The Project Gutenberg eBook of Wie ich Livingstone fand; Erster Band

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Title: Wie ich Livingstone fand; Erster Band

Author: Henry M. Stanley

Release date: May 23, 2025 [eBook #76143]

Language: German

Original publication: Leipzig: F. A. Brockhaus, 1879

Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WIE ICH LIVINGSTONE FAND; ERSTER BAND ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1879 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

Fußnoten wurden am Ende des betreffenden Kapitels zusammengefasst.

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WIE ICH LIVINGSTONE FAND.

ERSTER BAND.

Ansicht des Hafens von Zanzibar
ZANZIBAR.
I.

WIE ICH LIVINGSTONE FAND.

REISEN,
ABENTEUER UND ENTDECKUNGEN

IN

CENTRAL-AFRIKA.

VON

HENRY M. STANLEY.


AUTORISIRTE DEUTSCHE AUSGABE.

IN ZWEI BÄNDEN.

MIT ABBILDUNGEN IN HOLZSCHNITT UND EINER KARTE.


ERSTER BAND.

Verlagssignet

LEIPZIG:
F. A. BROCKHAUS
1879.

HERRN

JAMES GORDON BENNETT,
DEM BESITZER DES „NEW YORK HERALD“,

WIDMET DIESEN BERICHT

ÜBER SEINE EXPEDITION AN DR. LIVINGSTONE

UND

DIE REISEN, ABENTEUER UND ENTDECKUNGEN IN CENTRAL-AFRIKA

ALS TRIBUT FÜR DIE FREIGEBIGE GROSSMUTH,
WELCHE DAS UNTERNEHMEN INS LEBEN RIEF UND BIS ANS
ENDE DURCHFÜHRTE,

EHRFURCHTSVOLL

SEIN DANKBARER SPECIAL-CORRESPONDENT
HENRY M. STANLEY,
FÜHRER DER EXPEDITION DES „NEW YORK HERALD“.

[S. vii]

VORBEMERKUNG.

Seit der Veröffentlichung der englischen Originalausgabe dieses Werkes hat der Verfasser desselben, Henry M. Stanley, seine zweite von so glänzendem Erfolg gekrönte Forschungsreise durch Afrika ausgeführt und deren ausführliche Schilderung in dem Werke „Through the Dark Continent“ vor kurzem erscheinen lassen. Dieses liegt bereits vollständig in deutscher Ausgabe vor.[1] Dagegen war infolge eigenthümlicher hindernder Umstände von dem erstern Werke: „How I found Livingstone“ bisher keine deutsche Uebersetzung veröffentlicht worden. Vorliegende Publication füllt nun diese Lücke in der Reiseliteratur über Afrika aus und wird namentlich allen denen willkommen sein, welche Stanley’s neuere Reise mit Theilnahme verfolgt haben.

Der Verfasser beabsichtigte anfangs in der deutschen Ausgabe einige geographische Details auf Grund seiner[S. viii] spätern Forschungen hinzuzufügen oder zu verändern, hat es aber doch für angemessener erachtet, dass den deutschen Lesern sein Werk ganz in derselben Gestalt vorgeführt werde, welche er ihm unter den unmittelbaren Eindrücken der Reiseerlebnisse gegeben hatte. Nur das der englischen Originalausgabe beigefügte Kartenmaterial ist hier weggeblieben, weil dasselbe wesentlich erweitert und berichtigt in der grossen Karte vorliegt, die zu dem neuen Werke „Durch den Dunkeln Welttheil“ gehört. Statt dessen erhalten die Leser am Schluss unsers Werkes eine allgemeine Uebersichtskarte zur Orientirung sowol über die erste Reise Stanley’s bis an den Tanganika-See, als auch über die zweite von der Ostküste bis an das Gestade des Atlantischen Oceans.

[1] Durch den Dunkeln Welttheil oder die Quellen des Nils, Reisen um die grossen Seen des äquatorialen Afrika und den Livingstone-Fluss abwärts nach dem Atlantischen Ocean von HENRY M. STANLEY. Autorisirte deutsche Ausgabe. Aus dem Englischen von Prof. Dr. C. Böttger. 2 Bände. Mit Karten und Abbildungen. (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1878.)

[S. ix]

INHALT.

 
Seite
Einleitung.
ERSTES KAPITEL.
Zanzibar.
Ankunft in Zanzibar. — Aufnahme beim Consul der Vereinigten Staaten. — Kapitän Webb. — Leben in Zanzibar. — Art des Handels mit dem Innern. — Die Stadt Zanzibar. — Bevölkerung. — Einführung bei Dr. Kirk. — Bischof Tozer.
ZWEITES KAPITEL.
Ausrüstung der Expedition.
Schwierigkeiten Nachrichten zu erhalten. — Indienstnahme von J. W. Shaw und W. L. Farquhar. — Mbarak Bombay. — Besuch im Palast des Sultans. — Einschiffung nach Bagamoyo. — Charakteristik des Sultans.
DRITTES KAPITEL.
Das Leben in Bagamoyo.
Ankunft in Bagamoyo. — Gastfreundschaft der Jesuiten-Mission. — Leben in Bagamoyo. — Ali bin Salim. — Nächtliche Diebe. — Ein Esel wird gestohlen. — Verpackung der Ballen. — Schwierigkeit, Pagazis zu bekommen. — Transport-und Waaren-Kosten. — Sur Hadschi Pallu. — Seine Sünden. — Besuch bei Livingstone’s Karavane. — Ankunft des Dr. Kirk in Bagamoyo. — Klima von Bagamoyo. — Abreise der fünf Karavanen.
[S. x]
VIERTES KAPITEL.
Durch Ukwere, Ukami und Udoe nach Useguhha.
Ankunft im ersten Lager „Schamba Gonera“. — Das Thal des Kingani. — Eine Brücke wird über den Kingani geschlagen. — Der Uebergang. — Ich schiesse auf Flusspferde. — Ankunft in Kikoka. — Eine noch nie von einem Weissen bereiste Route. — Rosako, Grenzdorf von Ukwere. — Unverschämte Neugier der Wagogo. — Mein Wachhund Omar. — Insekten. — Die Tsetse-Fliege. — Die Tschufwa-Fliege; Gefrässigkeit derselben. — Anfang der Masika oder Regenzeit. — Tod des arabischen Pferdes. — Unterredung mit dem Häuptling von Kingaru. — Tod des Braunen. — Marsch nach Imbiki. — Ankunft in Msuwa. — Plagen der Dschungels. — Eine Sklavenbande in Ketten. — Kisemo. — Die Schönen von Kisemo. — Khamesi’s Desertion und Bestrafung. — Uebergang über den Ungerengeri. — Die Hauptstadt von Useguhha Simbamwenni. — Die Sultanin. — Stürmischer Streit mit Shaw. — Afrikanisches Wechselfieber. — Abgesandte der Sultanin.
FÜNFTES KAPITEL.
Nach Ugogo.
Die Regenzeit. — Zahlloses Ungeziefer. — Uebergang über den Ungerengeri. — Bunder Salaam bekommt Prügel, entflieht und wird wieder gefunden. — Gefangennahme von Soldaten seitens der Sultanin. — Die Makata-Wildniss. — Desertion und Wiedereinfangen eines Soldaten. — Furchtbare Schwierigkeiten beim Uebergang über den Makata-Sumpf. — Lager in Usagara. — Shaw’s Brief an Farquhar. — Des Letztern Antwort. — Seine Verschwendung. — Shaw’s Saumseligkeit. — Neue Art einen Karren zu brauchen. — Der See Ugombo. — Shaw und Farquhar beim Frühstück. — Shaw wird von mir der Länge lang zu Boden geschlagen. — Er verlangt seine Entlassung. — Er empfindet Reue. — Ein Schuss durch mein Zelt. — Farquhar wird in Mpwapwa zurückgelassen. — Abdullah bin Nasib. — Gegend von Mpwapwa.
SECHSTES KAPITEL.
Durch Marenga Mkali, Ugogo, Uyanzi nach Unyanyembé.
Ankunft in Tschunyo. — Bitterwasser. — Marenga Mkali. — Sechsunddreissig Stunden lang kein Wasser. — Gefährlicher Fieberanfall. — Ankunft in Ugogo. — Wüthender Pöbel. — Reichliche Lebensmittel in Mvumi. — Tribut an den grossen Sultan. — Der Sultan von Matamburu. — Marsch [S. xi] nach Bihawana. — Die Wagogo erhalten Peitschenhiebe. — Besuch des Sultans von Mizanza. — Die Wahumba sind ein stattlicher Menschenschlag. — Ankunft in Mukonduku. — Abreise. — Berathschlagung mit den Arabern über die einzuschlagende Route. — Streit und Trennung von denselben. — Sie folgen mir. — Ugogo ein Land voll Bitterniss. — Ankunft in Kiti. — Sultan bin Mohammed. — Halt in Kusuri. — Erschiessen eines Dieners. — Schlammfische. — Ruinen von Rubuga. — Amir bin Sultan. — Uebergang über das Mtoni. — Ankunft in Unyanyembé.
SIEBENTES KAPITEL.
Geographische und ethnographische Bemerkungen.
ACHTES KAPITEL.
Das Leben in Unyanyembé.
Gastfreundschaft des Gouverneurs Sayd bin Salim. — Bequemes Quartier. — Tabora, die Hauptniederlassung der Araber. — Mirambo, Häuptling von Uyoweh. — Seine Räubereien. — Ein Kriegsrath. — Ich finde die Livingstone-Karavane auf. — Schrecklicher Fieberanfall. — Abmarsch nach Udschidschi. — Ankunft in Masangi. — Shaw erkrankt. — Ich stosse zum Heere der Araber in Mfuto. — Gefecht mit Mirambo. — Einnahme des Dorfes Zimbizo. — Erneuter Fieberanfall. — Niederlage und Gemetzel der Araber durch Mirambo. — Rückzug nach Mfuto.
NEUNTES KAPITEL.
Das Leben in Unyanyembé. (Fortsetzung.)
Die Araber ziehen sich nach Tabora zurück. — Ich ziehe weiter. — Ankunft in Kwihara. — Ich versuche eine andere Route. — Meine Lage wird sehr ernst. — Farquhar’s Tod wird berichtet. — Niederlage der Araber in Tabora. — Tod des Khamis bin Abdullah. — Tabora in Flammen. — Vorbereitungen zur Vertheidigung. — Der philosophische Scheikh bin Nasib. — Ich entschliesse mich, eine fliegende Karavane nach Udschidschi zu führen. — Tod des Baruti. — Meine Leute verlieren den Muth. — Der kleine Bursche Kalulu. — Taufe desselben. — Mirambo greift Mfuto an und wird zurückgeschlagen. — Selim im Fieber-Delirium. — Zwei Führer: Asmani und Mabruki. — Mein Entschluss, Livingstone bestimmt aufzufinden.
[S. xii]
ZEHNTES KAPITEL.
Nach Mrera in Ukonongo.
Aufbruch aus Kwihara. — Bombay bekommt Prügel. — Shaw wünscht zurückzubleiben. — Ich zwinge ihn weiterzuziehen. — Ein neuer Fieberanfall. — Livingstone’s Briefträger fehlt. — Ankunft in Kasegera. — Shaw kann nicht mehr weiter und wird nach Kwihara zurückgeschickt. — Die herrlichen Wälder von Unyamwezi. — Wir kommen nach Ugunda. — Das Mukunguru. — Beschreibung dieses Fiebers. — Eine prächtige Sykomore. — Ein Opfer der Pocken. — Zahlreiche Skelete auf dem Wege. — Ankunft in Manyara. — Streit mit dem Sultan über den Tribut. — Er besucht mich. — Eine Dosis Ammoniak. — Verwunderung des Sultans. — Das Paradies des Jägers. — Meine erste Jagdbeute, eine Antilope. — Zebrajagd. — Abenteuer mit einem Krokodil. — Zwei Jagdtage. — Meuterei. — Asmani und Mabruki legen auf mich an. — Der Frieden wiederhergestellt. — Bombay erhält wieder Prügel und wird in Ketten gelegt. — Charakteristik meiner wichtigsten Leute. — Ankunft in Ziwani. — Der Honigvogel. — Utende. — Mwaru. — Ankunft in Mrera. — Allerlei Arbeit.

VERZEICHNISS DER ABBILDUNGEN.

 
Seite
Lager in Bagamoyo
Bombay und Mabruki
Frau beim Kornmahlen
Shaw und Farquhar
Unser Lager in Tschunyo
Mann und Frau aus Ugogo
Plan
Thor eines Dorfes
Kriegswaffen
Junge Wasagara
Ein Tembé aus der Vogelschau
Ansicht von meinem Tembé aus
Gruppe von Wanyamwezi
Lager unter einer Riesen-Sykomore

[S. xiii]

SEPARATBILDER.

 
Seite
Zanzibar (Titelbild).
 
James Gordon Bennett, Eigenthümer des „New York Herald“
Bagamoyo
Simbamwenni, die „Löwenstadt“
Der Makata-Sumpf
Shaw auf dem Marsche
See Ugombo
Der Berg Kibwe und das Thal des Mukondokwa
Angriff auf Mirambo
Kwihara
Mamanyara nimmt Medicin
Meuterei am Gombé-Fluss
Selim, der Dolmetscher
JAMES GORDON BENNETT.
Eigenthümer des „New York Herald“.

[S. 1]

EINLEITUNG.

Am 16. October 1869 war ich von den Kämpfen bei Valencia soeben in Madrid angekommen. Um 10 Uhr vormittags überreicht mir Jacopo, in Nr. — Calle de la Cruz, ein Telegramm, welches lautet: „Kommen Sie sofort nach Paris wegen wichtiger Geschäfte“.

Das Telegramm ist von James Gordon Bennett jun., dem jungen Director des „New York Herald“.

Schleunigst nehme ich meine Bilder von den Wänden meiner im zweiten Stock belegenen Zimmer, packe meine Bücher und Andenken, meine hastig zusammengerafften theils halbgewaschenen, theils noch nicht getrockneten Kleider in meine Koffer, und nach ein paar Stunden eiliger und angestrengter Arbeit ist mein Gepäck geschnürt und nach Paris signirt.

Der Eilzug nach Hendaye verlässt Madrid um 3 Uhr nachmittags; ich habe also noch Zeit, meinen Freunden Lebewohl zu sagen. Einer derselben, Berichterstatter für verschiedene londoner Zeitungen, wohnt Nr. 6 Calle Goya im vierten Stock. Er hat mehrere Kinder, an denen ich ein warmes Interesse nehme. Der kleine Karl und Willy sind intime Freunde von mir; sie hören meine Abenteuer gern und es war mir ein Vergnügen mich mit ihnen zu unterhalten, jetzt aber muss ich ihnen Lebewohl sagen.

[S. 2]

Dann habe ich noch Bekannte bei der nordamerikanischen Gesandtschaft, mit denen ich gern verkehre. Alles das ist jetzt plötzlich zu Ende.

„Ich hoffe, Sie werden uns schreiben, wir werden uns stets freuen, von Ihrem Wohlergehen zu hören.“

Wie oft habe ich nicht während meines aufgeregten Lebens als unsteter Journalist die gleichen Worte gehört und wie oft habe ich denselben Schmerz beim Scheiden von ebenso lieben Freunden empfunden.

Aber ein Journalist wie ich muss das schwerste ertragen lernen; wie ein Gladiator in der Arena muss er stets zum Kampf bereit sein; wenn er feige zurückweicht, ist er verloren. Der Gladiator muss sich dem auf seine Brust gezückten Schwert aussetzen; der reisende Journalist oder herumstreichende Correspondent muss dem Befehle gehorchen, der ihn seinem Verhängniss entgegenschicken kann; zur Schlacht wie zum Banket lautet er immer gleich: „Mache dich fertig und geh!“ —

Um 3 Uhr nachmittags war ich unterwegs und da ich in Bayonne einige Stunden Aufenthalt hatte, kam ich in Paris erst in der folgenden Nacht an. Ich ging direct ins Grand Hôtel und klopfte an Herrn Bennett’s Thüre.

„Herein!“ rief eine Stimme.

Bei meinem Eintritt fand ich Herrn Bennett im Bett.

„Wer sind Sie?“ fragte er.

„Mein Name ist Stanley“, antwortete ich.

„Ach ja! Nehmen Sie Platz. Ich habe ein wichtiges Geschäft für Sie.“

Nachdem er sich den Schlafrock umgeworfen, fragte mich Herr Bennett: „Wo glauben Sie, dass Livingstone sich aufhält?“

„Ich weiss es wirklich nicht.“

„Glauben Sie, dass er am Leben ist?“

„Kann sein, kann aber auch nicht sein“, antwortete ich.

„Ich erlaube, er ist am Leben und man kann ihn finden, und ich will Sie ausschicken, um ihn aufzusuchen.“

„Was?“ sagte ich, „Sie meinen wirklich, dass ich im Stande bin, Dr. Livingstone aufzufinden? Sie meinen, dass ich nach Central-Afrika gehen soll?“

[S. 3]

„Ja wohl, ich meine, dass Sie hingehen und ihn aufsuchen sollen, wo Sie ihn nur immer vermuthen können, dass Sie dann alle Nachrichten, die Sie von ihm erhalten können, sammeln. Und vielleicht“, fügte er in nachdenklichem Tone hinzu, „ist der alte Mann in Noth. Nehmen Sie genug mit sich, um ihm beizustehen, wenn er dessen bedarf. Natürlich werden Sie nach eigenem Plane handeln und das thun, was Sie für das Beste halten, aber — finden Sie Livingstone!“

„Aber“, sagte ich in Verwunderung über den kaltblütigen Befehl, mit dem man einen Menschen nach Central-Afrika schickte, um einen Mann aufzusuchen, den ich wie die meisten für todt hielt, „haben Sie ernstlich die grosse Ausgabe überlegt, der Sie sich für diese kleine Reise aussetzen?“

„Was wird es kosten?“ fragte er kurz.

„Burton’s und Speke’s Reise nach Central-Afrika hat 3000 bis 5000 Pfd. St. gekostet, und ich denke man kann die Reise nicht für weniger als 2.500 Pfd. St. machen.“

„Gut, da will ich Ihnen sagen, was zu thun. Erheben Sie zunächst 1000 Pfd., und wenn Sie dies verbraucht haben trassiren Sie wieder über 1000 Pfd., und wenn diese verausgabt sind abermals 1000 Pfd., und wenn Sie damit zu Rande sind noch 1000 Pfd. u. s. w., aber — finden Sie Livingstone!“

Erstaunt aber nicht irre gemacht durch diesen Befehl, — denn ich wusste, dass wenn Herr Bennett einmal zu etwas entschlossen, er nicht leicht von seinem Plane abging,— meinte ich doch, da es ein solches Riesenunternehmen war, dass er noch nicht völlig die Gründe und Gegengründe bei sich erwogen habe, und sagte: „Ich habe gehört, dass, wenn Ihr Vater stirbt, Sie den «Herald» verkaufen und sich vom Geschäft zurückziehen wollen.“

„Wer Ihnen das gesagt hat, hat Sie falsch berichtet, denn es gibt gar nicht Geld genug in New York, um den «New York Herald» zu kaufen. Mein Vater hat ihn zu einer grossen Zeitung gemacht, aber ich gedenke ihn noch bedeutend zu vergrössern. Ich wünsche, dass er eine Zeitung in dem wahren Sinne des Wortes werde. Ich meine, dass[S. 4] er alles bringen soll, was die Welt interessirt, gleichviel was das kosten möge.“

Ich erwiderte ihm: „Dann habe ich nichts weiter zu sagen. — Meinen Sie, dass ich direct nach Afrika gehen soll, um Dr. Livingstone aufzusuchen?“

„Nein; ich wünsche, dass Sie sich zuerst zur Einweihung des Suez-Kanals begeben und dann den Nil hinaufgehen. Ich höre, dass sich Baker gerade nach Oberägypten begibt; suchen Sie alles über seine Expedition zu erfahren, was Sie können, und wenn Sie den Nil hinaufgehen, beschreiben Sie möglichst genau alles, was für Touristen von Interesse ist. Schreiben Sie einen Führer, einen recht praktischen, für Unterägypten, in dem Sie uns alles berichten, was es dort Sehenswerthes gibt und wie man es zu sehen hat.

„Dann könnten Sie auch nach Jerusalem gehen, Kapitän Warren soll dort eben einige interessante Entdeckungen machen. Besuchen Sie darauf Konstantinopel und berichten Sie über die zwischen dem Khedive und dem Sultan herrschenden Schwierigkeiten. Dann können Sie ja wol auch die Krim und die alten Schlachtfelder dort besuchen. Gehen Sie durch den Kaukasus ans Kaspische Meer, dort sollen die Russen eine Expedition gegen Chiwa ausrüsten. Von da können Sie durch Persien nach Indien gehen und uns einen interessanten Bericht aus Persepolis schreiben. Bagdad liegt dicht an Ihrem Wege nach Indien; wie wäre es, wenn Sie dort hingingen und uns etwas über die Euphratthal-Eisenbahn berichteten. Wenn Sie dann in Indien gewesen sind, können Sie sich nach Livingstone umschauen. Vermuthlich werden Sie bis dahin gehört haben, dass er sich auf dem Rückwege nach Zanzibar befindet, wenn nicht, so gehen Sie ins Innere und suchen Sie ihn dort. Wenn er am Leben ist, versuchen Sie es, von ihm soviel Nachrichten als möglich über seine Entdeckungen zu erlangen, und wenn er todt ist, bringen Sie alle möglichen Beweise für seinen Tod mit. Das ist alles. Gute Nacht und Gott sei mit Ihnen!“

„Gute Nacht“, sagte ich, „ich will alles thun, was in der Menschenmöglichkeit liegt, und Gott wird bei einer Aufgabe, wie sie mir gestellt ist, mit mir sein.“

[S. 5]

Ich wohnte mit dem jungen Edward King zusammen, der sich einen so grossen Namen in Neuengland macht. Er war gerade der Mann, der sich gefreut haben würde, seiner Zeitung zu erzählen, was der junge Herr Bennett triebe und was für eine Aufgabe mir gestellt worden sei. Ich hätte gern meine Ansichten über die wahrscheinlichen Resultate meiner Reise mit ihm ausgetauscht, aber ich wagte das nicht. Obgleich schwer von meiner grossen Aufgabe gedrückt, musste ich mir doch das Ansehen geben, als ob ich nur zur Einweihung des Suez-Kanals ginge. Der junge King begleitete mich an den marseiller Eilzug und wir trennten uns auf dem Bahnhofe, er, um die Zeitungen in Bowles’ Lesezimmer zu lesen, ich, um nach Central-Afrika und wer weiss wohin sonst noch zu gehen.

Ich brauche hier gar nicht aufzuzählen, was ich gethan habe, ehe ich nach Central-Afrika ging: ich zog den Nil hinauf, sah den Oberingenieur der Baker’schen Expedition, Herrn Higginbotham, in Phylae und verhinderte ein Duell zwischen ihm und einem tollen jungen Franzosen, der sich mit Herrn Higginbotham auf Pistolen duelliren wollte, weil er die Zumuthung übelnahm, für einen Aegypter gehalten zu werden, obgleich er ein Fes trug. Ich habe mich mit Kapitän Warren in Jerusalem unterhalten und bin dort mit einem Unteringenieur in eine der Gruben gefahren, um die Merkzeichen der tyrischen Arbeiter auf den Grundsteinen des Salomonischen Tempels zu besehen. Ich habe die Moscheen von Stambul in Gesellschaft des nordamerikanischen Ministerresidenten und Generalkonsuls besucht, ich bin über die Schlachtfelder der Krim gereist, Kinglake’s berühmtes Werk in der Hand; ich habe mit der Witwe des Generals Liprandi in Odessa gespeist; ich habe in Trapezunt den arabischen Reisenden Palgrave und in Tiflis den Civilgouverneur des Kaukasus, Baron Nicolay besucht; in Teheran bin ich mit dem russischen Gesandten zusammengewesen, habe überall auf meiner Reise durch Persien die grösste Gastfreundschaft von den Herren der indoeuropäischen Telegraphen-Gesellschaft erfahren, und nach dem Beispiel vieler berühmter Männer meinen Namen auf die Monumente von Persepolis eingeschrieben. Im Monat[S. 6] August 1870 kam ich in Indien an, am 12. October fuhr ich auf der Barke „Polly“ von Bombay nach Mauritius. Da die „Polly“ ein langsames Schiff war, dauerte die Ueberfahrt 37 Tage. Am Bord der Barke befand sich ein gewisser William Lawrence Farquhar aus Leith in Schottland als erster Steuermann. Er war ein ausgezeichneter Schiffer, und da ich meinte, dass er mir von Nutzen sein könnte, nahm ich ihn in Dienst unter der Bedingung, dass sein Sold von dem Tage angehen solle, wo wir von Zanzibar nach Bagamoyo abreisen würden. Da ich keine Gelegenheit hatte, direct nach Zanzibar zu fahren, so ging ich zu Schiff nach den Seychellen. Drei oder vier Tage nach meiner Ankunft in Mahé, einer Insel der Seychellen, hatte ich das Glück, auf einem amerikanischen Walfischfahrer mit William Lawrence Farquhar und Selim, einem arabischen Christenknaben aus Jerusalem, der als Dolmetscher fungiren sollte, nach Zanzibar zu segeln, in welchem Hafen wir am 26. Januar 1871 ankamen.

Soweit habe ich also meine Reisen nur oberflächlich berührt, weil sie den Leser nicht interessiren; sie haben mich durch viele Länder geführt, aber dieses Buch ist nur eine Beschreibung der Reise, auf welcher ich Livingstone, den grossen Afrikareisenden, suchte. Sie ist, ich gestehe es zu, ein Ikarusflug des Journalismus, einige haben sie sogar für ein Donquixotiade erklärt; diese Bezeichnung kann ich jetzt aber von mir abweisen, wie der Leser zugeben wird, noch ehe er an das Ende des Buches kommt.

Ich habe mich des Wortes „Soldaten“ in diesem Buche bedient. Die bewaffnete Begleitung, welche ein Reisender in Sold nimmt, damit sie ihn nach Ostafrika geleite, besteht aus freien Schwarzen, Eingeborenen von Zanzibar, oder befreiten Sklaven aus dem Innern, welche sich Askari nennen, ein indisches Wort, das in seiner Uebersetzung „Soldaten“ bedeutet. Sie sind wie Soldaten bewaffnet und ausgerüstet, obgleich sie sich auch als Dienstboten vermiethen, aber es würde anmassender von mir sein sie Bediente zu nennen, als das Wort „Soldaten“ dafür zu gebrauchen, und da ich mehr gewohnt gewesen bin sie Soldaten, als meine Watuma Diener zu nennen, so konnte ich mir das nicht mehr abgewöhnen;[S. 7] deshalb habe ich den Ausdruck „Soldaten“ stehen lassen, schicke jedoch dieses Wort der Entschuldigung voran.

Auch habe ich vielleicht das persönliche Fürwort der ersten Person singularis „ich“ häufiger gebraucht, als die Bescheidenheit es eigentlich gestattet, aber man darf nicht vergessen, dass ich eine Erzählung meiner eigenen Abenteuer und Reisen schreibe und dass ich annehme, dass das grösste Interesse bis zu dem Punkt, wo ich mit Livingstone zusammenkomme, sich an mich, meine Märsche, meine Schwierigkeiten, meine Gedanken und Eindrücke knüpft. Trotzdem folgt daraus, dass ich hin und wieder von meiner Expedition oder meiner Karavane spreche, noch keineswegs, dass ich mir dieses Recht anmasse, denn ich bemerke ausdrücklich, dass es die Expedition des „New York Herald“ ist, dass ich nur den Befehl über dieselbe von Herrn James Gordon Bennett, dem Besitzer des „New York Herald“, erhalten habe und von diesem Herrn besoldet worden bin.

Noch eins: ich habe die erzählende Form für die Darstellung meiner Reise gewählt, weil sie ein grösseres Interesse zu besitzen scheint als die Form des Tagebuches, und ich glaube, dass ich auf diese Weise den grossen Fehler der Wiederholung vermeide, den man vielen Reisenden zum Vorwurf macht.

Nach diesen Auseinandersetzungen halte ich es nicht für nöthig, noch irgendetwas in der Einleitung zu sagen und beginne daher meine Erzählung.

LONDON, 8, Duchess Street, Portland Place,

October 1872.

HENRY M. STANLEY.

[S. 9]

ERSTES KAPITEL.
ZANZIBAR.

Ankunft in Zanzibar. — Aufnahme beim Consul der Vereinigten Staaten. — Kapitän Webb. — Leben in Zanzibar. — Art des Handels mit dem Innern. — Die Stadt Zanzibar. — Bevölkerung. — Einführung bei Dr. Kirk. — Bischof Tozer.

Eine der fruchtbarsten Inseln des Indischen Oceans ist Zanzibar. Als ich Bombay verliess, um die Expedition des „New York Herald“ in das unbekannte Herz Afrikas zu führen, war meine abstracte Vorstellung von der Insel die, dass sie nicht viel besser als eine grosse Sandbank oder ein Stückchen vom Meer umgebener Sahara sei, in der sich ein paar massig grosse Oasen befänden und in der die Cholera, das Fieber und andere namenlose aber schreckliche Krankheiten zu wüthen pflegten. Ich glaubte, sie sei von unwissenden Schwarzen mit dicken Lippen bewohnt, deren Aeusseres im allgemeinen mit Du Chaillu’s Gorillas zu vergleichen wäre und die von einem despotischen, griesgrämigen Araber beherrscht würden. Weshalb sich diese Caricatur in meiner Phantasie festgesetzt hatte, begreife ich nicht; ich hatte Bücher und Abhandlungen über Zanzibar gelesen, die sich keineswegs ungünstig darüber äusserten, dennoch schwebte es meinem Gehirn als eine Insel vor, deren gänzliches Versinken im Meere der Welt nur nützlich sein könnte. Ich[S. 10] weiss es nicht bestimmt, aber ich glaube, ich habe diese Vorstellung durch Kapitän Burton’s „Lake Regions of Central-Africa“ in Verbindung mit manchen andern excentrischen Ansichten bekommen. Dieses ganze Buch ist, wiewol ausgezeichnet gewandt und wahr, doch in einem etwas galligen Ton geschrieben, und ich glaube, die Wirkung desselben auf mich bestand darin, dass ein Theil der Galle mir zu Kopf stieg, denn als ich es las, sah ich einen verderbenbringenden Strom, welcher mich nach der ewigen Fiebergegend Afrikas hintrieb, von wo, wie mir eine unheilverkündende Ahnung sagte, man nicht wieder zurückkehre. Wie man aber die beseligende Morgenröthe begrüsst, die den schrecklichen Traum, unter welchem man die ganze Nacht hindurch sich seufzend plagt, vertreibt, wie man sich über den Brief freut, der gute Nachrichten bringt, so wurde mir beim Anblick der grünen Ufer Zanzibars zu Muthe, welche mir zuriefen: „Hoffnung! Die Dinge sind selten so schlimm, als man sie sich ausmalt.“

Es war am frühen Morgen, als ich durch den Kanal segelte, der Zanzibar von Afrika trennt. In dem Morgengrauen wurden die Höhen des Festlandes gleich langen Schatten sichtbar; die Insel lag uns in einer Entfernung von nur einer Meile zur Linken und trat mit dem vorrückenden Tage aus den sie umhüllenden Nebeln allmählich hervor, bis sie endlich deutlich in Sicht war und so schön aussah, wie das schönste Kleinod der Schöpfung. Sie schien niedrig, aber nicht flach zu sein, hin und wieder sah ich sanfte Höhen, die sich über den anmuthigen Wipfeln der Kokosbäume erhoben, welche sich längs der Insel hinzogen. Auch wurden sie in angenehmer Weise durch Thalsenkungen unterbrochen, welche andeuteten, wo diejenigen, die Schutz vor der heissen Sonne suchten, Kühlung finden könnten. Mit Ausnahme der schmalen Sandlinie, über die das saftgrüne Wasser in beständigem Gemurmel dahinrollte, schien die Insel ganz in Grün gehüllt. Auf dem herrlichen Spiegel der Meerenge befanden sich mehrere Dhows[2], die rasch mit schwellenden Segeln der Bai von Zanzibar zueilten oder[S. 11] dieselbe verliessen. Ueber dem Horizont des Meeres erschienen nach Süden zu die nackten Masten einiger grossen Schiffe und östlich von diesen eine dichte Masse weisser Häuser mit flachen Dächern. Dies war Zanzibar, die Hauptstadt der Insel, welche sich bald als eine ziemlich grosse, dichtgebaute Stadt enthüllte, an der man alle charakteristischen Merkmale der arabischen Baukunst erkennen konnte. Ueber einigen der grössten Häuser, welche sich an der Seeseite der Stadt hinzogen, flatterten das blutrothe Banner des Sultans Seyyid Barghasch und die Flaggen der amerikanischen, englischen, norddeutschen und französischen Consulate. Im Hafen befanden sich dreizehn grosse Schiffe, vier zanzibarer Kriegsschiffe und ein englisches, die „Nymphe“, zwei amerikanische, ein französisches, ein portugiesisches, zwei englische und zwei deutsche Kauffahrer. Ausserdem lagen da viele Dhows aus Johanna und Mayotte, Orten der Komoroinseln, ebenso Dhows aus Muskat und Kutsch, welche zwischen Indien, dem Persischen Meerbusen und Zanzibar Handel treiben.

Mit aufrichtiger Höflichkeit und Gastfreiheit empfing mich der nordamerikanische Consul, Kapitän Francis R. Webb (der früher auf der nordamerikanischen Flotte gedient hatte). Hätte dieser Herr mir nicht die so nöthigen Dienste geleistet, so hätte ich mich dazu verstehen müssen, mich in einem Hause, welches als das von Charley bekannt ist, einzumiethen, das nach seinem Besitzer so genannt wird, einem krummnasigen, im ganzen sehr excentrischen Franzosen, der einen bedeutenden Ruf an dem Orte dafür hat, dass er unbemittelte Reisende aufnimmt und ihnen häufig unter einer rauhen Aussenseite grosse Freundlichkeiten erweist, — oder ich wäre gar gezwungen gewesen, mein amerikanisches Doppelzelt auf dem Sandufer dieser tropischen Insel aufzuschlagen, was keineswegs wünschenswerth gewesen wäre.

Aber Kapitän Webb’s gelegener Vorschlag, sein bequemes, comfortables Haus zum meinigen zu machen, mich gemüthlich einzurichten und mir alles geben zu lassen, was ich nöthig hatte, beseitigte alle Unannehmlichkeiten.

Ein Tag in Zanzibar brachte mir meine Unwissenheit in Bezug auf das Volk und die Dinge Afrikas im allgemeinen[S. 12] zum Bewusstsein. Ich bildete mir ein, ich hätte Burton und Speke ziemlich gut durchgelesen und folglich die Bedeutung, Wichtigkeit und Grösse der Aufgabe, die ich übernommen hatte, erfasst. Aber meine auf Bücherweisheit gegründeten Schätzungen waren einfach lächerlich, die phantastischen Vorstellungen von den Reizen, die Afrika bietet, waren alsbald zerstreut, die Freuden, die ich vorausgesetzt hatte, verschwanden und alle unreifen Vorstellungen nahmen eine bestimmte Gestalt an.

Ich spazierte durch die Stadt und verschaffte mir allgemeine Eindrücke. In dem reinlichen Stadtviertel sah ich krumme, enge Gassen, weiss getünchte Häuser, mit Mörtel gepflasterte Strassen. In dem Theil, den ich das Banyanenviertel nennen will, erblickte ich auf jeder Seite sehr vertiefte Alkoven, vor denen rothbeturbante Banyanen sassen, und im Hintergrunde dünne Baumwollstoffe, Kalikos, amerikanische und bedruckte Baumwollenwaaren und andere Gegenstände; auf den Fluren lagen Elfenbeinzähne dichtgedrängt; in dunkeln Ecken Haufen von ungereinigter loser Baumwolle, Vorräthe von Steingut, Nägeln, billigen Eisenwaaren und Werkzeugen. Im Negerquartier rochen die Strassen sehr übel nach der gelben und schwarzen Bevölkerung, welche mit ihren Wollköpfen vor den Thüren ihrer elenden Hütten schwatzend, lachend, feilschend und keifend sassen. Der Geruch war ein Gemisch von Häuten, Theer, Schmutz, vegetabilischem Abgang, Excrementen u. s. w. Ich sah Strassen, die von grossen, solid aussehenden Häusern mit flachen Dächern begrenzt wurden, mit grossen geschnitzten Thüren und Messingklopfern, vor denen Sklaven mit übereinandergeschlagenen Beinen sassen und den Eingang zu ihrer Herren Häuser bewachten; eine seichte Seebucht, auf der sich Dhows, Nachen, Boote und ein paar vereinzelte Bugsirdampfer befanden, welche auf dem von der Ebbe zurückgelassenen Schlammmeer seitlich übergeneigt dalagen. Ich sah einen Ort, der „Nazi-Moya“ (der „Eine Kokosbaum“) heisst, wohin sich die Europäer des Abends mit langsamen Schritten, fast wie Sterbende, begeben, um die liebliche Luft einzuathmen, die, wenn der Tag zur Neige und die rothe Sonne im Westen untergeht, von der See[S. 13] ausströmt. Ich sah die Gräber von einigen verstorbenen Matrosen, welche ihr Leben nach der Ankunft in diesem Land eingebüsst hatten. Ich sah das hohe Haus, worin Dr. Tozer, Missionsbischof von Central-Afrika, und seine Schule für kleine Afrikaner sich befindet, und noch viele andere Dinge, die sich so ineinanderwirrten, dass ich zu Bett gehen musste, wollte ich im Stande bleiben, die sich verschiebenden Bilder auseinanderzuhalten und das Arabische vom Afrikanischen, dies vom Banyanischen, dieses wieder vom Hindostanischen und letzteres endlich vom Europäischen zu scheiden.

Zanzibar ist das Bagdad, das Ispahan oder Stambul, wenn man will, von Ostafrika. Es ist der grosse Markt, welcher die Elfenbeinhändler aus dem Innern Afrikas anlockt. Auf diesen kommen das Kopalgummi, die Häute, die Orseille, das Bauholz und die schwarzen Sklaven Afrikas. Bagdad hat grosse Seidenbazars, Zanzibar Elfenbeinmagazine; Bagdad hat einst mit Juwelen gehandelt, Zanzibar handelt mit Kopalgummi. Stambul pflegte tscherkessische und georgische Sklaven einzuführen, Zanzibar importirt schwarze Schönen aus Uhiyu, Ugindo, Ugogo, Unyamwezi und Galla.

Dieselbe Art des Handels herrscht hier wie in allen mohammedanischen Ländern vor, ja es ist dieselbe, wie sie lange vor der Geburt Moses existirt hat. Der Araber ist unveränderlich, er hat die Sitten seiner Vorältern mit sich gebracht, als er auf diese Insel kam, er ist hier ebenso sehr Araber wie in Muskat oder Bagdad. Wohin er auch geht, bringt er seinen Harem, seine Religion, sein langes Gewand, sein Hemd, seine Pantoffeln und seinen Dolch mit sich. Wenn er ins Innere von Afrika dringt, so vermag aller Spott der Neger nicht, seine Lebensweise zu verändern. Dennoch ist das Land nicht orientalisch geworden, der Araber ist nicht im Stande gewesen, die Atmosphäre zu verändern, das Land ist halb afrikanisch im Aussehen, die Stadt nur halb arabisch.

Dem neuen Ankömmling sind die Muskataraber von Zanzibar im höchsten Grade interessant. Sie haben eine gewisse Geschäftigkeit an sich, die man bewundern muss.[S. 14] Sie sind meist alle Reisende. Die Mehrzahl von ihnen sind oft schon in gefahrvollen Lagen gewesen, wenn sie in Central-Afrika eindrangen, um das kostbare Elfenbein zu bekommen, und dies sowie ihre reichen Erfahrungen haben ihrem Gesicht einen gewissen unverkennbaren Zug von Selbstvertrauen und Selbstgenügsamkeit gegeben; sie haben etwas Ruhiges, Entschlossenes, Trotziges, Unabhängiges an sich, welches jedem unbewusst Achtung abgewinnt. Die Erzählungen einiger dieser Leute könnten meines Erachtens Bände voll spannender Abenteuer füllen.

Gegen die Mischlingsrassen hege ich eine grosse Verachtung. Sie sind weder schwarz, noch weiss, weder gut, noch schlecht, weder zu bewundern, noch zu hassen. Sie sind alles zu jeder Zeit; sie kriechen beständig vor den grossen Arabern und sind immer grausam gegen die Unglücklichen, die unter ihr Joch kommen. So oft ich einen elenden, halbverhungerten Neger sah, wusste ich mit Bestimmtheit, dass er einem der Mischlingsrasse angehöre. Stets habe ich in ihm einen kriechenden Heuchler, einen feigen, entarteten, treulosen und gemeinen Menschen gefunden. Er scheint stets bereit, vor einem reichen Araber niederzufallen und ihn anzubeten, aber er ist einem armen schwarzen Sklaven gegenüber unbarmherzig. Wenn er am meisten schwört, so kann man sich darauf verlassen, dass er am meisten lügt, und doch ist es diese Menschenrasse, welche sich am raschesten in Zanzibar vermehrt, diese syphilitische, triefäugige, blasshäutige Mischung des Afrikaners und Arabers.

Der Banyane ist ein geborener Handelsmann, das Ideal eines schlauen, geldverdienenden Menschen. Das Geld fliesst ihm so natürlich in die Tasche, wie das Wasser von einer Höhe hinab, und nie werden Gewissensbisse ihn daran verhindern, seinen Nebenmenschen zu betrügen. Er übertrifft den Juden und sein einziger Nebenbuhler auf dem Markt ist der Perser. Der Araber ist ein Kind dagegen. Es ist Geldes werth, ihn zu sehen, wie er mit aller Energie der Seele und des Leibes dahin arbeitet, den Eingeborenen selbst um die allerkleinste Geldsumme zu übervortheilen. Hat z. B. der Eingeborene einen Elfenbeinzahn, der ein paar Frasilehs[S. 15] wiegt, die Wagschale zeigt auch das Gewicht an und der Eingeborene versichert aufs feierlichste, dass es mehr als zwei Frasilehs betragen müsse, so wird unser Banyane auf alle mögliche Weise behaupten und schwören, dass der Eingeborene nichts davon verstehe und dass die Wagschale falsch sei. Er nimmt seine ganze Kraft zusammen, um den Zahn aufzuheben. „Er ist ja so leicht, er wiegt nicht mehr als ein Frasileh. Komm“, sagt er, „Knicker, nimm Dein Geld und geh Deiner Wege. Bist Du verrückt?“ — Wenn der Eingeborene zaudert, so pflegt er vor Wuth laut aufzuschreien, er schiebt ihn weg, stösst das Elfenbein mit verächtlicher Gleichgültigkeit mit dem Fusse fort, kurz, nirgends wird solch ein Lärm um nichts gemacht. Obgleich er nun dem erstaunten Eingeborenen befiehlt, sich zu trollen, so beabsichtigt er durchaus nicht, dass ihm der Kauf entgehen soll.

Die Banyanen üben vor allen andern Klassen den grössten Einfluss auf den Handel von Central-Afrika aus. Mit Ausnahme von ein paar reichen Arabern sind fast alle andern Kaufleute den Nachtheilen des Wuchers ausgesetzt. Ein Handelsmann, der eine Reise ins Innere machen will, gleichviel ob er nach Sklaven oder Elfenbein, Kopalgummi oder Orseillewurzel auszieht, schlägt einem Banyanen vor, ihm 5000 Dollars zu 50, 60 oder 70 Procent zu leihen. Der Banyane weiss sicher, dass er nichts verliert, ob die Speculation des Handelsmannes sich bezahlt macht oder nicht; denn ein erfahrener Handelsmann erleidet selten Verluste, oder wenn er unschuldigerweise unglücklich gewesen ist, so verliert er seinen Credit nicht. Mit Hülfe des Banyanen kommt er bald wieder auf die Beine.

Nehmen wir, um ein Beispiel zu geben, wie der Handel ins Innere gehandhabt wird, an, dass der Araber mit seiner Karavane Güter im Werthe von 5000 Dollars ins Innere führt, so sind die Güter in Unyanyembé 10000 Dollars, in Udschidschi 15000 Dollars werth; sie haben also ihren Werth verdreifacht. Für 5 Doti oder 7½ Dollars kauft man auf dem Markte von Udschidschi einen Sklaven, der sich in Zanzibar für 30 Dollars verkaufen lässt. Gewöhnliche männliche Sklaven kann man sicher für 6 Dollars kaufen und erhält dafür an der[S. 16] Küste 25 Dollars. Sagen wir nun, der Händler kauft Sklaven für den vollen Betrag seines Geldes, d. h. also, er würde nach Abzug von 1500 Dollars Reisekosten nach Udschidschi und zurück für 3500 Dollars 464 Sklaven à 7½ Dollars erstehen, so bringen ihm diese in Zanzibar 13920 Dollars ein! Ein anderes, dem Elfenbeinhandel entnommenes Beispiel: Ein Kaufmann bringt Waaren für 5000 Dollars nach Udschidschi und hat, nach Abzug von 1500 Dollars Reiseausgaben dorthin und zurück, noch 3500 Dollars, in Tuchen und Perlen, mit welchen er Elfenbein kauft. In Udschidschi kauft man den Frasileh (oder 35 Pfd.) für 20 Dollars, wodurch er mit seinen 3500 Dollars 175 Frasilehs Elfenbein ersteht, das, wenn es gut ist, in Zanzibar 60 Dollars per Frasileh werth ist. So stellt es sich heraus, dass der Kaufmann einen Nettogewinn von 10500 Dollars gemacht hat. Arabische Händler haben schon grössere Profite gemacht, und fast immer kehren sie mit einem sehr grossen Nutzen zurück.

Auf die Banyanen folgen in Zanzibar, was die Machtstellung betrifft, die mohammedanischen Hindus. Eine Zeit lang war ich wirklich zweifelhaft, ob die Hindus nicht ebenso arg im Handel betrügen, wie die Banyanen, und wenn ich den letzteren die Palme gereicht habe, so ist das nur mit Widerstreben geschehen. Dieser Stamm der Inder erzeugt Massen gewissenloser Schurken, während er kaum einen ehrlichen Kaufmann aufzuweisen hat. Einer der ehrlichsten Leute von allen, ob weiss oder schwarz, ob roth oder gelb, ist ein mohammedanischer Hindu, namens Tarya Topan. Er ist unter den Europäern in Zanzibar durch seine Ehrlichkeit und strenge Rechtschaffenheit im Geschäft sprichwörtlich geworden. Er ist sehr reich, besitzt mehrere Schiffe und Dhows und nimmt eine hervorragende Stellung im Rath bei Seyyid Barghasch ein. Tarya hat viele Kinder, unter denen zwei oder drei erwachsene Söhne sich befinden, welche er ganz nach seinem Vorbilde erzogen hat. Aber Tarya repräsentirt nur eine ungemein kleine Minderheit.

Die Araber, Banyanen und mohammedanischen Hindus bilden die höhern und mittlern Klassen. Diese sind im Besitze der Landgüter, der Schiffe und des Handels. Vor ihnen beugen sich die Mischlingsrassen und die Neger.

[S. 17]

Nach diesen sind das bedeutendste Volk, welches zur gemischten Bevölkerung dieser Insel beiträgt, die Neger. Sie bestehen aus den eingeborenen Wasawahili, Somalis, Komorines, Wanyamwezi und einer Anzahl Repräsentanten der Stämme von Innerafrika.

Für einen weissen Fremdling, der im Begriff steht, ins Innere von Afrika zu gehen, ist ein Spaziergang durch die Negerquartiere der Wanyamwezi und Wasawahili höchst interessant; denn hier lernt man es erst, dass man zugeben muss, dass die Neger Menschen wie unsereins sind, obgleich von anderer Farbe; dass sie Leidenschaften und Vorurtheile, Sympathien und Antipathien, Geschmacksrichtungen und Empfindungen wie alle andern Menschen haben. Je eher man diese Thatsache einsieht und sich nach ihr richtet, um so leichter wird einem die Reise unter den verschiedenen Stämmen des Innern werden. Je schmiegsamer man von Natur ist, um so gedeihlicher werden die Reisen ausfallen.

Obwol ich einige Zeit unter den Negern unserer Südstaaten gelebt hatte, so war meine Erziehung doch die eines Nordländers, und ich hatte in den Vereinigten Staaten Schwarze gesehen, die ich mit Stolz meine Freunde nannte. Auf diese Weise war ich darauf vorbereitet, einen jeden Schwarzen, der die Eigenschaften eines wirklichen Menschen oder überhaupt irgendwelche guten Eigenschaften besass, als Freund, ja selbst als Bruder anzusehen und ihn ebenso zu achten, als ob er von meiner Farbe und Abstammung wäre. Weder seine Farbe noch irgendwelche Eigenthümlichkeiten seiner Physiognomie sollte ihn meinerseits irgendwelcher Rechte berauben, die er als Mensch beanspruchen konnte. „Haben diese Leute, diese wilden Schwarzen aus dem heidnischen Afrika“ — fragte ich mich — „die Eigenschaften, welche den Menschen seinen Mitmenschen liebenswürdig machen?“ „Können diese Leute, diese Barbaren, Güte schätzen und fühlen sie Abneigung wie ich?“ — war die Frage, die ich mir im Geiste vorlegte, als ich durch ihre Quartiere ging und ihre Handlungsweise beobachtete. Brauche ich noch zu sagen, dass es mir sehr angenehm war zu sehen, wie sie ebenso bereitwillig sich dem Einfluss der Leidenschaften, der Liebe und des Hasses, wie ich selbst,[S. 18] unterwarfen und dass die genaueste Beobachtung mir keinen bedeutenden Unterschied zwischen ihrer Natur und meiner eigenen offenbarte?

Die Neger der Insel bilden wol zwei Drittel der ganzen Bevölkerung; sie sind die arbeitenden Klassen, ob sie Sklaven oder Freie sind. Die Sklaven verrichten die Arbeit auf den Plantagen, Landgütern und in den Gärten der Gutsbesitzer, oder dienen als Hamals oder Lastträger auf dem Lande sowie in der Stadt. Auf dem Lande sieht man sie mit sehr grossen Lasten auf dem Kopfe so zufrieden und heiter wie möglich, nicht etwa, weil sie freundlich behandelt werden oder leichte Arbeit haben, sondern weil sie ihrer Natur nach heiter und leichten Herzens sind, weil sie weder Vergnügungen noch Hoffnungen haben, die sie nicht nach Belieben befriedigen können und keinem Ehrgeiz fröhnen, dem sie nicht Genüge thun könnten, daher auch in ihren Hoffnungen nicht getäuscht worden sind.

In der Stadt hört man zu allen Stunden Negerhamals zu zweien, beim Transport von Säcken mit Gewürz, Waarenkisten u. dgl. beschäftigt, vom Magazin zu der Wassertreppe und von dieser nach dem Ufer zu gehen und eine Art monotone Melodie singen, durch die sie sich gegenseitig aufmuntern und nach der sie marschiren, wenn sie sich barfüssig durch die Strassen bewegen. Man kann diese Leute in kurzer Zeit leicht als alte Bekannte an der Consequenz erkennen, mit welcher sie ihre Melodien singen. Mehrmals des Tages habe ich dasselbe Paar unter den Fenstern des Consulats vorbeigehen und immer dieselbe Melodie mit den gleichen Worten wiederholen hören. Mancher könnte diese Lieder wol für albern halten, aber für mich hatten sie einen gewissen Reiz und ich halte sie für vollständig zweckentsprechend.

Die Stadt Zanzibar, auf dem südwestlichen Ufer der Insel gelegen, hat eine Bevölkerung von fast 100,000 Einwohnern; die ganze Insel schätze ich auf nicht mehr als 200,000, alle Rassen eingeschlossen.

Die grösste Zahl fremder Schiffe, welche mit diesem Hafen Handel treiben, sind Amerikaner, hauptsächlich aus New York und Salem. Nach den Amerikanern kommen die[S. 19] Deutschen, dann die Franzosen und Engländer. Sie kommen mit amerikanischer Leinwand, Branntwein, Schiesspulver, Musketen, Perlen, englischen Baumwollenwaaren, Messingdraht, Porzellanwaaren und anderen Artikeln beladen, und verlassen den Hafen mit Elfenbein, Kopalgummi, Gewürznelken, Häuten, Muscheln, Sesam, Pfeffer und Kokosnussöl.

Der Werth der Exportartikel aus diesem Hafen wird auf 3,000,000 Dollars geschätzt und der der Einfuhr aus andern Ländern auf 3,500,000 Dollars.

Die Europäer und Amerikaner, die in der Stadt Zanzibar wohnen, sind entweder Regierungsbeamte oder unabhängige Kaufleute oder Agenten für ein paar grosse europäische und amerikanische Handlungshäuser. Das wichtigste Consulat ist das britische. Als ich in Zanzibar meine Expedition ins Innere von Afrika ausrüstete, war Dr. John Kirk britischer Consul und Geschäftsträger daselbst. Ich war sehr begierig, diesen Herrn kennen zu lernen, weil sein Name so oft mit dem des Dr. David Livingstone, den ich aufsuchen wollte, zusammen genannt worden ist. In fast allen Zeitungen wurde er als der frühere Begleiter von Dr. Livingstone bezeichnet. Nach den Artikeln und Briefen an die indische Regierung, die ich gelesen hatte, bildete ich mir ein, dass wenn ich überhaupt irgendwelche positive Kunde in Bezug auf den Aufenthaltsort des Dr. Livingstone erhalten könnte, mir dieselbe von Dr. Kirk zukommen würde; daher erwartete ich die Ehre, von Kapitän Webb bei ihm eingeführt zu werden, mit nicht geringer Ungeduld.

Am zweiten Morgen nach meiner Ankunft in Zanzibar gingen der amerikanische Consul und ich, in Uebereinstimmung mit der Etikette des Ortes, auf die Strasse hinaus und nach einigen Augenblicken stand ich vor diesem vielbesprochenen Manne. Kapitän Webb sagte zu einem Manne von dünner, hagerer Gestalt, der einfach gekleidet und etwas gebückt ging, schwarzhaarig, von schmalem Gesicht und eingefallenen Wangen war und einen Bart trug: „Dr. Kirk, erlauben Sie mir, Ihnen Herrn Stanley, vom «New York Herald», vorzustellen.“

Ich glaubte zu bemerken, dass er in dem Augenblick seine Augenlider merklich erhob und dadurch den ganzen[S. 20] Umfang seiner Augen zeigte. Wenn ich einen solchen Blick beschreiben sollte, so würde ich ihn als ein Anstarren bezeichnen. Während der Unterhaltung, die sich über verschiedene Gegenstände verbreitete, sah ich sein Gesicht, welches ich aufmerksam beobachtete, sich nur einmal beleben und erregt werden, und zwar als er uns einige seiner Jagdgeschichten erzählte. Da der Gegenstand, der meinem Herzen am nächsten war, nicht zur Sprache kam, nahm ich mir vor, ihn über Dr. Livingstone das nächste mal, wo ich ihn besuchte, auszufragen.

Am Dienstag Abend haben Dr. und Frau Kirk ihre Gesellschaftsabende, wie die Zanzibarer wissen. Die Freuden eines solchen Abends werden von der civilisirten Bevölkerung von Zanzibar im allgemeinen ignorirt, aber die Repräsentanten der europäischen Colonie besuchen sie trotzdem. An eben diesem Abend waren die reichsten Einwohnerklassen ziemlich stark vertreten.

Da wir Amerikaner zeitig ankamen, konnte ich bemerken, wie die andern Gäste die Unterhaltung anfingen und war erstaunt zu hören, wie ein jeder derselben nach der ersten Begrüssung ängstlich den Consul und seine Frau danach fragte, ob sie heute Abend in Nazi-Moya gewesen wären, worauf sie verneinend antworteten, denn zufälligerweise hatten sie gerade an dem Abend ihren Erholungsspaziergang nicht bis zum klassischen Boden von Nazi-Moya ausgedehnt. „O“, sagte jeder Gast im Tone freudig triumphirender Verwunderung, „ich glaubte, ich hätte sie dort nur nicht gesehen.“

„Wo und was ist denn eigentlich Nazi-Moya?“ fragte ich Kapitän Webb sofort. „Nazi-Moya“, sagte dieser liebenswürdige Cyniker, „bedeutet «ein Kokosbaum» und ist eine beliebte Promenade unmittelbar hinter Ras Schangani (Sandy Point), wo man gegen Abend hingeht, um die frische Seeluft zu geniessen. Es ist die gewöhnliche Form, wie man hier eine Unterhaltung anfängt, da wir jetzt gerade einen grossen Mangel an Unterhaltungsstoff haben.“

Kapitän Webb sprach die Wahrheit, wenn er sagte, dass grosser Mangel an Unterhaltungsstoff wäre, und meine spätere Erfahrung lehrte mich, dass die guten Europäer von[S. 21] Zanzibar, wenn ihnen anderer Unterhaltungsstoff fehlte, das kleinste bischen Skandal benutzen, um ihre Abende angenehm und amüsant zu machen.

Die Erfrischungen, welche der britische Consul nebst Frau ihren Gästen an ihren Empfangsabenden anboten, bestanden aus einer Art milden Weines und Cigarren, nicht weil sie nichts anderes zu Hause haben, etwa Thee oder ein paar Kuchen, sondern wol nur weil es die Sitte eines zanzibarisirten Europäers ist, dergleichen, mit etwas Soda- oder Selterswasser gemischt, als eine Art Reizmittel für das bischen Klatsch zu sich zu nehmen, das gewöhnlich unter dem Einfluss des Weines sympathische und eifrige Zuhörer findet.

Es war wol alles sehr schön, aber trotzdem hielt ich diesen für einen der langweiligsten Abende, die ich je erlebt hatte, bis Dr. Kirk aus Mitleid für die Langeweile, an der ich litt, mich beiseiterief, um mir eine schöne Elefantenflinte zu zeigen, welche ihm, wie er sagte, vom Gouverneur von Bombay geschenkt worden sei. Ich hörte nun Loblieder auf ihre tödliche Kraft und verderbenbringende Präcision und liess mir einige Anekdoten von dem Leben im Schilfmoor, einige Jagdabenteuer und Erlebnisse auf seinen Reisen mit Livingstone erzählen. „Ach, ja wohl, Dr. Kirk“, sagte ich nachlässig, „was Livingstone betrifft, — wo, glauben Sie, ist der jetzt?“

„Ja“, erwiderte er, „das ist sehr schwer zu sagen; er kann todt sein; wir wissen nichts Positives, worauf wir uns bestimmt verlassen können. Davon bin ich überzeugt, dass niemand etwas Bestimmtes von ihm seit mehr als zwei Jahren gehört hat. Dennoch glaube ich, dass er am Leben sein muss. Wir schicken ihm beständig irgendetwas zu. In Bagamoyo befindet sich eben eine kleine Expedition, die im Begriff steht aufzubrechen. Ich glaube wirklich, dass der alte Mann jetzt nach Hause kommen sollte; er wird, wie Sie wissen, alt, und wenn er stirbt, so wird die Welt nichts von seinen Entdeckungen haben. Er schreibt weder Notizen, noch Tagebücher, und nur sehr selten bringt er seine Beobachtungen zu Papier, sondern macht nur ein Zeichen oder einen Punkt oder etwas ähnliches auf eine Karte, was[S. 22] niemand als er selbst verstehen kann. Ja, wenn er am Leben ist, so sollte er unter allen Umständen heimkehren und einem jüngern Manne seine Stelle lassen.“

„Wie ist er im Umgange, Doctor?“ fragte ich mit lebhaftem Interesse an dieser Unterhaltung.

„Nun, ich glaube, dass es im ganzen sehr schwer ist, mit ihm zu verkehren. Ich habe persönlich zwar nie mit ihm Streit gehabt, aber ich habe ihn gegen andere Leute oft hitzig werden sehen und, wie ich glaube, ist das der hauptsächlichste Grund, weshalb er niemanden gern um sich hat.“

„Wie ich höre, ist er ein sehr bescheidener Mann, nicht wahr?“ fragte ich.

„Nur er kennt den Werth seiner eigenen Entdeckungen besser als irgendein anderer. Er ist nicht gerade ein Engel“, sagte er lachend.

„Nun gesetzt, ich begegnete ihm auf meinen Reisen; ich könnte doch möglicherweise mit ihm zusammentreffen, wenn er in der Richtung reist, die ich selbst nehme. Wie würde er sich gegen mich verhalten?“

„Um Ihnen die Wahrheit zu sagen“, sagte er, „so glaube ich nicht, dass er es sehr gern sehen würde. Ich weiss, dass, wenn Livingstone in Erfahrung brächte, dass Burton oder Grant oder Baker oder einer von diesen Leuten ihn aufsuche, er es bald so einrichten würde, dass 100 Meilen Sumpfboden sich zwischen ihnen befänden. Das glaube ich bestimmt, — auf mein Wort!“ —

Das war der Inhalt der Unterhaltung, die ich mit Dr. Kirk, dem früheren Genossen von Livingstone, führte, so genau, wie mein Tagebuch und mein Gedächtniss sie mir erinnerlich machen.

Brauche ich wol zu sagen, dass diese Kunde von einem Herrn, der bekanntlich mit Dr. Livingstone genau bekannt war, eher mehr dazu beitrug, den Enthusiasmus für meine Sache zu dämpfen als ihn zu beleben! Ich fühlte mich sehr verstimmt und hätte gern mein Unternehmen aufgegeben, aber der Befehl lautete: „Gehen Sie und finden Sie Livingstone!“ Ausserdem hatte ich nicht angenommen, obgleich ich sehr gern darauf eingegangen war, den Doctor[S. 23] aufzusuchen, dass der Weg nach Central-Afrika mit Rosen bestreut sein werde. Wenn ich nun wirklich als ein unverschämter Eindringling auf dem Gebiete der Entdeckungen getadelt werden sollte, als ein Mensch, der sich in Dinge mischt, die ihn nichts angehen, als einer, dessen Abwesenheit dem Doctor viel angenehmer wäre als seine Anwesenheit, — hatte ich nicht den Befehl erhalten, ihn zu suchen? Nun, ich wollte ihn aufsuchen, wenn er noch auf Erden wandelte, und wenn nicht, so wollte ich das mitbringen, was die Leute sicher zu wissen interessirte. Dr. Kirk versprach mir freundlich alle in seiner Macht stehende Unterstützung und stellte mir alle Vortheile seiner Erfahrung zur Verfügung, aber ich erinnere mich weder, dass er mir in irgendeiner Weise wirkliche Unterstützung angedeihen liess, noch finde ich es in meinem Tagebuch verzeichnet. Natürlich wusste er nicht, dass meine Befehle dahin lauteten, Dr. Livingstone aufzusuchen, sonst würde er wol zweifelsohne sein Versprechen eingelöst haben. Er glaubte, dass ich im Begriffe stände, den Rufidschifluss bis an seine Quellen zu verfolgen. Aber welche Zeitung würde wol einen Specialcorrespondenten ausschicken, um die Quellen eines so unbedeutenden Flusses, wie der Rufidschi, zu entdecken?

Das Klima von Zanzibar ist nicht das angenehmste der Welt; ich habe es von Amerikanern und Europäern herzlich verwünschen hören. Auch habe ich es erlebt, dass fast die halbe weisse Colonie sich an einem Tage krank zu Bette legen musste. Eine schädliche Malaria steigt aus dem seichten Meerbusen des Malagasch herauf und nicht abgeleiteter Schmutz, Auswurf, Abfälle aller Art, todte Mollusken, todte Pariahunde, todte Katzen, allerlei Aas und Ueberreste von unbeerdigten Menschen und Thieren tragen dazu bei, Zanzibar zu einer sehr ungesunden Stadt zu machen. In Anbetracht nun, dass sie sehr gesund sein müsste, weil die Natur dem Menschen hier die Mittel an die Hand gibt und ihn sehr unterstützt, so ist es erstaunlich, dass der herrschende Fürst nicht den Vorschriften der Vernunft gehorcht. Der Meerbusen von Zanzibar ist halbmondförmig, und die Stadt ist auf dem südwestlichen Horn erbaut. Im Osten wird sie fast gänzlich von der Malagasch-Lagune umgrenzt,[S. 24] einer Bucht des Meeres, die bis hinter die Schangani-Spitze oder südlich davon reicht und nur 250 Meter Land bis zum Meere übrig lässt. Wenn diese 250 Meter von einem Graben von 10 Fuss durchzogen würden und die Bucht ein wenig vertieft würde, so würde Zanzibar selbst eine Insel werden, und welche Wunder würde dies nicht in Bezug auf den Gesundheitszustand bewirken! Ich habe diesen Vorschlag nie machen hören, aber ich meine, die fremden Consuln, die in Zanzibar wohnen, könnten diese Arbeit dem Sultan empfehlen und sich so den Ruhm erwerben, die Stadt ebenso gesund zu machen wie irgendeine andere in der Nähe des Aequators liegende. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich dessen, was mir der amerikanische Consul, Kapitän Webb, bei meiner ersten Ankunft sagte, als ich meine Verwunderung über die Apathie und Trägheit von Leuten an den Tag legte, die mit der unbezwinglichen Energie geboren sind, welche die Europäer und Amerikaner kennzeichnet, von Männern, welche den vorwärts schreitenden Instinct der Weissen haben und doch zu blassen Phantomen ihrer Gattung, zu hoffnungslosen, hypochondrischen Invaliden werden und sich resignirt dem Glauben an die Tödlichkeit des Klimas hingeben, ohne eine Spur von dem unternehmenden und unbesiegbaren Geist, der die Welt regiert.

„Ja“, sagte Kapitän Webb, „Sie haben gut über Energie und dergleichen Dinge reden, aber ich versichere Sie, dass ein Aufenthalt von 4 oder 5 Jahren auf dieser Insel, unter Leuten wie die hiesigen, Sie bald fühlen lassen würde, dass es eine hoffnungslose Aufgabe sei, dem Einfluss des Beispiels zu widerstehen, durch welches die energischsten Geister unterjocht werden und dem Sie sich mit der Zeit, früher oder später, unterwerfen müssen. Wir waren alle furchtbar energisch, als wir zuerst herkamen und kämpften tapfer dafür, die Dinge so zu führen, wie wir es zu Hause gewohnt waren; aber wir haben gefunden, dass wir mit unsern Köpfen ganz vergeblich gegen Granitmauern anrennen. Diese Kerle, die Araber, Banyanen und Hindus, kann man weder durch Scheltworte noch durch Bitten veranlassen, rasch zu sein, und in kurzer Zeit sieht man die Thorheit[S. 25] ein, gegen unüberwindliche Schwierigkeiten anzukämpfen. Seien Sie geduldig und ärgern Sie sich nicht, das ist mein Rath, oder Sie werden es hier nicht lange aushalten.“

Trotzdem gab es 3–4 ungemein fleissige Leute in Zanzibar, die den ganzen Tag auf den Beinen waren. Einer, den ich kenne, war ein Amerikaner. Ich glaube seine raschen Fusstritte noch jetzt auf dem Pflaster unter dem Consulate zu vernehmen und zu hören, wie seine lästige Stimme die Begrüssungsformel Yambo! einem jeden, dem er begegnet, zuruft; und er hatte 12 Jahre in Zanzibar gelebt.

Ein anderer meiner Bekannten, ein handfester Schotte, ein Mann, der in allem, was er that oder sagte, von den angenehmsten Manieren, natürlich und aufrichtig war, hat in Zanzibar mehrere Jahre gelebt, ist der Undankbarkeit seines Geschäftes sowie der Hitze und der Erschlaffung des Klimas ausgesetzt gewesen und bietet doch den apathischen Eingeborenen von Zanzibar tapfer Trotz. Niemand kann dem Kapitän H. C. Fraser, der früher in der indischen Marine gedient hat, den Vorwurf der Apathie machen, was auch immer Böswillige sonst gegen ihn sagen mögen.

Ich könnte noch leicht Beweise für den Fleiss anderer anführen, aber sie sind alle gute Bekannte von mir und gute Leute. Die Amerikaner, Engländer, Deutschen und Franzosen, die hier leben, haben mich mit einer Höflichkeit und Güte behandelt, die ich nie vergessen werde. Alles in allem genommen würde es schwer sein, eine gastfreiere und liebenswürdigere Colonie von Weissen irgendwo in der Welt zu finden.

In einem grossen, hohen, auf der Schangani-Spitze gelegenen Hause, das gewissermassen durch seine Weitläufigkeit imponirt und auf dem ein sehr merkwürdiger Thurm sitzt, hat der Bischof Tozer mit seinen Zöglingen, seinen Chorsängern und seiner ganzen Heerde ein vorzügliches Unterkommen gefunden. Der Bischof, der sich selbst „Missionsbischof von Central-Afrika“ nennt, ist einer der höflichsten Menschen, die ich je gekannt habe. Ich glaube, man nennt ihn den „fechtenden Pastor“, ein Name, der ein Plagiat ist, da ihn der Herzog von Wellington zuerst dem Dr. Livingstone beigelegt hat. Vom Bischof Tozer erzählt man sich, dass er mit einem[S. 26] unverschämten Strolch auf seinem Wege zur Kirche gekämpft hat und, nachdem er ihn im Boxen gezüchtigt, sich erboten habe, alle seine Gefährten der Reihe nach in derselben Weise zu behandeln, welcher Vorschlag jedoch nicht angenommen wurde. Durch diesen siegreichen Faustkampf verwandelte der Bischof Tozer seine Wölfe in Lämmer und gewann sich den Titel eines Bischofs und die glückliche Sinekure, die er inne hat.

Der Bischof in seinem scharlachen Gewande und mit dem priesterlichen Titel eines „Missionsbischofs von Central-Afrika“, dessen Grund ich nicht einsehen kann, hat den Gipfel seines Ehrgeizes erreicht und ist infolgedessen unaussprechlich glücklich. Aber wenn man diesen ausserordentlich hochkirchlichen Prälaten in seinem scharlachen Amtsgewande und im sonderbarsten Kopfputz durch die Strassen von Zanzibar wandeln oder in einer Klempnerbude um den Preis eines Zinntopfes feilschen sieht, so gewährt das den lächerlichsten Anblick, den ich je gesehen habe, es sei denn in einer Harlekinbude. Als Weisser lege ich feierlichen Protest gegen diese Abgeschmacktheit ein. Ein ähnliches Bild, wie der Bischof in seiner Priestergewandung und Papiermütze in einer solchen Klempnerbude, bietet der König von Dahomey dar, wenn er nur mit einem europäischen Hut bekleidet, im übrigen aber nackt, pomphaft wie im ausgesuchtesten Staat herumspaziert. Was auch der Bischof in seiner glücklichen Unschuld von der Wirkung denken mag, die seine Erscheinung auf die Gemüther der Heiden hervorbringt, so kann ich ihm doch sagen, dass er den Arabern und Wangwana, die in Unyanyembé wohnen, höchst lächerlich erscheint, und dass auch die meisten seiner weissen Brüder eine ähnliche Meinung von ihm haben. Lieber, guter Bischof Tozer, ich möchte Dich gern lieben und bewundern, wenn Du nicht Dein Hochkirchenthum an einem Orte wie Zanzibar gar so sehr zur Schau trügest!

Die französischen Missionäre haben in einem wirklich praktischen Sinne sehr thätig gearbeitet. Sie versuchen es nicht nur den Gemüthern ihrer zahlreichen Konvertiten die Grundsätze der Religion beizubringen, sondern sie auch für das praktische Leben zu erziehen. Sie lehren ihren jungen[S. 27] Zöglingen die verschiedensten nützlichen Handwerke und bilden sie zu Landbauern, Zimmerleuten, Schmieden, Schiffbauern und Mechanikern aus. In ihren verschiedenen Unterrichtsabtheilungen haben sie tüchtige und fleissige Lehrer. Ihre Werkstätten in Zanzibar sind ein für den Fremden sehenswerther Anblick. Auf dem Festlande in Bagamoyo haben sie eine sehr grosse Missionsstation. Das neben derselben belegene Landgut, welches von den jungen Zöglingen bebaut wird, ist ein Musterinstitut, dessen Erzeugnisse mehr als hinreichen, um die Anstalten mit allen nothwendigen Lebensmitteln zu versehen. Mehr als 200 Konvertiten und Zöglinge stehen unter ihrer Leitung.

[2] Arabische Zweimaster.

[S. 28]

ZWEITES KAPITEL.
AUSRÜSTUNG DER EXPEDITION.

Schwierigkeiten Nachrichten zu erhalten. — Indienstnahme von J. W. Shaw und W. L. Farquhar. — Mbarak Bombay. — Besuch im Palast des Sultans. — Einschiffung nach Bagamoyo. — Charakteristik des Sultans.

Ich kannte das Innere durchaus nicht und es war daher schwer zu wissen, was ich brauchte, um eine Expedition nach Central-Afrika zu unternehmen. Auch war die Zeit kostbar und ich konnte nicht viel auf Erkundigung und Nachforschung verwenden. In einem solchen Falle wäre es, nach meiner Ansicht, ein grosses Glück gewesen, wenn einer der drei Herren, Kapitän Burton, Speke oder Grant, uns irgendeine Belehrung über diese Punkte gegeben hätte, wenn sie ein Kapitel darüber geschrieben hätten, wie man eine Expedition nach Central-Afrika auszurüsten habe. Der Zweck dieses Kapitels ist also mitzutheilen, wie ich es anfing, damit andere Reisende, die nach mir kommen, von meinen Erfahrungen Nutzen ziehen mögen.

Einige der Fragen, die ich mir vorlegte, wenn ich mich nachts im Bett herumwälzte, lauteten: wie viel Geld ist nöthig? wie viele Pagazis oder Lastträger? wie viele Soldaten? wie viel Tuch? wie viel Perlen? wie viel Draht? welche Sorten Zeug sind für die verschiedenen Stämme[S. 29] nöthig? — Ich mochte mir diese Fragen noch so häufig stellen, so kam ich dem Punkt doch nicht näher, den ich zu erreichen wünschte. Ich beschrieb ganze Buch Papier mit Schätzungen, mit Verzeichnissen von Material, mit Berechnungen der Kosten für hundert Mann pro Jahr, à so und so viel Meter verschiedener Zeugsorten, ich studirte Burton, Speke und Grant umsonst; zwar konnte ich ein gut Theil Geographie, Ethnologie und dergleichen, was zum Studium Inner-Afrikas gehört, aus ihnen lernen, aber ich fand in keinem Buche etwas in Bezug auf die Ausrüstung einer Expedition, ehe man nach Afrika geht. Unwillig warf ich die Bücher von mir. Die Europäer in Zanzibar wussten so wenig als möglich hierüber. Es gab nicht einen Weissen in Zanzibar, der mir sagen konnte, wie viel Dotis per Tag eine Truppe von 100 Mann für ihren Unterhalt auf der Reise bedurfte. Auch brauchten sie das in der That gar nicht zu wissen. Aber was sollte ich denn anfangen? Das war eine grosse Frage.

Ich beschloss als das beste, einen arabischen Kaufmann aufzutreiben, der mit Elfenbein handelt oder der vor kurzem aus dem Innern angekommen war.

Scheikh Haschid war ein Mann von Bedeutung und Reichthum in Zanzibar. Er hatte selbst eine Anzahl Karavanen ins Innere gesandt und war infolgedessen mit verschiedenen hervorragenden Händlern bekannt, die in sein Haus kamen und sich mit ihm über ihre Abenteuer und Gewinne unterhielten. Auch war er der Besitzer des grossen Hauses, das Kapitän Webb bewohnte, und lebte selbst auf der andern Seite der engen Strasse, die sein Haus vom Consulate trennte. Scheikh Haschid war also vor allen andern der Mann, dessen Rath einzuholen war, und daher wurde er auch aufgefordert, mich im Consulat zu besuchen.

Von diesem graubärtigen, ehrwürdig aussehenden Scheikh habe ich über afrikanische Tauschwerthe, die Art mit ihnen umzugehen, die Menge und Qualität der Stoffe, die ich brauchte, mehr Auskunft erhalten, als aus einem dreimonatlichen Studium von Büchern über Central-Afrika. Auch von andern arabischen Kaufleuten, mit denen der alte Scheikh mich bekannt machte, erhielt ich sehr werthvolle Andeutungen[S. 30] und Winke, welche mich schliesslich in den Stand setzten, meine Expedition auszurüsten.

Der Leser darf nicht vergessen, dass ein Reisender nur das braucht, was für die Reise und Forschung nöthig ist, und dass ein Ueberfluss an Gütern oder Mitteln ihm ebenso verderblich wird wie der Mangel an Vorräthen. Gerade diese Frage der Qualität und Quantität ist es, welche der Reisende zuerst mit Vorsicht und Kritik klarstellen muss.

Meine Berather gaben mir zu verstehen, dass hundert Menschen mit 10 Doti oder 40 Meter Tuch täglich für ihre Nahrung auskommen; es war also das Richtige, 2000 Doti amerikanische Leinwand, 1000 Doti Kaniki und 650 Doti farbige Zeugsorten, wie z. B. Barsati, das in Unyamwezi beliebt ist, Sohari, das in Ugogo genommen wird, Ismahili, Taudschiri, Dschoho, Schasch, Rehani, Dschamdani oder Kunguru-Kutsch, blau sowol als rosa zu kaufen. Dies hielt man für völlig ausreichend für den Unterhalt von 100 Mann auf 12 Monate. Nach diesem Maassstabe würden also für zwei Jahre 4000 Doti, oder 16000 Meter amerikanische Leinwand, 2000 Doti oder 8000 Meter Kaniki, 1300 Doti oder 5200 Meter verschiedene farbige Zeuge nöthig sein. Dies war eine bestimmte und ausserordentlich werthvolle Kunde für mich und mit Ausnahme einiger Nachrichten über die Qualität der Leinwand, des Kaniki und der farbigen Zeuge hatte ich alles über diesen Punkt erfahren, was ich wünschte.

Die zweite wichtige Frage war: wie viele und welche Perlen nöthig wären. Perlen sollten unter einigen Stämmen des Innern die Stelle des Zeuges einnehmen. Der eine Stamm zieht weisse Perlen den schwarzen, braune den gelben, rothe den grünen, grüne den weissen u. s. w. vor. So nimmt man in Unyamwezi rothe Perlen (Sami-Sami) mit Freuden, während man alle andern nicht annimmt. Schwarze Perlen (Bubu) sind Geld in Ugogo, bei allen andern Stämmen aber nichts werth; die Eierperlen (Sungomazzi) gelten in Udschidschi und Uguhha, werden aber in allen andern Ländern nicht angenommen. Die weissen Perlen (Merikani) haben Geltung in Ufipa und einigen Theilen von Usagara und Ugogo, werden aber in Useguhha und Ukonongo nicht geachtet. Daher musste ich genau den Aufenthalt[S. 31] meiner Expedition in den verschiedenen Ländern erforschen und berechnen, damit ich genug von jeder Gattung hätte und doch einen zu grossen Ueberschuss vermiede. Burton und Speke z. B. mussten einige hundert Fundo Perlen als werthlos wegwerfen.

Nimmt man z. B. an, dass von den verschiedenen Völkern Europas jedes seine eigenen Geldwerthe hätte, ohne die Mittel zu besitzen, sie zu wechseln, und dass jemand Europa zu Fuss durchwandern wollte, so müsste er, ehe er die Reise anträte, im Stande sein zu berechnen, wie viel Tage er durch Frankreich zu reisen habe, wie viele durch Preussen, Oesterreich und Russland, und dann die Ausgabe, die er pro Tag zu machen hätte, feststellen. Wenn er seine Ausgaben auf einen Napoleondor pro Tag berechnete und seine Reise durch Frankreich 30 Tage in Anspruch nähme, so würde die Summe, die er für den Hin- und Rückweg brauchte, auf 60 Napoleons zu fixiren sein, und da Napoleons in Preussen, Oesterreich und Russland keinen Curs hätten, so würde es für ihn völlig unnütz sein, sich mit einer Ladung von mehreren tausend Napoleons in Gold zu beschweren.

Meine Besorgnisse über diesen Punkt waren sehr peinigend. Ich studirte die schweren Namen und Maasse wiederholt durch, lernte die vielsilbigen Worte auswendig und hoffte im Stande zu sein, allmählich zu einem Verständniss der Bezeichnungen zu gelangen. Ich wiederholte im Geiste die Worte Mukunguru, Ghulabio, Sungomazzi, Kadunduguru, Mutunda, Sami-Sami, Bubu, Merikani, Hafde, Lunghio-Rega und Lakhio beständig, bis ich ganz ausser mir gerieth. Endlich jedoch kam ich zu dem Schluss, dass, wenn ich meine Bedürfnisse zu 50 Khete oder 5 Fundo per Tag auf 2 Jahre berechnete und wenn ich nur 11 verschiedene Sorten kaufte, ich mich für geborgen halten konnte. Ich machte also meine Einkäufe und 22 Säcke der besten Arten wurden wohl verpackt in Kapitän Webb’s Wohnung gebracht, sodass sie nach Bagamoyo transportirt werden konnten.

Nach den Perlen kam die Drahtfrage. Ich machte nach bedeutender Mühe die Entdeckung, dass die Nummern 5[S. 32] und 6, die fast die Dicke von Telegraphendraht haben, als die besten für Handelszwecke gelten. Perlen vertreten in Afrika die Kupfermünzen, Zeuge das Silber, Draht gilt als Gold in den Ländern jenseits des Tan-ga-ni-ka.[3] 10 Frasileh oder 350 Pfund Messingdraht hielt mein arabischer Rathgeber für völlig ausreichend.

Nachdem ich meine Einkäufe an Zeug, Perlen und Draht gemacht hatte, überblickte ich mit nicht geringem Stolz die stattlichen Ballen und Packete, welche reihenweis in dem geräumigen Vorrathszimmer des Kapitän Webb aufgehäuft lagen. Damit war aber meine Arbeit nicht zu Ende, sondern fing erst an. Noch waren Provisionen, Kochgeräthe, Boote, Seile, Bindfaden, Zelte, Esel, Sattel, Packleinwand, Segeltuch, Theer, Nähnadeln, Handwerkzeug, Munition, Flinten, Reisegeräth, Beile, Arzneimittel, Bettzeug, Geschenke für Häuptlinge, kurz tausenderlei einzukaufen. Die Feuerprobe, die ich beim Schachern und Feilschen mit hartherzigen Banyanen, Hindus, Arabern und Mischlingen auszustehen hatte, war sehr angreifend. Ich kaufte z. B. 22 Esel in Zanzibar, wofür mir 40–50 Dollars abgefordert wurden, was ich mit einem ungeheuern Aufwand an Argumenten, die einer bessern Sache werth waren, auf 15–20 herabdrücken musste. Meine Erfahrungen mit den Eselhändlern wiederholten sich bei den Kleinkrämern, selbst der Preis eines Packets Stecknadeln musste um 5% herunter gehandelt werden, was natürlich sehr viel Zeit und Geduld erforderte.

Nachdem ich die Esel zusammengebracht hatte, entdeckte ich, dass man in Zanzibar keine Packsattel haben könne. Nun waren aber die Esel ohne Packsattel für mich ganz nutzlos. Ich erfand also einen Sattel, den ich und mein weisser Diener Farquhar einzig und allein aus Segeltuch, Stricken und Baumwolle fabriciren mussten. Drei bis vier Frasileh Baumwolle und 10 Stück Segeltuch waren für die Sattel nöthig. Ich selbst machte einen Mustersattel zur Probe, darauf wurde ein Esel gesattelt und ihm eine Last von 140 Pfund aufgepackt, und obgleich das Thier, eine[S. 33] wilde Bestie aus Unyamwezi, sich bäumte und wüthend geberdete, so blieb doch die ganze Last fest sitzen. Nach diesem Experiment liess ich Farquhar noch 21 Sattel nach demselben Muster fabriciren. Auch wurden wollene Polster angekauft, um die Thiere vor dem Wundwerden zu schützen, doch muss ich hier wol erwähnen, dass die Idee zu dem Sattel, den ich fertigte, von dem Otagosattel hergenommen ist, den die englische Armee zu ihren Transporten in Abessinien benutzt hat.

John William Shaw, ein geborener Londoner, der bisher dritter Steuermann auf dem amerikanischen Schiffe „Nevada“ gewesen war, wandte sich an mich, um Beschäftigung zu erlangen. Obgleich seine Entlassung von der „Nevada“ etwas verdächtig war, besass er doch alle die Eigenschaften eines Menschen, wie ich ihn brauchte, war vertraut mit der Nadel und verstand aus Segeltuch alles zu machen, war ein vorzüglicher Schiffer und willig, soweit seine Kunst reichte. Ich sah keinen Grund, seine Dienste abzuweisen und nahm ihn daher für ein Jahresgehalt von 300 Dollars als zweiten im Range nach William L. Farquhar an.

Farquhar war ein ausgezeichneter Schiffer und vorzüglicher Rechner; er war kräftig, energisch und gescheit, aber leider ein starker Trinker. Während unseres Aufenthalts in Zanzibar war er jeden Tag benebelt und das wüste, lasterhafte Leben, das er hier führte, wurde ihm, wie wir sehen werden, bald nachdem wir ins Innere kamen, verderblich.

Meine nächste Aufgabe bestand darin, eine zuverlässige Escorte von 20 Mann für die Reise anzuwerben und mit Waffen und andern Dingen auszurüsten. Dschohari, der erste Dragoman des amerikanischen Consulats, sagte mir, er wisse, wo man einige von Speke’s „Getreuen“ auffinden könne. Es war mir schon vorher klar geworden, dass es am besten sein würde, wenn es mir gelänge, einige mit den Sitten der Weissen vertraute Leute in Dienst zu nehmen, welche andere veranlassen könnten, sich der Expedition anzuschliessen. Besonders hatte ich dabei an den Sidy Mbarak Mombay, gewöhnlich Bombay genannt, gedacht, der trotz seines „Holzkopfes“ und seiner „plumpen Hände“ für den „Getreusten der Getreuen“ galt.

[S. 34]

Mit Hülfe des Dragomans Dschohari nahm ich in Zeit von ein paar Stunden Uledi, Kapitän Grant’s frühern Bedienten, Ulimengo, Baruti, Ambari, Mabruki (Muinyi Mabruki, der stierköpfige Mabruki, Kapitän Burton’s frühern unglücklichen Diener), also fünf von Speke’s „Getreuen“ in meine Dienste. Als ich sie fragte, ob sie bereit wären, abermals an der Expedition eines Weissen nach Udschidschi theilzunehmen, erwiderten sie bereitwilligst, dass sie sehr gern mit einem Bruder von Speke reisen wollten. Der englische Consul Dr. John Kirk, der zugegen war, sagte ihnen darauf, dass ich kein Bruder von Speke sei, sondern nur seine Sprache rede; aber auf diese Unterscheidung legten sie keinen Werth und ich hörte, wie sie mit grosser Freude ihre Bereitwilligkeit erklärten, überall mit mir hinzugehen und alles zu thun, was ich wünschte.

Mombay, wie sie ihn nannten, oder Bombay, unter welchem Namen wir Wasungu ihn kennen, war nach Pemba, einer Insel im Norden von Zanzibar, gegangen. Uledi aber war der bestimmten Ueberzeugung, dass Mombay bei der Aussicht auf eine neue Expedition vor Freuden Luftsprünge machen würde. Dschohari erhielt daher den Auftrag, ihm nach Pemba zu schreiben und ihn von dem ihm bevorstehenden Glück zu benachrichtigen.

Am 4. Morgen nach Abgang des Briefes erschien der berühmte Bombay, dem die „Getreuen“ von Speke ihrem Range gemäss folgten. Vergeblich sah ich nach dem Holzkopf und den Alligatorzähnen, von denen sein früherer Herr gesprochen hatte. Ich sah einen schlanken, kurzen Mann von etwa 50 Jahren, mit grauem Kopf, ungewöhnlich hoher, enger Stirn und grossem Munde, der sehr unregelmässige, weit auseinanderstehende Zähne zeigte. Eine hässliche Lücke an der obern, vordern Zahnreihe Bombay’s war durch die geballte Faust vom Kapitän Speke in Uganda bewirkt, als ihm die Geduld riss und sofortige Bestrafung nöthig erschien. Kapitän Speke hatte ihn offenbar durch Güte verwöhnt, was aus der Thatsache hervorgeht, dass Bombay die Frechheit hatte, ihn zu einem Boxerkampf aufzufordern. Aber das fand ich erst einige Monate später heraus, als ich selbst genöthigt war, ihn gründlich zu bestrafen. Bei seiner ersten[S. 35] Erscheinung war ich von Bombay, trotz seines rauhen Gesichts, seines grossen Mundes, seiner kleinen Augen und seiner platten Nase, sehr eingenommen.

„Salaam aleikum!“ waren die Worte, mit denen er mich begrüsste.

„Aleikum salaam!“ antwortete ich mit allem Ernst, den ich aufbieten konnte. Dann benachrichtigte ich ihn, dass ich ihn zum Hauptmann meiner nach Udschidschi gehenden Soldaten zu haben wünsche. Seine Antwort lautete, er sei bereit, allen meinen Befehlen nachzukommen, überall hinzugehen, wo ich ihn hinschicke, kurz ein Muster von einem Diener und ein gutes Beispiel für die Soldaten abzugeben. Er hoffe, ich werde ihn mit einer Uniform und einem guten Gewehr versehen, was ich ihm beides versprach. Als ich mich nach den übrigen „Getreuen“, welche Speke nach Aegypten begleitet hatten, erkundigte, sagte man mir, dass ihrer nur sechs in Zanzibar wären. Ferradschi, Maktub, Sadik, Sunguru, Manyu, Matadschari, Mkata und Almas wären todt, Uledi und Mtamani in Unyanyembé, Hassan sei nach Kilwa gegangen und Ferahan wäre wahrscheinlich in Udschidschi.

Von den sechs „Getreuen“, von welchen ein jeder noch seine Medaille für die Entdeckung der Nilquellen besass, war einem, dem armen Mabruki, ein grosses Misgeschick widerfahren, von dem ich fürchtete, dass es ihn unfähig machen würde, nützlich und thätig zu sein.

Mabruki, der Stierköpfige, besass nämlich ein Schamba (Haus mit Garten), auf das er sehr stolz war. Dicht neben ihm wohnte ein Nachbar in ähnlichen Verhältnissen, ein Soldat von Seyd Madschid, mit dem der zanksüchtige Mabruki einen Zwist hatte, der damit endete, dass der Soldat zwei bis drei Kameraden dazu veranlasste, ihm bei der Bestrafung des bösartigen Mabruki behülflich zu sein; und dies wurde in einer Weise ausgeführt, die nur von einem Afrikanergemüth ersonnen werden kann. Sie banden den unglücklichen Kerl an den Handgelenken an einen Baum und nachdem sie ihre Rachgier dadurch befriedigt hatten, dass sie ihn marterten, liessen sie ihn in solcher Stellung zwei Tage hängen. Am Ende des zweiten Tages wurde er zufälligerweise in einem höchst jammervollen Zustande aufgefunden;[S. 36] seine Hände waren zu einer furchtbaren Grösse angeschwollen und da die Vene der einen geplatzt waren, so konnte er sie nicht mehr brauchen. Es versteht sich von selbst, dass, als die Sache zu Seyd Madschid’s Ohren kam, die Uebelthäter schwer bestraft wurden. Dem Dr. Kirk, der den armen Kerl in Behandlung nahm, gelang es, die eine Hand einigermassen wiederherzustellen, sodass sie so ziemlich ihre alte Gestalt wiedergewann, aber die andere ist arg verstümmelt und völlig unbrauchbar.

Trotz seiner verkrüppelten Hand, seiner Hässlichkeit und Eitelkeit und trotz des schlechten Zeugnisses, das Burton ihm ausstellte, nahm ich Mabruki in meine Dienste, weil er einer von Speke’s Getreuen gewesen war; denn wenn er auch nur seine Zunge in meinen Diensten in Bewegung setzte, die Augen offen hatte und den Mund zur richtigen Zeit öffnete, so war ich überzeugt, dass er mir nützlich sein könne.

Bombay, meinem Escortanführer, gelang es, noch 18 freie Männer als Askari (Soldaten) anzunehmen, Leute, von denen er wusste, dass sie nicht desertiren würden und für die er sich verantwortlich erklärte. Es waren lauter sehr stattliche Burschen und weit intelligenter in ihrem Aussehen, als ich jemals von afrikanischen Barbaren hätte glauben mögen. Sie stammten hauptsächlich aus Uhiyau, einige aus Unyamwezi, andere aus Useguhha und Ugindo. Als Sold wurden einem jeden von ihnen 36 Dollars für das Jahr ausgesetzt, oder 3 Dollars für den Monat; jeder Soldat sollte eine Feuerschlossmuskete, Pulverhorn, Kugeltasche, Messer, Beil und hinreichend viel Pulver und Kugeln für 200 Schüsse erhalten. Bombay bekam, aus Rücksicht auf seinen Rang und seine frühern treuen Dienste gegen Burton, Speke und Grant, 80 Dollars pro Jahr, wovon er die halbe Summe im voraus erhielt, einen guten, gezogenen Vorderlader und ausserdem eine Pistole, ein Messer und ein Beil. Die andern fünf „Getreuen“, Ambari, Mabruki, Ulimengo, Baruti und Uledi, wurden zu 40 Dollars pro Jahr und mit der gehörigen Ausrüstung als Soldaten in Dienst genommen.

Da ich alle auf Ost- und Mittelafrika bezugnehmende Reisebeschreibungen ziemlich gründlich studirt hatte, so hatte ich einen einigermassen deutlichen Begriff von den Schwierigkeiten,[S. 37] die sich mir beim Aufsuchen von Dr. Livingstone entgegenstellen würden. Diese so weit zu vermeiden, als Menschenwitz es könnte, war das beständige Ziel meiner Gedanken.

„Soll ich mich, wenn ich von Udschidschi über die Wasser des Tanganika-Sees aufs andere Ufer blicke, auf der Schwelle des Erfolges durch die Unverschämtheit eines Königs Kannena oder die Launen eines Hamed bin Sulayyam aufhalten lassen?“ fragte ich mich. Um mich gegen solche Zufälligkeiten zu schützen, entschloss ich mich, meine eigenen Boote mitzunehmen. „Dann“, dachte ich, „kann ich, wenn ich höre, dass Livingstone auf dem Tanganika ist, meine Boote vom Stapel lassen und ihm folgen.“

Ich kaufte mir also vom amerikanischen Consul ein grosses Boot für 80 Dollars, das im Stande war, 20 Leute mit hinreichenden Vorräthen und Waaren für eine Seefahrt zu beherbergen, und ein kleineres von einem andern Amerikaner für 40 Dollars. Das letztere konnte bequem 6 Mann mit den dazu gehörigen Vorräthen aufnehmen.

Die Boote wollte ich aber nicht ganz mitführen, sondern die Breter herausnehmen und blos das Gerippe transportiren. Als Surrogat für die Breter wollte ich jedes Boot mit einem Ueberzug von wohlgetheertem doppelten Segeltuch versehen. Die Arbeit, die Boote auseinanderzunehmen und von den Bretern zu befreien, fiel mir zu und diese kleine Aufgabe beschäftigte mich ungefähr fünf Tage; auch packte ich sie für die Pagazis zusammen, sodass jede Last sorgfältig gewogen nicht mehr als 68 Pfund betrug.

John Shaw zeichnete sich in der Bearbeitung des Segeltuchs für die Boote aus; als die Ueberzüge fertig waren, passten sie genau zu den Gerippen. Das Segeltuch dazu — und zwar 6 Stück englisches Hanfsegeltuch Nr. 3 — wurde mir von Ludha Damdschi besorgt, der es sich aus dem Magazin des Sultans zu verschaffen wusste.

Ein unübersteigliches Hinderniss für das rasche Fortkommen in Afrika ist der Mangel an Lastträgern, und da Eile ein Hauptzweck der unter meinem Befehl stehenden Expedition war, so war es meine Pflicht, diese Schwierigkeiten soviel als möglich zu verringern. Lastträger konnte[S. 38] ich mir zwar erst bei meiner Ankunft in Bagamoyo auf dem Festlande verschaffen, doch hatte ich mehr als 20 gute Esel in Bereitschaft und glaubte, dass ein für die Ziegenpfade Afrikas eingerichteter Karren nützlich sein könnte. Daher liess ich einen Karren bauen, der 18 Zoll breit und 5 Fuss lang war, den ich mit zwei Vorderrädern eines leichten amerikanischen Wagens versah, hauptsächlich, um die schmalen Munitionskisten zu befördern. Ich meinte, wenn ein Esel eine Last von 4 Frasileh oder 140 Pfund nach Unyanyembé tragen könne, so müsse er im Stande sein, 8 Frasileh auf einem solchen Karren fortzuziehen, eine Last, die der Tragkraft von vier starken Pagazis oder Lastträgern gleichkommen würde. Die spätern Ereignisse werden beweisen, wie meine Theorie sich in der Praxis bewährte.

Nachdem ich meine Einkäufe vollendet hatte und alles reihenweise geschichtet aufgehäuft sah, hier Kochgeräthe, da Bündel von Stricken, Zelten, Satteln, dort wieder Koffer und Kisten, die alles Mögliche enthielten, gestehe ich, dass ich über meine eigene Kühnheit verlegen wurde. Da lagen wenigstens 6 Tonnen Material! „Wie wird es nur möglich sein“, dachte ich, „diese ganze träge Masse durch die zwischen dem Meere und den grossen Seen von Afrika befindliche Wildniss zu transportiren? Doch wirf nur alle deine Zweifel hinter dich, Mensch, und lass’ sie fahren! Jeder Tag hat genug an seinen eigenen Sorgen, ohne dass er noch die des nächsten hinzuzunehmen braucht.“

Der Reisende, der einen See in der Mitte jenes weiten afrikanischen Continents vor sich hat, muss natürlich in ganz anderer Weise reisen, als er es von andern Ländern her gewöhnt ist. Er muss das mit sich nehmen, was ein Schiff braucht, wenn es auf eine lange Reise ausgeht. Er muss sich eine Kiste mit Thee, einen kleinen Vorrath wohlverwahrter Leckerbissen, Arzneien, ausserdem Flinten, Pulver, Kugeln mitnehmen, um, wenn nöthig, auch verschiedene Kämpfe gehörig bestehen zu können. Er muss Leute haben, die ihm diese mannichfachen Gegenstände transportiren, und da das höchste, was ein einzelner Mann tragen kann, nur 70 Pfund ist, so braucht man, um 11,000 Pfund zu transportiren, gegen 160 Leute.

[S. 39]

In Europa und im Orient, ja selbst in Arabien und Turkestan sind die Arten zu reisen im Vergleich mit denen von Afrika ganz ausgezeichnet. Ueberall nimmt man in jenen Ländern baares Geld, wodurch ein Reisender in den Stand gesetzt wird, seine Subsistenzmittel bei sich zu tragen. Ost- und Mittelafrika hingegen verlangt ein Halsband statt eines Cent, zwei Meter amerikanischer Leinwand statt eines halben Dollar oder Gulden und ein Kitinki von dickem Messingdraht statt eines Goldstücks.

Der afrikanische Reisende kann sich weder Wagen noch Kameele, weder Pferde noch Maulesel miethen, die ihn ins Innere führen. Seine Transportmittel sind auf nackte Schwarze beschränkt, die wenigstens 15 Dollars pro Kopf für den Transport von 70 Pfund bis nach Unyanyembé verlangen.

Meine Vorgänger hatten es unter anderm verabsäumt, Leute, die nach Afrika gehen, mit einem Umstände von grosser Wichtigkeit bekannt zu machen, dass nämlich kein Reisender daran denken sollte, sein Geld anders als in Gestalt von Goldmünzen nach Zanzibar zu bringen. Mit Creditbriefen, Circular-Anweisungen und derartigen civilisirten Dingen kommt man, nach meiner Erfahrung, den Bewohnern von Zanzibar noch um ein Jahrhundert zu früh.

Die 20 bis 25 Cents, welche mir von jedem Dollar, den ich zu wechseln hatte, abgezogen wurden, gehören zu den unangenehmsten Erinnerungen, die sich meinem Gedächtniss dauernd eingeprägt haben; denn Zanzibar liegt weit ab von allen Zugängen des europäischen Handels, und man bezahlt viel Agio für baares Geld. Trotz Wechseln, Cheques und Creditbriefen, oder einer Carte blanche für alle Bedürfnisse wendet man alle seine Reden und Bitten umsonst an; 20 bis 25, ja 30 Cents werden doch von jedem Dollar, wie man mir sagte und wie ich es selbst erfahren habe, abgezogen. Wie schade, dass es hier keine Bankfiliale gibt!

Ich hatte gewünscht, meine Reise incognito zu machen. Aber die Thatsache, dass ein Weisser, ja ein Amerikaner, im Begriff stand, nach Afrika zu reisen, war bald in ganz Zanzibar bekannt. Sie wurde tausendmal in den Strassen wiederholt, in allen Läden und im Zollhause besprochen. Der Bazar der Eingeborenen erhielt Kunde davon und besprach[S. 40] es Tag und Nacht bis zu meiner Abreise. Die Fremden, mit Einschluss der Europäer, wünschten die Gründe und alle Einzelheiten meiner Ankunft und Abreise zu wissen.

Meine Antwort auf alle gehörigen und ungehörigen Fragen lautete: ich gehe nach Afrika, und trotz meiner Karte, die

HENRY M. STANLEY

New York Herald.

so aussah, glaube ich doch, dass nur wenige die Worte „New York Herald“ mit einer Expedition zur Auffindung des Dr. Livingstone in Zusammenhang brachten. Das war aber doch nicht meine Schuld.

Was für eine schwere Arbeit ist es aber für einen einzelnen, eine solche Expedition in Bewegung zu setzen! Wenn der Tag vorüber und ich durch die Glühhitze einer unbarmherzigen Sonne von Laden zu Laden geeilt war, mich mit viel Ausdauer und Geduld für das Feilschen mit dem dunkeln Hindu gerüstet, allen Muth und Witz zusammengenommen hatte, um den schurkischen Goanesen einzuschüchtern und dem listigen Banyanen ein Paroli zu bieten; wenn ich den Tag über ganze Bände zusammengesprochen, Abschätzungen corrigirt, Rechnungen gemacht, die Ablieferung von gekauften Gegenständen überwacht und sie gemessen und gewogen hatte, um zu sehen, dass sie vollwichtig seien; wenn ich endlich die Aufsicht über Farquhar und Shaw geführt hatte, welche Eselsattel, Segel, Zelte, Boote für die Expedition machten — dann fühlte ich wohl, dass Körper und Geist der Ruhe bedurften. So mühte ich mich, ohne Unterlass, einen ganzen Monat ab.

Nachdem ich Tratten auf Herrn James Gordon Bennett im Betrage von mehreren tausend Dollars für Zeuge, Perlen, Draht, Esel und tausend andere Bedürfnisse verhandelt, die[S. 41] weisse und schwarze Begleitung meiner Expedition besoldet, Kapitän Webb und seine Familie mehr als genug mit dem Lärm der Vorbereitung belästigt und sein Haus mit meinen Gütern angefüllt hatte, blieb mir nichts übrig, als formell von den Europäern Abschied zu nehmen und dem Sultan und den Herren, die mir beigestanden hatten, ehe ich mich nach Bagamoyo einschiffte, zu danken.

Am Tage vor meiner Abreise von Zanzibar ging der amerikanische Consul, im schwarzen Rock und mit einem aussergewöhnlich schönen schwarzen Hut geschmückt, um im Staatsanzuge zu erscheinen, mit mir in den Palast des Sultans. Der Fürst war sehr gütig gegen mich gewesen, er hatte mich mit einem arabischen Pferde beschenkt, mit Einführungsbriefen an seine Agenten und Hauptrepräsentanten im Innern versehen und sich mir in mancher andern Weise wohlgeneigt erwiesen.

Der Palast ist ein sehr grosses, geräumiges, hohes, viereckiges Haus, das in der Nähe des Forts liegt, aus Korallen gebaut und stark mit Kalkmörtel beworfen ist. Das Aeussere desselben ist halb arabisch, halb italienisch. Lebhaft grüngefärbte Jalousien bilden die Laden, die sehr von den weissgetünchten Mauern abstechen. Vor der grossen, hohen, breiten Thür standen in zwei Halbkreisen verschiedene Belutschen und persische Söldlinge, die mit grossen Schwertern und Schilden aus Rhinozeroshaut bewaffnet waren. Ihr Anzug bestand aus einem grauweissen baumwollenen Hemde, das bis auf die Knöchel reichte und von einem reichlich mit Silberbuckeln besetzten Ledergurte zusammengehalten ward.

Als wir in Sicht kamen, wurde jemandem, der sich innerhalb des Einganges befand, ein Zeichen gegeben und als wir 20 Meter von der Thür entfernt waren, kam der Sultan, der auf uns wartete, die Stufen herunter und an den Soldatenreihen vorbei auf uns zu, streckte die rechte Hand aus und bewillkommnete uns mit freundlichem Lächeln. Wir zogen unsere Hüte, drückten ihm die Hand, gingen darauf auf seinen Befehl voran und erreichten alsbald die oberste, nahe bei der Eingangsthür befindliche Stufe. Er wies uns weiter, wir verbeugten uns und kamen an den[S. 42] Fuss einer ungemalten engen Treppe, wo wir uns noch einmal dem Sultan zuwandten. „Gehen Sie weiter“ — sagte er, und wir gingen die Treppe hinauf, was meinem Gefühl widerstrebte, da der Sultan, der unmittelbar hinter mir herging, dadurch in eine für einen Souverän höchst unpassende Situation gebracht wurde. Der Consul ging, wie ich sah, seitwärts hinauf, wodurch er augenscheinlich dem Anstand und der Würde wenigstens zum Theil ihr Recht widerfahren lassen wollte. Ich machte es ihm nach, so gut ich konnte, hielt aber trotzdem meine Stellung für etwas sonderbar. Oben an der Treppe warteten wir, die Gesichter dem heraufkommenden Fürsten zugewandt; wieder winkte er uns hochherzig, vorwärts zu gehen, denn vor uns lag die Empfangshalle und der Thronsaal. Ich bemerkte, wie ich bis ans äusserste Ende vorwärts ging, dass das Zimmer hoch, im arabischen Stil gemalt, die dicken Teppiche persische Arbeit waren und das Ameublement aus einem Dutzend vergoldeter Stühle und einem Armleuchter bestand.

Wir setzten uns. Ludha Damdschi, der banyanische Steuereinnehmer, ein würdig aussehender Greis mit intelligentem Gesicht, sass zur Rechten des Sultans. Neben ihm befand sich der grosse mohammedanische Kaufmann Tarya Topan, der nicht nur in seiner Eigenschaft als Rath Seiner Hoheit, sondern auch weil er ein lebhaftes Interesse an dieser amerikanischen Expedition nahm, zu der Unterredung gekommen war. Dem Ludha gegenüber sass Kapitän Webb und neben diesem sass ich, Tarya Topan gegenüber. Der Sultan sass auf einem vergoldeten Stuhle, zwischen dem Amerikaner und seinen Räthen. Dschohari, der Dragoman, stand demüthig vor dem Sultan, bereit, ihm das zu verdolmetschen, was wir dem Fürsten mitzutheilen hatten.

Der Sultan könnte, was seinen Anzug betrifft, für einen mingrelischen Mann von Stande gelten, mit Ausnahme seines Turbans, dessen reiche Falten, abwechselnd in roth, gelb, braun und weiss, sein Haupt umgaben. Sein langes Gewand war von dunkelm Tuch und um die Taille von einem reichen Schwertgürtel umschlossen, von dem ein türkischer Säbel mit goldenem Griffe herabhing, der in einer gleichfalls mit Gold verzierten Scheide stak. Seine Beine und Füsse waren[S. 43] kahl und hatten ein schwerfälliges Aussehen, da er an der Elephantiasis, dieser merkwürdigen Heimsuchung Zanzibars, litt. An den Füssen trug er ein Paar Watta (arabisch für Pantoffeln) mit dicken Sohlen und einem starken ledernen Riemen über dem Spann. Seine helle Gesichtsfarbe und regelmässigen intelligenten Züge verrathen den arabischen Patricier. Uebrigens weisen sie nur auf hohe Abkunft und Geburt, man erkennt an ihnen keinen bestimmten Charakter, es sei denn ein Ausdruck von Liebenswürdigkeit und vollständiger Zufriedenheit mit sich selbst und der eigenen Umgebung. So erschien mir Fürst oder Seyyid Barghasch, Sultan von Zanzibar und Pemba und der Ostküste von Afrika vom Somali-Lande bis nach Mozambique.

Kaffee wurde in Tassen, die auf goldenen Findschans standen, servirt, ebenso Kokosnussmilch und prächtiger süsser Scherbet.

Die Unterhaltung begann mit der Frage an den Consul: „Sind Sie wohl?“

Consul. „Ja, ich danke Ihnen; wie befindet sich Ihre Hoheit?“

Hoheit. „Ganz wohl.“

Hoheit zu mir. „Sind Sie wohl?“

Antwort. „Ja wohl, ich danke.“

Der Consul fängt nun an Geschäftliches zu sprechen und es folgen Fragen Seiner Hoheit über meine Reise.

„Wie gefällt Ihnen Persien? Haben Sie Kerbela, Bagdad, Masr und Stambul gesehen? Haben die Türken viel Soldaten? Wie viele hat Persien? Ist Persien fruchtbar? Wie gefällt Ihnen Zanzibar?“

Nachdem ich jede Frage zur Befriedigung Seiner Hoheit beantwortet hatte, gab er mir Einführungsbriefe an seine Beamten in Bagamoyo und Kaole, und einen allgemeinen Einführungsbrief an alle arabischen Kaufleute, die ich unterwegs treffen könnte, und schloss seine an mich gerichteten Worte mit der ausdrücklichen Hoffnung, dass es mir, was auch der Zweck meiner Mission sei, gut gehen möge.

Wir gingen mit denselben Verbeugungen von ihm fort, mit denen wir hereingekommen waren, und er begleitete uns bis an die Eingangsthür.

[S. 44]

Ein seit langer Zeit in Zanzibar lebender amerikanischer Kaufmann, Herr Goodhue von Salem, schenkte mir, als ich ihm Adieu sagte, ein edles kastanienbraunes Pferd, das vom Cap der Guten Hoffnung importirt und in Zanzibar mindestens 500 Dollars werth war.

Am 4. Februar, 28 Tage nach meiner Ankunft in Zanzibar, war die Expedition des New York Herald vollständig ausgerüstet und organisirt; die Zelte und Sattel waren fabricirt, die Boote und Segel fertig. Die Esel schrien und die Pferde wieherten ungeduldig nach der Reise.

Die Etikette verlangte, dass ich noch einmal meine Karte bei den europäischen und amerikanischen Consuln in Zanzibar abgab und jedermann Adieu sagte.

Am 5. ankerten vier Dhows vor dem amerikanischen Consulat; in eins derselben wurden die zwei Pferde gebracht, in zwei andere die Esel, in das vierte, welches das grösste war, die schwarze Begleitung und die viel Raum einnehmenden Tauschwerthe der Expedition.

Als ich eben den Befehl zur Abfahrt ertheilen wollte, fehlten die beiden Weissen, Farquhar und Shaw. Nach eifriger Nachforschung fand man sie irgendwo in den Schenken, in Gesellschaft von etwa einem Dutzend guter Kameraden. Dort hielten sie Reden über die Grösse der Kunst, Afrika zu erforschen und suchten sich vermittelst des Branntweins die schrecklichen Vorahnungen abzuwehren, welche sich ihnen heimtückisch hin und wieder aufdrängten und ihnen warnend zuraunten: es könne doch in den neuen Ländern, die sie kennenlernen sollten, trotz aller Romantik, mit der die Phantasie dieselben ausstatte, etwas stecken, was ... nun was ... —

„Kerls, macht, dass Ihr sofort in die Dhows kommt! Das ist ein schlechter Anfang, nachdem Ihr Eure Contracte unterzeichnet habt“, — sagte ich, als ich sie in Gesellschaft von Bombay und 4 bis 5 Mann von der neuangeworbenen Escorte zum Ufer wanken sah.

„Bitte, Herr, darf — darf — darf ich Sie wol fragen, glauben Sie, dass ich ganz richtig gehandelt habe, als ich Ihnen versprach, Sie nach Afrika zu begleiten?“ fragte Shaw in zögerndem und bewegtem Tone.

[S. 45]

„Habt Ihr nicht vorausbezahlt bekommen? Habt Ihr nicht den Contract unterzeichnet?“ fragte ich, „und jetzt wollt Ihr Euch zurückziehen? Macht, dass Ihr ins Boot kommt, rasch! Jetzt sind wir alle daran gebunden und müssen zusammen schwimmen oder untergehen, leben oder sterben. Keiner darf sich seiner Pflicht entziehen!“

Kurz vor 12 Uhr segelten wir ab. Die amerikanische Flagge, ein Geschenk der gütigen Frau Webb an die Expedition, wurde am Mast aufgehisst; der Consul, seine Frau und seine prächtigen Kinderchen Mary und Charley befanden sich auf dem Dache ihres Hauses und schwenkten das Sternenbanner, sowie Hüte und Taschentücher mir und den Meinigen als Abschiedsgruss zu. — Glückliche und gute Menschen, möge Euer Lebenslauf und der unserige vom Glück begünstigt sein und möge Gottes Segen auf uns allen ruhen!

[3] Ich weiche, wie man sieht, vom Kapitän Burton im Buchstabiren dieses Wortes ab, da ich den Buchstaben y für überflüssig halte.

[S. 46]

LAGER IN BAGAMOYO.

DRITTES KAPITEL.
DAS LEBEN IN BAGAMOYO.

Ankunft in Bagamoyo. — Gastfreundschaft der Jesuiten-Mission. — Leben in Bagamoyo. — Ali bin Salim. — Nächtliche Diebe. — Ein Esel wird gestohlen. — Verpackung der Ballen. — Schwierigkeit, Pagazis zu bekommen. — Transport- und Waaren-Kosten. — Sur Hadschi Pallu. — Seine Sünden. — Besuch bei Livingstone’s Karavane. — Ankunft des Dr. Kirk in Bagamoyo. — Klima von Bagamoyo. — Abreise der fünf Karavanen.

Langsam entzog sich die Insel Zanzibar mit ihren Hainen von Kokospalmen und Mangobäumen, von Gewürznelken und Zimmetstauden, und den gleichsam Schildwache haltenden Inselchen Tschumbi und French, mit ihrer weissgetünchten Stadt und ihren Düften von Johannisbrot, mit ihrem Hafen und den Seeschiffen unserm Blick, und im Westen erhob sich der afrikanische Continent, ein in Grün gehülltes Gestade, das dem ähnlich ist, welches zurückweichend sich jetzt in eine blosse sich über dem Horizont hinschlängelnde Linie verwandelt hat, und erschien in[S. 47] nördlicher Richtung als hohe Bergkette. Die Entfernung von Zanzibar nach Bagamoyo ist ungefähr 25 engl. Meilen, aber die langsamen, schwerfälligen Dhows brauchten 10 Stunden, ehe sie auf dem Korallenriff ankerten, welches wenige Fuss über dem Wasserspiegel, ungefähr 100 Meter von dem Ufer entfernt, sichtbar ist.

BAGAMOYO.

Die neuangeworbenen Soldaten, die Lärm und Aufregung liebten, gaben wiederholte Salven, um die am Ufer angesammelten Araber, Banyanen und Wasawahili zu begrüssen, die dort standen, um die Musungu (Weissen) zu empfangen, was sie durch allgemeines Angaffen und ein im Chor gebrülltes „Yambo, Bana“ (wie befinden Sie sich, Herr?) thaten.

Bei uns zu Lande ist ein von einer grossen Menschenmenge bereiteter Empfang eine etwas langweilige Operation, da unsere unabhängigen Bürger darauf bestehen, uns kräftig die Hand zu drücken, wodurch erst ihr Selbstbewusstsein zufriedengestellt und die friedliche Demonstration zum Abschluss gebracht wird; aber an diesem reichlich von Zuschauern besetzten Gestade genügte die Antwort: Yambo, Bana! Nur einer, der von allen Anwesenden als der Bedeutendste anerkannt wurde und der, wie alle grossen Männer, besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, kam hervor, um noch ein besonderes „Yambo“ seinerseits mit uns auszutauschen und uns die Hand zu drücken. Diese Persönlichkeit mit langem, herabhängendem Turban war Dschemadar Esau, Commandant der in Bagamoyo stationirten zanzibarer Soldatentruppe, Polizei- oder Belutsch-Gensdarmen. Er hatte Speke und Grant ein grosses Stück ins Innere begleitet und sie, wie alle andern englischen Reisenden, hatten ihn freigebig belohnt. Jetzt nahm er die Verantwortlichkeit auf sich, bei der Ausladung der Expedition zu helfen, und trotz seiner unwürdigen Erscheinung, seines schmählichen Schmutzes und behaarten Gesichts empfehle ich ihn doch wegen seines Einflusses auf den Pöbel allen künftigen ostafrikanischen Reisenden. Unter den ersten, die uns hier begrüssten, war ein Pater der Gesellschaft des heiligen Geistes, der mit den andern Jesuiten unter dem Superior Horner einen Missionsposten von bedeutendem Einfluss und Verdienst in Bagamoyo[S. 48] eingerichtet hat. Sie luden uns ein, von der Gastfreundschaft der Mission Gebrauch zu machen, unsere Mahlzeiten dort einzunehmen und, wenn wir es wünschten, unser Lager auf ihrem Grund und Boden aufzuschlagen. Aber wie liebenswürdig auch immer eine Bewillkommnung und wie aufrichtig herzlich eine Einladung sein mag, ziehe ich doch, wo es möglich ist, die Unabhängigkeit der Abhängigkeit vor. Ausserdem war mein Sinn für die Verpflichtungen eines Gastes gegen seinen Wirth gerade jetzt durch die zarte Nachsicht meines gütigen Wirths in Zanzibar geschärft worden, der kein Zeichen von Ungeduld über die Mühen, die ich ihm, wie ich nur zu gut wusste, verursacht, von sich gegeben hatte. Deshalb sagte ich dem gastfreundlichen Pater, dass ich mich nur auf eine Nacht von meinem Lager entfernen könne.

Ich suchte ein Haus nahe der westlichen Umgebung der Stadt aus, wo ein grosser, offener Platz liegt, durch den die Strasse nach Unyanyembé führt. Wäre ich einen ganzen Monat in Bagamoyo gewesen, so hätte ich keinen bessern Platz auswählen können. Meine Zelte wurden gegenüber dem Tembé (Hause), das ich mir ausgesucht hatte, aufgeschlagen und schlossen einen kleinen Platz ein, wo man Geschäfte abmachen, Waarenballen nachsehen, untersuchen und signiren konnte, ohne von der Zudringlichkeit Neugieriger belästigt zu werden. Nachdem ich die 27 Thiere der Expedition in einen eingehegten Platz hinter dem Hause hatte treiben lassen, die Güterballen aufgespeichert und einen Cordon von Soldaten herumgestellt hatte, begab ich mich, müde und hungrig, in die Jesuitenmission, um ein spätes Mittagsessen einzunehmen, und liess das neugebildete Lager unter Aufsicht der Weissen und des Kapitän Bombay.

Die Missions-Anstalt ist eine gute halbe Meile nördlich von der Stadt entfernt; sie bildet eigentlich ein Dorf für sich und zählt ungefähr 15–16 Häuser. Mehr als 10 Patres und ebenso viel Schwestern sind dort in der Niederlassung beschäftigt und alle haben sie genug damit zu thun, den Schädeln der Eingeborenen das Feuer der Intelligenz zu entlocken. Die Wahrheit zwingt mich zu sagen, dass sie dabei schöne Erfolge erzielt haben. Sie haben in der Anstalt[S. 49] mehr als 200 Zöglinge, sowol Knaben als Mädchen, und diese tragen, vom ältesten bis zum jüngsten, das Gepräge der brauchbaren Erziehung, die sie erhalten haben, an sich.

Das für die Väter und ihren Gast bereitete Mittagessen bestand aus ebenso viel Schüsseln, wie ein Hôtel erster Klasse in Paris sie zu geben pflegt, und war mit ebenso viel Kunst gekocht, obwol die Umgebungen keineswegs die gleichen waren. Ich bin überzeugt, dass die Patres ausser ihrem guten Geschmack für Speisen auch nicht ermangeln, ihre Gedanken durch die Flüssigkeit anzuspornen, die Horaz, Hafis und Byron so sehr gelobt haben. Der Champagner — man denke sich Cliquot in Ostafrika — Lafite, Larose, Burgunder und Bordeaux waren von allerbester Qualität und die sanften, demüthigen Blicke der Väter verklärten sich sichtlich unter dem Einfluss des Weines. Diese Väter verstehen das Leben und wissen seine Dauer zu würdigen. Ihre Festtafel treibt das Mukunguru (afrikanische Sumpffieber) von ihrer Thür und mildert den Trübsinn und das Gefühl der Verlassenheit, welche jeden mit Schrecken befallen, wenn man aus dem hellen Zimmer in das tiefe Dunkel der afrikanischen Nacht sich hinaus begibt, die nur durch das ermüdende eintönige Geräusch der Frösche und Heimchen und das ferne Geheul der Hyänen belebt wird. Es gehört etwas mehr als Menschenkraft dazu, um ohne Unterstützung der erheiternd wirkenden röthlichen Flüssigkeit stets leutselig und höflich unter den trüben Lebensverhältnissen der Eingeborenen Afrikas zu bleiben.

Nach dem Abendessen, das mir die fehlende Kraft wiedergegeben hatte und für das ich ausserordentlich dankbar war, kamen die fortgeschrittensten Zöglinge, etwa 20 an der Zahl, mit Blasinstrumenten heraus und bildeten ein vollständiges Musikchor. Ich war ziemlich erstaunt, so harmonische Töne von diesen wollköpfigen Burschen zu hören, bekannte französische Musik in diesem einsamen Hafen zu vernehmen und mir von Negerknaben, die vor einigen Monaten nichts als die Ueberlieferung ihrer unwissenden Mütter kannten, pariser Lieder über französische Tapferkeit und französischen Ruhm mit der ganzen Kaltblütigkeit von Gassenjungen der Vorstadt St. Antoine vorsingen zu lassen.

[S. 50]

Ich genoss eine sehr erquickende Nachtruhe und suchte bei Tagesgrauen mit frischem Muth für das neubeginnende Leben mein Feldlager auf. Als ich die Thiere zählte, fehlten zwei Esel, und als ich meine afrikanischen Tauschwerthe musterte, war eine Rolle Draht, Nr. 6, nicht zu finden. Offenbar hatten sich alle meine Leute auf den Boden geworfen, um zu schlafen, und hatten die Thatsache vergessen, dass auf dem Mrima viele Diebe nachts herumschleichen. Ich schickte also Soldaten in die Stadt, um dieselbe sammt ihrer Nachbarschaft zu durchsuchen, liess Dschemadar Esau, mit dem Schleppturban, schmutzigen Gesicht und Hals, von unserm Verlust in Kenntniss setzen und durch das Versprechen einer Belohnung dazu anspornen, die Thiere aufzusuchen. Vor dem Abend entdeckte man einen der fehlenden Esel ausserhalb der Stadt, wie er Maniokblätter frass, aber das andere Thier und die Drahtrolle fanden sich nicht.

Unter den Leuten, die mich an diesem ersten Tage meines Aufenthalts in Bagamoyo besuchten, befand sich Ali bin Salim, ein Bruder des berühmten Sayd bin Salim, früher Ras Kafilah, der bei Burton und Speke und darauf bei Speke und Grant gewesen war. Er war mit seinen Salaams sehr freigebig und ausserdem sollte sein Bruder mein Agent in Unyamwezi sein; ich zögerte mithin nicht, sein Anerbieten, mir zu helfen, anzunehmen. Aber leider wurde dieser Ali bin Salim gegenüber meiner dem Weissen eigenen Arglosigkeit zu einer Schlange, zu einem wirklich bösen Dorn in meinem Fleische. Ich wurde in sein bequemes Haus zum Kaffee gebeten und ging dorthin; der Kaffee war gut, aber ohne Zucker, seine Versprechungen waren zahlreich, aber ohne Werth. Er sagte zu mir: „Ich bin Ihr Freund, ich wünsche Ihnen zu dienen, was könnte ich für Sie thun?“ Ich antwortete: „Ich bin Ihnen sehr dankbar, ich bedarf eines guten Freundes, der die Sprache und Sitten der Wanyamwezi kennt und im Stande ist, mir sowol die Pagazis zu verschaffen, die ich brauche, als auch meine Weiterreise zu beschleunigen. Ihr Bruder ist mit den Wasungu (den weissen Männern) bekannt und weiss, dass Sie Ihr Wort halten. Schaffen Sie mir 140 Pagazis und ich will Ihnen dafür zahlen, was Sie fordern.“

[S. 51]

Mit salbungsvoller Höflichkeit sagte die Schlange, die ich hegte und pflegte: „Ich wünsche nichts von Ihnen, mein Freund, für einen so kleinen Dienst. Bleiben Sie ruhig und zufrieden. Sie sollen sich keine 14 Tage hier aufhalten. Morgen früh komme ich und werde mir Ihre Güter ansehen, um zu berechnen, was nöthig ist.“ Als ich mich von ihm verabschiedete, war ich von dem beglückenden Gedanken beseelt, dass ich bald auf dem Wege nach Unyanyembé sein würde.

Ich muss den Leser mit zwei ausreichenden Gründen bekannt machen, warum ich meine ganze Energie darauf verwenden musste, die Expedition so rasch wie möglich aus Bagamoyo fortzuführen: erstens wünschte ich Udschidschi zu erreichen, ehe die Nachricht zu Livingstone drang, dass ich ihn aufsuche; denn ich stellte mir vor, dass er, seiner Natur nach, es versuchen würde, sich lieber so weit als möglich von mir zu entfernen, als irgend etwas dazu zu thun, sich mir zu nähern, und dann hätte ich meine lange Reise umsonst gemacht. Zweitens sollte die Masika oder Regenzeit bald eintreten und wenn diese mich noch in Bagamoyo überraschte, so hätte ich meine Abreise bis nach Beendigung derselben aufschieben müssen, was mir einen Aufenthalt von 40 Tagen verursacht hätte, denn es sollte dann nach den übertriebenen Darstellungen der Leute, mit denen ich in Berührung gekommen war, 40 Tage ohne Unterbrechung regnen. Dies war, wie ich wusste, sehr zu fürchten, denn ich erinnerte mich einer grossen Reihe von Unannehmlichkeiten, die durch den Regen verursacht werden, z. B. des virginischen Regens und der ihn begleitenden Schrecknisse, der Feuchtigkeit, des Schimmels, der rheumatischen und Wechselfieber und ähnlicher Dinge; dann des englischen Regens, jenes jammervollen Sprühregens, welcher hypochondrisch macht; ferner der abessinischen Regenzeit, wo die Schleusen des Himmels geöffnet zu sein scheinen und ein allgemeiner Wolkenbruch stattfindet, der hinreicht, den halben Continent in ein paar Stunden unter Wasser zu setzen; schliesslich des Monsun oder indischen Platzregens, der jedermann absolut an das Haus fesselt. Mit welchem von diesen Regenarten sollte ich den schrecklichen Masika Ostafrikas[S. 52] vergleichen? Schrieb Burton nicht schon viel von dem schwarzen Schlamm in Uzaramo? Nun, was kann aus einem Lande werden, dessen Erdboden schon bei gutem Wetter schwarzer Schlamm genannt wird, wenn ein 40tägiger Regen es durchfeuchtet und die Füsse von Pagazis und Eseln es durchknetet haben? Dies waren naheliegende Erwägungen, wie sie durch die zeitweiligen Umstände gerechtfertigt waren, und ich wurde dadurch sehr beunruhigt.

Am nächsten Tage besuchte Ali bin Salim, treu seinem Versprechen, mein Feldlager mit sehr wichtiger Miene und theilte mir, nachdem er den Haufen Zeugwaaren besichtigt hatte, mit, dass ich sie mit Makandas, d. h. Binsenbeuteln, bedecken müsse. Er sagte, er werde mir einen Mann schicken, um dazu Maass zu nehmen, rieth mir aber, mit diesem nicht wegen der Beutel zu handeln, da er selbst alles in Ordnung bringen werde.

Während wir mit lobenswerther Geduld die 140 Pagazis, die uns Ali bin Salim versprochen hatte, erwarteten, beschäftigten wir uns mit allem, was man für nöthig halten konnte, um die ungesunde Seegegend zu durchziehen, sodass wir sie passiren könnten, ehe das schreckliche Fieber uns muthlos und schlaff machte. Ein kurzer Aufenthalt in Bagamoyo zeigte uns schon, was uns fehlte, was überflüssig und was nothwendig war. In einer Nacht wurden wir von einem Sturm und furchtbaren Regen heimgesucht. Ich hatte Pagazizeug im Werthe von 1500 Dollars in meinem Zelt. Am Morgen besah ich es und siehe da, der Drillich hatte den Regen wie ein Sieb hineingelassen und jeder Meter Tuch war nass. Es bedurfte zweier Tage, um die Tuche zu trocknen und wieder zusammenzufalten. Das Drillichzelt wurde also verworfen und eins aus Hanfsegeltuch Nr. 5 gemacht. Erst darauf gewann ich die Ueberzeugung, dass meine Zeugballen und die Munition für ein Jahr sicher seien und dem Masika Trotz bieten könnten. In der Eile unserer Abreise von Zanzibar und da ich damit nicht bekannt war, wie man Ballen zu packen habe, hatte ich mich dem bessern Urtheil und der Erfahrung eines gewissen Dschetta, eines Commissionärs, unterworfen, der mir meine Ballen für den Transport herrichtete. Dieser wog die Ballen nicht beim[S. 53] Zusammenpacken, sondern legte einfach Merikani, Kaniki, Barsati, Dschamdani, Dschoho, Ismahili schichtweise aufeinander und schnürte alles in Ballen. Ein paar Pagazis kamen in mein Lager und fingen an zu unterhandeln, wünschten aber erst die Ballen zu sehen, ehe sie den Handel abschlössen. Sie versuchten es, sie zu heben, aber o weh! der Versuch schlug fehl und sie gingen wieder ab. Ich liess darauf eine genaue Salter’sche Federwage aufhängen und hing einen Ballen an dieselbe; der Zeiger wies 105 Pfund oder 3 Frasileh nach, also gerade 35 Pfund oder 1 Frasileh Uebergewicht. Als ich alle Ballen in dieser Weise geprüft hatte, bemerkte ich, dass die Arbeit Dschetta’s, die nur nach allgemeinen Schätzungen gemacht worden war, trotz seiner Erfahrung mir bedeutende Mühe verursachte. Ich liess also durch die Soldaten die Ballen wieder öffnen und zusammenpacken, was nun in folgender Weise gemacht wurde. Wir zerschnitten ein Doti oder 4 Meter Merikani, wovon in Zanzibar das Stück von 30 Meter gewöhnlich 2 Doll. 75 cts. kostet, und breiteten es aus. Darauf nahmen wir ein Stück gute Merikani und falteten dasselbe in 3 Theile statt der 2 Falten, die es in den Fabriken von Nashua und Salem bekommen hatte, wodurch die Falten eine Breite von 1 Fuss erhielten. Ein solches Stück bildet die erste Schicht und wiegt 9 Pfund. Die zweite Schicht besteht aus 6 Stück Kaniki, einem blauen Stoff, der dem französischen blauen Blousenstoff oder dem amerikanischen blauen Barchent ähnlich, aber viel leichter ist. Die dritte Schicht wird aus einem zweiten Stück Merikani, die vierte aus noch 6 Stücken Kaniki, die fünfte aus Merikani, die sechste, wie vorher, aus Kaniki und die siebente und letzte aus Merikani gebildet. So hat man 4 Stück Merikani, die 36 Pfund wiegen, und 18 Stück Kaniki, die auch 36 Pfund wiegen, im ganzen also 72 Pfund oder etwas mehr als 2 Frasileh. Dann wird das erste Tuch einfach über diese Schichten gelegt und an den Ecken zusammengebunden. Hierauf nimmt man ein Bündel Kokosstricke, zwei Leute klopfen und pressen den Ballen mit einem hölzernen Hammer und binden das Ganze ebenso sorgfältig zusammen wie Matrosen ihr Takelwerk umwinden.

[S. 54]

Wenn solch ein Ballen fertig ist, bildet er eine solide Masse von 3½ Fuss Länge, 1 Fuss Höhe und 1 Fuss Breite. Solcher Ballen hatte ich 82 nach Unyanyembé zu transportiren, von denen 40 nur aus Merikani und Kaniki bestanden; die übrigen 42 enthielten die Merikani und farbigen Tuche, welche als Honga oder Tributtuche dienen und zum Miethen der übrigen Pagazis von Unyanyembé nach Udschidschi und von dort weiter verwendet werden sollten.

Der 15. Tag, zu welchem mir Ali bin Salim die Pagazis versprochen hatte, ging vorüber und keine Spur von einem Pagazi zeigte sich in meinem Lager. Ich schickte also den stierköpfigen Mabruki, einen von Burton’s Gefährten, zu Ali bin Salim, um ihm meine Salaams zu überbringen und die Hoffnung auszudrücken, dass er sein Wort halten werde. Nach einer halben Stunde kam Mabruki mit der Antwort von dem Araber zurück, dass er in ein paar Tagen im Stande sein werde, alle die Pagazis zusammenzubringen, „aber“, fügte Mabruki schlau hinzu, „Bana, ich glaube ihm nicht; er sprach so laut zu sich selbst, dass ich es hören konnte: «Warum sollte ich diesem Musungu Pagazis verschaffen? Seyyid Bargasch hat mir keinen Brief geschickt, sondern dem Dschemadar. Warum sollte ich mich um ihn bemühen? Möge doch Seyyid Bargasch mir einen Brief zu diesem Zweck schreiben, und ich will sie ihm in zwei Tagen verschaffen.»“ —

Nach meiner Ueberzeugung war es jetzt Zeit zu handeln. Ali bin Salim sollte einsehen, dass es ein übel Ding sei, mit einem Weissen, der ernstlich abreisen wollte, sein Spiel zu treiben. Ich ritt also in sein Haus, um ihn zu fragen, was er eigentlich meine.

Seine Antwort war, Mabruki hätte eine Lüge gesagt, die so schwarz sei wie sein Gesicht; wenn er (Ali) je etwas derartiges gesagt hätte, so wolle er selbst mein Sklave oder ein Pagazi werden. Aber hier brachte ich den redseligen Ali zum Schweigen und erwiderte ihm, dass ich nicht daran denken könne, ihn als Pagazi zu benutzen, ebenso wenig als ich Seyyid Bargasch bemühen wolle, ihm selbst einen Brief zu schreiben, oder von einem Menschen, der mich einmal, wie Ali bin Salim, hintergangen hätte, irgendeinen[S. 55] Dienst annehmen wolle. Es wäre daher besser, wenn Ali bin Salim aus meinem Lager wegbliebe und weder in Person noch durch Vertreter mit demselben verkehre.

Ich hatte 14 Tage verloren, denn Dschemadar Sadur in Kaole hatte sich nie aus seinem befestigten Hause in jenem Dorfe heraus bemüht, um mir zu dienen, sondern war nur einmal, nachdem er des Sultans Brief empfangen, zum Besuch bei mir gewesen. Auch der Zollhausbeamte in Kaole, Narandschi, der ganz und gar unter dem Druck des grossen Ludha Damdschi stand, war nicht dem bestimmten Ersuchen Ludha’s nachgekommen, mir Pagazis zu verschaffen, sondern hatte nur geblinzelt, genickt und versprochen, und wie es mir mit Ali bin Salim erging, habe ich eben erzählt. In dieser Noth erinnerte ich mich des Versprechens, das mir der grosse Kaufmann von Zanzibar, Tarya Topan, der mohammedanische Hindu, gemacht hatte, dass er mir einen Brief an einen jungen Mann namens Sur Hadschi Pallu geben wolle, der in Bagamoyo am besten im Stande sein sollte, Pagazis zu verschaffen.

Ich schickte also meinen arabischen Dolmetscher Selim in einem Dhow nach Zanzibar mit der inständigen Bitte an Kapitän Webb, dass er mir von Tarya Topan den so lange verschobenen Einführungsbrief verschaffe. Dies war die letzte Karte, die ich ausspielen konnte.

Am dritten Tage kam der junge Selim zurück und brachte mir nicht nur einen Brief an Sur Hadschi Pallu, sondern auch eine Menge guter Dinge aus dem stets gastfreien Hause des Herrn Webb. Sehr kurze Zeit nach dem Empfang des Briefes kam der ausgezeichnete junge Mann Sur Hadschi Pallu zu mir und theilte mir mit, dass er von Tarya Topan gebeten sei, für mich 140 Pagazis nach Unyanyembé so rasch wie möglich zu miethen. Dies wäre, wie er sagte, sehr kostspielig, denn es gäbe eine Menge von arabischen und wasawahilischen Kaufleuten, welche auf jede Karavane lauerten, die aus dem Innern käme, und diese pflegten 20 Doti oder 80 Meter Zeug jedem Pagazi zu zahlen. Da viele dieser Kaufleute nicht willens oder im Stande gewesen wären mehr zu zahlen, so hätten sie sechs Monate warten müssen, ehe sie ihre Leute bekommen hätten.

[S. 56]

„Wenn Sie“, fuhr er fort, „rasch fortzukommen wünschen, so müssen Sie 25–40 Doti bezahlen und dann kann ich Sie vor Ablauf eines Monats expediren.“

Ich erwiderte ihm darauf: „Hier sind meine Zeuge für die Pagazis im Werthe von 1750 Dollars oder 3500 Doti, welche ausreichen, um 25 Doti jedem der 140 Mann zu geben. Mehr als 25 Doti will ich nicht bezahlen. Schicken Sie mir 140 Pagazis mit meinem Zeug und Draht nach Unyanyembé und ich werde Sie mit dem grössten Geschenke, das Sie je erhalten haben, erfreuen.“ Mit erquicklicher Naivität erwiderte der „junge Mann“, dass er kein Geschenk wünsche, er werde mir die betreffende Anzahl Pagazis schon besorgen, und dann könnte ich den „Wasungu“ sagen, was für ein guter „junger Mann“ er sei, und er werde infolge davon den Vortheil haben, dass sein Geschäft zunähme. Er schloss diese Erwiderung mit der erfreulichen Bemerkung, dass er schon 10 Pagazis in seinem Hause habe, und wenn ich so gut sein wolle, 4 Ballen Zeug, 2 Beutel Perlen und 20 Rollen Draht in sein Haus bringen zu lassen, so könnten die Pagazis unter Bedeckung von drei Soldaten am nächsten Morgen Bagamoyo verlassen. „Denn“, bemerkte er, „es ist viel besser und billiger, viele kleine Karavanen als eine grosse zu expediren. Die grossen Karavanen laden zum Angriff ein oder werden von habsüchtigen Häuptlingen unter den albernsten Vorwänden aufgehalten, wogegen kleine unbemerkter vorüberziehen.“

Die Ballen und Perlen wurden richtig nach Sur Hadschi Pallu’s Haus geschickt und ich brachte den Tag damit zu, mich innerlich über mein grosses Glück zu freuen, des jungen Hindus geschäftliche Begabung, die Grösse und den Einfluss von Tarya Topan und Herrn Webb’s Güte anzuerkennen, die meine Abreise von Bagamoyo so sehr beschleunigt hatten. In meinem Geist gelobte ich, dem Sur Hadschi Pallu ein prächtiges Geschenk und eine grosse Reclame in meinem Buch angedeihen zu lassen, und mit frohem Herzen machte ich diese Soldaten für ihren Marsch nach Unyanyembé fertig.

Die Aufgabe, diese erste Karavane für den Weg nach Unyanyembé reisefertig zu machen, belehrte mich über mehrere Dinge, welche von meinen Vorgängern in Ostafrika[S. 57] unberücksichtigt gelassen worden sind und die, wenn ich sie rechtzeitig in Zanzibar gekannt hätte, mir im Ankauf und in der Auswahl der richtigen Zeugsorten von grossem Nutzen gewesen wären. Ich füge daher hier als Beispiel eine Kostenberechnung für die Expedition einer Karavane von 10 Pagazis und der drei sie bewachenden Soldaten nach Unyanyembé bei.

Transportkosten:
Miethgeld für 10 Pagazis zu 25 Doti à 50 cents 
$ 125.—  
Matamakorn auf 4 Tage
    1.—  
Nahrung unterwegs:
25 Doti Merikani
   12.50  
20 Doti Kaniki à 25 cents
    5.—  
2 Doti Taudschiri à 50 cents
    1.—  
9 Pfd. Sami-Sami
    3.05  
3 Pfd. Bubu
   —.33  
7 Pfd. Merikani
    1.05  
zusammen 
$ 148.93  
Nahrung für 3 Soldaten:
3 Pfd. Bubuperlen
$  —.33  
3 Pfd. Merikani
   —.45  
3 Pfd. Sami-Sami
    1.01⅔
7½ Doti Merikani
    3.75  
2 Doti Barsati
    1.—  
2 Doti Kaniki
    —.50  
Lohn für 3 Monate à 9 Dollars
   27.—  
An Geld für die Fähre über den Kingani
    2.—  
zusammen 
   36.04⅔
Kosten für die Pagazis 
$ 148.93  
Kosten für die Soldaten 
$  36.04⅔
Gesammtsumme 
$ 184.97⅔
Werth der Waaren, die von einem Theil der ersten Karavane expedirt wurden:
3 Ballen Zeug, welche enthalten:
 
90 Doti Kaniki zu 25 cents
$  22.50  
112½ Doti Merikani zu 50 cent
   56.25  
3 Lasten Draht oder 4 Frasileh
   36.87½
1 Beutel mit tausend Stück Sungomazzi
   14.—  
1 Beutel Sami-Sami oder 2 Frasileh
   26.—  
Summa 
$ 155.62½

[S. 58]

Es übertrafen also die Transportkosten den Werth der transportirten Waaren um etwas mehr als 29 Dollars. Wenn ich nun 100 Pagazis expedirte, würden die Transportkosten für zehnmal so viel Transportgüter, wie sie oben berechnet sind, $1849.76⅔ betragen, während der Werth der Waaren sich selbst auf die Summe von $1556.25 berechnet, was zusammen $3406.1⅔ ausmacht.

Und da ich gerade bei diesem Transportsystem bin, so kann ich, als methodisch verfahrender Mann, die Kostenrechnung eines Theils der dritten Karavane mit verzeichnen, die mein weisser Diener Farquhar führte und welche aus 10 Eseln, 3 Soldaten, einem Weissen und einem Koch bestand, damit der Leser die Ausgaben vergleichen könne, denn ich lasse aus der Rechnung nichts fort.

Transportkosten:
Für 9 Lastesel à 18 Dollars 
$ 162.—
Für einen Esel für den Weissen
   18.—
Für 10 Sattel
   17.60
Ein Sattel kostet: an Segel­tuch 33½ cts.; Bind­faden 5 cts.; Baum­wolle 25 cts.; Eisen­ringen 10 cts.; ameri­kani­schem Drillich 15 cts.; Baum­wollen­band 12½ cts. und an Stricken 20 cts.
 
zusammen 
    1.21
3 Monat Gehalt für den Koch à 9 Dollars
   27.—
3 Monat Gehalt für den Weissen à 25 Dollars
   75.—
Ein Zelt
    8.—
4 Pfd. Zucker
   —.25
Thee
    4.—
Arznei
    3.—
Reis
    1.—
Sold für 3 Soldaten à 9 Dollars
   27.—
Fährgeld
    2.—
16 Mass Matamakorn
    1.—
An Futter für die Esel 16 Doti Merikani
    8.—
Nahrung für 5 Leute 25 Doti
   12.50
15 Pfd. Perlen
    3.—
Summa 
$ 370.56
Werth der beförderten Waaren:
18 Ballen Zeug, welche enthalten:
540 Doti Kaniki à 25 cts
$; 135.—
675 Doti Merikani à 50 cts
  337.50

[S. 59]

Die Transportkosten sind in diesem Falle viel geringer, und zu Gunsten des Esels als Lastthier spricht, dass er viel mehr forttragen kann als 2 Pagazis. 2 Pagazis mit allem Dazugehörigen kosten ungefähr $37.1, 1 Esel dagegen unter denselben Bedingungen ungefähr $36.40. Das geht aus den oben angeführten Zahlen hervor. Aber Farquhar hätte ebenso gut 20 Esel nach Unyanyembé führen können wie 10 und dann hätten sich die Transportkosten noch sehr zu Gunsten der Esel geändert. Wenn wir nun in Betracht ziehen, dass Burton’s 33 Esel alle starben, ehe sie Unyanyembé erreichten, so müssen wir auch nicht vergessen, dass er uns erzählt, wie seine sämmtlichen Pagazis unterwegs desertirt sind oder den Versuch zur Desertion machten. Wir werden also besser im Stande sein, den relativen Werth der Esel und der Pagazis zu beurtheilen, nachdem ich in Unyanyembé angekommen bin. Bis dahin will ich die Frage offen lassen.

Der Abgang der ersten Karavane klärte mich auch in Bezug auf die Honga oder den Tribut auf. Dieser musste für sich allein zusammengepackt werden und aus den allerbesten Tuchen bestehen, denn die Häuptlinge sind nicht nur habgierig, sondern auch sehr wählerisch und nehmen das dünne, farbige Zeug der Pagazis nicht an, müssen vielmehr ausserordentlich schöne und sehr theure Dabwani, Ismahili, Rehani oder Sohari und Dotis von breitem Scharlachtuch erhalten. Der Tribut für die erste Karavane betrug 25 Dollars. Da ich mehr als 140 Pagazis abzuschicken hatte, so würde dieses Tributgeld schliesslich 330 Dollars in Gold betragen, wobei noch ein Agio von 25 cents auf jeden Dollar zu rechnen ist. Dieses bedenke, o Reisender! ich setze dir diese Thatsache zur speciellen Belehrung auseinander.

Aber ehe mich meine erste Karavane verliess, mussten der würdige Jüngling Sur Hadschi Pallu und ich zu einer schliesslichen Verständigung über die Geldangelegenheiten gelangen. Am Morgen, an dem die Abreise stattfinden sollte, kam Sur Hadschi Pallu in meine Hütte und überreichte mir mit der ehrbarsten Miene der Unschuld eine Rechnung darüber, dass er jeden der Pagazis mit 25 Doti als Miethgeld nach Unyanyembé versehen habe, und bat sich sofortige[S. 60] Bezahlung in Gold aus. Worte können das Erstaunen, das ich fühlte, gar nicht ausdrücken, dass dieser so schlau aussehende Jüngling so bald den mündlichen Contract vergessen haben sollte, den ich mit ihm am Morgen vorher abgeschlossen hatte, welcher dahin lautete, dass von den 3000 in meinem Zelte lagernden Doti, die ausdrücklich für das Miethen von Pagazis angeschafft waren, jeder meiner Lastträger von Bagamoyo nach Unyanyembé bezahlt werden solle. Als ich ihn fragte, ob er sich des Contractes erinnere, bejahte er dies; seine Gründe, ihn so bald zu brechen, bestanden darin, dass er lieber seine eigenen Zeuge als die meinigen verkaufe, für seine Tuche brauche er aber Geld und könne für dieselben keine andern in Tausch nehmen. Ich gab ihm jedoch zu verstehen, dass er, da er die Pagazis für mich anschaffe, meine Pagazis auch mit meinen Zeugen zu bezahlen habe; dass ich ihm nicht mehr Geld zu zahlen gedenke, als genau die Summe, die nach meinem Dafürhalten den Mühen, die er als mein Agent gehabt, entspreche und dass er nur auf diese Bedingungen hin in dieser Angelegenheit wie in jeder andern für mich zu handeln habe, kurz, dass der „Musungu“ nicht daran gewöhnt sei, sein Wort zurückzunehmen.

Das Vorstehende fasst eine grosse Anzahl Worte in wenige zusammen. Er repräsentirt ein einstündiges Zwiegespräch, einen bösen Zank von einer halben Stunde, ein Gelübde des Sur Hadschi Pallu, dass, wenn ich seine Zeuge nicht nehme, er sich auch um mein Geschäft durchaus nicht kümmern werde, viele Thränen, Bitten, schmerzliche Reue und noch manches andere, worauf ich einfach erwiderte: „Thun Sie, was ich von Ihnen verlange, oder thun Sie gar nichts!“ Schliesslich kam die Sache zu einem glücklichen Ende. Sur Hadschi Pallu verliess mich mit heiterm Gesichte, denn er nahm Poscho (Nahrungsmittel) für die drei Soldaten und Honga (Tribut) für die Karavane mit sich. Wohl mir, dass es so endete, und dass die spätern Streitigkeiten ähnlicher Art immer so friedlich verliefen, sonst bezweifle ich, dass meine Abreise von Bagamoyo so rasch vor sich gegangen wäre, wie es der Fall war. Da ich gerade bei diesem Thema bin, welches factisch jeden Augenblick[S. 61] meiner Zeit in Bagamoyo in Anspruch nahm, so kann ich gleich in Bezug auf Sur Hadschi Pallu und seine Verbindung mit meiner Expedition ausführlicher sprechen.

Sur Hadschi Pallu war ein gewandter junger Geschäftsmann, energisch, ein rascher Rechner und schien zum glücklichen Kaufmann geboren. Seine Augen ruhten nie, sie wanderten über jeden Theil meines Körpers, über das Zelt, das Bett, die Flinten, die Tuche, und nachdem sie ihren Rundgang beendet, fingen sie ihn schweigend von neuem an. Seine Finger lagen nie still, sie hatten eine unruhige, nervöse Thätigkeit in ihren Spitzen und waren beständig im Begriff, nach etwas herumzufühlen. Während er mit mir sprach, pflegte er sich überzulehnen und das Gewebe meines Hosenstoffes, meines Rockes, oder meine Schuhe und meine Socken zu befühlen. Dann fühlte er sein eigenes leichtes Dschamdani-Hemd oder Dabwani-Lendentuch an, bis sich seine Augen zufälligerweise auf einen neuen Gegenstand hefteten, sein Körper sich überbeugte und sein Arm sich mit den ungeheuern Fingern danach ausstreckte. Auch waren seine Kinnladen in einer beständigen Bewegung, die durch die schlechte Gewohnheit bedingt war, Betelnuss mit Kalk und bisweilen Taback mit Kalk zu kauen. Sie gaben einen schnalzenden Ton von sich, ähnlich wie ein junges Ferkel beim Saugen. Er war ein frommer Mohammedaner und beobachtete die äusserlichen Ceremonien der wahrhaft Gläubigen. Er pflegte mich freundlich zu grüssen, seine Schuhe abzunehmen und in mein Zelt immer mit der Versicherung einzutreten, dass er nicht werth wäre, in meiner Gegenwart zu sitzen, und nachdem er sich gesetzt hatte, brachte er in umständlichster Weise sein Anliegen vor. Von Ehrlichkeit, wirklicher praktischer Ehrlichkeit wusste dieser Jüngling nichts; die reine Wahrheit war ihm völlig fremd; die Lügen, die er während seines kurzen Lebens gesagt hatte, schienen ihm schon den kühnen Blick der schuldlosen Jugend aus den Augen ausgelöscht, selbst den Schein aller Wahrhaftigkeit aus den Zügen verbannt, kurz ihn, ein Bürschchen von 20 Jahren, zu einem vollendeten Schurken und completen Betrüger gemacht zu haben.

Während der 6 Wochen, die ich in Bagamoyo war und[S. 62] auf meine Leute wartete, hat mir dieser 20jährige Bursche so viel Mühe gemacht, als alle Schurken von New York zusammengenommen dem dortigen Polizeipräsidenten bereiten. Zehnmal den Tag ertappte man ihn auf Unehrlichkeiten, aber er schämte sich nie darüber. Er schickte z. B. seine Rechnungen über das Zeug, womit er die Pagazis versehen hatte, ein und behauptete, dass er jedem 25 bezahlt hätte. Als ich jemand hinschickte, der die Sache untersuchen musste, stellte sich heraus, dass die grösste Zahl 20 und die niedrigste nur 12 betrug. Sur Hadschi Pallu gab an, die Zeuge wären alle von erster Qualität gewesen, Ulyahtuche, welche auf dem Markte viermal so viel werth seien, als die gewöhnliche Sorte, die den Pagazis gegeben wird; aber eine persönlich angestellte Untersuchung erwies, dass es die dünnsten verkäuflichen Stoffe waren, z. B. 2½ Fuss breite amerikanische Leinwand, wovon das Stück von 30 Meter in Zanzibar 2¾ Dollars kostet, oder die geringste Sorte Kaniki, von denen gewöhnlich 20 Stück 9 Dollars kosten. Er kam auch noch persönlich in mein Lager, um 40 Pfd. Sami-Sami, Merikani und Bubuperlen als Poscho oder Rationen für die Karavane zu verlangen. Eine Besichtigung ihrer Vorräthe vor der Abreise aus dem ersten Lager hinter Bagamoyo wies ein Manco von ungefähr 5–30 Pfund nach. Ferner betrog er mich auch um baares Geld, verlangte z. B. 4 Dollars für die Kingani-Fähre für je 10 Pagazis, während das Fährgeld doch nur 2 Dollars betrug, und für Poscho eine ganz übertriebene Masse Pice (eine Kupfermünze, die ungefähr ¾ Cents beträgt). Vier Wochen lang wurde dies Betrugssystem täglich fortgesetzt. An jedem Tage entwarf er ein Dutzend neuer Pläne, jeden Augenblick schien er sich zu überlegen, wie er uns plündern konnte, bis ich schliesslich nicht mehr wusste, wie ich ihn daran hindern sollte, denn wenn ich ihn der Menge seiner Genossen gegenüber enthüllte, so brachte das keine Schamröthe auf seine fahlen Wangen, er hörte dann mit einem Achselzucken zu; das war alles und dies konnte ich mir auslegen, wie ich wollte. Eine Drohung, sein Geschenk zu verkürzen, hatte gar keine Wirkung. Ein Vogel in der Hand war für ihn mehr werth als zwei auf dem Dache und daher waren ihm gestohlene[S. 63] Waaren im Werthe von 10 Dollars, die er aber factisch besass, von grösserm innern Werth als 20 Dollars, deren Besitz ihm nach einigen Tagen zugesichert wurde, selbst wenn das Versprechen von einem Musungu herrührte.

Die Leser werden sich natürlich fragen, warum ich nicht nach der ersten Entdeckung dieses schamlosen Verfahrens mein Geschäft mit ihm abbrach, worauf ich zu erwidern habe, dass ich nicht ohne ihn auskommen konnte und dass ich mich nie von einem andern Menschen so abhängig gefühlt habe; ohne seine Hülfe oder die eines eben solchen Menschen hätte ich in Bagamoyo wenigstens sechs Monate mich aufhalten können, nach welcher Zeit die Expedition unnütz geworden wäre, da sich das Gerücht von derselben überall hin verbreitet haben würde. Die sofortige Abreise aus Bagamoyo war für meinen Erfolg nothwendig, später konnte ich mein eigenes Schicksal zum grossen Theil selbst lenken.

Das waren die grössten Sorgen, die ich in dieser Zeit hatte. Ich habe schon gesagt, dass ich Pagazikleidung im Werthe von 1750 Dollars oder 3500 Doti bei mir führte, die in meinem Zelte noch neben meinen übrigen Ballen aufgestapelt lagen. Da ich 140 Pagazis zu 25 Doti berechnet hatte, so glaubte ich genug zu haben; dennoch betrug Sur Hadschi Pallu’s Rechnung ausserdem noch 1400 Dollars baar, obwol ich dem jungen Hindu zu beweisen versucht hatte, dass ein Musungu kein Narr oder blind gegen seine Diebstähle sei; obgleich die 3500 Doti verausgabt waren und ich nur 135 Pagazis zu 25 Doti bekommen hatte, die eigentlich zusammen nur 3200 Doti kosteten. Er gab vor, er habe 240 Doti Ulyakleider für Muhongo angeschafft, die einen Werth von 960 meiner Doti hätten, das Geld sei für Fähren-Pice und Geschenke an die Karavanenhäuptlinge, die aus Zelten, Gewehren, breitem, rothem Tuch bestanden hätten, sowie für dergleichen an die Leute von der Mrima (Küste), damit sie uns Pagazis auftrieben, verausgabt worden. Als ich diese niederträchtige Betrügerei sah, wurde ich wüthend und erklärte ihm, er würde, wenn er seine Rechnung nicht nochmals überrechnete und berichtigte, nicht einen einzigen Pice bekommen.

[S. 64]

Aber ehe ich dies bewerkstelligen konnte, musste, da meine Worte, Drohungen und Versprechungen unberücksichtigt von seinem harten Schädel abprallten, ein Mann, namens Kandschi, aus dem Magazin von Tarya Topan in Zanzibar herüberkommen, und dann erst wurde die Rechnung schliesslich auf 738 Dollars heruntergebracht. Ohne Tarya Topan zu nahe treten zu wollen, bin ich doch ausser Stande festzustellen, ob Kandschi oder Sur Hadschi Pallu der vollendetere Schurke ist. Um mich der Worte eines Weissen, der beide kennt, zu bedienen, „es ist kein Strohhalm breit Unterschied zwischen ihnen“. Kandschi ist schlau und versteckt, Sur Hadschi Pallu dreist und unverbesserlich. Aber Friede ihnen beiden; mögen ihre geschorenen Häupter niemals mit der Sorgenkrone geschmückt werden, die ich in Bagamoyo getragen habe.

Theurer, freundlicher Leser, glaube nur nicht, dass, wenn ich mich in diesem oder irgendeinem andern Kapitel über scheinbar unbedeutende und alltägliche Dinge auslasse, diese hätten unerwähnt bleiben sollen. Jedes Titelchen, das ich erzähle, ist eine Thatsache, und Thatsachen kennen lernen heisst Erfahrungen machen. Wie könnte ich Dir überhaupt meine Erfahrungen mittheilen, wenn ich nicht auf diese elenden Einzelheiten einginge, die den Fremdling bei seiner ersten Ankunft in schwere Verlegenheiten stürzen? Wenn ich ein Regierungsbeamter gewesen wäre, so hätte ich nur meinen Finger zu bewegen brauchen, um meine volle Zahl Pagazis innerhalb einer Woche zu haben, aber als ein Individuum ohne officielle Würden und ohne allen Regierungseinfluss, musste ich mich gedulden, meine Zeit abwarten und ruhig meinen Grimm herunterschlucken. Doch war nicht alles Brot, das ich ass, so sauer wie dieses.

Farquhar und Shaw, meine Weissen, arbeiteten fleissig an wasserdichten Zelten von Hanfsegeltuch, denn ich ersah aus den vorangehenden Regengüssen, die die Annäherung des Masika bezeichneten, dass ein gewöhnliches Zelt von leichtem Zeug mich der Feuchtigkeit und meine Waaren dem Verschimmeln aussetzen würden, und da jetzt noch Zeit war, alle die Irrthümer, welche sich aus Unwissenheit oder übergrosser Eile in meinen Plan eingeschlichen hatten,[S. 65] zu corrigiren, so dachte ich doch, dass es nicht klug wäre, die Dinge sich ganz selbst zu überlassen. Jetzt, wo ich mit ungeschwächter Gesundheit zurückgekommen bin, obgleich ich 23 Fieberanfälle in der kurzen Zeit von 13 Monaten erlitten habe, muss ich gestehen, dass ich mein Leben erstlich der Gnade Gottes, zweitens dem Enthusiasmus für mein Unternehmen, welcher mich von Anfang bis zu Ende belebte, drittens dem Umstande, dass ich meine Constitution nicht durch Unmässigkeit oder Ausschweifungen ruinirt habe, viertens der Energie meiner Natur, fünftens einem angeborenen zur Hoffnung geneigten Temperament, das sich nie verstimmen liess, und sechstens der Maassregel verdanke, dass ich mich mit einem geräumigen Segeltuchhause, welches dicht gegen Wasser und alle Feuchtigkeit war, versehen habe. Hier möchte ich, wenn meine Erfahrung von irgendwelchem Werth ist, den Reisenden den Rath geben, dass sie sich ihrer eigenen Verstandeskraft bedienen und das beste und stärkste, was für Geld zu haben ist, sich anschaffen mögen, statt ihr besseres Urtheil den Launen eines Zeltmachers unterzuordnen, der sich bemühen wird, ihnen einen schönen Artikel seiner eigenen Fabrik aufzubinden, welcher für kein Klima passt; schliesslich erweist es sich als das billigste und kann vielleicht zur Erhaltung ihres Lebens beitragen.

In Bezug auf einen Punkt verfiel ich in einen grossen Irrthum, und damit zukünftige Reisende nicht eben denselben begehen, welcher für meinen Lebensgenuss sehr nachtheilig war, bespreche ich ihn hier.

Man muss sehr sorgfältig in der Wahl seiner Waffen, seien sie nur für die Jagd, oder zur Vertheidigung bestimmt, sein. Ein Reisender sollte wenigstens drei verschiedene Arten Schiessgewehre haben: erstens eine Vogelflinte, zweitens eine doppelläufige gezogene Flinte Nr. 10 oder 12, drittens ein Magazingewehr für die Vertheidigung. Für die Vogelflinte würde ich zu Nr. 12 rathen mit Läufen, die wenigstens 4 Fuss lang sind. Als gezogenes Gewehr für grösseres Wild weise ich, bei aller selbstverständlichen Achtung für alte Jäger, darauf hin, dass die besten Gewehre für afrikanisches Wild die englischen Lancaster- und Reillyflinten sind, und als Kampfwaffe, behaupte ich, ist die[S. 66] beste bisher erfundene das amerikanische Winchester-Repetir-Gewehr oder der sogenannte Sechzehn-Schiesser, wenn man dazu die Londoner Eley’sche Munition nimmt. Wenn ich als Kampfwaffe zum amerikanischen Winchester-Repetir-Gewehr rathe, so meine ich nicht, dass der Reisende dies zu Angriffszwecken mitzunehmen hat, wol aber als bestes Mittel für eine wirksame Vertheidigung, um sich gegen die Angriffe afrikanischer Banditen zu wehren, die doch wahrscheinlich irgend einmal vorkommen werden.

Bald nach meiner Rückkehr aus dem Innern traf ich mit einem jungen Manne zusammen, welcher seine Ueberzeugung dahin aussprach, dass das „Expressgewehr“ die vollkommenste Waffe für afrikanisches Wild sei. Möglicherweise hat der junge Mann in Bezug auf das Expressgewehr recht, aber er hat es nie gegen afrikanisches Wild versucht, und da ich es auch nicht gethan hatte, konnte ich seine Behauptung nicht bestreiten; aber ich war im Stande, meine Erfahrungen mit Gewehren anzuführen, welche die ganze Kraft des „Expressgewehres“ haben, und ihm zu sagen, dass, obwol die Kugeln die Thiere durchbohrten, sie dieselben fast nie auf den ersten Schuss zum Falle brachten. Andererseits konnte ich ihm mittheilen, dass während der Zeit, wo ich mit Dr. Livingstone reiste, dieser mir sein schweres Reillygewehr lieh, mit dem ich selten verfehlte, ein oder zwei Thiere ins Lager zu bringen, und dass ich dabei gefunden habe, dass die Fraserkugel allen beabsichtigten Zwecken entspricht. Die von Kapitän Speke und Sir Samuel Baker erzählten Heldenthaten können nicht mehr Gegenstand der Verwunderung für den jungen Jäger sein, wenn er ein Lancaster- oder Reillygewehr in der Hand hat; nach wenigen Minuten kann er es ihnen nachthun, ja sie sogar übertreffen, wenn er nur eine feste Hand hat. Um diesen Zweck zu fördern, habe ich vorstehendes geschrieben. Das afrikanische Wild verlangt „Knochenzerschmetterer“, denn ein gewöhnlicher Karabiner besitzt zwar die ausreichende Schusskraft, um in das Thier hineinzudringen, ist aber doch nicht im Stande, die Thiere zum Falle zu bringen, was ein Gewehr thun muss, wenn es sich einem Afrika-Reisenden nützlich erweisen soll.

[S. 67]

Ich war noch nicht lange in Bagamoyo, als ich nach dem Lager Mussoudi’s hinüberging, um die „Livingstone-Karavane“ zu besuchen, welche der britische Consul am 1. November 1870 ausgeschickt hatte, um Livingstone Hülfe zu leisten. Die Zahl ihrer Traglasten betrug 35 und diese bedurften ebenso vieler Menschen, um nach Unyanyembé transportirt zu werden. Die Leute, die diese Karavane zu begleiten hatten, bestanden aus sieben Johannesen und Wahiyau. Von diesen sieben waren vier Sklaven. Sie führten hier ein vergnügtes Leben, ohne an ihren Auftrag zu denken oder sich um die Folgen zu bekümmern. Was diese Leute die ganze Zeit über in Bagamoyo gethan haben, ausser ihren lasterhaften Neigungen zu fröhnen, begreife ich nicht. Es wäre Unsinn zu behaupten, dass es keine Pagazis gegeben habe, denn ich weiss, dass wenigstens 15 Karavanen seit dem Ramadan (15. December 1870) ins Innere abgegangen waren. Und die Livingstone-Karavane war schon am 2. November in der kleinen Stadt Bagamoyo angekommen und hier bis zum 10. Februar, im ganzen also 100 Tage, liegen geblieben, weil ihr die geringfügige Zahl von 35 Pagazis, die man durch den Einfluss des Consuls in zwei Tagen hätte bekommen können, fehlte. Wenn der britische Consul sich damit entschuldigt, er habe gar nicht gewusst, dass seine für Livingstone bestimmten Vorräthe noch in Bagamoyo wären, so beweist mir das nur, dass er in strafwürdigster Weise seine Pflicht gegen einen britischen Unterthan und Collegen vernachlässigt habe, der selbst bis auf seinen Lebensunterhalt völlig von ihm abhing. Denn am ersten Abend meiner Ankunft in Zanzibar erfuhr ich, dass eine Karavane in Bagamoyo in Begriff stand abzureisen, um dem Dr. Livingstone Vorräthe ins Innere zu bringen. Damals wusste ich noch gar nicht, ob es ein schweres oder leichtes Ding sei, eine Karavane ins Innere zu expediren. Man kann sich daher meine Verwunderung leichter vorstellen, als ich sie zu beschreiben vermag, wie ich die Entdeckung machte, dass diese Karavane, die nur 35 Mann brauchte und vom britischen Consul abgeschickt worden war, Zanzibar am 1. oder 2. November 1870 verlassen hatte und sich noch am 10. Februar 1871, also volle hundert Tage,[S. 68] in Bagamoyo im Lager befand. Da warf ich mir die Frage auf, wie viel Tage vergehen müssten, bis ich, ein blosser Privatmann, 140 Leute zusammenbringen könnte, wenn die kleine Zahl von 35 Mann noch nicht innerhalb 100 Tagen von einem britischen Consul zusammengebracht werden konnte.

Ungefähr am 10. Februar verbreitete sich das Gerücht in den Bazars von Bagamoyo und von dort aus in meinem Lager, dass der „Balyuz“ (technischer Ausdruck für Gesandter) nach Bagamoyo kommen werde, um den Abgang der Livingstone-Karavane zu beschleunigen. An demselben Abend nun oder am nächsten Morgen ging dieselbe aus Furcht ins Innere ab, aber nur mit vier Mann Begleitung.

Zwei Tage darauf erschien das englische Regierungsschiff „Columbine“, Kapitän Tucker, auf der Höhe von Bagamoyo, mit Dr. Kirk, dem britischen Consul und politischen Residenten an Bord. An dem Abende der Ankunft ritt ich zur französischen Mission hinauf, wo Dr. Kirk, Kapitän Tucker und sein Adjutant in Begleitung des französischen Consuls, M. de Vienne, einer gastfreien Einladung des Pater Horner, dem Superior der Missions-Gesellschaft, gefolgt waren. Ich fand sie bei Tische und wurde zu einem Glas Wein eingeladen. Die Unterhaltung drehte sich theilweise um die Freuden, die man sich von einer Jagd versprach, zu welcher die Vorbereitungen eben getroffen wurden.

Um 6 Uhr am nächsten Morgen machten sich Dr. Kirk, Kapitän Tucker, sein Adjutant, Consul de Vienne und Pater Horner nach dem Kingani-Flusse auf. Später am Tage ging auch ich mit Farquhar, Shaw und Sayd bin Sayf nach dem Kingani, um dort Nilpferde zu schiessen.

Als wir uns auf dem Rückwege nach dem Lager befanden, begegneten wir dem Pater Horner auf der Ebene des Kingani, welcher, wie er sagte, aus Kikoka, dem ersten Lager auf dem Wege nach Unyanyembé von Bagamoyo aus, kam, wohin er in Begleitung der Jäger gegangen war.

Am folgenden Freitag Abend kehrte die Gesellschaft des englischen Consuls von der Jagd zurück. Ich speiste mit ihnen zu Abend, wo ihre Erlebnisse in den Wäldern[S. 69] auf dem andern Ufer des Kingani den hauptsächlichsten Gegenstand der Unterhaltung bildeten. Dr. Kirk sagte mir, dass die Offiziere der „Columbine“ mit ihren gezogenen Erbsenflinten nicht im Stande gewesen wären, irgend etwas zu schiessen; er allein hätte einige Thiere erlegt, und um irgendetwas zu bekommen, wäre er genöthigt gewesen, allein in den Wald zu gehen. „Jetzt wissen sie“, sagte Dr. Kirk mit Bezug auf die Offiziere, „was man vom Snidergewehr zu halten hat, wenn es gegen afrikanisches Wild gebraucht wird.“

Um 9 Uhr am nächsten Morgen besuchten mich Dr. Kirk und ein französischer Pater in meinem Lager. Der erstere liess sich nicht überreden, eine Tasse Thee zu nehmen, da er, wie er mir sagte, im Begriff sei, sich nach der Livingstone-Karavane umzusehen. Ungefähr um 11 Uhr vormittags hörte ich, dass Dr. Kirk sich an Bord der „Columbine“ begeben habe und dass auch die Kinder der französischen Missionsgesellschaft mit einem vollen Orchester von Blasinstrumenten hingegangen wären, um die Matrosen zu unterhalten. Zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags segelte die „Columbine“ nach Zanzibar zurück.

Bagamoyo hat ein sehr angenehmes Klima. Es ist in jeder Beziehung dem von Zanzibar sehr vorzuziehen. Wir konnten in freier Luft schlafen und standen am Morgen erfrischt und gesund auf, um unser Frühbad im Meere zu geniessen, und bei Sonnenaufgang waren wir schon mit verschiedenartigen Vorbereitungen für unsere Abreise beschäftigt. Unsere Tage wurden durch Besuche von den Arabern belebt, die auch nach Unyanyembé gehen wollten. Ferner kamen komische Scenen im Lager vor; bisweilen Kriegsgerichte, die über die Widerspenstigen abgehalten wurden; Boxerkämpfe zwischen Farquhar und Shaw, die auch mein Einschreiten erforderlich machten, wenn sie gar zu hitzig wurden; hin und wieder ein Jagdausflug nach der Ebene und dem Fluss Kingani; gesellige Unterhaltungen mit dem alten Dschemadar und seiner Belutschenbande, die nie müde wurden, mich vor der Ankunft der Masika zu warnen und mir den Rath zu ertheilen, mich so rasch wie möglich auf den Weg zu machen, ehe die Reisezeit vorüber sei.

[S. 70]

John Shaw pflegte sehr verdriesslich zu werden, so oft diese Besuche von den schwarzen Magnaten von Bagamoyo stattfanden. Bei diesen Gelegenheiten war es nämlich meine erste Pflicht, nach der Sitte der Araber, ihnen Erfrischungen und Kaffee anzubieten, und zwar sie zuerst zu bedienen und dann erst das Präsentirbret den Weissen darzureichen.

Ich bemerkte hierbei, dass Shaw sehr ungehalten aussah, und als ich mich nach der Ursache erkundigte, sagte man mir, ich habe ihn dadurch sehr beleidigt, dass ich die Araber oder „Niggers“, wie er sie zu nennen beliebte, eher als ihn, einen Weissen, habe bedienen lassen. Der arme Shaw war unwissend wie ein Kind in Bezug auf die ihm in jenem Lande, nach welchem sich jetzt seine Gedanken richteten, noch bevorstehenden Widerwärtigkeiten. Was würde er nicht darum gegeben haben zu wissen, dass noch ganz andere Beschwerden, als diese seiner Farbe angethane Beleidigung, ihm auf dieser gefahrvollen Expedition bevorständen. Er bewies es deutlich, dass der ungebildete Angelsachse nicht geeignet ist zu reisen und mit andern Rassen in Verkehr zu treten.

Im Verlaufe der Zeit fand ich, dass es nothwendig war, Farquhar und Shaw von einander zu trennen; denn der letztere hatte keine Spur von Humor in seinem Wesen, aber eine sehr leicht verletzliche Eitelkeit und einen himmelhoch fliegenden, grenzenlosen Ehrgeiz.

Ich glaubte, Farquhar würde für sich allein viel besser daran sein, als mit Shaw zusammen, der ohne Zweifel eine für Farquhar’s Charakter und Intelligenz höchst aufregende Manier hatte. Deshalb erwählte ich ihn dazu, die dritte Karavane ins Innere zu führen, und nachdem ich ihm dies angekündigt hatte, war der Friede sogleich zwischen den widerspenstigen Gegnern hergestellt.

Unter den bei meiner Expedition beschäftigten Leuten befanden sich zwei Hindus und zwei Goanesen. Diese hatten die Vorstellung gewonnen, dass das Innere von Afrika ein Eldorado sei, dessen Boden mit Elfenbeinzähnen bestreut wäre, und hatten sich, als ihre Einbildungskraft so erhitzt war, zusammengethan, um auf eigene Hand eine kleine[S. 71] Unternehmung zu organisiren. Ihre Namen waren Dschako, Abdul Kader, Bunder Salaam und Aranselar. Dschako trat in meine Dienste als Zimmermann und Gehülfe für alles, Abdul Kader als Schneider, Bunder Salaam als Koch und Aranselar als Hauptmundschenk.

Aber Aranselar sah mit scharfem Blicke voraus, dass ich ihn wol stark beschäftigen würde, und benutzte daher den grössten Theil der ihm noch übrig bleibenden Zeit dazu, darüber nachzudenken, wie er sich seiner Verpflichtung entziehen könne. Auf seine Bitte erhielt er die Erlaubniss, nach Zanzibar zu gehen, um seine dortigen Freunde zu besuchen. Zwei Tage später hörte ich, dass er sich das rechte Auge ausgeschlagen hätte, und diese Thatsache sowie die Grösse der Verletzung wurde mir vom Dr. Christie, dem Arzt Seiner Hoheit Seyyid Barghasch, bestätigt. Seine Landsleute schienen mir etwas ähnliches im Plane zu haben, aber ein gemessener Befehl, nach Vorausbezahlung ihres Soldes keine solche Thorheit zu begehen, den ich an sie ergehen liess, genügte, um etwa derartige böse Absichten zu hintertreiben.

Eines Abends ertappten wir einen Pferdejungen beim Diebstahl bei den Ballen, und da war denn die Jagd nach ihm ins Land, bis er sich in den Dschungels unsern Blicken entzog, eine der angenehmsten Zerstreuungen, welche während unserer Vorbereitungen zum Marsche vorkamen.

Ich hatte jetzt vier Karavanen ins Innere abgesandt und die fünfte, welche die Boote und Kasten, mein persönliches Gepäck und einige Zeug- und Perlen-Ladungen befördern sollte, wollte ich selbst führen.

Nachstehend gebe ich eine Uebersicht über die Karavanen, wie sie der Reihe nach abgingen.

6. Februar 1871. Ankunft der Expedition in Bagamoyo.

18. Februar. Die erste Karavane mit 22 Pagazis und 3 Soldaten reist ab.

21. Februar. Abgang der zweiten Karavane mit 28 Pagazis, 2 Hauptleuten und 2 Soldaten.

25. Februar. Abgang der dritten Karavane mit 22 Pagazis, 10 Eseln, einem Weissen, einem Koch und 3 Soldaten.

[S. 72]

11. März. Abgang der vierten Karavane mit 55 Pagazis, 2 Anführern und 3 Soldaten.

21. März. Abgang der fünften Karavane mit 28 Pagazis, 12 Soldaten, 2 Weissen, einem Schneider, einem Koch, einem Dolmetscher, einem Gewehrträger, 17 Eseln, 2 Pferden und einem Hunde.

Die Totalsumme der Seelen, welche sich in den Karavanen der Expedition des „New York Herald“ befanden, betrug 192.

[S. 73]

BOMBAY UND MABRUKI.

VIERTES KAPITEL.
DURCH UKWERE, UKAMI UND UDOE NACH USEGUHHA.

Ankunft im ersten Lager „Schamba Gonera“. — Das Thal des Kingani. — Eine Brücke wird über den Kingani geschlagen. — Der Uebergang. — Ich schiesse auf Flusspferde. — Ankunft in Kikoka. — Eine noch nie von einem Weissen bereiste Route. — Rosako, Grenzdorf von Ukwere. — Unverschämte Neugier der Wagogo. — Mein Wachhund Omar. — Insekten. — Die Tsetse-Fliege. — Die Tschufwa-Fliege; Gefrässigkeit derselben. — Anfang der Masika oder Regenzeit. — Tod des arabischen Pferdes. — Unterredung mit dem Häuptling von Kingaru. — Tod des Braunen. — Marsch nach Imbiki. — Ankunft in Msuwa. — Plagen des Dschungels. — Eine Sklavenbande in Ketten. — Kisemo. — Die Schönen von Kisemo. — Khamesi’s Desertion und Bestrafung. — Uebergang über den Ungerengeri. — Die Hauptstadt Useguhha Simbamwenni. — Die Sultanin. — Stürmischer Streit mit Shaw. — Afrikanisches Wechselfieber. — Abgesandte der Sultanin.

[S. 74]

Von Bagamoyo nach:
 
 
St.
Min.
 
St.
Min.
Schamba Gonera 
 1
30 
Kisemo 
 4
30
Kikoka 
 3
40 
Mussoudi 
 4
20
Rosako 
 5
— 
Mikeseh 
 7
Kingaru 
 6
— 
Muhalleh 
 6
45
Imbiki 
 4
30 
Simbamwenni 
 3
Msuwa 
 4
30 
     

Ehe ich mit diesem Kapitel fortfahre, muss ich mich kurz bei meinen Lesern entschuldigen. Meine Wenigkeit steht voran in diesem Buche; ich bin genöthigt sie so darzustellen, wie sie wirklich war, nicht wie sie hätte sein sollen; wie sie sich betrug, nicht wie sie sich hätte betragen sollen; wie sie reiste, nicht wie sie hätte reisen sollen. Ich muss meines Gewissens halber alles genau berichten, wie es sich ereignet hat, und nach bester Fähigkeit die Ereignisse und Zufälligkeiten, wie sie bei der Expedition vorkamen, erzählen. Wie also auch der die Bequemlichkeit liebende Stubenhocker die Verdienste dieses Buches anschauen möge, so wird diesem doch gewiss grosses Lob und grosser Dank von Reisenden abgestattet werden, welche mir möglicherweise nach Ostafrika folgen, denn sie werden sofort sehen, welche nützlichen Lehren meine Glücks- und Unglücksfälle ihnen geben.

Am 21. März, gerade 73 Tage nach meiner Ankunft in Zanzibar, verliess die fünfte Karavane unter meiner Anführung und mit der Parole „Vorwärts“ die Stadt Bagamoyo auf unserer ersten Reise nach Westen. Als der Kirangozi die amerikanische Flagge aufrollte und sich an die Spitze der Karavane stellte, und Pagazis, Thiere, Soldaten und müssige Zuschauer sich in Reihen zum Marsche bereit gemacht hatten, sagten wir dem dolce far niente des civilisirten Lebens, dem blauen Ocean, der uns den Weg in die Heimat eröffnete, den hunderten von dunkelfarbigen Zuschauern, die sich versammelt hatten, um unsere Abreise mit wiederholten Musketensalven zu begrüssen, lebe wohl!

Unsere Karavane besteht aus 28 Pagazis mit Einschluss des Kirangozi oder Führers; aus 12 Soldaten unter Hauptmann Mbarak Bombay, welche 17 Esel und ihre Lasten zu beaufsichtigen[S. 75] haben; aus meinem jungen Dolmetscher Selim mit einem Esel und einem belasteten Karren; aus einem Koch und seinem Stellvertreter, der gleichzeitig Schneider und Gehülfe für alles ist und das graue Pferd führt; aus Shaw, dem ehemaligen Steuermann, der jetzt in einen Führer des Nachtrabs und Aufseher über die Karavane verwandelt ist und, mit einer nachenförmigen Kopfbedeckung und Wasserstiefeln versehen, auf einem guten Reitesel sitzt, und schliesslich aus mir selbst, auf einem herrlichen kastanienbraunen Pferde reitend (dem Geschenk des Herrn Goodhue, eines seit lange in Zanzibar lebenden Amerikaners), als „Bana Mkuba“, der „grosse Herr“, wie ich von meinen Leuten genannt werde, als Leiter, Reporter, Denker und Führer der Expedition.

Die verschiedenen Mitglieder der Karavane sind mir schon hinreichend bekannt; sie sind der Gegenstand meines Nachdenkens und Wählens gewesen und bisher habe ich keine Mängel an ihnen entdeckt, doch werde ich mich, da es zu weitläufig wird, ihre Charaktere zu beschreiben, einfach darauf beschränken, die Hauptpersonen nach ihrem Range hier aufzuzählen:

1. John W. Shaw, Nachhut und Aufseher. 2. Mbarak Bombay, Hauptmann der Soldaten. 3. Uledi (Speke’s Diener), Sergeant. 4. Mabruki (Burton’s Diener), Zeltwache. 5. Mabruki, der Kleine, Soldat. 6. Mabruk Salim, Soldat. 7. Zaidi, Soldat. 8. Kamna, Soldat. 9. Sarmian, Soldat. 10. Feradschi (ein Deserteur von Speke), Soldat. 11. Kingaru, Soldat. 12. Ambari, Soldat. 13. Selim (der Jüngling aus Jerusalem), arabischer Dolmetscher. 14. Bunder Salaam (aus Malabar), Koch. 15. Abdul Kader (ebenfalls aus Malabar), Schneider und Gehülfe. 16. Hamadi (Wangwana), Kirangozi. 17. Sarboko. 18. Dschafuneh. 19. Fardschalla. 20. Khamisi. 21. Asmani. 22. Tschamba. 23. Schubari. 24. Makoriga. 25. Khamis. Nr. 17–25 insgesammt Wangwana und mir als Pagazi dienend.

Es werden wol einige der Leute, welche hier aufgezählt sind, ganz andere Gewohnheiten und einen andern Charakter auf ihrem Wege nach Unyanyembé an den Tag legen, als ich mir vorstelle. Wir werden ihre Eigenthümlichkeiten[S. 76] besser beurtheilen, wenn wir erst in Tabora angekommen sind, wo eine allgemeine Musterung abgehalten und die Berichte der vier Karavanen, die uns vorausgegangen sind, entgegen genommen werden sollen. Im ganzen zählt die Expedition am Tage der Abreise 3 Weisse, 23 Soldaten, 4 Ueberzählige, 4 Hauptleute und 153 Pagazis, 27 Esel und 1 Karren, welche Zeuge, Perlen, Draht, Bootgeräthschaften, Zelte, Kochgeräthe, Schüsseln, Medicin, Pulver, Schrot, Musketen und Metallpatronen, Instrumente, kleine Lebensbedürfnisse, wie z. B. Seife, Zucker, Thee, Kaffee, Liebig’schen Fleischextract, Fleischconserven, Lichte u. s. w. transportiren, was alles in allem 153 Lasten ausmacht. Die Waffen der Expedition bestehen aus einem glatten, doppelläufigen Hinterlader, einer amerikanischen Winchesterflinte (einem sogenannten „Sechzehnschiesser“), einer gezogenen Henryflinte (auch Sechzehnschiesser), 2 Starr’schen Hinterladern, einem Jocelyn’schen Hinterlader, einer Elefantenflinte mit Kugeln, von denen 8 aufs Pfund gehen, 2 Revolvern mit Hinterladung, 24 Feuerschlossmusketen, 6 einläufigen Pistolen, einer Schlachtaxt, 2 Schwertern, 2 Dolchen (persische Kummers, die ich selbst in Schiras gekauft habe), einem Sauspiess, 2 vierpfündigen amerikanischen Beilen, 24 Hacken und 24 Metzgermessern.

Die Expedition ist sorgfältig ausgerüstet, nichts ist gespart worden, was sie brauchte, sondern für alles war gesorgt. Nichts war zu rasch gemacht, doch war alles mit der grösstthunlichen Eile, welche Mittel und Zweck gestatteten, gekauft, fabricirt und zusammengebracht. Wenn dieselbe ihre Aufgabe, recht rasch nach Udschidschi und zurück zu kommen, nicht löst, so muss das einem Zufall, der ausserhalb der Macht des Willens liegt, zugeschrieben werden. So viel über das Personal und den Zweck der Expedition, bis ihr Zielpunkt erreicht ist.

Wir verliessen Bagamoyo, von den Blicken vieler Neugierigen verfolgt, mit vielem Eclat und zogen dann eine enge Gasse hinauf, welche durch das dichte Laub zweier parallel laufenden Hecken von Mimosen fast in ein Dämmerlicht gehüllt war. Wir waren alle guten Muthes, die Soldaten sangen, der Kirangozi erhob seine Stimme in einem[S. 77] lauten, brüllenden Tone und liess die amerikanische Flagge flattern, welche allen Zuschauern sagte: „siehe da die Karavane eines Musungu!“ und mein Herz schien mir rascher zu schlagen, als es sich für das ernste Gesicht eines Führers passte, aber ich konnte es nicht zurückhalten, der Enthusiasmus der Jugend haftete mir noch an trotz meiner Reisen. Meine Pulse schlugen in voller Jugendkraft. Hinter mir lagen die Sorgen, welche mich mehr als zwei Monate gequält hatten. Ich hatte mein letztes Wort zu dem unehrlichen Sohn Hindostans, Sur Hadschi Pallu, gesprochen, hatte den letzten Blick auf die lärmende Masse von Arabern, Banyanen und Belutschen geworfen, den Jesuiten der französischen Missionsgesellschaft Lebewohl gesagt, und vor mir glänzte die Sonne der Verheissung auf ihrem Wege gen Westen. Um mich war alles lieblich; ich sah fruchtbare Felder, eine lachende Vegetation, merkwürdige Bäume; ich hörte das Zirpen der Heimchen, das Geschrei des Kibitz und das Summen vieler Insekten, welche mir alle zu sagen schienen: endlich bist Du auf dem Wege! Was konnte ich thun, als das Gesicht gegen den wolkenlosen Himmel erheben und rufen: „Gott sei Dank!“

Das erste Lager, Schamba Gonera, ungefähr 3¼ englische Meilen entfernt, erreichten wir in 1 Stunde 30 Minuten. Diese erste oder „kleine Reise“ lief verhältnissmässig sehr gut ab. Der Knabe Selim warf nicht mehr als dreimal mit dem Wagen um. Der Soldat Zaidi liess seinen Esel, der einen von meinen Kleiderkoffern und einen Munitionskasten trug, in einen Pfuhl schmutzigen Wassers fallen. Die Kleider mussten wieder gewaschen werden; der Munitionskasten war, Dank meiner Vorsicht, wasserdicht. Kamna war vielleicht mit der Kunst des Eseltreibens vertraut, hatte aber in seiner Freude über unsere Abreise bei seinen Liedern u. s. w. die Schwierigkeiten vergessen, mit denen ein Thier von reinem Eselsgeschlecht seiner Natur nach zu kämpfen hat, wie z. B. die Unkenntniss des richtigen Weges und die Unfähigkeit, der Versuchung zu widerstehen, Abstecher in die Tiefen eines Maniokfeldes zu machen; und der Esel, welchem die unter den Eseltreibern herrschende Sitte, einem Thiere einen Stock vor der Nase herumzuschwenken, nicht[S. 78] bekannt war und der die Richtung, die er einzuschlagen hatte, falsch auffasste, lief im vollsten Galop einen entgegengesetzten Weg hinauf, bis seine Ladung das Gleichgewicht verlor und er gezwungen war, zu Boden zu stürzen. Aber diese Zufälle waren nebensächlich, unbedeutend und gehörten zu einer ersten „kleinen Reise“ in Ostafrika. Hierbei kamen die Charaktere der Soldaten ein klein wenig zum Vorschein. Bombay erwies sich als ehrlich und vertrauenswürdig, aber etwas zur Saumseligkeit geneigt; Uledi schwatzte mehr als er arbeitete, während der fortgelaufene Feradschi und Mabruki Burton mit seiner unbrauchbaren Hand sich als treue und tüchtige Männer erwiesen, welche Lasten trugen, deren blosser Anblick die starkgliederigen Hamals von Stambul zum Seufzen gebracht haben würde.

Die Sattel waren ausgezeichnet und übertrafen alle Erwartungen. Das starke Hanfsegeltuch trug seine 150 Pfund, als ob es Leder gewesen wäre, und das Auf- und Abladen des verschiedenen Gepäcks wurde mit systematischer Eile betrieben. Kurz, es gab nichts zu bedauern; der Erfolg der Reise bewies, dass dieselbe nicht zu früh unternommen worden war.

Die folgenden drei Tage wurden dazu verwendet, die Vorbereitungen für die lange Landreise ganz zu vollenden und unsere Vorsichtsmassregeln gegen die Masika, die jetzt bedenklich nahe war, zu treffen, sowie unsere Rechnungen zu bezahlen. Die Soldaten und Pagazis benutzten noch die Zwischenzeit, um ihre Freundinnen zu besuchen, aber ich lasse mich auf die Chronique scandaleuse nicht ein.

Schamba Gonera bedeutet Gonera’s Feld. Gonera ist eine wohlhabende indische Witwe, die gegen die Weissen freundlich gesinnt ist. Sie exportirt viel Tuch, Perlen und Draht ins ferne Innere und importirt dafür wieder Elfenbein. Ihr Haus ist nach dem Muster der Stadthäuser gebaut und hat ein langes, schräg vorspringendes Dach, welches kühlen Schatten gibt, in dem sich die Pagazis gern aufhalten. Auf der südlichen und östlichen Seite desselben ziehen sich die bebauten Felder hin, welche Bagamoyo mit dem Hauptstapelartikel Ostafrikas, dem Matamakorn, versehen. Zur Linken wächst Mais und Muhogo, eine yamsartige Wurzel[S. 79] von weisser Farbe, die einige Maniok nennen. Wenn sie trocken ist, so macht man daraus Kuchen, die unsern Soldatenpfannkuchen ähnlich sind. Nach Norden zu windet sich gerade hinter dem Hause eine schwarze Sumpflache, eine buchtige Vertiefung, welche an ihren tiefsten Stellen stets Wasser enthält, die schlammige Heimat des Farrnkräuter und Binsen liebenden Kiboko oder Flusspferdes. Seine Ufer, die mit Zwergfächerpalmen, mit hohen Wasserbinsen, Akazien und Tigergras bedeckt sind, gewähren den zahlreichen Wasservögeln, Pelikanen u. dgl. Schutz. Dies Gewässer verfolgt erst eine nordöstliche Richtung und fliesst dann mit dem Kingani zusammen, welcher in einer Entfernung von 4 Meilen von Gonera’s Landhaus sich ostwärts dem Meere zuwendet. Nach Westen zu erstreckt sich eine Meile weit bebautes Land, worauf die alten, mit Waldgras und Sumpfrohr dicht bewachsenen Seeufer folgen, welche sich in länglichen, parallelen, bald abfallenden, bald zurückweichenden Wellenlinien dahinziehen. Auf dem Rückgrate dieser Landanschwellungen gedeiht der Ebenholz-, Calabassen- und Mangobaum.

„Sofari — sofari leo! — Pakia, pakia!“ (Eine Reise — eine Reise heute! — Macht euch auf den Weg — macht euch auf den Weg!) — ertönte am Morgen des vierten Tages, der in allem Ernst für die Abreise bestimmt war, die muntere Stimme des Kirangozi, welche ihren Widerhall fand in der meines arabischen Knaben Selim, des Tambourmajors, Dieners und Factotums. Als ich meine Leute zu ihrer Arbeit antrieb und kräftig mit half, die Zelte abzubrechen, beschloss ich in meinem Geiste, dass, wenn meine vorangeeilten Karavanen mir reinen Weg gemacht hätten, ehe drei Monate vergangen wären, Unyanyembé unser Ruheort sein solle. Um 6 Uhr morgens war unser zeitiges Frühstück abgemacht und die Esel und Pagazis zogen vom Lager Gonera ab. Selbst in dieser frühen Stunde hatte sich auf dem Lande eine ganze Menge neugieriger Eingeborener versammelt, denen wir das Abschieds-„Quahary“ herzlich zuriefen. Mein kastanienbraunes Pferd erwies sich mir als unschätzbar für den Dienst des Quartiermeisters eines Transportzuges; denn mit einem solchen musste ich mich vergleichen.[S. 80] Ich konnte zurückbleiben, bis der letzte Esel das Lager verlassen hatte, um nach einem Galop von wenigen Minuten mich wieder an die Front zu begeben und Shaw den Nachtrab zu überlassen.

Der Weg war ein blosser Fusspfad und führte über einen Boden, der, obgleich sandig, von merkwürdiger Fruchtbarkeit war und Korn und andere Pflanzen, die in ganz ungeschickter Weise gesäet und gepflanzt worden, hundertfältig hervorbrachte. Auf ihren Feldern bei nachlässiger Arbeit befanden sich Männer und Frauen in den allerspärlichsten Costümen, im Vergleich zu denen Adam und Eva in ihrer Feigenblatt-Bekleidung in vollem Staat gewesen sein müssen. Auch waren sie durchaus nicht darüber beschämt, dass Leute, die an kleiderlose lebendige Körper nicht gewöhnt waren, sie mit den Blicken verschlangen, und schienen es nicht zu begreifen, warum unmässige Neugierde durch mehr als blosses Interesse erwidert werden sollte. Sie verliessen ihre Arbeit, als die Wasungu sich näherten, — was für unnatürliche Wesen in Sonnenhüten, weissen Flanell-Jacken und Pferdestiefeln waren das! Wären die Wasungu begierig gewesen, die Umrisse der Anatomie und Physiologie zu studiren, welch reiches Feld des Studiums hätte sich ihnen hier geboten! Wir zogen an ihnen mit ernsten Gesichtern vorbei, während sie lachten und kicherten und mit ihren Zeigefingern auf dies und das hinwiesen, was ihnen sonderbar und komisch vorkam.

In etwa einer halben Stunde hatten wir das hohe Matama und die Felder von Wassermelonen, Gurken und Maniok hinter uns gelassen und befanden uns, nachdem wir ein Binsenmoor überschritten hatten, in einem offenen Walde von Ebenholz- und Calabassenbäumen. In seinen Tiefen befinden sich Hirsche in grosser Zahl und zur Nachtzeit wird er seines Grases wegen von den Flusspferden des Kingani besucht. Eine Stunde später waren wir aus den Wäldern herausgetreten und blickten über das breite Thal des Kingani, wo sich eine Scenerie, so unendlich verschieden von den Gebilden meiner dummen Phantasie, eröffnete, dass ich durch die angenehme Enttäuschung ganz ergötzt wurde. Hier streckte sich ein Thal vier Meilen nach Osten und Westen[S. 81] und ungefähr acht Meilen nach Norden und Süden aus, welches mit seinem reichen Boden dem blossen wilden Graswuchs überlassen war, was in der civilisirten Welt eine für die Viehzucht sehr werthvolle Wiese abgegeben hätte; umgeben war dasselbe von einem dichten Walde, der den Horizont nach allen Himmelsrichtungen hin verdunkelte, und eingehüllt von baumbewachsenen Berggipfeln.

Als sich unsere Karavane hören liess, sprangen die rothen Antilopen nach rechts und links und die Frösche hörten auf mit ihrem Quaken. Die Sonne schien heiss, und während wir durch das Thal schritten, spürten wir etwas von ihrer wirklich afrikanischen Glut. Ungefähr auf dem halben Wege durch das Thal kamen wir an eine Pfütze stehenden Wassers, die gerade auf der Strasse, welche die Karavane zog, einen sumpfigen Teich gebildet hatte. Die Pagazis gingen über eine rasch gebaute Brücke, die vor langer Zeit von einigen menschenfreundlichen Waschensi gezimmert worden war. Es war ein merkwürdiges Ding; rohe Baumäste ruhten auf sehr unsichern gabelförmigen Pfählen und es hatte offenbar schon früher die Geduld manches beladenen Mnyamwezi auf die Probe gestellt, wie jetzt die der Lastträger unserer Karavane. Unsere schwächern Thiere wurden abgeladen, da die Erfahrungen an der Schmutzlache zwischen Bagamoyo und Gonera uns diese Vorsichtsmassregel gelehrt hatten; aber dies verursachte keinen langen Aufenthalt, die Leute arbeiteten tüchtig unter Shaw’s Oberaufsicht.

Alsbald erreichten wir den trüben Kingani, der wegen seiner Flusspferde berühmt ist, und gingen durch das Schilfmoor längs seines rechten Ufers, bis uns durch einen engen Graben, der einen unmessbar tiefen schwarzen Schlamm enthielt, geradezu Halt geboten wurde. Die Schwierigkeit, die uns dieser darbot, war sehr gross, obgleich er kaum 8 Fuss breit war. Man konnte nämlich die Esel und vor allen Dingen die Pferde nicht dazu bringen, die beiden Stangen zu überschreiten, wie es unsere zweibeinigen Lastträger thaten. Auch konnte man sie nicht in den Graben treiben, weil sie dort rasch untergegangen wären. Die einzige Möglichkeit, ihn mit Sicherheit zu überschreiten, war durch eine Brücke, welche in diesem conservativen Lande[S. 82] Generationen lang als das Werk der Wasungu bestehen würde. So begaben wir uns denn an die Arbeit, da wir es nicht vermeiden konnten, und bauten mit den amerikanischen Aexten, welche unzweifelhaft die ersten waren, deren Streiche in diesem Theile der Welt gehört wurden, eine Brücke. Man kann sich darauf verlassen, dass sie rasch gemacht wurde, denn wo der civilisirte Weisse sich einfindet, muss jede Schwierigkeit weichen. Die Brücke bestand aus 6 starken Bäumen, die über den Graben geworfen wurden. Kreuzweis über diese wurden 15 Packsättel gelegt, welche wiederum mit einer dicken Grasschicht bedeckt wurden. Alle Thiere gingen sicher hinüber, und sodann begann zum dritten mal an diesem Morgen das Weiterwaten.

Der Kingani fliesst hier nach Norden, und unser Weg lag an dem rechten Ufer entlang. Nachdem wir eine halbe Meile in der Richtung durch ein Dickicht von ungeheuern Binsen und üppigen Schlingpflanzen gegangen waren, kamen wir an eine Fähre, wo die Thiere wieder einmal abgeladen werden mussten; und wahrhaftig, als ich die tiefen, schlammigen Wasser des Flusses sah, wünschte ich mir Mosis Zauberstab, oder was ebenso gut gewesen wäre, Aladdin’s Ring, denn dann hätten wir uns ohne weitere Mühe auf dem andern Ufer befunden; aber da ich keine dieser Gaben besass, so ertheilte ich den Befehl, sofort hinüberzugehen, denn es war ein übles Ding, sich angesichts dieser sehr irdischen Aussicht nach überirdischen Mitteln zu sehnen.

Kingwere, der Nachenruderer, der uns von seinem Dickicht-Versteck auf der andern Seite erblickte, beantwortete höflich unsere Hallohs und brachte seinen grossen ausgehöhlten Baum geschickt über die Wirbel des Stromes an den Ort, wo wir auf ihn warteten. Während ein Theil unserer Gesellschaft den Nachen mit unsern Gütern belud, machten andere ein langes Seil zurecht, welches den Thieren um den Hals befestigt wurde, um sie durch den Fluss aufs andere Ufer hinüberzuziehen. Nachdem ich zugesehen hatte, dass die Arbeit ordentlich angefangen wurde, setzte ich mich in einen ausrangirten Nachen, um mich damit zu unterhalten, die dicken Schädel der Flusspferde mit meiner glatten Flinte No. 12 zu bearbeiten. Das gezogene Winchester-Gewehr[S. 83] vom Kaliber 44, das mir Herr Edward Joy Morris, unser Gesandter in Constantinopel geschenkt hatte, berührte sie nur leise und that ihnen ungefähr so viel Schaden, wie die Schleuder eines Knaben, aber in Bezug auf Präcision war es vollkommen, denn zehnmal der Reihe nach traf ich die Scheitel der Thiere zwischen den Ohren. Ein altes Thier, das sehr altklug ausschaute, wurde sogar von einer dieser Kugeln dicht am rechten Ohr leicht getroffen, anstatt jedoch wie die andern, unterzutauchen, drehte es ruhig den Kopf auf die andere Seite, als ob es fragen wollte, warum verschwendet Ihr diese werthvollen Patronen auf uns? — Die Antwort auf diese stumme Frage „seiner Weisheit“ bestand in einer Kugel von ⁵⁄₄ Unzen Gewicht aus dem glattläufigen Gewehr, welche hochdieselbe vor Schmerz aufbrüllen liess; nach einigen Augenblicken erhob sich das Thier wieder und wälzte sich in seinen Todesqualen. Da sein Gestöhn so jammervoll war, enthielt ich mich alles weitern unnützen Blutvergiessens und liess die Amphibienhorden in Ruhe.

Selbst während der kurzen Zeit unsers Aufenthalts an der Fähre gewannen wir einige Kenntnisse über diese ungeschlachten Bewohner der afrikanischen Gewässer. Wenn sie nicht durch fremde Laute gestört werden, so versammeln sie sich in dem seichten Wasser auf den Sandbänken und setzen den Vordertheil ihres Körpers dem warmen Sonnenschein aus, wobei sie, wenn sie schläfrig ruhen, einer Heerde grosser Schweine sehr ähnlich sehen. Wenn sie durch den Lärm eines Eindringlings aufgeschreckt werden, so werfen sie sich rasch in die Tiefe, peitschen das Wasser zu einem gelben Schaum und zerstreuen sich unter der Oberfläche desselben; alsbald lassen sich die Köpfe einiger wieder sehen und spritzen das Wasser aus den Nasenlöchern heraus, um Athem zu schöpfen und vorsichtig um sich zu blicken. In dieser Lage sieht man nur ihre Ohren, Stirn, Augen und Nasenlöcher, und da sie rasch wieder untertauchen, so gehört eine feste Hand und ein rascher Griff dazu, um sie zu schiessen. Ich habe verschiedene Vergleiche in Bezug auf ihr Aussehen, wenn sie in dieser Weise schwimmen, anstellen hören. Einige Araber sagten mir, sie sähen wie todte Bäume aus, die den Fluss hinabschwimmen; andere, welche[S. 84] irgendwo Schweine gesehen hatten, glaubten, sie ähnelten solchen, aber meiner Ansicht nach sehen sie mehr wie schwimmende Pferde aus. Ihre grossen Nacken und spitzen Ohren, weiten Augen und geöffneten Nasenlöcher sprechen mehr für diesen Vergleich.

Nachts suchen sie das Lager auf und wandern mehrere Meilen weit ins Land hinein, indem sie sich an den üppigen Gräsern desselben weiden. Bis vier Meilen von der Stadt Bagamoyo — der Kingani ist acht Meilen von derselben entfernt — sieht man ihre breite Fährte. Oft, wenn sie nicht durch Menschenstimmen erschreckt werden, machen sie einen Angriff auf die üppigen Kornhalme der eingeborenen Landbauer, und ein Dutzend der Thiere genügt, um auf einem grossen Felde eine ungeheuere Verwüstung anzurichten. Daher waren wir nicht erstaunt, als wir bei unserm Aufenthalt an der Fähre von den Besitzern der Kornfelder laute Hallohrufe hörten, wie es die rothwangigen Pächterjungen Englands thun, wenn sie die Krähen vom jungen Weizen verscheuchen.

Die Karavane war mittlerweile mit ihren Ballen, Gepäckstücken, Eseln und Leuten glücklich hinübergegangen. Ich hatte daran gedacht, am Ufer zu campiren, um mich mit der Antilopenjagd zu amüsiren, mir das Fleisch derselben zu verschaffen und dadurch meine Ziegen zu schonen, von denen ich eine Anzahl lebendig mit mir führte; aber dank dem Schrecken und der Furcht, welche meine Leute vor den Flusspferden empfanden, musste ich bis an die Vorposten der Belutschgarnison von Bagamoyo, die sich in einem kleinen, vier Meilen vom Fluss entfernt liegenden Dorfe namens Kikoko befand, weiter eilen.

Das westliche Ufer des Flusses war bedeutend besser als das östliche. Die Ebene erhob sich eine Meile lang allmählich, wie der Strand eines Badeortes, bis sie in einem sanften, abgerundeten Bergrücken gipfelte, und bot nicht die Schwierigkeiten dar, welche uns auf der andern Seite belästigt hatten. Dort gab es keine jener ungeheuern Schmutzmassen und schwarzen Kothlachen mit den überhohen Gräsern. Es fehlten die miasmenreichen Dschungels mit ihren schädlichen Ausdünstungen. Die Landschaft war gerade so,[S. 85] wie man sie vor einem englischen Herrenhause findet, eine schöne ausgedehnte, mit Rasen belegte Ebene, auf der genug Gebüsch vorhanden ist, um eine angenehme Abwechselung hineinzubringen. Die Strasse führte, nachdem sie über eine offene Fläche gegangen, durch einen Hain junger Ebenholzbäume, wo Perlhühner und ein Hartebeest sichtbar wurden; dann wandte sie sich mit den charakteristischen grossen Krümmungen eines Ziegenpfades eine Reihe von Landwellen hinauf und hinab, umsäumt von dem dunkelgrünen Laub des Mango- und den spärlichern und heller gefärbten Blättern des grossen Calabassenbaumes. Die Thalsenkungen waren mit hohen mehr oder weniger dichten Dschungels gefüllt und hier und da öffnete sich eine Lichtung, die selbst zur Mittagszeit von dünnen Gängen hoher Bäume beschattet wurde. Bei unserer Annäherung flohen Heerden grüner Tauben, Dohlen, Ibisse, Turteltauben, Goldfasanen, Wachteln und Moorhennen, Krähen und Habichten in Schrecken davon, während hin und wieder ein einsamer Pelikan sich flügelschlagend entfernte.

Auch hatte dieser belebte Anblick seine Antilopenpaare und Affen, welche wie australische Känguruhs dahinhuschten; diese waren hier von bedeutender Grösse, mit kugelrunden Köpfen, weissen Brüsten und langen am Ende buschigen Schweifen.

Wir kamen in Kikoka um 5 Uhr nachmittags an, nachdem wir unsere Packthiere viermal auf- und abgeladen, eine tiefe Pfütze, eine Schlammquelle und einen Fluss passirt und elf Meilen zurückgelegt hatten.

Die Ansiedlung von Kikoka besteht aus einer Anzahl Strohhütten, die nach keinem architektonischen Stil, sondern in einer Mischform gebaut sind, die von trägen Ansiedlern aus der Mrima und Zanzibar erfunden worden, um soviel Sonnenschein wie möglich von dem durch vorspringende Dächer beschatteten Aeussern und dem Innern des Hauses abzuhalten. Eine Quelle und einige Brunnen versehen sie mit Wasser, das, obgleich süss, nicht besonders gesund oder appetitlich ist, da grosse Mengen verwester Stoffe durch den Regen hineingewaschen werden, dort liegen bleiben und sich dann weiter zersetzen. Man hat einen[S. 86] schwachen Versuch gemacht, die Gegend zu lichten, um Platz für den Ackerbau zu gewinnen, aber anstatt sich der schwierigen Aufgabe des Abholzens der Dschungels zu unterziehen, benutzen die Ansiedler lieber offene Waldplätze, von denen sie nur das Gras beseitigen, sodass sie blos den Boden zwei bis drei Zoll tief aufzuhacken brauchen, um den Samen hineinzuwerfen und mit Bestimmtheit auf Ertrag rechnen können.

Ich muss hier bemerken, dass die Route, die ich eingeschlagen, noch nie von einem Weissen früher betreten worden ist. Wenn sich meine Leser auch die Mühe geben wollen, die Route festzustellen, die Burton und Speke und später Speke und Grant eingeschlagen haben, so wird sich herausstellen, dass ein grosser Unterschied zwischen mir und meinen Vorgängern vorliegt. Auf der Karte von Burton ist das Land im Umfange von fünf Längengraden im Westen von Bagamoyo ganz ohne Städte, Dörfer und Ansiedlungen. Durch meine Reisen ist dieser Mangel ausgefüllt und so wird allmählich das grosse Herz Afrikas besser bekannt. Auch beanspruche ich, dass was auf dieser den Weissen bisher unbekannten, von ihnen nicht erforschten Route entdeckt worden ist, so wenig es auch sein mag, als meine Entdeckung angesehen werden möge. Ich bringe diese Bitte deshalb hier an, weil ein gewisser, viel gereister Herr in Zanzibar, der seit einigen Jahren dort wohnt, es versucht hat, mich davon abzubringen, diesen Weg einzuschlagen, indem er sagte, dass eine solche Reise völlig ohne Interesse sein würde, da das ganze Land genau bekannt sei. Hierbei leiteten ihn die hochherzigsten Motive, da er wünschte, dass ich den Rufidschifluss hinaufginge, damit dieser den Geographen bekannt werde. Von Herzen gern hätte ich dies gethan, aber die Umstände verboten es mir, dies zu versuchen. Ich hatte eine bestimmte Aufgabe zu lösen, war kein Entdeckungsreisender, sondern bemühte mich, meine Pflicht in der raschesten und kürzesten Weise zu erfüllen. Wenn diese rascheste und kürzeste Weise mich einen wohlbekannten Weg führte, den schon drei Herren vor mir bereist hatten, von denen ein jeder das veröffentlicht hat, was er davon kennen gelernt, so ist das nicht meine Schuld; da[S. 87] es sich aber herausgestellt hat, dass ich auf diese Weise auf einen unbereisten Weg, durch ein bisher unbekanntes Land kam, so ist das um so glücklicher für mich. Ich habe die Rufidschiroute als mit meinen Mitteln völlig unausführbar ausgeschlossen, und es vorgezogen, den Weg durch Ukwere, Ukami, Udoe, Useguhha, Usagara und Nord-Ugogo zu wählen. Der Erfolg und die Dauer meines Marsches beweisen, dass ich nicht besser hätte verfahren können, da dies der directe Weg nach Westen ist.

Am nächsten Tag machten wir in Kikoka Halt, da die vierte Karavane, welche blos aus Wanyamwezi bestand, sich als ein grosses Hinderniss für ein schnelleres Fortkommen erwies. Maganga, ihr Führer, versuchte es auf verschiedene Weise, mir mehr Tuch und Geschenke abzupressen, obwol er schon mehr als die drei andern Führer zusammen gekostet hatte; aber seine Anstrengungen fruchteten weiter nichts, als dass ich ihm einen Lohn versprach, wenn er so rasch wie möglich nach Unyanyembé käme, damit ich ungehindert weiter könne.

Am 27. bald nach 7 Uhr morgens brachen wir unser Lager ab, nachdem die Wanyamwezi fort waren. Das Land hatte denselben Charakter wie das zwischen dem Kingani und Kikoka; es war anziehendes, in allen seinen Gebilden schönes Parkland.

Ich ritt voran, um uns Fleisch zu verschaffen, wenn sich eine Gelegenheit dazu bieten sollte, fand aber keine Spur von Dickicht oder Wild. Gerade vor uns, im Westen, dehnten sich die Landwellen, die sich bald hoben, bald senkten und wie die vielfach vergrösserten Furchen eines Feldes parallel verliefen. Jeder Bergrücken hatte einen mit Buschwerk bewachsenen Punkt oder einen dünnen Strich dicht belaubter Bäume, bis wir ganz in die Nähe von Rosako, unserm nächsten Halteplatz, kamen, wo sich das eintönig wellige Land veränderte und in einzelne Hügel, die mit dichten Gebüschen bewachsen waren, verwandelte. Auf einem derselben liegt, in undurchdringliches Dunkel dorniger Akazien eingehüllt, Rosako, das von dieser natürlichen Befestigung umgürtet wird und an ein anderes nach Norden gelegenes Dorf stösst, das in ähnlicher Weise geschützt ist.[S. 88] Zwischen beiden senkt sich ein äusserst fruchtbares und an Producten reiches Thal, das von einem kleinen Bach durchschnitten wird, welcher das Wasser von demselben und den darumliegenden niedrigen Hügeln ableitet.

Rosako ist das Grenzdorf von Ukwere, während Kikoka im äussersten Nordwesten von Uzaramo liegt. Wir zogen in dies Dorf und besetzten den mittlern Theil desselben mit unsern Zelten und Thieren. Der Dorfhäuptling brachte mir eine Kitanda oder eine viereckige, leichte Bettstelle, ohne Behänge, Fransen oder sonstige überflüssige Zierathen, die aber trotzdem ebenso bequem ist, als wenn sie mit dergleichen versehen wäre, für meinen Gebrauch ins Zelt. Die Thiere wurden unmittelbar, nachdem sie entlastet waren, auf die Weide getrieben und die Soldaten machten sich Mann für Mann an die Arbeit, die Bagage zusammenzupacken, damit der während der Masikazeit stets drohende Regen keinen unersetzlichen Schaden anrichte.

Unter andern Versuchen, die ich in Afrika anzustellen gedachte, hatte ich mir auch vorgenommen, die Wirkungen eines guten Wachhundes auf unmanierliche Menschen zu beobachten, welche durchaus darauf bestanden, zu ungehöriger Zeit in mein Zelt zu kommen und so meine Werthsachen in Gefahr brachten. Besonders wünschte ich die Wirkung seines Bellens auf die starken Wagogo zu beobachten, welche, wie mir einige Araber erzählten, die Thüren der Zelte auszuheben und, ob man das nun wünschte oder nicht, hineinzutreten pflegen, die über die Furcht, welche sie einflössen, lachen und dann wol sagen: „Hihi, Weisser, ich habe niemals ein Dir ähnliches Wesen früher gesehen. Gibt es noch viele Deinesgleichen? Woher kommst Du?“ Ebenso nehmen sie wol die Uhr weg und fragen mit munterer Neugierde: „Wozu ist das, Weisser?“ worauf man ihnen natürlich erwidert, dass es die Stunden und Minuten angäbe. Aber der auf seine Tapferkeit stolze Mgogo, welcher noch unmanierlicher als ein wildes Thier ist, antwortet dann wol mit einem beleidigenden Schnaufen: „O Du Narr!“ oder „Du bist ein verdammter Lügner!“ — Ich hatte also an einen Wachhund gedacht und mir auch in Bombay einen guten angeschafft, nicht nur zum treuen[S. 89] Begleiter, sondern auch um mir solche Leutchen vom Halse zu halten.

Aber bald nach unserer Ankunft in Rosako stellte es sich heraus, dass der Hund, der wegen seines türkischen Ursprungs Omar hiess, fehlte; er hatte sich während eines Regensturmes von den Soldaten entfernt und war verloren gegangen. Ich schickte also Mabruki-Burton nach Kikoka zurück, um ihn aufzusuchen. Am folgenden Morgen, als wir gerade im Begriff standen, Rosako zu verlassen, kam der treue Bursche mit dem Hunde zurück, den er in Kikoka gefunden hatte.

Vor unserer Abreise am folgenden Morgen brachte mir Maganga, der Führer der vierten Karavane, die traurige Nachricht, dass drei seiner Pagazis krank wären und er bat mich deshalb um etwas „Dowa“ (Medicin). Obgleich ich kein Arzt bin und in keinerlei Beziehung zu dieser Kunst stehe, hatte ich einen gut gefüllten Medicinkasten, ohne den kein Reisender in Afrika leben kann, gerade für einen derartigen Unfall bei mir. Ich besuchte also Maganga’s Kranke und fand, dass einer eine Lungenentzündung, ein anderer das Mukunguru (afrikanische Wechselfieber) und der dritte ein venerisches Leiden hatte. Sie dachten alle, dass sie sterben müssten und schrien laut: „Mama, Mama!“ obwol sie alle erwachsene Männer waren. Offenbar konnte die vierte Karavane an dem Tage nicht weiterziehen. Ich befahl also dem Maganga, mir sobald wie möglich nachzueilen und setzte meine eigene Marschroute fort.

Ausser in der Nachbarschaft der Dörfer, durch welche wir bisher gekommen, waren nirgends Spuren von Cultur. Das zwischen den verschiedenen Stationen sich ausdehnende Land ist eine Wildniss wie die Wüste Sahara, obgleich es ein viel angenehmeres Aussehen hat. In der That, hätte der erste Mensch zur Zeit der Schöpfung auf seine Welt geblickt und in ihr die Schönheit gefunden, welche diesem Theil Afrikas eigen ist, so hätte er sich nicht zu beklagen gehabt. Er würde in den tiefen Dickichten, die wie Inseln in einem Meere grünen Grases liegen, Schutz vor der Mittagsonne und einen sichern Zufluchtsort für sich und die Gattin während der schrecklichen Dunkelheit gefunden haben. Am[S. 90] Morgen hätte er auf dem sanft abfallenden Rasen spazieren gehen, sich seiner Frische freuen und seine Waschungen in einem der vielen kleinen Flüsse, die ihm zu Füssen fliessen, vornehmen können. Er bedarf ja nur eines Obstgartens. Schöne, tiefe, kühle Wälder umgeben ihn und in ihrem Schatten spazieren so viele Thiere, als man nur wünschen kann. Tagelang kann man hier nach jeder der vier Himmelsrichtungen gehen und wird stets dieselbe Scene erblicken.

So sehr ich auch wünschte, nach Unyanyembé weiterzueilen, so wurde ich doch durch eine Herzensangst um die Ankunft meiner von der vierten Karavane transportirten Güter zurückgehalten, welche, ehe meine Karavane neun Meilen marschirt war, den höchsten Grad erreicht hatte und mich veranlasste, dort ein Lager aufzuschlagen. Der von mir erwählte Platz lag in der Nähe eines sich lang hinziehenden Quells, der während der Regenzeit viel Wasser hat, da er den Abfluss für zwei ausgedehnte Bergabhänge bildet. Kaum hatten wir unser Lager aufgeschlagen, eine Boma von dornigen Akazien und andern Baumzweigen gebaut und umpfählt, sodann unsere Thiere auf die Weide getrieben, als wir eine ungeheuere Zahl der verschiedenartigsten Insekten bemerkten, welche eine Zeit lang für uns zu einer neuen Quelle von Besorgnissen wurden, bis sie durch eine genaue Untersuchung der verschiedenen Arten zerstreut wurden.

Da die Jagd, welche ich nach mehreren Insektenarten anstellte, höchst interessant war, so füge ich meinen Bericht darüber hier an, von welchem Werthe er auch sein möge.

Meine Absicht beim Einfangen dieser Arten bestand darin, festzustellen, ob sich das Genus Glossina morsitans der Naturforscher oder die Tsetse (bisweilen Setse genannt) Livingstone’s, Vardon’s, Cumming’s und Kirk’s, die den Pferden tödlich sein soll, darunter befände. Ich wünschte mir meine beiden Pferde womöglich zu erhalten; aber Dr. Kirk hatte mit der doctrinären Begeisterung eines Mannes, der ein Steckenpferd reitet, den Tod meiner Pferde infolge der Tsetsefliege bestimmt vorausgesagt, von der er behauptete, dass sie in grosser Zahl im Lande von Bagamoyo vorhanden sei. Bis zu diesem Tage war ich fast zwei Monate in Ostafrika gereist und hatte noch keine Tsetse gesehen,[S. 91] und meine Pferde hatten, anstatt abgezehrt zu sein — denn das ist eins der Symptome des Tsetsebisses — bedeutend zugenommen. Drei verschiedene Arten Fliegen suchten Schutz in meinem Zelt und bildeten zusammen einen beständigen Chor von Tönen, wobei die eine den tiefen Bass, die andere den Tenor und die dritte einen schwachen Contra-Alt zum besten gab. Der erste derselben rührte von einer gefrässigen und wilden Fliege her, die einen Zoll lang war und einen Leib hatte, der im Stande war, eine erstaunliche Masse Blut aufzunehmen.

Nach den schrecklichen Befürchtungen, welche mir Dr. Kirk’s Behauptungen über die Tsetse beigebracht hatten, musste ich diese für die Tsetse halten und wählte sie daher zuerst zur Untersuchung, welche mit grösster Umsicht vorgenommen wurde. Ich liess eine derselben sich auf meine Flanellgamaschen, die ich als Négligé im Lager trug, niedersetzen. Kaum hatte sie das gethan, als sie das Hintertheil erhob, den Kopf senkte und ihre Waffen, die aus vier haarähnlichen Sticheln bestanden, aus dem sie verdeckenden rüsselartigen Beutel zog; sofort fühlte ich einen Schmerz wie den, der durch einen geschickten Lanzettschnitt oder eine feine Nadel erzeugt wird. Ich liess sie sich vollsaugen, obgleich dies für meine Geduld und mein naturhistorisches Interesse eine schwere Prüfung war. Ich sah ihre Bauchtheile sich von der Fülle des Mahls ausdehnen, bis sie zur dreifachen Grösse des frühern Umfangs angeschwollen waren, worauf sie mit Blut beladen aus freien Stücken wegflog. Als ich meine Flanellgamaschen aufrollte, um mir die Quelle anzusehen, woraus die Fliege das Blut gesogen hatte, entdeckte ich, dass sie sich etwas über dem linken Knie befand und als scharlachrothe, über dem Einstich zurückbleibende Perle charakterisirte. Nachdem ich das Blut weggewischt hatte, ähnelte die Wunde einer durch einen tiefen feinen Nadelstich verursachten; seit dem Abgang der Fliege war aller Schmerz verschwunden.

Nachdem ich ein Exemplar von dieser Fliege gefangen hatte, stellte ich einen Vergleich zwischen ihr und der Tsetsefliege an, wie sie Dr. Livingstone in seinen „Missionary Travels and Researches in South-Africa“ (London[S. 92] 1868, S. 56, 57) beschrieben hat. Es waren zwischen ihnen so viele Unterscheidungspunkte vorhanden, dass es ganz unwahrscheinlich ist, dass diese Fliege die wirkliche Tsetse ist, obgleich meine Leute einstimmig erklärten, dass ihr Biss Pferden wie Eseln tödlich sei. Eine kurze Beschreibung der Tsetse würde so lauten: „Nicht viel grösser als eine gewöhnliche Hausfliege, fast von derselben Farbe, wie die braune Hausfliege, der Hintertheil des Körpers zeigt gelbe Querstreifen. Sie gibt ein sonderbares Gesumme von sich und ihr Biss ist tödlich für Pferde, Ochsen und Hunde. Auf den Menschen wirkt der Biss nicht, ebensowenig auf wilde Thiere. Wenn man sie auf der Hand saugen lässt, so macht sie mit der Mittelzinke von drei Theilen, in welche sich der Rüssel spaltet, einen Einstich, zieht dieselbe dann etwas heraus und nimmt, während die Kinnbacken in rasche Bewegung gerathen, eine scharlachrothe Farbe an; dem Biss folgt ein leichtes Jucken.“ Die Fliege, welche ich beobachtet hatte, wird von den Eingeborenen Mabunga genannt. Sie ist viel grösser als die gewöhnliche Hausfliege, reichlich ein Drittel grösser als die gewöhnliche Honigbiene und hat eine bestimmter markirte Farbe; ihr Kopf ist schwarz, mit einem grünlichen Schimmer. Der Hintertheil des Körpers ist durch eine weisse Linie ausgezeichnet, welche der Länge nach von der Verbindungsstelle desselben mit dem Vorderkörper hinabläuft, und auf jeder Seite dieser weissen Linie befinden sich zwei andere, von denen die eine scharlachroth, die andere hellbraun ist. Was ihr Summen anbetrifft, so hat es nichts Eigenthümliches, sondern man könnte es für das einer gewöhnlichen Biene halten. Als ich sie fing, machte sie verzweifelte Anstrengungen, sich zu befreien, versuchte aber gar nicht zu beissen. Diese Fliege griff mit etwa zwanzig andern mein graues Pferd an und biss es so arg in die Beine, dass diese wie in Blut gebadet aussahen. Daher ist es wol möglich, dass ich etwas rachsüchtig war, als ich mit mehr als dem blossen Eifer eines Entomologen daranging, zu entdecken, was für Eigenthümlichkeiten ihre Gebisswerkzeuge hätten.

Um das Bild dieser Fliege meinen Lesern so ähnlich wie möglich vorzuführen, kann ich ihren Kopf mit einem[S. 93] ganz winzigen Miniaturbild eines Elefanten vergleichen, denn sie hat einen schwarzen Rüssel und ein paar hornige Fühlhörner, die an Farbe und Krümmung Elefantenzähnen ähnlich sind. Der schwarze Rüssel ist jedoch blos eine hohle Scheide, welche, wenn sie nicht beisst, vier röthliche, scharfe Lanzetten umschliesst. Unter dem Mikroskop unterscheiden sich diese vier Lanzetten durch ihre Dicke; zwei davon sind sehr dick, die dritte ist dünn, aber die vierte, opalfarbige und fast durchsichtige, ist ungemein fein. Diese letztere muss der Sauger sein; wenn die Fliege im Begriff ist zu beissen, so fassen die beiden Fühlhörner den Theil, die Lanzetten werden aus der Scheide gezogen und im Nu ist der Einschnitt bewerkstelligt. Dies halte ich für die afrikanische „Pferdefliege“.

Die zweite Fliege, welche den Tenorlaut von sich gab, ähnelte an Grösse und Aussehen mehr der Tsetse. Sie war sehr flink, und drei Soldaten brauchten fast eine Stunde dazu, um ein Exemplar zu fangen; als es schliesslich gefangen war, stach es sehr gierig in die Hand und hörte mit seinen Angriffen gar nicht auf, bis es mit einer Nadel durchstochen war. Diese Fliege hatte 3–4 weisse Querstreifen auf dem Hintertheil ihres Körpers; ihre Beisswerkzeuge bestanden aus zwei schwarzen Fühlhörnern und einem opalfarbigen Stichel, der sich unter dem Halse einschlagen liess. Wenn sie beissen wollte, wurde dieser Stichel gerade herausgeschoben und die Fühlhörner umgaben ihn eng. Nach dem Tode verlor die Fliege ihre charakteristischen weissen Streifen. In diesem Lager haben wir nur ein Exemplar dieser Gattung gesehen.

Die dritte Fliege, welche „Tschufwa“ heisst, hatte einen schwachen Altton, war um ein Drittel grösser als die Hausfliege und hatte lange Flügel. Obwol dieses Insekt die schwächsten Töne von sich gab, so leistete es doch das meiste und richtete den grössten Schaden an. Pferde und Esel strömten von Blut, bäumten sich und schlugen vor Schmerzen mit den Hufen um sich. Es war so erpicht darauf, sich nicht eher vertreiben zu lassen, als bis es sich zur Genüge vollgesogen hatte, dass man es leicht abthun konnte; und dieser schreckliche Feind des Viehes vermehrte sich immer[S. 94] an Zahl. Die drei genannten Arten sind nach den Eingeborenen dem Vieh tödlich; und das ist wol der Grund, warum so grosse Flächen vorzüglichen Weidelandes keinerlei Hausvieh aufweisen und nur ein paar Ziegen von den Dorfbewohnern gehalten werden. Diese letztere Fliege hat sich mir später als die Tsetse herausgestellt.

Am zweiten Morgen hielt ich es für gerathener, auf die vierte Karavane zu warten, statt weiter vorwärtszugehen. Burton hat für mich ausreichende Erfahrungen in Bezug auf die Versprechungen der Banyanen von Kaole und Zanzibar gemacht; er musste elf Monate warten, ehe er die versprochenen Gegenstände erhielt. Da ich überhaupt nicht sehr viel mehr als elf Monate auf meine ganze Reise zu verwenden gedachte, so wäre es ein absoluter und nicht wieder gut zu machender Ruin gewesen, wenn ich durch meine Karavane so lange in Unyanyembé zurückgehalten werden sollte. Ihre Ankunft erwartend, widmete ich mich den Freuden der Jagd. Ich muss gestehen, dass ich darin noch ein Neuling war, obgleich ich in den Ebenen von Amerika und Persien mit gejagt hatte; ich konnte mich indess immerhin als nicht schlechten Schützen ansehen und zweifelte nicht, dass, wenn ich mich in einer Wildgegend und in entsprechender Nähe des Wildes befände, ich einiges ins Lager bringen könnte.

Nachdem wir durch das hohe Gras der Ebene eine Weile lang gegangen waren, erreichten wir zwischen dichtem Schilf gelegene Lichtungen. Ohne Erfolg spähte ich hier nach guten Verstecken und Schlupfwinkeln, kam aber schliesslich auf eine Spur, welche von kleinen Antilopen und Hartebeests reichlich betreten war, der wir folgten. Sie führte mich in ein Dickicht und einen Wasserlauf entlang, der dasselbe durchschnitt; aber nachdem ich ihm eine Stunde lang gefolgt war, kam ich von demselben und beim Versuch, ihn wieder aufzufinden, auch von meinem Wege ab. Hier leistete jedoch mein Taschenkompass gute Dienste und mit seiner Hülfe steuerte ich auf die freie Ebene zu, in deren Mitte das Lager stand. Aber es war furchtbar schwere Arbeit, sich durch ein afrikanisches Dickicht durchzudrängen, das den Kleidern und der Haut gleich verderblich war. Um[S. 95] rasch fortzukommen, hatte ich ein paar Flanellgamaschen angezogen und die Füsse in Segeltuchschuhe gesteckt. Wie sich erwarten liess, fasste, ehe ich ein paar Schritte weit gegangen war, ein Zweig der Acacia horrida, die nur eins unter hundert ähnlichen Uebeln bildet, das rechte Bein meiner Gamaschen am Knie und riss es fast rein ab, worauf ein stämmiger Kolquall mich an der Schulter fasste und mir als unvermeidliche Folge einen zweiten Riss beibrachte. Ein paar Schritt weiter verunzierte eine stachelige Aloepflanze durch einen weitern Riss das andere Bein meiner Gamaschen und fast unmittelbar darauf strauchelte ich gegen einen Convolvulus von der Stärke einer Mastenstrickleiter und fiel der Länge nach auf ein Bett von Dornen. Auf allen Vieren, wie ein Hund auf der Fährte, war ich nun gezwungen weiter zu wandern. Mein Sonnenhut wurde mit jeder Minute schlechter, meine Haut mehr und mehr verletzt, meine Kleider bei jedem Schritt mehr zerrissen. Ausser diesen Uebeln gab es eine stechende ätzende Pflanze, welche neben ihren starken Gerüchen mir schmerzhaft ins Gesicht schlug und einen dem durch Cayennepfeffer verursachten ähnlichen, brennenden Schmerz hinterliess. Die in dem undurchdringlichen Dickicht eingeschlossene Atmosphäre war heiss und erstickend, der Schweiss rann mir aus allen Poren und machte meine Flanellfetzen so nass, als ob ich durch ein Regenbad gegangen wäre. Als ich schliesslich wieder in die Ebene gelangt war und frei athmen konnte, gelobte ich mir im Geist, dass ich nie wieder ins Innere afrikanischer Dschungels zu dringen versuchen würde, wenn es nicht eine dringende Nothwendigkeit erheischte.

Trotz der grausamen Risse in meinen Kleidern und meiner Hautwunden konnte ich nicht umhin, als ich über die grosse wellenförmige in liebliches Grün gekleidete Ebene blickte, die von schönen im Frühlingslaub prangenden Wäldern begränzt wurde, und die kleinen über die weite Fläche verstreuten Gebüschinseln betrachtete, die Schönheit der Gegend zu bewundern. Täglich gewann das Land in meiner Werthschätzung, denn bisher fühlte ich nur, dass ich erhaltenen Befehlen nachkam, und wie ungesund es auch sein mochte, so war ich doch verpflichtet, weiterzugehen; aber aus Furcht[S. 96] vor dem schrecklichen Fieber, das mir durch die Fieberaussichten, die das bittere Buch des Kapitän Burton in meiner Phantasie angeregt hatte, noch schrecklicher wurde, gelobte ich mir, nicht einen Fuss breit von meinem Wege abzugehen.

Soll ich Dir sagen, lieber Leser, was die „Lake Regions of Central Africa“ und später die Berichte europäischer Kaufleute in Zanzibar mir für Vorstellungen vom Innern beigebracht hatten? Es waren die eines ungeheuern Sumpfes, der rings vom Fieber eingehüllt wäre, und zwar von einer Art gelben Fiebers, welches, wenn es mich nicht tödtete, mich doch so an Körper und Geist schwächen würde, dass ich für die Zukunft ein hülfloser Idiot bliebe. In diesem Sumpf, welcher sich über mehr als 200 Meilen ins Innere erstreckt, spielten eine Masse Nilpferde, Krokodile, Alligatoren, Eidechsen, Schildkröten und andere Kröten, und die Miasmen, welche sich aus der ungeheuern Schlammflut sich zersetzender und verwesender Massen erhoben, waren so dick und so heftig deprimirend, wie der trübselige, Selbstmord erzeugende londoner Nebel. Im Vordergrunde dieses schauerlichen Bildes befanden sich stets in meinem Geiste die Gestalten der armen Burton und Speke, von denen der erstere infolge dieses Fiebers ein vollständiger Invalide geworden und der andere in seinem Gehirnleben dauernd angegriffen war. Den bittern Fieberton in Kapitän Burton’s Buch hatte ich als die Folge seiner afrikanischen Krankheit angesehen. Aber seit meiner Ankunft auf dem Festlande hatte sich der düstere leichentuchartige Vorhang mit jedem Tage mehr verzogen und die trostlose Aussicht aufgeklärt. Wir waren jetzt zwei Monate auf ostafrikanischem Boden und kein einziger meiner Leute war krank geworden. Ja, die Europäer hatten an Körperfülle zugenommen und ihr Appetit war stets in ausserordentlich gutem Zustande.

Der zweite und dritte Tag verging ohne irgendeine Nachricht von Maganga. Daher wurden Shaw und Bombay ausgesandt, um ihn mit aller möglichen Beschleunigung heranzubringen. Am vierten Morgen kehrten sie von dem langsamen Maganga und seinen langsam nachziehenden Leuten begleitet zurück. An ihn gerichtete Fragen waren nur im Stande, ihm die Entschuldigung zu entlocken, dass seine Leute[S. 97] zu krank gewesen wären und er gefürchtet hätte, ihre Kräfte eher auf die Probe zu stellen, als bis sie ganz im Stande wären, die Strapazen auszuhalten. Ausserdem machte er den Vorschlag, ich möchte doch, da er sich noch einen Tag in dem Lager aufhalten müsse, nach Kingaru voranziehen und dort bis zu seiner Ankunft im Lager bleiben. Auf diesen Rath hin brach ich mein Lager ab und zog nach dem fünf Meilen entfernten Kingaru.

Auf diesem Marsche wurde das Land hügeliger, und die Karavane stiess zuerst auf Schilfmoor, was unserm Wagen bedeutende Mühe verursachte. Pisolithischer Kalkstein trat in Schichten und Geröllen hervor; wir fingen an, uns einzubilden, dass wir uns einem gesunden Hochlande näherten, und als ob dieser Gedanke sich bestätigen sollte, wurden im Norden und Nordwesten die purpurnen Kegel von Udoe sichtbar und über allen ragte der Dilima-Pic etwa 1500 Fuss hoch über der Meeresfläche empor. Aber bald darauf senkte sich der Weg wieder in ein kesselförmiges, grünes, von hohem Korn bewachsenes Thal und bog sich leicht von Nordwesten nach Westen durch ein Land, das sich abermals in wellenförmigen Linien dahinzog.

In einer der zwischen diesen länglichen Bodenanschwellungen befindlichen Niederungen stand das Dorf Kingaru mit einer Umgebung, die in ihrem Aeussern auf Wechsel- und andere Fieber hindeutete. Vielleicht machten die dicken Regenwolken und überhängenden Bergfirsten mit ihren dichten, durch das Dunkel traurig aussehenden Wäldern den Ort unangenehmer als gewöhnlich; jedenfalls waren die ersten Eindrücke keineswegs angenehm, die ich von dieser rasenbekleideten, von dunkeln Wäldern eingeschlossenen Thalsenkung und der nahe gelegenen tiefen sumpfigen Wasserrinne empfing.

Ehe wir unser Lager in Ordnung bringen und die Zelte aufschlagen konnten, kam der schreckliche Vorbote der Masikazeit in hinreichenden Strömen herab, um die junge, glühende Liebe, die ich in letzter Zeit für Ostafrika an den Tag gelegt hatte, zu dämpfen. Trotz des Regens jedoch arbeiteten wir weiter, bis unser Lager fertig, das Eigenthum vor Wetter und Dieben in Sicherheit gebracht war,[S. 98] und wir mit Ergebung zusehen konnten, wie die Regentropfen den Boden in einen äusserst zähen Schlamm verwandelten und aus unserm Lagergrunde kleine Seen und Flüsse bildeten.

Gegen Abend, nachdem das unangenehme Schauspiel seinen Höhepunkt erreicht hatte, hörte der Regen auf, und die Eingeborenen kamen aus den in den Wäldern gelegenen Dörfern schaarenweise mit ihren Verkaufsartikeln ins Lager. Ihnen voran erschien, als ob er dazu verpflichtet wäre, der Sultan — Beherrscher oder Häuptling — des Dorfes mit 3 Maass Matama und ½ Maass Reis, die er mich mit väterlichem Lächeln anzunehmen ersuchte. Aber unter seiner lachenden Maske, den triefenden Augen und der gefurchten Stirn liess sich ein ränkevolles, äusserst schlaues Wesen erkennen. Unter derselben Maske, die dieser schelmische Aelteste angenommen hatte, antwortete ich: „Der Häuptling von Kingaru hat mich einen reichen Sultan genannt. Wenn ich das bin, warum kommt dann der Häuptling nicht mit einem reichen Geschenk zu mir, damit er ein ebenso reiches Gegengeschenk empfangen könne?“ Darauf erwiderte er abermals mit einem gezwungenen Lächeln seines runzligen Gesichts: „Kingaru ist arm und es gibt im Dorfe kein Matama.“ Worauf ich entgegnete, ich werde ihm, da kein Matama im Dorf vorhanden sei, ein halbes Schukka oder ein Meter Tuch geben, was genau seinem Geschenk entspräche, und wenn er sein kleines Körbchen für ein ordentliches Geschenk halte, so würde ich mein Zeug gleichfalls als ein solches bezeichnen. Mit dieser Logik musste er sich zufriedengeben.

1. April. Heute hat die Expedition einen Verlust erlitten durch den Tod des grauen arabischen Pferdes, das mir Seyyid Barghasch, der Sultan von Zanzibar, geschenkt hatte. Gestern Abend bemerkte ich, dass das Pferd leidend war. Da ich mich dessen erinnerte, was mir Dr. Kirk, der britische Consul in Zanzibar, so häufig versichert hatte, nämlich dass Pferde im Innern von Afrika wegen der Tsetsefliege nicht leben könnten, liess ich es öffnen, um den Magen, von dem ich meinte, dass er krank sei, zu untersuchen. Ausser vielem unverdauten Matama und Gras fanden sich[S. 99] 25 kurze, dicke, weisse Würmer vor, welche wie Blutegel in der Wandung des Magens steckten, während die Därme von zahlreichen langen weissen Würmern wimmelten. Ich bin überzeugt, dass weder Mensch noch Vieh mit einer solchen Masse schädlicher lebender Wesen im Innern lange existiren kann.

Damit der todte Kadaver das Thal nicht verpeste, liess ich das Pferd ungefähr 20 Meter von der Lagerstätte tief in die Erde vergraben. Aus dieser kleinen Veranlassung machte der Dorfhäuptling Kingaru ungeheuern Lärm. Er hatte sich nämlich mit seinen Collegen, den Häuptlingen der benachbarten Dörfer, die ungefähr zwei Dutzend aus Zweigen geflochtene Hütten repräsentirten, über die beste Methode berathschlagt, wie er den Musungu um ein oder zwei ganze Doti Merikani strafen könne, und war dabei schliesslich zu der Ueberzeugung gelangt, dass die Beerdigung eines todten Pferdes in ihrem Grund und Boden, ohne vorgängige Erlaubniss, ein schreckliches und strafwürdiges Vergehen sei. Indem er sich also über die unverzeihliche Unterlassung sehr entrüstet stellte, beschloss Kingaru, vier junge Leute an den Musungu zu schicken und ihm sagen zu lassen: „Da Ihr Euer Pferd in meinem Boden begraben habt, so mag es gut sein; es kann da bleiben, aber Ihr müsst mir zwei Doti Merikani dafür bezahlen.“ — Als Antwort wurde den Boten aufgetragen, ihrem Häuptling zu sagen, ich zöge es vor, die Sache mit ihm selbst von Angesicht zu Angesicht zu besprechen, wenn er so gut sein wolle, mich noch einmal in meinem Zelte zu besuchen. Da das Dorf nur einen Steinwurf von unserm Feldlager entfernt war, kam der runzlige Aelteste in ein paar Minuten wieder an die Thür meines Zeltes und etwa die Hälfte der Einwohnerschaft folgte ihm.

Das nun folgende Zwiegespräch, welches so stattfand, wie es hier aufgezeichnet, wird dazu beitragen, den Charakter der Leute zu kennzeichnen, mit denen ich ungefähr ein Jahr lang im Verkehr stehen sollte.

Weisser: „Sind Sie der grosse Häuptling von Kingaru?“

Kingaru: „Huh-uh. Ja.“

[S. 100]

Weisser: „Der grosse, grosse Häuptling?“

Kingaru: „Huh-uh. Ja.“

Weisser: „Wie viel Soldaten habt Ihr?“

Kingaru: „Wieso?“

Weisser: „Wie viel Kriegsleute habt Ihr?“

Kingaru: „Gar keine.“

Weisser: „Nun, ich dachte, Ihr würdet tausend Mann bei Euch haben, da Ihr einem so starken Weissen, der viel Gewehre und Soldaten hat, eine Strafe von 2 Doti für das Begraben eines todten Pferdes auferlegt.“

Kingaru (etwas verwirrt): „Nein, ich habe keine Soldaten. Ich habe blos ein paar junge Leute.“

Weisser: „Warum kommt Ihr denn und macht uns diese Unruhe?“

Kingaru: „Ich habe es nicht gethan, sondern meine Brüder, die mir sagten: «Komm her, komm her, Kingaru, sieh, was der weisse Mann gethan hat. Hat er nicht von Deinem Grund und Boden Besitz ergriffen dadurch, dass er sein Pferd ohne Deine Erlaubniss in Deinem Erdreich begraben hat? Komm, geh hin und sieh, mit welchem Rechte er das gethan.» Daher bin ich hergekommen, um Euch zu fragen, wer Euch die Erlaubniss ergeben hat, meinen Boden als Begräbnissplatz zu benutzen.“

Weisser: „Ich bedarf keines Menschen Erlaubniss, um das zu thun, was recht ist. Mein Pferd ist krepirt. Hätte ich es in Euerm Thal liegen lassen, um daselbst zu verfaulen und die Luft zu verpesten, so hätte Krankheit Euer Dorf heimgesucht, Euer Wasser wäre ungesund geworden und die Karavanen würden hier nicht anhalten, um Handel zu treiben, denn sie würden sagen: «Dies ist ein unglücklicher Ort, lasst uns fortziehen.» Aber genug davon; ich höre, Ihr wollt nicht, dass das Pferd in Euerm Boden beerdigt sei. Der Fehler, den ich begangen, lässt sich leicht wieder gutmachen. Im Augenblicke sollen meine Soldaten es wieder ausgraben und den Boden so zudecken, wie er früher war, und das Pferd soll da liegen bleiben, wo es gestorben ist.“ (Bombay laut zurufend): „Heda, Bombay, nimm Soldaten mit Hacken, um mein Pferd aus der Erde herauszugraben. Schleppt es dahin, wo es gestorben ist und[S. 101] macht alles bereit für unsern morgen früh stattfindenden Marsch.“

Kingaru schreit nun mit bedeutend erhobener Stimme und vor Erregung wackelndem Kopfe: „Akuna, akuna, Bana! Nein, nein, Herr! Möge der weisse Mann nicht zornig werden. Das Pferd ist todt und liegt jetzt begraben. Mag es da liegen bleiben, weil es schon da ist, und lasst uns wieder gute Freunde sein.“

Nachdem der Scheikh von Kingaru auf diese Weise zur Vernunft gebracht war, boten wir einander ein freundschaftliches Quahary und ich blieb allein, um über meinen Verlust nachzudenken. Kaum war eine halbe Stunde verstrichen — es war 9 Uhr abends geworden und das Lager schon halb im Schlummer, — als ich ein tiefes, von einem der Thiere herrührendes Gestöhne vernahm. Als ich mich danach erkundigte, welches Thier leidend war, war ich erstaunt zu erfahren, dass es mein Brauner sei. Mit einer Stallglaslaterne besuchte ich dasselbe und bemerkte, dass der Schmerz im Magen sass, aber ob er von irgend einer giftigen Pflanze, die es auf der Weide gefressen oder von einer sonstigen Krankheit herrühre, konnte ich nicht ermitteln. Das Pferd gab reichliche Mengen einer dünnflüssigen Substanz von sich, die aber in ihrer Farbe nichts eigenthümliches hatte. Seine Schmerzen waren offenbar sehr gross, denn es stöhnte wahrhaft kläglich und sträubte sich heftig. Ich blieb die ganze Nacht auf in der Hoffnung, dass es nur die vorübergehende Wirkung einer unbekannten schädlichen Pflanze sei, aber nach einem kurzen, schweren Todeskampfe krepirte auch dieses Pferd am nächsten Morgen um 6 Uhr, genau 15 Stunden nach dem andern. Als wir den Magen öffneten, stellte sich heraus, dass der Tod durch das nach Innen erfolgte Aufplatzen eines Krebsgeschwürs bedingt war, das den grössten Theil der Magenwand ergriffen und sich 1–2 Zoll nach dem Mageneingang hinauf erstreckt hatte. Der Inhalt des Magens und der Gedärme war von dem gelben schleimigen Ausfluss des Geschwürs geradezu überschwemmt.

So hatte ich meine beiden Pferde verloren und zwar innerhalb des kurzen Zeitraums von fünfzehn Stunden. Bei meiner beschränkten Kenntniss der Veterinärkunde, welche[S. 102] zwar durch die vorliegenden positiven Beweise, die mir die Section der beiden Magen darbot, erweitert wurde, kann ich es kaum wagen, der Behauptung des Dr. Kirk zu widersprechen und etwa meinerseits behaupten zu wollen, dass Pferde doch im Stande sind, Unyanyembé zu erreichen und bequem durch diesen Theil Ostafrikas reisen können. Sollte ich aber in Zukunft jemals dazu Gelegenheit haben, so würde ich nicht zaudern, mir vier Pferde mitzunehmen; doch würde ich bestimmt vor dem Kaufe mir alle Mühe geben, genau festzustellen, ob sie vollständig gesund und fehlerfrei sind, und den Reisenden, die ein gutes Pferd gern haben, möchte ich zurufen: „Versuchen Sie es weiter und lassen Sie sich nicht durch meine unglücklichen Erfahrungen entmuthigen.“

Der 1., 2. und 3. April gingen vorüber und wir hörten und sahen nichts von der stets zurückbleibenden vierten Karavane. Mittlerweile vermehrte sich die Zahl unserer Unfälle. Ausser dem Verlust der kostbaren Zeit infolge der Verkehrtheit des Führers der andern Karavane und dem Verlust meiner beiden Pferde, benutzte ein mit Bootgeräthschaften beladener Pagazi die Gelegenheit und desertirte. Ferner wurde mein Dolmetscher Selim von einem heftigen Anfall von Wechselfieber befallen. Ihm folgte alsbald der Koch, dann der Hülfskoch und Schneider Abdul Kader, schliesslich ehe der dritte Tag vorbei war, hatte Bombay Rheumatismus, Uledi (der frühere Diener Grant’s) Halsentzündung, Zaidi den Fluss, Kingaru das Mukunguru, Khamisi, ein Pagazi, litt an Schwäche der Lenden, Fardschallah bekam ein Gallenfieber, und ehe die Nacht einbrach, hatte Makoviga Durchfall. So schien mein beabsichtigter Sturmlauf nach Unyanyembé und rasches Durchschreiten der furchtbaren Seegegend dazu bestimmt, ziemlich ähnlich wie der rasche Lauf auf Magdala zu endigen, den Dr. Austin, von der Londoner „Times“, dem Sir Robert Napier in Abessinien so dringend anrieth. Von einer Truppe von 25 Mann war einer desertirt, 10 befanden sich auf der Krankenliste, und es wurde somit die Vorahnung, dass die übel aussehende Umgegend von Kingaru uns Unglück bringen werde, zur vollen Wahrheit.

Am 4. April erschienen Maganga und seine Leute,[S. 103] nachdem sie sich uns durch Musketenschüsse und Hornsignale, den in diesem Lande gewöhnlichen Zeichen der Annäherung einer Karavane, angemeldet hatten. Seine Kranken waren bedeutend besser, aber sie brauchten noch einen Tag Ruhe in Kingaru. Nachmittags kam er, um Angriffe auf meine Freigebigkeit zu machen, indem er mir Einzelheiten über die herzlosen Betrügereien erzählte, welche Sur Hadschi Pallu gegen ihn verübt hätte; aber ich sagte ihm, ich könne, seit ich Bagamoyo verlassen, nicht mehr freigebig sein. Wir wären jetzt in einem Lande, wo das Tuch viel mehr werth sei; auch hätte ich nicht mehr Zeug, als ich für meinen und meiner Leute Unterhalt brauchte, und er und seine Karavane hätten mir mehr Geld und Mühe gekostet, als die drei übrigen — was auch der Fall war. Mit dieser Entgegnung musste er sich zufriedengeben, aber ich löste wieder seine Zweifel über die Geldangelegenheit, indem ich ihm versprach, dass er, wenn er rasch mit seiner Karavane nach Unyanyembé weiterzöge, keine Ursache haben solle, sich zu beklagen.

Am 5. April hatten wir die Genugthuung, die vierte Karavane vor uns her verschwinden zu sehen mit dem erwünschten Versprechen, dass wir sie diesseits von Simbamwenni gewiss nicht wieder erblicken sollten, wenn wir auch noch so rasch folgten.

Am folgenden Morgen schlug ich, um meine Leute aus ihrer krankhaften Stumpfheit aufzurütteln, einen ermunternden Alarm mit einem eisernen Kochlöffel auf einer Zinnpfanne, wodurch ich anzeigte, dass wir im Begriff standen, ein Sofari zu unternehmen. Nach der ausserordentlichen Heiterkeit zu urtheilen, mit der meinem Aufruf entsprochen wurde, hatte dies eine sehr gute Wirkung. Schon vor Sonnenaufgang waren wir in der Lage aufbrechen zu können. Nach unserm Abzug stürzten die Dorfbewohner von Kingaru mit der Schnelligkeit von Habichten heraus, um sich Lumpen oder Abfälle, die wir zurückgelassen hatten, zu sammeln.

Der lange Marsch von 15 Meilen nach Imbiki bewies, dass unser verlängerter Aufenthalt in Kingaru meine Soldaten und Pagazis völlig demoralisirt hatte. Nur wenige von[S. 104] ihnen hatten Kraft genug, um Imbiki vor der Nacht zu erreichen. Die andern, welche bei den beladenen Eseln waren, erschienen erst am nächsten Morgen in einem bejammernswerthen Zustande des Geistes und Körpers. Khamisi — der Pagazi mit den schwachen Lenden — war weggelaufen und hatte zwei Ziegen, das Zelt für die Waaren und die ganze persönliche Habe von Uledi, welche aus seinem Besuchs-Dischdascheh, einem langen Hemde nach arabischem Schnitt, 10 Pfund Perlen und einigen feinen Zeugen bestand, mitgenommen. Uledi hatte ihm dies in einem Anfall von Grossmuth anvertraut, während er des Pagazi’s Last, nämlich 70 Pfund Bubuperlen, getragen hatte. Diese Veruntreuung durfte nicht unbeachtet bleiben, auch konnte man Khamisi nicht heimkehren lassen, ohne dass ein Versuch gemacht wurde, ihn zu fassen. Daher wurden Uledi und Feradschi ausgeschickt, um ihn zu verfolgen, während wir in Imbiki blieben, um den heruntergekommenen Soldaten und Thieren Zeit zur Erholung zu geben.

Am 8. setzten wir unsere Reise fort und kamen in Msuwa an. Dieser Marsch wird als der angreifendste von allen in der Erinnerung unserer Karavane lebendig bleiben, obwol die Entfernung nur zehn Meilen betrug. Er führte fortwährend durch Dschungeldickicht, nur unterbrochen von drei dazwischen liegenden Waldwiesen von beschränkten Dimensionen, die uns drei Athmungspausen in der grässlichen Reisearbeit durch das Dickicht gewährten. Der Geruch, der den wilden Pflanzen desselben entströmte, war so durchdringend, so stechend scharf, und das aus den verwesten Pflanzenstoffen entstehende Miasma so dicht, dass ich jeden Augenblick erwartete, ich und meine Leute würden in akuten Fieberanfällen hinstürzen. Glücklicherweise jedoch gesellte sich dieses Unglück nicht noch zu dem Uebelstande, dass wir die häufig fallenden Packete auf- und abzuladen hatten. Es zeigte sich, dass sieben Soldaten für die Besorgung von fünfzehn beladenen Eseln auf einer Reise durch die Dschungels entschieden zu wenig waren; denn wenn der Pfad nur einen Fuss breit ist und von einer von Dornen und Schlinggewächsen starrenden Mauer zu beiden Seiten eingehegt wird, wenn vorspringende Aeste quer über ihn laufen,[S. 105] sowie Bündel von starren Zweigen, spitz wie Nägel alles aufhalten, was mehr als vier Fuss hoch ist, so kann man vernünftigerweise annehmen, dass vier Fuss hohe Esel mit einer Last, welche von einem Ballen zum andern vier Fuss misst, Unglück haben mussten. Solches Unglück ereignete sich häufig und zwang uns alle paar Minuten, die Sachen wieder in Ordnung zu bringen. Dies hatten wir so oft zu thun, dass die Leute ganz unmuthig wurden und man ihnen scharf zureden musste, damit sie sich an die Arbeit machten. Als ich Msuwa erreichte, war niemand bei mir und den zehn Eseln, die ich trieb, als Mabruki der Kleine, welcher, obwol gewöhnlich etwas dumm, wie ein Mann bei seiner Arbeit blieb. Bombay und Uledi waren weit hinten mit den abgemattetsten Eseln. Shaw hatte den Karren zu besorgen und machte sehr trübe Erfahrungen dabei; wie er mir sagte, hatte er ein ganzes Wörterbuch stürmischer Schimpfreden, wie sie den Matrosen bekannt sind, verbraucht und noch ein neues, selbst extemporirtes erschöpft. Er kam nicht vor 2 Uhr am nächsten Morgen an und war vollständig abgetrieben. Ich zweifle wirklich, dass der frömmste Geistliche es hätte vermeiden können, über seine eigene Thorheit hierher zu kommen, zu fluchen, wenn er unter solchen Umständen, mit so häufig wiederkehrenden Störungen, und einer solchen Sisyphusarbeit ausgesetzt, durch diese Dschungels hätte reisen müssen. Wie habe ich mich doch auf diesem schweren Marsche nach meiner frühern bequemen Lebensweise, nach der angenehmen Ruhe in meinem behaglichen Lehnstuhl in Madrid gesehnt! Wer zuerst vom Reisen behauptet hat, dass es blos für Narren paradiesisch sein könne, muss sicherlich durch die Erlebnisse eines ähnlichen Tages zu diesem Ausspruch veranlasst worden sein.

Wiederum wurde in Msuwa Halt gemacht, damit unsere Thiere sich erholen konnten. Der Häuptling des Dorfes, ausser in der Farbe ein Weisser in jeglicher Beziehung, schickte mir und meinen Leuten das fetteste breitschwänzige Schaf seiner Heerde und fünf Maass Matamakorn. Das Hammelfleisch war ausgezeichnet, unvergleichlich schön. Für sein rechtzeitiges, uns so nothwendiges Geschenk gab ich ihm zwei Doti und amüsirte ihn damit, dass[S. 106] ich ihm den wundervollen Mechanismus des gezogenen Winchester-Gewehrs und meiner Hinterlader-Revolver auseinandersetzte.

Er und seine Leute waren intelligent genug, um die Nützlichkeit dieser Waffen in der Noth zu begreifen und deuteten mit ausdrucksvollen Pantomimen die mächtige Wirkung derselben gegen blos mit Speer und Bogen bewaffneten Massen an, indem sie ihre Arme so ausstreckten, als ob sie eine Flinte hielten und mit derselben einen grossen Kreis umschrieben. „Wahrlich“, sagten sie, „die Wasungu sind viel klüger als die Waschensi. Was für Köpfe haben sie! Was für wunderbare Dinge machen sie! Man sehe nur ihre Zelte, ihre Gewehre, ihre Uhren, ihre Kleider und das kleine rollende Ding (den Karren) an, das mehr als fünf Menschen transportiren kann, — que!“

Am 10. marschirte meine Karavane von Msuwa ab, nachdem sie sich von der furchtbaren Anstrengung des letzten Tages erholt hatte. Von den gastfreien Dorfbewohnern wurden wir, soweit ihre Vertheidigungspfähle reichten, begleitet und dort mit einstimmigen „Quaharys“ verabschiedet. Ausserhalb des Dorfes versprach der Marsch weniger schwierig zu sein als zwischen Imbiki und Msuwa. Nachdem die Strasse durch eine hübsche kleine Ebene gegangen war, welche ein trockener Graben oder Mtoni durchschnitt, führte sie an ein paar bebauten Feldern vorüber, wo uns die Ackerbauer wie bezaubert, nur durch starres Anglotzen begrüssten.

Bald darauf stiessen wir auf ein Schauspiel, das in diesem Theile der Welt gewöhnlich ist, nämlich auf eine gefesselte Sklavenbande, die nach Osten zog. Die Sklaven sahen durchaus nicht niedergeschlagen aus, sondern schienen im Gegentheil von dem philosophischen Humor erfüllt, den der muntere Diener Martin Chuzzlewit’s an den Tag legt. Wäre es nicht um die Ketten gewesen, so hätte man nur mit Schwierigkeit den Herrn vom Sklaven unterscheiden können; die physiognomischen Züge waren dieselben. Das milde Wohlwollen, mit dem sie uns anblickten, war auf allen Gesichtern gleichmässig zu sehen. Die Ketten waren schwer und hätten auch Elefanten fesseln können, aber da[S. 107] die Sklaven ausser denselben nichts zu tragen hatten, konnte ihr Gewicht nicht unerträglich sein.

Auf diesem Marsch gab es wenig Dickicht und obgleich die Packete an einigen Stellen Unfälle erlitten, so waren diese doch nicht so bedeutend, dass wir dadurch erheblich aufgehalten worden wären. Um 10 Uhr vormittags campirten wir mitten in einer Gegend, die eine imposante Aussicht auf grünen Rasen und Wald darbot, über die sich ein wolkenloser Himmel wölbte. Wir hatten unser Lager wieder in der Wildniss aufgeschlagen und, wie es bei Karavanen Sitte ist, zwei Schüsse abgefeuert, um den Waschensi, die Korn verkaufen wollten, anzuzeigen, dass wir zum Handel bereit seien.

Unser nächster Halteplatz war das nur elf Meilen von Msuwa entfernte Kisemo, ein in einem volkreichen Bezirk belegenes Dorf, das in seiner Umgebung nicht weniger als fünf andere Dörfer zählt, welche sämmtlich mit Pfählen und Dornenverhauen befestigt sind und einen ebenso trotzigen Unabhängigkeitssinn an den Tag legen, als ob ihre kleinen Gebieter lauter Percy und Douglas wären. Jedes Dorf lag oben auf einem Bergkamm oder niedrigem Hügel und sah so herausfordernd aus, wie ein Hahn auf seinem eigenen Misthaufen. Zwischen diesen unbedeutenden Anhöhen und niedrigen Höhenzügen winden sich enge Thäler, in denen Matama und Mais gebaut wird. Hinter dem Dorf fliesst der Ungerengeri-Fluss, welcher in der Masikazeit ein ungestümer Gebirgsstrom und im Stande ist, seine steilen Ufer zu überfluten, in der trockenen Jahreszeit dagegen in seinem gewöhnlichen Zustande verharrt und als kleiner, sehr klares, süsses Wasser enthaltender Bach erscheint. Von Kisemo läuft er erst südwestlich, dann östlich, und er bildet den Hauptzufluss des Kingani.

Die Schönen von Kisemo, welche riesige Posteriora haben, sind durch ihre Liebhaberei für Schmuck von Messingdraht, der sich in Spiralen um ihre Hand- und Fussgelenke windet, sowie durch die verschiedenartigen Frisuren ihrer mit dicken Haaren besetzten Köpfe bekannt. Dagegen beweisen ihre armen Gebieter, die sich mit schmutzigen zerrissenen Fetzen und gespaltenen Ohren begnügen müssen,[S. 108] welch ausgedehnte Herrschaft Asmodeus über diese Erdensphäre ausübt; denn es muss eine unglückliche Zeit gewesen sein, wo die schwer belagerten Ehemänner ihren drängenden Gemahlinnen schliesslich nachgaben. Ausser diesen Messingverzierungen an den Extremitäten und den verschiedenen Frisuren tragen die Weiber von Kisemo häufig lange Halsbänder, welche in den verschiedenartigsten Farben an ihrem schwarzen Körper herabwallen.

Es gibt ein belebtes Bild, wenn ein solches Frauenzimmer von der bereits erwähnten gewaltigen körperlichen Entwickelung, in vollem Staat, bei der nothwendigen Hausarbeit ist und für sich und die Familie Korn mahlt. Der Mahlapparat besteht aus zwei Theilen, einer dicken ungefähr sechs Fuss langen Stange aus hartem Holze, die als Stössel dient, und einem geräumigen hölzernen Mörser von drei Fuss Höhe.

Als Shaw dabei war, sein Zelt aufzuschlagen, war er genöthigt, einen kleinen flachen Stein wegzurücken, um einen Pflock in den Boden treiben zu können. Als der Dorfhäuptling dies sah, stürzte derselbe sofort athemlos auf ihn zu, legte den Stein wieder an seine Stelle und stellte sich dann in nachdrücklicher Weise, welche die grosse Bedeutung andeutete, die dem Stein und seiner Lage beigelegt wurde, auf denselben. Als Bombay bemerkte, dass Shaw in stummer Verwunderung über diese Handlungsweise stehen blieb, erbot er sich, den Häuptling zu fragen, was das zu bedeuten habe. Der Scheikh antwortete feierlich mit einem Finger nach unten weisend: „Uganga!“ Darauf bat ich ihn dringend, mir zu zeigen, was unter dem Steine eigentlich wäre. Mit einer ganz rührenden Liebenswürdigkeit willfahrte er meinen Bitten und meine Neugier wurde durch den Anblick eines geschnitzten Stäbchens befriedigt, das ein Insekt fest an den Boden heftete, welches einem jungen Frauenzimmer im Dorfe einen Abortus verursacht haben sollte.

FRAU BEIM KORNMAHLEN.

Während des Nachmittags kehrten Uledi und Feradschi, die dem weggelaufenen Khamisi nachgeschickt worden waren, mit ihm und allen fehlenden Gegenständen zurück. Dem Khamisi waren bald nachdem er den Weg verlassen und sich in das Dickicht gestürzt hatte, wo er sich im Geiste[S. 109] über seine Beute freute, einige plündernde Waschensi begegnet, die Nachzüglern fast immer auflauern; sie hatten ihn ohne Umschweife in den Wald in ihr Dorf geschleppt und an einen Baum gebunden, um ihn zu tödten. Khamisi hatte, wie er uns sagte, sie gefragt, warum sie ihn anbänden, worauf sie ihm antworteten, sie ständen im Begriff, ihn zu tödten, weil er ein Mgwana sei, und diese pflegten sie sofort nach der Gefangennahme zu tödten. Diesen Debatten über Khamisi’s Schicksal machten jedoch Uledi und Feradschi, welche bald darauf gut bewaffnet an den Ort kamen, ein Ende, indem sie ihn als einen aus dem Lager des Musungu weggelaufenen Pagazi, sowie alle Gegenstände, die er zur Zeit seiner Gefangennahme bei sich hatte, für sich in Anspruch nahmen. Die Räuber machten ihnen auch das Recht auf den Pagazi, die Ziege, das Zelt und alle andern Werthsachen, die bei jenem gefunden worden, gar nicht streitig, sondern meinten nur, sie verdienten eine Belohnung dafür, dass sie ihn gefangen genommen. Da dies[S. 110] Verlangen als gerechtfertigt anerkannt wurde, wurde ihnen eine Belohnung von zwei Doti und einem Fundo oder zehn Schnüren Perlen gewährt.

Es war unmöglich, Khamisi seine Desertion und den Raubversuch zu verzeihen, ohne dass er erst bestraft worden wäre. In Bagamoyo hatte er, ehe er in meinen Dienst genommen wurde, einen Vorschuss von 5 Dollars an Geld verlangt und erhalten; und die Last von Bubuperlen, die er zu tragen gehabt, war nicht schwerer, als jede andere Pagazilast; es gab also gar keine Entschuldigung für seine Desertion. Um jedoch bei seiner Bestrafung keine Unklugheit zu begehen, liess ich acht Pagazi und vier Soldaten als Richter zusammentreten und bat sie, darüber zu entscheiden, was zu geschehen habe. Ihr einmüthiger Urtheilspruch lautete, dass er eines unter den Wanyamwezi’schen Pagazi sonst unbekannten Verbrechens schuldig sei, und da dasselbe geeignet sei, den letzteren einen schlechten Ruf zu schaffen, so verurtheilten sie ihn dazu, mit des „grossen Herrn“ Eselspeitsche geprügelt zu werden. Darauf liess ich ihn binden und in Erwägung, dass infolge seiner Handlungsweise die Pagazi an ihrem guten Ruf, die Soldaten an der Werthschätzung ihres Herrn als ausreichende Wachen Schaden gelitten hatten und Shaw von mir dafür getadelt worden war, dass er nicht besser nach den Nachzüglern gesehen, ertheilte ich den Befehl, dass jeder Pagazi und Soldat sowie Shaw ihn mit je einem Hiebe bestrafen sollten. Dies wurde auch unter des armen Khamisi lautem Wehklagen ausgeführt.

Ehe die Nacht anbrach, kam eine kleine Karavane von Wangwana an, die mir einen langen Brief von dem liebenswürdigen amerikanischen Consul in Zanzibar, sowie eine Reihe neuer Zeitungsnummern des „New York Herald“, die bis zum 4. Februar reichten, brachte. Unter andern erfreulichen Nachrichten, wie z. B. den Verhandlungen des Congresses und der New-Yorker gesetzgebenden Versammlung oder Berichten über schreckliche in Amerika begangene Verbrechen, die ich in ihnen las, befand sich auch eine Schilderung des zweiten Levers des Präsidenten Grant, in welchem Herr Jenkins mit studirtem Wortschwall die Toiletten[S. 111] der Damen beschrieb, die bei diesem bemerkenswerthen Empfange zugegen waren. Da las ich denn wie eine lavendelfarbene Straussfeder unter den lieblichen grauen Locken von Frau X. gewogt; wie Diamanten der grossartigen Toilette von Frau Y., dieser imposanten Erscheinung, die Krone aufgesetzt; wie Frau Z. einen mit Rüschen von scharlachrothem Atlas besetzten Ueberwurf getragen; wie Frau V. aus ihren Diamanten ein Lichtmeer habe strahlen lassen, wenn sie in ihrem herrlichen, purpurnen Atlasgewande dahingerauscht sei; wie sich der Präsident mit seiner tiefen männlichen Stimme und seinem forschenden grauen Augenpaar bei Gelegenheit seines zweiten Levers für das souveräne Volk aufgeopfert habe; und noch mehr derartige Schmeicheleien.

Als ich von dieser erquicklichen Lectüre aufsah, erblickte ich in meiner Zeltthüre die schwarzhäutigen Leiber von Kisemo’s Töchtern in dichten Schaaren, die sich vergeblich abgemüht hatten, das Geheimniss zu durchdringen, das in diesen enormen Papierbogen lag, in die ich mich so lange Zeit vertieft hatte. So plötzlich und gewaltig war der Contrast zwischen dem, was mein Freund Jenkins beschrieben, und diesem so ausserordentlich realistischen Anblicke, der sich meinen leibhaftigen Augen darbot, dass es einer starken Anstrengung des Geistes und Gedächtnisses bedurfte, um es mir klar zu machen, wie solche grossartig gekleidete Damen aussehen und wo eigentlich der Unterschied liege zwischen einer „blonden Schönheit mit einer Masse goldig schimmernden Haares und Augen, deren Glanz mit dem der Diamanten wetteifert“, und einem dieser runden, dreizehn- bis vierzehnjährigen, eben heranreifenden schwarzen Mädchen, die mit ihrem Hahnenkamm wolligen Haupthaares, ihren üppig entwickelten, nur von ein wenig alter Leinwand verhüllten Körperformen, ihren drei Pfund schweren Messingdraht-Zierrathen an Kopf und Fuss und massenhaften Perlenschnüren um den Hals, in der natürlichen Pracht und Schönheit der Nacktheit zahlreich meinem Lever beiwohnten. Aber freilich gibt es einen grossen Unterschied zwischen meinem Hof und dem des Präsidenten, der nämlich, dass letzterer einen so tüchtigen Mann wie Jenkins zum Reporter hat!

[S. 112]

Am 12. erreichte die Karavane Mussundi am Ungerengeri-Fluss. Zum Glück für unsere geduldigen Esel war dieser Marsch von all den lästigen durch die Dschungels veranlassten Störungen frei; zum Glück für uns selbst hatten wir keine Sorgen mehr um die Packete und keine Angst, dass wir vor Anbruch der Nacht nicht ins Lager kämen. Nachdem die Packereien fest auf die Rücken unserer guten Esel geschnallt waren, marschirten sie auf dem vortrefflichen Wege ohne eine einzige Verschiebung oder Veranlassung zur Ungeduld bis wir ins Lager kamen. Wenn der Weg nach Unyanyembé überall so wäre wie dieser, so würde ich ihn für ebenso angenehm halten, wie eine Ueberfahrt von New-York nach Staten-Island zu einem Sonntagsvergnügen oder eine Fahrt in der Pferdeeisenbahn nach dem Centralpark. Wenn man die Kiespfade, Seen und Teiche, Museen, Gitterlauben, den Kiosk, die uniformirten Polizisten und wohlgekleideten Besucher, kurz alle Einzelheiten und Anzeichen einer alten Civilisation abzieht, so würde der alles dessen beraubte Centralpark, mit seinen erquickenden freien Plätzen, lieblichen Senkungen und mit Alleen bewachsenen Hügeln denen, die sich denselben in diesem Zustande vorstellen könnten, ein ziemlich treues Bild des Landes geben, welches sich, bald nachdem wir Kisemo verlassen hatten, unsern Blicken darbot. Diese herrliche uncultivirte Gegend mit ihren zahlreichen Blumen und mannichfaltigen süssduftenden Sträuchern, unter denen ich den wilden Salbei, die Indigopflanze und andere erkannte, hörte am Fusse des Pic Kira und seiner Nachbarkegel auf, welche die Grenze zwischen Udoe und dem noch 20 Meilen entfernten Ukami bezeichneten. Diese fernen Berge bildeten einen nicht unpassenden Hintergrund für das herrliche Bild der offenen Ebene, der kleinen Waldungen und sich senkenden freien Plätze. In den blauen Bergen lag hinreichend viel malerisches und erhabenes, um das Bild zu einem Ganzen zu vervollständigen.

Als wir uns dem Ungerengeri-Thal näherten, erhoben Granitblöcke und glänzende Quarzvorsprünge ihr Haupt über dem röthlichen Boden. Nachdem wir den Bergrücken hinabgestiegen, wo diese Felsen hervorragten, befanden wir uns in dem schwarzen Lehmboden des Ungerengeri und inmitten[S. 113] üppiger Felder von Zuckerrohr und Matama, Mais, Muhogo und Gärten von Curry, Eier- und Gurkenpflanzen. An den Ufern des Ungerengeri blühte die Banane und über diese schoss, sie um 70 Fuss und mehr überragend, die stattliche Mparamusi empor, welche es an Schönheit mit der persischen Chenar und der abessinischen Platane aufnimmt. Ihr Stamm ist gerade und stattlich genug, um als Hauptmast einer Fregatte erster Klasse dienen zu können, während ihre ausgedehnte Laubkrone sich vor allen andern durch Dichtigkeit und lebhaftes Grün unterscheidet. Dort befinden sich etwa 20 verschiedene Arten der grösseren Baumgattungen, deren weit ausgebreitete Aeste sich über den schmalen, aber raschen Fluss hinweg umarmen. Die Thalsenkungen und die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wurde von jungen Waldungen von Tigergras und steifen Binsen überwuchert.

Mussoudi ist wesentlich höher gelegen als die meisten anderen Dörfer und sieht daher auf seine Nachbardörfer, deren Zahl mehr als hundert beträgt, hinab. Es bildet die westliche Grenze von Ukwere. Auf dem westlichen Ufer des Ungerengeri beginnt das Gebiet der Wakami. Wir mussten einen Tag in Mussoudi halten, weil wir bei der Armuth des Volkes uns nicht die nöthige Quantität Korn zu verschaffen vermochten. Die Ursache dieses Mangels in einem so fruchtbaren und kornreichen Thale war, dass sich die zahlreichen Karavanen, welche uns vorausgezogen waren, hier mit grossen Vorräthen für ihre Reisen ins Innere versehen hatten.

Am 14. passirten wir den Ungerengeri, welcher hier in südlicher Richtung bis an die südliche Grenze des Thales fliesst, wo er sich bis Kisemo hin nach Osten wendet. Nachdem wir hier über den Fluss gesetzt waren, der zu allen Zeiten passirbar und nur 18 Meter breit ist, hatten wir das Thal, welches einen sehr feuchten Boden und üppigen Graswuchs hat, noch eine Meile lang zu durchziehen. Dann erhob es sich und führte durch einen Wald von Mparamusi, Tamarinden, Tamarisken, Akazien und blühenden Mimosen. So stiegen wir zwei Stunden lang aufwärts und befanden uns dann auf dem Rücken des grössten Bergkammes, von wo wir freie Aussichten über die unten liegende bewaldete Ebene und die fernen Höhenzüge von Kisemo, die wir vor kurzem[S. 114] verlassen hatten, geniessen. Nachdem wir ein paar hundert Fuss hinabgestiegen waren, kamen wir in ein tiefes, aber trockenes Mtoni mit sandigem Bett, auf dessen anderer Seite wir wieder die gleiche Höhe zu ersteigen hatten, wo sich ein ähnliches Land unsern Blicken eröffnete, bis wir eine neu errichtete Boma mit wohlgebauten Grashütten nahe an einer Wasserpfütze fanden, die wir sofort als Halteplatz für die Nacht in Beschlag nahmen. Der Karren machte uns bedeutende Mühe; selbst unser stärkster Esel, der mit Bequemlichkeit 196 Pfund auf dem Rücken tragen konnte, vermochte ihn mit einer nur aus 225 Pfund bestehenden Belastung nicht fortzuziehen.

Früh am Morgen des 15. brachen wir unser Lager ab und begaben uns nach Mikeseh. Um ½9 Uhr morgens stiegen wir den südlichen Abhang des Kira-Pic hinauf. Als wir die Höhe von 200 Fuss über dem Niveau der umliegenden Landschaft erreicht hatten, wurden wir durch einen herrlichen Blick auf ein Land erfreut, dessen Boden keinen Sabbath kennt, und wenn Prof. Malthus dies gesehen hätte, so würde derselbe nie sein albernes Pamphlet geschrieben und wie der „Unglücks-Hume“ über die Uebervölkerung und den sichern Untergang Englands Unsinn geredet haben. Wenn es irgendwo zu viel englischredende Menschen gibt, so setze ich in sie dasselbe Vertrauen, wie der weitsehende Verfasser der „Noctes Ambrosianae“ in den „Bruder Jonathan“ und weiss, dass ihre starken Ellenbogen sich irgendwo unbekümmert um das Wohl und Wehe derer, die ihnen Widerstand leisten, Platz schaffen werden. Es gibt viele Hengists und Horsas, Captain John Smiths und Pilgerväter in der angelsächsischen Rasse, und wenn Amerika von ihren Nachkommen gefüllt ist, warum soll dann nicht Afrika und namentlich dieser prachtvolle Theil desselben ihnen zu einer neuen Heimat werden?

Nachdem wir am Rücken eines gegen den südlichen Abhang des Kira zu liegenden Berges entlang gereist waren, mussten wir wieder in das kleine Thal von Kiwrima hinabsteigen, der ersten in Udoe gelegenen Ansiedlung, wo es immer reichlichen Vorrath an Wasser gibt. Zwei Meilen westlich von Kiwrima liegt Mikiseh.

[S. 115]

Am 16. erreichten wir nach kurzem Marsch Ulagalla. Dies ist der Name eines Bezirks oder eines Theils eines Bezirks, der zwischen den Bergen von Uruguru, die ihn südlich begrenzen, und denen von Udoe liegt, welche nördlich und parallel mit jenen und nur zehn Meilen davon entfernt verlaufen. Der Haupttheil des so gebildeten Beckens heisst Ulagalla.

Muhalleh ist die nächste Ansiedlung und hier befanden wir uns auf dem Gebiet der Waseguhha. Auf diesem Marsch waren wir von Bergen eingeschlossen, links von denen von Uruguru, rechts von denen von Udoe und Useguhha, was uns eine sehr angenehme und willkommene Abwechslung bot nach den vielen Meilen eintöniger Ebene, die wir bisher gesehen hatten. Wenn wir es müde waren, in die Tiefen des Waldes zu schauen, der noch auf beiden Seiten des Weges dahinlief, brauchten wir blos unsere Blicke auf das Gebirge zu richten, um die merkwürdigen Bäume, Pflanzen und bunten Blumen desselben zu betrachten, oder unsere Köpfe zu erheben, um in diese angenehme Beschäftigung dadurch eine Abwechslung zu bringen, dass wir den langen wellenförmigen Rücken der Gebirge anschauten und uns im Geiste mit ihren Conturen, Ausläufern, Vorsprüngen und Schluchten, ihren hervortretenden Felsen und tiefen Abgründen und den vom Gipfel bis zum Fuss sich überall hin erstreckenden grünen Wäldern beschäftigten. Wenn unsere Aufmerksamkeit nicht für die profane Aufgabe beansprucht wurde, nach dem Gepäck der Esel oder den Tritten der vorsichtig wandelnden Pagazi zu sehen, so war es angenehm, die um die Berggipfel spielenden Nebel zu beobachten, welche sich in wolkige Kronen und phantastische Häufchen zusammenballten, dann wieder auflösten, um sich wieder zu einer dunklen Masse zu sammeln, welche Regen drohte, und sich dann vor der erglänzenden Sonne zu zerstreuen.

In Muhalleh befand sich die vierte Karavane unter Maganga mit drei neuen Kranken, welche sich bei meiner Annäherung mit gierigen Blicken zu mir, dem Medicinspender, wandten. Kleingewehrsalven begrüssten mich und ein Geschenk von Reis- und Maisähren zum Rösten wartete nur darauf, dass ich es annähme. Aber es wäre mir lieber[S. 116] gewesen, dass Maganga und seine Leute acht oder zehn Märsche weiter vorwärts wären, was ich ihm auch sagte. In diesem Lager kamen wir auch mit Salim bin Raschid zusammen, welcher eine mit 300 Elfenbeinzähnen beladene Karavane nach Osten führte. Ausser der in einem Geschenk von Reis bestehenden Bewillkommnung dieses guten Arabers gab er mir noch Nachrichten von Livingstone. Er war dem alten Reisenden in Udschidschi begegnet, hatte zwei Wochen in einer Hütte neben ihm gewohnt und beschrieb ihn als sehr alt aussehend mit langem grauem Bart und Schnurrbart, eben von schwerer Krankheit genesen und noch sehr angegriffen aussehend. Livingstone hatte die Absicht, nach erfolgter völliger Genesung ein Land, das Manyema heisst, über Marungu zu besuchen.

Das Thal des Ungerengeri, in dem Muhalleh liegt, bietet eine wunderbare Fruchtbarkeit dar. Hier ist das Matamakorn am höchsten und der Mais könnte sich dem besten, der je in den Gründen von Arkansas zu sehen ist, zur Seite stellen. Die zahlreichen Bergströme hatten die tiefen Lehmschichten sehr aufgeweicht, und infolge davon kamen verschiedene Unfälle vor, ehe wir das Lager erreichten. So wurde z. B. das Tuch nass, der Thee schimmelte, der Zucker hatte Wasser angezogen und die Werkzeuge waren verrostet, und nur durch sofortige auf diese nothwendigen Artikel verwandte Aufmerksamkeit gelang es uns bedeutende Verluste zu vermeiden.

Zwischen dem Betragen der Waseguhha und dem der Wadoe, Wakami und Wakwere, die wir bisher gesehen hatten, liess sich ein kleiner Unterschied bemerken. Wir fanden hier durchaus nicht die Höflichkeit, die wir bisher mit Vergnügen beobachtet hatten. Ihr ausgesprochener Wunsch, mit uns Handel zu treiben, war von unverschämten Andeutungen begleitet, dass wir ihre Erzeugnisse zu den von ihnen festgestellten Preisen kaufen müssten. Wenn wir Einwendungen erhoben, so wurden sie böse, antworteten heftig, ohne Widerrede zu vertragen, wurden leidenschaftlich und waren rasch mit Drohungen bei der Hand. Dieses sonderbare, dem der ruhigen und sanften Wakwere so entgegengesetzte Betragen lässt sich vortrefflich durch einen Vergleich erläutern,[S. 117] den man etwa zwischen dem Verhalten des heissblütigen Griechen und des kühlen und gesetzten Deutschen anstellt. Wir waren durch die Nothwendigkeit gezwungen, ihnen Esswaaren abzukaufen, und zum Ruhm des Landes und seiner Erzeugnisse sei es gesagt, dass der Honig hier von vorzüglichem Wohlgeschmack war.

SIMBAMWENNI, DIE „LÖWENSTADT“.

Dem Seitenthal des Ungerengeri folgend, brachte uns ein Marsch von zwei Stunden am nächsten Morgen dicht an der Hauptstadt von Useguhha, Simbamwenni, vorüber. Die erste Ansicht der ummauerten, am westlichen Fuss des Uruguru-Gebirge gelegenen Stadt mit ihrem schönen üppigen Thal, das von zwei Flüssen und mehreren durchsichtigen Bächen, die von den thau- und wolkenreichen Höhen herabrieseln, bewässert wird, war derartig, wie wir sie nicht im östlichen Afrika zu finden gedacht hatten. In Mazanderan in Persien würde eine solche Landschaft unsern Erwartungen entsprochen haben, aber hier war sie ganz unerwartet. Die Stadt kann eine Bevölkerung von etwa 3000 Menschen zählen, da sie ungefähr tausend Häuser hat; bei der grossen Dichtigkeit der Einwohner könnte sogar die Zahl 5000 der Wahrheit noch näher kommen. Die Häuser in der Stadt sind charakteristisch afrikanisch, aber nach dem besten Stil gebaut. Die Befestigungen sind nach arabisch-persischem Muster angelegt und vereinigen arabische Zierlichkeit mit persischer Planmässigkeit. Bei einem 950 Meilen langen Ritt in Persien habe ich keine Stadt, ausser den ganz grossen, besser als Simbamwenni befestigt gesehen. In Persien bestanden die Befestigungswerke, sogar die von Kasvin, Teheran, Ispahan und Schiras aus Lehm; die von Simbamwenni sind aus Stein, der von zwei Reihen Schiessscharten für Musketen durchlöchert ist. Der Flächeninhalt der Stadt beträgt ungefähr eine halbe Quadratmeile und bildet ein Viereck. Jede Ecke wird von wohlgebauten Steinthürmen geschützt; vier Thore, von denen je eins einer Himmelsrichtung entspricht und sich in der Mitte zwischen zwei Thürmen befindet, vermitteln die Communication mit der Umgegend. Diese Thore werden von festen quadratischen Thüren verschlossen, welche aus afrikanischem Thekholz bestehen und mit Schnitzwerk nach unendlich feinen complicirten[S. 118] arabischen Mustern geschmückt sind, woraus ich schliesse, dass sie entweder in Zanzibar oder an der Küste gefertigt und Bret für Bret nach Simbamwenni gebracht worden sind. Da jedoch viel Verkehr zwischen Bagamoyo und Simbamwenni stattfindet, so ist es auch möglich, dass Eingeborne die Verfertiger dieser künstlichen Arbeiten sind, zumal ich an den grössten Häusern mehrere ähnlich obgleich nicht ganz so mühevoll geschnitzte und ciselirte Thüren erblickte. Der Palast des Sultans ist nach dem Stil der an der Küste befindlichen gebaut, hat ein langes, sanft absteigendes, stark vorspringendes Dach und eine Veranda an der Front.

Die Sultanin ist die älteste Tochter des berühmten Kisabengo, eines in den Nachbarländern Udoe, Ukami, Ukwere, Kingaru, Ukwenni und Kiranga-Wanna wegen seiner Liebhaberei für den Menschenraub berüchtigten Mannes. Kisabengo war ein zweiter Theodor im kleinen Massstabe. Von niedriger Abkunft, zeichnete er sich auch durch seine persönliche Körperkraft aus, seine Redebegabung, seine kurzweilige und gewandte Sprache, durch die er sich einen grossen Einfluss auf flüchtige Sklaven zu verschaffen wusste und infolge dessen er von ihnen zum Führer erwählt wurde. Vor gerechten Strafen, die er von dem Sultan von Zanzibar zu erwarten hatte, fliehend, kam er in Ukami an, welches damals von Ukwere bis Usagara reichte, und hier begann er die Laufbahn eines Eroberers, deren Resultat darin bestand, dass die Wakami ihm einen grossen Strich fruchtbaren Landes in dem Thal des Ungerengeri abtraten. An dem festen Punkte, wo der Fluss dicht unter den Mauern hinfliesst, baute er seine Hauptstadt und nannte sie Simbamwenni, was „der Löwe“ oder die stärkste Stadt bedeutet. Im Greisenalter gab der glückliche Räuber und Sklavenfänger seinen Namen Kisabengo auf, durch den er so berüchtigt geworden war, und nannte sich Simbamwenni, nach seiner Stadt. Auf seinem Todtenbette befahl er, dass seine älteste Tochter ihm folgen solle und gab ihr auch den Namen der Stadt, welchen die Sultanin noch heute führt.

Als wir über den reissenden Fluss setzten, welcher, wie ich schon vorher sagte, dicht unter den Mauern dahinfliesst, hatten die Bewohner von Simbamwenni eine gute[S. 119] Gelegenheit, ihre Neugier an dem „grossen Musungu“ zu befriedigen, dessen verschiedene Karavanen ihm vorangezogen waren und unverzeihlicher, weil ungerechtfertigter Weise ihm einen Ruf grossen Reichthums und bedeutender Macht verschafft hatten. So wurde ich von allen Seiten angegafft. Es befanden sich plötzlich weit über tausend Eingeborne am Ufer, welche das Verbum „anstarren“ in seinen verschiedenen Zeiten und Formen durchconjugirten, d. h. also, mich hartnäckig, unverschämt, schlau, verschmitzt, bescheiden oder verstohlen ansahen. Die Krieger der Sultanin, welche in der einen Hand Speer, Bogen und Pfeilbündel oder Muskete hielten, umfassten mit der andern je einen Freund, dem sie vertraulich ihre verschiedenen Ansichten über meine Kleidung und Farbe mittheilten, sodass sie wie Modelle von Nisos und Euryalus, Theseus und Pirithoos, Damon und Phintias oder Achilles und Patroklus aussahen. Die Worte: „Musungu Kuba“ hatten für diese Leute ebenso viel Reiz, wie die Musik des buntbefiederten Pfeifers für die Ratten von Hameln, da sie einen so grossen Theil der Bevölkerung aus ihren Mauern über den Strom lockten, und als ich meine Reise bis an den vier Meilen entfernten Ungerengeri fortsetzte, befürchtete ich, dass die Katastrophe von Hameln sich wiederholen müsse, ehe ich die Leute loswerden könne. Aber zum Glück für meine Gemüthsruhe unterlagen sie schliesslich der heissen Sonne und der bedeutenden Entfernung, die wir bis an unser Lager zurückzulegen hatten.

Da wir genöthigt waren, das Gepäck genau zu untersuchen, die Sättel auszubessern, sowie einige der Thiere, deren Rücken sehr wund geworden waren, zu curiren, so beschloss ich, hier zwei Tage Halt zu machen. In Simbamwenni gab es hinreichende, obwol verhältnissmässig theure Lebensmittel.

Als wir das nach Makanda bestimmte Gepäck öffneten, fanden wir dasselbe in einem weit bessern Zustande, als wir gefürchtet hatten, in Anbetracht der vielen Male wo es gründlich durchnässt worden, denn wir befanden uns auf der Höhe der Masikazeit. Freilich hatten einige werthvolle Dinge, z. B. Munitions-, Gewehr- und Theekisten gelitten,[S. 120] was ich der Gedankenlosigkeit Shaw’s zuschrieb, der die Esel durch brusthoch mit Wasser gefüllte Gräben getrieben hatte, wo er aus Gründen der gemeinen Klugheit sie hätte abladen müssen. Als ich Shaw in mein Zelt rief, um ihm meine Verluste zu zeigen, wurde der Gute ausserordentlich heftig und warf mir vor, ich verlange von ihm zuviel Arbeit, sei zu eigen, man könne mir nichts recht machen und noch manches derartige. Seine stürmische Erwiderung schloss er damit, dass er seine Absicht kundgab, meinen Dienst zu verlassen und mit der ersten uns entgegenkommenden Karavane zurückzukehren. Hierauf erwiderte ich ihm, ich werde seiner Abreise kein Hinderniss entgegensetzen, da er sich als untüchtig und nachlässig erwiesen habe und seine Musse mehr als seine Arbeit liebe. Er könne sich also, wenn er wolle, augenblicklich entfernen, müsse aber sein persönliches Gepäck zurücklassen, welches ich statt des ihm in Zanzibar vorgeschossenen Geldes zurückbehalten wolle. Diese angemessene Ankündigung meiner Absicht brachte Shaw in das gehörige Gleichgewicht, das er in seinem Zorn einigermassen verloren hatte. Nach einigen Stunden war er mit grossem Eifer in meinen Angelegenheiten beschäftigt und der Friede wiederhergestellt.

Am zweiten Tage bemerkte ich zum ersten mal, dass meine Acclimatisation in den Wechselfieber erzeugenden Sümpfen von Arkansas gegen das Mukunguru von Ostafrika machtlos war. Die Vorläufer des afrikanischen Typhus fühlte ich in meinem Körper um 10 Uhr morgens. Zuerst stellte sich allgemeine Mattigkeit mit einer Neigung zum Schlaf ein; dann kam ein Rückenschmerz, welcher von den Lenden anfangend die Wirbel hinaufzog und sich über die Rippen erstreckte bis er die Schultern erreichte, wo er sich als lästiger Schmerz festsetzte; drittens zog ein Kältegefühl über den ganzen Körper, dem rasch Schwere im Kopfe, thränende Augen, pulsirende Schläfen und ein undeutliches Sehen, welches alle Gegenstände verzerrte und veränderte, folgte. Dies dauerte bis 10 Uhr abends, dann verliess mich das Mukunguru, hinterliess aber einen Zustand grosser Kraftlosigkeit.

Das Medicament, das ich drei Morgen nacheinander[S. 121] nach jedem Anfalle gebrauchte, war dasjenige, welches ich aus Erfahrung in Kansas als das beste kennen gelernt hatte, nämlich eine Quantität von 15 Gran Chinin, welche dreimal des Tages alle zwei Stunden vom Morgen bis zum Mittag zu 5 Gran zu nehmen ist, und zwar muss die erste Dosis unmittelbar nach den ersten Wirkungen eines am Abend vorher verabfolgten Abführmittels genommen werden. Ich füge noch hinzu, dass diese Behandlung in meinem und in allen andern Fällen, die in meinem Lager vorkamen, von vollkommenem Erfolg gekrönt war. Wenn das Mukunguru sich gezeigt hatte, brauchte man bei einer solchen Behandlung keinen zweiten Anfall zu fürchten, wenigstens nicht vor Verlauf mehrerer Tage.

Am dritten Tage wurde das Lager von den Gesandten Ihrer Hoheit der Sultanin von Simbamwenni besucht, die als ihre Repräsentanten erschienen, um den Tribut, den sie erzwingen zu können glaubt, in Empfang zu nehmen. Aber ich that ihnen sowol als Madame Simbamwenni zu wissen, dass es unbillig wäre, dass ich noch einmal zahlen sollte, da uns ihre Sitte bekannt wäre, den Besitzer von Karavanen nur einmal Tribut zahlen zu lassen, und dies habe, wie sie doch wisse, der Musungu (Farquhar) schon gethan. Die Gesandten antworteten mit einem „Ngema“ (sehr gut) und versprachen, meine Antwort ihrer Herrin zu überbringen. Uebrigens war dies keineswegs sehr gut, da, wie man in einem spätern Kapitel sehen wird, dieser weibliche Simbamwenni aus einem mir zustossenden Unglück Vortheil zog und sich bezahlt machte. Hiermit schliesse ich das Kapitel der Vorkommnisse während unseres Durchzuges durch die Seeregion.

[S. 122]

SHAW UND FARQUHAR.

FÜNFTES KAPITEL.
NACH UGOGO.

Die Regenzeit. — Zahlloses Ungeziefer. — Uebergang über den Ungerengeri. — Bunder Salaam bekommt Prügel, entflieht und wird wieder gefunden. — Gefangennahme von Soldaten seitens der Sultanin. — Die Makata-Wildniss. — Desertion und Wiedereinfangen eines Soldaten. — Furchtbare Schwierigkeiten beim Uebergang über den Makata-Sumpf. — Lager in Usagara. — Shaw’s Brief an Farquhar. — Des Letztern Antwort. — Seine Verschwendung. — Shaw’s Saumseligkeit. — Neue Art einen Karren zu brauchen. — Der See Ugombo. — Shaw und Farquhar beim Frühstück. — Shaw wird von mir der Länge lang zu Boden geschlagen. — Er verlangt seine Entlassung. — Er empfindet Reue. — Ein Schuss durch mein Zelt. — Farquhar wird in Mpwapwa zurückgelassen. — Abdullah bin Nasib. — Gegend von Mpwapwa.

USEGUHHA.
 
 
St.
M.
 
St.
M.
Vom Ungerengeri-Fluss nach
Simbo 
 2
— 
Feldlager im Freien 
 4
10
Makata-Fluss 
 2
30

[S. 123]

USAGARA.
 
 
St.
M.
 
St.
M.
Lager westlich vom Makata 
 5 
Madete 
 2
30
Lager in der Ebene 
 4
30 
See Ugombo 
 3
Lager in der Ebene 
 2
— 
Matamombo 
 6
Rehenneko 
 3
15 
Mpwapwa 
 7
Lager im Gebirge 
 3
30 
Kisokweh 
 2
Kiora 
 3
40 
Tschunyo 
 1
30
Lager am Fluss 
 4
50 
     

Wir fanden, dass die Entfernung von Bagamoyo nach Simbamwenni 119 Meilen betrug, welche wir in 14 Märschen abmachten. Doch erstreckten sich diese Märsche infolge der Schwierigkeiten, die uns die Masikazeit bereitete und besonders wegen der Nachlässigkeit der vierten unter Maganga’s Führung befindlichen Karavane, über 29 Tage, wodurch unser Reisetempo allerdings sehr langsam wurde und wenig mehr als vier Meilen den Tag betrug. Ich schliesse nach dem, was ich vom Reisen gesehen, dass ich, wenn ich nicht durch die kranken Wanyamwezi-Lastträger gehindert worden wäre, die Entfernung in 18 Tagen hätte abmachen können. Die Esel hatten mein Vertrauen keineswegs getäuscht; diese armen Thiere kamen mit je einer Last von 150 Pfund in allerbester Ordnung in Simbamwenni an; nur der aus Gier und Faulheit zusammengesetzte Maganga mit seinen körperlich schwachen, syphilitischen Stammesgenossen, welche alle Augenblicke krank wurden, war daran Schuld. Bei trocknem Wetter hätte die Zahl der Märsche sehr verringert werden können. Von dem halben Dutzend Arabern, die meiner Expedition auf dieser Strasse vorangezogen, legten zwei die ganze Entfernung in acht Tagen zurück. Aus der kurzen Beschreibung des Landes, wie es sich von Tag zu Tag unsern Blicken darstellte, kann der Leser sich eine richtige Vorstellung desselben bilden. Wenn ich von Simbamwenni nach dem fernen an der Küste belegenen Bagamoyo zurückblicke, so kenne ich einen Staat in unserm Vaterlande, der sich sehr wohl mit diesem Landstriche, was Fruchtbarkeit, physische Umrisse, Wälder und ebene von hohen Gehölzen eingeschlossene Prairien, Gebirgskegel, Bergkämme und grossartige mit Grün bedeckte Wellenformationen vergleichen lässt, und das ist Missouri. Die[S. 124] Höhe von Simbamwenni kann nicht viel über 1000 Fuss über der Meeresfläche betragen, da das Land sich sehr allmählich erhoben hat. Da es gerade in der Regenzeit war, über die uns so viele ominöse Erzählungen von Leuten mitgetheilt worden, die den Charakter des Landes nicht kannten, erblickten wir es natürlich unter den ungünstigsten Verhältnissen. Aber selbst in dieser ungünstigen Phase blicke ich trotz allem tiefen schwarzen Kothe, übernässigem Thau, triefendem, erkältendem Grase, dichten, üppigen Dschungels und heimtückischen Fiebern, die ihr eigen, mit Vergnügen auf die Landschaft zurück, wegen des Wohlstandes und Glücks, welches sie der civilisirten Nation, die in Zukunft herkommen und von ihr Besitz ergreifen wird, verspricht. Eine Eisenbahn von Bagamoyo nach Simbamwenni liesse sich ebenso rasch und leicht und mit viel geringeren Kosten herstellen als die Pacific-Eisenbahn, von deren raschen von Tag zu Tag bis zu ihrer Vollendung erfolgenden Fortschritten die Welt mit Bewunderung gehört hat. Ein Aufenthalt in diesem Theile von Afrika, würde, nachdem daselbst eine gründliche Kanalisation durchgeführt worden, von keinen grössern Unbequemlichkeiten begleitet sein, als einer neuen Ansiedlung gewöhnlich zukommen. Die Temperatur betrug in dieser Jahreszeit während des Tages nicht mehr als 24° R. Die Nächte waren angenehm, fast zu kalt, wenn man nicht ein paar wollene Decken zum Zudecken hatte, und bis Simbamwenni von jener Plage, die auf den Prairien von Nebraska und Kansas so schrecklich wüthet, den Moskitos, verschont. Die einzigen Beschwerden, die meines Erachtens dem Ansiedler arg zusetzen würden, wären von der hartnäckigen, blutgierigen Mabungu oder Pferdefliege, der Tschufwa u. a., die ich schon beschrieben habe, zu erwarten, die bestimmt das Halten von Hausvieh unvortheilhaft machen würden, solange bis die dichten Wälder und Dschungels abgeholzt wären.

Meiner Erwartung entgegen war die Expedition nicht im Stande, am Ende der beiden Tage aufzubrechen, sondern noch zwei mussten in recht elendem Zustande im traurigen Thale des Ungerengeri zugebracht werden. Dieser Fluss, der in der trocknen Jahreszeit so klein ist, gewinnt[S. 125] während der Masikazeit bedeutend an Umfang und Gewalt, wie wir zu unserm Leidwesen erfuhren. In ihn ergiesst sich alles Wasser, das von einer Anzahl Bergkuppen und zwei langen Gebirgsketten herabströmt; während er sich am Fuss derselben dahinschlängelt, nimmt er die Wasserfälle, die man in den kurzen Intervallen, wo die Sonne scheint, in der Ferne glitzern sieht, und alle Nullahs und Waldströme auf, die der ausgedehnten Wand der Gebirgsabhänge ein so schroffes, unregelmässiges Aussehen verleihen, bis er in das Thal von Simbamwenni als ein furchtbarer Wasserkörper hinabgleitet, der den Karavanen, die nicht die Mittel haben, Brücken zu bauen, ein ernstes Hinderniss bereitet. Hierzu kam noch ein beständig strömender Regen und zwar ein solcher, wie er die Menschen ans Haus fesselt, sie elend und unliebenswürdig macht, ein wirklicher londoner Regen, ein beständiger von dichtem Nebel begleiteter Sprühregen. Wenn die Sonne schien, erschien sie nur als ein blasses Abbild ihrer selbst und alte Pagazi, die es in der Wetterkunde mit erfahrenen Wallfischfängern hätten aufnehmen können, schüttelten bedenklich ihre Köpfe über dieses betrübende Phänomen und erklärten es für zweifelhaft, ob der Regen vor drei Wochen aufhören werde. Die Lokalität des Karavanenlagers auf dieser Seite des Ungerengeri war ein unangenehm anzuschauendes Treibbeet für Malaria und selbst in der Erinnerung abscheulich. Der Schmutz von ganzen Generationen von Pagazi hatte unzähliges Ungeziefer angesammelt. Armeen von schwarzen, weissen und rothen Ameisen suchen den unglücklichen Boden heim; wurmartige Tausendfüssler von jeder Farbe klettern über die Gesträuche und Pflanzen; an dem Unterholz hängen die Nester gelbköpfiger Wespen mit Stacheln, die so böse wie die der Skorpionen sind; ungeheure Käfer von der Grösse ausgewachsener Mäuse wälzen Misthaufen über den Boden; das tausendfältige Ungeziefer, von dem der Boden wimmelt, ist von allen Arten, Formen, Gestalten und Farben; kurz die reichste entomologische Sammlung könnte es an Zahl und Mannichfaltigkeit mit den Arten nicht aufnehmen, welche die vier Wände meines Zeltes vom Morgen bis zur Nacht beherbergten.

[S. 126]

Am fünften Morgen oder den 23. April liess der Regen auf ein paar Stunden nach, während welcher Zeit wir es fertig bekamen, durch den stygischen pestilenzialischen Koth an das überschwemmte Flussufer zu waten. Die Soldaten fingen um 5 Uhr morgens an, die Bagage von einem Ufer zum andern über eine Brücke zu tragen, welche das Nonplusultra von Einfachheit war. Nur ein unwissender Afrikaner hätte mit ihr zufrieden sein können; so wenig brauchbar war sie, um ein tiefes, reissendes Wasser zu passiren. Selbst für leichtfüssige Pagazi war es durchaus nicht angenehm hinüberzugehen und nur ein Seiltänzer von Profession hätte eine Last bequem hinübertragen können. Um über eine afrikanische Brücke zu gehen, dazu gehört erst ein grosser Sprung vom Lande auf einen Baumast (der sich über oder unter Wasser befinden kann), und dann wieder ein zweiter Sprung aufs Land. Mit 70 Pfund auf dem Rücken fällt dies dem Lastträger schwer genug. Bisweilen hilft er sich mit Stricken, die aus den langen Convolvulusarten extemporirt werden, welche von fast jedem Baume herabhängen; aber nicht immer, da die Waschensi dies für überflüssig halten.

Glücklicherweise wurde die Bagage ohne einen einzigen Unfall hinübergebracht, und obgleich die Strömung sehr stark war, wurden die Esel mit bedeutenden Anstrengungen und unter vielem Fluchen ohne Gefahr durch die Flut gezogen. Dieses schwierige Ueberschreiten des Ungerengeri nahm volle fünf Stunden in Anspruch, obgleich Energie und wüthende Schimpfreden, die für eine ganze Armee ausgereicht hätten, daran gewandt wurden.

Nachdem wir die Thiere wieder belastet und unsere Kleider getrocknet hatten, begaben wir uns aus der schrecklichen Umgegend des Flusses mit seinem Dunst und Schmutz in nördlicher Richtung auf einen Weg, der auf bequemen, ebnen Boden führte. Zwei vorspringende Berge wurden auf diese Weise links vermieden, und nachdem wir an ihnen vorbeigegangen waren, sahen wir das verhasste Thal nicht mehr.

Ich habe mich unterwegs immer gemüthlicher und heitrer befunden, als wenn ich mich in einem Lager über[S. 127] einen Aufenthalt ärgerte, den keine Kraftanstrengung vermeiden konnte, und infolge dessen fürchte ich, manches auf dem Marsche in stärkeren Farben gezeichnet zu haben, als es eigentlich verdient. Ich hielt aber die sich unsern Blicken eröffnende Aussicht für viel angenehmer als das Thal von Simbamwenni trotz all seiner unbeschreiblichen Fruchtbarkeit. Es war eine Reihe von Lichtungen, die sich hintereinander zwischen Waldgruppen junger Bäume aufthaten und in der Ferne von einzelnen Bergkuppen und zerstreuten Bergen eingeschlossen waren. Hin und wieder erblickten wir, als wir auf den Firsten von Hügeln dahinschritten, die blauen Usagara-Berge, welche den Horizont nach Westen und Norden begrenzten, und blickten herab auf eine dazwischen liegende weit ausgedehnte Ebene.

Am Fusse dieses ausgedehnten Abhanges, der von murmelnden Quellen und Berggewässern gut bewässert war, fanden wir ein bequemes Khambi, mit gut gebauten Hütten, das die Eingebornen Simbo nennen. Es liegt gerade 2 Stunden oder 5 Meilen nordwestlich von der Ungerengerifurt. Der Boden ist felsig und besteht hauptsächlich aus Quarzgeröll, welches durch die beständig fliessenden Bäche herabgespült ist. In ihrer Umgebung wachsen Bambus, von denen die dicksten ungefähr 2½ Zoll im Durchmesser umfassen; der „Myombo“, ein sehr stattlicher Baum mit einem glatten Stamm wie eine Esche; der „Imbite“ mit grossen fleischigen Blättern, wie der „Mtamba“, die Sykomore, der Pflaumenbaum, der „Ugaza“ oder die Tamariske und der „Mgungu“, welcher mehrere weite Zweige mit kleinen Blättern hat, die traubenförmig zusammengruppirt sind, und der Seidenbaumwollbaum.

Von Simbo Khambi aus kann man zwar keine Dörfer oder Ansiedlungen sehen, doch befinden sich in den Bergschluchten mehrere, die von den einigermassen zu Diebstahl und Mord geneigten Waseguhha bewohnt werden.

Als wir am Morgen des 24. im Begriff waren, Simbo zu verlassen, widerfuhr uns ein Unfall, der mir viele Tage lang Besorgnisse einflösste. Bunder Salaam nämlich, ein Eingeborner von Malabar, der als Koch bei mir fungirte, wurde dabei abgefasst, wie er zum fünften mal die Rationen[S. 128] meines Tisches bestahl. Sein Verbündeter und Busenfreund, Abdul Kader, der Unterkoch und Schneider, und der Araber Selim waren die Angeber und Zeugen; nach unparteiischer Untersuchung und da ihm schon viermal verziehen worden war, bekam Shaw den Befehl, dem Malabaresen ein Dutzend Hiebe zu appliciren. Er bekam seine Prügel ohne sich die Kleider ausziehen zu müssen; die Züchtigung war daher nicht sehr schwer, sondern stand im richtigen Verhältniss zu seinem Vergehen; die strengste Massregel aber bestand darin, dass er mitsammt seinem Esel und seinen Sachen aus dem Lager ausgestossen wurde mit der Erklärung, dass ich einen so unverbesserlichen Dieb nicht dulden könne. Ich hatte nicht gemeint, dass er wirklich vertrieben werden und der Gnade und Barmherzigkeit jedes gierigen Mschensi, der ihn zufällig träfe, ausgesetzt werden solle, sondern glaubte, dass ein Schrecken ihm zur Besserung seiner übeln Neigungen heilsam sein würde. Der Koch aber nahm die Sache ernstlich und sobald seine Hände frei waren, stürzte er aus dem Lager nach den Bergen, ohne auf Hut, Esel oder Eigenthum Rücksicht zu nehmen. Umsonst brauchten Bombay und Abdul Kader ihre Lungen, um den Flüchtling zurückzurufen; Bunder Salaam wollte durchaus nicht zurückkehren; da wir aber meinten, dass er es doch vielleicht thun könne, liess ich seinen Esel nebst der Habe an einen Baum in der Nähe des Lagers binden, während wir unsern Marsch fortsetzten.

Die lange weite Ebene, die von den Höhen zwischen dem Ungerengeri und Simbo sichtbar war, lag jetzt vor uns und prägte sich unserm Gedächtniss in trauriger Weise als das Makata-Thal ein. Der erste Marsch von Simbo mit dem Endziel Rehenneko am Fuss der Usagara-Berge war sechs Meilen lang. Das Thal beginnt mit breitem wellenförmigem Terrain, auf dem junge Bambuswaldungen, die dicht am Strome entlang wachsen, Zwergfächerpalmen, stattliche Palmyra und Mgungu-Bäume stehen. Dieses Terrain wird bald von wasserhaltigen Gräben unterbrochen, die dichte Felder von Zuckerrohr und breithalmigem Grase ernähren, und auf diesen Landstrich folgen weite, mit hohem Grase bewachsene Savannen, auf denen hin und wieder[S. 129] ein vereinzelter Baum die Eintönigkeit der Landschaft angenehm unterbricht. Das Makata-Thal ist eine Wildniss, die auf ihrer ganzen Ausdehnung nur ein Waseguhhadorf enthält. Daher gibt es viel Wild in den Waldgruppen und Kudus, Hartebeests, Antilopen und Zebras lassen sich im Morgengrauen erblicken, wenn sie in die offnen Savannen auf die Weide gehen. Zur Nacht schleicht sich hier die Hyäne herum und geht mit scheusslichem Geheul auf schlafende Beute aus, sei es nun Mensch oder Thier.

Der schlammige Koth der Savanne machte das Marschiren zu einer schweren Arbeit und er klebte so zäh an den Füssen, dass Menschen und Thiere sehr darunter litten. Ein Marsch von 10 Meilen nahm 10 Stunden in Anspruch, daher waren wir genöthigt, unser Lager mitten in der Wildniss aufzuschlagen und ein neues Khambi zu bauen, eine Massregel, die später von einem halben Dutzend anderer Karavanen nachgemacht wurde.

Der Karren kam erst kurz vor Mitternacht an und mit demselben ausser 3–4 kreuzlahmen Pagazi Bombay mit der schmerzlichen Kunde, er habe seine Last, die aus dem für die Güter bestimmten Zelte, einer grossen amerikanischen Axt, seinen zwei Uniformröcken, Hemden, Perlen, Tuch, Pulver, einer Pistole und einem Handbeil bestand, auf die Erde gelegt, um den Karren aus einer Kothlache ziehen zu helfen; als er dann an den Ort zurückgekehrt wäre, wo er es liegen gelassen, habe er es aber nicht wiederfinden können. Er glaubte, dass irgend welche diebischen Waschensi, die immer hinter den Karavanen herlauern, um Nachzügler abzufangen, damit das Weite gesucht hätten. Diese traurige Geschichte, die er mir in der finstern Mitternacht erzählte, nahm ich durchaus nicht gnädig, sondern mit vielen Zornesworten auf, welche der reuige Führer als seine verdiente Strafe hinnahm. In Wuth gerathend, zählte ich ihm alle seine Sünden auf: in Muhalleh habe er eine Ziege verloren, in Imbiki Tschamisi mit werthvollen Sachen desertiren lassen; häufig sich einer grossen Nachlässigkeit bei der Beaufsichtigung der Esel schuldig gemacht, indem er sie nachts anbinden lasse, ohne darauf zu sehen, dass sie Wasser bekämen, und morgens, wenn wir im Begriff ständen zu[S. 130] marschiren, schliefe er lieber bis 7 Uhr, anstatt früh aufzustehen und die Esel zu satteln, damit wir um 6 Uhr fortziehen könnten. In letzterer Zeit habe er eine grosse Vorliebe für das Feuer an den Tag gelegt, indem er sich wie ein blutarmer Mensch regungslos und schläfrig vor dasselbe hinkaure; jetzt habe er sogar mitten in der Masikazeit das Waarenzelt verloren, wodurch die Zeugballen verdorben und werthlos werden würden; auch die Axt habe er abhanden kommen lassen, deren ich in Udschidschi zu meinem Bootbauen so sehr bedürfen werde, sowie eine Pistole, ein Handbeil und eine Flasche besten Pulvers, und schliesslich sei er ohne den Koch ins Lager gekommen, obwol er doch wissen müsse, dass ich nicht beabsichtigt habe, den armen Kerl allein hinauszutreiben damit er ermordet werde. In Anbetracht aller dieser Dinge und da er zum Hauptmann absolut nicht zu brauchen sei, werde ich ihn degradiren und Mabruki-Burton an seine Stelle setzen. Ebenso solle Uledi (Grant’s Diener), wie Bombay, statt zweiter Führer zu sein, in Zukunft den Soldaten keine Befehle mehr ertheilen, sondern den von Mabruki ertheilten selbst zu gehorchen haben, da dieser Mabruki soviel wie ein Dutzend Bombays und zwei Dutzend Uledis werth sei. Auf diese Weise entliess ich ihn und befahl ihm, bei Anbruch des Tages umzukehren und Zelt, Axt, Pistolen, Pulver und Beil aufzusuchen.

Am nächsten Morgen war die von den Anstrengungen des letzten Tages vollständig ermattete Karavane genöthigt, Halt zu machen. Bombay wurde nach den verlorenen Sachen, Kingaru, Mabruki der Grosse und der Kleine bis Simbamwenni nach dem fehlenden Koch ausgeschickt und diese erhielten den Auftrag, wenn sie mit ihm zurückkehrten, für 3 Doti Korn mitzubringen, die uns als Lebensunterhalt in der Wildniss dienen sollten.

Drei Tage gingen vorüber und wir waren noch im Lager, um mit grösstmöglicher Geduld die Rückkehr der Soldaten, die nach dem albernen Hindu ausgesandt waren, zu erwarten. Mittlerweile wurden die Provisionen sehr knapp; Wild war nicht zu bekommen, da die Vögel sehr scheu waren. Eine zweitägige Jagd verschaffte uns nur zwei Töpfe[S. 131] voll Vögel, nämlich Waldhühner, Wachteln und Tauben. Ohne Erfolg kehrte Bombay von seinem Streifzug nach unserer fehlenden Habe heim und fiel dadurch sehr in Ungnade.

Am vierten Tage schickte ich Shaw mit zwei andern Soldaten aus, um zu sehen, was aus Kingaru und den beiden Mabrukis geworden sei. Gegen Abend kehrte er ganz erschöpft von einem wüthenden Anfall des Mukunguru oder Wechselfiebers heim, brachte aber die fehlenden Soldaten mit sich, welche nun selbst über ihre Schicksale berichten konnten.

Ihr Bericht lautete in kurzem folgendermassen: Als sie unser Lager verlassen hatten, waren sie rasch nach Simbo marschirt und hatten diesen Ort um 10 Uhr morgens erreicht. Nachdem sie dort die Umgegend unseres letzten Khambi nach Spuren des Bunder Salaam, seines Esels und Eigenthums durchsucht, aber nichts gefunden hatten, beschlossen sie sofort, direct an die Ungerengeribrücke weiter zu gehen und sich dort bei den Besitzern derselben nach den Reisenden zu erkundigen, die nach der Abreise des Musungu den Fluss passirt wären. An der Brücke hörten sie, dass ein weisser Esel, wie man ihn bei dem Musungu gesehen, über den Fluss nach Simbamwenni gegangen wäre; einen Hindu in Kisungukleidern hingegen hatten sie nicht gesehen. Meine drei schwarzen Polizisten wurden durch diese Nachricht zu grösserer Schnelligkeit angespornt, da sie nicht daran zweifelten, dass der Koch von den Waschensi ermordet worden sei, welche den mit der Habe des Kochs beladenen Esel mit sich fortgeführt hatten. In kurzer Zeit kamen sie in Simbamwenni an und theilten den erstaunten, an dem westlichen Thore der Stadt befindlichen Kriegern athemlos die Nachricht mit, dass zwei Waschensi, die mit einem weissen Esel an ihrer Stadt vorübergezogen sein müssten, einen Mann in Kisungukleidern, der zu dem Musungu gehöre, ermordet hätten. Die Leute von Simbamwenni führten meine Boten zur Sultanin, der sie ihre Geschichte erzählten. Diese fragte die Thurmwächter, ob sie zwei Waschensi mit dem weissen Esel gesehen hätten. Die Frage wurde bejaht, worauf sie sofort 20 ihrer Musketiere[S. 132] nach Muhalleh schickte, um sie zu verfolgen. Diese kehrten vor Nacht zurück und brachten die beiden Waschensi und den Esel mit den ganzen Habseligkeiten des Kochs zurück. Sofort liess sich die Sultanin, die offenbar ihres Vaters Energie sowol, als seine Gier nach Reichthümern besass, meine Boten, die beiden Waschensi und den Esel mitsammt dem Eigenthum des Kochs vorführen. Die beiden Waschensi wurden ausgefragt, wie sie in den Besitz des Esels und einer solchen Menge von Kisungukleidern, Tuchen und Perlen gekommen wären, worauf sie erwiderten, sie hätten den Esel an einen Baum gebunden und die Güter auf der Erde dicht dabei gefunden. Da sie keinen Besitzer oder Berechtigten in der Nachbarschaft gesehen, hätten sie geglaubt, ein Recht darauf zu besitzen und es daher mit sich genommen. Hierauf wurden meine Soldaten gefragt, ob sie den Esel und die Habseligkeiten wieder erkennten, welche Frage sie ohne Zögern bejahten. Ferner theilten sie Ihrer Hoheit mit, dass sie nicht nur nach dem Esel und den Gütern, sondern auch nach dem Besitzer ausgeschickt seien, welcher aus seines Herrn Dienst desertirt sei, und dass sie zu wissen wünschten, was die Waschensi mit dem Hindu angefangen hätten. Ihre Hoheit wollte gleichfalls gern wissen, was die Waschensi mit dem Hindu gethan, und um ihnen das Geständniss zu entlocken, beschuldigte sie dieselben direct, ihn ermordet zu haben, und wollte nur wissen, was sie mit dem Körper gemacht hatten. Die Waschensi erklärten mit grossem Eifer, dass sie die Wahrheit gesagt hätten und dass sie nie einen Menschen, wie er hier beschrieben worden, gesehen hätten; auch seien sie bereit, falls die Sultanin es wünschte, ihre Behauptungen zu beschwören. Ihre Hoheit wollte jedoch nicht, dass die Leute etwas beschwören, was sie (die Hoheit) in ihrem Herzen für eine Lüge hielt, aber wol wolle sie jene in Ketten legen lassen und unter Bedeckung einer Karavane an Seyyid Barghasch schicken, der schon wissen werde, was er mit ihnen anfangen solle. Hierauf wandte sie sich an meine Soldaten und fragte dieselben, warum der Musungu den Tribut, nach dem sie ihre Hauptleute ausgeschickt, nicht bezahlt habe. Die Soldaten waren ausser Stande, eine Antwort[S. 133] darauf zu geben, da sie über die Angelegenheiten ihres Herrn nichts wussten. Getreu dem Charakter ihres räuberischen Vaters, benachrichtigte nun die Erbin von Kisabengo meine zitternden Leute, dass, da der Musungu den Tribut nicht bezahlt habe, sie ihn sich jetzt selbst nehmen werde. Sie werde ihre Gewehre sowie die des Kochs und das auf den Esel gefundene Tuch sammt den Perlen für sich behalten, die dem Hindu persönlich gehörigen Kleider aber ihren Häuptlingen geben. Sie (meine Leute) dagegen sollten in Ketten gelegt werden, bis der Musungu selbst zurückkäme, um sie mit Gewalt zu befreien. Ihre Drohungen wurden auch wirklich ausgeführt. Sechzehn Stunden lang befanden sich meine Soldaten auf dem Marktplatz in Ketten, dem Spott des servilen Pöbels ausgesetzt. Zufälligerweise aber kam am nächsten Tage Scheikh Thani, den ich in Kingaru getroffen hatte und dem ich seit der Zeit um fünf Tage vorausgeeilt war, in Simbamwenni an, sah auf seinem Wege in der Stadt, wo er sich Vorräthe für seine Reise durch die Makata-Wildniss kaufen wollte, meine Leute in Ketten und erkannte sie sofort als in meinen Diensten stehend. Nachdem er ihre Geschichte angehört hatte, begab sich der gutherzige Scheikh zur Sultanin und theilte ihr mit, dass sie ein grosses Unrecht begehe und zwar eins, das nur mit Blutvergiessen endigen könne. „Der Musungu ist stark“, sagte er, „sehr stark; er hat zwei Flinten, welche vierzig mal ohne anzuhalten schiessen und mit ihren Kugeln auf eine Entfernung von einer halben Stunde treffen, sowie mehrere andere, die mit Sprengkugeln geladen werden, welche einen Mann in Stücke zerreissen. Er könnte auf die Spitze jenes Berges gehen und jeden Einwohner in der Stadt tödten, ehe ein einziger Ihrer Soldaten hinaufkommen könnte. Der Weg hierher wird dann abgesperrt werden, Seyyid Barghasch wird gegen Ihr Land marschiren, die Wadoe und Wakami werden kommen und an dem, was noch übrig bleibt, Rache nehmen, und der Ort, den Ihr Vater so stark gemacht hat, wird die Waseguhha nicht mehr kennen. Lassen Sie die Soldaten des Musungu frei; geben Sie ihnen Nahrungsmittel und Korn für den Musungu; erstatten Sie ihm die Gewehre wieder und lassen Sie sie[S. 134] gehen, denn der weisse Mann kann sich schon jetzt auf dem Wege hierher befinden.“

Dieser übertriebene Bericht über meine Macht und das schreckliche vom Araber entworfene Bild brachten insofern eine gute Wirkung hervor, als Kingaru und die Mabrukis sofort aus ihrem Gewahrsam entlassen und mit Nahrungsmitteln, die für unsere Karavane auf vier Tage ausreichten, versehen wurden. Auch bekamen sie ein Gewehr nebst Zubehör, Kugeln und Pulvervorrath, sowie des Kochs Esel, eine Brille, ein in Malabarischer Sprache gedrucktes Buch und einen alten Hut, der dem gehörte, den wir jetzt alle für todt hielten, zurück. Bis Simbo sorgte der Scheikh für die Soldaten, und in seinem Lager, wo sie sich reichlich an Reis und geklärter Butter (Ghee) erfreuten, fand sie Shaw, dem ebenso wie seinen Gefährten dieselbe freigebige Gastfreundschaft daselbst zu Theil wurde.

Mit grossem Erstaunen hörte ich diese lange Geschichte an; meine Brust hob sich von verschiedenen widerstreitenden, durch dieselbe hervorgerufenen Empfindungen bestürmt; es war dies alles so ganz anders, als ich vorausgesetzt hatte. Erstens glaubte ich, der Koch werde aufgefunden werden, und hatte durchaus keine Ahnung davon, dass ein grauses Geschick ihm zugestossen sei; ferner bereute ich es, ihn bestraft zu haben und gelobte mir im Geiste, nie wieder ein Mitglied meiner Karavane, wenn es mich auch noch so sehr beraubt habe, fortzujagen, damit es nicht von solch grausamen Mördern getödtet werden könne. Zweitens war ich über das Gebahren der Amazone Simbamwenni höchst erstaunt, denn es war ganz gegen alle Gewohnheit, von einem und demselben Eigenthümer zweimal Tribut zu fordern, und hätte sich das doch anders verhalten, so liessen ihr ja die vier Tage, die ich an dem Ufer des Ungerengeri lagerte, hinreichend viel Zeit, den Irrthum, den ich durch meine Weigerung, Tribut zu bezahlen begangen hatte, wieder gut zu machen; und ich hätte doch bestimmt die Sicherheit meiner Karavane nicht gefährdet, wenn ihre Abgesandten ihr Verlangen wiederholt hätten. Auf dieses Gefühl folgte grosse Entrüstung über den gemeinen an meinen Gewehren verübten Raub, welcher mich dazu hätte veranlassen können,[S. 135] wenn ich näher an Simbamwenni gewesen wäre, an den Vorstädten der Stadt Rache zu nehmen; der Aufenthalt von vier Tagen jedoch, den die Aufsuchung des Kochs veranlasst, hatte meinen Zorn so sehr abgekühlt, dass ich dafür ganz dankbar wurde, dass mich kein grösseres Misgeschick befallen hatte. Drittens verursachte die wohlmeinende Uebertreibung des Scheikh Thani und die jammervollen Erzählungen der drei Soldaten viel Heiterkeit. Am selben Abend noch schrieb ich einen vollständigen Bericht über diesen Vorfall, der durch die erste nach Osten ziehende Karavane dem amerikanischen Consul überbracht werden sollte, damit Seyyid Barghasch die Geschichte von dem unerklärlichen Verschwinden des Kochs von beiden Seiten erfahre.

Dankbaren Herzens verliessen wir unser Lager, wo wir so viel Angst und Aerger ausgestanden hatten, ohne des wüthenden Regens zu achten, der, nachdem er uns die ganze Nacht über durchnässt, unter andern Umständen unsern Eifer für den Marsch einigermassen gedämpft haben würde. Der Weg führte die erste Meile lang über ein röthliches Erdreich und wurde durch sanfte Abhänge nach Osten und Westen trocken gelegt; als wir aber den Schutz lieblicher Wälder, an deren östlichem Rande wir so lange aufgehalten worden waren, verlassen hatten, kamen wir auf eine der Savannen, deren Boden zur Regenzeit so weich wie Koth und klebrig wie dicker Mörtel ist. Hier drohte uns das Schicksal des berühmten Reisenden in Arkansas, der so tief in einen der zahlreichen Sümpfe jenes Landes hineingesunken war, dass man von ihm nichts mehr als seinen hohen, schmalen Cylinderhut erblicken konnte.

Shaw war krank und daher fiel die Pflicht, die vor Ermüdung strauchelnde Karavane weiterzuführen, ganz und gar mir zu. Die Wanyamwezi-Esel blieben wie festgewurzelt in dem Sumpf stecken. Sobald ich einen derselben durch Prügel aus seiner eigensinnig behaupteten Stellung herausgepeitscht hatte, fiel ein andrer sofort nieder und verursachte mir eine Sisyphusarbeit, die unter dem tobenden Regen zum Verrücktwerden war, da ich nur die Hülfe von Leuten wie Bombay und Uledi hatte, welche selbst um ihrer[S. 136] heilen Haut willen dem Sturm und Schmutz nicht Trotz bieten wollten. Zwei Stunden solcher schweren Arbeit gehörten dazu, um meine Karavane über eine 1½ Meilen breite Savanne fortzubringen, und kaum war ich damit fertig und hatte mir zur Beendigung derselben Glück gewünscht, als ich von einem tiefen Graben aufgehalten wurde, der mit Regenwasser von den überschwemmten Savannen angefüllt zu einem bedeutenden brusttiefen Bach geworden war, der rasch dem Makata zufloss. Da mussten denn die Esel abgeladen, durch ein reissendes Wasser geführt und auf der andern Seite wieder beladen werden, eine Operation, welche eine ganze Stunde in Anspruch nahm.

Gleich nachdem wir durch ein Gehölz gezogen waren, hemmte ein andres Gewässer, welches zu einem Fluss angeschwollen war, unsere Weiterreise. Da die Brücke fortgeschwemmt worden, waren wir genöthigt zu schwimmen und unsere Bagage überzuflössen, was uns abermals zwei Stunden aufhielt. Als wir das zweite Flussufer hinter uns hatten, wateten wir bespritzt und bisweilen halb schwimmend durch Koth, vom Wasser triefendes Gras und Matamahalme wankend längs des linken Ufers des eigentlichen Makata, bis ein Weitergehen für den Tag durch eine tiefe Krümmung des Flusses verhindert wurde, über die wir erst am nächsten Tag setzen konnten.

Obwol an diesem fatalen Tage nur sechs engl. Meilen zurückgelegt worden waren, hatte der Marsch zehn Stunden gedauert.

Halb todt vor Strapazen war ich doch glücklich, dass dieselben kein Fieber hervorgerufen hatten, dem man fast nur durch ein Wunder entgehen zu können schien. Denn unter allen mit Wechselfieber heimgesuchten Gegenden nimmt die Makata-Wildniss den ersten Rang ein. Der blosse Anblick der triefenden, in dichte Nebel gehüllten Wälder, des überschwemmten Landes, der langen Schwaden von Tigergras, die durch die trüben Fluten zu Boden gestreckt waren, der Hügel von faulenden Bäumen und Rohrmassen, des angeschwollenen Flusses und des weinenden Himmels waren genug, um das Mukunguru zu erzeugen. Die viel gebrauchten Khambis mit den darum lagernden[S. 137] Schmutzhaufen hätten genügt, um die Cholera hervorzurufen.

DER MAKATA-SUMPF.

Der Makata, ein Fluss, der in der trocknen Jahreszeit nur 40 Fuss breit ist, bekommt in der Masikazeit die Breite, Tiefe und Gewalt eines bedeutenden Stromes. Wenn die Regenzeit ungewöhnlich stark ist, so überflutet er die grosse Ebene, welche sich zu beiden Seiten erstreckt, und verwandelt sie in einen gewaltigen See. Er ist der Hauptzufluss des Flusses Wami, welcher sich zwischen den Häfen Saadani und Whnide ins Meer ergiesst. Ungefähr zehn Meilen nordöstlich von der Makatafurt vereinigen sich der grosse Makata, der kleine Makata, ein namenloses Flüsschen und der Fluss Rudewa; der auf diese Weise entstehende Fluss heisst der Wami. Durch ganz Usagara ist der Wami als Mukondokwa bekannt. Drei dieser Ströme entspringen aus dem halbmondförmigen Usagaragebirge, welches die Makataebene nach Süden und Südwesten begrenzt, während der Rudewa im nördlichen Horne desselben Höhenzugs entspringt.

So rasch floss der Makatafluss und so sehr gefährdete die unsichere darüberführende Brücke, die halb im Wasser vergraben war, unser Eigenthum, dass der Transport desselben von einem Ufer zum andern volle fünf Stunden in Anspruch nahm. Kaum hatten wir alles auf der andern Seite, vom Wasser unbeschädigt, abgeladen, als der Regen in Strömen herunterfloss und alles so durchnässte, als ob es durch das Wasser geschleppt worden wäre. Durch den Sumpf, den ein einstündiger Regen gebildet hatte, weiterzuziehen, war absolut unmöglich. Daher waren wir gezwungen, an einem Ort zu campiren, wo jede Stunde uns neue Plagen bereitete. Einer der Wangwanasoldaten, die ich in Bagamoyo in Dienst genommen hatte, namens Kingaru, benutzte die Gelegenheit, um mit den Habseligkeiten eines andern Mgwana wegzulaufen. Meine beiden Polizisten Uledi (Grant’s Diener) und Sarmean wurden, mit amerikanischen Hinterladern bewaffnet, sofort ausgeschickt, um ihn zu verfolgen. Sie gingen mit einer grossen Geschicklichkeit und Raschheit dabei zu Werke, die guten Erfolg versprach. Nach einer Stunde schon kamen sie mit dem Deserteur heim, den sie im Hause eines Mseguhhahäuptlings, namens[S. 138] Kigondo, gefunden hatten, der etwa eine Meile vom östlichen Ufer des Flusses entfernt wohnte und der Uledi und Sarmean zurückbegleitete, um seinen Lohn zu erhalten und über den Vorfall Bericht zu erstatten.

Nachdem sich Kigondo gesetzt, erzählte er: „Ich sah diesen Mann mit einem Bündel rasch laufen, woraus ich schloss, dass er von Ihnen desertire. Wir, meine Frau und ich, sassen in unserer kleinen Wachthütte und beobachteten unser Korn; da der Weg dicht an uns vorüberführt, musste dieser Mann an uns herankommen. Wir riefen ihm, als er in der Nähe war, zu: «Meister, warum geht Ihr so rasch? Ihr desertirt wol vom Musungu, denn wir wissen, Ihr gehört zu ihm, da Ihr gestern von uns für 2 Doti Fleisch gekauft habt?» «Ja, sagte er, ich laufe weg; ich will nach Simbamwenni gehen. Wenn Ihr mich dorthin führen wollt, so will ich Euch ein Doti geben.» Darauf sagten wir ihm: «Kommt in unser Haus und wir wollen in Ruhe darüber sprechen.» Als er in einem innern Zimmer des Hauses sich befand, schlossen wir ihn ein und gingen wieder auf die Wache hinaus, sagten aber unsern Frauen, dass sie nach ihm sehen sollten. Wir wussten, dass, wenn Sie ihn haben wollten, Sie ihm Askari (Soldaten) nachschicken würden. Kaum hatten wir unsere Pfeife angezündet, als wir zwei mit kurzen Gewehren bewaffnete Leute, die keine Lasten trugen, den Weg daher kommen sahen. Sie blickten hin und wieder auf den Boden, als ob sie nach Fussspuren ausschauten. Wir wussten, dass es die Leute waren, die wir erwarteten, und riefen sie also mit den Worten an: «Was sucht Ihr?» Sie sagten: «Wir suchen einen Mann, der unserm Herrn entlaufen ist. Dies sind seine Fussspuren. Wenn Ihr lange in Eurer Hütte gewesen seid, so müsst Ihr ihn gesehen haben. Könnt Ihr uns nicht sagen, wo er ist?» Wir erwiderten: «Ja, er ist in unserm Hause, wenn Ihr uns begleiten wollt, so wollen wir ihn Euch überliefern, aber Euer Herr muss uns Etwas dafür geben, dass wir ihn gefangen haben.»“

Da Kigonda versprochen hatte, den Kingaru auszuliefern, so blieb für Uledi und Sarmean nichts zu thun übrig, als ihren Gefangenen in Gewahrsam zu nehmen und ihn mit den Leuten, die ihn gefangen genommen hatten, in[S. 139] mein Lager auf das westliche Ufer des Makata zu führen. Kingaru erhielt zwei Dutzend Peitschenhiebe und wurde in Ketten gelegt; Kigondo bekam ein Doti und 5 Khete rothe Korallenperlen für seine Frau.

Der Platzregen, welcher uns an dem Tage, wo wir über den Makata setzten, heimsuchte, war der letzte der Masikazeit. Da der erste Regenguss, den wir bekommen hatten, am 23. März stattfand, und der letzte am 30. April, so dauerte dieselbe 39 Tage. Die Seher von Bagamoyo hatten ihre Prophezeihung in Bezug auf die Masikazeit sehr feierlich dahin lautend abgegeben, dass „der Regen 40 Tage lang ohne Aufhören fallen werde“, während wir nur 18 Regentage gehabt hatten. Trotzdem waren wir froh, dass die Regenzeit vorüber war, denn wir hatten es satt, jeden Tag Halt zu machen, um die Waaren zu trocknen, die Werkzeuge und Eisenwaaren mit Fett zu schmieren und alle Tuch- und Lederartikel sichtlich vor unsern Augen verfaulen zu sehen.

Der erste Mai fand uns, wie wir uns durch Schlamm und Wasser des Makata mit einer Karavane durchschlugen, welche körperlich von den Anstrengungen krank war, die das Uebersetzen über so viele Flüsse und das Waten durch Sümpfe verursacht hatten. Shaw litt noch immer an seinem ersten Mukunguru, das ihn uns in einer neuen und nicht gerade der angenehmsten Weise zeigte. Ausserdem dass er sich gewisser Bedürfnisse, die für die Expedition durchaus nicht angenehm waren, innerhalb des Bereichs unserer Gehörorgane entledigte, nahm er allmählich den Charakter eines chronischen Hypochonders an, der zu allen Zeiten unliebsam, dem Mtongi einer afrikanischen Expedition, die mit Morästen, Regen und einer erkrankten Karavane zu kämpfen hat, geradezu hassenswerth erscheint. Zaidi, ein Soldat, war bedenklich an den Pocken erkrankt; die Kitschumatschuma, „kleinen Eisen“, hatten Bombay quer über die Brust gefasst und machten ihn zum unbrauchbarsten der Dienstunfähigen. Mabruk Salim, ein kräftig gebauter Jüngling, folgte dem Beispiel des Bombay und legte sich auf den Moorboden, simulirte Erbrechen und betheuerte, dass er vollständig unfähig sei, dem Makata-Moor Trotz zu bieten, aber kräftige[S. 140] Hiebe mit einer geflochtenen Lederpeitsche über seine nackten Schultern vertrieben die scheinbare Uebelkeit aus seinem Magen. Abdul Kader, der Hinduschneider und Abenteurer, der schwächste aller Sterblichen, litt immer an Mangel an Force, wie er sich auf französisch ausdrückte, war stets abgeneigt zu arbeiten, hilflos, stellte sich krank, hatte aber fortwährend Hunger. „O, Gott!“, war der Schrei meiner ermatteten Seele, „wenn alle Männer meiner Expedition wie dieser wären, so wäre ich genöthigt zurückzukehren, würde das aber nicht thun, ohne vorher summarische Rache an allen zu nehmen.“ An diesem Tage erprobte ich die vorzüglichen Eigenschaften einer guten Peitsche, und Abdul Kader (möchte er die Geschichte nur seiner ganzen Sippschaft erzählen) wird bestimmt nie wieder einen Weissen nach Afrika begleiten. Salomo war wol theils durch göttliche Eingebung, theils durch Beobachtung weise, ich wurde es durch Erfahrung und bin gezwungen zu bemerken, dass, wenn Schlamm und Nässe die physische Energie der Trägen untergraben hatten, eine Hundepeitsche ihrem Rücken sehr gut bekam und sie zu einer gesunden, bisweilen sogar übermässigen Thätigkeit wieder befähigte.

Dreissig Meilen lang zog sich von unserm Lager aus die Makataebene, ein ausgedehnter Sumpf, dahin. Das Wasser stand daselbst durchschnittlich einen Fuss hoch; an manchen Orten geriethen wir in Löcher von 3, 4 und selbst 5 Fuss Tiefe hinein. Pitsch-Patsch, Pitsch-Patsch waren die einzigen Töne, welche wir vom Anfang unseres Marsches an hörten, bis wir die Bomas fanden, welche die einzigen trockenen Flecken längs der Marschlinie einnahmen. Diese Art Arbeit dauerte zwei Tage, bis wir des Rudewa-Flusses ansichtig wurden, eines zweiten mächtigen Stromes, dessen Ufer von rauschendem Regenwasser überfloss. Als wir über einen Arm des Rudewa gesetzt und aus dem feuchten Schilfgras, das dicht an seinem westlichen Ufer wuchs, herausgekommen waren, zeigte sich uns eine enorme Wasserfläche, aus welcher Gruppen von Grasbüscheln und das Laub einzelner zerstreuter Bäume hervorschaute, und die in einer Entfernung von 10 oder 12 Meilen von dem östlichen Rande des Usagara-Gebirges begrenzt wurde. Auf dem fünf Meilen[S. 141] langen Marsche von dem Arm des Rudewa erreichten wir den Höhepunkt aller Unannehmlichkeiten und Plackereien. Als ich und die Wangwana mit den beladenen Eseln erschienen, sahen wir die Pagazi auf einem Hügel zusammenkauern. Als wir sie fragten, ob dieser Hügel das Lager wäre, sagten sie: „Nein.“ Warum macht Ihr denn hier Halt? „Ach, viel Wasser.“ Der eine zog eine Linie quer über seine Lende, um die Tiefe des Wassers anzugeben, der andre eine quer über die Brust, der dritte quer über den Hals, der vierte hielt gar die Hand weit über seinen Kopf, wodurch er sagen wollte, dass wir würden schwimmen müssen. 9 Meilen durch ein Schilfmoor schwimmen, das war unmöglich. Es war übrigens auch unmöglich, dass so verschiedene Berichte alle richtig sein sollten. Daher gebot ich den Wangwana ohne Zögern mit ihren Thieren weiter zu gehen. Nachdem wir drei Stunden lang durch 4 Fuss tiefes Wasser gespritzt waren, erreichten wir das trockene Land und hatten den Makata-Sumpf hinter uns, aber nicht ohne dass der Morast mit seinen Schrecken einen dauernden Eindruck auf unsere Gemüther hinterlassen hätte. Keiner von uns konnte diese Strapazen vergessen oder den Ekel gegen das Reisen, den er fast erzeugte. Später hatten wir uns dieser Partie noch lebhafter zu erinnern und es zu bedauern, dass wir die Reise während der Masikazeit unternommen hatten, da die Thiere von jetzt an fast täglich zu zweien und dreien krepirten, bis nur fünf kränkliche, ganz heruntergekommene übrigblieben, da die Wangwanasoldaten und Pagazi von unzähligen Krankheiten heimgesucht wurden, und ich schliesslich selbst gezwungen war, mich an einem Ruhranfalle, der mich an den Rand des Grabes brachte, ins Bett zu legen. Ich habe wol mehr gelitten, als nöthig gewesen wäre, wenn ich die richtige Medizin genommen hätte; aber mein zu grosses Vertrauen in die zusammengesetzte Arznei, welche man „Collis Brown’s Chlorodyne“ nennt, verzögerte die Heilung, welche schliesslich durch einen vernünftigen Gebrauch von Dover’schem Pulver bewirkt wurde. In keinem einzigen Falle von Diarrhoe oder acuter Ruhr hat dieses „Chlorodyne“, über das man so viel gesprochen und geschrieben, irgendwie die Wirkung gehabt,[S. 142] den Anfall zu verringern, obwol ich drei Flaschen davon verbraucht habe. Der Ruhr, welche wir uns durch den Uebergang über den Makata zugezogen, fielen nur zwei Individuen zum Opfer und zwar ein Pagazi und mein armes Hündchen Omar, das mich von Indien her begleitet hatte.

Der einzige Baum von Erheblichkeit in dem Makata-Thale war die Palmyrapalme (Borassus flabelliformis) und dieser wuchs an einigen Stellen hinreichend zahlreich, um es als Hain zu bezeichnen. Seine Früchte waren noch nicht reif, als wir vorbeizogen, sonst hätten wir sie als etwas Neues gegessen. Die übrige Vegetation bestand aus verschiedenartigen Dornbüschen und der lieblichen immergrünen Mimose mit ihrem fallschirmförmigen Laubdach.

Am 4. Mai schritten wir eine sanfte Anhöhe hinauf, dem bedeutenden Orte Rehenneko zu, dem ersten Dorfe in Usagara, in dessen Nähe wir lagerten. Es lag am Fuss des Berges und sein Reichthum sowie seine Bergluft versprachen uns Gesundheit und Lebensgenuss. Es war ein viereckiges, dichtgebautes Dorf, um das sich ein dicker Lehmwall herumzog, der kegelförmig zugespitzte Hütten umschloss, welche mit Bambus und Holcushalmen gedeckt waren. Die Bevölkerung belief sich auf ungefähr 1000 Seelen. Es hat mehrere reiche und bevölkerte Nachbardörfer, deren Einwohner in ihren Manieren hinreichend, aber nicht in unangenehmer Weise unabhängig sind. Die Bäche sind hier vom reinsten Wasser, frisch und durchsichtig wie Krystall, und rauschen über runde Kieselsteine und reinen Kies, was dem Ohre des Reisenden, der ein solch lieblich trinkbares Element aufsucht, wie die herrlichste Musik klingt.

In der Nähe von Rehenneko wächst der Bambus bis zu einer Grösse, die ihn stark genug macht, als Zelt- und Achselholz-Stangen verwandt zu werden, und so massenhaft, dass man eine ganze Armee damit versorgen könnte. Die Bergabhänge sind dicht mit Bäumen bewaldet, die sehr gutes Bauholz liefern könnten.

Vier Tage hielten wir an diesem herrlichen Ort, um uns zu stärken und den Kranken und Schwachen Zeit zu geben, sich etwas zu erholen, ehe sie ihre Kräfte an dem Besteigen der Usagara-Gebirge prüften.

[S. 143]

Der 8. Mai sah uns mit unsern furchtbar heruntergekommenen Menschen und Thieren die steilen Abhänge der ersten Hügelreihe hinaufziehen. Wir erreichten den Gipfel, von dem wir einen bemerkenswerth grossartigen Anblick genossen, der uns in einem meisterhaften Bilde das breite Makata-Thal mit seinen raschen Bächen zeigte, die wie Silberschnüre aussahen, als die Sonne auf die unbeschatteten Wasserläufe schien. Tausende von anmuthigen Palmen vermehrten den Reiz der Landschaft, und der grosse Wall der durch ihre Höhe und Ausdehnung erhabenen mattblauen Uruguru- und Uswapanga-Gebirge bildet einen geeigneten Hintergrund für eine so ausgedehnte Aussicht.

Nach Westen blickend fanden wir uns in einer Gebirgswelt, in welcher sich Bergspitze hinter Bergspitze, Einschnitt hinter Einschnitt und Gebirgskegel hinter Gebirgskegel zeigte. Nach Norden, Westen und Süden rollten die Gebirgsspitzen wie Glaswogen; in der ganzen Landschaft war kein einziger dürrer oder verbrannter Flecken sichtbar. Das Diorama bot keine plötzlichen Wandelungen oder schlagenden Contraste dar, sondern ein einziger Wald von grünen Bäumen bekleidete sämmtliche Bergspitzen, Kegel und Gipfel.

Für die Leute war dieser erste Marschtag durch die Gebirgsgegend von Usagara ein angenehmes Zwischenspiel nach der langen Reise über die Ebenen und mühsamen Wellenformationen der Seegegend, aber für die beladenen und geschwächten Thiere war es zu viel. Wir hatten zwei davon verloren, als wir in unserm nur sieben Meilen von Rehenneko belegenen Lager angekommen waren, was also die erste Abzahlung unserer Schuld an den Makata bildete. Süsses klares Wasser war reichlich in den tiefen Schluchten der Berge vorhanden, bisweilen floss es über Flussbetten von festem Granit, bisweilen über einen reichen rothen Sandstein, dessen weiche Masse vom Wasser bald durchdrungen, in fein zertheiltem Zustande beständig fortgeschwemmt wurde und das unten befruchten half. In andern Schluchten brauste und donnerte es, wie es über die Granitblöcke und Quarzfelsen dahinstürzte.

Am 9. Mai kamen wir, nachdem wir noch einmal einen derartigen Weg zurückgelegt, der uns die Berge hinauf und[S. 144] in die dämmernden Tiefen der Thäler hinabführte, plötzlich an den Mukondokwa und sein eng geschlossenes Thal, an dessen Ufer üppiges Schilfgras, Rohr und Dorngebüsch dicht gedrängt standen. Hier kämpften knorrige Tamarisken mit ungeheuren Convolvuli, die sich um deren Stämme mit solcher Hartnäckigkeit und Macht wanden, dass jene nur als Stütze für diese gewachsen zu sein schienen.

Das Thal war an einigen Stellen kaum ¼ Meile breit, an andern erweiterte es sich bis auf eine Meile; die Hügel auf beiden Seiten schossen in jähen Abhängen hinauf, welche von Mimosen, Akazien und Tamarisken bekleidet, ein Flussthal einschlossen, dessen mannichfache Krümmungen sich schlangenartig dahinzogen.

Bald nachdem wir in das Mukondokwa-Thal gelangt waren, kamen wir auf die Strasse, die von Burton und Speke im Jahre 1857 zwischen Mbumi und Kadetamare überschritten worden. (Dieser letztere Ort sollte eigentlich Misonghi genannt werden, da Kadetamare nur der Name seines Häuptlings ist.) Nachdem wir dem linken Ufer des Mukondokwa gefolgt, wo unsere Route etwa eine Stunde lang nach allen Richtungen von Südosten nach Westen, Norden und Nordosten verlief, kamen wir an die Furt. Am andern Ufer derselben erreichten wir nach einem Marsch von einer kurzen halben Stunde Kiora.

In diesem schmutzigen Dorfe, dessen Boden reichlich mit Ziegenmist bedeckt und das für einen Weiler, der noch nicht 20 Familien enthielt, von einer erstaunlichen Anzahl Kinder bewohnt war; wo die Sonne auf den beschränkten freien Platz mit einer Glut von mehr als 43° Réaumur herunterschoss, wo Fliegen und bekannte wie unbekannte Insektenarten massenhaft schwärmten, fand ich, wie man mir schon früher mitgetheilt hatte, die dritte Karavane, welche aus Bagamoyo so gut ausgerüstet und mit Vorräthen versehen abgereist war. Ihr Führer nämlich, Farquhar, lag hier krank im Bett mit geschwollenen Beinen (Bright’sche Krankheit infolge von häufigen Ausschweifungen) und war ausser Stande und vielleicht auch nicht Willens, sich zu bewegen, da er die Lage kannte, in welche er seine Karavane gebracht hatte. Als ich in Rehenneko an der[S. 145] Ruhr litt, hatte ich Shaw gebeten, Farquhar zu schreiben, um genaue Auskunft über den Zustand der Karavane zu erhalten, der nach Berichten vorüberziehender Karavanen ein erbärmlicher sein sollte. Daher ermannte sich Shaw zur Abfassung folgenden Briefs:

„Lieber Farquhar!

Auf die Bitte des Herrn Stanley schreibe ich Ihnen, um mir zu vergewissern über alle Ihre Unglücksfälle und was vor eine Quantertät Tuch Sie ausgegeben haben und wie viel Sie ibrig haben, wie viel Esel toht sein und überhaupt alle Einzelheiten. Wie viel Pagazis haben Sie entlassen und wie viel haben Sie bei sich. Was haben Sie mit alle die Bagage gemacht, was die Esel hatten und wer ist Ihr Parangozery. Was fehlt Ihnen. Was fehlt Dschacko und was fehlte die Esel, welche starben. Was vor Bagage haben Sie in Ihrem Lager gelassen. Schicken Sie Sarmean morgen zurick mit Willimingo und Barickca und ausreichende Antwort auf die ibrigen Fragen. In zwei Tagen werden wir bei Sie sein.“

Wie ungrammatikalisch und unorthographisch auch der obige Brief sein mag, so war er mir doch verständlicher, und wird es wol auch dem Leser sein, als die Antwort, welche von dem Führer der dritten Karavane erfolgte und also lautete:

„Lieber Herr Stanley!

Alles ist in Ordnung, aber ich habe ein gut Theil Tuch zur Bezahlung der Pagazis verbraucht. Ein Ballen ist vollständig zu Ende, der Kirangozi war ein verdammter Schuft. Ich habe ihm sein Tuch abgenommen und ihn aus dem Lager gejagt. Er sagte, er würde zu Ihnen gehen. Ich habe Kiranga zum Kirangozi gemacht und ihm 10 Doti gegeben. Die Lebensmittel sind hier sehr theuer; man erhält nur 2 Küchlein für ein Schukka und eine Ziege kostet 5 Doti, und ich kann von hier nicht fort.

Ich habe gestern 6 Pagazis gemiethet und sie mit Uledi weiter geschickt. Dschuma sagte, er sterbe vor Hunger, daher gab ich ihm 2 Ballen Merikani. Er sagt, er wird auf Sie in Ugogo warten. Dschacko ist krank gewesen, ich weiss nicht woran und er kann nichts für mich thun. Wellymingoe[S. 146] ist jetzt mein Koch. Können Sie mir etwas Zucker schicken? Wenn Sie irgend welcher Hülfe bedürfen, so werde ich Ihnen meine Pagazis schicken, denn zwischen der Stelle, wo Sie sich befinden, und diesem Ort starben mir 9 Esel und ich habe nur noch einen übrig. Das Kaniki ist vollständig zu Ende, aber ich habe noch etwas Merikani. Empfehlen Sie mich Herrn Shaw und Selim.

Ihr treuer
W. L. Farquhar.“

Dies war die köstliche Antwort, welche ich auf eine besorgte Anfrage in Bezug auf seinen und seiner Karavane Zustand erhielt. Wenn der Mensch vollständig verrückt gewesen wäre, so hätte er kaum etwas Verwirrteres hervorbringen können.

In der ersten Zeile sagt er, dass alles in Ordnung ist, während doch nach den unmittelbar darauf folgenden Worten alles in übelstem Zustande zu sein scheint. Er schickt den Kirangozi wegen einer persönlichen Beleidigung weg und gibt einem meiner Mgwana-Soldaten, der abgesandt war, um die fünfte Karavane zu begleiten, namens Dschumah, auf seine blossen Bitten hin zwei Ballen Merikani, die 150 Dollars in Gold werth sind und 150 Doti enthalten, welche ausreichen, um eine Karavane von 50 Mann von Bagamoyo nach Unyanyembé zu unterhalten. Auch ist all sein Kaniki verbraucht, was für eine grosse Nachlässigkeit spricht. Kurz dieser Brief ist mir vollständig unbegreiflich, wenn Farquhar nicht toll geworden, was festzustellen ich mich eiligst bemühte, als ich in die Umhegung von Kiora trat und sein Zelt auf einem Haufen Ziegenmist erblickte.

Als er meine Stimme hörte, wankte Farquhar aus dem Zelt. Er hatte sich seit der Zeit, wo er als mein schmucker Gefährte aus Bagamoyo abreiste, so verändert, als ob er express von den Wabembe des Tanganika gemästet worden wäre, wie wir es mit Gänsen und Truthühnern zum Weihnachtsfeste zu thun pflegen, und er war so aufgeschwemmt, wie Barnum’s feistes Weib. Mit nicht geringem Erstaunen betrachtete ich die aufgedunsenen Wangen und den angeschwollenen Hals meines Dieners Farquhar. Seine Beine[S. 147] waren auch wuchtig und elefantenartig, denn seine Krankheit war entweder Elephantiasis oder Wassersucht. Das Gesicht war todtenbleich, was sich leicht erklärte, da die Leute mir mittheilten, dass er zwei Wochen lang nicht aus seinem Zelt herausgekommen sei. Er hatte sich ungenirt der Soldaten und Pagazi bedient, da er ihre Dienste für alle Bedürfnisse, bis zum geringsten herab, brauchte. Dafür bezahlte er sie mit einer Ziege pro Tag, wo doch eine Ziege 5 Doti kostete, oder schenkte ihnen an deren Stelle Hühner.

Ich wählte einen luftigen Hügel, der das Dorf Kiora überblickte, als Lagerplatz, und liess, sobald die Zelte aufgestellt, die Thiere besorgt und ein Boma aus Dornbüschen gemacht war, Farquhar durch vier Leute in mein Zelt tragen. Als ich ihn fragte, was die Ursache seiner Krankheit sei, sagte er, er kenne sie nicht und meinte, er habe nirgends Schmerzen. Ich fragte: „Fühlen Sie nicht bisweilen Schmerzen auf der rechten Seite?“ „Ja, ich glaube es, aber ich weiss es nicht.“ „Oder hin und wieder ein rasches Klopfen an der linken Brust und vielleicht Athemnoth?“ „Ja, das kann wol sein. Ich weiss sogar, dass ich bisweilen rasch athme.“ An Verstopfung litt er nicht, sondern gab nur an, dass seine zu einer ungeheuren Grösse angeschwollenen Beine ihm Beschwerden machten, und obgleich er einen wahren Pferdeappetit hatte, fühlte er sich doch schwach auf denselben. Nach den spärlichen Nachrichten über die Krankheit und ihre Eigenthümlichkeiten, wie sie mir Farquhar gab, konnte ich nur durch das Studium eines kleinen medizinischen Buchs, das ich in meiner Bibliothek mit mir führte, herausbekommen, dass „eine Anschwellung der Beine und mitunter des ganzen Körpers entweder von Herz-, Leber- oder Nierenkrankheiten herkommen könne“. Da aber die Darmfunctionen durchaus nicht träge waren, wusste ich nicht, was ich aus der Krankheit machen sollte, wenn es nicht die in Zanzibar so sehr häufig vorkommende Elephantiasis war. Auch wusste ich nicht, wie ich jemand behandeln sollte, der mir nicht sagen konnte, ob er Schmerzen im Kopf, Rücken, Fuss oder in der Brust habe.

[S. 148]

Nachdem ich herausgefunden, dass Farquhar’s Krankheit nicht augenblicklich und vorherrschend meine Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen habe, machte ich mich daran, über den Inhalt jenes dunkeln Zettels, den er mir nach Rehenneko geschickt und der mich seitdem so sehr beunruhigt hatte, klar zu werden. War aber schon sein Zettel unverständlich, so war Farquhar’s mündliche Mittheilung in Bezug auf den Zustand der ihm anvertrauten Güter noch zehnmal verwickelter und räthselhafter. Seine Erzählung war so verworren, dass sich durchaus gar keine Ordnung hineinbringen liess. Was er gethan oder nicht gethan, was er an Tuch oder Perlen ausgegeben oder nicht, war so unentwirrbar zusammengeworfen, dass ich bei dem Versuch, Ordnung in diesen chaotischen Wortschwall zu bringen, bemerkte, dass ich zu absolutem Blödsinn kam. Die einzige Art, diese Schwierigkeit zu überwinden, bestand darin, persönlich jeden Zeugballen und jede Last Perlen zu untersuchen und durch Vergleichung meiner auf die dritte Karavane bezüglichen Liste festzustellen, was fehlte.

Der Leser wird sich vielleicht erinnern, dass jede Karavane, ehe sie aus Bagamoyo oder einem andern Küstenort ins Innere abgeht, mit ausreichend viel Zeug und Perlen für den Unterhalt von vier Monaten versehen sein muss, ganz abgesehen von dem Tuch, das als Tribut in Ugogo zuzahlen ist, und von den Ballen, für deren Transport der Eigenthümer mit den Pagazi contrahirt hat.

Farquhar’s Karavane bildete keine Ausnahme von dieser Regel, sondern war, da sie von einem Weissen geführt wurde, um seinetwillen ganz besonders begünstigt. Sie bestand aus 23 Mann und 10 Eseln, war mit 120 Doti Merikani und Kaniki und 35 Pfund verschiedener Perlen für den Lebensunterhalt versehen. Da 120 Doti 240 Schukka enthalten und man für 1 Schukka durchschnittlich 25 Kubaba Korn kaufen kann, ein Kubaba aber die Normalration für den einzelnen Mann ist, so ist es ganz selbstverständlich, dass 240 Schukka ausreichten, um die Karavane acht Monate lang mit Korn zu unterhalten. Da man jedoch zur Reise nach Unyanyembé noch keine 120 Tage braucht, so blieben noch 120 Doti Schukka gutes verkäufliches Tuch und[S. 149] 35 Pfund Perlen übrig, mit denen sich der Weisse kleine Leckerbissen, wie z. B. Hühner, Eier und hin und wieder eine Ziege verschaffen konnte.

Als ich nun die Waaren untersuchte, war ich begierig zu wissen, ob sie mit meiner vor der Abreise der Karavane von Bagamoyo geschriebenen Liste übereinstimmten. Das Wiegen, Aus- und Wiedereinpacken derselben nahm eine Stunde in Anspruch, nach deren Ablauf ich den genauen Umfang der Verluste kannte, welche die Expedition durch die Gefrässigkeit und leichtsinnige Sorglosigkeit dieses schwachköpfigen Weissen erlitten hatte. Im Verlauf von 73 Tagen hatte er 240 der für die Provision gegebenen Schukka und 12 Doti farbige Tuche verbraucht, darauf die Ballen angegriffen, aus denen er 82 Doti oder 164 Schukka entnommen und sämmtlich zur Befriedigung seiner Gier nach Ziegenfleisch, Eiern und Federvieh verausgabt hatte. Von allen ihm zum Transport nach Unyanyembé anvertrauten Tuchballen blieben nur zwei unversehrt, alle andern waren für Ziegen oder als Lohn für die Pagazi verbraucht. Neun von seinen Eseln waren schon todt und der letzte war dem Sterben nahe.

Als ich die Ausgaben der aus 43 Seelen und 17 Eseln bestehenden fünften Karavane, welche ich selbst 50 Tage lang geführt, berechnet hatte, stellte sich heraus, dass sie nur 43 Doti oder 86 Schukka betrugen, woraus ich ersah, dass Farquhar’s Verschwendung von so viel werthvollem Tuch nicht zu entschuldigen war. „Man setze einen Bettler auf ein Pferd und er wird zum Teufel reiten,“ dies ist ein Sprichwort, dessen Richtigkeit sich in diesem Falle erwies. Ich hatte ihm einen prachtvollen Zanzibarer Reitesel gegeben, den er zu Tode geritten. Von dem Augenblick an, wo er ein Lager verliess, bis zu dem, wo er im andern ankam, hatte er sich nie dazu verstanden, vom Esel zu steigen, und da er nicht zu reiten verstand, auf dem Rücken des armen Thieres so geschaukelt, dass dasselbe fürchterlich geschunden war und bald danach starb. Hätte er seine Reise nach Unyanyembé — auf welche Weise weiss ich freilich nicht — bei seiner Verschwendung fortgesetzt, so wäre kein einziges Schukka Tuch und kein Pfund Perlen übriggeblieben.[S. 150] Es war daher noch ein Glück, dass ich ihn in Kiora einholte, obwol er mir sehr zur Last fiel; denn er war nicht im Stande zu gehen, und nach den traurigen Erfahrungen im Makata-Thal fehlte es an der Möglichkeit, ihn zu Esel zu transportiren. Unmöglich konnte ich ihn in Kiora lassen, wo ihn der Tod bald ereilt hätte, aber wie lange ich einen in solchem Zustande befindlichen Menschen durch ein Land, wo der Transport so schwierig ist, mit mir schleppen könnte, war eine Frage, deren Beantwortung von Umständen abhing.

Am 11. Mai zogen die dritte und fünfte, jetzt vereinigten Karavanen das rechte Ufer des Mukondokwa durch Holcusfelder hinauf. Je weiter wir auf unserm Marsche nach Westen kamen, desto höher wurden die grossen Mukondokwa-Gebirgszüge und sie umgaben uns ringsum in einem engen Flussthal. Wir liessen Muniyi Usagara zur Rechten und stiessen alsbald auf quer über unsern Weg ziehende Ausläufer der Berge, über die wir hinauf und dann wieder hinab steigen mussten.

Ein Marsch von acht Meilen von der Furt von Misonghi brachte uns zu einer andern Furt des Mukondokwa, wo wir dem von Burton benutzten Wege, der den Gomapass und die tiefen Abhänge von Rubeho hinaufführte, auf lange Zeit Lebewohl sagten. Unser Weg verliess das rechte Ufer und folgte dem linken durch ein Land, welches das directe Gegentheil des zwischen Gebirgszügen eingeschlossenen Mukondokwa-Thales ist. Wir hatten einen fruchtbaren Boden und eine üppige Vegetation, die von Miasmen dampfte und durch ihre Gerüche überwältigte, mit einer dürren Wildniss voll Aloe und Cactuspflanzen vertauscht, wo vor allem auch der Kolkwall und verschiedene Dornbüsche gediehen.

Statt auf baumbewachsene Höhenabhänge und Thäler, statt auf bebaute Felder blickten wir jetzt auf das Gebiet einer unbewohnten Wildniss. Die Bergkuppen waren ihrer Laubkronen beraubt und offenbarten ihre von Regen und Sonne gebleichte Felsennatur. Uns gerade zur Rechten stand der Pic Nguru, der höchste der Usagarakegel, als wir den langen Abhang über dunkelgrauem Boden hinaufstiegen, welcher sich jenseits des braunen Mukondokwa zur Linken erhob.

SHAW AUF DEM MARSCHE.

[S. 151]

Zwei Meilen von der letzten Furt entfernt fanden wir ein nettes Khambi dicht am Fluss, wo derselbe zuerst eine tosende Stromschnelle bildet.

Als die Karavane sich am nächsten Morgen auf den Marsch vorbereitete, theilte man mir mit, der Bana Mdogo (kleine Herr) Shaw, sei noch nicht mit seinem Karren und den Leuten angekommen. Spät am Abend vorher hatte ich an Shaw, der mir hatte sagen lassen, er sei zu krank um zu Fuss gehen zu können, einen Esel abgeschickt, sowie einen zweiten für die auf dem Karren befindliche Last, und in der Ueberzeugung, dass er bald ankommen werde, mich zur Ruhe gelegt. Als ich am Morgen hörte, dass die Leute noch nicht da seien, schloss ich, dass Shaw nicht wisse, dass wir fünf Tage lang durch eine vollständig unbewohnte Wildniss zu marschiren haben würden. Deshalb schickte ich Tschaupereh, einen Mgwanasoldaten, mit folgendem Zettel an ihn: „Nach Empfang dieses Befehls werfen Sie den Karren und alle überflüssigen Packsättel in die nächste Schlucht und kommen Sie um Gottes Willen sofort, denn wir müssen hier verhungern!“

Mit äusserster Ungeduld wartete ich 1, 2, 3, 4 Stunden auf Shaw, aber umsonst. Da ich noch einen langen Marsch vor mir hatte, so konnte ich nicht länger warten, sondern ging der Gesellschaft entgegen. Ungefähr eine halbe Stunde von der Furt begegnete ich dem Vortrab der Saumseligen, dem starken, kräftigen Tschaupereh und — hört es ihr Karrenmacher! — er trug den ganzen Karren sammt Rädern, Gabel und Achse auf dem Kopfe, da er herausgefunden hatte, dass er viel leichter zu tragen, als zu ziehen sei. Der Anblick benahm mir so sehr die Lust, weitere Versuche mit demselben anzustellen, dass ich ihn sofort in die Tiefen des hohen Schilfrohrs schleudern und dort liegen liess. Die Hauptfigur der Gruppe bildete Shaw selbst, der in einer Haltung daher ritt, die es mir zweifelhaft erscheinen liess, ob er oder sein Thier schläfriger sei. Als ich ihn darüber zur Rede stellte, dass er die Karavane so lange habe warten lassen, wo uns doch ein Marsch bevorstände, erwiderte er mir in sehr eigenthümlichem Tone, den er, wenn er schlecht gelaunt war, stets annahm, er habe sein Möglichstes geleistet.[S. 152] Dies musste ich jedoch bezweifeln, da ich den langsamen Schritt, in dem er geritten, gesehen hatte. Ich bat ihn daher, wenn er sein Tempo nicht beschleunigen könne, abzusteigen und den Esel ins Lager vorausgehen zu lassen, damit derselbe für den Marsch beladen werden könne. Natürlich gab es eine kleine Scene; der junge europäische Mtongi einer ostafrikanischen Expedition muss aber natürlich mit den Leuten, die er sich ausgesucht hat, vorlieb nehmen.

Um 4 Uhr nachmittags kamen wir in Madete an, um zwei Esel ärmer, welche ihre müden Glieder im Todesschlaf ausgestreckt hatten. Wir hatten etwa 3 Uhr nachmittags den Mukondokwa überschritten und ich überzeugte mich, nachdem ich Richtung und Verlauf desselben aufgenommen, dass er in der Nähe einer Berggruppe entspringt, die sich ungefähr 40 Meilen nordwestlich vom Pic Nguru befindet. Unser Weg führte uns westnordwestlich und entfernte sich schliesslich an dieser Stelle von dem Flusse.

Nach einem Marsche von 7 Meilen über Berge, deren Sandstein- und Granitformation an verschiedenen Stellen zu Tage trat und deren steiniges, dürres Aeussere sich an jedem Busch und jeder Pflanze widerzuspiegeln schien, und nachdem wir eine Höhe von ungefähr 800 Fuss über dem Spiegel des Mukondokwa erreicht hatten, erblickten wir, am 14., den See Ugombo, eine graue Wasserfläche, die direct am Fuss des Berges lag, von dessen Gipfel wir auf die Landschaft schauten. Der Anblick war gerade nicht besonders schön, aber doch erquicklich. Er bot den vom Verweilen auf der dürren Umgegend ermüdeten Augen eine angenehme Abwechselung. Ausserdem war die unmittelbare Umgebung des Sees zu zahm, um zu Begeisterung anzuregen. Dort gab es keine grossartig anschwellenden Berge oder lachenden Landschaften, — nichts als einen dunkelbraunen Pic, der sich etwa tausend Fuss hoch über dem Spiegel des Sees an seinem westlichen Ende erhebt. Von diesem entlehnt der See seinen Namen Ugombo. Wir erblickten daselbst nur eine niedrige, dunkelbraune, unregelmässige Bergkette, welche parallel mit seinem nördlichen Ufer in der Entfernung von einer Meile verläuft und eine ebene Fläche, die sich von[S. 153] seinem westlichen Ufer weit nach den Mpwapwa-Bergen und dem Marenga Mkali erstreckt, welche uns aus unserer vorspringenden Ecke sichtbar wurden. Von dieser eintönig dunkelbraunen Landschaft liessen wir gern die Augen auf dem ruhigen, grauen Wasser zu unsern Füssen ausruhen.

SEE UGOMBO.

Die Contouren des Sees ähneln, nach meiner Ansicht, einer Karte von England ohne Wales. Northumberland liesse sich hierbei mit Recht mit dem westlichen Ende des Sees vergleichen, wo zahlreiche Flusspferde sich vergnügten; die Nordseeküste mit ihren kühnen Bogen und Buchten wäre im kleinen durch die nördlichen Ufer des Sees vertreten, während die östliche, sehr lange Seite desselben fast eine genaue Copie der englischen Küste ist, wie sie von Kent nach Cornwall verläuft.

Vom Gipfel der Bergkette, die den See östlich in einer Länge von etwa 400 Fuss begränzt, herabsteigend, zogen wir am nördlichen Ufer entlang und brauchten dazu von dem östlichen nach dem westlichen Ende genau 1 Stunde 30 Minuten.

Da diese Seite die grösste Länge des Sees darstellt, so schloss ich, dass er drei Meilen lang ist und zwei Meilen im grössten Breitendurchmesser hat. Seine unmittelbaren Ufer bilden auf allen Seiten, in einer Breite von mindestens 50 Fuss von dem Wasserrande, einen unpassirbaren Morast, der üppiges Rohr und Binsen nährt, wo das wuchtige Hippopotamus auf seinen nächtlichen Zügen vom See aus seine wassergefüllten Spuren in den weichen Moorboden hineingearbeitet hat. Auch die kleinern Thiere, wie z. B. der Mbogo (Büffel), die Punda-Terra (Zebra), die Twiga (Giraffe), der Eber, der Kudu, der Hyrax (Kaninchen) und die Antilope kommen hierher, um bei Nacht ihren Durst zu löschen. Die Oberfläche des Sees wimmelt von einer erstaunlichen Menge verschiedener Wasservögel, wie z. B. schwarzen Schwänen, Enten, heiligen Ibissen, Kranichen, Pelikanen; darüber schweben, auf Beute lauernd, Fischadler und Habichte, während die Umgegend von dem lauten Gezwitscher der nach ihren Jungen rufenden Perlhühner, dem widrigen Geschrei des Tukan, dem Girren der[S. 154] Tauben und dem Gekreisch der Eulen widertönt. Aus dem langen Gras der Umgegend erschallt auch das knarrende, laute Geschrei des Florikans, der Waldschnepfe und des Waldhuhns.

Da wir zwei Tage Halt machen mussten, weil der indische Küfer Dschako mit einem meiner besten Karabiner desertirt war, so benutzte ich die Gelegenheit, die nördlichen und südlichen Ufer des Sees zu untersuchen. Am felsigen Fusse eines niedrigen auf der Nordseite belegenen Bergbuckels, der ungefähr 15 Fuss über dem gegenwärtigen Wasserspiegel liegt, entdeckte ich in deutlichen sehr bestimmten Linien die Wirkung der Wellen. Von seiner Basis nämlich konnte man bis an den Rand des Morastes feine Linien zermalmter Schalen so deutlich hervortreten sehen, wie die kleinen Theilchen, welche reihenweis nach dem Rücktritt der Flut am Meeresufer liegen bleiben. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Wellenspuren sich von einem gewandten Geologen auf dem Sandstein noch viel höher hinauf hätten verfolgen lassen; mir jedoch offenbarten sie sich nur in ihren gröbsten Umrissen. Auch bezweifle ich durchaus nicht, nach einer zweitägigen Erforschung der Umgegend und namentlich der niedrigen Ebene am westlichen Ende, dass dieser See Ugombo nur das Schwanzstück eines grossen Wasserkörpers ist, der früher ebenso gross wie der Tanganika war. Nachdem ich die halbe Höhe des Ugombo-Pics erstiegen hatte, bestätigte sich diese Ansicht, als ich die weite gesenkte Ebene erblickte, die sich an seinem Fuss nach den 30 Meilen entfernten Mpwapwa-Bergen hinstreckt und von dort um Marenga Mkali herum die ganze ausgedehnte, 40 Meilen breite Oberfläche, deren Länge unbekannt ist, bedeckt. Wenn der See um 12 Fuss höher wäre, so dachte ich, als ich denselben überblickte, würde er eine Länge von 30 Meilen und eine Breite von 10 Meilen haben. Wäre er aber gar um 30 Fuss höher, so würde sich seine Länge auf 100 Meilen, seine Breite auf 50 vermehren, denn so eben war die Fläche, welche sich westlich von Ugombo und nördlich von Marenga Mkali hinzieht. Das Wasser hatte übrigens etwas von dem bittern Charakter des Matamombo-Flüsschens, das 15 Meilen entfernt[S. 155] liegt, und in etwas geringerm Grade von dem des 40 Meilen abgelegenen Marenga Mkali.

Gegen Ende des ersten Tages unseres Aufenthalts kam unser Hindu Dschako im Lager an und entschuldigte sich damit, dass er vor Müdigkeit in einem wenige Schritte vom Wege entfernten Gebüsch eingeschlafen sei. Da er die Ursache unseres Aufenthalts in der armseligen Wüste von Ugombo war, so befand ich mich nicht in einer Gemüthsstimmung, ihm zu verzeihen. Um ihn also daran zu hindern, uns in Zukunft wieder derartige Streiche durch Weglaufen zu spielen, sah ich mich gezwungen, ihn in die gefesselte Bande der Deserteure einzuschliessen.

Es fielen noch zwei von unsern Eseln; der eine davon war von Farquhar durch seine Körperlast und schaukelnde Reitmethode zu Tode geritten. Um es zu verhindern, dass das werthvolle Gepäck zurückbleibe, sah ich mich genöthigt, Farquhar auf meinem eignen Reitesel in das 30 Meilen entfernte Dorf Mpwapwa unter Aufsicht von Mabruki-Burton zu schicken. Farquhar war durch seine vollständige Unfähigkeit, etwas für sich selbst zu thun, zum Spott der Karavane geworden. Er schrie beständig wie ein krankes Kind nach einem halben Dutzend Menschen, die ihm aufwarten sollten, und wenn sie die englische Sprache, in der er sie anredete, nicht verstanden, so erging er sich in einem Strom der gemeinsten Schimpfworte, wie sie nur je das Ohr eines anständigen Christenmenschen beleidigt haben. Dschako, den ich ihm als Koch beigegeben, als er mit der dritten Karavane abgegangen war, hatte er so furchtbar geprügelt, dass er fast blödsinnig geworden war, und die Wangwanasoldaten fürchteten seine unsinnige Heftigkeit so, dass sie ihm nicht nahekommen wollten. Infolge dessen hörte man Farquhar’s Stimme, die zu keiner Zeit sehr harmonisch war, Tag und Nacht in den schrillsten Tönen zanken.

Sechs Tage lang ertrug ich diese Plage und wenn meine Esel am Leben geblieben wären, hätte ich sie vielleicht noch länger ausgehalten; da sie aber alle sehr schwach waren, und ein Reiter wie Farquhar sie der Reihe nach ruinirt haben würde, war ich wider Willen gezwungen, um die Expedition vom Untergange zu retten, den Schluss zu ziehen,[S. 156] dass es für mich, für ihn und alle Theile besser sei, ihn bei einem freundlichen Dorfhäuptling mit Vorräthen an Tuch und Perlen auf sechs Monate zu lassen, bis er wieder wohler würde, als dass er mich zu Grunde richte und seine eigene Wiederherstellung unmöglich mache.

Am 15., um die Frühstückstunde, wurden Farquhar und Shaw wie gewöhnlich zum Frühstück eingeladen. Aus ihrer mürrischen Begrüssung ging es mir deutlich hervor, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei, oder dass etwas passiren würde. Auf den Gesichtern beider Männer lag ein düsterer Ausdruck, welcher mich nichts Gutes ahnen liess. Sie erwiderten mir meinen „Guten Morgen“ nicht, sondern wandten, als ich sie genau ansah, ihre Gesichter ab. Es fiel mir auch ein, dass ihre lebhafte Unterhaltung, von der ich einzelne Laute gehört hatte, sich um mich gedreht haben müsse.

Ich bat sie darauf, Platz zu nehmen.

„Selim“, sagte ich, „bringe das Frühstück.“

Das Frühstück, das aus einem gebratenen Ziegenviertel, geschmorter Leber, einem halben Dutzend guter Kartoffeln, einigen heissen Pfannkuchen und Kaffee bestand, wurde aufgetragen.

„Shaw“, sagte ich, „seien Sie so gut, schneiden Sie das Fleisch und reichen Sie es Farquhar.“

„Was für ein Hundefrass ist das?“ fragte Shaw in der unverschämtesten Art, die man sich vorstellen kann.

„Was meinen Sie?“ fragte ich.

„Ich meine, dass die Art, wie Sie uns behandeln, eine Schande ist,“ sagte er unverschämt, das Gesicht zu mir gewandt. „Ich meine, was mich betrifft, dass Sie mich viel zu viel zu Fuss gehen lassen. Ich dachte, wir würden alle Tage Esel zum Reiten und Leute zu unserer Bedienung haben. Statt dessen muss ich jetzt jeden Tag in der heissen Sonne zu Fuss gehen, bis ich fühle, dass ich lieber in der Hölle sein möchte als in dieser verfluchten Expedition. Ich wünsche, dass jede Seele dieser verdammten Gesellschaft sofort zum Teufel gehen möge! Das wünsche ich wahrhaftig!“

„Hören Sie mich an, Shaw und Farquhar. Vom Augenblick[S. 157] an, wo Sie die Küste verlassen, haben Sie stets Esel zum Reiten und Leute zu Ihren Diensten gehabt. Man hat Ihnen Ihre Zelte aufgestellt, Ihre Mahlzeiten gekocht. Sie haben dasselbe Essen, dieselbe Behandlung wie ich gehabt, aber jetzt sind sämmtliche Farquhar’sche Esel und sieben meiner eigenen todt und ich habe einige Sachen fortwerfen müssen, um nur den Transport der wichtigsten Waaren zu ermöglichen. Farquhar ist zu krank, um zu gehen und muss daher einen Esel zum Reiten haben. Nach Verlauf einiger weniger Tage werden sie aber sämmtlich todt sein; dann muss ich entweder mehr als 20 neue Pagazi für die Waaren haben oder Wochen lang auf den Transport warten. Und angesichts einer solchen Lage können Sie noch murren und an meinem eigenen Tische Verwünschungen gegen mich ausstossen? Haben Sie Ihre Stellung wohl überlegt? Wissen Sie, wo Sie sind? Wissen Sie, dass Sie mein Diener und nicht mein Kamerad sind?“

„Verflucht sei so ein Diener“ — sagte er.

Aber ehe noch Herr Shaw seinen Satz zu Ende bringen konnte, lag er lang auf den Boden hingestreckt.

„Ist es nöthig, dass ich noch weiter gehen muss, um Sie zu lehren?“ fragte ich.

„Ich will Ihnen sagen, wie die Sache steht“, erwiderte er aufstehend. „Ich denke, ich thäte besser daran, umzukehren. Ich habe genug gehabt und beabsichtige, Sie nicht weiter zu begleiten. Ich bitte Sie also um meine Entlassung aus Ihrem Dienst.“

„Gewiss. Heda, wer ist da? Bombay, komm her!“

Bombay erschien in der Zeltthür und ich sagte ihm: „Brecht das Zelt dieses Menschen ab (auf Shaw weisend). Er will umkehren. Bringt seine Flinte und Pistole in mein Zelt und begleitet ihn und sein Gepäck 500 Schritt zum Lager hinaus und lasst ihn dort.“

In wenig Augenblicken war sein Zelt auseinandergenommen, seine Flinte und Pistolen in meinem Zelt und Bombay kehrte mit vier Bewaffneten zurück, um mir Bericht abzustatten. „Nun gehen Sie, Sie haben volle Freiheit. Diese Leute werden Sie zum Lager hinausbegleiten und Sie und Ihr Gepäck dort allein lassen.“

[S. 158]

Er ging also ab in Begleitung der Leute, die ihm sein Gepäck trugen.

Nach dem Frühstück fing ich an, Farquhar auseinanderzusetzen, wie nothwendig es für mich sei, weiterzugehen; wie viele Sorgen ich ohnedies habe, ohne noch an Leute denken zu müssen, die ich angenommen, damit sie an mich und ihre Pflicht dächten; da er krank sei und eine Zeit lang wol nicht im Stande sein werde, zu marschiren, wäre es besser, wenn ich ihn an einem ruhigen Ort unter der Sorgfalt eines guten Häuptlings liesse, der für ihn gegen Entgelt bis zu seiner Wiederherstellung sorgen könne. Auf alles dies ging Farquhar ein.

Kaum hatte ich aufgehört zu sprechen, als Bombay an die Zeltthür kam und sagte: „Herr Shaw möchte Sie gern sprechen.“

Ich ging ans Lagerthor und traf daselbst Shaw, der sehr reuig und beschämt aussah und mich um Verzeihung und die Erlaubniss bat, zurückkehren zu dürfen, wobei er versprach, dass ich an ihm nie wieder etwas auszusetzen haben solle.

Ich streckte ihm die Hand entgegen und sagte: „Sprechen wir nicht mehr davon, mein lieber Junge. Streit kommt in den besten Familien vor. Da Sie um Entschuldigung bitten, so hat es damit sein Ende.“

Als ich an demselben Abend im Begriff war einzuschlafen, hörte ich einen Schuss und eine Kugel flog ein paar Zoll über meinem Körper durch mein Zelt. Ich griff rasch nach meinen Revolvern, stürzte zum Zelt hinaus und fragte die Leute, die um das Wachtfeuer versammelt waren, wer geschossen habe. Sie waren alle über den plötzlichen Schuss erschreckt aufgesprungen.

„Wer hat jenen Schuss abgefeuert?“

Einer von ihnen sagte: „Der Bana mdogo“ (kleiner Herr).

Ich zündete ein Licht an und ging damit in Shaw’s Zelt. „Shaw, haben Sie geschossen?“

Keine Antwort, — er schien zu schlafen, da er sehr tief athmete.

„Shaw, Shaw, haben Sie den Schuss abgefeuert?“

[S. 159]

„Was?“ sagte er, plötzlich aufspringend; „ich? ich feuern? Ich habe geschlafen.“

Ich sah seine Flinte bei ihm liegen, ergriff dieselbe, fühlte daran herum und steckte meinen kleinen Finger in den Lauf. Die Flinte war warm, mein Finger vom verbrannten Pulver schwarz.

„Was ist das?“ fragte ich meinen Finger zeigend. „Die Flinte ist warm. Die Leute sagen mir, dass Sie gefeuert haben!“

„Ach ja“, antwortete er, „jetzt erinnere ich mich. Im Traume sah ich einen Dieb an meiner Thür vorübergehen. Ach ja, ich habe es vergessen. Ich habe wirklich geschossen. Nun, was ist denn dabei?“

„Gar nichts“, sagte ich. „Ich rathe Ihnen aber, in Zukunft, um allen Verdacht zu vermeiden, nicht in mein Zelt oder so sehr in meine Nähe zu schiessen. Ich könnte doch verletzt werden und in dem Falle würden sich üble Gerüchte verbreiten, was unangenehm sein dürfte, wie Sie wol einsehen. Gute Nacht!“

Ueber diese Geschichte machten wir uns alle unsere Gedanken, aber ich habe niemand ein Wort darüber gesagt, bis ich Livingstone traf. Der Doctor lieh meinem Verdacht Worte, indem er sagte: „Er beabsichtigte Sie zu ermorden.“

Was für eine plumpe Art zu morden war das aber! Wenn er es wirklich gethan hätte, so würden meine eigenen Leute ihn so bestraft haben, wie es das Verbrechen verdiente. Im Laufe eines Marsches von Monatsdauer hätten sich ihm tausend bessere Gelegenheiten als diese dazu dargeboten. Ich kann es mir eigentlich doch nur dadurch erklären, dass ich annehme, er sei für den Augenblick geisteskrank gewesen.

Am 16. Mai zogen wir über die Ebene, die zwischen Ugombo und Mpwapwa liegt und sich hin und wieder dicht an einer niedrigen Trappfelsenkette hinzieht, aus der durch irgendwelche heftige Gewalt verschiedene grosse Felsblöcke herausgerissen worden. Auf ihren Abhängen erreicht der Kolquall eine Grösse, wie ich sie nie in Abessinien gesehen habe. Auf der Ebene wachsen Baobab,[S. 160] ungeheure Tamarinden und verschiedenartige Dornsträucher.

Fünf Stunden von Ugombo wand sich der Bergzug nach Nordosten. Wir hingegen verfolgten eine nordwestliche Richtung weiter und gingen auf den erhabenen Gebirgszug von Mpwapwa zu. Zu unserer Linken thürmte sich der gigantische Rubeho in die blauen Wolken. Jetzt wurde es klar, warum wir diesen neuen Weg nach Unyanyembé eingeschlagen hatten, denn dadurch konnten wir die Pässe und steilen Anhöhen des Rubeho vermeiden und hatten nichts schlimmeres zu gewärtigen, als eine breite glatte Ebene, welche sanft nach Ugogo hinabging.

Nach einem Marsch von 15 Meilen lagerten wir in einem trockenen Mtoni, der Matamombo heisst und wegen seiner Pfützen ockerfarbigen Bitterwassers berühmt ist. Affen und Rhinozeros, Kudus, Steinböcke und Antilopen fanden sich zahlreich in seiner Umgegend vor. In diesem Lager starb mein Hündchen Omar an Unterleibsentzündung, fast an der Schwelle des Landes Ugogo, wo seine Treue und Wachsamkeit mir unschätzbar gewesen wären.

Der Marsch des nächsten Tages war gleichfalls 15 Meilen lang. Er ging durch ein unendliches Gewirr von Dornbüschen. Innerhalb zwei Meilen vom Lager führte der Weg über ein kleines Flussbett von der Breite einer Allee direct ins Khambi von Mpwapwa, das dicht bei einigen Bächen reinsten Wassers lag.

Der nächste Morgen fand uns sehr ermüdet nach dem langen Marsch von Ugombo und im allgemeinen geneigt, von den herrlichen Genüssen, die Mpwapwa den direct aus den fliegengeplagten Ländern der Waseguhha und Wadoe kommenden Karavanen bietet, Gebrauch zu machen. Scheikh Thani, der gescheite, arglos redende alte Araber, kampirte hier unter dem angenehmen Schatten einer Mtamba-Sycamore und hatte sich seit seiner vor zwei Tagen erfolgten Ankunft an frischer Milch, prächtigem Hammelfleisch und kräftigem Rinderrücken delectirt. Wie er mir mittheilte, hegte er nicht die Absicht, dieses glückliche, reiche Land sobald mit dem salzigen, salpeterhaltigen Wasser von Marenga Mkali, mit seinen verschiedenen Terekezas und[S. 161] vielfachen Unannehmlichkeiten zu vertauschen. „Nein“, sagte er mir mit Nachdruck, „bleiben Sie lieber zwei oder drei Tage hier; gönnen Sie Ihren ermatteten Thieren Ruhe; sammeln Sie so viel Pagazi, als Sie können. Füllen Sie sich voll mit frischer Milch, süssen Kartoffeln, Rindfleisch, Hammelfleisch, geklärter Butter, Honig, Bohnen, Matama, Maweri und Nüssen; — dann, Inschallah! wollen wir zusammen ohne Aufenthalt nach Ugogo gehen!“ Da der Rath vollständig mit meinen eigenen Wünschen und meinem grossen Appetit nach den guten Dingen, die er nannte, übereinstimmte, so hatte er nicht lange auf meine Zustimmung zu warten. „Ugogo“, fuhr er fort, „ist reich an Milch und Honig, — reich an Mehl, Bohnen und fast allen Esswaaren; und, Inschallah! ehe noch eine Woche verstreicht, werden wir in Ugogo sein!“

Ich hatte von durchziehenden Karavanen so viel ungemein günstige Berichte über Ugogo und seine Produkte gehört, dass es mir geradezu als gelobtes Land erschien, und war sehr begierig, meinen angegriffenen Magen mit einigen der in Ugogo erzeugten köstlichen Nahrungsmittel zu erquicken. Als ich aber hörte, dass Mpwapwa gleichfalls leckere Esswaaren darbot, verbrachte ich den grössten Theil der Morgenstunden damit, die geistesträgen Bewohner dazu zu bringen, sich von ihnen zu trennen; und als schliesslich Eier, Milch, Honig, Hammel, Thee, Matamagrütze und Bohnen in hinreichenden Quantitäten, um ein anständiges Mahl zu bereiten, gesammelt waren, wandte ich meine volle Aufmerksamkeit und alle Kochtalente einige Stunden lang dazu an, diese rohen Vorräthe in ein Frühstück zu verwandeln, welches meinem sowol wählerischen als ausgehungerten Magen annehmbar und wohlthuend sein sollte. Die spätere gesunde Verdauung desselben bewies, dass meine Anstrengungen vollständig von Erfolg gekrönt waren. Am Ende dieses ereignissvollen Tages schrieb ich folgende Bemerkung in mein Tagebuch: „Gott sei Dank, nach 57 Tagen, wo ich von Matamabrei und zähem Ziegenfleisch gelebt, habe ich mit salbungsvoller Genugthuung ein wirkliches Frühstück und Mittagessen genossen!“

In einem der vielen kleinen Dörfer, die auf den Abhängen[S. 162] des Mpwapwa liegen, fand ich einen Zufluchtsort für Farquhar, wo er eine Heimat finden konnte, bis er im Stande sein werde, nach Wiederherstellung seiner Gesundheit uns nach Unyanyembé nachzukommen.

Nahrungsmittel gab es hier in Hülle und Fülle und von ausreichender Mannichfaltigkeit, um den Wählerischsten zu befriedigen. Auch waren sie billig, viel billiger, als wir sie an manchem Tag gehabt hatten. Leucole, der Häuptling des Dorfes, mit dem ich Anordnungen zu Gunsten von Farquhar’s Pflege und Bequemlichkeit traf, war ein kleiner alter Mann mit mildem Auge und sehr angenehmem Gesicht, und als ich ihm die Mittheilung machte, dass ich die Absicht habe, den Musungu ganz unter seiner Obhut zu lassen, schlug er mir vor, ich möge einen meiner Leute dazu anstellen, ihn zu bedienen und seine Wünsche den Leuten Leucole’s zu verdolmetschen. Ich hatte schon an diese abermalige Last, welche Farquhar’s Krankheit mir auferlegen könne, gedacht, aber gehofft, dass Leucole mich hiervon gegen eine Extrabezahlung befreien werde. In der Zeit jedoch, die zwischen Farquhar’s und unserer eigenen Ankunft vergangen war, hatte der Häuptling schon hinlänglich erkannt, dass er ganz unfähig sei, die Bedürfnisse eines Menschen wie Farquhar zu befriedigen, welcher darauf bestand, nach jeder Kleinigkeit auf englisch statt auf Kisagara oder Kiswahili zu rufen, und der, wenn er nicht verstanden worden, erst die Eingeborenen auf englisch gründlich verfluchte und, wenn er dies als nutzlos erkannt hatte, in ein hartnäckiges, mürrisches Schweigen zu verfallen pflegte. Keine Geldsumme war gross genug, um Leucole dazu zu bewegen, sich dieser Aufgabe ohne einen Dolmetscher zu unterziehen. Es war nutzlos, über meine Thorheit zu trauern, einen solchen Mann wie Farquhar auf die Expedition mitgenommen zu haben. Er war im Innern von Afrika und krank; mir lag es ob, danach zu sehen, dass er Pflege erhielt. Daher fragte ich Bombay, welchen von unsern Leuten man am besten entbehren könne, um ihn bei Farquhar zu lassen. Zu meinem Erstaunen sagte Bombay: „O Herr, haben Sie uns nach Afrika gebracht, um uns so etwas zuzumuthen? Wir haben unsern Contrakt nicht[S. 163] unterschrieben, um zurückzubleiben, sondern um Sie nach Udschidschi, Ukerewe oder Kairo zu begleiten. Wenn Sie einem der Soldaten befehlen, hier zu bleiben, so wird er nur so lange gehorchen, als Sie da sind, — nachher wird er weglaufen. Nein, nein, Herr, das geht nicht!“ — Trotz Bombay’s Versicherungen, die ich zwar keine Ursache hatte zu bezweifeln, fragte ich einen jeden meiner Leute persönlich, ob er bereit sei, zurückzubleiben und den kranken Musungu zu bedienen.

Von jedem erhielt ich eine verneinende Antwort, die sehr entschieden abgegeben wurde, und sie führten als Grund das heftige Betragen des Musungu gegen die drei Soldaten an, die seiner Karavane von Bagamoyo ab beigegeben worden. Sie fürchteten ihn, er verfluchte sie bei jeder Gelegenheit und Ulimengo kopirte ihn so getreu und komisch, dass es fast unmöglich war, sich des Lachens zu enthalten. Da jedoch der kranke Mann absolut eines Pflegers bedurfte, so war ich gezwungen, meine Autorität zu gebrauchen, und da Dschako der einzige ausser Bombay und meinem arabischen Dolmetscher Selim war, der englisch sprechen konnte, so wurde jener trotz seiner Einwendungen und Bitten dazu bestimmt und der Häuptling Leucole dadurch zufriedengestellt. Vorräthe an weissen Perlen, Merikani- und Kanikituchen auf sechs Monate und zwei Doti schönen Tuchs als Geschenk für Leucole nach Farquhar’s Wiederherstellung wurden dem letztern von Bombay gebracht und dazu noch ein Karabiner, 300 Patronen, ein Satz Kochgeschirr und 3 Pfund Thee.

Abdullah bin Nasib, den ich hier mit 500 Pagazi und einem Gefolge von arabischen und Waswahili-Satelliten, die sich um diese grosse Persönlichkeit drängten, vorfand, behandelte mich ungefähr in derselben Weise, wie Hamed bin Suleiman Speke in Kasenge behandelt hatte. Von seinen Satelliten gefolgt kam er, ein hochgewachsener, kräftig aussehender Mann von ungefähr 50 Jahren, mich in meinem Lager zu besuchen und fragte mich, ob ich Esel zu kaufen wünsche. Da alle meine Thiere entweder krank oder sterbend waren, so bejahte ich seine Frage bereitwilligst, worauf er mir gnädigst erwiderte, er werde mir so viele, wie[S. 164] ich wünsche, verkaufen und zwar gegen eine Bezahlung, die ich ihm in Wechseln auf Zanzibar geben könne. Ich hielt ihn für einen sehr verständigen und freundlichen Mann, der das Lob, welches ihm in Burton’s „Lake Regions of Central-Africa“ reichlich gespendet wird, vollständig rechtfertigte und behandelte ihn daher mit der Rücksicht, die einem so grossen und guten Manne gebührte. Der Morgen kam und mit ihm ging Abdullah bin Nasib oder „Kisesa“, wie er von den Wanyamwezi genannt wird, mit allen seinen Pagazi, seinem ganzen Gefolge und seinen Eseln nach Bagamoyo ab, ohne mir auch nur ein „Quahary“ oder Lebewohl gesagt zu haben.

An diesem Orte findet man gewöhnlich 10–30 Pagazi, die auf ins Innere ziehende Karavanen warten. Ich war glücklich genug, mir zwölf gute Leute zu verschaffen, die nach meiner Ankunft in Unyanyembé ohne Ausnahme freiwillig sich erboten, als Lastträger auch nach Udschidschi mitzugehen. Da ich die furchtbaren Märsche von Marenga Mkali vor mir hatte, so war ich für diesen glücklichen Zufall sehr dankbar, welcher die Schwierigkeiten, die ich vermuthet hatte, löste, denn ich hatte nur zehn Esel übrig, von denen vier so geschwächt waren, dass man sie als Lastthiere nicht mehr gebrauchen konnte.

Mpwapwa, wie es von den Arabern, die es fertig bekommen, jedes Wort der Eingeborenen zu verderben, genannt wird, heisst bei den Wasagara Mbambwa. Es ist ein Gebirgszug, der sich mehr als 6000 Fuss über dem Meere erhebt, im Norden die ausgedehnte Ebene, die beim See Ugombo anfängt, und im Osten den Theil derselben begränzt, der Marenga Mkali heisst und sich über die Grenze von Uhumba hinaus erstreckt. Mpwapwa gegenüber, in einer Entfernung von etwa 30 Meilen, erhebt sich der Anak-Pic von Rubeho mit mehreren andern hochstrebenden Genossen, welche die langen Züge geradliniger Abdachungen überragen, die von der Ebene von Ugombo und Marenga Mkali sich so regelmässig erheben, als ob sie von ganzen Generationen von Maurern und Steinmetzen ausgehauen wären.

Als ich auf die grünen, von vielen dichtbelaubten Bäumen beschatteten Abhänge von Mpwapwa und seine zahlreichen[S. 165] Bäche blickte, die anmuthig und klar dahinflossen und ausser dichten Gruppen von Gummi- und Dornbüschen riesige Sycamoren und Mimosen mit ihren fallschirmförmigen Laubdächern ernährten, liess ich mir von der Einbildungskraft liebliche Ansichten hinter den hohen Kegeln vormalen und mich in Versuchung führen, den Strapazen eines Ersteigens des Gipfels Trotz zu bieten. Mit einem Blick übersah mein Auge Ebene und Berg in einer Ausdehnung von Hunderten von Quadratmeilen vom Pic Ugombo ins ferne Ugogo hinaus und von Rubeho und Ugogo bis zu den dunkelpurpurnen Weideländern der wilden, unbezähmbaren Wahumba. Die Ebene von Ugombo und die benachbarte von Marenga Mkali, die dem Anschein nach so flach wie das Meer sind, waren hier und da von Hügeln besät, welche die Natur in nachlässiger Eile dahingestreut zu haben schien und die wie Inseln inmitten der braungrünen Fläche aussahen. Wo sich dichte Dschungels befanden, war die Farbe abwechselnd grün und dunkelbraun; wo die Ebene ohne Büsche und Farrnkräuter kahl dalag, hatte sie ein weissbraunes Aussehen, auf welches die vorüberziehenden Wolken hin und wieder ihre tiefen Schatten warfen. Ueberhaupt war diese Seite des Bildes durchaus nicht einladend; denn sie zeigte uns nur zu deutlich die Wüste in ihrem eigensten abschreckenden Charakter. Doch nahm mich vielleicht noch die Erkenntniss gegen dieselbe ein, dass in dieser ungeheuren vor mir liegenden Ebene es nur Wasser gibt, das bitter wie Salpeter und untrinkbar ist. Der Jäger hätte sie für ein Paradies ansehen können, denn in ihren Tiefen gab es allerlei Wild, das ihn mächtig reizen konnte; für den blosen Reisenden aber bot sie einen traurigen Anblick. Näher jedoch am Fusse des Mpwapwa ändert sich das Aussehen der Ebene. Zuerst werden die Dschungels dünner, es erscheinen Lichtungen im Walde, darauf weite kahle Strecken und weiter hin ausgedehnte Felder von kräftigem Holcus, Mais, Maweri oder Bajri, sowie hier und da ein viereckiges Tembé oder Dorf. Noch näher zu uns verliefen schmale Streifen von frischem, jungem Grase und es fanden sich grosse Bäume, die von kleinen Partien angeschwemmten Wiesenbodens umgeben waren. Ein breites Flussbett, das[S. 166] mehrere Wasserläufe enthält, zieht sich durch die durstigen Felder und führt das belebende Element mit sich, das in diesem Theile von Usagara so selten und kostbar ist. Hinab zum Flussbett neigt sich der Mpwapwa, der an einigen Stellen durch grosse Basaltblöcke oder Felsmassen, die von einem jähen Abhang herabgefallen sind, ein rauhes Ansehen gewinnt. Hier klammert sich der Kolquall mit sicherm Halte an und gewinnt seine Nahrung überall, wo es keiner andern Pflanze gelingt; dort zieht sich die kräftige Mimose als grüner, abfallender Wall fast bis zum Gipfel hinan und da weidet — ein beglückender Anblick für mich, der ihn so lange entbehrt — zahlreiches Vieh, das der Einsamkeit der tiefen Einschnitte des Gebirgszuges ein angenehmes Leben verleiht.

Den schönsten Anblick jedoch gewährt die nördlich gelegene dichte Gebirgsgruppe, welche, nach Rubeho zu, die vordere Bergreihe wie mit Strebepfeilern stützt. Das ist die Heimat der Winde, die hier entstehen, die jähen Abhänge und einzelnen Pics der Westseite, an Stärke zunehmend, hinabsausen, durch das prairieartige Marenga Mkali brausen und Ugogo und Unyamwezi mit der Gewalt des Sturmes durchtoben. Zugleich ist es die Heimat des Thaus, wo klare Quellen, die durch ihre Musik die bewaldeten Thäler erfreuen und den bevölkerten Bezirk von Mpwapwa bereichern, entspringen. Es wird jedem besser und stärker zu Muthe auf dieser luftigen Höhe, wenn er die reine Luft einsaugt und die Augen an der Mannichfaltigkeit der Landschaft weidet, die sich hier darbietet. Hier blickt man auf ausgedehnte, wiesengrüne Plateaus, glatt abgerundete Gipfel und Bergthäler, die Schlupfwinkel enthalten, welche die Seele eines Eremiten bezaubern können; dort auf tiefe, schreckliche Schluchten, wo ein düsteres Dunkel herrscht, auf zerrissene Abhänge, ungeheuere phantastisch gestaltete Blöcke, die über ihnen hervorragen, sowie auf malerische Landstriche, die alles in sich schliessen, was die Natur an Romantik und Poesie zu bieten hat.

Der Reisende wird Mpwapwa, obgleich er, von der Küste kommend, für die Milch, die es ihm bietet und die er so lange entbehrt hat, dankbar ist, doch stets als einen[S. 167] durch seine Ohrwürmer sehr merkwürdigen Ort im Gedächtniss behalten. In meinem Zelte konnte ich sie zu Tausenden zählen, in meiner Hängematte zu Hunderten, auf meinen Kleidern zu Fünfzigen, auf meinem Hals und Kopf zu Zwanzigen. Die sonstigen Plagen, als da sind Heuschrecken, Flöhe und anderes Ungeziefer, verlieren jede Bedeutung, wenn man sie mit diesen entsetzlichen Ohrwürmern vergleicht. Freilich beissen sie weder, noch reizen sie die Haut, ihre blosse Anwesenheit und Zahl rief jedoch so schreckliche Vorstellungen hervor, dass man dadurch fast toll werden konnte. Wer kommt wol nach Ostafrika, ohne die Erfahrungen von Burton und Speke gelesen zu haben? Wer wird wol, wenn er sie gelesen, sich nicht mit Schrecken der furchtbaren Schilderungen erinnern, die Speke von dieser Pest gibt? Nur meine angestrengte Wachsamkeit hat mich, wie ich glaube, vor ähnlichem Unglück bewahrt.

Nach den Ohrwürmern kommen, was Bedeutung und Zahl betrifft, die weissen Ameisen, deren Zerstörungsvermögen geradezu schrecklich ist. Matten, Tuch, Koffer, Kleider, kurz alles, was ich besass, schien sich am Abgrunde des Verderbens zu befinden, und wenn ich ihre Gefrässigkeit beobachtete, so ängstigte ich mich, dass sie mein Zelt, während ich schlief, auffressen könnten. Dieses war, seitdem ich die Küste verlassen, das erste Khambi, wo ihre Anwesenheit mir Angst verursachte. An allen andern Lagerstätten hatten bisher die rothen und schwarzen Ameisen unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen; in Mpwapwa aber liess sich die rothe Gattung gar nicht blicken und die schwarze war auch sehr selten.

Nachdem wir drei Tage in Mpwapwa gehalten, entschloss ich mich, ohne Aufenthalt nach Marenga Mkali zu marschiren, bis wir Mvumi in Ugogo erreichten, wo ich die Kunst, Tribut an die Wagogohäuptlinge zu bezahlen, erlernen sollte. Der erste Marsch nach Kisokweh wurde absichtlich kurz gemacht, da er nur vier Meilen betrug, um es Scheikh Thani, Scheikh Hamed und fünf bis sechs Waswahili-Karavanen zu ermöglichen, mich in Tschunyo, an der Grenze von Marenga Mkali, zu treffen.

[S. 168]

UNSER LAGER IN TSCHUNYO.

SECHSTES KAPITEL.
DURCH MARENGA MKALI, UGOGO, UYANZI NACH UNYANYEMBÉ.

Ankunft in Tschunyo. — Bitterwasser. — Marenga Mkali. — Sechsunddreissig Stunden lang kein Wasser. — Gefährlicher Fieberanfall. — Ankunft in Ugogo. — Wüthender Pöbel. — Reichliche Lebensmittel in Mvumi. — Tribut an den grossen Sultan. — Der Sultan von Matamburu. — Marsch nach Bihawana. — Die Wagogo erhalten Peitschenhiebe. — Besuch des Sultans von Mizanza. — Die Wahumba sind ein stattlicher Menschenschlag. — Ankunft in Mukonduku. — Abreise. — Berathschlagung mit den Arabern über die einzuschlagende Route. — Streit und Trennung von denselben. — Sie folgen mir. — Ugogo ein Land voll Bitterniss. — Ankunft in Kiti. — Sultan bin Mohammed. — Halt in Kusuri. — Erschiessen eines Dieners. — Schlammfische. — Ruinen von Rubuga. — Amir bin Sultan. — Uebergang über das Mtoni. — Ankunft in Unyanyembé.

Von Marenga Mkali nach
 
St.
Min.
 
St.
Min.
Mvumi in Klein-Ugogo 
12
30 
Matamburu 
 4
Mvumi in Gross-Ugogo 
 4
— 
Bihawana 
 4
[S. 169]
Kididimo 
 2
— 
Mgongo Tembo 
 3
30
Pembera Pereh 
10
— 
Mgongo Tembo Mtoni 
 3
30
Mizanza 
 5
30 
Nghwhalah Mtoni 
 2
40
Mukondoku 
 6
30 
Madedita 
 2
30
Munieka 
 5
— 
Central Tura in Unyamwezi 
 3
Mabunguru Mtoni in
Uyanzi 
 8
— 
Kwala-Fluss 
 7
Rubuga 
 7
15
Kiti in Uyanzi 
 6
30 
Kigwa 
 5
Msalalo 
 6
30 
Schisa 
 7
Welled Ngaraiso 
 3
30 
Kwihara 
 3
Kusuri 
 3
15 
     

Der 22. Mai sah Thani’s und Hamed’s Karavanen mit der meinigen in Tschunyo, 3½ Stunden von Mpwapwa, vereinigt. Der Weg von letzterm Ort läuft längs des Saumes des Mpwapwa-Höhenzuges. An drei oder vier Stellen geht er über vorspringende Ausläufer, welche sich von dem Hauptstock des Gebirges abtrennen. Der letzte dieser Bergausläufer, der sich durch einen erhabenen Querfirst mit dem Mpwapwa verbindet, schützt das Dorf Tschunyo, das an der westlichen Seite liegt, vor den Stürmen, welche von den tiefen Abhängen herabbrausen.

Das Wasser von Tschunyo ist ganz besonders schlecht, sodass es durch seine salzige, salpeterhaltige Beschaffenheit der Wildniss, welche Usagara von Ugogo trennt, den Namen Marenga Mkali, Bitterwasser, gegeben hat. Obgleich es ausserordentlich widerlich schmeckt, trinken es Araber und Eingeborene ohne Furcht oder schlechte Folgen zu verspüren, halten aber ihre Lastthiere sorgfältig von den Wassergruben fern. Da ich seine Natur nicht kannte und nicht genau wusste, welche Oertlichkeit mit dem Namen Marenga Mkali bezeichnet wird, liess ich die Esel wie gewöhnlich nach einem Marsch ans Wasser führen und die Folge davon war in hohem Grade verderblich. Was das furchtbare Moor von Makata verschont hatte, vernichteten die Wasser von Marenga Mkali. In weniger als fünf Tagen nach unserer Abreise von Tschunyo oder Marenga Mkali fielen ihnen fünf von den neun Eseln, die mir damals noch übrigblieben, zum Opfer und zwar gerade die fünf gesündesten. Das Wasser schien Harnverhaltung hervorzurufen, denn[S. 170] der Tod von dreien der Thiere war auf diese Ursache zurückzuführen.

Wir bildeten eine ganz imposante Karavane, als wir aus dem ungastlichen Tschunyo ungefähr 400 Seelen stark fortzogen. Dazu hatten wir viele Flinten, Flaggen, Hörner, Trommeln, und machten viel Lärm. Durch Scheikh Thani’s Erlaubniss wurde Scheikh Hamed und mir die Aufgabe zutheil, diese grosse Karavane durch das gefürchtete Ugogo zu führen. Dies war, wie man später sehen wird, eine sehr unglückliche Wahl.

Endlich lag Marenga Mkali, in einer Breite von mehr als 30 Meilen vor uns. Diese Entfernung musste innerhalb 36 Stunden zurückgelegt werden, sodass die Strapazen eines gewöhnlichen Marsches dadurch mehr als verdoppelt wurden. Von Tschunyo nach Ugogo findet man nicht einen Tropfen Wasser. Da eine grosse Karavane von z. B. 200 Seelen selten mehr als 1¾ Meilen in der Stunde zurücklegt, so beansprucht ein Marsch von 30 Meilen eine siebenzigstündige Entbehrung von Wasser und gestattet nur wenig Ruhe. Da Ostafrika meist unbeschränkte Wassermengen besitzt, sind Karavanen nicht gezwungen, aus Mangel an diesem Element zum Muschok Indiens oder dem Khirbeh Aegyptens ihre Zuflucht zu nehmen. Weil sie im Stande sind, die wasserlosen Districte in einigen langen Märschen zu passiren, lassen sie sich für diese Zeit an kleinen Kürbisflaschen voll Wasser genügen und weiden ihre Phantasie an den grossen Mengen, welche sie nach ihrer Ankunft an einem wasserreichen Ort trinken werden.

Der Marsch durch diesen wasserlosen District war sehr eintönig und mich packte ein gefährliches Fieber, welches mir die Eingeweide geradezu zu verzehren schien. Die Wunder von Afrika, welche sich hier in Gestalt von Zebras, Giraffen, Elenn und Antilopen zeigten, die über die strauchlose Ebene gallopirten, hatten für mich keinen Reiz und vermochten es nicht, meine Aufmerksamkeit von der schweren Erkrankung, die mich befallen hatte, abzulenken. Gegen das Ende des ersten Marsches war ich nicht im Stande, auf dem Esel zu sitzen. Auch ging es nicht an, da wir erst den dritten Theil des Weges durch die Wüste[S. 171] hinter uns hatten, vor dem nächsten Tage Halt zu machen. Es wurden daher Soldaten commandirt, mich in einer Hängematte zu tragen, und als die Terekeza am Abend zu Ende war, lag ich in einem lethargischen, völlig bewusstlosen Zustande da. In der Nacht ging das Fieber vorüber und um 3 Uhr morgens, als der Marsch wieder aufgenommen wurde, war ich gestiefelt und gespornt und wieder als Mtongi meiner Karavane anerkannt. Um 8 Uhr morgens hatten wir die 32 Meilen zurückgelegt. Die Wildniss von Marenga Mkali war passirt und wir waren nach Ugogo gekommen, das für meine Karavane ein gefürchtetes, für mich ein gelobtes Land war.

Der Uebergang von der Wildniss in dasselbe war sehr allmählich und leicht. Nur nach und nach wurde das Dickicht dünner; es dauerte lange, bis wir an abgeholztes Land kamen, und als es schliesslich da war, sah man nicht eher Zeichen der Cultur, als bis wir Kräuter und Pflanzen an einigen zur rechten Hand parallel mit unserer Route verlaufenden Bergabhängen erkennen konnten. Dann erst erblickten wir Nutzholz auf den Bergen und weite bebaute Felder, und siehe da, als wir über eine röthliche Erdwelle schritten, die von hohem Unkraut und Rohr bedeckt war, lagen nur wenige Schritt von uns entfernt, gerade quer über unserm Weg, die Matama- und Kornfelder, nach denen wir ausgeschaut; wir waren schon seit einer Stunde in Ugogo.

Der Blick war nicht, wie ich ihn erwartet. Ich hatte mir ein Plateau, mehrere hundert Fuss höher als Marenga Mkali liegend, und eine ausgedehnte Aussicht vorgestellt, die mir Ugogo und seinen Charakter sofort offenbaren sollten. Statt dessen waren wir aber, als wir das hohe Unkraut, welches das vor den bebauten Strecken kommende abgeholzte Land bedeckt hatte, durchzogen, mitten in noch höhere Matamahalme hineingerathen und mit Ausnahme des Blicks auf einige ferne Berge in der Nähe von Mwumi, wo der grosse Sultan lebt, das Haupt des Stammes, dem wir Tribut zahlen sollten, war die Aussicht sehr begrenzt.

In der Umgegend des ersten Dorfes bekamen wir jedoch einige charakteristische Züge von Ugogo flüchtig zu sehen. Da lag eine weite Ebene, bald flach, bald sich leicht erhebend,[S. 172] hier platt wie ein Tisch, dort zu schroffen Hügeln geformt, welche von zahlreichen unebenen, riesigen Felsblöcken starrten, die einer über dem andern aufgeschichtet lagen, als ob Kinder eines Titanengeschlechts hier Häuserbauen gespielt hätten. Wirklich bildeten diese Haufen runder, eckiger und zerrissener Felsen kleine Hügel für sich und sahen so aus, als ob ein jeder von ihnen durch irgendeine heftig wirkende Kraft von unten hinaufgeworfen worden sei. Namentlich war einer derselben in der Nähe von Mvumi so gross und hatte, da er durch die ausgestreckten Zweige eines riesigen Baobab etwas den Blicken entzogen wurde, so grosse Aehnlichkeit mit einem ungeheuren viereckigen Thurme, dass ich längere Zeit die Idee hegte, etwas besonders Interessantes, was sich merkwürdigerweise der Beobachtung meiner Vorgänger in Ostafrika entzogen, entdeckt zu haben. Ein genaueres Hinsehen zerstörte die Illusion und bewies mir, dass es ein grosser Felsenwürfel war, der ungefähr 70 Fuss nach jeder Richtung mass. Die Baobab sind auch in dieser Landschaft besonders hervorstechend, da kein anderer Baum in diesen bebauten Gegenden zu sehen ist. Man hatte sie wol aus zwei Gründen stehen lassen: erstens aus Mangel an geeigneten Beilen, Bäume von so grossem Umfange zu fällen, und zweitens, weil die Frucht des Baobab ein Mehl gibt, das bei Hungersnoth, wenn es nichts besseres gibt, auch geniessbar und nahrhaft sein soll.

Die ersten Worte, die ich in Ugogo hörte, kamen von einem starkgebauten Wagogo-Aeltesten, der seine Heerde träge hütete, aber ein sichtliches Interesse an dem Fremdling bekundete, der in weissen Flanellkleidern, den in Ugogo höchst ungewöhnlichen Hawkes’schen Patent-Kork-Sommerhut auf dem Kopfe, vorbeizog.

„Yambo, Musungu! Yambo Bana, Bana!“ ertönte seine Stimme so laut, dass man sie eine ganze Meile weit hören konnte. Kaum hatte die Begrüssung stattgefunden, als das Wort „Musungu“ sein ganzes Dorf zu elektrisiren schien und die Bewohner andrer Dörfer, die hie und da nicht weit vom Wege lagen, nahmen, als sie die erste herrschende Aufregung bemerkten, an dem allgemeinen[S. 173] tollen Durcheinander theil, das alle plötzlich zu beherrschen schien. Meinen Weg vom ersten Dorf bis Mvumi betrachte ich als einen Triumphzug, denn ich wurde von einem wüthenden, aus Männern, Weibern und Kindern bestehenden Pöbelhaufen begleitet, die fast alle nackt, wie Mutter Eva waren, als sie die Welt zuerst im Garten von Eden erblickte. Sie zankten, stritten und stiessen sich, um den weissen Mann am besten sehen zu können, dergleichen man in diesem Theil von Ugogo noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Doch wurden die Ausrufe der Verwunderung, wie z. B. „Hi le“, die oft verwirrend an mein Ohr schlugen, von mir nicht mit Dank aufgenommen, da ich viele derselben für ungehörig hielt. Achtunggebietendes Schweigen und ein reservirteres Betragen würde mir mehr Hochachtung abgewonnen haben; aber ihr Mächte, die ihr in Usungu die Etikette regelt! — respectvolles Schweigen, zurückhaltendes Benehmen und Werthschätzung, das sind drei Worte, die man in dem wilden Ugogo nicht kennt.

Bisher hatte ich mich mit einem Bagdader Kaufmann verglichen, der unter den Kurden von Kurdistan herumziehend seine aus Damaszenerseide, Kefiyehs u. dgl. bestehenden Waaren verkauft; aber jetzt musste ich ein niedrigeres Bild wählen und mich für nicht viel besser als den Affen in der zoologischen Sammlung des Central-Parks halten, dessen komische Grimassen so ungeheures Gelächter bei den jungen New-Yorkern hervorrufen. Einer meiner Soldaten bat sie, ihr furchtbares Geschrei und Lärmen etwas zu mässigen, aber das böse Gesindel gebot ihm, stillzuschweigen, da es unwürdig sei, so mit den Wagogo zu sprechen. Als ich mich flehentlich in dieser Verlegenheit an die Araber um Rath wandte, sagte der alte, stets weltkluge Scheikh Thani: „Beachten Sie jene nicht; es sind Hunde, die nicht nur bellen, sondern auch beissen.“

Um 9 Uhr morgens waren wir in unserm Boma in der Nähe des Dorfes Mvumi, aber auch hierher kamen Mengen von Wagogo, um sich den Musungu etwas anzusehen, dessen Anwesenheit alsbald im ganzen District von Mvumi bekannt wurde. Zwei Stunden später hatte ich ihre Bemühungen, mich zu sehen, ganz und gar vergessen; denn trotz[S. 174] wiederholter Dosen von Chinin hatte mich das Mukunguru fest gepackt. Am nächsten Tage fand ein Marsch von acht Meilen von Ost- nach West-Mvumi statt, wo der Sultan des Bezirks wohnt. Die Menge und Mannichfaltigkeit der in unser Boma gebrachten Lebensmittel straften die Berichte über die Erzeugnisse von Ugogo nicht Lügen. Saure und süsse Milch, Honig, Bohnen, Matama, Maweri, Mais, Ghee, Erbsennüsse und eine Sorte von Bohnennüssen, die grossen Pistazien oder Mandeln sehr ähneln, Wassermelonen, Kürbisse, Muss-Melonen und Gurken wurden uns gebracht und bereitwilligst gegen Merikani, Kaniki, weisse Merikaniperlen und Sami-Sami oder Sam-Sam umgetauscht. Das Handel- und Tauschgeschäft, das vom Morgen bis zur Nacht vor sich ging, erinnerte mich an die unter den Gallas und Abessiniern vorkommenden Gebräuche. Im Osten mussten Karavanen ihre Leute mit Tuch aussenden, um bei den Dorfbewohnern Einkäufe zu machen. Dies war in Ugogo nicht nöthig, wo die Leute jeden Verkaufsartikel, den sie besassen, aus freien Stücken ins Lager brachten. Das kleinste Stückchen weissen oder blauen Tuchs, ja sogar ein abgetragenes, fadenscheiniges Lendentuch liess sich verkaufen und nützlich beim Einkauf von Nahrungsmitteln verwerthen.

Am Tage nach unserm Marsch war Rasttag. Wir hatten ihn dazu bestimmt, dem grossen Sultan von Mvumi den Tribut zu überbringen. Der kluge und vorsichtige Scheikh Thani übernahm die Erledigung dieser wichtigen Pflicht, deren Unterlassung ein Zeichen zum Kriege gewesen wäre. Hamed und Thani schickten zwei treue, mit den Eigenthümlichkeiten des Wagogo-Sultans genau vertraute, redegewandte Sklaven, die eine grosse Zungenfertigkeit und wirklichen Instinct für den unter den Orientalen üblichen Handel besassen, zu ihm. Sie trugen 6 Doti Tuch, nämlich 1 Doti Dabwani Ulyah und 1 Doti Barsati von mir, 2 Doti Merikani Satine von Scheikh Thani und 2 Doti Kaniki von Scheikh Hamed als erste Abzahlung des Tributs hin. Sie blieben eine ganze Stunde fort, kehrten aber, nachdem sie ihre Ueberredungskunst umsonst angewandt hatten, mit dem Verlangen nach mehr zurück, was Scheikh Thani mir in folgender Weise mittheilte:

[S. 175]

„Ach, dieser Sultan ist ein sehr, sehr böser Mann. Er sagt, der Musungu ist ein grosser Mann, ich nenne ihn sogar einen Sultan. Der Musungu ist sehr reich, denn mehrere seiner Karavanen sind schon vorbeigezogen. Der Musungu muss 40 Doti bezahlen und die Araber jeder 12 Doti, denn sie haben reiche Karavanen. Es ist unnütz, dass Ihr mir sagt, Ihr bildet alle eine Karavane, denn wozu habt Ihr dann so viel Flaggen und Zelte? Geht und bringt mir 60 Doti, mit weniger bin ich nicht zufrieden.“

Nachdem ich dieses unverschämte Verlangen erfahren, gab ich Scheikh Thani zu verstehen, dass ich 20 mit Winchester-Repetir-Gewehren bewaffnete Wasungu habe und den Sultan zwingen könne, mir Tribut zu zahlen. Thani aber bat mich dringend, vorsichtig zu sein, damit nicht böse Worte den Sultan reizen und dazu veranlassen könnten, einen doppelten Tribut zu fordern, wozu er wol im Stande sei; „und wenn Sie den Krieg vorzögen, so würden alle Ihre Pagazi desertiren und Sie sammt Ihrem Tuch den Wagogo auf Gnade und Ungnade überlassen.“ Ich beeilte mich aber, seine Befürchtungen zu beschwichtigen, indem ich Bombay in seiner Gegenwart sagte, ich habe dieses Verlangen seitens der Wagogo vorhergesehen, daher 120 Doti Tributtuche beiseite gelegt und werde mich nicht für sehr beeinträchtigt halten, wenn der Sultan mir 40 Doti Tuch abfordere und ich sie wirklich bezahle. Deshalb solle er den Hongaballen aufmachen und von Scheikh Thani die vom Sultan gewünschten Tuche herausnehmen lassen.

Nachdem Scheikh Thani sich die Mütze der Ueberlegung aufgesetzt und mit Hamed und seinen treuen Bedienten zu Rath gegangen war, meinte er, wenn ich 12 Doti bezahlen wolle, von denen 3 von Ulyah-Qualität wären, werde der Sultan wol geruhen, unsern Tribut annehmbar zu finden, in der Voraussetzung, dass er durch die beredten Worte der Getreuen sich überreden lassen werde, der Musungu habe nichts weiter bei sich, als das Maschiwa (Boot), das jenem von keinerlei Nutzen sein werde, es komme was da wolle. Auf diesen klugen Rath, von dessen Weisheit er überzeugt war, ging der Musungu ein.

[S. 176]

Die Sklaven entfernten sich, diesmal mit 30 Doti und unsern besten Glückwünschen, aus unserm Boma. Nach einer Stunde kehrten sie zurück mit leeren Händen, aber ohne Erfolg. Der Sultan verlangte von dem Musungu noch 6 Doti Merikani und 1 Fundo Bubu, von den Arabern und andern Karavanen dagegen noch 12 Doti. Zum dritten male gingen die Sklaven ins Tembé des Sultans ab, mit 6 Doti Merikani und 1 Fundo Bubu von mir und 10 Doti von den Arabern. Doch wiederum kehrten sie mit den Worten des Sultans zurück: „Die Doti des Musungu hätten zu kurzes Maass und das Tuch der Araber wäre von elender Beschaffenheit, daher müsse der Musungu ihm noch 3 gut gemessene Doti und die Araber 5 Doti Kaniki senden.“

Meine 3 Doti wurden sofort mit dem längsten Vorderarm, dem Kigogo-Maasse, ausgemessen und durch Bombay abgesandt, aber die Araber erklärten fast verzweifelt, sie wären ruinirt, wenn sie sich solchen Anforderungen fügten, und schickten nur 2 von den 5 Doti mit der inständigen Bitte an den Sultan, er möge das Bezahlte als gerechtes und billiges Muhongo ansehen und nicht noch mehr verlangen. Der Sultan von Mvumi war jedoch keineswegs geneigt, diesen Vorschlag in Erwägung zu ziehen, sondern erklärte, er müsse noch 3 Doti bekommen und zwar 2 von Ulyahtuch und 1 von Kitambi Barsati, die ihm denn auch, da er durchaus darauf bestand, unter den heftigsten Verwünschungen Scheikh Hamed’s und den verzweifeltsten Seufzern Scheikh Thani’s übersandt wurden.

Ueberhaupt muss das Sultanat eines Districts in Ugogo sehr lohnend und eine prächtige Sinecure so lange sein, als der Sultan es mit feigen arabischen Kaufleuten zu thun hat, die sich scheuen, eine Spur von Unabhängigkeit und Selbstvertrauen an den Tag zu legen, um nur nicht noch mehr Strafe an Zeug zu zahlen. An einem Tage erhielt der Sultan von einem einzigen Boma 47 Doti, die aus Merikani, Kaniki, Barsati, Dabwani bestanden im Werthe von 35¼ Dollars, und ausserdem noch 7 Doti feiner Tuche (Rehani, Sohari und Daobwani-Ulyah), sowie 1 Fundo Bubu, im Werthe von 14 Dollars, zusammen also 49¼ Dollars, eine ganz anständige Summe für einen Mgogohäuptling.

[S. 177]

Am 27. Mai schüttelten wir mit Freuden den Staub von Mvumi von den Füssen und setzten unsern Weg nach Westen fort. In der letzten Nacht waren fünf meiner Esel an den Wirkungen des Wassers von Marenga Mkali gefallen. Ehe ich das Boma von Mvumi verliess, ging ich, mir ihre Kadaver anzusehen, fand aber, dass ihr Fleisch von den Hyänen vollständig aufgefressen und die Knochen sich im Besitz einer grossen Schaar weisshalsiger Krähen befanden.

Als wir die zahlreichen Dörfer durchzogen und wahrnahmen, dass das ganze Land wie ein ungeheures Kornfeld aussah, und ferner die am Wege stehenden Leute zählten, die ihre gierigen Blicke am Musungu weiden wollten, wunderte ich mich nicht mehr über die Erpressungen der Wagogo. Denn offenbar durften sie blos ihre Hände ausstrecken, um sich den ganzen Reichthum meiner Karavane anzueignen, und ich fing an, besser von dem Volke zu denken, das seiner Kraft sich wohl bewusst, doch keinen Gebrauch von ihr macht, sondern intelligent genug ist zu begreifen, dass es in seinem Interesse liegt, Karavanen vorbeiziehen zu lassen, ohne eine Rechtsverletzung an ihnen zu versuchen.

Zwischen Mvumi und dem District des nächsten Sultans, Matamburu, zählte ich nicht weniger als 25 Dörfer, die über der lehmigen, farbenreichen Ebene ausgestreut lagen. Trotz der unwirthlichen Natur der Ebene waren sie besser gebaut, als irgendein Theil des Landes, das ich seit Bagamoyo gesehen hatte.

Als wir schliesslich in unserm Boma in Matamburu ankamen, erwarteten uns dieselben Gruppen neugieriger Leute, dieselben verwunderten Blicke, dieselben Ausrufe des Erstaunens, dasselbe Gelächter über Dinge, die sie an der Kleidung und Manier des Musungu lächerlich fanden, wie in Mvumi. Da die Araber „Wakonongo“-Reisende waren, die sie alle Tage sahen, waren diese vollständig befreit von den Belästigungen, die wir auszustehen hatten.

Der Sultan von Matamburu, ein Mann von herkulischer Gestalt und einem Kopf, der gut zu seinen Schultern passte, die sich mit denen des Milo vergleichen liessen, erwies sich als ein sehr verständiger Mann. Nicht ganz so mächtig wie der von Mvumi, besass er doch einen schönen Theil[S. 178] von Ugogo, etwa 40 Dörfer, und er hätte, wenn er dazu Lust gehabt, die feilen Seelen meiner arabischen Begleiter in derselben Weise, wie der von Mvumi, drücken können. Vier Doti Tuch wurden ihm als erster seiner Grösse dargebrachter Tribut hingesandt, die er anzunehmen versprach, wenn die Araber und der Musungu ihm noch vier schicken würden. Bei so billigem Verlangen wurde diese Angelegenheit bald zu jedermanns Zufriedenheit beendet, und nicht lange darauf liess Scheikh Hamed’s Kirangozi das Signal zum morgigen Marsche ertönen.

Auf Befehl eben dieses Scheikhs erhob sich der Kirangozi, um vor der versammelten Karavane eine Rede zu halten. „Worte, Worte von dem Bana!“ rief er aus. „Leiht mir Euer Ohr, Kirangozi! Hört es, Ihr Kinder von Unyamwezi! Morgen ist Reisetag! Der Weg ist krumm und schlecht, schlecht! Da liegen Dschungels und viele Wagogo sind darin verborgen! Wagogo tödten Pagazi mit Speeren und schneiden denen die Hälse ab, welche Mutumba (Ballen und Uschangaperlen) bei sich führen! Die Wagogo sind bei uns im Lager gewesen; sie haben Euere Ballen gesehen; heute Abend suchen sie die Dschungels auf; morgen wachet gut, o Wanyamwezi! Haltet Euch eng beisammen, bleibt nicht zurück! Die Kirangozi werden langsam gehen, damit die Schwachen, die Kranken und die Jungen mit den Starken Schritt halten können! Machen wir zweimal Rast auf dem Wege! Dieses sind die Worte des Bana (Herrn). Hört Ihr sie, Wanyamwezi?“ (Ein lautes bejahendes Geschrei erhebt sich aus allen Kehlen.) „Versteht Ihr sie wohl?“ (Wiederholter Zuruf.) „Dann Bas!“ Nach dieser Rede zog sich der beredte Kirangozi in die dunkle Nacht und seine Strohhütte zurück.

Der Marsch nach Bihawana, unserm nächsten Lager, war beschwerlich, führte uns durch ein ununterbrochenes Dickicht von Gummi- und Dorngebüschen, steile Berge hinauf und schliesslich über eine glühende Ebene, auf der die Sonne heisser und heisser wurde, wie sie sich dem Meridian näherte, bis sie schliesslich alles Leben aus der todten Natur herauszusengen schien und die ganze Landschaft in einer solchen weissen Glut dalag, dass sie den umsonst vor[S. 179] dem grellen Licht Schutz suchenden schmerzhaften Augen unerträglich wurde. Mehrere versandete Wasserläufe, auf denen manche Spur von Elefanten eingedrückt war, passirten wir auch auf diesem Marsche. Diese Strombetten neigten sich abwärts nach Südost und Süden.

In der Mitte dieser brennenden Ebene standen die Dörfer von Bihawana, die wegen der ungewöhnlichen Niedrigkeit ihrer Hütten fast gar nicht zu sehen waren. Sie erreichten nämlich nicht die Höhe des hohen ausgebleichten Grases, das in der übermässigen Hitze rauchend dastand.

Unser Lager befand sich in einem grossen etwa eine Viertelmeile von des Sultans Tembé gelegenen Boma. Bald nachdem ich im Lager ankam, wurde ich von drei Wagogo besucht, welche mich fragten, ob ich nicht unterwegs einen Mgogo mit einer Frau und einem Kinde gesehen hätte. Ich war im Begriff, ganz unschuldig ja zu sagen, als der vorsichtige und stets auf das Interesse seines Herrn bedachte Mabruki mich bat, ihm keine Antwort zu ertheilen, da die Wagogo mich wie gewöhnlich beschuldigen würden, jene beiseite gebracht zu haben und dafür eine Strafe von mir verlangen würden.

Wüthend über den Betrug, den sie mir eben spielen wollten, war ich im Begriff, meine Peitsche zu erheben, um sie aus dem Lager zu prügeln, als mir Mabruki wieder mit brüllender Stimme gebot, mich in Acht zu nehmen, denn jeder Schlag würde mich 3 oder 4 Doti Tuch kosten. Da ich keineswegs wünschte, meinem Zorn auf so kostspielige Weise Luft zu machen, so war ich gezwungen, ihn herunterzuschlucken, und die Wagogo kamen ohne Bestrafung davon.

Einen Tag hielten wir an diesem Ort, und dies war mir sehr lieb, da ich schwer am Wechselfieber litt, das in diesem Falle zwei Wochen dauerte und mich daran hinderte, mein Tagebuch vollständig zu führen, wie ich es sonst jeden Abend nach dem Marsche zu thun pflegte.

Der Sultan von Bihawana begnügte sich, obgleich seine Unterthanen übelgesinnt und zu Mord und Diebstahl bereit waren, mit 3 Doti Tuch als Honga. Von diesem Häuptling erhielt ich Nachrichten über meine vierte Karavane, die[S. 180] sich in einem Kampf mit einigen seiner geächteten Unterthanen ausgezeichnet. Meine Soldaten hatten zwei derselben getödtet, die, nachdem sie einigen Pagazi aufgelauert, einen Ballen Tuch und einen Beutel Perlen zu rauben versucht hatten. Da die Soldaten zur rechten Zeit herankamen, vereitelten sie diesen Versuch vollständig. Der Sultan meinte, es würden weniger Diebstähle unterwegs an den Karavanen verübt werden, wenn sie alle ebenso gut, wie die meinigen, bewacht würden. Mit dieser Ansicht stimmte ich von Herzen überein.

Das Tembé des nächsten Sultans, durch dessen Gebiet wir am 30. Mai marschirten, befand sich in Kididimo, und vier Meilen von Bihawana entfernt. Der Weg führte uns durch eine flache, längliche, zwischen zwei langen Bergkämmen befindliche Ebene, auf der sich zahlreiche, riesig gestaltete Baobab vorfanden. Kididimo sieht sehr traurig aus und selbst die Gesichter der Wagogo scheinen ein trauriges Gepräge von der allgemeinen sie umgebenden Freudlosigkeit angenommen zu haben. Das Wasser der Gruben in der Umgegend schmeckte nach warmem Pferdeurin, und zwei Esel erkrankten und fielen in weniger als zwei Stunden an den Wirkungen desselben. Der Mensch bekam davon Leibschmerzen, Uebelkeit und eine allgemeine Reizbarkeit des Organismus und rächte sich infolge dessen durch kräftige Verwünschungen gegen das Land und seinen albernen Herrscher. Ihren Höhepunkt erreichte indessen unsere Stimmung erst, als Bombay uns berichtete, dass der Kopf des Häuptlings, nachdem man über das Muhongo sich zu einigen versucht, sehr gross geworden sei, als er gehört habe, der Musungu sei angekommen und dass sich seine „Grösse“ nur verkleinern lasse, wenn er 10 Doti als Tribut bekäme. Obgleich die Forderung gross war, befand ich mich doch nicht in der Stimmung — schwach und fast ohne Energie, wie ich es von den wiederholten Anfällen des Mukunguru war — wegen dieser Summe Streit anzufangen. Daher wurde sie ohne viele Worte bezahlt. Die Araber hingegen brachten den ganzen Nachmittag mit Unterhandlungen zu und hatten schliesslich jeder 8 Doti zu bezahlen.

Zwischen Kididimo und Nyambwa, dem District des[S. 181] Sultans Pembera Pereh, befindet sich ein weiter, langer Wald und Dschungel, der von Elefanten und Rhinozeros, Zebras, Hirschen, Antilopen und Giraffen bewohnt wird. Mit dem Morgengrauen des 31. aufbrechend, kamen wir in die Dschungels, deren dunkle von Büschen bewachsene Contouren ganz deutlich von unserer Laube in Kididimo sichtbar gewesen waren, und hielten nach zweistündigem Marsche Rast zum Frühstück an Pfützen süssen Wassers, die, umrahmt von frischen grünen Streifen, einen Hauptzufluchtsort für die wilden Thiere der Dschungels abgaben, deren frische Spuren sich zahlreich daselbst vorfanden. Ein enges, vom Laube dicht beschattetes Nullah bot einen vorzüglichen Schutz vor dem grellen Sonnenschein dar. Zur Mittagstunde, nachdem unser Durst gelöscht, unser Hunger gestillt und die Kürbisflaschen wieder gefüllt waren, begaben wir uns aus dem Schatten in die furchtbare Glut des heissen Mittags hinaus. Der Pfad schlängelte sich durch Dschungel und dünnen Wald hinein und wieder heraus in offene Striche von Gras, das wie Stoppeln weissgedörrt war, und zog sich dann durch Dickicht von Gummi- und Dornbüschen, die einen penetranten Geruch, gleich einem Viehstalle, von sich gaben. Dann ging es durch Gruppen ausgebreiteter Mimosen, Colonien von Baobab und einem an edlem Wild reichen Landstrich weiter, welches letztere zwar häufig von uns erblickt, doch vor unsern Gewehren ebenso sicher war, als ob wir uns auf dem Indischen Ocean befunden hätten, denn eine Terekeza, wie wir sie jetzt machten, lässt keinen Aufenthalt zu. Das letzte Wasser hatten wir zur Mittagszeit verlassen; bis zum Mittag des nächsten Tages konnten wir keinen Tropfen bekommen, und wenn wir nicht rasch und lange an diesem Tage marschirten, so würde der wüthende Durst alle Bande der Zucht entfesseln. So mühten wir uns tapfer sechs lange ermüdende Stunden hindurch ab und lagerten bei Sonnenuntergang; es blieb dabei noch ein Marsch von zwei Stunden vor uns, den wir eine Stunde nach Sonnenaufgang machen mussten, ehe wir an unser Lager Nyambwa kommen konnten. An diesem Abend bivuakirten unsere Leute unter den Bäumen, von einem meilenweiten dichten Walde umgeben, und genossen die kühle Nacht, ohne von[S. 182] Kopfbedeckungen oder Zelten beschützt zu sein, während ich mich die Nacht hindurch in einem Fieberanfalle wälzte und stöhnte.

Der Morgen kam und die lange Karavane oder vielmehr die Kette von Karavanen war schon in erster Frühe unterwegs. Es war derselbe Wald, der auf dem schmalen Pfade, den wir betraten, nur für einen Mann Platz hatte. Ebenso beschränkt war die Aussicht. Zur Rechten und Linken war der Wald dunkel und tief. Ueber uns befand sich ein heller Himmelsstreifen, an dem einzelne Regenwolken schwebten. Wir hörten nichts weiter als hin und wieder Töne eines fliegenden Vogels oder den Lärm der Karavanen, deren Leute sangen, summten oder sich unterhielten und laut aufjubelten, wenn sie der Gedanke überkam, dass wir uns Wasser näherten. Einer meiner Pagazi fiel ermattet und krank nieder und erhob sich nicht wieder. Der letzte der Karavane ging an ihm vorüber, ehe er todt war. Das war ein Glück, sonst hätten wir die Barbarei begehen müssen, ihn unbeerdigt liegen zu lassen, wo wir doch wussten, dass er todt sei.

Um 7 Uhr morgens schlugen wir in Nyambwa unser Lager auf und tranken das vorzügliche Wasser, das wir dort vorfanden, mit der Gier durstiger Kamele. Ausgedehnte Kornfelder hatten uns die Nähe von Dörfern verkündet, bei deren Anblick wir uns bewusst wurden, dass die Karavane ihren Schritt beschleunigte, weil sie sich dem Halteplatz näherte. Als die Wasungu in die bevölkerte Gegend zogen, beeilten sich Massen von Wagogo, sie anzusehen, ehe sie vorbei waren. Jung und Alt beiderlei Geschlechts drängte sich um uns, ein heulender Pöbelhaufen. Dieses übermässig demonstrative Wesen entlockte meinem Aufseher, dem frühern Seemann, die charakteristische Bemerkung: „Nun wahrhaftig, das müssen echte Ugogier sein, denn sie gaffen einen in einer Weise an, — mein Gott, sie hören gar nicht mit Gaffen auf! Ich hätte grosse Lust, ihnen ins Gesicht zu schlagen!“ Wirklich trieben es die Wagogo von Nyambwa noch toller als die übrigen Wagogo. Diejenigen, die wir bisher angetroffen, hatten sich damit begnügt, uns anzugaffen und zu schreien;[S. 183] diese aber überschritten alle Grenzen, und mein wachsender Zorn über ihre furchtbare Unverschämtheit machte sich darin Luft, dass ich den lärmendsten von ihnen am Nacken packte und ihm, ehe er sich von seinem Erstaunen erholen konnte, eine tüchtige Tracht Prügel mit meiner Hundepeitsche verabfolgte, was ihm nicht sonderlich behagte. Dies Verfahren rief aus der Masse der Gaffer eine ganze Flut von bösesten Schimpfworten hervor, wobei sie sich sehr eigenthümlich geberdeten; sie näherten sich nämlich wie wüthende Katzen und stiessen ihre Worte mit einem Geräusch, das halb Zischen, halb Bellen war, hervor. Ihr Ausruf lautete, um ihn phonetisch so gut wie möglich wiederzugeben, „Hahcht“, und wurde in einem grellen Crescendoton hervorgestossen. Sie traten vor und dann wieder zurück, mit der Frage: „Sollen die Wagogo wie Sklaven von diesem Musungu gepeitscht werden? Ein Mgogo ist ein Mgwana (freier Mann) und nicht daran gewöhnt, geschlagen zu werden. — Hahcht!“ So oft ich mich jedoch anschickte, meine Peitsche gegen sie zu schwenken, fand dieses renommistische Volk es gerathen, sich von dem zornigen Musungu in eine respectvolle Entfernung zurückzuziehen.

Da ich bemerkte, dass etwas männliche Machtentfaltung den Wagogo gegenüber noththat und mich diesmal von Quälereien befreite, so nahm ich, so oft sie das Maass überschritten, Zuflucht zu meiner Peitsche, deren lange Schnur wie eine Pistole knallte. Solange sie sich darauf beschränkten, ihre Zudringlichkeit blos durch Gaffen und gegenseitige Mittheilung ihrer Ansichten über meine Farbe und sonstiges Aeussere auszudrücken, schwieg ich philosophisch resignirt, um ihr Vergnügen nicht zu stören; wenn sie aber auf mich zudrängten und mir kaum gestatteten, mich fortzubewegen, dann bahnten alsbald ein paar tüchtige, rasche, rechts und links ausgetheilte Peitschenhiebe mir in zweckmässigster Weise den Weg.

Pembera Pereh ist ein komischer alter Mann von sehr kleinem Wuchs; er würde gar nichts zu bedeuten haben, wenn er nicht der grösste Sultan von Ugogo wäre und theilweise Macht über viele andere Stämme besässe. Obgleich[S. 184] ein so bedeutender Häuptling, ist er von allen seinen Unterthanen am schlechtesten gekleidet, stets schmutzig, stets mit Fett beschmiert, beständig unsauber um den Mund. Das sind aber blose Sonderbarkeiten. Als kluger Richter steht er ohnegleichen da und hat immer irgendeinen Kniff in Bereitschaft, um den muthlosen arabischen Kaufleuten, die alljährlich mit Unyanyembé Handel treiben, Tuch abzuzwacken, und entscheidet mit grösster Leichtigkeit Rechtsfälle, die über den Horizont eines gewöhnlichen Menschen gehen würden.

Scheikh Hamed, der erwählte Führer der vereinigten Karavanen, die jetzt durch Ugogo zogen, war von so kleiner, gebrechlicher Gestalt, dass er für eine Copie seines berühmten Prototyps „Dapper“ gelten konnte; was ihm an Grösse und Gewicht abging, machte er jedoch durch Thätigkeit wieder gut. Kaum waren wir in einem Lager angekommen, als man seine niedliche, lebhafte Gestalt von einer Seite des grossen Boma zur andern hin- und herhüpfen sah, unruhig Anordnungen treffend und alles und alle störend. Er liess keinen Ballen oder Packen unter seine Sachen oder nur in zu grosse Nähe derselben bringen, hatte eine Lieblingsmethode, seine Waaren aufzustellen, die regelmässig durchgeführt werden musste, und ein specielles Auge für den für sein Zelt am besten passenden Ort, den er von keinem andern beeinträchtigen liess. Man hätte denken können, dass er nach einem Tagesmarsch von 10–15 Meilen derartige Kleinigkeiten seinen Dienern überlassen würde; aber nein, nichts konnte in Ordnung sein, wenn er nicht selbst die Oberaufsicht darüber geführt hatte. Bei dieser Arbeit war er unermüdlich und scheute keine Anstrengung.

Scheikh Hamed hatte noch eine andere nicht ungewöhnliche Eigenthümlichkeit: da er kein reicher Mann war, so gab er sich unendliche Mühe, jedes Schukka und Doti so gut wie möglich zu verwerthen, und jede neue Ausgabe schien an seinem Herzen geradezu zu nagen. Er war stets bereit, wie er selbst sagte, über die hohen Preise von Ugogo und die Erpressungen seiner Sultane zu weinen. Aus diesem Grunde konnten wir mit Bestimmtheit annehmen, dass er,[S. 185] als Leiter der Karavane, unsern Aufenthalt in Ugogo, wo Nahrungsmittel theuer waren, so viel wie möglich abkürzen werde.

Hamed wird, so lange er lebt, der Sorgen und Plagen, die er in Nyambwa erlitten und des Tages gedenken, an dem wir daselbst ankamen. Sein Unglück kam daher, dass er, während er sich eifrigst im Lager etwas zu schaffen machte, seine Esel in die Matamafelder des Sultans Pembera Pereh hineingerathen liess. Stundenlang suchten er und seine Diener nach den abhanden gekommenen Eseln, kehrten aber unverrichteter Sache am Abend zurück, und er bejammerte, wie es nur ein Orientale thun kann, wenn er von harten Schicksalsschlägen heimgesucht wird, den Verlust seiner Muskat-Esel, die an 100 Dollar werth waren. Der ältere, erfahrenere und weisere Scheikh Thani rieth ihm, seinen Verlust dem Sultan anzuzeigen. Auf diesen weisen Rath hin schickte Hamed zwei Sklaven an den Sultan ab, die ihm die Nachricht zurückbrachten, Pembera Pereh’s Diener hätten die beiden Esel beim Fressen von unreifem Matama angetroffen und wenn ihr Besitzer nicht 9 Doti Tuch erster Qualität bezahle, so werde Pembera Pereh sie bestimmt zurückbehalten, um sich für das von ihnen gefressene Matama bezahlt zu machen. Hamed war in Verzweiflung. 9 Doti erster Klasse, die in Unyanyembé einen Werth von 25 Dollars repräsentirten, für Korn, das höchstens ½ Schukka werth war, erschien ihm als eine lächerliche Forderung; wenn er sie aber nicht bezahlte, so waren seine Esel im Werthe von 100 Dollars verloren. Er begab sich also zum Sultan, um ihm die Abgeschmacktheit dieser Entschädigungsforderung zu beweisen und zu sehen, ob er nicht mit einem Schukka davonkommen könne, einer Summe, die mehr als den doppelten Preis des von den Eseln verzehrten Korns betrage. Der Sultan aber sass bei seinem Pombé, war betrunken, was er gewöhnlich zu sein scheint, und zwar zu sehr betrunken, um auf ernste Dinge eingehen zu können. Darum lieh sein Stellvertreter, ein Unyamwezischer Renegat, dem Ansuchen sein Ohr. Bei den meisten Wagogohäuptlingen existirt nämlich ein Unyamwezi als rechte Hand, Premierminister, Rath, Henker, kurz als Individuum, das zu[S. 186] allem bereit ist, nur nicht fürs allgemeine Beste zu sorgen. Ein derartiger Unyamwezischer Harlekin pflegt ein so rastloser, unzufriedener Intriguant zu sein, dass man, sobald man hört, dass ein solcher Mensch der hauptsächlichste Rath eines Mgogohäuptlings ist, sich versucht fühlt, ihm persönlich zu Leibe zu gehen. Die meisten der an den Arabern verübten Erpressungen werden von diesen schlauen Renegaten in Scene gesetzt.

Scheikh Hamed fand den Unyamwezi viel hartnäckiger als den Sultan; das Minimum, wofür er die Esel auslösen konnte, sollte 9 Doti Tuch erster Qualität sein. An dem Tage blieb daher das Geschäft unerledigt und die folgende Nacht war, wie man sich denken kann, für Hamed eine schlaflose. Schliesslich jedoch erwiesen sich der Verlust, die schwere Geldstrafe und die schlaflose Nacht als verkappte Segnungen, denn gegen Mitternacht besuchte ein Mgogoräuber sein Lager und wurde bei dem Versuch, einen Ballen Tuch zu stehlen, von dem vollständig wachen und erzürnten Araber auf frischer That ertappt und sofort durch eine in nächster Nähe seines Ohrs vorübersausende Kugel zum Verschwinden gebracht.

Von jedem der Eigenthümer der Karavanen hatte der Unyamwezi für seinen betrunkenen Herrn 15 Doti sich zahlen lassen, und von den übrigen 6 Karavanen je 6 Doti, zusammen 51 Doti. Bei unserm Abmarsch am nächsten Morgen war er aber trotzdem nicht im geringsten geneigt, ein einziges Tuch von der Hamed auferlegten Strafe abzuziehen und der unglückliche Scheikh war daher genöthigt, die Forderung zu bezahlen oder seine Esel dazulassen.

Nachdem wir durch die Kornfelder Pembera Pereh’s gezogen, kamen wir auf eine weite, flache Ebene, welche horizontal wie ein Wasserspiegel ist und die Wagogo mit Salz versieht. Von Kanyenyi erstreckt sich dieses Salzfeld auf der südlichen Strasse bis jenseits der Grenze von Uhumba und Ubanarama und enthält viele grosse Teiche von salzigem Bitterwasser, deren niedrige Ufer von einem salpeterhaltigen Schaum bedeckt sind. Zwei Tage später, als ich die Höhenkette, die Ugogo von Uyanzi trennt, bestiegen hatte, bekam ich einen Umblick über die ungeheure[S. 187] mehr als 100 engl. Quadratmeilen umfassende Salzebene. Möglicherweise war es eine Täuschung, doch glaubte ich grosse Flächen graublauen Wassers zu sehen, und dies lässt mich annehmen, dass diese Saline nur eine Ecke eines grossen Salzsees ist. Die Wahumba, deren es von Nyambwa bis zur Grenze von Uyanzi viele gibt, theilten meinen Soldaten mit, es existire ein „Madschi Kuba“ in nördlicher Richtung.

Mizanza, unser auf Nyambwa folgender Lagerplatz, liegt in einem Palmenhain, ungefähr 13 Meilen von dem letztgenannten Ort. Bald nach meiner Ankunft musste ich mich unter wollene Decken begraben wegen eines neuen Anfalls von Wechselfieber, wie ich solches zum ersten mal während unserer Reise durch Marenga Mkali gehabt hatte. Ueberzeugt, dass mich eine Tagesrast, die mich in den Stand setzte, regelmässige Dosen des unschätzbaren Chinins zu nehmen, wiederherstellen werde, bat ich Scheikh Thani, Hamed einen Halt für den morgenden Tag vorzuschlagen, da ich völlig unfähig sei, die wiederholten Anfälle der bösartigen Krankheit, die mich rasch in ein blosses Skelett von Haut und Knochen verwandelte, ferner zu ertragen. Hamed, der sehr nach Unyanyembé eilte, um sein Tuch dort loszuwerden, ehe andere Karavanen auf dem Markt erschienen, erwiderte zuerst, er könne und wolle wegen des Musungu nicht halten lassen. Nachdem mir Thani diese Antwort mitgetheilt, ersuchte ich ihn, Hamed zu sagen, der Musungu wünsche weder ihn noch eine andere Karavane aufzuhalten, sondern es sei seine ausdrückliche Bitte, Hamed möge ohne Rücksicht auf ihn weiter marschiren, da er hinreichend mit Gewehren versehen sei, um allein durch Ugogo marschiren zu können. Aus welchem Grunde nun der Scheikh seinen Entschluss abgeändert und den dringenden Wunsch, weiter zu reisen, aufgegeben haben mag, jedenfalls erschallte an dem Abend sein Marschsignal nicht, sondern er war am nächsten Morgen noch da.

Früh am Morgen fing ich meine Chinindosen an, um 6 Uhr nahm ich schon die zweite, und bis 12 Uhr mittags hatte ich noch vier weitere genommen, im ganzen gegen 50 gut gemessene Gran, deren Wirkung sich in reichlichem, all mein Flanell-und Leinenzeug sowie die wollenen Decken[S. 188] durchnässendem Schweisse kundthat. Nachmittags erhob ich mich, wahrhaft dankbar, dass die Krankheit, die mich volle vierzehn Tage heimgesucht hatte, schliesslich dem Chinin gewichen war.

An diesem Tage zog unser hohes Zelt und die amerikanische Flagge, die immer von der Mittelstange herabflatterte, die Aufmerksamkeit des Sultans von Mizanza auf sich und wurde die Ursache eines Besuches, mit dem er mich beehrte. Da er unter den Arabern dafür berufen ist, Manwa Sera in seinem Kriege gegen Scheikh Sny bin Amer beigestanden zu haben, welchen letztern Burton und später Speke so sehr gepriesen, war er für mich natürlich ein Gegenstand besonderer Neugierde, zumal er der zweitmächtigste Häuptling in Ugogo ist.

Als die Thüre des Zeltes aufgemacht worden, damit der alte Herr eintreten könne, erstaunte er über die Höhe und innere Einrichtung desselben so sehr, dass er das schmierige Barsatituch, das seinen einzigen Schutz gegen Nachtkühle und Tageshitze bildete, aus Zerstreutheit herunterfallen liess und dadurch den ungeweihten Blicken des Musungu seinen traurigen, gealterten Körper zeigte, der früher von gewaltiger, imponirender Gestalt gewesen sein musste. Sein Sohn, ein Jüngling von ungefähr 15 Jahren, der dies bemerkte, beeilte sich im Gefühle seiner Kindespflicht ihn auf seine Nacktheit aufmerksam zu machen, worauf der Alte, mit albernem Kichern über den Vorfall, sein spärliches Kostüm wieder aufnahm und sich hinsetzte, um weiter zu kauen und seine Bewunderung über das Zelt und die merkwürdigen Dinge, die zu den eigenen Effecten des Musungu gehörten, in kindischer Weise an den Tag zu legen. Ein warangischer Soldat, der zum ersten mal die glänzende Pracht des kaiserlichen Palastes von Byzanz zu Gesicht bekommen, hätte über dieselbe nicht erstaunter sein können als der Sultan von Mizanza über die Ausrüstung meines Zeltes. Nachdem er in einfältiger Verwunderung den Tisch angeglotzt, auf dem einige Steingutwaaren sowie die paar Bücher standen, die ich bei mir führte, und die Hängematte besichtigt, von der er meinte, sie sei durch eine Zaubervorrichtung aufgehängt, wie auch die meinen Kleidervorrath enthaltenden Koffer angeschaut,[S. 189] rief er aus: „Hi le! Der Musungu ist ein grosser Sultan, der von seinem Lande hergekommen ist, um Ugogo zu sehen!“ Dann betrachtete er mich und gerieth abermals in das grösste Erstaunen über meine blasse Hautfarbe und mein schlichtes Haar, wobei er die Frage aufwarf: „Wie in aller Welt kann er so weiss sein, da doch die Haut meiner Landsleute von der Sonne schwarz gebrannt ist?“

Nun liess ich ihm meinen Korkhut zeigen, den er sich zu seinem und unserm grossen Vergnügen auf den wolligen Kopf setzte. Hierauf kamen die Gewehre, namentlich das wundervolle Winchester-Repetirgewehr an die Reihe, das, um seine mörderischen Eigenschaften zu beweisen, dreizehnmal in rascher Aufeinanderfolge abgefeuert wurde. War er vorher erstaunt gewesen, so wurde er es jetzt noch tausendmal mehr und sprach seine Meinung dahin aus, dass die Wagogo vor dem Musungu nicht Stand halten könnten, da wo sich ein Mgogo sehen lasse, eine solche Flinte ihn bestimmt tödten müsse. Schliesslich liess ich ihm die übrigen Feuerwaffen bringen und den Mechanismus jeder einzelnen auseinandersetzen, bis er in Enthusiasmus über meine Macht und Reichthum ausbrach und mir erklärte, er wolle mir ein Schaf oder eine Ziege zusenden und mein Bruder sein. Ich dankte ihm für diese Ehre und versprach ihm, alles anzunehmen, was er mir schicken wolle. Auf Scheikh Thani’s Rath, der als Dolmetscher fungirte und mir sagte, Wagogohäuptlinge dürften nicht mit leeren Händen entlassen werden, schnitt ich ein Schukka Kaniki ab und beschenkte ihn damit. Dies Geschenk schlug er jedoch aus, nachdem er es untersucht und gemessen, und zwar aus dem Grunde, dass der Musungu als grosser Sultan sich doch nicht so gemein machen könne, ihm nur ein Schukka zu geben. Nach den zwölf Doti, die er als Muhongo von den Karavanen bekommen hatte, schien mir dies etwas stark, da er mir jedoch ein Schaf oder eine Ziege zu schenken im Begriff stand, kam es am Ende auf ein Schukka mehr nicht an.

Bald darauf zog er ab und schickte mir seinem Versprechen gemäss ein grosses, schönes, breitschwänziges, sehr fettes Schaf, mit der Meldung zu: „Ich müsse ihm, da ich jetzt sein Bruder sei, drei Doti gutes Tuch senden.“ Da der[S. 190] Preis eines Schafes nur 1½ Doti beträgt, so schlug ich dasselbe und die Ehre der Brüderschaft aus, weil die Gaben alle nur einseitig seien und ich, der ich ihm Muhongo bezahlt und ein Doti Kaniki geschenkt habe, nicht noch mehr Tuch ohne entsprechendes Entgeld fortgeben könne.

An diesem Nachmittag fiel noch einer meiner Esel, und zur Nacht kamen die Hyänen in grosser Zahl, um sich an dem Leichnam gütlich zu thun. Ulimengo, der Jäger und beste Schütze unter meinen Wangwana, stahl sich heraus und hatte das Glück zwei zu erschiessen, die mit zu den grössten ihrer Art gehörten. Die eine mass 6 Fuss von der Nasen- bis zur Schwanzspitze und 3 Fuss um den Leib.

Am 4. Juni brachen wir unser Lager ab und schlugen, nachdem wir etwa drei Meilen nach Westen gezogen und an mehrern Salzwasserteichen vorbeigekommen waren, die Richtung nach Nordwesten ein, am Saum der Kette niedriger Hügel vorüber, die Ugogo von Uyanzi trennen.

Nach einem Marsch von drei Stunden hielten wir eine kurze Zeit in Klein-Mukondoku, um dem Bruder des Beherrschers des eigentlichen Mukondoku Tribut zu zahlen. Drei Doti genügten dem Sultan, dessen District nur zwei Dörfer enthält, die meist von Wahumbahirten und Ueberläufern von den Wahehe bewohnt sind. Die Wahumba leben in kegelförmigen Hütten, die mit Kuhmist beworfen und wie die Tatarenzelte in Turkestan geformt sind.

Die Wahumba sind, soweit ich sie gesehen, ein schöner, wohlgestalteter Menschenschlag. Die Männer sind geradezu stattlich, hochgewachsen, und haben kleine Köpfe mit bedeutend vorspringendem Hinterhaupt. Man sieht sich umsonst nach einer dicken Lippe oder platten Nase unter ihnen um, im Gegentheil ist der Mund besonders zart, klein und schön geschnitten. Sie haben eine griechische Nase, und zwar ist dieser Zug so allgemein, dass ich sie sofort die Griechen Afrikas nannte. Ihre untern Extremitäten haben nicht die Schwere wie bei den Wagogo und andern Stämmen, sondern sind lang, wohlgestaltet und rein, wie die der Antilopen. Ihr Hals ist lang und dünn und der kleine Kopf ruht anmuthig auf demselben. Von Jugend auf Athleten, als Hirten auferzogen[S. 191] und unter sich heirathend, halten sie ihre Rasse rein. Jeder von ihnen könnte daher ein gutes Modell für den Bildhauer abgeben, der einen Antinoos, Hylas, Daphnis oder Apollo in Marmor darstellen wollte. Die Frauen sind in ihrer Art ebenso schön, wie die Männer. Sie haben eine reine Ebenholzhaut, die nicht kohlschwarz, sondern von tintenfarbigem Ton ist. Ihre Zierrathen bestehen aus spiralförmigen Messingringen, die von den Ohren herabhängen, aus Halsbändern von demselben Material, und einem spiralförmigen Messinggürtel um die Lenden, der dazu dient, ihre Kalb- und Ziegenfelle festzuhalten, die, um den Körper gefaltet, von der Schulter herabhängen, eine Hälfte der Brust bedecken und bis an die Knie reichen.

Die Wahehe können die Römer Afrikas genannt werden.

Nachdem wir eine Stunde gehalten, nahmen wir unsern Marsch wieder auf und kamen nach vier Stunden im eigentlichen Mukondoku an. Dieser äusserste Theil von Ugogo ist sehr bevölkert; die Dörfer, welche die Mitteltembé umgeben, wo der Sultan Swaruru lebt, zählen nicht weniger als 36. Die Leute kamen massenhaft heraus, um sich die wunderbaren Männer anzuschauen, deren Gesichter weiss, deren Körper so eigenthümlich bekleidet, und deren Waffen so merkwürdig waren. Namentlich erregten die Flinten ihr Erstaunen, die so rasch knallten, dass man kaum an den Fingern abzählen konnte, und sie sammelten sich zu solchen Haufen und heulten so wild, dass ich einen Augenblick glaubte, es stecke noch etwas anderes als blose Neugier hinter dieser Bewegung, die solche Massen an die Strassen lockte. Ich hielt und fragte, was los sei, was sie wünschten und warum sie solchen Lärm machten? Ein stämmiger Kerl, der meine Worte für eine Erklärung von Feindseligkeiten hielt, spannte sofort seinen Bogen; so rasch aber, wie er seinen Pfeil aufgelegt, war auch mein treues mit 13 Schüssen geladenes Winchestergewehr gerichtet und wartete nur darauf, den Pfeil fliegen zu sehen, um die bleiernen Boten des Todes in die Menge zu entsenden. Diese jedoch verzog sich so rasch, wie sie gekommen war und liess den stämmigen Thersites mit zwei oder drei unentschlossenen Stammesgenossen in Pistolenschussweite von[S. 192] meiner angelegten Flinte stehen. Ein solch plötzliches Auseinanderlaufen des Pöbels, der noch einen Augenblick vorher überwältigend an Zahl war, veranlasste mich, mein Gewehr zu senken und in ein herzliches Gelächter über die schmähliche Flucht dieser Helden auszubrechen. Die Araber, die ebenso sehr über ihre lärmende Zudringlichkeit beunruhigt waren, kamen jetzt, um einen Waffenstillstand zu schliessen, was ihnen zu jedermanns Befriedigung gelang. Einige erklärende Worte genügten, um den Pöbel noch zahlreicher als vorher zurückkehren zu lassen; und der Thersites, der die Ursache der augenblicklichen Störung gewesen, sah sich genöthigt, sich vor dem Druck der öffentlichen Meinung beschämt zurückzuziehen. Nun kam ein Häuptling heran, der, wie ich später erfuhr, der zweite nach Swaruru war, und hielt dem Volke seine Behandlung des weissen Fremdlings vor.

„Wisst Ihr nicht, Ihr Wagogo, dass dieser Musungu ein Sultan (Mtemi, ein sehr hoher Titel) ist? Er ist nicht nach Ugogo gekommen, wie die Wakonongo (Araber), um Elfenbeinhandel zu treiben, sondern nur uns zu sehen und uns Geschenke zu bringen. Warum belästigt Ihr ihn und seine Leute? Lasst sie in Frieden ziehen! Wenn Ihr ihn zu sehen wünscht, kommt näher, aber höhnt ihn nicht. Möge der Erste, der eine Störung verursacht, sich in Acht nehmen; unser grosser Mtemi wird es dann erfahren, wie Ihr seine Freunde behandelt.“ Dieses Stückchen rhetorischer Kraftanstrengung seitens des Häuptlings wurde mir an Ort und Stelle von dem alten Scheikh Thani übersetzt. Nachdem ich dies vernommen, bat ich den Scheikh, den Häuptling wissen zu lassen, dass ich, nachdem ich geruht, mich freuen werde, ihn in meinem Zelt zu empfangen.

Nachdem wir in dem Khambi angekommen, das in Ugogo immer um einen grossen Baobab ungefähr eine halbe Meile vom Tembé des Sultans entfernt liegt, drängten sich die Wagogo in so grosser Zahl ins Lager, dass Scheikh Thani sich entschloss, alles zu versuchen, um diese Plage loszuwerden oder sie doch zu mildern. In seinem besten Anzuge begab er sich zum Sultan, um diesen um Schutz gegen sein Volk anzurufen. Der Sultan war sehr betrunken und beliebte[S. 193] zu sagen: „Was willst Du, Du Dieb? Du bist hergekommen, um mir Elfenbein oder Zeug zu stehlen. Mach’, dass Du fort kommst, Dieb!“ Der verständige Häuptling aber, den wir eben dem Volke Vorwürfe wegen seiner Behandlung der Wasungu machen hörten, winkte Scheikh Thani, zum Tembé hinauszukommen und begleitete ihn an das Khambi. Das Lager war in grossem Aufruhr; die neugierigen Wagogo hatten fast das ganze Terrain für sich in Anspruch genommen; es war nirgends Platz, sich zu bewegen. Die Wanyamwezi stritten sich mit den Wagogo, die Waswahili-Diener schrien laut, die Wagogo drückten ihre Zelte zusammen und das Eigenthum ihrer Herren wäre in Gefahr, während ich, im Zelte bei meinem Tagebuche beschäftigt, mich um den Lärm und die Verwirrung draussen so lange nicht kümmerte, als sie sich auf die Wagogo, Wanyamwezi und Wangwana beschränkten.

Der Anwesenheit des Häuptlings im Lager folgte jedoch eine so tiefe Stille, dass ich mich bewogen fühlte hinauszugehen, um zu sehen, wodurch sie veranlasst sei. Derselbe machte wenig, aber treffende Worte. Er sagte nämlich: „In Eure Tembés, Wagogo, in Eure Tembés! Warum kommt Ihr her, um die Wakonongo zu belästigen? Was habt Ihr mit ihnen zu schaffen? Macht, dass Ihr in die Tembés kommt! Jeder Mgogo, der in dem Khambi angetroffen wird, ohne Fleisch und Vieh verkaufen zu wollen, soll dem Mtemi Zeug oder Kühe bezahlen. Fort mit Euch!“ Mit diesen Worten ergriff er einen Stock und trieb die Hunderte aus dem Khambi, die ihm wie Kinder gehorchten. Während der zwei Tage, die wir noch in Mukondoku halt machten, sahen wir nichts mehr vom Pöbel, sondern hatten Frieden.

Das Muhongo des Sultans Swaruru wurde mit weniger Worten abgemacht, denn der Häuptling, der für den Sultan als Premier-Minister fungirte, nahm, nachdem er durch ein Doti Rehani Ulyah von mir erfreut worden, den gewöhnlichen Tribut von sechs Doti an, von denen nur eins aus Zeug erster Qualität bestand.

Jenseits Mukondoku blieb nur noch ein Sultan übrig, dem Muhongo zu zahlen war, und dies war der Sultan von Kiwyeh, dessen Ruf so übel ist, dass Karavanenführer,[S. 194] welche Macht über ihre Pagazi haben, selten durch Kiwyeh ziehen, sondern die Strapazen grosser Märsche durch die Wildniss der Rohheit und den unverschämten Forderungen des Häuptlings von Kiwyeh vorziehen. Die Pagazi hingegen, die ausser den zu tragenden Lasten keine Verantwortlichkeit oder sonstige Beschwerlichkeit davon haben, sondern im Fall eines feindlichen Angriffs ihre Beine brauchen und davonlaufen können, marschiren lieber durch Kiwyeh, als dass sie Durst und Strapazen einer Terekeza aushalten. Und oft siegte die Vorliebe der Pagazi ob, wenn ihre Herren furchtsame, unentschlossene Leute, wie Scheikh Hamed, waren.

Der 7. Juni war der Tag, der für unsere Abreise von Mukondoku bestimmt war; daher kamen die Araber am Tage zuvor in mein Zelt, um mit mir über den einzuschlagenden Weg zu berathschlagen. Nachdem wir die Kirangozi der verschiedenen Karavanen und die ältern Wanyamwezi-Pagazi zusammengerufen hatten, erfuhren wir, dass es drei Wege von Mukondoku nach Uyanzi gäbe. Erstens einen südlichen, der aus den oben angeführten Gründen gewöhnlich gewählt wurde und über Kiwyeh führte. Gegen diesen erhob Hamed Einwendungen. „Der Sultan wäre schlecht“, sagte er, „er verlange bisweilen 20 Doti von einer Karavane; unsere Karavane würde etwa 60 Doti zu bezahlen haben. Der Weg über Kiwyeh ginge also durchaus nicht an. Ausserdem“, meinte er, „müssen wir eine Terekeza machen, um nach Kiwyeh zu gelangen, und dann werden wir es nicht vor übermorgen erreichen.“ Zweitens gab es einen Mittelweg. Auf diesem sollten wir am nächsten Tage in Munieka ankommen; am darauf folgenden Tage würde eine Terekeza von Mabunguru Nullah bis zu einem Lager in der Nähe von Unyambogi stattfinden müssen, und nach zwei Stunden würden wir am darauf folgenden Tage in Kiti sein, wo es viel Wasser und Nahrungsmittel gäbe. Da aber keiner der Kirangozi oder Araber diesen Weg kannte und er nur von einem meiner alten Pagazi beschrieben wurde, meinte Hamed, er vertraue die Führung einer so grossen Karavane nicht gern einem alten Mnyamwezi an und möchte deshalb lieber etwas genaueres über den dritten Weg hören,[S. 195] ehe er sich entscheide. Dieser ging nördlich und führte die ersten beiden Stunden lang an zahlreichen Wagogodörfern vorüber, dann würden wir durch Dschungels und nach einem Marsche von drei Stunden nach Simbo kommen, wo zwar Wasser, aber kein Dorf sei. Wenn wir am darauf folgenden Morgen früh aufbrächen, so hätten wir sechs Stunden zu reisen, um an eine Wasserpfütze zu kommen. Nach kurzer Rast an diesem Orte würde uns ein Nachmittagsmarsch von fünf Stunden an einen Ort bringen, der nur drei Stunden von einem Dorfe entfernt sei. Da dieser letztere Weg vielen bekannt war, sagte Hamed: „Scheikh Thani, sagt dem Sahib, dass ich diesen für den besten halte“. Nachdem mich Scheikh Thani davon benachrichtigt, sagte ich ihm, meine Karavane werde, da ich mit ihnen durch Ugogo marschirt sei, sie auch ferner begleiten, wenn sie sich entschlössen, über Simbo zu gehen.

Nachdem man nach vielfachen Verhandlungen über die Wege übereingekommen war, bestimmte ich die Lage der verschiedenen Punkte mit dem Kompass. Man wird sich erinnern, dass ich gesagt habe, wir hätten Mukondoku nach einem dreistündigen, direct von Mizanza nach Westen gehenden Marsche erreicht und seien darauf ungefähr 4¼ Stunde Nord zu West an dem Saume einer Hügelkette gereist, die sich aus der Umgegend von Kanyenyi Nord zu West an der Grenze von Uhumba hinzieht und als Grenzlinie zwischen Ugogo und dem anliegenden Lande der Wayanzi dient. Mukondoku befindet sich nur zwei Meilen von der östlichen Seite dieser Bergkette; Kiwyeh liegt südsüdwestlich von Mukondoku und von dort hat man einen Marsch von sieben Tagen nach Kusuri. Die Richtung von Simbo ist nordnordwestlich, von dort nach Kusuri hat man sechs Tage zu marschiren. Hieraus geht deutlich hervor, dass der kürzeste Weg der über Kiti ist, und der einzige Einwand gegen denselben bestand darin, dass er keinem der Araber und Kirangozi bekannt war.

Unmittelbar nach dieser unter den Häuptern stattgehabten Discussion in Bezug auf die Vortheile der verschiedenen Wege erhob sich eine unter den Pagazi, welche auf ein hartnäckiges Geschrei gegen den Weg über Simbo[S. 196] hinauslief, da er eine lange Terekeza bedinge und wenig Aussicht auf Wasser darbiete. Die Abneigung gegen den Weg über Simbo theilte sich alsbald allen Karavanen mit und wurde durch Berichte über eine Wildniss, die sich von Simbo nach Kusuri hinziehe, vergrössert, in der man weder Nahrungsmittel noch Wasser bekommen könne. Hamed’s Pagazi und die der arabischen Diener erhoben sich wie ein Mann und erklärten, sie könnten den Marsch nicht einschlagen, und wenn Hamed darauf bestände, so würden sie ihre Packen niederlegen und er möge dann dieselben allein tragen.

Hamed Kimiani, wie er von den Arabern genannt wurde, stürzte nun zu Scheikh Thani und erklärte ihm, er müsse den Weg über Kiwyeh wählen, da sonst seine sämmtlichen Pagazi weglaufen würden. Dieser erwiderte darauf, ihm seien alle Wege gleich und werde Hamed überall hin folgen, wohin es ihm zu gehen beliebe. Dann kamen sie in mein Zelt und benachrichtigten mich von dem Entschluss, zu dem die Wanyamwezi gekommen seien. Sofort rief ich meinen alten Mnyamwezi, der mir den günstigen Bericht abgestattet hatte, noch einmal in mein Zelt und befahl ihm, mir eine genaue Schilderung des Weges über Kiti zu geben. Dieser lautete so günstig, dass ich Hamed erwiderte, ich sei der Herr meiner Karavane. Sie habe dorthin zu gehen, wohin ich es dem Kirangozi befehle, nicht aber, wohin die Pagazi wollten. Wenn ich ihnen zu halten befehle, so müssten sie halten, und wenn ich einen Marsch anordnete, müsste ein Marsch stattfinden, und da ich ihnen gut zu essen und nicht viel zu arbeiten gäbe, so möchte ich wol den Pagazi oder Soldaten sehen, der mir nicht gehorche. „Sie hatten sich eben entschlossen, über Simbo zu reisen, und wir hatten das abgemacht. Nun sagen Ihre Pagazi, sie wollen über Kiwyeh gehen oder weglaufen. Gehen Sie über Kiwyeh und zahlen Sie Ihre 20 Doti Muhongo. Ich und meine Karavane werden morgen den Weg über Kiti einschlagen, und wenn Sie finden, dass ich einen Tag früher in Unyanyembé bin als Sie, so wird es Ihnen schon leidthun, dass Sie nicht denselben Weg genommen haben.“

Diese Erklärung von mir hatte die Wirkung, abermals[S. 197] Hamed’s Ansichten umzustossen, denn er sagte sofort: „Das wird denn doch wol der beste Weg sein, und da der Sahib entschlossen ist, ihn einzuschlagen und wir alle zusammen durch das schlechte Land der Wagogo gereist sind, Inschallah, so wollen wir auch jetzt alle denselben Weg ziehen!“ Da der gute alte Thani keine Einwendungen dagegen erhob und Hamed sich entschlossen hatte, so gingen sie beide wohlgemuth aus dem Zelt, um diese Nachricht ihren Leuten mitzutheilen.

Am 7. Juni wurden die Karavanen, die dem Anschein nach einstimmig darüber waren, dass man über Kiti reise, wie gewöhnlich von Hamed’s Kirangozi geführt. Kaum waren wir jedoch eine Meile gegangen, als ich bemerkte, dass wir den Weg über Simbo verlassen, die Richtung nach Kiti eingeschlagen, aber durch einen schlau gewählten Umweg uns jetzt rasch dem vor uns liegenden Bergpass näherten, der den Zutritt zu dem höher gelegenen Plateau von Kiwyeh gestattete. Sofort liess ich meine Karavane halten, den alten Pagazi, der über Kiti gereist war, kommen und fragte ihn, ob wir jetzt nicht nach Kiwyeh gingen. Er bejahte die Frage. Nun rief ich meine Pagazi zusammen und liess ihnen durch Bombay sagen, der Musungu ändere nie seine Entschlüsse ab; da ich beschlossen, meine Karavane solle über Kiti marschiren, so müsse sie dies auch thun, ob die Araber mitkämen oder nicht. Darauf hiess ich den Alten seine Last aufnehmen und dem Kirangozi den richtigen Weg nach Kiti zeigen. Da legten denn die wanyamwezi’schen Pagazi ihre Ballen nieder und es gab Anzeichen einer Empörung. Den Wangwana-Soldaten wurde hierauf der Befehl ertheilt, ihre Flinten zu laden, sich zur Seite der Karavane aufzustellen und den ersten Pagazi, der einen Desertions-Versuch machen würde, niederzuschiessen. Ich selbst stieg ab, ergriff meine Peitsche, ging auf den ersten Pagazi, der seine Last niedergelegt, zu und befahl ihm, dieselbe wieder aufzunehmen und zu marschiren. Weiter brauchte ich nicht zu gehen; ohne Ausnahme marschirten sie alle dem Kirangozi nach. Ich stand im Begriff, Thani und Hamed Lebewohl zu sagen, als Thani mir sagte: „Warten Sie ein wenig, Sahib, ich habe genug von diesem[S. 198] Kinderspiel, ich werde mit Ihnen gehen“, und er liess auch seine Karavane der meinigen folgen. Hamed’s Karavane war inzwischen dicht an den Engpass gelangt; er selbst befand sich eine ganze Meile hinter derselben und weinte wie ein Kind über unsere Desertion, wie er es zu nennen beliebte. Da ich Mitleid mit seiner üblen Lage empfand — denn er war fast von Sinnen, wenn er an den erpressungssüchtigen, rohen Sultan von Kiwyeh dachte —, rieth ich ihm, seiner Karavane nachzueilen und dieselbe an eben diesen Sultan zu erinnern mit Hinweis auf den Umstand, dass die übrigen den andern Weg eingeschlagen hätten. Bevor ich den Pass von Kiti erreicht hatte, sah ich auch, dass uns Hamed’s Karavane nachfolgte.

Der Weg den Berg hinauf war uneben und steil; ausserordentlich spitze Dornen peinigten uns schwer. Die Acacia horrida war hier schrecklicher denn je, die Schotendorne streckten ihre Zweige aus und hielten die Lasten auf, und die Mimosa mit ihrem regenschirmartigen Dach beschattete uns zwar vor der Sonne, verhinderte aber ein rasches Fortkommen. Steile, durch vieles Klettern glatt gewordene Vorsprünge von Syenit und Granit mussten wir hinaufsteigen; ferne Schüsse, die durch den Wald ertönten, vermehrten die Unruhe und allgemeine Unzufriedenheit, und wäre ich nicht unmittelbar hinter meiner Karavane gewesen und hätte jede ihrer Bewegungen beobachtet, so wären meine Wanyamwezi bis auf den letzten Mann desertirt.

Obwol die Höhe, die wir erstiegen, kaum 800 Fuss über der Salzebene, die wir eben verlassen, lag, so brauchten wir doch zwei Stunden, um heraufzukommen.

Nachdem wir das Plateau erreicht und die grössten Schwierigkeiten überwunden, hatten wir einen verhältnissmässig guten Weg, der durch Dschungel, Wald und kleine offene Striche führte, die uns nach weiteren drei Stunden nach Munieka brachten, einem kleinen Dorf, das inmitten einer fruchtbaren, bebauten Lichtung von einer Colonie von Unterthanen Swaruru’s von Mukondoku bewohnt wird.

Als wir in dem Lager angekommen, hatte ein jeder seinen guten Humor und zufriedene Stimmung wieder bekommen, mit Ausnahme von Hamed. Zufälligerweise hatten[S. 199] Thani’s Leute das Zelt desselben zu nahe an den Baum gestellt, um welchen Hamed’s Ballen zusammengepackt lagen. Ob der kleine Scheikh den ehrlichen alten Thani für fähig hielt, einen davon zu stehlen, ist unbekannt, gewiss aber ist, dass er sich über die grosse Nähe des Zeltes seines besten Freundes wüthend geberdete, bis Thani den Befehl gab, dasselbe 100 Meter weiter zu transportiren. Selbst dieses Verfahren befriedigte, wie es schien, Hamed nicht, denn es wurde Mitternacht, wie mir Thani erzählte, ehe Hamed kam, um ihm die Hände und Füsse zu küssen und ihn fussfällig um Verzeihung zu bitten, die ihm natürlich Thani, eine gutmüthige Seele, gern gewährte. Hamed gab sich jedoch nicht eher zufrieden, als bis er mit Hülfe seiner Sklaven des Freundes Zelt wieder dorthin hatte schaffen lassen, wo es ursprünglich gestanden.

In Munieka kam das Wasser aus einer tiefen, in einer Syeniterhebung befindlichen Senkung und war klar wie Krystall, kalt wie Eiswasser, ein Hochgenuss, den wir seit Simbamwenni nicht gehabt hatten.

Jetzt befanden wir uns an der Grenze von Uyanzi oder „Magunda Mkali“, dem heissen Grunde oder heissen Felde, unter welchem Namen es besser bekannt ist. Wir waren bei dem von Wagogo bewohnten Dorfe vorübergezogen und im Begriffe, den Staub von Ugogo von unsern Füssen zu schütteln. In dieses Land waren wir voll Hoffnung eingetreten, indem wir es für ein liebliches Land, in welchem Milch und Honig fliessen, gehalten hatten, waren aber schwer enttäuscht worden; denn es war uns ein Land voll Galle und Bitternissen, voll Sorgen und Plagen geworden, wo uns auf Schritt und Tritt Gefahren drohten und wir den Launen betrunkener Sultane ausgesetzt gewesen. Kann es dann Wunder nehmen, dass wir uns alle in diesem Augenblicke sehr glücklich fühlten? Trotz der vor uns liegenden Aussicht auf ein Land, das wir für eine wirkliche Wildniss hielten, wurde unsere gute Stimmung nicht vermindert, sondern gestärkt, denn die Wildniss in Afrika ist in vielen Fällen freundlicher, als das bevölkerte Land.

Der Kirangozi blies sein Kuduhorn viel fröhlicher an diesem Morgen, als er in Ugogo zu thun pflegte. Wir[S. 200] standen im Begriff, in Magunda Mkali einzutreten. Um 9 Uhr morgens, drei Stunden, nachdem wir Munieka verlassen, und zwei Stunden, seitdem wir die äussersten Grenzen von Ugogo hinter uns hatten, hielten wir in Mabunguru Nullah. Das Nullah läuft südwestlich, nachdem es seinen Ursprung in den Bergketten, die Ugogo von Magunda Mkali trennen, verlassen hat. Während der Regenzeit muss es wegen der ausserordentlichen Steilheit seines Bettes kaum passirbar sein. An den Syenit- und Basaltblöcken, welche seinen Lauf hemmen, sieht man Spuren der Gewalt des Stromes. Ihre unebenen Ecken sind geglättet und es befinden sich tief ausgehöhlte Becken im Felsenbette, die in der trockenen Jahreszeit als Wasserbehälter dienen. Obgleich das in ihnen enthaltene Wasser schleimig und grünlich aussieht und von Fröschen stark bevölkert wird, ist es doch durchaus schmackhaft.

Zu Mittag nahmen wir unsern Marsch wieder auf, die Wanyamwezi jubelten und sangen, die Wangwana-Soldaten, Diener und Pagazi wetteiferten mit ihnen, was Lärm und Geschrei betraf, und liessen den dunkeln Wald, den wir passirten, von ihren Stimmen widerhallen.

Die Landschaft war viel malerischer, als wir sie seit Bagamoyo gesehen hatten. Der Boden erhob sich in grössern Wellen, hier und da traten Hügel hervor und grosse Berge von Syenit, welche dem Walde ein sonderbares, zauberhaftes Aussehen verliehen. Aus der Ferne schien es fast, als ob wir uns einem Stückchen England, wie es während der Feudalzeit ausgesehen haben mag, näherten, so sonderbare, phantastische Gestalten nahmen die Felsen an. Hier erhob sich abgerundetes Geröll übereinander, das scheinbar keinem Windstoss hätte widerstehen können; dort thürmte es sich wie stumpfe Obelisken, welche die höchsten Bäume überragten; hier wiederum nahm es die Gestalt mächtiger in Glas verwandelter Wogen an; dort bildete es ein kleines Häufchen zerrissener, zerklüfteter Felsmassen, während es anderwärts zu grossartigen Bergen anschwoll.

Um 5 Uhr nachmittags hatten wir 20 Meilen zurückgelegt und das Signal zum Halten erscholl. Schon um 1 Uhr morgens, als der Mond noch schien, hörte man Hamed’s[S. 201] Horn und Stimme durch das ganz stille Lager tönen und seine Pagazi zum Marsch wecken. Offenbar war Scheikh Hamed vollständig verrückt geworden, warum sollte er sonst zu so früher Stunde so wüthend auf den Marsch erpicht sein? Der Thau fiel schwer und man war durchfröstelt; von allen Seiten antwortete ein unheilvolles Gemurmel tiefer Unzufriedenheit dem frühen Allarmruf. Da wir jedoch annahmen, dass er bessere Kunde erhalten als wir, beschlossen Scheikh Thani und ich, uns danach zu richten, ob er durch den Verlauf der Sache gerechtfertigt war oder nicht.

Da alle unzufrieden waren, wurde dieser Nachtmarsch in tiefem Stillschweigen abgemacht. Das Thermometer stand auf 9° R., da wir uns etwa 4500 Fuss über dem Meeresspiegel befanden. Die fast nackten Pagazi gingen rasch, um warm zu bleiben und dadurch bekamen viele von ihnen wunde Füsse, indem sie gegen vorspringende Wurzeln und Felsen stolperten und auf Dornen traten. Um 3 Uhr morgens kamen wir in dem Dorf Unyambogi an, wo wir uns hinwarfen, um uns durch Schlaf auszuruhen, bis die Morgendämmerung uns kundthäte, was den hart mitgenommenen Karavanen noch bevorstehe.

Es war helles Tageslicht, als ich erwachte. Die Sonne schoss glühende Strahlen in mein Gesicht. Scheikh Thani kam bald darauf, um mir zu sagen, Hamed sei vor zwei Stunden nach Kiti abgegangen, er aber habe seine Aufforderung, ihn zu begleiten, rundweg abgeschlagen, sie als Thorheit und völlig nutzlos bezeichnet, und er fragte mich nun um meine Meinung. Ich sagte, das Ganze wäre reiner Unsinn und fragte ihn meinerseits, wozu denn ein Terekeza überhaupt gemacht werde; würde nicht etwa ein Nachmittagsmarsch die Karavanen auch in den Stand setzen, zu Wasser und Nahrungsmitteln zu gelangen. Thani bejahte dies. Dann legte ich ihm die Frage vor, ob etwa in Unyambogi Wasser und Nahrungsmittel nicht zu haben seien? Darauf erwiderte derselbe, er habe sich gar keine grosse Mühe gegeben, danach Erkundigungen einzuziehen, aber von den Dorfbewohnern die Auskunft erhalten, dass Matama, Hindi, Maweri, Schafe, Ziegen und Hühner in ihrem Dorfe in reichlicher[S. 202] Fülle und zu so billigen Preisen zu haben seien, wie man sie in Ugogo gar nicht kenne.

„Nun denn“, sagte ich, „wenn Hamed durchaus ein Narr sein und seine Pagazi in Lebensgefahr bringen will, wozu brauchen wir das zu thun? Ich habe ebensoviel Ursache zur Eile wie Scheikh Hamed, aber Unyanyembé ist noch weit und ich will mein Vermögen nicht durch ein unsinniges Vorgehen in Gefahr bringen.“

Wie Thani uns berichtet, fanden wir eine Fülle von Provision im Dorfe selbst und gutes, süsses Wasser in einigen nahebei gelegenen Brunnen. Ein Schaf kostete ein Schukka; sechs Küchlein waren für denselben Preis zu haben; sechs Maass Matama, Maweri oder Hindi desgleichen; kurz, schliesslich waren wir in das Land des Ueberflusses gekommen.

Am 10. Juni erreichten wir nach einer Reise von vier ein halb Stunden Kiti, wo wir den unaufhaltsamen Hamed in schweren Sorgen antrafen. Er, der ein Cäsar hatte sein wollen, erwies sich als ein unentschlossener Antonius. Er hatte den Tod einer Lieblingssklavin, den Verlust von fünf Dischdasch (arabischen Hemden) und von goldgestickten Jacken mit silbernen Aermeln zu beklagen, mit denen er in Unyanyembé in vollem Staat, wie es einem Kaufmann seines Standes geziemte, einzuziehen gedacht. Alles das war mit drei fortgelaufenen Dienern verschwunden, und ausserdem noch kupferne Präsentirteller, Reis- und Pilauschüsseln, sowie zwei Ballen Tuch, welche desertirende Wangwana-Pagazi mitgenommen. Mein arabischer Dolmetscher Selim fragte ihn: „Was machen Sie hier, Scheikh Hamed? Ich dachte, Sie wären schon ein gut Stück weiter auf dem Wege nach Unyanyembé.“ Darauf antwortete er: „Konnte ich wol meinen Freund Thani zurücklassen?“

Kiti hat sehr viel Vieh und Korn, und wir konnten Nahrungsmittel zu mässigen Preisen bekommen. Die Wakimbu, Auswanderer aus Ukimbu, nahe bei Urori, sind ein ruhiger Volksstamm, der die friedlichen Künste des Ackerbaues dem Kriege vorzieht, und lieber seine Heerden weidet, als auf Eroberungen ausgeht. Beim geringsten Kriegsgerücht ziehen sie mit Familie und Eigenthum in die ferne Wildniss,[S. 203] wo sie das Land zu lichten anfangen und den Elefanten des Elfenbeins willen jagen. Trotzdem fanden wir, dass es ein stattlicher, gut bewaffneter Menschenschlag ist, der in Bezug auf Zahl und Waffen es wol mit manchem andern Stamme aufnehmen kann. Hier aber wie anderweitig macht die Zwietracht sie schwach. Sie bilden nämlich nur kleine Kolonien, von denen jede von ihrem eigenen Häuptling beherrscht wird; wogegen sie, wenn sie sich vereinigen würden, eine ganz ansehnliche Mannschaft einem Feinde entgegenstellen könnten.

Unser nächster Bestimmungsort war das 15 Meilen von Kiti entfernte Msalalo. Hamed folgte uns, nachdem er vergeblich nach seinen Deserteuren und werthvollem Eigenthum geforscht, und versuchte noch einmal, als er uns im Lager von Msalalo fand, vorbeizuziehen; seine Pagazi jedoch versagten ihm den Dienst, da ihr Marsch so lang gewesen war.

Welled Ngaraiso erreichten wir am 13. nach einem Marsch von drei ein halb Stunden. Es ist ein blühender kleiner Ort, wo man Lebensmittel fast zweimal so billig haben kann, wie in Uynambogi. Zwei Stunden südlich liegt Dschiweh la Mkoa an dem alten Wege, auf welchem die Strasse, die wir eingeschlagen, seitdem wir Bagamoyo verlassen, uns jetzt rasch dahinführt.

Da Unyanyembé nahe war und die Pagazi und Soldaten sich während der langen Märsche, die wir in letzter Zeit gemacht, vorzüglich aufgeführt hatten, kaufte ich für drei Doti ein Bullenkalb und liess es speciell für sie schlachten. Auch gab ich einem Jeden ein Khete rother Perlen, damit er seine Lust nach irgend einem kleinen Genuss, den das Land biete, stillen könne. Milch und Honig gab es in Menge und drei Frasileh süsser Kartoffeln waren für ein Schukka zu haben, d. h. für ungefähr 1 M. 60 Pf.

Der 15. Juni brachte uns nach einem kurzen Marsche von acht und drei viertel Meilen in das letzte Dorf von Magunda Mkali, im Districte von Dschiweh la Singa. Kusuri, wie es die Araber nennen, heisst bei den Wakimbu, die es bewohnen, Konsuli, was nur ein Beispiel unter vielen ist, wie die Araber die Landesnamen der Dörfer und Districte umgetauft oder corrumpirt haben.

[S. 204]

Zwischen Ngaraiso und Kusuri kamen wir durch das Dorf Kirurumo, das jetzt ein blühender Ort ist und manches ebenso gedeihende Dorf in seiner Umgegend aufzuweisen hat. Als wir durchzogen, kamen die Leute, um den Musungu zu begrüssen, dessen Ankunft durch seine grosssprecherischen Karavanen schon lange vorher verkündet worden und dessen Soldaten ihnen geholfen, eine Schlacht gegen ihre rebellischen Brüder von Dschiweh la Mkoa zu gewinnen.

Etwas weiter kamen wir durch ein grosses Khambi, das Sultan bin Mohammed, ein Omani-Araber von hoher Abkunft, besetzt hatte, der, sobald er meine Ankunft erfuhr, herauskam, um mich zu begrüssen und zu sich einzuladen. Da sich sein Harem im Zelt befand, wurde ich natürlich nicht aufgefordert in dasselbe zu treten, sondern es lag draussen für den Gast ein Teppich bereit. Nachdem die gewöhnlichen Fragen nach meiner Gesundheit, den Erlebnissen der Reise und den letzten Nachrichten von Zanzibar und Oman erledigt waren, erkundigte er sich, ob ich viel Tuch bei mir habe. Diese Frage hört man häufig von Eigenthümern zurückkehrender Karavanen, weil die Araber in ihrer Gier, an den am Tanganika liegenden Elfenbein-Plätzen so viel Nutzen wie möglich aus ihrem Tuch zu ziehen, leicht vergessen, einen Theil für ihren Rückweg zurückzubehalten. Da ich thatsächlich nur einen Ballen von dem Provisionstuch besass, das ich mir an der Küste zum Unterhalt meiner Karavane besorgt, konnte ich, ohne zu erröthen, die Sache verneinen. Einige Minuten später wurde Scheikh Hamed angekündigt, erschien auch sofort mit einer tiefen Verbeugung vor dem grossen Manne und mit dem lebhaften Wunsche, die Hand zu küssen, legte auch durch sein „Kaif halek“ grosse Besorgniss an den Tag zu erfahren, ob Sultan bin Mohammed auch „wohl — wirklich ganz wohl“ sei. Ungefähr fünf Minuten lang tauschten die Araber Fragen über ihre Gesundheit und allgemeine Aussichten aus, dann gab es eine kleine Erholungspause, und dieselbe Frage, die mir wegen meines Tuches vorgelegt worden, wurde auch an Hamed gerichtet. „Sehr wenig“ erwiderte der Scheikh; und doch wussten Sultan bin Mohammed und ich, dass er 55 Ballen in seiner Karavane hatte.

[S. 205]

Der fremde Araber schickte seinen Diener mit einer Ziegenhaut voll schönem weissen unyanyembischen Reis in mein Khambi in Kusuri, welche Gabe ich eigentlich ausschlagen wollte, nachdem ich gezwungen gewesen, seine Frage zu verneinen. Auch erbot er sich, mir Briefe oder kleine Packetchen, die ich nach Zanzibar schicken wolle, mitzunehmen, und als er erfuhr, dass ich einen Weissen in Mpwapwa krank habe liegen lassen, versprach er mir, diesen nach Zanzibar zu bringen.

Bald nachdem wir in Kusuri angekommen, besuchte mich eine Anzahl in Dschiweh la Singa wohnender Waswahili-Elefantenjäger, unter der Führung eines alten Mannes, der einst Diwan von Bagamoyo gewesen war. Obgleich sie mir nichts zum Geschenk mitgebracht, verfehlten sie doch nicht, mich um Papier, Curry und Seife anzugehen, drei Dinge, die ich nur schlecht missen konnte, da der Makatasumpf meinen Vorrath sehr geschmälert hatte.

Ich hielt einen Tag in Kusuri, um meiner Karavane nach ihrer langen Reihe von Märschen Ruhe zu gönnen, ehe ich mich auf den zweitägigen Marsch durch die unbewohnte Wildniss begab, die den District von Dschiweh la Singa in Uyanzi von dem von Tura in Unyanyembé trennt. Hamed zog voran und versprach mir, Said bin Salim von meiner Ankunft zu benachrichtigen und ihn darum zu bitten, mir ein Tembé zu besorgen.

Am 15., nachdem ich festgestellt, dass Scheikh Thani mehrere Tage in Kusuri werde aufgehalten werden, weil sehr viele seiner Leute an der schrecklichen Plage Ostafrikas, den Pocken, krank darniederlagen, verabschiedete ich mich von ihm und verliess mit meiner Karavane Kusuri, um wieder einmal in die Wildniss und die Dschungels zu ziehen. Kurz vor Mittag hielten wir im Khambi von Mgongo Tembo oder Elefantenrücken, das seinen Namen von einer Felsenwelle führt, deren von der Atmosphäre dunkelbraun gefärbter Grath nach dem Urtheil der Eingeborenen dem blaubraunen Rücken jenes Waldungethüms ähnlich sehen soll. Meine Karavane hatte hier geradezu einen Disput mit mir, ob wir unsere Terekeza an diesem Tage oder am nächsten abmachen sollten. Die Mehrheit war der Ansicht,[S. 206] dass der folgende Tag sich besser dazu eigne; ich aber als Bana handelte nach meinem Interesse und bestand darauf, nicht ohne einigemal meine Peitsche schwingen zu müssen, dass dieselbe am heutigen Tage stattfinden solle.

Mgongo Tembo war, als Burton und Speke es durchzogen, eine vielversprechende Kolonie, die manchen schönen Morgen Landes bebaute. Vor zwei Jahren jedoch war ein Krieg wegen irgendeines vom hiesigen Volk an den Karavanen verübten Frevels ausgebrochen und die Araber kamen von Unyanyembé mit ihren Wangwanadienern, verbrannten die Dörfer und verwüsteten die Arbeit von Jahren. Seit der Zeit besteht Mgongo Tembo nur aus schwarzen Häuserresten und sind die Felder daselbst sprossende Dschungels.

Eine Gruppe von Dattelpalmen, die einen dichten Hain nahe bei dem Mtoni von Mgongo Tembo überragen, rief mir die Erinnerung an Aegypten zurück. Die Ufer des Baches mit ihrem grünen Laub bildeten einen sonderbaren Contrast gegen das braune, verdorrte Aussehen der zu beiden Seiten liegenden Dschungels.

Um 1 Uhr nachmittags nahmen wir unsere Lasten und Wanderstäbe wieder auf und waren in kurzer Zeit auf dem Wege nach Nghwhalah Mtoni, das 8¾ Meilen von dem Khambi entfernt liegt. Die Sonne brannte heiss; wie ein Feuerball schickte sie ihre sengenden Strahlen uns gerade auf die Köpfe herab und dörrte, als sie sich nach Westen neigte, die Luft aus, ehe sie von den sich nach ihr sehnenden Lungen eingeathmet wurde. Kibuyus voll Wasser wurden rasch geleert, um die furchtbare Hitze, die Gaumen und Lungen verbrannte, zu lindern. Ein Pagazi, der schwer von den Pocken befallen war, erlag denselben und warf sich an den Rand des Weges, um zu sterben. Wir haben ihn nicht wieder gesehen, denn die Reise einer Karavane auf einer Terekeza gleicht einigermassen der eines Schiffes in einem Orkane. Die Karavane muss weiterziehen, wehe dem, der zurückbleibt, denn Hunger und Durst werden ihn überfallen — ebenso muss auch das Schiff vor dem wilden Sturm dahineilen, um nicht zu scheitern, wehe dem, der über Bord fällt!

Gutes kaltes, süsses Wasser wurde in Ueberfluss in[S. 207] dem Bett des Mtoni in tiefen Steinbehältnissen angetroffen; hier waren auch, wie bei Mabunguru, die Spuren reissender Sturzbäche deutlich sichtbar.

Der Nghwhalah fängt im nördlich belegenen Ubanarama an, einem Lande, das wegen seiner schönen Esel bekannt ist, und kreuzt sich, nachdem er südlich und dann südsüdwestlich gelaufen, mit dem Wege nach Unyanyembé, von welchem Punkt an er sich mehr nach Westen wendet.

Am 16. kamen wir in Madedita an, einem Orte, der seinen Namen von einem frühern, jetzt nicht mehr existirenden Dorfe führt. Madedita ist 12½ Meilen von dem Nghwhalah Mtoni entfernt. Eine Pfütze guten Wassers, die einige hundert Schritt vom Wege abliegt, ist das einzige, was Karavanen hier bekommen können, ehe sie nach Tura in Unyamwezi gelangen. Die Tsetse- oder Tschufwafliege, wie sie die Waswahili nennen, stach uns furchtbar, was ein Zeichen ist, dass grosses Wild bisweilen die Pfützen besucht, aber nicht als Beweis dafür zu nehmen ist, dass sich dergleichen in der unmittelbaren Nähe des Wassers gerade befindet. Eine einzelne so häufig von vorüberziehenden Karavanen besuchte Pfütze, an der diese zu halten gezwungen sind, kann nicht oft von Thieren des Waldes besucht werden, die in diesem Theil von Afrika die Aufenthaltsorte des Menschen scheu fliehen.

Mit der Morgendämmerung des nächsten Tages waren wir auf dem Wege und zwar in rascherem Tempo, als an den meisten früheren Tagen, da wir im Begriff standen, Magunda Mkali mit dem bevölkertern, bessern Lande von Unyamwezi zu vertauschen. Der Wald behielt seinen Charakter eine ermüdend lange Zeit hindurch, aber nach zwei Stunden wurde er dünner, verwandelte sich dann in ein niedriges Gestrüpp und verschwand schliesslich ganz. So hatten wir den Boden von Unyamwezi erreicht, wo sich eine weite Ebene in langen grossen Wellen bis an den fernen purpurnen Horizont vor uns ausdehnte. Soweit die Ebene reicht erblickten wir Felder von reifem Korn, die munter im kühlen von Usagara her wehenden Morgenwinde rauschten.

Um 8 Uhr morgens kamen wir bei dem Grenzdorf von Unyamwezi, Ost-Tura, an, in das wir einzogen ohne weitere[S. 208] Rücksicht auf die Stimmung seiner spärlichen Einwohner. Hier fanden wir Nondo, einen Speke’schen Deserteur, der zu denen gehörte, die für Baraka gegen Bombay Partei genommen hatten. Da er bei mir in Dienst zu treten wünschte, war er so liebenswürdig, seine früheren Kameraden und schliesslich auch die Pagazi mit Honig und Scherbet zu versehen. Wir machten hier nur eine kurze Erholungspause, da wir blos noch eine Stunde zu marschiren hatten, um Central-Tura zu erreichen.

Der Weg von Ost-Tura führt durch ausgedehnte Felder von Hirse, Mais, Holcus Sorghum, Maweri oder Panicum oder Bajri, wie die Araber es nennen, durch Gärten von süssen Kartoffeln und grosse Strecken von Gurken, Wassermelonen, Mussmelonen und Erbsennüssen, welche in den tiefen Furchen zwischen den Holcushecken wachsen.

Einige breitblättrige Platanenpflanzen waren auch in der Umgegend der Dörfer zu sehen, die, je weiter wir kamen, sehr zahlreich wurden. Die Dörfer der Wakimbu sind, wie die der Wagogo, viereckig, mit flachen Dächern und schliessen einen offenen Platz ein, der bisweilen durch Zäune von Matamastengeln in drei bis vier Theile getheilt wird.

In Central-Tura, wo wir unser Lager aufschlugen, bekamen wir ausreichende Beweise für die Schurkenhaftigkeit der Wakimbu von Tura. Hamed nämlich, welcher trotz seiner Bemühungen, Unyanyembé zeitig zu erreichen, um seine Tuche daselbst zu verkaufen, ehe andere Araber mit Tuchvorräthen hinkämen, ausser Stande war, seine Pagazi dazu zu zwingen, ihre Tagesmärsche zu verdoppeln, lagerte zugleich mit den arabischen Dienern, die Hamed’s thörichte Hast dem vorsichtigen Vorgehen Thani’s vorgezogen, gleichfalls in Central-Tura. Unsere erste Nacht in Unyamwezi war nun sehr aufregend; denn das Lager des Musungu wurde von zwei schleichenden Dieben aufgesucht, die jedoch bald durch das unheilverkündende Geräusch eines Gewehrdrückers davon in Kenntniss gesetzt wurden, dass das Lager des weissen Mannes gut bewacht sei.

Sie zogen nun nach Hamed’s Lager; doch auch hier vereitelte die Ruhelosigkeit des Besitzers ihre Versuche; denn er schritt mit einer geladenen Flinte in der Hand in[S. 209] demselben auf und ab und die Diebe sahen sich gezwungen die Aussicht, etwas von seinen Ballen stehlen zu können, aufzugeben. Von Hamed’s Lager begaben sie sich in das Hassan’s (eines der arabischen Diener), wo es ihnen glückte, einige Ballen in die Hände zu bekommen; zu ihrem Unglück aber machten sie ein Geräusch, sodass der wachsame und scharfhörende Sklave aufwachte, seine geladene Muskete ergriff und im Nu einen von ihnen durchs Herz geschossen hatte. Das waren unsere Erlebnisse bei den Wakimbu von Tura.

Am nächsten Morgen erfuhren die umliegenden Dörfer den traurigen Vorfall, der einen der Ihrigen befallen hatte. Obgleich aber die Bewohner zur Nacht kecke Diebe waren, so erwiesen sie sich doch bei Tage als feige Memmen und ahndeten die That weder durch Worte, noch selbst durch Blicke. Es war ein Rasttag, und die Bewohner von Tura brachten so grosse Vorräthe von Honig und Ghee, süssen Kartoffeln und Korn in unser Lager, dass ich im Stande war, meinen Leuten für zwei Doti ein Fest zur Feier unserer Ankunft in Unyamwezi zu bereiten.

Am 18. verliessen die drei Karavanen Hamed’s, Hassan’s und meine eigene Tura auf einem Wege, der sich nach allen Richtungen im Zickzack durch die hohen Matamafelder hinzog. In Zeit von einer Stunde waren wir durch Tura Perro oder West-Tura gezogen und wieder in den Wald gekommen, aus dem die Wakimbu von Tura ihren Honig beziehen und wo sie tiefe Fallen für die Elefanten aushöhlen, an denen der Wald reich sein soll. Ein einstündiger Marsch von West-Tura brachte uns zu einem Ziva oder Teich. Es gab deren zwei inmitten einer kleinen offenen Mbuga oder Ebene, die selbst in dieser späten Jahreszeit noch von dem Wasser durchweicht war, das während der Regenzeit über dieselbe hinwegfliesst. Nach dreistündiger Rast begaben wir uns auf die Terekeza oder den Nachmittagsmarsch.

Es war derselbe Wald, den wir bald nach unserm Abgange aus West-Tura betreten hatten, durch den wir jetzt reisten, bis wir Kwala Mtoni, oder wie Burton es auf seiner Karte fälschlich genannt hat, „Kwale“ erreichten. Das Wasser dieses Mtoni ist in zwei grossen Teichen oder tiefen Senkungen der weiten, gekrümmten Rinne des Kwala enthalten.[S. 210] In demselben fanden wir eine Art Schlammfisch; ich liess mir einen davon zu einem Mahle herrichten, das durchaus nicht von jemand zu verachten war, der seit Bagamoyo keinen Fisch zu kosten bekommen hatte. Wenn ich die Wahl gehabt, hätte ich mir diesen Schlammfisch allerdings wol nicht ausgesucht, da mein Geschmack bei geeigneter Gelegenheit etwas wählerisch ist.

Von Tura nach dem Kwala Mtoni sind 17½ Meilen, eine Entfernung, die, obgleich leicht zurückzulegen, wenn man vierzehn Tage dazu verwendet, ungeheuer erscheint, sobald man einen Tag um den andern reisen soll. So wenigstens erschien es meinen Pagazi, Soldaten und dem sonstigen Gefolge, die sehr laut zu murren anfingen, als ich das Marschsignal geben liess. Auf diesem Marsche wäre Abdul Kader, der Schneider, der sich mir als ein zu allen Dingen geschickter Mensch angeschlossen hatte, fast erlegen. Nach seinen eigenen Angaben konnte er sowol Hosen flicken, als gutes Essen kochen und Elefanten schiessen, im Innern Afrikas aber erwies er sich als Schwächster der Schwachen, der nichts als essen und trinken konnte.

Schon lange war der kleine Vorrath von Waaren, die Abdul aus Zanzibar in einem Schnupftuch mitgebracht und mit denen er die Absicht gehabt, Elfenbein und Sklaven zu kaufen, sowie sein Glück in dem berühmten Lande Unyamwezi zu machen, verschwunden und zwar zugleich mit den grossen Hoffnungen, die er auf dieselben gebaut hatte, ebenso wie es Alnaschar im arabischen Märchen ergangen. Als wir uns auf den Marsch vorbereiteten, kam er zu mir mit einer kläglichen Erzählung über seinen Tod, den er in den Knochen und dem müden Rücken herannahen fühle, er könne kaum noch auf den Beinen stehen, sei ganz und gar zusammengefallen, — würde ich nicht Erbarmen mit ihm haben und ihn abziehen lassen? — Ursache dieser ausserordentlichen Bitte, die so wenig zu dem Geiste, mit dem er Zanzibar verlassen, und dem Bestreben passte, sich Elfenbein und Sklaven aus Unyamwezi zu verschaffen, bestand darin, dass ich ihm befohlen hatte, zwei Sättel von den auf dem letzten Marsche gefallenen Eseln bis nach Unyanyembé zu tragen. Obwol ihr Gewicht nur 16 Pfund betrug, wie die Federwage zeigte, so wurde[S. 211] Abdul Kader doch lebensmüde, als er die langen Märsche zählte, die zwischen das Mtoni und Unyanyembé fielen. Der Länge nach fiel er auf den Boden, um meine Füsse zu küssen und mich im Namen Gottes zu bitten, ihn abziehen zu lassen.

Da ich einige Erfahrungen mit Hindus, Malabaresen und Kulis in Abessinien gemacht hatte, so wusste ich genau, wie ich diesen Fall zu behandeln hatte. Ohne Zögern gewährte ich ihm die Bitte, sobald er sie mir vorgetragen; denn ebenso wie Abdul Kader angeblich sein Leben, hatte ich seine Unbrauchbarkeit satt. Der Hindu wollte jedoch nicht, wie er sagte, in den Dschungels, sondern erst nach unserer Ankunft in Unyanyembé entlassen sein. „„Nun“, sagte ich, „dann müssen wir ja erst nach Unyanyembé kommen. Mittlerweile wirst Du diese Sättel für das Essen, das Du erhalten musst, tragen.“ „Haben Sie kein Erbarmen?“ flehte er. „Nein, keins für einen so unverbesserlich faulen Schlingel wie Du“, erwiderte ich und begleitete meine Worte mit kräftigen, sehr nothwendigen Hieben meiner Eselspeitsche, die den Sterbenden wieder zu einem thätigen und nützlichen Leben auferweckten.

Ich gestehe, ich war am Morgen des 18. etwas übel gelaunt und müde, und hatte auch Veranlassung meinen Kirangozi gehörig auszuschelten. Ich hatte nämlich keinen energischen Muinyi Kidogo, wie Burton, den ich gewiss weit besser als dieser zu schätzen gewusst haben würde. Wie manches mal habe ich nach einem solchen Menschen geseufzt, wenn ich meine Zuflucht zu Drohungen und bisweilen zu Prügeln nach rechts und links nehmen musste, um die Pagazi und Soldaten anzuspornen, nachdem alle meine Beredtsamkeit nicht ausreichte, die Karavanen zum Marsch zu ermuthigen. Jedesmal, wenn eine Terekeza nöthig wurde, musste ich dieselbe anordnen; niemals nahm ein anderer Veranlassung, mich darum zu bitten, sondern ich musste ihre Nothwendigkeit und Nützlichkeit beweisen; ich selbst musste Bombay die thörichten Bitten verweisen und die Pagazi durch mahnendes Peitschenknallen zum Aufbruch anstacheln.

Höchst leidenschaftlich waren meine dem Kirangozi gemachten Vorwürfe, dass er so hartnäckig dumm wie ein Esel[S. 212] sei und nicht einsehen wolle, dass, wenn ich bei unserer Ankunft in Unyanyembé denen, die mir gefallen, ein Bakschisch geben würde, ich nicht umhinkönne daran zu denken, dass der Kirangozi, anstatt auf meinen Befehl zu marschiren, immer sich nach den Rathschlägen der Pagazi gerichtet habe. Ich fragte ihn, mit wie viel Doti er von den Pagazi bestochen worden sei, um kurze Märsche und lange Stationen zu machen. Er erwiderte, kein einziger der Pagazi habe seines Wissens die Absicht, ihm Tuch zu geben. „Nun also“, sagte ich, „wie viel Tuch könnte ich Euch geben, wenn Ihr mir zu Gefallen meine Befehle ausführtet?“ „Sehr, sehr viel“, erwiderte er. „Nun gut, dann nehmt Eure Last und lasst mich von hier bis Unyanyembé sehen, wie rasch Ihr marschiren könnt.“ Hiernach versprach er mir feierlichst, sich meinen Anordnungen zu fügen und gehörig zu marschiren, wenn ich es für nöthig hielte.

Da der Marsch nach Rubuga 18¾ Meilen beträgt, marschirten die Pagazi rasch und lange, ohne zu rasten. Der Kirangozi hatte, seinem Versprechen treu, Beine und Arme mit aller Macht angestrengt, denn er legte die ganze Entfernung bis Central-Rubuga zurück ohne halt zu machen, zum grossen Entsetzen seiner Pagazi, welche glaubten, er sei verrückt geworden. Bisher waren wir vom Kirangozi gezwungen worden, einen Nachmittagsmarsch zu machen, wenn die Entfernung nur 15 oder 16 Meilen betrug.

Rubuga war zur Zeit Burton’s, nach dessen Schilderung, ein wohlhabender Bezirk. Selbst als wir durchzogen, waren die Spuren von Reichthum, den es früher besessen, deutlich genug sichtbar in der weiten Ausdehnung seiner Kornfelder, die sich rechts und links an der Strasse nach Unyanyembé viele Meilen weit hinzogen. Das waren jedoch eben nur Beweise, dass hier früher zahlreiche Dorfschaften und ein wohlbebauter, an Viehherden und Kornvorräthen reicher District gewesen sei; denn jetzt waren alle Dörfer niedergebrannt, die Bevölkerung drei bis vier Tagereisen von Rubuga nach Norden vertrieben, das Vieh gewaltsam geraubt, und die Kornfelder unbeackert liegen geblieben und bereits von Dickicht und üppigem Unkraut überwuchert. Wir zogen durch ein verbranntes Dorf nach dem andern, das nur aus schwarzen[S. 213] Haufen von verkohltem Bauholz und verräuchertem Lehm bestand. Ein Feld nach dem andern lag da, auf denen noch seit Jahren gereiftes Korn in der Mitte eines Nachwuchses von Dornen, Gummibäumen, Mimosen und Kolquall dastand.

Wir kamen in einem Dorfe an, in dem ungefähr 60 Wangwana leben, die sich hier niedergelassen haben, um sich vom Elfenbeinhandel zu nähren. Ihren Unterhalt beziehen sie von den verlassenen Feldern der Bewohner von Rubuga. Vom langen Marsche waren wir zwar sehr müde und erhitzt, aber sämmtliche Pagazi hatten doch um 3 Uhr nachmittags das Dorf erreicht.

In dem Wangwanadorf trafen wir Amer bin Sultan, der nach zehnjährigem Aufenthalt in Unyanyembé nach Zanzibar zurückkehrte. Dies war der echte Typus eines alten arabischen Scheikh, wie man ihn in Büchern beschrieben findet, mit schneeweissem Bart und reinem, ehrwürdigem Antlitz. Er schenkte mir eine Ziege und eine Ziegenhaut voll Reis, ein für mich sehr annehmbares Geschenk an einem Orte, wo eine Ziege fünf Schukka kostet.

Nachdem wir einen Tag in Rubuga halt gemacht, von wo ich Soldaten an Scheikh Seyd bin Salim und Scheikh bin Nasib, die beiden Hauptwürdenträger von Unyanyembé, abschickte, um ihnen meine Ankunft anzumelden, nahmen wir am 21. Juni unsern Marsch nach dem fünf Stunden entfernten Kigwa auf. Der Weg zog sich wieder durch einen Wald, ähnlich wie der, welcher Tura von Rubuga trennt. Hier senkt sich das Land rasch nach Westen zu. Kigwa war, wie wir sahen, von derselben Rache heimgesucht worden, die Rubuga so verwüstet hatte.

Am nächsten Tage überschritten wir nach einem raschen Marsche von 3½ Stunden das Mtoni, das eigentlich gar kein Mtoni war, welches Kigwa von dem Bezirke Unyanyembé trennt, und kamen, nachdem wir einen kurzen Halt gemacht, um unsern Durst zu löschen, in nochmals 3½ Stunden in Schiza an. Es war zwar ein langsamer Marsch, er entzückte uns aber sowol durch die malerischen Landschaften, die uns beständig zu Gesicht kamen, als auch durch die Beweise von dem friedlichen und fleissigen Charakter des Volkes, die wir überall wahrnahmen. Eine kurze halbe[S. 214] Stunde hinter Schiza erblickten wir die wellenförmige Ebene, die sich die Araber ausgesucht haben, um darauf das Centraldepot, das ein so grosses, ausgedehntes Handelsgebiet beherrscht, anzulegen. Ueberall liess sich das Brüllen der Rinder, das Blöken von Ziegen und Schafen hören und alles verlieh dem Lande ein glückliches idyllisches Ansehen.

Der Sultan von Schiza wünschte, dass ich meine Ankunft in Unyanyembé mit einem fünf Gallonen enthaltenden Topf voll Pombé feiere, den er zu diesem Zwecke mitgebracht hatte.

Da dasselbe an Geschmack schalem Bier und an Aussehen Milch und Wasser glich, so reichte ich es, nachdem ich ein kleines Glas davon getrunken, den Soldaten und Pagazi. Auf meine Bitte brachte der Sultan ein schönes, fettes Bullenkalb, wofür er 5½ Doti Merikani annahm. Dieses wurde sofort geschlachtet und der Karavane zum Abschiedsfest aufgetragen.

Niemand schlief viel in jener Nacht; lange vor Morgengrauen waren die Feuer angezündet und grosse Fleischstücke brodelten, damit die Leute, ehe sie sich von dem Musungu trennten, dessen Freigebigkeit sie so oft genossen, sich noch einmal gütlich thun könnten. Sechs Ladungen Pulver wurden jedem Soldaten und Pagazi, der eine Flinte hatte, gegeben, um sie abzubrennen, wenn wir uns den arabischen Häusern näherten. Der gemeinste Pagazi hatte sich sein bestes Tuch um die Hüfte gegürtet und einige von ihnen stolzirten in prächtigem Ulyah „Cumbisa Punga“ und scharlachrothem „Dschawah“, schwarzglänzendem „Rehani“ und nettem „Dabwani“. Die Soldaten zogen mit neuem Tarbusch und den langen weissen Hemden, wie solche an der Mrima und auf Zanzibar getragen werden, auf, denn dies war ja der grosse, glückliche Tag, der stets in unserm Munde gewesen war, seitdem wir die Küste verlassen, für den wir in der letzten Zeit die bekannten Märsche gemacht hatten, nämlich 178½ engl. Meilen in 16 Tagen mit Einschluss der Pausen, also etwas mehr als 11 Meilen den Tag.

Das Signal ertönte und die Karavane zog fröhlich mit fliegenden Bannern und schallenden Trompeten und Hörnern aus. Ein kurzer Marsch von 2½ Stunden brachte uns in[S. 215] Sicht von Kwikuru, das ungefähr zwei Meilen südlich von Tabora, der grössten arabischen Stadt, liegt. Vor der Stadt erblickten wir eine lange Reihe von Männern in reinen Hemden, worauf wir unsere geladenen Batterien eröffneten und ein Kleingewehrfeuer losliessen, wie es Kwikuru wol selten gehört hat. Die Pagazi formirten sich und nahmen das renommirende Aussehen von Veteranen an, die Soldaten trompeteten ohne Unterbrechung fort, während ich, da ich die Araber mir entgegenkommen sah, die Reihen verliess und meine Hand ausstreckte, die sofort von Scheikh Said bin Salim und darauf von etwa zwei Dutzend Menschen ergriffen wurde. Dies war unser Einzug in Unyanyembé.

[S. 216]

MANN UND FRAU AUS UGOGO.

SIEBENTES KAPITEL.
GEOGRAPHISCHE UND ETHNOGRAPHISCHE BEMERKUNGEN.

Die Geographie des Landes, durch das wir eben gezogen sind, ist schon auf den vorhergehenden Blättern in verschiedenen Beziehungen beschrieben worden, wie wir sie theils aus den Berichten der Eingeborenen erfahren, theils selbst gesehen haben. Es wird aber wol gut sein, so klar wie möglich in einem Kapitel, das ausschliesslich der Geographie und Ethnographie des Landes gewidmet ist, die Summe davon zu ziehen, welche neuen Kenntnisse wir über das Innere Afrikas gewonnen haben.

Es gab drei Routen von Bagamoyo nach Unyanyembé, zwischen denen unsere Expedition zu wählen hatte; zwei derselben waren aber schon durch die genaue Beschreibung bekannt, die wir von meinen Vorgängern in diesem Theil[S. 217] Afrikas, den Herren Burton, Speke und Grant, erhalten haben. Es war aber noch ein nördlicherer und directerer Weg nach Unyanyembé, welcher durch das nördliche Uzaramo, Ukwere, Ukami, Udoe, Useguhha oder Usegura, Usagara, Ugogo, Uyanzi und von da nach Unyanyembé führen sollte, und dies war der Weg, den ich wählte.

Der Luftlinie nach beträgt die Entfernung von Bagamoyo nach Unyanyembé fast sechs Längengrade oder 360 engl. Meilen. Die Krümmungen des Weges, den die Karavanen einschlagen, der in Afrika der Lage des Landes angepasst ist und der leichtern, weniger gefährlichen, vortheilhaftern Richtung folgt, vergrössert die zurückzulegende Entfernung auf mehr als 520 Meilen. Hierbei rechne ich natürlich nach der Zeit, die zu den Märschen gebraucht worden, und nach unserm Marschtempo, das ich genau zu 2½ engl. Meilen pro Stunde abschätze.

Der Theil des Landes, der sich von Bagamoyo nach Kikoka hinzieht, heisst „Mrima“, der Berg; er kann auch Swahili oder Zanguebar genannt werden. Den letztern Namen finden wir auf unsern alten Karten mit Vorliebe als die Bezeichnung eines länglichen Seeküstenstrichs aufgeführt, der sich von der Mündung des Juba nach Cap Delgado oder vom Aequator nach 10° 41′ südl. Br. erstreckt. Swahili bedeutet die „Seeküste“, daher heisst das Volk, das auf der Seeküste von Zanguebar wohnt, die Waswahili und ihre Sprache Kiswahili. Hier erwähne ich zugleich, dass das Präfix U das Land, Wa die Bewohner im Plural, M den Singular der einzelnen Person bezeichnet. So bedeutet denn Uzaramo das Land Zaramo; Wazaramo die Leute von Zaramo; Mzaramo eine Person aus Zaramo; Kizaramo die Sprache von Zaramo.

Bagamoyo ist ein kleiner Hafen an der Mrima, Swahili- oder Zanguebarküste, der fast gegenüber dem Hafen von Zanzibar liegt, wo die nach Unyanyembé bestimmten Karavanen gewöhnlich landen. Einige Meilen höher nach Norden liegen die Häfen von Whinde und Sa’adani, welche beide je an einem Ufer des Flusses Wami liegen. Vier Meilen südlich von Bagamoyo befindet sich Kaole, ein kleines Dorf, das ein Gurayza oder Fort mit einer aus etwa einem Dutzend[S. 218] Belutschen bestehenden Garnison enthält. Südlich von Kaole liegt Kondutschi, und noch südlicher Dar Salaam, ein von dem verstorbenen Sultan neu gegründeter Hafen. Südlich von Dar Salaam befindet sich Mbuamadschi, ein ganz bedeutender Sammelplatz für nach dem Innern bestimmte Karavanen. Ungefähr 60 Meilen südlich von Mbuamadschi befindet sich die nördlichste Mündung des Rufidschiflusses gegenüber der Insel Mafia oder Monfia, und einen Grad weiter südlich kommen wir zu dem berühmten Hafen Kilwa, dem grossen Stapelplatz der Sklavenhändler.

Der als Mrima bekannte Strich Landes hat in den Augen der civilisirten Welt eine grosse Bedeutung, denn bei allen Verhandlungen über die Sklavenfrage muss sich unsere Aufmerksamkeit allen Ernstes auf diesen Punkt concentriren. Seine Bedeutung liegt für uns in der Thatsache, dass mit Hülfe der in demselben befindlichen Häfen Mombasah, Bueni, Sa’adani, Whinde, Bagamoyo, Kaole, Kondutschi, Dar Salaam, Mbuamadschi und Kilwa drei Viertel der gefangenen, geraubten oder im Innern gekauften Sklaven ins Ausland verschifft werden. Diese Thatsache darf man nicht vergessen.

Wenn wir einmal den Fluss Kingani auf unserm Wege nach Unyanyembé passirt haben, so kann man sagen, dass wir das Land der Wamrima verlassen haben und in den nördlichsten Theil von Uzaramo gelangt sind. Der Sultan von Zanzibar hat in Kikoka, vier Meilen westlich von Kingani, einen Posten etablirt und hierdurch seine Ansprüche auf den Besitz der zehn Meilen Land von Bagamoyo nach Kikoka geltend gemacht. Da es zwischen dem Fluss und Kikoka keine Einwohner gibt, so wird auch dieser Anspruch nicht in Frage gestellt.

Zur Rechten, d. h. nördlich von dem Wege nach Unyanyembé, erstreckt sich Ukwere, zwei Tagemärsche oder 25 Meilen lang. Nach Westen dehnt sich Ukwere von Rosako bis Kisemo 60 Meilen weit aus. Von Kisemo westlich, auf dem halben Wege nach Mikeseh, oder östlich von dem Kira-Pic liegt Ukami. Dieses Land dehnte sich früher bis nach Simbamwenni aus und schloss diese Hauptstadt der Waseguhha in sich; die Wadoe aber, ihre nördlichen Nachbarn,[S. 219] besiegten die Einwohner und eroberten das Land, wurden aber ihrerseits wieder von dem mächtigen Stamme der Waseguhha unterworfen. Unter dem Namen Udoe existirt noch ein grosses Land zwischen dem Kira-Pic und Ulagalla, das sich im Norden über Ukami, im Osten noch über Ukwere hinaus nach der Mrima oder Küste zu hinzieht. Dieser Theil zwischen dem Kira-Pic und Ulagalla ist das südwestlichste Ende des Gebiets der Wadoe.

Useguhha fängt bei Ulagalla an, und sein westliches Ende befindet sich am östlichen Ufer des Makata.

Dieses ganze Land, das die Districte von Ukwere, Ukami, Udoe und Useguhha umschliesst, wird vom Kingani und seinen Nebenflüssen durchzogen, oder ich sollte eigentlich sagen, von seinem Hauptnebenflusse, dem Ungerengeri. Indem ich diese nördliche Route einschlug, wurde ich in den Stand gesetzt, den Hauptnebenfluss des Kingani im Ungerengeri zu entdecken, der von den Eingeborenen da wo er sich in den Hauptfluss ergiesst, Rufu genannt wird. Speke und Grant haben den Mgeta, einen andern Zufluss, entdeckt, der westlich von dem Mkambaku-Gebirge kommend, nach Süden zu einen Bogen bildet und das ganze Ukutu und Uzaramo durchfliesst. Das Areal, welches vom Kingani und seinem Nebenflusse entwässert wird, lässt sich höchstens auf 12,000 engl. Quadratmeilen schätzen.

Wer die Geographie Afrikas studirt hat, wird es bemerken, dass Speke auf seiner Karte nahe bei 37° östl. L. einen Gebirgszug als Mkambaku-Kette verzeichnet hat, der sich mindestens einen Grad nach Norden hinzieht. Den Theil dieses Gebirgszugs, der „Mkambaku“ heisst, hat unsere Expedition gesehen; seine nördlichste Partie ist als Uruguru-Gebirge bekannt. Am Fusse seines nördlichsten Endes, wo es sich nach Osten umwendet, liegt die Hauptstadt des südlichen Useguhha, Simbamwenni.

Speke sagt: „Wo der Kingani selbst entspringt, konnte ich nie ausfindig machen; doch habe ich gehört, dass sein Ursprung in einer sprudelnden Quelle auf der östlichen Seite des Mkambaku zu finden sei, wonach der Mgeta der längere Arm wäre.“ Mit welchem Namen wir nun auch diesen Fluss bezeichnen, ob als Kingani oder Hamdallah, wie ihn die[S. 220] Wamrima nennen, oder als Rufu, wie er bei den Wakwere, Wakami, Wadoe und Waseguhha heisst, so kann seine Quelle jetzt nicht mehr zweifelhaft sein. Speke hat die Entdeckung gemacht, dass der Mgeta, einer der beiden Hauptzuflüsse, am westlichen Abhange des Mkambaku entspringt, und hat ihn um den Süden von Khutu dahinfliessen sehen. Ich habe entdeckt, dass der zweite Hauptzufluss, der Ungerengeri, westlich von dem Mkambaku oder eigentlich von den Uruguru-Bergen entspringt, und dass er nordwärts durch Useguhha und Udoe in das südliche Ukwere und Ukami und von dort in den Kingani fliesst. Dieser Fluss ist den Eingeborenen als Rufu von da ab bekannt, wo er in Ukwere eintritt, bis an den Punkt, wo er, drei Meilen nördlich von Bagamoyo, in den Ocean mündet. Bei den Arabern jedoch heisst derselbe von dem Punkt an, wo sich die verschiedenen Zuflüsse vereinigen, Kingani. Unter diesem Namen wird er Leuten, welche die Karten afrikanischer Reisenden studirt haben, am besten bekannt sein.

Die grösste Höhe, die unsere Expedition zwischen Bagamoyo und Simbamwenni in Useguhha erreicht hat, betrug nicht mehr als 1000 Fuss, und mit Ausnahme einiger hier und dort nördlich von Kingaru Hera und in der Umgegend von Mikeseh sichtbaren Kegel, die als Dilima-Pics bekannt sind, sieht man das Land sich allmählich in einer Reihe länglicher parallel verlaufender Hügelketten erheben, die stark bewaldet und mit Gestrüpp bewachsen sind, oder glatte, grasbestandene Bergrücken bilden, deren Abhänge nach Osten und Westen zu welligen Senkungen abfallen, durch welche die Wasserläufe sich nach Süden und Südwest in den Ungerengeri ergiessen.

Jenseits Simbamwenni und westlich vom Ungerengeri stehen wir plötzlich vereinzelten, hoch aufgethürmten Kegeln mit abgestumpften Spitzen gegenüber, die untereinander durch niedrige Sättel oder Bergfirsten zu einer isolirten Gebirgsgruppe verbunden sind, die sich wenigstens 2000 Fuss über den Ungerengeri erhebt. An ihrem Fusse, an der nördlichen Seite dieses Stromes, zieht sich östlich ein langer bewaldeter Bergrücken hin, der den Ungerengeri von dem Wami trennt.

[S. 221]

Diese imposante Landschaft erfreut das Auge des Fremdlings sehr, der sich der Hoffnung hingibt, bald bedeutendere Höhen zu ersteigen und dadurch vor den Fiebern bewahrt zu bleiben, welche der der Natur des Innern von Afrika Unkundige nur den Dschungels und Mooren der Seegegend zuschreibt.

Landkarte der Gegend östlich   der Usagara-Berge

In einem Marsche von Simbamwenni kommt man jedoch durch einen Engpass der Berggruppe nach Simbo, wo man einen deutlichen Blick in das breite Thal des Grossen Makata gewinnt, das von der hohen, kühnen, rückwärts nach Osten zu liegenden Gruppe, und der herrlichen Bergkette von Usagara begrenzt wird, deren stolze Pics und hochstrebende Gipfel in den Wolken begraben sind.

Ich habe der Klarlegung des Unterschieds, der zwischen dem Kingani und dem Wami existirt, viel Zeit gewidmet. Erst nachdem ich mich selbst überzeugt, habe ich es gewagt festzustellen, dass der Unterschied zwischen diesen beiden Flüssen klar und bestimmt vorhanden ist. Die Araber, Wamrima und Eingeborenen und meine eigene persönliche Kenntniss des Landes und der Gestaltung seiner Oberfläche erheben es über allen Zweifel, dass der Kingani und Wami zwei völlig voneinander verschiedene Flüsse sind. Der erstere tritt drei Meilen nördlich von Bagamoyo ins Meer, wogegen der letztere sich ungefähr auf dem halben[S. 222] Wege zwischen den Häfen Whinde und Sa’adani in dasselbe ergiesst.

Der vorstehende Plan wird am besten das Flusssystem dieser Gegend klarlegen.

Es hat sich also herausgestellt, dass der Ungerengeri aus Südwesten in den Kingani fliesst. Von dem Punkte, wo wir uns befinden (Simbo), ist die Formation des Landes deutlich zu überblicken. Zur Rechten, das Gesicht nach Westen gewandt, befindet sich das Thal des Makata oder des Wami, der nach Norden und Osten fliesst; zur Linken haben wir das Thal des Ungerengeri, welcher, nachdem er eine kühne Schwenkung nach Norden gemacht hat, nach Südosten strömt. Unsere Marschlinie von Bagamoyo hierher ist ungefähr gleich weit von beiden Flüssen entfernt gewesen, wobei der Wami rechts und der Ungerengeri oder Kingani links liegen bleibt.

Sieht man sich die vorstehende Kartenskizze an, so wird man finden, wie ein und derselbe Fluss drei bis vier ganz verschiedene Namen trägt, wodurch Reisende bei Verfolgung ihrer geographischen Forschungen sich leicht täuschen lassen. Ebenso wie der Kingani eine Reihe verschiedener Namen führt, heisst auch der Fluss, welcher zwischen den mohammedanischen Häfen Whinde und Sa’adani ins Meer mündet, abwechselnd Wami, Rudewa, Makata und Mukondokwa.

Der erste bedeutende Fluss, auf den man stösst, wenn man in die weite Ebene, das Thal von Makata, tritt, ist der Kleine Makata, der, obwol zu allen Jahreszeiten passirbar, in der Höhe der Masikazeit ein reissender, für Reisende gefährlicher Strom wird. Hinter demselben kommt man an ein tiefes Nullah, das während der Regenzeit von Wasser überfliesst, und einige hundert Meter weiter an den Grossen Makata, den Wami oder Mukondokwa, einen Fluss, der im Stande ist, sich zu einem mächtigen Strom von 500–600 Meter Breite zu erweitern. Jenseits des Grossen Makata gelangt man an den Mbengerenga, einen Zufluss des Rudewa, welcher hier parallel mit unserer Marschroute fliesst und sich in den Wami, unmittelbar oder doch sehr nahe am Zusammenfluss des Grossen und Kleinen Makata, ergiesst. Nachdem man den Mbengerenga überschritten, kommt man[S. 223] sofort zu einem andern kleinen Zufluss des Rudewa und sieht den letztern selbst wie er sich der Strasse nähert und scharf nach Osten wendet. Weiter nach Süden gewandt kommt man an den Uronga, einen Fluss, der in Mundu, im nördlichen Usagara, entspringt und hinter dem Lager in Rehenneko, über eine vorspringende Gebirgskette hinweg, wieder zum Makata gelangt, der hier bei den Wasagara den Namen Mukondokwa führt. Verfolgt man den Weg den Mukondokwapass hinauf, dieselbe Strasse entlang, die Burton und Speke eingeschlagen, so gelangt man an einen Punkt in diesem Thal, wo unsere Wege auseinandergehen, indem der von Burton und Speke den Gipfel der Rubehokette hinauf und dieselbe entlang führt, während der unsrige sich bedeutend nach Norden wendet, jedoch so, dass er sich parallel mit der andern Route in einem Zwischenraume von 20–30 Meilen hinzieht.

Burton kam bald, nachdem er das Thal des Mukondokwa verlassen, auf ein Plateau, das mit steilen Abhängen über Berggefälle, Felsenstufen und Gerölle hinweg in dem Becken des Flusses Rumuma endet. Dies ist ein südlicher Zufluss oder eine Gabelung des Mukondokwa und leitet das Wasser von den Hügeln nach dem Südwesten des Rumuma-Districts, während der Hauptstrom, der in den Hochlanden von Wahumba oder Wamusai entspringt, das Wasser dieser Länder nach Westen führt.

Noch nicht elf Meilen von der Furt, wo Burton’s und Speke’s und mein Weg sich trennten, kam ich an einen See, den Ugombo-See, der, obgleich von beschränkten Dimensionen, eine gewisse Rolle in dem Wassersystem Ostafrikas spielt. Denn dieser kleine See, der kaum drei Meilen lang ist, nimmt den Rumuma auf und entlässt ihn durch einen engen Spalt in den Mukondokwa. Der Hauptstrom entspringt nicht in den Hochlanden der Wahumba oder Wamusai und führt das Wasser aus den westlichen Ländern nicht mit sich, sondern er entsteht wenigstens einen Grad nördlich von der Breite von Ugombo in den Gebirgen von Kema-Kaguru, in dem Lande, das in Kisagara als Mundu bekannt ist, welches auch die Ursprungsstätte des Stromes Uronga oder Ulonga bildet.

[S. 224]

Unter den übrigen Zuflüssen dieses Mukondokwa-Flusses befinden sich ausser dem Rumuma die in Kivya entspringenden Flüsse Rufuta und Mdunku, sowie der Myombo und Mdunwi.

Die Länder im Westen von dem Längengrad von Rubeho wurden — wenigstens auf unserer Route — vermittelst Nullahs entwässert, die wegen der allgemeinen Dürre in dieser trockenen Region das Wasser nicht in einen Strom führen. Diese Nullahs oder trockenen Wasserläufe oder vertiefte Fiumaras, die man in Amerika Gulches (Wasserschluchten) nennen würde, absorbiren alles Wasser, das aus den unfruchtbaren, jenseits oder westlich von den Usagara-Bergen liegenden Gegenden in sie hineinfliesst. Der Mukondokwa-Fluss läuft von Norden nach Süden durch die Berge von Usagara, schlägt sich dann nach Osten und entsendet die ihm vom Rufuta, Rumuma, Myombo und Mdunwi zugeführten Wasser östlich in den Indischen Ocean.

Der Regen fällt westlich von Usagara so spärlich, dass die sandigen Fiumaras oder Wasserschluchten selten dem Rufidschi Wasser zuführen. Denn westlich von Ugogi bis nach Tura in Unyamwezi fällt das Wasser nach Süden in den Ruhwha oder Rufidschi.

Jene unfruchtbare Gegend, die das nördliche Marenga Mkali, das ganze Ugogo, südliche Uhumba oder Umasai, Ihange und Mbogwe umschliesst, hat keinen Wasserabfluss. Aller Regen, der hier fällt, wird von den seichten Pfuhlen oder Seen aufgefangen, die über das Innere dieser Gegend so dicht ausgestreut sind. Während der trockenen Jahreszeit findet Verdunstung statt, und das Wasser wird aus diesen Pfuhlen durch die beständigen, von Nordosten kommenden Monsuns in die grössern Behältnisse der Seen geführt, welche der Victoria-Nyanza einnimmt, und von dort in den Nil. Nachdem die Verdunstung stattgefunden, zeigt die Oberfläche dieser unfruchtbaren Gegend grosse Landstrecken, die von Salzen oder Salpeter inkrustirt sind. Die, welche man im Westen von Tschaga, im District Angaruka, sieht, die Salzlagunen von Balibali, westlich von Kikui, und die, welche ich selbst nördlich von Mizanza gesehen, dienen dazu, diese Theorie zu begründen.

[S. 225]

Jenseits Ugogo sind die einzigen nennenswerthen Ströme der Mdaburu und der Mabunguru, die südlich in den Kisigo fliessen, dessen Lage einen Grad südlich von Kiwyeh angenommen wird. Er soll, nach den Berichten der Wagogo von Kiwyeh, ein bedeutender und raschfliessender, von zahlreichen Flusspferden und Krokodilen heimgesuchter Strom sein. Der Kisigo fliesst in den Rufidschi.

Von unserm Marsche nach Unyanyembé kann man in Kürze sagen, dass sein erster Theil über das Becken des Kingani, der zweite über das des Wami, der dritte über die Wasserscheide des Wami, der vierte über den nördlichsten Theil des Ruhwha-Beckens und die wasserlose Gegend, der fünfte in die Grenzen der Wasserscheide des Tanganika-Sees führte.

Nun kann der Leser und zwar mit Recht fragen: „Was nützen mir alle diese langweiligen Beschreibungen von Flüssen, die so sonderbare, unverständliche Namen haben?“

Geduld! lieber Leser, gerade auf diesen Punkt will ich jetzt kommen. Wenn man sich die Karte von Afrika näher ansieht, so wird man begreifen, worauf meine Beschreibung zweier besonderer Ströme hinweisen soll.

Erstens ist, wie mir scheint, der Fluss Wami für den Handel benutzbar. Ich weiss, dass man ihn durch leichte Dampfschiffe von einem niedrigen Tiefgang von 2–3 Fuss eine Strecke von 2° in gerader Linie oder fast 200 Meilen zu Wasser vom Hafenort Whinde nach Mbumi in Usagara befahren kann. Alle Hindernisse, die sich der Schifffahrt entgegenstellen, z. B. die Mangelbäume, die an einigen Stellen, namentlich in der Nähe des Dorfes in Kigongo’s District, an beiden Ufern ihre weitausgebreiteten Zweige miteinander verbinden, lassen sich leicht mit dem Beil entfernen.

Mbumi liegt nur ein paar Meilen vom Fusse der Usagara-Berge, dem gesundesten Theile Ostafrikas. Die Entfernung von Whinde nach Mbumi liesse sich mit einem Dampfer leicht in vier Tagen zurücklegen.

Wer Afrika zu civilisiren wünscht, wer direct mit Usagara, Useguhha, Ukutu, Uhehe Handel zu treiben wünscht, Elfenbein, Zucker, Baumwolle, Orseillewurzel, Indigo und[S. 226] Korn aus diesen Ländern beziehen will, dem eröffnet sich hier eine schöne Gelegenheit.

Vier Tage bringen den Missionär auf einem Dampfer in die Hochlande von Afrika, wo er unter den sanften Wasagara ohne Furcht und Unruhe leben und sich alle Genüsse des civilisirten Lebens gönnen kann, ohne Angst, ihrer beraubt zu werden, inmitten der schönsten, malerischsten Scenen, die eine poetische Phantasie auszumalen vermag! Hier gibt es das herrlichste Grün, das reinste Wasser; hier sind Thäler, die von Kornhalmen, von Wäldern von Tamarinden, Mimosen und Kopalbäumen strotzen. Hier findet sich der gigantische Mvule, der stattliche Mparamusi, die schöne Palme, kurz, eine Landschaft, wie sie nur ein tropischer Himmel bedecken kann. Gesundheit und reichliche Nahrungsmittel sind dem Missionär hier sicher; ein sanftes Volk lebt zu seinen Füssen, das ihn gern willkommen heisst. Mit einziger Ausnahme von civilisirter Gesellschaft fehlt hier nichts, was die Seele des Menschen sich wünschen kann.

Vom Dorfe Kadetamare lassen sich eine ganze Zahl prächtiger Plätze zu Missionsstationen benutzen, über welche heilsame Lüfte wehen, in denen Wasser reichlich dahinfliesst, die unvergleichliche Fruchtbarkeit umgibt und wo überall ein gelehriges, gutmüthiges Volk wohnt, das mit sich und allen Reisenden und Nachbarn in Frieden lebt.

Wie die Pässe des Olympos die Pforten des oströmischen Reiches den Horden Othman’s eröffneten, wie die Pässe von Kumaylé und Suru den Briten den Zutritt zu Abessinien verschafften, so können die Pässe des Mukondokwa das Evangelium und seinen wohlthätigen Einfluss ins Herz des wilden Afrika einführen.

Ich kann mir den alten Kadetamare vorstellen, wie er sich die Hände vor Vergnügen über den Anblick des Weissen reibt, der da kommt, um seinem Volke die Worte des Mulungu, des Himmelsgeistes, zu lehren, es zu unterweisen, wie es säen, ernten und Häuser bauen, wie es die Kranken curiren und sich ein angenehmes Dasein verschaffen kann, kurz, wie es civilisirt wird. Der Missionär muss jedoch, um Erfolg zu haben, seine Pflichten ebenso gründlich kennen, wie ein Matrose die seinigen. Es darf kein Mensch in[S. 227] Glacéhandschuhen, kein Weichling, kein Zeitungsschreiber, kein zanksüchtiger Polemiker oder nur auf Ceremonien bedachter Priester, sondern es muss ein ernster Arbeiter im Weinberge des Herrn sein, ein Mann wie David Livingstone oder Robert Moffatt.

Der andere Fluss, der Rufidschi oder Ruhwha, ist noch wichtiger als der Wami, denn er ist viel länger und entsendet zweimal so viel Wasser in den Indischen Ocean. Er entsteht in der Nähe einiger Berge, die ungefähr 100 Meilen südwestlich von Ubena liegen. Man nimmt vom Kisigo, dem nördlichsten und wichtigsten Zufluss des Ruhwha, an, dass er sich nahe beim 35. Grad östlicher Länge in diesen ergiesst. Von dem Zusammenfluss bis zum Meere hat der Ruhwha eine Länge von vier Längengraden in gerader Richtung. Diese Thatsache beweist an sich schon die Wichtigkeit und den Rang desselben unter den Flüssen Ostafrikas. Man weiss sehr wenig über ihn, als dass er für kleine Boote 96 Stunden oder ungefähr 60 Meilen hinauf schiffbar ist, denn Banyanen treiben auf dieser Strecke Handel den Fluss hinauf und sammeln Elfenbein ein von den an seinen Ufern wohnenden Stämmen.

Der Reisende bemerkt zwischen den niedrigeren und höheren, oder den See- und den unfruchtbaren Gegenden einen auffallenden Contrast in Bezug auf die Vegetation. In den Thälern des Ungerengeri und Wami ist die Productionskraft des Bodens merkwürdig. Der üppige schwarze Alluvialboden, der seit vielen Jahrhunderten von diesen Flüssen abgelagert ist, hat, was die Fruchtbarkeit betrifft, gar keine Grenze. Jede Art Pflanze schiesst hier in gigantischen Proportionen auf. Die Grashalme erreichen die Grösse eines gewöhnlichen Bambus, und die Bäume, wie z. B. der Mparamusi und der Mvulebaum, haben 100 Fuss hohe Stämme. Der in diesen Thälern wachsende Mais übertrifft den schönsten, der in den Gründen von Arkansas, Missouri und Mississippi wächst. Das Holcus sorghum oder Matama hat Stengel, die an Dicke das schönste Zuckerrohr übertreffen und von denen manche 12 Fuss hoch werden. Die Dichtigkeit der Dschungels ist geradezu schreckenerregend und die Verschiedenheit der Pflanzen- und Baumarten[S. 228] würde die Kenntnisse des gelehrtesten Botanikers auf die Probe stellen.

In meinen täglichen Berichten über unsere Märsche und Erlebnisse habe ich versucht, die Natur des Landes, wie es sich mir darstellte, während der Zeit unseres Durchzugs zu skizziren. Durch die Seegegend kamen wir in der Masikazeit und konnten auf derselben die Wirkung dieser Jahreszeit auf das Gras beobachten.

Wenn die Masikazeit anfängt, sind diese Gräser kaum kniehoch; gegen Ende derselben haben sie dagegen ihre volle Höhe erreicht. Einen Monat nach der Masikazeit, wo sie ganz verdorrt aussehen, zünden die Eingeborenen sie an und tagelang ertönt das Land noch von dem Toben der wüthenden Brände, über denen ein dicker schwarzer Rauch sich wie eine Wolke erhebt, die dem Himmel selbst eine trübe Färbung verleiht.

Wenn diese Feuer durch die Wälder gewüthet und das Gras verzehrt haben, dann tritt die beste Reisezeit ein. Man kommt leicht fort und kann fast doppelt soviel marschiren, als wenn das Gras durch seine Dichtigkeit und Höhe beständig Hindernisse in den Weg legt. Dann kann das Auge frei über die schwellenden Umrisse und niedrigen Hügel schweifen, ohne dass der Blick gehemmt würde durch einen jungen Wald dicker Gräser, der gerade zwischen dem Beschauer und der reizenden Aussicht liegt, über deren Spitzen nur ein Mann von 15 Fuss Höhe seine Liebe für Naturschönheiten befriedigen könnte.

Es wäre eine schwere Aufgabe, feine ethnische Unterschiede zwischen den Wamrima und den westlicheren Waschensi aufzustellen. Ich wundere mich immer, wie Kapitän Burton im Stande gewesen ist, solch feine Linien zu ziehen, die, wie ich den Leser versichern kann, von einem gewöhnlichen Menschen, wie ich es bin, nicht bemerkt werden.

Nach Zanzibar tritt man zuerst über Bagamoyo in Afrika ein. An diesem Orte kann man Wangindo, Waswahili, Warori, Wagogo, Wanyamwezi, Waseguhha und Wasagara sehen; dennoch würde es für jedermann eine schwierige Aufgabe sein, beim blossen Anblick ihrer Züge oder Kleidung Unterschiede zu erkennen. Man könnte nämlich nur[S. 229] an gewissen Gewohnheiten oder Unterscheidungsmerkmalen, wie z. B. am Tätowiren, Durchstechen der Ohrläppchen, an Zierathen oder der Haartracht, die im Anfange zu unbedeutend erscheinen, als dass man sie bemerkt, Unterschiede unter den verschiedenen Stämmen herausfinden. Gewiss gibt es deren; sie sind aber nicht so gross oder markirt, wie man sie angegeben hat.

Die Waswahili stellen uns eine Rasse vor, die natürlich durch den Verkehr mit halbcivilisirten Menschen beeinflusst und daher besser angezogen sind und vortheilhafter aussehen als ihre wilderen, weiter westlich wohnenden Brüder. Wie man sagt, dass in der Haut eines Russen der Tartare steckt, so lässt sich auch behaupten, dass man unter dem schneeweissen Dischdascheh oder Hemd des Mswahili den echten Barbaren finden wird. Auf der Strasse, im Bazar erscheint er halb arabisirt; seine freundlichen Manieren, sein demüthiges Fussfallen, seine Kniebeugungen, sein Jargon, alles beweist, dass er mit der herrschenden Rasse, der er unterworfen, in Berührung gekommen ist. Ist er jedoch aus den Seestädten hinaus in die Waschensidörfer gegangen, so wirft er das Hemd ab, das ihn halb civilisirt hat, und er erscheint in der ganzen tiefen Schwärze seiner Haut, mit hervorstehendem Unterkiefer und dicken Lippen als reiner Neger und Barbare. Selbst das schärfste Auge könnte einen Unterschied zwischen ihm und dem Mschensi nicht erkennen, wenn man nicht besonders darauf aufmerksam macht, dass die beiden Leute verschiedenen Stämmen angehören.

Der nächste Stamm, den wir kennen lernen, sind die Wakwere, die einen begrenzten Landstrich zwischen den Wazaramo und Wadoe einnehmen. Sie sind die ersten Repräsentanten des reinen Barbaren, auf welche der Reisende stösst, wenn er nur zwei Tagereisen von der Küste entfernt ist, — ein furchtsamer Stamm, die wol nie des Raubes wegen einen Angriff auf eine Anzahl zusammengehöriger Menschen machen wird. Unter den arabischen und waswahilischen Händlern haben sie keinen guten Ruf, sondern gelten für sehr unehrlich, was ich durchaus nicht bezweifle, denn sie haben auch mir guten Grund gegeben, an diese Berichte zu glauben, als ich in Kingaru-Hera und Imbiki[S. 230] lagerte. Die Häuptlinge des östlichem Theils von Ukwere sind nominell den Diwans der Mrima unterworfen. Sie haben sich die dichtesten Dschungels als Orte für ihre Dörfer ausgesucht. Jeder Zugang in eins ihrer Thäler wird aufs eifersüchtigste durch starke, enge Holzthüren geschützt, die selten mehr als 4½ Fuss hoch und bisweilen so eng sind, dass man nur seitlich hinein kann.

Diese Inselchen in den Dschungels, die besonders durch ganz Ukwere zahlreich sind, bieten einem nackten Feinde furchtbare Hindernisse. Die Pflanzen, Büsche und jungen Bäume, welche ihren natürlichen Schutz bilden, sind gewöhnlich Aloë- und Dorn-Arten, die so dicht wachsen und sich miteinander verflechten, dass der kühnste und verzweifeltste Räuber der furchtbaren Phalanx scharfer Dornen, von denen sie überall starren, kaum Trotz bieten dürfte.

Einige dieser Dschungel-Inselchen sind von Banditenbanden besetzt, die es selten verabsäumen, von der Schwäche eines einzelnen Wanderers Vortheil zu ziehen, besonders wenn es ein Mgwana, ein Freier von Zanzibar ist, wie ein jeder Neger, der auf Zanzibar wohnt, von den eingeborenen Waschensi des Innern bezeichnet wird.

Ich möchte die Bevölkerung von Ukwere, in dessen Gebiet (das nicht mehr als 30 engl. Meilen im Geviert hat und südlich vom Rufufluss, nördlich vom Wami begrenzt wird) ungefähr hundert Dörfer anzunehmen sind, zu nicht mehr als 5000 Seelen schätzen. Wären diese sämmtlich unter dem Befehle eines Häuptlings verbunden, so könnten die Wakwere immerhin ein mächtiger Stamm werden.

Nach den Wakwere kommt man zu den Wakami, den Resten eines einst grossen Volks, das die Länder vom Ungerengeri bis zum Grossen Makataflusse inne hatte. Häufige Kriege mit den Wadoe und Waseguhha haben sie auf einen engen Landgurt beschränkt, der in gerader Richtung zehn Meilen beträgt und von dem man sagen kann, dass er zwischen dem Kira-Pic und der steinigen Felsenkette liegt, die an das Thal des Ungerengeri im Osten, einige Meilen vom östlichen Ufer des Flusses, grenzt.

Im Ungerengeri-Thale sind sie so zahlreich wie Bienen. Die unübertroffene Fruchtbarkeit desselben ist für dieses[S. 231] Volk eine Hauptursache gewesen, ihren Stammesunterschied zu bewahren. Mit einem Fernrohr kann man, wenn man von dem steinigen Bergrücken hinab ins schöne Thal blickt, Haufen brauner Hütten inmitten von Gebüschgruppen wahrnehmen und ungefähr 100 Dorfschaften zählen, welche überall grossen Wohlstand zeigen.

Von Ukami kommt man ins südliche Udoe und findet ein kriegerisches, stattlich aussehendes Volk von viel intelligenteren Gesichtszügen und etwas hellerer Hautfarbe als die Wakami und Wakwere, — ein Volk, das voll von Rassentraditionen steckt, das sich kühn wegen der kleinsten Verletzung ihres Gebiets in den Kampf gestürzt und tapfer gegen die Waseguhha und Wakami, sowie gegen nomadische Räuber aus Ukumba vertheidigt hat.

Zwei Frauen und ein Kind   nähern sich dem Eingang ihres umzäunten Dorfes
THOR EINES DORFES.

Udoe gehört seinem Aeussern nach zu den malerischsten Ländern zwischen dem Meere und Unyanyembé. Grosse Kegel schiessen über die unendlichen Wälder in die Höhe und über ihnen schweben leichte flockige Wolken dahin, durch welche die heissglühende Sonne ihre Strahlen entsendet[S. 232] und das Ganze in Licht badet, welches diesen sich reihenweise bis an die Gipfel der Berge erstreckenden Laubkugeln Farbentöne entlockt, die den Nachbildungsversuchen des strebsamsten Malers Trotz bieten würden. Erst Udoe ruft des Reisenden Liebe zur Naturschönheit wieder wach, nachdem er das Meer verlassen. Hier führen ihn die Wege längs der scharfen Kanten von Bergketten, von denen er hinabsehen kann auf waldbewachsene Abhänge, die sich zu beiden Seiten in tiefe Thäler senken, um sich jenseits in hochstrebende Kegel zu erheben, welche den Himmel küssen, oder in eine hohe Bergkette mit tiefen, concentrischen Schluchten zu verwandeln, die durch ihr herausfordernd geheimnissvolles Aussehen fast in Versuchung führt, auf die Erforschung derselben viel Mühe zu verwenden. Wenn ein Byron diese Landschaft von Udoe erblickte, so würde er geneigt sein zu sagen:

„Der Morgen auf Udoes Hügeln graut,
Und Urugurus Felsen, Kiras Höhen,
Vom Nebel halbverhüllt und bachbethaut,
Sie lassen sich im dunkeln Purpur sehen.“

Was könnte dieser Stamm uns nicht alles über die Thaten der Sklavenhändler erzählen! Von der verbündeten Macht der Waseguhha aus West und Nord und den Sklavenhändlern von Whinde und Sa’adani im Osten angegriffen, haben die Wadoe es wol hundertmal erlebt, dass ihre Weiber und Kinder fortgeschleppt, ein Bezirk nach dem andern von ihrem Lande fortgerissen und mit Useguhha verbunden worden ist. Denn das Volk von Useguhha wurde von den Sklavenhändlern in Whinde gemiethet und mit Waffen und Munition versehen, um ihre Nachbarn, die Wadoe, anzugreifen und sie wiederholt in grossen Massen zu Sklaven zu machen. Denn Individuen dieses Stammes, namentlich Weiber und Kinder, die so wol in physischer als geistiger Beziehung den knechtischen Rassen, die sie umgeben, so überlegen sind, waren bei den sinnlichen Mohammedanern als Concubinen und Diener sehr gesucht.

An diesem Stamme bemerkt man zuerst, dass er unterscheidende Stammesabzeichen hat, die in einer sich der Länge[S. 233] nach an beiden Seiten des Gesichts herabziehenden Linie von Punkten und in dem Abfeilen der innern Seiten der beiden Mittelzähne des Oberkiefers bestehen. Die Waffen dieses Stammes ähneln denen der Wakami und Wakwere und bestehen aus einem Bogen, einem Schilde, einigen leichten Speeren oder Assegais, einem langen Messer, einer kleinen handlichen Schlachtaxt und einem Knüttel, der an dem einen Ende einen grossen Knopf hat, welcher mit vielem Geschick um das Haupt eines Feindes geschwungen wird und diesem einen betäubenden, bisweilen sogar tödlichen Schlag versetzt.

Einige Speere, Pfeilspitzen,   Bogen, Köcher und Schild
KRIEGSWAFFEN.

Wenn man aus den Wäldern von Mikeseh heraustritt, kommt man in das Gebiet der Waseguhha oder Wasegura[4], wie die Araber dies Land fälschlich nennen. Useguhha[S. 234] erstreckt sich in der Länge über zwei Grade und seine grösste Breite ist 90 engl. geographische Meilen. Es hat zwei Hauptabtheilungen, Süd-Useguhha, von Uruguru bis zum Wami, und Nord-Useguhha, unter dem Häuptling Moto, vom Wami bis Umagassi und Usumbara.

An der Erhebung dieses Stammes zu bedeutender Macht haben wir ein Beispiel der Wechselfälle, welche die barbarischen Rassen im Verlaufe der Zeit erlebt haben. Vor 30 Jahren waren die Waseguhha auf einen engen Landgürtel zwischen den Wasambara und den Wadoe beschränkt. Die Wadoe waren der Hauptstamm im Osten der Usagara-Gebirge, aber die Sklavenhändler brachten ihnen Verderben, verriethen sie an organisirte Banditenbanden, die aus vagabondirenden Wamrima, fortgelaufenen Sklaven, Verbrechern aus Zanzibar und Menschenräubern bestanden und die Wälder zwischen Usagara und dem Meere unsicher machten. Diese Banden überzogen die den Wadoe unterworfenen Stämme mit Krieg, und da Sklaven dieses Stammes sehr gesucht und sowol wegen der Schönheit ihrer Gestalt, als ihrer physischen sowie sonstigen Vorzüge halber gern gekauft wurden, nahmen diese Raubzüge gegen den Stamm so zu, dass nach einigen Jahren die Wadoe fast gänzlich aus ihren schönen Thälern und dem herrlichen Lande am Ungerengeri vertrieben waren. Unter diesen Räubern war der berüchtigte Kisabengo einer der hervorragendsten, dessen schändliches Leben ich schon bis zu der Zeit gekennzeichnet habe, wo er seine Veste in Simbamwenni in der Nähe des Ungerengeri erbaute.

Fast alle Waseguhha-Krieger sind mit Musketen bewaffnet und die Araber versehen sie mit ausreichender Munition, wofür sie dann die Waruguru, Wadoe und Wakwenni angreifen, um Sklaven für den arabischen Markt zu bekommen. Es ist erst fünf Jahre her, dass die Waseguhha einen glücklichen Raubzug ins Herz der Wasagara-Berge ausführten, in welchem sie die bevölkerten Theile der Makataebene verwüsteten und mehr als 500 Sklaven erbeuteten. Früher wurden Kriege in diesem Lande durch Blutfehden zwischen den verschiedenen Häuptlingen verursacht; jetzt werden sie durch die Sklavenhändler der Mrima[S. 235] angezettelt, damit diese Menschenwaare auf den Markt nach Zanzibar gebracht werden könne.

Das ostafrikanische Geschwader hat die Macht, dieses Hornissennest zu vernichten und dem unmenschlichen Handel mit Sklaven, insoweit Useguhha im Stande ist, ihn aufrecht zu erhalten, ein Ende zu machen. Wenn ein langes Dampfboot mit 50 Mann an Bord zu diesem Zweck den Wamifluss bis an Kigongo’s Wohnsitz hinauffährt, so würde es bis 20 Meilen vor der Stadt Simbamwenni gelangen können. Diese Strecke liesse sich in einer Nacht zurücklegen und am Morgen könnte man den Ort angreifen und niederbrennen und somit diesen Kernpunkt des Sklavenhandels in Ostafrika auf immer zerstören. Die von den Sklavenhändlern unterstützten Waseguhha sind die eigentliche Pest dieses Theils von Ostafrika, und wenn einmal ihr fester Platz genommen und zerstört ist, würden sie ausser Stande sein, weiteres Unheil anzustiften.

Die Waseguhha sind wol die blindesten Anhänger der Zauberei; dennoch fahren die Jünger dieser dunkeln Kunst bei ihnen sehr schlecht. Sehr häufig sieht man Aschenhäufchen am Wege und Kleidungsstücke an Baumzweigen darüber schweben; dies bezeichnet das Schicksal der unglücklichen „Waganga“ oder Medicin-Männer. Solange ihre Vorhersagungen richtig sind und glücklich auslaufen, werden diese Sachverständigen der „Utschavi“ oder Zauberkunst günstig vom Volke angesehen. Wenn aber ein ungewöhnliches Unglück eine Familie trifft und diese beschwören kann, dass es die Folge der Kunst des Zauberers ist, so bildet sich alsbald ein unbarmherziges Richtercollegium und es erwartet jenen ein Schicksal, wie es die Hexen in den dunkelsten Tagen von Neu-England erfahren haben. In diesen afrikanischen Wäldern findet sich bald hinreichend viel dürres Holz und der Unglückliche stirbt den Flammentod. Sein Lendentuch wird als Warnung für alle falschen Jünger seiner Kunst über dem Ort, wo er von seinem Geschick ereilt worden, aufgehängt.

Die Wasagara sind Bergbewohner. Das Land, das sie bewohnen, ist die Gebirgskette und ihre unmittelbare Umgebung, die sich vom Makata-Flusse nach der Wüste von[S. 236] Marenga Mkali ausdehnt und 75 engl. geographische Meilen breit und fast 3 Breitengrade lang ist.

Die Gebirgskette liegt der Länge nach in einer nordöstlichen Richtung. Die höchste Spitze hat wol eine Höhe von 6000 Fuss über dem Meeresspiegel. Der Berg Kibwe muss ungefähr 2500 Fuss über dem Mukondokwathale bei Kadetamare und dieses letztere 2000 Fuss über dem Meere liegen. Es gibt aber Gipfel in der Ngurugruppe bei Ugombo, die ich wenigstens 1500 Fuss höher als den Berg Kibwe schätze. Wenn man sich der Kette vom Makata aus nähert, erheben sich die Berge im Norden zu einer viel bedeutenderen Höhe als diejenigen, die an dem Pass von Mukondokwa liegen. Auf den Gipfeln und Abhängen dieser Berge lassen die Dünste, welche von den Monsunwinden hierher getrieben werden, ihre Wasserlast fallen und werden zu Flüssen, die als Bäche die Bergabhänge hinabrieseln und sich in den Thälern am östlichen Abhange vereinigen.

Wie sehr auch Geographen von mir abweichen mögen, so geht doch meine Ansicht dahin, dass diese Gebirgskette für Ostafrika das ist, was die Rocky-Mountains für Central-Nordamerika sind. Ich betrachte sie als das Rückgrat von Ostafrika. Reisende verlegen Kilima-Ndscharo nach 37° 27′, den Berg Kenia nach 37° 35′ östl. Länge; ich stelle den Berg Kibwe nach 36° 50′, und Burton glaubt, dass dieselbe Gebirgskette von Usagara „ihren höchsten Punkt in Ndschesi-Uhiyou habe“. Wenn das Ruhwhathal, durch welches der Rufidschi von dem jenseits liegenden Hochlande ins Meer fliesst, nur eine Spalte in der Usagarakette ist, warum soll das Mukondokwathal dies nicht ebenfalls sein? Warum kann denn die niedrige Ebene von Uhumba oder Masai nicht auch ein Spalt sein? Warum sollen die Ngaserai-Berge, die Gebirgsgruppe des Kilima-Ndscharo, der Schneegipfel des Kenia, sein südlicher Nachbar, der Doeno Camwea, und sein nördlicher, der Berg Msarara, die sich sämmtlich auf demselben Längengrade erheben, nicht eben dieser Usagarakette angehören?

DER BERG KIBWE UND DAS THAL DES MUNKONDOKWA.

Derselbe Einfluss, den man auf den Ebenen östlich und westlich von den Rocky-Mountains wahrnimmt, wird auch zu beiden Seiten der Usagarakette sichtbar. Im westlichen[S. 237] Nordamerika besitzen bekanntlich die Ebenen von Colorado, Wyoming und ein grosser Theil von Nebraska im Osten und der am westlichen Fusse der Rocky-Mountains belegene Theil von Colorado und Utah nicht die merkwürdige Fruchtbarkeit, welche man in der Nähe des Missuriflusses und östlich oder westlich von Utah antrifft. Diese nackten Regionen Amerikas ziehen sich 5–800 Meilen breit zu beiden Seiten der Rocky-Mountains hin und haben eine Länge von fast 2000 Meilen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass dieses Felsengebirge eine Durchschnittshöhe von 11–12000 Fuss über dem Meeresspiegel hat. So gigantische Züge zeigt die Natur in Ostafrika nicht. Ich schätze die Durchschnittshöhe des östlichen Theils der Usagarakette zu 3500 Fuss über dem Meeresspiegel, während der westliche noch 1000 Fuss höher ist. Die Ebene oder das Thal des Makata, im Osten von Usagara, hat dasselbe kahle Aussehen, das unsere westlichen Ebenen darbieten, und ebenso lässt sich die Region im Westen von Usagara, welche das ganze Marenga Mkali und Ugogo umfasst, ihres nackten unfruchtbaren Aeussern und ihrer Salzablagerungen wegen mit Utah und dem westlichen Colorado vergleichen.

In Uyanzi aber, im Westen von Ugogo, erhebt sich das Land der Länge nach zu einer Höhe von ungefähr 1000 Fuss über der Ebene von Ugogo und erscheint infolge davon, dass es die von den Monsuns nach Westen getragenen Dämpfe auffängt, fruchtbarer, sodass es in dieser Beziehung gleich nach dem Thal des Mukondokwa kommt. Diese unfruchtbare Region, die das Marenga Mkali umfasst, hat zwar nur eine Breite von etwa 100–150 engl. geographischen Meilen, ist aber doch 600 Meilen lang oder vielleicht noch mehr.

Im südlichen Usagara ist das Volk sehr freundlich; im Norden aber, in den Districten, die an die Wahumba stossen, hat das Volk mehr den wilderen Charakter seiner Nachbarn. Wiederholte Angriffe von den menschenraubenden Waseguhha, den räuberischen Wadirigo oder Wahehe im Südwesten, den Wagogo im Westen und den Wahumba im Norden haben sie dazu gebracht, Fremde mit Argwohn anzusehen, nach kurzer Bekanntschaft jedoch erweisen sie sich[S. 238] als offene, freundliche und tapfere Leute. In der That haben sie ausreichende Ursache, den Arabern und Wangwana von Zanzibar zu mistrauen. Mbumi, in Ost-Usagara, ist zweimal innerhalb weniger Jahre von menschenraubenden Arabern und Waseguhha niedergebrannt worden; Rehenneko hat dasselbe Schicksal erfahren, und erst vor wenigen Jahren hat Abdullah bin Nasib das Land von Misonghi bis Mpwapwa mit Feuer und Schwert verheert. Kanyaparu, der Herr der Berge um Tschunyo oder Kunyo, welcher früher den vierten Theil von Marenga Mkali cultivirte, hat sich jetzt aus Furcht vor den Wadirigo-Räubern ganz in die hohen Berge zurückgezogen.

In Ost-Usagara sind die grossen Unterschiede zwischen reinen Wasagara und den Waseguhha nicht sichtbar. Man findet dieselben erst in den Dörfern der Mpwapwa. Hier erst erblickt man die langen, dünnen, mit Messing- und Kupferbehängseln, Kugeln und glänzenden Pice[5] aus Zanzibar geschmückten Löckchen, durch welche sich hier und da eine dünne Reihe kleiner Perlen zieht. Ein junger Msagara, der sich das stumpfe Schwarz seines Gesichts leicht mit Ocker gebräunt und vier oder fünf kupferne Münzen um die Stirn gebunden, der sich die Spitze eines kleinen Flaschenkürbis in jedes Ohrläppchen gesteckt und es dadurch ausgereckt hat, sowie tausende von gutgefetteten, mit kleinen Kupfer- und Messingstückchen verzierte Locken trägt, stellt mit seinem hocherhabenen Kopf, der vorragenden Brust, den muskulösen Armen und wohlproportionirten Gliedern das Ideal eines stattlichen, jungen afrikanischen Wilden dar.

Die Wasagara beider Geschlechter tätowiren sich Stirne, Brust und Arme. Ausser dem in jedes Ohr hineingesteckten Kürbishalse, in welchem sich ein kleiner Vorrath von „Tumbak“ oder Taback und aus dem Verbrennen von Landmuscheln gewonnener Kalk befindet, trägt ein jeder Msagara eine Anzahl primitiver Zierathe um den Hals, als da sind: ein paar schneeweisse Muschelschalen, geschnitzte Holzstückchen, ein kleines Ziegenhorn, eine von dem Medicinmanne des Stammes geweihte Arznei, ein Fundo weisser[S. 239] oder rother Perlen, zwei bis drei durchlöcherte Sungomazi-Eierperlen, eine Schnur Kupfermünzen und hin und wieder kleine Messingketten, die billigen Uhrketten ähneln. Diese Dinge haben sie sich entweder selbst gemacht oder von den arabischen Händlern gegen Hühner und Ziegen eingehandelt. Die Kinder gehen alle nackt; Jünglinge tragen ein Ziegen- oder Schaffell; erwachsene Männer und Frauen, die Kinder haben, entweder ein baumwollenes oder aus Kaniki oder Barsati, einem in Usagara besonders beliebten Zeuge, bestehendes Lendentuch. Häuptlinge haben Mützen, wie sie von den Wamrima-Diwans getragen werden, oder das arabische Tarbusch.

Zwei Wasagara-Männer, mit   Speeren bewaffnet
JUNGE WASAGARA.

Es folgen nun auf unserer Marschlinie die Wagogo, ein mächtiger Stamm, der die Gegend westlich von Usagara nach Uyanzi zu bewohnt, die ungefähr 80 Meilen breit und 100 Meilen lang ist. Der Reisende muss bei seinem Verkehr mit ihnen sehr klug und kritisch verfahren. Hier hört er zuerst das Wort „Honga“, welches jetzt, nachdem er Simbamwenni[S. 240] passirt, Tribut, vorher ein Geschenk an einen Freund bedeutet. Da dasselbe unter Androhung von Krieg, falls man nicht freiwillig bezahlt, abgefordert wird, so ist die beste Deutung des Wortes „mit Gewalt erpresster Tribut oder Zoll“.

Unter nachfolgenden drei Routen durch Ugogo, mit Angabe der Summe des Tributs, die eine Karavane von 150 Mann zu zahlen hat, steht dem Reisenden die Wahl frei:

Nördlicher
Weg.
Tribut.
Mittlerer
Weg.
Tribut.
Südlicher
Weg.
Tribut.
 
Tücher.
 
Tücher.
 
Tücher.
Mvumi
 35
Mvumi
 35
Kifukuru
 25
Matamburu
 24
Muhalata
 25
Kisewah
 30
Bihawana
 10
Mafanya
 15
Kanyeni
 40
Kididimo
 26
Kanyenyi
 40
Sanza
 15
Pembera Pereh
 30
Sanza
 15
Usekke
 21
Mizanza
 22
Khonse
 20
Khonko
 20
Mukondoku
 32
Khonko
 20
Kiwyeh
 27
 
179
Kiwyeh
 27
 
178
     
197
   

Diese Stoffe werden nur von den Binnenland-Karavanen bezahlt; den nach der Küste zurückkehrenden werden dagegen gewöhnlich Hacken und Elfenbein abverlangt.

Es versteht sich von selbst, dass, wenn der Reisende wünscht, um noch grössere Summen gestraft zu werden, er die Wagogo stets bereit findet, jeden Fetzen Stoff, den er ihnen gibt, anzunehmen. Mvumi verlangt z. B. 60 Zeuge und wundert sich über seine eigene Grossmuth, eine so kleine Zahl von einem grossen Musungu (Weissen) zu fordern. Der Reisende jedoch wird klug daran thun, die Unterhandlungen seinen tüchtigsten Leuten zu überlassen, nachdem er ihnen eingeschärft, sich in Acht zu nehmen und nicht zu rasch auf eine bestimmte Zahl einzugehen.

Die Wagogo sind in physischer und intellectueller Beziehung die beste Rasse zwischen Unyamwezi und dem Meere.[S. 241] Ihre Farbe ist ein kräftiges braunschwarz. Von vorn gesehen haben sie etwas löwenartiges an sich. Ihre Gesichter sind breit und intelligent, die Augen gross und rund, die Nase platt und der Mund sehr gross, die Lippen jedoch sind zwar dick, indess nicht in so ungeheuerlichem Grade, wie wir sie uns in unserer Caricatur eines Negerideals vorstellen. Bei alledem ist der Mgogo, wennschon ein wilder Mann, der bei der geringsten Versuchung vor keiner Unthat zurückschreckt, doch für den Weissen eine anziehende Figur. Er ist stolz auf seinen Häuptling und auf sein Land, obwol dieses unfruchtbar und reizlos ist; stolz auf sich selbst, seine Macht, seine Waffen, seine Habe; eitel, sehr egoistisch, ein Renommist und Tyrann, aber auch zur Freundschaft und zu Opfern für einen Freund fähig. Ein grosser Fehler in seinem Charakter, der ihn den Reisenden gegenüber in ein schlechtes Licht setzt, ist seine ausserordentliche Habgier; wenn dieser unter derselben zu leiden hat, so stimmt ihn das eben nicht besonders freundlich gegen den Bewohner von Ugogo.

Dagegen ist dieser kräftige Eingeborene mit der dunkeln Hautfarbe, der Löwenstirn, dem drohenden Aussehen und bramarbasirenden Charakter, dieser stolze, hochmüthige und zanksüchtige Mensch ein blosses Kind einem andern gegenüber, der sich die Mühe nicht verdriessen lässt, seinen Charakter zu studiren und seine Eitelkeit zu schonen. Er ist leicht zu amüsiren, da seine Neugierde leicht angeregt wird. Ein Reisender von schroffem Charakter wird bestimmt mit ihm Streit bekommen; in Gegenwart dieses rohen Kindes der Natur jedoch, zumal wenn es die Macht hat, gereicht es dem Reisenden zu Vortheil und eigener Sicherheit, seine Schroffheiten abzulegen. Der Mgogo Räuberheld befindet sich auf seinem eigenen Grund und Boden und hat einen entschiedenen Vortheil vor dem weissen Fremdling. Jener ist zwar nicht tapfer, kennt aber doch die Schwäche des Reisenden und ist geneigt, davon Vortheil zu ziehen, wird aber durch das Interesse, das er am Frieden hat, daran verhindert, irgendein Verbrechen zu begehen. Denn jede gegen einen Reisenden verübte Gewaltthat würde den Weg sperren, die Karavanen veranlassen, sich andere[S. 242] Wege aufzusuchen und somit den Häuptlingen grosse Einbussen an ihren Einnahmen verursachen.

Der Mgogo-Krieger trägt als Waffen einen Bogen und einen Köcher voll mörderisch aussehender spitzer, mit Zinken und Widerhaken versehener Pfeile, ein paar leichte, schön gearbeitete Assegais, einen breiten, schwertartigen Speer mit einer mehr als zwei Fuss langen Klinge, eine Streitaxt und ein Rungu oder mit einem Knauf versehenen Knüttel. Auch hat er einen ovalen Schild aus Rhinoceros-, Elefanten- oder Stierhaut, der mit schwarzen und weissen Figuren bemalt ist. Seit seiner frühesten Kindheit ist er mit diesen Waffen vertraut und vom 15. Jahre an weiss er sie vortrefflich zu gebrauchen.

In sehr kurzer Zeit ist er für die Schlacht gerüstet; der Bote des Häuptlings eilt von Dorf zu Dorf und bläst sein Ochsenhorn als Signal zum Kriege. Der Krieger hört es, wirft seine Hacke über die Schulter, tritt in sein Haus und kommt nach einigen Secunden wieder in Kriegsfarben und vollem Kampfkostüm heraus. Ueber seinem Haupte wallen Strauss-, Adler- oder Geierfedern; hinter ihm her flattert sein langes, scharlachrothes Gewand; auf dem linken Arme befindet sich sein Schild; in der linken Hand sein schnellender Assegaispeer und in der rechten hält er sein wuchtiges Beil, das zweischneidig und spitz auf einem starken Griffe steckt. Um Knöchel und Knie sind klingende Ketten gebunden; mit den seine Arme zierenden elfenbeinernen Armbändern zeigt er seine Ankunft an. Mit der Hacke des arbeitsamen Bauers hat er auch das Aeussere desselben abgelegt und ist jetzt der stolze, eitle, übermüthige Krieger, der wie ein Athlet aufspringt und begierig nach dem Schlachtfelde schnaubt.

Die Stärke und Macht der Wagogo kommt von ihrer Zahl her. Denn obwol man bisweilen Wagogokaravanen auf dem Wege nach Unyamwezi hin und zurück trifft, so werden sie doch nicht so sehr wie die Wanyamwezi im Handel beschäftigt. Daher sind ihre Dörfer stets voll von Kriegern. Schwache Stämme oder Reste anderer Stämme freuen sich sehr, unter ihren Schutz aufgenommen zu werden. Auch einzelne Individuen von andern Stämmen, die wegen[S. 243] irgendeiner Gewaltthat gezwungen sind, dieselben zu meiden, finden sich oft in den Dörfern der Wagogo. Im Norden sind die Wahumba sehr zahlreich, im Süden die Wahehe und Wakimbu und im Osten finden sich manche Familien aus Usagara. Auch kommen Wanyamwezi häufig in diesem Lande vor. Diese letzteren sind wie die Schotten; man kann sie fast überall in Mittelafrika finden und sie verstehen es, sich eine hervorragende Stellung zu schaffen.

EIN TEMBÉ AUS DER VOGELSCHAU.

Wie in West-Usagara sind auch die Häuser der Wagogo viereckig und um die vier Seiten eines Hofes gereiht, nach welchem sich alle Thüren öffnen. Die Dächer sind alle flach und Korn, Kräuter, Taback und Kürbisse liegen auf denselben ausgebreitet. Die Rückseite jedes Gemachs ist von Löchern durchbohrt, welche zur Beobachtung und Vertheidigung dienen.

Das Tembé wird in Ugogo sehr leicht gebaut; es besteht nur aus einer Reihe dünner Stöcke, die mit Lehm beworfen sind. Drei bis vier starke Stangen werden in[S. 244] Zwischenräumen in der Erde befestigt, um die Längs- und Querbalken, auf welchen das flache Lehmdach ruht, zu stützen. Eine Musketenkugel kann die geflochtenen Wände eines Ugogotembé völlig durchbohren. In Uyanzi dagegen ist das Tembé stärker, weil sie dort sehr viele schöne Bäume haben, die heruntergeschlagen und in Bohlen von drei bis vier Zoll Dicke zerspalten werden.

Das Tembé ist in Gemächer getheilt, die durch eine geflochtene Wand voneinander getrennt werden. Jedes Gemach enthält eine Familie von erwachsenen jungen Leuten beiderlei Geschlechts, die sich ihre Betten aus gegerbten Häuten auf dem Boden machen. Nur der Vater der Familie hat eine Kitanda oder feste Schlafstelle, die aus einem mit Ochsenhaut bespannten Gestell oder aus der Rinde des Myombobaumes hergestellt ist. Der Boden besteht aus glatt verstrichenem Lehm, ist sehr schmutzig und riecht stark nach den abscheulichsten Dingen. In den Winkeln befinden sich an den Balken die schönen luftigen Wohnungen der schwarzen, gewaltig grossen Spinnen und anderer Ungeheuer von Insekten.

Eine besonders langköpfige, dunkelfarbige Gattung Ratten sucht jedes Tembé heim. Kühe, Ziegen und Schafe sind die einzigen Hausthiere, denen es gestattet wird, im Tembé zu wohnen. Hunde von der Pariah-Rasse hausen draussen bei dem Vieh.

Die Wagogo glauben an das Dasein eines Gottes oder Himmelsgeistes, den sie Mulungu nennen. Sie beten gewöhnlich zu ihm, wenn ihre Eltern sterben. Nachdem ein Mgogo seinen Vater dem Grabe übergeben hat, bringt er dessen Habe, sein Tuch, Elfenbein, Messer, Dschembe (Hacke), Bogen und Pfeile, Speere und Vieh an einen Ort zusammen, kniet davor nieder und spricht einen Wunsch aus, Mulungu möge seine weltlichen Reichthümer vermehren, seine Arbeit segnen und ihm im Handel Glück bescheeren.

Folgende Unterredung fand zwischen mir und einem Mgogohändler statt:

„Wer hat nach Eurem Glauben Eure Eltern erschaffen?“

„Das hat Mulungu gethan, Weisser!“

„Gut. Wer hat denn Dich erschaffen?“

[S. 245]

„Wenn Gott meinen Vater erschaffen, so hat er auch mich erschaffen, nicht wahr?“

„Sehr wohl. Wo meinst Du wol, dass Dein Vater jetzt hingegangen ist, da er todt ist?“ —

„Die Todten sterben“, sagte er feierlich, „sie sind nicht mehr. Der Sultan stirbt, dann wird er zu nichts, dann ist er nicht besser als ein todter Hund; er ist zu Ende, seine Worte sind zu Ende; es gibt keine Worte mehr von ihm. Es ist wahr“, sagte er, da er ein Lächeln auf meinem Gesicht erblickte, „der Sultan wird zu nichts. Wer etwas anderes sagt ist ein Lügner. Das steht fest!“

„Er ist aber doch ein sehr grosser Mann, nicht wahr?“

„Nur solange er lebt; nach dem Tode fährt er in die Grube und da kann man von ihm nicht mehr sagen als von einem andern.“

„Wie begrabt Ihr einen Mgogo?“

„Man bindet ihm die Beine zusammen, den rechten Arm an den Körper und legt den linken unter den Kopf. Dann rollt man ihn auf seine linke Seite ins Grab. Das Zeug, das er während seines Lebens getragen, wird über ihn ausgebreitet. Darauf legen wir Erde auf ihn und Dornbüsche darüber, damit die Fizi (Hyänen) nicht an ihn heran können. Ein Weib wird auf ihre rechte Seite in ein vom Manne gesondertes Grab gelegt.“

„Was macht Ihr mit dem Sultan, wenn er gestorben ist?“

„Wir begraben ihn auch. Nur wird er in der Mitte des Dorfes begraben und wir bauen ein Haus über ihn. Jedesmal, wenn ein Ochse geschlachtet wird, so geschieht das vor seinem Grabe. Wenn der alte Sultan stirbt, so verlangt der neue einen Ochsen und schlachtet ihn vor jenem Grabe unter Anrufung von Mulungu als Zeugen, dass er der legitime Sultan sei. Dann vertheilt er das Fleisch in seines Vaters Namen.“

„Wer folgt dem Sultan? Etwa der älteste Sohn?“

„Ja, wenn er einen Sohn hat. Wenn er aber kinderlos ist, so folgt der ihm an Rang zunächst stehende grosse Häuptling. Der Msagira ist der nächste nach dem Sultan; sein Geschäft besteht darin, die Beschwerden anzuhören und dem Sultan vorzutragen. Auch übt er die Gerechtigkeit im[S. 246] Namen des letztern, empfängt das Honga, bringt es dem Mtemi (Sultan), stellt es vor ihn hin und behält soviel davon, als der Sultan nicht für sich beansprucht. Die Häuptlinge heissen Manya-Para und der Msagira ist der oberste Manya-Para.“

„Wie heirathen die Wagogo?“

„Sie kaufen sich ihre Frauen.“

„Was kostet ein Weib?“

„Ein sehr armer Mann kann seine Frau schon für ein paar Ziegen von ihrem Vater kaufen.“

„Wieviel muss der Sultan dafür zahlen?“

„Er hat ungefähr 100 Ziegen oder ebenso viel Kühe, Schafe und Ziegen an den Vater seiner Braut zu zahlen. Natürlich ist der Vater ein Häuptling; der Sultan würde sich kein gemeines Weib kaufen. Des Vaters Einwilligung muss erlangt und ihm dann das Vieh übergeben werden. Viele Tage gehören dazu, um die Unterhandlungen hierüber zu beendigen. Die ganze Familie und alle Freunde der Braut müssen sich darüber unterhalten, ehe sie ihres Vaters Haus verlässt.“

„Was geschieht im Falle eines Mordes dem Manne, der einen andern getödtet hat?“

„Der Mörder muss 50 Kühe bezahlen. Ist er zu arm, um zu bezahlen, so gibt der Sultan den Verwandten des Ermordeten das Recht, ihn zu tödten. Wenn sie ihn fangen, so binden sie ihn an einen Baum und werfen Speere nach ihm und zwar zuerst immer einen auf einmal; dann springen sie auf ihn zu, schneiden ihm den Kopf ab und später die Arme und Gliedmassen und streuen dieselben im Lande umher.“

„Wie bestraft Ihr einen Dieb?“

„Wenn man ihn beim Stehlen ertappt, so wird er sofort todtgemacht und man spricht weiter nicht davon. Ist es nicht ein Dieb?“

„Aber im Falle, dass Ihr nicht wüsstet, wer der Dieb ist?“

„Wenn uns jemand vorgeführt wird, der des Diebstahls bezichtigt ist, tödten wir ein Huhn. Sind die Eingeweide desselben weiss, so ist er unschuldig, sind sie aber gelb, so ist er schuldig.“

[S. 247]

„Glaubt Ihr an Zauberei?“

„Das versteht sich von selbst und wir bestrafen den Mann mit dem Tode, der Vieh verzaubert oder den Regenfall hindert.“

Zunächst an Ugogo liegt Uyanzi oder das „Magunda Mkali“ — das heisse Feld. In frühern Zeiten, ehe das Magunda Mkali von den Auswanderern aus Ukimbu bewohnt war, beklagten sich die Lastträger über die fürchterliche Hitze und den Durst, den sie auf der Reise durch dasselbe erleiden mussten. Wasser war auf dem Wege, den sie einschlugen, sehr spärlich und volle Tagemärsche häufig. Daher wurde es von den Wanyamwezi-Pagazi das „heisse Feld“ genannt.

Uyanzi oder Magunda Mkali ist jetzt sehr bevölkert; längs der nördlichen Strasse, die über Munieka führt, ist Wasser reichlich vorhanden, befinden sich zahlreiche Dörfer, und die Reisenden fangen an zu bemerken, dass der Name nicht mehr passt. Die Leute, die das Land bewohnen, sind Wakimbu aus dem Süden. Es sind gute Ackerbauer und ein sehr fleissiger Menschenschlag. Sie ähneln den Wasagara etwas im Aeussern, erfreuen sich aber nicht eines grossen Rufs in Bezug auf Tapferkeit. Ihre Waffen bestehen aus leichten Speeren, Bogen und Pfeilen und Schlachtbeilen. Ihre Tembés sind stark gebaut und sie zeigen bedeutende Gewandtheit in der Kunst, Vertheidigungswerke anzulegen. Die Bomas derselben sind so gut, dass man Kanonen nöthig hätte, um den Eingang zu erzwingen, wenn die Dörfer gehörig vertheidigt würden. Sie sind auch sehr geschickt in der Anfertigung von Fallen für Elefanten und Büffel; hin und wieder verfängt sich auch ein vereinzelter Löwe oder Leopard in denselben.

Nachdem man durch Magunda Mkali marschirt ist, kommt man nach Unyamwezi, dem Lande des Mondes; ich werde jedoch eine Beschreibung des Volkes, das diesen interessanten District bewohnt, einem spätern Kapitel überlassen.

[4] Alle Stämme des Innern kennen diese nur als Waseguhha. Burton aber nimmt den von den Arabern verdorbenen Namen Wasegura an. Krapf, New, Wakefield und ich haben die Aussprache der Eingeborenen, Waseguhha, angenommen.

[5] Kleine Kupfermünzen.

[S. 248]

ANSICHT VON MEINEM TEMBÉ AUS.

ACHTES KAPITEL.
DAS LEBEN IN UNYANYEMBÉ.

Gastfreundschaft des Gouverneurs Sayd bin Salim. — Bequemes Quartier. — Tabora, die Hauptniederlassung der Araber. — Mirambo, Häuptling von Uyoweh. — Seine Räubereien. — Ein Kriegsrath. — Ich finde die Livingstone-Karavane auf. — Schrecklicher Fieberanfall. — Abmarsch nach Udschidschi. — Ankunft in Masangi. — Shaw erkrankt. — Ich stosse zum Heere der Araber in Mfuto. — Gefecht mit Mirambo. — Einnahme des Dorfes Zimbizo. — Erneuter Fieberanfall. — Niederlage und Gemetzel der Araber durch Mirambo. — Rückzug nach Mfuto.

Mir wurde eine geräuschlose Ovation zutheil, als ich an der Seite des Gouverneurs Sayd bin Salim nach seinem Tembé in Kwikuru oder der Hauptstadt ging. Die Wanyamwezi-Pagazi standen zu Hunderten am Wege, die Krieger Mkasiwa’s, des Sultans, drängten sich um ihren[S. 249] Häuptling, und Kinder, — schwarze, nackte Engelchen, — schauten zwischen den Beinen ihrer Aeltern hindurch. Selbst Säuglinge von wenig Monaten hingen auf dem Rücken ihrer Mütter und entrichteten sämmtlich den meiner Farbe gebührenden Tribut, indem sie mich intensiv angafften. Die einzigen Leute, die sich mit mir unterhielten, waren die Araber und der alte Mkasiwa, der Herrscher von Unyanyembé.

Sayd bin Salim’s Haus befindet sich am nordwestlichen Winkel der Einhegung und ist ein mit Stacketen umstelltes Boma von Kwikuru. Thee wurde uns in einem silbernen Theekessel gemacht und eine reichliche Quantität dampfender Pfannkuchen befanden sich unter einem silbernen Deckel. Zu diesem Mahl wurde ich eingeladen. Wenn man ungefähr acht Meilen ohne Frühstück marschirt und drei bis vier Stunden lang der heissen Tropensonne ausgesetzt gewesen, so ist man geneigt, einem Mahle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, namentlich wenn man einen gesunden Appetit hat. Ich glaube, ich setzte den Gouverneur in Erstaunen durch die geschickte Art, mit der ich es fertig brachte, elf Tassen von seinem aromatischen Decoct eines Assamkrautes zu vertilgen und aufs ungezwungenste seinen hohen Thurm von Pfannkuchen zu vernichten, die noch einen Augenblick vorher heiss unter ihrem silbernen Deckel gedampft hatten.

Ich dankte dem Scheikh für das Mahl, wie es nur ein wirklich sehr hungriger Mann, der sich gesättigt hat, thun kann. Selbst wenn ich nicht gesprochen hätte, so würden meine dankbaren Blicke ihn davon in Kenntniss gesetzt haben, wie sehr ich mich ihm verpflichtet fühlte.

Darauf zog ich meine Pfeife und den Tabacksbeutel heraus.

„Mein lieber Scheikh, willst Du rauchen?“

„Nein, ich danke. Araber rauchen nie.“

„Nun, wenn Du es auch nicht thust, so wirst Du wol nichts dagegen haben, wenn ich rauche, um die Verdauung zu unterstützen!“

„Ngema! Gut, rauchen Sie nur, Herr.“

Hierauf ging es ans Fragen und Plaudern. Die[S. 250] Neugierde kam in ernsten und leichten Gesprächen zur Geltung.

„Auf welchem Wege ist der Herr gekommen?“

„Ueber Mpwapwa.“

„Der Weg ist gut. War der Makata schlecht?“

„Ja, sehr schlecht.“

„Was gibts Neues in Zanzibar?“

„Von dort bringe ich gute Nachrichten. Seyd Turki hat Besitz von Muscat ergriffen und Azim bin Ghis ist in den Strassen erschlagen worden.“

„Ist das wahr, Wallahi?“ (Bei Gott.)

„Ja, es ist wahr.“

„He he! das sind Neuigkeiten!“ wobei er sich den Bart streicht. „Herr, haben Sie etwas von Suleiman bin Ali gehört?“

„Ja, der Gouverneur von Bombay hat ihn auf einem Kriegsschiff nach Zanzibar geschickt und Suleiman bin Ali liegt jetzt in der Gurayza (Festung).“

„He, das ist sehr schön. Hatten Sie den Wagogo viel Tribut zu zahlen?“

„Achtmal. Hamed Kimiani wünschte, dass ich über Kiwyeh gehe; ich wollte aber nicht und zog gerade durch den Wald nach Munieka. Und da hielten es Hamed und Thani für besser, mir zu folgen, als sich allein durch Kiwyeh zu wagen.“

„Wo ist der Hadschi Abdullah, der hierher kam, und Spiki?“

„Hadschi Abdullah? Was für ein Hadschi Abdullah? Ach so, wir nennen ihn Scheikh Burton. O, das ist jetzt ein grosser Mann, ein Balyuz in El Scham.“

„He he, also ein Balyuz! He, in El Scham! Ist das nicht nahe bei Betlem el Kudis?“

„Ja, ungefähr vier Tagereisen davon. Spiki ist todt. Er hat sich durch einen unglücklichen Zufall erschossen.“

„Ach, Wallah (bei Gott), das sind schlechte Nachrichten. Spiki todt? Masch Allah! Er war ein guter Mann, wirklich ein guter Mann! Todt!“

„Aber wo liegt dieses Kazeh, Scheikh Sayd?“

„Kazeh? Kazeh? — Ich habe den Namen nie früher gehört.“

[S. 251]

„Aber Ihr waret doch mit Burton, Speke und dem andern Manne, Grant, in Kazeh. Ihr habt doch dort mehrere Monate gelebt, als Ihr Euch alle in Unyanyembé aufhieltet? Es muss ganz in der Nähe sein. Wo wohnten denn Hadschi Abdullah und Spiki, als sie in Unyanyembé waren? War es nicht in Musa Mzuris’ Haus?“

„Das war in Tabora.“

„Nun, wo liegt denn Kazeh? Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der mir sagen konnte, wo dieser Ort ist, und doch haben die drei Weissen dieses Wort als den Namen des Ortes, in dem sie lebten, als Ihr bei ihnen waret, niedergeschrieben. Ihr müsst doch wissen, wo er liegt.“

„Wallahi, Bana, ich habe den Namen nie gehört. Aber halt, Kazeh bedeutet auf Kinyamwezi ein „Königreich“. Vielleicht haben sie dem Ort, an dem sie sich aufhielten, den Namen gegeben. Ich war gewöhnlich im ersten Haus, Sny bin Amer’s Haus, und Speke und Grant wohnten in Musa Mzuris’ Haus; beide Häuser jedoch befinden sich, wie alle die übrigen, in Tabora.“

„Ich danke Euch, Scheikh. Jetzt möchte ich gehen und nach meinen Leuten sehen. Sie werden wol alle essen wollen.“

„Ich werde Sie begleiten, um Ihnen Ihr Haus zu zeigen. Das Tembé ist in Kwihara, nur eine Stunde Weges von Tabora.“

Als wir Kwikuru verlassen, gingen wir über einen niedrigen Bergrücken und sahen alsbald Kwihara zwischen zwei kleinen Hügelketten liegen, von denen die nördlichste westlich in dem runden festungsartigen Berge Zimbili auslief. Auf dem Thale schienen die glühendsten Sonnenstrahlen, alles ertödtend, zu ruhen, welcher Eindruck wol durch die allgemeine Ausbleichung und herbstliche Reife des Grases hervorgebracht wurde, dem durchaus alle Farbentöne fehlten, die etwas Abwechselung in dieses Einerlei hätten bringen können. Unter jener blendenden Sonne, in der klaren Atmosphäre erschienen die Berge wie ausgedörrt. Das Korn war seit lange geschnitten und Stoppelfelder bildeten eine weissbraune Fläche. Die aus Lehm bestehenden Häuser mit ihren flachen Lehmdächern sahen gleichfalls[S. 252] weissbraun aus. Auch die mit Stroh gedeckten Hütten und die sie umgebenden Stackete aus abgeschältem Bauholz waren weissbraun. Obwol ein kalter, heftiger, ungesunder Wind aus den Bergen von Usagara uns sozusagen bis ins Mark schnitt, so hörte der intensive Sonnenglanz doch nicht auf. Selbst wenn das Auge auf einen Augenblick auf ein paar schwarze Kühe oder einen hohen Baum fiel, so konnte man es doch nie vergessen, dass der erste Eindruck von Kwihara der eines Bildes ohne Farbe, eines Nahrungsmittels ohne Geschmack gewesen; und wenn man hinauf blickte, sah man einen blassblauen, fleckenlosen Himmel, der durch seine Heiterkeit geradezu entsetzte.

Als ich mich dem Tembé von Said bin Salim näherte, kam Scheikh bin Nasib mit andern arabischen Grossen zu uns. Vor der grossen Thür des Tembé hatten die Leute die Ballen und Kisten aufgethürmt und erzählten den Hauptleuten und Soldaten der ersten, zweiten und vierten Karavane mit unglaublicher Zungenfertigkeit und Geschwindigkeit die vielen Ereignisse, die uns zugestossen waren und ihnen als das einzig mittheilenswerthe erschienen. Ueber ihren eignen beschränkten Gesichtskreis hinaus kümmerten sie sich offenbar um nichts. Dann hatten die verschiedenen Hauptleute der übrigen Karavanen ihrerseits ihre Reiseerlebnisse zu berichten, wodurch eine lärmende, erregte Unterhaltung entstand. Als wir uns näherten, hörte dieselbe aber sofort auf, und meine Karavanenführer stürzten auf mich zu, um mich als Herrn und Freund zu begrüssen. Ein Bursche, der treue Baruki, warf sich mir zu Füssen, die andern feuerten ihre Flinten ab und betrugen sich wie Verrückte in einem Anfall von Tobsucht. Auf allen Seiten hörte man den Ruf: „Willkommen!“

„Spazieren Sie hinein, Herr; dies ist jetzt Ihr Haus; hier sind die Quartiere für Ihre Leute. Hier können Sie die arabischen Grossen empfangen; hier ist das Kochhaus; hier das Vorrathshaus; dort das Gefängniss für die Widerspenstigen; da die Zimmer Ihres Weissen und hier Ihre eigenen. Sehen Sie, hier ist das Schlafzimmer, dort das Gewehr-, Badezimmer u. s. w.“ So sprach Scheikh Sayd, als er mir die verschiedenen Oertlichkeiten zeigte.

[S. 253]

Auf Ehre, für Central-Afrika war dies ein sehr gemüthlicher Ort. Man hätte fast poetisch werden können, doch wollen wir derartige überschwängliche Ideen auf die Zukunft verschieben. Gerade jetzt müssen die Waaren ins Lager geschafft, die kleine Armee von Lastträgern muss bezahlt und entlassen werden.

Bombay erhielt Befehl, die feste Vorrathskammer zu öffnen, die Ballen daselbst in regelmässige Reihen aufzustapeln, die Perlen aufeinander zu schichten und dem Draht einen besondern Ort anzuweisen. Boote, Segeltuch u. s. w. sollten an einem so hohen Ort untergebracht werden, dass die weissen Ameisen sie nicht erreichen konnten, und den Munitionskisten und Pulverfässern war im Gewehrzimmer ausser aller Gefahr eine Stätte zu schaffen. Dann wurde ein Ballen Zeug aufgemacht und jeder Lastträger nach seinem Verdienst belohnt, damit er seinen Freunden und Nachbarn zu Hause erzählen könne, wie viel besser der Weisse sie behandelt, als der Araber.

Hierauf wurden die Berichte der Führer der ersten, zweiten und vierten Karavane entgegengenommen, ihre Vorräthe inspicirt und die einzelnen Erlebnisse auf ihren Märschen angehört. Die erste Karavane war in Kirurumo in Krieg verwickelt gewesen, hatte den Kampf mit Glück bestanden und Unyanyembé ohne irgendwelchen Verlust erreicht. Die zweite hatte einen Dieb im Walde zwischen Pembera Pereh und Kididimo erschossen. Die vierte hatte einen Ballen im Dickicht von Marenga Mkali verloren und der Lastträger dabei eine starke Kopfverletzung von einem Knotenstock erhalten, den einer der Diebe, die in den Dschungels nahe der Grenze von Ugogo herumschleichen, gegen ihn geschwungen. Ich freute mich zu hören, dass sie nicht mehr Unglück gehabt und belohnte jeden Führer sofort mit einem schönen Stück Tuch und fünf Doti Merikani.

Gerade als ich wieder hungrig wurde, kamen von den Arabern mehrere Sklaven hintereinander mit Präsentirtellern voll vortrefflicher Speisen. Zuerst entwickelte sich eine grosse Schüssel Reis und ein Napf voll mit Curry gewürzter Hühner, dann ein Dutzend grosser Weizenkuchen, ferner dampfendheisse Schmalzkuchen, Papaws, Granaten[S. 254] und Limonen. Hierauf kamen Menschen, die fünf fette Höcker-Ochsen, acht Schafe und zehn Ziegen trieben, und noch ein Mann mit einem Dutzend junger Hühner und einem Dutzend frischer Eier. Dieses war echte, praktische, edle Höflichkeit, eine so grossartige Gastfreundschaft, dass sie meine Dankbarkeit mit Sturm eroberte.

Meine Leute, deren ich jetzt nur 25 hatte, waren über diese üppige Fülle, die auf meinem Tische und Hofe sichtbar wurde, so erfreut, wie ich selbst. Als ich sah, wie ihre Gesichter im Vorgefühl der zu erwartenden Genüsse erglänzten, liess ich ein Bullenkalb schlachten und unter sie vertheilen.

Am zweiten Tage nach der Ankunft der Expedition des „New York Herald“ in dem Lande, das ich nun als klassischen Boden ansah, seitdem Burton, Speke und Grant ihn vor Jahren besucht und beschrieben, kamen die arabischen Magnaten von Tabora, um mich zu beglückwünschen.

Tabora[6] ist die arabische Hauptniederlassung in Central-Afrika. Es besteht aus mehr als tausend Hütten und Tembés und man kann die aus Arabern, Wangwana und Eingeborenen zusammengesetzte Bevölkerung sicher auf 5000 Köpfe schätzen. Zwischen Tabora und der nächsten Ansiedlung Kwihara erheben sich zwei schroffe Bergkämme, die voneinander durch einen niedrigen Sattel getrennt sind, über welchen Tabora stets von Kwihara aus sichtbar ist.

Diese Araber waren stattliche, schöne Leute. Meist stammten sie aus Oman; einige jedoch waren Waswahili. Jeder meiner Gäste hatte ein ganzes Gefolge bei sich. In Tabora lebte man ganz luxuriös. Die Ebene, auf welcher die Colonie liegt, ist sehr fruchtbar, obgleich baumlos. Die reichen Weideplätze erlauben es, grosse Vieh- und Ziegenheerden zu halten, von denen sie grosse Quantitäten Milch, Sahne, Butter und Ghee (geklärte Butter) haben. Reis wird überall erbaut; ebenso sind süsse Kartoffeln, Yams, Muhogo, Holcus sorghum, Mais, Sesam, Hirse, Felderbsen oder Wicken, die Tschoroko heissen, billig und immer zu haben. Um ihre Tembés bauen die Araber etwas Weizen[S. 255] zum eignen Gebrauch und haben sich Orangen, Limonen, Papaws und Mangobäume gepflanzt, die hier sehr schön gedeihen. Zwiebeln und Knoblauch, Gurken, Tomaten und mancherlei anderes kann sich der Weisse von den wohlhabendern Arabern verschaffen, die in ihrer Art zweifellos Epikuräer sind. Wenigstens einmal im Jahre bringen ihnen ihre Sklaven von der Küste Vorräthe an Thee, Kaffee, Zucker, Gewürzen, eingemachten Säften, gewürzten Saucen, Wein, Branntwein, Zwieback, Sardinen, Lachs, feinen Tuchen und allem, was sie für ihren eigenen persönlichen Gebrauch bedürfen. Fast jeder Araber von Stande vermag einen Reichthum an persischen Teppichen, luxuriösen Betten, vollständigen Thee- und Kaffee-Servicen, schön verzierten Schüsseln von verzinntem Kupfer und messingnen Waschbecken aufzuweisen. Fast alle haben Uhren und Ketten, einige solche von Gold, andere aus geringerm Material. Und wie in Persien, Afghanistan und der Türkei die Harems einen wesentlichen Zug in dem Haushalte eines Arabers bilden, so tritt die Sinnlichkeit der Mohammedaner hier ebenso deutlich hervor wie im Orient. Jeder Araber hält sich je nach seinen Mitteln eine Anzahl Concubinen, denn er führt hier das Leben ganz ebenso, wie in der „Stadt des Sieges“. Das Auge, das zuerst das unklassische Gesicht der afrikanischen schwarzen Frau verachtete, verliert bald den Blick für schöne Contouren und sanften hellen Teint; es dauert nicht lauge, so haftet es lüstern an den unharmonischen, schwerfälligen Curven der negerartigen Gestalt und blickt liebend auf das breite, unintelligente Gesicht und die dunkeln Augen, welche nie das blendende Liebeslicht widerstrahlen, das die armen Menschenkinder erst schön macht.

Die Araber, welche jetzt vor der Vorderthür meines Tembé standen, waren die Geber der vortrefflichen Dinge, die ich am Tage vorher bekommen. Natürlich begrüsste ich, wie es mir die Pflicht gebot, zuerst Scheikh Sayd; dann Scheikh bin Nasib, den Consul Seiner Hoheit des Fürsten von Zanzibar in Karagwa; darauf den edelsten Trojaner unter der arabischen Bevölkerung, sowol was Haltung, als was Muth und Manneswürde betrifft, Scheikh Khamis bin Abdullah;[S. 256] ferner den jungen Amram bin Mussud, der jetzt Krieg gegen den König von Urori und sein aufrührisches Volk führt; sowie den stattlichen, muthigen Soud, den Sohn von Sayd bin Madschid; hierauf den geckenhaften Thani bin Abdullah, wie auch Massud bin Abdullah und seinen Vetter Abdullah bin Mussud, die Eigenthümer der Häuser, in denen früher Burton und Speke gewohnt, und schliesslich den bejahrten Suleiman Dowa, Sayd bin Sayf, sowie den alten Hetman von Tabora, Scheikh Sultan bin Ali.

Da der Besuch dieser Magnaten, unter deren gütigen Schutz weisse Reisende sich nothwendig begeben müssen, nur ein formeller war, wie ihn die echte arabische, stets steife Etikette verlangt, so ist es unnöthig, die Unterhaltung über meine Gesundheit und ihren Reichthum, meinen Dank und ihre Versicherungen loyaler Anhänglichkeit gegen mich zu erzählen. Nachdem wir unsern Vorrath an Beglückwünschungen und sonstigen Abgeschmacktheiten verbraucht, begaben sie sich fort, nachdem sie ihren Wunsch zu verstehen gegeben, ich möge sie in Tabora besuchen und an einem Fest, das sie im Begriff waren, mir zu geben, theilnehmen.

Drei Tage später begab ich mich aus meinem Tembé, von 18 stattlich gekleideten Männern als Gefolge begleitet, um in Tabora eine Visite zu machen. Nachdem wir den Sattel, über den der Weg vom Thale von Kwihara nach Tabora führt, überschritten, lag die Ebene, auf der sich die arabische Colonie befindet, als eine Fläche dunklen Weidelandes vor uns, das sich vom Fuss des uns zur Linken befindlichen Berges bis an die Ufer des nördlichen Gombé erstreckte, die sich einige Meilen jenseits Tabora zu purpurnen Hügeln und blauen Kegeln erheben.

Dreiviertel Stunden sassen wir auf der Lehm-Veranda des Tembé von Sultan bin Ali, der wegen seines Alters, Reichthums und seiner Stellung — er ist Oberst in der nicht gerade lieblichen Armee des Seyyid Barghasch — von seinen Landsleuten hoch und niedrig als Rathgeber und Helfer angesehen wird. Sein Boma oder eingehegtes Grundstück enthält ein vollständiges Dorf von bienenkorbförmig gestalteten Hütten und viereckigen Tembés. Von hier, wo wir eine Tasse[S. 257] Mokka und etwas Scherbet genossen, lenkten wir unsere Schritte nach Khamis bin Abdullah’s Haus, der, da er mich erwartet, ein Fest bereitet hatte, zu dem er einige Freunde und Nachbarn eingeladen. Die Gruppe stattlicher Araber in ihren langen, weissen Kostümen und grossen gewundenen, gleichfalls schneeweissen Kopfbedeckungen, welche dastanden, um mich in Tabora zu begrüssen, machte einen wirkungsvollen Eindruck auf mich. Ich kam noch zur rechten Zeit, um einem Kriegsgericht, das sie abhielten, beizuwohnen, und man bat mich, dazubleiben, da Selim, mein arabischer Dolmetscher, auch mit dabei war.

Khamis bin Abdullah, ein kühner, tapferer Mann, der stets bereit ist, für die Vorrechte der Araber einzutreten und ihr Recht, in jedem Lande ehrlich Handel zu treiben, zu vertheidigen, ist derselbe, von dem Speke in seiner „Entdeckung der Nilquellen“ uns erzählt, dass er Maula, einen alten Häuptling, der sich mit Manwa Sera während der Kriege von 1860 verbündet hatte, erschoss; und der darauf, nachdem er seinen unbarmherzigen Feind fünf Jahre lang durch Ugogo und Unyamwezi bis Ukonongo gejagt, die Befriedigung genoss, ihn zu köpfen. Dieser drang jetzt in die Araber, ihre Rechte gegen einen Häuptling, der Mirambo von Uyoweh hiess, in einer bevorstehenden Krisis zu behaupten.

Dieser Mirambo von Uyoweh war, wie es scheint, in den letzten Jahren in einem Zustand chronischer Unzufriedenheit mit der Politik der benachbarten Häuptlinge gewesen. Früher Lastträger eines Arabers, hatte er jetzt mit der gewissenlosen Schurken eigenen Gewandtheit, die sich nicht darum kümmern, wie sie zur Gewalt kommen, die Königswürde usurpirt. Als der Häuptling von Uyoweh starb, zog Mirambo, das Haupt einer die Wälder von Wilyankuru unsicher machenden Räuberbande, plötzlich in Uyoweh ein und machte sich mit Gewalt zum obersten Herrn. Einige glückliche Kriegszüge, welche er zur Bereicherung aller derer ausführte, die seine Autorität anerkannten, befestigten seine Stellung. Doch war dies nur der Anfang. Er trug den Krieg durch Ugara nach Ukonongo, durch Usagozi an die Grenze von Uvinza, und nachdem er die über drei[S. 258] Breitengrade zerstreute Bevölkerung vernichtet, plante er einen Ausfall gegen Mkasiwa und die Araber, weil sie ihn nicht in seinen ehrgeizigen Plänen gegen ihren Verbündeten und Freund, mit dem sie in Frieden lebten, unterstützen wollten.

Die erste Frevelthat, welche sich dieser verwegene Mann gegen die Araber erlaubte, bestand darin, dass er eine nach Udschidschi bestimmte Karavane aufhielt und von derselben fünf Fässer Schiesspulver, fünf Gewehre und fünf Ballen Tuch verlangte. Diese aussergewöhnliche Forderung wurde, nachdem man mehr als einen Tag im wildesten Streit zugebracht, bezahlt; wenn aber die Araber schon über die ungeheuere Abgabe, die ihnen abverlangt wurde, erstaunten, so waren sie noch mehr entsetzt, als sie den Befehl erhielten, sich wieder auf den Weg zurückzubegeben, auf dem sie hergekommen, und vernahmen, dass keine arabische Karavane mehr durch dieses Land nach Udschidschi ziehen solle, es sei denn über Mirambo’s Leiche.

Bei der Rückkehr der unglücklichen Araber nach Unyanyembé theilten sie diese Thatsachen Scheikh Sayd bin Salim, dem Gouverneur der arabischen Colonie, mit. Dieser alte Mann, der sehr gegen den Krieg war, versuchte natürlich jedes Mittel, Mirambo dazu zu bewegen, sich wie früher mit Geschenken zufrieden zu geben; Mirambo aber war diesmal hartnäckig und fest entschlossen, Krieg zu führen, wenn ihm die Araber nicht in seinen Kriegszügen gegen den alten Mkasiwa, Sultan der Wanyamwezi von Unyanyembé beiständen.

„So stehen die Angelegenheiten jetzt“, sagte Khamis bin Abdullah. „Mirambo sagt, Jahre lang wäre er gegen die benachbarten Waschensi im Kriege gewesen und immer siegreich dabei geblieben. Das jetzige sei ein grosses Jahr für ihn, er wolle die Araber und die Wanyamwezi von Unyanyembé bekämpfen und nicht eher innehalten, bis er alle Araber aus Unyanyembé vertrieben und über dieses Land an Stelle von Mkasiwa herrsche. Kinder von Oman, soll das so sein? Sprich, Salim, Sohn von Sayf, sollen wir diesem Mschensi (Heiden) entgegenziehen oder auf unsere Insel zurückkehren?“

[S. 259]

Ein Beifallsmurmeln folgte der Rede des Khamis bin Abdullah, da die Mehrheit der Anwesenden junge Leute und begierig waren, den frechen Mirambo zu züchtigen. Salim, der Sohn Sayf’s, ein alter Patriarch, der langsam sprach, versuchte die Leidenschaften der jungen Leute, Sprösslinge der Aristokratie von Muscat und Muttrah und Beduinen der Wüste, zu besänftigen. Aber Khamis’ kühne Worte hatten einen zu tiefen Eindruck auf ihre Gemüther gemacht.

Soud, der stattliche Araber, von dem ich schon gesprochen habe als Sohn Sayd’s, des Sohnes Madschid’s, sagte: „Mein Vater pflegte mir zu erzählen, wie er sich der Tage erinnere, da die Araber durch das Land von Bagamoyo bis Udschidschi, von Kilwa bis Lunda, von Usenga bis Uganda nur mit Stöcken bewaffnet ziehen konnten. Jene Tage sind vorüber. Wir haben die Unverschämtheit der Wagogo lange genug geduldet. Swaruru von Usui nimmt uns geradezu ab, was er will; und jetzt haben wir es gar mit Mirambo zu thun, welcher, nachdem er fünf Ballen Tuch als Tribut von einem einzigen Manne abgenommen, uns erklärt, eine arabische Karavane solle nur über seine Leiche nach Udschidschi gelangen können. Sind wir bereit, das Elfenbein von Udschidschi, Urundi, Karagweh oder Uganda um dieses einen Mannes willen aufzugeben? Ich sage, Krieg — Krieg, bis wir seinen Bart unter unsere Füsse getreten, Krieg, bis das ganze Uyoweh und Wilyankuru zerstört ist; Krieg, bis wir wieder durch jeden Theil des Landes nur mit dem Spazierstock in der Hand reisen können!“

Der allgemeine Beifall, welcher der Rede Soud’s folgte, bewies über allen Zweifel, dass wir im Begriff waren, Krieg zu bekommen. Ich dachte an Livingstone. Wenn dieser nun eben jetzt nach dem von Krieg überzogenen Unyanyembé zu marschiren im Begriffe war?

Als ich hörte, dass die Araber die Absicht hatten, den Krieg rasch innerhalb höchstens vierzehn Tagen zu beenden, da Uyoweh nur vier Märsche weit entfernt war, so erbot ich mich freiwillig dazu, sie zu begleiten, meine belasteten Karavanen bis Mfuto mitzunehmen, sie daselbst unter Bedeckung einiger Wachen zu lassen und mit den übrigen und der arabischen Armee weiter zu marschiren.[S. 260] Dann hoffte ich, es würde möglich werden, nach der Besiegung von Mirambo und seiner Waldbanditen — der Ruga-Ruga — eine Expedition auf dem jetzt versperrten Wege direct nach Udschidschi zu führen. Die Araber waren ihres Sieges sehr sicher und ich theilte ihre hoffnungsvolle Ansicht.

Der Kriegsrath wurde aufgehoben. Eine grosse Schüssel Reis und Curry reichlich mit Mandeln, Citronen, Rosinen und Corinthen gemischt, wurde hereingebracht, und es war wunderbar zu sehen, wie bald unsere Kriegslust vergessen war, nachdem unsere Aufmerksamkeit auf dieses vorzügliche Gericht gelenkt worden. Natürlich erhielt ich, als Nicht-Mohammedaner, eine besondere Mahlzeit ähnlicher Art, noch vermehrt durch Schüsseln voll Hühnerbraten, Kabobs, Schmalzkuchen, andern Kuchen, Zuckerbrot, Früchten, Scherbet und Limonade, Gummi-Bonbons und Süssigkeiten aus Muscat, Rosinen, Pflaumen und Nüssen. Ohne Zweifel bewies mir Khamis bin Abdullah, dass er neben seinem Kriegermuth doch auch dem gebildeten Geschmack, den er unter dem Schatten der Mangos auf seines Vaters Gütern auf Zanzibar sich angeeignet hat, sein Recht widerfahren lassen konnte.

Nachdem wir uns an diesen ungewöhnlichen Leckerbissen sehr satt gegessen, begleiteten mich einige der Hauptaraber nach andern Tembés in Tabora. Als wir Mussud bin Abdullah besuchten, zeigte er mir genau den Ort, wo Burton’s und Speke’s Haus gestanden hatte, das jetzt heruntergerissen und an dessen Stelle sein Büreau erbaut worden war. Sny bin Amer’s Haus war auch abgebrochen und auf dessen Platz die jetzt in Unyanyembé moderne Tembé erbaut worden, welche schön geschnittenes Gebälk, grosse geschnitzte Thüren mit Messingklopfern und hohe, schöne Zimmer hatte, ein Haus, das sowol zur Vertheidigung als zur Bequemlichkeit dienen konnte.

Das schönste Haus in Unyanyembé gehört Amram bin Mussud, der 60 Frasileh Elfenbein, d. h. mehr als 3000 Dollars dafür bezahlt hat. Man kann schon sehr schöne Häuser für 20–30 Frasileh Elfenbein haben. Amram’s Haus heisst „Baherein“ („Die beiden Meere“). Es ist 100 Fuss lang,[S. 261] 20 Fuss hoch und hat 4 Fuss dicke, zierlich mit Lehmmörtel beworfene Wände. Die Hauptthür ist ein Wunder von Schnitzarbeit für die Künstler von Unyanyembé. Ebenso ist auch jeder Balken im Hause schön geschnitzt. Vor der Front des Hauses befindet sich eine junge Pflanzung von Granatbäumen, die hier blühen, als ob sie auf heimischem Boden ständen. Ein Schaduf oder Ziehbrunnen, wie man sie am Nil sehen kann, dient dazu, die Gärten zu bewässern.

Gegen Abend gingen wir nach unserm schön gelegenen Tembé in Kwihara zurück, sehr befriedigt durch das, was wir in Tabora gesehen. Meine Leute trieben ein paar Ochsen vor sich her und brachten drei Säcke voll dortigen ausgezeichneten Reis als Gastgeschenk des freigebigen Khamis bin Abdullah heim.

In Unyanyembé fand ich die Livingstone-Karavane, von der meine Leser sich erinnern müssen, dass sie auf das blosse Gerücht hin, der englische „Balyuz“ Kirk käme nach Bagamoyo, erschreckt aufgebrochen war. Da alle Karavanen wegen des in Aussicht stehenden Kriegs jetzt in Unyanyembé hielten, äusserte ich zu Sayd bin Salim, es sei doch wol besser, dass die Leute von der Livingstone-Karavane mit der meinigen in meiner Tembé wohnten, damit ich die Güter des weissen Mannes bewachen könne. Da Dr. Kirk mir niemals dazu Vollmacht ertheilt, die für Livingstone bestimmten Waaren in meine Obhut zu nehmen, so konnte ich natürlich dem Leiter der Karavane keine Befehle geben. Zum Glück war Sayd bin Salim meiner Ansicht, und die Leute und Güter wurden sofort in mein Tembé gebracht.

Eines Tages brachte mir Asmani, der jetzt Führer der Livingstone-Karavane war, da der frühere kurz vorher an den Pocken gestorben, ein Zelt auf die Veranda heraus, in der ich schrieb und zeigte mir ein Briefpacket, das zu meinem Erstaunen die Adresse trug: „An Dr. Livingstone in Udschidschi. 1. November 1870. Recommandirte Briefe.“

Dies war der beste Beweis dafür, dass die Briefe an dem auf dem Beutel angegebenen Datum eingesiegelt worden waren. Vom 1. November 1870 bis zum 10. Februar 1871, gerade 100 Tage, hatten sie in Bagamoyo gelegen! —[S. 262] Eine elende, kleine Karavane von 33 Menschen hatte sich 100 Tage in Bagamoyo, das nur 25 Meilen zu Wasser von Zanzibar entfernt ist, aufgehalten. Armer Livingstone! Wer weiss, ob er nicht gerade wegen des Mangels dieser Vorräthe, die so lange in der bequemen Nähe des britischen Consulats gelegen und jetzt auch in Unyanyembé, Gott weiss wie lange, aufgehalten werden, leidet! Die Karavane kam in Unyanyembé etwas vor Mitte Mai an. Ungefähr in der letzten Hälfte des Mai fand die erste Ruhestörung statt. Wäre diese Karavane bis Mitte März oder selbst April angelangt, so hätte sie ohne Mühe nach Udschidschi weiter reisen können. Ich fragte Asmani: „Wann sahen Sie Dr. Kirk zuletzt?“

„Ungefähr fünf oder sechs Wochen vor dem Ramadan.“

„Wann erhielten Sie dieses Briefpacket?“

„Am Tage ehe ich Zanzibar verliess, um nach Bagamoyo zu gehen.“

„Habt Ihr Dr. Kirk nicht in Bagamoyo gesehen, als er zur Jagd am Kingani kam?“

„Nein, wir hörten, dass er kommen würde, und verliessen Bagamoyo. Darauf erfuhren wir, er sei da gewesen. Zwei Tage jenseits Kikoka hielten wir uns eine Woche auf, um auf die vier Leute der Begleitung zu warten, welche noch nicht von Bagamoyo abgegangen waren.“

Am 7. Juli um 2 Uhr nachmittags sass ich auf dem Burzani, wie gewöhnlich. Ich war in apathischer, niedergeschlagener Stimmung; Schläfrigkeit überfiel mich. Zwar schlief ich nicht ein, doch schien mir alle Kraft aus den Gliedern geschwunden zu sein. Dennoch war das Gehirn beschäftigt; mein ganzes Leben zog im Geiste an mir vorüber. Waren diese Scenen aus meiner Vergangenheit ernst, so sah ich auch ernst aus; waren sie traurig, so weinte ich hysterisch; waren sie freudig, so lachte ich laut auf. In rascher Folge drängten sich Erinnerungen an die schweren Kämpfe und Drangsale eines noch jungen Lebens in meinem Geiste; Ereignisse der Knabenzeit, der Jugend und des Mannesalters; Gefahren, Reisescenen, Freuden und Bekümmernisse, Liebe und Hass, Freundschaften und gleichgültige Verhältnisse gingen wirr durcheinander. Meine Seele folgte[S. 263] den verschiedenen raschen Wechselfällen meines Lebenslaufs. Sie stellte sich die langen Irrfahrten, die krummen Pfade, die ich geführt worden, vor. Wenn ich ihre Contouren auf dem sandigen Boden hingezeichnet hätte, welche Räthsel hätten sich meiner Umgebung geboten und wie einfach und klar waren sie mir!

Die lieblichste Gestalt in diesem Bilde war mir die eines edeln, treuen Mannes, der mich Sohn nannte. Die lebhaftesten Eindrücke hatte ich von meinem Leben in den grossen Fichtenwäldern von Arkansas und Missouri. Die träumerischen Tage, die ich unter den ächzenden Tannen der Ufer des Ouachita verbracht, die neue Lichtung, das Blockhaus, unsere treuen schwarzen Diener, das Bild des Waldes und das prächtige Leben, das ich führte — alles lebte in meiner Erinnerung wieder auf. Ich dachte daran, wie ich eines Tages, nachdem wir in die Nähe des Mississippi gezogen, Hunderte von Meilen mit wilden Gesellen, den riesigen Gestalten der Bootsleute dieses Flusses, hinuntersegelten und wie der liebe alte Mann mich bei meiner Rückkehr begrüsste, als ob ich vom Grabe heimgekehrt. Ich gedachte meiner Fussreisen durch das sonnige Spanien und Frankreich, sowie unzähliger Abenteuer in Klein-Asien unter den kurdischen Nomaden. Es schwebten mir die Schlachtfelder Amerikas und die stürmischen Scenen des tobenden Krieges vor. Goldminen und weite Prairien, Rathsversammlungen von Indianern, und manches Erlebniss in den neuen Ländern im Westen traten mir vor die Seele. Lebhaft erinnerte ich mich des Schreckens, den es mir verursachte, als ich, heimgekehrt aus einem barbarischen Lande, das Unglück erfuhr, das dem lieben Manne, den ich Vater nannte, zugestossen, und des angestrengten, wechselvollen Lebens, das nun folgte. Halt! — Mein Gott, ist das der 21. Juli? — Ja. Shaw theilte mir mit, es sei der 21. Juli, als ich von meinem schrecklichen Fieberanfall genesen. Das wirkliche Datum war der 14.; aber erst als ich mit Dr. Livingstone zusammenkam, entdeckte ich, dass eine Woche übersprungen war. Da erst prüften wir beide das Nautische Jahrbuch, das ich besass, und es stellte sich heraus, dass der Doctor sich um drei Wochen verrechnet und ich gleichfalls zu meinem grossen[S. 264] Erstaunen mich um eine Woche geirrt hatte, und zwar um acht Tage dem wirklichen Datum vorangeeilt war. Der Irrthum entstand dadurch, dass man mir gesagt, ich sei zwei Wochen krank gewesen. Da nun der Tag, wo ich wieder zu mir kam, ein Freitag war und Shaw sowie die übrigen Leute bestimmt glaubten, ich sei zwei Wochen im Bette gewesen, so datirte ich mein Tagebuch vom 21. Juli. Dass auch Shaw sich verrechnet, lässt sich leicht erklären, denn das Fieber war im Begriff, ihm nicht nur das Gedächtniss, sondern sogar den Verstand rasch zu zerstören. Selim hatte mich nach klaren schriftlich aufgesetzten Vorschriften, die ich ihm für einen solchen Fall gegeben, gepflegt. Vorher hatte ich ihn fleissig in der Kenntniss und dem Gebrauch jedes in meinem Kasten befindlichen Arzneimittels unterwiesen. Er theilte mir mit, er habe mich mit Thee und etwas Branntwein ernährt, auch habe mir Shaw drei- bis viermal etwas Sago-Abkochung gegeben. Am zehnten Tage nach dem Anfang meiner Krankheit war ich jedoch wieder ganz wohlauf, musste nun aber Shaw pflegen, welcher erkrankte. Am 22. Juli war Shaw wieder gesund, dagegen legte sich Selim und stöhnte vier Tage lang im Delirium; am 28. Juli jedoch waren wir sämmtlich wieder gesund und freuten uns der Aussicht auf die Abwechselung, die uns ein Marsch gegen Mirambo’s Veste darbieten sollte.

Am Morgen des 29. liess ich 50 Leute mit Zeugballen, Perlen und Draht beladen, die nach Udschidschi bestimmt waren. Als ich ausserhalb des Tembé Musterung über sie abhielt, fehlte blos Bombay. Während einige Leute fortgingen, ihn aufzusuchen, begaben sich andere weg, um noch einen Blick und einen Kuss von ihren schwarzen Delilas zu erhalten. Man fand Bombay ungefähr um 2 Uhr nachmittags; sein Gesicht drückte deutlich widerstreitende Leidenschaften aus, die ihn heimsuchten, — Schmerz über die Trennung von den Fleischtöpfen Unyanyembés, — Bedauern darüber, dass er seine Dulcinea von Tabora verlassen und alle Genüsse aufgeben müsse, — die Aussicht auf anstrengende, lange Märsche, — auf Krieg und vielleicht — den Tod. Es war daher kein Wunder, dass Bombay, voll derartiger Empfindungen, sich widerspenstig zeigte, als ich ihn[S. 265] an seine Stelle hinwies, und ich selbst war in einer furchtbar schlechten Gemüthsverfassung, da ich von 8 Uhr morgens bis 2 Uhr nachmittags auf ihn zu warten gehabt hatte. Ein Wort und ein wüthender Blick, und heraus fuhr mein Stock auf Bombay’s Schulter, als ob es jetzt mit ihm zu Ende gehen sollte. Ich glaube, dass die gewaltige Wuth meines Zuschlagens seinen Eigensinn rascher brach, als irgend sonst etwas, denn ehe ich ihm ein Dutzend Streiche beigebracht, flehte er um Pardon. Bei diesem Worte hörte ich auf ihn zu bearbeiten, denn es war das erste mal, dass er es gesprochen. Bombay war also schliesslich besiegt.

„Marsch!“ — Den Führer voran, zogen die 49 Mann ihm in feierlicher Ordnung nach, jeder eine schwere Last afrikanischer Tauschwerthe, sowie Flinte, Beil, Munitionsvorrath und Ugalitopf tragend. Wir boten einen grossartigen Anblick dar, wie wir in Stille und Ordnung mit fliegenden Fahnen abmarschirten, und die rothen wollenen Gewänder der Leute im ziemlich starken, uns gerade in die Flanke wehenden Nordost nachflatterten.

Auch schienen die Leute es zu wissen, dass sie nach etwas aussahen, denn ich bemerkte, wie mehrere von ihnen eine martialischere Haltung annahmen, als sie ihr vorzügliches Dschohotuch im Nacken vor dem Winde herfliegen fühlten. Maganga, ein grosser Mnyamwezi, stolzirte daher wie ein Goliath, der im Begriff ist, Mirambo und seine tausend Krieger ganz allein zu bekämpfen. Der muntere Khamisi ging einem Löwen gleich unter seiner Last einher, und der rohe Spassmacher, der unverbesserliche Ulimengo, nahm den leisen Tritt einer Katze an. Sie konnten jedoch nicht lange still bleiben, dazu war ihre Eitelkeit zu sehr angeregt, die rothen Mäntel tanzten beständig vor ihren Augen, und es wäre ein Wunder gewesen, wenn sie ein ernstes oder gar unzufriedenes Gebahren länger als eine halbe Stunde hätten beibehalten können.

Ulimengo brach das Schweigen zuerst. Er hatte sich zum Kirangozi oder Führer gemacht und war Träger der amerikanischen Flagge, von der die Leute meinten, dass sie sicherlich Schrecken in das Herz des Feindes tragen werde. Plötzlich wurde aus seinem Selbstvertrauen Tapferkeit und[S. 266] Uebermuth; er blickte die Armee, die er führte, an und schrie: „Hoy! Hoy!“, worauf der Chor ebenso antwortete: „Hoy! Hoy!“ Dieses „Hoy! Hoy!“ wiederholte sich dann abwechselnd noch mehrfach.

„Wo zieht Ihr hin?“

Chor: „Wir ziehen in den Krieg.“

„Gegen wen?“

Chor: „Gegen Mirambo.“

„Wer ist Euer Herr?“

Chor: „Der weisse Mann.“

„Uff, Uff!“

Chor: „Uff, Uff!“

„Hyah! Hyah!“

Chor: „Hyah! Hyah!“

Diesen lächerlichen Gesang stimmten sie ohne Unterbrechung den ganzen Tag an.

Am ersten Tag campirten wir in Bomboma’s Dorfe, das eine Meile südwestlich von der natürlichen Bergveste Zimbili liegt. Bombay hatte sich ganz von seinen Prügeln erholt und war die grämlichen Gedanken, die meinen Zorn erregt, losgeworden. Da nun die Leute sich so gut betragen, liess ich einen fünf Gallonen haltenden Topf mit Pombé bringen, um die Tapferkeit, von der sie alle beseelt waren, noch weiter anzuspornen.

Am zweiten Tage kamen wir in Masangi an. Bald darauf besuchte mich Soud, der Sohn von Sayd bin Madschid, und theilte mir mit, die Araber warteten auf mich und wollten nicht nach Mfuto marschiren, bis ich angekommen sei.

Nach einem sechsstündigen Marsch, am dritten Tage nachdem wir Unyanyembé verlassen, wurde Ost-Mfuto erreicht. Hier erkrankte Shaw, legte sich auf die Strasse und erklärte, er müsse sterben. Diese Nachricht wurde mir ungefähr um 4 Uhr nachmittags durch einen der Nachzügler überbracht. Ich musste also Leute abschicken und ihn zu mir ins Lager bringen lassen, obgleich ein jeder nach dem langen Marsche recht ermüdet war. Eine Belohnung spornte ein Halbdutzend an, gerade zur Dämmerung sich in den Wald zu wagen, um Shaw aufzusuchen, von dem man[S. 267] annahm, dass er wenigstens drei Stunden vom Lagen entfernt sei.

Etwa um 2 Uhr morgens kamen meine Leute mit ihm zurück, nachdem sie ihn das ganze Stück auf dem Rücken getragen hatten. Ich wurde aufgeweckt und liess ihn in mein Zelt bringen, untersuchte ihn und überzeugte mich, dass er durchaus kein Fieber habe. Auf meine Frage, wie er sich befände, erwiderte er, er könne weder gehen noch reiten, fühle sich so ungemein schwach und matt, dass er unfähig sei, sich weiter zu bewegen. Nachdem ich ihm ein Glas Portwein in einem Napf Sagogrütze gegeben hatte, schliefen wir beide ein.

Am nächsten Morgen in der Frühe kamen wir in Mfuto, dem Stelldichein der arabischen Armee, an. Für den nächsten Tag war ein Halt anbefohlen, damit wir uns an den Ochsen, deren wir viele geschlachtet, stärken könnten.

Unsere Armee bestand aus folgendem Personal:

Scheikh Sayd bin Salim
 25
Halbblutleute
Khamis bin Abdullah
250
Sklaven
Thani bin Abdullah
 80
Mussud bin Abdullah
 75
Abdullah bin Mussud
 80
Ali bin Sayd bin Nasib
250
Scheikh
Nasur bin Mussud
 50
Hamed Kimiani
 70
Hamdam
 30
Sayd bin Habib
 50
Salim bin Sayf
100
Sunguru
 25
Sarboko
 25
Soud bin Sayd bin Madschid
 50
Mohammed bin Mussud
 30
Sayd bin Hamed
 90
Die Herald-Expedition
 50
Soldaten
Mkasiwa’s Wanyamwezi
800
Halbblutleute und Wangwana
125
Unabhängige Häuptlinge und deren Leute
300

Das machte zusammen 2255 Menschen nach den mir von[S. 268] Thani bin Abdullah gegebenen und von einem von Scheikh bin Nasib besoldeten Belutsch bestätigten Zahlen. Von diesen Leuten waren 1500 mit Flinten und Feuerschlossmusketen, deutschen und französischen Doppelflinten, einigen englischen Enfield- und amerikanischen Springfieldgewehren bewaffnet. Ausserdem hatten sie meist Speere und lange Messer, um die Todten enthaupten und aus Rache verstümmeln zu können. Pulver und Kugeln waren reichlich vorhanden; einige der Leute hatten je hundert Schuss und von meinen Leuten erhielt jeder sechzig.

Als wir hinauszogen aus der Veste Mfuto, mit fliegenden Bannern, welche die verschiedenen Befehlshaber bezeichneten, mit schallenden Hörnern und fünfzig lärmenden Basstrommeln oder Gomas, unter reichlichen Segnungen der Mollahs und glücklichen Prophezeiungen der Wahrsager und Korandeuter, — wer hätte da vorhersagen können, dass diese grosse Macht noch ehe eine Woche verflossen in dieselbe Veste Mfuto vollständig entmuthigt und demoralisirt so rasch wie möglich zurückkehren würde?

Das Datum, an dem wir Mfuto verliessen, um in den Krieg mit Mirambo zu ziehen, war der 3. August. Alle meine Güter waren in Mfuto aufgespeichert und fertig, um nach Udschidschi transportirt zu werden, sobald wir über den afrikanischen Häuptling gesiegt haben oder wenigstens für alle Fälle gesichert sein würden.

Lange ehe wir Umanda erreichten, befand ich mich in meiner Hängematte von wüthenden Wechselfieberanfällen heimgesucht, die erst spät in der Nacht aufhörten.

In dem sechs Stunden von Mfuto entfernt liegenden Umanda beschmierten sich die Krieger mit der Medizin, welche die Weisen für sie fabrizirt hatten und die aus einer Mischung von Matama-Mehl und dem Saft eines Krautes bestand, dessen Eigenschaften nur den Waganga der Wanyamwezi bekannt sind.

Am 4. August um 6 Uhr morgens waren wir wiederum marschfertig; vorher wurde jedoch das „Manneno“ oder die Rede von dem Redner der Wanyamwezi gehalten:

ANGRIFF AUF MIRAMBO.

„Worte, Worte, Worte! Hört, Ihr Söhne von Mkasiwa, Ihr Kinder von Unyamwezi! Der Marsch liegt vor Euch,[S. 269] die Diebe des Waldes erwarten Euch. Ja, sie sind Diebe, denn sie plündern Euere Karavanen, sie stehlen Euer Elfenbein, sie morden Euere Frauen. Sieh da, die Araber sind bei Euch, die El Wali des arabischen Sultans, und der weisse Mann sind bei Euch. Geht hin, der Sohn von Mkasiwa ist bei Euch! Kämpft, tödtet, macht Sklaven, nehmt Tuch, nehmt Vieh, tödtet es, esst es und macht Euch satt. Geht!“

Lautes, wildes Geschrei folgte dieser kühnen Anrede. Die Thore des Dorfes wurden geöffnet und blau, roth und weiss gekleidete Soldaten stürzten hinaus wie Gymnasten und feuerten ihre Flinten beständig ab, um sich durch den Lärm zu ermuthigen oder Schrecken in das Herz derer zu jagen, die uns in dem stark umhegten Zimbizo, der Ortschaft des Sultans Kolongo, erwarteten.

Da Zimbizo nur fünf Stunden von Umanda entfernt ist, kamen wir um 11 Uhr in Sicht desselben. Wir hielten am Rande des bebauten Landes, welches dasselbe sammt seinen Nachbardörfern umgibt, im Schatten des Waldes. Strenger Befehl war von den verschiedenen Häuptlingen ertheilt worden, nicht eher zu feuern, als bis sie in Schussweite von der Boma entfernt seien.

Khamis bin Abdullah schlich durch den Wald nach dem Westen des Dorfes. Die Wanyamwezi nahmen ihre Stellung vor dem Hauptthore und wurden von den Truppen von Soud, dem Sohn Sayd’s, auf der Rechten und dem Sohn von Habib auf der Linken unterstützt. Abdullah, Mussud, ich selbst und andere trafen Vorbereitungen, die Ostpforte anzugreifen, wodurch das ganze Dorf, mit einziger Ausnahme der Nordseite, wirksam eingeschlossen war.

Plötzlich wurde ein Gewehrfeuer auf uns eröffnet, während wir aus dem längs des Weges nach Unyanyembé sich hinziehenden Walde herauskamen, in der Richtung, wo man den Anblick des Feindes erwartet hatte, und sofort begannen die Angriffstruppen in prächtigster Weise darauf loszufeuern. Es kamen zwar einige lächerliche Scenen vor, wo Leute sich anstellten, als ob sie feuerten, dann aber mit der Behendigkeit hüpfender Frösche auf die Seite, vor-[S. 270] oder rückwärts sprangen. Die Schlacht wurde jedoch darum nicht weniger im Ernst geliefert. Die Hinterlader meiner Leute verschlangen meine Metallpatronen viel schneller, als ich es gern sah; zum Glück jedoch liess das Feuern nach und lustig stürzten wir vom Westen, Süden, Norden ins Dorf, durch Thore und über hohe Umzäumungen, die es umgaben. Die armen Bewohner flohen aus dem Gehege durch die nördliche Pforte ins Gebirge, von den raschesten Läufern unserer Truppe verfolgt und von hinten mit Kugeln aus den Hinterladern und Jagdflinten beschossen.

Das Dorf war stark vertheidigt, und es fanden sich nicht mehr als 20 Leichname darin, da die feste, dicke Holzumzäumung eine vortreffliche Schutzwehr gegen unsere Kugeln gebildet hatte.

Von Zimbizo zogen wir, nachdem wir eine hinreichende Truppenmacht daselbst zurückgelassen, weiter und hatten in einer Stunde die Umgebung vom Feinde gesäubert und noch zwei Dörfer genommen, die geplündert und den Flammen übergeben wurden. Einige Elfenbeinzähne und etwa 50 Sklaven, sowie eine Masse Korn bildete die Beute, welche den Arabern zufiel.

Am 5. durchstreifte eine Abtheilung Araber und Sklaven, in Stärke von 700 Mann, die Umgegend und trug Feuer und Verwüstung bis in das Boma von Wilyankuru hin.

Am 6. führte Soud bin Sayd und etwa zwanzig junge Araber eine Truppe von 500 Mann gegen Wilyankuru selbst, wo man annahm, dass Mirambo sich aufhalte. Eine andere Abtheilung zog in die niedrigen von Wald bestandenen Berge, die etwas nördlich von Zimbizo liegen, wo sie einen jungen Walddieb im Schlaf überraschten, dem sie den Kopf vollständig umdrehten und darauf abschnitten. Eine dritte Abtheilung machte sich nach Süden auf und brachte einem Theil von Mirambo’s Buschräubern eine Niederlage bei, wie wir gegen Mittag erfuhren.

Am Morgen war ich nach Sayd bin Salim’s Tembé gegangen, um ihm vorzustellen, wie nöthig es sei, das lange Gras im Walde von Zimbizo niederzubrennen, da es doch vielleicht Feinde verbergen könne. Bald darauf jedoch bekam ich einen Anfall von Wechselfieber, der mich niederwarf[S. 271] und nöthigte, mich in mein Lager zu begeben und in wollene Decken zu hüllen, um zu schwitzen, was ich aber nicht eher that, als bis ich Shaw und Bombay verboten, irgendeinen meiner Leute aus dem Lager zu lassen. Ich hörte jedoch bald darauf von Selim, dass mehr als die Hälfte derselben ausgezogen war, um mit Soud bin Sayd Wilyankuru anzugreifen.

Etwa um 6 Uhr abends wurde das ganze Lager von Zimbizo von der Nachricht erschreckt, dass alle Araber, die Soud bin Sayd begleitet, getödtet und mehr als die Hälfte seiner Mannschaft erschlagen worden seien. Einige meiner Leute kehrten zurück, und von ihnen erfuhr ich, dass Uledi, der frühere Diener Grant’s, Mabruki Khatálabu (der Vatermörder), Mabruki (der Kleine), Baruti von Useguhha und Ferahan gefallen seien. Auch erzählten sie mir, es sei ihnen gelungen, Wilyankuru in kurzer Zeit zu nehmen; Mirambo und sein Sohn seien dagewesen; ersterer habe aber, nachdem sie eingezogen, seine Leute versammelt und das Dorf verlassen. Hierauf habe er sich in das Gras zu beiden Seiten des Weges zwischen Wilyankuru und Zimbizo in den Hinterhalt gelegt und die Angreifer, als sie mit mehr denn 100 Elfenbeinzähnen, 60 Ballen Zeug und 2 bis 300 Sklaven auf dem Heimwege gewesen, plötzlich auf beiden Seiten angegriffen und mit den Speeren niedergemacht. Der tapfere Soud habe seine doppelläufige Flinte abgeschossen und damit zwei Leute getödtet; wie er aber eben im Begriff gewesen, abermals zu laden, habe ihn ein Speer getroffen und durchbohrt. Alle übrigen Araber hätten dasselbe Schicksal erlitten. Dieser plötzliche Angriff eines Feindes, den man für besiegt gehalten, hatte die Mannschaft so demoralisirt, dass sie ihre Beute im Stich liess und insgesammt davonlief. Erst nachdem die Leute einen weiten Umweg durch die Wälder gemacht, kehrten sie nach Zimbizo zurück, um ihre traurige Geschichte zu erzählen.

Die Wirkung dieser Niederlage ist gar nicht zu beschreiben. Es war unmöglich, vor dem Geschrei der Weiber, deren Männer gefallen waren, zu schlafen. Die ganze Nacht heulten und wehklagten sie, und dazwischen hörte[S. 272] man das Stöhnen der Verwundeten, denen es gelungen war, vom Feinde unbemerkt durch das Gras davon zu schleichen. Neue Flüchtlinge kamen während der ganzen Nacht beständig an; von keinem meiner Leute aber, die todt gesagt waren, wurde je wieder etwas gehört.

Am 7. zogen wir uns traurig und mistrauisch zurück; die Araber beschuldigten sich gegenseitig, dass sie den Krieg angefangen, ohne vorher alle friedlichen Mittel erschöpft zu haben. Stürmische Kriegsversammlungen fanden statt, worin einige den Vorschlag machten, sofort nach Unyanyembé zurückzukehren und in den Häusern zu bleiben. Khamis bin Abdullah tobte als beschimpfter Fürst gegen die elende Feigheit seiner Landsleute los. Diese stürmischen Versammlungen und Vorschläge zum Rückzug wurden alsbald im ganzen Lager bekannt und trugen mehr als irgendetwas anderes dazu bei, die verbündeten Truppen der Wanyamwezi und Sklaven vollständig zu demoralisiren. Ich sandte Bombay zu Sayd bin Salim mit dem Rath, nicht an einen Rückzug zu denken, da dies nur Mirambo ermuthigen würde, den Kriegsschauplatz nach Unyanyembé zu verlegen.

Nachdem ich Bombay mit dieser Botschaft abgeschickt, schlief ich ein, wurde aber ungefähr um ½2 Uhr nachmittags von Selim mit den Worten aufgeweckt: „Herr, stehen Sie auf; alles läuft fort und Khamis bin Abdullah zieht selbst auch davon.“

Mit Hülfe von Selim kleidete ich mich an und wankte zur Thür. Mein erster Anblick war der, wie Thani bin Abdullah fortgeschleppt wurde. Als er mich erblickte, rief er: „Bana, rasch, Mirambo kommt!“ Dann machte er sich ans Laufen und zog sich seine Jacke an, während ihm die Augen vor Schrecken fast aus den Augenhöhlen zu treten schienen. Khamis bin Abdullah war auch im Begriff, als letzter Araber abzuziehen. Zwei meiner Leute wollten ihm eben folgen; doch gab ich Selim den Befehl, diese mit einem Revolver zum Bleiben zu zwingen. Shaw sattelte seinen Esel mit meinem Sattel, in der Absicht, mich zu verlassen und der Barmherzigkeit Mirambo’s anheimzugeben. Es blieben mir nur Bombay, Mabruki-Speke und Dschanda, welcher sein Mittagessen mit Gemüthsruhe verzehrte, Mabruk[S. 273] Unyanyembé, Mtamani, Dschuma und Sarmian, also nur sieben von fünfzig. Alle andern waren weggelaufen und jetzt schon über alle Berge, ausser Uledi (Manwa Sera) und Zaidi, welche Selim mit dem geladenen Revolver zurückgebracht hatte. Selim erhielt nun den Befehl, meinen Esel zu satteln, und Bombay musste Shaw beim Satteln des seinigen behülflich sein. In wenigen Augenblicken befanden wir uns auf dem Wege, wobei die Leute sich immer nach dem verfolgenden Feinde umsahen und die Esel mit Erfolg tüchtig antrieben, denn diese gingen im scharfen Trabe, was mir grosse Schmerzen verursachte. Gern hätte ich mich hingelegt, um zu sterben, das Leben hatte aber doch noch Reiz für mich und ich hatte noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, meine Mission glücklich zu Ende führen zu können. Mein Geist war lebhaft mit allerlei Plänen beschäftigt während der langen, einsamen Nachtstunden, die wir dazu brauchten, um Mfuto zu erreichen, wohin die Araber sich zurückgezogen. In dieser Nacht fiel Shaw von seinem Esel und wollte nicht aufstehen, obgleich wir ihn dringend darum baten. Da ich selbst nicht verzweifelte, so wünschte ich auch nicht, dass Shaw alle Hoffnung aufgeben solle. Er wurde also wieder auf sein Thier gehoben und je ein Mann ihm zur Seite gestellt, um ihn zu unterstützen. So ritten wir durch die Dunkelheit. Um Mitternacht erreichten wir Mfuto sicher und wurden sofort in das Dorf hineingelassen, aus dem wir so tapfer hinausgezogen und in das wir so schmachbeladen zurückkehrten.

Ich fand, dass alle meine Leute vor Eintritt der Dunkelheit hier angekommen waren. Ulimengo, der kühne Führer, der über seine Waffen und unsere Streitmacht so sehr gefrohlockt hatte und des Sieges so gewiss gewesen war, hatte den elfstündigen Marsch in sechs Stunden zurückgelegt. Der stämmige Tschaupereh, den ich als den getreuesten meiner Leute betrachtete, war nur eine halbe Stunde nach Ulimengo angekommen, und der muntere Khamisi, der Geck, Redner und wilde Demagoge, war als dritter dagewesen. Speke’s „Getreue“ hatten sich ebenso feige bewiesen, wie irgendein anderer armer Neger. Nur Selim, der junge Araber aus Jerusalem, war tapfer und treu gewesen.[S. 274] Denn Shaw, obwol geborener Europäer, hatte sich als eine mindestens ebenso niedrige, gemeine Seele wie irgendein Neger, wenn nicht noch schlimmer gezeigt.

Ich fragte Selim: „Warum bist Du nicht auch fortgelaufen und hast Deinen Herrn dem Tode überlassen?“

„O“, sagte der junge Araber naiv, „ich fürchtete, dass Sie mich peitschen würden.“

[6] Es gibt keinen Ort, der Kazeh heisst.

[S. 275]

GRUPPE VON WANYAMWEZI.

NEUNTES KAPITEL.
DAS LEBEN IN UNYANYEMBÉ. (Fortsetzung.)

Die Araber ziehen sich nach Tabora zurück. — Ich ziehe weiter. — Ankunft in Kwihara. — Ich versuche eine andere Route. — Meine Lage wird sehr ernst. — Farquhar’s Tod wird berichtet. — Niederlage der Araber in Tabora. — Tod des Khamis bin Abdullah. — Tabora in Flammen. — Vorbereitungen zur Vertheidigung. — Der philosophische Scheikh bin Nasib. — Ich entschliesse mich, eine fliegende Karavane nach Udschidschi zu führen. — Tod des Baruti. — Meine Leute verlieren den Muth. — Der kleine Bursche Kalulu. — Taufe desselben. — Mirambo greift Mfuto an und wird zurückgeschlagen. — Selim im Fieber-Delirium. — Zwei Führer: Asmani und Mabruki. — Mein Entschluss, Livingstone bestimmt aufzufinden.

Es fiel den arabischen Grössen nicht ein, dass ich Ursache habe, mich über sie zu beklagen, dass ich ein Recht habe, mich durch ihre schnöde Desertion verletzt zu fühlen;[S. 276] ich, der ich aus Freundschaftspflicht zu ihren Gunsten zu den Waffen gegriffen. Am nächsten Morgen nach dem Rückzuge liessen sie mir ihre Salaams zutheil werden, als ob gar nichts passirt sei, das die guten Beziehungen zwischen uns gestört haben könnte.

Kaum hatten sie aber Platz genommen, als ich ihnen erklärte, sie möchten, da der Krieg nur zwischen ihnen und Mirambo ausgebrochen sei und wol bedeutend mehr Zeit in Anspruch nehmen werde, als ich daran wenden könne, namentlich wenn sie nach jedem kleinen Unfall weglaufen wollten, mich, nachdem sie ihre Verwundeten und Kranken auf dem Felde sich selbst überlassen, nicht mehr als Verbündeten ansehen. „Ich bin überzeugt“, sagte ich, „nachdem ich Euere Art zu kämpfen angesehen, dass der Krieg nicht in so kurzer Zeit beendet sein wird, als Ihr es glaubt. Es hat Euch, wie ich höre, fünf Jahre gekostet, Manwa Sera zu besiegen und zu tödten, und Ihr werdet gewiss Mirambo nicht in weniger als einem Jahre überwältigen. Ich bin als Weisser an eine andere Art der Kriegführung gewöhnt und verstehe etwas vom Kämpfen, habe aber noch nie Leute aus einem Lager wie das unsrige in Zimbizo aus einem so geringfügigen Grunde, wie bei Euch, weglaufen sehen. Dadurch habt Ihr Mirambo aufgefordert, Euch nach Unyanyembé zu folgen, und Ihr könnt Euch darauf verlassen, er wird es thun.“

Die Araber versicherten einer nach dem andern, sie hätten nicht die Absicht gehabt, mich zu verlassen; die Wanyamwezi von Mkasiwa aber hätten geschrien, der Musungu sei fort, und dieses Geschrei hätte einen panischen Schrecken unter ihren Leuten hervorgerufen, der sich nicht habe aufhalten lassen.

Später an demselben Tage setzten die Araber ihren Rückzug bis Tabora fort, welches 22 Meilen von Mfuto entfernt ist. Ich beschloss, langsamer zu reisen, und am zweiten Tage nach der Flucht von Zimbizo marschirte meine Expedition mit allen Vorräthen zurück nach Masangi, und erst am dritten nach Kwihara.

Die hier folgenden Auszüge aus meinem Tagebuche werden am besten die Gefühle und Gedanken an den Tag[S. 277] legen, die mich um diese Zeit, nach unserer schmachvollen Flucht, bewegten.

Kwihara, Freitag, 11. August 1871. Heute aus Zimbili, dem Dorfe Bomboma’s, angekommen. Ich bin ganz enttäuscht und fast entmuthigt, habe aber einen Trost: ich habe den Arabern gegenüber meine Pflicht gethan und zwar weil ich glaubte, dass ich es ihnen wegen der Güte, mit der sie mich empfangen, schuldig sei. Jetzt jedoch habe ich meine Schuld abgetragen und fühle mich wieder frei, kann wieder meinen eigenen Weg gehen. Ich freue mich aus mehrfachen Gründen, dass ich meine Schuld mit so geringen Opfern losgeworden. Hätte ich mein Leben bei diesem Unternehmen eingebüsst, so wäre das nur eine gerechte Strafe gewesen. Aber ausser meiner Verpflichtung gegen die Araber lag die Nothwendigkeit vor, alles zu versuchen, um Livingstone rasch zu erreichen. Dieser Weg, den der Krieg mit Mirambo versperrt, führt von hier in einem Monate nach Udschidschi, und wenn er durch meine Beihülfe rascher als ohne dieselbe wieder frei werden konnte, warum sollte ich sie verweigern? Zum zweiten male ist der Versuch gemacht worden, nach Udschidschi zu kommen und — beide sind fehlgeschlagen. Jetzt werde ich einen andern Weg versuchen, denn durch den Norden hinzuziehen würde Thorheit sein. Mirambo’s Mutter und Volk und die Wasui liegen zwischen mir und Udschidschi, ganz abgesehen von den Watuta, die seine Verbündeten und Räuber sind. Die südliche Route scheint mir die praktischere zu sein. Zwar wissen nur wenige Menschen etwas von dem Lande im Süden und die, welche ich darum befragt habe, sprechen von Wassermangel und räuberischen Wazavira als ernstlichen Hindernissen, sowie dass es dort nur wenige Ansiedlungen gibt und diese weit auseinanderliegen.

Ehe ich es aber wagen kann, diese neue Route einzuschlagen, muss ich mir neue Leute miethen, da die, welche ich nach Mfuto mitgenommen, ihre Verpflichtung als erloschen ansehen und der Tod von fünf Kameraden ihre Reiselust etwas gedämpft hat. Es ist unnütz zu hoffen, dass ich Wanyamwezi bekommen werde, denn es ist gegen ihre[S. 278] Gewohnheit, Karavanen während Kriegszeiten als Lastträger zu begleiten. Daher ist meine Lage eine sehr ernste und ich hätte Entschuldigung genug, nach der Küste zurückzukehren, aber mein Gewissen gestattet mir dies nicht, nachdem ich so viel Geld ausgegeben und man so grosses Vertrauen auf mich gesetzt hat. Fürwahr, ich fühle es, dass ich lieber sterben als zurückkehren muss.

Sonnabend, 12. August. Meine Leute sind, wie ich vorausgesehen, fortgelaufen. Sie behaupteten, ich hätte sie gemiethet, um über Mirambo’s Weg nach Udschidschi zu gehen. Jetzt habe ich nur 13 übrig. Wohin kann ich mit diesem kleinen Trupp gehen? Mehr als 100 Lasten habe ich in meiner Vorrathskammer. Livingstone’s Karavane ist auch hier; seine Güter bestehen aus 17 Ballen Tuch, 12 Kisten und 6 Beuteln Perlen. Seine Leute schwelgen hier im besten, was das Land nur bietet.

Wenn Livingstone in Udschidschi ist, so ist er jetzt wegen Mangel an Subsistenzmitteln ausser Stande, fortzuziehen. Auch ich kann mich als in Unyanyembé eingeschlossen ansehen und werde wol kaum nach Udschidschi gehen können, bis der Krieg mit Mirambo vorüber ist. Livingstone kann seine Waaren nicht bekommen, denn sie sind hier bei mir. Nach Zanzibar kann er auch nicht zurückkehren und der Weg nach dem Nil ist ihm ebenfalls versperrt. Zwar könnte er vielleicht, wenn er Leute und Vorräthe hat, Baker erreichen, indem er nach Norden durch Urundi, Ruanda, Karagwah, Uganda, Unyoro und Ubari nach Gondokoro zieht. Pagazi kann er aber nicht bekommen, denn die Quellen, aus denen man sie bezieht, sind verstopft. Es ist durchaus falsch, anzunehmen, Livingstone könne, trotz aller seiner Energie, ohne Begleitung und einen ausreichenden Vorrath von marktüblichem Zeug und Perlen durch Afrika reisen.

Heute erzählte mir ein Mann, Livingstone sei, als er vom See Nyassa nach dem Tanganika reiste (gerade zur Zeit, wo man ihn für ermordet hielt), mit Sayd bin Omar’s Karavane zusammengetroffen, die nach Ulamba zog. Damals reiste er mit Mohammed bin Gharib. Dieser Araber, der von Urungu kam, sah Livingstone in Tschi-cumbi’s- oder[S. 279] Kwa-tschi-kumbi’s Lande und reiste mit ihm später, wie ich höre, nach Manyuema oder Manyema. Manyema liegt 40 Märsche nördlich vom Nyassa. Livingstone ging damals zu Fuss und war in amerikanischer Leinwand gekleidet. Er hatte all sein Tuch im See Liemba verloren, als er in einem Boot über denselben setzte. Damals hatte er drei Nachen bei sich. In dem einen befand sich sein Tuch, im andern seine Kisten und einige Mannschaft, ins dritte war er selbst mit zwei Dienern und zwei Fischern gestiegen. Das Boot mit dem Tuch schlug um. Von Nyassa ging Livingstone nach Ubissa, von dort nach Uemba und von da nach Urungu. Er trug eine Mütze, hatte einen doppelläufigen gezogenen Hinterlader bei sich, für Sprengkugeln eingerichtet. Auch war er mit zwei Revolvern bewaffnet. Die Wahiyau, welche bei Livingstone waren, hatten diesem Manne erzählt, ihr Herr habe viele Leute bei sich gehabt, mehrere davon seien ihm aber desertirt.

13. August. Heute kam eine Karavane von der Seeküste an. Sie berichtete, dass William Lawrence Farquhar, den ich in Mpwapwa in Usagara krank zurückgelassen hatte, und sein Koch gestorben seien. Farquhar sei einige Tage, nachdem ich in Ugogo eingezogen, gestorben, sein Koch ein paar Wochen später. Mein erster Impuls war der Gedanke an Rache. Ich glaubte nämlich, dass Leukole falsch gegen mich gehandelt und ihn vergiftet habe oder dass er sonst irgendwie ermordet worden sei. Eine persönliche Unterredung mit dem Mswahili jedoch, der mir die Nachricht überbrachte und erzählte, Farquhar sei seiner schrecklichen Krankheit erlegen, befreite mich von diesem Verdacht. Soweit ich ihn verstehen konnte, hätte Farquhar an dem Morgen des Tages sich für wohl genug gehalten, weiterzuziehen, war aber beim Versuche aufzustehen, zurückgefallen und gestorben. Auch erfuhr ich, dass die Wasagara, da sie manche abergläubische Ansichten in Bezug auf die Todten haben, Dschako beauftragt hätten, den Körper zur Beerdigung hinauszuschaffen und dass dieser, ausser Stande, ihn zu tragen, ihn in ein Dickicht geschleppt und daselbst, ohne ihn mit Erde oder sonstwie zuzudecken, nackt hätte liegen lassen.

[S. 280]

„Da ist also einer von uns dahin, mein lieber Shaw! Wer wird wol der nächste sein?“ sagte ich an dem Abend zu meinem Gefährten.

14. August. Einige Briefe nach Zanzibar geschrieben. Shaw wurde gestern Abend sehr krank. Ob es Fieber ist oder was sonst, weiss ich nicht. Ich glaube nicht, dass es Fieber ist. Ich fürchte, es ist eine durch Ansteckung zugezogene Krankheit. Ich habe keine Arzneien dafür; daher habe ich drei Soldaten nach Zanzibar geschickt, nachdem ich ihnen je 50 Dollars versprochen, damit sie sich recht beeilten.

19. August, Sonnabend. Meine Soldaten sind damit beschäftigt, Perlen aufzureihen. Shaw liegt noch zu Bett. Wir hören, dass Mirambo im Begriff ist, gegen Unyanyembé zu ziehen. Eine Abtheilung Araber ist mit ihren Sklaven heute Morgen ausgezogen, um sich des Pulvers zu bemächtigen, das der gefürchtete Scheikh Sayd bin Salim, der Oberbefehlshaber der arabischen Ansiedlungen, dort gelassen hat.

21. August, Montag. Shaw noch krank. 100 Fundo Perlen sind aufgezogen. Die Araber bereiten sich auf einen neuen Ausfall gegen Mirambo vor. Heute Morgen hat Sayd bin Salim geleugnet, dass Mirambo gegen Unyanyembé vorgeht.

22. August. Als wir heute Morgen Perlen aufreihten, hörten wir ungefähr um 10 Uhr ein beständiges Feuern aus der Gegend von Tabora. Wir stürzten von unserer Arbeit an die Vorderthür, von wo aus man nach Tabora sieht und hörten deutlich bedeutendes Kleingewehrfeuer und zerstreutes Schiessen. Als ich auf das Dach meiner Tembé stieg, sah ich mit meinen Gläsern den Rauch der Flinten. Einige meiner Leute, die ich ausschickte, um die Ursache zu ermitteln, kamen mit der Nachricht zurück, Mirambo habe Tabora mit mehr als 2000 Mann angegriffen und eine Schar von mehr als 1000 Watuta, die sich mit ihm des Raubes wegen verbündet, habe plötzlich Tabora auch von andern Seiten angegriffen.

Später am Tage, ungefähr gegen Mittag, sahen wir, als wir den niedrigen Sattel, über welchem man Tabora[S. 281] erblicken kann, beobachteten, denselben von Flüchtlingen aus jener Colonie dicht besetzt, die zu uns nach Kwihara um Schutz flohen. Von diesen Leuten erhielten wir die traurige Nachricht, dass der edle Khamis bin Abdullah, sein kleiner Schützling Khamis, Mohammed bin Abdullah, Ibrahim bin Raschid und Sayf, der Sohn Ali’s, des Sohnes von Scheikh, des Sohnes von Nasib, erschlagen worden seien.

Als ich mich nach den Einzelheiten des Angriffs und der Todesart dieser Araber erkundigte, hörte ich, Khamis bin Abdullah sei nebst einigen gerade bei ihm anwesenden Hauptarabern nach dem ersten Feuer, das die Einwohner von Tabora von dem feindlichen Ueberfalle benachrichtigte, auf das Dach seines Tembé gestiegen und habe mit dem Fernglase nach der Richtung geschaut, woher das Feuern kam. Zu seiner grossen Verwunderung habe man die Ebene von Tabora von heranrückenden Wilden erfüllt gesehen und etwa zwei Meilen davon, nahe bei Kazima, ein aufgeschlagenes Zelt erblickt, von dem er wusste, dass es Mirambo gehöre, weil es ihm von den Arabern von Tabora, als sie noch in guten Beziehungen zueinander standen, geschenkt worden war.

Khamis bin Abdullah sei nun mit den Worten ins Haus hinabgestiegen: „Lasst uns ihm entgegenziehen. Bewaffnet Euch, meine Freunde, und begleitet mich!“ Seine Freunde riethen ihm sehr, sein Tembé nicht zu verlassen, denn solange ein jeder Araber sich in seinem Tembé hielte, seien sie den verbündeten Ruga-Ruga und Watuta über und über gewachsen. Khamis aber rief ungeduldig aus: „Würdet Ihr uns rathen, aus Furcht vor diesem Mschensi (Heiden) in unsern Tembés zu bleiben? Wer geht mit mir?“ — Sein kleiner Schützling, Khamis, der Sohn eines todten Freundes, bat um die Erlaubniss, ihm seine Flinte zu tragen; Mohammed bin Abdullah, Ibrahim bin Raschid und Sayf, der Sohn Ali’s, lauter junge Araber aus guten Familien, die stolz darauf waren, mit dem edlen Khamis zusammenzuleben, erboten sich auch, ihn zu begleiten. Nachdem er hastig 80 Sklaven bewaffnet hatte, machte er sich, entgegen dem Rathe seiner vorsichtigeren Freunde, auf den Weg und befand sich bald seinem schlauen und entschlossenen Gegner[S. 282] Mirambo gegenüber. Als dieser die Araber auf sich zukommen sah, liess er Befehl zu langsamem Rückzug geben. Khamis, hierdurch getäuscht, stürzte sich mit seinen Freunden hinter Mirambo her. Plötzlich aber liess dieser seine Leute in geschlossener Ordnung gegen sie vorrücken und bei dem Anblick des rasch gegen sie unternommenen Sturmlaufs ergriffen Khamis’ Sklaven die wilde Flucht und überliessen, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, ihren Herrn dem Schicksal, das ihn jetzt ereilte. Die Wilden umgaben nämlich die fünf Araber und schossen, wennschon einige von ihnen auch von den Schüssen der Araber fielen, so lange auf die kleine Schar, bis Khamis bin Abdullah selbst eine Kugel ins Bein bekam, sodass er auf die Knie sank. Jetzt erst kam er zur Erkenntniss, dass er von seinen Sklaven verlassen sei. Trotz seiner Wunden fuhr der tapfere Mann fort zu schiessen, bald darauf aber traf ihn eine Kugel ins Herz. Der kleine Khamis rief darauf, als er seinen Adoptivvater fallen sah: „Mein Vater Khamis ist todt, ich will mit ihm sterben,“ und kämpfte weiter, bis auch er bald darauf seine Todeswunde bekam. Einige Augenblicke später war kein einziger Araber mehr am Leben.

Spät am Abend kamen uns einige Einzelheiten über diese tragische Scene zu. Leute, welche die Körper gesehen hatten, erzählten mir, dass die Leiche des edlen, tapfern, stattlichen Khamis bin Abdullah von den wilden Verbündeten Mirambo’s arg verstümmelt worden sei. Man habe ihm die Stirnhaut, Bart und Haut von dem untern Theil des Gesichts, die Nasenspitze, das auf dem Magen und Unterleib befindliche Fett, die Genitalien und schliesslich ein Stück von den Fersen abgeschnitten. In demselben Zustand fand man die Leiche seines Adoptivsohnes und seiner gefallenen Freunde. Die auf solche Weise den Leichnamen entnommenen Fleisch- und Hautpartien hatten natürlich die Waganga oder Medicinmänner sich angeeignet, um aus ihnen das kräftigste Gebräu zu fabriziren, das nach ihrer Ansicht einen Menschen gegen seine Feinde stark macht. Dieses Getränk wird mit ihrem Ugali und Reis zusammengemischt und dann mit dem vollkommensten Vertrauen auf seine Wirksamkeit als[S. 283] feiendes Mittel gegen Kugeln und sonstige Geschosse getrunken.

Es war ein sehr trauriger Anblick, von unserm aufgeregten Kwihara aus fast ganz Tabora in Flammen zu erblicken und Hunderte von Leuten zu uns strömen zu sehen.

Da ich die Bereitschaft meiner Leute, zu mir zu halten, wahrnahm, so machte ich Vorbereitungen zur Vertheidigung, indem ich Schiessscharten für die Musketen in die starken Lehmmauern meines Tembé bohrte. Wir machten sie so rasch und sie schienen so vortrefflich für eine wirksame Vertheidigung des Tembé geeignet zu sein, dass meine Leute ganz kampflustig wurden und mit Flinten bewaffnete aus Tabora vertriebene Wangwana-Flüchtlinge darum baten, in unser Tembé eingelassen zu werden, um bei seiner Vertheidigung mitzuwirken. Auch Livingstone’s Leute wurden versammelt und aufgefordert, ihres Herrn Güter gegen Mirambo’s vermeintlichen Angriff zu vertheidigen. Zur Nacht hatte ich 150 Bewaffnete in meinem Hofraum, welche an jedem Punkt aufgestellt waren, an dem ein Angriff zu erwarten war. Mirambo hat gedroht, er werde morgen nach Kwihara kommen. Ich hoffe zu Gott, er wird kommen und wenn er ins Bereich eines amerikanischen gezogenen Gewehrs sich verläuft, so will ich doch sehen, welche Kraft in amerikanischem Blei liegt.

23. August. Wir haben im Thale von Kwihara einen sehr angstvollen Tag verlebt. Unsere Augen waren beständig auf das unglückliche Tabora gerichtet. Man hat uns gesagt, dass nur drei Tembés die Hitze des Angriffs ausgehalten haben. Abid bin Suliman’s Haus ist zerstört und mehr als 200 Elfenbeinzähne, die ihm gehörten, sind das Eigenthum dieses afrikanischen Bonaparte geworden. Mein Tembé ist so gut ausgerüstet, als seine Bauart und Vertheidigungsmittel es gestatten. Schiessgruben umgeben das Haus von aussen, und alle Hütten der Eingeborenen, welche die Aussicht behinderten, sind niedergerissen, alle Bäume und Sträucher, die als Schutz für einen Feind hätten dienen können, sind abgehauen. Wasser und Vorräthe für sechs Tage sind hereingebracht. Ich habe Munition genug auf zwei Wochen und, ohne zu prahlen, glaube ich nicht, dass[S. 284] 10,000 Afrikaner das Haus nehmen könnten, obwol 4–500 Europäer es leicht ohne Kanonen zu thun vermöchten. Mit Kanonen wären 50 Europäer im Stande, es zu bewältigen. Die Mauern sind 3 Fuss dick und die Gemächer liegen so ineinander, dass eine verzweifelte Männerschar lange kämpfen könnte, bis der letzte Raum genommen wäre.

Meine Nachbarn, die Araber, bemühen sich, tapfer zu erscheinen; es ist jedoch offenbar, dass sie in Verzweiflung sind. Gerüchtweise verlautet, dass die Araber von Kwihara, wenn Tabora genommen ist, in Masse zur Küste eilen und das Land Mirambo überlassen wollen. Wenn dies ihre Absichten sind und sie dieselben wirklich ausführen, so werde ich mich in einer schönen Situation befinden. Wenn sie mich jedoch wirklich verlassen, so wird Mirambo keinen Vortheil von meinen und Livingstone’s Vorräthen haben, denn ich werde das ganze Haus und alles, was sich darin befindet, verbrennen. Das ist mein Entschluss. Aber was in aller Welt wird aus Shaw werden? In einer solchen kritischen Lage würde ihn niemand tragen.

24. August. Die amerikanische Flagge weht noch über meinem Hause und die Araber sind noch in Unyanyembé.

Ungefähr um 10 Uhr morgens kam ein Bote von Tabora mit der Frage, ob wir sie nicht gegen Mirambo unterstützen wollten. Anfangs fühlte ich mich sehr geneigt, ihnen zu helfen; nachdem ich aber die Sache gründlich erwogen und mir die Fragen vorgelegt hatte: ob es klug sei? ob ich verpflichtet sei zu gehen? was aus meinen Leuten werden würde, wenn ich getödtet sei? ob sie mich wieder im Stich lassen würden? und an das Schicksal des Khamis bin Abdullah dachte, liess ich ihnen sagen, dass ich nicht kommen werde; sie müssten sich ja in ihren Tembés gegen die Truppenmacht Mirambo’s völlig sicher fühlen; ich würde mich sehr freuen, wenn sie ihn dazu bringen könnten, nach Kwihara zu kommen, in welchem Falle ich es versuchen würde, ihn todtzuschiessen.

Mirambo und seine Hauptoffiziere sollen Schirme über den Köpfen tragen und er selbst langes Haar wie ein Mnyamwezi-Pagazi und einen Bart haben. Sollte er kommen,[S. 285] so werden alle mit Schirmen versehenen Leute von einem Regen von Kugeln überschüttet werden in der Hoffnung, dass eine so glücklich sei, ihn zu treffen. Nach den Vorstellungen des Volkes sollte ich mir eine Kugel aus Silber giessen; ich habe aber kein Silber bei mir. Allenfalls könnte ich mir eine aus Gold anfertigen.

Um 12 Uhr ging ich zu Scheikh bin Nasib und liess ungefähr 100 Leute in meinem Hause, um es während meiner Abwesenheit zu bewachen. Dieser alte Mann ist in seiner Art ein vollständiger Philosoph. Ich möchte ihn einen Professor der praktischen Philosophie nennen. Gewöhnlich ist er voll Sentenzen und Aphorismen und ein sehr bedächtiger Charakter. Ich war also erstaunt, ihn in Verzweiflung zu finden, seine Aphorismen haben ihn im Stich gelassen, seine Philosophie ist nicht im Stande gewesen, sich im Unglück zu bewähren. Er hörte mir mehr wie ein Sterbender, als wie ein Mann zu, der alle Mittel zur Vertheidigung und zum Angriff besitzt.

Ich habe ihm seinen Zweipfünder mit Kugeln, Schrot und kleingehackten Eisenstücken geladen und ihm den Rath ertheilt, denselben nicht früher abzufeuern, als bis Mirambo’s Leute vor seinen Thoren wären.

Um 4 Uhr nachmittags hörte ich, dass Mirambo sich nach Kazima, einem einige Meilen nordwestlich von Tabora belegenen Ort, begeben habe.

26. August. Heute Morgen zogen die Araber aus, um Kazima anzugreifen, gaben es aber wieder auf, weil Mirambo um einen Tag Frist gebeten hatte, um das Fleisch, das er ihnen gestohlen, verzehren zu können. Er hat sie unverschämterweise eingeladen, morgen früh zu kommen, zu welcher Zeit er sie gründlich durchklopfen werde.

Kwihara hat sein friedfertiges Aussehen wieder erlangt; Flüchtlinge drängen sich nicht mehr verzweifelt in der engen Räumlichkeit umher.

27. August. Mirambo hat sich während der Nacht zurückgezogen, und als die Araber sich mit einer Truppenmacht auf den Weg machten, um das Dorf Kazima anzugreifen, fanden sie es leer.

Die Araber halten heute Kriegsrath und Zusammenkünfte,[S. 286] die sie sehr zu lieben scheinen, nach denen sie aber nur langsam zur That schreiten. So z. B. waren sie im Begriff, sich mit den Watuta des Nordens zu verbünden; Mirambo ist ihnen jedoch darin zuvorgekommen. Ferner sprachen sie davon, Mirambo’s Gebiet zum zweiten mal zu überfallen; Mirambo aber hat Unyanyembé mit Feuer und Schwert überzogen, manchem Haushalt den Tod gebracht und ihre Edelsten erschlagen.

Die Araber bringen ihre Stunden mit blossen Reden zu, während doch die Strassen nach Udschidschi und Karagweh ihnen unzugänglicher denn je sind. In der That sprechen viele einflussreiche Araber davon, nach Zanzibar zurückzukehren, indem sie behaupten: Unyanyembé sei zu Grunde gerichtet. Ich habe alle Achtung vor ihnen verloren.

Da ich die Unmöglichkeit einsehe, mir Wanyamwezi-Pagazi zu verschaffen, miethe ich mittlerweile zu meiner Reise nach Udschidschi Wangwana-Ueberläufer, die in Unyanyembé wohnen, zu dreifachen Preisen; habe aber nicht viel Erfolg dabei. Einem jeden werden 30 Doti angeboten, während der gewöhnliche Miethpreis eines Lastträgers nur 5–10 Doti bis nach Udschidschi beträgt. Ich brauche 50 Menschen und beabsichtige 60–70 Lasten hier unter der Obhut einer Wache zurückzulassen. Mit Ausnahme eines kleinen Koffers werde ich mein ganzes persönliches Gepäck hier lassen.

28. August. Heute keine Nachricht von Mirambo. Shaw wird wieder kräftiger.

Scheikh bin Nasib hat mich heute besucht, hatte mir aber, ausser seinen kleinen philosophischen Aussprüchen, nichts zu sagen.

Ich habe mich entschlossen, nachdem ich mir das Land angesehen, eine fliegende Karavane auf einer südlichen Strasse durch das nördliche Ukonongu und Ukawendi nach Udschidschi zu führen. Heute Abend hat Scheikh bin Nasib diesen Entschluss erfahren.

29. August. Shaw ist heute aufgestanden, um ein wenig zu arbeiten. Doch ach! alle meine schönen feingesponnenen Pläne, zu Boot über den Victoria-Nyanza[S. 287] und dann den Nil hinabzugehen, sind, wie ich fürchte, an diesem Kriege mit Mirambo, dem schwarzen Bonaparte, vollständig gescheitert. Zwei Monate schon sind hier vergeudet. Die Araber nehmen sich so viel Zeit, um schlüssig zu werden. Rathschläge und Worte haben sie genug, so viel wie Grashalme in unserm Thal, aber es fehlt an Entschlossenheit. Die Hoffnung und Stütze der Araber ist todt, seitdem Khamis bin Abdullah nicht mehr ist. Wo sind jetzt die Krieger, von denen die Barden der Wangwana und Wanyamwezi singen? Wo ist der mächtige Kisesa — der grosse Abdullah bin Nasib? Wo ist der Sayd, der Sohn des Madschid? Kisesa ist in Zanzibar und Sayd, Sohn des Madschid, befindet sich in Udschidschi und weiss noch gar nicht, dass sein Sohn im Walde von Wilyankuru gefallen ist.

Shaw wird rasch besser. Es gelingt mir noch immer nicht, Soldaten zu bekommen. Fast verzweifle ich daran, je im Stande zu sein, von hier fortzukommen. Es ist ein so schläfriges, träumendes, langsames Land. Die Araber, Wangwana, Wanyamwezi sind alle gleich; niemand von ihnen bekümmert sich um die Flüchtigkeit der Zeit. Ihr „Morgen“ bedeutet bisweilen einen Monat. Für mich ist das geradezu zum Tollwerden.

30. August. Shaw will nicht arbeiten. Ich kann ihn nicht dazu bewegen, sich zu rühren; habe ihn mit Bitten und Schmeicheleien bestürmt, ihm sogar kleine Leckerbissen gekocht. Während ich aber jeden Nerv anspanne, um nach Udschidschi zu kommen, begnügt sich jener damit, theilnahmlos zuzusehen. Wie hat sich doch der kühne, gewandte Mann seit Zanzibar verändert!

Heute setzte ich mich mit meiner Handarbeit an seine Seite, um ihn zu ermuthigen und habe ihm zum ersten mal die eigentliche Aufgabe meiner Mission mitgetheilt. Ich erzählte ihm, dass mir die Geographie des Landes nicht halb so sehr am Herzen liege, als das Auffinden Livingstone’s. Zum ersten mal sagte ich ihm: „Nun, mein lieber Shaw, Sie glauben wol, dass ich hergeschickt bin, um die Tiefe des Tanganika zu messen? Durchaus nicht, mein Freund; man hat mir befohlen, Livingstone aufzusuchen. Um Livingstone’s[S. 288] willen bin ich hier, nur seinetwegen habe ich mich auf die Reise begeben. Sehen Sie nicht, alter Freund, die Wichtigkeit dieser Mission ein? Begreifen Sie nicht, dass Sie einen grossen Lohn von Herrn Bennett bekommen werden, wenn Sie mir helfen? Ich bin fest überzeugt, dass, wenn Sie je nach New York kommen, Sie nie um eine 50 Dollarnote verlegen sein werden. Also werden Sie munter, tummeln Sie sich und sehen Sie heiter aus! Sagen Sie sich, Sie wollen nicht sterben, das ist schon der halbe Kampf. Lachen Sie über das Fieber, dann will ich Ihnen garantiren, dass das Fieber Sie nicht tödtet. Ich habe Medizin genug für ein Regiment bei mir.“

Umsonst, — ich sprach wie zu einer leblosen Mumie. Zwar wurden seine Augen etwas heller, aber das Licht derselben wurde bald schwächer und schwand. Ich wurde ganz entmuthigt; machte etwas starken Punsch, um ihm Feuer in die Adern zu giessen, auf dass ich wieder Leben in ihm sähe. Ich bereitete den Punsch mit Zucker und Eiern und machte ihn mit Limonen und Gewürz schmackhaft. „Trinken Sie doch, Shaw“, sagte ich, „und vergessen Sie Ihre elenden Leiden. Athmen Sie mir doch nicht so ins Gesicht, als ob Sie im Begriff wären, zu sterben. Lassen Sie diese Grimassen. Sie sind nicht krank, theurer Freund; es ist blosse Langeweile, die Sie fühlen. Sehen Sie sich den Selim an. Ich will um sonst etwas wetten, dass er nicht stirbt und dass ich ihn sicher zu seinen Freunden nach Jerusalem zurückbringe. Sie werde ich auch wieder in die Heimat führen, wenn Sie es mir gestatten wollen.“

Er rauchte seine widerliche Pfeife weiter. Wenn man seinen Athem hörte, so meinte man, er sei im Sterben, aber er ist nicht einmal krank. Erst neulich sagte er mir, er kenne alle die Manöver alter Seeleute, die sie anwenden, um sich auf dem Meere von der Arbeit zu drücken. Ich bin überzeugt, dass er auch mir solch einen Streich spielt. Dieses Wechselfieber! — ich kenne ja jedes Stadium desselben und bin überzeugt, dass er es nicht hat.

Bestimmt glaube ich, dass, wenn ich einen Stock nehme, ich ihm diesen Unsinn ausprügeln könnte.

1. September. Nach dem Bericht von Thani bin Abdullah,[S. 289] den ich heute in seinem Tembé in Maroro besucht habe, hat Mirambo bei seinem Angriff auf Tabora 200 Mann verloren. Der Verlust der Araber besteht aus 5 Arabern, 13 Freien und 8 Sklaven; ausserdem sind 3 Tembés und mehr als 100 kleine Hütten verbrannt und 280 Elfenbeinzähne, 60 Kühe und Bullenkälber weggenommen.

3. September. Ein Packet Briefe und Zeitungen von Kapitän Webb in Zanzibar erhalten. Wie schön ist es, dass Freunde selbst im fernen Amerika des Abwesenden in Afrika gedenken! Man sagt mir, dass niemand eine Ahnung davon hat, dass ich schon in Afrika bin.

Ich habe mich heute an Scheikh bin Nasib gewandt, damit er Livingstone’s Karavane unter meiner Führung nach Udschidschi gehen lasse; er wollte aber gar nichts davon hören und ist überzeugt, ich gehe meinem Tode entgegen.

4. September. Heute ist Shaw ganz wohl, wie er sagt, aber Selim liegt am Fieber darnieder. Die Zahl meiner Leute mehrt sich allmählich, obgleich einige meiner alten Soldaten fortfallen. Umgareza ist blind; Baruti hat die Pocken in sehr hohem Grade; Bilali eine merkwürdige Krankheit, ein Geschwür oder so etwas am Rücken, und Sadala hat das Mukunguru (Wechselfieber).

5. September. Heute Morgen ist Baruti gestorben. Er war einer meiner besten Soldaten und gehörte zu den Begleitern Speke’s in Aegypten. Dies ist der siebente Todte, den ich seit Zanzibar habe.

Heute haben mir die Berichte der Araber über den Zustand des Landes, durch das ich zu reisen beabsichtige, das Leben schwer gemacht. „Die Wege sind schlecht und sämmtlich versperrt; die Ruga-Ruga schwärmen in den Wäldern; die Wakonongo kommen vom Süden, um Mirambo zu helfen; die Waschensi befinden sich untereinander im Kriege.“ Meine Leute werden entmuthigt, sie sind von den Befürchtungen der Araber und Wanyamwezi angesteckt. Bombay fängt an zu meinen, dass ich besser daran thäte, jetzt zur Küste zurückzukehren und später einen neuen Versuch zu machen.

Wir haben Baruti unter dem Schatten des Bananenbaumes, einige Schritt westlich von meinem Tembé begraben.[S. 290] Das Grab wurde 4½ Fuss tief und 3 Fuss breit gemacht. Am Grunde desselben wurde auf einer Seite ein schmaler Graben ausgehöhlt, in den der Leichnam auf die Seite gerollt wurde, das Gesicht nach Mekka gewandt. Die Leiche war in 1½ Doti neue amerikanische Leinwand gekleidet. Nachdem sie richtig in ihr enges Bett gebracht worden, wurde ein herabhängendes Dach aus Stöcken gebaut, das mit Matten und altem Segeltuch bedeckt wurde, um zu verhindern, dass Erde auf den Körper falle. Dann wurde das Grab unter dem lustigen Gelächter der Soldaten zugeschüttet; darauf ein kleiner Busch auf dasselbe gepflanzt und in ein kleines mit der Hand gemachtes Loch Wasser gegossen für den Fall, dass er, wie sie sagten, auf seinem Wege ins Paradies durstig werde. Schliesslich wurde das ganze Grab mit Wasser bespritzt und der Kürbis gebrochen. Nachdem diese Ceremonie beendet, sagten die Leute das arabische Fat-hah her, worauf sie das Grab ihres todten Kameraden verliessen, um nicht weiter an ihn zu denken.

7. September. Ein Araber, namens Mohammed, hat mich heute mit einem kleinen Sklaven beschenkt, der Ndugu M’hali (meines Bruders Reichthum) heisst. Da ich den Namen nicht liebte, rief ich die Hauptleute meiner Karavane zusammen und ersuchte sie, ihm einen bessern zu geben. Der eine meinte, Simba (ein Löwe), der andere sagte, Ngombe (eine Kuh) würde geeignet für den kleinen Jungen sein. Wieder ein anderer meinte, er solle Mirambo heissen, was ein lautes Gelächter hervorrief. Bombay meinte, Bombay Mdogo würde für meinen kleinen Schwarzen sehr passend sein. Ulimengo aber bezeichnete, nachdem er sich die raschen Augen und flinken Bewegungen des Kleinen angesehen, den Namen Ka-lu-lu als den geeignetsten, „denn“, sagte er, „sehen Sie sich nur seine hellen Augen, seine schlanke Gestalt, seine raschen Bewegungen an; ja, Kalulu ist sein Name.“ — „Ja, Bana“, sagten die andern, „lassen Sie ihn Kalulu heissen.“ Kalulu ist nämlich ein Kiswahili-Ausdruck für das Junge der blauen Antilope (perpusilla).

„Gut“, sagte ich, nachdem Wasser in einer grossen Zinnpfanne gebracht worden und Selim, der bereit war, sein Pathe zu sein, ihn über dasselbe gehalten, „möge sein Name[S. 291] von jetzt an Ka-lu-lu heissen und niemand ihm denselben rauben!“ So kam Mohammed’s kleiner Schwarzer zu dem Namen Kalulu.

Die Expedition nimmt an Zahl zu, sie besteht jetzt aus zwei Weissen, einem arabischen Knaben, einem Hindu, 29 Wangwana, einem Jungen von Londa (Cazembés), einem von Nganda und einem von Liemba oder Uwemba.

Ehe es dunkelte wurden wir stark alarmirt. Wir hörten nämlich viel Feuern in Tabora, was uns einen Angriff auf Kwihara fürchten liess. Es erwies sich aber, dass es nur Salutschüsse zu Ehren der Ankunft von Sultan Kitambi waren, der dem Sultan von Unyanyembé, Mkasiwa, einen Besuch abstatten wollte.

8. September. Gegen Abend hat Scheikh bin Nasib einen Brief von einem Araber in Mfuto erhalten mit dem Bericht, dass dieser Ort von Mirambo und seinen Watutaverbündeten angegriffen worden sei. Auch rieth er ihm, die Leute von Kwihara bereit zu halten, denn wenn es Mirambo gelänge, Mfuto zu erstürmen, so würde er direct auf Kwihara losmarschiren.

9. September. Gestern wurde Mirambo mit grossem Verlust bei seinem Angriff auf Mfuto zurückgeschlagen. Es gelang ihm zwar, ein kleines Wanyamwezi-Dorf anzugreifen, als er aber Mfuto stürmte, wurde er mit schweren Verlusten zurückgeworfen. Er hat dabei drei seiner vorzüglichsten Leute eingebüsst. Nachdem er seine Truppen zurückgezogen, machten die Einwohner einen Ausfall und folgten ihm bis an den Wald von Umanda, wo er abermals völlig in die Flucht geschlagen wurde und selbst in schmählicher Weise vom Felde floh.

Die Köpfe seiner im Angriff erschlagenen Hauptleute wurden nach Kwikuru, dem Boma von Mkasiwa, gebracht.

11. September. Shaw ist ein sentimentaler Schwätzer und hat eine gute Portion von Joseph Surface’s Grundsätzen an sich. Zu Zeiten kann er ganz beredt über die Laster der Menschen, namentlich der Reichen, sprechen. Seine Philippiken über diesen Gegenstand verdienten eine bessere Zuhörerschaft als ich.

Er ist häufig ganz in sich selbst vertieft und in dieser[S. 292] Beziehung das gerade Gegentheil von Jack Bunsby. Statt den Horizont anzusehen, blickt er auf den Boden mit einem Blick, der zu sagen scheint, es ist irgendwo etwas nicht richtig, ich suche es eben festzustellen, wo es ist und wie man es in Ordnung bringen kann.

Heute erzählte er mir, sein Vater sei Kapitän in der britischen Marine und er selbst bei vier Levées der Königin Victoria anwesend gewesen. Dies ist jedoch kaum der Fall, da ich mir nicht vorstellen kann, dass der Sohn eines Marinekapitäns so wenig mit der Feder Bescheid weiss, dass er kaum im Stande ist, seinen eigenen Namen zu schreiben. Auch sehe ich nicht ein, wie es möglich ist, dass er der Königin vorgestellt sei, denn man hat mir immer gesagt, der Hof von St. James sei der aristokratischste von Europa.

Auf mich ist er aber sehr böse, weil ich ihn auslache, und er hat soeben eine Batterie von seinen Sentimentalitäten auf mich losgelassen, die mich fast zur Verzweiflung darüber bringt, dass ich mich mit einem solchen Narren belastet habe.

14. September. Selim, der junge Araber, delirirt vor anhaltendem Fieber. Shaw ist wieder krank oder simulirt es zu sein. Diese beiden nehmen meine Zeit hauptsächlich in Anspruch. Ich bin geradezu Krankenwärter geworden, denn ich habe niemand, der mich bei der Pflege unterstützt. Wenn ich es versuche, Abdul Kader in der Kunst sich nützlich zu machen, zu unterrichten, so ist sein Kopf von den schrecklichen Dünsten des Unyamwezischen Tabacks so benebelt, dass er ganz verwirrt herumläuft, Schüsseln zerbricht und gekochte Leckerbissen umwirft, bis ich so ärgerlich werde, dass ich auf eine ganze Stunde meine Gemüthsruhe verliere. Wenn ich Feradschi, der jetzt förmlich als mein Koch installirt ist, darum bitte, mir beizustehen, so gelingt es seinem dicken Holzkopf nicht, einen Gedanken zu fassen, und ich bin daher genöthigt, selbst die Rolle des Küchenmeisters zu übernehmen.

15. September. Der dritte Monat meines Aufenthalts in Unyanyembé ist fast zu Ende und ich bin noch hier, hoffe aber doch, binnen acht Tagen endlich abziehen zu können.

Die ganze Nacht hindurch bis morgens 9 Uhr haben[S. 293] meine Soldaten getanzt und gesungen zu Ehren ihrer todten Kameraden, deren Gebeine jetzt in den Wäldern von Wilyankuru bleichen. Zwei oder drei grosse Töpfe voll Pombé genügten nicht, um den wüthenden Durst, welchen diese lebhafte Bewegung erzeugt hatte, zu stillen. Daher wurde ich heute Morgen zeitig darum gebeten, ein Schukka für einen weitern Topf dieses kräftigen Getränks herzugeben.

Heute war ich damit beschäftigt, die Last für jeden Soldaten und Gepäckträger auszusuchen. Um ihnen ihre Mühe so viel wie möglich zu erleichtern, habe ich jede Last statt 70 blos 50 Pfund schwer gemacht, wodurch ich hoffe, lange Märsche machen zu können. Ich bin im Stande gewesen, während der letzten Tage 10 Pagazi zu miethen.

Einige meiner Leute sind noch sehr krank und es ist fast unnütz zu erwarten, dass sie im Stande sein werden, irgendetwas zu tragen; ich hoffe aber, andere Leute an ihrer Stelle zu bekommen, ehe der Tag der Abreise da ist, der sich jetzt rasch zu nähern scheint.

16. September. Wir haben unsere Arbeit fast beendet und werden, so Gott will, am fünften Tage von jetzt ab, marschiren. Ich habe noch zwei Pagazi sowie zwei Führer angenommen, die Asmani und Mabruki heissen. Wenn eine ungeheuere Gestalt irgend jemand erschrecken könnte, so müsste Asmani’s Aussehen diese Wirkung hervorrufen. Er ist mehr als sechs Fuss hoch ohne Schuhe und hat Schultern, die für zwei gewöhnliche Menschen breit genug sind.

Morgen beabsichtige ich, den Leuten einen Abschiedsschmauss zu geben, um ihren Fortgang von diesem abstossenden, unglücklichen Lande zu feiern.

17. September. Das Bankett ist vorüber. Ich habe zwei Bullenkälber schlachten, ein ganzes Schwein rösten und ausserdem noch 3 Schafe, 2 Ziegen, 15 Hühner, 120 Pfund Reis, 20 grosse, aus Mais bestehende Laibe Brot, 100 Eier, 10 Pfund Butter und 5 Gallonen süsser Milch zum Bankett geben lassen. Die Leute luden sich ihre Freunde und Nachbarn ein und etwa 100 Frauen und Kinder nahmen daran theil.

Als das Bankett beendet war, wurde Pombé, das hiesige[S. 294] Bier, in fünf Töpfen von je einer Gallone aufgetragen und die Leute fingen an zu tanzen und thun das noch jetzt, wo ich schreibe.

19. September. Heute hatte ich einen leichten Fieberanfall, der unsere Abreise verzögert hat. Selim und Shaw haben sich beide erholt. Der erstere erzählt mir, Shaw habe gemeint, ich werde wie ein Esel sterben, und dann werde er meine Tagebücher und Koffer in Verwahrung nehmen und sofort zur Küste eilen. Heute Nachmittag soll er gesagt haben, er beabsichtige nicht, nach Udschidschi zu gehen, sondern wolle, wenn ich fort sei, sich einen Vorrath von Hühnern auf dem Hofe und eine Kuh anschaffen, um jeden Tag frische Eier und Milch zu haben.

Abends kam Shaw, als mein Fieber seinen Höhepunkt erreicht hatte, zu mir, um mich zu fragen, an wen er im Falle meines Todes schreiben solle. „Denn“, sagte er, „selbst die stärksten Leute können sterben.“ Ich befahl ihm, sich zu entfernen, um seine eigenen Sachen zu kümmern und nicht stets um mich herumzukrächzen.

Etwa um 8 Uhr abends kam Scheikh bin Nasib zu mir und bat mich, morgen nicht fortzuziehen, da ich so krank sei. Thani Sakhburi meinte sogar, ich könne noch einen Monat dableiben; worauf ich ihm sagte, die Weissen seien nicht gewohnt, ihr Wort zu brechen. Ich habe gesagt, ich werde gehen und daher würde ich es auch thun.

Scheikh bin Nasib gab alle Hoffnung auf, mich dazu zu bewegen, noch einen Tag zu bleiben, und ist mit dem Versprechen fortgegangen, Seyyid Barghasch zu schreiben und ihm zu berichten, wie eigensinnig ich sei und dass ich entschlossen sei, mich tödten zu lassen. Dies bot eine kleine Abschiedsscene.

Um 10 Uhr abends war das Fieber vorüber. Ausser mir schlief alles im Tembé und ein Gefühl unaussprechlicher Einsamkeit überkam mich, wie ich an meine Lage und Absichten dachte und den vollständigen Mangel an Sympathie bei allen, die mich umgaben, wahrnahm. Selbst mein weisser Gehülfe, mit dem ich mir so viele Mühe gegeben, empfand noch weniger Sympathie für mich, als mein kleiner schwarzer Knabe Kalulu. Es gehört mehr Kraft als ich[S. 295] besitze dazu, alle dunkeln Vorahnungen des Gemüths zu zerstreuen. Doch ist das, was ich Vorahnung nenne, wol einfach die Folge der Warnungen, welche diese treulosen Araber mir so häufig ausgesprochen haben. Diese Melancholie, dieses Gefühl der Verlassenheit, rühren wol auch davon her. Auch ist das einzelne Licht, das die Dunkelheit meiner Stubenecken kaum erhellt, gerade kein Mittel, mich heiterer zu stimmen. Es ist mir zu Muthe, als sei ich in Steinmauern gefangen. Warum soll ich mich aber durch Warnungen und Gekrächze dieser dummen Araber quälen lassen? Ein Verdacht steigt in mir auf, während ich dies schreibe, dass noch irgendein anderes Motiv dahinterstecke. Ich möchte wol wissen, ob diese Araber mich in der Hoffnung hier behalten wollen, dass ich dazu gebracht werden könnte, ihnen noch einmal in ihrem Kriege mit Mirambo beizustehen! Wenn sie das glauben, so irren sie sich sehr; denn ich habe einen feierlichen Eid geschworen, den ich halten will, solange mir noch eine Lebenshoffnung bleibt, mich von dem gefassten Entschluss nicht abbringen zu lassen, solange zu suchen, bis ich Livingstone lebendig oder todt aufgefunden habe und nicht ohne die stärksten Beweise für dessen Leben oder Tod nach Hause zu kehren. Kein Lebender soll mich daran hindern; nur der Tod kann es. Doch nein! selbst der nicht, denn ich werde, will und kann nicht sterben! Ein gewisses, unbekanntes Etwas, sei es nun die mir eigene stets rege Hoffnungsseligkeit oder eine aus einer grossen Lebenskraft entspringende natürliche Kühnheit oder das Produkt eines überschwänglichen Selbstvertrauens — gleichviel — ein Etwas sagt mir heute Abend: ich werde ihn ganz bestimmt finden. Schon diese blossen Worte inspiriren mich. Ich fühle mich glücklicher. Habe ich gebetet? Heute Nacht werde ich ruhig schlafen. — —

Die obigen Notizen habe ich mich veranlasst gesehen, aus meinem Tagebuch abzuschreiben, da sie, als zur Zeit an Ort und Stelle geschrieben, am besten die Wechselfälle meines Lebens in Unyanyembé darstellen. Mir scheinen sie dies viel besser zu thun, als irgendeine noch so plastische[S. 296] Beschreibung mein dortiges Leben charakterisiren könnte. Sie sind gerade durch ihre Buchstäblichkeit nicht übertrieben, sondern geben meine derzeitigen Empfindungen genau wieder. Sie wissen von zahllosen Fiebern zu erzählen, die ich selbst und meine Leute durchgemacht, ohne auf die Diagnose oder Untersuchung derselben einzugehen, und berichten unsere Gefahren und kleinen Freuden, unsere Qualen und Vergnügungen, wie sie gerade vorkamen.

KWIHARA.

[S. 297]

ZEHNTES KAPITEL.
NACH MRERA IN UKONONGO.

Aufbruch aus Kwihara. — Bombay bekommt Prügel. — Shaw wünscht zurückzubleiben. — Ich zwinge ihn weiterzuziehen. — Ein neuer Fieberanfall. — Livingstone’s Briefträger fehlt. — Ankunft in Kasegera. — Shaw kann nicht mehr weiter und wird nach Kwihara zurückgeschickt. — Die herrlichen Wälder von Unyamwezi. — Wir kommen nach Ugunda. — Das Mukunguru. — Beschreibung dieses Fiebers. — Eine prächtige Sykomore. — Ein Opfer der Pocken. — Zahlreiche Skelete auf dem Wege. — Ankunft in Manyara. — Streit mit dem Sultan über den Tribut. — Er besucht mich. — Eine Dosis Ammoniak. — Verwunderung des Sultans. — Das Paradies des Jägers. — Meine erste Jagdbeute, eine Antilope. — Zebrajagd. — Abenteuer mit einem Krokodil. — Zwei Jagdtage. — Meuterei. — Asmani und Mabruki legen auf mich an. — Der Frieden wiederhergestellt. — Bombay erhält wieder Prügel und wird in Ketten gelegt. — Charakteristik meiner wichtigsten Leute. — Ankunft in Ziwani. — Der Honigvogel. — Utende. — Mwaru. — Ankunft in Mrera. — Allerlei Arbeit.

UNYAMWEZI.
UKONONGO.
Von Kwihara nach:
St.
Min.
Von Manyara nach:
St.
Min.
Mkwenkwe 
 1
30 
Gombéfluss 
 4
15
Inesuka 
 2
— 
Ziwani 
 5
20
Kasegera 
 3
— 
Tongoni 
 1
30
Kigandu 
 2
45 
Lager 
 5
15
Ugunda 
 7
— 
Marefu 
 3
Benta 
 3
15 
Utende 
 7
15
Kikuru 
 5
— 
Mtoni 
 4
Ziwani 
 4
— 
Mwaru 
 5
15
Manyara 
 6
30 
Mrera 
 5
13

[S. 298]

Der 20. September war da. An diesem Tage hatte ich beschlossen, mich von den Leuten, die mich mit ihren Zweifeln, Befürchtungen und Meinungen quälten, zu trennen und den Marsch nach Udschidschi auf einem südlichen Wege anzutreten. Ich war sehr schwach vom Fieber, das mich am Tage vorher gepackt hatte, und es war höchst thöricht, unter solchen Umständen einen Marsch anzufangen. Ich hatte aber gegen Scheikh bin Nasib damit renommirt, dass ein weisser Mann sein Wort nie bricht, und mein Ruf als Weisser wäre ruinirt gewesen, wenn ich zurückgeblieben oder den Marsch infolge von Schwäche verschoben hätte.

Ich musterte die ganze Karavane ausserhalb meines Tembé; unsere Fahnen und Flaggen wurden entfaltet, die Leute hatten ihre Lasten auf die Mauern abgelegt und lachten und schrien ihre Neger-Prahlereien gehörig hinaus. Alle Araber, mit Ausnahme von Scheikh bin Nasib, den ich durch meine eigensinnige Opposition gegen seine Wünsche verletzt, hatten sich aus Neugierde versammelt, um Zeugen unserer Abreise zu sein. Der alte Scheikh dagegen legte sich zu Bette, schickte aber seinen Sohn, um mir noch ein Stückchen philosophischer Sentimentalität zu überbringen, die ich als die letzten Worte des patriarchalischen Scheikh, des Sohnes von Nasib, des Sohnes von Ali, des Sohnes von Sayf aufbewahren solle. Armer Scheikh! hättest du gewusst, was diesem Eigensinn, dieser eselhaften Störrigkeit, den falschen Weg einzuschlagen, zu Grunde lag, was würdest du erst dann gesagt haben? Der Scheikh aber tröstete sich mit dem Gedanken, dass ich wol besser wisse als er, was ich vorhabe. Auch ist das sehr wahrscheinlich; doch wird weder er noch irgendein Araber ganz genau das Motiv erfahren, das mich überhaupt zum Marsch nach Westen trieb, wo doch der Weg nach Osten soviel leichter war.

Meine Tapfern, die ich für einen raschen Marsch nach einem unbestimmten Ziele ausserhalb Unyanyembé angeworben, hiessen wie folgt:

  1. John William Shaw aus London.
  2. Selim Heschmy aus Jerusalem.
  3. Sidy Mbarak Mombay aus Zanzibar.
  4. Mabruki Speke
  5. Ulimengo  „
  6. Ambari  „
  7. Uledi
  8. [S. 299] Asmani  „
  9. Sarmian
  10. Kamua   „
  11. Zaidi  „
  12. Khamisi  „
  13. Tschaupereh aus Bagamoyo.
  14. Kingaru  „
  15. Belali   „
  16. Ferous aus Unyanyembé.
  17. Rodschab aus Bagamoyo.
  18. Mabruk Unyanyembé aus Unyanyembé.
  19. Mtamani aus Unyanyembé.
  20. Tschanda aus Maroro.
  21. Sadala aus Zanzibar.
  22. Kombo  „
  23. Saburi der Grosse aus Maroro.
  24. Saburi der Kleine  „
  25. Marora  „
  26. Feradschi (Koch) aus Zanzibar.
  27. Mabruk Salim   „
  28. Baraka   „
  29. Ibrahim aus Maroro.
  30. Mabruk Ferous aus Maroro.
  31. Baruti aus Bagamoyo.
  32. Umgareza aus Zanzibar.
  33. Hamadi (Führer) aus Zanzibar.
  34. Asmani  „
  35. Mabruk  „
  36. Hamdallah (Führer) aus Tabora.
  37. Dschumah aus Zanzibar.
  38. Maganga aus Mkwenkwe.
  39. Muccadum aus Tabora.
  40. Dasturi  „
  41. Tumayona aus Udschidschi.
  42. Mparamoto
  43. Wakiri  „
  44. Mufu   „
  45. Mpepo   „
  46. Kapingu  „
  47. Maschischauga  „
  48. Muheruka  „
  49. Missossi  „
  50. Tufum Byah  „
  51. Madschwara (Knabe) aus Uganda.
  52. Belali (Knabe) aus Uemba.
  53. Kalulu (Knabe) aus Lunda.
  54. Abdul Kader (Schneider) aus Malabar.

Das sind die Männer und Jünglinge, die ich mir ausgewählt, damit sie als meine Gefährten auf der anscheinend unnützen Mission, den verlorenen Reisenden David Livingstone aufzusuchen, sich die Krone der Unsterblichkeit verdienten. Die Waaren, mit denen ich sie belastet, bestanden aus 1000 Doti oder circa 4000 Meter Zeug, sechs Beutel Perlen, vier Lasten Munition, einem Zelt, einem Bett, Kleidern, einem Kasten Medicin, einem Sextanten und Büchern, zwei Lasten Thee, Kaffee und Zucker, einer mit Mehl und Lichten, einer mit eingemachten Fleischsorten, Sardinen und verschiedenen Bedürfnissen und einer mit Kochgeräth.

Die Leute waren alle am Platz ausser Bombay. Dieser war fort und nicht zu finden. Ich schickte also einen Mann aus, um ihn aufzutreiben. Man fand ihn weinend in den Armen seiner Delila.

„Warum bist Du fortgegangen, Bombay, da Du doch wusstest, dass ich abreisen wollte und wartete?“

[S. 300]

„O Herr, ich sagte meiner Geliebten Lebewohl.“

„Wirklich?“

„Ja, Herr. Thun Sie das nicht, wenn Sie weggehen?“

„Still!“

„Zu Befehl.“

„Was fehlt Dir denn, Bombay?“

„Nichts.“

Da ich sah, dass er wol in der Laune war, sich mit mir vor den ausserhalb meines Tembé als Zuschauer versammelten Araber zu zanken und ich durch nichts in meinen Absichten gestört werden wollte, so war ich veranlasst, Bombay mit meiner Peitsche einige Streiche zu versetzen, was seinen heissen Zorn alsbald abkühlte, auf mein Haupt jedoch laute einstimmige Einwendungen seitens meiner angeblichen arabischen Freunde herabzog. „Aber, Herr, thun Sie das doch nicht, halten Sie doch ein. Der arme Mensch weiss besser als Sie, was Ihnen und ihm auf dem Wege, den Sie einschlagen wollen, bevorsteht.“

Wenn irgendetwas geeignet war, mich noch mehr in Wuth zu versetzen als Bombay’s Unverschämtheit vor dieser Menge, so war es diese ungebetene Einmischung in meine eigenen Angelegenheiten. Ich hielt aber an mich und sagte ihnen nur mit lauter Stimme, ich wünschte nicht, dass sie sich in meine Sachen mischten, wenn sie sich nicht mit mir zanken wollten.

„Nein, nein, Bana“, riefen sie alle, „wir wünschen nicht mit Ihnen zu streiten. Im Namen Gottes! schlagen Sie Ihren Weg in Frieden ein.“

„Leben Sie wohl“, sagte ich und drückte ihnen die Hand.

„Adieu, leben Sie wohl, Herr! Wir wünschen Ihnen alle gut Glück. Gott sei mit Ihnen und führe Sie!“

„Marsch!“ Eine Abschiedssalve wurde abgefeuert, die Flaggen wurden von den Führern in die Höhe gehoben, jeder Pagazi stürzte auf seine Last zu und in kurzer Zeit war der vordere Theil der Expedition mit Gesang und Geschrei um das westliche Ende meines Tembé die Strasse nach Uganda entlang abgezogen.

„Nun, Herr Shaw, ich warte auf Sie. Steigen Sie auf Ihren Esel, wenn Sie nicht zu Fuss gehen können.“

[S. 301]

„Bitte, Herr Stanley, ich fürchte, ich kann nicht mitgehen.“

„Wieso?“

„Ich weiss es nicht; ich fühle mich aber sehr schwach!“

„Das bin ich auch. Wie Sie wissen hat mich das Fieber erst spät gestern Abend verlassen. Ziehen Sie sich doch nicht vor diesen Arabern zurück. Bedenken Sie, dass Sie ein Weisser sind. Hier Selim, Mabruki, Bombay, helft Herrn Shaw auf seinen Esel und geht neben ihm.“

„O Bana, Bana, nehmen Sie ihn nicht mit! Sehen Sie denn nicht, dass er krank ist?“ sagten die Araber.

„Ihr bleibt mir davon! Nichts kann mich daran hindern, ihn mitzunehmen. Er soll mit. Bombay! vorwärts!“ —

So war der Rest meiner Gesellschaft auf den Weg gebracht. Das bis vor kurzem noch so geschäftige Tembé hatte ein ödes, verlassenes Aussehen gewonnen. Ich wandte mich gegen die Araber, lüftete meinen Hut und sagte noch einmal Lebewohl. Dann kehrte auch ich mich in Begleitung meiner vier jungen Flintenträger Selim, Kaluli, Madschwara und Bilali gen Süden.

Ehe wir 5 Kilometer gegangen erhob der wilde Unyamwezi-Esel, der von hinten vom schlauen Mabruki gekitzelt wurde, die Hinterbeine und John Shaw, der nie ein guter Reiter gewesen, lag der Länge lang in der Nähe eines Dornbusches auf dem Boden. Er schrie auf und wir liefen alle hin, um ihm zu helfen.

„Was gibt’s, mein lieber Freund?“ fragte ich, „haben Sie Schaden genommen?“

„O mein Gott, mein Gott! Lassen Sie mich doch umkehren, Herr Stanley!“

„Etwa weil Sie von einem Esel heruntergefallen sind? Fassen Sie nur Muth. Es würde mir sehr leidthun, wenn ich sagen müsste, dass Sie zurückgeblieben. In vier bis fünf Tagen werden Sie selbst über dies kleine Misgeschick lachen. Fast alle Menschen fühlen sich etwas weichherzig, wenn sie einen angenehmen Ort verlassen. Steigen Sie nur wieder auf Ihren Esel, alter Freund! Entschliessen Sie sich doch mitzugehen! Dann geht’s auch.“

Noch einmal halfen wir ihm hinauf; trotzdem überlegte[S. 302] ich mir aber die ganze Zeit, ob es nicht viel besser sei, den Menschen zurückzuschicken, als ihn wider seinen Willen fast mit Gewalt mehrere hunderte Meilen, die zwischen mir und Udschidschi liegen mussten, mitzuschleppen. Wenn er nun unterwegs stürbe? Vielleicht war er wirklich krank? Nein, das ist er nicht, er stellt sich blos so. Ich gestehe aber, ich hätte ihn an Ort und Stelle zurückgeschickt, wenn ich nicht der Ueberzeugung gewesen wäre, dafür von den Arabern ausgelacht zu werden.

Nach einem halbstündigen Marsche wurde die Situation belebter. Shaw fing an sich zu amüsiren. Bombay hatte unsern Zank vergessen und versicherte, wenn ich durch Mirambo’s Land ziehen könne, so würde auch ich den Tanganika erreichen. Dasselbe glaubt Mabruki-Speke. Selim freute sich, Unyanyembé zu verlassen, wo er soviel vom Fieber gelitten, und in dem kühnen Aussehen der Hügel, die sich über schöne Thäler erhoben, lag etwas, das auch mich belebte und zu meiner Reise ermuthigte.

In 1½ Stunden kamen wir in unserm Lager in dem Kinyamwezi-Dorfe Mkwenkwe an, dem Geburtsort unsers berühmten Sängers Maganga.

Mein Zelt wurde aufgeschlagen und die Güter in einem der Tembés zusammengelegt; die Hälfte der Leute war aber nach Kwihara zurückgegangen, um sich noch einmal von ihren Frauen und Freundinnen zu verabschieden.

Gegen Abend wurde ich wieder einmal vom Wechselfieber befallen. Vor dem Morgen war es zwar wieder fort, hatte mich aber schrecklich schwach und matt gemacht. Ich hatte die Unterhaltung der Leute untereinander bei ihren Lagerfeuern über die wahrscheinlichen Aussichten für den nächsten Tag mit angehört. Unter ihnen war die Frage aufgeworfen worden, ob ich den Marsch weiter fortsetzen würde. Fast alle waren der Ansicht, dass, da der Herr krank sei, ein Marsch nicht stattfinden werde. Mich trieb dagegen ein höchster Grad von Eigensinn an, ihrer Lässigkeit Trotz zu bieten. Als ich aber zu meinem Zelt hinaustrat, um ihnen zu befehlen, sich fertig zu machen, fand ich, dass wenigstens zwanzig von ihnen fehlten. Auch war Livingstone’s[S. 303] Briefträger Kaif-Halek — oder „Wie befinden Sie sich?“ — noch nicht mit dem Briefbeutel desselben angekommen.

Ich suchte zwanzig der stärksten und treuesten Leute aus und schickte sie nach Unyanyembé zurück, um die fehlenden Leute aufzusuchen, und Selim sollte zugleich von Scheikh bin Nasib eine lange Sklavenkette borgen oder kaufen.

Zur Nacht kehrten meine Polizisten mit neun der fehlenden Leute zurück. Die Wadschidschi aber waren alle zusammen desertirt und liessen sich nicht auffinden. Selim kam auch heim mit einer starken Kette, mit der man wenigstens zehn Leute in die daran befindlichen Halsbänder schliessen konnte. Auch Kaif-Halek erschien mit seinem Briefbeutel, den er unter meinem Geleit an Livingstone bringen sollte. Darauf hielt ich eine Anrede an die Leute und zeigte ihnen die Sklavenkette vor. Ich sagte ihnen, ich sei der erste Weisse, der eine Sklavenkette auf die Reise mitgenommen habe; da sie sich aber alle so sehr fürchteten, mich zu begleiten, sei ich gezwungen, davon Gebrauch zu machen, da es das einzige Mittel sei, sie zusammenzuhalten. Die Guten brauchten keine Furcht vor der Kette zu haben, nur die Deserteure, die Diebe, die ihren Lohn nebst Geschenken, Flinten und Munition erhielten und dann doch wegliefen, hätten sie zu fürchten. Diesmal werde ich noch keinen in Ketten legen, wenn aber für die Folge wieder jemand desertire, so werde ich halten lassen, den Marsch nicht eher aufnehmen, bis ich ihn gefunden, und dann solle er mit der Sklavenkette um den Hals nach Udschidschi marschiren. „Hört Ihr?“ „Ja“, lautete die Antwort. „Versteht Ihr?“ „Ja.“

Um 6 Uhr abends brachen wir auf und schlugen den Weg nach Inesuka ein, wo wir um 8 Uhr abends ankamen.

Als wir am nächsten Morgen im Begriff waren den Marsch anzutreten, entdeckten wir, dass wiederum zwei weggelaufen waren. Sofort wurden Baraka und Bombay nach Unyanyembé geschickt, um die beiden fehlenden Leute Asmani und Kingaru zurückzubringen, mit dem bestimmten Befehl, nicht ohne sie heimzukehren. Kingaru war, wie der Leser sich erinnern wird, jetzt schon zum dritten mal davongelaufen. Während diese Verfolgung vor sich ging, hielten wir im Dorfe Inesuka, hauptsächlich um Shaw’s willen.

[S. 304]

Am Abend wurden die unverbesserlichen Deserteure zurückgebracht und, wie ich gedroht hatte, tüchtig geprügelt und in Ketten gelegt, um sie vor einer nochmaligen Versuchung zu sichern. Bombay und Baraka hatten eine romantische Geschichte über ihre Gefangennahme zu erzählen, und da ich bei sehr guter Stimmung war, so wurden ihre Dienste mit je einem schönen Tuch belohnt.

Am folgenden Morgen verschwand wieder ein Lastträger, welcher seinen Miethslohn von 15 neuen Tuchen sowie auch noch eine Flinte mitnahm. Aber noch irgendwo in der Nähe von Unyanyembé halt zu machen war eine Gefahr, die nur dadurch vermieden werden konnte, dass wir ohne Aufenthalt durch die südlichen Dschungelländer weiter reisten. Man wird sich erinnern, dass ich den gefürchteten Schneider Abdul Kader in meinem Gefolge hatte, welcher von Bagamoyo mit glänzenden Hoffnungen auf die Elfenbeinschätze auszog, die er sich im Innern von Afrika erwerben könne. An diesem Morgen flehte Abdul Kader aus Furcht vor den angeblich drohenden Gefahren um seine Entlassung. Er schwor mir zu, er sei krank und ausser Stande, weiter zu gehen. Da ich seiner ohnehin ziemlich überdrüssig war, zahlte ich ihn in Tuch aus und liess ihn laufen.

Ungefähr auf dem halben Wege nach Kasegera erkrankte Mabruk Salim plötzlich an Erbrechen, Diarrhöe und einem beständigen Abgang von Würmern. Ich behandelte ihn mit einem Gran Kalomel und einigen Unzen Branntwein. Da er ausser Stande war zu gehen, so versah ich ihn mit einem Esel. Ein anderer Mann, namens Zaidi, wurde vom Rheumatismus befallen. Shaw stürzte auch zweimal von dem Thiere, das er ritt, und es bedurfte sehr vieler guter Worte, um ihn wieder zum Aufsteigen zu bewegen. Wahrhaftig, meine Expedition wurde vom Misgeschick verfolgt und es schien, als ob die Schicksals-Göttinnen unsere Rückkehr beschlossen hätten. Es sah wirklich so aus, als ob alles zu Grunde ginge. Wenn ich nur 14 Tage weit von Unyanyembé wäre, so wäre ich, meiner Ansicht nach, gerettet.

Kasegera bot am Nachmittag und Abend unserer Ankunft eine Freudenscene dar. Es waren eben Leute, die an der Küste gewesen, heimgekehrt und die junge Welt hatte[S. 305] sich in neuen Barsatis, Soharis und langen Kleidern von glänzendem neuen Kaniki aufgeputzt, welche sie hinter einem Busch angezogen., ehe sie in vollem Staat erschienen. Die Frauen schrien „Hihi“, wie Mänaden, und „Lutulu“ ertönte es häufig und laut den ganzen Nachmittag. Sylphidenartige Mädchen blickten voll Bewunderung auf die jugendlichen Helden; alte Frauen liebkosten sie ungemein und vom Alter gebeugte Patriarchen an Stöcken segneten sie. So geberdet sich der Ruhm in Unyamwezi. Alle die glücklichen Jünglinge mussten ihrer Zunge bis zu den Frühstunden des nächsten Morgens freien Lauf lassen, um die Wunder zu erzählen, die sie in der Nähe des grossen Meeres und auf „Ungudscha“, der Insel Zanzibar, gesehen hatten. Sie mussten berichten, wie sie die Schiffe der weissen Männer und eine grosse Anzahl Weisse gesehen, welche Gefahren und Prüfungen sie auf ihrer Reise durch das Land der wilden Wagogo bestanden und was sie sonst noch erlebt hatten, kurz Dinge, die dem Leser und mir jetzt schon genau bekannt sind.

Am 24. hoben wir unser Lager auf, marschirten durch einen Wald von Imbiti-Holz in süd-südwestlicher Richtung und kamen nach ungefähr drei Stunden nach Kigandu.

Als wir bei diesem Dorf anlangten, das von einer Tochter Mkasiwa’s beherrscht wird, theilte man uns mit, wir dürften dasselbe nicht betreten ohne Zoll zu zahlen. Da wir dies nicht thun wollten, waren wir genöthigt, in einem verfallenen, von Ratten heimgesuchten Boma zu campiren, das eine Meile links von Kigandu liegt, nachdem wir von den feigen Eingeborenen dafür tüchtig beschimpft worden, dass wir Mkasiwa in der Stunde der Noth verlassen hätten. Man beschuldigte uns, des Krieges wegen ausgerissen zu sein.

Fast unmittelbar vor unserm Lager verlor Shaw bei seinem Versuch, vom Esel zu steigen, die Steigbügel und fiel aufs Gesicht zur Erde. Dieses kleine Nebenspiel des Herrn Shaw kam mir jetzt zu häufig vor. Daher befahl ich den Leuten, als sie hinstürzten, ihm aufzuhelfen, ihn liegen zu lassen. Der dumme Mensch blieb factisch in der heissen Sonne eine ganze Stunde lang auf dem Boden liegen und als ich ihn gelassen fragte, ob er sich da nicht[S. 306] etwas ungemüthlich fühle, setzte er sich auf und weinte wie ein Kind.

„Wünschen Sie umzukehren, Herr Shaw?“ „Ich bitte darum. Ich glaube nicht, dass ich weiter mit kann; und wenn Sie so gut sein wollen, so wünsche ich sehr, umzukehren.“ „Gut, Herr Shaw, ich bin zu dem Schluss gelangt, dass es das beste für Sie ist, zurückzukehren. Meine Geduld ist zu Ende. Ich habe es treulich versucht, Ihnen über das kleinliche Elend, dem Sie sich so ganz hingeben, hinweg zu helfen. Sie leiden einfach an Hypochondrie und bilden sich nur ein, krank zu sein, und offenbar kann Sie nichts von dieser Ueberzeugung abbringen. Hören Sie auf meine Worte: nach Unyanyembé zurückkehren, heisst sterben. Sollten Sie in Kwihara krank werden, wer versteht es wol, Sie dort mit Arznei zu behandeln? Nehmen wir an, dass Sie deliriren, wie kann einer meiner Soldaten wissen, was Ihnen fehlt oder was Ihnen gut sein würde. Noch einmal wiederhole ich es, wenn Sie zurückkehren, so sterben Sie.“ „Ach, mein Gott! ich wünschte, ich hätte es nie gewagt herzukommen. Ich dachte mir das Leben in Afrika so ganz anders, als es ist. Ich will doch lieber heimkehren, wenn Sie es mir gestatten.“

Am nächsten Tage hielten wir und trafen Einrichtungen, um Shaw nach Kwihara zurück zu transportiren. Ich liess eine starke Tragbahre anfertigen und miethete vier kräftige Pagazi in Kigandu für seinen Transport, liess Brot backen, eine Kanne mit kaltem Thee füllen und für seinen Lebensunterhalt unterwegs ein Ziegenviertel braten.

Den Abend vor unserer Trennung verbrachten wir gemeinschaftlich. Shaw spielte einige Melodien auf einem Accordion, das ich für ihn in Zanzibar gekauft. Zwar war es nur ein elendes Ding für zehn Dollars, doch kamen mir die heimatlichen Klänge, die er dem Instrumente entlockte, an jenem Abend wie himmlische Melodien vor. Das letzte Lied, das er spielte, ehe wir uns zurückzogen, war: „Home, sweet home!“ und es schien mir, dass wir, ehe es zu Ende war, weicher gegeneinander gestimmt waren.

Am Morgen des 27. standen wir alle früh auf. Es lag[S. 307] eine bedeutende Energie in unsern Bewegungen. Ein langer, langer Marsch stand uns an jenem Tage bevor; ich musste ja aber alle Kranken und Schwächlichen zurücklassen. Nur die Gesunden, die rasch und lange marschiren konnten, sollten mich begleiten. Mabruk Salim liess ich in der Obhut eines eingeborenen Doctors, der ihn für ein Tuch, das ich ihm im voraus gab, behandeln sollte.

Das Horn erklang zum Aufbruch. Shaw wurde auf die Tragbahre gelegt, welche die Träger auf die Schultern nahmen. Meine Leute stellten sich mit erhobenen Fahnen in zwei Reihen auf und mitten durch diese und die glänzenden Fahnen, die über den Wassern des Tanganika flattern sollten, ehe Shaw sie wieder zu Gesicht bekam, wurde dieser nach Norden zu fortgetragen. Wir zogen nach Süden mit rascheren und elastischeren Schritten, als ob uns ein Alp abgenommen sei.

Wir stiegen einen Bergrücken hinan, welcher von ungeheuern Syenitblöcken starrte, die sich über einem Walde von Zwergbäumen zeigten. Der Anblick war ein solcher, wie wir schon anderweitig oft gesehen. Ein unbegrenzter Wald erstreckte sich in grossen Wellen weit über den Gesichtskreis hinaus. Waldbewachsene Bergfirsten erhoben sich sanft übereinander, bis sie in der dunkeln purpurnen Ferne verschwanden. Ein warmer Nebel schwebte über ihnen, der, obwol klar genug in unserer Nähe, in der Ferne undurchdringlich blau wurde. Wald, Wald, nichts als Wald, Laubkugeln oder fallschirmartige Laubdächer von grüner, brauner oder welker Färbung! Die Wälder hoben sich schichtweise übereinander, ein wahrer Laubocean. Der Horizont bietet an allen Punkten denselben Anblick dar. In weiter Ferne mag sich wol die unbestimmte Contour eines Berges zeigen, oder hier und da ein hoher Baum, welcher die übrigen sichtlich überragte und sich scharf von dem durchsichtigen Himmel abhob. Mit dieser Ausnahme bleibt es immer dasselbe, immer der klare Himmel, der sich auf den dunkeln Wald herabsenkt, stets dieselben Umrisse, derselbe Wald, derselbe Horizont Tag für Tag, Woche für Woche. Wir eilen auf die Höhe eines Bergrückens in der Erwartung einer Veränderung, aber die ermüdeten Augen[S. 308] kehren zu der unmittelbaren Umgebung zurück, nachdem sie über die weite Fläche geschweift, von der Gleichartigkeit der Landschaft übersättigt. Carlyle sagt irgendwo in seinen Schriften, dass der Vatican trotz seiner Grösse sich doch nur wie eine Eierschale zu dem sternenfunkelnden Dom verhält, von dem Arcturus und Orion beständig herabstrahlen; und so sage ich, dass der Lustwald des Centralparks in New-York trotz seiner Grossartigkeit im Vergleich zu den armseligen Hainen, die man in andern grossen Städten sieht, dass der Forst von Windsor und die New-Forests in England trotz ihrer erhabenen Schönheit sich doch nur wie Gestrüpp im Vergleich zu diesen ewigen Wäldern von Unyamwezi ausnehmen.

Wir marschirten drei Stunden und hielten dann, um uns zu erfrischen. Ich bemerkte, dass die Leute sehr ermüdet, nach unserer langen Ruhe in Kwihara noch nicht an eine Reihe langer Märsche gewöhnt oder für ernste, angestrengte Arbeit gehörig eingeschult waren. Als wir unsern Marsch wieder aufnahmen, zeigte sich wiederholt Unmuth und Abgespanntheit, ein paar launige Bemerkungen über ihre Faulheit brachten die Leute jedoch wieder in gute Stimmung und wir erreichten Ugunda um zwei Uhr nachmittags, nach einem weitern Marsch von vier Stunden.

Ugunda ist ein sehr grosses Dorf im gleichnamigen Districte, der an die südliche Grenze von Unyanyembé stösst. Das Dorf besitzt wol 400 Familien oder 2000 Seelen. Es wird durch eine hohe und starke Pallisadenreihe von dreizölligem Bauholz geschützt. Ueber den Pallisaden hat man Gerüste mit kleinen Schiessscharten errichtet, die für die Musketen der Scharfschützen bestimmt sind, welche in diesem kastenartigen Gerüst ihre Zuflucht nehmen, um die Häupter einer angreifenden Truppe niederschiessen zu können. Innerhalb dient ein Graben, dessen Sandboden drei bis vier Fuss hoch gegen die Stakete aufgeworfen ist, als Schutz für die Hauptmasse der Vertheidiger, die in demselben niederknien und so im Stande sind, einer grossen Truppenmacht Widerstand zu leisten. Einige Meilen um das Dorf herum sind alle Hindernisse hinweggeräumt und die Belagerten werden von scharfäugigen Wächtern gewarnt,[S. 309] sich für die Vertheidigung bereit zu halten, ehe sich der Feind auf Musketenschussweite nähert. Mirambo hat seine Räubertruppen von diesem starkbefestigten Dorfe nach zwei bis drei erfolglosen Versuchen, es zu erstürmen, zurückgezogen und die Wagunda frohlocken seitdem darüber, dass sie diesen kühnsten Räuber, den Unyamwezi seit Generationen gesehen, zurückgeschlagen haben.

Die Wagunda haben ungefähr 3000 Quadratmorgen bebautes Land um ihr Hauptdorf, und dieses Terrain genügt, um das Korn nicht nur für ihren eigenen Bedarf zu erzeugen, sondern auch für den der vielen Karavanen, die auf diesem Wege nach Ufipa und Marungu ziehen.

Wie tapfer auch die Wagunda innerhalb der starken Einhegung sein mögen, mit der sie ihr Hauptdorf umgeben haben, so sind sie doch nicht frei von dem Gefühl der Unsicherheit, das die Seele eines Mnyamwezi während der Kriegszeit erfüllt. An diesem Ort pflegen die Karavanen ihre Leute aus dem Schwarm von Pagazi zu rekrutiren, welche sich freiwillig anbieten, die ersteren in die fernen Elfenbeingegenden des Südens zu begleiten. Ich konnte aber nicht einen einzigen dazu bewegen, mir zu folgen, so gross war ihre Furcht vor Mirambo und seinen Ruga-Ruga. Sie wussten auch viel von bevorstehenden Kriegen zu erzählen. Man behauptete, Mbogo ziehe gegen Ugunda mit 1000 Wakonongo; die Wazavira hätten vor vier Monaten eine Karavane angegriffen; Simba durchstreiche das Land mit einer Bande wilder Söldlinge, und noch manches ähnliche.

Am 28. kamen wir in einem kleinen netten Dorfe an, das in dem Benta genannten Walde liegt, 3¼ Stunden von Ugunda. Die Strasse führt durch die Kornfelder der Wagunda und tritt dann in die um die Dörfer des Kisari liegenden Lichtungen ein, wo wir den Besitzer einer Karavane antrafen, der Lastträger nach Ufipa zusammentrommelte. Er war gezwungen gewesen, hier zwei Monate halt zu machen und bemühte sich eifrig, meine Leute dazu zu bewegen, sich seiner Karavane anzuschliessen, was eben nicht dazu beitrug, Harmonie zwischen uns herzustellen. Einige Tage später fand ich, als ich wieder zurückkehrte, dass er den Gedanken, nach Süden zu ziehen, aufgegeben hatte.[S. 310] Nachdem wir Kisari verlassen, marschirten wir durch ein dünnes Gebüsch von schwarzem Jackholz, über ein Erdreich, das von der Sonnenhitze geborsten war, und hin und wieder an einer ausgetrockneten Pfütze vorüber, deren Boden die deutlichen Spuren von Elefanten, Rhinozeros, Büffeln und Zebras zeigte, was uns Hoffnung machte, dass wir bald auf Jagdthiere stossen würden.

Benta war gut mit Mais und einem Korn versehen, das die Eingeborenen Tschoroko nennen und das ich für Wicken halte. Ich kaufte mir einen guten Vorrath davon für meinen eigenen persönlichen Bedarf, da ich fand, dass es eine sehr gesunde Nahrung sei. Das Korn wurde auf den flachen Dächern der Tembés in grossen, aus der Rinde des Mtundu-Baumes angefertigten Kasten aufbewahrt. Hier habe ich den grössten Kasten erblickt, den ich je in Afrika gesehen; man hätte ihn für die Hutschachtel eines Titanen halten können. Er hatte sieben Fuss im Durchmesser und zehn Fuss Höhe.

Am 29. erreichten wir, nachdem wir in süd-südwestlicher Richtung gereist waren, Kikuru. Der fünfstündige Marsch führte über Ebenen, die von der Sonne geborsten waren, auf denen schwarzes Jack- und Ebenholz sowie Zwerggebüsche wuchsen, und auf denen sich zahlreiche Ameisenhügel von lichter kreidefarbener Erde wie Sanddünen erhoben.

Das Mukunguru, im Kiswahili der Name für Fieber, kommt in dieser Gegend von ausgedehnten Wäldern und flachen Ebenen häufig vor, da die Natur hier das Wasser nur sehr unvollkommen abfliessen lässt. In der trockenen Jahreszeit liegt nichts abschreckendes im Anblick des Landes. Das verbrannte Gras, das von den hartgewordenen Spuren der Thiere, die diese Ebenen während des letzten Theils der Regenzeit bewohnen, bedeckt ist, gibt aber dem Lande ein etwas düsteres Aussehen. Im Walde liegen zahllose Bäume im letzten Stadium der Verwesung umher und auf den hingestreckten Stämmen kann man zahllose Insektenarten arbeiten sehen. Unmerklich wird aber das Gift der todten und verwesenden Pflanzenwelt in den Organismus aufgenommen und von Folgen begleitet, die bisweilen tödlich[S. 311] sind wie die, welche aus der Nachbarschaft des Upasbaumes entstehen sollen.

Die ersten übeln Folgen, die aus der Malaria entstehen, sind Verstopfung und verstimmende Mattigkeit, ungemeine Schläfrigkeit und beständige Neigung zum Gähnen. Die Zunge nimmt eine gelbliche, krankhafte Färbung an und wird fast schwarz. Selbst die Zähne werden gelb und von einer übelriechenden Masse überzogen. Die Augen des Patienten glänzen hell und füllen sich mit Wasser. Dies sind sichere Symptome des beginnenden Fiebers, welches bald darauf den ganzen Organismus durchtobt und den Patienten zitternd vor Pein niederstreckt.

Bisweilen geht diesem Fieber ein heftiger Schüttelfrost voran, während welcher Zeit man wollene Decken über den Patienten legen kann, ohne die tödliche Kälte, die er empfindet, sehr zu mindern. Darauf folgt ein ungewöhnlich heftiger Kopfschmerz, furchtbare Schmerzen der Lenden und Rückensäule, die, sich über die Schulterblätter verbreitend, den Hals hinauflaufen und sich schliesslich im Hinter- und Vorderkopf fixiren. Gewöhnlich jedoch geht dem Fieber keine Kälte voran, sondern, nachdem Mattigkeit und Schwächegefühl, grosse Hitze und pulsirende Schläfe eingetreten, fangen Lenden und Rückgratsäule an zu schmerzen und ein wüthender Durst ergreift den Kranken. Das Gehirn wird von sonderbaren Phantasien angefüllt, die bisweilen die schrecklichsten Gestalten annehmen. Vor dem verdunkelten Gesicht des Leidenden schweben in einer glühenden Atmosphäre die Gestalten wirklicher und phantastischer Reptilien, die sich jeden Augenblick in sonderbarere Formen verwandeln und immer verworrener, zusammengesetzter, scheusslicher, entsetzlicher werden. Ausser Stande, diese nahezu toll machenden Bilder weiter zu ertragen, macht der Kranke eine Anstrengung und öffnet die Augen, bannt jedoch dadurch das Delirium nur, um bewusstlos in ein anderes Traumland hinüberzugleiten, wo sich ihm eine neue phantastische Hölle plastisch darstellt und neue Qualen beginnen. Ach, wie viele Stunden habe ich unter dem schrecklichen Alp gelitten, den Anfälle eines wirklichen Deliriums hervorgerufen! Wehe über die folternden Qualen des Körpers,[S. 312] denen ein Reisender in Afrika ausgesetzt ist, über die höhnische Reizbarkeit, die Marter des Geistes, welche die schrecklichen Bilder dieser Teufeleien erzeugen! Dem höchsten Grade von Geduld gelingt es nicht, den Kranken zu besänftigen; die aufmerksamste Pflege genügt ihm nicht, die grösste Unterwürfigkeit verfehlt völlig ihren Zweck. In diesen schrecklichen wechselnden Bildern, die einen wilden Wahnsinn hervorrufen, wäre Hiob selbst reizbar, wüthend und zornig geworden. Ein in diesem Zustande befindlicher Mensch betrachtet sich als den Mittelpunkt alles Elends. Wenn er sich davon erholt hat, fühlt er sich geläutert, wird leutselig und lächerlich liebenswürdig; dann versteht er allen Dingen Freuden zu entlocken, die ihm noch am vorhergehenden Tage Schrecken und Entsetzen einflössten; dann betrachtet er seine Leute mit Liebe und Freundlichkeit und sieht auch das gewöhnlichste mit Begeisterung an. Die Natur erscheint ihm reizend; in den todten, eintönigen Wäldern findet sein Geist eine stete Quelle neuer Freuden. Hier spreche ich aus eigener Erfahrung, wie ich sie aus einer sorgfältigen Analyse des Anfalls in seinen verschiedenen Stadien, dem hitzigen, jammernden und albernen, gewonnen; denn ich pflegte mich damit zu amüsiren, die humoristischen und entsetzlichen, phantastisch übertriebenen Bilder, die sich mir darboten, zu Papier zu bringen, selbst während ich an den Fieber-Paroxysmen litt.

Nach einem vierstündigen Marsche in süd-südwestlicher Richtung kamen wir am 1. October bei einer grossen Pfütze an, die als der Ziwani bekannt ist. Hier entdeckten wir ein altes, halb verbranntes Khambi, das von einem grossartigen Mkuyu (einer Sykomore), dem Riesen der Wälder von Unyamwezi, beschattet wurde und das wir binnen einer Stunde in ein herrliches Lager verwandelten.

Wenn ich mich recht besinne, so hatte der Baum 38 Fuss im Umfang. Es ist der schönste Baum seiner Art, den ich in Afrika gesehen. Unter der ungeheuern Laubkuppel desselben hätte ein Regiment Soldaten bequem zu Mittag rasten können. Der Durchmesser des von ihm geworfenen Schattens war 120 Fuss. Die kräftige Gesundheit, der ich mich zu dieser Zeit erfreute, setzte mich in den Stand, die[S. 313] Umgegend mit Bewunderung zu gemessen. Ein Gefühl von Wohlbehagen und vollständiger Zufriedenheit ergriff mich, wie ich es in Unyanyembé nicht gekannt, wo ich mein Leben in Unthätigkeit und Aerger verbracht hatte. Ich unterhielt mich mit meinen Leuten wie mit Freunden und meinesgleichen. Wir raisonnirten miteinander über unsere Aussichten in ganz kameradschaftlicher, geselliger Art und Weise.

LAGER UNTER EINER RIESEN-SYKOMORE.

Wenn das Tageslicht dahinschwand und die Sonne rasch über dem westlichen Horizont herabsank, den Himmel mit Gold- und Silber-, Safran- und Opalfarben schmückend, wenn dieses prächtige Farbenspiel sich auf den Spitzen des ewigen Waldes widerspiegelte, die heilige Stille des Himmels auf allem ruhte und selbst die rohen Gemüther meiner Umgebung die ganze Herrlichkeit des Naturlebens mitten im ungeheuern, von allen andern menschlichen Wesen leeren Walde tief empfanden, dann trat die Zeit ein, wo wir alle nach vollendeter Tagesarbeit und völliger Sicherstellung des Lagers unsere Pfeifen hervor holten und so recht den Lohn unserer[S. 314] Mühen, die einem tüchtigen Tagewerk folgende Zufriedenheit gemessen konnten.

Draussen hört man nichts als das Geschrei eines umherirrenden Florikans oder Perlhuhns, das seine Genossen verloren, das heisere Quaken der Frösche in der nahgelegenen Pfütze oder das Zirpen der Heimchen, welche den Tag zur Ruhe zu lullen scheinen. In unserm Lager lässt sich das Geräusch der Kürbispfeifen vernehmen, aus denen die Leute den blauen Aether einziehen, den auch ich liebe. Ich liege glücklich und zufrieden auf meinem Teppich unter dem Dom lebendigen Laubes, rauche meine kurze Meerschaumpfeife und hänge trotz der Schönheit des stillen grauen Himmelslichts und der Heiterkeit, die mich überall umgibt, meinen Gedanken an die Heimat und die Freunde im fernen Amerika nach. Doch wenden sich diese Gedanken alsbald wieder zu meiner noch unvollendeten Aufgabe, zu dem Manne hin, der für mich noch immer ein Mythus ist, der sogar todt sein kann oder vielleicht, ob nah oder fern von mir, jetzt durch einen eben solchen Wald zieht, dessen Wipfel die Aussicht aus meinem Lager beschränken. Wir befinden uns beide auf demselben Boden, vielleicht in demselben Walde, wer weiss es? — und doch ist er mir so fern, dass er ebenso gut in seiner kleinen Hütte in Ulva sein könnte. Obwol ich selbst jetzt noch nicht weiss, ob er überhaupt existirt, so fühle ich doch eine gewisse Ruhe, eine gewisse Genugthuung, die sich schwer beschreiben lässt. Warum ist der Mensch doch so schwach, dass er hunderte von Meilen ziehen muss, um die Zweifel, die sein ungeduldiges, stolzes Gemüth füllen, zu befriedigen? Warum kann mein Leib nicht dem kühnen Fluge meines Geistes folgen und das Sehnen stillen, das ich empfinde, die quälende Frage zu lösen, die sich mir stets auf die Lippen drängt: Lebt er noch? — O, meine Seele, sei geduldig, du hast eine glückliche Ruhe, um die andere Leute dich beneiden könnten! Für die Gegenwart genügt das Bewusstsein, dass deine Mission eine heilige ist! Vorwärts und hoffe!

Am Montag den 2. October zogen wir durch den Wald und die Ebene, welche sich von dem Ziwani nach Manyara erstreckt. Das kostete 6½ Stunden. Die Hitze war furchtbar[S. 315] drückend; doch wuchsen die Mtundu- und Miombo-Bäume hier in Zwischenräumen, die gerade ausreichten, um jedem Baum sein freies Wachsthum zu gestatten, während ihr Laub sich zu einem Dache verband, das angenehmen Schatten warf. Der Pfad war frei und bequem, der zusammengestampfte, feste, rothe Boden bot keine Hindernisse dar. Nur litten wir sehr von den Angriffen der Tsetse- oder Panga (Schwert)-Fliege, die hier schwärmte. Wir wussten, dass wir uns einem ausgedehnten Aufenthaltsort von Wild näherten und passten beständig auf, was für Gattungen diese Wälder wol bewohnten.

Als wir, im Tempo von ungefähr drei engl. Meilen in der Stunde, weiter zogen, bemerkte ich, wie die Karavane vom Wege abbog und 50 Schritt jenseits eines auf demselben befindlichen Gegenstandes, der die Aufmerksamkeit der Leute auf sich gezogen, wieder auf denselben zurückkehrte. Als ich soweit gekommen war, fand ich, dass es der Leichnam eines Mannes sei, der als ein Opfer der furchtbaren Geissel Afrikas, der Pocken, gestorben war. Er gehörte zu der Räuber- oder Guerillabande Oseto’s, die in dem Dienste des Mkasiwa von Unyanyembé steht und diese Wälder nach den Guerillas Mirambo’s durchsuchte. Sie waren aus Ukonongo von einem Raubzug, den sie gegen den Sultan von Mbogo geführt hatten, zurückgekehrt und hatten ihren Kameraden am Wege liegen lassen, wo er gestorben war. Er war ungefähr einen Tag todt.

Beiläufig bemerkt ereignete es sich häufig, dass wir ein Skelet oder einen Schädel auf dem Wege fanden. Fast jeden Tag sahen wir einen, manchmal zwei dieser Ueberbleibsel todter vergessener Menschen.

Bald danach kamen wir aus dem Wald und traten in eine Mbuga oder Ebene, in der wir eine Menge Giraffen erblickten, deren lange Hälse man über einen Busch, an dem sie gefressen hatten, emporragen sah. Dieser Anblick wurde mit einem Freudenschrei begrüsst, denn jetzt wussten wir, dass wir in ein Land jagdbarer Thiere gekommen waren und dass wir in der Nähe des Flusses Gombé, wo wir halten wollten, viele dieser Thiere sehen würden.

Ein Marsch von drei Stunden über diese heisse Ebene[S. 316] brachte uns an die bebauten Felder von Manyara. Vor der Dorfpforte verbot man uns hineinzutreten, da das ganze Land sich im Kriegszustande befinde und es nöthig sei, sehr vorsichtig beim Einlass irgendeiner Truppe zu sein, damit die Dorfbewohner nicht dadurch compromittirt würden. Man wies uns jedoch nach einem rechts vom Dorfe, in der Nähe einiger klarer Wasserpfützen belegenen Khambi, wo wir ungefähr ein halbes Dutzend zu Grunde gerichtete Hütten erblickten, die für ermüdete Menschen sehr ungemüthlich aussahen.

Nachdem wir unser Lager errichtet hatten, gab ich dem Kirangozi einiges Zeug, um uns Nahrungsmittel für den Durchzug der vor uns liegenden Wüste, die 135 Meilen oder neun Märsche lang sein sollte, im Dorfe zu kaufen. Man sagte ihm, dass der Mtemi seinen Leuten aufs strengste verboten hätte, Korn zu verkaufen.

Das war offenbar ein Fall, in dem nur etwas Diplomatie uns helfen konnte, denn es hätte uns mehrere Tage aufgehalten, wenn wir genöthigt gewesen wären, Leute nach Kikuru zurückzuschicken, um uns Proviant zu holen. Ich öffnete also meine Ballen der besseren Waarensorten, suchte zwei hübsche Tücher aus und schickte Bombay mit ihnen an den Sultan mit dem Freundschaftsgruss des weissen Mannes. Der Sultan schlug es verdriesslich aus und befahl ihm, zum Weissen zurückzukehren und ihm zu sagen, er möge ihn nicht weiter belästigen. Alles Bitten blieb umsonst, er wollte nicht einlenken, und die Leute waren genöthigt, in sehr schlechter Laune und hungrig zu Bett zu gehen. Hier fielen mir die Worte Ndschara’s, eines Sklavenhändlers und Schmarotzers des grossen Scheikh bin Nasib, ein: „O Herr, Sie werden es erfahren, dass Sie dem Volk nicht gewachsen sein werden und werden zurückkehren müssen. Die Wamanyara sind schlecht, die Wakonongo sind sehr schlecht, die Wazavira sind die allerschlechtesten. Sie sind zu einer schlechten Zeit in dieses Land gekommen. Ueberall herrscht Krieg.“ Und wirklich, wenn man nach dem Inhalt der Unterhaltungen schliessen durfte, die um unsere Lagerfeuer geführt wurden, so schien dies nur zu klar zu sein. Es war alle Aussicht dazu vorhanden, dass meine Leute alle zusammen[S. 317] ausreissen würden. Ich suchte jedoch sie zu ermuthigen und sagte ihnen, ich werde ihnen morgen Nahrungsmittel verschaffen.

Am nächsten Morgen wurde der Ballen der besten Zeuge noch einmal aufgemacht und vier gute Tücher nebst zwei Doti Merikani ausgewählt und Bombay damit sammt Grüssen und höflichen Redensarten abgesandt. Es war nöthig, sehr höflich gegen einen so verdriesslichen Mann zu sein, der zu mächtig war, als dass man sich hätte ihn zum Feinde machen dürfen. Was wäre aus uns geworden, wenn er sich entschloss, das Beispiel des gefürchteten Mirambo, des Königs von Uyoweh, nachzuahmen! Die Wirkung meiner grossartigen Freigebigkeit liess sich jedoch bald in der Masse von Vorräthen sehen, die ins Lager gebracht wurden. Ehe eine Stunde vorüber war, kamen Kisten voll Choroko, Bohnen, Reis, Matama oder Dourra und Mais, die ein Dutzend Dorfbewohner auf dem Kopfe uns zutrugen, und bald darauf kam der Mtemi selbst mit einem Gefolge von etwa 30 Musketieren und 20 Speerträgern, um sich den ersten Weissen, der je hier erblickt worden, anzusehen. Hinter diesen Kriegern kam ein grossartiges Geschenk, das an Werth dem, das er erhalten, gleichkam und aus mehrern grossen Kürbissen voll Honig, Hühnern, Ziegen und hinreichend viel Wicken und Bohnen bestand, um meine Leute auf vier Tage zu verproviantiren.

Ich ging dem Häuptling bis an die Thüre meines Lagers entgegen, verbeugte mich tief und lud ihn ein in mein Zelt, das ich für seinen Empfang eingerichtet hatte so gut als es die Umstände erlaubten. Mein persischer Teppich und die Bärenhaut lagen ausgebreitet und ein grosses Stück funkelnagelneues Scharlachzeug bedeckte meine Kitanda oder Bettstelle.

Ich forderte den Häuptling und seine Hauptleute auf, Platz zu nehmen. Der Blick befriedigten Erstaunens, den sie auf mich, mein Gesicht, meine Kleider und Gewehre warfen, ist kaum zu beschreiben. Sie sahen mich einige Secunden sehr genau an, dann blickten sie auf sich selbst und brachen in ein unbezwingliches Gelächter aus, wobei sie mit ihren Fingern wiederholt Schnippchen schlugen. Sie[S. 318] sprachen die Kinyamwezi-Sprache und mein Dolmetscher Maganga musste den Häuptling von der grossen Freude benachrichtigen, die ich bei seinem Anblick empfand. Nach einer kurzen Zeit, in der wir Complimente wechselten und um die Wette über einander lachten, wünschte der Häuptling, dass ich ihm meine Flinten zeige. Der „Sechzehnschiesser“, das gezogene Winchestergewehr, rief Tausende von schmeichelhaften Bemerkungen des aufgeregten Mannes hervor und die kleinen tödlichen Revolver, deren schöne Arbeit die Leute für übermenschlich ansahen, machten sie so beredt und entzückt, dass ich gern zu etwas andern griff. Die doppelläufigen Gewehre, die mit schweren Pulverladungen abgefeuert wurden, veranlassten sie scheinbar beunruhigt aufzuspringen und sich darauf in convulsivischem Gelächter wieder zu setzen. Sowie die Begeisterung meiner Gäste zunahm, griffen sie sich gegenseitig an die Zeigefinger, schraubten und zogen an diesen herum bis ich fürchtete, dass sie verrenkt werden würden. Nachdem ich ihnen den Unterschied zwischen Weissen und Arabern auseinandergesetzt, zog ich meinen Medicinkasten hervor, der ihnen wieder wegen der sinnreichen und hübschen Anordnung der Flaschen begeisterte Seufzer entlockte. Der Häuptling fragte, was sie zu bedeuten hätten.

„Dowa“, antwortete ich bedeutungsvoll, ein Wort, welches mit Medicin übersetzt werden kann.

„Oh, oh“, murmelten sie voll Bewunderung. Es gelang mir sehr bald, ihre unbedingte Bewunderung zu gewinnen, und es war ihnen ganz klar, dass ich den ausgezeichnetsten Arabern, die sie gesehen, bedeutend überlegen sei. „Dowa, Dowa“, sagten sie.

„Hier“, meinte ich und entkorkte ein Flasche mit medicinischem Branntwein, „ist das Kisungu Pombé (das Bier des Weissen). Nehmt einmal einen Löffel davon und versucht es!“ Mit diesen Worten überreichte ich es ihnen.

„Hacht, hacht, oh hacht. Was? Ach, was für starkes Bier haben die Weissen. O, wie mein Hals brennt!“ „Ja, es ist aber gut“, sagte ich, „schon ein klein wenig davon bewirkt es, dass die Leute sich stark und gut fühlen; zuviel davon macht sie dagegen schlecht und lässt sie sterben.“

MAMANYARA NIMMT MEDICIN.

[S. 319]

„Geben Sie mir etwas davon“, sagte einer der Häuptlinge, dem die andern der Reihe nach folgten.

Darauf holte ich eine Flasche concentrirtes Ammoniak, von dem ich ihnen erklärte, dass es gut gegen Schlangenbisse und Kopfschmerzen sei. Sofort klagte der Sultan über Kopfschmerzen und wünschte etwas davon zu haben. Indem ich ihm befahl, seine Augen zu schliessen, entkorkte ich plötzlich die Flasche und hielt sie Seiner Majestät unter die Nase. Der Effect war magisch, denn er fiel rückwärts um, als ob er angeschossen sei, und die Verzerrungen seiner Gesichtszüge lassen sich nicht beschreiben. Seine Häuptlinge brüllten vor Lachen, klatschten die Hände zusammen, kniffen einander, schlugen Schnippchen mit ihren Fingern und betrugen sich sonst noch höchst lächerlich. Ich glaube bestimmt, dass, wenn eine solche Scene auf irgendeiner Bühne aufgeführt würde, die Wirkung auf das Publikum sofort wahrzunehmen wäre, dass dasselbe sich an meiner Stelle fast toll gelacht haben würde. Schliesslich erholte sich der Sultan; grosse Thränen rollten ihm die Wangen herab, seine Gesichtszüge bebten vor Lachen und er sprach langsam das Wort „Kali“, d. h. heisse, starke, rasche, brennende Medicin. Er wünschte nichts mehr davon; die andern Häuptlinge aber drängten sich danach, ein wenig daran zu riechen, und verfielen, sobald sie das gethan, in unbezwingliches Gelächter. Der ganze Morgen verging mit dieser Staatsvisite, von der alle Betheiligten ausserordentlich befriedigt waren.

„Ach“, sagte der Sultan beim Weggehen, „diese Weissen wissen alles, mit ihnen verglichen sind die Araber gar nichts!“

In dieser Nacht desertirte einer der Führer, Hamdallah, mit seinem aus 27 Doti bestehenden Lohn und einem Gewehr. Es wäre unnütz gewesen, ihm am Morgen zu folgen, da es mich viel länger als ich konnte aufgehalten haben würde; doch gelobte ich mir innerlich, dass Herr Hamdallah diese 27 Doti abarbeiten solle, ehe ich die Küste erreichte.

Der 4. October, Mittwoch, sah uns nach dem Gombéfluss reisen, der 4¼ Stunden von Manyara entfernt ist.

Kaum hatten wir die wogenden Kornfelder meines Freundes Mamanyara verlassen, als wir eine Heerde schöner[S. 320] Zebras erblickten. Zwei Stunden später waren wir in ein prächtiges weites Parkland getreten, das mit seiner weiten, grossartigen Aussicht, dem sich ausbreitenden grünen Teppich, der hier und dort mit kleinen Gruppen von dichtem Gebüsch und schattigen Bäumen besetzt war, ohne Zweifel eine der schönsten Landschaften Afrikas ist. Hierzu kommt noch, dass, als ich einen der zahlreichen kleinen Hügel bestieg, ich eine Menge Heerden Büffel, Zebras, Giraffen und Antilopen erblickte, was mir ebenso wie bei meiner ersten Landung auf dem Boden Afrikas einiges Herzklopfen vor Erregung machte. Wir krochen geräuschlos die Ebene hinauf bis zu dem Lager, das wir uns an den Ufern des trägen Gombé aufschlagen wollten.

Hier war denn endlich das Paradies des Jägers! Wie klein und unbedeutend erschienen meine Jagden nach kleinen Antilopen und wilden Ebern; welche thörichte Kraftverschwendung lag in den langen Spaziergängen durch feuchte Gräser und dornige Dickichte! Wie lebhaft erinnerte ich mich meiner ersten bittern Erfahrung in den afrikanischen Dschungels der Seegegend! Aber hier, welches Edelmanns Park hätte sich mit diesem Schauspiel vergleichen können? Hier hat man eine weiche, sammetartige Rasenfläche vor sich, dort angenehmen Schatten unter jenen ausgedehnten Baumgruppen, und in bequemer Schussweite weiden Heerden verschiedener grosser Wildarten. Jetzt, wo sich eine solche Aussicht meinen Blicken eröffnet, fühle ich mich vollständig für meinen langen Umweg nach Süden entschädigt. Hier gibt es keine dornigen Dickichte und durchdringend riechende Moore, die den Jäger erschrecken und seine Sehnsucht nach echtem Sport abschwächen. Kein Jäger könnte sich ein schöneres Feld für seine Thätigkeit ersehnen.

Nachdem ich die Oertlichheit des Lagers festgestellt, das eine der Pfützen, die in der Richtung des Gombéflusses liegen, überblickte, nahm ich meine doppelläufige glatte Flinte und schlenderte fort in das Parkland. Aus einer Baumgruppe hervortretend, sah ich drei schöne feiste Springböcke auf dem frischen Grase gerade hundert Schritt von mir entfernt weiden. Ich kniete nieder und feuerte; eine unglückliche Antilope sprang instinktiv in die Höhe und[S. 321] fiel todt nieder. Ihre Gefährten schnellten gleichfalls in die Luft und machten dabei Sprünge von ungefähr 12 Fuss Weite, gleich als ob diese Vierfüssler gymnastische Uebungen machen wollten, und eilten darauf fort, wie Gummibälle in die Höhe prallend, bis ein Hügel sie meinen Blicken entzog. Die Soldaten begrüssten mein Glück mit lautem Freudengeschrei und kamen sofort aus dem Lager gelaufen, als sie das Knallen meiner Flinte hörten. Mein Flintenträger zückte sein Messer gegen den Hals des Thieres und rief ein inniges „Bismillah“, als er den Kopf fast vollständig vom Körper trennte.

Jetzt sandte ich Jäger nach Osten und Norden aus, um uns Fleisch zu verschaffen, denn in jeder Karavane finden sich sogenannte Fundi, deren eigentliches Handwerk darin besteht, das Fleisch für das Lager zu erjagen. Einige von ihnen sind im Stellen des Wildes sehr gewandt, befinden sich aber oft in gefährlicher Lage wegen der nothwendigen Annäherung, da sie ihre sehr unzuverlässigen Gewehre nur in der Nähe mit einiger Sicherheit gebrauchen können.

Nach dem Frühstück, das aus gerösteten Springbockschnitten, heissen Kornkuchen und einer Tasse herrlichen Mokkakaffees bestand, wanderte ich gemeinschaftlich mit Kalulu und Madschwara, zwei jungen Flintenträgern, nach Südwesten. Die kleinen Perpusilla-Antilopen sprangen wie Kaninchen vor mir her, als ich mich durch das Unterholz dahinschlich; der Honigvogel hüpfte zirpend von Baum zu Baum, als ob er glaubte, dass ich den süssen Schatz, dessen Versteck er allein kannte, aufsuchte; doch wünschte ich weder Perpusillas noch Honig zu haben, denn ich suchte mir an diesem Tage etwas Grosses. Scharfsichtige Fischadler und Bussarde, die auf Bäumen an den Krümmungen des Gombé sassen, dachten und wol mit gutem Recht, dass ich ihnen nachstelle, wenn man nach dem raschen Fluge urtheilen darf, mit dem diese Vögel verschwanden, als sie mich ankommen sahen. Doch nein, heute will ich nichts als Hartebeests, Zebras, Giraffen, Elenn und Büffel! Nachdem ich dem Lauf des Gombé ungefähr eine Meile gefolgt war und meine Augen lange an den breiten, langen Wasserflächen[S. 322] erfreut hatte, die ich so lange nicht mehr gesehen, bot sich mir ein Schauspiel, das meine Seele im Innersten entzückte. Da befanden sich, ungefähr 150 Schritt von mir, zehn Zebras, mit den Schweifen die schönen gestreiften Körper peitschend und sich gegenseitig beissend. Der Anblick war so hübsch, so romantisch; nie hatte ich es mir vorher so klar gemacht, dass ich in Central-Afrika sei. Ich fühlte mich im Augenblick stolz darauf, ein so ungeheueres, von so edlem Gethier bewohntes Gebiet zu besitzen. Hier hatte ich im Bereich einer Bleikugel ein jedes der schönen Thiere, des Stolzes der afrikanischen Wälder, das ich zu haben wünschte. Ich konnte sie nach Belieben schiessen. Mir gehörten sie an, ohne dass ich Geld dafür zu zahlen hätte; dennoch liess ich meine Flinte zweimal sinken, da ich die herrlichen Thiere nicht verwunden wollte, aber Paff! — und eins derselben lag auf seinem Rücken und kämpfte mit den Beinen in der Luft. O, wie schade war es! Doch rasch heraus mit dem scharfen Messer über die schönen Streifen, die sich um den Hals ziehen. Was für ein hässlicher Schnitt! Es ist geschehen, ich habe ein herrliches Thier zu meinen Füssen. Hurrah, heute Abend werde ich Ukonongo-Zebrabraten essen!

Ich hielt einen Springbock und ein Zebra ausreichend für das Jagdvergnügen eines Tages, namentlich nach einem langen Marsch. Der Gombé, ein sich lang hinstreckendes tiefes Gewässer, das sich still durch grüne Haine windet und Lotusblätter auf seiner Oberfläche leicht wiegt, sah hübsch, romantisch, friedlich wie ein Sommertraum aus und lud sehr zum Bade ein. Ich suchte mir den schattigsten Ort unter einer breiten Mimose aus, von wo der Boden sich platt wie eine Wiese an das steile Wasser hinabzog. Ich wagte es, mich zu entkleiden, war schon bis an die Knöchel ins Wasser gegangen und hatte beide Hände zum raschen Tauchersprunge zusammengelegt, als plötzlich meine Aufmerksamkeit durch einen furchtbar langen Körper angezogen wurde, der in Sicht schoss und gerade den Ort unter der Oberfläche einnahm, den ich mit einem Kopfsprung hatte untersuchen wollen. Gerechter Himmel, es war ein Krokodil! Instinktmässig sprang ich zurück, und das war[S. 323] meine Rettung, denn das Ungethüm wandte sich mit enttäuschtem Blick ab und ich konnte mir Glück wünschen, dass ich soeben seinen Kinnladen entkommen war und gelobte mir, mich nie wieder durch die verrätherische Ruhe eines afrikanischen Flusses verlocken zu lassen.

Sobald ich angekleidet war, wandte ich mich von dem jetzt abstossend erscheinenden Anblick des Stromes ab. Als ich durch das Dickicht meinem Lager zuschlenderte, entdeckte ich die Gestalten zweier Eingeborenen, die scharf um sich blickten. Ich gebot meinen jungen Begleitern vollkommene Ruhe, schlich mich an sie heran und wusste es mit Hülfe einer dichten Gruppe von Unterholz so einzurichten, mich ihnen unentdeckt bis auf ein paar Schritt Entfernung zu nähern. Ihre blose unerklärte Anwesenheit in dem grossen Walde bildete bei dem damaligen unruhigen Zustande des Landes eine Quelle der Besorgniss, und ich beabsichtigte, mich ihnen plötzlich zu zeigen, die Wirkung hiervon zu beobachten, und wenn diese irgendetwas meiner Expedition Feindseliges kundgab, die Sache sofort mit Hülfe meines doppelläufigen glatten Gewehrs zu erledigen.

Als ich auf der einen Seite des Busches ankam, erschienen beide verdächtig aussehende Eingeborene auf der andern, und wir waren nur ein paar Schritt auseinander. Ich that einen Sprung und wir standen uns dicht gegenüber. Die Eingeborenen warfen einen Blick auf die plötzliche Erscheinung eines weissen Mannes und schienen einen Augenblick wie versteinert, dann aber erholten sie sich und riefen aus: „Bana, Bana, Sie kennen uns nicht. Wir sind ja Wakonongo, die in Ihr Lager gekommen, Sie nach Mrera zu begleiten, und wir suchen Honig.“ „Ja, wahrhaftig, Ihr seid die Wakonongo. Gut, dann ist alles in Ordnung. Ich dachte, Ihr könntet Ruga-Ruga sein.“

Wir fingen nun beiderseits an laut zu lachen, statt uns feindlich entgegenzutreten. Die Wakonongo freuten sich sehr über den Zufall und lachten herzlich, als sie ihren Weg fortsetzten, um wilden Honig zu suchen. Auf einem Stückchen Rinde trugen sie etwas Feuer, mit dem sie die Bienen aus[S. 324] ihren in den grossen Mtundu-Bäumen gelegenen Nestern ausräucherten.

Die Abenteuer des Tages waren vorüber; das Blau des Himmels hatte sich in ein todtes Grau verwandelt; der Mond erschien gerade über den Bäumen; das Wasser des Gombé war wie ein silberner Gürtel; heisere Frösche quakten laut an dem Rande des Flusses; die Fischadler liessen aus den Wipfeln der höchsten Bäume ihr grabliedähnliches Geschrei ertönen; Elennthiere warnten ihre im Walde befindlichen Heerden durch ihr Wiehern, und leise schlichen sich verschiedene Raubthiere ausserhalb unseres Lagers durch die dunkeln Wälder. In dem hohen Gehege von Busch und Dorn, das wir um das Lager errichtet hatten, war alles heiter, lachend, fröhlich und wahrhaft gemüthlich. Um jedes Lagerfeuer sah man dunkle Männergestalten hocken, der eine nagte an einem saftigen Knochen; der andere sog das fette Mark aus dem Bein eines Zebras; ein dritter drehte einen mit ungeheuern Kabobs garnirten Stock an einem hellen Feuer; ein vierter hielt eine grosse Rippe über eine Flamme. Noch andere rührten fleissig in grossen schwarzen Töpfen voll Ugali herum und beobachteten sorgfältig das brodelnde Fleisch und das Aufwallen der Suppe, während das Feuer tüchtig flackerte und hüpfte, einen hellen Schein auf die nackten Gestalten der Männer warf und dem hohen Zelt, das in der Mitte des Lagers wie ein einem mysteriösen Gotte geweihter Tempel dastand, eine röthliche Färbung gab. Die Flammen warfen ihren Schein auf die massigen Zweige der Bäume, die sich über unser Lager ausdehnten, und im Dunkel ihres Laubes wurden die phantastischsten Schatten sichtbar. Es war eine wilde, romantische, ausdrucksvolle Scene. Doch kümmerten sich meine Leute wenig um Schatten und Mondlicht, Scharlachfärbung und tempelartige Zelte, vielmehr waren sie alle eifrig dabei beschäftigt, ihre verschiedenen Erlebnisse zu erzählen und sich mit den kräftigen Fleischspeisen, die unsere Flinten uns verschafft hatten, vollzustopfen. Der eine erzählte, wie er einen wilden Eber gestellt und wie er infolge des wüthenden Angriffs, den das verwundete Thier auf ihn gemacht, die Flinte habe wegwerfen und einen Baum[S. 325] hinaufklettern müssen. Er erinnerte sich noch des schrecklichen Grunzens des Thieres, und das ganze Firmament erdröhnte von dem Gelächter, das seine mimischen Darstellungen hervorrief. Ein anderer hatte ein Büffelkalb erschossen, ein dritter ein Hartebeest erlegt. Die Wakonongo erzählten ihre spasshafte Zusammenkunft mit mir im Walde und gaben weitläufige Beschreibungen von Honigvorräthen, die sich in den Wäldern befänden. Die ganze Zeit über versuchten Selim und seine jungen Untergebenen ihre scharfen Zähne an dem Fleisch eines Ferkels, das einer der Jäger erlegt, sonst aber niemand essen wollte, wegen der mohammedanischen Abneigung gegen Schweinefleisch, welche sich die Leute bei ihrer Umwandlung aus wilden Negern in brauchbare, gelehrige Zanzibarer Freie mit angeeignet hatten.

Die beiden folgenden Tage lagerten wir und machten häufige Streifzüge gegen die Heerden dieses schönen Landes. Am ersten Tage war ich wieder sehr glücklich bei meiner Jagd; denn ich erbeutete ein paar Antilopen, eine Kudu (Antilope strepsiceros) mit schönen gewundenen Hörnern und einen Pallah-Bock (Antilope melampus), ein röthlich braunes Thier, das ungefähr 3½ Fuss misst und breite Hinterbacken hat. Es wäre mir wol gelungen, Thiere zu Dutzenden zu schiessen, hätte ich nur ein genaues, schweres Gewehr gehabt, wie sie von Lancaster, Reilly oder Blissett fabricirt werden, bei denen nie ein Schuss versagt. Meine Gewehre waren aber, mit Ausnahme meiner leichten glatten Flinte, nicht für afrikanisches Wild, sondern mehr für Menschen geeignet. Mit dem gezogenen Winchestergewehr und dem Starr’schen Karabiner war ich zwar im Stande, alles zu treffen, was 200 Meter von mir entfernt war, aber die Thiere wussten, obwol verwundet, sich stets dem Messer zu entziehen, sodass ich die Erbsenkugeln satt bekam. Hier zu Lande braucht man ein grosses Kaliber; Nr. 10 oder 12 ist der eigentliche Knochenzerschmetterer, der jedes angeschossene Thier sofort zu Falle bringt, wodurch man alle Strapazen und Enttäuschungen vermeidet. Mehrere male wurde ich während dieser beiden Tage, nachdem ich mühevoll das Thier gestellt hatte und auf dem Boden herangekrochen war, enttäuscht. Einmal stiess ich plötzlich auf ein[S. 326] Elenn, während ich das gezogene Winchestergewehr in der Hand hatte; das Elenn sowie ich waren beide höchst erstaunt, da wir uns nur 25 Schritt voneinander befanden. Ich feuerte ihm auf die Brust, die Kugel ging richtig weit in die innern Theile hinein und das Blut quoll aus der Wunde hervor. In wenigen Minuten jedoch war das Thier weit fort und ich zu sehr enttäuscht, um ihm nachsetzen zu können. Alle Liebe zur Jagd schien vor diesen verschiedenen Misgeschicken zu verschwinden. Was waren denn zwei Antilopen für die Jagd eines Tages im Verhältniss zu den Tausenden, die auf der Ebene weideten?

Die Thiere, die während der Jagd von drei Tagen in unser Lager gebracht wurden, waren zwei Büffel, zwei wilde Eber, drei Hartebeest, ein Zebra und ein Pallah. Ausserdem wurden acht Perlhühner, drei Florikans, zwei Fischadler, ein Pelikan geschossen, und einer meiner Leute fing ein paar grosse Welse. Mittlerweile hatten die Leute diese reichlichen Vorräthe in Stücke geschnitten und getrocknet, damit sie uns bei unserm Durchzug durch die vor uns befindliche lange Wüstenei dienten.

Am Sonnabend den 7. October brachen wir unser Lager zum grossen Bedauern der fleischliebenden und gefrässigen Wangwana ab. Sie schickten Bombay früh am Morgen zu mir, um mich zu bitten, noch einen Tag länger da zu verweilen. Das war immer der Fall, sie hatten stets eine unüberwindliche Abneigung gegen die Arbeit, wenn sie Fleisch zu sehen bekamen. Ich schalt Bombay gründlich aus, dass er mir eine solche Bitte vortrug, nachdem wir eine Rast von zwei Tagen gehabt, während welcher Zeit sie sich mit Fleisch vollgestopft hätten. Bombay war daher keineswegs in bester Laune; denn gefüllte Fleischtöpfe waren mehr nach seinem Geschmack, als beständiges Marschiren und die damit verbundenen Strapazen. Ich sah, wie sich sein Gesicht in hässliche verdriessliche Falten zog und seine grossen Unterlippen herabhingen, was so viel bedeutete wie: „Bringen Sie die Leute selbst in Bewegung, Sie böser, grausamer Mann! Ich werde Ihnen dabei nicht behülflich sein.“

Eine unheilverkündende Stille folgte meinem dem Kirangozi ertheilten Befehl, das Horn ertönen zu lassen, und[S. 327] der gewöhnliche Singsang liess sich nicht vernehmen. Die Leute kehrten sich verdriesslich ihren Ballen zu, und ich hörte, wie Asmani, der gigantische Führer, unser Fundi, murrend sagte, er bedauere es, sich als Führer nach dem Tanganika vermiethet zu haben. Dennoch brachen sie, wenn auch widerwillig, auf. Ich blieb mit meinen Flintenträgern zurück, um die Nachzügler anzutreiben. Nach einer halben Stunde etwa sah ich aber, wie die Karavane vollständig stillhielt, die Ballen auf den Boden warf, wie die Leute in Gruppen herumstanden und sich ärgerlich und aufgeregt unterhielten.

Indem ich meine doppelläufige Flinte von Selim’s Schultern nahm, suchte ich mir ein Dutzend Ladungen Rehposten aus und ging, nachdem ich zwei davon in die Läufe gethan und meine Revolver bereit gemacht hatte, auf sie zu. Ich bemerkte, wie die Leute zu ihren Flinten griffen, als ich näher kam. Als ich 30 Schritt von den Gruppen entfernt war, sah ich die Köpfe von zwei Leuten über einem Ameisenhaufen zu meiner Linken erscheinen, ihre Flintenläufe nachlässig auf den Weg gerichtet.

Ich hielt an, warf den Lauf meiner Flinte in die Höhlung der linken Hand, zielte kaltblütig auf sie und drohte ihnen die Köpfe zu zerschmettern, falls sie nicht vorträten, um mit mir zu sprechen. Diese beiden waren der riesenhafte Asmani und sein getreuer Freund Mabruki, die Führer Scheikh bin Nasib’s. Da es gefährlich war, einem solchen Befehl nicht nachzukommen, so kamen sie sogleich; ich sah aber, als ich Asmani im Auge behielt, dass er seine Finger am Drücker seiner Flinte bewegte und dieselbe in Bereitschaft hielt. Wiederum erhob ich meine Flinte und drohte, ihn sofort zu erschiessen, wenn er nicht seine Flinte fortwerfe.

Asmani kam seitwärts mit grinsendem Gesicht heran, aus seinen schurkischen Augen jedoch blickte die unheimliche Absicht zum Morde so klar wie möglich hervor. Mabruki schlich sich hinter mich und legte bedächtig Pulver auf die Pfanne seiner Muskete; ich fuhr aber mit der Flinte scharf in die Runde, hielt die Mündung derselben ihm ungefähr zwei Fuss vor das boshafte Gesicht und befahl ihm, sein Gewehr sofort wegzuwerfen. Rasch liess er es aus der[S. 328] Hand fallen und ich gab ihm mit meiner Flinte einen kräftigen Stoss vor die Brust, der ihn taumelnd einige Fuss von mir niederstreckte. Hierauf wandte ich mich zu Asmani und befahl ihm, sein Gewehr niederzulegen, wobei ich eine kräftige Bewegung mit meiner Flinte machte und deren Stecher gleichzeitig leise andrückte. Nie war ein Mensch dem Tode näher als Asmani während dieser kurzen Augenblicke. Doch wollte ich nicht gern Blut vergiessen, sondern alle möglichen Mittel versuchen, es zu vermeiden; gelang es mir aber nicht, diesen Schurken einzuschüchtern, so war meine Autorität zu Ende. In Wahrheit fürchteten sich alle, weiter zu ziehen, und die einzige Möglichkeit, sie dazu zu bewegen, war durch Gewalt und die Ausübung meiner ganzen Willenskraft in diesem Falle, selbst wenn ein einzelner seinen Ungehorsam mit dem Tode zu büssen hätte. Als ich mir eben klar machte, dass Asmani seinen letzten Augenblick auf Erden verlebt habe, da er seine Flinte an die Schulter hob, trat eine Gestalt hinter ihm hervor, fegte sein Gewehr mit einer ungeduldigen kräftigen Bewegung zur Seite, und ich hörte, wie Mabruki-Speke in erschrecktem Tone sagte:

„Mensch, wie wagst Du es, Deine Flinte gegen den Herrn zu richten?“ Darauf warf sich Mabruki mir zu Füssen, versuchte sie zu küssen und bat mich, ihn nicht zu bestrafen. „Jetzt sei alles vorüber“, sagte er, „es würde keine Zänkerei mehr vorkommen, sie würden alle mit mir ohne irgendwelchen Streit nach dem Tanganika gehen und Inschallah! wir werden den alten Musungu in Udschidschi finden. Sprecht, Männer, freie Männer, wird das nicht geschehen? Werden wir nicht an den Tanganika gehen, ohne irgend weitere Unruhe? Sagt das dem Herrn einstimmig.“

Alle riefen laut: „Ay Wallah! ay Wallah! Bana yango! Hamuna manneno mgini!“ Buchstäblich übersetzt: „Ja, bei Gott! ja, bei Gott, mein Herr! Es gibt keine andern Worte!“

„Bitte den Herrn um Verzeihung, oder mach, dass Du fortkommst!“ sagte Mabruki gebieterisch zu Asmani, und dieser that es zu unser aller Freude.

MEUTEREI AM GOMBÉ-FLUSS.

Es blieb mir nur noch übrig, einen allgemeinen Pardon[S. 329] an alle zu ertheilen, mit Ausnahme von Bombay und Ambari, welche die jetzt glücklich unterdrückte Meuterei angestiftet hatten. Denn Bombay als Hauptmann hätte, wenn er gewollt, durch ein Wort jede Aeusserung übler Laune im Keime ersticken können. Bombay war aber dem Marschiren noch abgeneigter als der feigste seiner Kameraden, nicht weil er feig, sondern weil er faul war und seinen Bauch zu seinem Gott machte. Ich ergriff also einen Speer und schlug ihn damit tüchtig auf die Schultern, sprang darauf auf Ambari, dessen höhnisches Gesicht bald eine merkliche Verwandlung erlitt. Darauf liess ich sie alle beide in Ketten legen und drohte ihnen, dass sie geschlossen bleiben sollten, bis sie wüssten, wie sie um Verzeihung zu bitten hätten. Asmani und Mabruki wurden verwarnt, ihren bösen Stimmungen nicht mehr nachzugeben, wenn sie nicht den Tod, dem sie jetzt glücklich entronnen, schmecken wollten.

Wiederum wurde der Befehl zum Marsch ertheilt und alle nahmen ihre Lasten mit erstaunlicher Munterkeit auf und entschwanden alsbald den Blicken, Bombay und Ambari in Ketten, zusammen mit den Deserteuren Kingaru und Asmani, mit den schwersten Lasten beladen, hinter uns her.

Kaum waren wir eine Stunde von dem Gombé entfernt, als Bombay und Ambari mit zitternder Stimme mich um Verzeihung baten; ich liess sie noch eine halbe Stunde bitten, dann gab ich schliesslich nach, befreite sie von ihren Ketten und setzte den erstern wieder vollständig in seine Würde als Hauptmann ein.

Da ich über Persönlichkeiten spreche, will ich hier eine kurze Charakterskizze eines jeden der wichtigsten Männer, deren Namen in den folgenden Kapiteln häufig erscheinen werden, einschalten. Dies sind ihrem Range nach Bombay, Mabruki-Speke, der Führer Asmani, Tschaupereh, Ulimengo, Khamisi, Ambari, Dschumah, der Koch Feradschi, der Mnyamwezi Maganga, der arabische Knabe Selim und der jugendliche Gewehrträger Kalulu.

Bombay ist von Burton, Speke und Grant sehr gelobt worden; es thut mir aber leid, dass ich nicht im Stande bin, dies ganz zu bestätigen. Burton bezeichnet ihn überschwenglich[S. 330] als die „Personification der Ehrlichkeit“. In Wahrheit war aber Bombay weder sehr ehrlich, noch sehr unehrlich, d. h. er wagte es nicht, viel zu stehlen. Wenn er das Fleisch vertheilte, wusste er es bisweilen schlau einzurichten, einen grossen Theil für sich zu verstecken, doch hat mich diese kleine Sünde nicht sehr gestört; als Hauptmann verdiente er eine grössere Portion als die übrigen. Man musste ihn aber genau bewachen, und wenn er wusste, dass dies geschah, so wagte er es selten, sich mehr Tuch anzueignen, als ich ihm aus freien Stücken gegeben hätte, wenn er darum gebeten. Als Kammerdiener wäre er tadellos gewesen, als Hauptmann oder Dschemadar über seine Genossen befand er sich jedoch nicht im richtigen Wirkungskreise. Man musste zu viel daran denken und sich zu viele Sorgen machen, um ihn in Ordnung zu halten. Bisweilen war er so dumm in seinen Bewegungen, dass ihm nicht zu helfen war; oft vergass er den Befehl im Augenblick, wo er ihm ertheilt worden, zerbrach oder verlor beständig irgendeinen werthvollen Gegenstand und liebte es, zu räsonniren; auch war er zum Aufbrausen geneigt. Bombay hält Hadschi Abdullah für einen der bösesten Weissen, die existiren, weil er es mit angesehen, wie dieser die Schädel von Menschen sammelte und sie in seine Beutel that, als ob er im Begriff sei, eine fürchterliche Medizin daraus zu bereiten. Er wollte wissen, ob sein früherer Herr alles niedergeschrieben habe, was er gethan, und als ich ihm sagte, dass Burton nichts darüber in seinem Buche mitgetheilt, dass er in Kilwa Schädel gesammelt, meinte er, ich würde ein gutes Werk thun, wenn ich diese wichtige Thatsache mittheilte[7]. Bombay beabsichtigt, einst noch an das Grab von Speke zu wallfahrten.

Mabruki, „Ras-bukra Mabruki“, der stierköpfige Mabruki, wie Burton ihn nennt, Mabruki-Speke, wie wir ihn zur Unterscheidung von den andern Mabrukis nannten, ist[S. 331] nach meiner Ansicht ein Mann, dem sehr grosses Unrecht geschehen ist. Der grosse Reisende pflegte ihn auf Arabisch zu rufen und in dem auserwählten Wörterverzeichniss von El Scham zu schimpfen. „Ji’ib el haleeb Bil-alek“, erzählte mir Mabruki, sei ihm oft zugerufen worden; d. h. „Bring mir die Milch, Du —“ Nun, ich muss gestehen, ich bin nicht hinreichend im Syrisch-Arabischen bewandert, um im Stande zu sein, das letzte Wort zu übersetzen. Es muss ohne Zweifel etwas schreckliches sein, denn es erregt noch heute Mabruki in hohem Grade. Mabruki sagt, er möchte gern mit seinem frühern Herrn kämpfen, ich glaube jedoch nicht, dass er ihm sehr viel Schaden thun würde. Mabruki ist aber, wenn auch dumm, doch treu; er ist als Kammerdiener durchaus nichts werth, ebenso gut könnte er Sekretär sein. Als Wache hingegen ist er unschätzbar und als zweiter Hauptmann oder Fundi, dessen Pflicht es ist, die Nachzügler wieder heranzubringen, ist er über alles Lob erhaben. Er ist hässlich und eitel, aber nicht feige.

Der Führer Asmani ist ein grosser Kerl, mehr als sechs Fuss hoch, mit dem Nacken und den Schultern eines Herkules. Neben seiner Function als Führer ist er ein Fundi, heisst auch bisweilen Fundi-Asmani, oder Jäger. Er ist ein sehr abergläubischer Mensch, der sein Gewehr und seinen als Talisman dienenden geflochtenen Riemen sehr in Acht nimmt, welchen letzteren er in das Blut aller Thiere, die er je geschossen, getaucht hat. Er fürchtet sich vor Löwen und wagt sich nie hinaus, wo er weiss, dass Löwen da sind. Alle andern Thiere betrachtet er als Jagdwild und ist unermüdlich beim Verfolgen derselben. Selten sieht man ihn ohne ein Lächeln auf dem Gesicht, das aber nicht freundlich, sondern mehr selbstentschuldigend, verrätherisch ist. Er könnte einem Menschen den Hals abschneiden und dabei lächeln.

Tschaupereh ist ein stämmiger, kleiner Mann von ungefähr dreissig Jahren, sehr gutmüthig und spassig. Wenn Tschaupereh in seinem trockenen Stile spricht, wie Mark Twain, so lacht das ganze Lager. Ich zanke mich nie mit Tschaupereh und habe es nie gethan. Ein freundliches Wort, das man an ihn richtet, wird bestimmt mit einer guten That[S. 332] vergolten. Er ist der Stärkste, Gesündeste, Liebenswürdigste und Treueste von allen, kurz, die Personification eines guten Trabanten.

Khamisi ist ein netter, reinlicher Junge von ungefähr zwanzig Jahren, thätig, laut, prahlerisch und der Feigste der Feigen. Er pflegt bei jeder Gelegenheit zu stehlen, hängt mit Vorliebe an seiner Flinte, ist immer sehr ängstlich, wenn eine Schraube losgeht oder ein Stein nicht Feuer geben will; doch bezweifle ich, dass er vor starkem Zittern im Stande sein würde, seine Flinte gegen einen Feind abzufeuern. Er würde sich wol eher auf seine Füsse verlassen, die klein und wohlgeformt sind.

Ambari ist ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, gehört zu Speke’s „Getreuen“ und auch zu den meinigen. Er würde nicht von mir weglaufen, ausser vor einem Feinde, und wenn er sich in grosser persönlicher Gefahr befinden sollte. In seiner Art ist er gescheit, aber nicht hinreichend, um als Hauptmann zu dienen; er könnte jedoch eine kleinere Abtheilung in seine Obhut nehmen und gewiss gut über dieselbe Bericht erstatten. Er ist faul, liebt das gute Leben und hasst das Marschiren, wenn er mehr als seine Flinte zu tragen hat.

Dschumah ist derjenige von den Leuten, auf den am meisten geschimpft wird, aber nicht von mir, denn ich streite mich selten mit ihm; er hat nämlich Alteweiber-Manieren und ist in seiner Weise geneigt, das beste für mich zu thun, obwol er nicht ein Pfund tragen kann, ohne über sein hartes Schicksal zu stöhnen. Mir gegenüber ist er sentimental und pathetisch; den unbedeutenderen Mitgliedern der Karavane gegenüber zeigt er sich streng und unnachgiebig. In Wahrheit hätte ich Dschumah sehr leicht entbehren können, er war unverbesserlich unbrauchbar und ass viel mehr, als er werth war. Im übrigen war er ein sehr streitsüchtiger und mürrischer Narr.

Ulimengo, ein starker, tapferer Bursche von dreissig Jahren, war der Tollste und Hirnverbrannteste meiner Gesellschaft. Obgleich ein Erzfeigling, renommirte er doch gewaltig; trotz seiner Liebe zum Spass und Vergnügen, war er nicht sehr gegen die Arbeit. Mit hundert Leuten seines[S. 333] Schlags hätte ich durch ganz Afrika reisen können, vorausgesetzt, dass man keine Gefechte zu bestehen hätte. Man wird sich wol erinnern, dass er der Kriegsheld war, der meine kleine Armee gegen Mirambo in den Krieg führte und den Schlachtgesang der Wangwana anstimmte, und dass ich erzählt habe, wie er, als der Rückzug beschlossen war, als erster von meiner Gesellschaft die Veste Mfuto erreichte. Er läuft rasch und schiesst gut. Ihm verdanke ich bei verschiedenen Gelegenheiten werthvolle Beiträge zu meiner Speisekammer.

Feradschi, ein früherer Tellerputzer von Speke, war mein Koch. Er wurde in dies Amt befördert, nachdem Bunder-Salaam ausgerissen war und Abdul Kader sich als völlig unbrauchbar erwiesen hatte. Feradschi’s Zwecken genügte es, wenn er kein Wischtuch hatte, die Schüsseln mit Kornähren, grünen Zweigen, einem Bündel Blätter oder Gras, was ihm gerade zur Hand war, zu reinigen. Wenn ich mir einen Teller bringen liess und ihm darauf eine schwarze, fettige, schmutzige Daumenspur zeigte, so hielt Feradschi ein Abreiben mit dem Finger für genügend, um alle Einwürfe zu erledigen. Wenn ich ihm andeutete, dass ein Löffel schmutzig sei, so glaubte er, der Peinlichste müsse damit zufriedengestellt sein, wenn er es mit etwas Speichel an seinem schmierigen Lendentuch abgerieben hatte. Jedes Pfund Fleisch und jeder dritte Löffel Schleim oder Grütze, den ich in Afrika gegessen, enthielt wenigstens zehn Gran Sand. Feradschi ärgerte sich ungemein, als ich ihm drohte, ich würde bei unserer Ankunft in Zanzibar mir den Magen vom grossen englischen Doctor öffnen und jedes in demselben gefundene Sandkorn zählen lassen, wo dann Feradschi für jedes derselben einen Dollar zahlen müsse. Das Bewusstsein, dass mein Magen eine grosse Anzahl Sandkörner enthalten müsse, wodurch er schweres Geld verwirkt habe, machte ihn zuweilen sehr traurig. Im übrigen war Feradschi ein guter, sehr fleissiger, wenn auch nicht perfekter Koch und konnte eine Tasse Thee sowie drei bis vier heisse Pfannkuchen innerhalb zehn Minuten, nachdem wir halt gemacht, fertig bringen, und dafür war ich ihm sehr dankbar, da ich nach einem langen Marsch gewöhnlich hungrig war. Feradschi[S. 334] hatte Baraka’s Partei gegen Bombay in Unyoro ergriffen, und da Speke sich für Bombay entschied, verliess Feradschi aus Liebe zu Baraka Speke’s Dienste und verwirkte so seinen Lohn.

Maganga war ein in Mkwenkwe geborener Mnyamwezi, ein starker, treuer Diener, ausgezeichneter Pagazi und von tadellosem Charakter. Er war es, der zu allen Zeiten auf dem Wege den lauten Gesang der Wanyamwezi-Träger anstimmte, der ohne Rücksicht darauf, wie heiss die Sonne brannte oder wie lang der Marsch war, mit Sicherheit unter den Leuten Munterkeit und Leben verbreitete. Zu solchen Zeiten sangen alle mit meilenweit zu hörenden Stimmen, dass die grossen Wälder laut erdröhnten und jedes Thier meilenweit in der Runde erschreckt aufgescheucht ward. Wenn wir uns einem Dorfe näherten, dessen Bewohner uns feindselig gesinnt sein konnten, so fing Maganga seinen Gesang an, alle andern stimmten im Chor ein und dadurch erfuhren wir, ob die Eingeborenen freundlich oder feindlich gegen uns seien. Waren sie feindlich oder verzagt, so pflegten sie ihre Pforten sofort zu schliessen und blickten uns finster von dem Innern aus an; waren sie dagegen freundlich, so stürzten sie aus den Pforten heraus, um uns zu begrüssen und einige freundliche Worte zu wechseln.

Das wichtigste Mitglied in der Expedition nach mir war Selim, der junge arabische Christ aus Jerusalem. Er war vom guten Bischof Gobat erzogen, und wenn alle arabischen Knaben aus seiner Schule so gut wie Selim einschlagen, so verdient der Bischof das höchste Lob für sein edles Wirken. Ohne Selim hätte ich in Mfuto zu Grunde gehen müssen; ohne ihn hätte ich mir nicht so leicht die Freundschaft der Hauptaraber des Innern erwerben oder mit ihnen so gut verkehren können, denn wenn ich auch Arabisch verstand, so konnte ich es doch nicht sprechen. Diesen Jungen habe ich im Januar 1870 in Dienst genommen; seit der Zeit ist er mit mir durch das südliche Russland, den Kaukasus und Persien gereist. Er war in meinem Dienste ehrlich und treu, selbst bis zum Tode, und ohne Furcht und Tadel. Während ich sein Lob hier verzeichne, fühle ich, dass es durchaus nicht hinreicht, um die Empfindungen[S. 335] auszudrücken, die ich für seine mir geleisteten Dienste hege.

SELIM, DER DOLMETSCHER.

Ich habe bereits erzählt, wie Kalulu in meinen Dienst und zu seinem jetzigen Namen kam. Bald fand ich heraus, wie gewandt und rasch er beim Lernen war, und deshalb wurde er zum Range meines Leibdieners erhoben. Selbst Selim konnte es Kalulu nicht an Raschheit und Bereitwilligkeit zuvorthun, wenn er meine Bedürfnisse bei Tisch errathen sollte. Seine kleinen schwarzen Augen schweiften immer über die Schüssel und waren bemüht, herauszufinden, was ich noch brauche und was nicht.

In ungefähr 4½ Stunden, nachdem wir den Ort verlassen, der beinahe zum Schauplatz eines blutigen Conflicts geworden wäre, kamen wir an dem Ziwani an. Der Ziwani oder der Pfuhl enthielt nicht einen Tropfen Wasser, sodass meine Leute, deren Zungen ganz vertrocknet waren, weiter gehen mussten, um danach zu graben. Diese Ausgrabung wurde mittels starker, harter, scharf zugespitzter Stöcke in dem trockenen, hart zusammengebackenen Boden bewirkt; nachdem sie sechs Fuss tief gegraben hatten, wurden ihre Mühen durch den Anblick von einigen Tropfen schlammiger Flüssigkeit belohnt, welche an den Seiten des Loches durchsickerte. Diese verschluckten sie gierig, um ihren wüthenden Durst zu löschen. Freiwillig gingen einige mit Eimern, Kürbisflaschen und Kannen südlich nach einer verlassenen Lichtung, welche in Ukamba der „Tongoni“ genannt wird, und kehrten nach drei Stunden mit einem für den unmittelbaren Gebrauch gehörigen Vorrath guten klaren Wassers zurück.

Nach 1½ Stunde kamen wir bei diesem Tongoni oder der verlassenen Lichtung der Wakamba an. Hier waren drei oder vier Dörfer niedergebrannt und ein grosser offener Platz lag infolge der Zerstörung der Wa-Ruga-Ruga Mirambo’s verwüstet da. Die übrigbleibenden Einwohner waren nach der Plünderung und völligen Zerstörung ihrer blühenden Ansiedlung gen Westen nach Ugara ausgewandert. Eine grosse Heerde Büffel löscht jetzt ihren Durst an der Pfütze, welche die Ukambadörfer mit Wasser versehen hat.

Grosse Massen von Eisenblutstein kamen an der Oberfläche[S. 336] in diesen Wäldern zum Vorschein. Wildes Obst war reichlich vorhanden; der Holzapfel, die Tamarinde und eine kleine pflaumenartige Frucht versahen uns mit einem angenehmen Mahl.

Der Honigvogel ist in diesen Wäldern von Ukonongo sehr häufig. Sein Geschrei ist ein lautes rasches Zirpen. Die Wakonongo verstehen sich seiner Leitung zu bedienen, um zu dem süssen Honigschatz zu kommen, den die wilden Bienen in dem Spalt irgendeines grossen Baumes aufgehäuft haben. Täglich brachten mir die Wakonongo, die sich unserer Karavane angeschlossen hatten, ungeheure Stücken Honigwaben, die schönen weissen und rothen Honig enthielten. Gewöhnlich enthalten die rothen Honigwaben eine grosse Anzahl todter Bienen, doch kümmerten sich unsere ungemein gefrässigen Leute wenig darum, sondern assen nicht nur die Honigbienen, sondern auch eine gute Portion Wachs.

Sobald der Honigvogel einen Menschen bemerkt, gibt er sofort eine Reihe wilder aufgeregter Schreie von sich, hüpft von Zweig zu Zweig, von Ast zu Ast und dann auf einen andern Baum, indem er fortwährend sein Zirpen wiederholt. Der Eingeborene, der den Charakter des kleinen Vogels kennt, folgt ihm ohne Zaudern; wenn seine Schritte zu langsam für den unruhigen Rufer sind, so fliegt dieser zurück und dringt mit noch lautern, ungeduldigern Tönen in ihn, sich zu beeilen. Dann schnellt er sich rasch vorwärts, als ob er ihm zeigen wolle, wie rasch er sich an den Honigvorrath begeben könne, bis schliesslich der Schatz erreicht ist, der Eingeborene das Bienennest ausgeräuchert und den Honig in Sicherheit gebracht hat. Dann putzt sich der kleine Vogel und zirpt in triumphirender Melodie, als ob er dem Zweifüssler die Mittheilung mache, dass dieser ohne seine Beihülfe niemals den Honig gefunden haben würde.

Büffelmücken und Tsetses waren auf diesem Marsch sehr beschwerlich infolge der zahlreichen in der Nähe sich aufhaltenden Heerden von Jagdthieren.

Am 9. October machten wir einen langen Marsch nach Süden und schlugen unser Lager in der Mitte eines prächtigen[S. 337] Haines auf. Wasser war auf dem Wege sehr selten. Die Wamrima und Wanyamwezi sind nicht im Stande, lange den Durst auszuhalten; wenn viel Wasser da ist, so löschen sie denselben bei jedem Bach oder jeder Pfütze; ist es nur sparsam vorhanden, wie hier und in den Wüsten von Marenga und Magunda Mkali, so werden, nachdem die Leute vorher ihre Kürbisflaschen gefüllt, lange Nachmittagsmärsche unternommen, sodass sie im Stande sind, das Wasser früh am nächsten Morgen zu erreichen. Selim vermochte nie den Durst auszuhalten; es kam gar nicht darauf an, wie viel von dem köstlichen Nass er bei sich führte, gewöhnlich trank er den ganzen Vorrath aus, ehe das Lager erreicht war, und litt infolge dessen während der Nacht am Durst. Ausserdem gefährdete er sein Leben, indem er aus jeder schmutzigen Lache trank und gerade jetzt begann er auch darüber zu klagen, dass er blutigen Stuhlgang habe, was ich für ein Anfangsstadium der Ruhr hielt.

Während dieser Märsche, seitdem wir Ugunda verlassen, bildeten die Wa-Ruga-Ruga, deren Frevelthaten und die Möglichkeit, dass wir mit diesen kühnen Waldräubern zusammentreffen könnten, einen beliebten Gesprächsstoff an den Lagerfeuern. Ich glaube wahrhaftig, die ganze Karavane wäre, falls ein halbes Dutzend von Mirambo’s Leuten uns plötzlich angefallen hätte, davongelaufen.

Wir erreichten Marefu am nächsten Tage, nach einem kurzen Marsche von drei Stunden. Dort fanden wir eine von den Unyanyembischen Arabern an die südlichen Watuta abgeschickte Gesandtschaft, die mehrere Ballen an Geschenken mit sich führte und unter der Leitung des Mseguhha Hassan stand. Dieser tapfere Führer und Diplomat hatte hier wegen der Kriege und Kriegsgerüchte in dem vor ihm liegenden Lande etwas mehr als zehn Tage halt gemacht. Es hiess, dass Mbogo, der Sultan von Mbogo in Ukonongo, mit dem Bruder von Manwa Sera Krieg führe und da Mbogo ein grosser District von Ukonongo ist, der nur zwei Tagereisen von Marefu entfernt ist, so hielt die Furcht, in den Krieg verwickelt zu werden, den alten Hassan vom Weitermarsch ab. Er rieth auch mir, nicht weiter zu gehen, da es unmöglich sei, das zu thun, ohne in den Kampf hineingezogen[S. 338] zu werden. Ich sagte ihm aber, ich habe die Absicht, meinen Weg fortzusetzen und es dem Zufall anheimzugeben, und erbot mich freundlich, ihn bis an die Grenze von Ufipa zu begleiten, von wo er leicht und sicher seinen Weg zu den Watuta fortsetzen könne; er schlug dies aber aus.

Wir waren jetzt vierzehn Tage in südwestlicher Richtung gereist und hatten nur wenig mehr als einen Breitengrad zurückgelegt. Ich hatte die Absicht, etwas weiter nach Süden zu gehen, weil der Weg so gut war und wir auch in dieser Richtung nicht zu fürchten brauchten, mit Mirambo zusammenzutreffen; doch zwangen mich die Gerüchte von diesem in dem nur zwei Tagereisen vor uns liegenden Lande wüthenden Kriege, im Interesse der Expedition mich seitlich, in der Richtung West zu Nord, dem Tanganika zu, durch den Wald zu schlagen und, wo es vortheilhaft war, Elefantenspuren und Fusspfaden zu folgen. Nachdem ich mich mit dem Führer Asmani berathschlagt, nahm ich diesen neuen Plan an. Jetzt befanden wir uns nach Ueberschreitung des Gombé in Ukonongo.

Am folgenden Tage nach unserer Ankunft in Marefu, wandten wir uns nach Westen angesichts der Dorfbewohner und des arabischen Gesandten, der bis zum letzten Augenblicke uns wiederholte, wir begäben uns bestimmt in Gefahr.

Wir marschirten acht Stunden lang durch einen Wald, in welchem die Waldpfirsich oder „Mbembu“ reichlich vorkommt. Der Baum, der diese Frucht trägt, ähnelt sehr einem Birnbaum und ist ungemein fruchtbar. Ich sah einen Baum, dessen Früchte ich zu etwa 2½ Hectoliter abschätzte. An diesem Tage ass ich sehr viel solcher Pfirsiche. Solange der Reisende sich dieselben verschaffen kann, braucht er sich in diesen Gegenden nicht vor dem Verhungern zu fürchten.

Am Fusse eines anmuthigen Bergkegels fanden wir ein Dorf, Utende genannt, dessen Einwohner in grosser Unruhe waren, als wir plötzlich auf ihrem Bergkamme erschienen. Die Klugheit veranlasste mich, dem Sultan ein Geschenk von einem Doti zu übersenden; er nahm dasselbe jedoch nicht an, da er gerade von Pombé betrunken[S. 339] und folglich zur Unverschämtheit geneigt war. Da er mir sagen liess, dass er jedes Geschenk ausschlagen werde, wenn er nicht noch vier Stück Zeug bekäme, so liess ich sofort eine starke Boma auf dem Gipfel eines kleinen Berges aufbauen, der sich in der Nähe eines reichlichen Wasservorraths befand, und packte das Geschenk ruhig wieder in meinen Ballen ein. So nahm ich eine strategisch gewählte Stellung ein, da ich die Front des Berges und den ganzen zwischen seinem Fuss und dem Dorf der Watende befindlichen Raum hätte bestreichen können. Die ganze Nacht über blieben Wachen ausgestellt, glücklicherweise jedoch wurden wir bis zum Morgen nicht beunruhigt. Dann erst erschien eine Deputation der wichtigsten Einwohner, um mich zu fragen, ob ich fortzuziehen beabsichtige, ohne ihrem Häuptling ein Geschenk zu machen. Ich erwiderte ihnen, dass es nicht meine Absicht sei, durch irgendein Land zu ziehen, ohne mich mit dem Häuptling zu befreunden und wenn der ihrige ein gutes Tuch von mir annehmen wolle, würde ich es ihm gern geben. Anfangs erhoben sie zwar Einwendungen gegen die Geringfügigkeit der Gabe, schliesslich aber wurde die Meinungsverschiedenheit geschlichtet durch ein Fundo rother Perlen — Sami-Sami — ich für die Frau des Häuptlings hinzufügte.

Von der Hügelkette von Utende zog sich ein Wald meilenweit nach Westen hinab, der in einer grossen First mit glattem Gipfel sein Ende fand, die sich 5–600 Fuss über der Ebene erhob.

Ein Marsch von vier Stunden brachte uns am 12. October an ein dem Gombé ähnliches Nullah, das während der nassen Jahreszeit in den Gombé und von dort in den Malagarazi fliesst.

Kurz ehe wir unser Lager aufschlugen, sahen wir eine Heerde Nimba oder Gallah; ich hatte das Glück, eins zu schiessen, was eine willkommene Zugabe zu unserm rasch sich vermindernden Vorrath an getrocknetem Fleisch bildete, den wir uns in unserm Lager am Gombé gesammelt hatten. Nach den vielen Spuren schlossen wir, dass hier zahlreiche Büffel wie auch Elefanten und Rhinozeros hausten. Auch das Federvieh war durch Ibisse, Fischadler, Pelikane,[S. 340] Störche, Kraniche, einige schneeweisse Löffelreiher und Flamingos gut vertreten.

Von dem Nullah oder Mtoni zogen wir nach Mwaru, dem Hauptdorf des Districts Mwaru, dessen Häuptling Ka-mirambo ist. Unser Marsch führte uns über verlassene freie Plätze, die einst von Ka-mirambo’s Leuten besetzt gewesen, welche jetzt aber vor etwa zehn Jahren von Mkasiwa während seiner Kriegführung gegen Manwa Sera vertrieben worden waren. Niongo, der Bruder des letztern, führte jetzt eben Krieg mit Mbogo und war durch Mwaru am Tage vor unserer Ankunft durchgezogen, nachdem er von seinem Feinde eine Niederlage erlitten hatte.

Die Hügelkette, welche sich am westlichen Horizont dahinzog und von Utende aus sichtbar gewesen war, überschritten wir an diesem Tage. Der westliche Abhang windet sich hier schräg nach Südwesten und wird vom Flusse Mrera, der sich in den Malagarazi ergiesst, entwässert. Schon hier nahmen wir den Einfluss des Tanganika wahr, obwol wir noch zwölf bis fünfzehn Märsche von dem See entfernt waren: das Gebüsch wurde dichter und das Gras ungemein hoch. Dies erinnerte mich an die Seedistricte von Ukwere und Ukami.

An diesem Orte hörten wir von einer Karavane, die direct von Ufipa angekommen war, dass ein Weisser, den ich für Livingstone hielt, in „Urua“ sein solle.

Nachdem wir Mwaru verlassen, kamen wir in das Gebiet Mrera’s, eines Häuptlings, der einst viel Macht und Einfluss in dieser Gegend besass. Kriege haben jedoch seine Besitzungen auf drei bis vier Dörfer beschränkt, die in einem Dickicht versteckt liegen, dessen äusserer Rand so dicht ist, dass er wie eine Steinmauer alle Eindringlinge fernhält. Neun gebleichte Schädel staken an Pfählen, die sich vor dem Haupteingang befanden, und erzählten von den zwischen den Wakonongo und Wazavira bestehenden Kämpfen. Dieser letztere Stamm wohnt in einem Lande, das einige Märsche westlich von uns liegt. Sein Gebiet mussten wir vermeiden, wenn wir nicht wieder eine Gelegenheit aufsuchen wollten, uns im Kriege mit den Eingeborenen auszuzeichnen. Die Wazavira sind nämlich, wie wir von den[S. 341] Wakonongo von Mrera erfuhren, allen Wangwana feindlich gesinnt.

Auf einem schmalen Sumpfstreifen zwischen Mwaru und Mrera sahen wir eine kleine Heerde wilder Elefanten. Zum ersten mal geschah es, dass ich diese Thiere in ihrer natürlichen Wildheit erblickte und ich werde nicht leicht den ersten Eindruck vergessen, den sie auf mich machten. Nach meinem Dafürhalten verdient eigentlich der Elefant den Titel eines Königs der Thiere; seine ungeheure Gestalt, die majestätische Art, in welcher er jemand, der in sein Gebiet eindringt, anschaut, und sein ganzes machtbewusstes Wesen geben gute Gründe für seine Ansprüche auf diesen Titel ab. Diese Heerde hielt, als wir in der Entfernung einer Meile an ihr vorbeizogen, an, um sich die Karavane anzusehen und begab sich, nach Befriedigung ihrer Neugierde, insgesammt in den nach Süden die Sumpfebene begrenzenden Wald, als ob ihnen Karavanen alltägliche Erscheinungen seien, wogegen sie, die freien und unbesieglichen Herren des Waldes und Sumpfes nichts mit den feigen Zweifüsslern gemein hätten, die nie muthig genug sind, um sich ihnen im ehrlichen Kampfe zu stellen. Die Zerstörung, die eine solche Heerde in einem Walde anrichtet, ist geradezu furchtbar. Wenn die Bäume noch jung sind, so kann man sie in dichten Reihen entwurzelt auf der Erde liegen sehen; sie bezeichnen die Spur der Elefanten, die sich ihren Weg durch Wald und Dickicht mit wuchtigem Tritt gebahnt haben.

An diesem Orte wurde der junge Selim so krank, dass ich genöthigt war, seinetwegen drei Tage mit der Karavane halt zu machen. Er schien an einer Krankheit in den Gelenken zu leiden; er krümmte sich vor Schmerzen und zitterte beständig. Ausserdem hatte er einen Anfall von acuter Ruhr. Beständige Pflege und Sorgfalt stellte ihn jedoch bald wieder her und am vierten Tage war er im Stande, die Strapazen des Reitens zu ertragen.

Während unseres Aufenthalts in Mrera hatte ich Gelegenheit, mehrere Thiere zu schiessen. Der an das cultivirte Land stossende Wald ist reich an edeln Thieren. Zebras, Giraffen, Elefanten und Rhinozeros sind hier sehr[S. 342] gewöhnlich; Ptarmigans und Perlhühner kommen gleichfalls zahlreich vor.

Die Krieger von Mrera sind fast alle mit Musketen, bewaffnet, die sie sehr sorgfältig behandeln. Sie verlangten dringend nach Flintensteinen, Kugeln und Pulver, was ich aber grundsätzlich stets verweigerte, damit sie nicht, falls einmal ein Zwiespalt entstände, die so erhaltene Munition zu meinem eigenen Nachtheil verwenden könnten. Die Männer dieses Dorfes sind Faullenzer, sie spielen wie grosse Kinder und thun nichts weiter als Jagen, Gaffen und Schwatzen.

Während der Zeit, wo ich mich in Mrera aufhielt, beschäftigte ich mich damit, meine Schuhe auszubessern und die grossen Risse in meinen Kleidern zu flicken, welche die Dornbüsche während der letzten Märsche fast gänzlich ruinirt hatten. Im Westen über Mrera hinaus lag eine Wildniss, von der man uns vorhersagte, dass wir neun Tage brauchen würden, um sie zu passiren.

Es trat daher an uns die Nothwendigkeit heran, uns mit einem grossen Vorrath von Korn zu versehen, welches, ehe wir die vor uns liegende grosse unbewohnte Wüste betraten, zu mahlen und zu sieben war; es gab demnach reichliche Arbeit.

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

[7] Bei meiner Rückkehr nach England finde ich, dass Kapitän Burton die Welt von dieser „bösen, verabscheuenswerthen Handlung“ in seinem Buche über Zanzibar in Kenntniss gesetzt hat, und dass die interessante Sammlung im „Royal College of Surgeons“ in London zu sehen ist.