht.« Sie nickte, blickte ihn immer noch an und phantasierte weiter. Und er fuhr fort: »Die Herzogin von Berg ist guter Laune, wenn sie den Erinnerungen Audienz gibt. Oder — heißt es mehr?« Sie blickte ihn an, spielte und lächelte. »Das wird mir zu mystisch,« brummte der Hausherr. »Ich hole den Wein hierher, oder er bleibt noch ungetrunken.« Und er verschwand in seinem Arbeitszimmer. Nun nickte sie wieder. Und in den nächsten, jauchzenden Auftakt hinein begann Otten die Ballade vom »Schelm zu Bergen« zu sprechen, im Sprechen zu leben. Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein Wird Mummenschanz gehalten — — — — — — — — — — — — — — Da tanzt die schöne Herzogin. Sie lacht laut auf beständig — — Sie waren allein, und doch war das Zimmer mit Gestalten gefüllt, die aus dem Klang seiner Stimme erstanden. Mummenschanz. Und sie beide inmitten. Eine Locke fiel ihr ins Gesicht. Er trat näher und strich sie zurück. Seine Hand lag auf ihrer kühlen, glatten Schulter. »Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Ich muß nach Hause gehen.« Die Herzogin lacht. »Ich laß dich nicht fort, Bevor ich dein Antlitz gesehen.« Und die Frau am Flügel bog den Kopf nach hinten, daß sie dem Mann von unten in die Augen sah, und wiederholte: »Bevor — ich — dein — Antlitz — gesehen.« Der Mummenschanz war zu Ende. Die heraufbeschworenen Gestalten verkrochen sich in den Ecken. Sie waren allein und in der Wirklichkeit. »Brechen wir ab,« sagte Otten und trat zurück. Mit Flasche und Gläsern klingelnd kam der Hausherr durch das Nebenzimmer. Frau Amely klappte den Deckel zu und wandte sich auf dem Drehstuhl zu den Herren. »Ist das der rechte Ort?« »Wenn du es wünschest, konzentrier’ ich mich schleunigst wieder rückwärts.« »Nein,« bestimmte sie, »das hieße die Stimmung zerreißen. Heute ist alles erlaubt. Die Herzogin — ist zufrieden.« »Mein Kompliment,« lachte Lüttgen, verbeugte sich gegen den Freund und entkorkte die Flasche. »Nun wollte ich nur, du besuchtest uns im Frühling in Godesberg.« Er schenkte den Wein in die Gläser. »Vielleicht hat meine Frau in ihrem Hofstaat einen Ministerposten frei. Die Gesichter möchte ich sehen. Prosit.« »Du würdest dich über die Gesichter nicht lange amüsieren können, Lüttgen. Denn kraft meines Kanzleramtes würde ich zuallernächst — den Hofstaat auflösen. Prosit.« »Wenn ich die Ermächtigung dazu erteilte,« rief die Hausfrau. »Prosit.« »Ich würde selbst vor der Kabinettsfrage nicht zurückschrecken, Hoheit. Prosit.« »Das ist ja eine prachtvolle Zecherei!« Der Hausherr füllte jedes leere Glas. »Heut wird doch zum Reden getrunken und nicht bloß geseufzt. Du gehörst zu uns, Joseph, zu mir, wollt’ ich sagen. Stoß an. Zum Frühjahr in Godesberg. Mein Landhaus soll Tage erleben, die es sich nicht hat träumen lassen!« Seine Stimmung bekam einen sentimentalen Zug. Er erging sich in Freundschaftsbeteuerungen. Draußen fuhr ein Wagen vor. Der Kutscher knallte mit der Peitsche. »Die Stunde ist um,« sagte Otten, »bleib sitzen, ich häng’ den Domino über den Arm. Gute Nacht.« »Vergiß Godesberg nicht,« rief der Hausherr dem Freunde nach. Die Hausfrau gab ihm über den Korridor das Geleit. »Wissen Sie, weshalb ich den Wagen für Sie bestellte?« »Sicher nicht, damit ich mich nicht erkälten sollte.« »Weil ich möchte, daß Sie von hier aus sofort nach Hause fahren.« »Der Grund?« »Sie sollen heute mit niemandem mehr in Berührung kommen. Die Luft, die Sie aus meinem Zimmer mitnehmen, soll um Sie bleiben. Das ist — mein Gastgeschenk.« »Gute Nacht, gnädige Frau.« Er saß im Wagen und summte die Melodie, die er im Ohre hatte. Aus dem Gürzenich, aus dem Musikzimmer Frau Amelys. Dabei hob er die Hand und strich den Schnurrbart zur Seite. Was war das? Frau Amely — —? War sie seinen Gedanken so nahe, daß er den feinen Duft verspürte, der von ihr ausging? — Er lächelte. Der Duft kam von seiner Hand. Und seine Hand hatte auf ihrer Schulter gelegen. ... »Sie kennt alle Hexenbräuche,« sagte er sich. Und von Zeit zu Zeit strich er sinnend über den Schnurrbart.... Daheim sah er Carmens roten Domino auf dem Sessel liegen. »Sie ist daheim.« Er betrachtete sinnend das Gewand. »Wie groß das Mädchen ist. Noch ein paar Jahre, und ich —« Er ließ den Domino fallen. »Nichts mehr denken. Nichts mehr als an das Heut. Und daß ich es in der Hand habe, es zu verlängern.« =XI= Es war still zwischen den Gatten. Otten saß am Tisch, öffnete die eingelaufenen Postsachen und las sie langsam durch. Wenn er einen Brief fortgelegt hatte, griff er zum zweiten Male danach. Er hatte die Zeilen überflogen, ohne ihren Inhalt in sich aufzunehmen. Frau Maria sah ihm eine Weile zu. Dann trat sie zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. »Joseph.« Er blickte auf. »Hör doch mal, da schreibt mir mein Agent —« »Du weißt es ja selber noch nicht, Joseph. Ich habe dich ja beobachtet und gesehen, daß du während des Lesens gar nicht bei der Sache warst. Lies nachher und in Ruhe.« »In Ruhe.« »Ich habe dir doch keinen Vorwurf machen wollen. Der Vorwurf trifft mich ganz allein. Ich mußte als Mutter wissen, daß man eine vierzehnjährige Tochter nicht allein auf die Redoute läßt.« »Allein?« »Ein Kind allein, oder zwei Kinder allein. Das ist dasselbe. Ich mußte meine beiden Kinder kennen, meinen großen Jungen und mein kleines Mädel, daß ein jedes für sich Allotria treiben würde.« »Aber das hat Carmen doch nicht getan. Die Dinge liegen viel einfacher, als du glaubst, du mußt nur den richtigen Abstand dazu gewinnen. Sie ist eine Stunde über Zapfenstreich geblieben. Das bezeugt doch, daß sie naiv genug ist, an der kindlichen Maskerade Gefallen zu finden. Außerdem war Moritz Lachner an ihrer Seite, was dir doch wertvoller sein muß, als wenn ich sie an der Hand behalten hätte, da du mich als Hüter der Ordnung doch kaum für voll nimmst.« »Das war ein Zufall, Joseph, ein glücklicher Zufall. Sonst nämlich wäre Carmen sicher erst in der Morgenstunde heimgekommen. Das ist es, was mich bedrückt gemacht hat. Sie hat dein Blut, und ich beklage es nicht, denn ich liebe es ja doch an dir. Aber die doppelte Pflicht habe ich, dies Temperament in den richtigen Bahnen zu halten. Es ist etwas anderes, ob ein Mann oder eine Frau dasselbe tut. Selbständigkeitsbestrebungen sprechen da gar nicht mit. Nur das Geschlecht und seine Bedingungen. Was ein Mann im Überschwang sich noch erlauben darf, muß bei der Frau schöne Form bleiben, oder sie verliert sich und ihren Wert für andere. Und den Stil, Joseph, den vermisse ich bei Carmen noch sehr.« »Wie ernst du das sagst. Um einer Kleinigkeit willen, Maria.« »Nein, um eines Zeichens willen. Du hast nicht das Auge dafür und kannst es nicht haben, weil du deine Tochter nur zuweilen und in gegenseitiger Sonntagslaune siehst. Ich sehe sie aber auch am Werktag, und ich ersehne von all meiner Erziehungskunst nichts mehr, als ihr auch für den Werktag die heitere Sonntagslaune zu schaffen. Und das ist nur möglich, wenn ich dafür sorge, daß die Sonn- und Festtage keinen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Sieh, Joseph, als sie diese Nacht heimkam, — meinst du, sie wäre überglücklich von ihrer Ausfahrt gewesen? Zornig war sie, geweint hat sie vor Zorn, und Vorwürfe hatte sie statt Danksagungen. Der Moritz hätte ihr den ganzen Abend verdorben. Der Moritz hätte ihr gar nicht den roten Domino besorgt, weil auch der Laurenz die rote Farbe getragen, sondern nur, damit er sie im Trubel immer hätte erkennen können, um sich an sie zu heften. Der Moritz hätte nicht geduldet, daß sie wie die anderen an fremden Tischen Sekt getrunken hätte. Und der Moritz hätte Streit angefangen, als doch die ganze Tanzstunde hätte in ein Café ziehen wollen. Alles das, ohne den Begriff in sich aufkommen zu lassen, daß der Moritz mit richtigem Taktgefühl nur Ungehörigkeiten verhindert hat. Und ich, die Mutter, die das alles hätte voraussehen müssen, war ruhig zu Hause geblieben. Das ist sehr beschämend für mich.« »Nein,« sagte Otten, »das ist beschämend für mich. Ich hatte die Aufsicht übernommen. Aber ich sehe mehr und mehr meine Talentlosigkeit ein, Menschenkinder anders zu erziehen, als wie ich selbst bin. Damit ist aber Menschenkindern, die noch nicht wetterfest sind, wenig gedient, denn sie imitieren doch nur die Geste. Das seh’ ich auch ein. Folglich bin ich aus Selbstliebe auf dem besten Wege, mein Töchterchen zu verwirren und bestenfalls ihren Trotz zu stärken. Maria, damit die Kleine eines Tages den Menschen, die sie liebhaben, weniger Sorge macht als ich denen, die mich lieben, trete ich beschämt von der Erziehung zurück. Hoffentlich hat mein Beispiel noch nicht zu sehr Bresche gelegt.« »Sind wir nun wieder gut Freund?« fragte sie. »Wichtiger scheint mir die Frage, ob du nun wieder ~mein~ guter Freund bist.« »Dein bester, Joseph. Daran wird nichts je etwas ändern.« Er zog ihre Hand an seine Augen. »Setz dich zu mir. Wir wollen zusammen lesen, was der Agent schreibt. Natürlich, da hat er schon die ganze Tournee fix und fertig. London, Manchester, Glasgow. Und zur Butterwoche nach Rußland: Moskau und Petersburg. Garantierte Pauschal für jede Stadt. Das lob’ ich mir. Telegraphische Zusage erbeten, um abzuschließen. Nächste Woche in London erstes Konzert. Ich würde also Anfang Mai zurück sein.« »Ich freue mich darauf, Joseph.« »Daß ich abreise oder wiederkomme?« »Auf das, was für dich dazwischen liegt.« »Ja — — ich muß den Luftstrom spüren. Das ist nun einmal so. Ich glaube, meine Lungen haben doppelt so viel Sauerstoff nötig als andere Lungen. Zufuhr, Zufuhr, Zufuhr! Oder ich quengle im schönsten Sonnenschein, daß ich ein Greis werde und nicht die Hand vor Augen sehe. Maria, ob dies gesteigerte Lebensbedürfnis so sehr beneidenswert ist?« »Ja,« sagte sie und drückte ihm die Hand. »Wenn es Menschen haben, die ihm gerecht werden können.« »Nur gerecht?« »Die alles — aus derselben Freude heraus tun. Man muß ihr glückliches Lachen hören. Deines hör’ ich immer.« Da zog er sie an sich. Sein Kopf lag still an ihrer Brust. »Gute Mutter — —.« — — Joseph Otten war abgereist. Von England her flatterten fröhliche Briefe und Karten ins Haus. »Mein Agent, der mit mir reist, ist so vergnügt, daß er singt. Da ich besser singe, muß ich also noch viel vergnügter sein.« Und ein anderes Mal: »Daß wir nie klug werden, hat der liebe Gott gewiß aus Güte so eingerichtet, damit uns auch etwas für die späteren Jahre bleibt. Oder, damit wir nicht von vornherein zu viel Unfug anrichten. Später regulieren die Zahnschmerzen den Appetit. Diese Engländerinnen, Maria! Als ich jung und töricht war, hielt ich sie für Überbleibsel aus der Eiszeit. Heute, da sie zu meiner reiferen und gefesteten Persönlichkeit (bitte nicht ›Kunst‹ zu lesen) Vertrauen fassen, merke ich, daß Eis glühend heiß auf der Zunge brennen kann. Kann —? Könnte! Die Zahnschmerzen rebellieren gegen zu viel Süßigkeit! — Und ich bin gerettet.« Frau Maria las und schüttelte den Kopf. »Ich glaub’s nicht. Seine Zähne sind sein Stolz.« Von Moskau aus schrieb Otten an Frau Amely. »Verehrte Frau und Freundin! Hier ist es so barbarisch kalt, daß die Frauen selbst über ihrer Seele Pelze tragen. Das mag für den Draußenstehenden genügen, sich die Hände daran zu wärmen. Nicht mehr. Nicht öffnen! oder die Motten fliegen, und es riecht nach Kampfer. Nun, das mag in einer Stadt, in der man Stearinkerzen wie Knackwürste verzehrt, weiter nichts auf sich haben, aber — ich bin nicht in dem Tal geboren. Ich bin aus einem Lande — mag es in Deutschland, mag es anderswo liegen — in dem sich die Blumen an Düften überbieten. Streift man über ihre Blütenblätter, so wandert der Duft lange mit. Und eine Rosenart gibt es dort, nicht la France und nicht Dijon und Maréchal, ein einzelnes Exemplar, von einem Blumenkenner ›Herzogin von Berg‹ getauft. Welche Farbe? Sie hat noch nicht Farbe bekannt. Nein, nein, gewiß nicht. Die Farbe muß sich noch klären. Und der Dornen an ihrem schlanken Stamm sind noch zu viele. Nicht zum Schutz. Wer sich in einer Dornenhecke verschanzt, an dem geht der Tag vorüber. Und doch hat sie einen Duft, der mehr sein könnte als einst Erinnerung. Einmal streifte ich ein Blumenblatt. Das war wie eine kühle, glatte Schulter. Und der Duft blieb gefangen in meiner Hand und lockt mich von der eisigen Moskwa in den rheinischen Frühling, der nun bald aus dem Siebengebirge aufbrechen wird, Godesberg zu schmücken. Ich halte den Duft in meiner Hand, und ich reichte die Hand nicht weiter, damit er sich nicht mit dem Alltagsgeruch des Kampfers mische. Möge die Rose ebenso denken. Einzelexemplare haben die stärksten Pflichten: die Völker zu segnen und die Throne zu lieben. Das klingt wie Realpolitik, ist aber Idealismus. Ich bitte Sie, von den Grüßen, die ich Ihnen sende, dem Chef des Hauses, meinem lieben Freunde, einen Teil gütigst überweisen zu wollen, und salutiere jeden angewärmten Gedanken, den Sie persönlich für mich in diese Schneewüste senden. Ihr ergebener Joseph Otten.« In Petersburg erhielt er Antwort. »Hochgeehrter Herr Doktor! Ich finde Ihr Schreiben nicht sonderlich schwerwiegend. Es ist eine alte Weisheit, daß man sich in der Kälte am lebhaftesten nach Wärme sehnt und beim Anblick von Eisblumen nach Frühlingsrosen. Und wenn es selbst ein so entwicklungsbedürftiges Exemplar wie die ›Herzogin von Berg‹ wäre. In solchen Fällen ist man nicht wählerisch. Dies =ad I=. Und =ad II=: Ich habe mir erlaubt, die Grüße nicht in Portionen zu zerlegen und auszuteilen. Abgesehen davon, daß ich wegen der Adresse des ›Chefs des Hauses‹, der mir als solcher völlig unbekannt ist und bleiben wird, in Verlegenheit geraten wäre, hege ich nun einmal die Ihnen bekannte Antipathie gegen alle Halbheiten. Haben Sie an den Fabrikanten Herrn Karl Lüttgen zu Köln am Rhein Grüße zu bestellen, so findet sich dafür wohl im Zarenreiche noch eine Postkarte. Ich hoffe, es belastet Ihre Seele nicht, daß ich die unter meiner Adresse einlaufenden Grüße für mich behalte. Übrigens: in einem stimmen wir doch überein. In dem Gedanken an den Einzug des Frühlings in Godesberg. Suchen Sie keine Rätsel hinter diesem Satze. Für Menschen, die die Völker segnen und die Throne lieben, gibt es keine. Wenn Sie das als einen ›angewärmten Gedanken‹ nehmen wollen, so wird dies Zeichen einer hochkultivierten Intelligenz mit besonderer Zuneigung erfüllen Ihre nicht minder in der Barbarei befindliche Amely L.« »Ah — —,« machte Otten und strich den Brief glatt, »das ist ein kühner Schachzug. Stempelt über meinen Kopf weg meine Korrespondenz zu einer geheimen. Nun heißt es Fersengeld geben oder sich schlagen. Neutrales Land respektiert man nicht. Diese Skrupel hat unsere Kriegführung zur veralteten Moral gelegt. Man bläst das Signal ›Avancieren!‹ ohne Kriegserklärung, und — zum Teufel — ich will mit diesem Wiesel keinen Krieg.« Er ging in seinem Hotelzimmer auf und ab. »Der arme Kerl, der Lüttgen,« dachte er. »Weshalb mußte der gute, schwerfällige Knabe an diese stahlgefederte Fechtmeisterin kommen. Ich habe, weiß Gott, Verständnis für ihn. Das ist keine Liebe um des Lebens, sondern um des Lebens und Sterbens willen. Statt des Herzmuskels fordert sie Nerven. Und Karl Lüttgen verfügt nach guter, alter Sitte nur über einen Herzmuskel. Und den erhielt er ramponiert zurück.« Er nahm den Brief noch einmal auf und überlas ihn. Ein Lachen ging um seine Mundwinkel. »Mut hat sie, diese neue Inkarnation der alten Eva. Sie weiß, was sie will. Aber sie irrt sich in den Folgerungen. Man spielt wohl einmal aus Spielsucht. Wie Kinder, die nach Sonne haschen. Segen jeder Erinnerung! Aber nicht aus Überlegung. Dann wird das Spiel zum Geschäft, und es bleibt ein fluchender Betrogener. Das ist häßlich. Und um die Schönheit soll es doch gehen. So oder so! Also — irrt Ihr Euch in den Folgerungen, Frau Amely ...« In Petersburg mußte Otten zwei Liederabende zugeben. Er schrieb es an Frau Maria. »Die Petersburger sind Franzosen. Sie machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Wenn diese Menschen applaudieren, delirieren sie. Aber auch mein Agent macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er singt nicht mehr, er tanzt. Wenn sich aber ein Agent nicht scheut, zu tanzen, so ist das der Beweis, daß er seinem Klienten unwiderruflich das Fell über die Ohren gezogen hat. Nun, ich beanspruchte für die beiden Liederabende, die nächste Woche stattfinden, einen Extrawalzer. Der Mensch zierte sich und meinte, er sei doch noch nicht so sicher auf den Füßen. Aber ich nahm ihn um die Taille, daß es knackte. Da ging es. — Ich frage mich jetzt: soll ich von der heiteren Newa gleich in das finstere Köln zurückkehren, oder soll ich vorsichtig sein und klimatische Zwischenstationen machen? Wie denkt die sorgende Hausmutter darüber? Ich unterwerfe mich blindlings ihrer besseren Einsicht. Und Carmen? Ich erhoffe von Deiner Erziehungskunst, daß sie den schlimmen Einflüssen eines so großen Bruders, wie ich es nun einmal bin, dauernd entrückt ist. Ich habe Euch sehr lieb. Wenn das Geheimste über mich kommt, der goldene Traum eines jeden Landfahrers, dessen Herz heißer an der Heimatscholle hängt als das Herz des Spaziergängers vor dem Tore, ist es das stille, wundertätige Bild Maria Ottens in der Rheingasse zu Köln. Ave Maria ... Dein Joseph.« Frau Maria las. Sie hatte feuchte Augen. Drüben an der Wand schaute sein Bild ihr zu, das Bild eines Mannes in Havelock und Schlapphut. Aus lachenden Augen blickte er in die Welt. Und wie so oft aus Liebe oder Entschuldigung oder aus beidem zugleich, sagte sie auch jetzt: »Man kann das Bild nicht ansehen, ohne froh zu werden.« — — — »Mein lieber, großer Junge,« antwortete sie ihm, »ich bin glücklich über die guten Zensuren, die Du mir einsendest. Ich bin glücklich, und Carmen ist stolz. Das ist ein Fensterchen, durch das Du in unsere Häuslichkeit hineinschauen kannst. Solltest Du noch mehr erblicken, sprich es nicht aus. Aber laß mich die Arme um Deinen Hals legen. O Du unruhiges Herz. Und je unruhiger es ist, umsomehr muß ich es lieben. So lieben Mütter aus einem unbeschreiblichen Naturgefühl ihre Sorgenkinder am heißesten. Nur eins wünschte ich: daß die Welt Dich und Dein Tun so kennen und erkennen könnte wie ich. Das ist wohl recht frauenhaft gedacht, und ich müßte eigentlich beschämt sein, an Dich den Maßstab der Welt legen zu wollen, die nie sich klarmacht, daß die großen Schatten von der vielen Sonne kommen. Aber im letzten Grunde ihres Herzens ist jede Frau — lächele ruhig über mich — ein eitles Wesen, das nur beneidet sein möchte. — Carmen ist gesund und fleißig. Sie bereitet sich auf ihre Gymnasialklassen vor. Ihre Phantasie sieht schon den Doktorhut. Zur Zeit zwar beschäftigst Du sie mehr, und unermüdlich will sie von Dir erzählt haben. — Daß Du eine klimatische Zwischenstation machst, wollte ich Dir selbst schon anraten. Kommst Du dadurch auch später zurück — die brave Frau denkt an sich selbst zuletzt — — —. Der alte Klaus bereitet mich schonend auf seine Übersiedelung nach Zons vor, die wohl schon im Herbst stattfinden kann, da er seinem Vetter nur noch bis dahin Ausstand auf Erden gibt. Er bleibt hartnäckig dabei, daß ein richtiger Hausbesitzer anderen Leuten nicht zur Last fallen dürfe. Es gäbe alsdann ärmere Teufel, die auch auf Beförderung warteten. Der ehrliche Alte wird uns sehr fehlen ... Lebe wohl, Joseph. Carmen küßt Dich. Und ich? Ich habe Dich immer lieb. Das vergiß nicht an Deiner Maria.« »Ich habe dich immer lieb,« wiederholte Otten. »Bei dieser Frau ist das keine Briefstellerphrase —.« In den folgenden Tagen hielt Otten seine Liederabende, zu deren Zugabe er sich entschlossen hatte. Als er nach dem letzten Konzert in sein Hotel zurückkehrte, fand er eine Depesche vor. Er wog das Papier lange in der Hand. »Wohin ruft nun das Schicksal?« Er öffnete zaudernd. »In Godesberg ist der Vorfrühling eingekehrt. Verstehen Sie seine Sprache?« Keine Unterschrift. Weshalb auch? Geheimbündelei kennt keine Namen. Wie mädchenlustig die Depesche! Und — Lenzluft umwitterte die Worte, ganz warme Lenzluft. Knospende Parkbäume sah er, Mädchengestalten in hellen Gewändern, singend, springend, lockend, weichend — —. Frühling, Jugend! Und das Herz tat noch mit. Er spürte es an dem befehlenden Schlag, der ihm bis in das Mark ging. Der Frühling rief ihn, die Jugend. Das tut Frühling und Jugend nur ihresgleichen. Mit einem seltsamen Lächeln blickte Otten auf einen fernen Punkt, irgendwo in der Weite. Wie ein Seufzer strömte der Atem aus. Und er sagte laut und hinter den Worten her horchend: »Ich bin noch so jung — —!« — — Am anderen Morgen reiste er. Die Depesche trug den Aufgabestempel: Godesberg. Frau Amely war also bereits übergesiedelt. Ob mit ihrem Manne? Damit beschäftigte er sich auf der Fahrt. War der Fabrikant in Köln geblieben, so war auch seines Bleibens nicht in Godesberg. — Er kam zum Turnier, reite mit, wer will, um ein Kränzlein hier oder dort, weil es lenzte im Land. Aber er kam nicht, um sich etwa an einer abgekarteten Spitzbüberei zu beteiligen. Als er nach zweitägiger Fahrt in den Kölner Bahnhof einfuhr und den Zug wechselte, um rheinauf zu gelangen, streifte sein Blick den Dom und suchte das Gassengewirr am Rheinufer. Und mit einem Male verschlug ihm eine Schwermut, die sich nicht abweisen ließ, den hochgestimmten Sinn. Dort unten, durch eine dieser Gassen, ging Maria und erzählte einem feurigen Mädel von einem siegreichen Helden wie von weiland Sigurd Drachentöter. Dieweil der Held — auf Abenteuer zog. Er wollte aufstehen, das Kupee verlassen. Da merkte er erst, daß der Zug schon fuhr, und er atmete auf, als die Häuser schwanden; und als Bonn auftauchte, in junge Sonne gebadet, wich der Alb vollends, und als das Siebengebirge seine sagenhaften Häupter hob und in der Berge Angesicht, durch den flutenden Rhein geschieden, die Burgruine von Godesberg winkte, spannte in seiner Seele die Erwartung aufs neue ihre Flügel, die Erwartung, die seinem Leben immer die Schwungkraft gegeben hatte. Seine Blicke nahmen die reiche Landschaft in Besitz, und ein anderer, ein großer landfahrender Mann voll Sonne und Kraft fiel ihm ein, Lord Byron, der dieser Landschaft den Namen »Das Paradies« verliehen hatte. Das Paradies — —. Was sagte doch ein anderer, schicksalsreicher Wanderer zu dem Wort? Und die Strophe Seumes flog ihm durch den Kopf: »Der Erde Paradies und Hölle liegt in dem Worte Weib.« Der Zug hielt. Er sprang leichtfüßig aus dem Kupee. Godesberg. Auf dem Bahnhof erkundigte er sich nach der Villa Lüttgens. Sie lag abseits, in einer ausgewählten Einsamkeit, von einem mächtigen Park umgeben. »Die Herrschaften sind bereits eingezogen,« teilte ihm der Stationsvorsteher mit. Die Herrschaften. Also beide. Trällernd marschierte er seine Straße. Ihm war jugendselig zu Mut. »Der Joseph! Der Joseph! Die erste Lerche steigt! Herein, herein!« »~Wer~ ist da?« fragte Frau Amely aus ihrem Schaukelstuhl heraus, der auf der Veranda in der Sonne stand. »Der Joseph Otten! Da bist du ja, Alter. Wortfest wie ein alter Ritter. Nein, diese Überraschung, diese Überraschung —!« Aufgeregt klopfte der Hausherr an dem Gast herum, als müsse er sich überzeugen, daß er ihn heil und wohlbehalten habe, schüttelte ihn am Rock und schob ihn endlich auf die Veranda. »Ah, Herr Doktor — —! Sie haben uns in der großen Welt nicht vergessen?« »Ein Vöglein sang mir vom Wonnemond in Godesberg.« »So? Sie unterhalten Beziehungen zu Godesberg? Ach ja, die Minnesänger verstanden ja auch die Vogelsprache. Aber nun sind Sie hier. Überraschend oder nicht. Sie sind uns herzlich willkommen.« »Das freut mich,« sagte er und kämpfte zwischen Ärger und Spott. Der Fabrikant drückte ihn in einen Gartensessel. »Ich finde noch gar keine Worte. Nur das eine: Hier gehst du vor Anker. Nur über meine Leiche führt der Weg ins Freie. Vögelchen, nun bist du im Garn.« Und wieder klopfte er an dem Freunde herum, besann sich, fragte nach dem Gepäck und lief hinaus, den Diener zum Bahnhof zu schicken. Joseph Otten lehnte im Sessel und blickte in den Garten, der sich im Park verlor. Neben ihm wippte taktmäßig der Schaukelstuhl. Nun hielt er inne. Ein schlanker Körper beugte sich vor. Feine, feste Finger umspannten die seinen. »So ... Ich will meinen Willkommensgruß für mich allein. Seien Sie ~mir~ willkommen. Ich habe die Stunden abgezählt und wußte, daß Sie in dieser Stunde kamen.« »Nur ~Sie~ wußten es?« »Ja.« Ihre grauen Augen lächelten ihn an. Sie suchten die seinen nach Kinderart. »Böse?« — Und sie sank in den Schaukelstuhl zurück, der sofort seinen taktmäßigen Rhythmus erhob. Der Hausherr kam außer Atem durch die Halle. »Was befiehlt mein hoher Gast? In einer halben Stunde wird zu Mittag gegessen. Wir sind hier pünktlich auf dem Lande. Aber eine halbe Stunde genügt zwei mannbaren Leuten —« »Drei,« warf eine Stimme aus dem Schaukelstuhl ein. Lüttgen stutzte. »Du auch? Große Ehre. Genügt also drei mannbaren Leuten, um sich bei den Göttern durch ein Trankopfer in Kredit zu bringen. Was? Das ist zugleich poetisch und kaufmännisch gesprochen. Per Prokura Otten, Lüttgen und Kompanie. Bleiben wir unserer alten Fahne treu? Mit Rheinwein füllt die Becher? Sträub dich nicht, Russensieger, nur ein Glas zum Willkomm.« Frau Amely hielt ihren Stuhl an. »Diesmal hol’ ~ich~ den Wein. Sie sollen doch eine Hausfrau vorfinden, Sie entwöhnter Weltenfahrer. In diesem Hause bin ich die Wirtin.« Die Herren sahen ihr nach. »Wenn sie will, hat sie Charme,« sagte der Fabrikant sarkastisch. »Und sie will.« »Immer noch kein Ausgleich, Lüttgen?« »Längst! Längst Waffenstillstand. Es gibt eben nichts mehr zu bekämpfen.« »Habt ihr etwa — Geheimnisse voreinander?« »Wie soll ich das wissen? Und warum auch? Jeder geht seinen Weg für sich, und da auf diese Weise keiner den anderen stört, so schreiten wir mit der Kultur und leben, was man heutzutage eine Idealehe nennt.« »Aber ich finde euch doch hier ganz gemütlich beisammen?« »Ich verbringe seit Jahren hier meine frühzeitige Urlaubswoche. Wenn der Frühling kommt, bin ich durch die Fabrik und die Gesellschaftsanforderungen so kaput, daß es mir ein Bedürfnis ist, mich mal ordentlich auszurekeln. Diesmal teilte meine Frau das Bedürfnis. Wir sind in Kleinigkeiten sehr aufmerksam gegeneinander.« »Vielleicht störe ich?« »Du bist wohl nicht bei Sinnen? Stören! Das Umgekehrte ist der Fall, justement. Das Umgekehrte. Das war ja ein ganz unnatürlicher Zustand, in dem wir uns hier befanden. Zwei Menschen, die sich schlechterdings nichts zu sagen haben, sitzen auf einer einsamen Insel. Aus Dekorationsrücksichten. Wirkungsvoll, aber steifleinen. Unter uns: ich habe mich in dieser drückenden Stille schrecklich gegrault. Du hast den Bann gebrochen. Es kommt Leben in die Bude.« »Lüttgen — ich werde nicht umhin können, während meines Aufenthalts den =cavaliere servente= zu spielen. Jede Dame hat bei ihrem Gast ein Anrecht darauf. Oder der Gast hat stillschweigend die Tür von außen zuzumachen.« Lüttgen lachte schallend. »Sind das die Schmerzen, die dich bedrücken? Ich sah dir doch gleich an, daß du was auf dem Herzen hast. Spiele du nur den =cavaliere servente=. Es wird der Gnädigen nichts schaden, einmal einen Mann kennen zu lernen, der mein Freund ist. Mein Freund, Joseph! =Plein pouvoir!= Und bei Gott, es soll mich freuen, wenn du ihr die Marotten vertreibst und ihr beibringst, Männer nicht nach dem schönen Augenaufschlag zu beurteilen. Eifersucht? Auf etwas, das ich nicht besitze? Allzu kläglich. Nur von dem Meinen lass’ ich mir nichts nehmen. Dich zum Beispiel nicht.« »Ich bleibe nur ein paar Tage,« sagte Otten. »Ich bin durch Köln gereist, ohne Frau und Kind zu sehen. Aber ich wollte vorher noch etwas frische Luft schnappen. Das kommt denen zu Hause dann zu gute, das Blut ist ruhiger.« »Laß sie doch hierher kommen,« rief der Fabrikant. »Du, das ist eine Idee! Wir telegraphieren an deine Frau, und sie ist mit dem nächsten Zuge hier.« Aus der Halle kam Frau Amely auf die Veranda. Sie trug auf einem Tablett eine Flasche und Gläser. Ihre grauen Augen ruhten auf Otten. Sie wartete. »Ich danke dir,« erwiderte Otten, »aber meine Frau ist wegen des Studiums des Kindes unabkömmlich. Außerdem,« und er blickte zu der Hausfrau auf, »ist es an einem unruhigen Gast genug.« »Sie bürden mir da eine schwere Pflicht auf,« sagte Frau Amely und beugte sich über den Tisch, um die Gläser aufzustellen. Ein feiner Fliederduft ging von ihr aus. »Wo soll ich die Kunst hernehmen, Sie für Ihr Opfer zu entschädigen? Ich will gewiß versprechen, all meinen Geist und all meine Liebenswürdigkeit aufzubieten, wenn Ihnen das genügend erscheint.« »Es ist um das Doppelte zu viel, gnädige Frau. Ich bin mit der Hälfte zufrieden und wähle die Liebenswürdigkeit.« Der Fabrikant sah seine Frau mit schlecht verhohlener Genugtuung an. Frau Amely aber waltete ruhig ihres Amtes und schenkte den Wein ein. »Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein,« sagte sie, hob ihr Glas und stieß mit dem Gaste an. »Das ist Egoismus,« behauptete Lüttgen, »er muß auch etwas dafür erhalten. Meine Freundschaft? Die hast du schon. Nun, trinken wir trotzdem darauf.« »Vielleicht fällt auch noch ein Restchen für mich ab, Herr Doktor. Ich werde mir Mühe geben.« »So bescheiden, gnädige Frau? Das ist ein Sturmzeichen.« »Ihr Männer ahnt ja gar nicht, wie bescheiden wir Frauen in unserer Freundschaft werden können.« Er erfaßte den Doppelsinn und quittierte ihn durch eine Verbeugung vom Stuhl aus. Kurz darauf bat der Diener zu Tisch, und Otten führte die Hausfrau. Es war ein heiteres Mahl, und Lüttgen duldete nicht, daß sich der Gast in den launigen Schilderungen seiner Konzerterlebnisse unterbrach. Von Zeit zu Zeit füllte die Hausfrau die Sektschalen, und Otten freute sich der graziösen Bewegungen. »Schade, daß Sie nicht ein Junge sind, und ich nicht Zeus. Der Posten als Ganymed wäre Ihnen sicher.« »Bleiben wir lieber auf der Erde,« entgegnete sie, »ihre Vorzüge sind noch lange nicht bekannt genug.« Lüttgen hatte einen roten Kopf. »Wahrhaftig,« stimmte er bei, »selbst das Landleben hat seine Reize, wenn man sie in guter Gesellschaft genießt. Aber unser Freund ist verwöhnt. Die Töchter Albions und die Halbasiatinnen haben ihm zu viel Weihrauch gestreut. Er muß Männer um sich sehen, seßhafte, rheinische Männer, damit er nicht verweichlicht wird. Halt! Ich hab’s! Dieser Tag muß festlich zu Ende geführt werden. Ich bitte, mich auf zwei Minuten zu entschuldigen.« Zwischen den Zurückgebliebenen herrschte Schweigen. Dann sagte Frau Amely und verschränkte die Hände hinter dem braunen Haarknoten: »Jetzt telephoniert er seine Kölner Freunde an. Das gilt mir. Dadurch, daß er einen Mann wie Sie im Triumph vorführt, gedenkt er mich auszuschalten.« »Gnädige Frau, Sie haben keinen Anlaß, bitter zu werden. Man muß den Mann, wie er ist, gernhaben.« »Als Freund. Das glaub’ ich wohl. Aber als seine Frau — —?« Otten schwieg. Er verglich den schmiegsamen Frauenkörper mit der massiven Figur des Mannes, ihren unumschränkten Geist mit seiner schwerfälligen Hartnäckigkeit. »Das — zu ändern liegt doch wohl in Ihrer Hand,« meinte er endlich. »Wie einfach das klingt. Man opfert seine schönsten Jahre und darf wieder abtreten. Um Gouvernante zu werden oder dergleichen. Jedenfalls um von der Hand in den Mund zu leben. Denken Sie, dazu reichen meine Illusionen nicht aus. Ich brauche den Rahmen, den ich habe. Wie jeder vernünftige Mensch es tut. Oder können Sie sich die Frau, die Sie vor sich haben, im abgetragenen Wollkleidchen bei Hammelfleisch und Bohnen vorstellen? Nein, ich betrüge mich nicht. Und Herr Doktor Joseph Otten hätte nicht sein Auge auf mich gerichtet.« »Habe ich das —?« »Wie ich mich auf diesen Abend freute. Endlich ein Mensch, der für das tägliche Dutzend entschädigte. Mit dem man sich ungesehen in eine andere Welt schwingen könnte, um diese blöde Menge auszulachen. Und nun kommt dies Philistertum mit seinen komischen Weltmannsallüren. Was wissen die von unserer Welt ...?« »Leiden Sie denn wirklich unter diesen Menschen?« Die Pause dehnte sich. Frau Amely blickte zur Decke. Und unvermittelt sagte sie: »Haben Sie sich in Gedanken oft mit mir beschäftigt? Ich will von Ihnen kein Kompliment.« »Sehr oft, gnädige Frau.« »Mit der gnädigen Frau oder mit mir?« »Darüber verweigere ich die Auskunft.« »Weshalb?« »Ich pflege nicht von Dingen zu sprechen, die nicht Taten wurden. Und dann — noch viel weniger.« Ihre Augen waren noch immer groß zur Decke gerichtet. »Nur eins. Die Frage wäre absurd, wenn andere als wir sie aus einer Hand in die andere gäben. Wir tun das in unserer Welt. Haben Sie mich — in Gedanken — einmal geküßt?« »Die Frau, die ich küsse, gehört mir.« »Ah — —,« machte sie und beugte sich vornüber. »Da spricht ein Mensch meine Sprache.« »Pardon, die meine.« »Bauen Sie doch keine alten Grenzpalisaden auf. Es kleidet Sie nicht. Was Sie dürfen, darf ich auch.« Er schloß halb die Augen. Dann griff er nach seinem Sektglas und trank es aus. »Spielerei, aber hübsch.« Sie erhob sich und schenkte ein. Er spürte ihre Lippen. »Still!« sagte sie. »Damit Sie wissen, wem Sie gehören.« Unwillkürlich hatte er nach ihrer Schulter gegriffen. Jetzt sank seine Hand nieder. Mit blitzenden Augen schaute er sie an. »Nimm dich in acht.« »Nein!« sagte sie, und sie hörten, wie ihre Herzen schwer und laut schlugen. Dann saß sie in ihrem Stuhl, die Fußspitzen gekreuzt, und es war wie vorher. Nur sie selber waren andere. Als ob ein Nebelschleier zwischen ihnen zerflattert wäre und sie sähen sich jetzt erst ganz, so musterten sie erstaunt ihre Züge, ihre Gestalten. »Ich will Ihr Freund sein, Amely.« »Seien Sie nicht zu streng — —« »Ich habe die Leitung. Nur so! Es sitzen drei im Wagen.« Der Fabrikant steckte den Kopf durch die Tür. »Sie kommen!« rief er ins Zimmer. »Nur den Terbroich muß ich noch anklingeln. Er hat eine kirchliche Sitzung. Einen Augenblick noch.« Joseph Otten nahm sein Glas, und lächelnd hob er es auf. »Gilt es so?« Er trank, und sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Gilt es nicht?« fragte er. Sie nickte nur, nahm ihm das Glas aus der Hand und trank es leer. Und schweigend gab sie es ihm zurück. Wenige Sekunden hielt er ihre Finger in seiner Hand. »Das war ja ein Brüderschaftstrinken — —?« Mit dem Abendzug langten die Gäste an. Ein halbes Dutzend Herren der Kölner Fabrikantenkreise. Aus der Haft der Kontore entflohen, brachten sie eine Laune mit, daß die Halle von ihren gewaltigen Stimmen erdröhnte. »Ein Abend, nur unter uns Mädchen!« rief Terbroich und kniff die Augen. »Wir nehmen dem Joseph die Beichte ab, zu Nutz und Frommen.« Frau Amely blieb nur zu Tisch. Spöttisch gingen ihre Blicke in der Runde. Otten saß neben ihr. »Was belustigt Sie?« »Daß man Ihnen die Beichte abnehmen will, lieber Freund. Ich stellte mir vor, Sie stünden auf und redeten diesen lüsternen Männlein frisch von der Leber von Ihrem großen, freien Leben. Tun Sie es nicht. Sie bliesen in sieben Gehirnlein wie in leere Eierschalen. Aber wenn Sie sie anlügen, in der Art, als ob Sie im Grunde genau wie jene wären und verstellten sich zuzeiten nur aus Abenteuerlust — o, man wird in Ihnen einen Gott sehen und Sie als Kölner feiern.« »Die Tafel ist zu Ende. Gehen Sie jetzt auf Ihr Zimmer, gnädige Frau. Oder ich bin zum Erzählen — zu eitel.« Sie wandte den Kopf nach ihm und sah ihn fest an. Dann hob sie die Tafel auf. Lüttgen verschwand sofort in der Küche, um die Spitzen der Maikräuter selbst in die Bowle zu tauchen. Die Herren drängten auf die Veranda und setzten die Zigarren in Brand. Otten gab der Hausfrau das Geleit bis zur Treppe. »Gute Nacht,« sagte sie und wartete. Er schüttelte den Kopf und zog sie in den Arm, wie man ein Kind in den Arm zieht. Seine Hand lag eine Sekunde lang auf ihrem Herzen. Aber er küßte sie nicht. »Bring dies unruhige Herzlein zur Ruhe,« sagte er, und sie huschte hinauf. Als er zur Gesellschaft zurückkehrte, fühlte er erst, wie ihm das Blut wirbelnd durch die Adern ging. Mit vollen Lungen sog er die zärtliche Frühlingsluft in sich ein, und während sein Herz ungestüm pochte, blickte er mit einem verlorenen Lächeln in die Weite. — — — =XII= Der Morgen dämmerte herauf, als die Gäste die Villa verließen, um den Frühzug nach Köln zu erreichen. Und die volle Sonne strich golden durch die Fenstergardinen, bevor Otten in seinem Zimmer erwachte. Sein Kopf war frei. Die nächtliche Sitzung hatte ihm nichts anhaben können. Die Erlebnisse des letzten Tages standen klar vor ihm. »Sie ist eine geübte Schachspielerin,« sagte er sich und dachte an Frau Amely. »Erst konstruierte sie das kleine Briefgeheimnis und band mir damit ganz nebenbei die Hände. Und folgerichtig entstand aus dem kleinen Geheimnis ein größeres. Frauen sind die geborenen Vertreter des Schneeballsystems. Ein Nichts wächst unter ihrer Hand zur Lawine. Und wir geraten in Schuld aus purem Kavalierbewußtsein. Jetzt wasch’ ich mir die Augen klar und nehme die Zügel. Auf, Joseph!« Auf der Terrasse wurde er mit Neckereien bewillkommnet. Frau Amely saß in einer luftigen Batistmatinee am Frühstückstisch. »Wir sind hier auf dem Lande, Herr Doktor, da haben die ländlichen Gewohnheiten Geltungsrecht. Im übrigen betrachte ich Sie als bereits zum Inventar gehörig. Nehmen Sie Tee?« »Ich rate dir vorher zu einem Kognak,« meinte Lüttgen und rieb sich die Stirn. »Meine Großmutter pflegte zu sagen: Das Hündchen, das uns in der Nacht gebissen hat, muß uns auch zuerst am Morgen beißen.« »Trank denn auch deine Großmutter schon?« fragte Frau Amely gelassen. »Entschuldigung. Das war nur so eine Sentenz.« Otten nahm ein Glas Tee. »Man kann doch nur gebissen werden, wenn man wirklich getrunken hat. Aber das war doch nur ein verschämtes Nippen diese Nacht.« »Dann bekommt das Verschämte eben meiner Natur nicht.« »Umgekehrt. Deine Natur ist so zart besaitet, daß sie gegen die geringste Verletzung der Ästhetik demonstriert.« »Gott, meine zarte Natur!« klagte Lüttgen und schlug sich auf die breite Brust. Frau Amely blickte unter niederfallenden Augenwimpern prüfend von einem zum anderen. »Ich schlage einen Kompromiß vor,« meinte sie und dehnte sich. »Wir nehmen das Segelboot, kreuzen auf dem Rhein bis Nonnenwert, landen später in Königswinter und steigen zum Drachenfels hinauf. Wer frische Luft braucht, kommt auf seine Kosten, und wer alte Träume und Rheinmärchen zu jungem Leben erwecken will, dürfte auch nicht zu kurz kommen. Ich bitte um Abstimmung.« »Mit Freuden angenommen,« rief Otten, und sie nickte ihm zu. »Die Kreuzfahrt auf dem Rhein unterschreibe ich unbesehen,« gestand der Hausherr zu, »auch das Landen in Königswinter. Aber der Aufstieg —? Man könnte auch reiten oder fahren.« »Romantiker,« lachte Otten. »Kompromiß gegen Kompromiß. Ihr holt mich, wenn ihr euren romantischen Gefühlen genuggetan habt, ganz einfach in Königswinter ab. Ich habe in kühler Laube inzwischen Zeit, sorglich das Programm des Abends zu entwerfen. Denn diese Glut, mit der der Mai eingesetzt hat, muß bekämpft werden.« »In einer Viertelstunde reisefertig,« entschied Frau Amely, erhob sich und reichte Otten die Hand. »Ich möchte Sie mitnehmen, wie Sie sind,« sagte er. »Die Schiffer im kleinen Schiffe würden an den Ufern verkünden, wir hätten eine Nixe gefangen.« »Noch sind Sie auf dem Festlande, Herr Doktor,« rief sie ihm, schon in der Türe, zu. »Nur im Wasser sieht man den Fischschwanz nicht.« Er blickte auf ihre schlanken Füße und die federnde Fessel. »In der Tat, Lüttgen, der Mai ist verzaubert. Das ist Juliglut.« »Und dabei trage ich noch ein Öfchen im Kopf. Wie gut, daß ich nicht =cavaliere servente= bin.« Nach einer Viertelstunde trafen sie auf der Terrasse zusammen. Frau Amely im Sportkostüm, die Mütze ins Haar gesteckt. Otten im leichten Anzug und Kalabreser. Nur Lüttgen erschien, wie er gewesen war. »Du hast dich nicht umgezogen?« fragte die Hausfrau erstaunt. »Pech!« stieß der Fabrikant kurz hervor. »Das heißt — es kann auch Glück sein. Es handelt sich um einen bedeutenden Abschluß. Soeben telephoniert mich die Fabrik an. Ich muß schleunigst hin.« »O — —,« bedauerte Otten, »damit wäre die Fahrt ins Wasser gefallen.« »Kannst du nicht mit der Abreise bis zum Abend warten?« fragte sie rasch. »Unmöglich. Es ist ein englisches Lieferungsgeschäft. Unser Vertreter in London kommt allein nicht damit zu Rande.« »Der Herr Doktor könnte am Abend mit dir nach Köln fahren.« Das klang so selbstverständlich, daß Otten überrascht aufsah. »Natürlich fahre ich mit,« erklärte er ohne Besinnen, »auch auf der Stelle, wenn du schon den Mittagszug benutzen willst. Ist es mir möglich und der verehrten Hausfrau angenehm, kehre ich morgen oder übermorgen mit dir zurück.« »Das wäre noch schöner,« polterte der Fabrikant. »Wir sind doch keine Babies. Ihr macht ruhig euren Ausflug, und in ein paar Tagen bin ich wieder mit von der Partie.« »Ob Herrn Doktor Otten mit dieser Verbannung gedient ist? Du verfügst nur so über ihn.« »Wenn ich ihn jetzt aus den Fingern lasse, bekomme ich ihn in Jahr und Tag nicht wieder zu sehen. Abgemacht, Joseph, du bleibst. Hier draußen in dieser Abgeschiedenheit kümmert sich kein Teufel um den anderen, und deiner Frau will ich gern Grüße die Hülle und Fülle bestellen. Es wird Zeit. Das Boot müßt ihr selbst losmachen. Johann ist mit der Tasche auf den Bahnhof und löst mein Billett. Adieu einstweilen. Glückt das Geschäftchen mit den englischen Vettern, so wollen wir ein Festchen feiern, das sich gewaschen hat.« Er reichte seiner Frau die Hand und schüttelte die des Freundes kräftig. »Jupp, wenn du dein Gesicht sehen könntest! Na, adieu. Auf Wiedersehen!« Er schob den Hut in den Nacken und ging schweren Schrittes durch die Gartenpforte. Sein mächtiger Körper verschwand bei der nächsten Wegbiegung. »Kommen Sie,« sagte Frau Amely und lief dem Gast voraus durch Garten und Park bis zum stillen Rheinufer. Otten folgte ihr langsam. Als er ankam, hatte sie bereits das Seil losgeworfen und stand, die Segelleine in der Hand, im Kahn. Ohne ein Wort zu sprechen, stieg Otten nach, nahm ihr die Segelleine aus der Hand und wies sie ans Steuer. Das Schifflein glitt leicht durch die plaudernden Wellen. In grünsprossendem Flaum lag die Landschaft, von weißen Kirschblüten, rosigen Apfelblüten weit hinaus bestreut. Kein Laut nah und fern. Und bei einer jähen Krümmung des Stromes hob sich das baumbestandene Eiland Nonnenwert wie eine Insel der Vergessenheit aus den grünen Wassern. »Du — —,« kam es leise von der Steuerbank. Otten zog die Leine durch den Ring. Es wehte nur ein geringer Wind. Dann kehrte er sich seiner Begleiterin zu. »Bitte?« sagte er nur. »Bin ich plötzlich so verabscheuungswürdig?« »Darf ich mir die Frage gestatten, weshalb Sie Ihrem Manne die Unwahrheit sagten?« »Das habe ich nicht getan.« »Indirekt. Indem Sie ihn durch die Aufforderung, mich mit nach Köln zu nehmen, zu der Meinung veranlaßten, es läge Ihnen nichts an meiner Gesellschaft.« »Tut es das denn?« »Wegscherzen läßt sich meine Frage nicht.« »Nun gut denn. Habe ich so Schlimmes verbrochen? Oder sollte ich eigens darauf hindeuten, daß ich mich auf das Alleinsein mit Ihnen freute? Er hätte Sie mir bestimmt nicht gegönnt, Sie mitgenommen, und ich könnte mir, statt endlich eine Stimme aus meiner Welt zu hören, von Johann oder der Köchin den Klatsch von Godesberg erzählen lassen.« »Wir geraten immer tiefer in die Heimlichkeiten, Frau Amely, und ohne allen Grund.« »Nicht philosophieren und nicht moralisieren. Das Boot ist zu leicht, der Rhein zu grün, der Himmel zu blau und die Sonne — ach, diese Sonne! Ich kann nicht genug davon bekommen. Baden möcht’ ich in ihr! Und Ihnen geht es nicht anders.« Sie hatten Nonnenwert umkreist, und das Boot glitt rheinab, frischen Wind in den Segeln auf Königswinter zu. Sie richtete das Steuer fest, stieg über das Brett und setzte sich zu ihm auf die Segelbank. Ihre Schulter schmiegte sich an die seine, bis sie den Stützpunkt gefunden hatte. Die Hände im Schoß saß sie und rührte sich nicht. Ein leiser Teergeruch strich aus dem Wasser über sie hin. Aber der feine Fliederduft behauptete sich. Und Otten wandte den Kopf und sah langsam an ihrer Gestalt hinab. Keine Linie, die ihm entging. Von dem schmalen, oft seltsam zuckenden Gesichtchen bis zu den Füßen, die sich unter dem kurzen Rock hervorstreckten und sich spielerisch kreuzten. »Nixe,« sagte er. »So feingegliedert müssen Nixen sein. Schade, daß Sie so klug sind.« »Nicht, nicht. In der Sonne und in der Wassereinsamkeit gibt es nicht klug noch töricht — —« An seine Schulter gelehnt, schlug sie die ruhigen, grauen Augen zu ihm auf. Aber die Wimpern zitterten leise ... »Piratenrecht,« sagte er, umfaßte ihr Kinn und küßte sie auf den Mund. Sie hob die Arme, schlang sie um seinen Hals und blieb mit geschlossenen Augen an seiner Brust liegen. Er fühlte die leichte Last ihres Körpers, als ob der gleiche Blutstrom sie beide durchränne. Mit den Fingerspitzen streichelte er ihr bleiches Gesicht. »Liebe Freundin — —« »Du — —! Daß du gekommen bist ... Sonst wäre ich gekommen.« »So ungezähmt?« »Ja!« »Ich werde viel mit dir zu schaffen haben.« »Kampf hält jung! Nur nicht alt werden vor der Zeit. Und wär’s in einer Engelehe.« »Nur nicht!« »Hui — Grünspan, Schimmel und Motten. Dafür zum Lohn über dem Bett der gestickte Haussegen.« »Wie — hast — du — ge—schla—fen — mein lie—ber — Jo—seph.« »Du — soll—test — dei—ne — Tropf—en — nehmen.« »Wie — auf—merk—sam.« Und mit einem Male zog sie seinen Kopf zu sich herab und drängte ihre Lippen gegen die seinen. »Das sind meine Tropfen,« murmelte sie. »Achtung — Königswinter.« Sie sprang im Boot auf wie ein junges Mädchen, juchheite und schwenkte die Mütze. Und Otten stand neben ihr, hielt sie umfaßt, schwenkte den Kalabreser und juchheite mit. Menschen aus Stahl und Nerven. — Sie brachten das Boot in Obhut und stiegen nach kurzer Rast durch die Weingärten den Berg hinan, zur Ruinenwand des Drachenfels. So rüstig schritten sie vorwärts, daß die Unterhaltung stockte und vereinzelte Ausrufe den Inhalt ganzer Sätze zusammenfaßten. Dann strafften sich die Leiber, und die Augen blitzten auf. Ein Aneinanderstreifen der Hände — und weiter ging’s. Oben in der Wirtschaft fanden sie ein paar Wandergesellschaften vor. Der weißbärtige Barde des Drachenfels saß auf einem der Tische, zupfte die Gitarrensaiten und schmetterte mit ausgesungener Stimme seine Rheinwarnungen unter die Pokulierenden, die begeistert Warnung für Antrieb nahmen: »Mein Sohn, mein Sohn, geh nicht an den Rhein, mein Sohn, ich rate dir gut — —« Otten und Frau Amely schauten von hoher Warte ins Land. Da lagen sie alle zu ihren Füßen, die Städtchen und Orte altberühmten Namens, von der Sage geweiht oder der Dichtung rhein- und weinfroher Sänger, heilige Namen, die man ausspricht mit einer Erregung im Blut. Die Wasserbahn des Rheins glänzte herauf, fern winkten die Inseln. Und im Norden, scharf gezeichnet am Horizont, die steinernen Schwurfinger, die Türme des Domes: Köln. Ottens Blick haftete lange daran. »Köln — —« sagte er. Frau Amely folgte seinem Blick. »Bis hierher reicht seine Bannmeile nicht. Dort ist die Finsternis, hier die Freiheit.« Aber als sie schon am Tische saßen und ihr Mahl einnahmen, sahen sie die Schwurfinger noch vor sich. »Ich weiß einen besseren Platz für uns, lieber Freund. Einen Platz, der unsere Gedanken wie ein Echo zurückgibt. So still ist er, so weltverloren.« »Kloster Heisterbach.« »Ja, Kloster Heisterbach. Sie kennen doch die Legende des Heisterbacher Zisterziensermönches, der es an sich selbst erleben mußte, daß tausend Jahre nur ein Tag sind. Ich möchte auch einmal tausend Jahre in einem Tag genießen.« Die raunenden Buchenwälder nahmen sie auf. Ein verlorener Wind spielte mit der Sonne gemeinsam in dem zarten Blättergrün. Und es ging durch die Einsamkeit wie tiefe, tiefe Atemzüge. Frau Amely legte ihre Hand in Ottens Arm. »Ich wollte,« sagte sie, »ich könnte mich fürchten und bei Ihnen Schutz suchen. Aber es ist zu schön dazu.« »Tun wir also, was der Situation entsprechender ist: freuen wir uns!« »O — ich tu’s ja schon lange.« »Hier herum hat Jung-Siegfried das Schwert geschmiedet, um den Lindwurm auf dem Drachenfels zu erlegen.« »Und mir ist, als ob hier herum noch ein anderer Siegfried durch den Wald schritt, um sein Erlösungswerk fortzusetzen.« »~Jung~-Siegfried?« »Siegfried kann nicht altern. Tausend Jahre sind ihm wie ein Tag.« »Und wenn der Tag zu Ende ist?« »Sind wir um eine Schönheit reicher, die uns hoch über die Zeitgenossen erhebt. Denn es wandeln nicht viele auf der Erde, deren Hirn die erneute Botschaft zu fassen vermag: Tausend Jahre wie ein Tag gelebt, und wir kommen der Ewigkeit auf die Spur.« »So will ich der erste sein, der bei der Ewigkeit eine Anleihe macht ...« Sie ließ es geschehen. »Ich will mich demselben Gläubiger verpflichten.« Und sie küßte ihn wieder. »Du bist wie ein wilder Junge.« »Ich weiß mit meiner Kraft nicht aus noch ein. Und wir leben auf Kosten der Ewigkeit.« »Wir! Wir!« »Wir, wir, Joseph! Einer muß im andern untergehen und auferstehen.« »Geh unter,« lachte er und beugte sich über sie. »Ich will — auferstehen ...« Der Wind schwieg. Die Sonne lag glänzend auf dem Boden. Und die Atemzüge des Waldes gingen unter in den Atemzügen der beiden Menschen. Nahe der Klosterruine lagerten sie in einem Buchentälchen. Um sie her war das Zirpen und Tirilieren der Waldvögel, die hier ihr Königreich hatten und der Menschenfremdlinge nicht achteten. Frühlingsblumen sonnten sich im Moos. Warme Wellen küßten sich in der Luft. »Wie lieb du bist .... Nun geht dein Blut so sanft und ruhig. Und doch kann es in diesem zarten Körper branden wie eine Sündflut.« »Weil ich das Glück will.« »Das wollen wir alle. Glücklich machen ist auch Glück. Versuch es.« »Bei dir?« »Wenn wir ein besonderes Glück für uns schaffen, müssen wir zunächst alle anderen berechtigten Ansprüche befriedigt haben. Tun wir das nicht, so sind wir keine Ausnahmenaturen, sondern bloße Auskneifer. Verstehst du, was ich meine?« Sie setzte sich aufrecht, umschlang ihre Knie und sah geradeaus in den sonnigen Wald. Ihre Brauen schoben sich zusammen. »Will meine Freundin nicht antworten?« »O ja,« sagte sie, »sie will. Sie will um so mehr, als ihr diese Anrede mißfällt, die ja auch ›mein Freund‹ lauten würde, wenn statt meiner Herr Karl Lüttgen hier säße.« »Das würde sie, und es würde die Wahrheit sein.« »Sie haben eine sonderbare Art, Ihre Logik zu betätigen.« »Frau Amely,« sagte er, »keine Kreuz- und Quersprünge. Selbst wenn ich Sie in den Arm ziehen und diese ärgerlichen Lippen auf die sonderbare Art meiner Logik verschließen würde, wären Sie in besserer Hut als in der Ihrer eigenen Gedanken. So sehr haben Sie das begriffen, daß diese Lippen ärgerlich wurden.« »Männereinbildung.« »Nein,« fuhr er fort, »nicht diesen überlegenen Ton, der den Ärger über mich schlecht maskiert. Ja, was glauben Sie denn? Glauben Sie denn wirklich, ich, Joseph Otten, würde hier liegen und sehnsuchtsvoll in den Frühlingshimmel starren, während auf Armesweite der Frühling leibhaftig kauert? Würde nicht mit einer einzigen Bewegung diesen Frühling an mich ziehen und ihn nicht eher freigeben, als bis sein Lebensgeheimnis das meine geworden? Meinen Sie denn, ich hätte keine Augen im Kopfe, um dieses kapriziöse Menschenwunder vor mir zu sehen? Und keinen wilden Herzschlag in der Brust, der danach verlangte, sich auszupochen? Was ich nie getan habe, tue ich heute. Ich respektiere den Mann, der dahinter steht. Weil er mein Freund ist, gewiß. Aber viel mehr noch, weil er ein armer Mensch ist, der sich von vornherein in seinen Hoffnungen betrogen sah. Hoffnungen auf dich könnte ich ihm also nicht nehmen. Aber wenn ich dich küssen würde, so wie ich dich küssen möchte, müßte ich — ihn fallen lassen. Und das hat er nicht verdient. Man stiehlt keinem Bettler seinen Notgroschen.« Frau Amely saß unbeweglich und blickte in den Wald. Dann sagte sie langsam: »Dennoch — käme es darauf an, festzustellen, wer der Bedürftigere wäre.« »Er ist es. Das ist keine Frage.« »Hör zu ... Du behauptest, er leidet unter mir, weil ich keinen Hehl daraus mache, daß ich von seiner Existenz nur die notwendigste Notiz nehme. Ich gebe mir keine Mühe zu einer Annäherung. Mehr noch, ich wünsche die seine nicht. Ich aber behaupte: ich leide unter ihm! Ich habe ihn geheiratet, weil er der große Fabrikherr war. Ich bin viel zu stolz, das Motiv in Abrede zu stellen. Ich wollte auf die sorgenlose Höhe, auf die ich gehörte. Das aber ist in dieser Angelegenheit der einzige Vorwurf, der gegen mich erhoben werden könnte. Ich wollte nicht länger mehr warten, und ich beging den vorschnellen Fehler. Was war’s, was ich eingetauscht hatte? Lassen wir das. Du kennst ihn. Aber ich gebe dir die Versicherung, ich habe zuerst getan, was ich konnte, seinen Geist und seine Liebhabereien umzubilden, sie den meinen anzupassen, denn darauf hatte ich ein Recht, weil ich ohne Phrase und Überhebung die stärkere Individualität von uns beiden war. Einer mußte nachgeben. Er bedauerte, er sei zu alt dazu und könne sich nicht mehr ändern. Und ich bedauerte, ich sei noch zu jung dazu und könnte es noch nicht. Die Liebe hätte darüber hinweghelfen können. Aber sie war ja gar nicht vorhanden gewesen. Nein, nein, auch nicht auf seiner Seite. Das war rheinisches Protzentum. Die Freude, ein apartes Sächelchen zu haben, das die anderen anstaunen würden: ›Der Lüttgen — der kann sich’s leisten. Doch ein großartiger Kerl!‹ Ich hätte eine andere sein müssen, nicht eine Frau, die das weibliche Sklaventum als lächerliche Farce empfindet, nicht eine Frau, die sich für ein Dutzend Ringe und Halsketten nicht die Seele morden läßt von einem Händler, der Seele für Luxus hält und sie in seinem Materialismus höchst störend empfindet. Um aber mit mir spielen zu lassen, nur spielen, dazu will ich, daß der Partner mir ebenbürtig ist. Oder wir sind nicht unter uns, und die Scham bleibt, und die Demütigung beginnt. Er hat mich nur demütigen können. Er, er! Nicht ich ihn! Und wenn ich mich endlich freimachte, so frei, wie ich heute bin, so nahm ich mir endlich mein altes Recht zurück, mein unveräußerliches Menschenrecht.« »Ist das — alles wahr?« fragte Otten und dehnte die Worte. Sie wandte sich blitzschnell nach ihm um. »Würde ich sonst im stande sein, solche Empfindungen — vor einem — dritten — auszusprechen?« »Sie formt die Worte nach einer Augenblickslaune,« dachte Otten, und laut sagte er: »Es gehört eine große Verlassenheit oder ein großer — Haß dazu.« »Haßt er mich nicht?« »Es ist wahr,« dachte Otten, »er haßt sie nicht minder. Irgendwo brennt es, und irgendwo ist der Widerschein.« Sie las ihm seine Gedanken ab. »Ich weiß, daß er herumgeht und Menschen, denen ich näher treten könnte, gegen mich einzunehmen versucht. Er wird bei dir keine Ausnahme gemacht haben. Nun, gib Antwort: wer verleiht dem Haß Gestalt? Wer ist der leidende Teil? Wer hat nötig, einen Freund ganz für sich zu beschlagnahmen, ganz für sich, damit das Leben wieder neuen Aufschwung nimmt? Du kennst mich jetzt zur Genüge, um selber urteilen zu können. Bin ich so abschreckend?« »Du bist eine Hexe.« »Bleib ernst. Du bist viel zu ritterlich, um nicht zu entscheiden, wo das Recht steht. Und wo das Recht steht, da stehst du. Da steht deine Freundschaft ungeteilt.« »Und doch wiesest du die Anrede ›Freundin‹ zurück?« »Dann nicht mehr. Denn dann hat das Wort die Skala der Töne, und ich suche mir meinen Ton.« »Liebe, arme Freundin,« sagte er zärtlich. »Nein — reiche!« ... Sie legte ihre Hand auf seine Augen und ihre Lippen fest auf seinen Mund. Und es war ein Zauber im Walde wie vor verwehten Jahrhunderten, da der Mönch von Heisterbach grübelnd durch den Wald schritt, den Sinn des Wortes zu ergründen: Tausend Jahre wie ein Tag — — —. Schulter an Schulter wanderten sie schweigend den Weg entlang, und das Staunen des Waldes lief hinter ihnen her. Frau Amely ging mit heimlich glänzenden Augen und hoch erhobenem Haupt, und auf Ottens kühnem Gesicht lag die Sonne des Frühlings, den er aus dem Walde heimtrug. Es dämmerte, als sie Königswinter erreichten. Sie banden das Boot los und kreuzten über den Rhein, dem Ufer von Godesberg zu. Aber sie mochten nicht landen. Immer stiller wurde es auf dem Wasser, immer stiller das Gestade auf und ab. Der frühe Mond stieg feuriggelb über die Ruine des Drachenfels hinaus, und sein Licht gab Himmel, Strom und Gelände einen mystischen Glanz. Die Spur, die der Nachen zog, war wie rieselndes Silber. Wenn sie die Hände ins Wasser tauchten, die sich gleich zueinander fanden, lag auf der Haut ein silbernes Scheinen. Und wenn sie sich zueinander beugten, sahen sie das silberne Glänzen tief in ihren Augen. Bis Frau Amely unter einem mahnenden Nachthauch erschauerte. Da drehte er das Steuer, ließ die Segel beifallen und glitt an den Strand, der den Parkrand der Villen bespülte. Sie sprang aus dem Boot, stand einen Augenblick, als ob sie sich besänne, und dehnte dann mit einer weit umfassenden Bewegung die Arme gegen den bestirnten Himmel. »Ah — —,« sagte sie, »schön — — ...!« Und ihre Stimme hatte einen dunklen, vibrierenden Ton. »Komm hinein. Die Abendkühle ist nicht für dich.« »Für uns beide nicht.« Und sie gingen durch den Park und den Garten der Terrasse zu. Die Halle war erleuchtet. Der Diener kam und fragte nach den Befehlen. »Wir haben schon zur Nacht gespeist. Es ist gut. Keine Briefe?« »Eine Depesche, gnädige Frau.« Sie nahm sie und wartete, bis der Diener gegangen war. Dann öffnete sie, las und reichte das Papier an Otten. Ihre großen, grauen Augen hingen an seinen Mienen. Er ließ das Papier sinken. »Was nun?« »Was nun?« wiederholte sie. »Im Text steht es deutlich geschrieben: ›Bleibe ein paar Tage länger. Fahre nur über den Kanal und wieder zurück. Das Geschäft will es. Erwartet mich in Godesberg. Lüttgen.‹ Wir werden ihn also erwarten.« »Das geht unmöglich.« »Fürchtest du dich?« »Ja, ich fürchte — ~mich~.« »Freilich — wir tragen die Verantwortung, wenn wir aus der Rolle fallen.« Sie zuckte mit den Augenbrauen und schritt an ihm vorüber. »Wie schwül es hier ist ...« Und sie öffnete weit die Tür zur Terrasse und lehnte sich an den geschnitzten Pfosten. »Das war ein kurzer Tag.« »Es gibt Tage, die man nicht mit der Elle mißt, sondern mit dem Senkblei.« »Hast du schon Grund? Wenn ich so geringe Tiefen habe, lohnt es wirklich nicht, und du hast recht.« Er sah zu ihr hinüber und lächelte. Und während er lächelte, sah er, wie schön sie war. »Deine Melancholie ist ein Fallstrick, und dein Zorn ist es auch. Jetzt wirst du noch an meine Ritterlichkeit appellieren.« »Ich appelliere nicht.« Er ging durch das Zimmer und nahm vom Flügel eine Mandoline. Leise strich er mit dem Finger darüber, horchte auf und stimmte wieder. Es war ganz still. »Ich möchte gern eine Stimme hören, und wenn es die meine wäre.« Von der Tür kam keine Antwort. »Damit wir wissen, daß wir nicht gestorben sind.« Sie rührte sich nicht. Er zog einen Stuhl heran, setzte sich rittlings darauf und legte die Arme über die Lehne. »Es war in Neapel. Ich saß am Meer, vor einem Hotel der Via Partenope. Das Herz pochte und stellte tausend Fragen, die ein Mann allein gar nicht beantworten kann. Da sang ein junges Frauenzimmer ein Bänkelliedchen ...« Er präludierte und sang mit halblauter, werbender Stimme: »=Tre volte voi ho visto e sono perdutto, E mille volte a voi ho pensato. Tre volte vostra mano ho stretto, E mille volte la mia ho vasato ... Signora, dite: ›Sí‹, A voi non costa niente, Una occhiata solamente, Capisco io che vol dire.=« Schritt für Schritt war sie ins Zimmer gekommen. Jetzt lehnte sie an seinem Stuhl. »Was sagt das Liedchen?« »Das Liedchen? Der Sänger! Er sagt und klagt: ›Dreimal habe ich Euch gesehen und bin verloren, und tausendmal hab’ ich an Euch gedacht. Dreimal habe ich Eure Hand gedrückt und tausendmal die meinige gesegnet. Signora, sagt doch ja! Euch kostet es nichts. Einen Blick nur — und ich verstehe, was er sagen soll.‹« Durch die offene Tür strömte der deutsche Frühlingsabend. »Ich möchte von dir Italienisch lernen,« sagte sie leise. »Italien ist für unsere Art die einzige Heimat.« Er strich über die Saiten, daß sie silbern klangen. »=Signora, dite: ›Sí‹= ...« Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände. »Geh nicht fort.« Er wiederholte den Refrain, mit geschlossenen Augen, und ein glückliches Lachen um den Mund. Seine Seele schweifte am blauen Mittelmeer und weckte Träume auf. »Geh nicht fort — —.« Er schüttelte übermütig den Kopf, sang und spielte. In der Ferne verlor sich das Raunen des Rheines, aus dem Garten zog der Blumenduft zu ihnen herein, und die Nacht war weich wie ein verschleierter Frauenblick. »Jetzt sind wir ganz allein auf der Welt,« sagte Frau Amely ... =XIII= Vier Tage später kehrte Lüttgen nach Godesberg zurück. Er war von einer lauten Jovialität und sonnte sich in der Erinnerung an seine Geschäftsreise. »Den Engländer hätten wir. Es war ein Stück Arbeit. Einen halben Tag am Konferenztisch, wie zwei kaltblütige Spieler Zug um Zug gegeneinander gesetzt, und zum Schluß hatte ich doch meinen Willen. =Business is business.=« Die Frau und der Freund brachten seinem Überschwang geringes Interesse entgegen. Als Otten am Nachmittag eine Rheinfahrt zu dritt ablehnte, bemerkte Lüttgen die Reserve. Seine Heiterkeit machte einem forschenden Erstaunen Platz. Dann wurde er still und in sich gekehrt. Am Abend trennte man sich mit erkünstelter Höflichkeit. Nach schlafloser Nacht, die erst gegen Morgen einen schweren, zermürbenden Schlummer brachte, kam der Fabrikant auf die Veranda und fand den Frühstückstisch leer. An den hingeworfenen Servietten sah er, daß Frau Amely und Otten nicht auf ihn gewartet hatten. Er ließ sich vom Diener den Tee bringen und fragte nicht nach ihrem Verbleib. Der Tee wurde kalt. Er saß noch immer grübelnd nach vorn gebeugt und suchte die Gedanken dort wieder aufzunehmen, wo sie ihm der dumpfe Morgenschlummer abgenommen hatte. Die Figur seiner Frau verbannte er mit einem Zucken der Mundwinkel. Blieb der Freund — —! Wie weit mußte er sich mit ihm auseinandersetzen ...? »Gar nicht,« flog es ihm durch den Kopf. »Was geht dich die Frau an? Sie hat ihr Leben, und ich habe meines, das ist seit Jahren Gewohnheitsrecht geworden. Ich spielte eine lächerliche Rolle, wollte ich jetzt dagegen aufstehen. Und doch — ~muß~ ich jetzt dagegen aufstehen. Bisher handelte es sich um Courmacher, die mir genau so gleichgültig oder so widerwärtig waren wie sie. Das hob sich auf, und ich verlor nichts dabei. Jetzt aber —« Er zog sein Taschentuch und wischte sich langsam die Stirn. »Nun? Was denn: jetzt aber? Verlierst du jetzt etwas? Joseph Otten könnte sich ebensogut mit Luft beschäftigen, so wenig existiert die Frau für dich. Du hast sie zufällig im Hause, das ist alles. Und er reist in den nächsten Tagen sowieso. Soll ich wegen bloßer Luft den Freund aus meinem Leben jagen, der das Intermezzo vierundzwanzig Stunden nach seiner Abreise vergessen hat? Das würde für die Siegerin ein Gaudium sein.« »Vergessen hat — —? Und wenn er es nicht so bald vergäße?« »Keine Sorge.« Und wieder kam das Zucken der Mundwinkel. »Sie würde ihn das Vergessen rasch lehren. Sie ist nicht für Freundschaften =par distance=, und Otten binnen kurzem kein Jüngling mehr. Das entscheidet für sie.« Fast regte es sich wie Mitleid in ihm. Das Mitleid des nüchtern Gewordenen mit einem armen Berauschten. »Ich liege auf einer Sandbank, aber ich bin doch wenigstens gerettet. Und der da zappelt sich ab und schluckt Salzwasser, wo er Schätze ans Tageslicht zu fördern glaubte. Armer Kerl, es gibt keine Tiefen. Es gibt nur Untiefen. Ich hätt’s dir gern erspart.« »Erspart? Wenn ich davon weiß?« Mechanisch wischte er über seine Stirn. Dann lächelte er verächtlich. »Natürlich erspart. Mich kann doch eine Sache nicht beleidigen, die mir so fern steht wie die Tageslaune dieser Frau? Ihr Schoßhündchen kann mir doch auch keinen Ehrenhandel abnötigen. Welch ein Unsinn, sich als Mann für eine Frau exponieren zu wollen, die einen längst nicht mehr das geringste angeht, nicht mehr, als daß sie für die Umstehenden den Schein zu wahren hat. Das wäre das Gegenteil, das wäre Donquichotterie und — Unehre. Wahrhaftig, das wäre es. — — Nur eins, nur — eins ...« Sein Gesicht zog sich zusammen. Er starrte auf die Tischdecke, auf der sich die Sonne kringelte. »Wenn ich schweige, da ich nichts verloren habe, so bleibe ich, wer ich bin, und meine Ehre ruht in mir selber. Nur wenn es darüber hinausgreift, wenn ich die Zeche der gnädigen Frau bezahlen sollte, wenn sie mir mit ihrer Laune den Freund abtrünnig machen sollte, daß er sich von mir abwendet wie von etwas — Unsauberem — —« Seine Hand fiel schwer auf den Tisch. »Dann — —!« — — Er blickte auf und gewahrte zwischen den Bäumen des Parks Frau Amelys weißes Sportkleid und Ottens hellen Anzug. Hastig trank er den kaltgewordenen Tee aus. »Wie sein Lachen klingt,« murmelte er. »Ich will mich nicht beschämen lassen.« Er erhob sich und winkte den Ankommenden zu. Lässig erwiderten sie seinen Gruß. »Ihr wart wohl schon auf dem Rhein, ihr Ruhelosen?« »Wir haben gebadet und in der Sonne gelegen.« »Und laßt mich in den Federn.« »Ich wußte nicht,« sagte Otten, »daß du noch für körperliche Übungen zu haben bist.« »Nun, nun! Mach mich nur nicht gleich zum Kinderschreck. Oder bin ich schon ein solcher Falstaff?« »Was hast du vor?« fragte Frau Amely. »Können wir über dich mitbestimmen, oder ziehst du die Siesta vor?« »Wenn ihr mich haben wollt?« »Bitte sehr —.« »Sehr ermutigend klingt das nicht. Aber ich halte es den Anstrengungen des Badens zu gute. Hier ist eine gefährliche Ecke, und es muß einer schon verteufelt gut gegen den Strom schwimmen können, um in Landungsweite zu bleiben. Ja — was ich sagen wollte: Wie wär’s, wenn wir heute das Mittagessen in Königswinter nachholten, das ich bei meiner plötzlichen Abreise im Stich lassen mußte? Ihr könnt euch darauf verlassen, daß ich nicht knauserig bin.« »Muß es gerade Königswinter sein?« meinte Otten. »Ich bestehe nicht darauf. Aber hast du was gegen das Prachtnestchen?« »Durchaus nicht. Bleiben wir dabei.« Das Wetter war paradiesisch. Die warmen Tage und Nächte hatten die versteckteste Blüte hervorgelockt, und die Ufer links und rechts standen im weißen Flor der Obstbäume. Die drei im Boot hatten kein Auge dafür. Hin und wieder schlug ein Wort an und verhallte. Dann ließ auch Lüttgen die Unterhaltung fallen. Sie speisten am Rhein, und der Wein machte sie lebendiger. Aber die Unterhaltung schwebte nur zwischen Otten und Frau Amely, und sie gaben sie nicht aus der Hand. Und auf der Heimfahrt wurde es nicht anders. Lüttgen suchte sofort sein Zimmer auf, um sich umzuziehen und sich vor Erkältung zu schützen. »Ihr werdet wohl zehn Minuten ohne mich auskommen können.« Otten und Frau Amely saßen auf der Terrasse und vermieden es, sich anzusehen. »Das alles war häßlich,« sagte endlich der Mann. Sie wandte ihm langsam den Kopf zu. »Und in dieser Häßlichkeit lebe ich jahraus, jahrein. Du empfindest sie schon nach wenigen Tagen.« »Er kann nichts dafür. Es ist seine Natur, die ihm im Wege steht.« »Und die meine? Soll sie daran stumpf und dumpf zu Grunde gehen? Wenn einer in den Hintergrund treten muß, so soll es doch in aller Welt nicht der wertvollere Mensch sein, der es muß.« »Bist du so sicher —« »Daß nicht er der wertvollere Mensch ist? Ja! Dessen bin ich sicher. Und wenn du es noch nicht erfahren hast, so liegt das daran, daß seine alltägliche, niederziehende Art schon allzusehr auf mich gewirkt hat. Joseph! Weshalb bist du nicht früher gekommen! Damals, als der Unterschied noch viel klarer zu Tage trat als heute. Wo es für dich ein einziges gewesen wäre: Sehen und Erkennen. Wo du mich einfach auf die Arme genommen hättest, um mich aus all den Erniedrigungen, die ich von dem Mann, dem seine Natur im Wege steht, erdulden muß, herauszuheben. Soll ich mit ihm trinken? Soll ich mit ihm Witze machen? Soll ich mich an seinen Hals hängen, wenn er plump und zärtlich wird? Soll ich das — auch jetzt noch?« Otten atmete schwer. Es wurde eine spannungsvolle Stille. Dann sprach er. »Wenn du das, was du mir heute und in den letzten Tagen von ihm und von dir gesagt hast, auf deinen Eid nehmen kannst — so sollst du es nicht.« »Ich nehme es darauf.« »Gut. Du wirst mich, wo es not tut, an deiner Seite finden. Im übrigen muß er es jetzt schon wissen.« »Es wird ihn kalt lassen, und er wird kein Wort daran wenden. Da hast du seinen Charakter.« »Damit fiele jede Schonung fort. Ich glaube dir.« — — Von diesem Tage an unterließ es Lüttgen, an den Wanderungen und Segelfahrten teilzunehmen. Nur einmal stellte er den Freund im Garten. Es währte nur einige Minuten. »Es ist nicht ganz so gekommen, wie ich es mir gedacht hatte. Euer Seelenbündnis geht weit.« »Wenn das etwa eine Beschuldigung deiner Frau sein soll, so fällt sie auf dich zurück.« »Das würde mich interessieren. Du darfst mir ruhig eine Philippika halten.« »Ich fühle mich nicht dazu berufen. Wenn du nicht selbst empfindest, was du an deiner Frau versäumt hast? Ein so reiches Wesen, erziehungsfähig wie kein zweites. Aber man muß die eigene Erziehung dem Ziele anpassen.« »Mit anderen Worten: ich bin ein stumpfsinniger Wüterich.« »Gegen dich selbst vielleicht.« »Gott bewahre dich, daß du es aus lauter Erziehungseinsicht auch einmal gegen dich wirst. Es gibt Katzennaturen, die lassen sich dressieren, aber nicht erziehen. Eines Tages zeigen sie doch ihre Raubtierinstinkte.« »Laß das, bitte.« »Mit Vergnügen. Mir täte es nur um den Freund leid, der die Erfahrungen umsonst haben könnte.« Otten teilte einiges aus dieser Unterhaltung Frau Amely mit. Sie legte ihre Hand auf die seine und sah ihn an. Und in ihm wuchs die Abneigung des Starken gegen den Schwächling. Die feste Hand tat’s, und er hatte sie. Lüttgen bemerkte es schnell, wie sich der Freund von ihm zurückzog. Und er spürte die Mißachtung heraus. Tiefer und tiefer grub sich der Haß gegen die Frau in ihn ein. Sie traf die Schuld, nur sie. Sie hatte die Ritterlichkeit des Mannes durch eine Verstellung der Dinge für ihre schlechte Sache zu gewinnen gewußt. Sie hatte den Gatten so preisgegeben, daß auch der Freund ihn preisgeben mußte. Mißachtung. Weiter ging es nicht. Er ging umher, und sein Haß grübelte: »Was tu’ ich? Was tu’ ich, um diesen Verlust wettzumachen? Der Mensch ist mir so sehr ans Herz gewachsen, wie mir die Frau abscheulich ist. Ich strafe mich selbst, wenn ich ihn treffe. Denn sie allein hat die Verantwortung. Sie hat ihn schon jetzt betrogen, wie sie ihn belogen hat. Und nun hält er seine Ritterlichkeit für engagiert. Würde ich an seiner Stelle anders gehandelt haben? Nein. Oder — vielleicht nein. Das ist ja so nebensächlich, denn ich lasse es ja zu, daß er sich die Finger verbrennt, wenn er absolut nicht anders will. Aber — mißachten? Mich mißachten? Nach alledem, was ich unter dieser Frau ausgestanden habe, auch noch von dem einzigen Menschen, an dem ich hänge, mißachtet werden?« Es tanzte ihm in bunten Lichtern vor den Augen. »Ich muß mich wehren,« murmelte er, »ich muß mich wehren.« Und von Stund’ an suchte sein Haß. Wo er ging und stand, glaubte er den Triumph der Frau zu empfinden: »Jetzt nehm’ ich dir auch den Freund, jetzt nehm’ ich dir auch den Freund. Wer ist nun der Reichere von uns beiden, du Bettelmann?« Seine Gedanken jagten hin und her. Nur nicht die letzte Planke verlieren! Und er sah sie am Rhein. Hand in Hand standen sie und lachten sich an, als gäb’s auf der Welt nichts außer ihnen. Der Atem kroch ihm zurück. Die Brust schmerzte ihn. Er wollte seine Stimme hören und konnte nicht. Und plötzlich wachte es in ihm auf, das Bild, das er gesucht hatte. Seine Brust hob sich hoch, und es kamen Laute über seine Lippen, die er nur selbst verstand. »Ich hab’s — ich hab’s. Ich muß ihn ihr nehmen, glatt — weg — nehmen. Mitten aus ihrem Triumph heraus — weg! Weil du ihn mir genommen hast — dafür — nehm’ ich ihn — dir! Nicht seinetwegen. Deinetwegen!« Mit einer langsamen Gebärde fuhr er sich über die Augen. Die bunten Lichter tanzten nicht mehr. Er sah den klaren Tag. Und er wandte sich ab und ging ruhigen Schrittes dem Landhaus zu und riegelte sich in seinem Zimmer ein. »Es ist lange her,« sagte er sich, »daß ich das Schießzeug nicht mehr in der Hand gehabt habe,« und er betrachtete den polierten Lauf. »Seit meiner letzten Übung bei den Deutzer Kürassieren nicht mehr. Und das ist bald schon nicht mehr wahr. Ruhe, mein Junge. Es wird nicht darauf ankommen, daß ~einer~ fällt, sondern — daß ~er~ fällt. Das Gottesurteil bin ich! Vergiß das nicht. Nur so hat es Sinn. Hat die Affäre so lange gedauert, kann sie noch ein paar Tage länger dauern. Damit ich mich einüben kann und — treffen. Nicht dich, Jupp. Sie — —!« Wenn das Segelboot auf dem Rhein schwamm, ging er in den Park, stellte die Scheibe auf und maß die Schritte ab. Die schwerfällige Hand zitterte, als er sie zuerst erhob. Die Kugeln saßen in der Baumrinde. Aber zähe blieb er beim Werk. Und als die erste Kugel im Scheibenrand saß, glitt ein Lächeln über sein rotes Gesicht ... Nun irrten die Kugeln nicht mehr ab. Er hatte ja Tage für sich. Es störte ihn keiner, und keiner fragte nach ihm. Und es kam die Stunde, wo Kugel auf Kugel das Zentrum durchbohrte. Das war der glückseligste Augenblick seines Lebens. Der Segelwind war abgeflaut. Das Boot kroch langsam heran. Den Insassen war es lieb, noch nicht landen zu müssen, allabendlich schoben sie die Landung hinaus. »Du darfst noch nicht fort,« sagte Frau Amely und legte den Kopf an Ottens Brust. »Du bist jetzt nur an mich gebunden.« »Sei vernünftig, Amely. Wir dürfen nicht wie Chacun und Chacune denken. Das ist ja so billig.« »Gar nichts denken. Still. Nur deinen Kopf hergeben. So — — jetzt lieg’ ich gut ...« Das Boot schwamm auf der Höhe des Parkes. Frau Amely fuhr auf. »Hörtest du nichts?« »Einen Schuß —« Sie horchten beide. Die Schüsse fielen in regelmäßiger Reihenfolge. »Da übt sich irgendwer im Scheibenschießen,« sagte Otten, und Frau Amely legte sich in seinen Arm zurück. Ihre Augen küßten sich, bevor sich die Lippen berührten. Und während sie sich, weltvergessen, im schmalen Boot aneinander anschmiegten, pfiffen vom Ufer, Schuß auf Schuß, die Kugeln, die für ihr Herz waren. — — »Ich gedenke morgen heimzureisen,« eröffnete Otten am Abend dem Hausherrn. »Darin kann ich leider nicht so ohne weiteres willigen.« »Du scherzest wohl. Ich bin über Gebühr geblieben und fühle es selbst. Es bleibt also bei morgen.« »Und wenn ich dich bäte? Du hast mir lange nichts mehr zu Gefallen getan. Ich möchte — deinen guten Willen sehen.« »Ich kann nicht, Lüttgen.« »Ja — des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Dann reisest du also morgen. Aber erst mit dem Abendzug. Ich hatte euch versprochen, wenn ich den Engländer zu fassen kriegte, sollte es ein Festlein setzen, wie wir noch keins erlebt haben. Nur unter den Intimsten des Hauses, genau wie an dem Tage, an dem du ankamst. Du erinnerst dich doch? Die Herren sind zu morgen mittag geladen.« »Du verfügst da zwar über meinen Kopf weg, aber —« »Das nimmt man wohl unter Freunden nicht so genau.« »Wenn dir also ein Gefallen damit geschieht —« »Ohne dich wäre mein Arrangement hinfällig. Ich hatte in den letzten Tagen den Kopf noch voll von Geschäftssorgen. Gott, das ganze Leben ist Geschäftssache. Aber nun sind die Berechnungen, die ich aufzustellen hatte, fertig, ich kann mich in letzter Stunde noch um dich kümmern und bin so heiter wie in meinen besten Tagen.« »Ich werde deine Frau von meinen geänderten Reisedispositionen in Kenntnis setzen.« »Da erscheint sie gerade, um gute Nacht zu wünschen. Höre, Amely, unser Freund wird morgen noch an einem kleinen Herrenessen in unserem Hause teilnehmen. Die Zusagen habe ich bereits. Die Küche wird von Bonn geliefert, der Koch kommt gleich mit. Es ist dir doch recht, daß wir auf diese Weise Otten bis zum Abend behalten?« »Ah —!« sagte sie erstaunt. »Das ist eine angenehme Überraschung.« »Und nun wollen wir alle zu Bett gehen. Gute Nacht, Otten. Schlafe wohl. Das wird morgen ein schwerer Tag.« Sie reichten sich die Hände und suchten ihr Zimmer auf. Irgendwo schlug unverdrossen eine Nachtigall. — — — Die Gäste saßen bei Tisch in der Halle. Man hatte an der Veranda die Leinenjalousien herabgelassen, um sich vor der Flut des Sonnenlichtes zu schützen. Nun herrschte eine zitternde Dämmerung. Die Sektbecher waren den Rheinweinrömern gewichen, die Rheinweinrömer aufs neue den Sektschalen. Die Herren hatten Blumen ins Frackknopfloch gesteckt, wurden ausgelassen und tranken der Frau des Hauses zu, die in herabfallendem Kleide, die zarten Schultern entblößt, träumerisch neben Otten saß. »Vergiß mich niemals,« sagte sie leise. Und Otten drückte in stummem Einverständnis ihre Hand. Lüttgen trank hastig. Sein Gesicht hatte eine dunklere Röte als sonst, und er war so gesprächig, daß es auffiel. »Kein Wunder!« rief Terbroich. »Der Mann kann es sich leisten. Stößt auf einen Schlag seinen ganzen alten Vorrat ab.« »Jetzt muß es sein,« sagte sich Lüttgen und erhob sich. Der Diener, der die Obstschalen in Bewegung gesetzt hatte, verschwand. Sein Herr hatte ihm kurz zugenickt. »Eine Festrede? Ruhig allerseits! Der Hausherr hat das Wort.« »Ja — eine Festrede,« sagte Lüttgen, spielte mit seinem Glas und reckte den schweren Körper. Nun hatte er sich in der Gewalt. Seine Augen sahen ruhig von einem zum andern. »Eine Festrede. Und in der Tat, so absonderlich es auch erscheinen mag: der Hausherr hat das Wort. Unser geschäftskundiger Terbroich pries mich eben glücklich, daß ich auf einen Schlag meinen ganzen alten Vorrat abgestoßen hätte. Aber er irrt sich. Das Lager ist noch nicht geräumt.« Er nahm sein Glas und trank es aus. Keine Zwischenbemerkung fiel. »Na, und heute möchte ich es gänzlich räumen. Es ist Bruchware, aber auch dafür finden sich ja Liebhaber. Damit sie mir einerseits nicht gestohlen wird und ich anderseits nicht in Versuchung komme, jemanden damit übers Ohr zu hauen — denn beides ist gleich beschämend für einen soliden Geschäftsmann — gebe ich sie gratis her. Wer will?« Das war keine Festrede. Und der Mann, der jetzt mit drohenden Augen über den Tisch hinsah, kein lustiger Tafelredner. Ein beklommenes Schweigen lief um die Tafel. »Wer will?« wiederholte Lüttgen und erhob seine Stimme. »Keiner? Wahrhaftig keiner? Auch du nicht, Otten?« »Was soll das heißen?« »Das soll heißen, daß ich dabei bin, meinen alten Vorrat abzustoßen, mein Lager zu räumen. Verstehst du das?« »Setz dich. Dir ist der Wein in den Kopf gestiegen.« »Also betrunken. Möglich, daß ich das nicht erst heute bin. Aber ich gebe dir mein Wort: keinen roten Groschen gäbe ich in diesem Augenblick für deine hellseherische Nüchternheit.« »Bist du zu Ende?« »Sofort. Du brauchst nur zu sagen, ob du willst. Weshalb zögerst du? Ihr seid euch doch schon lange einig.« »Das ist nicht wahr!« rief Frau Amely. Totenblaß kauerte sie in ihrem Stuhl. »Ich bitte um Verzeihung. Was ist nicht wahr? Daß du ihn mehr liebst als dein Leben?« »Es ist nicht wahr!« — — — Angstgejagt kam die Abwehr. Ein verzweifeltes Aufbegehren. »Es ist nicht wahr —« Und zwischen diesen Worten hatte Otten sich wiedergefunden. So blitzschnell und lachend die Tage und Wochen von Godesberg vor ihm aufgestiegen waren, so blitzschnell und hohnlachend sanken sie unter, und keine Welle kräuselte sich über dem Grab. Ein Abenteuer. Nichts mehr. Und das schlechteste fürwahr. Blaß, aber stählern in jedem Nerv, erhob er sich, rückte den Stuhl zur Seite und stand neben der Dame des Hauses. »Darf ich Ihnen meinen Arm geben, gnädige Frau. Es geht hier unten etwas zu wild für Sie zu.« Und willenlos legte sie ihren Arm in den seinen und ließ sich hinausgeleiten. An der Treppe gab er sie mit einer Verneigung frei. Kein Wort wurde mehr gewechselt. Er wartete, bis sie ihr Zimmer erreicht hatte, und ging dann auf das seine. »Bestellen Sie, bitte, den Herren,« sagte er dem Diener, den er herbeigerufen hatte, »ich bliebe hier oben.« Eine Viertelstunde wartete er. Seine Gedanken beschäftigten sich mit so fernliegenden Dingen, daß er sich selber verwunderte. Dann hörte er Schritte auf dem Korridor. Es pochte an seiner Tür. »Herein!« Es war Terbroich und ein junger Fabrikant. »Kommen wir ohne Umschweife zur Sache, meine Herren,« bat Otten freundlich. »Herr Lüttgen hat Ihnen einen Auftrag gegeben?« »Zu meinem Bedauern, lieber Joseph,« begann Terbroich feierlich, »siehst du in mir den Beauftragten. Du wirst mir deshalb nicht zürnen, aber ich konnte es bei Lage der Dinge nicht abschlagen.« »Bitte,« wehrte Otten ruhig ab. »Dein Auftrag.« »Herr Lüttgen wünscht von dir Satisfaktion mit der Waffe. Eine andere Genugtuung könne er nicht akzeptieren.« »Ich bin bereit.« »Es besteht der Wunsch, daß die Angelegenheit so sehr als möglich beschleunigt werde.« »Das trifft mit meinem Wunsch zusammen.« »Also morgen früh halb sechs Uhr hier im Park? Es ist der sicherste und entlegenste Ort.« »Übermorgen. Das weitere läßt sich wohl mit meinem Vertreter verhandeln, den ich mir sofort suchen werde.« »Würden Sie,« fragte der junge Fabrikant höflich, »vielleicht meine Dienste annehmen? Ich bitte, ganz über mich zu verfügen.« »Sie sind sehr freundlich, und ich nehme mit Dank an. Sie schenken mir wohl noch einige Minuten. Adieu, Terbroich, ich möchte noch mit dem Nachmittagszug nach Köln.« »Adieu, Otten. Ich hatte nur meinen Auftrag zu erfüllen.« Er nickte Terbroich zu, und die beiden Herren blieben eine Viertelstunde allein. Kurz darauf betrat Otten den Bahnhof, löste ein Retourbillett Köln-Godesberg und fuhr heimwärts. Als er eine Stunde später den Kölner Bahnhof verließ, beherrschte ihn nur noch der eine Gedanke: Haltung! Nicht weich werden. Jetzt ist Marias Ruhe das wichtigste. Er stieg die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, zwang sich zu einem strahlenden Gesicht und klingelte am Vorplatzgitter. Frau Maria öffnete selbst. »Da bin ich!« rief Otten und zog sie schnell in die Arme. »Wandervogel — Wandervogel — —!« Er hielt ihren Kopf so lange gegen seine Brust gepreßt, bis er seiner Bewegung Herr geworden war. »Da bin ich, Maria— —« »Bleibst du jetzt? So komm doch endlich herein, daß ich dich betrachten kann. Seit ich dich in Godesberg weiß, geh’ ich keinen Tag mehr aus, aus Angst, ich könnte dich verpassen. Hab’ ich nicht recht gehabt? Du kommst und bist da. Gott sei Dank, daß du es bist.« »Hast du dich um mich gesorgt?« fragte er und streichelte ihr Haar. Nun saßen sie im kleinen Zimmer, und sie haschte nach seinen Händen und hielt sie fest. »Erst laß dich anschauen. Fühlst du dich nicht wohl? Es ist so unruhig in deinen Augen.« »Diese unglaubliche Hitze. Der Umschlag war nach Rußland etwas stark. Hast du ein Glas Wasser?« »Warte. Ich mache schnell eine Zitronenlimonade zurecht. Die kühlt am besten.« Sie ging, kam nach wenigen Schritten zurück und umfing ihn jäh. »Mein Joseph!« Dann verließ sie schnell das Zimmer. »Herr Gott,« dachte Otten, »das ist nicht zu ertragen. Alles andere, nur nicht diese immer sich gleich bleibende Güte. Ich sitze hier wie ein Einbrecher in meinem eigenen Hause.« Sie trat in die Tür, frisch und erregt wie ein junges Mädchen. Und er nahm ihr das Glas ab, sah sie mit dankbarem Blick an und trank es auf einen Zug leer. »Daß man nie einsehen wird, daß es uns zu Hause am wohlsten ist ...« »Bleibst du, Joseph?« »Ja, nun kommt das Geständnis. Ich muß morgen noch einmal hinüber. Lüttgen tut’s nicht anders, es gibt noch ein Nachtfest zum Schluß. Zu einem Abschluß aber gehören Schwanenlieder, und ich wollte hier unter meinen alten Noten wählen, um das richtige Programm zusammenzustellen.« »Das hätte ich doch auch gekonnt.« »Ich hatte Sehnsucht,« sagte er, und er fühlte, daß er wahr sprach. »Und es war ein freier Tag, Maria, der sollte euch gehören, dir und Carmen. Ist sie nicht zu Hause?« »Sie sitzt auf ihrem Stübchen und lernt und strebt. Ich wollte dich nur die ersten Minuten für mich allein haben. Verwundere dich nicht, ich bin eine egoistische Frau ...« Sie drückte noch einmal hastig ihr Gesicht an das seine. »Nun können wir zu ihr gehen.« Oben in ihrem Giebelstübchen saß Carmen, schlank und rank, einen ernsten Ausdruck im Gesicht, und studierte Latein. Als die Tür ging, wandte sie sich nicht um. Sie las mit halblauter, monotoner Stimme die Regeln der Grammatik. Lächelnd blickte Frau Maria zu ihr hin, und über Ottens Stirn glitt eine Röte. »Carmen,« sagte er ganz leise, und die Stimme gehorchte nicht und blieb nicht fest. »Vater!« Grammatik und Vokabularium sausten ins Zimmer, sein großes Mädel hing ihm am Hals. »Kleinchen, Kleinchen — nein, nein — Großes, mein Großes — —« »Der Vater! Hach du! Wo bleibst du? Wo hast du gesteckt? Ich will zu Pfingsten eine Reise mit dir machen!« Er küßte sie wie ein kleines Kind. Er konnte sich gar nicht satt küssen. War denn das Mädel über Nacht so groß und schön geworden? Hatte er sie früher nie so geliebt? »Kann kommen, was will,« ging es ihm durch den Kopf, »das bleibt von mir, das bleibt. Und ich habe doch nicht umsonst gelebt.« »Kinder, macht euch fertig! Wir wollen ins Freie! Recht wie ein solider Bürgersmann mit Weib und Kind. Wir essen in der Flora, und wenn wir zurückkommen, musizieren wir noch ein Stündchen, daß sich der Frühling wundern soll!« »Nun ist mein Latein zu Ende!« rief Carmen übermütig, sammelte die verstreuten Bücher auf und holte den Hut vom Haken. »Der Frühling will es.« Frau Maria nahm des Gatten Arm. Mit heiterem Stolz schritt sie an der Seite ihres Mannes durch die Straßen. In den andern Arm hängte sich Carmen ein. Ihre Blicke musterten unaufhörlich die Passanten, ob sie auch bemerkten, daß Ottens kämen. Ihr Redefluß versiegte nicht einen Moment. So boten die drei Spaziergänger das Bild eines gefestigten Familienglückes, und Otten empfand es wie einen Hohn und doch wie eine süße Wonne, die er für nichts auf der Welt jetzt hergegeben hätte. Sein Herz begann ruhiger zu schlagen, sein Gehirn arbeitete regelmäßiger. Die Erlebnisse der letzten Stunden fielen von ihm ab, ein seltenes Wohlbefinden, das nur sich selbst Genüge tun will, drang in ihn ein, ein Ausruhen im Augenblick, der sich ihm schenkte. Der große Garten der Flora stand in Blüte. Ein Duften von Strauch zu Strauch, von Weg zu Weg. Und auf den Wegen wandelten hübsche Frauen und Mädchen in luftigen Frühjahrskleidern, und alle hatten denselben lächelnden Zug im Gesicht, den der Frühling heraufbeschwört, und man weiß nicht, woher und weshalb. Nie war Otten der Garten, nie war ihm Köln so wundervoll erschienen .... Und die Heiterkeit der Gemüter hielt an, während sie an einem der gedeckten Tischchen saßen und die Delikatessen verzehrten, die Carmen auswählen durfte, und den Wein aus den geschliffenen Gläsern tranken, die der Marke zukamen. Sie hielt an, während sie heimwärts wanderten, Arm in Arm, wie sie gekommen waren, und während Otten am Klavier saß und lange, stille Weisen spielte, die Frauen links und rechts neben ihm. Und sie verschwand erst, als wäre sie verscheucht, als er sich zu Bett gelegt hatte mit einem letzten freundlichen »Gute Nacht, Maria«. Wild stob es durch sein Hirn, machte ihm das Herz rebellisch, tanzte einen Hexensabbat in Brust und Kopf. Was war gewesen? Was hatte er getan? Untreu war er sich gewesen, gegen seine Natur hatte er gefrevelt, ein Schäferspiel in blutigen Ernst verkehrt, weil — ja weil er sich zum Amboß hergegeben hatte, für eine kleine, lüsterne, feige Frau, er, der sonst nur den eigenen fröhlichen Hammerschlag kannte — weil er den Freund hatte fallen lassen um eines bißchen verlogenen Evatums willen. Untreu sich selbst. Daran mußte er scheitern. Er konnte nur in der Sonne leben. Er horchte. Auf die Atemzüge Marias .... Sie schlief selig an seiner Seite, und er hatte ihr doch nur so kurz gute Nacht gewünscht. Wie kam ein Mensch wie er zu einer solchen Frau? Wie durfte er zu einer solchen Frau kommen, da er gezwungen war, mit der schlechtesten Arm in Arm in die Schranken zu treten? Und plötzlich stand der Moment wieder vor ihm, da die andere, die sich ihrer Umwelt so weit voran, so überlegen dünkte, angstverzerrt in sich zusammengekrochen war, leugnend wie ein Spießgeselle, alle Würde von sich werfend, sklavisch wimmernd vor der Bedrohung ihrer Existenz, die sie von der bisher so verachteten Umwelt bezog — ah, nicht weiter denken, nicht weiter. Ihm schnürte sich die Kehle zu. Wie sollte ein Mann mit der Scham im Nacken mit einer Maria weiterleben — —? Ihre Frauenliebe hatte ihn stark gemacht — ihre Frauenliebe hatte ihm die Jugend bewahrt über die Jahre hinaus — an einem Weibchen war er gescheitert. Das war so erbärmlich, daß selbst Maria ihm nicht helfen konnte, nicht helfen durfte. Oder — er hatte ins Altenteil zu kriechen. »Meine reine Maria,« murmelte er. Und dann lag er mit weitgeöffneten Augen, zusammengepreßten Lippen, und wartete den Morgen ab. Auch dieser Morgen kam. Früh ging Otten aus. Er hatte eine Anzahl Papiere zu sich gesteckt und begab sich zu seinem alten Notar. »Ich habe einen schlechten Traum gehabt, lieber Freund,« scherzte er, »und Sie wissen, wir Künstler sind ein abergläubisch Volk. Wenn wir das erste graue Haar entdecken, reißen wir es aus und glauben, nun wären wir wieder jung und die Welt nähme uns dafür. Aber dann kommt ein Tag, an dem wir entdecken, daß wir uns sämtliche Haare ausraufen müßten, um wieder jung zu werden. Irgendwo sagt uns jemand adieu. Und wir machen noch einmal unsere schönste Verbeugung.« »Ach du lieber Gott, Herr Doktor, die machen wir alle, wenn Ihnen das ein Trost ist. ›Nur das Alter ist jung, und die Jugend ist alt,‹ hat uns schon Schiller zum Trost gesagt. Und alter Wein — Sie werden es merken — hält die Konkurrenz des Mostes dreimal aus.« »Auf alle Fälle, Herr Notar.« »Auf alle Fälle ist immer das beste. Ein Testament?« »Eine Schenkung. Hier ist mein Vermögensnachweis. Ich möchte, daß diese Summe zur freien Verfügung Frau Maria Ottens von heute an bei Ihnen deponiert bleibt, bis Sie mit Frau Maria Otten über Anlage und Zinsenauszahlungen und was sich sonst ergeben wird, konferiert haben. Stellen Sie mir zuliebe die Dokumente sofort aus, damit ich meine Unterschrift geben kann. Ich muß am Nachmittag verreisen.« Später stattete Otten dem alten Klaus einen Besuch ab. Der Alte ging verlegen um seinen Freund und Gönner herum. »Geweß, et is en Schand, dat ich Reißaus nehm. Äwwer et is nit zu vermiete, et is bald esu en ahl Barack, als wie ich bin. Un et is doch nu mal Familieneigentum. Et Alter macht eigensinnig, un sing eigne Scholl möcht mer doch zu gern beim Sterwen unger de Föß hann.« »Ich besuch’ dich, Klaus.« »Jupp, ding Hand drop!« »Hast du Ersatz? Jemand, auf den man sich verlassen kann, auch wenn der Herr nicht daheim ist?« »Ich gonn nit us dem Hus, als bis ich ene tüchtige Ersatzmann gestellt hann. Verloß dich drop, Jupp.« »Na — denn adschüß, Klaus. Und viel Glück für Zons.« — — Gegen Abend nahm er Abschied von Maria und Carmen. Sie brachten ihn zum Bahnhof, und er täuschte sie durch sein fröhliches Geplauder über nichtige Dinge. Er hatte Carmen abgeküßt und wandte sich Maria zu. »Einsteigen!« riefen die Schaffner und schlugen die Türen zu. Da riß er sie leidenschaftlich an sich. »Leb wohl!« stieß er hervor. Sie sah ihm mit erschreckten Augen nach, bis der Zug in der Ferne verschwand. Und diese erschreckten Augen verfolgten ihn bis Godesberg. »Die Frau in ihr — ~meine~ Frau in ihr — hat mich — verstanden. Helf ihr Gott.« In Godesberg trat der Stationsvorsteher auf ihn zu und grüßte ihn freundlich. »Frau Lüttgen ist gestern abend nach Italien gereist. Aber Herr Lüttgen ist in seiner Villa.« Auf und davon hatte sie sich gemacht. Ohne Besorgnis um das Schicksal der Männer, die sich in ihrem Rücken rauften. Nur in Besorgnis um ihr eigenes, kleines Existenzchen. Bravo! Bravo! Er suchte einen Gasthof auf und legte sich gleich zur Ruhe. Um fünf Uhr in der Frühe stand er vor dem Hotel. Sein Zeuge erwartete ihn. Sie gingen langsam und schweigend die Straße entlang, ließen bald die letzten Häuser hinter sich und betraten gegen halb sechs Uhr den Park. Zwei Stunden später schaffte man Joseph Otten nach Bonn in die Klinik. — — =XIV= Das Lebensbuch Joseph Ottens wies eine Lücke. Und diese Lücke war eine Kluft, über die keine Hand hinüberreichte. Zwei Jahre waren vergangen, und da sie inhaltlos gewesen waren, hatten sie sich wie ein Keil zwischen das Gestern und das Heut geschoben. Es mußte mit der Gegenwart neu paktiert werden. Der Tag war da, an dem er die Festung Ehrenbreitstein verließ, die er ein Jahr vorher bezogen hatte. Ein Hindämmern war es gewesen, ein Abstreichen auf dem Kalender von Tag zu Tag. Vom Stadturlaub hatte er keinen Gebrauch gemacht, die Spaziergänge zwischen den Wällen hatten ihm genügt. Dann lehnte er an der Mauer und schaute hinunter ins Rheintal und ins Tal der Lahn und wandte wieder den Kopf und folgte dem Stromlauf nach Norden und suchte den Horizont ab nach den Schwurfingern des Kölner Doms, die ihm seine Phantasie vorspiegelte. Ein Gleichmaß von Stunden und ein Gleichmaß von Gedanken, und keine Stunde und keine Gedanken, die weiter wiesen. Das Jahr, das diesem voraufgegangen war, hatte ihn gleichgültig gemacht gegen das kommende. Er hatte in der Klinik gelegen, und die Kugel war ihm aus der Brust gezogen worden. Die Lunge war nur gestreift, aber die größte Ruhe wurde ihm auferlegt, damit die Wunde glatt vernarbte und keine Folgen eintreten konnten, die ihn an der weiteren Ausübung seines Berufes gehindert hätten. Otten hatte zu den Anordnungen des Professors kein Wort der Entgegnung gefunden. Er ließ den Arzt an sich herumhantieren, folgte jedem Wink und lag, wenn er allein war, reglos in den Kissen und starrte zur Zimmerdecke. Ein einziges Wort war in seinem Kopfe haften geblieben, und das Wort wälzte er hin und her und beleuchtete es von allen Seiten. Seine Kunst war in Gefahr. — — In einer Nacht — die Wärterin schlief auf dem Sofa in seinem Zimmer — wuchs die Frage riesengroß und schreckhaft vor ihm auf. Seine Kunst in Gefahr! Alles andere hatte er vorher in Gefahr gebracht, sein Weib, sein Kind, seinen Ruf und den Ruf anderer. Aber in der Ausübung seiner Kunst hatte er immer aufs neue die fröhliche Spannkraft gefunden, die ihm das Geheimnis verlieh, wieder gutzumachen, auszugleichen, die Menschen für sich zu gewinnen. Und das Geheimnis seiner angestaunten, elastischen Jugend. Kunstinvalide werden, bedeutete für ihn mehr, es bedeutete für ihn — Lebensinvalide werden. Was blieb, war das Alter. Der Schweiß bedeckte seine Stirn und seinen Körper. Aus dem Deckbett, aus der Tapete, aus allen Ecken des Zimmers krochen kleine, krumme, graue Männchen, humpelten an Stöcken heran, wackelten mit den Köpfen, grinsten ihm vertraulich ins Gesicht und kletterten ihm mühsam auf die Brust. Da stieß er den ersten Verzweiflungsschrei aus, den ersten und einzigen. Und die Wärterin fuhr auf, eilte an sein Bett und machte in der Nacht den Arzt mobil. Allerlei Gestalten waren in der Folgezeit wie Schemen an seinem Bett vorbeigezogen, und einige Male, wenn er die Augen geöffnet hatte, waren über ihm Augen gewesen, die nur Maria gehören konnten. Dann hatte sich die flatternde Unruhe in ihm verstärkt, und dem Arzt war der Grund nicht entgangen. »Alles, was ein seelisches Leiden hervorrufen könnte, müssen wir von ihm fernhalten, gnädige Frau. Sie sind viel zu tapfer, um die Wirkung Ihres Hierseins nicht einzusehen. Ich werde Sie rufen lassen, sobald die Genesung da ist und unser Patient nach Ihnen verlangt.« Und Frau Maria war still, wie sie gekommen war, nach Köln zurückgekehrt. Langsam war Otten gesundet. Und eines Tages verlangte er selber nach einem Menschen. Er wünschte den Studiosus Lachner an seinem Bette zu sehen. Auf dem Universitätssekretariat erfuhr man seine Adresse, und am Nachmittag saß Moritz Lachner am Bett seines Kindheits- und Jünglingsideals, blaß und mit verschlagenem Atem. »Na, na, na, — sehe ich so graulich aus?« »Nur noch etwas — hager, Herr Doktor.« Otten strich sich mit der Hand über die eingefallenen Wangen. Nase und Backenknochen sprangen scharf hervor. »Laß mich nur erst wieder auf den Beinen sein. Wandervögel kannst du nicht in Käfigen halten. Aber wirf sie nur zum offenen Fenster hinaus, und sie werden sich schon auf ihre Flugkraft besinnen. Hast du ein wenig Zeit für mich übrig, Moritz?« »Meine Zeit gehört Ihnen, Herr Doktor.« Otten nickte schweigend. Seine Hände spielten auf der Decke. »Warst du kürzlich in Köln?« fragte er unvermittelt. »Sie meinen die Rheingasse, Herr Doktor. Ja, ich war dort.« »Ich meine die Rheingasse — — Was für ein feines Ohr du für Zwischenfragen hast. Wir werden uns gut verständigen, Moritz.« »Frau Doktor und Carmen sind gesund. Sie leben zurückgezogen.« »Ich glaub’s — —« »Darf ich auch von — von Ihrem Gegner sprechen?« »Von — wem? Er ist nicht mehr mein Gegner, mein Junge. Aber ich wüßte nicht, was es von ihm zu hören gäbe.« »Er wird einen steifen Arm zurückbehalten, Herr Doktor,« und des Studenten Augen funkelten vor Genugtuung. »Du bist nicht gescheit. Ich war’s, der die Zeche bezahlen mußte.« »Nein,« sagte Lachner, »er war bereits verwundet, bevor Sie getroffen wurden. Er ließ es sich nur nicht merken, um noch zum Schuß zu kommen. Es ist der linke Arm.« »Herr Gott im Himmel,« sprach Otten vor sich hin, »welch ein Haß muß den Mann beseelt haben —« Als Moritz Lachner keine Anrede mehr hörte, stand er leise auf. Otten lag mit geschlossenen Augen. »Auf morgen, Herr Doktor, wenn ich darf.« Und als keine Antwort kam, verließ er auf den Zehenspitzen verstört das Zimmer. Es war ganz still. Hin und wieder streifte eine Rosenranke vom Spalier das Fenster. Und Otten öffnete weit die Augen und murmelte: »Wie muß er mich gehaßt haben ... Das macht mich noch kleiner ...« Am nächsten Tage begrüßte er Lachner mit freundlichem Gesicht. »Setz dich näher heran, Moritz. Ich hatte gestern einen kleinen Schwächeanfall, aber er kommt nicht wieder. Mein Wort darauf. Und nun laß die ängstliche Miene beiseite. Zeig, daß man Vertrauen zu dir haben kann und ein ernstes Wort mit dir sprechen, das in normalen Zeiten der Altersunterschied zwischen uns nicht gut zulassen würde. Kann ich das?« »Ja, Herr Doktor.« »Ich bin nämlich all mein Leben so reich an Freunden gewesen, daß ich dem zusammengewürfelten Haufen keinen rechten Wert beimaß und mich heute kaum auf ein ehrliches Gesicht besinnen kann, das mir oder dem ich außerhalb des =dulci jubilo= etwas zu sagen hätte. Nur Heinrich Koch, Hochwürden. Du kennst den Professor. Aber er weilt in Rom, leidet selber am Leben, und ich möchte ihn nicht behelligen. Tu mir also den Gefallen und sei einmal zwanzig Jahre älter. Ich brauch’ dich.« »Herr Doktor — —« Und Moritz Lachner schob ruckweise seine Hand auf der Bettdecke vor. Otten nahm sie, klopfte sie und ließ sie fallen. Eine lange Pause trat ein. »Nun höre gut zu. Ich werde in ein paar Tagen wieder aufstehen können und in acht oder vierzehn Tagen die Klinik mit einem Badeort vertauschen. Dann wird wohl — die Verhandlung stattfinden, und was dann folgt, brauche ich dir kaum zu sagen. Du bist Student. Ein Jahr Ehrenbreitstein ist das mindeste. Hörst du auch zu?« »Ja — —« »Wenn von einem Menschen, der bisher nie ein Opfer für mich gescheut hat, gewünscht wird, daß ich mich in mir selber wiederfinde,« — Otten atmete tief — »dann lasse ich diesen Menschen bitten, mich mir selber zu überlassen. Du sollst hingehen und es ausrichten. Du bist eine weiche Seele und wirst die Worte finden. Auf dem Papiere wirkt so etwas kalt und verzerrt. Und du sollst hinzufügen: Geliebt, so wie dies Wort in Wahrheit empfunden sein will, hätte ich auf der Welt nur einen Menschen, und sie wäre es. Und diese Liebe wäre mein Bestes und würde mein Bestes bleiben. Deshalb könnte ich sie nicht wiedersehen — jetzt noch nicht. Denn um leben zu können, müßte ich fliegen können und nicht schleichen. Sie wird mich verstehen. Sie hat mich immer verstanden.« Moritz Lachner saß, die Hände im Schoß, und reckte im Schoß an den Fingern, um seine Bewegung niederzuhalten. »Willst du diesen Auftrag übernehmen, Moritz?« »Ja, Herr Doktor.« Otten reichte ihm die Hand. Sein Auge blickte fester, sein Wesen war ruhiger. »Und für Carmen einen besonderen Gruß. Sie hat eine schlimme Erbschaft von mir im Blut, wenn sie sie nicht zu veredeln weiß. Moritz, du wirst von Zeit zu Zeit nach ihr sehen. Finde nicht alles schön an ihr und halte nicht den Mund. Es stecken Werte in ihr.« »Ich weiß es, Herr Doktor.« »Komm morgen wieder.« — Bei seinem nächsten Besuch fand Lachner Doktor Otten außer Bett. Straff stand er und streckte ihm die Hände hin. »Jetzt geht’s bald hinaus. Ich kann’s kaum erwarten. Die Brust ist so intakt, daß sie sich am liebsten auch eine — neue Seele anschaffen möchte. Na — wird schon werden. Zunächst: Luft, Clavigo!« Er plauderte den ganzen Nachmittag, erzählte von den Fahrten seiner Jugend und seines Mannesalters, aber auf das Gespräch vom Tage vorher kam er nicht zurück. Er hatte abgeschlossen. Ein halbes Jahr später hatte er seine Festungshaft angetreten. Und die Tage waren dahingeschlichen wie mit Ketten belastet. Die Herren, die das Schicksal gleich ihm für kürzere oder längere Zeit auf den Ehrenbreitstein verschlagen hatte, verstanden sein reserviertes Wesen nicht. Sie verkürzten sich den Tag, so gut es ging, tranken zuweilen ein Böwlchen miteinander, machten fleißig vom Stadturlaub Gebrauch und nahmen ihre Inhaftierung als Formsache, nicht als Strafe. Nur Otten empfand die Schmach. Die Schmach, auf einen Flecken Erde festgelegt zu sein, in seiner Bewegungsfreiheit, in Willen und Selbstbestimmung beschränkt zu sein. Seine freizügige Natur gewöhnte sich nicht an das Schablonenleben. Und wie ein Schuljunge oder ein Rekrut »Erlaubnisse« nachsuchen — er lachte schon über den Gedanken. So wurde das Jahr für ihn zur seelischen und körperlichen Qual, und sie steigerte sich, wenn sich einmal ein Erinnern zum Ausgangspunkt verirrte. Um dieses Weibes wegen! Die statt des Mutes der großen Sünde nur Heuchelei der kleinen gekannt hatte. Und die ihn eitlen, verblendeten Mann durch ihre Feigheit mitbeschmutzt hatte. Darüber kam er nicht hinweg. Und aus dieser Stimmung heraus schrieb er an Frau Maria und bot ihr die Scheidung an. Um ihres Reinlichkeitsbedürfnisses wegen, das er weiterhin respektieren möchte. Sie schrieb ihm zurück, ohne weichliche Empfindelei, klar und stark. Sie lehnte die Scheidung der Ehe ab. »Es ist noch nicht lange genug her, als daß ich vergessen haben könnte, wie mein Herz auch ohne staatliche Sanktion zu Dir stand. Was würde die Scheidung daran ändern, da doch auch die ›Bindung‹ nichts daran zu ändern vermochte? Du bist frei, wie Du immer warst. Willst Du länger draußen bleiben, willst Du noch länger als sonst nicht zu mir zurückkehren, so weißt Du, Joseph, daß wir uns zur Liebe, aber nicht zur Klage erzogen haben. Deshalb kann ich zum erstenmale Deinen Wunsch nicht erfüllen. Du sollst Deinen Hafen behalten, und wäre es nur der Gedanke, daß Du ihn hast.« Wenige Tage vor seiner Entlassung hatte ihn ein unerwarteter Besuch aufgeschreckt. Der Fabrikant Karl Lüttgen aus Köln ließ um eine kurze Unterredung bitten. Sollte er ihn abweisen? Nicht doch. Es war in seiner Art ein Tapferer. Er nahm ein Billett und ersuchte ihn darauf, sich zwei Tage zu gedulden, da er nur gewöhnt sei, als freier Mann Besuche zu empfangen. Er würde übermorgen mittag in Koblenz im Hotel zum Riesen sein. Nun war er frei. Der mächtige Felsklotz, die letzte Bastion, die ihn bewehrte, lag in seinem Rücken. Schritt für Schritt wanderte er dahin, die Hände im Jakett, über die Schiffsbrücke, die nach Koblenz führt, jede Planke zählend, jedes Brückenjoch. Jeden Spaziergänger betrachtete er, jeden Arbeiter, und alle erschienen ihm interessant. Im Hotel zum Riesen war ein Zimmer für ihn reserviert. Er stand am offenen Fenster und blickte auf den Rhein, der ihm dicht zu Füßen floß, als der Kellner Lüttgen meldete. Langsam wandte sich Otten um. Und die beiden Männer sahen sich ruhig ins Auge. »Du bist alt geworden, Joseph.« Einen Augenblick zuckte es wie ein leiser Humor um Ottens Lippen. »Und du — wenig liebenswürdig.« »Verzeih. Ich bin ein Bär. Aber es war so auffallend, daß ich erschrak. Du fühlst dich doch nicht krank?« »Nur krank nach anderer Umgebung. Die der letzten Jahre war Gift für mich. Ich denke, die Sonne Italiens wird mir die Fremdkörper wieder aus dem Blut bannen und meiner Haut ein besseres Aussehen geben als diese Leichenfarbe.« »Du willst nach Italien? Sie ist auch dort.« Otten trat auf ihn zu. »Lüttgen,« sagte er, »unterlaß, bitte, selbst die Nennung des Namens. Nicht einmal der Name existiert mehr für mich.« »Ich habe das auch nicht befürchtet. Es wird über diesen Gegenstand in unserer Denkweise kaum noch ein Unterschied obwalten. Deshalb laß mich ruhig davon sprechen. Es geschieht nicht ihretwegen, sondern meinetwegen.« »Deinetwegen? Nimm, bitte, Platz.« Sie saßen sich gegenüber, und die Pause, die zuerst entstand, fiel ihnen nicht auf. Sie hatten beide warten gelernt. »Joseph,« sagte Lüttgen endlich, »ich wollte nicht, daß du abreisest und mich auch ferner noch für ein blutgieriges Scheusal hältst. Es galt damals nicht dir. Ich kannte doch ihre Evakünste und ihre Verleumdungskünste, und ich wußte, wer sie im Grunde ihrer Seele war. Es gibt Frauen, die kommen als Freundin irgend eines Ludwig des Vierzehnten oder Fünfzehnten auf die Welt. Sie arbeiten sich von Geburt an zu ihrer Bestimmung durch, und wenn sie auf diesem Wege zufällig an einen anständigen Kerl geraten, müssen sie ihn erst demoralisieren, bevor sie weitergehen. Mich hatte es gründlich gepackt. An dir wollte ich mich erholen. Und da mußte es auch dich packen. Siehst du, Joseph, ein einfacher Bruch mit ihr hätte mir mein Gleichgewicht nicht wiedergegeben. Diese verdammten spöttischen Augen hätten mich Tag und Nacht verfolgt. Ich mußte etwas finden, das mir das Übergewicht verlieh, das sie bis in den Kern demütigte. Und da faßte ich den unglückseligen Gedanken, dich herauszufordern, aus Haß gegen sie. Aus Haß gegen sie, und weil ich dich zu gern hatte, Joseph.« Otten nickte vor sich hin. »~Den~ Erfolg meiner Tischrede,« fuhr Lüttgen fort, »hatte ich ja nicht erwartet, daß sie dich verleugnen würde, daß ich nun sie nicht mehr in dir tödlich treffen könnte. Damit fielen ja eigentlich alle Weiterungen fort. Von dieser Jämmerlichkeit, die sie zeigte, hätte sie sich mir gegenüber nie im Leben wieder befreien können, und es war selbstverständlich, daß sie auf schnellstem Wege mein Haus verließ. Aber auch deine überlegene Ritterlichkeit kam mir überraschend. Nun konnte ich nicht mehr zurück, nun war ich aufs neue gereizt und wurde vorwärts gestoßen. Du schienst mir in meiner blindgewordenen Wut eine Neuauflage von ihr, und deine kühle Ritterlichkeit gegen die Dame, die dich soeben erst verleugnet hatte, hielt ich für einen verächtlichen Affront, verächtlich gegen mich. So kam’s. Und als du umsankst, merkte ich erst, wie lieb ich dich hatte. Joseph, ich möchte dich um Verzeihung bitten. Ich hab’ dich hineingerissen. Das Verwundern durfte nicht auf meiner Seite sein.« »Fertig, Lüttgen?« »Ich bin fertig.« »Ich nehme an, wir sitzen uns hier nicht gegenüber, um uns schöne Geständnisse zu machen. Hast du das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben, ich« — und seine Augen blitzten auf — »habe das Gefühl in erhöhtem Maße, ~an mir~ diesen Fehler begangen zu haben. An mir — —. Dadurch habe ich — wer weiß es — den Übergang versäumt, ohne den ein Leben Stückwerk ist.« Er stand auf, und auch Lüttgen erhob sich. »Gestern jung — heute alt. Das ist die Quittung, Lüttgen. Vielleicht erwischen wir noch mal einen Zipfel vom Gewand der Fortuna, wenn wir uns anstrengen. Anstrengen! Früher geschah das mühelos. Jedenfalls — will ich mich noch einmal auf die Reise machen. Du möchtest meine Hand, Lüttgen, und ich möchte deine. So —! Und nun ist alles abgeschlossen. =Vogue la galère.=« »Leb wohl, Joseph.« »Hab Dank, und leb wohl.« Am nächsten Tage fuhr Otten über den Gotthard nach Rom. »Ich hatte doch recht,« dachte er, »damals, als ich unterwegs Angst bekam, aus dem italienischen Frühling in den deutschen Winter hineinzufahren, und an der Grenze, in Basel, Station machte. Wie werde ich Rom wiederfinden? Was werde ich von mir dort wiederfinden? Und das ist meine Hauptsorge, denn ich bringe so wenig mit ...« Als er in Rom einfuhr, straffte sich seine Gestalt. Es war um die Osterzeit, und um nicht in eines der überfüllten Hotels gepfercht zu werden, rief er einen Kutscher an und ließ sich in ein Privatlogis fahren, Via Frattina, nahe der Spanischen Treppe. Mit heißen Blicken nahm er die Bilder in sich auf. Rom blieb immer Rom. Auf ihn kam’s an. Am Abend feierte er das Wiedersehen mit Heinrich Koch. Er fand ihn bei Peppe an der Fontana Trevi. Der feine Gelehrtenkopf hob sich überrascht bei seinem Eintritt, die Augen leuchteten hinter den Brillengläsern auf. »Alle vierzehn Nothelfer: der Joseph — —!« »Guten Abend, Heinrich. Ich bin wieder im Land.« »Den ganzen Tag über hatte ich so ein sonderbares Gefühl. Die Katze meiner Hausfrau putzte und striegelte sich, und die Signora sagte: ›Es kommt Besuch‹. Katzen und Weiber haben die feinste Witterung. Joseph — Joseph — wie ich mich freue.« Er zog ein Glas von der Mitte der Tischplatte heran, schwenkte es mit ein paar Tropfen Wein um und goß es bis zum Rande voll. »Es gilt dein Wohl. Trink und sei willkommen.« »Und dein Wohl, Heinrich .... Wie das schmeckt.« »Laß dich ansehen. Ein verwunderlicher Mensch, der nicht mehr weiß, wie der Genzano mundet. Bist du mit Odysseus im Reich der Schatten gewesen? Wo nur blutgefüllte Schalen die armen Teufel laben? Probier noch einmal.« »Du hast es, ohne zu wollen, getroffen, Heinrich. Ich komme aus dem Reich der Schatten und strebe in die Sonne zurück.« »Du hast dir einen ernsten Stimmklang zugelegt. Und du warst zwei Jahre verschollen.« »Glaubst du, daß man zwei Jahre nicht wiedergewinnen kann?« »Ob man sie wiedergewinnen mag, ist die Frage.« »Du bist — orientiert?« »Warte einmal,« sagte Koch nachdenklich und rückte an der Brille. »Es muß lange her sein, oder es scheint mir nur so, weil sich mir die Minuten oft zu Ewigkeiten dehnen, da drang eine vage Kunde herüber. Von irgend einem hitzigen Abenteuer, in dem Joseph Ottens Sturmpanier flatterte. Aber ich habe dein Sturmpanier so oft flattern sehen, daß es mich weiter nicht überraschte. Es ist — schlimm geworden für dich?« »Dank deinem Schöpfer täglich für dein Zölibat. Und halte die Flasche nicht fest.« »Für mein Zölibat?« wiederholte Koch und schenkte ein. »Zwischen Serail und Zölibat gibt es noch eine Zwischenstufe. Wir wollen das nicht weiter erörtern, es steht unseren grauen Köpfen nicht mehr zu Gesicht. Denn jetzt sehe ich erst, auch deine Locken mußten den Tribut zahlen, du bist grau geworden, aber es kleidet dich.« Otten blickte von seinem Glas auf. »Spricht man hier noch zuweilen von mir?« »Du mußt von Rom nicht mehr als Rom verlangen. Hier ist der Taubenschlag der Welt. Tauben fliegen aus, und Tauben fliegen zu. Und jeder möchte hier seine Zeit erfüllen.« »Das heißt: ich bin in Vergessenheit geraten — —« »Bei den Alten nicht. Aber die Jungen fordern stürmischer als früher. Oder kommt uns das nur so vor, weil wir langsamer werden. Namen werden jetzt über Nacht geprägt, Künstler auf den Schild gehoben, um morgen schon eines Neuen wegen heruntergeworfen zu werden, man ist so hurtig im Vergessen wie im Proklamieren, und augenblicklich hält unter den Musikanten ein Münchener Heldentenor Hof, ein hübscher Schlingel, dessen Stimme auf Weibernerven geht.« »Hat er Verstand?« »Ich sage dir doch: er hat Stimme.« »Was geben die Freunde an? Fragen sie zuweilen nach mir?« »Hier fragt man nur nach denen, die in der Zeitung stehen. Man las nichts mehr von dir, man hielt dich für gestorben.« »Und vergaß und ging zu den Neuen über.« »Und ging zu den Neuen über.« Otten trank langsam einen Schluck Wein. »Und du, Heinrich?« »Mein lieber Junge, ich lebe hier als Kuriosität der Weltgeschichte, ich bilde mich zu einer römischen Sehenswürdigkeit aus. ›Haben Sie schon den Professor Koch kennen gelernt, den großen Historiker, der nicht nur die Geschichte der Päpste, sondern auch die ihrer Weine kennt, das trinkfeste Kirchenlicht, das die Pfaffen nicht leiden kann?‹ Kein wissensdurstiger Fremdling, dem diese Frage nicht gestellt würde. Und ich lerne die Menschen zu Tausenden kennen. Sie werden nicht besser, Joseph, nur dreister. Und das Sprichwort bleibt zu Recht bestehen: Der alte Freund sei nicht verschmäht, du weißt nicht, wie der neue gerät.« Er reichte ihm die Hand über den Tisch. »Wir beide, Joseph, wir bleiben die alten. Sonderbar, woran es liegt. Mir ist, als verständen wir uns heute, wo die Zeit die Karten gleichmäßiger verteilt, noch besser. Als Geistlicher fing ich mit einem Verlust an, du als Künstler mit einem starken Plus. Wie lange dauert’s noch, und wir sind beide dasselbe — einsame Menschenkinder.« »Nie!« »Ich wünsche dir noch ein Lustrum, nein, ein Dezennium. Und wenn meine Prophetie ganz zu Schanden wird, will ich ein Tedeum singen. Otten, lieber Kerl, ich sage dir das auch nicht, um dich zu schrecken, ich sage dir das für den Fall, daß es auch dir einmal um deine Gottähnlichkeit bange wird und du ein Königreich für ein Menschengesicht gibst, das deinem gleicht. Dann erinnere dich an mich. Wir beide zusammen, wir können Himmel und Erde Trotz bieten. Denn wir haben die gemeinsame Erinnerung an die Jugend. Was mag der alte Klaus machen?« — — — »Lebt die kleine Eccellenza noch in Rom?« »Sie ist mit ihrem Gatten nach Rio de Janeiro versetzt. Einmal schickte sie ihre Duenna zu mir und ließ nach dir fragen. Du warst kaum fort.« »So, so! — — Sie ließ nach mir fragen. Das freut mich an ihr.« — — An einem wundervollen Frühlingsnachmittag fuhr Otten in die Campagna hinaus. Er fuhr allein. Die Gesellschaft, mit der er sich verabredet hatte, hatte die Rendezvousstunde nicht eingehalten und war schon voraus. Er lehnte in seinem Wägelchen und ließ sich von der Sonne bescheinen. Gemächlich trabte das Pferdchen. Früher, vor zwei Jahren noch — und er hätte den Kutscher durch Trinkgeldverheißungen angespornt, das Ziel zu erreichen, wo er mit Evvivas erwartet wurde. Heute hatte er Zeit. Man würde ihn nicht vermissen. Um ihn her stand die Campagna in Blüte, die unabsehbaren Wiesen und Weiden waren mit leuchtenden Farben bedeckt. Ein verträumter Blick strich darüber hin. Die Campagna blühte. Was weiter? Wie üblich, wandte sich vor der Osteria, der Faccia Fresca, der Kutscher auf dem Bock seinem Fahrgast zu. Halten? Otten gab ihm ein Zeichen. Er wollte sehen, ob seine Gesellschaft in den Lauben hängen geblieben sei. Glas und Flasche in der Hand, ging er durch die Reihen der Schmausenden und Zechenden. Nichts. Und er setzte sich an ein Tischchen und trank seinen Wein. Das Volk schrie, lärmte und lachte wie immer an dieser Stätte der Freude, die Bänkelsänger schmetterten ihre Arien, die Gitarren summten, die Mandolinen zirpten, und das Tamburin dröhnte und rasselte. Otten blickte auf. Ein braunes, buntkostümiertes Ding hielt ihm, einen Soldo heischend, die Hand hin. Schwarze Augen funkelten ihn an, als wären sie nur für ihn auf der Welt. Beim Nachbar würden sie genau so funkeln. Er reichte dem Mädchen ein Geldstück und sah ihm nach, wie sie mit wiegenden Hüften von Tisch zu Tisch schritt. Beim Nachbar — —. Früher hätte er den Teufel danach gefragt, ob es außer ihm auch einen Nachbar gäbe. Aber er mußte inzwischen wohl scharfsichtiger geworden sein. Sie hatte braune, staubige Hände gehabt, und die Tische waren unsauber, und der Kellner, der den Wein trug, hielt einen Finger in jeder offenen Literflasche. Hier hatte er einmal gejauchzt: »Jugend, du meine Jugend, ich halte dich!« — — — Und es war sicher nicht schöner gewesen — dazumal. War es denn wirklich so unbeschreiblich schön? Mit langem Blick sah er in die Landschaft, und er fand eine melancholische Note darin, eine Note von raschem Vergehen, die er nie vorher bemerkt hatte. Wäre doch Koch hier, der alte Römer, um ihn zu befragen. Und er hörte deutlich die Stimme des Freundes: »Die Landschaft ändert sich nicht. Die Menschen ändern sie.« — Er saß in seinem Wägelchen und fuhr die Straße aller Straßen, die Via Appia entlang. Und er sah nur die Ruinen, und nicht ihre Majestät. In der Osteria antica fand er die Gesuchten. Sie saßen auf dem Dache der Schenke, und der Kreis öffnete sich kaum, als Otten sich zu ihnen gesellte. Der junge verwöhnte Heldentenor gab seine Aventiuren zum besten. Prinzessinnen kamen genug darin vor, aber keine Drachen. Die Zeit der Märchen war einmal. Irgendwer stellte Otten vor. Der junge Sänger blickte verwundert auf. »Was? Sie leben noch? Ihren Namen hörte ich doch früher schon?« »Ich leider den Ihren bisher nicht. Ich war ein paar Jahre in der Wüste.« »Gibt es wirklich eine Wüste, in der man meinen Namen nicht kennt?« lachte der junge Sänger. Und das geschärfte Ohr Ottens hörte aus dem gewollten Humor die Eitelkeit heraus. »Man kannte kaum noch den meinen,« replizierte er scherzend. »Ja, nun sind auch wir an der Reihe! Die Schmachtlapperei des Lieder- und Balladensingsangs hat ein Ende. Nur auf dem Theater steht man seinen Sängersmann, vorausgesetzt, daß man modern genug ist, den Zug der Zeit zu empfinden.« »Jede Zeit hat ihren Zug, Verehrter, also ist auch jede Zeit modern. Das Wort hat keinen Bestand.« »Na, das ist gut! Schauen Sie sich unsere modernen Komponisten an, und wie sie sind wir modernen Sänger. Wir sind keine fahrenden Bohémiens mehr, wir sind Weltleute erster Ordnung. Und aus diesem Geist heraus produzieren wir.« »Ob die Poesie ihre Zelte gerade unter den Weltleuten erster Ordnung aufgeschlagen hat? Meine Herren, ich rufe Sie zu Zeugen auf. Wir holten sie oft genug aus Trastevere.« »Degradieren Sie uns nicht, Doktor, vor dem Maëstro.« Der Junge war der Maëstro, er war der Doktor Otten. Nichts ist dauernd als der Wechsel. Er lächelte vor sich hin. »Kurzum,« rief der Junge, »wir haben das Heft in der Hand, und wir gedenken es zu brauchen. Die Saat ist reif, der Schnitter naht! Die Jugend hat das Wort.« »Doktor, vergessen Sie nicht, daß Sie auch einmal jung waren!« »Auch einmal ... Nein, das vergesse ich nicht. Aber die Jungen vergessen, daß sie ~auch einmal~ alt werden.« »Was heißt das?« »Die Jugend wird eines Tages — das Alter sein. Und hinter ihr wird eine neue drängen und schieben und die Tempel zusammenschlagen. Und sie wird mit verständnislosen Augen zuschauen müssen. Müssen! Meine Herren, alle ehrlichen Künstler, alle ehrlichen Menschen sollten die Grenzscheide zwischen jung und alt darum lieber verwischen, als sie zu verstärken. Die glatte oder die runzlige Haut? Im alten Kanonenöfchen brennt das Feuer oft am heitersten.« »Sie verderben die Stimmung, Doktor. Lustig sein, fröhlich sein!« »Ich bin sehr aufgeräumt.« Als sie gegen Abend aufbrachen, benutzte Otten seinen Einspänner. Der große Landauer hatte keinen Platz mehr für ihn. Sechs saßen im Wagen, ausgelassen wie Kinder, der siebente kletterte zum Kutscher auf den Bock. Als er in sein Wägelchen stieg, zwang ihn etwas, einen Blick zur Seite zu werfen. Eine Equipage war vorgefahren. Ein hochgewachsener Herr mit breitem Vollbart, ein bekannter Bildhauer, stieg aus und ging grüßend an ihm vorbei in die Osteria, um einen Fiasko Wein an den Wagenschlag zu holen. Die im Wagen saß, war Frau Amely. Eine Sekunde lang blickten sie sich in die Augen. Dann hob sie das Lorgnon und ließ es wieder fallen. Ohne eine Gesichtsregung wandte er sich ab, bestieg sein Gefährt und fuhr an ihr vorüber. Die Campagna lag in Rot und Gold. Und über ihr stand ein purpurner Baldachin. »Abendsonne ...,« sagte Otten und blickte auf den Rücken des Kutschers. — — »Ich muß weiter,« gestand sich Otten nach einigen Tagen, »ich hab’ mich noch nicht in der Faust. Man tritt nicht aus der Reihe der Menschen aus und nach geraumer Zeit wieder ein in gleichem Schritt und Tritt. Das Marschtempo hat sich für uns geändert, wir müssen umlernen. Dafür ist Rom nicht der Platz.« Und er sagte es seinem Freunde Koch. »Daß du den Mut dazu hast, Joseph ...« »Den Mut zum Leben? Ich denke ihn noch ausgiebig zu beweisen.« »Ich wollte, ich könnte auch noch umlernen. Herr Gott, heraus aus der ganzen Verlogenheit. Junge, wenn ich daran denke, wie wir wie die Holundermännchen über Bord sprangen und untertauchten, wo es am tiefsten war. Das war Musik, wenn einem der Strom in den Ohren grollte. Das sollte noch ganz andere Musik werden! Und nun steige ich Jahrzehnt für Jahrzehnt in seichtem Wasser herum, und der Lebensstrom braust dahinten.« »Es ist dein Beruf, Heinrich.« »Beruf ist, wozu man berufen ist. Zum Historiker war ich berufen, nicht zur Tonsur. Und sie ist mit den Jahren größer geworden, nicht kleiner. Hat es die Religion so nötig, Zwangsjacken anzuwenden? Müssen wir Priester immer noch eine finstere Kaste bilden, statt die Sonne dieses Lebens zu verkünden und Gott zu loben, wenn wir sie und seine Güte an uns selbst am stärksten empfinden? Im Fleisch ist der Teufel! Welch ein mittelalterlicher Blödsinn.« »Leg dein Amt nieder, Heinrich.« »Wir sind auf Lebenszeit. Jetzt, wo ich bereits auf dem Abstieg bin, wird mir erst die Bedeutung dieses Wortes klar. Auf Lebenszeit — —. Das ist nun für die Winde. Und wir abenteuern mit dem Surrogat herum.« »Abenteuern —?« »Jawohl. Du hast mich richtig verstanden. Ich schlage mich mit Teufeln und ähnlichem Gelichter, mit Höllenstrafen und Bußfertigkeiten, mit Mirakeln, Dogmen und Stigmatisierungen. Und ich könnte das alles mit einem einzigen, seligen Lachen hinwegfegen, ein religiöser, aber ein freier und glücklicher Mann sein, wenn ich mich noch einmal von Herzen zu lachen getraute. Bis dahin abenteuere ich. Just wie du. Durch Sünde und Tugend. Nur daß du es freiwillig tust, — und Freiheit, echte Männerfreiheit, ist immer das Kind der Größe.« »Komm mit mir in die Welt. Ich singe, und du gehst sammeln.« »Und wenn es ein Scherz wäre, ich tät’s, Joseph. Aber ich habe meine Kirchengeschichte noch nicht abgeschlossen. Es fehlen noch ein paar Bände. Und einen Torso hinter sich zurücklassen, als Summe seines Lebens und Strebens, das würde mir selbst im Himmel keine Ruhe lassen. Reinliche Scheidung! — Wohin willst du?« »Mein Agent drängt schon lange auf eine umfassende Tournee durch ganz Amerika. Ich werde ihm telegraphieren, daß er sofort zum Angriff vorgehen läßt. Ich kann alsdann in vierzehn Tagen an Bord sein und den Säulen des Herkules ein Lebewohl zuwinken. Ade, alte Welt! Im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten wird es auch für mich die Möglichkeiten geben, wieder — der Joseph Otten zu werden.« »Willst du,« sagte Heinrich Koch nach einer Weile, »mir eines versprechen, Joseph? Bei unserer alten Knabenfreundschaft?« »Sag es mir.« »Über Italien zurückzukommen, wenn du in ein paar Jahren heimkehrst? Ich — ich will — bis dahin fleißig sein — fleißig an der Kirchengeschichte.« »Ich verspreche es dir, Heinrich.« »Sieh, jeder von uns ist in Verlust geraten. Vielleicht, wenn wir die Restbestände zusammenlegten —?« »Das müßte verdammt fidel sein. Ich fürchte nur, wir werden uns totlachen.« »Taxierst du deine Widerstandskraft so gering ein?« »Alter, ich gehe zu den Yankees. Was die an Leib und Seele von mir übrig lassen sollten, will ich gern als meinen Geschäftsanteil einzahlen.« »Topp, Joseph, ich warte. Das übrige findet sich mit dem Tag.« — — — Nur Heinrich Koch war auf dem Bahnhof, als Joseph Otten abreiste, um sich in Neapel einzuschiffen. Joseph Otten trug den Kopf im Nacken, wie in alten Tagen. Die Ferne winkte, und er wollte sie bestehen. Aber es war der eiserne Wille, der ihm die Spannkraft gab, nicht die treibende Sehnsucht. Die beiden Männer standen schweigend auf dem Bahnsteig. Der Zug lag reisefertig. »=Partenza —! Pronti!=« Heinrich Koch schob die Brille hoch und berührte des Freundes Stirn mit den Lippen. »Adjüs, Jupp.« »Adjüs, Drickes ...« Und als der Zug aus der Station rollte, zog der geistliche Professor sein Schnupftuch aus dem langen, verschabten Gehrock und schrie aus Leibeskräften und mit dem Tuche winkend hinter dem Abfahrenden her: »Alaaf Kölle! Jupp! Alaaf Kölle!« =XV= Noch einmal hob sich der Name Joseph Otten zu seinem alten Glanz. Aus der Neuen Welt kamen die Berichte, begeisterte Hymnen auf den Zaubermeister, der Lieder und Gedichte wie Lebewesen behandelte, deren Seelen er anrief und befreite. Ein Jahr lang und ein zweites lösten sich die großen Städte Amerikas in den Lobpreisungen ab. Mit Staunen las man in Deutschland von den außergewöhnlichen Erfolgen des Mannes, dem man selber einst zujubelte und den man längst zu den Verschollenen gerechnet hatte, und nur die Kenner der Verhältnisse lasen zwischen den künstlerischen Kritiken das Trompetengeschmetter des Impresarios heraus, der seine Amerikaner kannte und ihrem Sensationsbedürfnis durch die Erzählung von Wunderdingen aus dem Leben des interessanten Meisters entgegenkam, die ihn nicht nur als den einzig dastehenden Künstler seiner Art, sondern auch als den letzten Ritter ohne Furcht und Tadel feierten. »Amerika,« sagten die Wissenden und zuckten mit den Achseln. Joseph Otten war in Amerika populär geworden. Er wußte längst den Grund. Er wußte, daß seine Person stärker in den Vordergrund gezogen wurde als sein Künstlertum, und als er eines Tages in einer Zeitung die aufgebauschte Schilderung seiner Abenteuer las, unter dem Motto: »Mit Mädchen sich vertragen, mit Männern ’rumgeschlagen,« da färbten sich seine Wangen. Aber er unternahm keine Schritte. Mit einem verächtlichen Lächeln schob er das Zeitungsblatt zur Seite, und von dieser Stunde an blieben die Zeitungen unberührt vor ihm liegen. »Man muß die Menschen nach Verdienst behandeln,« sagte er sich. »Wollen sie ihr Geld lieber ihren niederen als ihren höheren Instinkten opfern, so sollen sie es. Ich will sie als Leitersprossen benutzen.« Und mehr und mehr lebte er sich in den Gedanken hinein, sich in Amerika ein neues Vermögen zu sammeln, um seinen Lebensabend fernab der Welt nach seinem Geschmack zu verbringen. Nach den größeren Städten kamen die kleineren an die Reihe, er durchzog die Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko kreuz und quer, er nahm die Tournee durch die Metropolen zum zweiten Male auf, und als er an einem Maiabend in New York den Dampfer bestieg, der die Reise nach Genua antrat, waren aus den zwei Jahren, die er bei seiner Landung für Amerika angesetzt hatte, vier Jahre geworden. Stiller noch, als er ausgefahren war, kehrte er zurück. Nur Joseph Otten kam. Der Rest seines Künstlertums lag in der Neuen Welt begraben. Nun gedachte er Abschied zu nehmen. Einen letzten, großen Blick noch wollte er von dem Lande, das er Zeit seines Lebens vor allen anderen geliebt hatte, mit hinübernehmen in seine Zurückgezogenheit, noch einmal wollte er still Italien durchziehen, bevor er die Alpen zwischen sich und die verlorene Jugend legte. In Neapel verließ er das Schiff und nahm am selben Tage den Dampfer nach Palermo. Jeden Fuß breit italienischer Erde wollte er noch einmal grüßen. Heiß stach die Sonne, aber er hatte viel Sonne einzusammeln für den Winter, den er auf sich warten wußte. Abschied ... Es lag an dem Wort. Die »Conca d’Oro«, die goldene Muschel, lag mit goldener Sonne, goldenen Früchten angefüllt zwischen den Bergen, die Palermo umgürten. Und der strahlende Garten der Natur, bis zu den Höhenzügen bedeckt mit Blumenauen, Orangen- und Zitronenwäldern, tat seinen Augen weh. Den immergrünen Hügel Monreale mit dem Dom der normannischen Könige ließ er hinter sich, der Märchenpark der Villa Tasca bedrückte ihn mit seinem schweren, süßen Duft, im Dom zu Palermo herrschte ihm zu geschäftiges Treiben, und nur an die Porphyrsärge der Hohenstaufenkaiser, des gewaltigen und gewalttätigen sechsten Heinrich und des lachenden Siegers, des zweiten Friedrich, lehnte er sich an und träumte von der alten Germanensehnsucht nach dem Sonnenlande jenseits der Alpen. Porphyrsärge ... Eingesargt. Das deuchte ihn die richtige Umgebung. Sich stärken an dem Schicksal der Toten. Den Wert des eigenen Daseins nicht gar so hoch anschlagen. Eine Stunde ist, die wartet auch auf uns. Unter der Erde wanderte er dahin, dem roten Lichtschein einer Lampe nach, die eilig vor ihm einherschwankte. Er selber trieb ihren Träger zur Eile. Und doch durchwanderte er ein Reich, in dem die Zeit aufgehört hatte, Bedeutung zu gewähren, die Katakomben des Klosters Cappuccini. In der Hallengruft widerhallte sein Schritt. Weiter, weiter! Das war nicht, was er suchte, das schuf keine stolze Überlegenheit, das schuf Ekel. Die Größe und Erhabenheit des Todes, die selbst aus zerbrochenen und geleerten Gräbern sich aufreckt bis in die Welt des Lebens hinein und sie mit Schauern der Ehrfurcht erfüllt, hier hatte sie einem Mummenschanze Platz gemacht. Und sein zorniger Blick streifte die in die Gewänder ihres Standes eingekleideten Mumien, die in Bündeln von den Wänden hingen, in Gruppen beisammen standen, in gläsernen Särgen oder wurmstichigen Kisten lagen, jedem profanen Blick, jeder profanen Berührung preisgegeben, Haut und Knochen vom Staub der Jahre gelb, braun und schwarz. Frauen, die einst in Schönheit prangten, deren Schönheit einst von Gatten und Brüdern eifersüchtig bewacht wurde, stellten unter zerfetzten Lumpen ihre verschrumpften Glieder bloß, Matronen, mit den Überbleibseln einer Haube und eines Hemdes bekleidet, Kinder und Säuglinge in verstaubten Bettchen. Aus den Ecken glotzten Offiziere, vornehme Palermitaner, kirchliche Würdenträger. Noch sproß ihnen aus Kinn und Schädeldecke das mottenzerfressene Haar. »Sehen Sie her, mein Herr,« sagte der Führer, »ein Priester aus dem Jahre 1620. Er hat noch die Zunge im Munde.« Und er öffnete dem Baumelnden den Mund, bewegte darin die zu Leder gewordene Zunge und strich sich vergnügt den Bart. »Avanti, und der Teufel hol’ dich.« Noch einmal hielt der Führer an, nahe dem Ausgang. Von einer Kiste schlug er den Deckel zurück und hielt die Lampe hoch. »Ein General Garibaldis, vor Palermo gefallen.« Joseph Otten trat näher. Er stand, bis ins Innerste ergriffen. Ein Tapferer wird für ein Trinkgeld gezeigt. Weshalb bist du gestorben? Wofür? — — — Auf dem Boden der Kiste ruhte ein schlanker Mann in weißem Totenhemd. Schwarzes Haar lag in Strähnen um den wundervollen Kopf, ein krauser schwarzer Bart umgab das Kinn. Feierlichen Ernst auf den blassen Zügen ging einst der Brave zur letzten Ruhe. »Ahntest du dein Geschick? Daß man dich wie ein ausgestopftes Tier zur Schau stellen würde? Daß man selbst dein Totenhemd auf der Brust zerreißen würde, um hysterischen Weibern zu zeigen, wie sich noch nach Jahrzehnten das dichte schwarze Haar auf deiner Heldenbrust kräuselt? Der Dank der Nachwelt für den Auserwählten ... Ruhe in Frieden. — Es klingt wie ein Hohn.« — Joseph Otten stand auf hoher Felsenstufe, und sein Auge suchte Syrakus. Nicht die Häuserreihen auf der einstigen Insel Ortygia, die heute den Namen führen wie den Schall tönenden Erzes und einer klingenden Schelle. Er suchte Syrakus, die glänzende Stadt des Altertums, die Gewalthaberin zweier Meere, und sein Auge schweifte über Stein und Geröll in leeres, einsam gewordenes Land. Nur die Meere waren geblieben durch die Jahrtausende, und die Wasser des Afrikanischen Meeres vermählten sich flüsternd den Wassern des Ionischen Meeres wie in alter Zeit. Und wieder gedachte Otten des Schicksals, das mitleidslos Ruf und Ruhm hinweggewischt. Ausgelöscht war die Spur der Städtekönigin im Antlitz der Erde, und die Steine der niedergebrochenen Mauern waren zerstreut in alle Winde. Weithin bis zum Horizont dehnte sich kümmerlich bewachsenes Land, und trostlos hallten die großen Namen aus dem Munde des Wächters, der auf der Theaterstufe neben ihm stand, den Arm bald hierhin, bald dorthin streckte und die Stadtteile ausrief, die, unter lastende Erde gebettet, dem Menschenwort so weit entrückt waren: Ortygia mit der sagenhaften Quelle Arethusa, Achradina, Tyche, Neapolis, Epipolä! »Wo sind die Tempel der Götter? Wo ist Hierons gewaltiger Palast und die ragende Akropolis des Tyrannen Dionys, des Mannes, der seiner Zeit den Stempel seiner Größe gab und den die Legende verunstaltete? Das Ödland gibt keine Antwort. Oder doch? Will es, daß du es heißer beschwörst?« Er stieg die Stufen hinab, deren Reste man dem Schoß der Erde entrissen hatte, kümmerliche Reste ohne den Schmuck der feierlichen Säulen und der heiteren Kapitäle, die einstmals hier das herrlichste Theater Großgriechenlands schmückten. Und er stieg weiter, in den Bauch der Felsen hinein, die vor Jahrtausenden ihre Quadern hergegeben hatten zum Wunderbau der Stadt, in die Steinbrüche, in die Latomien. War er der Welt entrückt? Hatte er dennoch den Pfad gefunden zum Garten Eden, dem verschollenen? Schwindelnd hohe, glatte Felswände bedrängten ihn links und rechts, dumpfer schlug das Herz, wie zwischen Gefängnismauern — da — plötzlich — ein Felstor. Die Wände wichen zurück, eine Talmulde öffnete sich, ein Kleinod, von der steinernen Wächterkette gegen unberufenen Einblick geschützt, ein Paradies voll Rosen und Myrten, Lorbeer und Palmen, voll Blumen und Bäumen jeder Art. Still und weich wob die Luft. Und die Sehnsucht, die den Menschen treibt und treibt, seit er den Garten Eden verlor und ihn nicht wiederfinden kann mit der heimverlangenden Seele, ließ ab, den Wanderer zu quälen. Wie in geweihter Stätte faltete Otten die Hände. Ein Blumenmärchen ... Und unter einem Blumenmärchen schlief ein Großes, schlief eine Städtekönigin, das alte Syrakus, den Todesschlaf. Wie schön das war. Tot — und unter Blumen. — — Ein neuer Steinbruch, eine neue Blumenlatomie nahm ihn auf und entriß ihn dem Tage, der hinter ihm zurückblieb. Ein seltsam gewundener Gang leitete ihn durch das Herz des Gesteins, und eine Erinnerung durchzuckte ihn: Du bist im »Ohr des Dionys«. Der Führer sprach. Wie Schreien und Toben klang es von den Wänden, deren Ende er nicht sah, wie Jammern, Weinen, Wahnsinnslachen. Hier schmachteten die Tausende der Athener zu Tode nach der unglücksvollen Schlacht bei Syrakus, die Demosthenes und Nikias mit dem Kopfe zahlten. Hoch oben in der Spitze des Felsens ein kleines Gelaß. Und die Legende will, daß der Tyrann Dionys darin wohnte, die Gespräche der Gefangenen zu belauschen. Denn der Widerhall des geflüsterten Wortes wuchs hier zur dröhnenden Meeresbrandung. Schweigsam ging Otten hindurch. Und er hörte die Steine reden vom Niedergang Athens und vom Blute seiner Edelsten, und er hörte sie reden vom Stolz der Siegerin Syrakus, an der sich nicht minder das Schicksal erfüllte. »=Sic transit gloria= ...« murmelte er. Und tiefer noch drang er ein zu der verschollenen Stadt. Es war etwas in ihm, was ihn trieb, Tod und Vergängnis zu erforschen, während die heiße Sonne Siziliens das Land in Flimmer badete. Vor ihm schritt ein Kuttenträger, ein Mönch des Kirchleins San Giovanni. An eiserner Kette schwang er ein antikes Öllämplein, und das rotflackernde Licht beleuchtete gespenstisch die Katakombengänge. Der abschüssige unterirdische Weg machte jäh eine Wendung, der Kuttenträger hielt stumm die Lampe hoch, und vor ihnen verzweigte sich ein Labyrinth. Eine Stadt breitete sich aus in Straßen und Gassen. »Hier ist in Wahrheit das alte Syrakus,« sagte sich Otten beklommen, »ich bin in der Stadt der Toten.« Stille Behausungen sind es, die den Schritt zu beiden Seiten der Gänge hemmen, den Atem schwer machen. Gräberkammer reiht sich an Gräberkammer, Tausende reihen sich an aber Tausende. Hier schläft ein ganzes Volk. — Dort eine Familie der Herrschenden in geräumigem Ahnengrab, dort ein einzelner, dort ein Kind. — — Nein, sie schlafen nicht mehr hier. Man hat ihre Knochen, ihre Heiligtümer, ihren Schmuck, ihr Totengeld und ihre Lampen weggeführt in die Museen, in Schaukästen, hinter Glasscheiben, und nur die leeren Gräberkammern, Tausende an aber Tausende gereiht, erzählen dem Wanderer: »Hier hast du, was du suchtest. Hier hast du Syrakus —.« Die Sonne zu Häupten, durchzog Otten Kalabrien. An Tempeltrümmern, Sarazenentürmen und Normannenkastellen vorüber zog er die endlose, einsame Küste entlang, und der blühende Wechsel antiker und romantischer Schönheit sagte ihm nichts, er sah nur den Tod am Werk, den Verfall. »Ich hätte es lassen sollen,« dachte er oft, »das Bewußtsein, das alles nicht mehr wiederzusehen, legt mir eine graue Binde über die Augen.« Lange Strecken hatte er mit einem kleinen Gefährt zurückgelegt, jetzt benutzte er die Bahn bis Neapel und fuhr ohne Aufenthalt hinüber nach Capri. Der Juni hatte die Herrschaft übernommen. Aber nicht wie sonst um diese Jahreszeit blickte eine erhitzte Sonne auf verbranntes Gebüsch und einen verwelkten Blumengarten. Noch hatte der Frühling Macht, ein schwärmerischer Spätfrühling, der nicht weichen wollte von den bunten Gestaden. Über Capri lag ein Duft von blühendem Ginster, Myrten und Lorbeer. Schmeichlerisch strich er über das silberblaue Meer dem Duft entgegen, den die Gärten von Sorrent als Antwort auf stummes Werben sandten. Die Menschen aber, die jahraus, jahrein aus dem Norden kamen und die braunen Caprioten verschwinden machten vor ihrer vierfachen Überzahl, ließen die Dampfer nach Neapel leer zurückkehren und behaupteten Monte Tiberio und Monte Solaro, die große und die kleine Marina weiter, weil ihnen der Frühling das Beispiel gab. In wohligem Hindämmern lag die Insel befangen. Man atmete nur ... Verstimmt zog sich Otten von dem Menschenvolk zurück. Er hatte geglaubt, die Insel in sommerlicher Abgeschiedenheit zu finden. Und nun überall die schwatzende, neugierige, intrigierende Gesellschaft, wie sie sich so gern auf Capri findet. In der blauen Luft wuchsen jenseits des Golfes die Umrisse des Vesuvs. Der hämische Feuergeist des Berges begann sich zu langweilen in dem Frieden der Natur, und der Träumereien müde, spie er seinen Groll hoch in die Luft. Noch sog das Tageslicht den Feuerschein auf. Nur eine gewaltige Rauchsäule preßte sich aus dem Kratermaul und füllte den Himmel über sich mit Wolken. Von der Piazza des Städtchens Capri sah man hinüber und ging weiter. Am Spätabend wanderte Otten noch einmal hinaus zu der Mauer, die sich hoch oben am Hang, über der großen Marina befindet. Nach dem Geschwätz der reisenden Philister sollte die Natur zu ihm reden. Und sie redete. Fand drüben an der in Nacht getauchten Küste ein Feuerwerk statt? Hatte man einem weltfahrenden Heros zu Ehren den Vesuv illuminiert? Die mächtige Pyramide ragte wie ein Zauberbild allein aus der Nacht hervor. In kurzen Zwischenpausen quoll ein Strom von Glut aus seinem Kegel, und den Flügel des Berges zeichnete eine flammende Kontur. Nichts sonst zu erblicken in meilenweiter Runde. Schweigendes Dunkel, und in der Ferne, weit überm Meer, ein feuriges, flammendes Rätsel. Zwei Nächte kam Otten an den Platz zurück, dann gab er der Lockung nach. Als der Frühwind über die See strich, trug ihn ein Schifflein an den Grotten Sorrents vorbei, hinüber nach Vico equense, wo er einen Wagen fand. Und unter Peitschengeknall und anfeuerndem Aoh! des Wagenlenkers ging es pfeilgeschwind die Straße entlang, durch Castellamare hindurch, vom Meere ab durch Wiesen und Felder, bis von leichter Anhöhe das alte, wiedererstandene Pompeji aus trostlos leeren Augenhöhlen ihm entgegenstarrte. »Die Drahtseilbahn auf dem Vesuv ist seitens der Regierung wegen drohender Gefahr gesperrt,« meldete zungengeläufig der Hotelier an der Straße. Was ging ihn das an? Umso besser nur. Er würde allein sein in der Feuerregion. In Bosco reale nahm er gegen Hinterlegung einer Pfandsumme einen Gaul. Die Mittagsglut scherte ihn nicht. Ritt er doch der Glut entgegen, die geheimnisvoll die atmende Brust der Erde erfüllte, die einen Ausbruch suchte, um sich nicht selbst zu verzehren. Das war ein Bild, das ihm vertraut erschien. Die Gärten blieben zurück und die immergrünen Hecken. Nach anderthalbstündigem Ritt ein letztes, einsames Gehöft, die Casa Bianca. Einen Schluck Lacrimae Christi mit auf den Weg, und vorwärts! Längst war das Haus verschwunden. Er ritt über den Rücken des Berges, über das endlose Steinfeld der Lavaströme. Kein Weg, kein Steg. Kein Baum, kein Strauch. Braune, stahlharte, messerscharfe Lavamassen, soweit das Auge reichte. Kein Ruf des Lebens mehr, der das Ohr erreichen konnte. Hier schritt der Tod zu seinem Herrensitz, und hinter ihm blieb verbrannte Wüste .... Das Pferd suchte schauernd seinen Weg zwischen den Klippen. Trat es fehl, sank es knietief in weiche, schluckende Asche. Ein düsteres Lächeln um den Mund saß Otten im Sattel. Drohender reckte sich der Aschenkegel des alten Kraters vor ihm auf. Eine Stunde noch, und das Pferd wieherte hell in die Luft. Es witterte in der erstarrten Einsamkeit die Menschensiedlung, den kleinen Bahnhof der Vesuvbahn. Otten stieg ab und unterhandelte mit den Karabinieri, die den Absperrungsdienst hatten. Die Kraterführer traten hinzu und ließen sich gewinnen. Ein Karabiniere schritt neben dem Führer, der die Spitze nahm. So ging es dem Schlund zu Leibe. Nur das Keuchen der Männer vernahm man, schrittweise mußte das Terrain erobert werden. Immer heftiger schlugen die Pulse, immer stumpfer krochen die Gedanken, die Minuten dehnten sich, der Anstieg im heißen, gleitenden Aschenpulver nahm kein Ende. Nun — nun! Der Führer hielt an. Keiner sprach. Und langsam nahmen die Sinne ihre Tätigkeit wieder auf. Der Gipfel war erreicht. Ein kurzer Anmarsch an den Kessel. Wie Nadeln stachen die Schwefeldämpfe in die Lungen. Höllenlärm ringsumher. Zischender, brüllender Dampf. Irgendwoher eine Stimme: »Halt!« Ein paar Augenblicke gewaltsamen Aufatmens — und zur Seite, einen Schritt breit von Otten getrennt, ringelte sich ein grausiger, schuppiger Lindwurm, der neue Lavastrom. Langsam, unheimlich schob sich der glühende, aufflammende Brei den Kegel hinab, ein unfaßbares, höhnisches Untier. Und kurze Zeit nur gestattete es seinen Anblick. Neue Massen wälzten sich über die alten, und die fauchenden Schwefeldämpfe benahmen Gesicht und Atem .... »Kein Fremder, der das gesehen hat, Herr.« Otten nickte nur. Was wußte die Menschheit, die zahme, von dem Urfeuer in der Brust der Erde. Was von den Gewalten, die ihren Weg gehen müssen nach eigenem Gesetz. Aber diese Gewalten, die, sich bändigend, den Schoß der Erde erwärmten und befruchteten, vernichteten beim ungebändigten Ausbruch. Vernichteten — —! »Nun, mein Krater ist erloschen,« dachte er, und wieder zog das düstere Lächeln um seinen Mund, »ich werde kein Unheil mehr anrichten. Aber das Bild hier — das Bild hat mir doch gut getan.« Es wurde Abend, als Otten sein Pferd bestieg. »Jetzt erst habe ich Abschied genommen,« sagte er sich. »Abschied und ein Gastgeschenk. An diesem Bilde will ich meinen Lebensabend wärmen.« Durch die braune Steinwüste, jetzt goldumrändert von der sinkenden Sonne, ritt er zurück. Seine hager gewordene Gestalt hing lässig im Sattel. Graue Haarsträhnen stahlen sich unter dem Hut hervor in die Stirn. Seltsam zeichneten sich Roß und Reiter in der Luft. Als zöge ein einsamer Abenteurer durch die Totenstille ... Joseph Otten war in Rom angekommen, aber er ging nicht aus. Er hielt sich in seinem alten Logis in der Via Frattina einige Tage auf, vertrieb sich die Zeit mit Lesen und wohltuendem Hindämmern und wartete die Antwort auf einen Brief ab, den er an den Privatdozenten Moritz Lachner nach Bonn am Rhein gerichtet hatte. Die Antwort kam. »Mein hochverehrter Herr Doktor,« schrieb Moritz Lachner in krausen Krähenzügen, »als ich Ihren Brief in Händen hielt, wußte ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Beides aus der Freude heraus. Sie sind auf dem Wege zur Heimat! — Mein letzter Brief, den ich vor einem Jahre an die Adresse Ihres New Yorker Agenten abgesandt hatte, blieb ohne Antwort. Ich teilte Ihnen darin mit, wie in Köln das Leben lief, und daß ich als Privatdozent der Geschichte an der Bonner Universität zugelassen sei. Daß der Brief dennoch in Ihre Hände gelangt ist, beweist mir der Umstand, daß Sie sich meines frischen Titels bedienen. Ich brauche also auf seinen Inhalt nicht zurückzukommen. Sie sind auf dem Wege zur Heimat. Immer wieder läutet mir die frohe Botschaft in den Ohren und verwirrt meine Gedanken. Und doch wollen Sie nicht durch die Tore der Heimatstadt einziehen, sondern außerhalb ihrer Mauern bleiben. Ich habe nicht das Recht, zu fragen. Aber ich habe das Recht, zu hoffen. In der Rheingasse zu Köln ist es still geworden. Carmen hat diese Ostern nach bestandenem Examen die Universität Heidelberg bezogen und sich zunächst dem Studium der Kunstgeschichte ergeben. Wohin sie ihre Studien weiter führen werden, läßt sich heute schwer sagen. Sie verbringt ihre Ferien bei ihrer Mutter, von der sie zu erbitten wußte, ihr Raum und Freiheit zur Entfaltung ihrer Kräfte zu gewähren. So ist Frau Doktor Otten in Köln zurückgeblieben. Ich habe bei meinen Besuchen nicht gefunden, daß sich ihr abgeklärtes Wesen verändert hätte. Sie ist so anbetungswürdig wie immer. Der junge Terbroich ist nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt und als Prokurist in die Fabrik seines Vaters eingetreten. Er hat an Auftreten und äußerer Gewandtheit noch gewonnen, und die alte Freundschaft zwischen ihm und Carmen scheint noch stärker geworden zu sein. Ein melancholischer — um nicht zu sagen blasierter — Zug, den er sich zugelegt hat, kleidet ihn gewiß. Aber es nimmt mich immer wieder wunder, daß sich ein Mädchen wie Carmen von diesen künstlich zurechtgelegten Manieren täuschen läßt. Ich schreibe das nicht aus Haß gegen Laurenz Terbroich, ich schreibe es nieder aus unveränderter Zuneigung zu Carmen. Und nun zum Haupt- und Schlußpunkt. Der alte Klaus lebt seit einigen Jahren in der Tat in Zons. Sein Häuschen ist ganz schmuck und geräumig, eine alte Verwandte, die früher einmal Köchin war, steht dem kleinen Haushalt vor. Ich fuhr sofort nach Empfang Ihres Briefes zu ihm, und er ist mit Freuden bereit, Ihnen die obere Etage seines Häuschens, das den Blick über die alte Stadtmauer in die Rheinlandschaft hat, abzutreten. Merkwürdig rüstig ist er geblieben. Nur wortkarger ist er geworden. Und das nimmt bei seinem Alter und bei — Zons kein Wunder. Bei Zons! Ist es wirklich Ihr Ernst, Herr Doktor, sich so abseits von der Straße zu begeben? Das Städtchen liegt versunken und vergessen in den Rheinwiesen, in seiner mittelalterlichen Architektur ein Entzücken für Maleraugen, aber in seiner weltfremden Abgeschiedenheit sicher kein Entzücken für eine so stolze, heiße Seele wie die des Doktors Joseph Otten, der ich mich stets nur in scheuer Bewunderung nahte. Es ist kein Überschwang, Herr Doktor. Ich bin nur meinen Idealen treu geblieben.« »Er denkt an den Joseph Otten von einst,« und der Lesende nickte vor sich hin. »Wie lang ist es her, daß der nicht mehr existiert.« Moritz Lachner schrieb weiter: »So lassen Sie mich denn annehmen, daß Zons nur den Übergangspunkt für Sie bilden soll. Können Sie mich dort oder hier zu irgend einem Dienste gebrauchen, so wissen Sie, daß Sie nur über mich zu bestimmen haben. Ich sehe aufgeregt dem Augenblick entgegen, wo ich Ihnen wieder die Hand drücken darf. — Mit den ergebensten Grüßen stets Ihr Moritz Lachner.« Otten faltete den Brief zusammen und steckte ihn ein. »Ein guter Junge. Aber ihn wiedersehen? Ich sehe den Grund nicht ein. Was sollen mir die Menschen von früher ...« An diesem Abend ging er aus. Bei Peppe und bei Pasquale sprach er vor, aber in beiden Osterien hatte man den Professor Heinrich Koch seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. »Er wird krank oder verreist sein,« hieß es, »die Madonna wird’s wissen.« Und Joseph Otten machte sich auf, den Jugendfreund in seiner Wohnung auf dem jenseitigen Tiberufer aufzusuchen. Die Hausbesorgerin ging ihm merkwürdig scheu aus dem Wege, als er nach dem hochwürdigen Herrn Professor fragte. »Bin ich eine solche Vogelscheuche geworden?« bespöttelte sich Otten. Doch kannte er die Wohnung und fand die Zimmertür. Er klopfte. »Wer ist draußen?« ertönte Kochs Stimme. »Gut Freund.« »Der meine oder der des Teufels?« »Der deine, vorläufig der deine.« »Das wäre ein Mirakel,« brummte die Stimme drinnen. Dann schnappte der Riegel zurück. »Guten Tag, Heinrich.« Heinrich Koch streckte den Kopf vor. Tausend feine Linien lagen wie ein Spinnweb auf seinem rasierten Gesicht. Den langen Oberkörper beugte er nach vorn. Und mit einer raschen Handbewegung zog er den Besucher ins Zimmer. »Herr Gott im Himmel, der Joseph — —!« »Fürchtest du Einbrecher, daß du dich einriegelst?« »Der Joseph — —!« wiederholte Koch. »Der Joseph — —! Er ist doch wiedergekommen.« »Ich hatte es dir versprochen, Heinrich.« »Nun glaube ich wieder an eine Vorsehung.« »Wieder? Solche Zweifel in geistlichem Munde?« »Ich bin kein Geistlicher mehr, Joseph. Hier ist ein Sessel. Streck die Füße unter meinen Tisch.« Sie saßen sich gegenüber und blickten sich in die Augen. Jeder suchte sich selbst im Auge des anderen. »Ich will dir das zuerst erklären,« sagte Koch nach einer Pause, »damit du weißt, bei wem du bist.« »Es ist nicht notwendig, Heinrich.« »Aber mir ist es lieb. Heimlichkeiten haben nie zwischen uns beiden bestanden. Seit unserer Kindheit haben wir stets gemeinsame Sache gemacht. Hast du Zeit?« »Ich bin nur deinetwegen hier.« Koch schob die Brille zurück und blickte, im Stuhle liegend, zur Zimmerdecke. »Nur meinetwegen — —« Ein glückliches Knabenlächeln lief um seinen feinen Mund. »Das gibt es also noch auf der Welt, und du mußtest kommen, Joseph, um es mich zu lehren. Daher sagte ich vorhin: Ich glaube wieder an eine Vorsehung. Ich fand mich in der Freiheit nicht mehr zurecht.« »Du bist frei? Deine Arbeiten sind vollendet?« »Der letzte Korrekturbogen ist gelesen. Und dann hatte ich eine lange Unterredung mit Seiner Heiligkeit.« »Du warst beim Papst?« »Ich hatte eine Audienz, als ich den letzten Band überreichen durfte. Und in der Stunde, die mir der heilige Vater schenkte, entwickelte ich ihm die Gründe, die mich bewogen, den Rest meines Lebens auf eine andere Basis zu stellen. Ich wollte kein gewöhnlicher Fahnenflüchtiger sein. Wie es einem Manne ziemt, Auge in Auge wollte ich bekennen. Und der heilige Vater erkannte das an, wenn er auch meine Gründe bekämpfen mußte. Erst als er hörte, daß diese Gründe nicht von heute stammten, daß ich seit Jahren die Dogmatik und ihre Zutaten von mir hatte abtun müssen, um vor mir selber wahr zu bleiben, als er hörte, daß ich bis heute die Treue gewahrt hatte aus unerschütterlichem Pflichtgefühl gegen das von mir übernommene und nun endlich zu Ende geförderte Werk, ließ er ab von mir. ›Ich hoffe auf Gottes Gnade,‹ sagte er, und ich antwortete: ›Auch ich hoffe darauf im Leben und im Sterben.‹ Dann verließ ich den gütigen Mann und verließ den Vatikan, aus dessen Bibliotheken und Archiven ich meine besten Jahre nicht mehr mit mir nehmen konnte ...« »Ist die Exkommunikation schon ausgesprochen?« »Gestern. Man kam mir bis zur Grenze der Möglichkeit entgegen. Man glaubte, mich nach meinem Lebenswerk schonen zu müssen und zu können. Wohl auch aus Gründen kirchenpolitischer Natur. Aber ich bedurfte keiner Schonung. Irrte ich, so wird mir der Herrgott verzeihen, weil ich das Beste gewollt habe: kein halber Mann sein. Irrte ich nicht, so bringe ich dem Herrgott einen ganzen Mann.« »Es ist nicht leicht, Heinrich, sich in älteren Jahren einen neuen Weg suchen.« »Nein, es ist das schwerste. Ich habe es schon gemerkt. Der Vogel, der aus dem Käfig kommt, hat kein Vertrauen mehr zur Freiheit. Bis gestern war Leben in meiner Wohnung. Die Herren aus dem Vatikan gaben sich die Türklinke, um mich in zwölfter Stunde umzustimmen. Dann kam das Anathema. Und der erste Tag meiner Freiheit ist wie ein Totensonntag. Selbst meine Aufwärterin hat mich aufgegeben und weicht mir aus wie der heiligen Pestilenz.« Otten lächelte. »So, so. Dir galt das. Ich bezog es schon auf meine Gespensterähnlichkeit.« Heinrich Koch überhörte die Worte. Er blickte sinnend vor sich hin, und eine leise Röte der Verlegenheit färbte sein Gesicht. »Nein, leicht ist es nicht. Man findet keinen Wandergenossen mehr, der nur nach dem Kameraden fragt wie in alter Zeit und nicht nach seinem Katechismus.« Joseph Otten reichte ihm die Hand. »Mich hast du, Heinrich.« Beide Hände legte Koch um die Hand des Freundes. Sein Auge leuchtete auf. Er wollte sprechen und unterließ es. Vor ihnen beiden stand ihre Kindheit am Rhein. »Es ist nicht viel von mir übrig geblieben, Heinrich.« »Nicht für die da draußen. Aber für mich! Du warst als Junge mein Morgenrot, und nun willst du im Alter mein Abendrot sein. Mein Glück hat sich darauf besonnen, daß es ein Kreis sein muß.« »Es wäre eher möglich, Heinrich, daß ich das Abendrot von dir erwarte. Ich bin — verbraucht.« »Joseph, wir werden uns nicht im Stich lassen. Heute hilfst du, morgen ich. Das ist nun ein und dasselbe.« »Hast du Pläne?« »Nur nach Deutschland möchte ich zurück.« »Nach Deutschland — —. Dahin will ich auch ... Nach seiner Erde, nicht nach seinen Menschen.« »Du willst nicht — nach Köln?« »Nein. Ein andermal davon. Ich eigne mich nicht zum Original. Frei sterben will ich, wie ich frei gelebt habe. Und in den Augen der paar Menschen, die mich einmal liebten, will ich mein Bild nicht auf den Kopf stellen.« »Willst du mich mitnehmen?« »Ich bin gekommen, um dich zu fragen, alter Freund.« »Joseph! Überallhin. Und am liebsten — wo der Rhein gen Niederland fließt.« »Ich habe ein Stockwerk im Hause unseres alten Klaus gemietet. Das ist in Zons. Du kennst das alte, vergessene Kastell. Die Wohnung wird nicht komfortabel sein, aber wir können sie uns nach unserem Geschmack gestalten.« »Wir tapezieren sie mit unseren Erinnerungen, Joseph.« »Und die Gesellschaft dürfte aus dem alten Klaus bestehen, der auch nicht mehr seetüchtig ist. Drei schiffbrüchige Männer auf einer weltfernen Insel. Wie gefällt dir das Bild?« »Mir gefällt das Kollegium. In allen meinen Jugenderinnerungen spielt der alte Klaus die Rolle eines hohen und geneigten Beschützers. Joseph, wir drei vereint, und die alte Jugend hat sich wieder eingefunden. Das ist es, was ich mir durch all die Jahre ersehnt habe. Noch einmal die alte Jugend ...« Otten strich sich mit langsamer Bewegung die grauen Haarsträhnen aus der Stirn — —. Er war nur müde ... »Wann können wir reisen, Heinrich?« »Wenn du willst: heute, morgen. Je eher, je lieber.« »Hast du schon Abschied genommen?« »Abschied? Ich will ja ein Wiedersehen feiern gehen. Erst wenn ihr mich einsargt, nehm’ ich Abschied.« Otten erhob sich. »Also morgen. Und was machen wir mit dem Abend?« »Ich will dem Peppe sagen, daß er seinen besten Gast verliert. Und mich bei seinem Frascati bedanken, daß er mir Mut und Feuer genug gegeben hat, diese Stunde zu erwarten.« Er nahm seinen Hut auf. »Gehen wir.« Zwischen Tür und Angel blieb er noch einmal stehen. »Mensch —!« stieß er hervor und preßte Otten heftig an sich. Und mit verlegenem Gesicht, das die Freude rötete, stieg er die Treppe hinab. Als sie sich in später Nacht trennten, stand der Mond hoch am Himmel. Otten hatte den Freund nach Hause geleitet. Jetzt ging er langsamen Schritts an der Engelsburg vorbei über die Tiberbrücke, immer weiter in die schlafende Stadt hinein, bis zu dem Punkte zurück, von dem sie ausgegangen waren. Vor ihm rauschten die Wasserfluten der Fontana di Trevi. — — Lange stand er und schaute gedankenversunken in die sprudelnden Wasser. Dann richtete er seine hagere Gestalt gerade auf. »Diesmal,« murmelte er, »werfe ich kein Geldstück in die Flut. Diesmal trinke ich nicht von dem Wasser.« Er legte die Hand über die Augen. »Denn ich komme nicht mehr wieder ....« =XVI= Wenn der Rheindampfer die grünen Höhen des Siebengebirges passiert hat, und in Bonn und Köln die letzten Rheinfahrer gelandet sind, bleibt ihm meist nur noch die Güterladung zu Tal. Selten, daß ein paar Menschlein an Bord zurückbleiben, die da wissen, daß die Romantik des Stromes weiter reicht als seine rebenbekränzte Bergstraße, daß sie in der niederrheinischen Tiefebene noch einmal einen Triumph feiert, und der köstlichsten einen. Unberührt vom Zuge der Zeit, abseits selbst von den Eisenschienen, die Städte und Dörfer verbinden, hebt sich aus den Rheinwiesen zwischen den römischen Städtegründungen Köln und Neuß eine kleine, burgartige Stadt wie ein vergessenes Märchen: ~Zons~. Zwei Jahrtausende fast zurück reicht seine Geschichte. Sie ist alt wie die Geschichte Kölns. Ein Dezennium vor Christi Geburt legte Drusus zum Schutz der befestigten Lager Köln und Neuß Kastelle an, und Zons war unter ihnen. Die Franken herrschten hier, und der heilige Kunibert, der erste Erzbischof von Köln, erhielt es vom Frankenkönig zum Geschenk. Eine kurkölnische Feste wurde es, wild von der Kriegsfurie umtobt, und zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts in ein Wunder mittelalterlicher Befestigungskunst verwandelt, das sich durch alle Kriegsstürme hindurch in unsere Tage hinübergerettet hat wie eine Frage der Romantik, an der der Mensch achtlos vorübergegangen ist. Von gewaltigen Mauern umgürtet, zinnengekrönt, von ragenden Trutztürmen und starken, steinernen Torgängen flankiert, schaut das gotische Städtlein verwundert auf den Rhein, der es nicht minder vergessen zu haben scheint. Uneinnehmbar war es einst, und »Virgo« nannten es die Geschichtschreiber. Jungfräulich sollte es bleiben. Weder die Schiffahrt noch die Eisenbahn hatte hier einen Halteplatz. Ein Kleinod liegt am Niederrhein, und wenige, viel zu wenige wissen darum. Staub fällt auf Mauerkrone und Turmkappen. Wer auf dem Rheine vorübersegelt, staunt hinüber wie auf eine phantastische Erscheinung, ein auferstandenes Vineta ... Klaus Gülichs Haus lehnte sich an die Stadtmauer. Von seinem oberen Stockwerk aus schweifte der Blick über die Rheinwiesen, auf denen die kurzen, knorrigen Weiden aufmarschiert standen wie Regimenter stummer Soldaten. Und hinter den Rheinwiesen lag der breite, glitzernde Streifen des langsam ziehenden Stromes. Holländische Ruhe atmete das Land ringsum, das sich meilenweit dem Blicke öffnete. Ein Kranz von Windmühlen säumte den Horizont. Das Haus war ein sauberer Fachwerkbau, weiß getüncht, mit grünen Fensterläden und einem schwarzen, schuppigen Pfannendach. Der alte Klaus hatte seine Ehre darein gesetzt, es so schmuck herauszuputzen, als wäre es ein Schiff wie das, das er einstmals im Auftrage der Firma Otten von Köln nach Holland führte, Jahrzehnte hindurch, immer dieselbe Strecke. Von der Station Dormagen her rollte ein Wagen über die Chaussee. Jetzt fuhr er in die stille Stadt ein, die in sommerlicher Mittagsruhe lag, bog an der Mauer ab und hielt vor einem der letzten Häuser. Der alte Klaus stand auf der Schwelle, untersetzt, im gestrickten braunen Wollkamisol, das achtzigjährige verwitterte Schiffergesicht von weißem Stoppelbart bekränzt, und rauchte seine Tonpfeife. »Tringche,« rief er über die Schulter der handfesten Wirtschafterin zu, »is die Zupp parat? Die Häre komme.« Dann befestigte er den Pfeifenstiel im Mundwinkel, rückte an der Schiffermütze und bot den Aussteigenden die breite Hand. »Sid ihr all do? Guten Dag ooch. Jungens, ihr seht schlääch us!« »Guten Tag, Klaus. Mensch wie das ewige Leben! Wir wollen es uns auch verdienen.« »Dat scheint mir ooch langsam Zick zu sinn. Oder ihr mößt noch ens op die Welt komme. Na — also — herzlich willkommen, säht mer woll.« Heute saßen sie zusammen um den schweren Eichentisch der Diele und schöpften aus derselben Schüssel. In den nächsten Tagen sollte ein Mobiliar für die beiden Herren ankommen, das Otten in Köln bestellt hatte. Tringche würde die Mieter alsdann separat zu bedienen haben. »Heiß,« sagte der alte Klaus und ließ es dahingestellt, ob er die Suppe oder das Wetter meine. Man sprach nicht viel während der Mahlzeit. Die Wirtschafterin holte das Fleisch- und Gemüsegericht, Messer und Gabel klapperten, und ein paar aufgestörte große Fliegen summten und surrten an der Fensterscheibe. Als man sich vom Tisch erhob, äußerte Otten ein Lob über die ausgezeichnete Küche. »Na ja —« sagte der alte Klaus verschämt, als sei er der Kochkünstler gewesen. — In ihrer Wohnung standen die Freunde am Fenster. Die Arme auf dem Rücken. Dicht nebeneinander. Schwermütig lag das Land, schwermütig die Stadt. Kein Ruf drang herüber. »Hier gefällt’s mir,« sagte Otten. »Mit geschärften Augen können wir die Türme des Kölner Domes sehen, Joseph.« »Wir sind doch keine Toggenburger.« »Nein. Aber es ist gut, die Heimat in erreichbarer Nähe zu wissen.« »Ich für meine Person habe nichts mehr dort zu suchen. Ich will Ruhe, Heinrich.« »Ich meinte auch nur, daß man ~dich~ einmal nötig haben könnte.« »Das ist noch nicht dagewesen. Ich habe keine glückliche Hand in Familienangelegenheiten. Überflüssige Sorge, Heinrich, so überflüssig wie ich selber. Wir wollen es uns hier gemütlich machen.« Heinrich Koch legte ihm den Arm um die Schulter. Und sie blickten auf den Rhein hinaus, auf dem das schlappe Segel eines Lastkahnes erschien, der verschlafen vorüberglitt. Die Woche darauf waren sie eingerichtet. Sie hatten sich in die vier Stübchen geteilt, daß jeder sein Wohn- und sein Schlafzimmer erhielt. Auch ein Klavier war gekommen. Und die Bücherregale standen vollgepfropft von Bänden. Heinrich Koch ging schmunzelnd durch die Räume. Seine Gelehrtennatur war erwacht. »Was tun wir nun?« »Nichts.« »Nichts —?« wiederholte er lachend. »Wenigstens vorläufig nicht. Ihr armen Arbeitstiere glaubt, des Daseins Wonne bestände nur in der sichtbaren Beschäftigung. Tausend Dinge greifen wir an und formen sie um. Nur an uns selbst gehen wir nicht heran. Es gibt auch eine innerliche Beschäftigung. Wir wollen uns des Brachlandes annehmen.« »Ich bin’s zufrieden. Und wenn wir es kultiviert haben?« »Dann kommt erst die Freude. Und die will auch ihre Zeit haben. Schau dich einmal um in der Menschheit, Heinrich. Wer weiß denn heute überhaupt noch, was Genießen ist? So recht ausgenießen? Die alten Deutschen wußten es, wenn sie aus dem Streit kamen oder von der Jagd und sich auf die Bärenhaut warfen. Die genossen ein jedes Ding doppelt, wenn nicht dreifach und vierfach. Zuerst in der Wirklichkeit, dann im Austausch der Erlebnisse, nachher in der Erinnerung oder gar im Liede des Sängers. Aber wir? Was du gestern erlebt hast, weißt du heute schon nicht mehr. Du stürmst weiter, rastlos aus dem einen Tag in den anderen, und das heutige Erlebnis frißt das gestrige ratzenkahl und wird morgen wieder gefressen.« »Du sprichst von dir, nicht von mir. Ich lebe und zehre lediglich von meinen paar Jugendjahren.« »Nun ja — von mir. Vielleicht, wenn ich auf die Schattenjagd gehe, tun mir einige den Gefallen und nehmen Farbe an. So kann ich mir langsam einen Ritter- und Fräuleinhof gründen, in dem ich herumturniere.« »Werde ich zugelassen? Als Junge war ich Zaungast, und später genierte es mich, durch die Bretter zu spähen.« »So oft du kommst, du sollst willkommen sein.« Die Stadt kannten sie bald bis in den letzten Winkel. Von den Bewohnern wurden sie für ein paar alte vornehme Sonderlinge gehalten, Maler oder Architekten, die das niederrheinische Rothenburg ins Herz geschlossen hatten. Man gewöhnte sich bald an sie und schaute sich kaum nach ihnen um, wenn sie straffen Ganges die Straße kamen oder Luginsland und Warttürmchen, Mauern, Trutztürme und Tore untersuchten, um den alten genialen Befestigungsplan festzustellen. Die wenigen Einwohner von Zons hatten mit sich selbst zu tun. »Das ist eine göttliche Langeweile,« sagte Otten. »Von Tag zu Tag spüre ich mehr, wie ich ruhiger werde.« »Wir sehen aus wie Landjunker.« »Das ist der einzig wahre Beruf. Auf seiner Scholle sitzen und jeden Tag auf seinen Gehalt prüfen. Das schafft das richtige Distancegefühl. Ach, unsere Junker wissen, was gut ist.« »Bald wirst auch du die Distance zu deinem Leben haben.« »Ich hoffe es. Hier ist Gelegenheit. Sieh dir mal den Rhein an. Einen Pfeilschuß weit ist er entfernt, und früher floß er dicht unter den Südmauern der Stadt. Mehr und mehr zog er sich zurück. Er respektierte die göttliche Langeweile und gab Fersengeld. Nun ist es ganz still.« In der ersten Zeit sprachen sie viel von der Geschichte der Stadt. Unter den silbernen Weiden auf der Rheinwiese gelagert, blickten sie auf das wunderbare Stück Mittelalter, das vor ihnen aufwuchs. »Da liegen wir müde gewordenen Söhne unserer Zeit und schauen der Kraft und dem Trutz unserer Vorfahren ins festgebliebene Mark. Und wo wir liegen, lag der Ubier und schaute in sein Gehöft, lag der Römer und schaute in sein Kastell, lag der Franke und schaute in sein Königsschloß, lagen die Erzbischöflichen, wenn sie nicht hinter den Wällen lagen, in lachender Verteidigung gegen die Stadtkölner, die bergischen Grafen, die Heerhaufen und Räuberbanden im truchsessischen Krieg und die marodierenden Schweden unter ihrem famosen Oberst Rabenhaupt. Ein Mordskerl, dieser Rabenhaupt. Kein Mensch im Dreißigjährigen Krieg soll es ihm im Fluchen haben gleichtun können. Wenn er keine Kugeln mehr über die Mauern zu werfen hatte, schrie er seine Flüche in die belagerte Stadt. Und sein schauerliches Fluchen soll den frommen Zonsern lästiger gewesen sein als seine Kugeln. Wen haben wir sonst noch zu begrüßen? Im Kriege Ludwigs des Vierzehnten den Mordbrenner Turenne, im spanischen Erbfolgekrieg Marlborough, der die Franzosen zum Teufel jagte. Und später den großen Napoleon, der auf der Chaussee von Dormagen Gnaden austeilte. Das ist eine Fülle von Namen und Geschehnissen, von denen ein Drittel genügen würde, anderen Städten ewiges Ansehen zu gewähren. Von Zons sind sie abgeglitten ins Meer der Vergessenheit, wie das Städtchen selbst. Und das macht mir das alte Nest so reizvoll, so beneidenswert. Die göttliche Langeweile ringsum hat es fertig gebracht, daß es selbst seine große Vergangenheit vergaß.« »Das ist wohl Ironie, Joseph?« »Mit steinernem Gesicht in die große Nirwana hinübergleiten können, das ist — ein Ziel.« — Wenn ein Monat vergangen war, sagten sie es sich. »Hast du es bemerkt?« Und sie schüttelten lächelnd die Köpfe. An Regentagen saßen sie auf der Diele am Eichentisch des alten Klaus und disputierten über Leben und Sterben. Die Herren rauchten ihre Zigarre, der weißköpfige Hausherr seine langgestielte Tonpfeife. »Dat is ene Onsinn,« belehrte sie der Alte, spuckte aus, brach ein Stückchen des Tonstieles ab, um sich ein frisches Mundstück zu schaffen, und qualmte weiter. »Dat is ene Onsinn, öwer et Sterwen zu sinniere. Wenn mer esu alt geworde is wie ich, glöwt mer gar nit mieh an et Sterwen. Un dat is schön esu. Sons wär dat eja im Alter ene Landplag.« Vor dieser einfachen Weisheit schwiegen die Freunde eine Weile. »Ich glaube,« meinte Heinrich Koch endlich, »Klaus hat den Nagel auf den Kopf getroffen.« »Geschmackssache,« murmelte Otten. »Weißt du Besseres als den Tod ignorieren?« »Ihm in die Zähne lachen, würde mir mehr noch gefallen.« »Ich halte das für weniger bedeutend.« »Aber es steckt eine männliche Geste darin. Sterben, wie man gelebt hat! Wenn ich als Junge die Geschichte der französischen Revolution las, kriegte ich einen roten Zornkopf über das Regiment des Mobs. Und ich jubelte erst wieder auf, wenn ich las, wie die Mehrzahl der Edelleute in den Tod ging. Ich bin kein Byzantiner. Nichts auf der Welt, was mir verhaßter wäre. Aber ich schwärme für die Aristokraten der Gesinnung, für alle Menschen ohne Sklavenblut. Himmel, wenn so ein Mann vom Karren sprang und auf die Guillotine stieg, auf der sein Kopf fallen sollte. Ein Wort noch war ihm frei. Und von der Guillotine herunter spie er aus Leibeskräften in die tobende Menge. Das besagte: ›Bande, hätt’ ich euch hier oben, ohne Barmherzigkeit legt’ ich euch unter das Messer.‹« Am Tische dachten sie nach. Draußen rieselte unaufhaltsam der graue Regen. Und Heinrich Koch legte dem Freunde die Hand auf den Arm und meinte gelassen: »Das nennst du nun ein harmloses Plauderstündchen.« »Kein besserer Beweis als dieser, daß ich der Ruhe bedarf.« »Altes Sturmherz du.« »Eine gnädige Woge hat mich fern auf den Strand geschlagen. Mehr wünsche ich nicht, als fernab liegen zu bleiben.« — — — »Wieder ein Monat,« sagte eines Tages Heinrich Koch. »Schon wieder. Schau! Ein Monat geht uns hin wie eine Minute. Nun kommen wir doch in der Zeitrechnung annähernd der der Götter gleich. Ich möchte meine Taschenuhr nicht mehr aufziehen.« »Den Göttern gleich zu sein, ist edler Wunsch.« »Ja. Da quälen wir uns mit unseren großen und kleinen Gedanken, halten uns für überaus wertvolle Objekte und die Erde beinahe für grenzenlos. Und doch ist sie nur ein Ameisenhaufen im Universum, und wir winzige, krabbelnde Ameisen, die ihren Dünkel emsig hin und her schleppen. Es ist zum Lachen! Wir dünken uns die Herren, weil unsere Sinnesfunktionen nicht weiter reichen, und die Ameise tut dasselbe. Und ohne daß wir es wittern, schreitet vielleicht ein anderes, ungeheuerliches Geschlecht über uns hinweg wie über Ameisen, schreitet wie Götter von Stern zu Stern, unsichtbar für uns, die wir ihnen in unserer Körper- und Gedankenkleinheit verächtlich erscheinen.« »Wünsch’ ihnen gute Reise, Joseph. Dies bißchen Erdenpilgrimschaft gibt unserem Gewissen schon zur Genüge Arbeit.« Otten lachte. »Müssen diese Kerle ein Gewissen haben!« — Der Herbst zog herauf. Auf dem jenseitigen Rheinufer, in den Urdenbacher Baumwiesen, begann die Obsternte. Der Schleppverkehr auf dem Rheine wurde stärker, und hochbordige Dampfer fuhren zu Tal, um über die See England zu erreichen. Auch die Zonser Fähre hatte Arbeit vollauf. Junge, lebenslustige Akademiker von der nahen Düsseldorfer Kunstschule kamen, mit ihrem Malgerät behangen, über Benrath und Urdenbach herangezogen, jodelten die Fähre an und ließen sich in die Dornröschenstadt entführen. Vor Türmen und Mauern schlugen sie ihre Schlachten auf der Leinwand ihrer Feldstaffeleien, und aus den Wirtshäusern scholl Abends Sang und Klang. Die kalten Herbstwinde machten dem fröhlichen Treiben den Garaus. Der letzte Maler zog ab und versprach, seine Rechnung von Düsseldorf aus zu begleichen, und die Fähre lag wieder halbe Tage, ohne bemüht zu werden. Joseph Otten ging wieder aus. Die kleine Lebenswallung, die das Städtchen gezeigt hatte, war ihm schon zuviel gewesen, und er hatte sich vor ihr verschlossen gehalten. Nun nahm er wieder Besitz von seinen Lieblingsplätzen, und von seinem Gesicht las man die Genugtuung ab, daß er allein den Platz behauptete. Aber er war noch schweigsamer geworden. Heinrich Koch beobachtete ihn scharf durch die Brille. »Es liegt am Wetter,« äußerte er zum alten Klaus, »die ›Saison‹ naht heran, und er spürt es im Blut. Man zieht nicht ungestraft ein Menschenalter durch die Welt.« »Im Winter gehört sich der Minsch an den Ofen,« sagte der alte Klaus. »Ich bin das Stillsitzen gewöhnt, Klaus. Aber auf den gemütlichen deutschen Ofen freu’ ich mich wie auf eine Weihnachtsüberraschung. Man muß ein freier Mann sein, um das würdigen zu können.« Als die ersten schweren Stürme über die Tiefebene brausten, die Weidenbäume kahl fegten und das Gras entfärbten, wurde Otten unruhiger. In der Frühe schon ging er den Rhein entlang, lief auf den Chausseen gegen den Sturm, vergaß die Mittagsmahlzeit und kehrte erst Abends müde und durchnäßt heim. Wenn ihn Koch überredet hatte, die Kleider zu wechseln und dem Abendbrot seine Ehre anzutun, klappte er das Klavier auf und saß grübelnd über den Tasten, bis seine Finger zuckten und aus suchenden Anschlägen Melodien heraussprangen, die er endlos variierte. Dann saßen Koch und der alte Klaus horchend in ihren Stühlen, benommen von der Macht, die aus der Seele des Mannes in die Töne, aus den Tönen in ihre so wenig verwöhnten Seelen glitt, und sie bettelten, wenn er aufhören wollte, so lange, bis er langsam den Kopf drehte, ihre glänzenden Augen sah und sich mit einem fernen, seltsamen Lächeln wieder dem Spiel zuwandte. Nun war Schnee gefallen, und der einsetzende Frost ließ ihn nicht verwehen. Abgeschnitten vom Verkehr lag das Städtchen, kein Wanderer verirrte sich über die Chaussee, und der Rhein setzte an den Uferrändern dünnes Eis an. An der entlegenen Mauerecke, an die sich Klaus Gülichs Häuschen stützte, war es am einsamsten. Kaum, daß einen Bürger der Weg hier vorüberführte. In den Zimmern brannten lustige Feuer in den Öfen. Heinrich Koch hatte sich die Erlaubnis erbeten, sie allesamt schüren zu dürfen, und er faßte sein Amt auf wie ein Lebenskünstler. Bevor er sich in einem Zimmer dem Ofen zuwandte, stellte er sich ans Fenster und ließ die lang’ entwöhnte Winterlandschaft auf sich wirken. Die kahlen, weißen Flächen verursachten ihm ein angenehmes Gruseln. »Ich bin geborgen,« murmelte er, rieb sich die Hände und begann mit Schaufel und Eisen am Rost zu hantieren, daß alle Öfen rote Bäckchen erhielten. Und auf jede Ofenplatte legte er einen Apfel. Im ganzen Hause brodelte, zischte und duftete es, und der alte Junggeselle hatte seine Freude daran. »Nun bilde ich mir ein, die Tür ging auf, und die Mutter käm herein.« »Oder sons en lecker Mädche,« schmunzelte der alte Klaus. »Und wir wären noch leckere Jungens.« »Sind wir noch,« sagte der Hausherr und rieb sich den weißen Stoppelbart. Dann gingen sie ihrer Arbeit nach. Der alte Klaus setzte sich auf der Diele in seinen Lehnstuhl, dicht neben den Ofen, und vertiefte sich in die sonderbare Historie seines großen Ahns, des Rebellen und Manufakturwarenhändlers Nikolaus Gülich zu Köln am Rhein, und Koch gewann Otten für seinen Plan, eine Spezialgeschichte der Römerzeit am Niederrhein zu schreiben. »Das ist etwas für dich, Joseph. Und auch für mich. Wir müssen in die Heidenzeit hinein, Tatenmänner aufmarschieren lassen, ihren Schöpfungen nachgehen und doch dabei das Gefühl haben, daß der liebe Gott auch damals schon wohlwollend auf seine Kinder sah.« Otten fing Feuer. Seine historische Schulung, seine Universitätsstudien kamen ihm zu Hilfe. Bücher und Pläne wurden verschrieben, Vergleiche angestellt, die Marschrouten und Lagersiedlungen der Legionen und ihrer germanischen Hilfstruppen festgelegt, und bald konnten sie dazu übergehen, Sonderkarten der einzelnen Bezirke zu entwerfen, die sie im kommenden Frühling gemeinsam durchforschen wollten. Unter der Hand wuchs die Ausgabe, von der Form drangen sie zum Inhalt, von den Siedlungen zu den Siedlern, Zeit und Gewohnheiten schraubten sich zurück, und das stille Land bevölkerte sich mit römischen Kriegern und ubischen Jägern, dunkeläugigen Hauptmannsfrauen und blonden Germanenmädchen. Mitten unter ihnen lustwandelten im grauen Haar Joseph Otten und Heinrich Koch, übten sich in den Gebräuchen, tauschten Grüße aus, ritten zur Jagd oder zum Streit, lasen die Dichter oder saßen mit Römern und Germanen zum Mahle nieder. In dieser Zeit begann Otten zuerst wieder von seinen Erlebnissen zu sprechen. Es war Abends, wenn die drei Männer um den Eichentisch der Diele saßen, die große, grünbeschirmte Petroleumlampe brannte, das Feuer im Ofen rumorte und Tringche, die gutmütige Wirtschafterin, nachdem sie den Grogkessel vom Feuer gerückt hatte, lautlos in ihrer Schlafkammer verschwunden war. »Das war noch ein Frauenmaterial, damals,« begann er und winkte Koch zu. »Mark in den Knochen und das Herz auf dem rechten Fleck. Mütter und Kameraden in eins. Daher waren sie auch heilig.« »Das ist heute nicht anders geworden, Joseph.« »Heute? Dann halten sie mit ihren Talenten stark hinter dem Berg.« »Das wohl nicht, aber die Zeit sieht diese Talente nicht mehr als Talente an. Sie werden von Glücksritterinnen überwuchert, man liebt die stärkeren Sensationen.« »Ja, die Sensationen — —. Das liegt an Amerika. Amerika ist tonangebend geworden für das alte Europa, und sklavisch, wie wir in der Mehrzahl sind, äffen wir den Yankee-Doodle nach, ganz egal, ob es uns auf den Leib paßt oder nur den Amerikanern. Die Frauen marschieren darin voran. Was die Amerikanerin tut, wie sie sich benimmt, was sie anzieht, es ist =ladylike=. Meinetwegen! Aber unsere Frauen sind ein anderer Schlag und sollten sich daher ihre geistige und körperliche Toilette selber zurechtlegen. Diese ganze Freiheitspassion nach amerikanischem Muster ist für Deutschland ein Humbug. Wo sind unsere anbetungswürdigen Hausfrauen geblieben, die immer noch Zeit für unsere kleinen Sorgen fanden? Donnerwetter. Einer muß sie doch haben, die Zeit.« Heinrich Koch blickte den Freund durch die Brillengläser forschend an. Otten fühlte den Blick und sah zur Seite. »Ich weiß schon, du meinst, wir wollen sie gar nicht anders haben, weil — nun weil’s mal so Mode ist und man sich lieber einen alten Esel als einen rückständigen Zeitgenossen schelten läßt. Du, Heinrich, und was waren in unserer Jugend die Mädels so süß.« »Ich hatte als Primaner eine Flamme, der ich das Heiraten versprechen mußte, bevor sie sich küssen ließ. So heilig war ihr der Kuß.« »Und doch hast du sie sitzen lassen? Mir graut’s vor dir, Heinrich.« »Ich sagte: Wenn eine — dann dich! Und es wurde keine ....« »Und sie nahm den Schleier —« »Den Brautschleier. Sie heiratete einen Bäcker aus der Schildergasse und schenkte ihm fünf Söhne. Zu einem stand ich Pate, denn sie war mein Beichtkind geworden aus alter Anhänglichkeit.« »Um des Kusses willen .... Ich zählte auch schon sechzehn volle Jahre, als mir das Geheimnis aufging. Sie war ein hübsches, blondes Mädchen, so alt wie ich, also reifer, und ich rannte getreu auf ihrer Spur. Nun, du kanntest sie ja, die Tochter des Ehrenfelder Grubendirektors. Wir liebten uns unsäglich, sagten es uns aber nicht und küßten uns deshalb auch nicht. Aber zuweilen tippten wir uns heimlich mit der Fingerspitze an. Das war ein merkwürdig elektrisierendes Gefühl. Bis ich eines Sonntags zum Besuch dort war, in einer größeren jungen Gesellschaft. Wie deutlich das vor mir steht. Sie trug ein blau und weiß gestreiftes Kleid mit einem breiten Matrosenkragen. Natürlich spielten wir Pfänder, und ich mußte mit ihr ›polnisch betteln‹ gehen. Für meinen Mann ein Stück Brot, für meine Frau einen Kuß. Für meinen Mann einen Kuß, für meine Frau ein Stück Brot. Und zum Schlusse küßt sich auch das polnische Bettlerpaar. Es waren ganz weiche Lippen, die ich spürte, und von einer Süße, wie ich so etwas nicht für möglich gehalten hätte. Ich stand wie benebelt und wurde von der ausgelassenen Gesellschaft ausgelacht. Nur sie lachte nicht. Sie sah mir in die Augen, als ob sie weinen wollte. Ja — —. Und ich habe sie auch später zum Weinen gebracht, als ich sie vergaß.« »Wenn ich mich doch, Düwel noch ens ...« begann der alte Klaus und brach kopfschüttelnd ab. »Auch die Studentenlieben waren noch süß,« fuhr Otten fort, »und die übermütigen Kameradinnen auf dem Konservatorium.« »Ich glaub’s, ich glaub’s. Die gemeinsame Begeisterung, das Pfeifen aufs tief unten liegende Philistertum. Ach Gott!« »Und dann die ersten Streifen durch Italien. Jetzt noch geht mir das Herz auf.« »Laß uns hineinschauen.« »Was sie trieb, weiß ich nicht. Sie trug Kleider, wie man sie in den Campagna-Nestern trug, damals noch. Ich glaube, sie sammelte Campagnablumen und band Sträuße daraus, die sie frühmorgens in Rom in die Häuser trug. Mein Vater hielt mich knapp, aber ich abonnierte doch auf den täglichen Morgengruß. Und ich habe es nicht bereut ...« »Und was wurde daraus?« »Ich mußte weiter.« »Schade.« »Schade — —. Wie oft hat man fortgemußt und gedacht: du kommst ja wieder, die Welt läuft dir ja nicht weg. Und man lief vor sich selber weg und merkte erst, wenn man sich nach Jahren suchend umblickte, daß es das Schönste, das Keuscheste, das Seligste gewesen ist. Und nur eine Episode — —.« »Alle die Attribute, lieber Joseph, treffen ja nur zu, ~weil~ es nur eine Episode blieb.« »Aber die Episoden, welche folgten, waren doch auch nur Episoden und hielten dennoch den Vergleich nicht aus.« »Weil du dich schon an die Episoden gewöhnt hattest und sie steigern wolltest. Vielleicht deshalb.« »Ich will nicht darüber grübeln. Um die Wahrheit zu ergründen, müßte man seine Unbefangenheit wieder haben.« »Das ist es.« »Aber die Unbefangenheit schwindet mehr und mehr aus der Welt. Es mag ja seinen Vorzug haben, seine Töchter frühzeitig aufzuklären, obwohl es der Menschennatur wenig hilft und lediglich die Poesie zum Teufel jagt. Was glaubt ihr, wie sich die jungen Dinger um einen Künstler, eine Berühmtheit drängen? Und die Aufgeklärtesten am meisten, denn sie meinen, ihre Aufgeklärtheit imponierte und käme dem freien Künstlersinn auf halbem Wege entgegen. Daraus entwickeln sich dann nachher unsere modernen Damen.« »Ähnliches sagte ich dir schon in Rom. Damals warst du noch ein Ungläubiger.« »Eine Klasse nur nehme ich aus: die arbeitenden Frauen, die wirklich arbeitenden, die sich tapfer mit Gott und der Welt herumschlagen, um den Kopf hoch zu halten. Bewundernswerte Geschöpfe. Aber sie haben die Eigentümlichkeit, daß sie nicht von sich reden machen. Sie haben auch gar keine Zeit dazu. Die das große Wort führen, haben Zeit, und wer Zeit hat, arbeitet nicht. Arbeitsamateurinnen. Sie ziehen einen Kittel an, um bequemer zu faulenzen, und sprechen von Gleichberechtigung, um sich bequemer wegzuwerfen. Was habe ich in dieser Beziehung alles erlebt!« »Sind die deutschen die Schlimmsten?« »Nur die Ungraziösesten, weil sie die anderen nachahmen wollen.« »Willst du nicht eingehender von den liebenswerten Frauen berichten?« »Ich bin zu Ende für heute. Erzähle du.« Heinrich Koch nahm seine Brille herab und putzte sie. »Ich bin persönlich über die spätere Bäckersgattin nicht hinausgekommen,« sagte er, während er die Brille umständlich wieder hinter den Ohren befestigte. »Dann ist Klaus an der Reihe.« Der Alte brummelte schon seit einiger Zeit vor sich hin. »Ich hann nor ein einzige gekannt, die for mich gepaßt hätt’. Dat wor ene leckere Puht, on lew hät die mich gehat wie nie en Minsch op der Welt.« »Wer war das?« »Wenn ich mich doch,« sagte der alte Klaus, »wenn ich mich doch, Düwel noch ens, op ehre Name besinne künnt’ ...?« Und ärgerlich vor sich hinbrummelnd, erhob er sich mit steifgewordenen Gliedern und holte sich aus dem Kessel ein frisches Glas Grog. — Heinrich Koch hatte zu Weihnachten eine buntgefiederte Tonpfeife von Klaus zum Geschenk bekommen, die er, neben dem Hausherrn auf der Türschwelle stehend, in der kalten Winterluft anrauchte. Die beiden alten Junggesellen verstanden sich trotz des Unterschiedes der Jahre und der Lebensführung ausgezeichnet. Sie waren zufrieden mit dem Schicksal, wie es sich gestaltet hatte, und hielten jeden Tag für schöner als den voraufgegangenen. »Nun ist der Jupp in der Gesundung, Klaus.« »Inwiefern verstonn ich dat?« »Er kann bereits aus seinem Leben erzählen, ohne plötzlich abzubrechen. Das ist ein Zeichen, daß er nicht mehr mit seinen grau gewordenen Haaren hadert. Wenn er nun noch des letzten, schweren Gedankens Herr geworden ist, wird er wie aus einer langen Betäubung erwachen.« »Wat bedrückt ihn denn esu ärg? Kann mer nit helfe?« »Es ist der Gedanke, sich zu wenig um Frau und Kind bekümmert zu haben. So wenig, daß er keinen Teil an ihnen hat. Von Rechts wegen keinen. Verstehen Sie?« »Enä. Dat verstonn ich nit. Loß hä doch hingonn un et ihr sage. Dann is doch alles en der Reih’.« Heinrich Koch hustete. Der scharfe Tabakrauch der frischen Tonpfeife hatte ihm die Kehle gekitzelt. »Nee, nee, nee, Klaus. Ganz so einfach geht das doch wohl nicht. Es sind innerliche Menschen, und der Jupp besonders.« »Ach watt. Innerlich oder äußerlich. Wenn sie sich bloß verdrage.« — Es wurde immer kälter. Eisiger Wind fegte über das ungeschützte Land. Treibeis setzte sich am Rheinufer an, fror zusammen und bildete auf viele Meter in den Strom hinein eine feste, glatte Masse. Immer schmaler wurde das Strombett, immer schwerfälliger floß das Wasser, das sich mit grünlich schimmernden Eisschollen in das Bett teilte. »Laß es da draußen Stein und Bein frieren,« meinte Otten und zog aus Karten und Büchern eifrig Notizen zusammen, »wir sind hier mit den ersten nachweisbaren Rheinbewohnern im Menschenfrühling. Hast du wieder Bratäpfel fabriziert, Heinrich? Ich würde an deiner Stelle auf die Jahrmärkte gehen, als Waffelbäcker oder dergleichen.« »Du! Das ist ein Wort! Das Tringche soll uns Waffeln backen.« »Ist er nicht ein großes Kind geblieben?« fragte Otten am Abend Klaus, als sie um den Eichentisch saßen und Koch sich die Waffeln zum Grog munden ließ. »Ich weiß nur nicht: ist er’s geblieben, oder bereits wieder geworden?« »Der Effekt ist derselbe: die Waffeln schmecken. Probier, Joseph. Wenn ich den Duft in die Nase bekomme, sehe ich mich immer als kleinen Jungen an der Hand des Vaters vor der Waffelbude stehen. Er besaß keine Reichtümer, aber Waffeln mußte er mir kaufen. Das waren Festtage.« »Unsere heutigen Kinder sind über Kirmeßbuden erhaben.« »Weil sie von ihren Eltern verwöhnt werden. Verwöhnen ist nämlich leichter als die rechte Liebe haben.« »Die Menschen sind eben alle Egoisten. Kinder und Große. Nur wo der Vorteil winkt, ist Liebe.« »Davon macht doch wohl die Elternliebe eine Ausnahme. Nie geht mir aus dem Gedächtnis, was ich einmal in Rom erlebte.« Otten sah ihn an ... »Ein Bandit hatte ein Mädchen getötet. Er wurde verurteilt. Der Vater des Mädchens, Schweißperlen auf der Stirn, ersucht die Richter und Geschworenen um eine Gunst. Man ließ den armen Teufel zu Wort kommen.« »Was wünschen Sie?« »Ich möchte ihn sterben sehen.« »~Was~ wollen Sie?« »Dabei sein, ~wenn er stirbt~! — — Das war ein Haß, so glühend, wie ihn nur Elternliebe zeugen kann.« »War das Mädchen — minderjährig?« fragte Otten nach einer Pause. »Ich sollte meinen, Joseph, Kinder bleiben für ihre Eltern ~immer~ minderjährig.« An diesem Abend kam kein Gespräch mehr auf. Die Arme auf den Tisch gestützt, saßen die drei, horchten auf den schrillen Winterwind und hingen ihren Gedanken nach. — — =XVII= An einem Februarmorgen kam Moritz Lachner nach Zons. Der Professor griff ihn vor dem Hause auf, als er die Wirtschafterin befragte. »Hier herrscht Burgfriede, mein Herr.« »Sie erkennen mich nicht wieder, Herr Professor. Ich bin Moritz Lachner.« »Ah, der junge Herr Doktor und werte Herr Kollege? Sie kommen etwas früh. Sobald es lenzt, könnten Sie sich an unseren Forschungen beteiligen. Wir stellen den Limes fest und wecken die Toten auf. Wie wär’s?« »Ich möchte,« sagte Moritz Lachner verlegen, »vorher gern Herrn Doktor Otten begrüßen.« Heinrich Koch spielte mit den Aufschlägen von Lachners Rock. »Joseph Otten — —. Ja. — Aber lassen Sie dort gefälligst jede Art Totenerweckung beiseite. Zeichen und Wunder können bei Otten nur durch elementare Wucht wirken, nicht durch Überredung. Und wir wünschen doch, ~daß~ sie eines Tages wirken. Sie verstehen mich.« »Herr Professor, jeder Mensch nach seinen Gaben. Da ich weder Blitz noch Donnerkeil regiere, muß ich mich auf die Ehrlichkeit meiner Sprache verlassen.« »Na, jedenfalls kommen Sie mal herein mit Ihrer Ehrlichkeit. Wenn Sie Klaus begrüßen wollen, werde ich inzwischen Otten benachrichtigen.« Joseph Otten saß am Schreibtisch, von Büchern umlagert wie ein Gelehrter, und machte sich Notizen. »Du, Joseph, Besuch für dich.« »Bedaure sehr. Ich kenne niemanden.« »Doch, Joseph, den kennst du. Es ist der kleine Lachner.« »Der Moritz?« Otten legte die Feder hin. »Was will er?« »Den Königen im Exil seinen Kratzfuß machen. Er behauptet, die Ehrlichkeit der Sprache sei ihm eigen.« »Dann soll er sich auf dem Jahrmarkt sehen lassen, bei Hofe oder auf der Kanzel.« Heinrich Koch strich sich lächelnd die feinen Lippen. »Heinrich, ich bitte dich, nimm dich des Unglücksmenschen an. Es ist ja ein prächtiger Junge, aber er gewinnt bei schriftlicher Behandlung. Ernsthaft: ich mag noch keine Gesichter sehen.« »Ich finde, daß er keinerlei Aufdringlichkeit gezeigt hat. Obwohl er dir Gefälligkeiten erwiesen hatte, ludest du ihn nicht ein, und er kam nicht. Wenn er heute ungerufen kommt, tat er es sicher im Vertrauen auf deine sprichwörtliche Ritterlichkeit.« »Laß die Leimruten beiseite. Meinetwegen kann er kommen und mir den Tag stehlen. Ich will keinem schuldig sein.« Koch fand den Besucher in eifrigem Gespräch mit dem alten Klaus, der wider Gewohnheit redselig geworden war. Bei seinem Hinzutreten brach Frage und Antwort ab. »Es wird sich um Frau Maria gehandelt haben,« sagte er sich und schickte Lachner hinauf. Joseph Otten stand mitten im Zimmer, als der Besuch eintrat. Das kalte Winterlicht beleuchtete scharf die hageren Züge und die eckig gewordene Stirn, in die die grauen Haarsträhnen fielen. Wie Pergament war die Haut. Nur die Augen hatten ihr helles, strahlendes Blau behalten. Und diese Augen sahen auf Moritz Lachner, der keines Wortes mächtig war. »Guten Tag, Moritz. Du zitterst ja.« »Es ist die Erregung, Sie wiederzusehen.« »Ich dachte schon, es wäre die Erregung, mich so wiederzusehen.« »Als wenn Sie nicht immer derselbe blieben. Ach, Herr Doktor, ich bin ja so froh.« »Ist das die Ehrlichkeit der Sprache, über die du nach Professor Koch verfügen sollst?« Lachner errötete. »Auch darüber bin ich froh, daß Sie so fröhliche Gesellschaft haben. Ich hatte dieses Zons’ wegen Angst um Sie.« Otten deutete auf Bücher und Karten. »Beschäftigung vollauf ... Und nun laß dich einmal genauer ansehen. Du machst eine gute Figur, Moritz, nur diese ernste Blässe gehört nicht in dein junges Gesicht. Hast du Sorgen?« »Wenn Sie materielle Sorgen meinen, Herr Doktor: ich habe den besten aller Väter, und Sie kennen ihn.« »Ja, die materiellen Sorgen können wir Väter zerstreuen. Mehr vermögen wir auch nicht. Sitz nieder, Moritz.« Der junge Gelehrte blickte überlegend vor sich hin. »Herr Doktor,« sagte er dann langsam, »mein Vater würde nicht das geistige Vermögen besitzen, und er würde es doch versuchen.« »Dein Vater, Moritz, ist ein lieber alter Idealist, der zwischen seinen vergilbten Kostümen sitzt und Märchen träumt. Die Welt aber und ihre Menschen haben mit solchen Märchen nichts zu tun. In der Welt setzt sich ein jeder nach seinem eigenen Kopfe durch. Mögen sie. Ich hab’s nicht anders gemacht.« »Meinen Sie damit, Herr Doktor, daß die Menschen, die Sie daheim haben —« »Ich habe nur noch mich. Bleib dabei. Es ist zu unser aller Bestem.« »Aber ein Mann sieht schärfer, und ein Mann wie Sie hat Gewalt über die Herzen.« »Hatte — hatte!« »Nein, Sie haben sie auch heute noch. Sie brauchen nur zu wollen.« »Oder — ich brauche nicht.« »Sie wollen nicht.« »Nein.« Moritz Lachner kämpfte mit seinen Worten. »Herr Doktor, ich sitze ungerufen hier. Aber gerade deswegen — dürften Sie sich doch sagen — daß ich nicht einer Laune oder bloßer Neugier nachgegeben habe. Sie waren doch früher so stolz auf Carmen. Denken Sie doch daran.« »Früher — war ich auch stolz auf mich.« »Und heute — ist Carmen auf dem Wege, sich zu verzetteln.« »Mit dem jungen Terbroich? Deshalb bist du gekommen?« »Herr Doktor, es ist Zeit, daß Sie nach dem Rechten sehen.« Ganz schlicht hatte es der junge Lachner gesagt. Otten betrachtete ihn lange. Dann spielte ein ironisches Lächeln um seinen Mund. »Du liebst sie wohl?« Der Junge blickte auf. Es arbeitete in seinem schmalen, geistvollen Gesicht. »Ja,« stieß er hervor, »ich liebe sie. Aber das wäre kein Grund. Nur anbeten können möchte man, was man liebt.« »Und du fürchtest, das könntest du nicht, wenn sie Laurenz Terbroichs Frau ist?« »Ich fürchte, daß sie es nicht wird.« »Du sonderbarer Schwärmer, dann ist dir doch geholfen.« »Ich fürchte, daß sie nicht seine ~Frau~ wird.« Sie sprachen nicht mehr. Otten saß weit zurückgelehnt in seinem Stuhl und blickte zum Fenster hinaus, starr auf einen Punkt in weiter Ferne. In erwartungsvoller Spannung hing Lachners Auge an ihm. »Herr Doktor —?« »Du wünschest?« »Ich —? Was Sie wünschen, Herr Doktor. Ihren Willen möcht’ ich hören. Einen Rat oder eine Tat.« »Das geht die Mutter an.« Entgeistert sah Lachner in sein steinernes Gesicht. »Das — kann nicht Ihr Ernst sein, Herr Doktor.« »Nicht mein Ernst —?« Langsam wandte ihm Otten sein Gesicht zu. »Ich habe dich einmal in einer schweren Stunde mit einer Botschaft an meine Frau betraut. Du warst damals der einzige, über den ich verfügte. Das vergesse ich nicht. Und ~du~ solltest die Botschaft auch nicht vergessen haben.« »Wie könnte ich den Tag vergessen,« murmelte der Junge. »Damals, und eine Weile später, habe ich die reinliche Scheidung eintreten lassen. Aus Stolz, mein Junge, um den guten Geschmack meiner Frau zu schonen. Nimm das =cum grano salis=. Ich bin kein Almosenempfänger, und meine Frau war immerhin die Frau des Doktors Joseph Otten. Dann aber auch aus einer Einsicht heraus. Meine Hand taugte nicht zur Erziehung eines Mädchens vom Schlage Carmens. Was im Sinne der gestrengen Welt ungut an ihr ist, das hat sie von mir. Ich habe nichts, aber auch gar nichts für meine Tochter getan, solange sie lebte. Alles tat die Mutter. Wie käme ich dazu, heute plötzlich ein Anrecht geltend zu machen, ohne daß ich jemals eine Einzahlung geleistet hätte? Das wäre eine Farce.« »Herr Doktor, in diesem besonderen Fall —« »Soll ich mich als Sittenrichter aufspielen? Lebt denn die Mutter nicht mehr, die sie erzogen und behütet hat? Ich, Moritz — denke doch freundlichst nach — ich als Sittenrichter? Hast du nicht auch eine Abtei zu vergeben oder eine Bischofsmütze? Seit sieben Jahren weiß ich nichts von meiner Tochter, und sie nichts von mir. Es sei denn, daß sie die schlechten Kolportageromane geglaubt hat, die über mich im Schwange waren.« »Es ist viel geredet worden, Herr Doktor.« »Gut, gut. Das Volk will auch diese Art Helden, so gut wie seine Rinaldini. Ich gönne ihm ja das Vergnügen.« »Ich hätte nicht gewagt, davon zu sprechen. Ich stelle Sie ja viel zu hoch, als daß ich den Klatsch der Stadt vor Sie hintrüge. Aber gerade weil ich Sie so besonders hoch verehre, Herr Doktor, bitte ich Sie: lassen Sie mich keine Enttäuschung erleben.« Otten erhob sich. Er legte dem jungen Freund die Hand auf die Schulter und nickte ihm zu: »Guter Kerl.« »Lassen Sie mich keine Enttäuschung erleben ...« »Nein,« sagte Otten, »davor will ich dich bewahren. An mir sollst du sie ~nicht~ erleben. Denn es hieße mein ganzes bisheriges Leben enttäuschen, es hieße vor allem die ganze selige Liebeszeit enttäuschen, die ich mit Maria durchlebte, wollte ich deinen Wunsch erfüllen. Das muß nun einmal in Kauf genommen werden. Ich kann meine Frau nicht in ihren besten Erinnerungen beleidigen. Wollte ich in dieser Angelegenheit auch nur ein Wort sagen, so würde es für sie eine Demütigung. Daher muß ich ihr die Lösung allein überlassen.« Moritz Lachner stand auf. »Jetzt verstehe ich Sie,« erwiderte er leise, und befangen setzte er hinzu: »Frau Maria wird den richtigen Weg finden.« »Sie hat ihn noch nie verfehlt, mein lieber Moritz.« »Ich möchte nicht länger stören, Herr Doktor, Sie sind bei der Arbeit.« Otten schüttelte ihm die Hand. »Laß dir von Professor Koch davon erzählen. Vielleicht interessiert es dich, und wir erhalten einen korrespondierenden Mitarbeiter. Du bleibst doch zu Tisch?« Moritz Lachner konnte nicht bleiben. »Meine drei Hörer in Bonn vermissen mich zwar nicht, aber ich möchte noch meinen Vater in Köln auf ein paar Stunden besuchen.« »Grüße ihn von mir. Der Abend, den ich einmal bei ihm und seinem roten Toskanerwein verlebte, ist mir in heller Erinnerung geblieben. Wie schön das Leben sein kann. Leb wohl, Moritz.« — »Sie wollen schon fort, werter Kollege?« fragte ihn Koch, der mit dem alten Klaus auf der Diele einen längeren Diskurs führte. »Wollen Sie sich nicht ein wenig in unsere Forschungen einführen lassen? Und neues Leben blüht aus den Ruinen. Sie werden sehen, die alten Helden waren ebenso vernünftige wie vergnügliche Leute.« »Wenn Sie mich gebrauchen können, stehe ich immer zu Ihren Diensten.« »Das soll ein Wort sein. Die Arbeit wird Kopf und Fäuste brauchen, wenn sie ein Kulturfaktor werden soll. Es ist gleichsam eine Bekehrung von oben nach unten.« Der alte Klaus kniff ein Auge. »Vergeßt nit, die Rheingass’ zu grüße, Moritz.« »Es soll mein erstes sein.« Und Moritz Lachner suchte sich seinen Weg aus dem kleinen, verwunschenen Städtchen heraus und marschierte die Chaussee, die zur Bahnstation nach Dormagen führte. Von dort brachte ihn die Eisenbahn in einer halben Stunde nach Köln. Am Nachmittag ging er zu Frau Maria. Ein Dienstmädchen öffnete und wies ihm das Zimmer. Frau Maria hob den Kopf bei seinem Eintritt. Sie saß an ihrem Arbeitstischchen und stickte. Das volle Haar hatte seine Farbe geändert, es lag in silbernen Wellen um das jung gebliebene Gesicht. Nur der schärfer Zuschauende gewahrte die feinen Runen, die die Geschichte langer Nächte erzählten. »Sie sind es, Moritz?« »Ja, Frau Doktor. Und Sie sind wieder allein?« »Carmen ist doch von Heidelberg gekommen. Also bin ich nicht einmal so allein wie sonst.« »Aber sie ist nicht bei Ihnen.« »Sie kleidet sich in ihrem Zimmer an. Sie will zu einem großen Kostümfest, deshalb braucht sie mehr Zeit zur Toilette.« »Und deshalb unterbrach sie ihre Studien in Heidelberg ... Darf ich Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten, Frau Doktor?« »Wenn Sie den Abend für eine alte Frau frei haben, Moritz?« Moritz Lachner zog sich leise einen Stuhl heran, setzte sich und beugte sich über ihre Hand, die still im Schoße ruhte. »Sie sind mir wie eine Mutter, und Mütter werden nie alt.« »Verwöhnen Sie mich nicht, Moritz.« »Wie anspruchslos müssen Sie geworden sein, daß Sie mich unscheinbaren Menschen als Verwöhnung auffassen.« Sie lächelte über ihn hin. »Anspruchslos? O nein. Das wäre gleichbedeutend mit arm. Mein Vermögen trägt nur keine Zinsen mehr, aber es hat sich in jüngeren Jahren so angesammelt, daß ich bis zu meinem Tode davon zehren kann. Nein, anspruchslos bin ich nicht.« »Ich kann Sie nur immer bewundern,« sagte Moritz Lachner. »Dazu haben Sie keinen Grund. Ich sehe nur den Dingen in die Augen und gebe ihnen keine falschen Namen.« Dann plauderten sie von Tagesereignissen, von Lachners Dozententätigkeit und seinen wissenschaftlichen Plänen und merkten kaum, daß die Stunden dahingingen. Das Dienstmädchen hatte die Lampe gebracht, und die Uhr schlug halb acht, als Carmen ins Zimmer trat. Sie trug das kleidsame Kostüm der Damen der französischen Revolution. Wie ein Blumenkelch hob sich die schlanke Büste aus dem fließenden Gewand, und in den schwarzen Locken saß keck der Zweispitz. Es war Elastizität in dem jungen Körper. »Ist Laurenz noch nicht hier?« »Laurenz nicht, aber Moritz.« »Ach, der Moritz ... Guten Tag. Du schwänzest wohl dein eigenes Kolleg? Das ist heiter, aber es erlöst mein Gewissen, weil ich auch schwänze. Der Laurenz nimmt sich wirklich Zeit, Mutter.« »Du solltest eine Tasse Tee trinken und ein paar Cakes essen, Carmen. Es ist kalt draußen, und bis ihr ans Büfett kommt, werden noch ein paar Stunden vergehen.« »Tu’ ich dir einen Gefallen damit, Mutter? Aber unverantwortlich bleibt es doch von Laurenz, mich warten zu lassen.« »Vergiß nicht, daß du in Heidelberg auch deinen Professor warten lässest,« meinte Frau Maria lächelnd und ging, um selbst den Tee zu bereiten. »Die Mutter stellt dich damit Laurenz gegenüber auf eine hohe Stufe,« sagte Moritz Lachner. Sie sah ihn mit ihren dunklen Augen erstaunt an. »Glaubst du vielleicht, das täte Laurenz nicht auch?« Er zwang sich, den Blick ruhig zu ertragen, aber als er zu sprechen begann, wurde er plötzlich blaß. »Ich weiß, daß du mit einem anderen Bewußtsein gar nicht leben könntest, Carmen, trotz deiner freiheitlichen Allüren. Laurenz aber —« »Nun? Was hast du wieder an ihm auszusetzen?« »Alles,« sagte er und nahm sich zusammen. »Bitte. Spezialisieren.« Da floß es aus ihm heraus. »Er ist ein Egoist, der nur an sich denkt, der sich mit dir nur in Szene setzen will wie auch mit der Schönheit anderer Frauen, denen er den Hof macht. Jawohl. Ich rede nicht leichtsinnig. Oder denkst du, er mache seine melancholischen Augen nicht auch anderen? Wohin er kommt, posiert er. Der ganze Mensch ist Unnatur. Hinter seinen ewig weichen Schmeichelworten verbirgt er die brutalste Rücksichtslosigkeit, die sofort zum Durchbruch gelangt, wenn er die Gewalt hat. Andern Tags kennt er seine Geschöpfe nicht mehr. Um eine lustige Stunde für seine Eitelkeit zu gewinnen, ist es ihm gleich, ob er die Menschen, die ihm dazu verhelfen müssen, auf viele Jahre, wenn nicht auf immer todunglücklich macht. In Paris hat er sich ausgebildet, und es fluchen ihm mehr Mädchen, als du denkst. Solche Parasiten sollte man unschädlich machen.« »Weshalb glaubten sie ihm?« »Glaubst du ihm nicht auch?« »O — ich! Ich bitte doch, mich nicht in Parallele zu stellen.« »Weil du mehr Geist hast? Das ist ihm noch gar nicht aufgefallen. Er sieht nur dein Äußeres an, und das ist ihm angenehm.« »Bist du fertig mit deinen Hinterbringungen?« Seine Blässe wich. Das Blut kehrte zurück und stieg ihm in die Wangen. »Du tust mir unrecht. Ich bin erbötig, das, was ich soeben sagte, bei Terbroichs Eintritt zu wiederholen. Wenn ich den andern Weg wählte, tat ich es, um dich nicht in eine widerwärtige Szene zu verwickeln. Dazu bist du mir zu gut.« »Vergib, Moritz,« sagte sie und ergriff hastig seine Hand. »Carmen — —« »Ich weiß, daß du mich liebhast. Sieh, ich sprech’ es aus, damit du erfährst, daß mir der Gedanke gar nicht schreckhaft ist. Aber es kann nicht sein.« »Weshalb kann es nicht sein, Carmen? Denn ich liebe dich wahr und wahrhaftig.« »Ich will es dir sagen, Moritz, und ich will nichts beschönigen. Weil ich in den engen Geist einer Ehe, wie wir sie führen würden, nicht passe, weil ich mit allem, was ich gelernt habe, nicht bloß Mitläuferin sein kann, und weil mich meine ganze Veranlagung in die große Welt drängt. Ich muß die Arme ausbreiten können, so weit ich will.« »Der Geist der Ehe ist nicht so eng, wie du ihn hinstellst. Er kann durch die Kameradschaft der Gatten eine Welt eröffnen, gegen die deine ersehnte Welt nur ein leerer Schemen ist. Deine Sehnsucht ist das Fieber unserer Zeit. Sie alle, die in der Jugend die Heilung beiseite schieben, werden im Alter ein Gebrechen mit sich herumschleppen. Schau dich doch um unter deinen Vorbildern. Lauter unzufriedene, ruhelose Frauen.« »Siehst du die in der Allerweltsehe nicht?« »Die Ehe, die ich meine, ist keine Allerweltsehe. Der Geist wird die Form bestimmen.« »Ach, lieber Moritz, die Fessel der Frau schaffst du nicht aus der Welt.« »Wenn sie aus Gold besteht, bleibt sie nicht weniger, was sie ist.« »Dann — lieber gar keine Fessel.« »Wenn das Frauenschicksal eintritt, werden keine berauschenden Worte standhalten.« »Aber der Mann wird standhalten.« »Dann wäre alles gut. Aber du sprichst so leicht von Ausnahmen, weil du selber eine Ausnahmenatur bist. Carmen, ich bitte dich, weil ich dich liebhabe, prüfe nicht nur dich.« Frau Maria brachte den Tee. »Wenn es Ihnen recht ist, Moritz, warten wir beide noch ein Weilchen. Erst wollen wir die turbulenten Geister aus dem Hause haben. Dann genießen wir den Feierabend.« Carmen trank im Umherwandern den Tee. Sie horchte nach der Tür, und als es acht Uhr schlug, ließ das Dienstmädchen Laurenz Terbroich eintreten. Über seinem prallen Revolutionskostüm trug er einen langen Pelerinenmantel. Den Kopf zurechtzustutzen, hatte er unterlassen. Er wußte, daß ihn sein glattrasiertes Gesicht mit dem kleinen dunklen Backenbärtchen nach Lord Byron und dem vollen, dunklen Haupthaar am besten kleidete. Er begrüßte die Anwesenden mit jäh herausspringender Herzlichkeit. »Du läßt mich warten,« sagte Carmen kühl. »Ärger in der Fabrik. Das Etablissement muß dringend vergrößert werden. Aber das ist ein Ton, der nicht in unser schönes Lied paßt. Wundervoll schaust du aus.« »Gehen wir.« »Das Coupé wartet auf dich. Die neuen Schimmel, Carmen, und im neuen Silbergeschirr. Keine Dame Kölns fährt heute wie du.« »Heute,« wiederholte sie spöttisch, verabschiedete sich und ging ihm voran. — Frau Maria deckte den Abendtisch. Es wurde so traulich in dem kleinen Gemach, daß Moritz Lachner kaum zu sprechen wagte. Erst, als sie wieder im Fensterwinkel saßen, faßte er Mut. »Nun sind sie auf dem Balle,« begann er stockend. »Er hat sehr schöne Augen, Moritz. Oder liegt es daran, daß er immer die Wimpern darüber fallen läßt.« »In seinen Augen sind Punkte, die umherspringen.« »Ich habe die Beobachtung auch gemacht. Aber Carmen läßt es nicht gelten.« »Weil er zu glänzen versteht. Und aller Glanz zieht sie an. Das ist traurig.« »Es ist eine vorübergehende Erscheinung, Moritz. Das bringen ihre Jahre mit sich. Sie dürfen das nicht so schwer nehmen.« »Nehmen Sie es nicht auch schwer?« »Wenn sie verheiratet sein wird, wird der Glanz seine Anziehungskraft verlieren, und sie wird sich auf ihre tiefen und starken Fraueneigenschaften besinnen. Sie besitzt sie mehr, als sie jetzt ahnt.« »Sind — sind die beiden denn verlobt, Frau Doktor?« »Ja — Sie fragen mich da etwas, was Sie doch selber wissen müßten.« »Ich meine, Frau Doktor, ob Laurenz Terbroich schon mit Ihnen gesprochen hat.« »Nein. Das nicht. Aber —« Frau Marias Blick wurde groß. »Moritz, weshalb fragen Sie mich das alles?« »Weil ich das Gefühl habe, daß der junge Terbroich der einzige ist, der sich keinerlei Gedanken macht.« »Soll das heißen —« »Und weil ich möchte, daß Sie sich Gewißheit darüber verschafften, Frau Doktor. Ihr großes Vertrauen ehrt ja jeden, der davon betroffen wird. Sollte jeden ehren. Anders Denkende dürften für uns gar nicht existieren.« »Es kann nicht sein, Moritz.« »Wissen Sie, daß der junge Terbroich große Aufwendungen treibt?« »Er ist sehr vermögend. Sie hörten doch soeben erst, daß die Fabrik vergrößert werden soll.« »Sand in die Augen, Frau Doktor. Man sucht auf unauffällige Weise nach Geld.« »Carmen ist nicht unbemittelt.« »Das würde langen, um Laurenz’ Schulden zu bezahlen, nicht um die Fabrik flott zu machen.« »Nein, nein, nein! Sagen Sie das nicht! Denn — welche Rolle würde dann Carmen spielen?« Sie saß vornübergeneigt und sah ihrem jungen Freund starr ins Gesicht. Als erwartete sie von ihm, daß er den heraufbeschworenen Bann wieder von ihr nähme. »Frau Doktor, erschrecken Sie doch nicht so. Sie sind doch die Mutter. Ihnen wird Carmen glauben.« »Ja, was denn nur in aller Welt? Ich taste ja selbst im Dunkeln. Ich kann mich doch als Frau nicht auf das Spioniergeschäft verlegen. Was einem Mann ansteht, zieht eine Frau hernieder. Und täte ich es auch — ist der Terbroich so, wie Sie ihn schildern, so würde er mich belügen.« »Das würde er. Vorläufig würde er es.« »Herr Gott,« sagte Frau Maria, schloß die Augen und lehnte sich zurück, »wo ist Joseph — —?« Es war das erste Mal seit Jahren, daß sie seinen Namen nannte. Und der Klang, mit dem sie ihn aussprach, das jähe Heimverlangen nach dem Mann, dem Helfer, das hindurchzitterte, ergriff den Gast bis in die Seele. »Wenn Sie zu ihm gingen, Frau Doktor.« »Er wird sich vor mir zurückziehen, wie vor seiner ganzen Vergangenheit.« »Er hat sich auch vor mir nicht zurückgezogen. Ich war in Zons bei ihm.« »Sie, Moritz? Wann?« Ihre Spannkraft war zurückgekehrt. Ihre Hand legte sich fest auf Lachners Arm. »Heute, Frau Doktor.« »Heute? Wie sah er aus? Ich meine nicht nur äußerlich. So sprechen Sie doch.« »Er ist derselbe vornehme, ritterliche Mann. Nur ernst und still geworden.« »Und alt?« »Und alt. Bis auf sein heißes, blaues Auge.« »Die heißen, blauen Augen ...« sagte sie langsam, wie aus einem weiten Nachsinnen heraus. »Auf sie vertraue ich ...« »Tun Sie es, Frau Doktor. Tun Sie es Ihrer und — ~seiner~ Carmen wegen. Ich selbst will mich dann bemühen, wunschlos zu werden.« Sie hörte es nicht mehr. Seit sein Name über ihre Lippen getreten war, erfüllte er mehr und mehr das Gemach, nahm Gestalt an und zog ihr Denken auf sich. »Joseph —« Moritz Lachner erhob sich. »Ich weiß jetzt, daß Sie es tun werden, Frau Doktor.« Da sah sie auf, und ihre Mundwinkel zuckten. »Ich werde Wache halten. Carmen ist blind, und ich kann es ihr nicht einmal verargen, denn man glaubt, was man wünscht. Sollten Sie recht behalten, und sollten meine Kräfte schon schwach sein — nun, gute Nacht, Moritz. Sie haben mir zwar die Dunkelheit gezeigt, aber auch die Helle. Gute Nacht, Moritz.« Aufrecht, mit klarem, ruhigem Auge reichte sie ihm die Hand, und er ließ sie getrost allein. — — Wieder einmal brauste die Kölner Fastnacht heran und wirbelte das Leben durcheinander, bis es sich selbst vergaß. Am Nachmittag des Sonnabends, der den Fastnachtssonntag einleitet, stieg Frau Maria auf der Station Dormagen aus und ging, ohne anzuhalten, die Chaussee nach Zons. Die straffe Kälte hatte seit wenigen Tagen nachgelassen. Das Schneewasser rieselte von der Straße in die Gräben, und das Eis barst allenthalben. Vom Rhein her krachte es wie Böllerschüsse. Der Frühling sagte dem Winter Fehde an. Ohne die öde Landschaft zu beachten, schritt Frau Maria vorwärts. Sie sah müde und gealtert aus. Aber von Zeit zu Zeit hob sie den Kopf, und wenn ihr Blick die Wettertürme von Zons streifte, die wie ein Wunderbau aus dem flachen Land herauswuchsen, leuchtete es in ihren Augen auf, als wartete dort das Heil auf sie. Nun bog sie in das ihr bekannte Städtchen ein und suchte nach der Beschreibung Lachners des alten Klaus Gülichs Haus. Joseph Otten saß in seinem Zimmer am Schreibtisch. Seit dem Besuche seines jungen Freundes war er noch verschlossener und menschenscheuer geworden. Es dunkelte, und immer in den Dämmerstunden schlug er sich mit seinen Gedanken und erzwang sich Ruhe. »Bist du hier, Joseph? Man sieht dich nicht.« »Ja, Heinrich. Möchtest du etwas?« Heinrich Koch trat ins Zimmer. Mit schnellen Schritten ging er auf den Freund zu. »Ja, Joseph. Aber nicht ich allein.« »Was sagst du? Sei nicht so geheimnisvoll.« »Joseph, es ist jemand angekommen.« »Ich bin für keinen Menschen zu sprechen.« »Und wenn es — Maria wäre?« Der Stuhl kratzte über den Fußboden. Dann war es still. »Joseph, deine Frau ist gekommen.« Er wehrte heftig ab. Ein Angstgefühl schnürte ihm die Kehle zu. Feucht fühlte er es auf seiner Stirn. Nur jetzt nicht, nur jetzt nicht! Darauf war er nicht vorbereitet, dazu hatte er mehr Sammlung nötig als zu einem Kirchgang. »Darf sie eintreten? Sie wartet auf der Diele.« »Nimm dich ihrer an, Heinrich. Besorg ihr ein Fuhrwerk oder ein Zimmer im Gasthof. Frag ihr alle Wünsche ab und erfüll’ alle. Nur den Wunsch, mich zu sehen, soll sie nicht haben. Nur den nicht.« »Joseph, deine Frau kommt zu dir.« »Wenn du mein Freund bist, Heinrich! Oder ich muß auch Zons wieder verlassen ...« Da ging der Freund stumm hinaus. — — Joseph Otten stand am Fenster. Der frühe Mond zog auf und beleuchtete die Rheinwiesen und den Strom, der unter den stoßenden, drängenden Eisschollen stöhnte. »Ich bin wie ein Fisch, der auf den Strand geworfen ist,« dachte er finster, »und das ist kein Anblick.« Doch je mehr er hinter dem Bilde Schutz suchen wollte, umso stärker fühlte er, wie sein ganzes Wesen nach der Frau, die soeben schweigend sein Haus verließ, hinbegehrte, als sei es der beste Teil seines Selbst. Seine Hände krampften sich um den Fensterriegel. Da ging sie — —. Nur ihre Gestalt konnte er erkennen. Er strengte seine Augen an. Wie trostlos sie dahinging. Und es war der einzige Mensch, der in Lust und Leid an ihn geglaubt hatte. »Maria!« — — Er sah sie im Dunkel verschwinden. Wo war sie hin. Dort — in den Rheinwiesen! Nein, es waren zitternde Weidenbäume. Und doch! Aber dort führte doch kein Weg —. Er riß das Fenster auf und beugte sich weit hinaus. Das Donnern und Poltern der krachenden, schiebenden Eisschollen erfüllte sein Ohr. Der Strom —! Kalten Schweiß auf der Stirn, trat er zurück. Weshalb suchte sie den Strom auf? Und auf einmal durchzuckte es ihn: Sie will in den Rhein! In den Rhein will sie. Soeben hat ihre müde Seele den Fangschuß erhalten. Nun kann sie nicht mehr. »Hoho!« schrie er auf. Und Hut und Mantel zusammenballend, stürmte er hinaus. Um den Mauervorsprung, über die Wiesen, an den Rhein. »Hoho — ~Maria~!« =XVIII= Der Tauwind hatte sich stärker erhoben. Kurze, gellende Pfiffe stieß er zwischen den Pappeln aus, und über die platten Kronen der Weidenkrüppel fuhr er in zornigem Summen. Die Luft war voll eifernder Stimmen, und wie von Jägerrufen angefeuert, hetzten sich die Wolken, fraßen den Mond, spieen ihn aus und verschlangen ihn aufs neue. Und im jähen Wechsel des auf- und untertauchenden Lichtes wuchsen die Schatten auf den schneenassen Rheinwiesen ins Ungeheure, bekämpften sich, quirlten durcheinander und verschwanden spurlos im Nichts, um an anderer Stelle aufzutauchen, lautlos zu ringen und wieder zu verschwinden. »Maria!« rief Otten. Und das Lachen des Windes flog ihm um die Ohren. Hier, dort, überall glaubte er sie zu sehen. Die Schatten äfften ihn. Weiter, weiter! Und geradeaus nahm er den Weg zum Rhein. »Ich muß Posten fassen,« sagte er sich, »ich muß eine Übersicht gewinnen.« Der Strom war erreicht. Um ihn her war ein Lärmen wie in einer brausenden Volksversammlung. So weit der Blick reichte, zog sich das festlagernde Packeis das ganze Ufer entlang und lastete in vieler Meter Breite in den Strom hinaus. In der gewaltigen Mittelrinne aber herrschte chaotisches Leben, Zuruf, Kampfgeschrei und das Krachen und Stöhnen, als wären Tausende von Streitwagen mit Rädern und Achsen splitternd ineinander gefahren. Wenn der Mond aus den Wolken hervorjagte und einen grellen Fackelschein hinunterwarf, leuchteten die Ränder der sich hebenden und bäumenden Eisschollen wie Riesensaphire und Opale, verwirrten den Blick und setzten die Gedanken in Tumult. Otten stand am Ufer, in den Havelock eingehüllt, den breitrandigen Hut im Nacken. Mit aller Gewalt brachte er den Aufruhr in sich zum Schweigen; was an Leben in ihm war, konzentrierte er ins Auge und, den Oberkörper vorgestreckt, spähte er wie ein großer, dunkler Raubvogel die Eisfläche ab. Wieder behauptete sich der Mond. Otten griff an den Hut. Ein Windstoß wollte ihn packen. Und im selben Augenblick warf er sich gegen ihn, eilte, glitt, stolperte über das Eis, mit verschlagenem Atem und arbeitender Brust, seine Kräfte zum Stoß zusammenfassend, vorwärts, fünfzig Meter noch, vielleicht die Hälfte, vielleicht das Doppelte. Vor ihm ging eine Frau über das Eis, der Stromrinne zu. Schreien konnte er nicht, der Wind jagte ihm den Ton in die Kehle zurück. Weshalb auch das? Er konnte seinen Atem besser verwenden. Nun kam er dem Stromrand zu nahe. Das Eis klang unter ihm. Und wo er soeben noch den Fuß aufgesetzt hatte, lief es wie ein Kichern im Kreis, und wie Kichern rannte es hinter ihm her. »Wo sie geht, wird es nicht anders sein,« dachte er blitzschnell, und plötzlich schossen ihm krause Gedanken durch den Kopf, Wundertaten Gottes, wie die Wasser sich stauten im Roten Meer und der Pfad trocken lag, wie die Sonne stillstand zu Gibeon und der Mond im Tal Ajalon. »Was soll das jetzt? Was soll das nur?« Eine Eisscholle hob sich vor ihm aus der Rinne und kroch wie eine Schildkröte vor seine Füße. Er sprang hinüber, sah die Frauengestalt auf Armes Länge vor sich und riß sie zurück. »Still, Maria, sei ganz still, Maria ...« Er hielt sie an seiner Brust und wagte nicht, sich zu bewegen. Sein Atem ging stoßweise über sie hin, seine weitgeöffneten Augen blickten ins Leere. Ist es mein Herz oder ist es das ihre, das so wahnwitzig schlägt, dachte er, und Nebel tanzten vor ihm her. Dann zog er die Luft tiefer in die Lungen. Das beruhigte ihn. Und nun sah er auf die Frau nieder, die er im Arme hielt. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter, die Glieder waren schlaff. Die Augenlider hatten die Kraft nicht mehr, sich zu heben, nur ein Streifen Weiß schimmerte unter ihnen hervor. Das verstärkte den Eindruck des Abgestorbenen, und der Mann erschrak vor der starren Apathie. Ganz behutsam rief er sie an: »Maria — — —!« Ihr Kopf bewegte sich. Mühsam hoben sich die Augenlider ein wenig höher. Aber ihr Blick blieb ohne Ausdruck an ihm hängen, und die Starrheit der Züge änderte sich nicht. Sacht strich er über ihr Gesicht. »Hast du es wirklich tun wollen, Maria? Hast du das wirklich gewollt?« Sie schloß die Augen fest zu, und ein Schauer lief durch ihre Schultern. »Und du glaubst wirklich, ich hätte es dich allein tun lassen? Wenn einer auf der Welt überflüssig ist, so bin ich es doch. Wie wenig ich nütze bin, das wolltest du mir doch soeben zeigen.« Kurz hintereinander prallten zornige Windstöße gegen den Eisstrom. Die Schollen bäumten sich gegen das Ufereis, krachend brach der Rand und verschwand in der Tiefe. »Joseph!« schrie Frau Maria auf und zog ihn mit wilder Bewegung zur Seite. »Hast du Angst um mein Leben?« »Komm — komm fort,« murmelte sie, und Frost und Erregung schüttelten sie. Den Arm um sie gelegt, führte er sie ein paar Schritte dem Ufer zu. »Das geht nicht,« sagte er und blieb stehen, »dein Mantel liegt dir wie ein nasses Tuch an. Du kannst dich ja kaum auf den Füßen halten.« Und er zog ihr den Mantel ab und hüllte sie dicht in seinen Havelock, den er schnell von der Schulter genommen hatte. »Ist dir jetzt wohler? Spürst du etwas mehr Wärme? Warte, wir sind bald daheim.« Er legte ihre Arme um seinen Nacken und trug sie mehr, als er sie führte, über die glatte Fläche dem Ufer zu. Dann machte er eine kurze Pause. Langsam wandte er den Kopf dem aufkreischenden Eisgang zu, und eine Sekunde loderte die alte Siegerfreude in seinen Augen auf. Auch Frau Maria blickte zurück. »Jetzt — wäre es schon vorüber,« sagte sie tonlos. Und plötzlich gaben ihre Nerven nach, alle Anspannung versagte, ein krampfhaftes Aufschluchzen rüttelte ihren Körper, und ein leidenschaftliches Weinen schüttelte sie. Joseph Otten stand vor ihr und preßte ihre Hände. Preßte sie fester und fester, daß sie seine Nähe spüren sollte, selber erschüttert bis ins Mark. Es war das erste Mal, daß er seine Frau weinen sah. »Du wirst nie mehr weinen, Maria. Ich werde nur noch darauf achtgeben.« Vorsichtig löste er sie von dem Bilde los. »Jetzt gehen wir nach Hause. Der alte Klaus ist auch da. Alles wie früher, Maria, du sollst dich nur immer wundern können.« Sie kamen aus den Rheinwiesen auf die Straße, die in die Stadt führte. Die Lichter aus Klaus Gülichs Haus wiesen den Weg. »Nun sind wir beide in Sicherheit,« sagte Joseph Otten, und sie traten über die Schwelle in die erleuchtete Diele. »Marjedeies!« rief der alte Klaus und erhob sich bolzengerad von seinem Sitz. »Die Frau!« — — »Guten Abend, Klaus,« sagte sie leise und versuchte zu lächeln. »Wo kütt Ihr her? Et regent doch nit Engelcher?« »Ich war schon gegen Abend hier, traf aber nur Herrn Professor Koch. Dann bin ich am Rhein spazieren gegangen.« »Davon hätt mr de Spitzbow, Hochwürden Herr Professor, nix verzällt. Äwwer dat is doch kein Wetter, öm am Rhein spaziere zu gonn? Sie bibbern ja wie esu en Magnetnädelche, un kein Faden is trocken. Tringche!« herrschte er die verwunderte Wirtschafterin an, »flöck, hol ding Sonntagstrümp un dinge Kirchgangsrock. Vergeß nit die dicke Filzpantoffel. Un denn ene Grog, äwwer eine, wo der Löffel drin steche bliwt.« Professor Koch war um den Tisch herumgekommen, hatte Frau Marias Hand ergriffen und sie an seine Lippen gezogen. »Ich werde sie auf mein Zimmer bringen,« sagte ihm Otten, »du schickst mir wohl unsere Haushälterin.« Frau Maria gab den Männern die Hand und ließ sich willenlos auf Ottens Zimmer führen. Im Ofen flackerte ein tüchtiges Feuer. Man spürte Heinrich Kochs sorgende Hand. Die Wirtschafterin folgte ihnen auf dem Fuß, und Otten ließ die Frauen eine Weile allein. Als er ins Zimmer zurückkehrte, saß Frau Maria in trockenen Kleidern, Füße und Knie sorgsam eingehüllt, in der Sofaecke und nahm auf Zureden von Tringche den heißen Trank zu sich. »Es geht mir schon wieder gut, Joseph.« Otten zog einen Stuhl neben das Sofa, setzte sich und nahm ihre Hand. Die Wirtschafterin fragte, ob sie zu essen bringen solle. »Ich kann nicht,« sagte Frau Maria, und auch Otten schüttelte den Kopf. Dann ging die Frau mit zutraulichem Gruß, und sie waren allein. Beide sahen sie vor sich nieder. Draußen rüttelte der Wind an den Fensterläden und fuhr in ohnmächtiger Wut um das Haus, in das ihm seine Beute entschlüpft war. Sie hörten ihn beide, und hörten dumpf in der Ferne den Eisgang. »Weshalb wolltest du das tun, Maria?« »Du hattest mich nicht mehr nötig.« »Ich durfte dich nicht mehr nötig haben, Maria. Du hast doch immer so gut in mir zu lesen verstanden.« »Aber ich hatte ~dich~ nötig, dich! Wäre ich sonst gekommen, wenn ich noch ein und aus gewußt hätte? Du lasest doch auch in mir, für dich war ich doch nie ein Rätsel, und ich wurde abgewiesen.« »Es geschah in der ersten Überraschung. Ich war so unvorbereitet, daß ich den Kopf verlor.« »Sieh, Joseph, es war das erste Mal, daß der Glaube an dich ins Wanken geriet. Was du auch im Leben zuviel getan und zuviel unterlassen haben mochtest, ich habe immer den ritterlichen Mann in dir gesehen. Selbst damals, als das Unglück kam. Ich war Frau genug, um das alles zu verstehen, und vor allem — ich war doch ~deine~ Frau. Nur einen großen Fehler habe ich begangen: ich hätte mich dir aufzwingen müssen. Vielleicht wärst du schneller gesundet, vielleicht wären wir beide vor der Zeit miteinander alt und still geworden. Aber wir wären doch beieinander gewesen.« Er streichelte wortlos ihre Hand. »Was sollte ich aber jetzt noch im Leben, Joseph? Ich hätte ja nicht einmal mehr den Beruf gehabt, an dich zu denken.« »Du hast Carmen vergessen, Maria?« »Carmen — —,« wiederholte sie langsam. »Deshalb wollte ich ja zu dir.« »Macht sie dir Sorgen?« »Sie möchte mich auch der Sorgen entheben.« Frau Maria starrte in den Schoß. »Sie will den Weg für sich frei haben, und sie will nicht sehen, wohin der Weg führt. Joseph,« brach es aus ihr hervor, »du mußt helfen! Gib mir den Glauben an dich wieder! Es geht um das Kind!« Sie war ganz erschöpft, und Otten nahm sie fest in den Arm. »Beruhige dich doch,« sagte er, »jetzt bist du bei mir, und ich bin wieder der alte. Hat mein Wort noch Wert für dich?« Da schlang sie die Arme um seinen Hals und suchte seinen Mund. Und er küßte ihre blassen Lippen und ihre heißen Augen. »Meine du — — meine du — —!« Eine Weile lag sie still und atmete ruhig. »Ich möchte jetzt erzählen,« sagte sie dann. »Wird es dich heute nicht zu sehr aufregen?« »Ich hab’ ja in dir den Helfer wieder. Was soll mir da noch schwer werden.« »Ist es mit Laurenz Terbroich? Du weißt, daß Lachner bei mir war, aber ich glaubte keine Rechte zu besitzen.« »Ja — — mit Laurenz Terbroich. Und Carmen ist mündig. Ihr Studium hat sie noch mündiger gemacht. Darüber wollte ich nicht klagen, wenn sie ihr Selbstbestimmungsrecht zielsicher ausübte. Aber sie tut es nur dort, wo es ihr paßt, sie fürchtet, vom Leben zu verlieren, wenn sie an einer festlichen Stunde vorüberginge, und wenn sie die meisten Stunden als festliche auffaßt und ich den Finger ins Mal lege, beruft sie sich stolz auf ihr Blut und auf —« »Sag es nur.« »Und auf das Beispiel ihres Vaters, der für sie immer das Vorbild war.« »Es ist meine Tochter,« sagte Otten und preßte die Lippen aufeinander. »Dann kam Laurenz Terbroich heim. Er hatte sich in London und Paris zu einem hübschen Menschen ausgewachsen, und er wußte, daß er auffiel. Wäre er von den jungen Mädchen nicht so sehr hofiert worden, ich glaube nicht, daß Carmen sich um ihn gekümmert hätte. So aber freute es sie, daß er für sie alle scheinbar keine Blicke hatte und nur diensteifrig ihre Gunst suchte. Es gibt Menschen, die wie schleichendes Gift wirken. Laurenz Terbroich gehört zu ihnen. Ich selber ließ mich täuschen. Ich hielt bis vor wenigen Tagen für vorübergehende Eitelkeit, was kälteste Berechnung war. Er ist eine einzige Lüge.« »Liebt er Carmen?« »Wer sollte sie nicht lieben? Du hast sie zu lange nicht gesehen.« »Und — liebt sie ihn wieder?« »Er baut Luftschlösser vor ihr auf, bis sie berauscht ist. Dann geht ihre Phantasie mit dem Erzähler durch.« »Und du glaubst, er denkt nicht daran, sie zu heiraten?« »Er denkt nicht einmal daran, ihr treu zu sein.« Otten stand auf. Einigemale ging er mit zusammengezogener Stirn im Zimmer auf und ab. Dann blieb er vor ihr stehen. »Nicht treu? Aus dem Wort läßt sich zu viel herauslesen. Hat er ihr ein Versprechen gegeben? Belügt er sie? Unternimmt er Dinge, die sie beleidigen müssen? Untreu sein heißt ein anderer sein, als man vorgibt.« »Das ist es, Joseph, und hier trifft es zu.« »Das ist schlimm für Carmen — —.« Sie forschte gespannt in seinem verfinsterten Gesicht. »Du wirst helfen ...« Er atmete tief. »Ich möchte. Wenn ich kann. Aber ich weiß noch keinen Grund.« Da sprach sie hastig weiter. »Ich war wohl zu stolz auf meine Erziehungskunst. Und wenn ich in all den Jahren, in denen du nicht kamst, nur immer an dich denken konnte, so übertrug ich alles, was ich dir hätte geben mögen, mit auf das Kind und achtete jede Stunde auf seinen Körper und auf seinen Geist. Dadurch habe ich vielleicht zuviel getan. Carmen sah sich zu früh als Mittelpunkt, als besonderes Geschöpf, und ihre lebhafte Einbildungskraft hob sie noch höher. Sie hat die künstlerische Ader von dir und die heftige Begeisterung für Schönheit, Heiterkeit und Lebensausschmückung. Laurenz Terbroich kam ihr darin entgegen, und sie nahm seine leichtsinnige Ader für eine künstlerische, seine Begierden für einen Schönheitsrausch. Der ewige Irrtum. Und Carmen gewahrte ihn nicht. Sie sah nur das in ihm, was er ihr vortäuschte, den großzügigen Weltmann. Und dabei stand die Fabrik durch sein verschwenderisches Leben in Paris, das er in Köln fortsetzte, vor ernsten Zahlungsschwierigkeiten.« »Weißt du das sicher?« »Er verstand es so ausgezeichnet, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, daß auch ich blind blieb. Erst Moritz Lachner brachte meine Sicherheit ins Schwanken.« »Ein verschmähter Liebhaber ist kein klassischer Zeuge.« »Du tust ihm unrecht. Er liebt nicht nur Carmen, er liebt die Ottens mit einer tiefgegründeten Schwärmerei. Er sieht zu dir mit derselben Begeisterung auf, mit der er Carmen liebt.« »Mißliche Vermögensverhältnisse würden nicht ausreichen, Gewalt anzuwenden. Auch werden dem alten Terbroich, wie ich ihn kenne, trotz seiner blinden Bewunderung für seinen Sohn die Augen aufgehen, sobald er das Messer an der Kehle spürt.« »Sie sind ihm aufgegangen. Gestern erfuhr ich es.« Otten streckte sich. »Was?« »Ich habe meine Natur unterdrückt und habe geforscht, wo es nur zu forschen gab. Du brauchst nicht zu fragen, ob es mir sauer wurde. Und ich erfuhr, daß es eine arge Szene zwischen Vater und Sohn gegeben habe.« »Und Laurenz ließ sich beschwatzen?« »Er war es selbst, der den Vorschlag machte. Die Verlobung mit der Tochter eines reichen Geschäftsfreundes.« »Ah — —. Und Carmen ist orientiert?« »Sie lachte mich aus. Es kommt ihr gar nicht in den Sinn, daß ein Mensch von ihr ablassen könnte.« »Und du?« »Ich ging zu Laurenz Terbroich. Verzeih, Joseph, daß deine Frau den Schritt unternahm. Aber ich wollte Klarheit um jeden Preis, und es war sonst keiner da, der sie mir hätte beschaffen können.« »Arme Frau,« sagte Joseph Otten und sah sie lange an. »Er hat seine eigene Wohnung. Du kennst das Haus in der Komödienstraße, es gehört Terbroich. Ich traf Laurenz und fragte ihn: Was habt ihr vor? Und er ging mir mit seiner glattesten Liebenswürdigkeit aus dem Wege. ›Überlassen Sie das nur ruhig uns, Frau Doktor, wir sind ja noch so jung, weshalb uns jetzt schon binden und unter unsere Jugend einen Strich machen!‹ Da befragte ich ihn wegen des Verlobungsprojektes. Er war zuerst bestürzt, dann wich er aus. ›Vielleicht ein kaufmännischer Schachzug meines Vaters. Die Zeiten sind etwas schwierig. Aber Carmen und ich lassen uns selbst durch solche Projekte nicht irritieren.‹ Ich ging, wie ich gekommen war, nur beschämter, beschämt, kein Mann zu sein. Ich konnte ihn nicht bezwingen.« Ottens Gesicht war dunkelrot geworden. »Der Bursche — —! Ich erkenne seinen Vater in ihm!« »Joseph — —« »Sie sind zu vorsichtig, sich eine Blöße zu geben. Danken wir Gott, wenn Carmen von der Gesellschaft befreit ist.« »Und wenn sie — zu spät davon frei wird? Das ist ja meine jagende Angst. Ob es nicht schon — zu spät ist?« Aus Ottens Gesicht wich die Farbe. »Sag das nicht, Maria. Das nicht.« »Ich muß es. Ich kann nicht mehr warten. Es geht ja nicht nur um Carmen, es geht ja auch um dich. Deine Tochter, Joseph! Deine Tochter: ein Spielzeug! Darüber — nein, darüber kämst du nie hinweg. Und wenn andere Frauen, klügere, zeitgemäßere Frauen tausend schöne Worte dafür finden — hier handelt es sich nicht um andere Frauen, nicht um klügere und freiere, nicht um alle Frauen der Welt, hier handelt es sich um deine Tochter. Du: ~deine~ Tochter! Wo ist der Vater? Ich bin todmüde ...« Mit jäher Bewegung umfaßte Otten seine Frau. Sein Gesicht war starr wie eine Maske geworden. Kein Laut war zwischen ihnen als ihr schweres Atmen. Und dann wiederholte Otten mechanisch: »Sei still, Maria, sei ganz still ...« »Jetzt bin ich es.« Sie saßen nebeneinander, einer in des anderen Arm. Keiner sprach mehr, denn ihre Gedanken waren eins geworden. Bis Frau Maria zusammenschauerte. »Was hast du, Maria?« »Ich friere, und doch bin ich heiß.« »Du mußt zu Bett gehen. Es wird eine Erkältung sein.« Sie versuchte sich zu erheben, und die Glieder versagten. Mit einem müden Lächeln ließ sie davon ab. »Nun bürde ich dir schon die zweite Last auf. Wie Blei liegt es in mir. Wenn ich jetzt nur nicht krank werde.« Otten beugte sich über sie. Seine Hände betasteten ihre Schläfe und ihren Puls. »Um Gottes willen, Maria.« »Komm, ich will mich auf dich stützen. Vielleicht ist es nur die Freude, mich bei dir ausruhen zu dürfen. Gib acht, es ist so. Wenn ich morgen aufwache, ist alles gut.« Er legte den Arm um ihren Leib und führte sie, Schritt für Schritt, in seine Kammer. Dort blieb er bei ihr, bis sie sich niedergelegt hatte. Ihre Zähne schlugen vor Frost aufeinander. Und doch fand sie Worte der Sorge für ihn. »Wo wirst du die Nacht über bleiben? Ich habe dich vertrieben.« »Ich kampiere auf dem Sofa nebenan. Das geht sehr gut. Wir lassen die Türe auf, und du brauchst nur zu rufen, wenn du irgend etwas wünschest.« »Laß dir von der Wirtschafterin Decken geben. Es wird dir kalt werden.« Ihre Schultern bebten. »Mach dir doch keine Gedanken um mich, Liebste.« »Liebste — —,« murmelte sie. »Ich besorge dir noch schnell einen heißen Tee,« sagte er aufgeregt. »Wir werden die Erkältung schon aus dem Felde schlagen. Du hast nun genug gelitten.« Sie sah ihm mit glänzenden Augen nach, als er das Zimmer verließ. Unten traf er den alten Klaus, Heinrich Koch und die Wirtschafterin. Er verständigte sie mit wenigen Worten und setzte sich schweigsam neben den Herd, um auf den Tee zu warten. Als er wieder hinaufstieg, kam Koch ihm nach. »Kann ich dir behilflich sein?« »Ich danke dir. Ich hoffe, sie wird bald einschlafen.« »Du, Joseph, ich warte hier unten.« »Willst du nicht auch zu Bett? Es ist spät.« »Ich habe so das Gefühl, als ob du heute gern einen Menschen um dich wüßtest.« »So warte.« Und er stieg eilig hinauf. Frau Marias Augen waren nicht von der Tür gewichen. Und wieder glänzten sie auf, als er eintrat. Er gewahrte diesen Blick und errötete. »Ist dir wärmer geworden?« fragte er. »Du sollst dich nicht ängstigen, Joseph. Sonst muß ich aufstehen und erst für dich sorgen.« Er stützte ihren Rücken und reichte ihr den Tee. »Trink. Er ist glühend heiß. Aber die Wirtschafterin schwört auf ihn.« Sie schlürfte ihn langsam ein, und wenn sie absetzte, lehnte sie den Kopf gegen seinen Arm. Den Blick ließ sie nicht mehr von ihm. »Wie hübsch das ist. Zwei alte Leute ...« »Ja, Maria, viel Staat wirst du nicht mehr mit mir machen können. Meine Eitelkeit ist der Zeit unterlegen. Kein Haar auf dem Kopfe, das nicht tributpflichtig geworden wäre. Grau, grau, grau.« »Und ich bin weiß.« »Wie dich das Weiß kleidet. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß du je anders gewesen bist. So friedlich und so mütterlich macht es dich. Ich bin nur verwittert.« »In jedem Zug bist du wie früher. Wenn man älter wird, hat man andere Schönheitsbegriffe, und das ist gut.« »So,« befahl er, »und jetzt keine weiteren Schmeicheleien.« Er ließ ihren Kopf in die Kissen sinken und wickelte sie fest in die Decken. »Wenn du mich liebhast, schläfst du auf der Stelle ein.« »Ich will erst sehen, daß die Wirtschafterin dir dein Sofabett richtet.« »Unverbesserliche du. Ich werde sie also rufen.« Tringche kam mit Decken und Kissen, bereitete das Lager, sah nach der Frau, klopfte an ihren Betten herum und verschwand mit vielen guten Wünschen. »Gute Nacht, Joseph.« »Gute Nacht, du liebe Frau.« Sie schloß einen Moment die Augen, öffnete sie groß, hob die Arme und zog schnell seinen Kopf an ihre Brust. »Du! — — — Nun sind wir alte Leute .... Gute Nacht.« Er saß auf dem Bettrand, bis sie eingeschlafen war. »Nun sind wir alte Leute,« wiederholte er sich. Und er schüttelte den Kopf. »Man muß den Kreis nur etwas enger ziehen, und man bleibt jung. Der alte Klaus fühlt sich wie ein Jüngling.« Er erhob sich leise und ging aus dem Zimmer. Dabei fiel ihm ein, daß Heinrich Koch auf ihn wartete. »Ich werde mich noch ein Stündchen zu ihm auf die Diele setzen. Wir haben als Knaben zusammen begonnen und schließen als Grauköpfe den Kreis. Was darin ist, bedeutet nun für uns die Jugend.« Heinrich Koch saß am Eichentisch und träumte. Das Lampenlicht beschien sein ernstes, faltiges Gesicht. Als er Ottens Schritt vernahm, sprang er auf und ging dem Freund entgegen. Stumm streckte er ihm die Hand hin. Es wurde ein kräftiger Druck. »Was bedeutet das, Heinrich?« »Das bedeutet einen Glückwunsch.« »Bist du auf deine alten Tage Gedankenleser geworden?« »Dazu bedarf es bei dir keiner Kunst. Du bist gottlob keine komplizierte Natur, und deine Augen blicken wie ein Paar Seemannsaugen, die nach langem bösen Wetter endlich wieder Land erblicken. Land, Joseph!« »Ich danke dir für deinen Glückwunsch. Du hast dich nicht geirrt. Heinrich, ich spür’ wieder mein Blut kreisen.« »Der Mensch muß eine Aufgabe haben. Du bist ein glücklicher Mann.« Sie saßen sich gegenüber wie so oft und betrachteten sich wie nach einer langen Trennung. »Der alte Klaus ist zu Bett,« sagte Heinrich Koch, »wir sind, glaube ich, die einzigen Nachtschwärmer in ganz Zons.« »Maria fieberte. Aber sie ist leicht eingeschlafen.« »Nur sorgenfreie Menschen schlafen leicht ein. Gibt dir das nicht zu denken, Joseph?« »Ich sehe alle die Nächte vor mir, in denen sie schwer einschlief. Ihr Leben darf nicht kurz sein, wenn das Versäumte eingebracht werden soll. Und doch ging es um Sekunden.« »Dort?« Heinrich Koch wies still nach dem Fenster. »Ja. Dort.« Sie horchten beide hinaus. Aus der Ferne dröhnte es dumpf zu ihnen herüber. Der feuchte Südwind jagte die Schollen rheinab und zerbrach das Ufereis. Wie ein Geisterkampf klang es durch die Nacht. »Morgen,« sagte Heinrich Koch, »morgen oder in zwei Tagen wird der Strom frei sein von einem Ufer zum andern. Und er wird die kurze Strecke bis in die Niederlande wieder seine Pflicht erfüllen können.« »Er — und ich, Heinrich. Die kurze Strecke bis in die Niederlande.« »Aber besser münden als er. Nicht verzettelt in kleinen Kanälen. Stolz und kühn muß es ins Meer gehen.« »So haben wir es uns erträumt, als wir jung waren.« »Und wir wollen sorgen, daß wir uns vor unserer Jugend nicht zu schämen haben. Du vor allem, Joseph, du für mich mit. Das Abendrot soll so leuchtend sein wie das Morgenrot. Nur nicht klein werden.« »Es sind fast dieselben Worte, die ich Maria sagte, als ich ihr zum erstenmal von meiner Liebe zu ihr sprach. Sie glaubte es mir. Damals! Und nun wird es Zeit, daß ich auch dies Versprechen mit manchen anderen einlöse. Damals — —! Ich bin inzwischen fünfundfünfzig Jahre alt geworden, aber es sind viele Kriegsjahre darunter, und die zählen doppelt. Damals glaubte ich, sie würden nur die Hälfte zählen, und weiß Gott, in der ersten Zeit war es so, und so blieb es noch lange, weil Maria mir alles um eine gute Hälfte erleichterte. Damals,« sagte er, und wieder »damals — damals —« und begann zu erzählen, als gälte es eine frohe Beichte, von Dingen, deren er niemals einem dritten gegenüber Erwähnung getan hatte, von Marias einsamer Jugend, ihrer ersten Begegnung in Koblenz, ihrer Kameradschaft und ihrer Liebe. Den ganzen Frühling ließ er lebendig werden und alle Frühlingshoffnungen und Erfüllungen, ihre gemeinsamen Reisen, das Mutterwerden Marias, seinen Vaterstolz, die Ehe, die sie ihm zu einem Hafen umgestaltet hatte, bis er die letzte, verhängnisvolle Ausfahrt getan. Eine feine Röte stand auf des Professors Stirn. »Nun habe ich alles miterlebt,« sagte er, »ich danke dir, Joseph.« »Mir ist fast,« meinte Joseph Otten, »als hätte ich in dieser Nacht das Rätsel meines Niedergangs gelöst.« »Dann ist der Niedergang gebannt.« »Willst du es wissen?« »Ach, Alter, ich weiß es schon so lange. Aber man muß es selber empfinden, wenn es Wunder wirken soll.« »Ja, Heinrich, ich hatte mir stets die Sorgen abnehmen lassen und nie welche übernommen. Das war es. Und ich stand grimmig beiseite und glaubte, meine Kräfte wären erschöpft, weil ich nicht wußte, was noch mit ihnen beginnen.« Heinrich Koch deutete mit einem Blick zur Decke. »Maria hat dir eine Aufgabe gebracht?« Otten erhob sich. In seiner hageren Gestalt spannte sich jeder Nerv. »Das Kind ist in Gefahr,« sagte er, und es war, als ob ein Lachen in seinen Augen aufspränge, ein jäher Lebenshunger. »Weissagte ich dir nicht, daß du ein glücklicher Mann seist?« Die beiden Graugewordenen standen und sahen sich mit blitzenden Augen an. Draußen fegte der Nachtwind über Rheinwiesen und Strom. Das Grollen des Eisgangs brach nicht ab. »Er wütet, weil ich Sieger geblieben bin. Hörst du’s?« Und sie lauschten hinaus und lachten kurz vor sich hin .... »Ich muß nach Maria sehen. Laß es erst morgen werden. Ich lebe noch.« Sie reichten sich die Hand, und Otten ging hinauf. Aufrecht und jung. Nie, so war ihm, hatte er sich glücklicher gefühlt als in dieser Stunde. =XIX= Die Glocke der Zonser Pfarrkirche läutete den Sonntag ein. Das ganze Land ringsum sog die Feierlichkeit ein, die wie ein alter Segen über Wiesen und Äcker schritt, und lag lautlos und erwartungsvoll. Der Wind hatte die Wolken vertrieben. Eine wärmende Vorfrühlingssonne zog auf und schien ruhig auf Landschaft und Strom, der fast die ganze Breite seines Bettes zurückgewonnen hatte und nun auf starkem Rücken das rasch zu Tal gleitende Eis wie ein leichtes Spielzeug trug. Selten nur klang ein Ton durch die Stille, wenn sich vom Uferrand eine neue große Scholle löste, sich verwundert um sich selber drehte und pfeilschnell den Gefährten in die trügerische Freiheit nacheilte. Tringche, die Wirtschafterin, kam aus der Frühmesse, die sie seit dem Tage, an dem die sonderlichen Gäste in ihr Haus gezogen waren, nie versäumte. Die Gemeinde war klein, es gab nicht viel zu schauen, und die einfache Seele nutzte Zeit und Gelegenheit, die Fürbitte der lieben Heiligen auch für die Hausgenossen zu erflehen, die daheim geblieben waren und auf ihre Art eine direkte Verständigung mit dem Herrgott herbeizuführen trachteten. Als sie in die Küche trat, brannte bereits das Feuer, und der Professor stand neben dem Herd und achtete auf das Wasser, das gerade ins Kochen geriet. »Is die Frau als munter?« fragte sie und griff ohne weiteres mit zu. »Munter wäre zu viel gesagt. Aber sie ist aufgewacht. Wir wollen schnell für den Tee sorgen.« Wenige Minuten später stand Heinrich Koch mit dem Teebrett vor Ottens Tür und klopfte leise. Joseph Otten öffnete. Er nahm das Teebrett entgegen, dankte mit einem Neigen des Kopfes und trat, die Tür behutsam schließend, ins Zimmer zurück. Aus der Kammer kamen kurze, schnelle Atemzüge. Vorsorglich kühlte Otten das Getränk und trug es ans Bett. »Es wird dir gut tun, Maria.« Beim Klang seiner Stimme schlug sie die Augen auf. »Mir ist so heiß, und es drückt auf der Brust und im Kopf.« »Wir werden’s schon niederzwingen.« »Joseph,« sagte sie nur, faßte seine Hand und trank gehorsam. Nach einiger Zeit fragte sie nach dem Wetter. »Die Sonne ist durch? Bitte, stoß den Laden zurück. Ich möchte die ganze Kammer voll Sonne sehen.« Er willfahrte sofort. »Du brauchst dich gar nicht zu rühren. Ich schiebe dir ein Kissen unter den Kopf, und du kannst vom Bett aus gerade durch das Fenster blicken. Ist es schön?« Sie lag und sah mit großen Augen in die Sonne. »Wunderschön« — — — Gegen Mittag wurde sie unruhiger. »Joseph — es ist doch mehr als eine Erkältung. — Das Atmen schmerzt mich so. Und es klopft — überall.« Er hielt ihren Puls zwischen den Fingern und befühlte ihre Stirn. »Ich lasse sofort den Arzt holen. Der soll dem Fieber zu Leibe. Und morgen bist du gesund.« Auf der Treppe hatte er eine kurze Unterredung mit Koch, der sogleich Hut und Mantel nahm und sich nach Dormagen aufmachte, um Arzt und Apotheke aufzusuchen. Darüber wurde es Nachmittag. Otten saß am Bett seiner Frau und hielt ihre Hand. Er hatte ihr eine kalte Packung um die Brust gemacht und sie nach einigen Stunden erneuert. Danach fühlte sie Erleichterung. »Schreibe nichts an Carmen. Sie soll sich nicht erschrecken.« »Ist sie denn allein zu Haus?« »Das Mädchen ist bei ihr. Die ist zuverlässig. Und Moritz Lachner wird nach ihr sehen.« »Wissen sie, daß du hier bist?« »Moritz Lachner weiß es. Er wird es ihr sagen.« »Wenn dir morgen besser ist, Maria, gehe ich nach Köln.« Sie drückte seine Hand, schloß die Augen und schlummerte wenige Minuten. In ihr Gesicht trat ein schmerzlicher Ausdruck. Unruhig bewegte sie den Kopf und erwachte. »Der Atem — will gar nicht.« Durch die Wirtschafterin hatte er sich Eis besorgen lassen. Er schlug ein Stück in kleine Teile und gab sie ihr ein. Dabei stützte er wie eine Mutter, die ihrem Kinde helfen möchte, ihren Kopf, und sie drückte ihr Gesicht fest in seinen Arm. »Bleib so, Joseph.« »Gern, Liebste ....« »Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich einmal das Fieber. Das ist meine schönste Erinnerung an meine Kindheit. Klingt das nicht komisch? Und doch ist es so. Denn damals — bekümmerte sich meine Mutter — den ganzen Tag nur um mich. Wie wohl das tat. Wenn ich in ihrem Arm lag, war ich sofort still — und träumte. Von bunten Wiesen und warmer Sonne darauf, und einer Schaukel zwischen zwei Obstbäumen, auf der ich mich — ganz sachte — schaukelte. Das war ein wonniges Gefühl. Frei — und doch geborgen. Jetzt schaukele ich wieder.« »Weil du geborgen bist.« »Weil ich geborgen bin. Ja — —. Wie wunderbar das ist, daß sich das — wiederholt. Jetzt wiederholt. Ich hab’ nicht lange — ein kleines Mädchen sein dürfen. Daher sind mir auch die Tage — so treu im Gedächtnis geblieben. Und später — wenn ich einmal von Herzen müde war — habe ich mich heimlich immer nach ihnen gesehnt. Oft — oft sehr stark. Aber ich hatte ja — den großen Jungen zu schaukeln, der mein Mann war. Das ging vor. Und nun — tust du mir denselben — Liebesdienst.« »Sprich nicht so viel, es strengt dich an.« »Das tut nichts. Ich habe eigentlich — nie viel im Leben gesprochen. Aber heute macht es mir Freude. Ich kann dir das nicht erklären. Aber es ist mir so, als ob ich immerfort — immerfort mit dir plaudern müßte. So vieles, was ich versäumt habe — dir zu sagen. Ich war immer zu beschämt, es auszusprechen. Du solltest mich nicht für aufdringlich halten. Daß ich dich so heiß liebte.« »Du — du —« sagte Otten und wiegte sie leise. »Nun bin ich wieder — in der Schaukel. Die einzige schöne Kindererinnerung, die mir geblieben ist, nimmt Gestalt an — daß ich sie greifen könnte. Das ist — wie eine Auferstehung. — Ach du — — bei dir ist es so gut ....« »Ich glaube,« sagte Otten, »du willst mir gar noch danken.« »Ich habe Grund dazu. Nein, widersprich nicht. Wenn ich einmal sterben sollte — will ich ihn dir sagen.« Er wiegte sie hin und her. Sein graues Haar lag dicht an ihrem vor der Zeit gebleichten. Vor dem Hause fuhr die Kalesche des Arztes vor. Heinrich Koch hatte ihn erst erwarten müssen und ihn nach kurzer Aufklärung gleich mitgebracht, nachdem sie sich in der Apotheke mit allem, was in Betracht kommen konnte, versehen hatten. Der Arzt klopfte an die Zimmertür, und Otten rief »Herein!«, ohne seine Frau aus dem Arm zu lassen. Einen Moment blieb der Arzt, betroffen von dem seltsamen Bild, auf der Schwelle stehen. Dann trat er rasch näher und nannte seinen Namen. »Gestatten Sie, daß ich sofort die Untersuchung vornehme?« Jetzt erst machte Otten Platz. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und stand am Fußende des Bettes, damit Frau Maria ihn sehen könnte. Es tat ihm weh, als der Arzt ihre Brust enthüllte. Die Untersuchung zog sich eine geraume Weile hin. Zwischendurch stellte der Arzt einige Fragen nach allem, was voraufgegangen war. Bevor Otten antworten konnte, antwortete Frau Maria. Sie wollte nicht, daß er sich mit einem Bekenntnis peinigen sollte. »So, so. Sie sind bei dem Unwetter am Rhein gewesen. Diesen Frühlingsstürmen ist nicht zu trauen. Und jedenfalls befanden Sie sich in einer seelischen Erregung, die Sie zur Aufnahme der Krankheit noch geeigneter machte. Nun, es ist nur eine Affektion. Die Hauptsache ist, gnädige Frau, daß Sie aufs genaueste die Vorschriften befolgen. Dann werden wir bald wieder am Rhein spazieren gehen. Aber bei besserem Wetter. Soll ich aus dem Kloster eine Schwester herbitten?« »Wenn Sie ~mir~ die Dienstreichungen anvertrauen könnten, Herr Doktor,« sagte Otten und trat vor, »so wäre es mir lieber. Was mir an Geschicklichkeit abgeht, ersetze ich durch Zuverlässigkeit.« »Ich dachte nur, daß sich Frauen gegenseitig —« »Meine Frau ist nur an mich gewöhnt.« »Schön. So darf ich Sie wohl informieren, und am besten im Beisein der Wirtschafterin.« Otten öffnete höflich die Tür, nickte seiner Frau zu und folgte dem Arzt, der auf der Treppe stehen blieb. »Hören Sie, Herr Doktor Otten, das ist keine leichte Affektion, wie ich es vorhin zur Beruhigung Ihrer Gattin hinstellte. Ich habe die Pflicht, Ihnen gegenüber offen zu sein. Und ich kann es doch?« »Ohne Schonung, wenn ich bitten darf.« »Es ist eine Lungenentzündung, die sich rapide entwickelt hat. Wenn ich auch nicht gleich das Schlimmste befürchte, so muß ich Sie doch auf den Ernst der Situation aufmerksam machen. Meine Vorschriften müssen auf das peinlichste befolgt werden, eine Nachtwache muß sein, die alle zwei Stunden die Packungen wechselt und jede Minute bereit ist, beizuspringen, der Kranken durch Eisstückchen Erleichterung zu verschaffen und ihre Herztätigkeit durch einen Trunk Champagner anzufeuern. Ich möchte Sie noch einmal fragen: Soll ich nicht lieber eine Vinzenzschwester bitten?« »Herr Doktor,« antwortete Otten ruhig, »wenn die Möglichkeit besteht, daß es sich für meine Frau nur noch um ein, zwei Nächte handeln könnte, so will ich diese Nächte für mich allein haben.« »Die Möglichkeit ist nicht außer Frage. Vor morgen ist Genaueres nicht zu bestimmen. Andernfalls aber —« »Andernfalls — und ich hoffe mit aller Kraft, daß dieser andere Fall eintritt — kann kein Mensch schneller die Genesung meiner Frau herbeiführen helfen als ich. Ich allein bin der Gewinnende — wie ich der Verlierende sein würde.« Sie gingen die Treppe hinab und trafen Heinrich Koch und den alten Klaus auf der Diele. Und während der Arzt aus den mitgebrachten Vorräten ein paar Medikamente hervorsuchte, hatte sich Otten stumm zu den Freunden gesellt und saß zwischen ihnen. Mit heimlichem Staunen betrachtete der Arzt das seltsame graue Kollegium .... Dann rief er die Wirtschafterin und wiederholte seine Vorschriften. Otten hatte sich sofort erhoben. »Ich fahre jetzt nach Hause,« wandte sich der Arzt an ihn, »aber ich werde heute abend gegen zehn Uhr wieder hier sein, um der Patientin, falls die Atmungsbeschwerden sich steigern sollten, ein paar Stunden Schlaf zu verschaffen.« Otten reichte ihm die Hand. Sein Auge ruhte für Sekunden auf dem Gesicht des Arztes, als ob es dort mehr zu lesen gäbe. Dann ließ er die Hand fallen. »Haben Sie Dank.« »Auf Wiedersehen.« Otten grüßte, wandte sich um und ging an den Freunden vorbei, die hinter ihm dreinschauten, bis er die Treppe hinauf war, und auch dann noch horchten, bis sie die Türe seines Zimmers ins Schloß gleiten hörten. Er konnte nicht sofort in die Schlafkammer gehen. Mitten im Zimmer stand er, mit weit geöffneten, ungläubigen Augen, und sein Kopf wiederholte sich beständig die Worte des Arztes. »Es ist Gefahr — es ist Gefahr.« Das war ja nicht auszudenken. Das mußte einen anderen betreffen, nicht ihn. Nicht ihn und Maria. Sein Gesicht verzog sich, daß es um Jahre älter erschien, seine Augen suchten ratlos in allen Ecken. Und wieder arbeitete sein Gehirn, daß es ihn schmerzte. Bei Gott, der Arzt war hier gewesen, der Arzt hatte gesprochen, von Maria gesprochen, es ließ sich nicht aus der Welt schaffen, was er gesagt hatte, Maria war in Gefahr. Maria ...? War es denn möglich, daß sie ihn allein lassen wollte? Wie das? Hatte er sie nicht allein gelassen und es alle die Jahre gewünscht, daß er allein bliebe? Aber das war doch gewesen! Was hatte das Gestern mit dem Heute zu tun? Was waren ihm alle die Jahre? Was bedeuteten sie für ihn? Nur eines hatte noch Geltung. Das, was geschehen war, seit er sie wieder hatte. Und nun — aus und vorbei? Ein letzter Blitz, der sein Leben erleuchtete und es aufrüttelte? Um ihm den Weg zu zeigen. Auch das für ihn? Und — aus. »Nein!« stieß er hervor. Seine Gestalt reckte sich. Seine Augen glühten. Mit geballten Fäusten stand er und zog alle Selbstbeherrschung an sich. In der Kammer regte sich Frau Maria. »Bist du da, Joseph?« Er ruckte mit dem Kopfe, fand ein schnelles Lächeln und ging zu ihr hinein. Sie hatte sich halb aufgerichtet. »Hat der Arzt draußen noch etwas gesagt, was ich nicht hören sollte?« Er legte sie sanft in die Kissen zurück. »Nur seine Vorschriften hat er wiederholt, damit dir morgen schon besser ist. Dazu mußt du nun auch helfen. Am Abend schaut er noch einmal bei dir nach.« »Joseph — du läßt keine Schwester zu mir.« »Ist es auch dir lieber, wenn ich dich pflege? Es ist Egoismus von mir. Ich möchte so gern ein wenig abzahlen.« »Nein, es ist Egoismus von mir.« Sie lag für Sekunden still und suchte ihre Brust zu beruhigen. »Es könnte,« fuhr sie fort, »auch einen andern Verlauf mit mir nehmen, als wir uns wünschen ... Sollte das sein — hab’ ich dich doch für den Rest — ganz für mich allein.« Es rieselte durch seinen Körper. Da waren dieselben Gedanken, die er eben erst dem Arzte ausgesprochen hatte. Und nun klangen sie wieder zusammen in ~einen~ Ton, wie so oft, wie immer. »Wir gehören zusammen,« sagte er nur. »Spürst du das, Joseph?« Er antwortete nicht. Er legte seinen Kopf dicht neben den ihren auf das Kissen und verharrte so. Langsam kroch der Abend ins Zimmer und umspann sie. Wenige Worte hatten sie nur getauscht, Zärtlichkeitsworte, die nur ein Hauch waren und doch die Kammer füllten. Jetzt machte Otten Licht, nahm mit einer Geschicklichkeit, über die er selber staunte, eine neue Packung vor und reichte seiner Frau die Medizin. Die Fiebermessung ergab einen höheren Grad. Mit dem vorrückenden Abend fühlte sie sich schwächer. Der Atem ging heißer und heftiger, und das Bemühen, es ihn nicht merken zu lassen, gab ihr wirre Worte ein. Die Wirtschafterin brachte die Kräftigungsmittel, die der Arzt verordnet hatte, und sie nahm sie ohne Zögern. Auch von dem Champagner, den Otten ihr von Zeit zu Zeit reichte, trank sie gehorsam. Dann begann sie zu erzählen, halblaut, in kurzen, abgerissenen Sätzen, die sie ihrem Atem anpaßte. Nahes und Fernes, alles mit demselben merkwürdig wichtigen Ton. Als wäre nichts Unwichtiges in ihrem Leben gewesen. Immer länger, immer erregter wurden die Sätze. Ihr Kopf zuckte unter seinen Händen. »Wenn ich nur schlafen könnte,« murmelte sie erschöpft. Gespannt horchte Otten auf jedes Geräusch, das von der Straße kam. Aus der Ferne ein paar Freudenjauchzer von Karnevalsbrüdern. Sonst nichts. Und die Uhr zeigte auf zehn. Jede Minute dehnte sich ins ewige. Jetzt! Räderrollen ... Er atmete auf. Vor dem Hause hielt die Kalesche. Der Arzt hatte Lungen und Herz einer neuen Untersuchung unterzogen. Standhaft hielt Frau Maria aus, obwohl jede Bewegung sie schmerzte. »Ich bring’ Ihnen den Schlaf, gnädige Frau.« Und er vollzog schnell eine Morphiumeinspritzung. An ihrem Bett blieb er sitzen, bis die Wirkung eintrat. Mitten in der Erzählung froher Dinge, die sie bewegten, legte sie den Kopf auf die Seite und schlummerte ein. »Eine willensklare und willensstarke Frau,« sagte der Arzt. »Keine Silbe, die auf sie selbst hinweist, keine Klage, die auf ihre Schmerzen deutet, immer nur beschäftigt mit den Angelegenheiten der Menschen, die ihr nahe stehen. Jetzt verstehe ich, Herr Doktor, weshalb Sie nicht vom Platze weichen wollen.« Otten sah ihn düster an. Dieser Landarzt hatte die Frau nach wenigen Stunden ergründet. Aber was er da sagte, von »nicht vom Platz weichen wollen«, traf nur halb zu, traf zu spät zu, und ein Hohn lachte in ihm über das eigene, späte Verständnis. »Ja, ja —,« antwortete er. »Ich habe viel von Ihnen gehört, Herr Doktor, und Sie in früheren Jahren auch selber bewundert. Sie haben ein reiches Leben gelebt. Vergessen Sie das nicht, wenn Anforderungen an Sie gestellt werden.« »Nein, nein —,« erwiderte er. »Morgen früh, gleich nach der Sprechstunde komme ich heraus. Ich wünsche Ihnen beiden eine gute Nacht.« Dann war er allein mit der Schlummernden. Und während er sie betrachtete und seine Hände auf die ihren legte, als ob er sich ihrer vergewisserte, jagten seine Gedanken kreuz und quer, suchten ein Wort, das er soeben vernommen haben mußte, fingen es ein, trieben es im Kreise und spielten mit ihm Fangball. Anforderungen. Anforderungen. Was für Anforderungen gäbe es danach noch — »Nichts. Keine. — Ruhe da!« Einmal erwachte sie. Es war nach Mitternacht. Und er nutzte die Gelegenheit, die Umschläge zu erneuern und ihr zu trinken zu geben. Kaum, daß sie die Kissen wieder berührte, entschlummerte sie aufs neue. Otten vermeinte auf dem Korridor ein leises Geräusch vernommen zu haben. Als er nachsah, stand Heinrich Koch vor ihm, und der alte Klaus wartete auf der Treppe. »Ja, Heinrich, das ist nun so. Kaum gewonnen, schon zerronnen.« Heinrich Koch schüttelte den feinen Gelehrtenkopf. »Selbst wenn das Schlimmste einträte, Joseph, Frau Maria ist nicht wie jede andere — es bleibt etwas.« »Etwas.« »Genug für dich, wo du gar nichts mehr erwartet hattest. Und wohl sogar so viel, daß auch ich noch daran teilhaben kann.« »Jupp,« sagte der alte Klaus, »Kop hoch. Hal dr Nacke stief.« Da flog ein Lächeln über Ottens steinerne Züge. »Dat donn ich. Gut’ Nacht.« Die kurze Ansprache hatte ihm gut getan. Sie wirkte nach und füllte die Stunden aus. »Nur die Knabenfreundschaften haben den langen Atem des Lebens,« dachte er. »Was hinterher kommt, ist nicht mehr uneigennützig. Wo sind alle die Nachfolger geblieben? Mit der letzten Flasche, zu der ich sie einlud, vom Stuhl gefallen. =Habeant sibi.=« Er träumte vor sich hin. Vom alten Klaus und dem väterlichen Schiff, das er führte. Von Heinrich Koch, dem kleinen, fröhlichen Kameraden, der ihm nie von der Seite gewichen war. Und von dem kleinen Hinterhälter — wie hieß er doch? — Medardus. Medardus Terbroich. Der Name stach ihm ins Gehirn. Medardus — Laurenz. »Sippschaft du. Wir rechnen noch ab.« — Mit der Uhr in der Hand führte er den Krankendienst aus. Vor Morgengrauen erwachte Frau Maria, um nicht wieder einzuschlafen. »Guten Morgen, Liebste,« sagte er und beugte sich über sie. »Wie fühlst du dich?« Ihre Augen gingen über ihn hin, streiften die Wände ab und kehrten zu ihm zurück. »Was war das nur? Das Letzte?« »Du wirst geträumt haben. — Erkennst du mich jetzt?« »Dich? Weshalb sollte ich dich nicht erkennen, Joseph? Du und Carmen — ach, ruf sie doch.« »Du bist in Zons, Maria. Hast du noch Schmerzen?« »Schmerzen — Schmerzen?« murmelte sie. »Ja, ich habe Schmerzen. Eigentlich sind es keine. Nur der Atem. Wenn ich doch nur ein einziges Mal — richtig — atmen könnte.« Kurz darauf packte sie ein schwerer Anfall. Sie rang nach Luft, daß sich der Körper bäumte, und krampfte die Hände in das Leinentuch. Ohne Zaudern griff Otten zu, brachte sie in sitzende Stellung und streichelte ihr liebkosend die feuchte Stirn. Sie versuchte zu sprechen. In kurzen, hastigen Stößen ging ihr Atem. »Danke,« sagte sie endlich. Nachher lag sie, ohne zu reden. Immer vergeblich bemüht, die Atemnot zu meistern. So fand sie der Arzt. Als Otten ihn hinausgeleitete, machte er ein Sorgengesicht. »Das Fieber ist gestiegen. Wir können nichts tun, als bei der Behandlung bleiben. Versprechungen machen kann ich nicht.« »Sie müssen.« »Ich kann es nicht.« »Gestatten Sie mir, einen zweiten Arzt zuzuziehen.« »Ich wollte Sie gerade selber darum bitten. Haben Sie einen Vorschlag?« »Geheimrat Bartels in Köln. Er war unser Hausarzt.« »Ich werde ihn sofort von der Station aus telephonisch herüberbitten. Zum Nachmittag können wir gemeinsam hier sein.« Auf seinem Zimmer fand er zu seiner Verwunderung Koch. »Was willst ~du~ hier?« »Vorbeugen, daß du nicht unvernünftig wirst, Joseph. Unsere Kranke schlummert. Sofort streckst du dich auf das Sofa und versuchst ebenfalls zu schlafen. In zwei Stunden wecke ich dich. Und wenn unsere Kranke früher aufwacht, früher. Mein Wort darauf. Bedenke, daß du deine letzte Kraft für die kommende Nacht brauchst.« Ohne zu verhandeln, willfahrte er. Am späten Nachmittag brachte der Arzt den Kölner Geheimrat. Im Städtchen war das Leben heute reger. Die Karnevalswelle ging selbst an diesem einsamen Strande nicht vorüber, ohne seinen Puls zu erhöhen. Frau Maria hatte das Anrollen des Wagens vernommen. Aus der Ferne hörte sie Gesang und wirre Musik. »Was ist das für ein Tag?« fragte sie. »Rosenmontag.« »Rosenmontag ... Schön ist der Name.« Die Ärzte traten ein. Der Geheimrat schüttelte Otten lange die Hand. Er hatte zu seinen eifrigsten Bewunderern gezählt. Dieser hagere Mann mit dem verwitterten Gesicht und dem grauen Haar war Otten? Er hätte ihn nur an den stahlblauen, aufblitzenden Augen erkannt. »Herr Geheimrat, wenn Sie ihr nicht helfen können, schaffen Sie ihr Erleichterung. Sie hat ein Anrecht darauf.« »Ich weiß, und ich werde das meine dazu tun.« Nach einer Viertelstunde, während der Kollege am Bett blieb, nahm er Otten beiseite. »Das Herz ist aufgerieben, es leistet keinen Widerstand. Die Lungenentzündung allein hätte das nicht vermocht. Ich habe ihr Kampfer gegeben, um die Herzschwäche zu heben. Das täuscht über ein paar Stunden hinweg. Aber — wie gesagt — es ~täuscht~ nur hinweg.« »Leiden soll sie nicht!« »Geben Sie ihr in der Nacht noch einmal von diesen Tropfen. Das Bewußtsein der Schmerzen wird dadurch aufgehoben. Sie war eine tapfere Frau, Herr Doktor.« »Ah — — sie war — —!« — Und wieder war er mit seiner Frau allein. Er hatte die Fensterläden geschlossen, daß kein Ton der Außenwelt in ihr Beieinander dringen sollte, und das Licht fortgestellt, daß nur ein Schein über ihnen lag. Und während es Nacht wurde und Stunde auf Stunde vorüberzog, Stunden, die nur nahmen und nichts brachten, erzählte er in leisem Flüsterton immerfort, immerfort. Von all den Jahren, von denen sie nichts wußte, und die doch ihr gehört hätten gleich all den früheren, weil seine Sehnsucht sie wie ein scheuer Vogel umflattert hätte. »Nun hole ich alles nach,« sagte sie mit fliegendem Atem. »Alles mit einemmal.« Und er erwiderte, und es war wie eine Selbstanklage: »Was hast du für ein Leben gehabt — —« Sie strich mit der Hand über die Decke, als ob sie seine Seele glätten könnte. Er mußte sich zu ihr beugen, um sie zu verstehen. »Keine Frau war glücklicher. Denn ich durfte nicht nur eine Liebe, ich durfte ein Trost sein. Wer kann soviel von sich sagen. Und daß ich dein Trost sein durfte — das macht mein Leben — herrlich.« »Maria, nun ist die Reihe an mir.« »Siehst du — sie ist auch an dich gekommen. Und wenn du — Carmen hilfst — gib acht, wie das Gefühl — ein Leben aufwiegen kann. Hilf Carmen, Joseph. Was du ihr tust — tust du der Mutter.« Die Beschwerden steigerten sich. Er reichte ihr die Tropfen, und sie dämmerte dahin. Noch einmal sprach sie, mit großer Anstrengung. »Ist — der Morgen da? Ich — möcht’ ihn sehen.« Er öffnete die Läden und ließ das junge Tageslicht herein. Die Morgensonne glitzerte durch die Scheiben. »Sonne — —! Du — Carmen — und die Sonne.« »Sie hat nie anders als Maria geheißen.« »Joseph —,« stieß sie hervor, »du —!« Und sie blickte in die Sonne ... Plötzlich öffneten sich ihre Augen weit. Sie sah ihren Mann an. Sie wollte noch etwas sagen, und es gelang ihr nicht mehr. Sie mühte sich um ein Abschiedswort. Und es wurde ein herzzerreißendes Lächeln. Er hielt sie in beiden Armen. Ganz fest an seiner Brust. Und er las in ihren Augen, was sie noch wünschte: »Küß mich, Joseph.« Da legte der Mann seinen Mund auf den ihren und küßte ihr den letzten Odem von den Lippen — — Als die Ärzte nach einer Stunde kamen, fanden sie ihn, den Arm noch immer um die Tote gelegt. Und als sie wieder gegangen waren, saß er wie vorher. Den ganzen Morgen über. Mit seinen Gedanken allein. Erst gegen Mittag kam er auf die Diele. Heinrich Koch und der alte Klaus erhoben sich von ihren Sitzen. »Joseph —« »Es ist schon gut.« »Eine Depesche — an Frau Maria.« Er nahm sie entgegen. »An Frau Maria im Himmel.« »Joseph,« sagte Heinrich Koch, »ich habe sie lieb gehabt, wie keine andere Frau.« »Ein Hinterbliebener mehr.« »Zwei,« sagte der alte Klaus, »zwei mehr, Jupp.« Und er zerbrach vor Erregung die Tonpfeife und stampfte hinaus. »Willst du nicht die Depesche öffnen?« »Ach so.« Er riß den Streifen auseinander und las. Zuerst Moritz Lachners Unterschrift. Dann den Text. »Terbroich und Carmen wollen morgen früh nach dem Süden reisen. Meine Aufklärungen von Carmen als unglaubwürdig abgelehnt.« Joseph Otten las zweimal. Und wie er das zweite Mal las, lachte er hart vor sich hin. »Geduld ...« »Nachrichten von Carmen, Joseph?« »Sie wird morgen hier sein.« »Gott sei Dank.« Otten schritt über die Diele hin und her. »Übermorgen wollen wir sie beerdigen.« Und er blieb stehen und blickte nach der Decke. »Hier, damit wir sie in der Nähe haben, wenn wir sie brauchen. Tote binden stärker als Lebende. Du nimmst mir wohl die notwendigen Besorgungen ab, Heinrich.« »Alles. Kümmere dich um nichts. Soll ich auch an Carmen telegraphieren?« »Ich gehe selbst zur Station. Ich habe noch einen Spaziergang vor, einen Geschäftsweg, was weiß ich? Da ist ein Wille, ein Testament Marias, das vollzogen werden muß, damit ihr kleiner Schatz nicht gestohlen wird.« »Kann ich dir den Weg nicht abnehmen?« »Nein,« sagte Joseph Otten, »den Weg kann mir kein Mensch abnehmen.« Er nahm nur ein Glas Wein. Etwas anderes zu genießen, ließ er sich nicht überreden. Oben in der Schlafkammer stand er in Hut und Havelock lange vor der Toten. Die Kirchenuhr schlug eine Nachmittagsstunde. Da riß er sich los. »Ich geh’ jetzt, Maria.« Und er ging. Schweigend um die Stadt herum und schweigend über die lange, öde Chaussee, die vor drei Tagen seine Frau gegangen war. Das fiel ihm ein, als er einherschritt. »Sie hat ihren Auftrag ausgeführt. Ich darf nicht zurückbleiben.« Als die Station in Sicht kam, beeilte er sich. »Ich hab’ einen Auftrag. Ich hab’ die Konsequenzen meines Lebens zu ziehen. Daran kommt keiner vorbei, und wenn er sich auf die einsamste Insel gerettet hätte. Eine vom Wind verschlagene Woge rollt heran und holt mich herunter. Und ob ich mir die Konsequenzen meines Lebens anders gedacht hätte, fröhlicher, leichtlebiger — danach wird nicht gefragt. Es handelt sich nicht mehr um dich, es handelt sich um die, die du nachlässest, Joseph Otten. Also bist du noch zu etwas nütze. Schlafe ruhig, Maria.« Der Zug war des Fastnachtsdienstags wegen wenig besetzt. Er nahm einen Platz in einem Kupee erster Klasse und blieb allein. Gemächlich fuhr der Zug von einer Station zur andern. Er merkte es nicht. Er saß in seiner Ecke und grübelte. »Es gibt einen Ausgleich. Weil ich an keiner Frau vorüber konnte, ohne sie schön zu finden, muß ich im Alter ausziehen, die Tochter zu schützen.« »Vor solch’ einem Burschen. Das ist das ärgste.« Übermüdet schloß er die Augen. Und wie auf einer Pflichtwidrigkeit betroffen, schnellte er hoch. »Bleib munter, Joseph, bleib munter. Nachher gibt’s Zeit zum Schlafen die Menge.« Da stand der Dom und reckte seine Schwurfinger. Und Otten reckte sich auch, verließ den Bahnhof und betrat seine Vaterstadt. Er war in ein Tollhaus gekommen. Der Kehraus des Karnevals wirbelte durch Straßen und Gassen. Heute noch leben wir, morgen schon sterben wir. Genießt, genießt! Der Aschermittwoch wartet vor der Tür. »Fastelowend kütt eran, Spille mer op der Büsse. Alle Mädcher kriegen ’ne Mann, Ich un och min Söster!« sang ihm eine wilde Schar Kostümierter, heiser von den Strapazen der Festtage, das alte Karnevalsliedchen in die Ohren, und eine andere Schar nahm gellend die Weise auf: »Dä Fastelowend kütt eran, Wat gitt dat Freud und Loß! Jitz schaff mer sich ’ne Flaabes an, Dann kömmt uns nit Verdroß!« Otten schlug den Kragen seines Mantels hoch und zog den Hut in die Augen. Wie ihn das Treiben anekelte. Nur nicht erkannt werden. Die Luft war trunken von dem Lärm, und die Menschen trunken von der Luft. Nun, er war gekommen, um zur Ernüchterung zu verhelfen. Der Menschenstrom drängte ihn vom Domplatz in die Komödienstraße. Die Straße war die rechte. Vor des jungen Terbroich Haus stemmte er sich gegen den Strom und wurde in die Haustür geschoben. Im Haus war es still. Die Parterrebewohner genossen den Fasching aus. Wer dachte heute an anderes! Joseph Otten stieg zum ersten Stockwerk hinauf, das Laurenz Terbroich bewohnte. Er war ganz ruhig, als er die Klingel zog. Nichts rührte sich in der Wohnung. Und Otten ließ das Läutewerk schriller ertönen. »He, Johann!« rief drinnen eine Stimme. »Natürlich: zum Teufel! Alles verrückt.« Und ein Knurren, halb ärgerlich, halb lachend. Die Tür öffnete sich. Laurenz Terbroich, den schwarzen Domino über die Schultern gehängt, stand dem Besucher gegenüber. »Sie wünschen?« »Wenn es auf mich ankommt, nur zwei Worte.« »Sie sehen, daß ich auf dem Sprunge bin, fortzugehen. Mit wem habe ich die Ehre?« »Ich bin der Doktor Joseph Otten. Lassen Sie uns hineingehen.« — — — =XX= Laurenz Terbroich war unwillkürlich zur Seite getreten. Offenen Mundes starrte er die Erscheinung an. Dann preßte er die schmalen Lippen aufeinander und blähte die Nasenflügel, um seine Bestürzung zu meistern. »Herr Doktor Otten?« fragte er endlich und lächelte mit unterwürfigen Augen. »Sie kommen nach Köln zurück?« »Extra Ihretwegen.« Laurenz Terbroich schloß die Korridortür und ließ den Besucher ins Zimmer. »Entschuldigen Sie die Unordnung, Herr Doktor. Mein Diener hat den Nachmittag von mir frei bekommen, des Fastnachtsdienstags wegen. Auch ich wollte noch zu einer Veranstaltung. Man wird in diesen Tagen den Domino überhaupt nicht mehr los. Aber Sie waren ja auch einmal jung und in solchen Dingen nicht der letzte. Nein, wirklich, es sieht hier geradezu beschämend aus.« Er hastete die Sätze heraus, als wollte er den Besucher gar nicht zu Wort kommen lassen, als wünschte er von vornherein den leichten Ton anzugeben, auf dem sich die Unterhaltung bewegen möchte. Joseph Otten sah sich aufmerksam um. Der Salon war geschmackvoll in einheitlichem Stil gehalten. An den Wänden hingen alte, schöngerahmte Ölbilder. Auf dem Tisch stand die fußhohe Nachbildung einer Venus in Bronce. Daneben ein dünnstengeliges, halbgefülltes Sektglas venetianischer Arbeit und in metallenem Kühler die leere Flasche. Mit einem ironischen Ausdruck blickte Otten von dem Arrangement auf den Besitzer, der sich verlegen das schmale Backenbärtchen und die rasierte Oberlippe strich. »Sie haben sich wohl Mut getrunken, Herr Terbroich?« »Mut? O nein. Aber in dieser Karnevalsstimmung —« »Ernsthaft. Ist diese Karnevalsstimmung in den letzten Jahren nicht die normale bei Ihnen gewesen?« »Sie scherzen. Ich bin sonst kein Trinker. Ich wollte nur heute abend gleich in gehobener Stimmung sein.« »Sie haben etwas Besonderes vor?« »Nichts Besonderes gerade. Der übliche große Kehrausball.« »Allein?« »Wie meinen Sie das?« »Ich meine, ob Sie mit meiner Tochter hinzugehen gedachten?« »Mit Ihrer — Tochter?« »Herr Terbroich, Sie tun ja gerade, als ob Sie von der Existenz meiner Tochter kaum Kenntnis hätten? Mir wäre das weiter nicht unlieb, aber bleiben wir bei der Wahrheit, oder, falls Ihnen das Wort nicht geläufig sein sollte, auf realem Boden.« »Herr Doktor, Ihre verletzende Unterstellung —« »Bitte,« sagte Otten. »Ich komme erst in zweiter, dritter Linie in Betracht. Nicht wahr, das empfinden Sie selber? Und wir wollen hier keine Silben stechen. Dazu ist die Situation nicht angetan und die Zeit zu kostbar. Also Sie kennen Carmen sehr genau, Herr Terbroich?« In Laurenz Terbroichs Augen spielten unruhige Lichter. Seine schmalen Lippen zuckten nervös. »Selbstverständlich,« erwiderte er kurz. »Wir sind doch Jugendfreunde.« »Würden Sie mir wohl ein wenig von Entwicklung und Ziel dieser Freundschaft erzählen?« »Derartige Liebesgeschichten dürften Sie doch zu wenig interessieren.« »Ah — Liebesgeschichten. Vorhin nannten Sie das — Jugendfreundschaft. Ich sehe, wir verstehen uns bereits besser.« »Ich verstehe Sie ganz und gar nicht, Herr Doktor.« »Ich möchte Sie nicht gern von Ihrem Vergnügen zurückhalten, Herr Terbroich. Marschieren wir deshalb geradeaus, und wir können uns in einer Viertelstunde eine freundliche Verbeugung machen.« »Was bezwecken Sie denn eigentlich? Das ist doch kein Tag zu ernsten Auseinandersetzungen.« »Für mich sind die Tage gleich geworden. Wären sie es nicht, so ließen Sie mir doch keine andere Wahl. Und daß Sie selber ernste Auseinandersetzungen voraussehen, beweist mir Ihr Ausspruch. Bitte, sprechen Sie weiter.« »Herr Doktor, ich verwahre mich ausdrücklich dagegen —« »So sprechen Sie doch endlich weiter!« — Das klang wie ein Befehl. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen,« murmelte Laurenz Terbroich. »Mit anderen Worten: Sie wünschen, daß ich fragen soll. Nun, ich kann ja auch das. Also Sie lieben Carmen —?« »Wir mögen uns sehr gern.« »Ihr mögt euch sehr gern ... Und Carmen liebt Sie wieder?« »Sie bringt mir die gleichen Gefühle entgegen.« »Sehr diplomatisch ausgedrückt. Aber damit kommen wir nicht weiter. Was sind das für Gefühle, die Sie erwähnen?« Über des jungen Mannes Gesicht glitt ein trotziges Aufbegehren. »Das sind unsere eigenen Angelegenheiten.« »Nicht doch, Herr Terbroich. Wenn ich in denselben Ton verfalle, gibt es ein Unglück.« Laurenz Terbroich zuckte zusammen und warf einen scheuen Blick auf den unheimlichen Frager, der hager und sehnig vor ihm aufgerichtet stand. »Haben Sie nicht auch Ihre kleinen Geheimnisse gehabt, als Sie jung waren?« »Das habe ich. Aber ich hatte sie nicht allein. Die andere teilte sie mit mir.« »Das ist auch hier der Fall. Carmen und ich sind uns vollkommen klar.« »Worüber?« »Über unsere Liebe, oder unsere Freundschaft — oder wie Sie es nennen wollen.« »Nicht, wie ich es nennen will. Ich will hören, wie Sie beide es nennen. Sie schweigen —? Also sagen wir, Sie sind sich über Ihre Liebe klar. Und wie gedachten Sie, diese Liebe auszugestalten? Denn man steckt sich doch irgend ein Ziel.« »Das haben wir vorläufig noch der Zukunft anheimgegeben.« »Diese Zukunft scheint mir aber sehr nahe zu liegen. Nehmen wir an, daß morgen schon diese Zukunft wäre. Was ist Ihnen? Morgen wird ein Tag wie alle anderen sein. Was würden Sie also morgen tun?« Laurenz Terbroich nestelte die Knöpfe seines Dominos auf und zu. »Wenn Sie es wünschen,« sagte er dann und mühte sich, eine Zuvorkommenheit in seine Sprache zu legen, »wenn Sie es wünschen, werde ich heute abend noch mit Carmen darüber reden.« »Weichen Sie mir nicht immer aus.« »Ich weiche Ihnen durchaus nicht aus. Ich bin so gutmütig, mir Ihre Inquisition gefallen zu lassen, obwohl Sie am wenigsten ein Recht dazu hätten —« »Wollen Sie bei der Sache bleiben?« »Sie können doch nicht einfach Ihre ganzen Lebensmaximen auf den Kopf stellen.« »Für mein Kind,« sagte Otten eisig, »könnte ich noch etwas ganz anderes, als meine sogenannte Lebensweisheit über den Haufen werfen. Merken Sie sich das.« Er lenkte ein. »Aber das vermögen Sie noch nicht zu verstehen. Sie müßten sein wie ich und ein Leben gelebt haben wie ich. Ich will nicht zu streng mit Ihnen ins Gericht gehen.« »Ich könnte Sie auch nicht als Richter anerkennen. Es gäbe Frauen genug, die ich gegen Sie anführen könnte.« »Sie reden von anderen Menschen und ich rede von meiner Tochter, Herr.« »Nun ja?« »Von meiner Tochter! Das ist ein Unterschied!« »Das ist, wenn Sie gestatten, ganz einfach unlogisch.« »Es ist ~meine~ Logik, weil es ~meine~ Tochter ist. Es würde mich um Ihretwillen sehr betrüben, wenn Sie sich dieser Logik verschlossen zeigen sollten.« Sein Blick wich nicht von Terbroich, dessen Gesicht sich unwillig färbte. »Dieser Logik bin ich nicht gewachsen.« »Sie gedachten, morgen mit meiner Tochter eine Reise nach dem Süden zu unternehmen.« »Wer behauptet das?« »Ich bin nicht engherzig genug, Menschen, die sich lieben und die obendrein mündig sind, Vorschriften machen zu wollen. Nur den Grad der Liebe muß ich wissen. Daß Carmen fest auf Ihre Ehrlichkeit baut, dessen bin ich gewiß. Sie würde sonst nicht so weit mit Ihnen gegangen sein, denn über ihren Stolz sind wir uns ja wohl einig.« »Carmen ist eine viel zu große und freie Natur, als daß sie den landläufigen Heiratsgedanken eine solche Wichtigkeit beimäße.« »Nicht Heiratsgedanken. ~Treu~gedanken.« »Wir sind uns treu.« »Und werden es bleiben? Denn das wäre die Ehe.« »Das hängt nicht allein von mir ab.« »Sie lügen, Mensch.« Laurenz Terbroich fuhr auf. Die beiden Männer standen sich hart einander gegenüber. »Sie lügen. Denn Sie möchten mich glauben machen, es könnte auch von meiner Tochter abhängen. Und ebenso belügen Sie meine Tochter, indem Sie ihr ewige Treue vorspiegeln, während Sie nur das schöne Spielzeug noch nicht missen möchten. Noch nicht. Aber Sie werden keinen Schritt weiter gehen, Terbroich, das verspreche ich Ihnen. Ich mahne Sie. Es ist meine Tochter.« »Sie beschimpfen mich in einer unverantwortlichen Weise.« »Der Schimpf ist sehr schnell behoben. Antworten Sie klar und ohne Umschweife: Wollen Sie Carmen heiraten?« »Daran ist augenblicklich gar nicht zu denken. Wenn Carmen auch über einiges Vermögen verfügt, so würde das doch nicht ausreichen, um einen schuldenfreien Haushalt zu ermöglichen. Die Fabrik aber erträgt zur Zeit nicht noch einen Haushalt, wie ich ihn gewohnt bin und wie ich ihn bei einer Verheiratung führen müßte, neben dem meines Vaters. Ganz abgesehen davon, daß die Fabrik modernisiert und vergrößert werden muß, was ungeheure Summen beansprucht, die beschafft werden wollen.« »Das war ehrlich. Also ist eine Heirat ausgeschlossen, und wir hätten uns nur noch mit dem Fall zu befassen, daß Sie unverheiratet zu bleiben gedächten, um Ihre und Carmens Liebe zu sanktionieren. Sagen Sie mir, daß jeder im anderen den Lebensgefährten sehen will, und ich gehe.« Laurenz Terbroich spielte mit dem Glas, das er vom Tische nahm. »Wie kann ein Mensch so langfristige Versprechungen geben! Noch dazu für sich und einen zweiten Menschen?« »Sie sollen es nur für sich allein. Und nur für die Zeit, die Sie nach ehrlichem Ermessen übersehen.« »Das — kann ich.« »So werden Sie also zunächst mit mir gehen und Ihre Verlobung rückgängig machen.« Laurenz Terbroich zuckte zusammen, daß das Glas, mit dem er spielte, gegen die Tischkante klang. »Sind Sie — bei Sinnen?« »Sie geben demnach zu, daß die Verlobung besteht. Dieselbe, die Sie mit Ihren rednerischen Jongleurkünsten meiner Tochter auszureden verstanden. Kein Wort! ... Teufel, was für ein minderwertiges Subjekt! Und mit so was muß ich mich befassen!« »Ist die Unterredung zu Ende?« »Wollen Sie in sich gehen? Wollen Sie mit mir kommen und sich als anständiger Mensch erweisen?« »Ich gebe Carmen frei.« »Wie großartig! Meine Tochter, Herr! Man verfügt nicht über Dinge, die einem nicht gehören.« »Ich verfüge. Das ist meine Erklärung.« »Soll das heißen?« — »Ja,« sagte Laurenz Terbroich und hielt das Glas gegen das Licht. Joseph Otten trat an den Tisch. Seine Hand berührte die Broncefigur der Venus. »Terbroich, Sie wissen nicht, was Sie sagen. Sie sprechen von meiner Tochter.« »Ich weiß das sehr wohl. Aber ich bin mir selbst der Nächste.« »Und Sie wagen es, sich ein Geschenk zu erschleichen, das für ein Leben ist? Zu erschwindeln?« Laurenz Terbroich zuckte mit den Achseln. »Diese allzu seriöse Behandlung —« Joseph Otten ließ ihn nicht zu Ende reden. Plötzlich war alles Blut aus seinem Gesicht gewichen. Seine Hand spannte sich um die kleine Broncefigur, und mit kurzem, jähem Schwung schlug er Terbroich die Kante des Sockels in die Schläfe. Wie vom Blitz getroffen stürzte Laurenz Terbroich zusammen, fiel mit halber Wendung gegen den Tisch und glitt mit dumpfem Aufschlag zu Boden. »Insekt — —,« sagte Otten, betrachtete den Broncesockel, der rein geblieben war, und stellte die Figur auf den Tisch zurück. Laurenz Terbroich lag regungslos am Tischfuß. Die Hand hielt er krampfhaft um das Venezianerglas geschlossen, das gesprungen war. Der Domino hing um seinen Körper. Otten streifte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Ich habe ihm eine Wohltat erwiesen. Und ich vollziehe meine Wohltaten gern ohne Lärm. Meine und Marias Tochter gehört nicht in den Mund der Leute. Sprechen wir also nicht mehr von unseren Wohltaten.« Er nahm seinen Hut, verließ das Zimmer und zog die Korridortür hinter sich ins Schloß. Die Parterrebewohner waren noch nicht von ihrer Karnevalsreise durch die Stadt zurückgekehrt. Und als er auf die Hausschwelle trat, war er auch schon von der vorüberflutenden tollen Menge aufgesogen. Er erreichte den Abendzug nach Dormagen. Und wieder saß er allein in seinem Kupee und grübelte. »Ich hatte bisher nichts für meine Tochter getan. Nun habe ich das einzige für sie getan, was ich für sie tun konnte. Ich habe ihr ein neues Leben geschenkt .... Kein Mensch weiß von dem, was sie darum ihre Jugend nannte, weil sie gläubig war, wie es auch Maria war. Nur ich allein auf der Welt. Und nun gibt es nur noch eine Pflicht für mich, die allen anderen voraufgeht: die Vaterpflicht. Sie gebietet mir — zu schweigen.« Und noch einmal sagte er, wie auf der Hinfahrt: »Schlaf ruhig, Maria.« — — Auf der Station Dormagen gab er eine lange Depesche an Moritz Lachner auf, in der er die Erkrankung Marias und ihr Hinscheiden meldete und den jungen Freund ersuchte, Carmen auf das schonendste zu verständigen und sie mit dem Morgenzug nach Zons zu bringen. Todmüde, aber in aufrechter Haltung schritt er die Chaussee entlang, bog um das Städtchen herum und trat in Klaus Gülichs Haus. »Jetzt will ich schlafen,« sagte er zu Heinrich Koch. »Was noch zu erledigen war, ist erledigt.« Er lehnte das Anerbieten des Freundes, in dieser Nacht seine Schlafkammer zu benutzen, dankend ab und ging hinauf in sein Zimmer. Am Bette der Toten verharrte er eine lange Weile. Er hatte Bericht zu erstatten. Auf dem primitiven Lager, das die Wirtschafterin ihm hergerichtet hatte, schlief er traumlos die ganze Nacht. Als er erwachte, war der Morgen da. Heinrich Koch klopfte an seine Tür und meldete, daß der Sarg gebracht worden sei. Er ließ nur den Freund und den alten Klaus ins Zimmer. Zu dritt trugen sie den Sarg in die Schlafkammer und betteten Frau Maria gemeinsam hinein. Es sollte keine fremde Hand sie berühren. »Sie braucht nicht geschmückt zu werden. Man schenkt nicht einem Reichen ein Groschenstück.« Dann fuhr der Omnibus vor, und Lachner und Carmen entstiegen ihm. Otten stand allein im Zimmer und erwartete seine Tochter. Man ließ sie allein eintreten. Ohne daß eine Muskel in seinem Gesicht zuckte, sah er ihr entgegen. Jetzt war sie im Zimmer. Jetzt lief sie auf ihn zu. Jetzt klammerte sie die Arme um seinen Nacken und preßte ihren Körper an den seinen. Immer enger, immer fester. Als müßte sie mit ihm zusammenwachsen. Und er schloß die Arme um sie und war eins mit ihr. Nur ein einziger, kurzer, wilder Ton, der einen Herzschlag lang das Gemach füllte. Und doch hatten sie beide aufgeschrien. — — Joseph Otten war hinuntergegangen, um Carmens Begleiter zu begrüßen. Er fand ihn auf der Diele, und Heinrich Koch war bei ihm. »Ich danke dir, Moritz. Such keine Beileidsbezeugungen. — Du selbst bist die beste.« Er saß mit ihnen am Tisch, und es blieb lange still. »Herr Doktor Lachner hat dir noch aus Köln zu berichten,« sagte dann Heinrich Koch und sah den Freund an. »Ist es wichtig?« »Soll ich nicht lieber damit warten?« fragte Lachner verstört. »Erzähle nur. Einmal müssen wir das Leben doch wieder aufnehmen.« »Laurenz Terbroich ist tot.« »Ist das so wichtig?« »Es ist nur ein seltsames Zusammentreffen.« »In der Tat.« »Ich hatte eben Ihre schmerzliche Depesche erhalten und besprach mich mit meinem Vater, auf welche Weise ich Carmen vorbereiten könne, als die Ladenglocke anschlug und Carmen vor uns stand. Schneeweiß im Gesicht. ›Laurenz ist tot,‹ sagte sie, und wir setzten sie in einen Sessel. Sie hatten für den Abend eine Verabredung gehabt, und da schon eine Stunde über die Zeit verstrichen war, nahm sie einen Wagen und fuhr zu ihm hinaus. Da vernahm sie es von dem Diener. Der alte Terbroich war oben und der Hausarzt. Sie ließen niemanden vor. Und sie war ohne weiteres zu uns gefahren. Nun mußte ich ihr das Schwerste mitteilen. Ich tat es so sorglich, wie ich es vermochte, weil ich eine furchtbare Gemütserschütterung befürchtete. Aber sie saß wie aus Stein. Nur einmal sagte sie: ›Mutter — —!‹ Das war mehr als der wildeste Ausbruch. Dann bat sie um ein Quartier. Und ich ging noch, um über Laurenz Terbroichs Tod Erkundigungen einzuziehen. Er war verunglückt. Der Diener erzählte mir, daß er ihn Champagner trinkend verlassen hatte, um ihn, das Glas noch in der Hand, am Abend tot aufzufinden. Im Domino, aus dem er während der Fastnachtstage kaum herausgekommen wäre. Er hatte im Rausch einen unglücklichen Sturz getan und war mit der Schläfe gegen die scharfe Kante des Tisches aufgeschlagen. Der Tod wäre auf der Stelle durch Bluterguß ins Gehirn erfolgt. Der alte Herr Terbroich wünschte nicht, daß die Umstände, unter denen sein Sohn gefunden wurde, bekannt würden. Er sollte noch in der Nacht eingesargt werden. Der Diener wurde in seine Heimat beurlaubt.« Joseph Otten hatte während der Erzählung schweigend zum Fenster hinausgeblickt. Nun wandte er den Kopf. Und er blickte in Heinrich Kochs Augen. Keiner wandte den Blick ab. »Es ist Aschermittwoch heute,« sagte Joseph Otten. »Nun ist der Mummenschanz zu Ende.« »Und das Leben fordert uns wieder,« gab der alte Gelehrte zurück. »Oder wir das Leben.« — — — — Am Nachmittag des nächsten Tages begruben sie Frau Maria. Es war ein sonnenheller Vorfrühlingstag. Als sie ins Haus zurückkehrten, ging Carmen auf des Vaters Zimmer. Er empfand, daß sie die Stunde für sich brauchte, und folgte ihr nicht. Moritz Lachner blieb bei den Männern. »Wenn die Tage länger und wärmer werden,« begann der Professor nach einer Weile, »können wir unsere Forschungen im Freien beginnen. Ich möchte den ganzen Niederrhein nach den Tagen der Vergangenheit befragen und die Menschen, die vor uns auf der Scholle saßen, erkunden. Und wenn wir gefunden haben, daß alles, in seiner Art, nicht anders war, als es heute ist, wird uns unser Leben gar nicht mehr so außergewöhnlich vorkommen. Wie wär’s, Herr Kollege, wenn Sie sich beteiligten? Auch Carmen könnten wir dazu erziehen.« Moritz Lachner sah auf Otten. »Carmen? Ich hätte sonst nur das Haus meines Vaters vorzuschlagen.« Otten nickte. »Es ist ein Althändlerladen.« Eine leichte Röte stieg in des jungen Mannes Wangen. »Es kommt darauf an, wie wir es anschauen,« sagte er leise. »Hat man sich die Kinderaugen bewahrt, sieht man selbst im ärmsten Ding die Prinzessin.« Otten reichte ihm über den Tisch hinüber die Hand. »Komm wieder. Wir können dich brauchen.« »Ich will es Carmen sagen.« Und er ging hinauf, um ihr seine neuen Pläne vorzulegen und ihren Lebensmut in die Ferne zu richten. Die beiden Freunde waren allein. »Solange die Kleine hier ist,« begann Otten, als redete er mit sich selbst, »habe ich die Sonne. Und wenn es gestohlene ist. Ich habe sie. Aber wenn mir das Kind einmal weggeholt werden sollte, und ich wäre ganz allein, und das Grauen käme —« Heinrich Koch sah ihn an. Es war Stille. Und Heinrich Koch sagte in der Stille: »Ich bin kein Priester mehr, und das Recht, Beichte zu nehmen und Absolution zu geben, habe ich nicht mehr. Aber ich kann dir die Hand geben, wenn das Grauen kommen will. Vor Kameradschaft fürchtet es sich.« Sie blickten beide hinaus, in das weite Land und über den breiten Strom. Über die Landstraße zog eine Prozession, Wallfahrer, die zum Muttergottesbild nach Kevlaar wollten. Verwehte Töne kamen herüber. »Gegrüßet seist du, Maria. — O Maria, hilf!« ... Und über den Strom glitt das Motorboot, das die Fähre zwischen Zons und dem Urdenbacher Ufer wieder aufgenommen hatte, und brachte eine Gesellschaft junger Düsseldorfer Künstler hinüber, die eine Aschermittwochstour hinter sich hatten und das alte Mauernest ansingen wollten und nichts Passenderes fanden als: »Köln am Rhein, du schönes Städtchen, Köln am Rhein, du schöne Stadt — —« »Da zieht die Vergangenheit,« sagte Heinrich Koch, »nach links und nach rechts.« Der alte Klaus kam ins Zimmer, holte sich einen Stuhl in die Kaminecke und rauchte nach des Tages Aufregungen mit stillem Wohlbehagen seine Pfeife. Joseph Otten erhob sich. Seine Augen hatten den stahlblauen Glanz. Er öffnete das Fenster und ließ die Luft über sich hinströmen — — Am Himmel stand ein leuchtendes Abendrot. Rudolf Herzog Das goldene Zeitalter Roman. 7. u. 8. Auflage Geheftet M. 2.50 In Leinenband M 3.50 Der Adjutant Roman. 7.–10. Auflage Geheftet M. 2.50 In Leinenband M. 3.50 Der Graf von Gleichen Ein Gegenwartsroman. 19.–23. Auflage Geheftet M. 3.50 In Leinenband M. 4.50 Die vom Niederrhein Roman. 46.–50. Auflage Geheftet M. 4.— In Leinenband M. 5.— Das Lebenslied Roman. 53.–60. Auflage Geheftet M. 4.— In Leinenband M. 5.— Die Wiskottens Roman. 91.–99. Auflage Geheftet M. 4.— In Leinenband M. 5.— Der alten Sehnsucht Lied Erzählungen. 10.–12. Auflage ~Inhalt~: Deutsch und Fremd — Giuditta Africana — Auf der Fahrt nach dem Glück — Der Gruß des Lebens — Zweiter Frühling — Frühlingsabend Geheftet M. 2.50 In Leinenband M. 3.50 Der Abenteurer Roman. Mit Porträt des Verfassers. 36.–40. Auflage Geheftet M. 4.— In Leinenband M. 5.— Hanseaten Roman. 66.–70. Auflage Geheftet M. 4.— In Leinenband M. 5.— Es gibt ein Glück ... Novellen. 26.–30. Auflage ~Inhalt~: Die Schwestern — Die Väter — Der getreue Eckart — Sommermärchen — Klänge aus der Ferne — Heimat Geheftet M. 3.— In Leinenband M. 4.— Die Burgkinder Roman. 76.–80. Auflage Geheftet M. 4.— In Leinenband M. 5.— Gedichte. 3. u. 4. Auflage Geheftet M. 2.50 In Leinenband M. 3.50 Die Condottieri Schauspiel in vier Akten. 3. Auflage Geheftet M. 2.— In Leinenband M. 3.— Auf Nissenskoog Schauspiel in vier Akten. 2. Auflage Geheftet M. 2.— In Leinenband M. 3.— Herrgottsmusikanten Lustspiel in vier Akten. 2. u. 3. Auflage Geheftet M. 2.50 In Leinenband M. 3.50 Anzeigen des Cotta’schen Verlages Eleg. geb. ~Althof, Paul~ (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke und andere Geschichten M. 4.— —"— Das verlorene Wort. Roman " 4.— ~Andreas-Salomé, Lou~, Fenitschka — Eine Ausschweifung Zwei Erzählungen " 3.50 —"— Ma. Ein Porträt. 4. Aufl. " 3.50 —"— Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl. " 4.50 —"— Ruth. Erzählung. 6. Aufl. " 4.50 —"— Aus fremder Seele. 3. Aufl. " 3.50 —"— Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl. " 5.— ~Anzengruber, Ludwig~, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl. " 4.50 —"— Wolken und Sunn’schein. 5. Aufl. " 3.50 ~Arminius, W.~, Der Weg zur Erkenntnis. Roman. " 4.— —"— Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl. " 5.— ~Auerbach, Berthold~, Barfüßele. 44.–46. Aufl. " 2.50 —"— Auf der Höhe. Roman. 2 Bände " 4.20 —"— Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände " 4.20 —"— Spinoza. Ein Denkerleben " 1.70 —"— Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte " 2.10 ~Baumbach, Rudolf~, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd. " 3.— —"— Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd. " 3.80 —"— Aus der Jugendzeit. 10. Tsd. " 6.20 —"— Neue Märchen. 8. Tsd. " 4.— —"— Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd. " 4.20 ~Bertsch, Hugo~, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. Aufl. " 4.— —"— Bob, der Sonderling. 4. Aufl. " 3.50 —"— Die Geschwister. Mit Vorwort v. Adolf Wilbrandt. 12. Aufl. " 3.50 ~Birt, Th.~, Menedem. Die Geschichte eines ungläubigen " 5.— ~Böhlau, Helene~, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl. " 4.— ~Boy-Ed, Ida~, Die säende Hand. Roman. 4. Aufl. " 4.50 —"— Um Helena. Roman. 3. Aufl. " 4.50 —"— Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 13. bis 15. Aufl. " 5.— —"— Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl. " 4.50 —"— Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 6. u. 7. Aufl. " 4.50 —"— Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl. " 3.— ~Bülow, Frieda v.~, Kara. Roman " 5.— ~Burckhard, Max~, Simon Thums. Roman. 2. Aufl. " 4.— ~Busse, Carl~, Federspiel. Westliche und östliche Geschichten " 4.50 —"— Die Schüler von Polajewo. 3. u. 4. Aufl. " 4.— —"— Im polnischen Wind. Ostmärkische Geschichten. 2. Aufl. " 4.50 ~Dove, A.~, Caracosa. Roman. 2 Bände. 2. Aufl. " 9.— ~Ebner-Eschenbach, Marie v.~, Die erste Beichte. Miniatur-Ausgabe. Mit Porträt. 2. Aufl. " 2.— —"— Božena. Erzählung. 9.–11. Aufl. " 4.— —"— Erzählungen. 6. Aufl. " 4.— —"— Margarete. 7. Aufl. " 3.— ~Ebner-Eschenbach, Moriz v.~, =Hypnosis perennis= — Ein Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten " 3.— ~Eckstein, Ernst~, Nero. Roman. 9. Aufl. " 6.— ~El-Correï~, Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl. " 5.— ~Engel, Eduard~, Paraskewúla und andere Novellen " 4.50 ~Fontane, Theodor~, Ellernklipp. 4. Aufl. " 4.— —"— Grete Minde. 7. Aufl. " 3.50 —"— Quitt. Roman. 5. Aufl. " 4.— —"— Vor dem Sturm. Roman. 15. u. 16. Aufl. " 5.— —"— Unwiederbringlich. Roman. 7. Aufl. " 4.— ~Franzos~, K. E., Der Gott des alten Doktors. 2. Aufl. " 3.— —"— Die Juden von Barnow. Geschichten. 9. Aufl. " 4.— —"— Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 6. Aufl. " 7.50 —"— Junge Liebe. Novellen. 4. Aufl. " 3.— —"— Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl. " 3.50 —"— Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl. " 3.50 —"— Neue Novellen. 2. Aufl. " 3.— —"— Der Posaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 9. u. 10. Aufl. " 5.50 —"— Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl. " 3.— —"— Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl. " 4.— —"— Judith Trachtenberg. Erzählung. 6. Aufl. " 4.— —"— Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl. " 8.— —"— Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. 3. Aufl. " 3.50 ~Frei, Leonore~, Das leuchtende Reich. Roman " 5.— ~Frey, Adolf~, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer Schweizerroman. 4. Aufl. " 6.— ~Fulda~, L., Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl. " 3.— ~Gleichen-Rußwurm~, A. v., Vergeltung. Roman " 4.50 ~Grimm, Herman~, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. Aufl. " 10.— ~Grisebach~, Ed., Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches Novellenbuch " 4.— ~Harbou, Thea v.~, Die nach uns kommen. Roman. 2. Aufl. " 4.— ~Haushofer, Max~, Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits Ein moderner Totentanz. 2. Aufl. " 4.50 —"— Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman " 4.50 ~Heer~, J. C., Joggeli. Geschichte einer Jugend. 18.–22. Aufl. " 4.50 —"— Der König der Bernina. Roman. 71.–75. Aufl. " 4.50 —"— Laubgewind. Roman. 42.–46. Aufl. " 4.50 —"— Da träumen sie von Lieb’ und Glück! Drei Schweizer Novellen. 24. u. 25. Aufl. " 4.50 —"— Felix Notvest. Roman. 21.–25 Aufl. " 4.50 —"— An heiligen Wassern. Roman. 61.–70. Aufl. " 4.50 —"— Der Wetterwart. Roman. 61.–65. Aufl. " 4.50 ~Heilborn, Ernst~, Kleefeld. Roman " 3.— ~Herzog, Rudolf~, Der Abenteurer. Roman. Mit Porträt 36.–40. Aufl. " 5.— —"— Der Adjutant. Roman. 7.–10. Aufl. " 3.50 —"— Die Burgkinder. Roman. 76–80. Aufl. " 5.— —"— Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 19.–23. Aufl. " 4.50 —"— Es gibt ein Glück ... Novellen. 26.–30. Aufl. " 4.— —"— Hanseaten. Roman. 66.–70. Aufl. " 5.— —"— Das Lebenslied. Roman. 53.–60. Aufl. " 5.— —"— Die vom Niederrhein. Roman. 46.–50. Aufl. " 5.— —"— Der alten Sehnsucht Lied. Erzählung. 10.–12. Aufl. " 3.50 —"— Die Wiskottens. Roman. 91.–99. Aufl. " 5.— —"— Das goldene Zeitalter. Roman. 9. u. 10. Aufl. " 3.50 ~Heyse, Paul~, L’Arrabbiata. Novelle. 13. Aufl. " 2.40 —"— L’Arrabbiata und andere Novellen. 10. Aufl. " 4.50 —"— Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl. " 4.50 —"— Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem Alltagsleben — Ein Familienhaus. Novelle. 2.–4. Aufl. " 5.— —"— Die Geburt der Venus. 5. Aufl. " 5.— —"— In der Geisterstunde. 4. Aufl. " 3.50 —"— Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl. " 4.50 —"— Das Haus »Zum ungläubigen Thomas« u. andere Novellen " 4.50 —"— Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 26.–28. Aufl. " 6.80 —"— Helldunkles Leben. Novellen. 2.–4. Aufl. " 5.— —"— Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen 2. Aufl. " 4.50 —"— Neue Märchen. 4. Aufl. " 5.— —"— Martha’s Briefe an Maria. 2. Aufl. " 2.— —"— Melusine und andere Novellen. 5. Aufl. " 5.— —"— Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.–4. Aufl. " 5.— —"— Merlin. Roman. 6. u. 7. Aufl. " 4.50 —"— Ninon und andere Novellen. 4. Aufl. " 5.— —"— Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. Aufl. " 10.— —"— Novellen vom Gardasee. 6. u. 7. Aufl. " 3.40 —"— Meraner Novellen. 11. Aufl. " 4.50 —"— Neue Novellen. 6. Aufl. " 4.50 —"— Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 14. u. 15. Aufl. " 6.80 —"— Plaudereien eines alten Freundespaars. 2.–4. Aufl. " 4.50 —"— Das Rätsel des Lebens. 4. Aufl. " 6.— —"— Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl. " 3.40 —"— Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl. " 4.50 —"— Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl. " 3.40 —"— Gegen den Strom. Eine weltl. Klostergeschichte. 5. u. 6. Aufl. " 3.40 —"— Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. Aufl. " 5.50 —"— Victoria regia und andere Novellen. 2.–4. Aufl. " 5.— —"— Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl. " 4.50 —"— Aus den Vorbergen. Novellen " 6.— —"— Vroni und andere Novellen " 4.50 —"— Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl. " 5.— —"— Xaverl und andere Novellen " 4.50 ~Hillern, W. v.~, Der Gewaltigste. Roman. 4. Aufl. " 4.50 —"— ’s Reis am Weg. 3. Aufl. " 2.50 —"— Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl. " 6.— —"— Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl. " 4.— ~Höcker, Paul Oskar~, Väterchen. Roman " 4.— ~Hofe, Ernst v.~, Sehnsucht. Roman " 4.— ~Hoffmann, Hans~, Bozener Märchen. 3. Aufl. " 3.50 —"— Ostseemärchen. 3. Aufl. " 4.— ~Hopfen, Hans~, Der letzte Hieb. 6. Aufl. " 3.50 ~Huch, Ricarda~, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren Roman. 11. u. 12. Aufl. " 5.— Jugenderinnerungen eines alten Mannes, siehe ~Kügelgen~ ~Junghans, Sophie~, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl. " 5.— ~Kaiser, Isabelle~, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl. " 3.50 —"— Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl. " 3.50 ~Keller, Gottfried~, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände 70.–74. Aufl. "11.40 —"— Martin Salander. Roman. 44.–48. Aufl. " 3.80 —"— Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 74.–78. Aufl. " 7.60 —"— Züricher Novellen. 73.–77. Aufl. " 3.80 —"— Das Sinngedicht. Novellen — Sieben Legenden. 55. bis 60. Aufl. " 3.80 —"— Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl. " 3.— —"— Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl. " 3.— ~Krauel, Wilhelm~, Von der andern Art. Roman " 4.— —"— Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht " 4.50 ~Kügelgen, Wilhelm v.~, Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl. " 2.40 ~Kurz, Hermann~ (Der Schweizer), Sie tanzen Ringel-Ringel-Reihn. Roman. 2. u. 3. Aufl. " 5.— ~Kurz, Isolde~, Unsere Carlotta. Erzählung " 3.— —"— Italienische Erzählungen. 2. Aufl. " 4.50 —"— Frutti di Mare. Zwei Erzählungen " 3.— —"— Genesung — Sein Todfeind — Gedankenschuld. Erzählungen " 5.— —"— Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl. " 4.— —"— Florentiner Novellen. 4. u. 5. Aufl. " 4.50 —"— Phantasieen und Märchen " 3.— —"— Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der Florentinischen Renaissance. 5. u. 6. Aufl. " 6.50 ~Langmann, Philipp~, Leben und Musik. Roman " 4.50 ~Lilienfein, Heinrich~, Von den Frauen und einer Frau. Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl. " 3.— —"— Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Aufl. " 3.50 —"— Die große Stille. Roman. 2. u. 3. Aufl. " 5.50 ~Lindau, Paul~, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände 5. u. 6. Aufl. " 7.50 —"— Arme Mädchen. Roman. 10. Aufl. " 5.— —"— Spitzen. Roman. 9. u. 10. Aufl. " 5.— —"— Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl. " 5.— ~Mauthner, Fritz~, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von »~Lügenohr~« " 4.— ~Meyer-Förster~, Wilh., Eldena. Roman. 2. Aufl. " 4.— ~Meyerhof-Hildeck~, Leonie, Das Ewig-Lebendige. Roman 2. Aufl. " 3.50 —"— Töchter der Zeit. Münchner Roman " 4.— ~Moersberger, Felicitas Rose~, Pastor Verden. Ein Heideroman. 2.–5. Aufl. " 4.50 ~Muellenbach, E.~ (Lenbach), Abseits. Erzählungen " 4.— —"— Aphrodite und andere Novellen " 4.— —"— Vom heißen Stein. Roman " 4.— ~Niessen-Deiters, Leonore~, Leute mit und ohne Frack. Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von ~Hans Deiters~ " 4.— —"— Im Liebesfalle. Buchschmuck von ~Hans Deiters~ " 4.— —"— Mitmenschen. Buchschmuck von ~Hans Deiters~ " 4.— ~Olfers, Marie v.~, Neue Novellen " 4.50 —"— Die Vernunftheirat und andere Novellen " 4.— ~Prel, Karl du~, Das Kreuz am Ferner. 4. Aufl. " 6.— ~Proelß, Johs.~, Bilderstürmer! Roman. 2. Aufl. " 5.— ~Redwitz, O. v.~, Hymen. Ein Roman. 5. Aufl. " 5.— —"— Haus Wartenberg. Roman. 7. Aufl. " 4.50 ~Riehl~, W. H., Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl. " 5.— —"— Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl. " 5.— —"— Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl. " 4.— —"— Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl. " 4.— —"— Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl. " 5.— —"— Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl. " 7.— —"— Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl. " 5.— —"— Neues Novellenbuch. 3. Aufl. " 5.— ~Rittberg, Gräfin Charlotte~, Der Weg zur Höhe. Roman " 4.— ~Roquette, Otto~, Das Buchstabierbuch der Leidenschaft. Roman 2 Bände " 5.— ~Seidel, Heinrich~, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe 10. Aufl. (51.–55. Tsd.) " 5.— —"— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (4. u. 5. Tsd.) " 5.— —"— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe " 5.— —"— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.) " 5.— —"— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausgabe 2. Reihe " 5.— —"— Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe " 5.— —"— Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. Gesamt-Ausg. " 5.— —"— Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande 3 Bände. 9. Tsd. je " 4.— —"— Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. " 4.— —"— Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse herausgegeben von H. W. ~Seidel~. 2. Tsd. " 4.— ~Seidel, H. Wolfgang~, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. Aufl." 5.— ~Skowronnek~, R., Der Bruchhof. Roman. 4. Aufl. " 4.— ~Speidel, Felix~, Hindurch mit Freuden. Novellen " 4.— ~Stegemann, Hermann~, Der Gebieter. Roman " 3.50 —"— Stille Wasser. Roman " 4.— ~Stratz, Rudolph~, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman einer Studentin. 13. u. 14. Aufl. " 5.— —"— Buch der Liebe. Sechs Novellen. 4. Aufl. " 3.50 —"— Die ewige Burg. Roman. 7. Aufl. " 4.50 —"— Seine englische Frau. Roman. 21.–25. Aufl. " 5.50 —"— Für Dich. Roman. 21.–25. Aufl. " 5.— —"— Ich harr’ des Glücks. Novellen. 5. Aufl. " 4.50 —"— Gib mir die Hand. Roman. 10. u. 11. Aufl. " 5.— —"— Herzblut. Roman. 16.–18. Aufl. " 5.— —"— Der du von dem Himmel bist. Roman. 6. u. 7. Aufl. " 4.50 —"— Die thörichte Jungfrau. Roman. 5. Aufl. " 4.50 —"— Der arme Konrad. Roman. 4. Aufl. " 4.— —"— Liebestrank. Roman. 16.–20. Aufl. " 5.— —"— Montblanc. Roman. 8. u. 9. Aufl. " 4.— —"— Du bist die Ruh’. Roman. 6.–8. Aufl. " 4.50 —"— Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der deutschen Armee. 36.–40. Aufl. " 5.50 —"— Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.–5. Aufl. " 3.— —"— Der weiße Tod. Roman. 19.–23. Aufl. " 4.— —"— Es war ein Traum. Berliner Novellen. 5. Aufl. " 4.50 —"— Die letzte Wahl. Roman. 5. Aufl. " 5.— ~Sudermann, Hermann~, Es war. Roman 51.–55. Aufl. " 6.— —"— Geschwister. Zwei Novellen. 30.–34. Aufl. " 4.50 —"— Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.–33. Aufl. " 3.— —"— Der Katzensteg. Roman. 86.–90. Aufl. " 4.50 —"— Das Hohe Lied. Roman. 56.–59. Aufl. " 6.— —"— Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.–25. Aufl. " 4.— —"— Frau Sorge. Roman. 136.–145. Aufl. Mit Jugendbildnis " 4.50 —"— Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 35. u. 36. Aufl. " 3.— ~Telmann, Konrad~, Trinacria " 5.— ~Trojan, Johannes~, Das Wustrower Königsschießen und andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl. " 3.— ~Vockeradt, Emma~, Wanderer im Dunkeln. Roman " 4.— ~Vogt, Martha~, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen " 3.50 ~Vollert, Konrad~, Sonja. Roman " 5.50 ~Voß, Richard~, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl. " 5.50 —"— Römische Dorfgeschichten. 5. verm. Aufl. " 4.50 —"— Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl. " 3.50 —"— Du mein Italien! Aus meinem römischen Leben. 2. u. 3. Aufl. " 5.50 —"— Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl. " 5.— —"— Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. Aufl. " 6.— ~Wilbrandt, Adolf~, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl. " 5.50 —"— Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl. " 4.— —"— Meister Amor. Roman. 3. Aufl. " 4.50 —"— Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl. " 4.— —"— Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl. " 4.— —"— Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl. " 5.— —"— Erika — Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl. " 4.50 —"— Fesseln. Roman. 3. Aufl. " 4.— —"— Franz. Roman. 3. Aufl. " 4.50 —"— Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl. " 4.— —"— Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl. " 3.50 —"— Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl. " 4.— —"— Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl. " 5.— —"— Irma. Roman. 3. Aufl. " 4.— —"— Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl. " 4.50 —"— Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl. " 4.— —"— Novellen " 4.— —"— Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl. " 4.— —"— Die Osterinsel. Roman. 5. Aufl. " 5.— —"— Vater Robinson. Roman. 3. Aufl. " 4.— —"— Familie Roland. Roman. 3. Aufl. " 4.— —"— Die Rothenburger. Roman. 9.–11. Aufl. " 4.— —"— Der Sänger Roman. 4. Aufl. " 5.— —"— Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl. " 4.— —"— Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl. " 4.— —"— Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl. " 4.— —"— Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl. "4.— —"— Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl. " 4.— —"— Villa Maria. Roman. 3. Aufl. " 4.— —"— Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl. " 4.— ~Wildenbruch~, E. v., Schwester-Seele. Roman. 18. u. 19. Aufl. " 5.— ~Wohlbrück, Olga~, Die neue Rasse. Roman. 2.–5. Aufl. " 6.— ~Worms~, C., Aus roter Dämmerung. 2. Aufl. " 3.50 —"— Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl. " 5.— —"— Erdkinder. Roman. 4. Aufl. " 4.50 —"— Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl. " 4.— —"— Thoms friert. Roman. 2. Aufl. " 5.— —"— Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl. " 3.50 Broschierte Exemplare der vorstehend verzeichneten Werke kosten pro Band 1 Mark weniger. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ABENTEURER *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. 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Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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