The Project Gutenberg eBook of Der Hitler-Ludendorff-Prozeß
    
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Title: Der Hitler-Ludendorff-Prozeß

Author: Leo Lania

Editor: Rudolf Leonhard

Release date: March 24, 2025 [eBook #75700]

Language: German

Original publication: Berlin: Die Schmiede, 1925

Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS ***



                     AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT
                    – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –




                              AUSSENSEITER
                            DER GESELLSCHAFT
                    – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –


                           HERAUSGEGEBEN VON
                            RUDOLF LEONHARD

                                 BAND 9


                          VERLAG DIE SCHMIEDE
                                 BERLIN




                     DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS


                                  VON
                               LEO LANIA


                          VERLAG DIE SCHMIEDE
                                 BERLIN


                             EINBANDENTWURF
                              GEORG SALTER
                                 BERLIN


              Copyright 1925 by Verlag Die Schmiede Berlin




                                 PROLOG


                             MÜNCHENER SPUK

Ich überschritt die bayrische Grenze an einem sehr bedeutungsvollen Tag
im Oktober 1923. Der neue Diktator, der Generalstaatskommissar von Kahr
hatte sich endlich zu der Tat entschlossen, der – wie die völkische
Presse in großen Lettern verkündete – „alle vaterländischen Kreise
Bayerns“ mit Spannung harrten: das Generalkommissariat hatte mit
sofortiger Wirkung die Bierpreise herabgesetzt; „was wird darob unter
den Bierjuden für e Geheul und Zähneknirschen sein“ triumphierte das
„Bayrische Vaterland“, das Blatt des Herrn von Kahr.

Tatsächlich wurde diese Neuigkeit, wie ich aus den erregten
Zwiegesprächen meiner Mitreisenden – zweier Bewohner der Miesbacher
Gegend – feststellte, mit großer Zustimmung aufgenommen. Nur das mit den
Bierjuden konnte nicht ganz stimmen, denn im anderen Blatt Kahrs, im
„Bayrischen Kurier“, der doch gewiß einer Begünstigung der Juden
unverdächtig schien, war am gleichen Tag eine lange Erklärung des
bayrischen Brauerbundes zu lesen, die als Folge der verordneten
Zwangsbierpreise den „baldigen Zusammenbruch des wichtigsten und
bodenständigsten bayrischen Gewerbes“ voraussagte. Auf jeden Fall aber
hatte mit seiner letzten Verordnung Herr von Kahr seinen Widersacher
Hitler in puncto Volkstümlichkeit um eine Nasenlänge geschlagen.

                   *       *       *       *       *

Der Kampf Hitlers gegen Kahr hatte gerade in jenen Tagen seinen
Höhepunkt erreicht und fand sein lautes Echo in der großen völkischen
Presse. Und es gab damals in Bayern eigentlich nur eine völkische
Presse. Die Zeitungen unterschieden sich dadurch, daß eine noch
völkischer war als die andere, was sie nicht hinderte, samt und sonders
mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß zu stehen. Die demokratischen
Kreise des deutschen Bürgertums hatten trotz wiederholten Versuchs nicht
vermocht, in München ein bedeutenderes linksgerichtetes Blatt
herauszugeben. In der drittgrößten Stadt Deutschlands gab es keine
einzige Zeitung, – von der sozialdemokratischen „Münchener Post“
abgesehen, – die für die Republik eingetreten wäre und auch die
„Münchener Post“ ist, rein journalistisch betrachtet, die am
schlechtesten redigierte sozialdemokratische Zeitung im ganzen Reich,
kaum mehr als ein Provinzblättchen. Und so dämmerte im Fremden, der zum
ersten Mal in jenen Tagen nach München kam, die Erkenntnis, daß das
Problem der bayrischen Reaktion zum großen Teil auch ein Problem der
Presse ist.

                   *       *       *       *       *

„Bayern und Reich“, das vaterländische Wochenblatt der Kahr’schen
Kampfverbände enthüllte die Ursache der Zwietracht im völkischen Lager:

„Wir sind objektiv genug, zu sagen, das ist nicht Hitler’scher Geist,
sondern der Fluch seiner Umgebung: hier weht zweifelsohne ein
semitischer Wind. Immer dieselbe Methode: wie sich das Judentum in den
Friedländer, Rathenau, Ballin usw. an Wilhelm II. herangemacht hat, so
sehen wir auch heute wieder Gestalten mit semitischem Äußern im Stabe
Hitlers. Immer dasselbe traurige Spiel nach jüdischem Rezept:
Byzantismus und Speichelleckertum lähmten Wilhelms Schaffensfreude und
-willen und zeitigten seinen verhängnisvollen Größenwahn. Und heute
erscheint Hitlers Kopf im „Völkischen“ und sein Bild wird in
marktschreierischer Form durch die Presse zum Verkauf feilgeboten.“

Folgten die Namen der Verbände, die von Hitler abgefallen und zu Kahr
übergegangen waren.

Das „Heimatland“, das Organ des Hitlerschen „Deutschen Kampfbundes“,
spie darob Gift und Galle, erklärte die Meldungen vom Übertritt als Lüge
und wartete seinerseits mit Enthüllungen über „hinterhältige
Spaltungsmanöver gewisser Kreise um Kahr“ auf.

Da war es erfrischend, den „Miesbacher Anzeiger“ vorzunehmen, in dessen
Spalten gewiß kein semitischer Wind, sondern der trauliche Düngergeruch
des bayrischen Kuhstalls wehte. Die Leitaufsätze des „Miesbacher“
schlugen jeden Rekord, schimpften rechts und schimpften links und
forderten die Partei des Herrn von Kahr auf, „ihre Führer tüchtig
dazwischenzunehmen“; zu Kahrs Regentschaft hatte der „Miesbacher“ kein
rechtes Vertrauen, aber zum Schluß wurde er doch gepriesen, da er „das
Volkskönigtum der Wittelsbacher, nach dem sich das Bayernvolk sehnt,
ersiegen soll.“

Nun wußte der Fremde überhaupt nicht mehr ein noch aus und nur, daß er
als nichtgelernter Bayer da eben nicht mitkonnte. Er trat in das
königliche Hofbräuhaus ein.

Und sah: an den langen Tischen müde, verhärmte, elend gekleidete
Gestalten. Ein niederschmetternd-trauriges Bild. Die Männer dösen
stumpf, schläfrig in dem Tabaksqualm, der wie eine schwere Wolke über
dem riesigen Saal hängt. Boden, Bänke, Tische starren von Schmutz.

Mitten durch dies Gewirr von Menschen drängen sich zerlumpte,
verhungerte Gestalten und suchen gierig die stehengebliebenen
Speisereste – Knochen, Wursthäute – nicht völlig geleerte Bierkrüge zu
ergattern, die sie heimlich leeren.

Als der Fremde einem solchen armen Teufel, dem der Hunger aus
eingesunkenen, erloschenen Augen blickte, zwei Semmeln zuschob, gaffte
er ihn ein paar Sekunden verständnislos an: „Ist das für mich?“ Der
hatte wohl noch nie gebettelt.

Man kommt ins Gespräch: ein Metallarbeiter, seit Wochen arbeitslos,
hoffnungslos. Wann es wohl anders werden wird? Er will von keiner Partei
mehr etwas wissen, keine tut etwas zur Besserung. Aber Hitler wird es
schaffen, noch in diesem Winter. Das ist ein Kerl!

                   *       *       *       *       *

Die Masse solcher entwurzelter, verzweifelter Existenzen bildete Hitlers
Gefolgschaft. Sie war nicht klein. Es lohnte sich, den Führer kennen zu
lernen.


                           BESUCH BEI HITLER

Der „Völkische Beobachter“, das offizielle Organ der
nationalsozialistischen Arbeiterpartei Hitlers, war verboten. Eine
Umfrage nach der Adresse dieses Blattes schien mir zu auffällig – und in
München war es nicht rätlich aufzufallen – und so begab ich mich zum
„Heimatland“, dem Wochenblatt der Hitlerschen Kampfverbände, das an
Stelle des „Beobachters“ dreimal wöchentlich erschien und im
Straßenhandel stark verkauft wurde.

Im ersten Stock eines neuen Hauses am Sendlinger-Tor-Platz befand sich
die Schriftleitung des „Heimatland“. Auf meine Bitte, einen der Herren
Redakteure sprechen zu können, erklärte mir das empfangende Fräulein,
„der Herr Hauptmann“ sei in einer Sitzung. Im weiteren Verlauf meiner
Unterhaltung stellte ich dann fest, daß dieses Blatt überhaupt nicht von
Redakteuren, sondern von Offizieren redigiert wurde. Nach längeren
Verhandlungen verriet mir das Fräulein zögernd, daß „der Herr Hauptmann“
mit dem „Herrn Kapitänleutnant“ zu Hitler gegangen seien, den ich am
besten in der Schillingstraße 39 „im Oberkommando“ antreffen könnte und
sie schärfte mir noch ein, unter keinen Umständen zu verraten, daß ich
die Adresse von ihr empfangen hätte.

Die Schillingstraße ist eine stille Vorstadtgasse, etwa zehn Minuten von
der Pinakothek entfernt. Als ich in die Gasse einbiege, fällt mir ein
mächtiges Tourenauto auf, wie es im Feld nur die Offiziere vom Stab zur
Verfügung hatten. In den Geschäften prangen Photographien Hitlers in
Lebensgröße, Bilder von den Paraden der Hakenkreuzler und völkische
Druckschriften. Ich bin zur Stelle. Im Hause Nummer 39 befindet sich im
ersten Stockwerk die Schriftleitung des „Völkischen Beobachters“,
daneben das „Oberkommando“. Im Hof sind in einer Garage noch mehrere
große Benzwagen eingestellt, die alle im Dienste des Hitlerschen Stabes
stehen.

Im Vorzimmer halten etwa ein Dutzend junger Burschen in der alten
österreichischen Uniform Wacht.

Auf meine Frage, ob ich einen Herrn der Schriftleitung sprechen könne,
werde ich in ein anderes Zimmer gewiesen, wo die Abfertigung der Kuriere
erfolgt und die Telephonzentrale untergebracht ist. Ein Plakat der
kommunistischen Partei „Bildet proletarische Hundertschaften!“ ziert den
kahlen Raum und soll wohl besonders aufreizend wirken. Eine große
Wandkarte Deutschlands zeigt die Verteilung der hakenkreuzlerischen
Verbände und ihre Aufmarschbewegung. Die Pfeile weisen nach Norden gegen
Sachsen und Thüringen. Um Nürnberg sind besonders viele Kampfgruppen
eingezeichnet; wie ich später aus Gesprächen der einzelnen Unterführer
heraushörte, sollte dieser Raum das Hauptaufmarschgebiet im Falle des
Putsches sein, damit die dortige Arbeiterschaft von vornherein „unter
Druck genommen“ werden und die Hitlerschen Truppen nach dem Losschlagen
nicht erst gezwungen sein sollten, „in Bayern selbst einen Riegel
durchbrechen zu müssen.“

Obwohl man mich weiter nicht beachtet, fühle ich mich inmitten all
dieser meist bewaffneten Jünglinge ziemlich unbehaglich. Da öffnet sich
die Tür und ein älterer Mann, gleichfalls in österreichischer Uniform,
bittet mich, einzutreten. Es ist Herr Stolzing, ein Redakteur des
„Völkischen Beobachters“, dessen Name nicht darüber täuschen kann, daß
er eigentlich Cerny heißt und in der Tschechoslovakei beheimatet ist.
Jetzt ist er ein begeisterter Verehrer Hitlers und weiht mich, nachdem
ich mich mit einer fingierten Legitimation als Parteigänger Mussolinis
und Korrespondent eines faschistischen Blattes ausgewiesen habe, sehr
entgegenkommend in Hitlers fernere Pläne ein. Seine Erklärungen
eröffnete er mit einem Vortrag über die deutsche Politik im allgemeinen
und den passiven Widerstand im Ruhrgebiet im besonderen.

„Der passive Widerstand war von vorneherein zum Mißlingen verurteilt.
Unser Plan war, nach dem Muster Schlageters den aktiven Widerstand durch
Sabotageakte wie einen Guerillakrieg zu entfachen. Die Franzosen wären
gezwungen gewesen, gegen diese stündliche Bedrohung ein vielfaches der
jetzt im Ruhrgebiet stehenden Truppen dorthin zu senden. Sie hätten also
neu mobilisieren müssen und die französische Regierung hätte dadurch in
Frankreich selbst mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Diese
Verwirrung hätten wir ausgenutzt und unter dem Schleier der aktiven
Sabotage ein Heer aufgestellt, das den Krieg gegen Frankreich
erfolgreich hätte aufnehmen können.“

„Ohne Waffen?“

Herr Stolzing lächelt geringschätzig, beugt sich dann vertraulich zu mir
herüber. Mit gedämpfter Stimme: „Aber in Wahrheit – Ihnen kann ich das
ja sagen – haben wir Waffen genug und genug. Mit tausend Geschützen
hätten wir die Armee ausrüsten können.“

Worauf ich Herrn Stolzing bat, mir das außenpolitische Programm Hitlers
zu erläutern.

„Wir sind für ein Großdeutschland, für die unbedingte Eingliederung
Österreichs und der Deutschen aus der Tschechoslovakei. Anders steht es
mit den Deutschen Südtirols. Da unser natürlicher ausländischer
Verbündeter Mussolini ist, werden wir die Brennergrenze anerkennen. Wir
dürfen nicht sentimental sein und müssen aus politischen Gründen auf die
230000 Deutschtiroler verzichten, damit wir zum italienischen Faschismus
ein gutes Verhältnis gewinnen.“

„Und Rußland? Denken Sie an ein Zusammenwirken mit der Roten Armee?“

Herr Stolzing gerät in große Erregung: „Das kommt für uns unter keinen
Umständen in Frage. Graf Reventlow, der als Sprecher der Völkischen in
Norddeutschland dafür eintritt, ist ein Außenseiter, mit dem wir gar
keine Verbindung haben. Ein Zusammengehen mit Rußland würde nur
bedeuten, daß das letzte gute Blut des völkischen Deutschland fließen
müßte, damit hier die Sowjetrepublik errichtet werde und die Juden noch
mehr zur Macht gelangen als bisher.“

„Und Ihr Verhältnis zu Herrn von Kahr?“

„Die Voraussetzung für die von den Völkischen geforderte aktive
Außenpolitik ist die Erledigung der deutschen Frage im Innern, die nur
durch Blut und Eisen gelöst werden kann. Die Völkischen werden eines
Tages über das rote Deutschland – Sowjetsachsen und Sowjetthüringen –
herfallen, die marxistische Bewegung ausbrennen, wie es Mussolini in
Italien getan hat!“

„Ist das ein Programm der ferneren Zukunft? Oder der nächsten
Gegenwart?“

„Der allernächsten Gegenwart. In kaum drei Wochen werden die Bauern
überhaupt keine Lebensmittel mehr liefern, die Blockade der Städte wird
effektiv sein und die Regierung Stresemann abgewirtschaftet haben.
Gleichzeitig wird auch Kahr in Bayern am Ende seines Lateins sein. Wir
zweifeln nicht an der persönlichen Anständigkeit und der völkischen
Gesinnung des Herrn von Kahr, aber er ist kein Diktator, nur ein guter
Staatsbeamter, und er merkt gar nicht, daß er nur ein Werkzeug in den
Händen der Bayrischen Volkspartei ist. Die hat ihn auf den Schild
gehoben, um zu verhindern, daß die nationalsozialistische Bewegung zum
Siege gelange. Es ist auch bezeichnend, daß weder die Auflösung der
sozialistischen Sturmabteilungen, noch die Aufhebung des
Republikschutzgesetzes in der marxistischen Presse des Reichs die
erwartete große Erregung hervorgerufen hat. Das beweist, daß Berlin die
Ernennung Kahrs zum Generalkommissar nicht feindlich aufgenommen hat,
weil man dort hofft, daß auf diese Weise eine Diktatur Hitlers
verhindert werden kann. Trügerische Hoffnung. Der Anhang Hitlers wächst
täglich, die aktivsten Verbände stehen hinter ihm und nur wir, und nicht
Kahr, haben die enge Verbindung zu den völkischen Organisationen in
allen Teilen Deutschlands, insbesondere in Pommern, Mecklenburg und
Preußen. So haben wir die Gewähr, daß – wenn Hitler gegen Sachsen
losmarschieren wird – gleichzeitig unsere Freunde überall im Norden
losschlagen können. Kahr hat bei der Auflösung der Einwohnerwehren
gezeigt, daß er im letzten Moment immer umfällt.“

Mit großem Stolz zeigt mir Herr Stolzing verschiedene völkische
Zeitungen, die ursprünglich für Kahr eingetreten waren und nun deutlich
umschwenkten. Unter Verbeugungen vor Kahr wird dort die Befürchtung
ausgesprochen, daß dieser als zu stark parteipolitisch gebunden nicht
energisch genug vorgehen und durch Intriguen der Bayrischen Volkspartei
stürzen werde.

Zwecks einer persönlichen Vorsprache bei Hitler wurde ich dann auf den
folgenden Tag bestellt.

                   *       *       *       *       *

Am nächsten Morgen große Aufregung. In der vorangegangenen Nacht war in
der Schriftleitung des „Beobachters“ ein Einbruch verübt worden. Auf
meine besorgte Frage, ob doch hoffentlich nichts Wichtiges oder größere
Geldsummen entwendet worden seien, beruhigt mich Herr Stolzing:

„Nein, nur mehrere Pistolen und eine größere Anzahl anderer Waffen.“

(Das offiziöse Wolffsche Telegraphen-Büro allerdings verbreitete später
die Meldung, es sei Geld gestohlen worden und verschwieg die Tatsache
des Waffendiebstahls, den die Völkischen wohl mit Absicht nicht
angemeldet hatten.)

Abermaliges Warten. Heute habe ich Muße, mich aufmerksam in diesem
„Oberkommando“ umzusehen. Ganz ungezwungen werden in meiner Gegenwart
Telephongespräche abgewickelt, die sich um Waffenbestellungen und um
Aufträge auf Lieferung von Uniformen drehen. Aus einem Gespräch zwischen
zwei Führern – die zum Unterschied von den anderen nicht in Uniform
auftreten, sondern mit Seidensocken und sehr eleganten Anzügen
ausgestattet sind – höre ich, daß von Küstrin die Rede ist. Hitler
sollte die entflohenen Putschisten aus Küstrin in Sicherheit bringen.
Nun sei das Unglück geschehen, daß einer dieser Rebellen aus Ärger
darüber, daß man ihm nicht genügend Geld auf seine Reise mitgeben
wollte, allem Anscheine nach einen Einbruch verübt hat, um seiner Kasse
durch den Verkauf der erbeuteten Waffen aufzuhelfen.

Draußen ertönen Kommandoworte. Die Wache im Vorzimmer steht stramm, die
Tür wird aufgerissen, Herr Hitler erscheint; in Regenmantel und
uniformartig zugeschnittenem Sportanzug. Er bemüht sich, sein glattes
Gesicht in energische Falten zu legen. Herr Stolzing teilt ihm den Zweck
meines Besuches mit, doch er entschuldigt sich, mich heute nicht
sprechen zu können, da er sofort wieder mit dem Auto verreisen müsse. In
zwei Tagen wolle er mich gerne empfangen oder – ich möchte ihm meine
Fragen schriftlich vorlegen. Im übrigen hätte mich ja Herr Stolzing
gewiß ausführlich unterrichtet.

Hitler spricht abgehackt, einstudiert militärisch.

„Na, in ein paar Wochen werden wir schon Ordnung machen.“

                   *       *       *       *       *

Es ist dann anders gekommen. Wochen vergingen. Die Voraussage Hitlers
hat sich nicht erfüllt. Warum? Wieso? Was war geschehen? Diese Handvoll
Bilder und flüchtiger Eindrücke aus dem München des Oktobers gibt keine
genügende Erklärung für das, was sich dort im November zugetragen hat.
Die dramatischen Vorgänge auf der Bühne des politischen Lebens blieben
unverständlich und verworren, nähme man sich nicht die Mühe, ihren
Hintergrund ein wenig sorgfältiger zu durchleuchten.




                                VORSPIEL


                                DIE ZEIT

Ein scheinbar ganz unverständlicher Widerspruch: Das durch den Krieg
entwurzelte, in den folgenden Jahren zwischen den Mühlsteinen des
wirtschaftlichen Bankrotts hoffnungslos zermalmte Kleinbürgertum Europas
stellt heute einen Faktor dar, der für das politische Leben des Staates
von entscheidender Bedeutung und – dies das Seltsamste – seiner
Deklassierung zum Trotz ein scharf abgegrenzter, ideologisch und
politisch klar durchgebildeter Typus ist.

Die ökonomische Entwicklung des letzten Jahrzehnts hat das
Kleinbürgertum proletarisiert, den Mittelstand vernichtet. Aber die von
verschiedenen sozialdemokratischen Theoretikern erwartete und
angekündigte Aufsaugung des Kleinbürgertums durch das Proletariat und
seine ideologische und politische Angleichung an die Arbeiterschaft, die
ist ausgeblieben. Das vorauszusehen war nicht schwer. Die irrige
Auffassung, das Verschwinden des Kleinbürgertums als selbständiger Teil
der modernen Gesellschaft müsse naturnotwendig zu einem Verschwinden des
Kleinbürgertums überhaupt führen, entspringt eben einem rein
mechanischen Denken, das sich bitter rächen sollte. Haben wir doch
hier den Schlüssel zu jener fatalistischen Einstellung der
sozialdemokratischen Führer, die aus der Zwangsläufigkeit der
ökonomischen Entwicklung die These ableiteten, die Revolution komme
von selbst. Eine Anschauung, die die meisten der schweren
Unterlassungssünden erklärt, die die sozialdemokratischen
Arbeiterparteien dem Kleinbürgertum gegenüber begangen haben und die
jene große Bewegung erstehen ließen, die teilweise wie eine mächtige
Welle Europa überflutete und kurzweg als Faschismus bezeichnet wird.

Wer ist Kleinbürger? Was stellt heute das Kleinbürgertum dar?

Gewiß nicht das, was man vor dem Kriege darunter verstand. Damals war
Kleinbürger gleichbedeutend mit Kleinkapitalist. Der kleine Rentner, der
kleine Kaufmann, der Handwerker, der Gewerbetreibende, das waren die
Kleinbürger im Sinne der damals üblichen Bezeichnung. Die große Masse
jener, die ihrer wirtschaftlichen Lage nach zu den Besitzenden gehörten
und daher auch deren geistige Einstellung teilten. Seiner Klassenlage
nach ebenso Opfer unserer Wirtschaftsordnung wie der einfache
Proletarier, genoß der Kleinbürger vor dem Kriege dennoch eine gewisse
ökonomische Vorzugsstellung, wodurch er sich aus dem gleichmäßigen Grau
des „Mobs“, des gemeinen Pöbels herausgehoben sah und nun selbst eifrig
bemüht war, die Grenze noch möglichst scharf zu ziehen, die ihn von
diesem scheiden sollte.

„Man muß sich nur nicht die bornierte Vorstellung machen, als wenn das
Kleinbürgertum prinzipiell ein egoistisches Klasseninteresse durchsetzen
wolle. Es glaubt vielmehr, daß die besonderen Bedingungen seiner
Befreiung die allgemeinen Bedingungen sind, innerhalb deren allein die
moderne Gesellschaft gerettet und der Klassenkampf vermieden werden
kann.“ (Der 18. Brumaire von Karl Marx.)

So stellte der Kleinbürger der Vorkriegszeit einen Typus dar, dem ganz
besondere Kennzeichen zu eigen waren. In politischer Beziehung haltlos
und schwankend, zu keiner selbständigen Entscheidung fähig und
entschlossen, in einem unerschütterlichen Respekt vor der gottgewollten
und angestammten Ordnung befangen, voller Haß gegen alle Neuerungen und
andererseits in ewiger Unzufriedenheit und Erbitterung gegen die
wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, unter denen er so schwer
zu leiden verurteilt war. Bar jedes Kampfesmutes und jedes
Selbstvertrauens, sich in Klagen um die „gute alte Zeit“ erschöpfend,
nichts weniger als revolutionär, aber ein ewiger Nörgler, in seinem
Unvermögen, die großen geschichtlichen Zusammenhänge und Triebkräfte zu
erkennen nur allzubereit, auf jedes Schlagwort hereinzufallen, das an
seine tiefsten Instinkte rührte: Eine gewisse Harmonieduselei und die
Sucht, sich um jeden Preis – auch für das bescheidenste Linsengericht
irgendeines Almosens – seine Bravheit mit einem „Privilegium“ bezahlen
zu lassen. Denn es ist klar, daß eine Übergangsklasse wie das
Kleinbürgertum, in dem sich „die Interessen zweier Klassen zugleich
abstumpfen“ seiner Klassenlage sich nicht nur nicht bewußt ist, sich
vielmehr über jeden Klassengegensatz erhaben dünkt und infolge seiner
sozialen Zersplitterung das Kollektivgefühl und das diesem entspringende
Solidaritätsbewußtsein der Fabrikarbeiterschaft gar nicht besitzen kann.

Die hier kurz gestreiften Merkmale waren dem Kleinbürger aller
europäischen Länder in der Vorkriegszeit in hohem Maße zu eigen und
stempelten ihn so zu einem Typus von internationaler Gültigkeit. Doch
gerade deshalb sah man schon damals im Lager der sozialistischen
Arbeiterparteien sehr oft nur diese Äußerlichkeiten, den politischen und
ideologischen Überbau des Kleinbürgertums, und vergaß darob nur zu
leicht die große wirtschaftliche Wandlung, die dieses inzwischen
durchgemacht hatte. „Kleinbürgerlich“ wurde zu einem Schlagwort, mit dem
der bewußte Sozialist all das bezeichnete, was ihm nicht gefiel, was er
selbst aus seiner eigenen Entwicklung als überwunden erkannte.
„Kleinbürger“ wurde sehr bald nur zur Bezeichnung eines geistigen
Zustandes gebraucht und etwa „Spießer“ und „Philister“ gleichgesetzt.

Der Krieg hat wie ein Wirbelsturm den faulen Plunder jahrhundertealter
Traditionen in den Kehricht gefegt. Die morschen Stützen der
Gesellschaft – Moral, Autoritätsglaube, Gottvertrauen – kamen ins
Wanken. Doch die Hoffnung der revolutionären Sozialisten, daß sie
endgültig zusammenbrechen würden, erwies sich als trügerisch.

Vorübergehend geschlagen, aber nicht vernichtet, geht die herrschende
Klasse jetzt daran, ihre unter dem ersten Ansturm der Revolution
preisgegebenen Positionen wieder zurückzugewinnen und zu befestigen. Und
da sie sich nicht der Erkenntnis verschließen kann, daß der Gegner an
Stärke, Selbstbewußtsein und Zahl gewachsen ist, vollzieht sich die
große Auseinandersetzung zwischen den Klassen nicht in offenem
stürmischem Kampf, sondern in einem Stellungskrieg, der es der
Schwerindustrie ermöglichen soll, die Positionen der Arbeiterschaft
durch geschickte Unterminierung Schritt für Schritt zurückzugewinnen. In
diesem Kampf ist das Kleinbürgertum die beste und wichtigste Hilfstruppe
des Kapitals. Verstanden es doch die Unternehmer, beziehungsweise deren
politische Agenten, in Presse und Parlament, in der Agitation und im
politischen Tageskampf an die kleinbürgerliche Ideologie anzuknüpfen, um
es so in eine Einheitsfront mit den großbürgerlichen Parteien zu pressen
und vom Sozialismus abzulösen.

Und dennoch: Konnten sich Kleinrentner und Mittelständler vor dem Kriege
an die Fiktion eines kleinen Besitzes klammern, so finden sie sich heute
in jener verzweifelten Lage, wo sie gleich dem Proletariat „nichts mehr
zu verlieren haben, als ihre Ketten“, Damit ist das Kleinbürgertum zu
einem revolutionären Faktor geworden. Aber es ist heute nicht nur
objektiv, seiner wirtschaftlichen Lage nach revolutionär, es ist auch
entschlossen, selbständig zur Tat zu schreiten, um sich vor dem
Untergang zu retten. Und – die Verzweiflung treibt es tatsächlich zur
Tat.

Dieser Verzweiflungskampf des Kleinbürgertums – seinem innersten
Wesen nach revolutionär, von den herrschenden Schichten zu
konterrevolutionären Zielen mißleitet – das ist der Faschismus. Und daß
es dem Bürgertum gelang, in fast allen Ländern diese Bewegung an sich zu
reißen, zeugt ebenso von seiner inneren Stärke, wie von dem Versagen der
sozialistischen Parteien.

Die Feststellung ist zu billig, daß die Welle der Reaktion, die noch
immer ansteigend Europa überflutet, nur die Gegenwirkung auf die
revolutionären Umwälzungen der Nachkriegszeit ist, und diese
Feststellung wird auch dadurch nicht überzeugender, daß sie sich auf die
physikalischen Pendelgesetze stützt. Der Faschismus ist zwar ein
wichtiger Pfeiler im System der europäischen Reaktion, er ist aber nicht
sie selbst. Der italienische Faschismus und das ungarische
Horthy-Regime, so sehr sie auch in ihren Taten übereinstimmen und so
sehr man versucht ist, sie nur als zwei verschiedene Bezeichnungen für
ein und denselben historischen Vorgang anzusehen, sind zwei
grundverschiedene Erscheinungen, die das eben Gesagte vielleicht am
deutlichsten illustrieren.

Das System Horthys ist die Herrschaft einer kleinen bewaffneten
Militär-Clique, aufgerichtet zur Niederwerfung der revolutionären
Arbeiter, ausgeübt von den klerikal-monarchistischen Offiziersgarden,
die dank dem Zusammenwirken verschiedener außenpolitischer Faktoren
(französische und englische Unterstützung, rumänischer Einmarsch) ihren
Sieg über die Kommune zu einem blutigen Rachewerk ausnützten. Das
Horthy-Regime ist eine jener gewalttätigen Restaurationen gestürzter
Mächte, wie wir sie aus der Geschichte aller Jahrhunderte kennen.

Der italienische Faschismus ist die Herrschaft der militärisch
organisierten und bewaffneten Massen des Kleinbürgertums, aufgerichtet
zur Vernichtung des „nationsfeindlichen Sozialismus“.

Horthy kam zur Macht als Befreier von der Revolution.

Mussolini als Vollstrecker der „Revolution gegen den morschen Staat und
dessen schwächliche Autorität“.

Horthy eröffnete seinen Vernichtungsfeldzug im Namen der Ordnung und des
Königs.

Mussolini im Namen der Nation gegen die Monarchie.

Gewiß, in seinen unmittelbaren Wirkungen ist zwischen Faschismus und
Horthy-Regime kein Unterschied zu sehen. Gewiß, innerhalb des Faschismus
riß ebenso die reaktionäre monarchistische Militär-Clique die Führung an
sich wie in Ungarn; und auch das Horthy-Regime hätte sich nicht so lange
halten können, wenn es sich nicht auf breite Massen des Kleinbürgertums
hätte stützen können. Jedenfalls aber sehen wir, daß der Faschismus
tatsächlich eine neue und ganz besondere Erscheinungsform der
bürgerlichen Reaktion ist.

Aber keine, die sich nur auf ein bestimmtes Land erstreckt. Was den
Faschismus charakterisiert, ist, daß er tiefe Wurzeln geschlagen hat
nicht nur in den Schichten des Kleinbürgertums und Mittelstands, Wurzeln
geschlagen selbst im Proletariat.

In den Kinderjahren des Sozialismus hat es eine dem Faschismus ähnliche
Bewegung gegeben. Aber die „schwarzen Hundert“, die „Gelben“, die damals
im Kampf gegen den Sozialismus standen, waren entwurzelte, im
ökonomischen Prozeß keine Rolle spielende Existenzen, die die
sozialistische Arbeiterschaft verhältnismäßig leicht zurückschlagen
konnte. Und der Antisemitismus, „dieser Sozialismus des dummen Kerls“,
wie ihn Victor Adler genannt hat, richtete zwar genügend Verwirrung im
Lager der Arbeiter an – man denke nur z. B. an das alte Österreich, wo
er sogar eine Massenpartei, die Christlichsozialen, schaffen half – ein
militantes Heer ins Feld zu stellen vermochte er nicht.

Die Völkischen in Deutschland, die Faschisten in Italien, vermochten –
wenn auch nur vorübergehend – dieses Heer aufzustellen, es auszurüsten
und zu bewaffnen. So war plötzlich eine Macht da, mit der der Staat
nicht nur in militärischer, sondern auch – und dies war das Bedeutsamste
– in wirtschaftlicher und politischer Beziehung zu rechnen hatte. Das
Kleinbürgertum hatte sich in Marsch gesetzt.


                                DER ORT

Es hat vor dem Kriege kein autoritätsgläubigeres Kleinbürgertum gegeben
als das deutsche. Militärdrill, Hohenzollernregiment, Kleinstaaterei
hatten ihm das Rückgrat gebrochen. Kadavergehorsam wurde ihm als höchste
Mannestugend – Disziplin! – eingepaukt. Und wie hätte Freiheit und
Selbstbewußtsein in einer Kasernenhofatmosphäre gedeihen sollen, in der
jeder freie Bürger zum Untertan verkrüppelt, im Leutnant das Symbol des
Staates sah und bewunderte.

Die Enttäuschung über das klägliche Versagen der Revolution – diesen
„Generalstreik einer erschöpften Armee“, wie sie Rathenau genannt hat –
trieb das Kleinbürgertum, nachdem es beim Umsturz in hellen Haufen zur
Sozialdemokratie übergelaufen war, sehr bald wieder zurück ins
bürgerliche Lager. Dieser Prozeß war wahrscheinlich in hohem Grade
unvermeidlich. Die goldenen Berge, die sich das Kleinbürgertum
versprach, hätte ihm keine Partei zu schenken vermocht, gegen die
ökonomische Entwicklung des Zusammenbruchs anzukämpfen, war unmöglich.
Aber da die Sozialdemokraten den Zusammenbruch nicht nur durch ihren
Eintritt in die bürgerliche Regierung sanktionierten, sondern „zur
Verhütung des ärgsten“, sogar deckten, identifizierten sie sich den
breiten Massen gegenüber mit ihm. Die Sozialdemokratie wurde nicht nur
als Partei von den breiten Massen des kleinen Bürgertums für den
wirtschaftlichen Bankrott verantwortlich gemacht, der Sozialismus
überhaupt wurde heillos kompromittiert, die Kluft zwischen der
Arbeiterschaft, „deren Partei doch regierte“, und den kleinbürgerlichen
Massen immer weiter aufgerissen.

Das deutsche Kleinbürgertum ist heute zwar ein Typus von scharf
durchgebildeter politischer Physiognomie, aber soziologisch keine
einheitliche Klasse. Drei große Schichten lassen sich deutlich
unterscheiden:

1. das ehemalige Offizier- und Staatsbeamtentum nebst dem überwiegenden
Teil der Studentenschaft;

2. die Kleinhändler, Gewerbetreibenden, Handwerker, Kleinrentner;

3. die geistigen Arbeiter (Ärzte, Ingenieure, mittlere Beamte).

Die „Stehkragenproletarier“ – um mit der dritten Schicht zu beginnen –
haben durch den Krieg und in der Revolution ohne Zweifel die stärkste
seelische und geistige Wandlung durchgemacht. Die bittere Not hat der
großen Mehrheit von ihnen den Standesdünkel recht bald ausgetrieben und,
wurde es in diesen Kreisen noch vor wenigen Jahren als ärgste Schmach
empfunden, materiellen Interessen die Herrschaft über den freien Geist
einzuräumen, so bläute den Mittelständlern der von Tag zu Tag schwerere
Kampf um die Erhaltung des nackten Lebens unbarmherzig die Erkenntnis
ein, daß der sehr prosaische Magen und nicht der poetische Geist das
letzte, entscheidende Wort hat. Diese Schicht ist es auch, die zuerst
eine Brücke zur Arbeiterschaft zu schlagen versuchte und in der
Erkenntnis, daß ihre Interessen mit denen der Handarbeiter gleichlaufen,
die Notwendigkeiten der praktischen Solidarität, der Organisation immer
klarer erfaßte.

Schwieriger steht es mit der zweiten Schicht. Unser Wirtschaftsleben
bringt Kleinhändler und Arbeiter täglich in scharfen Gegensatz. Die
Arbeiter, die dem kleinen Händler nur als Konsumenten bzw. im Gewerbe
als „unbescheidene Angestellte“ gegenübertreten, sind nur allzu leicht
geneigt, für die teuern Preise, für ihre Übervorteilung die
verantwortlich zu machen, mit denen sie unmittelbar in Beziehung kommen,
statt zu erkennen, daß diese selbst auch Opfer des Systems, der großen
Unternehmer sind. Und die Kleinhändler wieder klammern sich an die
Illusion von der „Wiederkehr der guten alten Zeit“ und verfolgen
(Ursache und Wirkung in bekannter Weise vertauschend) Revolution,
Demokratie, Republik – die Symbole ihres Falles – mit wütendem Haß.

Bleibt noch das Heer der ehemaligen Offiziere und Staatsbeamten, der
Studenten und Lehrer.

Als unmittelbar nach dem Zusammenbruch die deutsche Armee in die Heimat
zurückflutete, entlud sich der Haß, die Erbitterung der Masse der
einfachen Soldaten, die fünf lange Jahre in den Schützengräben ganz
Europas gehungert und gelitten hatten, zuerst gegen jene, die sie als
ihre eigentlichen Peiniger empfanden – die Offiziere. Es ist damals
gewiß so manchem dieser Offiziere bitter Unrecht getan worden. Sicher
hat der überwiegende Teil des deutschen Offizierkorps, vor allem in den
niederen Rängen, ebenso gelitten, ebenso geblutet wie die Mannschaft.
Sicher kann der Mehrzahl der Offiziere der alten Armee die Bestätigung
ihrer persönlichen Anständigkeit, Korrektheit, Pflichttreue und
ehrlicher Sorge um die Untergebenen nicht versagt werden. Gewiß, es gab
traurige Ausnahmen – die aber nur die Regel bestätigen. Und dennoch: so
bitter und ungerecht der Entrüstungssturm gegen die Offiziere, der
damals die Massen in Deutschland durchtobte, jenen erscheinen mußte, die
Erbitterung war nicht nur begreiflich, sie war auch notwendig. Die Masse
sah nicht den einzelnen Leutnant oder Rittmeister, sondern den
„Offizier“, das Symbol des wilhelminischen Kaiserreichs. Der einzelne
war nur der sichtbare Ausdruck für die Maschine, die zu zerbrechen für
die Massen Voraussetzung ihrer Befreiung war.

Ein großer Teil der Offiziere, durch ihre ganze Erziehung, durch
Umgebung und Tradition in einen scharfen Gegensatz zur Arbeiterschaft,
zum „Zivilistenpack“ aufgewachsen, hat im Krieg eine seelische Wandlung
durchgemacht und war beim Umsturz vielfach sogar ehrlich bestrebt, sich
durchzuringen zu einem inneren, ehrlichen Verhältnis zur Masse. Da
mußten gerade diese sehen, wie ihre Annäherung mit Mißtrauen, ja mit
Hohn zurückgewiesen wurde. Das tat weh. Das verbitterte. Man mußte schon
ein innerlich starker und gefestigter Mensch sein, um allen diesen
täglichen Verhöhnungen und Beschimpfungen, die immer gegen den ganzen
Stand erhoben wurden, zum Trotz, den Weg zur Arbeiterschaft zu finden.
Die Mehrzahl fand ihn nicht. Viele von ihnen zogen sich, geschworene
Feinde der Republik und der Demokratie, die sie für ihren tiefen Sturz
verantwortlich machten, grollend zurück. Viele fanden in den folgenden
Jahren nach und nach den schweren Weg ins bürgerliche Berufsleben. Sehr
viele verkamen, versanken im Schiebertum, Gelegenheitsgeschäft, wurden
Hochstapler, Abenteurer, Landsknechte.

Die anderen aber, mochten sie mittlerweile auch den Weg in die
bürgerlichen Berufe gefunden haben, sie blieben auch dort nur der
Leutnant oder Oberleutnant a. D., d. h. eingesponnen in die Ideologie
ihrer Vergangenheit und so innerhalb der Masse der Schwankenden und
des zur Passivität neigenden Kleinbürgertums die starken
Führerpersönlichkeiten, die weit über ihre nächste Umgebung hinaus
bestimmenden Einfluß genießen.

Endlich die Studentenschaft. So traditionstreu sie sich vielleicht
dünkt, sie hat überhaupt keine Tradition. Kaum glaublich, daß noch vor
siebzig Jahren die deutschen Studenten Schulter an Schulter mit den
Arbeitern auf den Barrikaden für Republik und Demokratie kämpften und
fielen. Vergessen sind die Befreiungskriege, vergessen 1848 –
unvergessen ist Schwarz-Weiß-Rot, Hohenzollern, Militärpracht. So sind
die deutschen Hochschulen uneinnehmbare Festungen der Reaktion geworden.

Solcherart ist das große, vielmillionenköpfige Heer des deutschen
Kleinbürgertums, das – durch Not, Hunger und Unzufriedenheit mit den
bestehenden Verhältnissen aus seiner Ruhe und althergebrachten Ordnung
aufgerüttelt – nunmehr in Bewegung geraten ist. Der Wechsel auf das
selige Jenseits hat eine zu lange Laufzeit und der Glaube an Gott macht
den Magen nicht voll. Der Kaiser war zu „schlapp“ und also mitschuldig
an dem Sieg der „Novemberverbrecher“. So lautet also der neue
Schlachtruf: „Mit Wotan für Diktator und Vaterland, gegen die Juden,
gegen die Marxisten, Sozialisten und Kommunisten, gegen das ‚jüdische‘
Kapital!“ Und aus dem Gefühl seiner inneren Schwäche, aus dem tiefen
Sehnen, sich unter eine starke Führung begeben zu können, wo doch alle
bürgerlichen Parteien, wo doch vor allem die Sozialdemokratie nicht
einmal die Bereitschaft gezeigt haben, zu _führen_, stimmt die unklare,
schwankende Masse des Kleinbürgertums den Schlachtruf an: „Einen
Diktator, einen Diktator, alle republikanischen Errungenschaften für
einen Diktator!“ ER wird wieder Ordnung und Autorität in Deutschland zu
Ehren bringen, ER wird die Teuerung in Deutschland abschaffen und das
Volk in die schönen Friedenszeiten zurückführen.

Der Mann war schon gefunden. Er hieß Hitler. Aber da in Deutschland
bekanntlich an politischen Führern und Diktatoren von jeher kein Mangel
ist, so traten neben ihm gleich noch ein halbes Dutzend solcher Führer
auf den Plan: General Ludendorff, Kapitän Ehrhardt, Leutnant Roßbach –
einer für die militärischen und einer für die politischen und einer für
die diplomatischen Angelegenheiten, Sachverständige, deren Fachkenntnis
die Bildung eines Direktoriums nationalgesinnter Männer zur Rettung
Deutschlands aus den Klauen des jüdischen Kapitals und des französischen
Militarismus verbürgte.

Diese Männer machten sich ans Werk. Drei Jahre lang trafen sie ihre
Vorbereitungen, spannten ein Netz von Verschwörungen über ganz
Deutschland, rüsteten ihre Armee aus, bewaffneten ihre Soldaten, sorgten
für Nachschub und Rückendeckung und Aufnahmestellungen – alles klappte
glänzend. Das Geld, das man bekanntlich zum Kriegführen braucht, floß
ihnen in Hülle und Fülle zu. Der Kapp-Putsch hatte ihnen gezeigt, wie
man’s nicht machen darf. Sie hatten erkannt, daß die Republik trotz
allem ein zu mächtiger Gegner ist, als daß sie durch einen Handstreich
überrumpelt, die Stellungen der Demokratie allzu fest, als daß sie
einfach überrannt werden könnten. Sie wußten, daß es ein harter und
blutiger Kampf werden würde und sie richteten sich danach ein.

Als der deutsche Faschismus seinen großen Aufmarsch in militärischer und
politischer Beziehung beendet hatte, als die feindlichen Stellungen
durch ein Trommelfeuer aus den schwersten Geschützen der Inflation
„eingedeckt“ waren, als durch eine würgende Blockade das flache Land die
Städte ausgehungert hatte, als die Verzweiflung wie eine schleichende
Seuche die Reihen der Arbeiter- und Beamtenschaft, der Verteidiger der
Republik und Demokratie, lichtete, als der Angriff Poincarés gegen das
Ruhrrevier die Republik „sturmreif“ gemacht hatte, da holte der
Faschismus zum entscheidenden Stoß aus, um der Republik, die dank der
Stärke ihrer Feinde und der Zaghaftigkeit ihrer Freunde nur mehr eine
leere Form ohne jeden Inhalt geworden zu sein schien, den letzten Schlag
zu versetzen.

Mussolinis Marsch nach Rom sollte in Hitler-Ludendorffs Zug nach Berlin
seine Nachahmung finden. Allerdings: Als Mussolini nach Rom marschierte,
da war das kaum mehr als ein theatralischer Effekt, da hatte er die
Entscheidungsschlacht bereits gewonnen, da lag Italien von den Alpen bis
Neapel wehrlos und besiegt den faschistischen Truppen zu Füßen und nur
die rauchenden Druckereien und Versammlungslokale der Sozialisten, nur
die Attentate verzweifelter Revolutionäre gaben Kunde davon, daß es noch
„elementi soversivi“ (Umstürzler) in Italien gab.

War nicht im Oktober 1923 die Lage in Deutschland eine ähnliche? Es
mußte ein Kinderspiel scheinen, die Hakenkreuzfahne auf den Zinnen des
Berliner Schlosses zu hissen. Demütigungen auf Demütigungen,
Verhöhnungen und Bedrohungen hatte die Republik fast widerstandslos
eingesteckt, untätig sahen die Regierungsparteien, sah auch die
Sozialdemokratie dem Aufmarsch des Gegners zu, und wer die warnende
Stimme erhob, um in letzter Stunde zum Widerstand, zur Verteidigung zu
rufen, den schickte die Republik in Zuchthaus und Kerker.

Hitler und Ludendorff hatten die Situation klar erfaßt und verstanden es
wohl, daß sie nicht länger warten durften, wollten sie sich nicht selbst
aufgeben. Nur eine Kleinigkeit hatten sie übersehen: daß plötzlich –
fast über Nacht – der reiche Geldstrom, der in immer steigendem Maße
ihnen zugeflossen war, merklich zu versiegen begann. Ein Zufall? Nein:
während die Nationalsozialisten wie gebannt nach Berlin starrten und ihr
Heer an der thüringischen Grenze aufmarschierte, hatte die deutsche
Schwerindustrie ihre Geschäfte mit Paris in Ordnung gebracht. Die
Industrie, die den Faschismus ausgerüstet, großgezogen, ins Feld
gestellt hatte, um den Rücken frei zu haben gegen die für den
Achtstundentag, für den Ausbau der sozialen Reformen kämpfende
Arbeiterschaft und um andererseits einen entsprechenden Druck auf den
französischen Partner ausüben zu können, war mit diesem zu einer
Einigung gelangt. Der Faschismus hatte seine Schuldigkeit getan, nun
mochte er sich trollen und brav im Hintergrunde warten und lauern, bis
er wieder gerufen würde. Der Weg für den legalen parlamentarischen
Rechtskurs war frei, der Gedanke des Bürgerblocks marschierte, völkische
Experimente konnten da nur mehr unangenehme Verwicklungen herbeiführen.

Hitler und die Seinen aber verstanden gar nicht, worum es ging. Das
große Heer der Hakenkreuzler machte sich jedenfalls keine Gedanken
darüber, was später einmal kommen sollte. Sie hatten ihre Befehle, sie
hatten ihren Führer, sie hatten ihr nächstes Ziel, sie hatten den
Glauben an ihre Berufung und sie durften gehorchen. Hitler schlug los.
Er schlug ins Leere.

So ist der Putsch vom 8. November 1923, der als entscheidender Kampf um
die Macht gedacht war und in wenigen Stunden als Revolte im
Bürgerbräukeller endete, das wichtigste politische Ereignis in
Deutschland seit der Revolution. Er ist ein Merkstein für eine
politische Entwicklung, die mit ihm ihren Abschluß gefunden hat, und
erst die späteren Monate machten seine Bedeutung für den sozialen und
politischen Umschichtungsprozeß in Deutschland ganz klar.


                                OKTOBER

Der passive Widerstand an der Ruhr war zusammengebrochen. Verzweiflung
über die würgende Not, die in den Hochsommermonaten eine phantastische
Höhe erreicht hatte, trieb die rettungslos im reißenden Malstrom der
Inflation versinkenden Arbeiter, Kleinbürger, Beamten, Angestellten zu
gewaltigen, spontanen Kundgebungen auf die Straße. Cuno ging und
Stresemann kam. Die Massen, die im ersten Anlauf eine Schlacht gewonnen
hatten, fluteten wieder zurück. Ihre Aktion, die sich im ersten
Augenblick so bedrohlich und gewaltig angelassen hatte, verpuffte. Die
Sozialdemokratie sprang in die Bresche, um den Erfolg des ersten
Treffens auszunutzen und als Teilhaber der Regierung Ruhe und Ordnung im
Lande wiederherzustellen und den „Ruhrkampf zu liquidieren“.

Hilferding, der neue Finanzminister, machte sich voll Eifer ans Werk. Es
galt, die ins Bodenlose gestürzte Mark wieder auf die Beine zu bringen,
die heillos zerrütteten Finanzen zu ordnen, die Teuerung einzudämmen,
während dem Innenminister Sollmann, von dem man erwartete, daß er als
Sozialdemokrat über den unerläßlichen Einfluß bei den erregten Massen
verfügte, die Aufgabe zufiel, in der Zwischenzeit für die
Aufrechterhaltung von Ordnung und Ruhe zu sorgen.

Hilferding hatte nicht nur einzelne Reformen im Auge, er brachte einen
wohldurchgearbeiteten Plan ins Ministerium mit. Die Arbeit begann. Die
Mark stürzte weiter. Die Teuerung wuchs, das Elend, die Verzweiflung,
Hunger und Not wuchsen mit. Innerhalb der Koalition spitzten sich die
Gegensätze von Tag zu Tag zu. Das Finanzministerium und die Reichsbank
arbeiteten aneinander vorbei, bald standen sie in offenem Kampf.
Hilferding forderte die Sperrung aller Kredite, der Reichsbankpräsident
Havenstein setzte die Kreditpolitik der Inflationszeit eigensinnig fort.
Bei dem Duell Hilferding-Havenstein blieb als Leidtragender der kleine
Mann auf dem Kampfplatz.

Die Sozialdemokratie machte Opposition, protestierte, drohte mit dem
Austritt aus der Koalition und merkte gar nicht, daß inzwischen
Deutschnationale und Volkspartei, Schwerindustrie und Agrarkapital sich
geeinigt hatten, zu einem gemeinsamen Aktionsprogramm gelangt waren. Die
Sozialdemokratie drohte, ihre außerparlamentarischen Machtmittel
einzusetzen und wußte, als einzige der politischen Parteien, nicht, daß
diese Machtmittel – infolge der wachsenden Unzufriedenheit und
Enttäuschung in der Mitgliedschaft – beträchtlich zusammengeschmolzen
waren. So beantworteten die bürgerlichen Koalitionsparteien die
Drohungen der Sozialdemokratie damit, daß sie sie beim Wort nahmen. Ehe
sich die Partei dessen versah, war sie durch die Schwerindustrie ohne
viel Federlesens aus der Regierung hinausmanövriert.

Bevor es aber die Deutsche Volkspartei zu einem offenen Bruch mit der
Sozialdemokratie kommen ließ, wollte sie gewisse unerläßliche Garantien
für die Zukunft schaffen. Auf dem Wege zur rein bürgerlichen Regierung
galt es, als erstes und wichtigstes Hindernis den roten Block zu
überwinden, der gerade in jenen Monaten zu einem bedrohlichen
revolutionären Pfeiler gegen die bürgerliche Regierungspolitik ausgebaut
worden war. Das Reichswehrministerium täuschte sich nicht darüber, daß
die Beseitigung der sozialistischen Regierungen in Sachsen und Thüringen
eine schwierige Aufgabe bedeutete und zu gefährlichen Auswirkungen
führen mußte, wenn nicht die Sozialdemokratie für die Teilnahme an
dieser Aktion gegen ihre Parteigenossen im sächsischen und thüringischen
Kabinett gewonnen werden konnte. Die letzte Tat der Koalitionsregierung
war denn auch die Liquidierung der mitteldeutschen Arbeiterregierungen.
Am 10. Oktober marschierte die Reichswehr in Sachsen und Thüringen ein,
setzte die sozialistischen Regierungen ab, vertrieb mit aufgepflanztem
Bajonett die kommunistischen und sozialdemokratischen Minister aus ihren
Ämtern und proklamierte den Ausnahmezustand, dessen Durchführung einem
eigenen Staatskommissar übertragen wurde.

Diese Reichswehraktion gegen Sachsen und Thüringen war nur ein Schachzug
in einem weit umfassenderen Plan. Am 27. September hatte die bayrische
Regierung den Ausnahmezustand verkündet und die vollziehende Gewalt in
Bayern dem Regierungspräsidenten von Oberbayern, Herrn von Kahr,
übertragen, der als Generalstaatskommissar mit diktatorischen
Vollmachten die Regierung übernahm. Begründung: Hitler hatte für Anfang
Oktober 14 Massenversammlungen in München angekündigt, die nach Ansicht
der bayrischen Regierung den Auftakt zu einem völkischen Putsch bilden
sollten, den zu vereiteln Herr von Kahr berufen wurde.

Die Reichswehraktion in Mitteldeutschland, die Berufung des Herrn von
Kahr – beide Ereignisse standen in innerem ursächlichen Zusammenhang.
Hier wie dort hatte man erkannt, daß man vorbauen mußte, wollte man
nicht von der weiteren Entwicklung überrannt werden. Die Bayrische
Volkspartei, das heißt die bodenständige, klerikale, besitzende Bürger-
und Bauernschaft Bayerns, wußte ganz genau, daß sie der lawinenartig
anwachsenden Bewegung des verelendeten Kleinbürgertums, Mittelstands
keinen offenen Widerstand entgegensetzen konnte, erkannte aber auch
ebenso klar, daß sie, diese Bewegung richtig auswertend, ihr eigenstes
Ziel – die Aufrichtung der uneingeschränkten Herrschaft der katholischen
Kirche in einem, der Fesseln der zentralistischen Reichsverfassung
ledigen, selbständigen bayerischen Staat als Vorbedingung für eine
Restauration der Wittelsbacher Monarchie und einen später zu
verwirklichenden separatistischen, süddeutschen Staatenbund – mit einem
Schlage gewaltig fördern könnte. Also hatte die Bayrische Volkspartei
Kahr vorgeschoben, dem es als Ehrenvorsitzenden der separatistisch
eingestellten Kampfverbände – vor allem der Organisation „Bayern und
Reich“ – gelingen sollte, auch die Hitlerschen Kampfbünde zu sich
herüberzuziehen, zu „binden“. Herr Kahr wieder betraute den
Kapitänleutnant Ehrhardt mit der schwierigen Aufgabe, die Mittlerrolle
zwischen den großdeutsch eingestellten Verbänden Hitler-Ludendorffs und
Kahr selbst zu spielen.

Ehrhardt hatte nachdem er aus dem Leipziger Untersuchungsgefängnis
entwichen war, in Bayern bei Herrn Kahr warme Aufnahme gefunden, der ihm
das Oberkommando über den „Abschnitt Koburg“, die Führung der an der
sächsischen und thüringischen Grenze sich versammelnden Formationen
übertrug. Kahrs Plan lief darauf hinaus, zwei Fliegen auf einen Schlag
zu treffen: einerseits sollte seine Herrschaft in Bayern mit Hilfe der
völkischen Verbände gesichert, anderseits die nicht ganz zuverlässigen
schwarzen Schafe möglichst aus der Mitte der weißen katholischen
Lämmlein entfernt werden. Herr Kahr hielt es nicht für klug, den
Tatendrang der Völkischen zu zügeln, wünschte aber, daß sie ihn
außerhalb Bayerns austobten. So fand die Hitlersche Parole: „Gegen
Berlin!“ bei Kahr und der Bayrischen Volkspartei beifällige Aufnahme.

Am 27. Oktober brachte die „Chronik des Faschismus“, eine damals in
Berlin erscheinende, über die Vorgänge im völkischen Lager sehr gut
informierte Zeitschrift, folgenden Situationsbericht aus München:

   Daß Kahrs Kampfansage an den „marxistischen Norden“ ebenso nur ein
   Manöver ist, wie seine Beschwerden gegen den Zentralismus der
   Weimarer Verfassung, und daß der eigentliche Plan Kahrs und der
   Bayrischen Volkspartei auf die völlige Separation Bayerns um jeden
   Preis hinausläuft, zeigt ... die Tatsache, daß die Bayrische
   Hauptstadt, bisher der Sammelpunkt aller faschistischen und
   reaktionären Kondottieri von Ehrhardt bis Ludendorff, jetzt zum
   Stelldichein viel höherer und höchster Herrschaften geworden ist.
   Der Erzherzog Josef von Ungarn, der „Soldatenvater“, der seine
   Kinder anno 14 in den Karpathen so energisch behandelte, daß sie zu
   Zehntausenden elend im Schnee umkamen – dieser hohe Heerführer
   eröffnete den Reigen als Vertreter Horthys. Mussolini zögerte nicht,
   einen Delegierten zu senden. Herr Kahr ließ durch Mittelspersonen in
   Paris anfragen, wie dort die Wiederherstellung der Donaumonarchie
   aufgenommen werden würde, und als die Antwort so günstig ausfiel,
   wie erwartet, eilten jetzt Zita aus Spanien und der König Ferdinand
   von Bulgarien höchstselbst nach München zum Rendezvous.

Inzwischen wußte „Der Abend“ in Wien zu melden:

   „Die derzeitige politische Lage in Deutschland hat den Vatikan
   veranlaßt, die bayrischen Bischöfe, den Erzbischof von Bamberg und
   die Bischöfe von Speyer und Passau zu einer Beratung nach Rom zu
   berufen. Der Vatikan will offenbar den jetzigen Augenblick der
   allgemeinen Verwirrung dazu benutzen, um den alten Plan der
   Errichtung eines katholischen Donaustaates auszuführen.“

Doch bei all dem vergaß Herr von Kahr nicht, daß ein Kampf nach zwei
Fronten – gegen Berlin und gegen Hitler – die große Gefahr barg, in ein
Kreuzfeuer zu geraten, im entscheidenden Augenblick völlig isoliert zu
werden. Während er sich den Völkischen gegenüber sicher und stark genug
fühlte, war er über die letzten Pläne und Absichten der Reichsregierung,
das heißt des von Präsident Ebert mit den unumschränkten Vollmachten
eines Diktators zum Inhaber der vollziehenden Gewalt bestellten Generals
von Seeckt, des Oberbefehlshabers der Reichswehr, nicht im klaren.
Gewiß, in Einzelheiten gab es Differenzen – aber bestanden nicht solche
auch zwischen Kahr und Hitler, ohne daß sie ein Zusammenarbeiten für das
gemeinsame Ziel des reaktionären Umsturzes ausschlossen? Und vor allem:
würde General von Seeckt nicht im richtigen Augenblick bereit sein,
Kahrs Stichwort aufzunehmen? Separatismus und Großdeutschland –
Hohenzollern oder Wittelsbach – das waren doch Fragen, die erst später
nach dem Sturz der Republik brennend wurden. Vorläufig galt es, die
Schlacht zu schlagen. Sollte da nicht General von Seeckt ein geheimer
Verbündeter sein, der es vorläufig nur noch nicht als geraten ansah,
seine republikanische, ihm selbst gewiß am meisten lästige Maske
abzuwerfen?

Kahrs Rechnung schien zu stimmen. Seine Vorstöße, die er zur Klärung des
Gefechtsfeldes unternahm, trafen wenigstens nur auf eine sehr
schwächliche Abwehr des Generals von Seeckt und des Berliner Kabinetts,
eine Abwehr, die beinahe wie ein Manöver aussah. Ja, während sich die
völkischen Verbände unter den Augen und mit der wohlwollenden
Unterstützung des Herrn von Kahr an der thüringischen Grenze zum Marsch
gegen Berlin sammelten, trat der Oberbefehlshaber der Reichswehr mit dem
bayrischen Generalstaatskommissar in Verhandlungen ein, um die Teilnahme
der bayrischen Reichswehrformationen und auch der völkischen
Kampfverbände an der Aktion gegen Sachsen und Thüringen zu vereinbaren.
Selbst in den ersten Novembertagen noch lagen die letzten Absichten
Seeckts in mystisches Dunkel gehüllt.

Dieses zu erhellen sollte ein Flugblatt dienen, das die Völkischen im
Dezember 1923 in München insgeheim verbreiteten, um nachzuweisen, daß
Hitlers Putsch nur die logische, im ursprünglichen Programm vorgesehene
Fortsetzung einer von ganz anderer Seite beabsichtigten Aktion war.

Dies Flugblatt gab einen Reichswehrbefehl vom 3. November wieder und
enthielt folgende Absätze:

   Aus dem Befehl, der unter der Überschrift „Ue...“ ausgegeben wurde,
   ergibt sich, daß die Reichswehr „für Auffüllung ihrer Bestände am
   ersten Tag der Herbstübung 1923 ihre Fehlstellen aus den jetzigen
   Hilfsmannschaften decken soll“. Danach werden die einzeln
   angeführten Kompagnien einer nicht genannten Division durch
   Kompagnien der Nationalsozialisten, des „Hermannbundes“, des
   „Oberland“ und von „Bayern und Reich“ verstärkt. Es heißt dann in
   diesem Befehl wörtlich:

   „Verpflegung und Gebühren: Es dürfen nur unbedingt verläßliche Leute
   zur Einstellung kommen, für die Feldtruppe nur voll ausgebildete.
   Gebühren und Versorgung wie Angehörige der Reichswehr.

   Studenten der Hochschule wird die verlorene Studienzeit voll
   angerechnet. Beamten, Angestellten, Arbeitern wird die Rückkehr zu
   ihren früheren Stellungen ohne Dienstzeitverlust zugesichert.
   Während der Operationen ruht das Recht der Kündigungen seitens der
   Freiwilligen.“

Endlich seien noch nachstehende Geheimdokumente der Organisation
„Stahlhelm“ wiedergegeben. Auch sie wurden von den Völkischen zum Beweis
herangezogen, daß Hitlers Putschpläne bis Anfang November nicht nur bei
Kahr, sondern auch bei General von Seeckt Verständnis und Billigung
gefunden hatten, und die Verteidigung suchte später daraus den Schluß
abzuleiten, daß unter solchen Umständen von einem Hochverrat Hitlers
nicht gesprochen werden könnte – es sei denn, man wollte neben ihm auch
Herrn von Kahr, General von Seeckt und verschiedene andere Mitglieder
der Reichsregierung unter dieselbe Anklage stellen.


                            An alle Gauführer!

                                     Magdeburg, den 11. November 1923.

   Vertraulich!


                            Kurzer Lagebericht.

   Am Sonntag, den 4. d. M., tagte die Bundesleitung in Magdeburg zur
   Besprechung der Lage. Das Ergebnis wurde in ultimativer Form als
   Kundgebung dem Reichskanzler Dr. Stresemann überreicht, sowie der
   Presse übergeben. Die Entschließung hat in der Presse und in der
   Öffentlichkeit lebhafte Besprechungen hervorgerufen, zum größten
   Teil sehr anerkennend, von gewisser halbrosaer Seite erbittert, mit
   dem Versuch niederzureißen, von sozialdemokratischer Seite fragend,
   was der Stahlhelm mit der Forderung der nationalen Diktatur
   beabsichtige.

   Die gedrängte Stellungnahme ist aus folgendem kurzen Entschluß zu
   ersehen, sowie aus der Mitteilung, daß der Bundesvorsitzende seit
   der Zeit vom 5. d. M. bis heute _dreimal nach Berlin zum
   Reichskanzler gerufen wurde_. Der Unterzeichnete hat dem
   Reichskanzler, der Reichsregierung und dem Oberbefehlshaber in
   klaren Worten die Stellung und Forderung des Stahlhelms überreicht.
   Er gewann jedoch den Eindruck, daß der jetzige Reichskanzler nicht
   der Mann ist, um die nötige Entschlußhärte zur Führung sowohl der
   nationalen Diktatur als auch der Reichsregierung und letzten Endes
   von Preußen aufzubringen. Vor Forderungen wie Nachhauseschicken des
   Reichstags, Ausbooten der Sozialdemokratie in der preußischen
   Regierung, rücksichtslose Einführung und schnellste Erledigung der
   wertbeständigen Zahlung und der Ernährungsfrage wich der Kanzler
   zurück.

   _Infolgedessen trug der Unterzeichnete dem Oberbefehlshaber die
   Entschließung und die Stellungnahme des Stahlhelms vor._

   Die durch den Putsch Ludendorff-Hitler gebrachte Spannung der Lage
   ergab, daß der Bundesvorsitzende den Gaugruppen übermittelte, daß
   der Bundesführer in diktatorischer Weise von jetzt ab handeln muß.
   Gleichzeitig ergibt die Spannung der Lage, daß die gesamte Stellung
   des Stahlhelms auf eine präzise Formel gebracht werden muß. Sie
   lautet: „Der Stahlhelm steht zur Reichswehr!“

   Von Berlin nach dreimaligem Besuch und umfangreicher Arbeit in den
   verschiedenen Ministerien zurück, traf den Unterzeichneten der
   persönliche Besuch des Führers des Jungdeutschen Ordens, des Herrn
   Marauhn. Der Jungdeutsche Orden, eine der stärksten norddeutschen
   Korporationen, zählt etwa zirka 6000 Ortsgruppen. Die ideale
   Einstellung des Jungdo ist dem Stahlhelm verwandt. Der Großmeister
   Marauhn legte seinen ganzen Nachdruck auf die Vorbereitung des
   Siedlungswerkes und Erschließung von Ödland, in der ideellen
   Ertüchtigung der deutschen Männer und männlicher Jugend und der
   Unterstützung der Reichswehr durch wehrhafte Männer.

   Der Bundesvorsitzende des Stahlhelms nahm nach sorgfältiger
   Besprechung das Angebot des Jungdoführers an, was den beiliegenden
   Wortlaut hat. Der Stahlhelm erfährt durch das Bündnis mit dem
   Jungdo, das jedem Verbande seine Eigenart läßt, eine Stärkung in der
   heutigen Zeit. Die Gau- und Ortsgruppenführer haben daher Sorge zu
   tragen, daß das Einvernehmen mit dem Jungdo unter Bezugnahme auf
   dieses Bündnis das denkbar beste ist, und der eine Bund den andern
   kameradschaftlich und brüderlich unterstützt.

   Gleichzeitig melden die Gau- und Ortsgruppen, mit welchen anderen
   Verbänden oder Bünden nähere Beziehungen bzw. Verabredungen auf
   gegenseitige Hilfeleistungen bestehen.

   Der Bundesvorsitzende wird morgen nochmals nach Berlin fahren, um
   mit den dortigen maßgebenden Stellen zwecks Klärung der Lage zu
   sprechen und in ultimativer Form die Errichtung der nationalen
   Diktatur weiter zu fordern.

   Der Gesamtgang der künftigen Ereignisse ist angesichts der
   verschiedenen Strömungen in der Regierung noch nicht auf Zeiten
   festzulegen. Es muß aber heute schon gesagt werden, daß es eine
   andere Lösung als die möglichst schnelle Errichtung einer nationalen
   Diktatur heute nicht mehr gibt.

                                          Mit kameradschaftlichem Gruß
                               gez. Fr. Seldte, 1. Bundesvorsitzender.


                                 Entwurf.
                        Ohne juristische Abfassung.

   1. Der Herr Reichspräsident hat mich angesichts der Möglichkeit
   weiterer Umsturzversuche und angesichts der drohenden Hungersnot zum
   Reichsverweser mit diktatorischer Gewalt für begrenzte Zeit ernannt.

   2. Ich bilde ein Direktorium. Ich ernenne die Herren

   Rabethge zum Wirtschaftsdirektor,

   Graf Kanitz zum Ernährungsdirektor,

   Dr. Stresemann zum Außendirektor.

   Sie üben ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus. Die Aufgaben der
   Reichsminister übernehmen Staatssekretäre.

   3. Der Reichstag wird aufgelöst.

   5. Die Schutzpolizei tritt unter meinen Befehl. Sie wird verstärkt.

   7. Streiks sind bis auf weiteres verboten. Die Börse wird bis auf
   weiteres geschlossen.

   8. Es werden mit sofortiger Wirkung Standgerichte eingesetzt mit
   Befugnis der Todesstrafe für Auflehnung und Sabotage gegen den
   Reichsverweser, Streikhetzer, Plünderer, Wucherer, Zurückhaltung von
   Nahrungsmitteln, Ausfuhr von Nahrungsmitteln.


                               Bemerkungen:

   Zu 1. Mit Rücksicht auf Frankreich und auf die Sozialisten ist der
   Passus „weitere Umsturzversuche“ und „Hungersnot“ gewählt. Ebenso
   der Passus „begrenzte Zeit“.

   Zu 3. Wird der Reichstag nur in die Ferien geschickt, so sitzen die
   Abgeordneten nach wie vor in den Vorzimmern des Direktoriums.

   Zu 5. Eine Verstärkung der Reichswehr aus außenpolitischen Gründen
   unmöglich. Reichsverweser braucht jedoch eine starke Macht. Daher
   Verstärkung der Schutzpolizei, die unter den Befehl von
   Reichswehroffizieren tritt.

   Zu 7. Streiks muß evtl. durch Erschießung jedes Zehnten
   entgegengetreten werden, insbesondere dem der Banknotendrucker.

   Zu 8. Im augenblicklichen Stadium, d. h. solange bis die Maßnahmen
   des Ernährungsdirektors und des Wirtschaftsdirektors, die nicht
   zaubern können, sich ausgewirkt haben, muß Terror an die Stelle von
   Besserung der Lage treten. Daher ist jede Auflehnung gegen den
   Reichsverweser mit dem Tode zu bestrafen. _Das Aufhängen von vier
   Wucherern auf dem Potsdamer Platz und von Streikhetzern am Neuen
   Tor, die Erschießung von drei Landwirten_, die ihr Getreide
   zurückhalten, ist der _Schreckschuß_, den bisher noch niemand gewagt
   hat und der notwendig ist. Wer dafür kein Verständnis hat, kann die
   Lage nicht meistern.


                            Funkspruch an Alle!

   „Deutschland stellt alle Zahlungen und Sachlieferungen bis auf
   weiteres an die Entente wegen drohender Hungersnot ein. Komme, was
   da kommen mag.“

                 _v. Seeckt_, _Rabethge_, _Graf Kanitz_, _Stresemann_.


                             Nachbemerkungen:

   Der Reichsverweser ist der Aufpeitscher, Vorwärtstreiber, und das
   Schwert der drei Direktoren, ist das stahlharte Rückgrat, ist der,
   der erschießen läßt, wozu die anderen nicht den Mut aufbringen.

   Die Hereinnahme von Stresemann erscheint notwendig:

   a) damit nach außen keine Veränderung im außenpolitischen Kurs
   eintritt, Frankreich nicht einmarschiert,

   b) ein Mann zur Abwicklung des Parlamentarismus mit Erfahrung da
   ist.

Beweisen alle diese Protokolle, Briefe, Geheimbefehle wirklich das, was
die Völkischen behaupteten? Sie zeigen uns jedenfalls, daß dem scheinbar
unentwirrbaren Rattenschwanz von Putschplänen, Aktionen und
Gegenaktionen ein gewisses System zugrunde lag, daß durch dies
verworrene Gespinst ein Faden lief, der von geschickten und kundigen
Händen geknüpft worden war.


                               DER PUTSCH

Die Ernennung Kahrs zum Generalstaatskommissar war von den
„Vaterländischen Verbänden“ Bayerns, deren Ehrenvorsitzender er war, mit
folgender Kundgebung begrüßt worden:

   „Bayern steht unter der Führung des Generalstaatskommissars v. Kahr.

   Wir wissen, daß der Mann, der vor zwei Jahren allein gegenüber
   Zumutungen (in den Fragen der Entwaffnung und der Einwohnerwehren),
   die zum Schaden Deutschlands und Bayerns führen mußten, aufrecht
   geblieben ist, heute dieselbe gerade Gesinnung durch die Tat
   beweisen wird.

   Damals stand er allein, wenn auch die Gefühle der Besten in Bayern
   und Deutschland mit ihm waren. Heute soll Herr Kahr wissen, daß er
   nicht nur auf Gefühle rechnen kann, die Machtmittel des Staates und
   machtvolle Organisationen stehen ihm zur Seite.

   Jetzt heißt es, das Vaterland vom Abgrund zurückzureißen und sich in
   die Erfordernisse des völkischen Gedankens und einer auf diesem
   Gedanken fußenden Staatsmacht einzuordnen.

   Das ist die heilige Pflicht jedes Mitgliedes der Vereinigten
   vaterländischen Verbände Bayerns.

                                               gez. Bauer. Kleinhenz.“

Das Stichwort war gefallen. Die Führer der verschiedenen Kampfverbände
nahmen es auf. Für Arbeitsteilung sorgte Hitler, der fieberhaft die
Aufrüstung betrieb und seine Anhänger mit der Versicherung, die Stunde
zum Losschlagen sei gekommen, unerbittlich vorwärtstrieb. Seine
Zuversicht wurde nicht einmal getrübt, als Kahr in den ersten
Oktobertagen mit einem geschickten Manöver den nationalsozialistischen
Kampfbund sprengte. Der Wiking-Bund, eine militärische Organisation
Ehrhardts, an dessen Spitze dessen Adjutant Kapitän Kautter stand, trat
auf die Seite Kahrs über. Die Organisation „Reichsflagge“, von Hauptmann
Heiß befehligt, folgte. Das war ein schwerer Schlag, denn Heiß saß in
Nürnberg und hatte die wichtigen nordbayrischen Gebiete in der Hand.
Kahr ließ nicht locker. Als der Leipziger Staatsgerichtshof wegen einer
hochverräterischen Rede des draufgängerischen Hauptmanns Heiß einen
Haftbefehl gegen ihn erließ, setzte nun der Generalstaatskommissar noch
am selben Tag – 28. September – mit einer Verordnung das Reichsgesetz
zum Schutz der Republik für Bayern außer Kraft. Damit war dem Reich in
aller Form der Fehdehandschuh hingeworfen. Nun gab es kein Zurück mehr.

In den letzten Septembertagen ein zweiter, noch bedeutsamerer
Zwischenfall: General von Seeckt hatte als Inhaber der vollziehenden
Gewalt im Reich den „Völkischen Beobachter“ in München, Hitlers Organ,
wegen fortgesetzter hochverräterischer Drohungen verboten. Das Blatt
hielt es nicht für notwendig, das Verbot zu beachten. Seeckt ließ die
bayrischen Behörden ersuchen, dem Verbot Beachtung zu erzwingen – die
bayrischen Behörden erklärten, ein Eingreifen auf Grund des
Reichsausnahmezustandes ablehnen zu müssen. Ein neuer Befehl von Berlin,
diesmal an General von Lossow: er habe im eigenen Wirkungskreis das
Weitererscheinen der Zeitung zu verhindern. General Lossow warf den
Befehl seines Vorgesetzten in den Papierkorb. General von Seeckt
entschloß sich, den letzten Trumpf auszuspielen: Lossow wird seines
Postens und des Kommandos über die bayrische Reichswehr enthoben. Auch
jetzt kapituliert Lossow nicht. Er erklärt formell, diesem Befehl nicht
Folge geben zu können, und der Generalstaatskommissar von Kahr ernennt
ihn noch am selben Tag zum bayrischen Landeskommandanten. Tags darauf
ordnet Kahr an, die bayrischen Truppen auf den Generalstaatskommissar
von Bayern zu vereidigen. Am 20. Oktober rücken die Münchener Truppen
zur Eidesleistung aus. Der Bruch mit dem Reich ist vollzogen. Was werden
die nächsten Tage bringen?

November wird’s. Grauer dichter Nebel deckt sein Tuch über Deutschland.
Unten in Bayern brodelt es. Niemand weiß recht, welche Gewitter im Anzug
sind, was die schweren Wolken bergen, die über der thüringischen und
sächsischen Grenze heraufziehen. Aber im ungewissen Schein der Dämmerung
hat man dort unten Truppen gesehen, Tausende von Bewaffneten, die in den
Dörfern und Städten kampieren, die Landstraße besetzt halten; Reisende
wissen beängstigende Dinge von Schützengräben, Kanonen und Panzerautos
zu erzählen. Der Vormarsch der bayrischen Kampfverbände ist nicht mehr
zum Stehen zu bringen. General von Seeckt, der bis zuletzt gezögert
hatte, verhandelt hatte, immer wieder neue Fäden anknüpfte mit den
Abgesandten Kahrs und dessen preußischen Freunden, findet sich in einer
Sackgasse. Am 4. November erläßt er folgenden Aufruf an die Reichswehr:

   Reichswehrministerium (Heer) Heeresleitung

                                         Berlin, den 4. November 1923.

   Der Ruhrkampf und sein Ende haben Deutschland im tiefsten
   aufgewühlt. Frankreichs und Belgiens frevelhafter Eingriff in das
   Reichsgebiet, die wirtschaftliche Not, die das Volk an den Rand der
   Verzweiflung bringt, haben uns nicht zusammengeführt, sondern den
   Kampf der Parteien zur Siedehitze gesteigert. Der kommunistische
   Umsturz ist in Hamburg soeben von Polizei und Reichsmarine
   niedergeworfen worden: aber die Kommunisten sind entschlossen, ihn
   zu erneuern, sobald ihnen die Verschärfung der Not und des
   politischen Kampfes neue Gelegenheit gibt. Andererseits ist Macht
   und Anhang derjenigen gewachsen, die Deutschlands Rettung nur in der
   beschleunigten, gewaltsamen Beseitigung des heutigen
   Regierungssystems durch eine nationale Diktatur sehen. Die
   bayrischen Nationalsozialisten fordern den Marsch auf Berlin.

   Solange ich an meiner Stelle bin, habe ich die Ansicht vertreten,
   daß nicht von diesem oder jenem Extrem, nicht von äußerer Hilfe oder
   innerer Revolution – komme sie von links oder rechts – das Heil
   kommt, sondern daß uns nur harte, nüchterne Arbeit die Möglichkeit
   zum Weiterleben gibt. Diese können wir allein auf dem Boden von
   Gesetz und Verfassung leisten. Wird dieser verlassen, so tritt der
   Bürgerkrieg ein – der Bürgerkrieg, der bei unseren heutigen
   Verhältnissen zwei an Zahl und Machtmitteln gleich starke Parteien
   gegeneinander führt, der nicht mit dem Siege der einen Seite,
   sondern mit ihrer gegenseitigen Zerfleischung endet, für den uns der
   30jährige Krieg ein furchtbar warnendes Beispiel sein muß. Feinde
   ringsum, im Innern Deutsche gegen Deutsche! Beim Friedensschluß
   triumphiert Frankreich.

   An der Reichswehr ist es, diesen Bürgerkrieg zu verhindern. Solange
   in der Reichswehr innere Disziplin und unerschütterliches Vertrauen
   zu ihren Führern lebt, solange kann kein Feind des Staates etwas
   ausrichten, solange kann die Reichseinheit nicht angetastet werden,
   solange wird die Hoffnung auf ein freies und großes Deutschland
   nicht erlöschen. An uns ist es, dieses Vertrauen nicht zu täuschen,
   den militärischen Ausnahmezustand so zu handhaben und
   auszugestalten, daß nicht nur Ruhe und Ordnung in Deutschland
   herrschen, sondern daß seine Bewohner, in ihrer Existenz
   sichergestellt, wieder Vertrauen zur Zukunft fassen und seine Jugend
   in nationaler Begeisterung wieder zur Wehrhaftigkeit drängt. Wohl
   aber haben sich durch die jüngsten Vorgänge in Bayern Zweifel
   erhoben, ob die innere Einigkeit und Festigkeit des Heeres zur
   Durchführung dieser hohen Aufgabe genügt. Unser Lebensinteresse ist
   es, daß wir diesen Zweifel widerlegen, daß wir den Parteikampf, der
   alle übrigen Kräfte Deutschlands zerreißt, aus dem Heere
   ausschließen, daß wir nur den überparteilichen staatlichen
   Notwendigkeiten dienen und uns weder durch den Haß noch durch die
   Lockungen der politischen Richtungen von dieser Bahn abbringen
   lassen. Diese staatlichen Notwendigkeiten zu erkennen und
   durchzusetzen, ist aber allein Sache der obersten Führung. Die Ehre
   des Soldaten liegt nicht im Besserwissen und Besserwollen, sondern
   im Gehorsam. Deshalb warne ich in dieser Stunde alle Angehörigen der
   Reichswehr vor jenen, die Zwietracht in ihre Reihen zu tragen suchen
   und unter dem Mantel schöner Ziele Mißtrauen gegen die Vorgesetzten
   säen. Eine Reichswehr, die in sich einig und im Gehorsam bleibt, ist
   unüberwindlich und der stärkste Faktor im Staate.

   Ich ersuche alle Kommandeure, ihre Untergebenen auf die schweren
   Gefahren einer solchen Entwicklung hinzuweisen und jeden
   Reichswehrangehörigen, der sich politisch zu betätigen sucht, sofort
   aus der Truppe zu entfernen.

                                                       gez. v. Seeckt.

Am selben Tag erläßt auch Stinnes eine Proklamation. Es ist ein
einfacher Brief. Niemand in der breiten Öffentlichkeit nimmt Kenntnis
von ihm. Und doch kommt ihm große Bedeutung zu.

In diesem Brief verabschiedet Herr Stinnes seinen Generaldirektor
Minoux, der viele Monate lang seine rechte Hand gewesen ist, der erst
vor wenigen Tagen mit Wissen seines Herrn nach München geeilt war, um in
Verhandlungen mit Hitler und Ludendorff und Kahr den Boden für das große
nationale Direktorium zu bereiten, in dem ihm selbst eine führende
Stellung ausersehen war. Herr Stinnes läßt seinen Generaldirektor
fallen. Der Traum vom nationalen Direktorium ist ausgeträumt. Kahr weiß
nun, was die Stunde schlägt.

Am 6. November versammelt er die Führer sämtlicher Kampfverbände in
München, um im letzten Augenblick das Steuer herumzureißen.
Polizeioberst Seißer, der gerade von seiner Reise nach Berlin
zurückgekehrt ist, hat das Referat. Er soll nun den Herren Hitler und
Ludendorff klar machen, daß man die Aktion verschieben müsse. Der Norden
ist noch nicht so weit, ein zu frühes Losschlagen kann verhängnisvolle
Folgen haben. Zeit gewinnen, denkt Herr von Kahr, ist jetzt alles.
Warten wir wenigstens noch bis zum 12. November.

Die Sitzung nimmt einen stürmischen Verlauf. Oberstleutnant Kriebel, der
oberste Führer der Hitlerschen Kampftruppen, ist empört. Soll man wieder
„kneifen“? Warum bis zum 12. warten, wenn man schon am 9. den Schlag
führen kann? In derselben Nacht fassen Hitler und seine Kommandanten den
Entschluß, ohne weiteren Zeitverlust loszuschlagen, jene vollendete
Tatsache zu schaffen, die – wie sie überzeugt sind – auch Herrn von Kahr
veranlassen wird, „den Absprung zu wagen“.

Für den 8. November acht Uhr abends ist im Münchener Bürgerbräu eine
Versammlung einberufen, in der Herr von Kahr eine Rede zur politischen
Lage halten soll. Bis auf den letzten Platz ist dieser große Saal
gefüllt. Unruhe, Ungewißheit, eine Ahnung von ungewöhnlichen Dingen, die
sich abspielen werden, abspielen müssen, hält die Zuhörer in ihrem Bann.
Draußen an den Eingängen stehen mit Pistole und Gewehr Bewaffnete,
verwegene Gestalten Wache. Ihre Windjacke ist mit dem Hakenkreuz
geziert, auf der Kappe das Abzeichen Hitlers. Es sind die tüchtigsten,
militärisch am besten geschulten Parteigenossen, die diesen Stoßtrupp
bilden und Leutnant Berchtold befehligt sie. Bund „Oberland“
unter Führung Dr. Webers und des Generals a. D. Aechter, die
„Reichskriegsflagge“ unter Führung des Hauptmanns Röhm, das
nationalsozialistische „Regiment München“, das drei Bataillone zählt und
den Oberleutnant Brückner zum Kommandanten hat, sind seit Tagen marsch-
und gefechtsbereit. Wird es noch heute losgehen?

Herr von Kahr hat die Rednertribüne bestiegen und beginnt sein Referat.
Eine halbe Stunde ist vergangen. Da – Stimmengewirr, Kommandorufe,
rückwärts am Saaleingang brandet Geschrei, große Wellen der Erregung
fluten nach vorne – was ist geschehen? Ein Schuß fällt. Hitler steht
mitten im Saal. Die noch rauchende Pistole in der Hand. Seine Stimme
schmettert, übertäubt allen Lärm, es wird mäuschenstill im Saal:

„Die nationale Revolution ist ausgebrochen. Der Saal ist von
sechshundert Schwerbewaffneten besetzt. Niemand darf den Saal verlassen.
Wenn nicht sofort Ruhe ist, werde ich ein Maschinengewehr auf die
Galerie stellen lassen. Die bayrische Regierung und die Reichsregierung
sind abgesetzt. Eine provisorische Reichsregierung wird gebildet. Die
Kasernen der Reichswehr und Landespolizei sind besetzt. Reichswehr und
Landespolizei rücken bereits unter der Hakenkreuzfahne heran.“

Frenetischer Beifall braust auf. Kahr tritt vom Podium ab, folgt mit
General Lossow Hitler in einen Nebensaal. Inzwischen ist Leutnant Pernet
mit dem Auto losgesaust, um General Ludendorff herbeizuholen. Dr. von
Scheubner-Richter, der Geschäftsführer der nationalsozialistischen
Partei, begleitet ihn.

Wenige Minuten später ist Ludendorff zur Stelle. Und während draußen in
der Stadt die völkischen Truppen aufmarschieren, entwirft Hitler den
Schlachtplan. Eine bayrische Regierung soll gebildet werden, die aus
einem Landesverweser und einem mit diktatorischen Vollmachten
ausgestatteten Ministerpräsidenten bestehen wird. Herr von Kahr wird
Landesverweser, Oberlandesgerichtsrat Pöhner Ministerpräsident. Hitlers
Stimme schmettert:

   „Bis zum Ende der Abrechnung mit den Verbrechern, die heute
   Deutschland tief zu Grunde richten, übernehme die Leitung der
   Politik, der provisorischen nationalen Regierung – ich. Exz.
   Ludendorff übernimmt die Leitung der deutschen nationalen Armee,
   General von Lossow wird deutscher Reichswehrminister, Oberst von
   Seißer deutscher Reichspolizeiminister. Die Aufgabe der
   provisorischen deutschnationalen Regierung ist, mit der ganzen Kraft
   dieses Landes und der herbeigezogenen Kraft aller deutschen Gaue den
   Vormarsch anzutreten in das Sündenbabel Berlin, das deutsche Volk zu
   retten.“

Dann steht General Ludendorff auf dem Podium:

   „Ergriffen von der Größe des Augenblicks und überrascht stelle ich
   mich kraft eigenen Rechtes der deutschen Nationalregierung zur
   Verfügung. Es wird mein Streben sein, der alten schwarz-weiß-roten
   Kokarde die Ehre wiederzugeben, die ihr die Revolution genommen hat.
   _Es geht heute um das Ganze._ Es gibt für einen deutschen Mann, der
   diese Stunde erlebt, kein Zaudern zur vollen Hingabe, nicht nur mit
   dem Verstand, nein, zur Hingabe mit vollem, deutschem Herzen an
   diese Sache. _Diese Stunde bedeutet den Wendepunkt in unserer
   Geschichte._ Gehen wir in sie hinein mit tiefem, sittlichem Ernst,
   überzeugt von der ungeheuren Schwere unserer Aufgabe, überzeugt und
   durchdrungen von unserer schweren Verantwortung. Gehen wir mit dem
   übrigen Volk an unsere Arbeit. Wenn wir reinen Herzens diese Arbeit
   tun – deutsche Männer, ich zweifle nicht daran –, wird Gottes Segen
   mit uns sein, den wir herabflehen auf diese Stunde. Ohne Gottes
   Segen geschieht nichts. Ich bin überzeugt und zweifle nicht daran:
   Der Herrgott im Himmel, wenn er sieht, daß endlich wieder deutsche
   Männer da sind, wird mit uns sein.“

Pöhner beschließt die Reihe der Ansprachen:

   „Ich werde mich _selbstverständlich_ dem Rufe nicht entziehen, den
   vaterländische Pflicht mir gebeut. Ich werde Herrn v. Kahr treu zur
   Seite stehen bei der schweren Aufgabe, die er haben wird. Wir haben
   bisher immer zusammengestanden. Seine Exzellenz wird sich auf mich
   verlassen können.“

Doch man hört nicht mehr, was hier im Saale gesprochen wird.
Trommelwirbel dröhnt von der Straße herein. Die Infanterieschule ist
unter den Hakenkreuzfahnen heranmarschiert und hat vor dem Bürgerbräu
Aufstellung genommen. Ludendorff schreitet die Front ab. Und
gleichzeitig werden die Minister des bayrischen Kabinetts, die der
Versammlung beigewohnt haben, unter strenger Eskorte in Autos verladen,
um in ihre Ehrenhaft abgeführt zu werden. Dr. Weber hat die Villa seines
Schwiegervaters Lehmann für die Unterbringung der Geiseln
bereitgestellt.

Mitternacht ist vorüber. Im obersten Kommando Hitlers herrscht
Unsicherheit und Beklemmung. Es ist zu leicht gegangen und zu schnell.
Nirgends zeigt sich Widerstand. Die Herren Kahr und Lossow sind
plötzlich verschwunden, und da man sie jetzt telephonisch erreichen
will, versagt das Telephon. Kuriere jagen durch die nächtlichen Straßen.
Herr Lossow ist nicht zu finden. Herr Kahr ist nicht zu sprechen. Im
Wehrkreiskommando, wo der Stab der Rebellenarmee versammelt ist, weiß
man diese beunruhigenden Zufälle nicht zu deuten. Ein Kurier nach dem
andern geht ab und kehrt nicht wieder. Ludendorff bittet, fordert,
befiehlt – Lossow kommt nicht zur Besprechung.

Der Morgen dämmert. Da beschließt das Kommando, alle verfügbaren Truppen
zu sammeln und einen großen Demonstrationszug durch die Stadt zu
veranstalten, um endlich aus dieser Unklarheit herauszukommen.

Der Zug setzt sich in Marsch. Böse Nachrichten laufen ein. Die Kaserne
ist in den Händen der Reichswehr, der Versuch, sie im Sturm zu nehmen,
ist kläglich mißlungen. Im Polizeipräsidium ist Herr Frick, der von
Hitler zum Leiter der Münchener Polizei ernannte Oberamtmann, ganz
plötzlich verhaftet worden. Reichswehr sperrt die Isarbrücken, Gewehr
bei Fuß. Oberleutnant Brückners Parlamentäre kehren unverrichteter Dinge
zurück. Ist man umzingelt? Verraten? Verloren? Wo ist Kahr? Was will
Lossow?

Als der Zug unter Führung Hitlers und Ludendorffs und der anderen
Kommandanten zur Residenz einbiegt, bekommt er Flankenfeuer.
Scheubner-Richter stürzt tot zu Boden. Wieder kracht eine Gewehrsalve.
Die Hitlertruppen wollen das Feuer erwidern, aber die Übermacht ist zu
groß. Der Zug ist zersprengt. Tote und Verwundete wälzen sich am Boden,
die Truppen der Rebellen flüchten nach allen Seiten, der Putsch ist
gescheitert.




                              DER PROZESS


                             VORBEREITUNGEN

Sofort nach dem Putsch eröffnete die Bayrische Volkspartei eine
groß angelegte Offensive, um nach zwei Fronten – gegen den
Nationalsozialismus der Hitler-Ludendorff einerseits, gegen den ihr
unbequem gewordenen Herrn von Kahr andererseits – den entscheidenden
Schlag zu führen. Drei Monate tobte dieser erbitterte Kampf mit
wechselndem Glück. Unter Führung des Kardinals Faulhaber, dem sich der
päpstliche Nuntius Pacelli zugesellt hatte, vom Vorsitzenden der
katholischen Landtagsfraktion Dr. Held ebenso geschickt wie energisch
geleitet, gelang es der Bayrischen Volkspartei tatsächlich – die
Zerklüftung und Verwirrung im völkischen Lager gut ausnutzend – ihre an
die Nationalsozialisten verlorengegangenen Stellungen auf dem flachen
Lande zurückzuerobern.

Welche zersetzende Wirkung das Fiasko des Putsches in den völkischen
Verbänden anrichtete, geht aus nachfolgenden Briefen hervor, die bei
einem zur Brigade Ehrhardt desertierten Reichswehrsoldaten in Thüringen
gefunden worden sind. Zu ihrem Verständnis: der „Stahlhelm“ und der mit
ihm in engster Verbindung stehende „Jungdeutsche Orden“ gehörten der
Ludendorff-Richtung der Völkischen an und waren bis zum Putsch mit den
Ehrhardt-Verbänden in innigem Kontakt. So war der „Bund Wicking“, eine
Unterorganisation der Brigade Ehrhardt, noch bis zum Januar 1924 mit dem
„Jungdeutschen Orden“ auch organisatorisch verbunden. Infolge der
Auswirkungen des Novemberputsches verschärften sich die Gegensätze
zwischen den großdeutsch eingestellten Verbänden der Nationalsozialisten
und den mit Kahr sympathisierenden katholischen Formationen, so daß es
zu einer regelrechten Spaltung kam.

                                                              1. 1. 24

   Herrn Korvettenkapitän Ehrhardt in München.

   Sehr geehrter Herr Kapitän!

   Mit dem Beginn des neuen Jahres möchte ich das Verhältnis mit der
   Brigade Ehrhardt und dem Jungdeutschen Orden in Bayern in klarer,
   eindeutiger Weise geregelt wissen.

   Sie, verehrter Herr Kapitän, wissen, mit welcher Freude ich
   seinerzeit im Einverständnis mit dem 2. Komtur-Bruder Dietrich und
   dem Großmeister der Ballei Franken die wehrhaften Leute unter Ihre
   militärische Leitung gestellt habe in der Überzeugung, daß _Ihre
   Politik, die auf Ausnutzung der Bayrischen Regierung zur Führung des
   entscheidenden Schlages_ hinausging, die einzig gegebene sei. Sie
   wissen, daß wir uns, besonders in den letzten Wochen, da ich mit
   Ihnen die schönen Tage in Tirol zusammen sein durfte, mit Wort und
   Schrift, mit unserer ganzen Person hinter Ihre Persönlichkeit und
   wiederholt auch schützend vor Sie gestellt haben. Ich war stolz
   darauf, daß das Jungdeutsche Regiment in entscheidungsvollen Tagen
   in Reih und Glied mit den kampferprobten Brigadetruppen eintreten
   würde für unser gemeinsames Ziel, der Befreiung Deutschlands.
   _Infolge der Nachwirkung des 8. und 9. November 23 ist es mir aus
   inneren und äußeren Gründen nicht mehr möglich, dem Verbande der
   Brigade anzugehören._

   Aus innerlichen Gründen deshalb, weil ich Ihre gegensätzliche
   Einstellung zu dem hochverdienten General _Ludendorff_ nicht
   einnehmen kann, der heute in ganz Deutschland der einigende Punkt in
   der völkischen Bewegung geworden ist. Aus äußerlichen Gründen
   deshalb, weil trotz wiederholter Versicherung, dennoch immer wieder,
   und zwar jetzt in verschärfter und hinterhältiger Weise, der Versuch
   gemacht wird, einzelne Ordensbrüder unter Mißachtung des von ihnen
   abgelegten Ordensgelübdes auf die Brigade Ehrhardt zu verpflichten.
   Aufs äußerste empört bin ich vor allem über das Verhalten der im
   sogen. 2. Batl. Heiligersdorf tätigen Wickingoffiziere, die mit den
   gemeinsten Verleumdungen gegen die Ordensleitung von Ort zu Ort
   gingen und sie durch niederträchtigste Denunziationen bei den
   Bezirksämtern der Gefahr des Verbotes absichtlich preisgeben.

   Ich bitte darum, Herr Kapitän, mir das Ihnen gegebene Wort wieder
   zurückzugeben und _das militärische Verhältnis des Ordens zur
   Brigade als gelöst zu betrachten_. Ich vertraue Ihnen, daß Sie
   sofort Anweisung zur Abberufung der noch im Ordensgebiet tätigen
   Wickingoffiziere ergehen lassen, um mir und dem Orden weitere
   Maßnahmen zu ersparen und bitte Sie, meinen Wunsch bis zum 15. 1. 24
   zu erfüllen. Abgesehen davon, daß wir uns das Recht nehmen, unseren
   Gefolgschaften Aufklärung und Verhaltungsmaßregeln zu geben,
   verzichten wir im Interesse der völkischen Bewegung, in der
   Öffentlichkeit Stellung zu nehmen, unter der selbstverständlichen
   Voraussetzung, daß sich der Bund Wicking jedes Vorgehens gegen den
   Orden enthält.

   Mit treudeutschem Heilgruß für den Jungdeutschen Orden in Bayern

                                                Johnson, Landeskomtur.

Darauf antwortete Ehrhardt:

   Bund Wicking e. V., München.

                                                             5. 1. 24.

   An den Landeskomtur des Jungdeutschen Ordens in Bayern.

   Der Empfang Ihres Briefes vom 1. Januar wird hiermit bestätigt. Ich
   begrüße die klare Stellungnahme, die Sie einnehmen, weil diese auch
   mir die volle Handlungsfreiheit zurückgibt und ein Verhältnis löst,
   das von Ihrer Seite nur noch ein Scheinverhältnis war.

   Ihr Balleibefehl vom 1. 12. 23 (an alle Großmeister und
   Gefolgschaftsmeister, streng vertraulich) ist der schlagendste
   Beweis, daß von Ihrer Seite das Treuverhältnis und die
   Arbeitsgemeinschaft mit der Brigade E. innerlich bereits gelöst war.
   Ich bedaure, daß Sie erst jetzt, einen vollen Monat nach Erlaß
   dieses Befehls, es für nötig halten, auch äußerlich die Konsequenz
   aus Ihrer inneren Wandlung zu ziehen und das Wort, das Sie mir
   gegeben haben, erst jetzt formell zurückzuverlangen, ein Verfahren,
   das mit völkischem Verhalten in schroffem Widerspruch steht.

   Wenn Sie jetzt als inneren Grund, der zur Trennung von der Brigade
   zwingt, anführen, daß Sie meine gegensätzliche Stellung zu dem
   hochverdienten General Ludendorff nicht einnehmen können, so setzt
   mich die Behauptung doch einigermaßen in Erstaunen. _Aus meiner
   Stellung zu General Ludendorff habe ich Ihnen von Anfang an keinen
   Hehl gemacht_ und Sie haben diese Stellungnahme die ganze Zeit
   gebilligt. Seit dem 8. und 9. November hat sich mein Verhältnis zu
   Ludendorff nur insofern geändert, als ich die maßlosen und
   ungerechtfertigten Angriffe in der Öffentlichkeit erfuhr und in
   reiner Notwehr dagegen Stellung nahm. Zu dem zweiten von Ihnen
   angeführten Punkte lehne ich eine Erörterung ab. Wenn es Sie
   interessiert, stelle ich es Ihnen anheim, sich das ausführliche
   Beweismaterial der Gegenarbeit des Ordens gegen die Brigade, die
   schon Wochen vor der Aufkündigung Ihres Treueverhältnisses zu mir
   zurückgeht, einzusehen. Wenn von meiner Seite nicht wieder gegen
   dieses Treiben eingeschritten wurde, so lag der Grund darin, daß ich
   immer noch auf die Möglichkeit gemeinsamer Arbeit gehofft habe und
   meinerseits alles verhindern wollte, was die Zersetzung im
   völkischen Lager vergrößert. Gemäß Ihres Wunsches sind Sie mit dem
   heutigen Tage Ihres Wortes entbunden. Das militärische Verhältnis
   des Ordens zur Brigade ist mit demselben Tage gelöst. _Ich ersuche,
   die dem Orden als Treuhänder übergebenen Waffen der Brigade an meine
   Befehlsstelle Koburg zu übergeben._

   Der von Ihnen gewünschten Anerkennung eines geschlossenen
   Ordensgebietes bedaure ich nicht zustimmen zu können. Die weitere
   Stellung des Wickingbundes hängt von dessen Verhalten ab.

                                                        gez. Ehrhardt.

Trotz der Spaltung der völkischen Verbände, trotz heftigstem, sehr
persönlich und gehässig geführtem Kampf der einzelnen Führer gegen die
Vertreter des anderen Flügels gelang es den Nationalsozialisten, in den
Städten, vor allem in München und Nürnberg, ihre Positionen zu halten.
Der soziale Umschichtungsprozeß wirkte sich vorläufig trotz der
Stabilisierung der Mark weiter aus, die Sanierung mit Beamtenabbau und
Lohnkürzung, Arbeitslosigkeit und Teuerung bereitete der
nationalsozialistischen Agitation einen guten Boden, so daß die
Völkischen verhältnismäßig leicht die schwere Krise überwinden konnten,
in die sie nach dem Fiasko ihres Putsches geraten waren. Ein volles Jahr
mußte vergehen, bevor diese stürmische Entwicklung zu den Extremen
unterbrochen wurde, die Annahme des Dawesgutachtens eine den
Mittelparteien günstigere Atmosphäre schuf und die Völkischen ihre noch
im Mai 1924 neu eroberten Positionen im Dezember des gleichen Jahres
endgültig verloren.

Unmittelbar nach dem Putsch aber fühlten sich die Völkischen noch so
stark, daß sie die Kampagne der Bayrischen Volkspartei mit einem
Gegenangriff beantworteten und Anfang Dezember eine heftige Agitation
„für den Austritt aus der katholischen Kirche“ einleiteten, die in
persönlichen Attacken gegen den Kardinal Faulhaber, in der Besudelung
der bischöflichen Palais von Bamberg und Regensburg, in der Entfesselung
eines neuen, wüsteste Formen annehmenden Kulturkampfes ihre Steigerung
erfuhr.

Doch die bürgerlichen Parteien Bayerns unter der Führung der Klerikalen
gaben den Kampf nicht verloren. Um sich den unbequemen Gegner vom Hals
zu schaffen, verschmähten sie nicht, Fäden nach Berlin zu spannen,
sicherten sich die Unterstützung der Reichsregierung zur „Liquidierung
des Rechtsradikalismus“ und die Bayrische Volkspartei entschloß sich
sogar, neben General Lossow auch Kahr fallen zu lassen. Sie schob den
General von Epp – den „Muttergottesgeneral“, wie ihn die Hitlerleute
nannten – vor, damit er die völkischen Kampfverbände unter seine Führung
nehme und sie ins Lager der katholischen Kirche und in den Schoß der
Wittelsbacher zurückführe. Gleichzeitig begann die Aufklärungsarbeit;
Broschüren und Flugblätter („Ludendorff in Bayern“, „Veni-vidi ...“)
knüpften geschickt an die separatistischen und klerikalen Vorurteile des
bayrischen Bürgertums und der Bauernschaft an, um die erwünschte
Stimmung gegen den „Preußen Ludendorff“, gegen die „volksfremden
Elemente aus dem Norden“, gegen die „ungläubigen Umstürzler“ zu
schaffen. Anfang Januar schien es, als hätte die Volkspartei ihr
angestrebtes Ziel erreicht – der Prozeß gegen Hitler sollte ihren Sieg
nach außen hin dokumentieren.

Da trat eine neue Wendung ein: Kahr, der ganz richtig erkannte, daß ihn
die Bayrische Volkspartei nur noch als einen vorgeschobenen Posten
betrachtete, den im gegebenen Augenblick zu opfern sie rücksichtslos
entschlossen war, und der befürchtete, daß er noch vor dem Prozeß fallen
gelassen werden könnte, versuchte durch seinen Freund Ehrhardt eine
Annäherung an Hitler und Ludendorff herbeizuführen, um so wenigstens für
die Dauer des Prozesses die Gegensätze zu entspannen und eine gewisse
einheitliche Front gegen die Staatsanwaltschaft zu ermöglichen. Dieser –
zu spät unternommene – Versuch schlug fehl. Im Gegenteil: Die Versöhnung
Ehrhardts mit Ludendorff, die auf einem Kommers des „Waffenring
deutscher Art“ in München Ende Januar tatsächlich zustande kam, hatte
ein von Kahr keineswegs erwartetes Ergebnis. Ehrhardt einigte sich mit
Ludendorff, hielt es aber nicht für notwendig, Kahr in dies
Freundschaftsbündnis einzubeziehen. Dieser sah sich nun über Nacht noch
isolierter als vorher.

Da erkannte aber die bayrische Regierung, wie sehr es in ihrem eigenen
Interesse lag, Kahr gegen diese verstärkte Offensive der Völkischen mehr
zu decken, als sie es ursprünglich beabsichtigte. Zwar mußte Kahr sein
Amt als Generalstaatskommissar niederlegen, General von Lossow trat vom
Kommando der bayrischen Reichswehr zurück, andererseits aber beschloß
das Münchener Kabinett, die beiden Herren für die Dauer des Prozesses
moralisch zu unterstützen. Die klerikale Presse schwenkte abermals um
und trat energisch für die verleumdeten „Retter des bayrischen Staates“
ein.

Ein übriges geschah: Der ursprünglich als Vorsitzender für den Prozeß
bestimmte Landgerichtsdirektor wurde plötzlich befördert, so daß die
Führung der Verhandlung einem neuen Herrn übertragen werden mußte, dem
man besonders gute Beziehungen zu den Klerikalen nachsagte. Die
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wurde höhern Orts zurückbehalten
und Kahr und Lossow erhielten die Möglichkeit, sich auf eine gemeinsame
Verteidigungslinie durch Ausarbeitung einer einheitlichen Zeugenaussage
festzulegen.

Endlich beschloß die bayrische Regierung, den Generalstaatskommissar
nicht vom Amtsgeheimnis zu befreien, so daß er als Zeuge nur über die
mit den Vorgängen in der Putschnacht unmittelbar zusammenhängenden
Ereignisse aussagen durfte. Um jedoch auch den Völkischen die
Möglichkeit zu einem Rückzug und zu einer späteren Verständigung nicht
zu rauben, wurde die bayrische Staatsanwaltschaft angewiesen, die
Anklage nur auf den Tatbestand des „ideellen Hochverrats“ auszudehnen
und so die Verbitterung und die Gegensätze auf beiden Seiten nicht zu
verschärfen. Die während des Putsches von den Hakenkreuzlern verübten
gemeinen Verbrechen – Beraubung und Mißhandlung der sozialistischen
Gemeinderäte, Verwüstung der „Münchener Post“ usw. sollten in einer
späteren Verhandlung geklärt werden.


                            DIE ANGEKLAGTEN

Am 26. Februar 1924 begann vor dem Münchener Volksgericht der
Hochverratsprozeß gegen Hitler, Ludendorff und Genossen. Vorsitzender
war Oberlandesgerichtsrat Neidhardt, Anklagevertreter die Staatsanwälte
Ehart und Stenglein. Als Angeklagte erschienen vor Gericht:

_Adolf Hitler_, 1889 in Braunau (Österreich) geboren,
„Architekturzeichner und Schriftsteller“. Er wurde in der Anklageschrift
als „die Seele des Putsches“ bezeichnet.

_General Ludendorff._ Die Anklageschrift wies nach, daß er schon vor dem
Putsch über das Unternehmen _genau unterrichtet_ war und sich als Führer
der neu zu bildenden Nationalarmee betätigte, „indem er Vorschriften
über Grenzschutz, Eingliederung der Verbände in die Reichswehr,
Unterbringung der Truppen, Bereitstellung von Räumen usw. besprach und
erließ.“

_Oberlandesgerichtsrat Pöhner_ „war für den Posten eines
Ministerpräsidenten in der neuen bayrischen Regierung ausersehen und
betätigte sich auch als solcher.“

_Frick_, Oberamtmann in München, „sollte das Polizeipräsidium
übernehmen. Auch er hatte von dem Putsch Kenntnis.“

_Friedrich Weber_, Führer des Bundes „Oberland“, „warf als politischer
Führer dieses Kampfbundes dessen Gewicht in die Wagschale und stellte
den militärischen Apparat des Bundes auf das Unternehmen ein.“

_Hauptmann a. D. Röhm_, Führer des Kampfbundes „Reichskriegsflagge“,
warf die Anklageschrift vor, daß er sich „aktiv mit seinen Truppen an
dem Putsch beteiligte und das Wehrkreiskommando zur Verteidigung gegen
die Reichswehr besetzt hatte.“

_Oberleutnant Brückner_, Führer des nationalsozialistischen Regiments
München, „hatte mit seinen bewaffneten Leuten in der Nacht vom 8. auf
den 9. November an den militärischen Operationen teilgenommen.“

_Leutnant Wagner_ „veranlaßte die Alarmierung der Infanterieschule
hinter dem Rücken der Vorgesetzten zur Teilnahme an dem Putsch.“

_Oberstleutnant a. D. Kriebel_, der militärische Führer des Hitlerschen
„Kampfbundes“, „war mit der militärischen Oberleitung der Aktion betraut
gewesen. Er hatte außerdem die in der Versammlung im Bürgerbräukeller
anwesenden Minister als Geiseln verhaften lassen und Vorsorge getroffen,
um Polizeidirektion, Regierungsgebäude, Haupttelegraphenamt und
Hauptbahnhof zu besetzen.“

Gegen alle diese erhob die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen des
Verbrechens des Hochverrats, da sie „zugegebenermaßen, gestützt auf die
bewaffneten Machtmittel des Kampfbundes und die bewaffnete Macht der
Infanterieschule, es unternommen hatten, die bayrische Regierung und die
Reichsregierung gewaltsam zu beseitigen, die Reichsverfassung und die
des Freistaats Bayern gewaltsam zu ändern und verfassungswidrige
Regierungsgewalten aufzurichten.“

_Oberleutnant a. D. Pernet_, der Stiefsohn Ludendorffs, „war mit der
Aufgabe betraut gewesen, die Angehörigen der Infanterieschule für den
Putsch zu gewinnen und beteiligte sich als Ordonnanzoffizier beim
Oberkommando. Er beschlagnahmte Gelder und zahlte damit die Löhnung für
die Führer und Mannschaften dieser Kampfverbände aus.“ Gegen ihn hatte
die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben wegen „Beihilfe zum Hochverrat“.

Auf der Anklagebank fehlten: Generalstaatskommissar von Kahr, General
von Lossow und Polizeioberst von Seißer, die nach der Auffassung der
Staatsanwaltschaft in der Versammlung im Bürgerbräukeller „nur scheinbar
auf die Forderungen Hitlers und seiner Anhänger eingegangen waren, um
ihre Bewegungsfreiheit wiederzugewinnen“. Für sie war die Zeugenbank
reserviert, auf der dann noch mehr als ein Dutzend hoher
Persönlichkeiten Platz nehmen sollten. Manche waren nicht geladen, deren
Erscheinen man erwartet hatte, und ihr Fernsein tat den Angeklagten kund
und zu wissen, daß die Staatsanwaltschaft – im hohen und höchsten
Auftrag – nicht wünschte, gewisse letzte Hüllen fallen zu sehen, und daß
es im Interesse der Angeklagten selbst läge, diese Zurückhaltung zu
würdigen und dementsprechend ihre Verteidigung zu führen.

Die Verhandlung selbst wurde durch einen wirksamen Prolog eingeleitet.
Am Tage vor dem Prozeßbeginn ward München durch fernes Gewehrfeuer aus
seiner behäbigen Ruhe geweckt. Die Regierung wollte auf diese Weise den
unbotmäßigen Nationalsozialisten zu verstehen geben, daß es für sie
nicht ratsam war, irgendwelche Abenteuer zu suchen, und daß mit der
Reichswehr nicht gut Kirschen essen wäre. Dieses Scharfschießen
der Landespolizei in Oberwiesenfeld, ein Probealarm der
Schutzmannschaften und Gendarmen, Konzentrierung zuverlässiger Pfälzer
Reichswehrformationen in und um München, Absperrung des gesamten
Stadtteiles, in dem die als Gerichtsgebäude ausersehene ehemalige
Kriegsschule gelegen ist, durch bis an die Zähne bewaffnete
Reichswehrpatrouillen, durch spanische Reiter und Drahtverhaue – das war
der Auftakt. Der Vorhang hob sich. Die Bühne stellte dar:

Den Speisesaal der Infanterieschule. Er sieht wie ein Lehrsaal aus und
macht mit seiner Holztäfelung einen durchaus freundlichen, keineswegs
nüchtern-kalten Eindruck. Kaum zweihundert Personen finden hier Platz.
Das Podium ist zu einer Art Estrade umgebaut. Hier thront der
Gerichtshof.

Der erste Eindruck: hier wird kein hochnotpeinliches Gericht gehalten,
eine geschlossene Versammlung diskutiert lediglich einige ernste
politische Fragen. Es geht dabei sehr gesittet, sehr akademisch zu. Jede
unnötige Schärfe wird vermieden. Als Männer von Welt und Rang ist man
bestrebt, dem Gegner – auch wenn man durchaus nicht seiner Meinung ist –
Recht und Gerechtigkeit in vollstem Umfang widerfahren zu lassen, und
wahrt peinlich die Formen des gesellschaftlichen Umganges. Die
Angeklagten an kleinen Tischen, neben ihnen die Verteidiger, ein paar
Bänke für die Zeugen, ein paar Bankreihen für die Zuhörer, die mit
Sorgfalt gesiebt, die Exklusivität dieser geschlossenen Versammlung
nicht stören können. In den letzten Reihen nehmen die Pressevertreter,
etwa dreißig an der Zahl, Platz, dahinter einige Reihen Stühle für das
Publikum: die große Zahl von Frauen fällt auf, dem Anschein nach
Angehörige der Angeklagten und Verteidiger. So dominiert auch im
Zuhörerraum das deutschnationale und völkische Element. Man ist ganz
unter sich, keine Schranken, die in dem Angeklagten das bittere Gefühl
erwecken könnten, hier nicht für voll genommen, als ein Bemakelter
angesehen zu werden. Gerichtsverhandlung? Nein, eher Seminar über
Hochverrat.

Die Materie, die in diesem Seminar behandelt wurde, war ziemlich
verwickelt. Nicht weniger als vier verschiedene Arten von Hochverrat
standen zur Prüfung. Da gab es zuerst den Verrat Kahrs und Lossows gegen
Hitler, den Verrat Hitlers und Ludendorffs an dem für den 12. November
angesetzten Putsch Kahrs, einen Hochverrat gegen die bayrische Regierung
und einen gegen das Generalstaatskommissariat – der Hochverrat gegen die
deutsche Republik stand nicht zur Debatte. Gab es überhaupt so etwas?
Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung waren sich in der
Verneinung dieser Frage vollkommen einig. Sie war mangels genügender
Zuhörer aus dem Lehrplan der deutschen Hochschulen und verwandter
Unterrichtsanstalten ausgeschieden worden.


                            DIE VERHANDLUNG

_Hitler_ spricht. Er ist im Cutaway, trägt das Eiserne Kreuz I. Klasse,
scheint ein wenig blaß und mustert lange und aufmerksam die Zuhörer. In
seiner Kleidung, seiner Sprache, seinen Gesten, dem ganzen Auftreten,
liegt etwas Subalternes, Unfreies. Der Kragen ist ein wenig zu hoch, der
schwarze Rock zu stramm geschnitten, der Scheitel bis in den Nacken
gezogen, seine Haltung um eine Nuance zu akkurat. Und wenn er spricht
läßt er die „r“ rollen, was bei seiner süddeutsch gefärbten Mundart im
ersten Augenblick doppelt seltsam berührt. Sieht so ein Diktator aus?
Unwillkürlich denkt man, einen energischen Geschäftsreisenden vor sich
zu haben, einen Ausrufer bei einem Reklameverkauf. Hitler spricht fast
vier Stunden ohne Pause. Die erwarteten „Enthüllungen“ bleiben aus.
Seine Rede ist nicht gegliedert, nicht aufgebaut, und wenn man ihn so
sprechen hört, versteht man im ersten Augenblick nicht, woher seine
Wirkung auf die Masse kommt: die flache, primitive Argumentation und
eine Demagogie, die ihre Stärke darin hat, daß sie von keines Gedankens
Blässe angekränkelt ist, diese Primitivität einer Beweisführung, die
ganz auf „entweder–oder“ gestimmt ist, reißt eben den kleinen Mann, den
rabiaten Spießer von der Bierbank mit und nimmt sie für den Redner ein,
zumal da dieser über ein gutes Organ und ein tönendes Pathos verfügt:

   „Kahr sagte, er könne die Landesverweserschaft nur annehmen als
   Statthalter der Monarchie. Mir persönlich konnte das gleich sein.
   _Für mich existierte die Revolution von 1918 nicht. Sie ist nicht
   legalisiert worden._“

In den vier Stunden, die Hitler sprach, sagte er eigentlich immer wieder
dasselbe – nur mit anderen Worten, den einen Gedanken stets mit neuen
Bildern und Vergleichen ausmalend, und so dem Zuhörer das, was er sagen
wollte, besonders eindringlich einhämmernd:

   „Habe ich Hochverrat begangen, so sind Kahr, Lossow und Seißer genau
   die gleichen Hochverräter. Sie haben das gleiche Ziel gehabt wie
   wir, nämlich die Reichsregierung zu beseitigen in ihrer heutigen
   internationalen und parlamentarischen Einstellung und an ihre Stelle
   eine antiparlamentarische Regierung zu setzen. Sie haben die ganzen
   Monate nichts anderes gesprochen als das, wofür wir jetzt auf der
   Anklagebank sitzen. Im übrigen, ist Herr von Kahr nicht im Jahre
   1920 ebenfalls durch einen Staatsstreich Regierungschef geworden,
   nachdem ein Leutnant mit 12 Mann mit „Bajonett auf“ vor dem Landtag
   erschienen war und daraufhin die Regierung Hoffmann demissionierte?
   Oder gehört dieser Leutnant mit den zwölf Mann zu den
   verfassungsmäßigen Erscheinungen in einer Republik? Man sagt, das
   Generalstaatskommissariat sei geschaffen worden, um den zu
   erwartenden Putsch der Nationalsozialisten niederzuschlagen. Wenn
   dem so wäre, warum hat sich der Herr Generalstaatskommissar am
   folgenden Tage bei mir nicht in der Person eines Kriminalbeamten
   vorgestellt und mich für verhaftet erklärt? Das wäre seine Pflicht
   gewesen. – – Lossow hatte dem Chef der Reichswehr den Gehorsam
   verweigert. Wenn der gemeine Mann das tut, wird er schwer bestraft.
   Ein militärischer Führer in einer Armee von nur 7 Divisionen, der
   eine Division in der Hand hat und der sich gegen seinen Chef
   aufbäumt, muß entschlossen sein, entweder bis zum letzten zu gehen
   oder es ist ein gewöhnlicher _Meuterer_ und _Rebell_. (Bewegung im
   Auditorium.) Lossow erklärte mir, er habe zu wenig Politik
   getrieben. Er fragte, was werden solle, es müsse doch einen Ausweg
   geben. Ich sagte ihm, das Volk habe etwas anderes erwartet als eine
   Bierpreiserniedrigung, eine Milchpreisverordnung, eine
   Butterfaßkonfiskation und ähnliche unmögliche wirtschaftliche
   Ratschläge, bei denen man sich fragen mußte, welches Genie da zu
   Rate gezogen wurde. Jeder Mißerfolg mußte ja _die Wut der Massen_
   vergrößern und ich habe darauf hingewiesen, daß die Leute sich jetzt
   noch über die Kahrschen Maßnahmen lustig machen, später sich empören
   werden. – Im weiteren Verlauf der Verhandlungen trat Lossows
   Standpunkt immer deutlicher zutage. Der sagte: Ich bin entschlossen
   zu handeln, aber ich muß 51% Garantie für den Erfolg besitzen. –
   Ende Oktober trat eine Stimmungsänderung ein. Es kamen _Herren von
   Berlin_, die sagten, _General Seeckt trage sich mit dem gleichen
   Gedanken, eine Diktatur auszurufen_. Das schien Lossow der letzte
   Strohhalm. Er erklärte, wenn Seeckt ans Ruder kommt, dann bleibt zum
   Schluß nichts übrig, „daß ich den General Seeckt fresse oder daß
   Seeckt eben mich frißt.“ – Am 6. November nach der Sitzung der
   Kampfbundführer bei Herrn von Kahr mußten wir der Überzeugung sein,
   daß die Herren nur auf einen Anstoß warten.“

Als Hitler auf die Vorgänge im Bürgerbräukeller zu sprechen kommt,
steigert sich seine Rede zu pathetischer Dramatik:

   „Lossow und Seißer haben _Tränen in den Augen_ gehabt, als sie uns
   ihrer _Treue_ versicherten. Kahr war so geknickt und gebrochen, daß
   er mir aufrichtig leid tat. – – Ludendorff, der
   Generalquartiermeister des Weltkrieges, der letzte große Feldherr
   Deutschlands, ist schmählich belogen und verraten worden; hätte er
   geahnt, daß General Lossow nicht mitmachte, er hätte sich nie zur
   Verfügung gestellt.“

Ein deutschnationales Blatt hat Hitler einen Besessenen, den von einer
Idee Besessenen genannt. Zweifellos. Hitler machte den Eindruck eines
ehrlichen Menschen. Aber seine Besessenheit, sein Fanatismus rührte
nicht von dem Glauben an eine Idee her, sondern von dem Glauben an seine
persönliche Größe. Gerade die Art, wie er seine Bescheidenheit zur Schau
stellte, zeigte das:

   „Ich erklärte Lossow, ich könnte mich nur unter der Bedingung
   Exzellenz von Kahr anschließen, wenn der _politische Kampf
   ausschließlich in meine Hände_ gelegt werde. Das war nicht frech und
   unbescheiden von mir, ich bin vielmehr der Meinung, wenn ein Mann
   weiß, daß er eine Sache kann, so darf er nicht bescheiden sein. – –
   – Staatskunst kann man nicht lernen, man muß dazu geboren sein.“

Und Hitler stellt sich in Positur und erklärt, daß Ludendorff und alle
seine Mitarbeiter, von denen so viele tot sind – hier sinkt seine Stimme
zum Flüstern herab – über den Putsch genau so viel oder genau so wenig
wußten wie Kahr, Lossow und Seißer, er _allein_ habe alle Fäden in
der Hand gehalten. Während der ganzen Rede steht Hitler in
Habt-Acht-Stellung, den Gehrock bis hoch hinauf geschlossen – ein
Unteroffizier, der seinem Vorgesetzten Bericht erstattet. In der
höchsten Erregung vergißt er nicht die Titel. Kahr ist sein Todfeind –
aber für ihn ist er die „Exzellenz von Kahr“. Und wenn er das Wort
„Exzellenz“ sagt, es durch den Saal schmettert, merkt man, mit welchem
Stolze es ihn erfüllt, solche tönenden Titel in seine Rede einflechten
zu können.

Bevor Hitler seinen großen Monolog über den „treulosen Verrat“ Kahrs und
Lossows beendet, vergißt er nicht, demselben Herrn Kahr eine förmliche
Ehrenerklärung abzugeben:

   „Kahrs menschliche hervorragende Eigenschaften wird niemand
   bestreiten.“

Vorpostengeplänkel. Noch scheut sich die Verteidigung, ihre Trümpfe
auszuspielen, – die Reden des Angeklagten sind auf Moll gestimmt.

Auch Dr. _Weber_ schlägt dieselbe Tonart an. Ein blasser, kurzsichtiger
junger Mann, der mehr einem Gymnasiasten, als einem Soldaten ähnelt. Ein
Ausschnitt aus diesem Verhör:

   _Staatsanwalt Ehart_: Haben Sie nie davon gehört, daß General
   Ludendorff in der Reichswehr, namentlich in Norddeutschland, sehr
   wenig Resonanzboden hat? (Unruhe.)

   _Vorsitzender_: Ich bitte, die Fragen an mich zu stellen.

   _Staatsanwalt Ehart_: Ich bitte die Frage zu stellen, weil sie
   wesentlich ist. Die Frage nämlich, ob die Reichswehr, auch wenn
   Ludendorff an der Spitze steht, trotzdem mit Waffengewalt vorgehen
   wird?

   Dr. _Weber_: Auf Grund eigener Kenntnis norddeutscher Offizierkorps
   muß ich sagen, daß dort überall die Verehrung für den _größten
   deutschen Führer und General_, der nicht nur in diesem letzten
   Weltkrieg, sondern überhaupt Deutschland geschenkt wurde, herrscht,
   so daß die Möglichkeit eines „Stellens“ nicht in Frage kommt.

   _Staatsanwalt Ehart_: Das wollte ich wissen.

   _Justizrat Kohl_: Das wollten Sie nicht wissen.

   _Vorsitzender_: will unterbrechen.

   _Justizrat Kohl_: Die Frage des Staatsanwalts war für einen Offizier
   derart beleidigend, daß darauf eine Antwort gehört hat wie die, die
   der Staatsanwalt von mir gehört hat. (_Beifall im Zuhörerraum._)

_Oberlandesgerichtsrat Pöhner._ Die beste Figur unter den Angeklagten.
Der kluge Kopf könnte einem Jesuitenpater gehören. Schlau blinzelnde
Augen hinter scharfen Gläsern, glattrasiertes Diplomatengesicht, ein
ewiges ironisches Lächeln um den Mund. Kein guter Redner. Er spricht
stockend, mit leiser Stimme, die sich in der Erregung überschlägt. Vom
ersten Augenblick an hat man den Eindruck: hier spricht der Politiker,
nicht der Agitator. Das ist der Mann, der hinter den Kulissen gestanden,
der die Fäden der völkischen Politik in Bayern in Händen gehalten hat.

Jedes Wort vorsichtig auf die Wagschale legend, schildert Pöhner seine
Besprechungen, seine Verhandlungen mit Kahr. Auch er vermeidet noch jede
polemische Färbung, aber es liegt eine ganz raffinierte Bosheit darin,
wie er so offensichtlich bemüht ist, Herrn Kahr zu „schonen“.

   „Wenn Herr Kahr es so darstellen will, daß er Komödie gespielt habe,
   als er seinen Anschluß an unser Unternehmen erklärte, so muß ich
   ihn, den ich aus jahrelanger intimer Mitarbeit kenne, gegen ihn
   selbst in Schutz nehmen. _Er ist ein anständiger Mensch und kein
   Schuft._“

Dann ein ironischer Seitenhieb:

   „Herr Kahr war über den ganzen Vorfall (im Bürgerbräukeller) aufs
   äußerste empört und entrüstet und äußerte sich, es sei doch
   _unerhört_, daß man ihn mitten aus seiner Rede auf diese Weise aus
   dem Saale eskamotiert habe. – – Ich sagte, daß die Regierung von
   Revolutionsgnaden doch endlich einmal beseitigt werden müßte. Herr
   v. Kahr sagte darauf bloß: Unerhört, daß man auf diese Weise
   herauseskamotiert wird. _Das war sein Haupteinwand._“ (Gelächter im
   Auditorium.)

Und so, mit lauter feinen, kaum sichtbaren Finten pirscht sich Pöhner
dorthin durch, von wo aus die Verteidigung den ersten Vorstoß wagen
will:

   „In einer Besprechung, zu der von Herrn v. Kahr auch Oberst von
   Seißer zugezogen war, machte mir Herr v. Kahr den Vorschlag, nachdem
   er gesagt hatte, es müßte jetzt im Norden aufgeräumt werden, ob ich
   bereit sei, die Funktion eines _Zivilgouverneurs für Sachsen und
   Thüringen_ zu bekleiden ... Ich erklärte, daß Ehrhardt es für
   wünschenswert halte, daß ich das Kommissariat für Nordbayern
   übernehme. Das lehnte Herr v. Kahr ab, indem er sagte, er könne die
   ihm übertragenen Vollmachten nicht weiter übergeben und habe dazu
   keine Ermächtigung. Hierauf wiederholte er seinen Vorschlag ... Ich
   lehnte ab; es wäre in Sachsen und Thüringen im kleinen dasselbe
   Verhältnis zwischen mir und dem Reichswehrkommandeur gewesen, wie in
   Bayern zwischen Kahr und Lossow. Und das war mir ganz unklar. Man
   konnte überhaupt nicht wissen, _wer in Bayern Koch und wer Kellner
   sei_.“

So – wie von ungefähr – fällt der Name: _Ehrhardt_:

   „Ehrhardt kam etwa Mitte Oktober wieder zu mir. Wie ich ihn fragte,
   wie es ihm jetzt in München gefalle, da sagte er, er komme sich
   „äußerst beschissen“ vor. Ich war über diese Wendung etwas
   überrascht, denn ich hatte das gerade Gegenteil erwartet. Er war
   doch steckbrieflich verfolgt von Leipzig aus. Ich wußte, daß er von
   der Polizei _von Oberst v. Seißer sicheres Geleit_ bekommen hatte,
   einen Ausweis, wonach er als Notpolizei für die bayrische Regierung
   tätig sei. Ehrhard erklärte mir, es gehe gar nicht vorwärts ...“

   _Justizrat Dr. Schramm_: Herr v. Kahr hat es abgelehnt, Herrn Pöhner
   als Staatskommissar für das nordbayrische Gebiet aufzustellen, weil
   er sich dafür nicht für kompetent erachtete. Ich bitte den
   Angeklagten zu fragen, woher er die Vollmacht ableitete, ihm das
   Zivilstaatskommissariat in Sachsen und Thüringen zu übertragen.

   _Pöhner_: Darüber habe ich ihn nicht befragt. Man kann doch nur eine
   solche Vollmacht haben, wenn man die entsprechenden Handlungen
   vorher vorgenommen hat.

   _Justizrat Dr. Schramm_: Es bestand doch wohl bei Herrn v. Kahr
   Klarheit darüber, daß die Bewegung über Sachsen und Thüringen
   hinausgetragen wird?

   _Pöhner_: Das war selbstverständlich.

   _Staatsanwalt_: Hat es sich um den Marsch nach Berlin oder um den
   Grenzschutz Bayerns gegen die kommunistischen Unruhen in Sachsen und
   Thüringen gehandelt?

   _Pöhner_: Ich hatte den zweifellosen Eindruck im Zusammenhang mit
   der Tatsache, daß Kahr _in engsten Beziehungen mit Ehrhardt_ stand,
   daß es sich um etwas anderes handle, als den bayrischen Grenzschutz.
   Davon war gar keine Rede. _Ehrhardt macht doch nicht den
   Nachtwächter für Bayern zwischen Nürnberg und Hof._

Und dann nach einer Pause:

   „Vielleicht wäre es gut, wenn ich etwas über die Verhandlungen
   zwischen Herrn v. Kahr und Kapitänleutnant Ehrhardt aussagen könnte
   ... oder soll ich das lieber in nichtöffentlicher Sitzung tun?“

Das Stichwort ist gefallen. Jetzt spricht nicht der Angeklagte Pöhner,
sondern der Herr Oberlandesgerichtsrat, der drei Jahre lang die rechte
Hand von Kahr gewesen ist, der manches erzählen kann, was viel
gefährlicher und viel unbequemer ist, als die leidenschaftlichsten
Proteste Hitlers und die Enthüllungen der anderen Führer. Noch legt er
sich Zurückhaltung auf. Er ist bereit, unter Zurückstellung aller seiner
persönlichen Vorteile „rücksichtsvoll“ zu sein:

   „Ich habe mich dagegen ablehnend verhalten, nach meinen schlimmen
   Erfahrungen mit Herrn v. Kahr wieder mit ihm zusammenzuarbeiten ...
   Ich bin aber trotzdem noch einmal mit ihm zusammengekommen, als, und
   zwar _von autoritativster Seite, der Wunsch_ geäußert wurde, ich
   möchte unter Zurückstellung persönlicher Unstimmigkeiten wieder mit
   Herrn v. Kahr in Fühlung treten.“

Pöhner ist so feinfühlend, diese „autoritativste“ Seite nicht zu nennen.
Will man ihn zum Feind haben?

   _Rechtsanwalt Hemeter_ knüpft an die Bemerkung Pöhners, daß er sich
   bei seinem Zusammenarbeiten mit Herrn v. Kahr wiederholt in die
   Brennesseln gesetzt habe, die Frage, wann er sich das erste Mal und
   in der Folgezeit in die Brennesseln gesetzt habe.

   _Pöhner_: Das erste Mal am 16. März 1920 nachmittags 4 Uhr
   (Heiterkeit). („Kapp-Putsch“ in Bayern.)

   _Vorsitzender_: Sie brauchen keine Auskunft geben, wenn Sie sich
   dadurch einer weiteren strafbaren Handlung beschuldigen würden.

   _Pöhner_: Aus meiner ganzen Einstellung mache ich kein Hehl. Ich
   habe dem Staatsanwalt erklärt: _Was Sie mir jetzt als Hochverrat
   vorwerfen, dies Geschäft treibe ich seit fünf Jahren._

   _Vorsitzender_ (lächelnd abwinkend, leutselig): _Das wissen wir._

Dann die erste Wendung im Prozeß: Mit einem Ruck ist die Verhandlung auf
das politische Niveau gehoben, und nicht Herr von Kahr, nicht der
General von Lossow oder der Polizeioberst von Seißer sind mehr die
Objektive des Angriffs – die bayrische Regierung mit allen ihren
Institutionen, mit Staatsanwaltschaft und Gerichtshof ist zum
Angriffsziel geworden:

   _Rechtsanwalt Hemeter_: Ist Pöhner bekannt, daß in der Nacht vom 13.
   zum 14. März 1920 der damalige Präsident der Regierung von
   Oberbayern, Dr. v. Kahr, Exzellenz (die Stimme des jugendlichen
   Verteidigers ist mit Hohn gesättigt) sich ohne Zögern in den Besitz
   der öffentlichen Gewalt gesetzt hat, auf einem Wege, der dem vom 8.
   bis 9. November 1923 vollkommen entspricht? Als das
   Republikschutzgesetz in Bayern ziemlich große Erregung hervorrief,
   hat sich Dr. v. Kahr ohne Bedenken der Bewegung angeschlossen, deren
   Ziel es war, die nach Auffassung des Staatsgedankens damals legale
   Regierung auf dem gleichen Wege, nämlich durch Druck ohne Druck zu
   beseitigen.

   _Staatsanwalt_: Ich messe diesen Fragen keine wesentliche Bedeutung
   für die Schuld- und Straffrage bei.

   _Rechtsanwalt Hemeter_: Es wird der Nachweis gelingen, daß von Dr.
   v. Kahr in Form eines fortgesetzten Deliktes in Bayern begangen
   worden ist, was der Herr Staatsanwalt Hochverrat nennt.

Dem Herrn Pöhner ist all das bekannt. Und noch manches mehr. Aber
vorläufig will er – im Interesse des Vaterlandes – darüber in
öffentlicher Sitzung nicht sprechen. Doch einen kleinen Vorstoß wagt
noch die Verteidigung:

   _Rechtsanwalt Holl_: Ich habe Kapitänleutnant Ehrhardt als Zeugen
   genannt. Ich muß jetzt noch Schritte tun, um diesen zur Stelle zu
   bringen, wenn das Gericht ihn vernimmt. Ich frage die
   Staatsanwaltschaft: Ist es richtig, daß die Staatsanwaltschaft durch
   einen ihrer Beamten mittelbar oder unmittelbar hat Ehrhardt
   mitteilen lassen, daß er verhaftet würde, wenn er, von der
   Verteidigung geladen, als Zeuge erscheint.

   _Staatsanwalt_: Es ist absolut unwahr, daß die Staatsanwaltschaft
   irgendeine solche Mitteilung hat ergehen lassen. Sie konnte Ehrhardt
   nicht als Zeuge laden, weil sie seine Adresse nicht kennt.

   _Justizrat Kohl_: Weiß der Staatsanwalt, daß Kapitän Ehrhardt vor
   wenigen Wochen noch ganz öffentlich auf einem Kommers gesprochen
   hat?

   _Rechtsanwalt Hemeter_: Sendlingertorplatz Nr. 1 ist er zu finden,
   Herr Staatsanwalt.

   _Rechtsanwalt Holl_: Er wohnt eine Treppe tiefer als der angeklagte
   Oberstleutnant Kriebel – im selben Haus.

Und mit diesem Vorstoß läßt es die Verteidigung bewenden. Vorläufig war
noch dies ihr Schlachtplan: Nicht bloß Kahr zu kompromittieren, nicht
bloß nachzuweisen, daß er im November am Hochverrat beteiligt war,
sondern durch die Aufrollung der „Bayrischen Frage“ der
Staatsanwaltschaft die Gefahr vor Augen zu führen, die sie laufe, wenn
sie die Angeklagten zwinge, „einmal tüchtig auszupacken“. Man soll in
Bayern nicht über Hochverrat zu Gericht sitzen, weil hier seit Jahr und
Tag von allen Führern und Politikern nur Hochverrat getrieben wurde.
Vorderhand begnügte sich die Verteidigung – zu drohen. Wird sich die
Staatsanwaltschaft dieses Entgegenkommens würdig erweisen? Sonst – da
ist noch jemand, der manches erzählen kann:

_Oberstleutnant Kriebel_, der militärische Führer des Putsches, der
zweite Eingeweihte. Bei seinen Ausführungen schloß das Gericht, durch
die ewigen versteckten Drohungen der Verteidiger reichlich nervös
gemacht, zum erstenmal die Öffentlichkeit aus. Was man zu hören bekam,
war im wesentlichen folgendes:

   Kommerzienrat Zentz unterrichtete mich über den _Zweck der
   Versammlung_ im Bürgerbräukeller. Er sagte, die Versammlung sei auf
   den Wunsch Kahrs einberufen – und es sei notwendig, daß der große
   Saal des Bürgerbräukellers voll wird. Er habe die vaterländischen
   Vereine dazu eingeladen, damit sie den Saal füllen. Es wurde noch
   angefügt, daß zu dieser Ovation, zu der diese Versammlung führen
   sollte, _von gütigen Spendern Freibier_ gegeben werde. Es gab dann
   noch eine Diskussion wegen der _Teilnahme von Juden_ an dieser
   Versammlung. Dr. Hartmann von den „Vaterländischen Verbänden“
   Bayerns erklärte, es wäre eine zweifelhafte Empfehlung für Herrn von
   Kahr in den vaterländischen Kreisen, auf die er sich in erster Linie
   stützen wolle, wenn er zu dieser Feier Juden einladen wollte. Diese
   Bemerkung rief einen großen Sturm der Entrüstung hervor bei den
   verschiedenen Handelsorganisationen. Sie sagten, daß sie nicht nur
   unter ihren Mitgliedern, sondern auch in den Vorständen eine große
   Anzahl von Juden hätten, daß es für sie unmöglich sei, die Einladung
   überhaupt weiterzugeben, wenn die Frage der Nichtzulassung der Juden
   überhaupt nur diskutiert würde. Kommerzienrat Zentz brachte dann
   diesen Sturm der Entrüstung dadurch zum Schweigen, daß er bemerkte,
   es würden nicht viele Juden kommen, denn sie seien wegen der
   Ausweisungen von Ostjuden an sich nicht gut auf Herrn von Kahr zu
   sprechen.“

Was nicht hinderte, daß eben dieselben Herren tief in die Tasche
griffen, um den Kampffonds der Völkischen zu speisen; wurde doch im
weiteren Verlaufe der Verhandlung festgestellt, daß Ehrhardt
zwanzigtausend Dollar bei den Industriellen Bayerns – Juden und Christen
– an Spenden einsammeln lassen konnte.

Kriebel, das wahre Soldatengemüt:

   „Lossow sagte, er wolle ja marschieren, aber bevor er nicht 51
   Prozent Wahrscheinlichkeit des Erfolges in seinem Notizbuch
   ausrechnen könne, sei es ihm nicht möglich, zu marschieren. Als
   Soldat war das für mich geradezu erschütternd. Wenn wir so im Kriege
   gedacht hätten, wären wir schon im August 1914 zur Kapitulation
   gezwungen gewesen.“

   „Alle haben gerufen: Kampf gegen die Weimarer Verfassung. Da habe
   ich mir in meinem einfachen Soldatengemüt gedacht: wenn alles
   schreit, Kampf gegen die Weimarer Verfassung – warum soll man da
   nicht kämpfen?“

Aus dem Verhör eine kleine Probe:

   _Staatsanwalt_: Es darf nicht vergessen werden, daß es sich hier um
   eine einseitige Darstellung handelt, die auch die schwersten
   persönlichen Angriffe gegen die Herren Kahr und Lossow in sich
   schließt. Ich glaube, man muß doch auch den anderen Teil hören,
   bevor man ihn in dieser Weise öffentlich herabsetzt.

   _Vorsitzender_: Es ist nicht Sache der Staatsanwaltschaft, den
   Vorsitzenden wegen der Verhandlungsführung zu rügen.

   _Justizrat Kohl_: Das Urteil, das der Angeklagte Kriebel über das
   Verhalten der Herren Kahr, Lossow und Seißer gefällt hat, ist das
   Urteil aller anständigen Menschen in Deutschland. Und ich nehme an,
   daß der Herr Staatsanwalt auch zu den anständigen Menschen zählt.

   _Vorsitzender_: Das geht zu weit, einen solchen persönlichen Angriff
   kann ich nicht dulden.

   _Justizrat Kohl_: Der Staatsanwalt erfüllt eine Pflicht, die ihm
   sehr lästig sein muß. Er wurde in den Grundsätzen des deutschen
   Waffenstudenten erzogen und kann ein solches Verfahren überhaupt
   nicht billigen.

Diese versteckte Drohung mit einer Forderung zum Duell war für den
Staatsanwalt so deutlich, daß er von nun ab keinen Versuch mehr
unternahm, in die Verhandlung einzugreifen. Die Verteidiger beherrschten
sie völlig.

Kriebel, der Eingeweihte spricht:

   „Ich habe aus Gründen, die ich später, bei Ausschluß der
   Öffentlichkeit noch erörtern werde, vorgeschlagen, daß wir uns nach
   dem Mißlingen der Aktion in die Gegend von Rosenheim zurückziehen.“

Diese Gründe sind nachträglich bekanntgeworden. Rosenheim war in jenen
Tagen das Hauptaufmarschgebiet der „Orka“, des radikalsten, unter
Führung eines gewissen Kanzler stehenden bayrischen Kampfbundes, und
hier befand sich das Hauptwaffenlager der Nationalsozialisten noch aus
der Zeit her, wo die Zentrale der Einwohnerwehren in Rosenheim
untergebracht war.

_General Ludendorff_ hat das Wort. Im blauen Sakkoanzug, die Hände auf
dem Rücken verschränkt, straff aufgerichtet, doziert der General einem
andächtig aufhorchenden Publikum über Staatsverfassung und
Ultramontanismus.

Ludendorff ist im Auto von seiner Villa gekommen – er war, ebenso auch
Pernet, Pöhner, Frick und Wagner, während der Verhandlung auf freiem
Fuß, während die anderen Angeklagten für die Dauer des Prozesses in der
Infanterieschule untergebracht worden waren – und nun mußte die
Verhandlung verschoben werden, da Ludendorffs Auto eine Panne hatte. Die
Posten an den Eingängen und im Korridor stehen stramm, die Tür wird
aufgerissen. Hitler schlägt die Hacken zusammen, daß es durch den ganzen
Saal knallt, die Reichswehroffiziere auf den Zeugenbänken und die Damen
und Herren im Zuhörerraum erheben sich von den Plätzen – General
Ludendorff hat den Saal betreten, die Verhandlung kann beginnen.

Ludendorff spricht abgehackt, kurz, stößt die Worte wie militärisches
Kommando in den Saal. Eine schnarrende, preußische Offiziersstimme.
Seine Aussage läßt den Kern des politischen Problems zum ersten Male
scharf hervortreten. Der Hintergrund wird sichtbar.

Die bayrischen Klerikalen, das ist der Feind. Er muß geschlagen werden.
Nun handelt es sich nicht mehr um den Putsch vom 8. November, jetzt
handelt es sich um die Schicksalsfrage Deutschlands, um den Jahrhunderte
alten Kampf zwischen Nord und Süd, zwischen Hohenzollern und
Wittelsbachern. Den Separationsbestrebungen der Wittelsbacher und ihrer
Zusammenarbeit mit dem Vatikan gilt Ludendorffs Hauptangriff.

   „Ich habe die Gefahr der Juden im Weltkrieg genügend kennengelernt.
   Ich habe mich damit ernstlich und aufmerksam beschäftigt. Die
   jüdische Frage ist für mich eine Rassenfrage.“

Dann ein Schlag gegen die Katholiken:

   „Als Realpolitiker komme ich zu Erwägungen, indem ich die
   unabänderlichen Tatsachen nehme, wie sie sind. In dem Kampf
   Deutschlands war der Vatikan nicht neutral, sondern
   deutschfeindlich. Der Papst hat sich gegen die Sabotage im Kampf um
   Ruhr und Rhein gewandt. Außerdem war besonders auffallend die
   steigende Inschutznahme der Juden durch den hohen Klerus.“

Es folgt ein Überblick über die wirtschaftliche Lage:

   „Herr Minoux entwickelte uns seine politischen und wirtschaftlichen
   Ansichten. Sie erschienen mir sehr _reichlich wirtschaftlich_, was
   auch verständlich ist. Ich sprach ungefähr: „Lieber Minoux, das
   wirtschaftliche Programm gefällt mir nicht.“

Endlich kommt Ludendorff auf die militärischen Vorbereitungen des
Unternehmens zu sprechen:

   „Der Herr Staatsanwalt hat gefragt, warum wir vom Marienplatz zur
   Residenz marschiert sind. Warum diese Richtung genommen wurde, kann
   ich nicht sagen. Ich habe Tannenberg geschlagen und die Gründe für
   mein taktisches Vorgehen mir erst später zurechtgelegt. Das ist
   Feldherrninstinkt.“

Im Zuhörerraum starke Bewegung. Man ruft Bravo und einige klatschen.
Niemand findet Anstoß daran, daß es just nicht strategisches Talent
verrät, wenn das „taktische Vorgehen“ einen Feldherrn in solch ein böses
Debakel führt wie am 9. November 1923 und – am 9. November 1918.

Ludendorffs Rede gipfelte in einer Anklage gegen Rom. Doch dieser
Fehdehandschuh wurde von der Kirche nicht aufgenommen. Kardinal
Faulhaber und Kronprinz Ruprecht ließen sich nicht einmal zu einer
Erwiderung herbei – Kahr und Lossow wurden vorgeschoben. Aber zwei Tage
später schwenkte die gesamte klerikale Presse Bayerns, schwenkte selbst
der „Miesbacher Anzeiger“, der noch wenige Tage vorher begeisterte Töne
für das Wirken der Kampfverbände gefunden hatte, scharf zu Kahr ab. Die
Klerikalen trumpften auf. So schrieb das „Bayrische Vaterland“:

   „Kahr hätte am 12. November zusammen mit Lossow, Seeckt usw., allen
   vaterländischen Verbänden also, mit einer großen nationalen
   Einheitsfront losschlagen wollen. Das sahen Hitler, Weber, Pöhner,
   Kriebel und alle. Das zu beweisen, daß Kahr das vorbereitet habe,
   darauf steht ja ihr ganzes Bemühen. Warum hat dann Hitler nicht bis
   zum 12. gewartet? Hier liegt _Hitlers große Sünde wider den
   deutschen nationalen Geist_. Hier ist der Verrat an der gemeinsamen
   Sache. Kahr und alle Vaterländischen im ganzen Reich, Süd und Nord,
   gemeinsam wollten sie in Berlin eine nationale Regierung einrichten.
   Das Gelingen war nach menschlichem Ermessen, wie die Hitlerschen
   selbst sagen, unbedingt sicher – schon ihren Putsch hielten sie ja
   für sicher. Die Vorbereitungen – was die Hitlerschen ja beweisen
   wollen – sorgfältig getroffen. Die Aktion Kahrs zur inneren
   Befreiung Deutschlands scheiterte. Warum? Weil Hitler mit Ludendorff
   zu früh und auf eigene Faust losschlug.“

Ludendorffs Rede hatte der Bayrischen Volkspartei bewiesen, daß ihre
Hoffnung, mit Hitler und Ludendorff zu einem Kompromiß zu gelangen,
getrogen hatte. Das Scheingefecht wurde abgebrochen. In den folgenden
Tagen gingen die Angeklagten sehr aggressiv vor, die Verteidigung hatte
die Führung des Prozesses vollkommen an sich gerissen. Etwa so:

   _Justizrat Kohl_: Wir müssen dagegen protestieren, daß der Herr
   Staatsanwalt gestern bei einer Aussage ironisch gelächelt hat.

   _Staatsanwalt_: Ich stelle fest, daß es mir ganz fern gelegen hat,
   zu lächeln, und ironisch schon gar nicht.

_Hauptmann Röhm_, Typus des preußischen Leutnants, nasale schnoddrige
Stimme, trägt den Zivilanzug wie eine Uniform:

   „Im Oktober 1918 war ich noch überzeugt, daß wir den Krieg gewinnen
   werden. Ich habe diese Überzeugung als Generalstabsoffizier an der
   Front gewonnen. Ich habe das erste Mal die Vorläufer der Revolution
   im Lazarett in Brüssel kennengelernt. Ich sah diese Vorläufer in dem
   unmilitärischen Verhalten der Krankenwärter.“

Dann schildert er seine Tätigkeit nach der Revolution:

   „Zwischen meiner vaterländischen Einstellung und meiner Tätigkeit
   als Reichswehroffizier mußten Konflikte entstehen – – –“

Hauptmann Röhm kam daher um seinen Abschied ein, doch General Lossow
erklärte ihm, dazu bestehe keine Veranlassung. Und als der
Reichswehrminister Röhm den Abschied doch telegraphisch bewilligte, hat
General von Lossow das nicht anerkannt und der Abschied wurde wieder
zurückgenommen. Hauptmann Röhm trat einen dreimonatigen bezahlten Urlaub
an. Erst am 30. Dezember – im Gefängnis – hat er die Nachricht bekommen,
daß er seinen Abschied erhalten.

_Oberleutnant d. R. Brückner_, ein junger Mann mit ausdruckslosem
blassen Gesicht, schildert ebenfalls seine „politische Einstellung“:

   „Was die Einstellung der Pioniere anlangt, so rissen auch sie den
   Pleitegeier sofort von der Mütze und zertraten ihn. Sie mußten aber
   auf Befehl von Lossow das Schwarz-Weiß-Rot wieder herunternehmen und
   den Pleitegeier wieder hinauftun.“

   _Vorsitzender_: Sie sagen immer „Pleitegeier“? Es muß doch einen
   anderen Ausdruck geben?

   _Brückner_: Ich kenne keinen.

   _Vorsitzender_ (lächelt): Nun, die technische Bezeichnung lautet
   wohl anders.

_Leutnant Wagner_ ist Nationalsozialist geworden, weil er mit einem
Neffen des Reichspräsidenten Ebert böse Erfahrungen gemacht hatte. Der
soll sein Regiment „verhetzt“ haben. Aber dann stellte es sich heraus,
daß der Reichspräsident gar keinen Neffen hat und dieser also das
Regiment auch nicht verhetzen konnte. Allerdings wird vorläufig dieser
Widerspruch nicht offenbar, da eine entsprechende Erklärung des
Reichspräsidenten durch den Vorsitzenden erst zehn Tage später zur
Verlesung gelangt. Der Angeklagte erklärt, sie nicht anerkennen zu
können.

_Oberleutnant Pernet_ weiß von gar nichts.

   _Vorsitzender_: Haben Sie gewußt, daß am 8. etwas vorgehen soll?

   _Pernet_: Ich habe von der Versammlung im Bürgerbräukeller in der
   Zeitung gelesen.

   _Vorsitzender_: Sie hatten keine Kenntnis von dem, was geplant war?

   _Pernet_: Nein, _ich war überrascht_.

   _Vorsitzender_: Was hat Ihr Stiefvater gesprochen während der Fahrt
   zur Versammlung?

   _Pernet_: Er hat nur gesagt, er habe etwas anderes gedacht. Im Auto
   hat er mich gefragt, ob ich davon etwas gewußt hätte. _Ich sagte
   nein._

   _Vorsitzender_: Was haben Sie sich bei diesen Vorgängen gedacht?

   _Pernet_: Ich habe mir gedacht, es ist legal.

   _Vorsitzender_: _Ich nehme an_, daß Sie zuerst _gar nichts gewußt
   haben_, und daß ihnen erst später zum Bewußtsein gekommen ist, daß
   es doch nicht ganz so einfach ist. Stimmt das so?

   _Pernet_: _Jawohl._

_Oberamtmann Frick_ weiß genau so viel wie sein Kamerad Pernet. Er hat
„gar keine Kenntnisse gehabt“. Auch er war „überrascht“:

   _Vorsitzender_: Es ist auffallend, daß Sie zu Ihrer Frau sagten, Sie
   gehen in den Bürgerbräukeller, aber nicht hingegangen sind, sondern
   in Ihrem Amtszimmer Zeitung gelesen haben. Es deutet fast auf
   Vereinbarung, daß Sie nicht in der Wohnung, sondern um neun Uhr im
   Büro angerufen worden sind.

   _Frick_: Ich bin nach dem Abendessen öfter in mein nebenan liegendes
   Büro gegangen, um zu arbeiten.

   _Vorsitzender_: Es wird Ihnen zur Last gelegt, daß Sie es
   unterlassen haben, die Landespolizei oder die gesamte
   Schutzmannschaft zu alarmieren.

   _Frick_: Ich war, als ich festgenommen wurde, durchaus im unklaren
   darüber, welche Tatsachen der Beschuldigung des Hochverrats bei mir
   zugrunde liegen.


                               DIE ZEUGEN

Man trat in das Zeugenverhör ein. Kahr, Lossow und dem Polizeioberst
Seißer fielen in diesem Akt der Verhandlung die Hauptrollen zu. Hatten
doch die Aussagen der Angeklagten in der Erklärung gegipfelt, diese
Kronzeugen wären genau so schuldig wie sie selbst, und nichts sei
irriger als die Annahme, der Generalstaatskommissar und der Kommandant
der bayrischen Reichswehr hätten es von vornherein darauf angelegt
gehabt, Ludendorff und Hitler in eine Falle zu locken. Ein Satz
Ludendorffs warf einen schwachen Lichtstrahl in das Dunkel der
Putschnacht:

   „Bis zur Inpflichtnahme der Reichswehr durch General Lossow war ich
   über die Vorgänge in der bayrischen Reichswehr nicht informiert;
   nachher hat mich Lossow fortlaufend unterrichtet.“

Die Verteidigung suchte unter Beibringung unzähliger
Zeitungsausschnitte, Protokolle, Auszügen aus Reden Kahrs und seiner
engeren Freunde den Nachweis zu führen, daß die Kronzeugen eine lange
Zeit ernste Putschabsichten gehegt hatten. Als aber die Entwicklung im
Norden nicht den erwarteten Gang nahm, als Seeckt immer wieder zögerte,
auf das ihm von Lossow hingehaltene „Sprungbrett“ zu treten, da mußten
sie fürchten, in eine Sackgasse zu geraten und suchten nun bei Hitler
Anlehnung. Vor die vollendete Tatsache gestellt, waren sie zwar von der
Aktion Hitlers nicht begeistert, aber im ersten Augenblick entschlossen,
alles auf die eine Karte zu setzen und sich dem Unternehmen Hitlers
anzuschließen. Lossow sah als erster, daß der Putsch mißlingen müsse und
meinte, dem sicheren Fiasko die immerhin noch mögliche Chance eines
halbwegs gedeckten Rückzugs vorziehen zu müssen.

Um Mitternacht des 8. November hatte Kultusminister Matt, der
Vertrauensmann des Kardinals Faulhaber, ein Telephongespräch mit Kahr,
der Draht spielte zwischen München und Berchtesgaden (der Residenz des
Kronprinzen Ruprecht), zwischen München und Schloß Hohenburg, wo die
Schwester des Wittelsbachers, die Großherzogin Adelheid von Luxemburg
residierte. Und als eine weitere Stunde um war, hatte die Situation eine
grundlegende Änderung erfahren. Kahr wurde von einer mysteriösen
„autoritativsten Seite zurückgepfiffen“. Für den Makel des Verräters
sollte ihn das Bewußtsein entschädigen, ein „treuer Diener seines Herrn“
zu sein, der ihm den Schutz der Kirche gewährleistete, während ihm auf
der anderen Seite nur der Schutz eines Generals, der überdies als
„Ketzer“ verschrien war, eine recht fragwürdige Aussicht bot.

Der Name Ruprecht durfte in dieser Verhandlung nicht genannt werden. Nur
Ludendorff ließ sich zu einem versteckten Vorstoß gegen die
Wittelsbacher fortreißen, aber auch er scheute sich wohl, den Angriff zu
weit vorzutragen. Dann kam prompt ein Dementi: Ruprecht hätte überhaupt
keine Beziehungen zum Putsch gehabt und auf Kahr keinerlei Einfluß
geübt. So standen Behauptungen gegen Behauptungen, und mehr oder minder
nicht beweisbaren Vermutungen war weiter Spielraum gegeben. Immerhin
glaube ich, in diesem Zusammenhange einen Briefwechsel wiedergeben zu
müssen, der geeignet ist, über diese bis heute nicht geklärte Frage
einiges Licht zu verbreiten. Nachdem ich in der Wiener „Arbeiterzeitung“
und dem „Prager Tagblatt“ einige Berichte über den Münchener
Hochverratsprozeß veröffentlicht hatte, lief bei der „Arbeiterzeitung“
ein Schreiben ein, das sie wie folgt wiedergab:

   Wir erhalten folgende Zuschriften, zu deren Mitteilung wir nach dem
   Preßgesetz zwar nicht verpflichtet wären, die aber lehrreich genug
   sind, daß wir sie veröffentlichen wollen:

   In der Nummer 63 vom Dienstag, den 4. März, Seite 2, findet sich mit
   Datum vom 29. Februar d. J. ein Artikel mit der Überschrift: „_Die
   Tafelrunde des Königs Ruprecht_.“ Neben verschiedenen tatsächlichen
   Unrichtigkeiten in dem fraglichen Artikel ist unter anderem auch
   davon die Rede, daß König Ruprecht, der just am 8. November in
   München geweilt hatte, um 11 Uhr nachts in seine Residenz nach
   Berchtesgaden zurückgefahren ist. Weiter heißt es auch: „Der Draht
   spielte zwischen München und Berchtesgaden, zwischen München und
   Schloß Hohenburg, wo die Schwester König Ruprechts, die Großherzogin
   Adelheid von Luxemburg, residierte ... Kahr und Lossow wurden
   zurückgepfiffen. Man nimmt gern den Makel des Verräters auf sich,
   wenn man dafür das Bewußtsein eintauscht, ein treuer Diener seines
   Herrn zu sein usw.“

   Im Auftrag S. Durchlaucht des Eugen Prinz Oettingen von Wallenstein
   in seiner Eigenschaft als generalbevollmächtigter Vertreter _S. K.
   H. des Kronprinzen Ruprecht von Bayern_ beehre ich mich, Ihnen
   mitzuteilen, daß die Darstellung vollständig unrichtig ist, und
   ersuche ich im Hinblick auf das Preßgesetz namens meines
   Vollmachtgebers um die Aufnahme beiliegender Berichtigung unter
   Berücksichtigung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.

   Ich erwähne dabei, daß diese Berichtigung mehrfach durch _bayrische
   und auch reichsdeutsche Blätter_ gegeben ist und scheint Ihnen
   dieses entgangen zu sein.

   Von der Nummer, in der sich die Berichtigung findet, wollen Sie mir
   ein Exemplar zusenden.

                                                    Hochachtungsvollst
                                               _Dr. Karl Eisenberger_,
                                                   Geheimer Justizrat.


                               Berichtigung.

   Gegenüber den Ausführungen in der Nummer 63 vom Dienstag, den 4.
   März, in bezug auf das Eingreifen S. K. H. des Kronprinzen Ruprecht
   von Bayern in die politischen Ereignisse, welche sich am 8./9.
   November 1923 in München abgespielt haben, läßt S. K. H. _folgendes
   erklären_:

   _S. K. Hoheit_ befand sich schon einige Tage vor dem 8. November
   1923 auf seinem Schlosse in Berchtesgaden. Von den Vorkommnissen,
   welche sich in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1923 in München
   abgespielt haben, erhielt _S. K. Hoheit_ erst am 9. November 1923 im
   Laufe des Vormittags durch _einen Kurier_ Kenntnis. Irgendwelche
   Einwirkung _seitens S. K. Hoheit_ konnte daher gar nicht stattfinden
   und hat tatsächlich auch nicht stattgefunden.


                                Vollmacht.

   Der Endesunterzeichnete ermächtigt hiermit Herrn Rechtsanwalt Geh.
   Justizrat Dr. Eisenberger in München, ihn in der Angelegenheit
   betreffend Arbeiter-Zeitung in Wien vor allen Gerichten, Behörden
   und Instanzen zu vertreten, insbesondere auch einen etwaigen
   Verwaltungsrechtsstreit zu erheben, Anträge, Vorstellungen und
   Beschwerden und sonstige Rechtsmittel einzulegen und zurückzunehmen,
   Zustellungen, Ladungen, Beschlüsse, Verfügungen entgegenzunehmen,
   Geldzahlungen zu empfangen und hierüber zu quittieren und alle diese
   Befugnisse einem sonstigen Rechtsverständigen zu übertragen.

                                           München, den 15. März 1924.

                                     Eugen Prinz Oettingen-Wallenstein
                                auf Grund notarieller Generalvollmacht
                                  S. K. H. des Kronprinzen von Bayern.

                   *       *       *       *       *

   Ob die Leser der Behauptung, daß der Exkronprinz von dem Putsch erst
   am anderen Tage erfahren konnte, weil er in Berchtesgaden gewesen
   sei, Glauben schenken wollen, überlassen wir ihnen; vielleicht
   erwägen sie, daß es ja auch ein Telephon gibt. Aber als Dokumente
   aus dem „Freistaat Bayern“ haben alle diese Schriften um Seine
   Königliche Hoheit herum jedenfalls einen politischen Wert ...

Darauf veröffentlichte ich in der „Arbeiterzeitung“ die folgende
Entgegnung:

   Seine Königliche Hoheit der Kronprinz von Bayern hat durch seinen
   „generalbevollmächtigten Vertreter“ der „Arbeiterzeitung“ eine
   Berichtigung zu meinem, hier am 4. März erschienenen Artikel „Die
   Tafelrunde des Königs Ruprecht“ gesendet. Nun lockt mich gewiß nicht
   der Ehrgeiz, mich mit S. K. H. in eine Polemik einzulassen, die
   schon deshalb unfruchtbar wäre, weil ich, es sei dies freimütig
   bekannt, nicht in der Lage bin, durch einwandfreie Dokumente, wie
   stenographische Protokolle oder eidliche Zeugenaussagen, den
   Nachweis zu führen, welchen Wortlaut das Gespräch hatte, das S. K.
   H. mit Herrn von Kahr führte, und um wieviel Uhr es stattfand.
   Bekanntlich hat General Ludendorff erst später im Verlauf der
   Verhandlung selbst erklärt, Herr von Kahr sei nur auf „Allerhöchste
   Weisung“ vom Unternehmen zurückgetreten. Und solche Enthüllungen,
   die sich gegen ehemalige Kampfgenossen richten, pflegen meistenteils
   richtig zu sein.

   Allerdings, auch diese Behauptung Ludendorffs ist dementiert worden.
   Mit den Dementis aus dem „Freistaat Bayern“ hat es aber seine eigene
   Bewandtnis und nur jemand, der mit den bayrischen „Belangen“
   vertraut ist, kann sie entsprechend werten. Ich selbst habe mit
   bayrischen Berichtigungen eigene Erfahrungen gehabt.

   Im Oktober v. J. stattete ich dem Oberkommando des Herrn Hitler
   einen Besuch ab und veröffentlichte in der Folge eine Unterredung,
   die ich mit dem Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“, einer
   Art Pressechef des „Großen Trommlers“ gehabt hatte. Darauf folgte
   prompt ein Dementi. Etwa in dieser Art: erstens wäre ich gar nicht
   dort gewesen; zweitens hätte mir der Herr Redakteur etwas ganz
   anderes gesagt; drittens sei es unverschämt, daß ich ihm nicht
   vorher angekündigt hätte, daß ich den Wortlaut der Unterredung
   veröffentlichen wolle. So dementieren die Helden. Die sich aber zu
   den Rettern des Staats zählen, die Herren um Kahr, sind klüger. Auch
   ihre Berichtigungen beweisen das.

   Kronprinz Ruprecht erklärt also, er sei in der kritischen Zeit nicht
   in München gewesen und hätte von den Vorkommnissen, die sich in der
   Nacht vom 8. auf den 9. November in München abgespielt haben, erst
   am 9. November im Laufe des Vormittags durch einen Kurier Kenntnis
   erhalten.

   Die „Arbeiterzeitung“ hat schon auf die merkwürdige Tatsache
   hingewiesen, daß in Bayern die Einrichtung des Telephons scheinbar
   unbekannt ist. Aber man überlege: Herr von Kahr hält im
   Bürgerbräukeller eine Rede, in der er sich als „Statthalter Seiner
   Majestät“ vorstellt – die Majestät selbst wird erst am kommenden
   Tage, nachdem die ganze Chose schon vorbei ist, verständigt. Gewiß,
   so wird man aus Berchtesgaden erwidern, S. K. H. sind eben nur
   Privatperson und nehmen an diesen politischen Vorgängen weder aktiv
   Anteil noch irgendwelche Einwirkung auf diese. Wie es damit bestellt
   ist, möge folgendes Rundschreiben illustrieren, das der Oberst von
   Kannstein an die Offiziersregimentsvereine Bayerns gerichtet hat:

      Seine Majestät unser König haben am 27. Dezember dem 1.
      Vorsitzenden der drei Offiziersvereine den Befehl bekanntgegeben,
      er erwarte, daß sich die ehemaligen Offiziere, eingedenk ihres
      Fahneneids, rückhaltlos hinter den Generalstaatskommissar und den
      Landeskommandanten General von Lossow stellen werden.

   Und dann rufe man sich ins Gedächtnis, daß in der Verhandlung vor
   dem Volksgericht zuerst Herr Pöhner und dann Herr Hitler davon
   gesprochen haben, daß von „autoritativster Seite“ auf sie eingewirkt
   wurde. Pöhner sagte wörtlich:

      Ich habe mich dagegen ablehnend verhalten, nach meinen schlimmen
      Erfahrungen mit Herrn von Kahr wieder mit ihm zusammen zu
      arbeiten ... Ich bin aber trotzdem noch einmal mit ihm
      zusammengekommen, als, und zwar _von autoritativster Seite_, der
      Wunsch geäußert wurde, ich möchte unter Zurückstellung
      persönlicher Unstimmigkeiten wieder mit Herrn von Kahr in Fühlung
      treten.

   Das Gericht fand es nicht notwendig, Pöhner zu fragen, wer diese
   mysteriöse autoritativste Seite gewesen ist. Herr Stresemann? Oder
   gar der bayrische Ministerpräsident Knilling? Man forschte nicht
   weiter und so kamen auch keine Dementis.

   Übrigens: Ist S. K. H. so unangenehm, in den Verdacht zu kommen, daß
   er Herrn von Kahr vom Putsch abgehalten hat? Warum die Aufregung?
   Will S. K. H. damit zum Ausdruck bringen, daß er nicht unter die
   „Verräter“ gezählt zu werden wünscht?

Wiewohl es für die strafrechtliche Verurteilung Hitlers, Ludendorffs und
Genossen ohne Bedeutung war, ob Kahr und Lossow ebenfalls
hochverräterische Pläne gehegt haben, nahm infolge der geschickten
Führung der Verteidigung, die die Verhandlung völlig beherrschte, diese
Frage den größten Raum ein. Mehr als ein Dutzend hoher Persönlichkeiten,
deren Vernehmung sich über zwei Wochen erstreckte, wurden darüber als
Zeugen gehört. Und das war so gekommen:

Gleich nach der Rede Ludendorffs wurde die bayrische Öffentlichkeit von
einem Herrn Abgeordneten Schaeffer mit der sensationellen Nachricht
überrascht, die Verteidigung habe ihn um Intervention ersucht, damit er
durch den Ministerpräsidenten die _Amnestie_ der Angeklagten erwirke. In
diesem Falle wäre die Verteidigung bereit, sich entsprechende
Zurückhaltung im Interesse des Staats aufzuerlegen.

Herr Schaeffer hatte mehrere Tage gezögert, bis er diese Mitteilung der
Öffentlichkeit übergab. Als er es tat, war die Sachlage klar. Die
Zuspitzung der Gegensätze innerhalb und außerhalb des Prozeßsaales hatte
die Bayrische Volkspartei überzeugt, daß ein Kompromiß aussichtslos war
und so entschloß sie sich, die Entscheidung nicht zu fliehen. Sie fühlte
sich stark genug, um sich nicht scheuen zu müssen, im Gerichtssaale
„enthüllt“ zu werden. Da blieb der Verteidigung nichts anderes übrig,
als ihrerseits loszulegen. War der erste Akt des Prozesses auf „Moll“
gestimmt, so wurde jetzt „Dur“ angeschlagen.

Und die Zeugen marschierten auf. Zwei Wochen fast wurde da von früh bis
abends in stundenlangen Reden die Frage diskutiert, ob Herr Kahr im
Bürgerbräukeller nur Komödie gespielt habe oder nicht. Ein Zeuge gab
folgende dramatische Schilderung:

   „Herr von Kahr war vollkommen unbewegt. Sein Gesicht war wie eine
   Maske, sehr ernst, und er sprach die Worte ruhig. Ich hatte den
   Eindruck, daß um die Augen herum ein Zug von Melancholie lag. Hitler
   war leuchtend vor Freude, ... es war ein kindlicher, offener
   Ausdruck von Freude, den ich nie vergessen werde. Exzellenz
   Ludendorff war, als er hereinkam, todernst. Sein Aussehen und seine
   Worte machten den Eindruck eines Mannes, der weiß, daß es sich um
   eine Sache auf Leben und Tod, vielleicht eher auf Tod handelt.“

Hitler hat, nach anderen Zeugenaussagen, erklärt:

   „Sie müssen mit mir kämpfen, müssen mit mir siegen oder mit mir
   sterben. Wenn die Sache schief geht, vier Schüsse habe ich in der
   Pistole, drei für meine Mitarbeiter, wenn sie mich verlassen, die
   letzte Kugel für mich.“

Darauf Kahr ganz schlicht:

   „Sterben oder nicht sterben ist bedeutungslos.“

Ein anderer schildert den „Rütlischwur“ im Bürgerbräukeller. Es
entspinnt sich folgendes Kreuzverhör:

   _Vorsitzender_: Eine große Zahl von Zeugen kann nicht bestätigen,
   daß Herr von Kahr seine Hand auf jene Hitlers gelegt habe.

   _Rechtsanwalt Götz_: Wir waren doch alle im Bürgerbräukeller und
   sind doch nicht Menschen, denen dieser springende Punkt nicht im
   Gedächtnis zurückgeblieben wäre. Ich sehe ihn 100 Jahre noch.

_Polizeimajor Frhr. von Imhoff_ ist ein hoher Beamter der Landespolizei.
Also erklärt er als Zeuge:

   _Rechtsanwalt Roder_: Wußten Sie, daß gegen Kapitänleutnant Ehrhardt
   Haftbefehl erlassen sei?

   _Frhr. v. Imhoff_: Ich habe gesprächsweise von einem Verfahren wegen
   Meineids gehört.

Im übrigen spielt sich das Zeugenverhör etwa so ab:

   _General Ludendorff_: Ich möchte feststellen, daß der Befehl zur
   Wegnahme des Wehrkreiskommandogebäudes von Lossow unterschrieben
   war.

   _Oberstleutnant von Berchem_ als Zeuge: Ich kann mich
   selbstverständlich nach vier Monaten nicht an alle Befehle erinnern.
   Das würden Exzellenz auch nicht können!

Ob dieser Vergeßlichkeit erhebt sich lauter Widerspruch im Zuhörerraum
und

   _Rechtsanwalt Holl_ erklärt: Ich habe an den Zeugen noch einige
   Fragen richten wollen, aber mit meinem _deutschen Gefühl_ ist es
   nicht vereinbar, an einen Mann noch Fragen zu stellen, der an
   Exzellenz Ludendorff eine derartige Bemerkung zu richten sich
   erlaubt hat. (Bravorufe im Zuhörerraum.)

   _Oberstleutnant von Berchem_: Ich habe doch nur gesagt, ich glaube,
   daß auch Exzellenz Ludendorff nach vier Monaten nicht alle Befehle
   mehr weiß.

   _Rechtsanwalt Holl_: Das ist eine so _unerhörte Beleidigung meines
   deutschen Gefühls_, daß ich weitere Fragen unterlasse.

Und später:

   _Justizrat Schramm_: Was diesen Angriff gegen den Hauptmann Röhm
   betrifft, so werden wir uns an anderer Stelle wiedersehen.

   _Oberstleutnant von Berchem_ (sich stramm aufrichtend): Dazu bin ich
   jederzeit bereit.

Ein anderer Zeuge, Oberleutnant _Braun_, muß sich dann verantworten,
warum er auf die Hitlerleute geschossen habe. Ein ganzes Heer von Zeugen
marschierte also auf, um den Beweis zu führen, daß auch die
Reichswehrabteilung des Oberleutnants Braun „zuverlässig“ sei und „nicht
auf Schwarz-Weiß-Rot schieße“.

   _Oberleutnant Braun_: Ein Mann erklärte mir, der General von Lossow
   sei der feigste Hund, den er kenne. Darauf gab ich ihm eine
   Ohrfeige, daß er taumelte. – Ich habe vor dem dreckigsten Neger im
   Felde, wenn er tot war, Achtung gehabt.

   _Rechtsanwalt Holl_: Besteht eine Dienstvorschrift, wonach ein
   Reichswehroffizier berechtigt ist, einem Zivilisten, der einen
   Vorgesetzten beleidigt, eine Ohrfeige zu geben?

   _Oberleutnant Braun_: Diese Vorschrift besteht in meinem Herzen.

Endlich traten die Kronzeugen selbst auf den Plan.

Kaum größere Gegensätze, als diese drei Herren, die das Triumvirat für
den „legalen Staatsstreich“ bildeten. Merkwürdige Vertauschung der
Rollen: General _Lossow_, der „unpolitische Militär“, war der einzige,
der in seinem ganzen Auftreten, in seinem Gehaben, aber auch in seinen
Ausführungen den Eindruck eines Politikers machte; oder noch mehr eines
Diplomaten. Sehr selbstbeherrscht, gewinnende Manieren, ein gewandter
Polemiker, der genau weiß, wo er mit seiner Rede hinaus will und dessen
klare und präzise Antworten einen Mann von starkem Willen und Intellekt
verraten. _Kahr_, „der Statthalter des Königs“, nimmt sich neben dem
General recht kläglich aus. Ein Provinzler. Untersetzt, mit massigem
Bauernschädel, schwerfällig, redeungewandt. Ihm fehlt nicht nur das
Feuer des Führers, sondern auch jene Schlagfertigkeit und Sicherheit des
Auftretens, die man bei jedem gewiegteren Politiker voraussetzen muß.
Ein geradezu bejammernswürdiger Anblick, wie der Herr Staatskommissar
gleich einem Häufchen Unglück auf seinem Stuhle vor dem Richtertisch
hockte und hilflos den Hagel von Fragen über sich hinweggehen ließ, die
gleich spitzen Pfeilen drei Tage lang von den Verteidigern auf ihn
abgeschnellt wurden. Aber am Ende des Kreuzverhörs zeigte es sich, daß
dieses scheinbar so hilflose Männchen in Wahrheit über eine erstaunliche
Zähigkeit verfügte. Nicht einen Augenblick ließen ihn seine Nerven im
Stich; je hitziger die Verteidiger, je heftiger Hitler und Ludendorff
auf ihn eindrangen, desto kühler wurde Kahr, desto mehr wuchs seine
Sicherheit. Und dann kam diese große Szene:

   _Hitler_: Ich muß darauf zurückkommen, daß mir bis jetzt vorgeworfen
   wird, ich hätte mein _Ehrenwort_ gebrochen.

   _Kahr_: schweigt.

   _Hitler_ (schreiend): Nie und nimmer habe ich mein _Ehrenwort_
   gegeben.

   _Kahr_: Ich habe diesen Eindruck gehabt.

   _Hitler_ (sehr erregt): Ich behaupte, daß mein sogenanntes
   gebrochenes _Ehrenwort_ von der anderen Seite glatt erfunden worden
   ist.

   _Kahr_: schweigt.

   _Hitler_ (in höchster Erregung): Der einzige Mensch, der sein
   Ehrenwort vom 1. Mai gebrochen hat, ist nicht Hitler, sondern der
   General von Lossow gewesen.

   _Kahr_: schweigt.

   _Hitler_ (in höchster Erregung aufspringend): Ich verzichte auf jede
   _Ehrenerklärung_ von Herrn von Kahr.

   _Rechtsanwalt Holl_: Dr. Weber versichert auf sein _Ehrenwort_, daß
   Hitler nicht sein _Ehrenwort_ gegeben hat. Exzellenz, wenn Sie dem
   _Ehrenwort_ Dr. Webers glauben, wollen Sie dann nicht zur Beruhigung
   weiter Kreise jetzt sagen, daß Sie sich geirrt haben?

   _Kahr_ (sehr bestimmt): Ich habe hier keine _Ehrenerklärungen_
   abzugeben.

In diesem Augenblick war Kahr auf der Höhe der Situation. Er, und nicht
Hitler war der Unversöhnliche. Dabei waren die Angeklagten rein taktisch
weitaus im Vorteil. Kahr und Lossow kämpften nicht in günstiger
Stellung, aber sie konnten auftrumpfen, weil sie sich nur als
vorgeschobene Posten einer Armee fühlten, deren Schutz und Hilfe ihnen
sicher war. Die bayrische Regierung hatte Kahr vom Dienstgeheimnis nicht
befreit, und so saß dieser in aller Seelenruhe da, „konnte sich nicht
erinnern“, „verweigerte die Aussage“, „durfte keine Antwort geben“ – – –

Vier Tage standen diese drei Kronzeugen im Kreuzverhör. Das Ergebnis war
eigentlich recht dürftig. Jedenfalls wurde auch durch ihre Aussage
nichts bekannt, was man nicht schon vorher gewußt hätte. Immerhin
ergaben sich folgende Momente:

   _Die Rechtsanwälte_ (zu Kahr): ‚... _Warum_ haben Exzellenz Ehrhardt
   nicht verhaften lassen?‘

   _Hauptmann Heiß_ hat eine Rede in Nürnberg gehalten und den Marsch
   nach Berlin gepredigt. Es ist gegen ihn Haftbefehl erlassen worden,
   _warum_ haben Exzellenz diesen Befehl nicht vollziehen lassen?

   _Warum_ ist eine ganze Reihe von Reichsgesetzen verschiedenster Art
   unter dem Generalstaatskommissariat außer Kraft gesetzt worden?

   Wir haben es in drei Fällen damit zu tun, daß Befehle zu
   Verhaftungen von Leuten in Bayern nicht ausgeführt worden sind. Das
   mag der Stimmung des bayrischen Volkes entsprochen haben. Die
   Verteidigung interessiert, ob diese Befehle ausgeführt wurden oder
   nicht. _Wenn nicht, warum nicht?_

   Wir haben den _Fall Roßbach_, dem mitgeteilt wurde, daß der
   Haftbefehl nicht vollzogen wird. Wir haben den _Fall Ehrhardt_, der
   von Österreich im Auto kam und von Seißer den bekannten Ausweis
   erhielt. Ist das alles wahr und richtig? _Wenn ja, warum_ sind diese
   Befehle in Bayern nicht vollzogen worden?

   _Auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmung_ hielt sich Kahr befugt,
   die Absetzung Lossows zu verhindern, die bayrische Reichswehr auf
   Bayern zu verpflichten? Dabei handelte Bayern, so hieß es damals,
   als Treuhänder des Reiches. _Wer hat Kahr zum Treuhänder gemacht?_

   Hatte Kahr nicht nur die vollziehende Gewalt, sondern
   schlechterdings auch die gesetzgebende Gewalt? _Wenn nein, wie
   rechtfertigt_ Kahr seine verschiedenen Gesetzsgebungsakte?

   _Wer hat angeordnet_, daß das _Reichsbankgold_ der Staatsbank in
   Nürnberg in dem Augenblicke, als es nach Berlin abgeführt werden
   sollte, beschlagnahmt wurde, daß die Steuererträgnisse des
   bayrischen Staates bis auf weiteres nicht an die Reichskasse in
   Berlin abgeführt werden?

   _Ist es richtig_, daß er, wie von seinen Mitarbeitern im
   Generalstaatskommissariat mehrfach zum Ausdruck gebracht worden ist,
   entschlossen war, den Zusammentritt des Landtages zu verhindern und
   nötigenfalls das Ministerium abzusetzen?

   Geht daraus, daß sich Kahr im Falle Lossow auf Verhandlungen mit
   Berlin nicht einließ, hervor, daß er auch beanspruchte, die
   Vertretung der Staatspersönlichkeit Bayerns nicht nur nach innen,
   sondern auch nach außen zu führen? _Mit welchem Rechte_ hat Kahr das
   getan und wie rechtfertigt sich das mit der Aufrechterhaltung von
   Ruhe und Ordnung?

   _Warum ist nichts getan worden_, um die in der Kahr befreundeten
   Presse gemachten Ausführungen, daß Kahr nur seinem Gewissen
   verantwortlich sei, zu widerlegen?

   _Ist es richtig_, daß Kahr die _Schutzhaft_ verhängen ließ und
   verfügte, daß diese Haft nach Art der Arbeitssträflinge zu
   vollziehen ist?

   Es sind auch Offiziere von der Reichswehr entlassen und versetzt
   worden, also bis in die _Reichswehr_ hinein hat sich die
   Machtvollkommenheit erstreckt. _Aus welchen Gründen_ erklären sich
   diese Tatsachen?

   _Ist es richtig_, daß Kahr Ende Oktober aufgefordert wurde, die
   Reichsbefehlsgewalt auf den normalen Zustand wiederherzustellen.
   _Aus welchen Gründen_ hat Kahr dieses Verlangen der Reichsregierung
   abgelehnt?“ ...

   _Kahr_ (antwortet mit keiner Silbe, dann): ... Ich kann von
   Ministerbesprechungen hier nichts aussagen. (Heiterkeit im
   Zuhörerraum.)

   _Vorsitzender_ verkündet, daß beschlossen wurde, die Zulässigkeit
   dieser sämtlichen Fragen abzulehnen ...

Wesentlich sind folgende Feststellungen:

   _Polizeioberst Seißer_: Es war damit zu rechnen, daß vom Reich aus
   Bayern mit einer Sanierungsaktion betraut würde. Tatsächlich ist am
   10. Oktober vom Reichswehrministerium der Befehl ergangen, bayrische
   Reichswehr zur Verwendung in Sachsen bereitzustellen.

   _Rechtsanwalt Hemeter_: Ist Ihnen davon bekannt, daß für den Fall
   eines Einmarsches in Sachsen nach Aufruf des Reichswehrministeriums
   _Ehrhardt_ mit seinen Formationen dort mit als bayrische Notpolizei
   einrücken sollte?

   _Kahr_: Die Verständigung sollte an alle _vaterländischen Verbände_
   gehen, wenn das Reich rufen würde.

   _Rechtsanwalt Hemeter_: Glaubte der Zeuge, daß die maßgebenden
   Stellen in Berlin die Verwendung Ehrhardts unter dem Mantel der
   Notpolizei zugelassen hätten, nachdem doch in Sachsen _Haftbefehl_
   gegen ihn erlassen war?

   _Kahr_: Ehrhardt brauchte ja nicht selbst hinzugehen.

   _Justizrat Schramm_: Ist Exzellenz bekannt, daß am 9. November
   nachmittags eine Depesche nach Berlin ging, in der für die
   angebotene Reichswehrhilfe zur Niederschlagung des Hitlerputsches
   gedankt und die Erwartung ausgesprochen wurde, daß durch die
   Niederschlagung des Putsches der Fall Lossow-Seeckt erledigt sein
   werde.

   _Kahr_: Von General von Seeckt wurde militärische Hilfe angeboten,
   ich habe aber gedankt. Den Wortlaut habe ich nicht im Gedächtnis.

Und nun wollen wir hören, was es mit dem „legalen Staatsstreich“ der
Herren Lossow und Kahr auf sich hat. Darüber sagten sie folgendes:

   _Lossow_: Die Herbeiführung dieses Direktoriums war nicht gedacht
   als Putsch, sondern auf Grund der Möglichkeit, die Artikel 48 der
   Verfassung gibt. An der Spitze sollte ein Mann sein, der einen
   Namen, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland hatte. Eine
   erste Autorität sollte die Finanzen und Währung sanieren, eine
   andere Autorität die Staatsbetriebe, Eisenbahn, Post usw. in Ordnung
   und zu Erträgnissen bringen, eine weitere den gesamten Staatsapparat
   von den Revolutionsgewinnlern säubern, eine weitere Autorität für
   die Ernährung sorgen. Es waren auch sanierende Wirtschaftsmaßnahmen
   vorgesehen durch Beseitigung des Achtstundentages und durch
   Beseitigung des herrschenden Einflusses der Trusts und
   Gewerkschaften. Ein kleiner Teil dieses Programms ist ja in den
   letzten Monaten unter dem Reichsausnahmezustand und unter einer Art
   von Diktatur durchgeführt worden. – Ich habe erfahren, daß auf
   diesen Reichsausnahmezustand schon längere Zeit Vorbereitungen
   getroffen wurden. – – Ich war ja kein berufsloser Komitatschi, der
   glaubt, durch einen Putsch zu Ehren und Würden zu kommen. – – – Ich
   sprach mit General Ludendorff, der damals den ganzen Plan dieses
   Direktoriums als die Patentlösung bezeichnete.

Und _Kahr_ erzählt:

   „Ich sprach davon, daß wir im Reich eine starke national gerichtete
   Regierung brauchen und dies könne entweder auf dem normalen Wege der
   parteipolitischen Entwicklung erreicht werden – ich hätte ja dazu
   kein besonderes Vertrauen – der zweite Weg sei der anormale, ein
   Druck durch die Machtfaktoren im Reich, besonders durch
   Landwirtschaft und Industrie.“

   _Rechtsanwalt Holl_: Was besteht für ein Unterschied zwischen dem
   Vormarsch auf Berlin und einem Druck auf Berlin?

   _Kahr_: Der Vormarsch nach Berlin ist eine Unternehmung, der Druck
   ist eine rein politische Aktion.

   _Justizrat Kohl_: Mit welchen Männern ist in Norddeutschland
   verhandelt worden?

   _Kahr_: Mit Minoux, Großadmiral Tirpitz, Admiral Scheer und Herrn
   von Knebel.

   _Justizrat Kohl_: Worin sollte der Druck der Industrie, des Handels
   und der Landwirtschaft bestehen? Was ist darüber gesprochen worden,
   wie man diesen Druck ausüben will?

   _Vorsitzender_: Die Frage, wie weit die Vorbereitungen getroffen und
   gediehen waren, ist unnötig.

   _Justizrat Kohl_: Ich bitte, das, was ich auszuführen habe, ruhig
   und sachlich mit anzuhören. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht
   erkennen offenbar die Zusammenhänge nicht, die zwischen der Aktion
   in München und zwischen der in Norddeutschland vorbereiteten großen
   Aktion bestanden haben. So oft hier die Rede auf den Justizrat Claß
   kommt, hüllen alle Zeugen sich in Schweigen. Die Bewegung vom 8.
   November ist aber nur erklärlich, wenn man weiß, daß Herr Kahr von
   Justizrat Claß seine festumrissenen Aufträge hatte. Die Herren
   Seeckt und Claß müssen hier vernommen werden über das, was in
   Norddeutschland geplant war und wozu die Vorgänge in München am 8.
   und 9. November eben nur den Auftakt bilden sollten.

   _Hitler_: Exzellenz Lossow mögen mir bekanntgeben, wer der Urheber
   des Gedankens vom Direktorium ist und mit wem der General Lossow
   verhandelt hat.

   _Vorsitzender_: Herr Staatsanwalt, haben Sie hierzu einen Antrag zu
   stellen?

   _Staatsanwalt_: Nein, ich kann in diese dunklen Zusammenhänge nicht
   hineinsehen.

Hierauf zieht sich das Gericht zurück, um über die Frage zu entscheiden,
ob der von Hitler und Justizrat Kohl angeschnittene neue Komplex
öffentlich oder überhaupt erörtert werden kann.

Nach längerer Pause verkündet der Vorsitzende folgenden
Gerichtsbeschluß:

   „Die von dem Angeklagten Hitler an den Zeugen gestellte Frage wird
   nicht zugelassen. Die Angeklagten haben selbst behauptet, daß der
   erste Grund zu ihrer Bewegung erst am 6. November, abends, ohne jede
   Vorbereitung entstanden ist. Die Frage nach Urheberschaft des
   Direktoriumsgedankens und nach dem Zusammenhang zwischen der
   dahingehenden Bewegung in Nord- und Süddeutschland kann als mit der
   Tat der Angeklagten nicht in einem inneren Zusammenhang stehend
   nicht zugelassen werden.“

Und als die Verteidigung sich mit diesem Beschluß nicht zufriedengeben
wollte, als ihre Angriffe an Heftigkeit zunahmen und so die Gefahr
bestand, daß tatsächlich eine der letzten Hüllen fallen könnte, da brach
der Vorsitzende das grausame Spiel mit dieser Erklärung ab:

   „Nach Auffassung des Gerichts ist die Frage der Ernstlichkeit oder
   Nicht-Ernstlichkeit der Zustimmung der Herren Kahr, Lossow und
   Seißer zum Putsch nicht von Bedeutung für die Schuldfrage im
   gegenwärtigen Prozeß, sondern lediglich die Frage, ob die Herren
   Angeklagten an die Ernstlichkeit geglaubt haben. Und das muß ihnen
   wohl konzediert werden.“

Die Verteidigung hatte eine wichtige Schlacht gewonnen.

Und wieder Geplänkel:

   _Rechtsanwalt Holl_: Warum haben Exzellenz als Inhaber der
   vollziehenden Gewalt die Schrift von Rothenbücher verboten, aber
   nicht das weiß-blaue Schriftchen „veni, vidi, vici“?

   _Kahr_: Ich bin der Anschauung, daß zwischen beiden ein wesentlicher
   Unterschied ist. Ich habe die erste Schrift nicht ganz gelesen, und
   die andere habe ich auch nicht gelesen.

_Lossow_ aber erklärt mit Emphase:

   „Ich habe schon gesagt, daß der General Lossow wider Wunsch und
   Willen in die Politik hineingekommen ist, und daß der General Lossow
   mit Sehnsucht den Tag erwartet hat, daß er wieder verschwinden kann.
   – – – Wer die Autorität des Staates zu Tode marschieren will, der
   wird manu militari zur Vernunft bekehrt – und wenn Blut fließt.“

Nach Beendigung des Zeugenverhörs trat das Gericht noch einmal in die
Prüfung der Frage ein, welche Rolle General Ludendorff beim Putsch
gespielt habe. Das Verhör hatte folgenden Abschluß:

   _Vorsitzender_: Sie haben die Errichtung eines nationalen
   Reichsdirektoriums als Patentlösung aufgefaßt. Haben Sie noch am 8.
   November abends an diese Lösung gedacht?

   _Ludendorff_: Einzig und allein.

   _Vorsitzender_: Sie wußten doch aber von der Verhaftung der
   bayrischen Minister?

   _Ludendorff_: Nein, das wußte ich nicht.

   _Vorsitzender_: Haben Sie auch an den Marsch nach Berlin nicht
   geglaubt, als am 8. November abends Hitler im Bürgerbräu von dem
   Marsch nach dem Sündenbabel Berlin sprach?

   _Ludendorff_: Nein.

   _Vorsitzender_: Sie haben von der Absetzung des Reichspräsidenten
   nichts gewußt?

   _Ludendorff_: Nein.

   _Vorsitzender_: In dieser Darstellung, Exzellenz, besteht ein
   gewisser Widerspruch zu Ihren früheren Angaben. Wie kommt das?

   _Ludendorff_: Meine erste Aussage wird meiner damaligen Auffassung
   entsprochen haben. Heute ist meine Auffassung so.

   _Rechtsanwalt Luitgenbrune_: Haben sich denn Eure Exzellenz
   irgendwie bedacht, wie die Diktatur einzurichten ist?

   _Ludendorff_: Darüber habe ich nicht nachgedacht.

   _Vorsitzender_: Es war also für Sie die neue Regierung keine
   endgültige Bildung, sondern nur eine Vorbereitungsmaßnahme?

   _Ludendorff_: Selbstverständlich.

General Ludendorff wußte also von gar nichts. Und was er wissen durfte,
hatte ihm der Vorsitzende gefällig in den Mund gelegt.


                             DIE PLAIDOYERS

Das Münchener Volksgericht, vor dem die Verhandlung gegen Hitler,
Ludendorff und Genossen stattfand, mußte noch vor dem 1. April das
Urteil fällen, da nach einem langwierigen Kampf zwischen Reich und
Bayern für diesen Zeitpunkt die Aufhebung der Volksgerichte beschlossen
war. Hätte die Verhandlung nicht Ende März abgeschlossen werden können,
so hätte man den ganzen Prozeß an den Leipziger Staatsgerichtshof
abtreten müssen, der ihn gewiß anders geführt hätte und zu wesentlich
anderen Ergebnissen gelangt wäre als das Münchener Volksgericht, das
nach einer besonderen Prozeßordnung arbeitete, die das Verfahren
sehr vereinfachte und dem Vorsitzenden des Gerichts und der
Staatsanwaltschaft besonders weitgehende Kompetenzen einräumte. Es ist
also verständlich, daß sich das Gericht beeilte, noch vor Ende März zum
Schluß zu kommen. Die Beweisaufnahme konnte denn auch am 18. März
geschlossen werden.

Der Staatsanwalt erhob sich zu seiner Anklagerede, die allgemeine
Überraschung hervorrief. Hatte er doch im Verlauf der Verhandlung einmal
in größter Erregung den Sitzungssaal fluchtartig verlassen, um gegen die
fortgesetzten heftigen persönlichen Angriffe der Verteidiger und den
nicht genügenden Schutz des Vorsitzenden zu demonstrieren. In seiner
Anklagerede aber trat er ganz auf die Seite des Vorsitzenden, zeigte
sich von ehrlichem Verständnis und Mitgefühl für die Taten der
Angeklagten und ihre politische Einstellung.

Er „bedauerte vom vaterländischen Standpunkt zutiefst die Spaltung
zwischen den rechtsstehenden Organisationen“, sah einen „zweiten
schädlichen Standpunkt in dem brennenden Eifer der Jugend“, und setzte
dann fort:

   „Aus einfachen Verhältnissen ist Hitler der Begründer einer großen
   Partei geworden. Sein Bestreben, in einem unterdrückten Lande das
   Nationalgefühl zu erwecken, bleibt sein _Verdienst_. So ist er _kein
   Demagoge_ im schlechten Sinne des Wortes. Hitler ist _hochbegabt_
   und gibt sich seiner Idee bis zur _Selbstaufopferung_ hin. Als
   Menschen können wir Hitler unsere _Hochachtung_ nicht versagen.“

Und nun zu _Ludendorff_:

   „General Ludendorff hat sich auch da, wo er gegen das Gesetz
   verstieß, als _ganzer deutscher Mann_ erwiesen. Sein _Feldherrnruhm_
   bleibt unberührt. _Ein großer Mann!_ Er hat sich zwar der Beihilfe
   schuldig gemacht, demgegenüber steht die Reinheit seines Wollens und
   die Dankesschuld des Vaterlandes gegen den großen Feldherrn.“

Und in dieser Tonart ging’s zwei Stunden weiter:

   Bei Pöhner ist es unschön aufgefallen, daß er sich als oberster
   Richter des Hochverrats rühmte. Aber er glaubte ehrlich an den Sieg
   der völkischen Sache und hat sich im Krieg und im Frieden sehr
   bewährt. Der Angeklagte Röhm hat der Staatsverfassung mit offener
   Gewalt Widerstand geleistet, obwohl er aktiver Reichswehroffizier
   gewesen ist; das ist strafverschärfend, aber zu seinen Gunsten
   spricht, daß er an die völkische Sache glaubte. Er hat sich also nur
   der Beihilfe schuldig gemacht.“

Hierauf stellte Staatsanwalt Stenglein folgenden Strafantrag:

   Ich beantrage, sämtliche Angeklagte schuldig zu sprechen, und zwar
   Hitler, Pöhner, Kriebel und Dr. Weber wegen gemeinschaftlichen
   Hochverrats aus §§ 81 und 82 St.G.B., General Ludendorff, die
   Angeklagten Frick, Röhm, Brückner, Wagner und Pernet der Beihilfe
   zum Hochverrat. Im einzelnen beantrage ich gegen Hitler acht Jahre
   Festung, gegen Pöhner, Kriebel und Dr. Weber je sechs Jahre Festung,
   gegen Ludendorff zwei Jahre Festung (große Bewegung im Saal), gegen
   die Angeklagten Frick und Röhm je zwei Jahre Festung, gegen Brückner
   und Wagner je ein Jahr sechs Monate, gegen Pernet ein Jahr drei
   Monate Festung. Die erlittene Untersuchungshaft ist allen
   Angeklagten in voller Höhe anzurechnen.

Die Angeklagten gaben hierauf folgende Erklärung ab:

   _Oberstleutnant Kriebel_: „Was ich getan habe, halte ich für
   richtig. Ich würde es heute nochmals tun. Nur durch die Tat kann
   Deutschland geholfen werden. Unsere Tat ist gescheitert an der Lüge
   und dem Wortbruch dreier ehrgeiziger Gesellen.

   _Oberlandesgerichtsrat Pöhner_: „Ich habe ein gutes Gewissen und
   schäme mich meiner Tat nicht. Ich mache Anspruch darauf, daß unsere
   Tat vor Gericht entsprechend bewertet wird. Inwieweit das Gericht
   die Bestimmungen des Hochverrats auf uns anwendet, hängt davon ab,
   wie es zu den echten und tiefen Problemen des Staates steht. Der
   Staatsanwalt hat mein Verhalten in besonderem Maße belastet, weil
   ich als hoher Richter meine Treupflicht verletzt hätte. Das weise
   ich entschieden zurück. Was war denn das für ein Staat, der im
   November 1918 geschaffen wurde? Dieser Volksbetrug ist von Juden,
   Deserteuren und bezahlten Landesverrätern verübt worden. Diese
   Regierung ist keine von Gott gewollte Obrigkeit im christlichen
   Sinne. Exotische Machthaber sind diese rassefremden Gesellen. Der
   sogenannte Reichspräsident ist nicht vom Volk gewählt, sondern von
   einem Klüngel auf den Thron gesetzt. Er hat Hochverrat getrieben,
   wie ein Verfahren bewiesen hat.

   Wer von den Beamten ist denn bereit, für die neue Obrigkeit zu
   kämpfen und zu sterben? Ich habe diese Frage einem
   Ministerialdirektor in Berlin vorgelegt, ob er bereit sei, für den
   Ebertfritzen zu sterben. Das verneinte er, und so ist diese
   Obrigkeit für mich erledigt. Ich bekämpfe sie und habe diese
   Anschauung meinem Vorgesetzten sogar schriftlich gegeben, als man
   mich über den Staatsgerichtshof und das Republikschutzgesetz
   befragte. Ich sollte vor dem Staatsgerichtshof erscheinen, vor dem
   Revolutionstribunal, dem ich keinen Gehorsam schulde. Ich habe das
   abgelehnt. Das Republikschutzgesetz ist nur unter der Falschheit der
   Volksvertreter durch den Druck der Straße entstanden. Das
   Justizministerium, dem ich meine Auffassung unterbreitete, hat mein
   Fehlen vor dem Staatsgerichtshof entschuldigt. Was ich getan habe,
   tue ich jederzeit noch einmal.“

   _General Ludendorff_ gab folgende Erklärung ab: „Mein Handeln in
   jenen kritischen Tagen an der Seite meiner Freunde steht geradlinig
   vor Ihnen. Kraft meines historischen Rechtes möchte ich einige Worte
   an Sie richten: Man sieht in mir „Tannenberg“, man sieht in mir
   andere große Schlachten, man erblickt in mir den Vertreter des alten
   Heeres, an das sich ewiger Ruhm bindet. Was Sie aber nicht sehen,
   ist meine Lebensarbeit, ist mein Ringen und Kämpfen um die Zukunft
   des deutschen Volkes.

   Die Weltgeschichte schickt Männer, die für ihr Vaterland gekämpft
   haben, nicht auf Festung, sondern sie schickt sie nach Walhall. Ich
   erhebe vor aller Welt nochmals meine Stimme und rufe Ihnen in
   ernstester Stunde zu: Wenn die völkische Bewegung sich in
   Deutschland nicht durchsetzt, sind wir verloren für ewige Zeiten,
   dann droht uns Versklavung an Frankreich. Wir werden ausgestrichen
   aus der Reihe der Nationen. Hören Sie diesen Schrei der deutschen
   Seele nach Freiheit. Geben Sie diese Männer, die vor Ihnen sitzen,
   dem Volke wieder. Denn die Aufgabe dieser Männer ist es, das Volk zu
   erziehen. Nicht das Wort, nur die Tat kann Weltgeschichte machen.

   _Hitler_: Wie klein denken doch kleine Menschen! Was mir als Ziel
   vor Augen stand, ist tausendmal größer als etwa Minister zu werden.
   Was ich werden wollte, das war der Zerbrecher des Marxismus, und
   wenn ich diese Aufgabe löse – und ich werde sie lösen – dann ist der
   Titel eines Ministers eine Lächerlichkeit – – Die Geschichte spricht
   uns frei!

   _Rechtsanwalt Holl_: Man ist hier in Bayern gegen den „Preußen
   Ludendorff“ vorgegangen, sogar das Wort „Saupreuße“ ist gefallen ...
   Armes, deutsches Volk! Wohin bist du gesunken, daß dein größter Sohn
   sich so etwas sagen lassen muß. (Rührung und Weinen im Zuhörerraum.)
   Die neue Reichsverfassung hat in Bayern nie Geltung gehabt. So wenig
   wie ein sozialdemokratischer Parteitag hatte die Nationalversammlung
   das Recht, Bayern eine Verfassung aufzuzwingen ... (!) War es nicht
   ein Fingerzeig Gottes, daß gerade die Führer der Bewegung bei dem
   Blutbad (!) (an der Residenz) unverletzt geblieben sind?

   _Justizrat Kohl_: Wir bitten nach dieser Rede, heute vorläufig eine
   Pause eintreten zu lassen, da jeder Mann, auch das Gericht, über
   das, was der Kollege Holl sagte, ernsthaft nachdenken muß; denn es
   ist die Zukunft Deutschlands.

   _Vorsitzender_: Eine derartige Bemerkung Ihrerseits war vollkommen
   überflüssig.

   _Rechtsanwalt Roder_ (im Namen der Verteidigung) bittet um
   Vertagung, da die Angeklagten „zu ergriffen“ sind und sich „leidend
   fühlen“.

Darauf wird die Verhandlung tatsächlich vertagt, auf daß die goldenen
Worte Ludendorffs reiflich überlegt werden konnten.


                               DAS URTEIL

Am 1. April, vormittags 10 Uhr 5 Minuten, verkündete der Vorsitzende des
Volksgerichts München I nachstehendes Urteil:

   Die Angeklagten Hitler, Pöhner, Kriebel, Weber werden wegen
   Hochverrats zu je 5 Jahren Festungshaft sowie zu einer Geldstrafe
   von je 200 Goldmark verurteilt. Die erlittene Untersuchungshaft wird
   angerechnet bei Hitler mit 4 Monaten 2 Wochen, bei Weber mit 4
   Monaten 3 Wochen, bei Pöhner und Kriebel mit je 2 Monaten 2 Wochen.

   Die Angeklagten Röhm, Frick, Brückner, Pernet und Wagner werden
   wegen Beihilfe zum Hochverrat zu je 1 Jahr 3 Monaten Festungshaft
   und zu einer Geldstrafe von je 100 Goldmark verurteilt. Die
   erlittene Untersuchungshaft wird bei Röhm und Frick mit je 4 Monaten
   3 Wochen, bei Brückner mit 4 Monaten 1 Woche, bei Pernet und Wagner
   mit je 2 Monaten 3 Wochen angerechnet.

   Sämtliche vorgenannten Angeklagten werden zu den Kosten des
   Verfahrens verurteilt.

   Der Angeklagte General Ludendorff wird von der Anklage des
   Hochverrats freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens werden, soweit
   er in Frage kommt, der Staatskasse auferlegt.

   Die Haftbefehle gegen Frick, Röhm und Brückner werden mit sofortiger
   Wirkung aufgehoben. Die Angeklagten Brückner, Röhm, Pernet, Wagner
   und Frick erhalten für den Strafrest Bewährungsfrist bis zum 1.
   April 1928.

   Den Angeklagten Hitler, Pöhner, Weber und Kriebel wird nach
   Verbüßung eines Strafteiles von 6 Monaten Festungshaft
   Bewährungsfrist für den Strafrest in Aussicht gestellt.

   Die Verurteilung sowohl wie der Freispruch erfolgten mit 4 Stimmen.

Nach der Verkündung des Urteils erhoben sich die Zuhörer und brachen in
stürmische Huldigungskundgebungen für die Angeklagten aus. Nur mit Mühe
konnte ihnen ein Ausgang aus dem Saal gebahnt werden. Unabsehbare
Menschenmengen füllten die Straßen vor der Infanterieschule. Besonders
General Ludendorff wurde stürmisch gefeiert. Als er auf die Straße trat,
empfingen ihn laute Heilrufe. Dann rief man nach Hitler, der schließlich
an ein Fenster der Infanterieschule trat, um sich den unten Harrenden zu
zeigen. Im blumengeschmückten Auto, das eine große Hakenkreuzfahne trug,
fuhr Ludendorff in seine Villa, während die anderen Angeklagten in die
Festung Landsberg überführt wurden.

                   *       *       *       *       *

Es war kein langer und gewiß auch kein unangenehmer Aufenthalt. Der
erste, der die Festung verließ, war Poehner, der auf Grund eines
ärztlichen Attestes als urlaubsbedürftig erklärt wurde und seine durch
die Verhandlung angegriffene Gesundheit auf einem Landgute in der Nähe
Münchens erfolgreich wiederherzustellen bemüht war. Die anderen wurden
_nach sechs Monaten_ Haft in Freiheit gesetzt. Eine Amnestie bannte
vollends jede Gefahr einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Und so bleibt
zum Schluß nur noch festzustellen, daß der Paragraph 81 des deutschen
Strafgesetzbuches jeden mit _lebenslänglichem Zuchthaus oder
lebenslänglicher Festungshaft_ bedroht, der es unternimmt „die
Verfassung des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates – – – –
gewaltsam zu ändern.“ Bei mildernden Umständen kann auf _Festung nicht
unter fünf Jahren_ erkannt werden. Der Paragraph 83 des
Strafgesetzbuches fügt dem hinzu:

   Haben mehrere die Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens
   verabredet, ohne daß es zum Beginn einer – – – – – strafbaren
   Handlung gekommen ist, so werden dieselben mit Zuchthaus nicht unter
   5 Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind
   mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter zwei
   Jahren ein.

Aus der Gegenüberstellung des Urteils und der gesetzlichen Bestimmungen
die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, muß man sich ebenso versagen, wie
die Gegenüberstellung des Urteils im Hitlerprozeß mit den
Schreckensurteilen, die gegen links gefällt worden sind. Kein Pathos und
kein Protest, nicht die flammendsten Appelle hätten die Beweiskraft der
erschütternden Sprache, die eine nüchterne Statistik dieser Urteile
redete. Doch diese Statistik kann hier leider nicht veröffentlicht
werden. Sie würde ein dickes Buch füllen. Und so sei nur noch, um diese
ganze Tragikomödie, die sich republikanische Rechtsprechung nennt, auf
das Niveau der grotesken Farce zu heben, als welche die Zeit, in der wir
zu leben verurteilt sind, immer wieder erscheint, zur Kenntnis genommen,
daß die deutschen Richter auf ihrer Reichstagung ausdrücklich erklärt
haben, in Deutschland gebe es so etwas wie eine Klassenjustiz nicht. Mit
diesem stolzen Richterspruch findet die Justizkomödie des
Hitler-Prozesses erst ihren einzig würdigen Epilog.




                              In der Sammlung
                       AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT
                     – DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
                 sind bis jetzt folgende Bände erschienen:


   Band 1:

                               ALFRED DÖBLIN
                  DIE BEIDEN FREUNDINNEN UND IHR GIFTMORD

   Band 2:

                             EGON ERWIN KISCH
                    DER FALL DES GENERALSTABSCHEFS REDL

   Band 3:

                              EDUARD TRAUTNER
                      DER MORD AM POLIZEIAGENTEN BLAU

   Band 4:

                                ERNST WEISS
                          DER FALL VUKOBRANKOVICS

   Band 5:

                                 IWAN GOLL
                    GERMAINE BERTON, DIE ROTE JUNGFRAU

   Band 6:

                              THEODOR LESSING
                  HAARMANN, DIE GESCHICHTE EINES WERWOLFS

   Band 7:

                                KARL OTTEN
                             DER FALL STRAUSS

   Band 8:

                             ARTHUR HOLITSCHER
                             DER FALL RAVACHOL

   Band 9:

                                 LEO LANIA
                       DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS

   Band 10:

                           FRANZ THEODOR CSOKOR
               SCHUSS INS GESCHAEFT (DER FALL OTTO EISSLER)

   Band 11:

                              THOMAS SCHRAMEK
                         FREIHERR VON EGLOFFSTEIN
                  Mit einem Vorwort von ALBERT EHRENSTEIN

   Band 12:

                               KURT KERSTEN
          DER MOSKAUER PROZESS GEGEN DIE SOZIALREVOLUTIONÄRE 1922

   Band 13:

                                KARL FEDERN
                       DER PROZESS MURRI-BONMARTINI

   Band 14:

                               HERMANN UNGAR
                    DIE ERMORDUNG DES HAUPTMANNS HANIKA

                     Ferner erscheinen noch Bände von:

   HENRI BARBUSSE, MARTIN BERADT, MAX BROD, E. I. GUMBEL, WALTER
   HASENCLEVER, GEORG KAISER, OTTO KAUS, THOMAS MANN, LEO
   MATTHIAS, EUGEN ORTNER, JOSEPH ROTH, RENÉ SCHICKELE, JAKOB
                      WASSERMANN, ALFRED WOLFENSTEIN.


                  OHLENROTH’SCHE BUCHDRUCKEREI ERFURT


                     Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 48]:
   ... Daß Kahrs Kampfansage an den „marxistische ...
   ... Daß Kahrs Kampfansage an den „marxistischen ...

   [S. 54]:
   ... gez. Fr. Seldie, 1. Bundesvorsitzender. ...
   ... gez. Fr. Seldte, 1. Bundesvorsitzender. ...

   [S. 119]:
   ... sind diese Befehle in Bayern nicht vollzogen worden. ...
   ... sind diese Befehle in Bayern nicht vollzogen worden? ...






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HITLER-LUDENDORFF-PROZESS ***


    

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Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
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and official page at www.gutenberg.org/contact

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