The Project Gutenberg eBook of Der Hitler-Ludendorff-Prozeß This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Der Hitler-Ludendorff-Prozeß Author: Leo Lania Editor: Rudolf Leonhard Release date: March 24, 2025 [eBook #75700] Language: German Original publication: Berlin: Die Schmiede, 1925 Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS *** AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART – AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART – HERAUSGEGEBEN VON RUDOLF LEONHARD BAND 9 VERLAG DIE SCHMIEDE BERLIN DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS VON LEO LANIA VERLAG DIE SCHMIEDE BERLIN EINBANDENTWURF GEORG SALTER BERLIN Copyright 1925 by Verlag Die Schmiede Berlin PROLOG MÜNCHENER SPUK Ich überschritt die bayrische Grenze an einem sehr bedeutungsvollen Tag im Oktober 1923. Der neue Diktator, der Generalstaatskommissar von Kahr hatte sich endlich zu der Tat entschlossen, der – wie die völkische Presse in großen Lettern verkündete – „alle vaterländischen Kreise Bayerns“ mit Spannung harrten: das Generalkommissariat hatte mit sofortiger Wirkung die Bierpreise herabgesetzt; „was wird darob unter den Bierjuden für e Geheul und Zähneknirschen sein“ triumphierte das „Bayrische Vaterland“, das Blatt des Herrn von Kahr. Tatsächlich wurde diese Neuigkeit, wie ich aus den erregten Zwiegesprächen meiner Mitreisenden – zweier Bewohner der Miesbacher Gegend – feststellte, mit großer Zustimmung aufgenommen. Nur das mit den Bierjuden konnte nicht ganz stimmen, denn im anderen Blatt Kahrs, im „Bayrischen Kurier“, der doch gewiß einer Begünstigung der Juden unverdächtig schien, war am gleichen Tag eine lange Erklärung des bayrischen Brauerbundes zu lesen, die als Folge der verordneten Zwangsbierpreise den „baldigen Zusammenbruch des wichtigsten und bodenständigsten bayrischen Gewerbes“ voraussagte. Auf jeden Fall aber hatte mit seiner letzten Verordnung Herr von Kahr seinen Widersacher Hitler in puncto Volkstümlichkeit um eine Nasenlänge geschlagen. * * * * * Der Kampf Hitlers gegen Kahr hatte gerade in jenen Tagen seinen Höhepunkt erreicht und fand sein lautes Echo in der großen völkischen Presse. Und es gab damals in Bayern eigentlich nur eine völkische Presse. Die Zeitungen unterschieden sich dadurch, daß eine noch völkischer war als die andere, was sie nicht hinderte, samt und sonders mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß zu stehen. Die demokratischen Kreise des deutschen Bürgertums hatten trotz wiederholten Versuchs nicht vermocht, in München ein bedeutenderes linksgerichtetes Blatt herauszugeben. In der drittgrößten Stadt Deutschlands gab es keine einzige Zeitung, – von der sozialdemokratischen „Münchener Post“ abgesehen, – die für die Republik eingetreten wäre und auch die „Münchener Post“ ist, rein journalistisch betrachtet, die am schlechtesten redigierte sozialdemokratische Zeitung im ganzen Reich, kaum mehr als ein Provinzblättchen. Und so dämmerte im Fremden, der zum ersten Mal in jenen Tagen nach München kam, die Erkenntnis, daß das Problem der bayrischen Reaktion zum großen Teil auch ein Problem der Presse ist. * * * * * „Bayern und Reich“, das vaterländische Wochenblatt der Kahr’schen Kampfverbände enthüllte die Ursache der Zwietracht im völkischen Lager: „Wir sind objektiv genug, zu sagen, das ist nicht Hitler’scher Geist, sondern der Fluch seiner Umgebung: hier weht zweifelsohne ein semitischer Wind. Immer dieselbe Methode: wie sich das Judentum in den Friedländer, Rathenau, Ballin usw. an Wilhelm II. herangemacht hat, so sehen wir auch heute wieder Gestalten mit semitischem Äußern im Stabe Hitlers. Immer dasselbe traurige Spiel nach jüdischem Rezept: Byzantismus und Speichelleckertum lähmten Wilhelms Schaffensfreude und -willen und zeitigten seinen verhängnisvollen Größenwahn. Und heute erscheint Hitlers Kopf im „Völkischen“ und sein Bild wird in marktschreierischer Form durch die Presse zum Verkauf feilgeboten.“ Folgten die Namen der Verbände, die von Hitler abgefallen und zu Kahr übergegangen waren. Das „Heimatland“, das Organ des Hitlerschen „Deutschen Kampfbundes“, spie darob Gift und Galle, erklärte die Meldungen vom Übertritt als Lüge und wartete seinerseits mit Enthüllungen über „hinterhältige Spaltungsmanöver gewisser Kreise um Kahr“ auf. Da war es erfrischend, den „Miesbacher Anzeiger“ vorzunehmen, in dessen Spalten gewiß kein semitischer Wind, sondern der trauliche Düngergeruch des bayrischen Kuhstalls wehte. Die Leitaufsätze des „Miesbacher“ schlugen jeden Rekord, schimpften rechts und schimpften links und forderten die Partei des Herrn von Kahr auf, „ihre Führer tüchtig dazwischenzunehmen“; zu Kahrs Regentschaft hatte der „Miesbacher“ kein rechtes Vertrauen, aber zum Schluß wurde er doch gepriesen, da er „das Volkskönigtum der Wittelsbacher, nach dem sich das Bayernvolk sehnt, ersiegen soll.“ Nun wußte der Fremde überhaupt nicht mehr ein noch aus und nur, daß er als nichtgelernter Bayer da eben nicht mitkonnte. Er trat in das königliche Hofbräuhaus ein. Und sah: an den langen Tischen müde, verhärmte, elend gekleidete Gestalten. Ein niederschmetternd-trauriges Bild. Die Männer dösen stumpf, schläfrig in dem Tabaksqualm, der wie eine schwere Wolke über dem riesigen Saal hängt. Boden, Bänke, Tische starren von Schmutz. Mitten durch dies Gewirr von Menschen drängen sich zerlumpte, verhungerte Gestalten und suchen gierig die stehengebliebenen Speisereste – Knochen, Wursthäute – nicht völlig geleerte Bierkrüge zu ergattern, die sie heimlich leeren. Als der Fremde einem solchen armen Teufel, dem der Hunger aus eingesunkenen, erloschenen Augen blickte, zwei Semmeln zuschob, gaffte er ihn ein paar Sekunden verständnislos an: „Ist das für mich?“ Der hatte wohl noch nie gebettelt. Man kommt ins Gespräch: ein Metallarbeiter, seit Wochen arbeitslos, hoffnungslos. Wann es wohl anders werden wird? Er will von keiner Partei mehr etwas wissen, keine tut etwas zur Besserung. Aber Hitler wird es schaffen, noch in diesem Winter. Das ist ein Kerl! * * * * * Die Masse solcher entwurzelter, verzweifelter Existenzen bildete Hitlers Gefolgschaft. Sie war nicht klein. Es lohnte sich, den Führer kennen zu lernen. BESUCH BEI HITLER Der „Völkische Beobachter“, das offizielle Organ der nationalsozialistischen Arbeiterpartei Hitlers, war verboten. Eine Umfrage nach der Adresse dieses Blattes schien mir zu auffällig – und in München war es nicht rätlich aufzufallen – und so begab ich mich zum „Heimatland“, dem Wochenblatt der Hitlerschen Kampfverbände, das an Stelle des „Beobachters“ dreimal wöchentlich erschien und im Straßenhandel stark verkauft wurde. Im ersten Stock eines neuen Hauses am Sendlinger-Tor-Platz befand sich die Schriftleitung des „Heimatland“. Auf meine Bitte, einen der Herren Redakteure sprechen zu können, erklärte mir das empfangende Fräulein, „der Herr Hauptmann“ sei in einer Sitzung. Im weiteren Verlauf meiner Unterhaltung stellte ich dann fest, daß dieses Blatt überhaupt nicht von Redakteuren, sondern von Offizieren redigiert wurde. Nach längeren Verhandlungen verriet mir das Fräulein zögernd, daß „der Herr Hauptmann“ mit dem „Herrn Kapitänleutnant“ zu Hitler gegangen seien, den ich am besten in der Schillingstraße 39 „im Oberkommando“ antreffen könnte und sie schärfte mir noch ein, unter keinen Umständen zu verraten, daß ich die Adresse von ihr empfangen hätte. Die Schillingstraße ist eine stille Vorstadtgasse, etwa zehn Minuten von der Pinakothek entfernt. Als ich in die Gasse einbiege, fällt mir ein mächtiges Tourenauto auf, wie es im Feld nur die Offiziere vom Stab zur Verfügung hatten. In den Geschäften prangen Photographien Hitlers in Lebensgröße, Bilder von den Paraden der Hakenkreuzler und völkische Druckschriften. Ich bin zur Stelle. Im Hause Nummer 39 befindet sich im ersten Stockwerk die Schriftleitung des „Völkischen Beobachters“, daneben das „Oberkommando“. Im Hof sind in einer Garage noch mehrere große Benzwagen eingestellt, die alle im Dienste des Hitlerschen Stabes stehen. Im Vorzimmer halten etwa ein Dutzend junger Burschen in der alten österreichischen Uniform Wacht. Auf meine Frage, ob ich einen Herrn der Schriftleitung sprechen könne, werde ich in ein anderes Zimmer gewiesen, wo die Abfertigung der Kuriere erfolgt und die Telephonzentrale untergebracht ist. Ein Plakat der kommunistischen Partei „Bildet proletarische Hundertschaften!“ ziert den kahlen Raum und soll wohl besonders aufreizend wirken. Eine große Wandkarte Deutschlands zeigt die Verteilung der hakenkreuzlerischen Verbände und ihre Aufmarschbewegung. Die Pfeile weisen nach Norden gegen Sachsen und Thüringen. Um Nürnberg sind besonders viele Kampfgruppen eingezeichnet; wie ich später aus Gesprächen der einzelnen Unterführer heraushörte, sollte dieser Raum das Hauptaufmarschgebiet im Falle des Putsches sein, damit die dortige Arbeiterschaft von vornherein „unter Druck genommen“ werden und die Hitlerschen Truppen nach dem Losschlagen nicht erst gezwungen sein sollten, „in Bayern selbst einen Riegel durchbrechen zu müssen.“ Obwohl man mich weiter nicht beachtet, fühle ich mich inmitten all dieser meist bewaffneten Jünglinge ziemlich unbehaglich. Da öffnet sich die Tür und ein älterer Mann, gleichfalls in österreichischer Uniform, bittet mich, einzutreten. Es ist Herr Stolzing, ein Redakteur des „Völkischen Beobachters“, dessen Name nicht darüber täuschen kann, daß er eigentlich Cerny heißt und in der Tschechoslovakei beheimatet ist. Jetzt ist er ein begeisterter Verehrer Hitlers und weiht mich, nachdem ich mich mit einer fingierten Legitimation als Parteigänger Mussolinis und Korrespondent eines faschistischen Blattes ausgewiesen habe, sehr entgegenkommend in Hitlers fernere Pläne ein. Seine Erklärungen eröffnete er mit einem Vortrag über die deutsche Politik im allgemeinen und den passiven Widerstand im Ruhrgebiet im besonderen. „Der passive Widerstand war von vorneherein zum Mißlingen verurteilt. Unser Plan war, nach dem Muster Schlageters den aktiven Widerstand durch Sabotageakte wie einen Guerillakrieg zu entfachen. Die Franzosen wären gezwungen gewesen, gegen diese stündliche Bedrohung ein vielfaches der jetzt im Ruhrgebiet stehenden Truppen dorthin zu senden. Sie hätten also neu mobilisieren müssen und die französische Regierung hätte dadurch in Frankreich selbst mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Diese Verwirrung hätten wir ausgenutzt und unter dem Schleier der aktiven Sabotage ein Heer aufgestellt, das den Krieg gegen Frankreich erfolgreich hätte aufnehmen können.“ „Ohne Waffen?“ Herr Stolzing lächelt geringschätzig, beugt sich dann vertraulich zu mir herüber. Mit gedämpfter Stimme: „Aber in Wahrheit – Ihnen kann ich das ja sagen – haben wir Waffen genug und genug. Mit tausend Geschützen hätten wir die Armee ausrüsten können.“ Worauf ich Herrn Stolzing bat, mir das außenpolitische Programm Hitlers zu erläutern. „Wir sind für ein Großdeutschland, für die unbedingte Eingliederung Österreichs und der Deutschen aus der Tschechoslovakei. Anders steht es mit den Deutschen Südtirols. Da unser natürlicher ausländischer Verbündeter Mussolini ist, werden wir die Brennergrenze anerkennen. Wir dürfen nicht sentimental sein und müssen aus politischen Gründen auf die 230000 Deutschtiroler verzichten, damit wir zum italienischen Faschismus ein gutes Verhältnis gewinnen.“ „Und Rußland? Denken Sie an ein Zusammenwirken mit der Roten Armee?“ Herr Stolzing gerät in große Erregung: „Das kommt für uns unter keinen Umständen in Frage. Graf Reventlow, der als Sprecher der Völkischen in Norddeutschland dafür eintritt, ist ein Außenseiter, mit dem wir gar keine Verbindung haben. Ein Zusammengehen mit Rußland würde nur bedeuten, daß das letzte gute Blut des völkischen Deutschland fließen müßte, damit hier die Sowjetrepublik errichtet werde und die Juden noch mehr zur Macht gelangen als bisher.“ „Und Ihr Verhältnis zu Herrn von Kahr?“ „Die Voraussetzung für die von den Völkischen geforderte aktive Außenpolitik ist die Erledigung der deutschen Frage im Innern, die nur durch Blut und Eisen gelöst werden kann. Die Völkischen werden eines Tages über das rote Deutschland – Sowjetsachsen und Sowjetthüringen – herfallen, die marxistische Bewegung ausbrennen, wie es Mussolini in Italien getan hat!“ „Ist das ein Programm der ferneren Zukunft? Oder der nächsten Gegenwart?“ „Der allernächsten Gegenwart. In kaum drei Wochen werden die Bauern überhaupt keine Lebensmittel mehr liefern, die Blockade der Städte wird effektiv sein und die Regierung Stresemann abgewirtschaftet haben. Gleichzeitig wird auch Kahr in Bayern am Ende seines Lateins sein. Wir zweifeln nicht an der persönlichen Anständigkeit und der völkischen Gesinnung des Herrn von Kahr, aber er ist kein Diktator, nur ein guter Staatsbeamter, und er merkt gar nicht, daß er nur ein Werkzeug in den Händen der Bayrischen Volkspartei ist. Die hat ihn auf den Schild gehoben, um zu verhindern, daß die nationalsozialistische Bewegung zum Siege gelange. Es ist auch bezeichnend, daß weder die Auflösung der sozialistischen Sturmabteilungen, noch die Aufhebung des Republikschutzgesetzes in der marxistischen Presse des Reichs die erwartete große Erregung hervorgerufen hat. Das beweist, daß Berlin die Ernennung Kahrs zum Generalkommissar nicht feindlich aufgenommen hat, weil man dort hofft, daß auf diese Weise eine Diktatur Hitlers verhindert werden kann. Trügerische Hoffnung. Der Anhang Hitlers wächst täglich, die aktivsten Verbände stehen hinter ihm und nur wir, und nicht Kahr, haben die enge Verbindung zu den völkischen Organisationen in allen Teilen Deutschlands, insbesondere in Pommern, Mecklenburg und Preußen. So haben wir die Gewähr, daß – wenn Hitler gegen Sachsen losmarschieren wird – gleichzeitig unsere Freunde überall im Norden losschlagen können. Kahr hat bei der Auflösung der Einwohnerwehren gezeigt, daß er im letzten Moment immer umfällt.“ Mit großem Stolz zeigt mir Herr Stolzing verschiedene völkische Zeitungen, die ursprünglich für Kahr eingetreten waren und nun deutlich umschwenkten. Unter Verbeugungen vor Kahr wird dort die Befürchtung ausgesprochen, daß dieser als zu stark parteipolitisch gebunden nicht energisch genug vorgehen und durch Intriguen der Bayrischen Volkspartei stürzen werde. Zwecks einer persönlichen Vorsprache bei Hitler wurde ich dann auf den folgenden Tag bestellt. * * * * * Am nächsten Morgen große Aufregung. In der vorangegangenen Nacht war in der Schriftleitung des „Beobachters“ ein Einbruch verübt worden. Auf meine besorgte Frage, ob doch hoffentlich nichts Wichtiges oder größere Geldsummen entwendet worden seien, beruhigt mich Herr Stolzing: „Nein, nur mehrere Pistolen und eine größere Anzahl anderer Waffen.“ (Das offiziöse Wolffsche Telegraphen-Büro allerdings verbreitete später die Meldung, es sei Geld gestohlen worden und verschwieg die Tatsache des Waffendiebstahls, den die Völkischen wohl mit Absicht nicht angemeldet hatten.) Abermaliges Warten. Heute habe ich Muße, mich aufmerksam in diesem „Oberkommando“ umzusehen. Ganz ungezwungen werden in meiner Gegenwart Telephongespräche abgewickelt, die sich um Waffenbestellungen und um Aufträge auf Lieferung von Uniformen drehen. Aus einem Gespräch zwischen zwei Führern – die zum Unterschied von den anderen nicht in Uniform auftreten, sondern mit Seidensocken und sehr eleganten Anzügen ausgestattet sind – höre ich, daß von Küstrin die Rede ist. Hitler sollte die entflohenen Putschisten aus Küstrin in Sicherheit bringen. Nun sei das Unglück geschehen, daß einer dieser Rebellen aus Ärger darüber, daß man ihm nicht genügend Geld auf seine Reise mitgeben wollte, allem Anscheine nach einen Einbruch verübt hat, um seiner Kasse durch den Verkauf der erbeuteten Waffen aufzuhelfen. Draußen ertönen Kommandoworte. Die Wache im Vorzimmer steht stramm, die Tür wird aufgerissen, Herr Hitler erscheint; in Regenmantel und uniformartig zugeschnittenem Sportanzug. Er bemüht sich, sein glattes Gesicht in energische Falten zu legen. Herr Stolzing teilt ihm den Zweck meines Besuches mit, doch er entschuldigt sich, mich heute nicht sprechen zu können, da er sofort wieder mit dem Auto verreisen müsse. In zwei Tagen wolle er mich gerne empfangen oder – ich möchte ihm meine Fragen schriftlich vorlegen. Im übrigen hätte mich ja Herr Stolzing gewiß ausführlich unterrichtet. Hitler spricht abgehackt, einstudiert militärisch. „Na, in ein paar Wochen werden wir schon Ordnung machen.“ * * * * * Es ist dann anders gekommen. Wochen vergingen. Die Voraussage Hitlers hat sich nicht erfüllt. Warum? Wieso? Was war geschehen? Diese Handvoll Bilder und flüchtiger Eindrücke aus dem München des Oktobers gibt keine genügende Erklärung für das, was sich dort im November zugetragen hat. Die dramatischen Vorgänge auf der Bühne des politischen Lebens blieben unverständlich und verworren, nähme man sich nicht die Mühe, ihren Hintergrund ein wenig sorgfältiger zu durchleuchten. VORSPIEL DIE ZEIT Ein scheinbar ganz unverständlicher Widerspruch: Das durch den Krieg entwurzelte, in den folgenden Jahren zwischen den Mühlsteinen des wirtschaftlichen Bankrotts hoffnungslos zermalmte Kleinbürgertum Europas stellt heute einen Faktor dar, der für das politische Leben des Staates von entscheidender Bedeutung und – dies das Seltsamste – seiner Deklassierung zum Trotz ein scharf abgegrenzter, ideologisch und politisch klar durchgebildeter Typus ist. Die ökonomische Entwicklung des letzten Jahrzehnts hat das Kleinbürgertum proletarisiert, den Mittelstand vernichtet. Aber die von verschiedenen sozialdemokratischen Theoretikern erwartete und angekündigte Aufsaugung des Kleinbürgertums durch das Proletariat und seine ideologische und politische Angleichung an die Arbeiterschaft, die ist ausgeblieben. Das vorauszusehen war nicht schwer. Die irrige Auffassung, das Verschwinden des Kleinbürgertums als selbständiger Teil der modernen Gesellschaft müsse naturnotwendig zu einem Verschwinden des Kleinbürgertums überhaupt führen, entspringt eben einem rein mechanischen Denken, das sich bitter rächen sollte. Haben wir doch hier den Schlüssel zu jener fatalistischen Einstellung der sozialdemokratischen Führer, die aus der Zwangsläufigkeit der ökonomischen Entwicklung die These ableiteten, die Revolution komme von selbst. Eine Anschauung, die die meisten der schweren Unterlassungssünden erklärt, die die sozialdemokratischen Arbeiterparteien dem Kleinbürgertum gegenüber begangen haben und die jene große Bewegung erstehen ließen, die teilweise wie eine mächtige Welle Europa überflutete und kurzweg als Faschismus bezeichnet wird. Wer ist Kleinbürger? Was stellt heute das Kleinbürgertum dar? Gewiß nicht das, was man vor dem Kriege darunter verstand. Damals war Kleinbürger gleichbedeutend mit Kleinkapitalist. Der kleine Rentner, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Gewerbetreibende, das waren die Kleinbürger im Sinne der damals üblichen Bezeichnung. Die große Masse jener, die ihrer wirtschaftlichen Lage nach zu den Besitzenden gehörten und daher auch deren geistige Einstellung teilten. Seiner Klassenlage nach ebenso Opfer unserer Wirtschaftsordnung wie der einfache Proletarier, genoß der Kleinbürger vor dem Kriege dennoch eine gewisse ökonomische Vorzugsstellung, wodurch er sich aus dem gleichmäßigen Grau des „Mobs“, des gemeinen Pöbels herausgehoben sah und nun selbst eifrig bemüht war, die Grenze noch möglichst scharf zu ziehen, die ihn von diesem scheiden sollte. „Man muß sich nur nicht die bornierte Vorstellung machen, als wenn das Kleinbürgertum prinzipiell ein egoistisches Klasseninteresse durchsetzen wolle. Es glaubt vielmehr, daß die besonderen Bedingungen seiner Befreiung die allgemeinen Bedingungen sind, innerhalb deren allein die moderne Gesellschaft gerettet und der Klassenkampf vermieden werden kann.“ (Der 18. Brumaire von Karl Marx.) So stellte der Kleinbürger der Vorkriegszeit einen Typus dar, dem ganz besondere Kennzeichen zu eigen waren. In politischer Beziehung haltlos und schwankend, zu keiner selbständigen Entscheidung fähig und entschlossen, in einem unerschütterlichen Respekt vor der gottgewollten und angestammten Ordnung befangen, voller Haß gegen alle Neuerungen und andererseits in ewiger Unzufriedenheit und Erbitterung gegen die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, unter denen er so schwer zu leiden verurteilt war. Bar jedes Kampfesmutes und jedes Selbstvertrauens, sich in Klagen um die „gute alte Zeit“ erschöpfend, nichts weniger als revolutionär, aber ein ewiger Nörgler, in seinem Unvermögen, die großen geschichtlichen Zusammenhänge und Triebkräfte zu erkennen nur allzubereit, auf jedes Schlagwort hereinzufallen, das an seine tiefsten Instinkte rührte: Eine gewisse Harmonieduselei und die Sucht, sich um jeden Preis – auch für das bescheidenste Linsengericht irgendeines Almosens – seine Bravheit mit einem „Privilegium“ bezahlen zu lassen. Denn es ist klar, daß eine Übergangsklasse wie das Kleinbürgertum, in dem sich „die Interessen zweier Klassen zugleich abstumpfen“ seiner Klassenlage sich nicht nur nicht bewußt ist, sich vielmehr über jeden Klassengegensatz erhaben dünkt und infolge seiner sozialen Zersplitterung das Kollektivgefühl und das diesem entspringende Solidaritätsbewußtsein der Fabrikarbeiterschaft gar nicht besitzen kann. Die hier kurz gestreiften Merkmale waren dem Kleinbürger aller europäischen Länder in der Vorkriegszeit in hohem Maße zu eigen und stempelten ihn so zu einem Typus von internationaler Gültigkeit. Doch gerade deshalb sah man schon damals im Lager der sozialistischen Arbeiterparteien sehr oft nur diese Äußerlichkeiten, den politischen und ideologischen Überbau des Kleinbürgertums, und vergaß darob nur zu leicht die große wirtschaftliche Wandlung, die dieses inzwischen durchgemacht hatte. „Kleinbürgerlich“ wurde zu einem Schlagwort, mit dem der bewußte Sozialist all das bezeichnete, was ihm nicht gefiel, was er selbst aus seiner eigenen Entwicklung als überwunden erkannte. „Kleinbürger“ wurde sehr bald nur zur Bezeichnung eines geistigen Zustandes gebraucht und etwa „Spießer“ und „Philister“ gleichgesetzt. Der Krieg hat wie ein Wirbelsturm den faulen Plunder jahrhundertealter Traditionen in den Kehricht gefegt. Die morschen Stützen der Gesellschaft – Moral, Autoritätsglaube, Gottvertrauen – kamen ins Wanken. Doch die Hoffnung der revolutionären Sozialisten, daß sie endgültig zusammenbrechen würden, erwies sich als trügerisch. Vorübergehend geschlagen, aber nicht vernichtet, geht die herrschende Klasse jetzt daran, ihre unter dem ersten Ansturm der Revolution preisgegebenen Positionen wieder zurückzugewinnen und zu befestigen. Und da sie sich nicht der Erkenntnis verschließen kann, daß der Gegner an Stärke, Selbstbewußtsein und Zahl gewachsen ist, vollzieht sich die große Auseinandersetzung zwischen den Klassen nicht in offenem stürmischem Kampf, sondern in einem Stellungskrieg, der es der Schwerindustrie ermöglichen soll, die Positionen der Arbeiterschaft durch geschickte Unterminierung Schritt für Schritt zurückzugewinnen. In diesem Kampf ist das Kleinbürgertum die beste und wichtigste Hilfstruppe des Kapitals. Verstanden es doch die Unternehmer, beziehungsweise deren politische Agenten, in Presse und Parlament, in der Agitation und im politischen Tageskampf an die kleinbürgerliche Ideologie anzuknüpfen, um es so in eine Einheitsfront mit den großbürgerlichen Parteien zu pressen und vom Sozialismus abzulösen. Und dennoch: Konnten sich Kleinrentner und Mittelständler vor dem Kriege an die Fiktion eines kleinen Besitzes klammern, so finden sie sich heute in jener verzweifelten Lage, wo sie gleich dem Proletariat „nichts mehr zu verlieren haben, als ihre Ketten“, Damit ist das Kleinbürgertum zu einem revolutionären Faktor geworden. Aber es ist heute nicht nur objektiv, seiner wirtschaftlichen Lage nach revolutionär, es ist auch entschlossen, selbständig zur Tat zu schreiten, um sich vor dem Untergang zu retten. Und – die Verzweiflung treibt es tatsächlich zur Tat. Dieser Verzweiflungskampf des Kleinbürgertums – seinem innersten Wesen nach revolutionär, von den herrschenden Schichten zu konterrevolutionären Zielen mißleitet – das ist der Faschismus. Und daß es dem Bürgertum gelang, in fast allen Ländern diese Bewegung an sich zu reißen, zeugt ebenso von seiner inneren Stärke, wie von dem Versagen der sozialistischen Parteien. Die Feststellung ist zu billig, daß die Welle der Reaktion, die noch immer ansteigend Europa überflutet, nur die Gegenwirkung auf die revolutionären Umwälzungen der Nachkriegszeit ist, und diese Feststellung wird auch dadurch nicht überzeugender, daß sie sich auf die physikalischen Pendelgesetze stützt. Der Faschismus ist zwar ein wichtiger Pfeiler im System der europäischen Reaktion, er ist aber nicht sie selbst. Der italienische Faschismus und das ungarische Horthy-Regime, so sehr sie auch in ihren Taten übereinstimmen und so sehr man versucht ist, sie nur als zwei verschiedene Bezeichnungen für ein und denselben historischen Vorgang anzusehen, sind zwei grundverschiedene Erscheinungen, die das eben Gesagte vielleicht am deutlichsten illustrieren. Das System Horthys ist die Herrschaft einer kleinen bewaffneten Militär-Clique, aufgerichtet zur Niederwerfung der revolutionären Arbeiter, ausgeübt von den klerikal-monarchistischen Offiziersgarden, die dank dem Zusammenwirken verschiedener außenpolitischer Faktoren (französische und englische Unterstützung, rumänischer Einmarsch) ihren Sieg über die Kommune zu einem blutigen Rachewerk ausnützten. Das Horthy-Regime ist eine jener gewalttätigen Restaurationen gestürzter Mächte, wie wir sie aus der Geschichte aller Jahrhunderte kennen. Der italienische Faschismus ist die Herrschaft der militärisch organisierten und bewaffneten Massen des Kleinbürgertums, aufgerichtet zur Vernichtung des „nationsfeindlichen Sozialismus“. Horthy kam zur Macht als Befreier von der Revolution. Mussolini als Vollstrecker der „Revolution gegen den morschen Staat und dessen schwächliche Autorität“. Horthy eröffnete seinen Vernichtungsfeldzug im Namen der Ordnung und des Königs. Mussolini im Namen der Nation gegen die Monarchie. Gewiß, in seinen unmittelbaren Wirkungen ist zwischen Faschismus und Horthy-Regime kein Unterschied zu sehen. Gewiß, innerhalb des Faschismus riß ebenso die reaktionäre monarchistische Militär-Clique die Führung an sich wie in Ungarn; und auch das Horthy-Regime hätte sich nicht so lange halten können, wenn es sich nicht auf breite Massen des Kleinbürgertums hätte stützen können. Jedenfalls aber sehen wir, daß der Faschismus tatsächlich eine neue und ganz besondere Erscheinungsform der bürgerlichen Reaktion ist. Aber keine, die sich nur auf ein bestimmtes Land erstreckt. Was den Faschismus charakterisiert, ist, daß er tiefe Wurzeln geschlagen hat nicht nur in den Schichten des Kleinbürgertums und Mittelstands, Wurzeln geschlagen selbst im Proletariat. In den Kinderjahren des Sozialismus hat es eine dem Faschismus ähnliche Bewegung gegeben. Aber die „schwarzen Hundert“, die „Gelben“, die damals im Kampf gegen den Sozialismus standen, waren entwurzelte, im ökonomischen Prozeß keine Rolle spielende Existenzen, die die sozialistische Arbeiterschaft verhältnismäßig leicht zurückschlagen konnte. Und der Antisemitismus, „dieser Sozialismus des dummen Kerls“, wie ihn Victor Adler genannt hat, richtete zwar genügend Verwirrung im Lager der Arbeiter an – man denke nur z. B. an das alte Österreich, wo er sogar eine Massenpartei, die Christlichsozialen, schaffen half – ein militantes Heer ins Feld zu stellen vermochte er nicht. Die Völkischen in Deutschland, die Faschisten in Italien, vermochten – wenn auch nur vorübergehend – dieses Heer aufzustellen, es auszurüsten und zu bewaffnen. So war plötzlich eine Macht da, mit der der Staat nicht nur in militärischer, sondern auch – und dies war das Bedeutsamste – in wirtschaftlicher und politischer Beziehung zu rechnen hatte. Das Kleinbürgertum hatte sich in Marsch gesetzt. DER ORT Es hat vor dem Kriege kein autoritätsgläubigeres Kleinbürgertum gegeben als das deutsche. Militärdrill, Hohenzollernregiment, Kleinstaaterei hatten ihm das Rückgrat gebrochen. Kadavergehorsam wurde ihm als höchste Mannestugend – Disziplin! – eingepaukt. Und wie hätte Freiheit und Selbstbewußtsein in einer Kasernenhofatmosphäre gedeihen sollen, in der jeder freie Bürger zum Untertan verkrüppelt, im Leutnant das Symbol des Staates sah und bewunderte. Die Enttäuschung über das klägliche Versagen der Revolution – diesen „Generalstreik einer erschöpften Armee“, wie sie Rathenau genannt hat – trieb das Kleinbürgertum, nachdem es beim Umsturz in hellen Haufen zur Sozialdemokratie übergelaufen war, sehr bald wieder zurück ins bürgerliche Lager. Dieser Prozeß war wahrscheinlich in hohem Grade unvermeidlich. Die goldenen Berge, die sich das Kleinbürgertum versprach, hätte ihm keine Partei zu schenken vermocht, gegen die ökonomische Entwicklung des Zusammenbruchs anzukämpfen, war unmöglich. Aber da die Sozialdemokraten den Zusammenbruch nicht nur durch ihren Eintritt in die bürgerliche Regierung sanktionierten, sondern „zur Verhütung des ärgsten“, sogar deckten, identifizierten sie sich den breiten Massen gegenüber mit ihm. Die Sozialdemokratie wurde nicht nur als Partei von den breiten Massen des kleinen Bürgertums für den wirtschaftlichen Bankrott verantwortlich gemacht, der Sozialismus überhaupt wurde heillos kompromittiert, die Kluft zwischen der Arbeiterschaft, „deren Partei doch regierte“, und den kleinbürgerlichen Massen immer weiter aufgerissen. Das deutsche Kleinbürgertum ist heute zwar ein Typus von scharf durchgebildeter politischer Physiognomie, aber soziologisch keine einheitliche Klasse. Drei große Schichten lassen sich deutlich unterscheiden: 1. das ehemalige Offizier- und Staatsbeamtentum nebst dem überwiegenden Teil der Studentenschaft; 2. die Kleinhändler, Gewerbetreibenden, Handwerker, Kleinrentner; 3. die geistigen Arbeiter (Ärzte, Ingenieure, mittlere Beamte). Die „Stehkragenproletarier“ – um mit der dritten Schicht zu beginnen – haben durch den Krieg und in der Revolution ohne Zweifel die stärkste seelische und geistige Wandlung durchgemacht. Die bittere Not hat der großen Mehrheit von ihnen den Standesdünkel recht bald ausgetrieben und, wurde es in diesen Kreisen noch vor wenigen Jahren als ärgste Schmach empfunden, materiellen Interessen die Herrschaft über den freien Geist einzuräumen, so bläute den Mittelständlern der von Tag zu Tag schwerere Kampf um die Erhaltung des nackten Lebens unbarmherzig die Erkenntnis ein, daß der sehr prosaische Magen und nicht der poetische Geist das letzte, entscheidende Wort hat. Diese Schicht ist es auch, die zuerst eine Brücke zur Arbeiterschaft zu schlagen versuchte und in der Erkenntnis, daß ihre Interessen mit denen der Handarbeiter gleichlaufen, die Notwendigkeiten der praktischen Solidarität, der Organisation immer klarer erfaßte. Schwieriger steht es mit der zweiten Schicht. Unser Wirtschaftsleben bringt Kleinhändler und Arbeiter täglich in scharfen Gegensatz. Die Arbeiter, die dem kleinen Händler nur als Konsumenten bzw. im Gewerbe als „unbescheidene Angestellte“ gegenübertreten, sind nur allzu leicht geneigt, für die teuern Preise, für ihre Übervorteilung die verantwortlich zu machen, mit denen sie unmittelbar in Beziehung kommen, statt zu erkennen, daß diese selbst auch Opfer des Systems, der großen Unternehmer sind. Und die Kleinhändler wieder klammern sich an die Illusion von der „Wiederkehr der guten alten Zeit“ und verfolgen (Ursache und Wirkung in bekannter Weise vertauschend) Revolution, Demokratie, Republik – die Symbole ihres Falles – mit wütendem Haß. Bleibt noch das Heer der ehemaligen Offiziere und Staatsbeamten, der Studenten und Lehrer. Als unmittelbar nach dem Zusammenbruch die deutsche Armee in die Heimat zurückflutete, entlud sich der Haß, die Erbitterung der Masse der einfachen Soldaten, die fünf lange Jahre in den Schützengräben ganz Europas gehungert und gelitten hatten, zuerst gegen jene, die sie als ihre eigentlichen Peiniger empfanden – die Offiziere. Es ist damals gewiß so manchem dieser Offiziere bitter Unrecht getan worden. Sicher hat der überwiegende Teil des deutschen Offizierkorps, vor allem in den niederen Rängen, ebenso gelitten, ebenso geblutet wie die Mannschaft. Sicher kann der Mehrzahl der Offiziere der alten Armee die Bestätigung ihrer persönlichen Anständigkeit, Korrektheit, Pflichttreue und ehrlicher Sorge um die Untergebenen nicht versagt werden. Gewiß, es gab traurige Ausnahmen – die aber nur die Regel bestätigen. Und dennoch: so bitter und ungerecht der Entrüstungssturm gegen die Offiziere, der damals die Massen in Deutschland durchtobte, jenen erscheinen mußte, die Erbitterung war nicht nur begreiflich, sie war auch notwendig. Die Masse sah nicht den einzelnen Leutnant oder Rittmeister, sondern den „Offizier“, das Symbol des wilhelminischen Kaiserreichs. Der einzelne war nur der sichtbare Ausdruck für die Maschine, die zu zerbrechen für die Massen Voraussetzung ihrer Befreiung war. Ein großer Teil der Offiziere, durch ihre ganze Erziehung, durch Umgebung und Tradition in einen scharfen Gegensatz zur Arbeiterschaft, zum „Zivilistenpack“ aufgewachsen, hat im Krieg eine seelische Wandlung durchgemacht und war beim Umsturz vielfach sogar ehrlich bestrebt, sich durchzuringen zu einem inneren, ehrlichen Verhältnis zur Masse. Da mußten gerade diese sehen, wie ihre Annäherung mit Mißtrauen, ja mit Hohn zurückgewiesen wurde. Das tat weh. Das verbitterte. Man mußte schon ein innerlich starker und gefestigter Mensch sein, um allen diesen täglichen Verhöhnungen und Beschimpfungen, die immer gegen den ganzen Stand erhoben wurden, zum Trotz, den Weg zur Arbeiterschaft zu finden. Die Mehrzahl fand ihn nicht. Viele von ihnen zogen sich, geschworene Feinde der Republik und der Demokratie, die sie für ihren tiefen Sturz verantwortlich machten, grollend zurück. Viele fanden in den folgenden Jahren nach und nach den schweren Weg ins bürgerliche Berufsleben. Sehr viele verkamen, versanken im Schiebertum, Gelegenheitsgeschäft, wurden Hochstapler, Abenteurer, Landsknechte. Die anderen aber, mochten sie mittlerweile auch den Weg in die bürgerlichen Berufe gefunden haben, sie blieben auch dort nur der Leutnant oder Oberleutnant a. D., d. h. eingesponnen in die Ideologie ihrer Vergangenheit und so innerhalb der Masse der Schwankenden und des zur Passivität neigenden Kleinbürgertums die starken Führerpersönlichkeiten, die weit über ihre nächste Umgebung hinaus bestimmenden Einfluß genießen. Endlich die Studentenschaft. So traditionstreu sie sich vielleicht dünkt, sie hat überhaupt keine Tradition. Kaum glaublich, daß noch vor siebzig Jahren die deutschen Studenten Schulter an Schulter mit den Arbeitern auf den Barrikaden für Republik und Demokratie kämpften und fielen. Vergessen sind die Befreiungskriege, vergessen 1848 – unvergessen ist Schwarz-Weiß-Rot, Hohenzollern, Militärpracht. So sind die deutschen Hochschulen uneinnehmbare Festungen der Reaktion geworden. Solcherart ist das große, vielmillionenköpfige Heer des deutschen Kleinbürgertums, das – durch Not, Hunger und Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen aus seiner Ruhe und althergebrachten Ordnung aufgerüttelt – nunmehr in Bewegung geraten ist. Der Wechsel auf das selige Jenseits hat eine zu lange Laufzeit und der Glaube an Gott macht den Magen nicht voll. Der Kaiser war zu „schlapp“ und also mitschuldig an dem Sieg der „Novemberverbrecher“. So lautet also der neue Schlachtruf: „Mit Wotan für Diktator und Vaterland, gegen die Juden, gegen die Marxisten, Sozialisten und Kommunisten, gegen das ‚jüdische‘ Kapital!“ Und aus dem Gefühl seiner inneren Schwäche, aus dem tiefen Sehnen, sich unter eine starke Führung begeben zu können, wo doch alle bürgerlichen Parteien, wo doch vor allem die Sozialdemokratie nicht einmal die Bereitschaft gezeigt haben, zu _führen_, stimmt die unklare, schwankende Masse des Kleinbürgertums den Schlachtruf an: „Einen Diktator, einen Diktator, alle republikanischen Errungenschaften für einen Diktator!“ ER wird wieder Ordnung und Autorität in Deutschland zu Ehren bringen, ER wird die Teuerung in Deutschland abschaffen und das Volk in die schönen Friedenszeiten zurückführen. Der Mann war schon gefunden. Er hieß Hitler. Aber da in Deutschland bekanntlich an politischen Führern und Diktatoren von jeher kein Mangel ist, so traten neben ihm gleich noch ein halbes Dutzend solcher Führer auf den Plan: General Ludendorff, Kapitän Ehrhardt, Leutnant Roßbach – einer für die militärischen und einer für die politischen und einer für die diplomatischen Angelegenheiten, Sachverständige, deren Fachkenntnis die Bildung eines Direktoriums nationalgesinnter Männer zur Rettung Deutschlands aus den Klauen des jüdischen Kapitals und des französischen Militarismus verbürgte. Diese Männer machten sich ans Werk. Drei Jahre lang trafen sie ihre Vorbereitungen, spannten ein Netz von Verschwörungen über ganz Deutschland, rüsteten ihre Armee aus, bewaffneten ihre Soldaten, sorgten für Nachschub und Rückendeckung und Aufnahmestellungen – alles klappte glänzend. Das Geld, das man bekanntlich zum Kriegführen braucht, floß ihnen in Hülle und Fülle zu. Der Kapp-Putsch hatte ihnen gezeigt, wie man’s nicht machen darf. Sie hatten erkannt, daß die Republik trotz allem ein zu mächtiger Gegner ist, als daß sie durch einen Handstreich überrumpelt, die Stellungen der Demokratie allzu fest, als daß sie einfach überrannt werden könnten. Sie wußten, daß es ein harter und blutiger Kampf werden würde und sie richteten sich danach ein. Als der deutsche Faschismus seinen großen Aufmarsch in militärischer und politischer Beziehung beendet hatte, als die feindlichen Stellungen durch ein Trommelfeuer aus den schwersten Geschützen der Inflation „eingedeckt“ waren, als durch eine würgende Blockade das flache Land die Städte ausgehungert hatte, als die Verzweiflung wie eine schleichende Seuche die Reihen der Arbeiter- und Beamtenschaft, der Verteidiger der Republik und Demokratie, lichtete, als der Angriff Poincarés gegen das Ruhrrevier die Republik „sturmreif“ gemacht hatte, da holte der Faschismus zum entscheidenden Stoß aus, um der Republik, die dank der Stärke ihrer Feinde und der Zaghaftigkeit ihrer Freunde nur mehr eine leere Form ohne jeden Inhalt geworden zu sein schien, den letzten Schlag zu versetzen. Mussolinis Marsch nach Rom sollte in Hitler-Ludendorffs Zug nach Berlin seine Nachahmung finden. Allerdings: Als Mussolini nach Rom marschierte, da war das kaum mehr als ein theatralischer Effekt, da hatte er die Entscheidungsschlacht bereits gewonnen, da lag Italien von den Alpen bis Neapel wehrlos und besiegt den faschistischen Truppen zu Füßen und nur die rauchenden Druckereien und Versammlungslokale der Sozialisten, nur die Attentate verzweifelter Revolutionäre gaben Kunde davon, daß es noch „elementi soversivi“ (Umstürzler) in Italien gab. War nicht im Oktober 1923 die Lage in Deutschland eine ähnliche? Es mußte ein Kinderspiel scheinen, die Hakenkreuzfahne auf den Zinnen des Berliner Schlosses zu hissen. Demütigungen auf Demütigungen, Verhöhnungen und Bedrohungen hatte die Republik fast widerstandslos eingesteckt, untätig sahen die Regierungsparteien, sah auch die Sozialdemokratie dem Aufmarsch des Gegners zu, und wer die warnende Stimme erhob, um in letzter Stunde zum Widerstand, zur Verteidigung zu rufen, den schickte die Republik in Zuchthaus und Kerker. Hitler und Ludendorff hatten die Situation klar erfaßt und verstanden es wohl, daß sie nicht länger warten durften, wollten sie sich nicht selbst aufgeben. Nur eine Kleinigkeit hatten sie übersehen: daß plötzlich – fast über Nacht – der reiche Geldstrom, der in immer steigendem Maße ihnen zugeflossen war, merklich zu versiegen begann. Ein Zufall? Nein: während die Nationalsozialisten wie gebannt nach Berlin starrten und ihr Heer an der thüringischen Grenze aufmarschierte, hatte die deutsche Schwerindustrie ihre Geschäfte mit Paris in Ordnung gebracht. Die Industrie, die den Faschismus ausgerüstet, großgezogen, ins Feld gestellt hatte, um den Rücken frei zu haben gegen die für den Achtstundentag, für den Ausbau der sozialen Reformen kämpfende Arbeiterschaft und um andererseits einen entsprechenden Druck auf den französischen Partner ausüben zu können, war mit diesem zu einer Einigung gelangt. Der Faschismus hatte seine Schuldigkeit getan, nun mochte er sich trollen und brav im Hintergrunde warten und lauern, bis er wieder gerufen würde. Der Weg für den legalen parlamentarischen Rechtskurs war frei, der Gedanke des Bürgerblocks marschierte, völkische Experimente konnten da nur mehr unangenehme Verwicklungen herbeiführen. Hitler und die Seinen aber verstanden gar nicht, worum es ging. Das große Heer der Hakenkreuzler machte sich jedenfalls keine Gedanken darüber, was später einmal kommen sollte. Sie hatten ihre Befehle, sie hatten ihren Führer, sie hatten ihr nächstes Ziel, sie hatten den Glauben an ihre Berufung und sie durften gehorchen. Hitler schlug los. Er schlug ins Leere. So ist der Putsch vom 8. November 1923, der als entscheidender Kampf um die Macht gedacht war und in wenigen Stunden als Revolte im Bürgerbräukeller endete, das wichtigste politische Ereignis in Deutschland seit der Revolution. Er ist ein Merkstein für eine politische Entwicklung, die mit ihm ihren Abschluß gefunden hat, und erst die späteren Monate machten seine Bedeutung für den sozialen und politischen Umschichtungsprozeß in Deutschland ganz klar. OKTOBER Der passive Widerstand an der Ruhr war zusammengebrochen. Verzweiflung über die würgende Not, die in den Hochsommermonaten eine phantastische Höhe erreicht hatte, trieb die rettungslos im reißenden Malstrom der Inflation versinkenden Arbeiter, Kleinbürger, Beamten, Angestellten zu gewaltigen, spontanen Kundgebungen auf die Straße. Cuno ging und Stresemann kam. Die Massen, die im ersten Anlauf eine Schlacht gewonnen hatten, fluteten wieder zurück. Ihre Aktion, die sich im ersten Augenblick so bedrohlich und gewaltig angelassen hatte, verpuffte. Die Sozialdemokratie sprang in die Bresche, um den Erfolg des ersten Treffens auszunutzen und als Teilhaber der Regierung Ruhe und Ordnung im Lande wiederherzustellen und den „Ruhrkampf zu liquidieren“. Hilferding, der neue Finanzminister, machte sich voll Eifer ans Werk. Es galt, die ins Bodenlose gestürzte Mark wieder auf die Beine zu bringen, die heillos zerrütteten Finanzen zu ordnen, die Teuerung einzudämmen, während dem Innenminister Sollmann, von dem man erwartete, daß er als Sozialdemokrat über den unerläßlichen Einfluß bei den erregten Massen verfügte, die Aufgabe zufiel, in der Zwischenzeit für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Ruhe zu sorgen. Hilferding hatte nicht nur einzelne Reformen im Auge, er brachte einen wohldurchgearbeiteten Plan ins Ministerium mit. Die Arbeit begann. Die Mark stürzte weiter. Die Teuerung wuchs, das Elend, die Verzweiflung, Hunger und Not wuchsen mit. Innerhalb der Koalition spitzten sich die Gegensätze von Tag zu Tag zu. Das Finanzministerium und die Reichsbank arbeiteten aneinander vorbei, bald standen sie in offenem Kampf. Hilferding forderte die Sperrung aller Kredite, der Reichsbankpräsident Havenstein setzte die Kreditpolitik der Inflationszeit eigensinnig fort. Bei dem Duell Hilferding-Havenstein blieb als Leidtragender der kleine Mann auf dem Kampfplatz. Die Sozialdemokratie machte Opposition, protestierte, drohte mit dem Austritt aus der Koalition und merkte gar nicht, daß inzwischen Deutschnationale und Volkspartei, Schwerindustrie und Agrarkapital sich geeinigt hatten, zu einem gemeinsamen Aktionsprogramm gelangt waren. Die Sozialdemokratie drohte, ihre außerparlamentarischen Machtmittel einzusetzen und wußte, als einzige der politischen Parteien, nicht, daß diese Machtmittel – infolge der wachsenden Unzufriedenheit und Enttäuschung in der Mitgliedschaft – beträchtlich zusammengeschmolzen waren. So beantworteten die bürgerlichen Koalitionsparteien die Drohungen der Sozialdemokratie damit, daß sie sie beim Wort nahmen. Ehe sich die Partei dessen versah, war sie durch die Schwerindustrie ohne viel Federlesens aus der Regierung hinausmanövriert. Bevor es aber die Deutsche Volkspartei zu einem offenen Bruch mit der Sozialdemokratie kommen ließ, wollte sie gewisse unerläßliche Garantien für die Zukunft schaffen. Auf dem Wege zur rein bürgerlichen Regierung galt es, als erstes und wichtigstes Hindernis den roten Block zu überwinden, der gerade in jenen Monaten zu einem bedrohlichen revolutionären Pfeiler gegen die bürgerliche Regierungspolitik ausgebaut worden war. Das Reichswehrministerium täuschte sich nicht darüber, daß die Beseitigung der sozialistischen Regierungen in Sachsen und Thüringen eine schwierige Aufgabe bedeutete und zu gefährlichen Auswirkungen führen mußte, wenn nicht die Sozialdemokratie für die Teilnahme an dieser Aktion gegen ihre Parteigenossen im sächsischen und thüringischen Kabinett gewonnen werden konnte. Die letzte Tat der Koalitionsregierung war denn auch die Liquidierung der mitteldeutschen Arbeiterregierungen. Am 10. Oktober marschierte die Reichswehr in Sachsen und Thüringen ein, setzte die sozialistischen Regierungen ab, vertrieb mit aufgepflanztem Bajonett die kommunistischen und sozialdemokratischen Minister aus ihren Ämtern und proklamierte den Ausnahmezustand, dessen Durchführung einem eigenen Staatskommissar übertragen wurde. Diese Reichswehraktion gegen Sachsen und Thüringen war nur ein Schachzug in einem weit umfassenderen Plan. Am 27. September hatte die bayrische Regierung den Ausnahmezustand verkündet und die vollziehende Gewalt in Bayern dem Regierungspräsidenten von Oberbayern, Herrn von Kahr, übertragen, der als Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten die Regierung übernahm. Begründung: Hitler hatte für Anfang Oktober 14 Massenversammlungen in München angekündigt, die nach Ansicht der bayrischen Regierung den Auftakt zu einem völkischen Putsch bilden sollten, den zu vereiteln Herr von Kahr berufen wurde. Die Reichswehraktion in Mitteldeutschland, die Berufung des Herrn von Kahr – beide Ereignisse standen in innerem ursächlichen Zusammenhang. Hier wie dort hatte man erkannt, daß man vorbauen mußte, wollte man nicht von der weiteren Entwicklung überrannt werden. Die Bayrische Volkspartei, das heißt die bodenständige, klerikale, besitzende Bürger- und Bauernschaft Bayerns, wußte ganz genau, daß sie der lawinenartig anwachsenden Bewegung des verelendeten Kleinbürgertums, Mittelstands keinen offenen Widerstand entgegensetzen konnte, erkannte aber auch ebenso klar, daß sie, diese Bewegung richtig auswertend, ihr eigenstes Ziel – die Aufrichtung der uneingeschränkten Herrschaft der katholischen Kirche in einem, der Fesseln der zentralistischen Reichsverfassung ledigen, selbständigen bayerischen Staat als Vorbedingung für eine Restauration der Wittelsbacher Monarchie und einen später zu verwirklichenden separatistischen, süddeutschen Staatenbund – mit einem Schlage gewaltig fördern könnte. Also hatte die Bayrische Volkspartei Kahr vorgeschoben, dem es als Ehrenvorsitzenden der separatistisch eingestellten Kampfverbände – vor allem der Organisation „Bayern und Reich“ – gelingen sollte, auch die Hitlerschen Kampfbünde zu sich herüberzuziehen, zu „binden“. Herr Kahr wieder betraute den Kapitänleutnant Ehrhardt mit der schwierigen Aufgabe, die Mittlerrolle zwischen den großdeutsch eingestellten Verbänden Hitler-Ludendorffs und Kahr selbst zu spielen. Ehrhardt hatte nachdem er aus dem Leipziger Untersuchungsgefängnis entwichen war, in Bayern bei Herrn Kahr warme Aufnahme gefunden, der ihm das Oberkommando über den „Abschnitt Koburg“, die Führung der an der sächsischen und thüringischen Grenze sich versammelnden Formationen übertrug. Kahrs Plan lief darauf hinaus, zwei Fliegen auf einen Schlag zu treffen: einerseits sollte seine Herrschaft in Bayern mit Hilfe der völkischen Verbände gesichert, anderseits die nicht ganz zuverlässigen schwarzen Schafe möglichst aus der Mitte der weißen katholischen Lämmlein entfernt werden. Herr Kahr hielt es nicht für klug, den Tatendrang der Völkischen zu zügeln, wünschte aber, daß sie ihn außerhalb Bayerns austobten. So fand die Hitlersche Parole: „Gegen Berlin!“ bei Kahr und der Bayrischen Volkspartei beifällige Aufnahme. Am 27. Oktober brachte die „Chronik des Faschismus“, eine damals in Berlin erscheinende, über die Vorgänge im völkischen Lager sehr gut informierte Zeitschrift, folgenden Situationsbericht aus München: Daß Kahrs Kampfansage an den „marxistischen Norden“ ebenso nur ein Manöver ist, wie seine Beschwerden gegen den Zentralismus der Weimarer Verfassung, und daß der eigentliche Plan Kahrs und der Bayrischen Volkspartei auf die völlige Separation Bayerns um jeden Preis hinausläuft, zeigt ... die Tatsache, daß die Bayrische Hauptstadt, bisher der Sammelpunkt aller faschistischen und reaktionären Kondottieri von Ehrhardt bis Ludendorff, jetzt zum Stelldichein viel höherer und höchster Herrschaften geworden ist. Der Erzherzog Josef von Ungarn, der „Soldatenvater“, der seine Kinder anno 14 in den Karpathen so energisch behandelte, daß sie zu Zehntausenden elend im Schnee umkamen – dieser hohe Heerführer eröffnete den Reigen als Vertreter Horthys. Mussolini zögerte nicht, einen Delegierten zu senden. Herr Kahr ließ durch Mittelspersonen in Paris anfragen, wie dort die Wiederherstellung der Donaumonarchie aufgenommen werden würde, und als die Antwort so günstig ausfiel, wie erwartet, eilten jetzt Zita aus Spanien und der König Ferdinand von Bulgarien höchstselbst nach München zum Rendezvous. Inzwischen wußte „Der Abend“ in Wien zu melden: „Die derzeitige politische Lage in Deutschland hat den Vatikan veranlaßt, die bayrischen Bischöfe, den Erzbischof von Bamberg und die Bischöfe von Speyer und Passau zu einer Beratung nach Rom zu berufen. Der Vatikan will offenbar den jetzigen Augenblick der allgemeinen Verwirrung dazu benutzen, um den alten Plan der Errichtung eines katholischen Donaustaates auszuführen.“ Doch bei all dem vergaß Herr von Kahr nicht, daß ein Kampf nach zwei Fronten – gegen Berlin und gegen Hitler – die große Gefahr barg, in ein Kreuzfeuer zu geraten, im entscheidenden Augenblick völlig isoliert zu werden. Während er sich den Völkischen gegenüber sicher und stark genug fühlte, war er über die letzten Pläne und Absichten der Reichsregierung, das heißt des von Präsident Ebert mit den unumschränkten Vollmachten eines Diktators zum Inhaber der vollziehenden Gewalt bestellten Generals von Seeckt, des Oberbefehlshabers der Reichswehr, nicht im klaren. Gewiß, in Einzelheiten gab es Differenzen – aber bestanden nicht solche auch zwischen Kahr und Hitler, ohne daß sie ein Zusammenarbeiten für das gemeinsame Ziel des reaktionären Umsturzes ausschlossen? Und vor allem: würde General von Seeckt nicht im richtigen Augenblick bereit sein, Kahrs Stichwort aufzunehmen? Separatismus und Großdeutschland – Hohenzollern oder Wittelsbach – das waren doch Fragen, die erst später nach dem Sturz der Republik brennend wurden. Vorläufig galt es, die Schlacht zu schlagen. Sollte da nicht General von Seeckt ein geheimer Verbündeter sein, der es vorläufig nur noch nicht als geraten ansah, seine republikanische, ihm selbst gewiß am meisten lästige Maske abzuwerfen? Kahrs Rechnung schien zu stimmen. Seine Vorstöße, die er zur Klärung des Gefechtsfeldes unternahm, trafen wenigstens nur auf eine sehr schwächliche Abwehr des Generals von Seeckt und des Berliner Kabinetts, eine Abwehr, die beinahe wie ein Manöver aussah. Ja, während sich die völkischen Verbände unter den Augen und mit der wohlwollenden Unterstützung des Herrn von Kahr an der thüringischen Grenze zum Marsch gegen Berlin sammelten, trat der Oberbefehlshaber der Reichswehr mit dem bayrischen Generalstaatskommissar in Verhandlungen ein, um die Teilnahme der bayrischen Reichswehrformationen und auch der völkischen Kampfverbände an der Aktion gegen Sachsen und Thüringen zu vereinbaren. Selbst in den ersten Novembertagen noch lagen die letzten Absichten Seeckts in mystisches Dunkel gehüllt. Dieses zu erhellen sollte ein Flugblatt dienen, das die Völkischen im Dezember 1923 in München insgeheim verbreiteten, um nachzuweisen, daß Hitlers Putsch nur die logische, im ursprünglichen Programm vorgesehene Fortsetzung einer von ganz anderer Seite beabsichtigten Aktion war. Dies Flugblatt gab einen Reichswehrbefehl vom 3. November wieder und enthielt folgende Absätze: Aus dem Befehl, der unter der Überschrift „Ue...“ ausgegeben wurde, ergibt sich, daß die Reichswehr „für Auffüllung ihrer Bestände am ersten Tag der Herbstübung 1923 ihre Fehlstellen aus den jetzigen Hilfsmannschaften decken soll“. Danach werden die einzeln angeführten Kompagnien einer nicht genannten Division durch Kompagnien der Nationalsozialisten, des „Hermannbundes“, des „Oberland“ und von „Bayern und Reich“ verstärkt. Es heißt dann in diesem Befehl wörtlich: „Verpflegung und Gebühren: Es dürfen nur unbedingt verläßliche Leute zur Einstellung kommen, für die Feldtruppe nur voll ausgebildete. Gebühren und Versorgung wie Angehörige der Reichswehr. Studenten der Hochschule wird die verlorene Studienzeit voll angerechnet. Beamten, Angestellten, Arbeitern wird die Rückkehr zu ihren früheren Stellungen ohne Dienstzeitverlust zugesichert. Während der Operationen ruht das Recht der Kündigungen seitens der Freiwilligen.“ Endlich seien noch nachstehende Geheimdokumente der Organisation „Stahlhelm“ wiedergegeben. Auch sie wurden von den Völkischen zum Beweis herangezogen, daß Hitlers Putschpläne bis Anfang November nicht nur bei Kahr, sondern auch bei General von Seeckt Verständnis und Billigung gefunden hatten, und die Verteidigung suchte später daraus den Schluß abzuleiten, daß unter solchen Umständen von einem Hochverrat Hitlers nicht gesprochen werden könnte – es sei denn, man wollte neben ihm auch Herrn von Kahr, General von Seeckt und verschiedene andere Mitglieder der Reichsregierung unter dieselbe Anklage stellen. An alle Gauführer! Magdeburg, den 11. November 1923. Vertraulich! Kurzer Lagebericht. Am Sonntag, den 4. d. M., tagte die Bundesleitung in Magdeburg zur Besprechung der Lage. Das Ergebnis wurde in ultimativer Form als Kundgebung dem Reichskanzler Dr. Stresemann überreicht, sowie der Presse übergeben. Die Entschließung hat in der Presse und in der Öffentlichkeit lebhafte Besprechungen hervorgerufen, zum größten Teil sehr anerkennend, von gewisser halbrosaer Seite erbittert, mit dem Versuch niederzureißen, von sozialdemokratischer Seite fragend, was der Stahlhelm mit der Forderung der nationalen Diktatur beabsichtige. Die gedrängte Stellungnahme ist aus folgendem kurzen Entschluß zu ersehen, sowie aus der Mitteilung, daß der Bundesvorsitzende seit der Zeit vom 5. d. M. bis heute _dreimal nach Berlin zum Reichskanzler gerufen wurde_. Der Unterzeichnete hat dem Reichskanzler, der Reichsregierung und dem Oberbefehlshaber in klaren Worten die Stellung und Forderung des Stahlhelms überreicht. Er gewann jedoch den Eindruck, daß der jetzige Reichskanzler nicht der Mann ist, um die nötige Entschlußhärte zur Führung sowohl der nationalen Diktatur als auch der Reichsregierung und letzten Endes von Preußen aufzubringen. Vor Forderungen wie Nachhauseschicken des Reichstags, Ausbooten der Sozialdemokratie in der preußischen Regierung, rücksichtslose Einführung und schnellste Erledigung der wertbeständigen Zahlung und der Ernährungsfrage wich der Kanzler zurück. _Infolgedessen trug der Unterzeichnete dem Oberbefehlshaber die Entschließung und die Stellungnahme des Stahlhelms vor._ Die durch den Putsch Ludendorff-Hitler gebrachte Spannung der Lage ergab, daß der Bundesvorsitzende den Gaugruppen übermittelte, daß der Bundesführer in diktatorischer Weise von jetzt ab handeln muß. Gleichzeitig ergibt die Spannung der Lage, daß die gesamte Stellung des Stahlhelms auf eine präzise Formel gebracht werden muß. Sie lautet: „Der Stahlhelm steht zur Reichswehr!“ Von Berlin nach dreimaligem Besuch und umfangreicher Arbeit in den verschiedenen Ministerien zurück, traf den Unterzeichneten der persönliche Besuch des Führers des Jungdeutschen Ordens, des Herrn Marauhn. Der Jungdeutsche Orden, eine der stärksten norddeutschen Korporationen, zählt etwa zirka 6000 Ortsgruppen. Die ideale Einstellung des Jungdo ist dem Stahlhelm verwandt. Der Großmeister Marauhn legte seinen ganzen Nachdruck auf die Vorbereitung des Siedlungswerkes und Erschließung von Ödland, in der ideellen Ertüchtigung der deutschen Männer und männlicher Jugend und der Unterstützung der Reichswehr durch wehrhafte Männer. Der Bundesvorsitzende des Stahlhelms nahm nach sorgfältiger Besprechung das Angebot des Jungdoführers an, was den beiliegenden Wortlaut hat. Der Stahlhelm erfährt durch das Bündnis mit dem Jungdo, das jedem Verbande seine Eigenart läßt, eine Stärkung in der heutigen Zeit. Die Gau- und Ortsgruppenführer haben daher Sorge zu tragen, daß das Einvernehmen mit dem Jungdo unter Bezugnahme auf dieses Bündnis das denkbar beste ist, und der eine Bund den andern kameradschaftlich und brüderlich unterstützt. Gleichzeitig melden die Gau- und Ortsgruppen, mit welchen anderen Verbänden oder Bünden nähere Beziehungen bzw. Verabredungen auf gegenseitige Hilfeleistungen bestehen. Der Bundesvorsitzende wird morgen nochmals nach Berlin fahren, um mit den dortigen maßgebenden Stellen zwecks Klärung der Lage zu sprechen und in ultimativer Form die Errichtung der nationalen Diktatur weiter zu fordern. Der Gesamtgang der künftigen Ereignisse ist angesichts der verschiedenen Strömungen in der Regierung noch nicht auf Zeiten festzulegen. Es muß aber heute schon gesagt werden, daß es eine andere Lösung als die möglichst schnelle Errichtung einer nationalen Diktatur heute nicht mehr gibt. Mit kameradschaftlichem Gruß gez. Fr. Seldte, 1. Bundesvorsitzender. Entwurf. Ohne juristische Abfassung. 1. Der Herr Reichspräsident hat mich angesichts der Möglichkeit weiterer Umsturzversuche und angesichts der drohenden Hungersnot zum Reichsverweser mit diktatorischer Gewalt für begrenzte Zeit ernannt. 2. Ich bilde ein Direktorium. Ich ernenne die Herren Rabethge zum Wirtschaftsdirektor, Graf Kanitz zum Ernährungsdirektor, Dr. Stresemann zum Außendirektor. Sie üben ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus. Die Aufgaben der Reichsminister übernehmen Staatssekretäre. 3. Der Reichstag wird aufgelöst. 5. Die Schutzpolizei tritt unter meinen Befehl. Sie wird verstärkt. 7. Streiks sind bis auf weiteres verboten. Die Börse wird bis auf weiteres geschlossen. 8. Es werden mit sofortiger Wirkung Standgerichte eingesetzt mit Befugnis der Todesstrafe für Auflehnung und Sabotage gegen den Reichsverweser, Streikhetzer, Plünderer, Wucherer, Zurückhaltung von Nahrungsmitteln, Ausfuhr von Nahrungsmitteln. Bemerkungen: Zu 1. Mit Rücksicht auf Frankreich und auf die Sozialisten ist der Passus „weitere Umsturzversuche“ und „Hungersnot“ gewählt. Ebenso der Passus „begrenzte Zeit“. Zu 3. Wird der Reichstag nur in die Ferien geschickt, so sitzen die Abgeordneten nach wie vor in den Vorzimmern des Direktoriums. Zu 5. Eine Verstärkung der Reichswehr aus außenpolitischen Gründen unmöglich. Reichsverweser braucht jedoch eine starke Macht. Daher Verstärkung der Schutzpolizei, die unter den Befehl von Reichswehroffizieren tritt. Zu 7. Streiks muß evtl. durch Erschießung jedes Zehnten entgegengetreten werden, insbesondere dem der Banknotendrucker. Zu 8. Im augenblicklichen Stadium, d. h. solange bis die Maßnahmen des Ernährungsdirektors und des Wirtschaftsdirektors, die nicht zaubern können, sich ausgewirkt haben, muß Terror an die Stelle von Besserung der Lage treten. Daher ist jede Auflehnung gegen den Reichsverweser mit dem Tode zu bestrafen. _Das Aufhängen von vier Wucherern auf dem Potsdamer Platz und von Streikhetzern am Neuen Tor, die Erschießung von drei Landwirten_, die ihr Getreide zurückhalten, ist der _Schreckschuß_, den bisher noch niemand gewagt hat und der notwendig ist. Wer dafür kein Verständnis hat, kann die Lage nicht meistern. Funkspruch an Alle! „Deutschland stellt alle Zahlungen und Sachlieferungen bis auf weiteres an die Entente wegen drohender Hungersnot ein. Komme, was da kommen mag.“ _v. Seeckt_, _Rabethge_, _Graf Kanitz_, _Stresemann_. Nachbemerkungen: Der Reichsverweser ist der Aufpeitscher, Vorwärtstreiber, und das Schwert der drei Direktoren, ist das stahlharte Rückgrat, ist der, der erschießen läßt, wozu die anderen nicht den Mut aufbringen. Die Hereinnahme von Stresemann erscheint notwendig: a) damit nach außen keine Veränderung im außenpolitischen Kurs eintritt, Frankreich nicht einmarschiert, b) ein Mann zur Abwicklung des Parlamentarismus mit Erfahrung da ist. Beweisen alle diese Protokolle, Briefe, Geheimbefehle wirklich das, was die Völkischen behaupteten? Sie zeigen uns jedenfalls, daß dem scheinbar unentwirrbaren Rattenschwanz von Putschplänen, Aktionen und Gegenaktionen ein gewisses System zugrunde lag, daß durch dies verworrene Gespinst ein Faden lief, der von geschickten und kundigen Händen geknüpft worden war. DER PUTSCH Die Ernennung Kahrs zum Generalstaatskommissar war von den „Vaterländischen Verbänden“ Bayerns, deren Ehrenvorsitzender er war, mit folgender Kundgebung begrüßt worden: „Bayern steht unter der Führung des Generalstaatskommissars v. Kahr. Wir wissen, daß der Mann, der vor zwei Jahren allein gegenüber Zumutungen (in den Fragen der Entwaffnung und der Einwohnerwehren), die zum Schaden Deutschlands und Bayerns führen mußten, aufrecht geblieben ist, heute dieselbe gerade Gesinnung durch die Tat beweisen wird. Damals stand er allein, wenn auch die Gefühle der Besten in Bayern und Deutschland mit ihm waren. Heute soll Herr Kahr wissen, daß er nicht nur auf Gefühle rechnen kann, die Machtmittel des Staates und machtvolle Organisationen stehen ihm zur Seite. Jetzt heißt es, das Vaterland vom Abgrund zurückzureißen und sich in die Erfordernisse des völkischen Gedankens und einer auf diesem Gedanken fußenden Staatsmacht einzuordnen. Das ist die heilige Pflicht jedes Mitgliedes der Vereinigten vaterländischen Verbände Bayerns. gez. Bauer. Kleinhenz.“ Das Stichwort war gefallen. Die Führer der verschiedenen Kampfverbände nahmen es auf. Für Arbeitsteilung sorgte Hitler, der fieberhaft die Aufrüstung betrieb und seine Anhänger mit der Versicherung, die Stunde zum Losschlagen sei gekommen, unerbittlich vorwärtstrieb. Seine Zuversicht wurde nicht einmal getrübt, als Kahr in den ersten Oktobertagen mit einem geschickten Manöver den nationalsozialistischen Kampfbund sprengte. Der Wiking-Bund, eine militärische Organisation Ehrhardts, an dessen Spitze dessen Adjutant Kapitän Kautter stand, trat auf die Seite Kahrs über. Die Organisation „Reichsflagge“, von Hauptmann Heiß befehligt, folgte. Das war ein schwerer Schlag, denn Heiß saß in Nürnberg und hatte die wichtigen nordbayrischen Gebiete in der Hand. Kahr ließ nicht locker. Als der Leipziger Staatsgerichtshof wegen einer hochverräterischen Rede des draufgängerischen Hauptmanns Heiß einen Haftbefehl gegen ihn erließ, setzte nun der Generalstaatskommissar noch am selben Tag – 28. September – mit einer Verordnung das Reichsgesetz zum Schutz der Republik für Bayern außer Kraft. Damit war dem Reich in aller Form der Fehdehandschuh hingeworfen. Nun gab es kein Zurück mehr. In den letzten Septembertagen ein zweiter, noch bedeutsamerer Zwischenfall: General von Seeckt hatte als Inhaber der vollziehenden Gewalt im Reich den „Völkischen Beobachter“ in München, Hitlers Organ, wegen fortgesetzter hochverräterischer Drohungen verboten. Das Blatt hielt es nicht für notwendig, das Verbot zu beachten. Seeckt ließ die bayrischen Behörden ersuchen, dem Verbot Beachtung zu erzwingen – die bayrischen Behörden erklärten, ein Eingreifen auf Grund des Reichsausnahmezustandes ablehnen zu müssen. Ein neuer Befehl von Berlin, diesmal an General von Lossow: er habe im eigenen Wirkungskreis das Weitererscheinen der Zeitung zu verhindern. General Lossow warf den Befehl seines Vorgesetzten in den Papierkorb. General von Seeckt entschloß sich, den letzten Trumpf auszuspielen: Lossow wird seines Postens und des Kommandos über die bayrische Reichswehr enthoben. Auch jetzt kapituliert Lossow nicht. Er erklärt formell, diesem Befehl nicht Folge geben zu können, und der Generalstaatskommissar von Kahr ernennt ihn noch am selben Tag zum bayrischen Landeskommandanten. Tags darauf ordnet Kahr an, die bayrischen Truppen auf den Generalstaatskommissar von Bayern zu vereidigen. Am 20. Oktober rücken die Münchener Truppen zur Eidesleistung aus. Der Bruch mit dem Reich ist vollzogen. Was werden die nächsten Tage bringen? November wird’s. Grauer dichter Nebel deckt sein Tuch über Deutschland. Unten in Bayern brodelt es. Niemand weiß recht, welche Gewitter im Anzug sind, was die schweren Wolken bergen, die über der thüringischen und sächsischen Grenze heraufziehen. Aber im ungewissen Schein der Dämmerung hat man dort unten Truppen gesehen, Tausende von Bewaffneten, die in den Dörfern und Städten kampieren, die Landstraße besetzt halten; Reisende wissen beängstigende Dinge von Schützengräben, Kanonen und Panzerautos zu erzählen. Der Vormarsch der bayrischen Kampfverbände ist nicht mehr zum Stehen zu bringen. General von Seeckt, der bis zuletzt gezögert hatte, verhandelt hatte, immer wieder neue Fäden anknüpfte mit den Abgesandten Kahrs und dessen preußischen Freunden, findet sich in einer Sackgasse. Am 4. November erläßt er folgenden Aufruf an die Reichswehr: Reichswehrministerium (Heer) Heeresleitung Berlin, den 4. November 1923. Der Ruhrkampf und sein Ende haben Deutschland im tiefsten aufgewühlt. Frankreichs und Belgiens frevelhafter Eingriff in das Reichsgebiet, die wirtschaftliche Not, die das Volk an den Rand der Verzweiflung bringt, haben uns nicht zusammengeführt, sondern den Kampf der Parteien zur Siedehitze gesteigert. Der kommunistische Umsturz ist in Hamburg soeben von Polizei und Reichsmarine niedergeworfen worden: aber die Kommunisten sind entschlossen, ihn zu erneuern, sobald ihnen die Verschärfung der Not und des politischen Kampfes neue Gelegenheit gibt. Andererseits ist Macht und Anhang derjenigen gewachsen, die Deutschlands Rettung nur in der beschleunigten, gewaltsamen Beseitigung des heutigen Regierungssystems durch eine nationale Diktatur sehen. Die bayrischen Nationalsozialisten fordern den Marsch auf Berlin. Solange ich an meiner Stelle bin, habe ich die Ansicht vertreten, daß nicht von diesem oder jenem Extrem, nicht von äußerer Hilfe oder innerer Revolution – komme sie von links oder rechts – das Heil kommt, sondern daß uns nur harte, nüchterne Arbeit die Möglichkeit zum Weiterleben gibt. Diese können wir allein auf dem Boden von Gesetz und Verfassung leisten. Wird dieser verlassen, so tritt der Bürgerkrieg ein – der Bürgerkrieg, der bei unseren heutigen Verhältnissen zwei an Zahl und Machtmitteln gleich starke Parteien gegeneinander führt, der nicht mit dem Siege der einen Seite, sondern mit ihrer gegenseitigen Zerfleischung endet, für den uns der 30jährige Krieg ein furchtbar warnendes Beispiel sein muß. Feinde ringsum, im Innern Deutsche gegen Deutsche! Beim Friedensschluß triumphiert Frankreich. An der Reichswehr ist es, diesen Bürgerkrieg zu verhindern. Solange in der Reichswehr innere Disziplin und unerschütterliches Vertrauen zu ihren Führern lebt, solange kann kein Feind des Staates etwas ausrichten, solange kann die Reichseinheit nicht angetastet werden, solange wird die Hoffnung auf ein freies und großes Deutschland nicht erlöschen. An uns ist es, dieses Vertrauen nicht zu täuschen, den militärischen Ausnahmezustand so zu handhaben und auszugestalten, daß nicht nur Ruhe und Ordnung in Deutschland herrschen, sondern daß seine Bewohner, in ihrer Existenz sichergestellt, wieder Vertrauen zur Zukunft fassen und seine Jugend in nationaler Begeisterung wieder zur Wehrhaftigkeit drängt. Wohl aber haben sich durch die jüngsten Vorgänge in Bayern Zweifel erhoben, ob die innere Einigkeit und Festigkeit des Heeres zur Durchführung dieser hohen Aufgabe genügt. Unser Lebensinteresse ist es, daß wir diesen Zweifel widerlegen, daß wir den Parteikampf, der alle übrigen Kräfte Deutschlands zerreißt, aus dem Heere ausschließen, daß wir nur den überparteilichen staatlichen Notwendigkeiten dienen und uns weder durch den Haß noch durch die Lockungen der politischen Richtungen von dieser Bahn abbringen lassen. Diese staatlichen Notwendigkeiten zu erkennen und durchzusetzen, ist aber allein Sache der obersten Führung. Die Ehre des Soldaten liegt nicht im Besserwissen und Besserwollen, sondern im Gehorsam. Deshalb warne ich in dieser Stunde alle Angehörigen der Reichswehr vor jenen, die Zwietracht in ihre Reihen zu tragen suchen und unter dem Mantel schöner Ziele Mißtrauen gegen die Vorgesetzten säen. Eine Reichswehr, die in sich einig und im Gehorsam bleibt, ist unüberwindlich und der stärkste Faktor im Staate. Ich ersuche alle Kommandeure, ihre Untergebenen auf die schweren Gefahren einer solchen Entwicklung hinzuweisen und jeden Reichswehrangehörigen, der sich politisch zu betätigen sucht, sofort aus der Truppe zu entfernen. gez. v. Seeckt. Am selben Tag erläßt auch Stinnes eine Proklamation. Es ist ein einfacher Brief. Niemand in der breiten Öffentlichkeit nimmt Kenntnis von ihm. Und doch kommt ihm große Bedeutung zu. In diesem Brief verabschiedet Herr Stinnes seinen Generaldirektor Minoux, der viele Monate lang seine rechte Hand gewesen ist, der erst vor wenigen Tagen mit Wissen seines Herrn nach München geeilt war, um in Verhandlungen mit Hitler und Ludendorff und Kahr den Boden für das große nationale Direktorium zu bereiten, in dem ihm selbst eine führende Stellung ausersehen war. Herr Stinnes läßt seinen Generaldirektor fallen. Der Traum vom nationalen Direktorium ist ausgeträumt. Kahr weiß nun, was die Stunde schlägt. Am 6. November versammelt er die Führer sämtlicher Kampfverbände in München, um im letzten Augenblick das Steuer herumzureißen. Polizeioberst Seißer, der gerade von seiner Reise nach Berlin zurückgekehrt ist, hat das Referat. Er soll nun den Herren Hitler und Ludendorff klar machen, daß man die Aktion verschieben müsse. Der Norden ist noch nicht so weit, ein zu frühes Losschlagen kann verhängnisvolle Folgen haben. Zeit gewinnen, denkt Herr von Kahr, ist jetzt alles. Warten wir wenigstens noch bis zum 12. November. Die Sitzung nimmt einen stürmischen Verlauf. Oberstleutnant Kriebel, der oberste Führer der Hitlerschen Kampftruppen, ist empört. Soll man wieder „kneifen“? Warum bis zum 12. warten, wenn man schon am 9. den Schlag führen kann? In derselben Nacht fassen Hitler und seine Kommandanten den Entschluß, ohne weiteren Zeitverlust loszuschlagen, jene vollendete Tatsache zu schaffen, die – wie sie überzeugt sind – auch Herrn von Kahr veranlassen wird, „den Absprung zu wagen“. Für den 8. November acht Uhr abends ist im Münchener Bürgerbräu eine Versammlung einberufen, in der Herr von Kahr eine Rede zur politischen Lage halten soll. Bis auf den letzten Platz ist dieser große Saal gefüllt. Unruhe, Ungewißheit, eine Ahnung von ungewöhnlichen Dingen, die sich abspielen werden, abspielen müssen, hält die Zuhörer in ihrem Bann. Draußen an den Eingängen stehen mit Pistole und Gewehr Bewaffnete, verwegene Gestalten Wache. Ihre Windjacke ist mit dem Hakenkreuz geziert, auf der Kappe das Abzeichen Hitlers. Es sind die tüchtigsten, militärisch am besten geschulten Parteigenossen, die diesen Stoßtrupp bilden und Leutnant Berchtold befehligt sie. Bund „Oberland“ unter Führung Dr. Webers und des Generals a. D. Aechter, die „Reichskriegsflagge“ unter Führung des Hauptmanns Röhm, das nationalsozialistische „Regiment München“, das drei Bataillone zählt und den Oberleutnant Brückner zum Kommandanten hat, sind seit Tagen marsch- und gefechtsbereit. Wird es noch heute losgehen? Herr von Kahr hat die Rednertribüne bestiegen und beginnt sein Referat. Eine halbe Stunde ist vergangen. Da – Stimmengewirr, Kommandorufe, rückwärts am Saaleingang brandet Geschrei, große Wellen der Erregung fluten nach vorne – was ist geschehen? Ein Schuß fällt. Hitler steht mitten im Saal. Die noch rauchende Pistole in der Hand. Seine Stimme schmettert, übertäubt allen Lärm, es wird mäuschenstill im Saal: „Die nationale Revolution ist ausgebrochen. Der Saal ist von sechshundert Schwerbewaffneten besetzt. Niemand darf den Saal verlassen. Wenn nicht sofort Ruhe ist, werde ich ein Maschinengewehr auf die Galerie stellen lassen. Die bayrische Regierung und die Reichsregierung sind abgesetzt. Eine provisorische Reichsregierung wird gebildet. Die Kasernen der Reichswehr und Landespolizei sind besetzt. Reichswehr und Landespolizei rücken bereits unter der Hakenkreuzfahne heran.“ Frenetischer Beifall braust auf. Kahr tritt vom Podium ab, folgt mit General Lossow Hitler in einen Nebensaal. Inzwischen ist Leutnant Pernet mit dem Auto losgesaust, um General Ludendorff herbeizuholen. Dr. von Scheubner-Richter, der Geschäftsführer der nationalsozialistischen Partei, begleitet ihn. Wenige Minuten später ist Ludendorff zur Stelle. Und während draußen in der Stadt die völkischen Truppen aufmarschieren, entwirft Hitler den Schlachtplan. Eine bayrische Regierung soll gebildet werden, die aus einem Landesverweser und einem mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Ministerpräsidenten bestehen wird. Herr von Kahr wird Landesverweser, Oberlandesgerichtsrat Pöhner Ministerpräsident. Hitlers Stimme schmettert: „Bis zum Ende der Abrechnung mit den Verbrechern, die heute Deutschland tief zu Grunde richten, übernehme die Leitung der Politik, der provisorischen nationalen Regierung – ich. Exz. Ludendorff übernimmt die Leitung der deutschen nationalen Armee, General von Lossow wird deutscher Reichswehrminister, Oberst von Seißer deutscher Reichspolizeiminister. Die Aufgabe der provisorischen deutschnationalen Regierung ist, mit der ganzen Kraft dieses Landes und der herbeigezogenen Kraft aller deutschen Gaue den Vormarsch anzutreten in das Sündenbabel Berlin, das deutsche Volk zu retten.“ Dann steht General Ludendorff auf dem Podium: „Ergriffen von der Größe des Augenblicks und überrascht stelle ich mich kraft eigenen Rechtes der deutschen Nationalregierung zur Verfügung. Es wird mein Streben sein, der alten schwarz-weiß-roten Kokarde die Ehre wiederzugeben, die ihr die Revolution genommen hat. _Es geht heute um das Ganze._ Es gibt für einen deutschen Mann, der diese Stunde erlebt, kein Zaudern zur vollen Hingabe, nicht nur mit dem Verstand, nein, zur Hingabe mit vollem, deutschem Herzen an diese Sache. _Diese Stunde bedeutet den Wendepunkt in unserer Geschichte._ Gehen wir in sie hinein mit tiefem, sittlichem Ernst, überzeugt von der ungeheuren Schwere unserer Aufgabe, überzeugt und durchdrungen von unserer schweren Verantwortung. Gehen wir mit dem übrigen Volk an unsere Arbeit. Wenn wir reinen Herzens diese Arbeit tun – deutsche Männer, ich zweifle nicht daran –, wird Gottes Segen mit uns sein, den wir herabflehen auf diese Stunde. Ohne Gottes Segen geschieht nichts. Ich bin überzeugt und zweifle nicht daran: Der Herrgott im Himmel, wenn er sieht, daß endlich wieder deutsche Männer da sind, wird mit uns sein.“ Pöhner beschließt die Reihe der Ansprachen: „Ich werde mich _selbstverständlich_ dem Rufe nicht entziehen, den vaterländische Pflicht mir gebeut. Ich werde Herrn v. Kahr treu zur Seite stehen bei der schweren Aufgabe, die er haben wird. Wir haben bisher immer zusammengestanden. Seine Exzellenz wird sich auf mich verlassen können.“ Doch man hört nicht mehr, was hier im Saale gesprochen wird. Trommelwirbel dröhnt von der Straße herein. Die Infanterieschule ist unter den Hakenkreuzfahnen heranmarschiert und hat vor dem Bürgerbräu Aufstellung genommen. Ludendorff schreitet die Front ab. Und gleichzeitig werden die Minister des bayrischen Kabinetts, die der Versammlung beigewohnt haben, unter strenger Eskorte in Autos verladen, um in ihre Ehrenhaft abgeführt zu werden. Dr. Weber hat die Villa seines Schwiegervaters Lehmann für die Unterbringung der Geiseln bereitgestellt. Mitternacht ist vorüber. Im obersten Kommando Hitlers herrscht Unsicherheit und Beklemmung. Es ist zu leicht gegangen und zu schnell. Nirgends zeigt sich Widerstand. Die Herren Kahr und Lossow sind plötzlich verschwunden, und da man sie jetzt telephonisch erreichen will, versagt das Telephon. Kuriere jagen durch die nächtlichen Straßen. Herr Lossow ist nicht zu finden. Herr Kahr ist nicht zu sprechen. Im Wehrkreiskommando, wo der Stab der Rebellenarmee versammelt ist, weiß man diese beunruhigenden Zufälle nicht zu deuten. Ein Kurier nach dem andern geht ab und kehrt nicht wieder. Ludendorff bittet, fordert, befiehlt – Lossow kommt nicht zur Besprechung. Der Morgen dämmert. Da beschließt das Kommando, alle verfügbaren Truppen zu sammeln und einen großen Demonstrationszug durch die Stadt zu veranstalten, um endlich aus dieser Unklarheit herauszukommen. Der Zug setzt sich in Marsch. Böse Nachrichten laufen ein. Die Kaserne ist in den Händen der Reichswehr, der Versuch, sie im Sturm zu nehmen, ist kläglich mißlungen. Im Polizeipräsidium ist Herr Frick, der von Hitler zum Leiter der Münchener Polizei ernannte Oberamtmann, ganz plötzlich verhaftet worden. Reichswehr sperrt die Isarbrücken, Gewehr bei Fuß. Oberleutnant Brückners Parlamentäre kehren unverrichteter Dinge zurück. Ist man umzingelt? Verraten? Verloren? Wo ist Kahr? Was will Lossow? Als der Zug unter Führung Hitlers und Ludendorffs und der anderen Kommandanten zur Residenz einbiegt, bekommt er Flankenfeuer. Scheubner-Richter stürzt tot zu Boden. Wieder kracht eine Gewehrsalve. Die Hitlertruppen wollen das Feuer erwidern, aber die Übermacht ist zu groß. Der Zug ist zersprengt. Tote und Verwundete wälzen sich am Boden, die Truppen der Rebellen flüchten nach allen Seiten, der Putsch ist gescheitert. DER PROZESS VORBEREITUNGEN Sofort nach dem Putsch eröffnete die Bayrische Volkspartei eine groß angelegte Offensive, um nach zwei Fronten – gegen den Nationalsozialismus der Hitler-Ludendorff einerseits, gegen den ihr unbequem gewordenen Herrn von Kahr andererseits – den entscheidenden Schlag zu führen. Drei Monate tobte dieser erbitterte Kampf mit wechselndem Glück. Unter Führung des Kardinals Faulhaber, dem sich der päpstliche Nuntius Pacelli zugesellt hatte, vom Vorsitzenden der katholischen Landtagsfraktion Dr. Held ebenso geschickt wie energisch geleitet, gelang es der Bayrischen Volkspartei tatsächlich – die Zerklüftung und Verwirrung im völkischen Lager gut ausnutzend – ihre an die Nationalsozialisten verlorengegangenen Stellungen auf dem flachen Lande zurückzuerobern. Welche zersetzende Wirkung das Fiasko des Putsches in den völkischen Verbänden anrichtete, geht aus nachfolgenden Briefen hervor, die bei einem zur Brigade Ehrhardt desertierten Reichswehrsoldaten in Thüringen gefunden worden sind. Zu ihrem Verständnis: der „Stahlhelm“ und der mit ihm in engster Verbindung stehende „Jungdeutsche Orden“ gehörten der Ludendorff-Richtung der Völkischen an und waren bis zum Putsch mit den Ehrhardt-Verbänden in innigem Kontakt. So war der „Bund Wicking“, eine Unterorganisation der Brigade Ehrhardt, noch bis zum Januar 1924 mit dem „Jungdeutschen Orden“ auch organisatorisch verbunden. Infolge der Auswirkungen des Novemberputsches verschärften sich die Gegensätze zwischen den großdeutsch eingestellten Verbänden der Nationalsozialisten und den mit Kahr sympathisierenden katholischen Formationen, so daß es zu einer regelrechten Spaltung kam. 1. 1. 24 Herrn Korvettenkapitän Ehrhardt in München. Sehr geehrter Herr Kapitän! Mit dem Beginn des neuen Jahres möchte ich das Verhältnis mit der Brigade Ehrhardt und dem Jungdeutschen Orden in Bayern in klarer, eindeutiger Weise geregelt wissen. Sie, verehrter Herr Kapitän, wissen, mit welcher Freude ich seinerzeit im Einverständnis mit dem 2. Komtur-Bruder Dietrich und dem Großmeister der Ballei Franken die wehrhaften Leute unter Ihre militärische Leitung gestellt habe in der Überzeugung, daß _Ihre Politik, die auf Ausnutzung der Bayrischen Regierung zur Führung des entscheidenden Schlages_ hinausging, die einzig gegebene sei. Sie wissen, daß wir uns, besonders in den letzten Wochen, da ich mit Ihnen die schönen Tage in Tirol zusammen sein durfte, mit Wort und Schrift, mit unserer ganzen Person hinter Ihre Persönlichkeit und wiederholt auch schützend vor Sie gestellt haben. Ich war stolz darauf, daß das Jungdeutsche Regiment in entscheidungsvollen Tagen in Reih und Glied mit den kampferprobten Brigadetruppen eintreten würde für unser gemeinsames Ziel, der Befreiung Deutschlands. _Infolge der Nachwirkung des 8. und 9. November 23 ist es mir aus inneren und äußeren Gründen nicht mehr möglich, dem Verbande der Brigade anzugehören._ Aus innerlichen Gründen deshalb, weil ich Ihre gegensätzliche Einstellung zu dem hochverdienten General _Ludendorff_ nicht einnehmen kann, der heute in ganz Deutschland der einigende Punkt in der völkischen Bewegung geworden ist. Aus äußerlichen Gründen deshalb, weil trotz wiederholter Versicherung, dennoch immer wieder, und zwar jetzt in verschärfter und hinterhältiger Weise, der Versuch gemacht wird, einzelne Ordensbrüder unter Mißachtung des von ihnen abgelegten Ordensgelübdes auf die Brigade Ehrhardt zu verpflichten. Aufs äußerste empört bin ich vor allem über das Verhalten der im sogen. 2. Batl. Heiligersdorf tätigen Wickingoffiziere, die mit den gemeinsten Verleumdungen gegen die Ordensleitung von Ort zu Ort gingen und sie durch niederträchtigste Denunziationen bei den Bezirksämtern der Gefahr des Verbotes absichtlich preisgeben. Ich bitte darum, Herr Kapitän, mir das Ihnen gegebene Wort wieder zurückzugeben und _das militärische Verhältnis des Ordens zur Brigade als gelöst zu betrachten_. Ich vertraue Ihnen, daß Sie sofort Anweisung zur Abberufung der noch im Ordensgebiet tätigen Wickingoffiziere ergehen lassen, um mir und dem Orden weitere Maßnahmen zu ersparen und bitte Sie, meinen Wunsch bis zum 15. 1. 24 zu erfüllen. Abgesehen davon, daß wir uns das Recht nehmen, unseren Gefolgschaften Aufklärung und Verhaltungsmaßregeln zu geben, verzichten wir im Interesse der völkischen Bewegung, in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß sich der Bund Wicking jedes Vorgehens gegen den Orden enthält. Mit treudeutschem Heilgruß für den Jungdeutschen Orden in Bayern Johnson, Landeskomtur. Darauf antwortete Ehrhardt: Bund Wicking e. V., München. 5. 1. 24. An den Landeskomtur des Jungdeutschen Ordens in Bayern. Der Empfang Ihres Briefes vom 1. Januar wird hiermit bestätigt. Ich begrüße die klare Stellungnahme, die Sie einnehmen, weil diese auch mir die volle Handlungsfreiheit zurückgibt und ein Verhältnis löst, das von Ihrer Seite nur noch ein Scheinverhältnis war. Ihr Balleibefehl vom 1. 12. 23 (an alle Großmeister und Gefolgschaftsmeister, streng vertraulich) ist der schlagendste Beweis, daß von Ihrer Seite das Treuverhältnis und die Arbeitsgemeinschaft mit der Brigade E. innerlich bereits gelöst war. Ich bedaure, daß Sie erst jetzt, einen vollen Monat nach Erlaß dieses Befehls, es für nötig halten, auch äußerlich die Konsequenz aus Ihrer inneren Wandlung zu ziehen und das Wort, das Sie mir gegeben haben, erst jetzt formell zurückzuverlangen, ein Verfahren, das mit völkischem Verhalten in schroffem Widerspruch steht. Wenn Sie jetzt als inneren Grund, der zur Trennung von der Brigade zwingt, anführen, daß Sie meine gegensätzliche Stellung zu dem hochverdienten General Ludendorff nicht einnehmen können, so setzt mich die Behauptung doch einigermaßen in Erstaunen. _Aus meiner Stellung zu General Ludendorff habe ich Ihnen von Anfang an keinen Hehl gemacht_ und Sie haben diese Stellungnahme die ganze Zeit gebilligt. Seit dem 8. und 9. November hat sich mein Verhältnis zu Ludendorff nur insofern geändert, als ich die maßlosen und ungerechtfertigten Angriffe in der Öffentlichkeit erfuhr und in reiner Notwehr dagegen Stellung nahm. Zu dem zweiten von Ihnen angeführten Punkte lehne ich eine Erörterung ab. Wenn es Sie interessiert, stelle ich es Ihnen anheim, sich das ausführliche Beweismaterial der Gegenarbeit des Ordens gegen die Brigade, die schon Wochen vor der Aufkündigung Ihres Treueverhältnisses zu mir zurückgeht, einzusehen. Wenn von meiner Seite nicht wieder gegen dieses Treiben eingeschritten wurde, so lag der Grund darin, daß ich immer noch auf die Möglichkeit gemeinsamer Arbeit gehofft habe und meinerseits alles verhindern wollte, was die Zersetzung im völkischen Lager vergrößert. Gemäß Ihres Wunsches sind Sie mit dem heutigen Tage Ihres Wortes entbunden. Das militärische Verhältnis des Ordens zur Brigade ist mit demselben Tage gelöst. _Ich ersuche, die dem Orden als Treuhänder übergebenen Waffen der Brigade an meine Befehlsstelle Koburg zu übergeben._ Der von Ihnen gewünschten Anerkennung eines geschlossenen Ordensgebietes bedaure ich nicht zustimmen zu können. Die weitere Stellung des Wickingbundes hängt von dessen Verhalten ab. gez. Ehrhardt. Trotz der Spaltung der völkischen Verbände, trotz heftigstem, sehr persönlich und gehässig geführtem Kampf der einzelnen Führer gegen die Vertreter des anderen Flügels gelang es den Nationalsozialisten, in den Städten, vor allem in München und Nürnberg, ihre Positionen zu halten. Der soziale Umschichtungsprozeß wirkte sich vorläufig trotz der Stabilisierung der Mark weiter aus, die Sanierung mit Beamtenabbau und Lohnkürzung, Arbeitslosigkeit und Teuerung bereitete der nationalsozialistischen Agitation einen guten Boden, so daß die Völkischen verhältnismäßig leicht die schwere Krise überwinden konnten, in die sie nach dem Fiasko ihres Putsches geraten waren. Ein volles Jahr mußte vergehen, bevor diese stürmische Entwicklung zu den Extremen unterbrochen wurde, die Annahme des Dawesgutachtens eine den Mittelparteien günstigere Atmosphäre schuf und die Völkischen ihre noch im Mai 1924 neu eroberten Positionen im Dezember des gleichen Jahres endgültig verloren. Unmittelbar nach dem Putsch aber fühlten sich die Völkischen noch so stark, daß sie die Kampagne der Bayrischen Volkspartei mit einem Gegenangriff beantworteten und Anfang Dezember eine heftige Agitation „für den Austritt aus der katholischen Kirche“ einleiteten, die in persönlichen Attacken gegen den Kardinal Faulhaber, in der Besudelung der bischöflichen Palais von Bamberg und Regensburg, in der Entfesselung eines neuen, wüsteste Formen annehmenden Kulturkampfes ihre Steigerung erfuhr. Doch die bürgerlichen Parteien Bayerns unter der Führung der Klerikalen gaben den Kampf nicht verloren. Um sich den unbequemen Gegner vom Hals zu schaffen, verschmähten sie nicht, Fäden nach Berlin zu spannen, sicherten sich die Unterstützung der Reichsregierung zur „Liquidierung des Rechtsradikalismus“ und die Bayrische Volkspartei entschloß sich sogar, neben General Lossow auch Kahr fallen zu lassen. Sie schob den General von Epp – den „Muttergottesgeneral“, wie ihn die Hitlerleute nannten – vor, damit er die völkischen Kampfverbände unter seine Führung nehme und sie ins Lager der katholischen Kirche und in den Schoß der Wittelsbacher zurückführe. Gleichzeitig begann die Aufklärungsarbeit; Broschüren und Flugblätter („Ludendorff in Bayern“, „Veni-vidi ...“) knüpften geschickt an die separatistischen und klerikalen Vorurteile des bayrischen Bürgertums und der Bauernschaft an, um die erwünschte Stimmung gegen den „Preußen Ludendorff“, gegen die „volksfremden Elemente aus dem Norden“, gegen die „ungläubigen Umstürzler“ zu schaffen. Anfang Januar schien es, als hätte die Volkspartei ihr angestrebtes Ziel erreicht – der Prozeß gegen Hitler sollte ihren Sieg nach außen hin dokumentieren. Da trat eine neue Wendung ein: Kahr, der ganz richtig erkannte, daß ihn die Bayrische Volkspartei nur noch als einen vorgeschobenen Posten betrachtete, den im gegebenen Augenblick zu opfern sie rücksichtslos entschlossen war, und der befürchtete, daß er noch vor dem Prozeß fallen gelassen werden könnte, versuchte durch seinen Freund Ehrhardt eine Annäherung an Hitler und Ludendorff herbeizuführen, um so wenigstens für die Dauer des Prozesses die Gegensätze zu entspannen und eine gewisse einheitliche Front gegen die Staatsanwaltschaft zu ermöglichen. Dieser – zu spät unternommene – Versuch schlug fehl. Im Gegenteil: Die Versöhnung Ehrhardts mit Ludendorff, die auf einem Kommers des „Waffenring deutscher Art“ in München Ende Januar tatsächlich zustande kam, hatte ein von Kahr keineswegs erwartetes Ergebnis. Ehrhardt einigte sich mit Ludendorff, hielt es aber nicht für notwendig, Kahr in dies Freundschaftsbündnis einzubeziehen. Dieser sah sich nun über Nacht noch isolierter als vorher. Da erkannte aber die bayrische Regierung, wie sehr es in ihrem eigenen Interesse lag, Kahr gegen diese verstärkte Offensive der Völkischen mehr zu decken, als sie es ursprünglich beabsichtigte. Zwar mußte Kahr sein Amt als Generalstaatskommissar niederlegen, General von Lossow trat vom Kommando der bayrischen Reichswehr zurück, andererseits aber beschloß das Münchener Kabinett, die beiden Herren für die Dauer des Prozesses moralisch zu unterstützen. Die klerikale Presse schwenkte abermals um und trat energisch für die verleumdeten „Retter des bayrischen Staates“ ein. Ein übriges geschah: Der ursprünglich als Vorsitzender für den Prozeß bestimmte Landgerichtsdirektor wurde plötzlich befördert, so daß die Führung der Verhandlung einem neuen Herrn übertragen werden mußte, dem man besonders gute Beziehungen zu den Klerikalen nachsagte. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wurde höhern Orts zurückbehalten und Kahr und Lossow erhielten die Möglichkeit, sich auf eine gemeinsame Verteidigungslinie durch Ausarbeitung einer einheitlichen Zeugenaussage festzulegen. Endlich beschloß die bayrische Regierung, den Generalstaatskommissar nicht vom Amtsgeheimnis zu befreien, so daß er als Zeuge nur über die mit den Vorgängen in der Putschnacht unmittelbar zusammenhängenden Ereignisse aussagen durfte. Um jedoch auch den Völkischen die Möglichkeit zu einem Rückzug und zu einer späteren Verständigung nicht zu rauben, wurde die bayrische Staatsanwaltschaft angewiesen, die Anklage nur auf den Tatbestand des „ideellen Hochverrats“ auszudehnen und so die Verbitterung und die Gegensätze auf beiden Seiten nicht zu verschärfen. Die während des Putsches von den Hakenkreuzlern verübten gemeinen Verbrechen – Beraubung und Mißhandlung der sozialistischen Gemeinderäte, Verwüstung der „Münchener Post“ usw. sollten in einer späteren Verhandlung geklärt werden. DIE ANGEKLAGTEN Am 26. Februar 1924 begann vor dem Münchener Volksgericht der Hochverratsprozeß gegen Hitler, Ludendorff und Genossen. Vorsitzender war Oberlandesgerichtsrat Neidhardt, Anklagevertreter die Staatsanwälte Ehart und Stenglein. Als Angeklagte erschienen vor Gericht: _Adolf Hitler_, 1889 in Braunau (Österreich) geboren, „Architekturzeichner und Schriftsteller“. Er wurde in der Anklageschrift als „die Seele des Putsches“ bezeichnet. _General Ludendorff._ Die Anklageschrift wies nach, daß er schon vor dem Putsch über das Unternehmen _genau unterrichtet_ war und sich als Führer der neu zu bildenden Nationalarmee betätigte, „indem er Vorschriften über Grenzschutz, Eingliederung der Verbände in die Reichswehr, Unterbringung der Truppen, Bereitstellung von Räumen usw. besprach und erließ.“ _Oberlandesgerichtsrat Pöhner_ „war für den Posten eines Ministerpräsidenten in der neuen bayrischen Regierung ausersehen und betätigte sich auch als solcher.“ _Frick_, Oberamtmann in München, „sollte das Polizeipräsidium übernehmen. Auch er hatte von dem Putsch Kenntnis.“ _Friedrich Weber_, Führer des Bundes „Oberland“, „warf als politischer Führer dieses Kampfbundes dessen Gewicht in die Wagschale und stellte den militärischen Apparat des Bundes auf das Unternehmen ein.“ _Hauptmann a. D. Röhm_, Führer des Kampfbundes „Reichskriegsflagge“, warf die Anklageschrift vor, daß er sich „aktiv mit seinen Truppen an dem Putsch beteiligte und das Wehrkreiskommando zur Verteidigung gegen die Reichswehr besetzt hatte.“ _Oberleutnant Brückner_, Führer des nationalsozialistischen Regiments München, „hatte mit seinen bewaffneten Leuten in der Nacht vom 8. auf den 9. November an den militärischen Operationen teilgenommen.“ _Leutnant Wagner_ „veranlaßte die Alarmierung der Infanterieschule hinter dem Rücken der Vorgesetzten zur Teilnahme an dem Putsch.“ _Oberstleutnant a. D. Kriebel_, der militärische Führer des Hitlerschen „Kampfbundes“, „war mit der militärischen Oberleitung der Aktion betraut gewesen. Er hatte außerdem die in der Versammlung im Bürgerbräukeller anwesenden Minister als Geiseln verhaften lassen und Vorsorge getroffen, um Polizeidirektion, Regierungsgebäude, Haupttelegraphenamt und Hauptbahnhof zu besetzen.“ Gegen alle diese erhob die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen des Verbrechens des Hochverrats, da sie „zugegebenermaßen, gestützt auf die bewaffneten Machtmittel des Kampfbundes und die bewaffnete Macht der Infanterieschule, es unternommen hatten, die bayrische Regierung und die Reichsregierung gewaltsam zu beseitigen, die Reichsverfassung und die des Freistaats Bayern gewaltsam zu ändern und verfassungswidrige Regierungsgewalten aufzurichten.“ _Oberleutnant a. D. Pernet_, der Stiefsohn Ludendorffs, „war mit der Aufgabe betraut gewesen, die Angehörigen der Infanterieschule für den Putsch zu gewinnen und beteiligte sich als Ordonnanzoffizier beim Oberkommando. Er beschlagnahmte Gelder und zahlte damit die Löhnung für die Führer und Mannschaften dieser Kampfverbände aus.“ Gegen ihn hatte die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben wegen „Beihilfe zum Hochverrat“. Auf der Anklagebank fehlten: Generalstaatskommissar von Kahr, General von Lossow und Polizeioberst von Seißer, die nach der Auffassung der Staatsanwaltschaft in der Versammlung im Bürgerbräukeller „nur scheinbar auf die Forderungen Hitlers und seiner Anhänger eingegangen waren, um ihre Bewegungsfreiheit wiederzugewinnen“. Für sie war die Zeugenbank reserviert, auf der dann noch mehr als ein Dutzend hoher Persönlichkeiten Platz nehmen sollten. Manche waren nicht geladen, deren Erscheinen man erwartet hatte, und ihr Fernsein tat den Angeklagten kund und zu wissen, daß die Staatsanwaltschaft – im hohen und höchsten Auftrag – nicht wünschte, gewisse letzte Hüllen fallen zu sehen, und daß es im Interesse der Angeklagten selbst läge, diese Zurückhaltung zu würdigen und dementsprechend ihre Verteidigung zu führen. Die Verhandlung selbst wurde durch einen wirksamen Prolog eingeleitet. Am Tage vor dem Prozeßbeginn ward München durch fernes Gewehrfeuer aus seiner behäbigen Ruhe geweckt. Die Regierung wollte auf diese Weise den unbotmäßigen Nationalsozialisten zu verstehen geben, daß es für sie nicht ratsam war, irgendwelche Abenteuer zu suchen, und daß mit der Reichswehr nicht gut Kirschen essen wäre. Dieses Scharfschießen der Landespolizei in Oberwiesenfeld, ein Probealarm der Schutzmannschaften und Gendarmen, Konzentrierung zuverlässiger Pfälzer Reichswehrformationen in und um München, Absperrung des gesamten Stadtteiles, in dem die als Gerichtsgebäude ausersehene ehemalige Kriegsschule gelegen ist, durch bis an die Zähne bewaffnete Reichswehrpatrouillen, durch spanische Reiter und Drahtverhaue – das war der Auftakt. Der Vorhang hob sich. Die Bühne stellte dar: Den Speisesaal der Infanterieschule. Er sieht wie ein Lehrsaal aus und macht mit seiner Holztäfelung einen durchaus freundlichen, keineswegs nüchtern-kalten Eindruck. Kaum zweihundert Personen finden hier Platz. Das Podium ist zu einer Art Estrade umgebaut. Hier thront der Gerichtshof. Der erste Eindruck: hier wird kein hochnotpeinliches Gericht gehalten, eine geschlossene Versammlung diskutiert lediglich einige ernste politische Fragen. Es geht dabei sehr gesittet, sehr akademisch zu. Jede unnötige Schärfe wird vermieden. Als Männer von Welt und Rang ist man bestrebt, dem Gegner – auch wenn man durchaus nicht seiner Meinung ist – Recht und Gerechtigkeit in vollstem Umfang widerfahren zu lassen, und wahrt peinlich die Formen des gesellschaftlichen Umganges. Die Angeklagten an kleinen Tischen, neben ihnen die Verteidiger, ein paar Bänke für die Zeugen, ein paar Bankreihen für die Zuhörer, die mit Sorgfalt gesiebt, die Exklusivität dieser geschlossenen Versammlung nicht stören können. In den letzten Reihen nehmen die Pressevertreter, etwa dreißig an der Zahl, Platz, dahinter einige Reihen Stühle für das Publikum: die große Zahl von Frauen fällt auf, dem Anschein nach Angehörige der Angeklagten und Verteidiger. So dominiert auch im Zuhörerraum das deutschnationale und völkische Element. Man ist ganz unter sich, keine Schranken, die in dem Angeklagten das bittere Gefühl erwecken könnten, hier nicht für voll genommen, als ein Bemakelter angesehen zu werden. Gerichtsverhandlung? Nein, eher Seminar über Hochverrat. Die Materie, die in diesem Seminar behandelt wurde, war ziemlich verwickelt. Nicht weniger als vier verschiedene Arten von Hochverrat standen zur Prüfung. Da gab es zuerst den Verrat Kahrs und Lossows gegen Hitler, den Verrat Hitlers und Ludendorffs an dem für den 12. November angesetzten Putsch Kahrs, einen Hochverrat gegen die bayrische Regierung und einen gegen das Generalstaatskommissariat – der Hochverrat gegen die deutsche Republik stand nicht zur Debatte. Gab es überhaupt so etwas? Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung waren sich in der Verneinung dieser Frage vollkommen einig. Sie war mangels genügender Zuhörer aus dem Lehrplan der deutschen Hochschulen und verwandter Unterrichtsanstalten ausgeschieden worden. DIE VERHANDLUNG _Hitler_ spricht. Er ist im Cutaway, trägt das Eiserne Kreuz I. Klasse, scheint ein wenig blaß und mustert lange und aufmerksam die Zuhörer. In seiner Kleidung, seiner Sprache, seinen Gesten, dem ganzen Auftreten, liegt etwas Subalternes, Unfreies. Der Kragen ist ein wenig zu hoch, der schwarze Rock zu stramm geschnitten, der Scheitel bis in den Nacken gezogen, seine Haltung um eine Nuance zu akkurat. Und wenn er spricht läßt er die „r“ rollen, was bei seiner süddeutsch gefärbten Mundart im ersten Augenblick doppelt seltsam berührt. Sieht so ein Diktator aus? Unwillkürlich denkt man, einen energischen Geschäftsreisenden vor sich zu haben, einen Ausrufer bei einem Reklameverkauf. Hitler spricht fast vier Stunden ohne Pause. Die erwarteten „Enthüllungen“ bleiben aus. Seine Rede ist nicht gegliedert, nicht aufgebaut, und wenn man ihn so sprechen hört, versteht man im ersten Augenblick nicht, woher seine Wirkung auf die Masse kommt: die flache, primitive Argumentation und eine Demagogie, die ihre Stärke darin hat, daß sie von keines Gedankens Blässe angekränkelt ist, diese Primitivität einer Beweisführung, die ganz auf „entweder–oder“ gestimmt ist, reißt eben den kleinen Mann, den rabiaten Spießer von der Bierbank mit und nimmt sie für den Redner ein, zumal da dieser über ein gutes Organ und ein tönendes Pathos verfügt: „Kahr sagte, er könne die Landesverweserschaft nur annehmen als Statthalter der Monarchie. Mir persönlich konnte das gleich sein. _Für mich existierte die Revolution von 1918 nicht. Sie ist nicht legalisiert worden._“ In den vier Stunden, die Hitler sprach, sagte er eigentlich immer wieder dasselbe – nur mit anderen Worten, den einen Gedanken stets mit neuen Bildern und Vergleichen ausmalend, und so dem Zuhörer das, was er sagen wollte, besonders eindringlich einhämmernd: „Habe ich Hochverrat begangen, so sind Kahr, Lossow und Seißer genau die gleichen Hochverräter. Sie haben das gleiche Ziel gehabt wie wir, nämlich die Reichsregierung zu beseitigen in ihrer heutigen internationalen und parlamentarischen Einstellung und an ihre Stelle eine antiparlamentarische Regierung zu setzen. Sie haben die ganzen Monate nichts anderes gesprochen als das, wofür wir jetzt auf der Anklagebank sitzen. Im übrigen, ist Herr von Kahr nicht im Jahre 1920 ebenfalls durch einen Staatsstreich Regierungschef geworden, nachdem ein Leutnant mit 12 Mann mit „Bajonett auf“ vor dem Landtag erschienen war und daraufhin die Regierung Hoffmann demissionierte? Oder gehört dieser Leutnant mit den zwölf Mann zu den verfassungsmäßigen Erscheinungen in einer Republik? Man sagt, das Generalstaatskommissariat sei geschaffen worden, um den zu erwartenden Putsch der Nationalsozialisten niederzuschlagen. Wenn dem so wäre, warum hat sich der Herr Generalstaatskommissar am folgenden Tage bei mir nicht in der Person eines Kriminalbeamten vorgestellt und mich für verhaftet erklärt? Das wäre seine Pflicht gewesen. – – Lossow hatte dem Chef der Reichswehr den Gehorsam verweigert. Wenn der gemeine Mann das tut, wird er schwer bestraft. Ein militärischer Führer in einer Armee von nur 7 Divisionen, der eine Division in der Hand hat und der sich gegen seinen Chef aufbäumt, muß entschlossen sein, entweder bis zum letzten zu gehen oder es ist ein gewöhnlicher _Meuterer_ und _Rebell_. (Bewegung im Auditorium.) Lossow erklärte mir, er habe zu wenig Politik getrieben. Er fragte, was werden solle, es müsse doch einen Ausweg geben. Ich sagte ihm, das Volk habe etwas anderes erwartet als eine Bierpreiserniedrigung, eine Milchpreisverordnung, eine Butterfaßkonfiskation und ähnliche unmögliche wirtschaftliche Ratschläge, bei denen man sich fragen mußte, welches Genie da zu Rate gezogen wurde. Jeder Mißerfolg mußte ja _die Wut der Massen_ vergrößern und ich habe darauf hingewiesen, daß die Leute sich jetzt noch über die Kahrschen Maßnahmen lustig machen, später sich empören werden. – Im weiteren Verlauf der Verhandlungen trat Lossows Standpunkt immer deutlicher zutage. Der sagte: Ich bin entschlossen zu handeln, aber ich muß 51% Garantie für den Erfolg besitzen. – Ende Oktober trat eine Stimmungsänderung ein. Es kamen _Herren von Berlin_, die sagten, _General Seeckt trage sich mit dem gleichen Gedanken, eine Diktatur auszurufen_. Das schien Lossow der letzte Strohhalm. Er erklärte, wenn Seeckt ans Ruder kommt, dann bleibt zum Schluß nichts übrig, „daß ich den General Seeckt fresse oder daß Seeckt eben mich frißt.“ – Am 6. November nach der Sitzung der Kampfbundführer bei Herrn von Kahr mußten wir der Überzeugung sein, daß die Herren nur auf einen Anstoß warten.“ Als Hitler auf die Vorgänge im Bürgerbräukeller zu sprechen kommt, steigert sich seine Rede zu pathetischer Dramatik: „Lossow und Seißer haben _Tränen in den Augen_ gehabt, als sie uns ihrer _Treue_ versicherten. Kahr war so geknickt und gebrochen, daß er mir aufrichtig leid tat. – – Ludendorff, der Generalquartiermeister des Weltkrieges, der letzte große Feldherr Deutschlands, ist schmählich belogen und verraten worden; hätte er geahnt, daß General Lossow nicht mitmachte, er hätte sich nie zur Verfügung gestellt.“ Ein deutschnationales Blatt hat Hitler einen Besessenen, den von einer Idee Besessenen genannt. Zweifellos. Hitler machte den Eindruck eines ehrlichen Menschen. Aber seine Besessenheit, sein Fanatismus rührte nicht von dem Glauben an eine Idee her, sondern von dem Glauben an seine persönliche Größe. Gerade die Art, wie er seine Bescheidenheit zur Schau stellte, zeigte das: „Ich erklärte Lossow, ich könnte mich nur unter der Bedingung Exzellenz von Kahr anschließen, wenn der _politische Kampf ausschließlich in meine Hände_ gelegt werde. Das war nicht frech und unbescheiden von mir, ich bin vielmehr der Meinung, wenn ein Mann weiß, daß er eine Sache kann, so darf er nicht bescheiden sein. – – – Staatskunst kann man nicht lernen, man muß dazu geboren sein.“ Und Hitler stellt sich in Positur und erklärt, daß Ludendorff und alle seine Mitarbeiter, von denen so viele tot sind – hier sinkt seine Stimme zum Flüstern herab – über den Putsch genau so viel oder genau so wenig wußten wie Kahr, Lossow und Seißer, er _allein_ habe alle Fäden in der Hand gehalten. Während der ganzen Rede steht Hitler in Habt-Acht-Stellung, den Gehrock bis hoch hinauf geschlossen – ein Unteroffizier, der seinem Vorgesetzten Bericht erstattet. In der höchsten Erregung vergißt er nicht die Titel. Kahr ist sein Todfeind – aber für ihn ist er die „Exzellenz von Kahr“. Und wenn er das Wort „Exzellenz“ sagt, es durch den Saal schmettert, merkt man, mit welchem Stolze es ihn erfüllt, solche tönenden Titel in seine Rede einflechten zu können. Bevor Hitler seinen großen Monolog über den „treulosen Verrat“ Kahrs und Lossows beendet, vergißt er nicht, demselben Herrn Kahr eine förmliche Ehrenerklärung abzugeben: „Kahrs menschliche hervorragende Eigenschaften wird niemand bestreiten.“ Vorpostengeplänkel. Noch scheut sich die Verteidigung, ihre Trümpfe auszuspielen, – die Reden des Angeklagten sind auf Moll gestimmt. Auch Dr. _Weber_ schlägt dieselbe Tonart an. Ein blasser, kurzsichtiger junger Mann, der mehr einem Gymnasiasten, als einem Soldaten ähnelt. Ein Ausschnitt aus diesem Verhör: _Staatsanwalt Ehart_: Haben Sie nie davon gehört, daß General Ludendorff in der Reichswehr, namentlich in Norddeutschland, sehr wenig Resonanzboden hat? (Unruhe.) _Vorsitzender_: Ich bitte, die Fragen an mich zu stellen. _Staatsanwalt Ehart_: Ich bitte die Frage zu stellen, weil sie wesentlich ist. Die Frage nämlich, ob die Reichswehr, auch wenn Ludendorff an der Spitze steht, trotzdem mit Waffengewalt vorgehen wird? Dr. _Weber_: Auf Grund eigener Kenntnis norddeutscher Offizierkorps muß ich sagen, daß dort überall die Verehrung für den _größten deutschen Führer und General_, der nicht nur in diesem letzten Weltkrieg, sondern überhaupt Deutschland geschenkt wurde, herrscht, so daß die Möglichkeit eines „Stellens“ nicht in Frage kommt. _Staatsanwalt Ehart_: Das wollte ich wissen. _Justizrat Kohl_: Das wollten Sie nicht wissen. _Vorsitzender_: will unterbrechen. _Justizrat Kohl_: Die Frage des Staatsanwalts war für einen Offizier derart beleidigend, daß darauf eine Antwort gehört hat wie die, die der Staatsanwalt von mir gehört hat. (_Beifall im Zuhörerraum._) _Oberlandesgerichtsrat Pöhner._ Die beste Figur unter den Angeklagten. Der kluge Kopf könnte einem Jesuitenpater gehören. Schlau blinzelnde Augen hinter scharfen Gläsern, glattrasiertes Diplomatengesicht, ein ewiges ironisches Lächeln um den Mund. Kein guter Redner. Er spricht stockend, mit leiser Stimme, die sich in der Erregung überschlägt. Vom ersten Augenblick an hat man den Eindruck: hier spricht der Politiker, nicht der Agitator. Das ist der Mann, der hinter den Kulissen gestanden, der die Fäden der völkischen Politik in Bayern in Händen gehalten hat. Jedes Wort vorsichtig auf die Wagschale legend, schildert Pöhner seine Besprechungen, seine Verhandlungen mit Kahr. Auch er vermeidet noch jede polemische Färbung, aber es liegt eine ganz raffinierte Bosheit darin, wie er so offensichtlich bemüht ist, Herrn Kahr zu „schonen“. „Wenn Herr Kahr es so darstellen will, daß er Komödie gespielt habe, als er seinen Anschluß an unser Unternehmen erklärte, so muß ich ihn, den ich aus jahrelanger intimer Mitarbeit kenne, gegen ihn selbst in Schutz nehmen. _Er ist ein anständiger Mensch und kein Schuft._“ Dann ein ironischer Seitenhieb: „Herr Kahr war über den ganzen Vorfall (im Bürgerbräukeller) aufs äußerste empört und entrüstet und äußerte sich, es sei doch _unerhört_, daß man ihn mitten aus seiner Rede auf diese Weise aus dem Saale eskamotiert habe. – – Ich sagte, daß die Regierung von Revolutionsgnaden doch endlich einmal beseitigt werden müßte. Herr v. Kahr sagte darauf bloß: Unerhört, daß man auf diese Weise herauseskamotiert wird. _Das war sein Haupteinwand._“ (Gelächter im Auditorium.) Und so, mit lauter feinen, kaum sichtbaren Finten pirscht sich Pöhner dorthin durch, von wo aus die Verteidigung den ersten Vorstoß wagen will: „In einer Besprechung, zu der von Herrn v. Kahr auch Oberst von Seißer zugezogen war, machte mir Herr v. Kahr den Vorschlag, nachdem er gesagt hatte, es müßte jetzt im Norden aufgeräumt werden, ob ich bereit sei, die Funktion eines _Zivilgouverneurs für Sachsen und Thüringen_ zu bekleiden ... Ich erklärte, daß Ehrhardt es für wünschenswert halte, daß ich das Kommissariat für Nordbayern übernehme. Das lehnte Herr v. Kahr ab, indem er sagte, er könne die ihm übertragenen Vollmachten nicht weiter übergeben und habe dazu keine Ermächtigung. Hierauf wiederholte er seinen Vorschlag ... Ich lehnte ab; es wäre in Sachsen und Thüringen im kleinen dasselbe Verhältnis zwischen mir und dem Reichswehrkommandeur gewesen, wie in Bayern zwischen Kahr und Lossow. Und das war mir ganz unklar. Man konnte überhaupt nicht wissen, _wer in Bayern Koch und wer Kellner sei_.“ So – wie von ungefähr – fällt der Name: _Ehrhardt_: „Ehrhardt kam etwa Mitte Oktober wieder zu mir. Wie ich ihn fragte, wie es ihm jetzt in München gefalle, da sagte er, er komme sich „äußerst beschissen“ vor. Ich war über diese Wendung etwas überrascht, denn ich hatte das gerade Gegenteil erwartet. Er war doch steckbrieflich verfolgt von Leipzig aus. Ich wußte, daß er von der Polizei _von Oberst v. Seißer sicheres Geleit_ bekommen hatte, einen Ausweis, wonach er als Notpolizei für die bayrische Regierung tätig sei. Ehrhard erklärte mir, es gehe gar nicht vorwärts ...“ _Justizrat Dr. Schramm_: Herr v. Kahr hat es abgelehnt, Herrn Pöhner als Staatskommissar für das nordbayrische Gebiet aufzustellen, weil er sich dafür nicht für kompetent erachtete. Ich bitte den Angeklagten zu fragen, woher er die Vollmacht ableitete, ihm das Zivilstaatskommissariat in Sachsen und Thüringen zu übertragen. _Pöhner_: Darüber habe ich ihn nicht befragt. Man kann doch nur eine solche Vollmacht haben, wenn man die entsprechenden Handlungen vorher vorgenommen hat. _Justizrat Dr. Schramm_: Es bestand doch wohl bei Herrn v. Kahr Klarheit darüber, daß die Bewegung über Sachsen und Thüringen hinausgetragen wird? _Pöhner_: Das war selbstverständlich. _Staatsanwalt_: Hat es sich um den Marsch nach Berlin oder um den Grenzschutz Bayerns gegen die kommunistischen Unruhen in Sachsen und Thüringen gehandelt? _Pöhner_: Ich hatte den zweifellosen Eindruck im Zusammenhang mit der Tatsache, daß Kahr _in engsten Beziehungen mit Ehrhardt_ stand, daß es sich um etwas anderes handle, als den bayrischen Grenzschutz. Davon war gar keine Rede. _Ehrhardt macht doch nicht den Nachtwächter für Bayern zwischen Nürnberg und Hof._ Und dann nach einer Pause: „Vielleicht wäre es gut, wenn ich etwas über die Verhandlungen zwischen Herrn v. Kahr und Kapitänleutnant Ehrhardt aussagen könnte ... oder soll ich das lieber in nichtöffentlicher Sitzung tun?“ Das Stichwort ist gefallen. Jetzt spricht nicht der Angeklagte Pöhner, sondern der Herr Oberlandesgerichtsrat, der drei Jahre lang die rechte Hand von Kahr gewesen ist, der manches erzählen kann, was viel gefährlicher und viel unbequemer ist, als die leidenschaftlichsten Proteste Hitlers und die Enthüllungen der anderen Führer. Noch legt er sich Zurückhaltung auf. Er ist bereit, unter Zurückstellung aller seiner persönlichen Vorteile „rücksichtsvoll“ zu sein: „Ich habe mich dagegen ablehnend verhalten, nach meinen schlimmen Erfahrungen mit Herrn v. Kahr wieder mit ihm zusammenzuarbeiten ... Ich bin aber trotzdem noch einmal mit ihm zusammengekommen, als, und zwar _von autoritativster Seite, der Wunsch_ geäußert wurde, ich möchte unter Zurückstellung persönlicher Unstimmigkeiten wieder mit Herrn v. Kahr in Fühlung treten.“ Pöhner ist so feinfühlend, diese „autoritativste“ Seite nicht zu nennen. Will man ihn zum Feind haben? _Rechtsanwalt Hemeter_ knüpft an die Bemerkung Pöhners, daß er sich bei seinem Zusammenarbeiten mit Herrn v. Kahr wiederholt in die Brennesseln gesetzt habe, die Frage, wann er sich das erste Mal und in der Folgezeit in die Brennesseln gesetzt habe. _Pöhner_: Das erste Mal am 16. März 1920 nachmittags 4 Uhr (Heiterkeit). („Kapp-Putsch“ in Bayern.) _Vorsitzender_: Sie brauchen keine Auskunft geben, wenn Sie sich dadurch einer weiteren strafbaren Handlung beschuldigen würden. _Pöhner_: Aus meiner ganzen Einstellung mache ich kein Hehl. Ich habe dem Staatsanwalt erklärt: _Was Sie mir jetzt als Hochverrat vorwerfen, dies Geschäft treibe ich seit fünf Jahren._ _Vorsitzender_ (lächelnd abwinkend, leutselig): _Das wissen wir._ Dann die erste Wendung im Prozeß: Mit einem Ruck ist die Verhandlung auf das politische Niveau gehoben, und nicht Herr von Kahr, nicht der General von Lossow oder der Polizeioberst von Seißer sind mehr die Objektive des Angriffs – die bayrische Regierung mit allen ihren Institutionen, mit Staatsanwaltschaft und Gerichtshof ist zum Angriffsziel geworden: _Rechtsanwalt Hemeter_: Ist Pöhner bekannt, daß in der Nacht vom 13. zum 14. März 1920 der damalige Präsident der Regierung von Oberbayern, Dr. v. Kahr, Exzellenz (die Stimme des jugendlichen Verteidigers ist mit Hohn gesättigt) sich ohne Zögern in den Besitz der öffentlichen Gewalt gesetzt hat, auf einem Wege, der dem vom 8. bis 9. November 1923 vollkommen entspricht? Als das Republikschutzgesetz in Bayern ziemlich große Erregung hervorrief, hat sich Dr. v. Kahr ohne Bedenken der Bewegung angeschlossen, deren Ziel es war, die nach Auffassung des Staatsgedankens damals legale Regierung auf dem gleichen Wege, nämlich durch Druck ohne Druck zu beseitigen. _Staatsanwalt_: Ich messe diesen Fragen keine wesentliche Bedeutung für die Schuld- und Straffrage bei. _Rechtsanwalt Hemeter_: Es wird der Nachweis gelingen, daß von Dr. v. Kahr in Form eines fortgesetzten Deliktes in Bayern begangen worden ist, was der Herr Staatsanwalt Hochverrat nennt. Dem Herrn Pöhner ist all das bekannt. Und noch manches mehr. Aber vorläufig will er – im Interesse des Vaterlandes – darüber in öffentlicher Sitzung nicht sprechen. Doch einen kleinen Vorstoß wagt noch die Verteidigung: _Rechtsanwalt Holl_: Ich habe Kapitänleutnant Ehrhardt als Zeugen genannt. Ich muß jetzt noch Schritte tun, um diesen zur Stelle zu bringen, wenn das Gericht ihn vernimmt. Ich frage die Staatsanwaltschaft: Ist es richtig, daß die Staatsanwaltschaft durch einen ihrer Beamten mittelbar oder unmittelbar hat Ehrhardt mitteilen lassen, daß er verhaftet würde, wenn er, von der Verteidigung geladen, als Zeuge erscheint. _Staatsanwalt_: Es ist absolut unwahr, daß die Staatsanwaltschaft irgendeine solche Mitteilung hat ergehen lassen. Sie konnte Ehrhardt nicht als Zeuge laden, weil sie seine Adresse nicht kennt. _Justizrat Kohl_: Weiß der Staatsanwalt, daß Kapitän Ehrhardt vor wenigen Wochen noch ganz öffentlich auf einem Kommers gesprochen hat? _Rechtsanwalt Hemeter_: Sendlingertorplatz Nr. 1 ist er zu finden, Herr Staatsanwalt. _Rechtsanwalt Holl_: Er wohnt eine Treppe tiefer als der angeklagte Oberstleutnant Kriebel – im selben Haus. Und mit diesem Vorstoß läßt es die Verteidigung bewenden. Vorläufig war noch dies ihr Schlachtplan: Nicht bloß Kahr zu kompromittieren, nicht bloß nachzuweisen, daß er im November am Hochverrat beteiligt war, sondern durch die Aufrollung der „Bayrischen Frage“ der Staatsanwaltschaft die Gefahr vor Augen zu führen, die sie laufe, wenn sie die Angeklagten zwinge, „einmal tüchtig auszupacken“. Man soll in Bayern nicht über Hochverrat zu Gericht sitzen, weil hier seit Jahr und Tag von allen Führern und Politikern nur Hochverrat getrieben wurde. Vorderhand begnügte sich die Verteidigung – zu drohen. Wird sich die Staatsanwaltschaft dieses Entgegenkommens würdig erweisen? Sonst – da ist noch jemand, der manches erzählen kann: _Oberstleutnant Kriebel_, der militärische Führer des Putsches, der zweite Eingeweihte. Bei seinen Ausführungen schloß das Gericht, durch die ewigen versteckten Drohungen der Verteidiger reichlich nervös gemacht, zum erstenmal die Öffentlichkeit aus. Was man zu hören bekam, war im wesentlichen folgendes: Kommerzienrat Zentz unterrichtete mich über den _Zweck der Versammlung_ im Bürgerbräukeller. Er sagte, die Versammlung sei auf den Wunsch Kahrs einberufen – und es sei notwendig, daß der große Saal des Bürgerbräukellers voll wird. Er habe die vaterländischen Vereine dazu eingeladen, damit sie den Saal füllen. Es wurde noch angefügt, daß zu dieser Ovation, zu der diese Versammlung führen sollte, _von gütigen Spendern Freibier_ gegeben werde. Es gab dann noch eine Diskussion wegen der _Teilnahme von Juden_ an dieser Versammlung. Dr. Hartmann von den „Vaterländischen Verbänden“ Bayerns erklärte, es wäre eine zweifelhafte Empfehlung für Herrn von Kahr in den vaterländischen Kreisen, auf die er sich in erster Linie stützen wolle, wenn er zu dieser Feier Juden einladen wollte. Diese Bemerkung rief einen großen Sturm der Entrüstung hervor bei den verschiedenen Handelsorganisationen. Sie sagten, daß sie nicht nur unter ihren Mitgliedern, sondern auch in den Vorständen eine große Anzahl von Juden hätten, daß es für sie unmöglich sei, die Einladung überhaupt weiterzugeben, wenn die Frage der Nichtzulassung der Juden überhaupt nur diskutiert würde. Kommerzienrat Zentz brachte dann diesen Sturm der Entrüstung dadurch zum Schweigen, daß er bemerkte, es würden nicht viele Juden kommen, denn sie seien wegen der Ausweisungen von Ostjuden an sich nicht gut auf Herrn von Kahr zu sprechen.“ Was nicht hinderte, daß eben dieselben Herren tief in die Tasche griffen, um den Kampffonds der Völkischen zu speisen; wurde doch im weiteren Verlaufe der Verhandlung festgestellt, daß Ehrhardt zwanzigtausend Dollar bei den Industriellen Bayerns – Juden und Christen – an Spenden einsammeln lassen konnte. Kriebel, das wahre Soldatengemüt: „Lossow sagte, er wolle ja marschieren, aber bevor er nicht 51 Prozent Wahrscheinlichkeit des Erfolges in seinem Notizbuch ausrechnen könne, sei es ihm nicht möglich, zu marschieren. Als Soldat war das für mich geradezu erschütternd. Wenn wir so im Kriege gedacht hätten, wären wir schon im August 1914 zur Kapitulation gezwungen gewesen.“ „Alle haben gerufen: Kampf gegen die Weimarer Verfassung. Da habe ich mir in meinem einfachen Soldatengemüt gedacht: wenn alles schreit, Kampf gegen die Weimarer Verfassung – warum soll man da nicht kämpfen?“ Aus dem Verhör eine kleine Probe: _Staatsanwalt_: Es darf nicht vergessen werden, daß es sich hier um eine einseitige Darstellung handelt, die auch die schwersten persönlichen Angriffe gegen die Herren Kahr und Lossow in sich schließt. Ich glaube, man muß doch auch den anderen Teil hören, bevor man ihn in dieser Weise öffentlich herabsetzt. _Vorsitzender_: Es ist nicht Sache der Staatsanwaltschaft, den Vorsitzenden wegen der Verhandlungsführung zu rügen. _Justizrat Kohl_: Das Urteil, das der Angeklagte Kriebel über das Verhalten der Herren Kahr, Lossow und Seißer gefällt hat, ist das Urteil aller anständigen Menschen in Deutschland. Und ich nehme an, daß der Herr Staatsanwalt auch zu den anständigen Menschen zählt. _Vorsitzender_: Das geht zu weit, einen solchen persönlichen Angriff kann ich nicht dulden. _Justizrat Kohl_: Der Staatsanwalt erfüllt eine Pflicht, die ihm sehr lästig sein muß. Er wurde in den Grundsätzen des deutschen Waffenstudenten erzogen und kann ein solches Verfahren überhaupt nicht billigen. Diese versteckte Drohung mit einer Forderung zum Duell war für den Staatsanwalt so deutlich, daß er von nun ab keinen Versuch mehr unternahm, in die Verhandlung einzugreifen. Die Verteidiger beherrschten sie völlig. Kriebel, der Eingeweihte spricht: „Ich habe aus Gründen, die ich später, bei Ausschluß der Öffentlichkeit noch erörtern werde, vorgeschlagen, daß wir uns nach dem Mißlingen der Aktion in die Gegend von Rosenheim zurückziehen.“ Diese Gründe sind nachträglich bekanntgeworden. Rosenheim war in jenen Tagen das Hauptaufmarschgebiet der „Orka“, des radikalsten, unter Führung eines gewissen Kanzler stehenden bayrischen Kampfbundes, und hier befand sich das Hauptwaffenlager der Nationalsozialisten noch aus der Zeit her, wo die Zentrale der Einwohnerwehren in Rosenheim untergebracht war. _General Ludendorff_ hat das Wort. Im blauen Sakkoanzug, die Hände auf dem Rücken verschränkt, straff aufgerichtet, doziert der General einem andächtig aufhorchenden Publikum über Staatsverfassung und Ultramontanismus. Ludendorff ist im Auto von seiner Villa gekommen – er war, ebenso auch Pernet, Pöhner, Frick und Wagner, während der Verhandlung auf freiem Fuß, während die anderen Angeklagten für die Dauer des Prozesses in der Infanterieschule untergebracht worden waren – und nun mußte die Verhandlung verschoben werden, da Ludendorffs Auto eine Panne hatte. Die Posten an den Eingängen und im Korridor stehen stramm, die Tür wird aufgerissen. Hitler schlägt die Hacken zusammen, daß es durch den ganzen Saal knallt, die Reichswehroffiziere auf den Zeugenbänken und die Damen und Herren im Zuhörerraum erheben sich von den Plätzen – General Ludendorff hat den Saal betreten, die Verhandlung kann beginnen. Ludendorff spricht abgehackt, kurz, stößt die Worte wie militärisches Kommando in den Saal. Eine schnarrende, preußische Offiziersstimme. Seine Aussage läßt den Kern des politischen Problems zum ersten Male scharf hervortreten. Der Hintergrund wird sichtbar. Die bayrischen Klerikalen, das ist der Feind. Er muß geschlagen werden. Nun handelt es sich nicht mehr um den Putsch vom 8. November, jetzt handelt es sich um die Schicksalsfrage Deutschlands, um den Jahrhunderte alten Kampf zwischen Nord und Süd, zwischen Hohenzollern und Wittelsbachern. Den Separationsbestrebungen der Wittelsbacher und ihrer Zusammenarbeit mit dem Vatikan gilt Ludendorffs Hauptangriff. „Ich habe die Gefahr der Juden im Weltkrieg genügend kennengelernt. Ich habe mich damit ernstlich und aufmerksam beschäftigt. Die jüdische Frage ist für mich eine Rassenfrage.“ Dann ein Schlag gegen die Katholiken: „Als Realpolitiker komme ich zu Erwägungen, indem ich die unabänderlichen Tatsachen nehme, wie sie sind. In dem Kampf Deutschlands war der Vatikan nicht neutral, sondern deutschfeindlich. Der Papst hat sich gegen die Sabotage im Kampf um Ruhr und Rhein gewandt. Außerdem war besonders auffallend die steigende Inschutznahme der Juden durch den hohen Klerus.“ Es folgt ein Überblick über die wirtschaftliche Lage: „Herr Minoux entwickelte uns seine politischen und wirtschaftlichen Ansichten. Sie erschienen mir sehr _reichlich wirtschaftlich_, was auch verständlich ist. Ich sprach ungefähr: „Lieber Minoux, das wirtschaftliche Programm gefällt mir nicht.“ Endlich kommt Ludendorff auf die militärischen Vorbereitungen des Unternehmens zu sprechen: „Der Herr Staatsanwalt hat gefragt, warum wir vom Marienplatz zur Residenz marschiert sind. Warum diese Richtung genommen wurde, kann ich nicht sagen. Ich habe Tannenberg geschlagen und die Gründe für mein taktisches Vorgehen mir erst später zurechtgelegt. Das ist Feldherrninstinkt.“ Im Zuhörerraum starke Bewegung. Man ruft Bravo und einige klatschen. Niemand findet Anstoß daran, daß es just nicht strategisches Talent verrät, wenn das „taktische Vorgehen“ einen Feldherrn in solch ein böses Debakel führt wie am 9. November 1923 und – am 9. November 1918. Ludendorffs Rede gipfelte in einer Anklage gegen Rom. Doch dieser Fehdehandschuh wurde von der Kirche nicht aufgenommen. Kardinal Faulhaber und Kronprinz Ruprecht ließen sich nicht einmal zu einer Erwiderung herbei – Kahr und Lossow wurden vorgeschoben. Aber zwei Tage später schwenkte die gesamte klerikale Presse Bayerns, schwenkte selbst der „Miesbacher Anzeiger“, der noch wenige Tage vorher begeisterte Töne für das Wirken der Kampfverbände gefunden hatte, scharf zu Kahr ab. Die Klerikalen trumpften auf. So schrieb das „Bayrische Vaterland“: „Kahr hätte am 12. November zusammen mit Lossow, Seeckt usw., allen vaterländischen Verbänden also, mit einer großen nationalen Einheitsfront losschlagen wollen. Das sahen Hitler, Weber, Pöhner, Kriebel und alle. Das zu beweisen, daß Kahr das vorbereitet habe, darauf steht ja ihr ganzes Bemühen. Warum hat dann Hitler nicht bis zum 12. gewartet? Hier liegt _Hitlers große Sünde wider den deutschen nationalen Geist_. Hier ist der Verrat an der gemeinsamen Sache. Kahr und alle Vaterländischen im ganzen Reich, Süd und Nord, gemeinsam wollten sie in Berlin eine nationale Regierung einrichten. Das Gelingen war nach menschlichem Ermessen, wie die Hitlerschen selbst sagen, unbedingt sicher – schon ihren Putsch hielten sie ja für sicher. Die Vorbereitungen – was die Hitlerschen ja beweisen wollen – sorgfältig getroffen. Die Aktion Kahrs zur inneren Befreiung Deutschlands scheiterte. Warum? Weil Hitler mit Ludendorff zu früh und auf eigene Faust losschlug.“ Ludendorffs Rede hatte der Bayrischen Volkspartei bewiesen, daß ihre Hoffnung, mit Hitler und Ludendorff zu einem Kompromiß zu gelangen, getrogen hatte. Das Scheingefecht wurde abgebrochen. In den folgenden Tagen gingen die Angeklagten sehr aggressiv vor, die Verteidigung hatte die Führung des Prozesses vollkommen an sich gerissen. Etwa so: _Justizrat Kohl_: Wir müssen dagegen protestieren, daß der Herr Staatsanwalt gestern bei einer Aussage ironisch gelächelt hat. _Staatsanwalt_: Ich stelle fest, daß es mir ganz fern gelegen hat, zu lächeln, und ironisch schon gar nicht. _Hauptmann Röhm_, Typus des preußischen Leutnants, nasale schnoddrige Stimme, trägt den Zivilanzug wie eine Uniform: „Im Oktober 1918 war ich noch überzeugt, daß wir den Krieg gewinnen werden. Ich habe diese Überzeugung als Generalstabsoffizier an der Front gewonnen. Ich habe das erste Mal die Vorläufer der Revolution im Lazarett in Brüssel kennengelernt. Ich sah diese Vorläufer in dem unmilitärischen Verhalten der Krankenwärter.“ Dann schildert er seine Tätigkeit nach der Revolution: „Zwischen meiner vaterländischen Einstellung und meiner Tätigkeit als Reichswehroffizier mußten Konflikte entstehen – – –“ Hauptmann Röhm kam daher um seinen Abschied ein, doch General Lossow erklärte ihm, dazu bestehe keine Veranlassung. Und als der Reichswehrminister Röhm den Abschied doch telegraphisch bewilligte, hat General von Lossow das nicht anerkannt und der Abschied wurde wieder zurückgenommen. Hauptmann Röhm trat einen dreimonatigen bezahlten Urlaub an. Erst am 30. Dezember – im Gefängnis – hat er die Nachricht bekommen, daß er seinen Abschied erhalten. _Oberleutnant d. R. Brückner_, ein junger Mann mit ausdruckslosem blassen Gesicht, schildert ebenfalls seine „politische Einstellung“: „Was die Einstellung der Pioniere anlangt, so rissen auch sie den Pleitegeier sofort von der Mütze und zertraten ihn. Sie mußten aber auf Befehl von Lossow das Schwarz-Weiß-Rot wieder herunternehmen und den Pleitegeier wieder hinauftun.“ _Vorsitzender_: Sie sagen immer „Pleitegeier“? Es muß doch einen anderen Ausdruck geben? _Brückner_: Ich kenne keinen. _Vorsitzender_ (lächelt): Nun, die technische Bezeichnung lautet wohl anders. _Leutnant Wagner_ ist Nationalsozialist geworden, weil er mit einem Neffen des Reichspräsidenten Ebert böse Erfahrungen gemacht hatte. Der soll sein Regiment „verhetzt“ haben. Aber dann stellte es sich heraus, daß der Reichspräsident gar keinen Neffen hat und dieser also das Regiment auch nicht verhetzen konnte. Allerdings wird vorläufig dieser Widerspruch nicht offenbar, da eine entsprechende Erklärung des Reichspräsidenten durch den Vorsitzenden erst zehn Tage später zur Verlesung gelangt. Der Angeklagte erklärt, sie nicht anerkennen zu können. _Oberleutnant Pernet_ weiß von gar nichts. _Vorsitzender_: Haben Sie gewußt, daß am 8. etwas vorgehen soll? _Pernet_: Ich habe von der Versammlung im Bürgerbräukeller in der Zeitung gelesen. _Vorsitzender_: Sie hatten keine Kenntnis von dem, was geplant war? _Pernet_: Nein, _ich war überrascht_. _Vorsitzender_: Was hat Ihr Stiefvater gesprochen während der Fahrt zur Versammlung? _Pernet_: Er hat nur gesagt, er habe etwas anderes gedacht. Im Auto hat er mich gefragt, ob ich davon etwas gewußt hätte. _Ich sagte nein._ _Vorsitzender_: Was haben Sie sich bei diesen Vorgängen gedacht? _Pernet_: Ich habe mir gedacht, es ist legal. _Vorsitzender_: _Ich nehme an_, daß Sie zuerst _gar nichts gewußt haben_, und daß ihnen erst später zum Bewußtsein gekommen ist, daß es doch nicht ganz so einfach ist. Stimmt das so? _Pernet_: _Jawohl._ _Oberamtmann Frick_ weiß genau so viel wie sein Kamerad Pernet. Er hat „gar keine Kenntnisse gehabt“. Auch er war „überrascht“: _Vorsitzender_: Es ist auffallend, daß Sie zu Ihrer Frau sagten, Sie gehen in den Bürgerbräukeller, aber nicht hingegangen sind, sondern in Ihrem Amtszimmer Zeitung gelesen haben. Es deutet fast auf Vereinbarung, daß Sie nicht in der Wohnung, sondern um neun Uhr im Büro angerufen worden sind. _Frick_: Ich bin nach dem Abendessen öfter in mein nebenan liegendes Büro gegangen, um zu arbeiten. _Vorsitzender_: Es wird Ihnen zur Last gelegt, daß Sie es unterlassen haben, die Landespolizei oder die gesamte Schutzmannschaft zu alarmieren. _Frick_: Ich war, als ich festgenommen wurde, durchaus im unklaren darüber, welche Tatsachen der Beschuldigung des Hochverrats bei mir zugrunde liegen. DIE ZEUGEN Man trat in das Zeugenverhör ein. Kahr, Lossow und dem Polizeioberst Seißer fielen in diesem Akt der Verhandlung die Hauptrollen zu. Hatten doch die Aussagen der Angeklagten in der Erklärung gegipfelt, diese Kronzeugen wären genau so schuldig wie sie selbst, und nichts sei irriger als die Annahme, der Generalstaatskommissar und der Kommandant der bayrischen Reichswehr hätten es von vornherein darauf angelegt gehabt, Ludendorff und Hitler in eine Falle zu locken. Ein Satz Ludendorffs warf einen schwachen Lichtstrahl in das Dunkel der Putschnacht: „Bis zur Inpflichtnahme der Reichswehr durch General Lossow war ich über die Vorgänge in der bayrischen Reichswehr nicht informiert; nachher hat mich Lossow fortlaufend unterrichtet.“ Die Verteidigung suchte unter Beibringung unzähliger Zeitungsausschnitte, Protokolle, Auszügen aus Reden Kahrs und seiner engeren Freunde den Nachweis zu führen, daß die Kronzeugen eine lange Zeit ernste Putschabsichten gehegt hatten. Als aber die Entwicklung im Norden nicht den erwarteten Gang nahm, als Seeckt immer wieder zögerte, auf das ihm von Lossow hingehaltene „Sprungbrett“ zu treten, da mußten sie fürchten, in eine Sackgasse zu geraten und suchten nun bei Hitler Anlehnung. Vor die vollendete Tatsache gestellt, waren sie zwar von der Aktion Hitlers nicht begeistert, aber im ersten Augenblick entschlossen, alles auf die eine Karte zu setzen und sich dem Unternehmen Hitlers anzuschließen. Lossow sah als erster, daß der Putsch mißlingen müsse und meinte, dem sicheren Fiasko die immerhin noch mögliche Chance eines halbwegs gedeckten Rückzugs vorziehen zu müssen. Um Mitternacht des 8. November hatte Kultusminister Matt, der Vertrauensmann des Kardinals Faulhaber, ein Telephongespräch mit Kahr, der Draht spielte zwischen München und Berchtesgaden (der Residenz des Kronprinzen Ruprecht), zwischen München und Schloß Hohenburg, wo die Schwester des Wittelsbachers, die Großherzogin Adelheid von Luxemburg residierte. Und als eine weitere Stunde um war, hatte die Situation eine grundlegende Änderung erfahren. Kahr wurde von einer mysteriösen „autoritativsten Seite zurückgepfiffen“. Für den Makel des Verräters sollte ihn das Bewußtsein entschädigen, ein „treuer Diener seines Herrn“ zu sein, der ihm den Schutz der Kirche gewährleistete, während ihm auf der anderen Seite nur der Schutz eines Generals, der überdies als „Ketzer“ verschrien war, eine recht fragwürdige Aussicht bot. Der Name Ruprecht durfte in dieser Verhandlung nicht genannt werden. Nur Ludendorff ließ sich zu einem versteckten Vorstoß gegen die Wittelsbacher fortreißen, aber auch er scheute sich wohl, den Angriff zu weit vorzutragen. Dann kam prompt ein Dementi: Ruprecht hätte überhaupt keine Beziehungen zum Putsch gehabt und auf Kahr keinerlei Einfluß geübt. So standen Behauptungen gegen Behauptungen, und mehr oder minder nicht beweisbaren Vermutungen war weiter Spielraum gegeben. Immerhin glaube ich, in diesem Zusammenhange einen Briefwechsel wiedergeben zu müssen, der geeignet ist, über diese bis heute nicht geklärte Frage einiges Licht zu verbreiten. Nachdem ich in der Wiener „Arbeiterzeitung“ und dem „Prager Tagblatt“ einige Berichte über den Münchener Hochverratsprozeß veröffentlicht hatte, lief bei der „Arbeiterzeitung“ ein Schreiben ein, das sie wie folgt wiedergab: Wir erhalten folgende Zuschriften, zu deren Mitteilung wir nach dem Preßgesetz zwar nicht verpflichtet wären, die aber lehrreich genug sind, daß wir sie veröffentlichen wollen: In der Nummer 63 vom Dienstag, den 4. März, Seite 2, findet sich mit Datum vom 29. Februar d. J. ein Artikel mit der Überschrift: „_Die Tafelrunde des Königs Ruprecht_.“ Neben verschiedenen tatsächlichen Unrichtigkeiten in dem fraglichen Artikel ist unter anderem auch davon die Rede, daß König Ruprecht, der just am 8. November in München geweilt hatte, um 11 Uhr nachts in seine Residenz nach Berchtesgaden zurückgefahren ist. Weiter heißt es auch: „Der Draht spielte zwischen München und Berchtesgaden, zwischen München und Schloß Hohenburg, wo die Schwester König Ruprechts, die Großherzogin Adelheid von Luxemburg, residierte ... Kahr und Lossow wurden zurückgepfiffen. Man nimmt gern den Makel des Verräters auf sich, wenn man dafür das Bewußtsein eintauscht, ein treuer Diener seines Herrn zu sein usw.“ Im Auftrag S. Durchlaucht des Eugen Prinz Oettingen von Wallenstein in seiner Eigenschaft als generalbevollmächtigter Vertreter _S. K. H. des Kronprinzen Ruprecht von Bayern_ beehre ich mich, Ihnen mitzuteilen, daß die Darstellung vollständig unrichtig ist, und ersuche ich im Hinblick auf das Preßgesetz namens meines Vollmachtgebers um die Aufnahme beiliegender Berichtigung unter Berücksichtigung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Ich erwähne dabei, daß diese Berichtigung mehrfach durch _bayrische und auch reichsdeutsche Blätter_ gegeben ist und scheint Ihnen dieses entgangen zu sein. Von der Nummer, in der sich die Berichtigung findet, wollen Sie mir ein Exemplar zusenden. Hochachtungsvollst _Dr. Karl Eisenberger_, Geheimer Justizrat. Berichtigung. Gegenüber den Ausführungen in der Nummer 63 vom Dienstag, den 4. März, in bezug auf das Eingreifen S. K. H. des Kronprinzen Ruprecht von Bayern in die politischen Ereignisse, welche sich am 8./9. November 1923 in München abgespielt haben, läßt S. K. H. _folgendes erklären_: _S. K. Hoheit_ befand sich schon einige Tage vor dem 8. November 1923 auf seinem Schlosse in Berchtesgaden. Von den Vorkommnissen, welche sich in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1923 in München abgespielt haben, erhielt _S. K. Hoheit_ erst am 9. November 1923 im Laufe des Vormittags durch _einen Kurier_ Kenntnis. Irgendwelche Einwirkung _seitens S. K. Hoheit_ konnte daher gar nicht stattfinden und hat tatsächlich auch nicht stattgefunden. Vollmacht. Der Endesunterzeichnete ermächtigt hiermit Herrn Rechtsanwalt Geh. Justizrat Dr. Eisenberger in München, ihn in der Angelegenheit betreffend Arbeiter-Zeitung in Wien vor allen Gerichten, Behörden und Instanzen zu vertreten, insbesondere auch einen etwaigen Verwaltungsrechtsstreit zu erheben, Anträge, Vorstellungen und Beschwerden und sonstige Rechtsmittel einzulegen und zurückzunehmen, Zustellungen, Ladungen, Beschlüsse, Verfügungen entgegenzunehmen, Geldzahlungen zu empfangen und hierüber zu quittieren und alle diese Befugnisse einem sonstigen Rechtsverständigen zu übertragen. München, den 15. März 1924. Eugen Prinz Oettingen-Wallenstein auf Grund notarieller Generalvollmacht S. K. H. des Kronprinzen von Bayern. * * * * * Ob die Leser der Behauptung, daß der Exkronprinz von dem Putsch erst am anderen Tage erfahren konnte, weil er in Berchtesgaden gewesen sei, Glauben schenken wollen, überlassen wir ihnen; vielleicht erwägen sie, daß es ja auch ein Telephon gibt. Aber als Dokumente aus dem „Freistaat Bayern“ haben alle diese Schriften um Seine Königliche Hoheit herum jedenfalls einen politischen Wert ... Darauf veröffentlichte ich in der „Arbeiterzeitung“ die folgende Entgegnung: Seine Königliche Hoheit der Kronprinz von Bayern hat durch seinen „generalbevollmächtigten Vertreter“ der „Arbeiterzeitung“ eine Berichtigung zu meinem, hier am 4. März erschienenen Artikel „Die Tafelrunde des Königs Ruprecht“ gesendet. Nun lockt mich gewiß nicht der Ehrgeiz, mich mit S. K. H. in eine Polemik einzulassen, die schon deshalb unfruchtbar wäre, weil ich, es sei dies freimütig bekannt, nicht in der Lage bin, durch einwandfreie Dokumente, wie stenographische Protokolle oder eidliche Zeugenaussagen, den Nachweis zu führen, welchen Wortlaut das Gespräch hatte, das S. K. H. mit Herrn von Kahr führte, und um wieviel Uhr es stattfand. Bekanntlich hat General Ludendorff erst später im Verlauf der Verhandlung selbst erklärt, Herr von Kahr sei nur auf „Allerhöchste Weisung“ vom Unternehmen zurückgetreten. Und solche Enthüllungen, die sich gegen ehemalige Kampfgenossen richten, pflegen meistenteils richtig zu sein. Allerdings, auch diese Behauptung Ludendorffs ist dementiert worden. Mit den Dementis aus dem „Freistaat Bayern“ hat es aber seine eigene Bewandtnis und nur jemand, der mit den bayrischen „Belangen“ vertraut ist, kann sie entsprechend werten. Ich selbst habe mit bayrischen Berichtigungen eigene Erfahrungen gehabt. Im Oktober v. J. stattete ich dem Oberkommando des Herrn Hitler einen Besuch ab und veröffentlichte in der Folge eine Unterredung, die ich mit dem Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“, einer Art Pressechef des „Großen Trommlers“ gehabt hatte. Darauf folgte prompt ein Dementi. Etwa in dieser Art: erstens wäre ich gar nicht dort gewesen; zweitens hätte mir der Herr Redakteur etwas ganz anderes gesagt; drittens sei es unverschämt, daß ich ihm nicht vorher angekündigt hätte, daß ich den Wortlaut der Unterredung veröffentlichen wolle. So dementieren die Helden. Die sich aber zu den Rettern des Staats zählen, die Herren um Kahr, sind klüger. Auch ihre Berichtigungen beweisen das. Kronprinz Ruprecht erklärt also, er sei in der kritischen Zeit nicht in München gewesen und hätte von den Vorkommnissen, die sich in der Nacht vom 8. auf den 9. November in München abgespielt haben, erst am 9. November im Laufe des Vormittags durch einen Kurier Kenntnis erhalten. Die „Arbeiterzeitung“ hat schon auf die merkwürdige Tatsache hingewiesen, daß in Bayern die Einrichtung des Telephons scheinbar unbekannt ist. Aber man überlege: Herr von Kahr hält im Bürgerbräukeller eine Rede, in der er sich als „Statthalter Seiner Majestät“ vorstellt – die Majestät selbst wird erst am kommenden Tage, nachdem die ganze Chose schon vorbei ist, verständigt. Gewiß, so wird man aus Berchtesgaden erwidern, S. K. H. sind eben nur Privatperson und nehmen an diesen politischen Vorgängen weder aktiv Anteil noch irgendwelche Einwirkung auf diese. Wie es damit bestellt ist, möge folgendes Rundschreiben illustrieren, das der Oberst von Kannstein an die Offiziersregimentsvereine Bayerns gerichtet hat: Seine Majestät unser König haben am 27. Dezember dem 1. Vorsitzenden der drei Offiziersvereine den Befehl bekanntgegeben, er erwarte, daß sich die ehemaligen Offiziere, eingedenk ihres Fahneneids, rückhaltlos hinter den Generalstaatskommissar und den Landeskommandanten General von Lossow stellen werden. Und dann rufe man sich ins Gedächtnis, daß in der Verhandlung vor dem Volksgericht zuerst Herr Pöhner und dann Herr Hitler davon gesprochen haben, daß von „autoritativster Seite“ auf sie eingewirkt wurde. Pöhner sagte wörtlich: Ich habe mich dagegen ablehnend verhalten, nach meinen schlimmen Erfahrungen mit Herrn von Kahr wieder mit ihm zusammen zu arbeiten ... Ich bin aber trotzdem noch einmal mit ihm zusammengekommen, als, und zwar _von autoritativster Seite_, der Wunsch geäußert wurde, ich möchte unter Zurückstellung persönlicher Unstimmigkeiten wieder mit Herrn von Kahr in Fühlung treten. Das Gericht fand es nicht notwendig, Pöhner zu fragen, wer diese mysteriöse autoritativste Seite gewesen ist. Herr Stresemann? Oder gar der bayrische Ministerpräsident Knilling? Man forschte nicht weiter und so kamen auch keine Dementis. Übrigens: Ist S. K. H. so unangenehm, in den Verdacht zu kommen, daß er Herrn von Kahr vom Putsch abgehalten hat? Warum die Aufregung? Will S. K. H. damit zum Ausdruck bringen, daß er nicht unter die „Verräter“ gezählt zu werden wünscht? Wiewohl es für die strafrechtliche Verurteilung Hitlers, Ludendorffs und Genossen ohne Bedeutung war, ob Kahr und Lossow ebenfalls hochverräterische Pläne gehegt haben, nahm infolge der geschickten Führung der Verteidigung, die die Verhandlung völlig beherrschte, diese Frage den größten Raum ein. Mehr als ein Dutzend hoher Persönlichkeiten, deren Vernehmung sich über zwei Wochen erstreckte, wurden darüber als Zeugen gehört. Und das war so gekommen: Gleich nach der Rede Ludendorffs wurde die bayrische Öffentlichkeit von einem Herrn Abgeordneten Schaeffer mit der sensationellen Nachricht überrascht, die Verteidigung habe ihn um Intervention ersucht, damit er durch den Ministerpräsidenten die _Amnestie_ der Angeklagten erwirke. In diesem Falle wäre die Verteidigung bereit, sich entsprechende Zurückhaltung im Interesse des Staats aufzuerlegen. Herr Schaeffer hatte mehrere Tage gezögert, bis er diese Mitteilung der Öffentlichkeit übergab. Als er es tat, war die Sachlage klar. Die Zuspitzung der Gegensätze innerhalb und außerhalb des Prozeßsaales hatte die Bayrische Volkspartei überzeugt, daß ein Kompromiß aussichtslos war und so entschloß sie sich, die Entscheidung nicht zu fliehen. Sie fühlte sich stark genug, um sich nicht scheuen zu müssen, im Gerichtssaale „enthüllt“ zu werden. Da blieb der Verteidigung nichts anderes übrig, als ihrerseits loszulegen. War der erste Akt des Prozesses auf „Moll“ gestimmt, so wurde jetzt „Dur“ angeschlagen. Und die Zeugen marschierten auf. Zwei Wochen fast wurde da von früh bis abends in stundenlangen Reden die Frage diskutiert, ob Herr Kahr im Bürgerbräukeller nur Komödie gespielt habe oder nicht. Ein Zeuge gab folgende dramatische Schilderung: „Herr von Kahr war vollkommen unbewegt. Sein Gesicht war wie eine Maske, sehr ernst, und er sprach die Worte ruhig. Ich hatte den Eindruck, daß um die Augen herum ein Zug von Melancholie lag. Hitler war leuchtend vor Freude, ... es war ein kindlicher, offener Ausdruck von Freude, den ich nie vergessen werde. Exzellenz Ludendorff war, als er hereinkam, todernst. Sein Aussehen und seine Worte machten den Eindruck eines Mannes, der weiß, daß es sich um eine Sache auf Leben und Tod, vielleicht eher auf Tod handelt.“ Hitler hat, nach anderen Zeugenaussagen, erklärt: „Sie müssen mit mir kämpfen, müssen mit mir siegen oder mit mir sterben. Wenn die Sache schief geht, vier Schüsse habe ich in der Pistole, drei für meine Mitarbeiter, wenn sie mich verlassen, die letzte Kugel für mich.“ Darauf Kahr ganz schlicht: „Sterben oder nicht sterben ist bedeutungslos.“ Ein anderer schildert den „Rütlischwur“ im Bürgerbräukeller. Es entspinnt sich folgendes Kreuzverhör: _Vorsitzender_: Eine große Zahl von Zeugen kann nicht bestätigen, daß Herr von Kahr seine Hand auf jene Hitlers gelegt habe. _Rechtsanwalt Götz_: Wir waren doch alle im Bürgerbräukeller und sind doch nicht Menschen, denen dieser springende Punkt nicht im Gedächtnis zurückgeblieben wäre. Ich sehe ihn 100 Jahre noch. _Polizeimajor Frhr. von Imhoff_ ist ein hoher Beamter der Landespolizei. Also erklärt er als Zeuge: _Rechtsanwalt Roder_: Wußten Sie, daß gegen Kapitänleutnant Ehrhardt Haftbefehl erlassen sei? _Frhr. v. Imhoff_: Ich habe gesprächsweise von einem Verfahren wegen Meineids gehört. Im übrigen spielt sich das Zeugenverhör etwa so ab: _General Ludendorff_: Ich möchte feststellen, daß der Befehl zur Wegnahme des Wehrkreiskommandogebäudes von Lossow unterschrieben war. _Oberstleutnant von Berchem_ als Zeuge: Ich kann mich selbstverständlich nach vier Monaten nicht an alle Befehle erinnern. Das würden Exzellenz auch nicht können! Ob dieser Vergeßlichkeit erhebt sich lauter Widerspruch im Zuhörerraum und _Rechtsanwalt Holl_ erklärt: Ich habe an den Zeugen noch einige Fragen richten wollen, aber mit meinem _deutschen Gefühl_ ist es nicht vereinbar, an einen Mann noch Fragen zu stellen, der an Exzellenz Ludendorff eine derartige Bemerkung zu richten sich erlaubt hat. (Bravorufe im Zuhörerraum.) _Oberstleutnant von Berchem_: Ich habe doch nur gesagt, ich glaube, daß auch Exzellenz Ludendorff nach vier Monaten nicht alle Befehle mehr weiß. _Rechtsanwalt Holl_: Das ist eine so _unerhörte Beleidigung meines deutschen Gefühls_, daß ich weitere Fragen unterlasse. Und später: _Justizrat Schramm_: Was diesen Angriff gegen den Hauptmann Röhm betrifft, so werden wir uns an anderer Stelle wiedersehen. _Oberstleutnant von Berchem_ (sich stramm aufrichtend): Dazu bin ich jederzeit bereit. Ein anderer Zeuge, Oberleutnant _Braun_, muß sich dann verantworten, warum er auf die Hitlerleute geschossen habe. Ein ganzes Heer von Zeugen marschierte also auf, um den Beweis zu führen, daß auch die Reichswehrabteilung des Oberleutnants Braun „zuverlässig“ sei und „nicht auf Schwarz-Weiß-Rot schieße“. _Oberleutnant Braun_: Ein Mann erklärte mir, der General von Lossow sei der feigste Hund, den er kenne. Darauf gab ich ihm eine Ohrfeige, daß er taumelte. – Ich habe vor dem dreckigsten Neger im Felde, wenn er tot war, Achtung gehabt. _Rechtsanwalt Holl_: Besteht eine Dienstvorschrift, wonach ein Reichswehroffizier berechtigt ist, einem Zivilisten, der einen Vorgesetzten beleidigt, eine Ohrfeige zu geben? _Oberleutnant Braun_: Diese Vorschrift besteht in meinem Herzen. Endlich traten die Kronzeugen selbst auf den Plan. Kaum größere Gegensätze, als diese drei Herren, die das Triumvirat für den „legalen Staatsstreich“ bildeten. Merkwürdige Vertauschung der Rollen: General _Lossow_, der „unpolitische Militär“, war der einzige, der in seinem ganzen Auftreten, in seinem Gehaben, aber auch in seinen Ausführungen den Eindruck eines Politikers machte; oder noch mehr eines Diplomaten. Sehr selbstbeherrscht, gewinnende Manieren, ein gewandter Polemiker, der genau weiß, wo er mit seiner Rede hinaus will und dessen klare und präzise Antworten einen Mann von starkem Willen und Intellekt verraten. _Kahr_, „der Statthalter des Königs“, nimmt sich neben dem General recht kläglich aus. Ein Provinzler. Untersetzt, mit massigem Bauernschädel, schwerfällig, redeungewandt. Ihm fehlt nicht nur das Feuer des Führers, sondern auch jene Schlagfertigkeit und Sicherheit des Auftretens, die man bei jedem gewiegteren Politiker voraussetzen muß. Ein geradezu bejammernswürdiger Anblick, wie der Herr Staatskommissar gleich einem Häufchen Unglück auf seinem Stuhle vor dem Richtertisch hockte und hilflos den Hagel von Fragen über sich hinweggehen ließ, die gleich spitzen Pfeilen drei Tage lang von den Verteidigern auf ihn abgeschnellt wurden. Aber am Ende des Kreuzverhörs zeigte es sich, daß dieses scheinbar so hilflose Männchen in Wahrheit über eine erstaunliche Zähigkeit verfügte. Nicht einen Augenblick ließen ihn seine Nerven im Stich; je hitziger die Verteidiger, je heftiger Hitler und Ludendorff auf ihn eindrangen, desto kühler wurde Kahr, desto mehr wuchs seine Sicherheit. Und dann kam diese große Szene: _Hitler_: Ich muß darauf zurückkommen, daß mir bis jetzt vorgeworfen wird, ich hätte mein _Ehrenwort_ gebrochen. _Kahr_: schweigt. _Hitler_ (schreiend): Nie und nimmer habe ich mein _Ehrenwort_ gegeben. _Kahr_: Ich habe diesen Eindruck gehabt. _Hitler_ (sehr erregt): Ich behaupte, daß mein sogenanntes gebrochenes _Ehrenwort_ von der anderen Seite glatt erfunden worden ist. _Kahr_: schweigt. _Hitler_ (in höchster Erregung): Der einzige Mensch, der sein Ehrenwort vom 1. Mai gebrochen hat, ist nicht Hitler, sondern der General von Lossow gewesen. _Kahr_: schweigt. _Hitler_ (in höchster Erregung aufspringend): Ich verzichte auf jede _Ehrenerklärung_ von Herrn von Kahr. _Rechtsanwalt Holl_: Dr. Weber versichert auf sein _Ehrenwort_, daß Hitler nicht sein _Ehrenwort_ gegeben hat. Exzellenz, wenn Sie dem _Ehrenwort_ Dr. Webers glauben, wollen Sie dann nicht zur Beruhigung weiter Kreise jetzt sagen, daß Sie sich geirrt haben? _Kahr_ (sehr bestimmt): Ich habe hier keine _Ehrenerklärungen_ abzugeben. In diesem Augenblick war Kahr auf der Höhe der Situation. Er, und nicht Hitler war der Unversöhnliche. Dabei waren die Angeklagten rein taktisch weitaus im Vorteil. Kahr und Lossow kämpften nicht in günstiger Stellung, aber sie konnten auftrumpfen, weil sie sich nur als vorgeschobene Posten einer Armee fühlten, deren Schutz und Hilfe ihnen sicher war. Die bayrische Regierung hatte Kahr vom Dienstgeheimnis nicht befreit, und so saß dieser in aller Seelenruhe da, „konnte sich nicht erinnern“, „verweigerte die Aussage“, „durfte keine Antwort geben“ – – – Vier Tage standen diese drei Kronzeugen im Kreuzverhör. Das Ergebnis war eigentlich recht dürftig. Jedenfalls wurde auch durch ihre Aussage nichts bekannt, was man nicht schon vorher gewußt hätte. Immerhin ergaben sich folgende Momente: _Die Rechtsanwälte_ (zu Kahr): ‚... _Warum_ haben Exzellenz Ehrhardt nicht verhaften lassen?‘ _Hauptmann Heiß_ hat eine Rede in Nürnberg gehalten und den Marsch nach Berlin gepredigt. Es ist gegen ihn Haftbefehl erlassen worden, _warum_ haben Exzellenz diesen Befehl nicht vollziehen lassen? _Warum_ ist eine ganze Reihe von Reichsgesetzen verschiedenster Art unter dem Generalstaatskommissariat außer Kraft gesetzt worden? Wir haben es in drei Fällen damit zu tun, daß Befehle zu Verhaftungen von Leuten in Bayern nicht ausgeführt worden sind. Das mag der Stimmung des bayrischen Volkes entsprochen haben. Die Verteidigung interessiert, ob diese Befehle ausgeführt wurden oder nicht. _Wenn nicht, warum nicht?_ Wir haben den _Fall Roßbach_, dem mitgeteilt wurde, daß der Haftbefehl nicht vollzogen wird. Wir haben den _Fall Ehrhardt_, der von Österreich im Auto kam und von Seißer den bekannten Ausweis erhielt. Ist das alles wahr und richtig? _Wenn ja, warum_ sind diese Befehle in Bayern nicht vollzogen worden? _Auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmung_ hielt sich Kahr befugt, die Absetzung Lossows zu verhindern, die bayrische Reichswehr auf Bayern zu verpflichten? Dabei handelte Bayern, so hieß es damals, als Treuhänder des Reiches. _Wer hat Kahr zum Treuhänder gemacht?_ Hatte Kahr nicht nur die vollziehende Gewalt, sondern schlechterdings auch die gesetzgebende Gewalt? _Wenn nein, wie rechtfertigt_ Kahr seine verschiedenen Gesetzsgebungsakte? _Wer hat angeordnet_, daß das _Reichsbankgold_ der Staatsbank in Nürnberg in dem Augenblicke, als es nach Berlin abgeführt werden sollte, beschlagnahmt wurde, daß die Steuererträgnisse des bayrischen Staates bis auf weiteres nicht an die Reichskasse in Berlin abgeführt werden? _Ist es richtig_, daß er, wie von seinen Mitarbeitern im Generalstaatskommissariat mehrfach zum Ausdruck gebracht worden ist, entschlossen war, den Zusammentritt des Landtages zu verhindern und nötigenfalls das Ministerium abzusetzen? Geht daraus, daß sich Kahr im Falle Lossow auf Verhandlungen mit Berlin nicht einließ, hervor, daß er auch beanspruchte, die Vertretung der Staatspersönlichkeit Bayerns nicht nur nach innen, sondern auch nach außen zu führen? _Mit welchem Rechte_ hat Kahr das getan und wie rechtfertigt sich das mit der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung? _Warum ist nichts getan worden_, um die in der Kahr befreundeten Presse gemachten Ausführungen, daß Kahr nur seinem Gewissen verantwortlich sei, zu widerlegen? _Ist es richtig_, daß Kahr die _Schutzhaft_ verhängen ließ und verfügte, daß diese Haft nach Art der Arbeitssträflinge zu vollziehen ist? Es sind auch Offiziere von der Reichswehr entlassen und versetzt worden, also bis in die _Reichswehr_ hinein hat sich die Machtvollkommenheit erstreckt. _Aus welchen Gründen_ erklären sich diese Tatsachen? _Ist es richtig_, daß Kahr Ende Oktober aufgefordert wurde, die Reichsbefehlsgewalt auf den normalen Zustand wiederherzustellen. _Aus welchen Gründen_ hat Kahr dieses Verlangen der Reichsregierung abgelehnt?“ ... _Kahr_ (antwortet mit keiner Silbe, dann): ... Ich kann von Ministerbesprechungen hier nichts aussagen. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) _Vorsitzender_ verkündet, daß beschlossen wurde, die Zulässigkeit dieser sämtlichen Fragen abzulehnen ... Wesentlich sind folgende Feststellungen: _Polizeioberst Seißer_: Es war damit zu rechnen, daß vom Reich aus Bayern mit einer Sanierungsaktion betraut würde. Tatsächlich ist am 10. Oktober vom Reichswehrministerium der Befehl ergangen, bayrische Reichswehr zur Verwendung in Sachsen bereitzustellen. _Rechtsanwalt Hemeter_: Ist Ihnen davon bekannt, daß für den Fall eines Einmarsches in Sachsen nach Aufruf des Reichswehrministeriums _Ehrhardt_ mit seinen Formationen dort mit als bayrische Notpolizei einrücken sollte? _Kahr_: Die Verständigung sollte an alle _vaterländischen Verbände_ gehen, wenn das Reich rufen würde. _Rechtsanwalt Hemeter_: Glaubte der Zeuge, daß die maßgebenden Stellen in Berlin die Verwendung Ehrhardts unter dem Mantel der Notpolizei zugelassen hätten, nachdem doch in Sachsen _Haftbefehl_ gegen ihn erlassen war? _Kahr_: Ehrhardt brauchte ja nicht selbst hinzugehen. _Justizrat Schramm_: Ist Exzellenz bekannt, daß am 9. November nachmittags eine Depesche nach Berlin ging, in der für die angebotene Reichswehrhilfe zur Niederschlagung des Hitlerputsches gedankt und die Erwartung ausgesprochen wurde, daß durch die Niederschlagung des Putsches der Fall Lossow-Seeckt erledigt sein werde. _Kahr_: Von General von Seeckt wurde militärische Hilfe angeboten, ich habe aber gedankt. Den Wortlaut habe ich nicht im Gedächtnis. Und nun wollen wir hören, was es mit dem „legalen Staatsstreich“ der Herren Lossow und Kahr auf sich hat. Darüber sagten sie folgendes: _Lossow_: Die Herbeiführung dieses Direktoriums war nicht gedacht als Putsch, sondern auf Grund der Möglichkeit, die Artikel 48 der Verfassung gibt. An der Spitze sollte ein Mann sein, der einen Namen, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland hatte. Eine erste Autorität sollte die Finanzen und Währung sanieren, eine andere Autorität die Staatsbetriebe, Eisenbahn, Post usw. in Ordnung und zu Erträgnissen bringen, eine weitere den gesamten Staatsapparat von den Revolutionsgewinnlern säubern, eine weitere Autorität für die Ernährung sorgen. Es waren auch sanierende Wirtschaftsmaßnahmen vorgesehen durch Beseitigung des Achtstundentages und durch Beseitigung des herrschenden Einflusses der Trusts und Gewerkschaften. Ein kleiner Teil dieses Programms ist ja in den letzten Monaten unter dem Reichsausnahmezustand und unter einer Art von Diktatur durchgeführt worden. – Ich habe erfahren, daß auf diesen Reichsausnahmezustand schon längere Zeit Vorbereitungen getroffen wurden. – – Ich war ja kein berufsloser Komitatschi, der glaubt, durch einen Putsch zu Ehren und Würden zu kommen. – – – Ich sprach mit General Ludendorff, der damals den ganzen Plan dieses Direktoriums als die Patentlösung bezeichnete. Und _Kahr_ erzählt: „Ich sprach davon, daß wir im Reich eine starke national gerichtete Regierung brauchen und dies könne entweder auf dem normalen Wege der parteipolitischen Entwicklung erreicht werden – ich hätte ja dazu kein besonderes Vertrauen – der zweite Weg sei der anormale, ein Druck durch die Machtfaktoren im Reich, besonders durch Landwirtschaft und Industrie.“ _Rechtsanwalt Holl_: Was besteht für ein Unterschied zwischen dem Vormarsch auf Berlin und einem Druck auf Berlin? _Kahr_: Der Vormarsch nach Berlin ist eine Unternehmung, der Druck ist eine rein politische Aktion. _Justizrat Kohl_: Mit welchen Männern ist in Norddeutschland verhandelt worden? _Kahr_: Mit Minoux, Großadmiral Tirpitz, Admiral Scheer und Herrn von Knebel. _Justizrat Kohl_: Worin sollte der Druck der Industrie, des Handels und der Landwirtschaft bestehen? Was ist darüber gesprochen worden, wie man diesen Druck ausüben will? _Vorsitzender_: Die Frage, wie weit die Vorbereitungen getroffen und gediehen waren, ist unnötig. _Justizrat Kohl_: Ich bitte, das, was ich auszuführen habe, ruhig und sachlich mit anzuhören. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht erkennen offenbar die Zusammenhänge nicht, die zwischen der Aktion in München und zwischen der in Norddeutschland vorbereiteten großen Aktion bestanden haben. So oft hier die Rede auf den Justizrat Claß kommt, hüllen alle Zeugen sich in Schweigen. Die Bewegung vom 8. November ist aber nur erklärlich, wenn man weiß, daß Herr Kahr von Justizrat Claß seine festumrissenen Aufträge hatte. Die Herren Seeckt und Claß müssen hier vernommen werden über das, was in Norddeutschland geplant war und wozu die Vorgänge in München am 8. und 9. November eben nur den Auftakt bilden sollten. _Hitler_: Exzellenz Lossow mögen mir bekanntgeben, wer der Urheber des Gedankens vom Direktorium ist und mit wem der General Lossow verhandelt hat. _Vorsitzender_: Herr Staatsanwalt, haben Sie hierzu einen Antrag zu stellen? _Staatsanwalt_: Nein, ich kann in diese dunklen Zusammenhänge nicht hineinsehen. Hierauf zieht sich das Gericht zurück, um über die Frage zu entscheiden, ob der von Hitler und Justizrat Kohl angeschnittene neue Komplex öffentlich oder überhaupt erörtert werden kann. Nach längerer Pause verkündet der Vorsitzende folgenden Gerichtsbeschluß: „Die von dem Angeklagten Hitler an den Zeugen gestellte Frage wird nicht zugelassen. Die Angeklagten haben selbst behauptet, daß der erste Grund zu ihrer Bewegung erst am 6. November, abends, ohne jede Vorbereitung entstanden ist. Die Frage nach Urheberschaft des Direktoriumsgedankens und nach dem Zusammenhang zwischen der dahingehenden Bewegung in Nord- und Süddeutschland kann als mit der Tat der Angeklagten nicht in einem inneren Zusammenhang stehend nicht zugelassen werden.“ Und als die Verteidigung sich mit diesem Beschluß nicht zufriedengeben wollte, als ihre Angriffe an Heftigkeit zunahmen und so die Gefahr bestand, daß tatsächlich eine der letzten Hüllen fallen könnte, da brach der Vorsitzende das grausame Spiel mit dieser Erklärung ab: „Nach Auffassung des Gerichts ist die Frage der Ernstlichkeit oder Nicht-Ernstlichkeit der Zustimmung der Herren Kahr, Lossow und Seißer zum Putsch nicht von Bedeutung für die Schuldfrage im gegenwärtigen Prozeß, sondern lediglich die Frage, ob die Herren Angeklagten an die Ernstlichkeit geglaubt haben. Und das muß ihnen wohl konzediert werden.“ Die Verteidigung hatte eine wichtige Schlacht gewonnen. Und wieder Geplänkel: _Rechtsanwalt Holl_: Warum haben Exzellenz als Inhaber der vollziehenden Gewalt die Schrift von Rothenbücher verboten, aber nicht das weiß-blaue Schriftchen „veni, vidi, vici“? _Kahr_: Ich bin der Anschauung, daß zwischen beiden ein wesentlicher Unterschied ist. Ich habe die erste Schrift nicht ganz gelesen, und die andere habe ich auch nicht gelesen. _Lossow_ aber erklärt mit Emphase: „Ich habe schon gesagt, daß der General Lossow wider Wunsch und Willen in die Politik hineingekommen ist, und daß der General Lossow mit Sehnsucht den Tag erwartet hat, daß er wieder verschwinden kann. – – – Wer die Autorität des Staates zu Tode marschieren will, der wird manu militari zur Vernunft bekehrt – und wenn Blut fließt.“ Nach Beendigung des Zeugenverhörs trat das Gericht noch einmal in die Prüfung der Frage ein, welche Rolle General Ludendorff beim Putsch gespielt habe. Das Verhör hatte folgenden Abschluß: _Vorsitzender_: Sie haben die Errichtung eines nationalen Reichsdirektoriums als Patentlösung aufgefaßt. Haben Sie noch am 8. November abends an diese Lösung gedacht? _Ludendorff_: Einzig und allein. _Vorsitzender_: Sie wußten doch aber von der Verhaftung der bayrischen Minister? _Ludendorff_: Nein, das wußte ich nicht. _Vorsitzender_: Haben Sie auch an den Marsch nach Berlin nicht geglaubt, als am 8. November abends Hitler im Bürgerbräu von dem Marsch nach dem Sündenbabel Berlin sprach? _Ludendorff_: Nein. _Vorsitzender_: Sie haben von der Absetzung des Reichspräsidenten nichts gewußt? _Ludendorff_: Nein. _Vorsitzender_: In dieser Darstellung, Exzellenz, besteht ein gewisser Widerspruch zu Ihren früheren Angaben. Wie kommt das? _Ludendorff_: Meine erste Aussage wird meiner damaligen Auffassung entsprochen haben. Heute ist meine Auffassung so. _Rechtsanwalt Luitgenbrune_: Haben sich denn Eure Exzellenz irgendwie bedacht, wie die Diktatur einzurichten ist? _Ludendorff_: Darüber habe ich nicht nachgedacht. _Vorsitzender_: Es war also für Sie die neue Regierung keine endgültige Bildung, sondern nur eine Vorbereitungsmaßnahme? _Ludendorff_: Selbstverständlich. General Ludendorff wußte also von gar nichts. Und was er wissen durfte, hatte ihm der Vorsitzende gefällig in den Mund gelegt. DIE PLAIDOYERS Das Münchener Volksgericht, vor dem die Verhandlung gegen Hitler, Ludendorff und Genossen stattfand, mußte noch vor dem 1. April das Urteil fällen, da nach einem langwierigen Kampf zwischen Reich und Bayern für diesen Zeitpunkt die Aufhebung der Volksgerichte beschlossen war. Hätte die Verhandlung nicht Ende März abgeschlossen werden können, so hätte man den ganzen Prozeß an den Leipziger Staatsgerichtshof abtreten müssen, der ihn gewiß anders geführt hätte und zu wesentlich anderen Ergebnissen gelangt wäre als das Münchener Volksgericht, das nach einer besonderen Prozeßordnung arbeitete, die das Verfahren sehr vereinfachte und dem Vorsitzenden des Gerichts und der Staatsanwaltschaft besonders weitgehende Kompetenzen einräumte. Es ist also verständlich, daß sich das Gericht beeilte, noch vor Ende März zum Schluß zu kommen. Die Beweisaufnahme konnte denn auch am 18. März geschlossen werden. Der Staatsanwalt erhob sich zu seiner Anklagerede, die allgemeine Überraschung hervorrief. Hatte er doch im Verlauf der Verhandlung einmal in größter Erregung den Sitzungssaal fluchtartig verlassen, um gegen die fortgesetzten heftigen persönlichen Angriffe der Verteidiger und den nicht genügenden Schutz des Vorsitzenden zu demonstrieren. In seiner Anklagerede aber trat er ganz auf die Seite des Vorsitzenden, zeigte sich von ehrlichem Verständnis und Mitgefühl für die Taten der Angeklagten und ihre politische Einstellung. Er „bedauerte vom vaterländischen Standpunkt zutiefst die Spaltung zwischen den rechtsstehenden Organisationen“, sah einen „zweiten schädlichen Standpunkt in dem brennenden Eifer der Jugend“, und setzte dann fort: „Aus einfachen Verhältnissen ist Hitler der Begründer einer großen Partei geworden. Sein Bestreben, in einem unterdrückten Lande das Nationalgefühl zu erwecken, bleibt sein _Verdienst_. So ist er _kein Demagoge_ im schlechten Sinne des Wortes. Hitler ist _hochbegabt_ und gibt sich seiner Idee bis zur _Selbstaufopferung_ hin. Als Menschen können wir Hitler unsere _Hochachtung_ nicht versagen.“ Und nun zu _Ludendorff_: „General Ludendorff hat sich auch da, wo er gegen das Gesetz verstieß, als _ganzer deutscher Mann_ erwiesen. Sein _Feldherrnruhm_ bleibt unberührt. _Ein großer Mann!_ Er hat sich zwar der Beihilfe schuldig gemacht, demgegenüber steht die Reinheit seines Wollens und die Dankesschuld des Vaterlandes gegen den großen Feldherrn.“ Und in dieser Tonart ging’s zwei Stunden weiter: Bei Pöhner ist es unschön aufgefallen, daß er sich als oberster Richter des Hochverrats rühmte. Aber er glaubte ehrlich an den Sieg der völkischen Sache und hat sich im Krieg und im Frieden sehr bewährt. Der Angeklagte Röhm hat der Staatsverfassung mit offener Gewalt Widerstand geleistet, obwohl er aktiver Reichswehroffizier gewesen ist; das ist strafverschärfend, aber zu seinen Gunsten spricht, daß er an die völkische Sache glaubte. Er hat sich also nur der Beihilfe schuldig gemacht.“ Hierauf stellte Staatsanwalt Stenglein folgenden Strafantrag: Ich beantrage, sämtliche Angeklagte schuldig zu sprechen, und zwar Hitler, Pöhner, Kriebel und Dr. Weber wegen gemeinschaftlichen Hochverrats aus §§ 81 und 82 St.G.B., General Ludendorff, die Angeklagten Frick, Röhm, Brückner, Wagner und Pernet der Beihilfe zum Hochverrat. Im einzelnen beantrage ich gegen Hitler acht Jahre Festung, gegen Pöhner, Kriebel und Dr. Weber je sechs Jahre Festung, gegen Ludendorff zwei Jahre Festung (große Bewegung im Saal), gegen die Angeklagten Frick und Röhm je zwei Jahre Festung, gegen Brückner und Wagner je ein Jahr sechs Monate, gegen Pernet ein Jahr drei Monate Festung. Die erlittene Untersuchungshaft ist allen Angeklagten in voller Höhe anzurechnen. Die Angeklagten gaben hierauf folgende Erklärung ab: _Oberstleutnant Kriebel_: „Was ich getan habe, halte ich für richtig. Ich würde es heute nochmals tun. Nur durch die Tat kann Deutschland geholfen werden. Unsere Tat ist gescheitert an der Lüge und dem Wortbruch dreier ehrgeiziger Gesellen. _Oberlandesgerichtsrat Pöhner_: „Ich habe ein gutes Gewissen und schäme mich meiner Tat nicht. Ich mache Anspruch darauf, daß unsere Tat vor Gericht entsprechend bewertet wird. Inwieweit das Gericht die Bestimmungen des Hochverrats auf uns anwendet, hängt davon ab, wie es zu den echten und tiefen Problemen des Staates steht. Der Staatsanwalt hat mein Verhalten in besonderem Maße belastet, weil ich als hoher Richter meine Treupflicht verletzt hätte. Das weise ich entschieden zurück. Was war denn das für ein Staat, der im November 1918 geschaffen wurde? Dieser Volksbetrug ist von Juden, Deserteuren und bezahlten Landesverrätern verübt worden. Diese Regierung ist keine von Gott gewollte Obrigkeit im christlichen Sinne. Exotische Machthaber sind diese rassefremden Gesellen. Der sogenannte Reichspräsident ist nicht vom Volk gewählt, sondern von einem Klüngel auf den Thron gesetzt. Er hat Hochverrat getrieben, wie ein Verfahren bewiesen hat. Wer von den Beamten ist denn bereit, für die neue Obrigkeit zu kämpfen und zu sterben? Ich habe diese Frage einem Ministerialdirektor in Berlin vorgelegt, ob er bereit sei, für den Ebertfritzen zu sterben. Das verneinte er, und so ist diese Obrigkeit für mich erledigt. Ich bekämpfe sie und habe diese Anschauung meinem Vorgesetzten sogar schriftlich gegeben, als man mich über den Staatsgerichtshof und das Republikschutzgesetz befragte. Ich sollte vor dem Staatsgerichtshof erscheinen, vor dem Revolutionstribunal, dem ich keinen Gehorsam schulde. Ich habe das abgelehnt. Das Republikschutzgesetz ist nur unter der Falschheit der Volksvertreter durch den Druck der Straße entstanden. Das Justizministerium, dem ich meine Auffassung unterbreitete, hat mein Fehlen vor dem Staatsgerichtshof entschuldigt. Was ich getan habe, tue ich jederzeit noch einmal.“ _General Ludendorff_ gab folgende Erklärung ab: „Mein Handeln in jenen kritischen Tagen an der Seite meiner Freunde steht geradlinig vor Ihnen. Kraft meines historischen Rechtes möchte ich einige Worte an Sie richten: Man sieht in mir „Tannenberg“, man sieht in mir andere große Schlachten, man erblickt in mir den Vertreter des alten Heeres, an das sich ewiger Ruhm bindet. Was Sie aber nicht sehen, ist meine Lebensarbeit, ist mein Ringen und Kämpfen um die Zukunft des deutschen Volkes. Die Weltgeschichte schickt Männer, die für ihr Vaterland gekämpft haben, nicht auf Festung, sondern sie schickt sie nach Walhall. Ich erhebe vor aller Welt nochmals meine Stimme und rufe Ihnen in ernstester Stunde zu: Wenn die völkische Bewegung sich in Deutschland nicht durchsetzt, sind wir verloren für ewige Zeiten, dann droht uns Versklavung an Frankreich. Wir werden ausgestrichen aus der Reihe der Nationen. Hören Sie diesen Schrei der deutschen Seele nach Freiheit. Geben Sie diese Männer, die vor Ihnen sitzen, dem Volke wieder. Denn die Aufgabe dieser Männer ist es, das Volk zu erziehen. Nicht das Wort, nur die Tat kann Weltgeschichte machen. _Hitler_: Wie klein denken doch kleine Menschen! Was mir als Ziel vor Augen stand, ist tausendmal größer als etwa Minister zu werden. Was ich werden wollte, das war der Zerbrecher des Marxismus, und wenn ich diese Aufgabe löse – und ich werde sie lösen – dann ist der Titel eines Ministers eine Lächerlichkeit – – Die Geschichte spricht uns frei! _Rechtsanwalt Holl_: Man ist hier in Bayern gegen den „Preußen Ludendorff“ vorgegangen, sogar das Wort „Saupreuße“ ist gefallen ... Armes, deutsches Volk! Wohin bist du gesunken, daß dein größter Sohn sich so etwas sagen lassen muß. (Rührung und Weinen im Zuhörerraum.) Die neue Reichsverfassung hat in Bayern nie Geltung gehabt. So wenig wie ein sozialdemokratischer Parteitag hatte die Nationalversammlung das Recht, Bayern eine Verfassung aufzuzwingen ... (!) War es nicht ein Fingerzeig Gottes, daß gerade die Führer der Bewegung bei dem Blutbad (!) (an der Residenz) unverletzt geblieben sind? _Justizrat Kohl_: Wir bitten nach dieser Rede, heute vorläufig eine Pause eintreten zu lassen, da jeder Mann, auch das Gericht, über das, was der Kollege Holl sagte, ernsthaft nachdenken muß; denn es ist die Zukunft Deutschlands. _Vorsitzender_: Eine derartige Bemerkung Ihrerseits war vollkommen überflüssig. _Rechtsanwalt Roder_ (im Namen der Verteidigung) bittet um Vertagung, da die Angeklagten „zu ergriffen“ sind und sich „leidend fühlen“. Darauf wird die Verhandlung tatsächlich vertagt, auf daß die goldenen Worte Ludendorffs reiflich überlegt werden konnten. DAS URTEIL Am 1. April, vormittags 10 Uhr 5 Minuten, verkündete der Vorsitzende des Volksgerichts München I nachstehendes Urteil: Die Angeklagten Hitler, Pöhner, Kriebel, Weber werden wegen Hochverrats zu je 5 Jahren Festungshaft sowie zu einer Geldstrafe von je 200 Goldmark verurteilt. Die erlittene Untersuchungshaft wird angerechnet bei Hitler mit 4 Monaten 2 Wochen, bei Weber mit 4 Monaten 3 Wochen, bei Pöhner und Kriebel mit je 2 Monaten 2 Wochen. Die Angeklagten Röhm, Frick, Brückner, Pernet und Wagner werden wegen Beihilfe zum Hochverrat zu je 1 Jahr 3 Monaten Festungshaft und zu einer Geldstrafe von je 100 Goldmark verurteilt. Die erlittene Untersuchungshaft wird bei Röhm und Frick mit je 4 Monaten 3 Wochen, bei Brückner mit 4 Monaten 1 Woche, bei Pernet und Wagner mit je 2 Monaten 3 Wochen angerechnet. Sämtliche vorgenannten Angeklagten werden zu den Kosten des Verfahrens verurteilt. Der Angeklagte General Ludendorff wird von der Anklage des Hochverrats freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens werden, soweit er in Frage kommt, der Staatskasse auferlegt. Die Haftbefehle gegen Frick, Röhm und Brückner werden mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Die Angeklagten Brückner, Röhm, Pernet, Wagner und Frick erhalten für den Strafrest Bewährungsfrist bis zum 1. April 1928. Den Angeklagten Hitler, Pöhner, Weber und Kriebel wird nach Verbüßung eines Strafteiles von 6 Monaten Festungshaft Bewährungsfrist für den Strafrest in Aussicht gestellt. Die Verurteilung sowohl wie der Freispruch erfolgten mit 4 Stimmen. Nach der Verkündung des Urteils erhoben sich die Zuhörer und brachen in stürmische Huldigungskundgebungen für die Angeklagten aus. Nur mit Mühe konnte ihnen ein Ausgang aus dem Saal gebahnt werden. Unabsehbare Menschenmengen füllten die Straßen vor der Infanterieschule. Besonders General Ludendorff wurde stürmisch gefeiert. Als er auf die Straße trat, empfingen ihn laute Heilrufe. Dann rief man nach Hitler, der schließlich an ein Fenster der Infanterieschule trat, um sich den unten Harrenden zu zeigen. Im blumengeschmückten Auto, das eine große Hakenkreuzfahne trug, fuhr Ludendorff in seine Villa, während die anderen Angeklagten in die Festung Landsberg überführt wurden. * * * * * Es war kein langer und gewiß auch kein unangenehmer Aufenthalt. Der erste, der die Festung verließ, war Poehner, der auf Grund eines ärztlichen Attestes als urlaubsbedürftig erklärt wurde und seine durch die Verhandlung angegriffene Gesundheit auf einem Landgute in der Nähe Münchens erfolgreich wiederherzustellen bemüht war. Die anderen wurden _nach sechs Monaten_ Haft in Freiheit gesetzt. Eine Amnestie bannte vollends jede Gefahr einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Und so bleibt zum Schluß nur noch festzustellen, daß der Paragraph 81 des deutschen Strafgesetzbuches jeden mit _lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungshaft_ bedroht, der es unternimmt „die Verfassung des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates – – – – gewaltsam zu ändern.“ Bei mildernden Umständen kann auf _Festung nicht unter fünf Jahren_ erkannt werden. Der Paragraph 83 des Strafgesetzbuches fügt dem hinzu: Haben mehrere die Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens verabredet, ohne daß es zum Beginn einer – – – – – strafbaren Handlung gekommen ist, so werden dieselben mit Zuchthaus nicht unter 5 Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter zwei Jahren ein. Aus der Gegenüberstellung des Urteils und der gesetzlichen Bestimmungen die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, muß man sich ebenso versagen, wie die Gegenüberstellung des Urteils im Hitlerprozeß mit den Schreckensurteilen, die gegen links gefällt worden sind. Kein Pathos und kein Protest, nicht die flammendsten Appelle hätten die Beweiskraft der erschütternden Sprache, die eine nüchterne Statistik dieser Urteile redete. Doch diese Statistik kann hier leider nicht veröffentlicht werden. Sie würde ein dickes Buch füllen. Und so sei nur noch, um diese ganze Tragikomödie, die sich republikanische Rechtsprechung nennt, auf das Niveau der grotesken Farce zu heben, als welche die Zeit, in der wir zu leben verurteilt sind, immer wieder erscheint, zur Kenntnis genommen, daß die deutschen Richter auf ihrer Reichstagung ausdrücklich erklärt haben, in Deutschland gebe es so etwas wie eine Klassenjustiz nicht. Mit diesem stolzen Richterspruch findet die Justizkomödie des Hitler-Prozesses erst ihren einzig würdigen Epilog. In der Sammlung AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART – sind bis jetzt folgende Bände erschienen: Band 1: ALFRED DÖBLIN DIE BEIDEN FREUNDINNEN UND IHR GIFTMORD Band 2: EGON ERWIN KISCH DER FALL DES GENERALSTABSCHEFS REDL Band 3: EDUARD TRAUTNER DER MORD AM POLIZEIAGENTEN BLAU Band 4: ERNST WEISS DER FALL VUKOBRANKOVICS Band 5: IWAN GOLL GERMAINE BERTON, DIE ROTE JUNGFRAU Band 6: THEODOR LESSING HAARMANN, DIE GESCHICHTE EINES WERWOLFS Band 7: KARL OTTEN DER FALL STRAUSS Band 8: ARTHUR HOLITSCHER DER FALL RAVACHOL Band 9: LEO LANIA DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS Band 10: FRANZ THEODOR CSOKOR SCHUSS INS GESCHAEFT (DER FALL OTTO EISSLER) Band 11: THOMAS SCHRAMEK FREIHERR VON EGLOFFSTEIN Mit einem Vorwort von ALBERT EHRENSTEIN Band 12: KURT KERSTEN DER MOSKAUER PROZESS GEGEN DIE SOZIALREVOLUTIONÄRE 1922 Band 13: KARL FEDERN DER PROZESS MURRI-BONMARTINI Band 14: HERMANN UNGAR DIE ERMORDUNG DES HAUPTMANNS HANIKA Ferner erscheinen noch Bände von: HENRI BARBUSSE, MARTIN BERADT, MAX BROD, E. I. GUMBEL, WALTER HASENCLEVER, GEORG KAISER, OTTO KAUS, THOMAS MANN, LEO MATTHIAS, EUGEN ORTNER, JOSEPH ROTH, RENÉ SCHICKELE, JAKOB WASSERMANN, ALFRED WOLFENSTEIN. OHLENROTH’SCHE BUCHDRUCKEREI ERFURT Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 48]: ... Daß Kahrs Kampfansage an den „marxistische ... ... Daß Kahrs Kampfansage an den „marxistischen ... [S. 54]: ... gez. Fr. Seldie, 1. Bundesvorsitzender. ... ... gez. Fr. Seldte, 1. Bundesvorsitzender. ... [S. 119]: ... sind diese Befehle in Bayern nicht vollzogen worden. ... ... sind diese Befehle in Bayern nicht vollzogen worden? ... *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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