The Project Gutenberg eBook of Fetzen This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Fetzen Aus der abenteuerlichen Chronika eines Überflüssigen Author: Alexander Weicker Release date: June 15, 2025 [eBook #76308] Language: German Original publication: München: Georg Müller Verlag, 1921 Credits: Jens Sadowski, Richard Scheibel, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FETZEN *** [Illustration] ALEXANDER WEICKER / FETZEN [Illustration] ALEXANDER WEICKER FETZEN AUS DER ABENTEUERLICHEN CHRONIKA EINES ÜBERFLÜSSIGEN [Illustration] 1921 GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN VORREDE Mein erstes Publikum war ein Blinder; er sagte: so habe ich die Welt noch nie gesehen. Ich will ehrlich sein und, obwohl ich selbst zur Kaste der Zeilenschinder und Tintenreiter gehöre, behaupten, daß die Ehrlichkeit nicht das Wesen der Schriftsteller ist. Weil ich die Vorrede zu allerletzt geschrieben, müßte ich sie eigentlich Nachrede nennen. Aus dieser Tatsache ziehe ich daher den geistreichen Schluß, daß es für den Leser nicht von Wichtigkeit ist, das Buch zu kennen, bevor er die Vorrede liest. Für den Verfasser ist diese Kenntnis um so wichtiger. Wenn ich an die Geschichte der Entstehung des Buches denke, will mich die Trauer schier nicht mehr verlassen. Uebrigens weiß alle Welt von dem tragischen Tod – die Tragik des Wortes Tod will es, daß das Wort vorne hart und hinten weich, in der Mitte aber oval ist, wie bei einem Krebs, wo man eigentlich nie weiß, was hinten ist – also alle Welt weiß von dem tragischen Tod meines Freundes. Ich überlege immer, ob ich normal bin, weil der Vergleich, der überdies noch ganz krebsig ist, mich trotz des traurigen Vorkommnisses zum Lachen reizt. Da ich aber nicht antizipieren will, verrate ich in der Vorrede nur, daß ich eines Morgens aus meinem vierten Schlaf geklingelt wurde und der Postbote mir ein Paket mit einem Stoß halb unleserlicher Aufzeichnungen brachte, denen, in feinstes Stanniol gewickelt, eine lebendige Kröte beigefügt war (siehe Seite 9). Ferner enthielt das Paket einen richtigen Abmeldeschein, der vorschriftsmäßig-korrekt ausgefüllt war. Nur der Bestimmungsort machte mich stutzig und nachdenklich. Ich las: Ziel der Reise – Jenseits. Mein Freund ist also ein Selbstmörder und obwohl ich mit der menschlichen (fast schrieb ich unmenschlichen) Gesellschaft gegen den Selbstmord bin – prinzipiell! – will ich doch noch ein gutes Wort für meinen Freund reden, weil es von Vorteil für meine viel wichtigere Persönlichkeit ist. Das bedarf einer Erklärung für die, welche das Verhältnis zwischen mir und meinem Freunde nicht kennen. Ich bin überzeugt, daß man keinerlei Verpflichtungen gegen einen toten Freund, wohl aber gegen eine lebendige Umwelt hat. Deshalb will ich meinem Bekanntenkreis, ich rechne darunter alle Leserinnen und Leser, deren lebhaftester Anteilnahme ich sicher bin, alles rückhaltlos beichten. Mein Freund hat mich zum Universalerben einer Schuld von fünfundsiebzigtausend Mark in bar eingesetzt. An beweglichem Inventar die lebende Kröte und als eigentliches Gut der „Toten Hand“ das Manuskript mit Aufzeichnungen aus seinem Leben. Er hat mich beschworen, ja alle seine Schulden zu bezahlen, weil seine Gläubiger sehr harmlose, wenn auch reiche Gönner waren. Diese Beschwörung habe ich als identisch mit einem von mir gegebenen Ehrenwort angesehen und mich an die Aufgabe herangemacht, das Material zu sichten. Das Manuskript ist eigentlich ein lustiges Studententagebuch mit tragischem Ausgang und ziemlich unvernünftigen Verwickelungen. Die Figuren sind meist überlastete Sammelfiguren und verzerrte Symbole. Ueber Wetter und Zeit konnte ich im – nennen wir es schlechthin – Roman nur spärliche Andeutungen machen, weil mein Freund, ich muß es zu seinem Schimpfe leider sagen, mathematisch exakt gebildet war, also weil mein Freund eine ganz spezielle Behandlungsweise auf Zeit und Wetter angewandt hat. Abgesehen von den kosmischen Theorien hat er sein Zeit-Wettersystem nach den Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgebaut, und ist dabei auf komplizierte Integrationskurven gestoßen, die ich dem Publikum vorenthalten will, zumal die Literarhistoriker von dieser Art der Behandlung noch keine Kenntnis zu nehmen geruht haben. Zudem bin ich der Ansicht, daß Romane, die von Zeit oder Wetter abhängig sind, leicht zu spät kommen oder verregnen, wenn sie nicht vorher eingetrocknet sind. Mit dem Risiko dieser Ansicht habe ich es übernommen, das Tagebuch zu veröffentlichen und nach dem juristischen Erbrecht muß ich unbedingt einen hohen Gewinnanteil haben. Daher warne ich alle Rezensenten, ihre Feder gegen mich in die Tinte zu tunken, denn ich schwöre es bei meiner Erbkröte, daß ich sie wegen Kreditschädigung auf Schadenersatz verklagen werde ... andernfalls aber bereit bin, mit ihnen zu paktieren und ihnen ihre unveröffentlichten persönlichen Verbalinjurien nach dem alten publizistischen Verlagsrecht zu honorieren. Ich fühle mich um so mehr berechtigt, dieses Kompromiß zu schließen, weil ich weiß, daß der Kampf nicht der Sache wegen geführt wird, sondern des Futters wegen. Nebenbei erachte ich es auch noch als eine große Wohltat, die ich dem Publikum erweise, wenn ich es mit diesem kritisch duftenden Bocksmist verschone. Und weil Gott alle Tiere zu seiner größeren Freude erschaffen hat, so soll man auch diese Menschen von edelstem Futtererwerb leben lassen. Daher bekenne ich öffentlich, daß ich nie ein Tier, wenn es auch noch so ekelhaft war, zu töten gewagt habe. Um mir selbst den Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs zu ersparen, steuere ich dem Schlußpunkt meiner Vorrede zu, und sage: Die Ausmistung des Augiasstalles ist nur eine Sage von fabelhaftem Unrat. ERSTES KAPITEL Wer mit dem Stock erzieht, verwandelt den physischen Widerstand des Kindes in Ironie. Deshalb haben wir den Klöstern die köstlichste Frucht des menschlichen Geistes zu danken. Jappes war ein Kerl. Die Instinkte ersetzten bei ihm die bestvernachlässigte Erziehung. Ein wild-stürmischer Gang, ein krauser Tituskopf, eine kühne Nase, am linken Arm drei Pockennarben: Originalstiche! Weshalb gleich ein Steckbrief, er hat ja noch nichts verbrochen! Vielleicht noch ein Wort zum Hausklatsch für die Vorwitzigen: Seine Mutter hatte neun Monate mit ihm unter gesegneten Umständen verbracht und ihn ihrem Mann am Geburtstag ins Bett geworfen: Da hast du das Balg! Sein Vater war ein alter Narr, der keinen Namen hatte, denn die Mutter nannte ihn immer: Du. Eines Tages sprach er zu Jappes: „Du wirst gewiß in einem Sumpf sterben – und ich wünsche immer, du wärest als Kröte auf die Welt gekommen.“ Dann hatte Jappes geweint und die tröstende Mutter sagte: „Spar deine Tränen, dein Vater ist ja ein Simpel!“ Und darum weinte er eben. Als „Du“ starb, trug man ihn feierlich durchs Dorf unter Gesang und Weihrauchduft. Es war ein sonnenlichter Tag. Die Mutter freute sich, daß Jappes schon geboren war. Die Gute, sie hieß Angelica. Eines Tages weinten beide um den Tod des Vaters: „Geh in deine Kammer,“ sagte Angelica, „das Gute müssen wir im Verborgenen tun.“ Und Jappes fragte: „Das Böse auch?“ Es kamen viele Tage, an denen nichts geschah, außer, daß Jappes körperlich und geistig gegerbt wurde. Mit der Beize wurde nicht gespart, denn Jappes war eine rohe Haut. Der Lehrer und Angelica schlugen sich abwechselnd außer Atem und wenn Jappes dann die Luftknappheit zu seinem Vorteil ausnutzte, geschah es mehr aus Instinkt als aus Feigheit – wenn nicht gar Feigheit ein Instinkt ist! Jappes war nicht feig. Er hatte mehr Hosenböden und mehr vorsätzliche Katzenmorde auf dem Zivil-Gewissen, als eine ganze keimende Dorfgeneration zusammen. Wie für den Indianer der Skalp das Kriterium der Tapferkeit, so für Jappes die Katzen- und Hosenleichen. Angelica wunderte sich, daß ihr Sohn immer unter Arbeitern steckte, wo es nur Schnaps und Hering und Limburger Käse geben konnte. An einem grauen Regentage untersuchte sie ihn, ob er noch keine Tätowierungen habe. „Gottlob,“ sagte sie, „du bist blank wie ein gescheuerter Bottich,“ und Jappes erhielt einen freundschaftlichen Klaps. Angelica war eine gute Mutter, die ihren Sohn immer schlug, nur die Beweggründe wechselten. Jappes wurde auf diese Art ein gutgedrillter Bursche, der mit den schlagenden Beweisen einer schonungslosen und unerbittlichen Erziehungsmethode vertraut war. Beim Arbeitervolk ging es auch nicht immer sachte zu und deshalb liebte er das gewohnte Milieu! Er war klug und dachte in seinem jungen Hirn: Arbeit ist kein Laster, steckt also nicht an. Denkende Köpfe finden ein anderes Betätigungsfeld, dachte Angelica, und war stolz auf ihre Leibesfrucht. Dann kam die Wandlung. Jappes wurde den Musen geweiht und Angelica wußte, daß sie etwas tat, was sie sich und ihrer Stellung schuldig war. Ungeratene Söhne pflegen immer wohlgeratene Mütter zu haben! Angelica ging mit dem Sohne das pfarrherrliche Orakel zu befragen. Pfarrer Trumb war ein grundgütiger Herr, denn er predigte immer Demut. Weil er stets zur Enthaltsamkeit und Mäßigkeit mahnte, hatte ihn Gott mit einer Fettschicht begabt, durch welche die Transpiration vollkommen nach göttlich weiser Anordnung funktionierte. Die Köchin, ein jovialisiertes Frauenzimmerchen mit einem heilig ergebenen Demutsblick, wie eine süße Raffaelmadonna, empfing Angelica: „So, Frau Angelica, Sie kommen wegen dem Sohn“ – und hier unterbrach sie sich, um die gute Mutter von der Last eines Schinkens – in größter Ausgabe – zu befreien. Pfarrer Trumb kam. Gut-gütig lächelnd: „Ach! Herr Studiosus“ – und verstohlen schaute er den Schinken an, „dann beginnt jetzt ein neues Leben.“ Segnete Jappes, sprach ein paar Worte von aufopfernder mütterlicher Hingabe, redete, bis die gute Angelica mit der pfarrherrlichen Magd Gottes weinte, und fand noch ein paar rührende Trostesworte. Darauf gingen Mutter und Sohn. Angelica sagte: „Der Herr Pfarrer ist ein grundguter Mann. Er redet mit Worten, die selten sind und Trost bringen. Sein Segen wird dir nützen.“ Jappes fragte: „Mutter, welchem Armen wird er unseren Schinken wohl schicken!“ Angelica: „Das wird Gott ihm eingeben.“ Jappes war interner Pennäler bis zu seiner Emanzipation. In der fünften Lateinklasse trat der Typus Weib in sein Leben. Die Romanfiguren nahmen greifbare Gestalt an. Gott schickte das Weib, auf daß sich der Mann nicht selbst quäle. Die Technik des Umgangs war Nebensache, denn junge Mädchen lieben unter normalen Verhältnissen die Pennälermützen nur. Gerissen und verschmitzt wie ein Fuchs, verstand er nach einer klugtaktischen Strategie das Weib mit ihren eigenen Mannen zu schlagen. Er wußte: Der Feind der Frau steht in ihr selbst. Er kämpfte seine Vorpostengefechte der Liebe, eroberte lodernde Küsse, stürmte zuckende Brüstchen, die Redouten der Festung. Manchmal fand er freies Gelände und offene Schanzen und freie Bastionen. Er wußte, dort hatte der Feind gehaust. Als die Sonne der Weisheit sein Hirn gereift hatte, und er das Pennal verließ, wußte er aus Caesar: Greife den Feind eher durch List als mit deinen Kräften an, und aus Erfahrung wußte er, daß noch kein Mädchen an hysterischen Weinkrämpfen gestorben war. Er sagte der Verziehungsanstalt Valet. Angelica war voll stolzer Bedenken, ob ihr Sohn, der nun geistig reif war, nicht etwa auch vom Bazillus der modernen Ungläubigkeit angesteckt sei. Sie klebte drei Wachskerzen hinter die Tür und ließ eine zweipfündige Kerze in der Kirche verbrennen. Jappes bezog die Universität mit einem klaren Kopf, tollen Erinnerungen, mit krauser Stirnlocke, Reifezeugnis und seligbangen Zukunftsplänen. Das wurde alles immatrikuliert. ZWEITES KAPITEL Eine befangene Seele kann Alltägliches sogar als Ausnahme genießen. Und der Alltag bietet so viel Alltägliches. Jappes schlenderte durch die Stadt, sog seine Seele voll von neuen Eindrücken und frischte alte auf. Er merkte sich alle Namen, die komisch klangen, und besah die mit Modeartikeln gespickten Schaufenster. Er dachte: die Menschen kaufen ihre Sachen hier und sehen doch so unappetitlich aus im Vergleich zu den leckeren Schaufenstern. Manchmal streifte eine Modepuppe an ihm vorbei mit wiegender Hüfte; hinter ihr drein ein Duftschweif von Oppoponax oder Lavendel oder –. Dann war er immer etwas befangen. Weshalb ziehen die Weibchen sich so duftig an? Weshalb der süßprickelnde Duftschleier über der angemalten Anmut? Sieht doch eine aus wie die andere und ist das kein Trost für die Häßlichen! Manchmal grüßte er ulkig aussehende Männer – ach! so viele Männer sehen ulkig aus – um sich an den verdrehten Institutsbücklingen zu freuen, die sie ihm machten. Aber er tat, als habe er Eile, um zu verhindern, daß jemand ihn anrede. So machte er sich allerlei Gedanken darüber, wen er wohl gegrüßt habe und freute sich, weil der andere nicht wußte, daß er angeulkt worden war. Die Straße war glühend heiß. Die Häuser standen bleich und starr und hatten wehe Augen. Jappes sog sein Teil Benzin- und Menschen- und Roßäpfelduft ein und fluchte: „Verdammt, ist das eine Luft!“ Ein Wagen mit Obst. Die Birnen waren feuchtschmierig, wie gepuderte Damen, die zu lange getanzt haben. Am Wagen ein Mann und ein anderer Esel. Jappes fragte: „Kosten?“ „’s Pfund eine Mark!“ „Bitte ein Pfund. Ist der Esel schon alt?“ „So alt wie Sie, Herr, wird er schon sein, Herr,“ und reichte die Birnen, „aber gut ist er schon. Halt wie ein Zugpflaster, man muß tüchtig aufschmieren und ziehen lassen.“ Der graue Zögling spitzte die Ohren. Ein Batisttaschentüchlein mit feinen Spitzchen rettete ein Damennäschen vor Ueberschwemmung. Jappes staunte, daß eine so unappetitliche Prozedur mit soviel Grazie vollzogen wurde, und er wagte es nicht, sein gemaltes Sacktuch hervorzuziehen, auf welchem irgendeine rührende Liebesszene dargestellt war. Bunte Taschentücher der Landleute haben etwas originell Anschauliches; vielleicht sind so viele bunte Motive auf den Tüchern der Alten, weil sie gewohnt sind, ihre Nase in alles zu stecken! Vom Taschentuch bis zum Schnupfen ist nur ein Schritt, dachte Jappes, als es kühl wurde. Abends weinte sein grobes Leinen, weil es allein war und vom duftigen Spitzenbatist träumte. Schau, sagte Jappes, auch ich bin einsam, und da war das Taschentuch sein Trost in Tränen. Wenn wir vor unseren dummen Gedanken fliehen sollten, wären wir beständig auf der Flucht. Nachts schrieb Jappes seinem Tagebuch: Liebes Tagebuch, du weißt, daß ich ein guter Kerl bin und du immer der Sarg meiner Gefühle warst, daß ich mich immer an den Bibelsprüchen erbaut und nie eine Geige gestrichen habe; daß ich meinen Geist, die beste Kuh, die ich in allen Notlagen melken kann, nie auf unrechte Weise führte. Um recht in das Stadtbild zu passen, muß ich meine äußere Fassade etwas aufputzen, denn ich bin nun einmal in den Kulturtopf umgepflanzt. Du weißt, ich stehe genau wie du auf den untersten Sprossen der sozialen Erwerbsleiter und werde wohl die neunundzwanzig letzten Tage des Monats ohne Geld bleiben. Das sage ich dir, weil ich mich in Zukunft auch mit Kleinigkeiten abgeben will, und die eigenen Mängel können wir autobiographisch am besten vertuschen, denn die Dialektik ist der Vatermörder für den Kropf unserer Verbildung. Ja, mein liebes Tagebuch, ich weiß bestimmt aus einer Chronik, daß ein reicher Herr den Vatermörder erfinden ließ, um seinen Kropf zu verdecken: Eine Erfindung, die wie gute Kragen glänzend, aber ebenso steif ist. Ich warne dich vor Vatermördern, denn es haftet der Fluch daran, das heraufzubeschwören, was sie verdecken sollen. Fatales Gesetz der dunklen Magie. Zudem ist die Unterlassung von Modenarreteien ein sparsames Hausrezept. Verzeihe, daß ich über etwas geschrieben habe, was ich mir noch nicht leisten kann, aber du weißt selbst, wieviel Trost es bringt, uns über Unerreichbares hinwegzuekeln. Könnte ich das immer! Heute war zum Beispiel ein jungatmiges Spitzentuch – – – – doch nein! Ich will unsere Wehmut nicht kitzeln. Noch ein Wort über die Stadt: Sie hat eine staubige Atmung und ich weiß wie du aus Erfahrung, daß ein Bauer sieben Kilogramm Staub schluckt – über die Zeit ist nichts gesagt –, aber dabei gesund und grob ist! Darum will ich Betrachtungen über die Unterschiede des Stadt- und des Landstaubes anstellen; werde gelehrsame Meditationen über die Wirkung des Stadtstaubes auf Landbewohner und umgekehrt halten. Der Wissenschaft zuliebe will ich mich als Versuchskarnickel opfern. So wälze ich die staubigsten Probleme in meiner Gehirnhöhle: sagte die gute Mutter nicht immer, ich sei ein problematischer Kerl. Was Mütter gefühlsmäßig sagen, soll man immer glauben. Mein liebes Tagebuch! Die Fliegen umsummen die Lampe und lärmen unruhig. Ich schließe und lösche, denn es ist wirklich Zeit, daß die Tierchen schlafen gehen, und schlafend erwartet man am sichersten den nahenden Tag. Die Worte, die wir morgen reden, waren heute noch nicht wahr. Jappes forderte im Schlaf das Recht der Jugend, ruhend zu träumen. Ein Traum setzte sich kitzelnd wie eine Fliege auf die Nasenspitze seiner Einbildung: Das zweibeinige seidenrauschende Riechfläschchen, das ihm beim Stadtbummel in die Nase gestiegen war, erschien. Es trippelte kühn vor ihm her, trippelte, trippelte, langsam und schwupp drehte es sich um. „Freund, erschrick nicht! was starrst du mich so an, meine Dekolletage? Die Polizeigrenze verläuft tiefer, seitdem die Zensur aufgehoben ist.“ Unterfaßte ihn und ging mit ihm in den Abend hinein, wo das Licht blind wurde. Da bat er um ihren Mund. Sie sagte: „Es kommt jemand, er sieht unsere Silhouetten.“ Und Jappes: „Laß den Silhouettenjäger, komm, sei gut –“ Ein Klaps übers Ohr von weicher Hand, daß er erwachte: „Gott ja! was hab ich nur geträumt? Oh! ich weiß, wir träumen immer, was wir nicht haben können.“ Er dachte an seine Mutter und hatte Sehnsucht nach Prügeln. Der Morgen brachte einen Brief. Das Tagebuch schrieb: Mein staubiger Problematikus: Du schreibst: Heute war zum Beispiel ein jungatmiges Spitzentuch – – – – Die zwei letzten Gedankenstriche voller Ironie hättest du dir sparen können. Die beiden ersten haben mich traurig gestimmt, weil ich weiß, daß du wieder auf der Pirsch nach Freiwild bist. Weshalb betrügst du mich nicht und schweigst über diese Sachen! Mich als sächliches, geschlechtsloses Tagebuch muß es um so tiefer kränken; „der“ und „die“ können zusammen poussieren, aber „das“ muß immer verzichten. Daß ich nie Vatermörder trug, weißt du schon, weil ich keine Vatermörderkragenhalshöhe habe: mithin technisch unmöglich. Spintisierender Staubfänger, du willst das Opfer der Wissenschaft werden. Nur Mut! Du bist das richtige Karnickel dazu. Der ekle Rest deiner übrigen Andeutungen über Personalveränderungen ist trieblos spröde und in puncto Freundschaft bin ich sehr ernüchtert, weil du gewaltsame Aenderungen durch allerlei Modekrempel an dir vornehmen willst. Ueberhaupt – ich kündige dir die Freundschaft auf acht Tage! Jappes lachte und freute sich, daß das Tagebuch sächlich war. Er brummte: Bauer, du bist doch nur mein Waschzettel, also fort mit dir. Nach acht Tagen, wenn wieder großes Reinemachen ist, werde ich mit meinen Siebenmeilenstiefelgedanken deinen Groll schon dämpfen. Das Tagebuch war dickköpfig und unwiderruflich, wie alles Geschriebene. Doch kaum war der Brief weg, als es leise-zitternd wimmerte: Acht Tage ist halt doch eine lange Frist! Die Sehnsucht aber baute ihr Nest an dem Ausblick auf einen Jappesschrieb. DRITTES KAPITEL Die Wirklichkeit ist oft kühner als der Traum. Aber es gibt auch wirkliche Träume. Jappes wohnte bei Frau Wertheim in der Frans-Hals-Straße auf Nummer 12 im dritten Stock. Er wunderte sich selbst, wie er sich da hatte einmieten können. Auf seinem Bummel las er an einem Aushängeschild, daß ein vornehm möbliertes Zimmer gegen zivile Vergütung an einen besseren soliden Herrn abzugeben sei. Er war schnell handelseinig, zahlte den ersten geforderten Preis im voraus, weil Frau Wertheim sagte: Für die Herren, die im voraus zahlen, könne man eher mehr Aufmerksamkeit aufwenden und es sei den Herren Studenten ja auch leichter, am Anfang als am Ende des Monats zu bezahlen. Dabei blinzelte sie verstohlen und sagte: „Kenne das schon, mein Sohn war auch Student!“ Jappes hatte Geld und zahlte willig, weniger weil die Wirtin ihn überreden wollte als aus Gutmütigkeit. Zudem lag ihm blutwenig an seinem Geld. Seine Bude war ein wackelig möbliertes Zimmerchen mit vergilbten Tapeten und alltäglichen Möbelstücken. An der Wand hingen ein paar Bilder, die nicht so ganz recht zum Prädikat solide paßten, und Frau Wertheim sagte: „Der Herr wird halt keinen Anstoß an den Bilderchen nehmen, es ist Münchener Kunst!“ Die Wirtin war das komischste Möbel im ganzen Zimmer. Wenn sie lachte, sah sie aus wie eine weinerliche Heiligenfigur, die von Güte durchschauert ist, oder wie eine Dolorosa, die ekstatisch verzückt Sieben-Wunden-Leiden zu erdulden hat. Sie legte die mit einem zittrigen „dankend erhalten“ quittierte Rechnung hin, empfahl sich, kehrte noch mal um und bat, wenn der Herr Doktor was benötige, von der Klingel Gebrauch zu machen. Dann schlorpte sie davon. Jappes blieb allein mit seinen Gedanken. Hoh! rief er, vornehm möbliertes Zimmer! Er stieß an den Schrank, an den Tisch, stieß an die Toilette, alles wackelte, wackelte vornehm. Er dachte: Das Aushängeschild schicke ich meiner Mutter, es ist das beste Leumundszeugnis: Ein solider Herr, hehe! Es schmeichelte ihm, daß er ein besserer Herr war und solid, alles für fünfzig Mark und noch obendrein Herr Doktor. Der schlotterbusigen Tänzerin an der Tapete schnitt er eine höhnische Grimasse, tippte die Klingel, pfiff eine mädelsüße Melodie und sagte zu Frau Wertheim: „Ich hole meinen Kram von der Bahn! Addio!“ Und er holte seinen Kram. Frau Wertheim sagte: „Den Anmeldeschein habe ich schon hingelegt. Der Herr Doktor wird geruhen, ihn auszufüllen.“ Und Jappes: „Herr Doktor ist gut – so schnell promoviert man nur hier. Herr Doktor Jappes klingt nicht schlecht. Ja! das kommt alles vom guten Klang; wie soll ich Sie nennen, Frau Wirtin? Haben Sie auch einen so hohen Kosenamen?“ Er ging zum Schreibpult: Familienname, Vorname. Jappes Paul, geboren 16. Oktober 1893 auf dem Schlapphof. Die Geburtswehen fallen mit den Nachwehen des Namenstags meiner Mutter zusammen. Vater: Ist tot. War ein Simpel und im Nebenberuf Landwirt. Starb ohne höhere Bildung. Mutter: Angelica, von Beruf Mutter. War zwölfmal erfolgreich schwanger. Ledig: Ich glaube – schließlich kann man es noch so nennen, das Gesetz ist ja noch nicht durch die Heirat verletzt. Religion: Orthodox mammonistisch. Strich. „Nun, Frau Wirtin, bringen Sie das der Polizei, einen schönen Gruß, sie sollen mal was von sich hören lassen.“ „Der Herr Doktor ist in gutem Humor,“ sagte die Wirtin, und Jappes: „Ach ja, der Herr Doktor!“ Sieh Mutter, es kommt ein Sturm, sagte der Sohn. Da spannte sie den Regenschirm auf. Als es dunkelte, knipste er die Glühbirne an, hängte die saloppen Bilder verkehrt an die Wand, flegelte sich auf die Ottomane und spann seine Gedanken hinüber zur Universität: Ein heilig-ernster Schauer durchrieselte seine langen Glieder. Er war voll frommer Ehrfurcht vor dieser mächtigen Geisteszentrale, wo die antwortdurstigen Studentenseelen mit dem klaren Quell reiner Vernunft getränkt wurden. Er malte sich eine geistige Sahara, wo die durstigen Studenten lechzend harrten, bis die Professoren wie Kamele, mit den Schläuchen ihrer Weisheit zum Labetrunk erschienen. Er verglich die Professoren mit zweibeinigen wandelnden Lexicis, Vertretern verschiedener Fakultäten: Meyer, Brockhaus, Herder, die alle dasselbe sagten, aber in einer anderen genialen Ausstaffierung. Oder mit tantenhaft peinlich geordneten Zettelkästen. Männer, die wie eine Uhr funktionierten, die schwer zum Lachen zu bringen waren, es sei denn über eigene dumme Witze. Und der Neid, der schlimme Nager, befiel ihn, als er dachte, wie die Professoren mit klassischer Gebärde ganze Bücher hersagen konnten. Ja! der Neid frißt das Beste im Menschen. Dann marschierten seine Vorstellungen über das Studentenleben auf, um in ihrer Glorie zu paradieren. Romantisch-sentimentale Lockenköpfe mit nachlässig geschlungener Binde. Jünglinge mit kritischen Denkrunzeln über der Stirn, Verse murmelnd, träumerische Augen und krankhaft bleicher Teint, das Wasserzeichen des Genies in stillen Nächten durch musische Arbeiten eingeprägt. Angesäuselte Studenten mit Mandoline und Sackpfeife im klingenden Tonfall eine Holde besingend, Schabernack und ulkige Nächte in Braus und Schwulitäten. Jappes wurde misepetrig zumut beim Gedanken, daß es auch solche gab mit bunten Mützen und farbigen Bändern, wie sie kapitale Ochsen bei Viehausstellungen in seiner Heimat trugen, die, wenn man ihnen zu lange – und Gott, die Herren leben rasch! – ins Einglas schaute, einem auf zehn Schritt Entfernung Löcher in die Haut knallten. Das war der erste lebensgefährliche Gedanke, welcher Jappes je befallen hatte und sinnend lag er mit zuckender Seele, als es an die Tür klopfte: „Herr Doktor braucht gewiß sehr viel Licht, doch das ist weiter nicht schlimm, wollte auch gar nicht stören; es ist nur wegen dem Bezahlen.“ Jappes klopfte der Wirtin auf die Schulter: „Ich kann schließlich auch im Dunklen denken und brauche die Bilder an der Wand nicht umzuhängen. Ich wünsche eine gute Nacht.“ Aergerlich schlug er sich in die Daunen. Beim Frühstück fragte Frau Wertheim, wie er geschlafen habe: „Ohne Licht!“ sagte er barsch, biß seine Semmeln hinunter, packte seine Papiere und ging. Ein leichter Regen weinte über die Stadt, die Sehnsucht nach einem schönen Tage hatte. VIERTES KAPITEL Gott erschuf den Gespielen der Frau und nannte ihn Kavalier. Jappes wurde feierlich zum akademischen Bürger ernannt und Seine Magnifizenz der Rector Magnificus drückte ihm hochselbst die Hand. Damit war er Studierender und hatte seine Ausweiskarte. Angelica erhielt einen Brief. Liebe Mutter! Dein Sohn schreibt Dir Erfreuliches. Heute war sein erster großer Tag: die feierliche Aufnahme in den Organismus des Studentenkörpers. Der Rektor, ein glattrasierter Herr im Brautanzug, drückte mir die Hand vor über tausend Studenten. Denk Dir einen großen Saal, so groß wie unsere Scheune und die Remise dazu. Mutter, nun muß ich immer viel denken, bis ich auch ein großes Tier bin. Angelica zerdrückte eine Träne, war stolz auf ihren großen Sohn und sagte: Das ist der Segen des Herrn Pfarrers. Jappes stand im Lichthof der Universität und lauschte dem murmelnden Geräusch, das sich an dem hohen Kuppelgewölbe brach. Eilige Studenten zogen vorüber, knipsten die Asche wichtig von der Zigarette, verrieten durch Haltung der Handschuhe, daß sie eine gute Kinderstube absolviert hatten. Man sieht jedem Menschen die Kinderstube an, dachte Jappes, und ich schmeichle mir, daß ich im Freien aufgewachsen bin. Fesche Burschen, deren Beinkleider von betörendem Schnitte waren, lachten über irgendeinen Witz, stiegen die Treppe hinauf und tippten mit dem Stock auf die Stufen. Dandys, denen der Snob in den Nacken gebaut hatte, bildeten eine Gruppe. Peinlich korrekte Ehrenmänner mit Bügelfalten wie Anstandslehrer, Schlipsen, die Ladenschwengelrepräsentationsschleifen ausstachen. Einer hielt ein Päckchen Keks unter dem Arm und naschte sie zierlich hinunter. Es gab Ein- und Zweigläser in der Gruppe; die Zweigläser schienen die Klügsten. Als sie gingen, wußte Jappes, daß sie zum Segeln wollten, falls Egon zu pumpen beliebe. Die Weibsen sind an der Universität in der Minderheit. Jappes sah zwei Arten, die einen mit Kavalier, die anderen, die noch keinen hatten. Etliche gingen sinnend vorüber und schleppten sich müde an ruppigen Büchermappen. Jappes sagte: Das sind die fleißigen Arbeitsbienen, denen vielleicht nur der literarische Stachel fehlt. Andere klapperten mit Holzsandalen vorbei, hatten sonnengebräunte Gesichter: Töchter der Rucksackkultur. Jappes sah, daß die meisten blond waren und ihm schien, als wären sie noch nicht schlüssig in der Wahl zwischen Kavalier oder Studium. Selbst unter den Büchertragenden gab es noch solche, die Jappes Zweifel einflößten: Ob die Büchertaschen nicht gar Attrappen seien? Oja-duftige Bürgertöchter hingen lässig am Arm ihrer ehe- und pensionssicheren (in spe!) Kavaliere. Gierig tranken sie den Honig der Worte, der von den angebeteten Lippen floß, hörten die vernichtende Kritik gegen ein Buch, gegen einen Vortrag und hauchend: Gelt, wenn’s Doktor bist, hältst auch Vorträge – aber andere, weißt! ... Es war eine bunte Mappe von dünnen und dicken, von lachenden und ernsten Studentinnen. Im Gewimmel glänzende Mitternachtstulpen und göttliche Flirtmaschinen. Jappes dachte: Wie heißt wohl der Geist, den sie suchen mit der Lampe des Geschlechts? Er stieg die Treppe hinauf zur Quästur. Zwei Studentinnen gingen vor ihm. Eine hatte kuhmagdpralle Waden. Sie sagte: „... möglich, daß vom ästhetischen Standpunkt aus etwas einzuwenden wäre, aber die Form ist doch die Hauptsache – übrigens willst du jetzt eine Kässtulle?“ Die andere piepste: „Ja, eine kleine!“ Jappes dachte: Gottlob, daß es auch noch natürliche Menschen gibt, die nicht nur metaphysische Bedürfnisse zu befriedigen haben. Und das dralle Kind stahl sich in seine Sympathie. Jappes belegte so viele Vorlesungen, bis sein Geld fast alle war. Aber er war glücklich, daß er nicht zu knapp eingekauft hatte. FÜNFTES KAPITEL. Beichtstuhl und Pfandhaus: Es wird nur Speicherkram eingeliefert gegen einen Vorschuß auf Rückfall. Wer wollte die unverschuldete Geldlosigkeit eines Studenten nicht entschuldigen, zumal wenn er nach ehrlichen Mitteln greift, um seine Finanzen aufzubessern? Alle Studenten sind, von den Ausnahmen abgesehen, ehrliche Burschen. In der Regel gibt es zwei Wege, um aus der Klemme zu kommen, den Vater der Braut um einen unkündbaren Vorschuß anzuhauen – doch dazu ist eine Braut und ein bemittelter Vater vorausgesetzt. Dazu kommt die Gefahr, daß Herr Studio im Verweigerungsfalle nicht nur den Vorschuß, sondern auch die Braut verliert, was um so peinsamer ist, wenn die Braut den Vorschuß wirklich aufwiegt. Aber wie oft ist die Braut nur ein Vorschuß auf Liebe! Der andere Weg ist, in aller Demut und Gelassenheit mit irgendeinem versetzbaren Gegenstand die große Bedürfnisanstalt der Stadt aufzusuchen, um auf rechtmäßigem Wege das Allernötigste leihweise aufzunehmen. Durch weise Verordnungen der respektiven Stadtväter sind diese Anstalten gegründet. Die Abschätzer, welche den Preis für die zu versetzenden Gegenstände festsetzen, sind nur bis zur Hälfte der normalen Wertskala geeichte Männer, sind also nur halbanrechnungsfähig: Die Begründer der Versatzämter waren sicher Juden, die eine bewegte Studentenzeit hinter sich hatten. Jappes ging den Weg, den so viele schon gegangen sind, denn er war Student und hatte nichts Wertvolles zu versetzen, weil er nie große Bedürfnisse hatte. – – – Im Pfandhaus: Ein vielfältiger Duft umkitzelt die Nase und weckt die kühnsten Bilder, erinnert an Sachen, die man sonst nicht leicht zu denken wagt. Geruch von Windeln, Kleinkinderstube, Affenhaus, Hunden in der Brunstzeit, schweißstinkigen Wäschestücken, stickigem Qualm – Nase trink dir genug! Ein Archenduft, wo alles um Vater Noah versammelt stank. Jappes hatte eine gute Nase. Er war noch Novize, aber nicht schüchtern. Er tat wie ein Esoteriker, wie ein alter Pfandgast. Verordnungen und Bestimmungen waren an die Wand genagelt: Außer Kindern unter vierzehn Jahren, Geisteskranken und betrunkenen Personen wird jedermann als Verpfänder zugelassen. Dem Pfandgast steht es frei, sich beim Abschluß des Pfandgeschäftes des eigenen oder eines willkürlich gewählten Namens zu bedienen ... usw. Jappes überlegte: vierzehn Jahre hatte er, war nicht geisteskrank, nicht betrunken. Er las alle Tafeln durch, hörte Namen rufen, alle mit derselben Betonung, wie Nummern; denn auch vor dem Pfandgesetz sind alle gleich. Alle, die versetzen, sind bedürftig und nur die Bedürftigen beugen sich einem Gesetze. Durch ein Schalterfenster kam der krähende Diskant eines Buckligen, der mit fiebernder Eile Zahlen hersagte. Er sah aus wie ein Fragezeichen und hatte ein zerknittertes Gesicht. Ein schwammiges Biergesicht daneben verfolgte die schreibenden Finger, die wie Würstchen über eine lange Zahlenliste glitten. Frauen mit Körben voll von Wäschestücken, Kleidern und Schachteln, kamen und gingen, bettelnd und fluchend, weil ihr Saumann kein Geld herausgab. Eine brachte Bilder und heraldischen Schnickschnack, eine andere eine ziselierte Lampe, eine wertvolle Uhr, eine nackte Bronzefigur. Ein zerschossener Soldat kam mit Regenschirm und Tripperspritze, den Werkzeugen seiner zivilen Praxis. Der Schätzer lehnte ab: „Luxusgebrauchsartikel nehmen wir nicht an, lesen Sie die Verordnung!“ Ein Kind schrie auf und die Mutter schob es an ihre Naturmilchflaschen. Buntes Stilleben! in welchem die Frauen die Staffage sind! Jappes versetzte ein Schachspiel mit Figuren aus Elfenbein geschnitzt und war mit dem Erlös zufrieden. Nach ihm kam ein Mädchen an die Reihe. Sie war nie auf dem Versatzamt gewesen und paßte auch nicht hin. Verschüchtert bat sie um fünfzig Mark für ein Opernglas. Der Schätzer gab dreißig. Sie verzog die Lippen zu einer weinerlichen Grimasse und sagte: „Dann langt es noch nicht.“ Jappes bat: „Fräulein, verzeihen Sie, ich kann Ihnen mit etwas aushelfen.“ Sie zuckte zusammen und erwiderte: „Glauben Sie, ich schäme mich nicht, hier zu sein, es ist so hart. Die Mutter ist gestorben und ich will einen Kranz aufs Grab kaufen.“ Dann weinte sie und war still. Jappes gab ihr sein Geld, sie bat um seine Adresse und ging. Auf seinem Pfandschein stand: Doktor Jappes. Der Bucklige musterte ihn scharf: Doktor Jappes? und der Student haßte das Fragezeichen. Draußen schrieb er mit Bleistift an die Wand: Empfindsame Nasen sollen Karbolwatte einstecken! Dann spuckte er hin und sagte: Wozu war ich nun hier? SECHSTES KAPITEL Wem Gott eine Begierde gab, dem gab er auch Gelegenheit, sie zu befriedigen. Nacht! Von den Gaslaternen tropft ein müdes Licht und zerspritzt auf dem Pflaster. Paare flüstern Geheimnisse im Schatten. Andere gehen müde umschlungen, zucken auf im Licht, wenn sie ihre Gesichter sehen. Stehen eine Sekunde still, gebannt vom Gedanken, daß sie im Wonnetaumel eine Sünde taten: die Sünde! Ihre Blicke streifen aneinander vorbei und zag: Wir verlassen uns nicht. Sie wissen, daß sie müde sind und sich doch nicht verlassen können, obwohl sie allein sein wollen. Müde sein und nicht ruhen dürfen ist Qual. Ist Qual nicht der Fluch der Lust, wenn sie die Jugend mordet! Sie gehen in den Abend und ihre Seelen hüllen sich in den Schatten der Nacht. Andere kommen. Ihre Herzen sind trunken von Sehnsucht nach dem Geheimnis. Stehen still, als wollten sie sich noch etwas Wichtiges sagen, wozu ihnen der Mut fehlt. Schweigend küßt er ihr die Stirne und hauchend, oh, du! Lächelnd drückt sie ihm die Hand. Sie gehen und träumen vom Glück, das der Erfüllung harrt. Durch die Straßen geht die Begierde hingebungsvoll, geil, einladend, schüchtern. Verführte Verführung, tierisch-triebhaft. Betrügt das Leben um seine Inhalte und lacht den Hohn der Verworfenheit, gleitet durch die Nacht, reicht die Schale der verdorbenen Frucht und träufelt den Mohn des Vergessens mit lässiger Hand in die Wunden des verlorenen Selbst. So geht sie und dichtet die Parodie der Liebe. Das Haus schlief schon, als Jappes in seine Bude stieg, und der Mond lag wachend in der Treppe, gelb wie Safran. Er rasselte geräuschvoll mit den Schlüsseln und warf die Tür ins Schloß. Nach einer Weile: „Nun liegt sie drunten in der Erde und hat einen Kranz aus Pfandhausblumen.“ Die Trauer wuchs in ihm, als er an das Mädchen dachte. * * * * * Draußen ging ein müder Wind. Jappes schrieb auf ein Blatt: Der Tod ist der höchste Gott, weil wir ihm unser letztes Opfer bringen; aber wozu an den Tod denken! Er ist ja doch immer das letzte! Er riß eine Schublade auf und langte ein paar Aepfel hervor: Das ist ein anderes Kraut; die Mutter hat sie selbst eingepackt, ein Borsdorfer, eine Kalville; Herr Doktor Jappes speist schöne Aepfel und denkt nicht mehr an die letzten Dinge. Puh! der dürre Tod. Und lustig: Im Anfang war der Apfel! Aber eine Träne stahl sich durch die Wimper, als Jappes durchs Zimmer ging und sich zwang, lustig zu sein. Da hörte er ein leises schüchternes Klopfen an der Tür. Im Türspalt erschienen zwei sanft bittende Augen und eine schmiegsame Stimme klang: „Störe ich nicht, Freund, ich bin so einsam, so arm heute ...“ „Mich stört man nie,“ sagte Jappes, „ich gebe Ihnen einen Apfel, dann sind Sie nicht mehr so einsam.“ „Da muß ich lachen,“ sagte die Stimme, „wie ist das komisch! Fast wie im Paradies.“ Er gab ihr den Apfel und sie aß. „Schmeckt sehr schön, danke, wie ulkig! Ich muß immer lachen. Heiße übrigens Reinette. Das ist auch ein Apfelname. Der Apfel ist ein gefährliches Talent. Freund! Ich habe so eine seichte Natur, bin immer ein bißchen verliebt – ja Gott! wie lustig: In Paris habe ich auch so einen Studenten gekannt, ein toller Bursche, er hat mich auf der Straße aufgegabelt, in sein Zimmer hat er mich eingesperrt und ist davon gerannt – – – – willst du den Rest auch hören, ja?“ Jappes nickte: „Nun ja!“ „Eine Viertelstunde war er weg und kam wieder: ‚Reinette, zieh dich aus!‘ Er legte mir ein neues Korsett an. Ich mußte lachen, daß ich mir den Bauch in Falten zog. Wie eine Gipsfigur stand er vor mir und sagte: ‚So, nun hast du eine schöne Figur; ich bin Aesthet und Philosoph, weißt du, Reinette, Menschen, die alles mit dem Verstande tun, selbst das Gute.‘ Es war zum Heulen komisch. Er schmiß mich die Treppe hinunter und rief: ‚Mit der Vernunft kommt man der Liebe nicht bei.‘ Ist das nicht zum, Schieflachen?“ Während sie lachte, schüttelte sie ihre Ponnylocken und dann: „Wohne da nebenan, sehr schön und bequem und üppig.“ Jappes: „Kleine, du bist wie die Pointe zu einem zotigen Witz.“ Reinette: „Das versteh ich nicht recht. Ach so, ja! Mein ganzes Leben ist so ein schwüler Witz,“ – und zärtlich – „hast du mich denn gar nicht lieb? Ich bin doch so manierlich und gefällig.“ Sie lachte durch die Nasenflügel und warf sich auf die Ottomane. Eine glühenddunkle Macht peitschte ihr Wesen und zuckend krampfte sie ein Kissen in den Händen. Jappes: „Du spreizt dich ja verlangend wie eine Kokotte und wenn ich dich enttäusche und keiner von der Sorte bin, die ...“ Sie unterbrach ihn: „Von was für einer Sorte?“ Und er: „Wenn ich kein Schrittmacher der Liebe bin.“ Reinette: „Sei nicht gar so sportlich und nenn mich Reinette.“ Verlangend hielt sie ihr Händchen hin und bittend: „Noch einen Apfel!“ Jappes saß auf der Tischkante: „Da fang!“ „Komm, Jappeschen, setz dich her und erzähle mir von deiner Liebe. Komm! Ich hab dich ja so lieb ...“ Jappes lachte ihr ins Gesicht: „Du bist so eine Amorette.“ „Ach ja, Jappeschen, nenn mich Amourette, wie der Baron und schau mich nicht so zynisch an, du willst mich ja doch nur quälen und hernach bist du nett zu mir, genau wie der Baron: Abholen mit Auto und Dressing-gown und Orchidee im Knopfloch, küßt mir die feinen Schweden, zwinkert durchs Monokel, aber zu Hause ist der Teufel los, ich glaube, der Kerl ist eifersüchtig, bin auch eine feine Nummer, die mit Baronen umzugehen weiß, Ach! Komm, Jappeschen, ich erzähle dir: Der Baron sitzt vor mir mit übergeschlagenen Beinen, im persischen Salon, der Kerl ist blödsinnig reich, mustert mich scharf und fragt: ‚Wo warst du die Nacht, Amourette? bist so sanguinisch frisiert!‘ Dabei sieht er so blasiert aus, wenn er den Schwedenpunsch mit dem Halm schlürft – ‚Brauchst mir gar nicht zu antworten, weiß, daß du nicht allein warst, mir nicht treu bist!‘ Wenn ich dann weine, weil ich wirklich allein war, wird er immer so nett und sein Herz schmilzt. Von der Anrichte nimmt er ein Fläschchen Barcarole, bespritzt mich damit und sein bißchen Verstand wird brüchig. Wenn ich weiterschluchze, setzt er sich zu mir auf den Diwan und tätschelt mir die Beinchen: ‚Deine Wade ist so fein modelliert, und du bist so süß, Amourette.‘ Dann bring ich ihn zur Verzweiflung und wimmere: ‚Das sagt mir jeder!‘ Jappeschen, gelt, das ist langweilig, wenn man über die Liebe der anderen sprechen hört.“ – Sie legt ihren Kopf an seine Brust. – „Die Geschichte mit dem Baron artet immer in ein paar angenehme Tätlichkeiten aus, ach! die Männer fallen immer auf uns herein.“ Jappes bewußt: „Ich falle nie herein. Dein Baron ist ein Affe!“ Reinette schmollte: „Ja, stimmt, ich halte mich immer mit Affen auf. Das hat schon ein junger Privatdozent gesagt, ein ganz flaumbärtiger, aber eine Glatze hatte er schon mit dreißig Jahren und mordsgescheit! eine Kapazität oder was Aehnliches, er hat es mir selbst gesagt. Jappeschen, hast du schon so ein kleines Mädchen liebgehabt?“ Sie kicherte. „Gehabt schon, aber nicht lieb,“ meinte Jappes, „du bist ein interessantes Weibchen, das schon ganze Romane erlebt hat.“ „Ja,“ sagte Reinette, „genau ganze Romane, wo sie sich am Schluß auch immer kriegten. Ich kriege alle Männer herum, überhaupt Weiberröcke bringen die stabilsten Grundsätze aus dem Gleichgewicht. Ein junger Kaplan war einmal so weit, an mir Wohlgefallen zu finden, da läutete es Angelus, er betete und kam auf andere Gedanken. Aber das ist eigentlich nur ein Anfang ...“ „Glaubst du, daß Kapläne anders sind? Es sind doch auch Brüder wie wir. Aus Fleisch und Blut und Begierden und sie beten zu ihrem Gotte der Liebe.“ „Mit Gott halte ich es nicht,“ wehrte sie, „ich bete zum Teufel, der ist zuverlässiger und schlauer und ...“ „Und? ...“ betonte Jappes. „Puh! Du bist langweilig,“ sagte Reinette, „du hast keinen Takt, mit Damen umzugehen und kein Gemüt und keine Liebe.“ „Kleine,“ flüsterte Jappes, „ich bin nicht gemütskrank.“ Und Reinette: „Sooo! Liebe ist eine Gemütskrankheit. Du bist gefühlsroh und sadistisch und, und ...“ „Ja, und eifersüchtig,“ schrie Jappes, „dein Baron ist ein Lump, sonst würde er dich heiraten. Ich weiß gar nicht, ob ich deine Anmut oder deinen Witz am meisten bewundern soll. Ich bin so verblüfft und voll von neuen Eindrücken.“ Amourette stand starr: „Mache ich einen solchen Eindruck auf dich, Jappeschen? Du bist doch wirklich ein lieber, guter Kerl!“ Jappes nahm ihre Hand: „Armes Schwesterchen, du tust mir leid, ich denke just, was aus dir wird, wenn du so alt bist, sagen wir so alt, bis der Geschmack des Barons nicht mehr mitmacht. Reinette, Barone sind konservativ, aber Weiberchen sind wandelbar und der feinste Puder frißt den Teint.“ „Jappes, liebes Dummerchen, laß mich machen, überhaupt daran denkt man nicht, vorerst gut gelebt! Ich quartiere mich schon bei einem alten Krebs ein.“ „Alte Krebse zwicken und schnappen lieber junge Fliegen. Puh! mir graust, wenn ich bedenke, wie du runzlig und abgeliebt aussiehst. Brrr.“ „Du quälst mich,“ schrie sie und lag zuckend auf der Ottomane; nach einer Weile und schmollend: „dann geh ich in die Isar.“ „Trottel,“ sagte Jappes, „dann sterben die Fische.“ Reinette sprang zur Tür und keifend: „Lump, Betrüger, Komödiant, hast wohl eine andere, gelt, eine jüngere. Zwanzig Jahre ist alt. Erst lockst du mich mit Aepfeln, machst vor mir das süße Männchen, bist eifersüchtig, schimpfst meinen Baron und ekelst mich zum Schluß zur Tür hinaus. Der Baron wird mit dir reden. Jesus! Der Baron ein Affe! Mit Kugeln wird er dich durchsieben. Herr Doktor Jappes, mich verführen Sie nicht! Ich bin ein ehrbares Mädchen.“ Die Tür flog zu. Jappes ging durchs Zimmer: Isartrottel! Deinen Baron hau ich dir zu Brei. Ein nettes Lärvchen übrigens und nett zum Unterhalten. Aufs Hirn ist sie nicht gefallen. Schade, daß ihre Instinkte so stark entwickelt sind, aber das hat auch was für sich. Eine Liebe ohne Instinkte ist wie Feuer ohne Zugluft. Er nahm zwei Aepfel: Wir werden Frieden schließen. Das arme Schindluderchen weint sich noch tot die Nacht. Und weshalb heißt sie auch Amourette? Ohne zu klopfen öffnete er ihre Tür. „Bravo, Freund, du bist tapfer, du suchst den Löwen in seiner Höhle auf. Ich wußte, daß du kommst,“ jauchzte Reinette. Jappes sanft: „Du sagst Löwe, ich sage Katze, lassen wir die Tiere, hier ist ein Apfel, knabbere den und sei meine Amourette.“ Die Luft war duftgeschwängert und jede Sitzgelegenheit war einladend weich. Ein Tisch mit Lichtbildern: „Darf ich vorstellen, meine letzten Freunde. Die vergriffenen liegen dort im Koffer.“ Auf einer Kredenz Schokolade, Sardinen, Keks, Vol au vent und Pralinés und Schrippen. Eine smaragdene Flasche Anisette und zwei Gläser. Auf der Toilette Duftflaschen, Puder und Schminke und diskretes Werkzeug. Ueber dem Bett eine einladende Nymphe vor einem grinsenden Faun und die Aufschrift: „Treu für eine Nacht!“ Jappes fragend: „Und wenn dein Herr Baron das sieht.“ „Hat er mir ja selbst geschenkt, Freundchen,“ und sie hüpfte durchs Zimmer. Frau Wertheim trat ein: „Herr Doktor, das Zimmer kostet zehn Mark die Nacht, darf ich bitten.“ „Zahle morgen,“ sagte er kurz, „zudem habe ich nur einen Apfel gebracht.“ „Ich lege es aus,“ wehrte Reinette. Jappes bemerkte: „Das Haus ist solid!“ „Und reell,“ sagte die Dirne. SIEBENTES KAPITEL Der Glaube macht selig, aber wer glaubt, wird über die Ohren gehauen. Bei Wertheims gab es ein großes Essen und Jappes war eingeladen. „Herr Doktor wird heute mit uns speisen, mein Mann wünscht seine Bekanntschaft zu machen,“ hatte die Wirtin ausgerichtet. Sie saßen zu dritt bei Tisch. Herr Wertheim, ein ramponierter Ehegatte. Ein müdgraues breites Gesicht. Um den Mund spielte eine zuckende Ironie und sprang von den Lippen über die vorstehenden Backenknochen auf die Stirnrunzeln. Ein quecksilbrig-bewegliches Köpfchen mit wallendem Prophetenhaar. Er trug einen grünen Kaftan, wie ihn die Emire tragen, um ihre Verwandtschaft mit Mohammed anzudeuten. Herr Wertheim war weder Jude noch Türke trotz Kaftan und Name und Fes. Er war ein sehr gesprächiges Männchen, das trotzdem den Redefreiheitsparagraphen bei seiner besseren Hälfte nicht zu erzwingen imstande war und viele Gedanken verkümmerten in seinem regen Geiste, weil er nie Gelegenheit hatte, sie auszusprechen. Mit gönnerhafter Gebärde stellte er sich vor und lud zu Tische ein: „Wir werden zusammen tafeln,“ sagte er feierlich, „und ein wenig plaudern; ich habe mich bereits ans Leben gewöhnt und auch ans Erleben. Der Herr Studiosus wird eine interessante Unterhaltung gewiß nicht ausschlagen.“ Jappes: „Im Gegenteil, ich habe eine Schwäche für Belehrungen und Herr Wertheim ist ein interessanter Kopf, der gewiß was Interessantes zu erzählen weiß.“ Der Alte: „Ich liebe es sehr, jungen Leuten interessant genug zu sein, aber manchmal ist es gefährlich, interessant zu sein. Ich erinnere mich, auf einer meiner Reisen in Italien besuchte ich das Grabmal des großen Michelangelo zu Florenz, in Santa Croce. Im rechten Seitenschiff des alten Franziskanerklosters, es war an einem schwülen Spätsommertag, zwischen dem ersten und zweiten Altar, stand ich vor dem Grabmal Buonarrotis, vertieft im Andenken an den großen Meister, wie er im Gefühl der Liebe und der Verklärtheit seine Werke auf der Basis idealisierter Anschauungen schuf – – – da plötzlich entstand ein Gemurmel um mich, dann ein Fragen und Rufen: ‚Heil dem großen Meister! Michelangelo ist auferstanden!‘ Vier Männer trugen mich über den wimmelnden Santa-Croce-Platz durch die Via San Cristoforo in die Via Ghibellina ins Haus Nummer 64 ... Gelt, Schatz, Nummer 64 wohnte der Florentiner?“ fragte er seine Frau, welche zustimmend nickte. „Die begeisterte Menge war kaum zu überzeugen, daß ich Deutscher sei und Studien über Michelangelo mache und das Opfer einer verblüffenden Aehnlichkeit geworden war. Sie sehen, Freund, es ist gefährlich, großen Männern ähnlich zu sehen, wenn es auch schmeichelt. Einem Globetrotter passiert doch manch köstliches Abenteuerchen.“ Da wagte Jappes zu bemerken: „Ich kenne kein Bildnis des großen Meisters, aber ich bin überzeugt, daß er Ihnen sehr ähnlich gesehen hat.“ Papa Wertheim mummelte zufrieden an seiner Pfeife, aber Jappes fand, daß sie ihn gar nicht an türkische Rauchware erinnerte und daß das Brodeln der Pfeife nicht sehr appetitlich klang. Der Alte war gerührt, als er an die erhabenen Augenblicke dachte und wie ein Idiot sagte er mit lallender Zunge: Sein Traum wäre es immer gewesen, ein großer Mann zu werden, aber die Hemmungen des Alltags hätten seine Seele den olympischen Flug nicht nehmen lassen. Er gab sich Mühe, ein imponierendes Pathos anzuschlagen, seine Worte und seine Erregung illustrierte er durch einen embryonalen Gestus. Manchmal erlaubte er sich deklamatorische Abschweifungen, fing einen Satz an, ohne ihn zu Ende zu bringen: „Es war in Palermo oder Ferrara, vielleicht auch in Mailand, oder, Mutter, war es in Venedig? aber Mutter, du nickst ja ein! Ihnen, Herr Doktor, ist es sicher auch langweilig, lassen wir die anstrengenden Reisen. Stochern wir ein wenig im Psychologischen herum. Ich las die Tage ein Traktätchen über den biologischen Wert der Langweile, sehr interessant! Können sich’s mal ansehen. Sie finden ein nettes Kapitelchen über das Instinktive im Menschen, das unbesiegbar sein soll. Ein Brocken über den Wert der Lüge in der Gesellschaft und eine bürgerliche Ansicht über die Gottesidee ...“ Jappes fuhr dazwischen: „Ein Bürger hat überhaupt keine Idee, und wenn Gott nach dem Hirngespinst eines Bürgers geschaffen wäre, sollte er sich wirklich nicht dazu hergeben, zu existieren. Und eine Lüge ist durchaus nichts Schlimmes, wenn sie nur schädlich ist; ist doch die Wahrheit selbst nur eine Parodie der Lüge.“ „Freund!“ unterbrach der Alte und legte seinen stinkigen Kloben auf den Tisch. „Dann sind wir einig: Gott ist nur ein unrasierter Anthropomorphismus, in der Kirche, der Hochburg für Volkstäuschung, großgepäppelt. Wäre ein Aushängeschild für Frisierläden, aber für den Allmachtsgedanken doch zu haarig. Ich gebe mir mein Ehrenwort, an einen solchen Gott habe ich nie geglaubt. Jeder hat seine Religion in sich und die meinige ist durch die Erfahrung meiner Jahre und durch meinen sittlich-strengen Lebenswandel geheiligt.“ Jappes dachte, so siehst du aus, und brannte eine Zigarre an, die der Alte zur Ablenkung reichte und dann fortfuhr: „Wenn wir Fehler haben, ist es immer der Dämon unserer Vergangenheit. Wir sind doch alle ein bißchen die Söhne unserer Väter!“ „Vielleicht sind wir nicht wir selbst,“ stimmte Jappes zu, „und der verzwickte Verdammungsapparat wird sein Menetekel nur für einige schreiben, wenn die große Bilanz im Tale Josaphat gezogen wird, und die ganze Schuld unserer Sünden fällt auf den Stammvater Adam –“ „Oder auf den Affen, von dem wir stammen,“ lachte der Alte. Jappes: „Vielleicht haben wir das Possierliche und Lustige gerade vom Affen geerbt und wir müßten ihm danken und ihn laufen lassen, statt ihn einzusperren.“ „Das Leben ist ein großer Rausch, und weil der Mensch vom Affen abstammt, wird die spätere Menschheit sicher zum Kater kommen,“ meckerte Herr Wertheim. „Ich höre ihn schon schnurren,“ lachte Jappes. Der Alte war ärgerlich, weil ihm der Witz nicht eingefallen war. Jappes empfahl sich. Vater Wertheim steckte ihm noch eine Handvoll Zigarren zu und die Wirtin begleitete ihn auf die Diele. „Der Hecht war gut und mein Magen dankt Ihnen für die Flasche Bordeaux, in welcher er nun rumschwimmt.“ „Nichts zu danken,“ sagte die Wirtin, „auch nicht für den Rehschlegel, und den Likör zum Mokka. Mehr als zwanzig Mark rechne ich Ihnen nicht, Herr Doktor“ – und leiser – „noch ein Wort: Mein Mann ist eine alte Gurke, der vor Alter einen Knacks weghat, gereist ist er nie und Italien kennt er nur aus den Büchern.“ „Aber erzählen tut er täuschend,“ meinte Jappes, „und geizig ist er auch nicht. Ein bißchen Schwefel tötet die Mikroben der Langweile.“ Der Alte greinte durch die Tür: „Die Geschichte, welche ich erzählen wollte, spielte in Padua!“ „An der Brenta,“ darauf Jappes, „ich bewundere Ihr Gedächtnis.“ „Alter Globetrottel,“ sagte die Wirtin und empfahl sich. ACHTES KAPITEL Weil die Engel Gott gleich sein wollten, versuchten sie Menschen zu erschaffen, brachten aber nur uneheliche fertig. Jappes saß auf dem Bett und rauchte eine Wertheim-Zigarre. Er dachte an die Reisen des Alten. Mählich dämmerte ihm, wie die Literarhistoriker behaupten konnten, Homer habe nicht gelebt. Er malte sich den epischen Aufschneider in Kaftan und Fes mit brodelnder Pfeife. Nein! das war doch unmöglich: Einer, der überhaupt nicht existiert, kann doch auch nichts erzählt haben. Auf dem Flur schrillte die Klingel, Jappes horchte auf, obwohl er niemand erwartete. Es ist eine sonderbare Erscheinung, daß eine Klingel uns mit Blitzesschnelle aus unserer Gedankenwelt reißen kann. Wir lassen die Reihe unserer Bekannten plötzlich vorbeidefilieren, haben das Empfinden, als müsse etwas ganz Bestimmtes kommen, die Empfindung verdichtet sich zur Vorstellung, – ein angstjammerndes Telegramm, – eine himmelhochjauchzende Postanweisung – – – – nichts! Alles ist still. Unsere Vorstellung assoziiert keine Phantasiebrocken mehr. Und wenn der Vorwitz, das weibliche Organ unseres besseren Ich, uns nicht zu sehr quält, erfahren wir nie, wer geklingelt hat. Es war halt nichts für uns – und das ist unser Trost. Aber es war etwas für Jappes: Das Pfandhausmädchen. Ein kleines, rundes Ding, mit Anlagen zu zappeliger Fülle, harmonisch zusammengespielte Details mit angenehmen Rundungen und sanften Uebergängen. Sie lachte ein kleines, glückliches Lachen durch ihren Crêpeschleier und bebte, als Jappes das „gnädige Fräulein“ empfing: „Nennen Sie mich nicht gnädiges Fräulein,“ sagte sie untertänig, „ich bin Ihnen zu sehr viel Dank verpflichtet, und ich will nicht, daß Sie sich demütigen. Damals im Pfandhaus waren Sie so gut zu mir, und ohne Sie hätte ich der Mutter den Kranz nicht kaufen können.“ Ihre Worte wurden von Tränen erstickt. Brandrote Locken fielen über den Tisch, als sie sich schluchzend nach vorne beugte. Sie weinte, bis sie ihrem Gemüt Genüge getan hatte, und Jappes ging es nahe. Streichelnd hob er ihr Köpfchen: „Armes, kleines Mädchen, mußt nicht heulen, ich bin ja bei dir.“ „Ich bin so gefühlvoll,“ wimmerte sie. „Das beweist eine gesunde Natur,“ erwiderte Jappes, „wie heißt du, komm, sage mir? Ich will gut zu dir sein.“ Zwei große rotgeweinte Augen standen unter Wasser: „ich heiße ... meine Freundin nennt mich eigentlich immer Pepy.“ „Mußt nicht weinen, Pepy,“ tröstete er, obwohl seine Augen selbst kaum trocken blieben. Dann riß er sich zu seiner starken Natur zurück, wie wir zu tun pflegen, wenn wir mit einem geliebten Wesen um einen Menschen trauern, der uns beiden nahestand, und uns selbst die Rolle des Trösters unserem Freunde gegenüber zufällt. Für Jappes war Trost ein Bedürfnis schwacher Seelen. Er kannte zu wenig von dieser jungen Mädchenseele und er schämte sich vor sich selbst, weil er mit abgedroschenen Gemeinplätzen der Schulbank ein einsames Mädchen über den Tod seiner Mutter hinwegtäuschen sollte. Die traurigen Empfindungen seiner eigenen Seele hatte er niedergekämpft und seine Sprache hatte den Klang der Unsicherheit: Die Saite des Mitleids darf im Trostakkord nicht fehlen. Er sprach von der Unabänderlichkeit der ewigen Gesetze, von der Vergänglichkeit alles Irdischen, vom Erwachen im Jenseits zum besseren Sein, von der Erlösung von den Trieben und dunklen Gewalten. „Die Glorie der Verklärtheit umstrahlt die Verblichene, die, von der Fessel des Alltags ledig, in seraphischer Reinheit von der Erfüllung ihrer Träume durchschauert, den Allspender des Glückes preist.“ ... Da fühlte er, daß er log. Er wußte, wie weit er allem Pietistisch-Frömmelnden fernstand, wie alles Sentimental-Weinerliche ihm fremd war. Er fluchte sich beim Gedanken, daß er diesem Mädchen den Popanz überirdischer Vergeltung zum Trost vorhielt, obwohl das Sterben für ihn ein biologisches Geschehen, ein chemischer Prozeß, ein Auflösen der Materie in andere Daseinsformen war. Durchs Zimmer ging die Stille auf leisen Füßen. Pepy nach einer Weile: „Ich bin sehr unglücklich!“ Jappes schwieg und er fühlte, daß seine Zunge am Leim der Lüge klebte. Das Mädchen saß zusammengekauert und Jappes hielt ihre Hände. Und unsicher: „Pepy, der Tod nimmt uns alle mit sich. Wir weinen und trauern und können das Verhängnis nicht abwenden. Unsere Trauer ist Ohnmacht und unsere Liebe zu den Toten ist ohne Sehnsucht. Unsere Seele wird vom jähen Riß des Verlustes zerrissen. Wir trauern, weil wir vor dem letzten Rätsel stehen und keine Lösung sehen. Und unsere Seele, die nach einer Antwort ringt, zerfließt in ihrer Ohnmacht in Tränen. Ist die Seele uns nicht anerzogen mit all ihren Attributen der Sehnsucht und Liebe? Unsere Seele ist nichts oder etwas sehr Großes, das wir nicht fassen können.“ Pepy saß nachdenklich und ihr leuchtendes Gesicht lag verklärt unter dem brandroten Gelock. Ein Zucken warf sich über ihren jugendlichen Leib, ein Zittern, wie es durchs Boot läuft, wenn der Wind in die gebauschten Segel greift, und jäh sprang es über ihre Lippen: „Die Seele ist unser Verhängnis,“ und nach einem Augenblick: „Herr Jappes, ich bin ein uneheliches Mädchen.“ Als er schwieg, fühlte sie, daß sie mit ihm einsam war. Wir gebrauchen manchmal Worte, die, aus dem Zusammenhang der Rede gerissen, ein Schlagwort sind, das ein Schicksal enthält. Draußen kokettierte die Sonne mit den Abendschatten und warf ihnen rosige Blicke zu. Jappes stand am Fenster und sog nervös an seiner Zigarre, zählte die Fenster der gegenüberliegenden Häuser, zählte die Vorübergehenden, gruppierte sie dutzendweise, fuhr mit dem Daumen die Umrisse der Fensterscheiben entlang. Wieviel Uneheliche gehen wohl vorüber? dachte er, und keinem sieht man es an. Dachte, ob es uneheliche Zwillinge gäbe, ob Uneheliche ihren Vater lieben könnten, ihren Vater, den sie nie gekannt. Dachte, daß sein Vater gestorben war. Sein Vater, der sich nie um ihn gekümmert hatte. Er wußte, daß er ein großer hagerer Mann war, mit unruhigen Augen, der immer schnell über den Hof ging, immer im Hause herumarbeitete und doch nie etwas tat. Eines Tages war er gestorben und Jappes wußte nichts von ihm. Eine Stimme in ihm sagte: „Du bist unehelich seit dem Tod deines Vaters.“ Und Jappes dachte: Es ist keine Unehre, unehelich zu sein, wenn man in Liebe gezeugt wurde. Die Stimme in ihm flüsterte: „Die Väter sind nicht die Herren der Kinder. Sie haben sie im Taumel gezeugt und etwas von ihrem Wesen verloren, aus dem im Kinde ein neues fremdes Wesen entsteht.“ Jappes lauschte dem Locken eines Kreuzschnabels und dachte verschwommene, uneheliche Gedanken. Hockte auf dem Fensterbrett und warf die Zigarre in den Hof: „Kinder sind fleischgewordene Begierden, sonst nichts,“ – dann saß er bei Pepy – „die in der Gemeinschaft der Begierde Gezeugten sind nicht unehelich. Unehelich sind die in der Ehe Gezeugten in Gedanken an einen anderen Gatten. Die Ehe ist die große Lüge, der Ausgleich der Triebe ohne die Gemeinschaft der Seelen. Viele verehren in der Ehe einen anderen Geliebten oder eine andere Geliebte und der männliche oder weibliche Gatte ist nur der Altar, auf dem sie das Opfer ihrer Sehnsucht bringen.“ „Verachten Sie mich deswegen, Herr Jappes?“ Er nahm ihre Hand: „Pepy, wir sind nicht verantwortlich für die Taten unserer Väter. In der Ehe wissen unsere Väter nicht, was sie tun. Sie können das Geschlecht der Seele so wenig bestimmen wie das Geschlecht des Leibes. Im Zeugen ist der Mensch Tier; die Väter wissen vom Wesen des Kindes am wenigsten; sie wissen nur um die Not und die Bedürfnisse des Leibes. Unser größtes Glück ist es vielleicht, dem Einfluß des Vaters früh zu entgehen.“ Pepy sagte leise: „Herr Jappes, Sie reden wie ein Verführer, sind Sie etwa nicht stolz, daß Sie ein eheliches Kind sind?“ „Mein Vater ist nicht mehr, und ich weiß nur, daß er der Mann meiner Mutter war, daß ich manchmal zufrieden bin, nicht zu sein, wie mein Vater war. Das ist mein Ernst, jawohl! Ein uneheliches Kind zeugen, ist kein Verbrechen, auch kein Vergehen. Das Zivilgesetzbuch hat es mit keiner Strafe bedacht, obwohl die Ehe eine zivilrechtliche Gültigkeit ist. Pepy, fühlst du dich nicht ebenso frei, wie ein anderes Mädchen, bist du nicht aus dir selbst herausgewachsen ohne den traditionellen Zwang der hierarchischen Familienbrödelei! Vom Wesen der Väter haben wir nichts Wesentliches, manchmal eine leise Erinnerung, und dann zucken wir auf, weil wir wissen, daß es nicht unsere eigene Regung ist, die in uns wach wird.“ „Haben Sie Ihren Vater nicht liebgehabt?“ „Nein,“ sagte Jappes, „denn ich habe ihn nie gebraucht und nicht gekannt, denn um einen Menschen zu lieben, muß man ihn kennen, und um ihn zu kennen, muß man ihn gebrauchen – komm, Pepy! sag’ ‚du‘, ich werde dein Freund sein, denn ich habe nichts vom Vater.“ Und Pepy: „Sie sind sonderbar und haben eine verzerrte Weltanschauung. Mein Vater ist ein berühmter Mann und die Mutter ist aus Liebe zu ihm gestorben. Sie dürfen nicht höhnen, weil ich die Frucht einer Liebe bin.“ „Ich höhne nicht, denn ich sage dir, die in der Gemeinschaft der Begierde Gezeugten sind nicht unehelich. Die Welt ist verzerrt und ich schaue diese Verzerrung. Wir sind immer das Material der Zufälligkeiten.“ Dann zerdrückte er eine Fliege und sagte: „Du sollst nicht töten! ... Der Mensch lebt nicht allein, aber er lebt manchmal einsam. Pepy, komm wieder, wenn du glaubst, daß ich dir was bin.“ Sie ging. Schlechte Hirtenbriefe sind meist gute Witze. Gute Hirtenbriefe sind meist schlechte Possen. Jappes lag zu Bett und die Langweile kritzelte ihm ein dürres Kapitel. Er spann seine Gedanken durch die Nacht: Die Ehe – Zwangsvorstellung der Liebe. Die Instinkte sind die aktiven Kräfte, die uns die Sinne verwirren, und uns die Echtheit unseres Gefühls vorzaubern. Wir vergehen in der Schwüle der gegenseitigen Unausstehlichkeit. Wir wissen um unsere geheimsten Tricks, um unsere intimsten Regungen, Wünsche. Die Begierde bäumt sich hoch. Wir werden müde vom Taumel. Armseligkeit! Wir tragen unsere Kinder mit uns in latentem Zustand. Wir suchen nach Namen und suchen nach den Kindern, die zu den Namen passen. Bei jeder Geburt verrinnt ein neuer Traum, das Kind paßt nicht zum Namen. Und wir haben so viele Namen übrig. Wir verstäuben in der Ohnmacht des Alters und die unmündige Hoffnung unserer Schöpferkraft trinkt sich genug am Kelch der Enttäuschung. Wir sind die Opfer der Zufallsväter. Und es ist der Fluch des Opfers, daß es andere Opfer will. Er dachte daran, daß impotente Bischöfe in Fulda ein Manifest zur Kindererzeugung zusammengepeitscht hatten. Erinnerte sich, daß auf dem Gymnasium ein schwindsüchtiger Lehrer über die physikalischen und biogenetischen Kräfte sprach und dabei einen Ohnmachtsanfall erlitt. Der Ekel fegte sein Hirn blank, als er an die pensionierten Gefühle des Alters dachte. Lauschte der Nacht, die draußen vorüberging, hörte Gläserklang im Nebenzimmer, schmeichelndes Lachen eines Mädchenmundes und dazwischen brünstige Laute eines Mannes. Dachte, daß Kinder um die Existenz betrogen wurden, daß die Begierde sich ins Leere verspritzte und die Lust sich selbst auffraß. Dachte an die Toten, die ihm gleichgültig waren, um welche er nie geweint hatte, und laut: „Lasset uns beten, auf daß sie nicht wieder auferstehen.“ Dann kam der Schlaf und trug ihn ins Vergessen. NEUNTES KAPITEL Die Professoren sind Seifenblasen, die meistens durch ihren eigenen Wind platzen. Die Sonne warf einen gelben Klecks an die Tapete. Wagen fuhren über die Straße mit Hüh und Hott. Die Wirtin stellte den Kaffee auf den Nachttisch und Jappes tat, als schliefe er noch. Er war ärgerlich und die Langeweile durchzog seine Seele mit grauen Fäden. Er wollte etwas erleben, was Neues hören. Rekelte sich aus dem Schlaf und warf sich in die Kleider. Der Postbote brachte einen Brief von der Mutter. Jappes legte ihn auf den Tisch und quälte sich, was wohl drin stehe. Ging fort und ließ den Brief ungeöffnet. Tagsüber war er an der Universität und schlürfte das Manna des Wissens am Busen der Alma Mater. Lutschte sich stundenlang müde am ledernen Lutschbeutel verbissener Pedanten, ließ sich anöden vom faden Aesthetengeflunker, horchte der einschläfernden Musik verkrüppelter Humanitätsduselei, hörte subjektive Anschauungen über objektive Rhetorik, trieb im seichten Fahrwasser der sturmlosen Logik, geriet in die Strömung lyrischer Ergüsse und lauschte dem Gesäusel romantischer Seiltänzer. Und die Abwechslung reizte seinen Appetit, von allen Bissen zu essen, die auf den Schanktischen der Universität angeboten wurden, hörte, daß Moral keine Tugend sei, stocherte im geistigen Riesenmüllkasten und fand nebst abgenagten Knochen die Asche der guten Gedanken, ohne etwas vom Feuer der Kohle zu merken. An dieser Brutstätte großer Gedanken gewahrte er, daß das Gefieder der Vögel buntschillernd gespreizt war, daß die Vögel aber lauter faule Eier legten. Fand, daß das Schönste das Getrampel war, das die Dozenten sich in der akademischen Stunde ergreint hatten, zerbrach sich den Kopf darüber, wie die Studenten die Rezepte der Weisheit nachschreiben konnten, statt gegen den hirnzerschlitzenden Blödsinn Front zu machen, der dort verzapft wurde. Die Professoren rieben sich gegenseitig aneinander, um sich von den eigenen Unsauberkeiten freizumachen. Um sieben verließ er die letzte Vorlesung. Ein Dozent hatte über den Empirismus geredet: Eine erkenntnistheoretische Richtung, die alle Erkenntnis aus der Erfahrung ableitet. Für Jappes praktische Begriffe einer praktischen Lehre. Neben dem reflektierenden und kritischen Empirismus gefiel ihm der naive am besten. Die Hörer drängten zur Tür. Zwei Studenten diskutierten, ob John Locke oder Francis Bacon die Ehre gebühre, als Begründer des Empirismus anerkannt zu werden. Jappes mischte sich ein: „Ich bin dafür, Wilhelm Wundt aus Neckarau in Baden die Ehre zu geben, weil er den naiven Empirismus erfunden hat und ich bin Badenser!“ „Ein glänzender Kopf – Wilhelm Wundt,“ sagte der eine Student, und Jappes dachte an Pomade. Er verfolgte eine üppige Bluse, die in ein Speisehaus lenkte. Saß vis-à-vis von ihr und sah sie auf und nieder wogen. Eine duftige handgearbeitete Guipurespitze wehrte dem kühnsten Auge, zu den gewölbten Eigentümlichkeiten des Mädchens zu dringen. Die Dame bestellte zwei Menüs, schlang sie hinunter und unterhielt sich mit Jappes über ihre Appetitlosigkeit. Er war sprachlos und kaute ein wieherndes Beefsteak à la tartare hinunter. Zahlte und empfahl sich: „Gnädiges Fräulein, lieben könnte ich Sie, aber nicht füttern.“ Und sie: „Reiten Sie angenehm mit Ihrem Roßbeef!“ Aus einem Kaffeehaus floß das sacharinsüßliche Ariengesäusel einer Streichkapelle. Das viktoriaschwangere Gebrüll eines Veteranenvereins zitterte durch den Tabaksqualm eines säuerlichen Bierlokals. In den Anlagen standen junge Astronomen, die sich mit dem Teleskop der Liebe in die Augensterne ihrer Geliebten verirrten. Jappes eilte vorüber, er hatte Sehnsucht nach dem Brief, der am Morgen von seiner Mutter gekommen war. Während er las, betete Reinette im Nebenzimmer ihr Liebesbrevier. Der Mutter ging es gut, und Pepy schrieb: Ich hole Dich morgen um sieben Uhr ab. Wir gehen in den Lohengrin. Es hat seine Bedeutung. Es hat seine Bedeutung, las er zum zweitenmal. ZEHNTES KAPITEL Die Kunst bleibt rein, selbst wenn sie vom Pöbel beschmutzt wird. Jappes führte Pepy aus. Beide in hoher Wichs. Er unterhielt und war galant. Lässig schlenderte er mit ihr in den Wandelgängen. „Ja, Pepy, wer ins Theater geht, sollte alle seine Sorgen in der Garderobe ablegen können. Eine Oper soll man eigentlich genießen wie ein türkisches Bad: den Zauber wohlig-prickelnd über sich ergehen lassen und dabei mit der Nacktheit seiner Gefühle allein sein. Die Oper will ich durchaus nicht mit einem türkischen Bade vergleichen. Nein!“ Pepy zerknitterte das Programm in ihren Händen: „Jappes, du bist wieder toll!“ „Kleine, liebe Puppe,“ fuhr Jappes fort, „ich habe den Hang zum Raffinierten und das viele wimmelnde Fleisch reizt mich. Dann könnte ich eine Dummheit begehen, irgendeine Mastdame anrempeln und sie in den großen Wandspiegel bugsieren. Die Lorgnetten machen mich nervös und ich verspüre Lust, eine Dame in der Abendtoilette in die Schulter zu beißen. Pepy, hier dürfen wir nicht oft herein, wenn du keinen Skandal aushalten kannst. Schau den Dickwanst drüben! Die Verblüffung über seinen plötzlichen Reichtum ist nicht mehr aus seinen Zügen gewichen und nun geht er mit seinen plattfüßigen Metzgergefühlen eine Oper genießen. Genußmenschen à hundertfünfzig Kilogramm Lebendgewicht. Da, der Kerl, sieht aus wie ein geschundenes Gerippe, ein Kopf wie eine Blase, und halluziniert der Kokotte, die neben ihm geht, die schlotterndsten Liebesgefühle. Aber wahrlich, das Weib ist wie aus Milch und Rosenduft und schön wie eine Sünde. Das Gefunkel der Geschmeide macht mich verrückt. Pepy, fühlst du dich wohl in diesem Massengeflunker?“ „Du bist wirklich lächerlich, es ist doch nett.“ „Nein! ich amüsiere mich, wie köstlich! das reinste Panoptikum. Korsettstramme Offizierlichkeiten, mit besäbelter Sicherheit im Auftreten, vierdimensionale Damen, in ihren Zügen das flache Bedauern, daß ihr Schoßhund fehlt. Junge flirtende Holdseligkeiten mit halbgezwungen-flötender Drehung zu ihrem Manne gewandt. Ihr Mann, eine selig-sichere Kotillon-Erinnerung. Rauschende Seidenpuppen durchlauern die Gruppen, ziehen die Blicke auseinander und mustern, mustern. Und die Männer sehen dasselbe ins Weibliche übersetzt, vielleicht zäher, sicherer, brünstiger. Die Männer sind stärker, sicherer, zugeknöpfter!“ „Die Männer sind nicht alle wie du, komm, du machst wirklich noch einen Alarm.“ „Ich sehe den Wind,“ entgegnete Jappes; „die Leute würden mich nie langweilen, nicht einmal, wenn sie im Negligé wären. Ich weiß, wie sie sind, und was sie nicht sind. Die hier alle sind verblassend wenig, weil sie etwas zeigen oder etwas sehen wollen. Den Leuten steht die Form ihrer Nachttöpfe auf der Nase geschrieben. Ich wollte, ich hätte keine Nase.“ Pepy stieß ihn in die Seite – „Jappes!“ – „Gehen wir hinein, die Menschen, die etwas sein wollen, sitzen drinnen und sammeln sich, statt sich schon am Flitterkram zu zersplittern. Schnell, dort wickeln sie die Stullen aus dem Papier, das Pack frißt immer, schade, daß es nicht unsterblich ist!“ „Komm, Jappes,“ bat Pepy, „sei vernünftig.“ „Ich will es versuchen, Liebe. Es ist gefährlich, mit Menschen zusammenzukommen, man muß immer auf etwas gefaßt sein. Du bist sehr schön, wenn du so schweigend neben mir gehst. Hier die Plätze, ich glaube, im Theater setzt sich die Dame rechts.“ Und Pepy: „Jappes, du bist ein liebes Schaf.“ Er drückte ihre Hand. Die Kunstgelehrten streiten darüber, ob Lohengrin eine spaßhafte oder eine ernste Figur sei. Die ersten Takte gerannen zur Melodie und das Orchester erzählte ein Märchen: Monsalvat im fernen Land ist eine heilige Burg. Ein lichter Tempel, dessen Pracht die Rosen Schiras’ glühend neiden, liegt im Purpur eines glückverklärten Scheins. Verzückte Engel tragen Liebessehnsucht auf dem weichen Flaum der Flügel nieder. Im ätherklaren Schein harrt eine Ritterschar des Wunders, das aus lichten Höhn herniederschwebt. Süßer Duft umschmeichelt sanft die Wartenden. Und bebend legt die süße Furcht das zage Herz in seinen Bann. Ein Purpurschein umloht ein Flaumgewölk, das schwebend sich der Erde naht. Die Wartenden, vom Strahl der Liebe heiß durchglüht, erschauern in verklärter Wonne. Die Schale mit dem Blut des Herrn, in weißen Nebelflor gehüllt, erglüht im Flammenglanz der ewigen Glut und senkt sich vor dem Auserkorenen der Schar, vor Lohengrin, der seiner Sinne nicht mehr mächtig anbetend sich als Opfer weiht. Segnend gibt der Gral dem Ritter seinen Weihekuß. Im Herzen des Auserwählten verzehrt sich die Beseligung zur Wirklichkeit, indes die lichte Schar dem ätherklaren Zelt entgegenschwebt. – – – – Die viergeteilten Violinen verklangen in hoher Lage auf dem Gralmotiv modulierend. Jappes flüsternd zu Pepy: „Darf ich klatschen?“ „Wenn du etwas empfunden hast. Ja.“ „Ich habe sehr stark empfunden.“ Die fanfarenartig rauschenden Triolen, die König Heinrichs Rede begleiteten, füllten Jappes mit hellem Jubel, daß er Pepys Hand fast zerdrückte. Dem falschen Telramund wäre er am liebsten an den Hals gesprungen. Telramund, der in seiner blechernen Rüstung und mit seiner blechernen Anklage eine jämmerliche Figur bot. Als Oboe und Englischhorn erklangen, als trauernde Zeugen von Elsas Unschuld, weinte Pepy, und Jappes flüsterte: „Vergiß nicht, wo wir sind.“ Ein Herr zischte und Jappes schwieg. Als der Schwan mit Lohengrin erschien, sagte er lachend: „Der gefiederte Omnibus!“ Erneutes Zischen und Pepy schaute ihren „Kavalier“ vorwurfsvoll an. Als das Warnungsmotiv im düsteren As-moll unheilkündend vor Ungehorsam warnte, schaute Jappes den Zischenden bedeutungsvoll an. Der erste Aufzug verlief unbefriedigend für Jappes, weil Telramund nicht getötet worden war. Pause. Ein junger Künstler unterhielt sich mit Jappes über Wagner: Es sei schauderbar, daß man Wagner früher ausgepfiffen habe. Und dazu die unsinnigen Gerüchte, daß der Besuch einer Wagner-Oper Pest und Blattern und Gallensteine nach sich ziehe. „Das ist mir neu,“ sagte Jappes, „ich erinnere mich, daß ein Jahr vor meiner Geburt Lohengrin im Berliner Opernhaus seine dreihundertste Aufführung erlebte. Uebrigens, haben Sie den Draht gesehen, mit welchem der Schwan über die Bühne gezogen wurde. Ich entdecke den Schwindel immer.“ Der Fremde lachte: „Wann sind Sie geboren?“ „Am 16. Oktober 1893.“ „So, ein merkwürdiges Datum.“ Da begann der zweite Akt. ELFTES KAPITEL Guter Wein ist so erhaben, daß man keine schlechten Aphorismen darüber machen soll. Jappes und Pepy saßen in einer Nische der holländischen Teestube. Sie trank ein Glas Glühwein, er aß eine Schale Eis. Pepy überlegte, ob sie Jappes ernst nehmen solle. Sie fand ihn entzückend und abstoßend. Mußte ganz verbissen über seine Späße lachen, die manchmal brutal klangen, dann stampfte sie mit dem Fuß auf: Teufel! Er warf ihr huldigende Blicke zu und sagte: „Pepy, du bist bezaubernd, lockend schön, faszinierend wie der Nabel des Buddha, wenn man ihn gesehen, kann man nicht mehr los.“ Pepy erfuhr gerne, daß sie reizend war, aber die Vergleiche zerstörten die schauersüße und sinneglühende Romantik. „Du bist der beste Mann, weil ich für dich schwärme, aber du sollst dich auch liebhaben und das Gute nicht in dir töten durch das Grobe deines Benehmens.“ „Soll ich schön schweigen und mich vor Langeweile töten. Ich, Jappes, genannt Paul vom Schlapphof. Ein tüchtiger Kerl, wer nicht am Weibe verrückt wird. Pepy, du bist aus Dreck und ich bin aus Dreck und zwei mal Dreck ist Dreck. Die längste Zeit waren wir zusammen, glaubst du nicht auch? Feiern wir Abschied heute, ein bißchen Abschied voneinander, wir haben nicht viel aneinander zu verlieren, weil wir noch nicht viel gewonnen haben.“ Pepy war starr. Jappes bestellte eine Flasche Affentaler, und mit sinnlicher Ungeduld fragte er Pepy, wieviel Männer sie lieb habe. „Aber Jappes, du bist wohl entgleist! Keinen einzigen, sage ich dir, keinen!“ „So,“ sagte Jappes, „keinen?! Ich danke dir, daß du nicht einmal mich lieb hast. Kapsele deine Gefühle ein, bis dein guter Ritter kommt und die Schale der Ehe bringt. Hehe! Der Storch wird die Taube sein, die alljährlich wiederkommt, um die Wunderkraft des Kelches neu zu stärken.“ Er lachte ein gedehntes, viehisches Lachen. Pepy schluchzte, nahm seine Hand, und sagte weinend: „Jappes, ich habe dich lieb.“ „Du willst wohl Ortrud sein und Rache nehmen, Schlange du, du glatte. Komm, trink mit mir dies Trostgebräu, daß deine Tränensäcke nicht versiegen.“ Er schenkte ein: „Prosit! Trinken wir auf das, was wir nicht lieben.“ Sie tat ihm nicht Bescheid. Er trank die beiden Gläser leer. Dann war es still. „Soll ich gehen, Jappes?“ Er schwieg. „Soll ich noch dableiben?“ Er schwieg. „Was soll ich tun?“ Er schwieg. Sie goß die Gläser voll, „Trink Jappes, und sprich, dein Schweigen ist gräßlich und paßt nicht zu dir.“ Er trank. „Ich werde Arzt, prosit! Nabelstrangspezialist. Weshalb schneidet man das Organ ab? Ich werde den Nabelstrang kultivieren, pfropfen und ihn so drillen, daß er der Rezeptator der okkulten Schwingungen wird. Ich sage dir, der Nabel wird nicht umsonst in Indien verehrt; wenn wir ihn ausbauen, können wir alle Geheimnisse durchschauen. Ja, du lachst, ich werde den Nabelstrang ausbauen und eine Physiologie schreiben, eine Anatomie und eine Psychologie. Da muß das Feinste der Seele hinein, das Animalische. Freundin! es wird das zentrale Problem der medizinischen und okkulten Forschung. Das Problem, um das sich alles dreht. Es wird der Nabel von allem sein. Prosit!“ Er soff sein Glas leer. „Trink nicht zuviel,“ sagte Pepy, „du bist schon an der Grenze des Ungenießbaren.“ „Ja,“ tat ihr Jappes Bescheid, „es ist ungefähr die Grenze. Aber ich bin nicht so dumm, wie ich mir die Mühe gebe zu scheinen.“ Ihr Lachen streichelte seine grobe Stimme. Jappes hob sein Glas: „Leben, ich küsse dich!“ „Du bist unberechenbar,“ sagte Pepy, „man weiß nie, was kommt.“ „Ich tue immer das Gegenteil von dem, was man erwartet.“ Da wurde Pepy traurig: „Weißt du, Jappes, ich kann dich nicht lieben, weil ich keinen Halt an dir finde, weil dein Wesen mir immer entgleitet, und ich muß dich lieben, weil du so bist. Ich kann das selbst nicht verstehen.“ Er: „Da gibt es nichts zu verstehen! Bitte, Fräulein, zahlen.“ Als sie gingen, nahm Jappes die leere Flasche mit, aber er war traurig, als er das Mädchen sah, das nach Liebe rang. Schlichte Naturen haben manchmal tiefe Gedanken, die uns heimlich von ihrem Wesen Kunde geben. Nebelhaft und drohend starrten die Häuser in die Nacht, hier erlosch ein Licht, dort ein anderes. Straßenkehrer säuberten die Schienen der Tram, kehrten den Unrat der Straßen zusammen und schliefen dabei. „Die Bedeutung, weshalb wir in Lohengrin waren?“ fragte Jappes. „Hast du das Lohengrin-Motiv verstanden?“ „Ich glaube ja,“ sagte er und wurde ernst. „Sage mir etwas von deiner Seele. Ich liebe deine Stimme, Pepy!“ „In der Lohengrin-Idee liegt etwas von meinem Leben. Ist es nicht das göttliche Sehnen aus der Einsamkeit nach der Menschwerdung? Gott will keine unterwürfige Demut, kein Zerfließen in Anbetung, er will durch die Liebe erlebt und begriffen werden. Gott will ein fühlender Mensch sein und in seiner Sehnsucht ruft er nach der Frau, nach dem Herzen. Ist es nicht die Kraft, die sich in Liebe wandelt und die Tragik gebiert? Der Mann, der sich läutert und die Frau, die aus Sehnsucht stirbt. Lohengrin wieder rein vom Schmerz durch das Opfer der sterbenden Elsa. Jappes, das wirst du verstehen, wenn du dies Büchlein gelesen hast.“ Und sie reichte es ihm. Zwölf Schläge rieselten durch die Nacht, und zwei Menschen dachten an den Inhalt der vergangenen Stunden. ZWÖLFTES KAPITEL Tagebuch des Malers Geraldo Frag mich, was Kunst ist, ich sage Leben. Frag einer mich, was Leben ist, ich sage Kunst: Wie Vater und Sohn unwandelbar eins und doch ewig verschieden. Mit seiner Lampe las Jappes das Tagebuch: Frau Martha, die Geliebte des Malers Geraldo, war eine seltsame Frau. Geraldo war ein phantastischer Mensch mit medialer Veranlagung, der nur das Groteske und Spukhafte im Leben sah. Marthas Liebe steigerte seine künstlerische Begabung und weckte das Dämonische in ihm, durch die Begierde nach künstlerischer Selbstvollendung, mit Hilfe der geliebten Frau. Er ging den Leidensweg zwischen den beiden Polen künstlerischen Werdens, Analyse und Synthese, Geburt und Erlösung – den Kalvarienberg der leidenden Erfüllung, des begierdelosen Opfertums. Sein Gott war die werktätige, erzeugende Idee, das Sich-selbst-finden in der Kunst, das Sich-über-sich-hinaussteigern. In Gott erkannte er das schaffende Wesen, das sich ihm offenbarte auf dem Wege künstlerischer Erleuchtung. Bei der religiösen Hingabe hat der Mensch ein rationales Bedürfnis, das Bedürfnis der bewußten Anbetung eines Heiligsten. Aber immer wieder erfährt er, daß für das Letzte, Tiefste die Vernunft ein unzureichendes Werkzeug ist. Weder das suchende Licht der Vernunft noch ihr messendes Lot reicht in die letzten Wesenstiefen des Gotterlebnisses hinunter. Dem anbetenden und gottsuchenden Menschen bleibt immer ein ungeklärter und unerfaßbarer Rest, von dem der religiöse Mensch gerade in Zeiten tiefster Ergriffenheit und Bedürftigkeit ahnt, daß dieses begrifflich nicht Definierbare, dieses der Vernunft Entschwindende der Wesenskern der Religion ist. Im Taumel des Schaffens hatte Geraldo seine Geliebte symbolisiert und allen Phasen seiner Entwicklung eine Erinnerung geschaffen. Er schuf sich eine Galerie der Liebe und feierte einen mystisch-brünstigen Kult. Wie Beatrice bei Dante und Laura bei Petrarca die klassischen Typen der Sehnsucht sind, in denen der Mann die letzte menschlich-männliche Ergänzung bei der Frau auf dem Wege der Liebe sucht, so dachte Geraldo, auch dieses Sehnen lebe in der Frau, nur unbewußter, scheuer, verhüllter. Er fragte sich, warum der Dichter immer so viel Mann ist und so wenig Mensch und weshalb er nicht auch einmal den Versuch mache, das Problem von der weiblichen Seelensehnsucht aus zu lösen. Er verbiß sich in den Gedanken und schuf ein Bild, das er wie eine Entdeckung und eine erste Gestaltung der Welt offenbarte. Er nannte sein Bild Beatrice. Eine neue Beatrice, geboren und geformt aus der Sehnsucht des sich Entwachsen-wollens, des über sich Hinaus-wollens. Eine Beatrice im Gefühl ihrer tiefen Sehnsucht, im Glauben an die Möglichkeit der Selbststeigerung durch den Geliebten, den Mann. Zugleich gab Geraldo seinem Bilde den Unterton des sehnsuchtsvoll Zweifelnden, des sehnsuchtsvoll Sichern, des sehnsuchtsvoll Schmerzlichen. Es war sein eigener Seelenkonflikt. Ein Ringen nach Selbsterlösung, eine Sehnsucht nach dem großen Unbekannten, ein romantisches Streben, die Sucht nach Ergänzung. Ein expressionistisches Bestreben, die tiefinnersten Schwingungen seiner Seele ins Frauliche zu transponieren. Wochenlang hatte er sich eingeschlossen und Skizze um Skizze entworfen, bis ihm der große klassische Wurf seines Werkes gelang: Beatrice, die vom Wesen der Liebe durchgeistigte Frau, durchschauert vom heiligen Odem abgeklärter Sehnsucht. Frau Martha hatte seiner überfließenden Seele oft in Stunden seliger Andacht gelauscht und sie verzehrte sich vor Verlangen, das Werk zu sehen, in welchem sie die Seele des Malers in reiner Anschauung fühlen konnte. Sie wußte, daß es ihre eigene Seele geworden war, und daß Geraldo mit magischer Gewalt ihre beiden Seelen in einem Bilde vereinigt hatte. Da kam der Tag der Offenbarung und schweigend stand sie vor dem Bilde ihres Traumes. Geraldo fühlte während der Arbeit an seiner Beatrice, daß ihn das Problem seiner Liebe weitertreibe. Der flutende Hauch des Genies umkoste seine Seele und trieb seinen Genius zur Weitergestaltung. Und doch fühlte er mit einer leisen Enttäuschung, daß die tiefste Wurzel seiner genialen Versenkungsweise in das Weibliche nur die eigene glücksuchende Sehnsucht war: nur die eigene Sehnsucht. In seiner Geliebten suchte er ein Wesen zu finden, das aus dem ähnlichen Drängen wie er selbst nach dem anderen Wesen, dem Kinde, suchte. Aus diesem Verdoppeln des Sich-finden-wollens erträumte er die Loslösung des göttlichen Funkens. Nach qualvollen Tagen innerer Erschöpfung, kam er auf den Verkündigungsgedanken: das Motiv zu einem zweiten Bilde. Er spürte, daß auch in diesem alten Thema ein viel tieferes sich symbolisiere, daß auch Gott sich nach einem Geschöpf sehne, das aus seiner eigenen Sehnsucht heraus ihn erwartet. Geraldo malte im Engel den Verkünder der Mutterschaft zu einem erlesenen Wesen, in Maria eine Mischung von freudiger Selbstgewißheit, von demütiger Scheu und rauschhafter Freude in der Ahnung des Kommenden. In anbetender Betrachtung war der Maler vor dem fertigen Bilde hingesunken, und was er künstlerisch geahnt und geschaffen, begehrte er mit der Leidenschaft eines Faszinierten. Ein teuflischer Plan reifte in ihm: Er brauchte eine neue Art von Modell zu seiner Weiterbildung, zu seiner Erlösung aus dem Kampf mit den dunklen Gewalten seiner brodelnden Kräfte, die nach Gestaltung rangen. Er brauchte ein suggerierbares Weib, ein Medium. Seiner Freundin entwickelte er seine Gedanken, sagte ihr, was er von ihr wollte, sprach ihr vom Wunder seiner Berufung ... In der Freundin fand er eine leicht entzündbare Frau und merkte, daß er ihr nichts zu suggerieren brauche, daß auch in ihrer Seele diese Sehnsucht nach Erfüllung sich drängte. Er verspürte ein Glück, das ihm die Sinne raubte: Er hatte eine Beatrice-Natur gefunden in seinem Sinne. Er fühlte die willenlähmende Wirkung seines ersten Bildes und sah in Frau Martha das Opfer seines Symbols; das sich vor Sehnsucht verzehrende Weib. Geraldo war ein phantastisch-theosophischer Adept, der sich auf Grund einer Vision als Werkzeug Gottes sah, seine künstlerischen Träume plastisch zu gestalten. Er führte die Freundin zu seinem neuen Bilde: der Verkündigung. Sprach ihr über die Gedanken, die ihn dabei geleitet, offenbarte ihr mit zündender Begeisterung seine ringende und glückdurchglühte Seele. Die Freundin erlebte sich selbst in der Anschauung des neuen Bildes, mit verhülltem Gesicht saß sie lange und dann rang sich der Gedanke durch: Es gibt einen Mann, der ein Wissen um unser frauliches Schicksal hat. Sie war durchdrungen vom Glauben, daß Gottes allmächtiger Wille die Seele geschaffen habe, und daß sie durch die Geburt eines Kindes seinen Willen erfülle. Gebannt durch den Gedanken, daß sie unter einem fatalistischen Zwange ihren Weg durchs Leben zu gehen bestimmt sei, lag ihr der Gedanke an die Sünde fern. Mit Geraldo glaubte sie: Durch den geschlechtlichen Akt kann der Mensch Gott nicht zwingen, eine Seele zu erschaffen, deshalb wird die Seele nicht nach der Empfängnis erschaffen, muß also schon früher erschaffen worden sein. Das Kind ist die Erfüllung des göttlichen Willens, ob es im Zwange der Ehe oder in den lockeren Banden freier Liebe gezeugt wird. Wie seine Bilder die Form gewordene Sehnsucht und die Beweise seiner hohen künstlerischen Berufung sind, so ist das Kind das gestaltete Sehnen der Frau, der konkrete Inhalt fraulicher Sehnsucht. In der Mutterschaft ist das Weiterleben der Mutter in ihrem Kinde enthalten; die Mutter sieht darin ihr Ideal, an der Menschheit weiterzuarbeiten, wie der Maler im Bilde sein innerstes Erleben gestaltet und an der geistigen Fortentwicklung der Menschheit wirkt. Die innere Erkenntnis muß die Frau bestimmen, sich dem Manne anzuvertrauen, das Gefühl muß ihr sagen, ob er der Würdige ist, der Gesinnungsgenosse, nicht nur der Zeugungsgenosse ... Dann rannen Bild und Wirklichkeit zusammen. Geraldo nahm die Freundin in der Verzücktheit des wallenden Blutes. Sie gab sich ihm im Schauer der Größe und im Glauben an den Gedanken prophetischer Erfüllung. Nach diesem doppelten Schöpfungsakte befiel den Maler ein doppelter Ekel. Die Erfüllung des Wunsches war für ihn der Tod desselben. Die Freundin und das geschaffene Bild waren ihm gleichgültig. Er fühlte, daß er auf dieser Stufe der Entwicklung nicht bleiben konnte. Eine dunkle Gewalt trieb ihn, neuen Stoff zu sammeln, an dem er seine Kräfte betätigen könne. Es trieb ihn nach Italien. Er wollte seine Seele läutern im klassischen Lichte erhabenster Kunst. Die Enttäuschung lauerte auf ihn und wies ihn in die Schranken seiner düsteren Problematik. Der ewig blaue und reine Himmel tat seiner Seele weh, das Licht war zu grell für seine feuchte, nordische, kimmerisch-sagenhafte Gedankenwelt. Er fühlte, wie seine besten Kräfte verwitterten unter diesem zersetzenden Lichte. Und in seinem Herzen wurde die Sehnsucht geboren, die Sehnsucht nach dem Norden. Das Heitere tat ihm weh, das Ausgeglichene berührte ihn schmerzlich. In ihm gab es zu viele Fragen, die sich gebieterisch aufdrängten: er war kein Fertiger, er war ein Streber nach Neuem, Großem, Ungeahntem, nach sehnsüchtig Angehauchtem und dämonisch Durchglühtem. Seine Problematik war, das Sphinxhafte im Leben zu packen und es nicht restlos vernunftmäßig zu erschöpfen. Er wollte noch Fragen offen lassen, die man nur gefühlsmäßig bei der Anschauung beantworten konnte. Er floh das Licht, die olympische Helligkeit und die ätherische Durchsichtigkeit, er floh die grelle Linie, das gelöste Problem und er ging den Weg zurück, den die Sehnsucht ihn wies. Frau Martha ging mit einem Kinde schwanger und erstarb im Sehnen nach dem geliebten Manne, den es hinausgetrieben hatte, sich wieder zu suchen im Lichte der Anschauung. Die plötzliche Abreise des Malers hatte ihrer Seele mit banger Qual zugesetzt. Sie wußte, daß sie ohne diesen Mann nicht weiterleben konnte, weil er sie seine dunklen Wege geführt hatte und sie aus eignen Kräften weder zurück noch vorwärts zu finden vermochte. In sich selbst zurückgeworfen, floh Geraldo Italien, beladen mit dem Fluch der Enttäuschung. Sein Dämon trieb ihn zurück an die Stätte seines Schaffens und seiner künstlerischen Auswirkung. Er eilte, die Freundin zu treffen, die ihn mit freudiger Unruhe empfing. Er fühlte, wie sie während seiner Abwesenheit durch die Sehnsucht viel inniger mit ihm verwachsen, und er fühlte zugleich, wie weit sie durch den Zweifel von ihm abgekommen war. Er empfand ein augenblickliches Mitleid mit ihr beim Anblick ihrer vom Leiden durchgeistigten Züge, und bei seiner plötzlich wiedererwachenden Liebe empfand er ein vorwurfsvolles Gefühl der Ungerechtigkeit und inneren Untreue gegen die Freundin. Er erklärte der Geliebten seine Wandlung, seinen Drang nach neuem Erleben, die Unrast und die Zerfahrenheit seines suchenden Geistes. Ueber diesem Geständnis zerfielen bei ihr alle Zweifel und Sorgen. Sie gehörten sich wieder in innigem Beisammensein, und das brachte dem Maler endgültig die Erkenntnis, daß er doch seinen Weg allein gehen müsse. Frau Martha selbst fühlte mehr, als daß sie erkannte, sein Schicksal, das auch das ihre war, und sie fügte sich ihm in schmerzlichem Verzicht. Frau Martha hatte das Kind geboren. Der Maler war nicht von ihrem Leidensbett gewichen. Dieses Kind war sein Werk wie diese Frau und wie seine Bilder. Alles war entsprungen aus dem Drange des vollendeten Schaffenwollens. Er war ergriffen, weil diese Frau ihm entsagte und ihr eigenes Leid dem höchsten und heiligsten Mutterschmerz zu Füßen legte. Er war voller Bewunderung für die zarte mütterliche Liebe und die Hoheit der Empfindung; ihre durchgeistigten Züge spiegelten die Verklärtheit des Schmerzes, schilderten das Erleben ihrer Trauer in bewußter Ergebenheit bis zur Heiligkeit des schauervollen inneren Erlebnisses. Geraldo schöpfte daraus den Gedanken und die Kraft zu einem neuen Bilde. Er schuf sein letztes großes Werk: Die Pietà. Maria, die trauernde Mutter, die ihren Sohn beweint. Der tote Sohn im Schoß der Pietà war dieser Mutter der verlassene Mann, der von ihr die letzte große Entsagung forderte. Frau Martha klammerte sich verzweifelt an das letzte und einzige, was ihr geblieben war; an ihr Kind. Durch das Kind sprach sie zu Gott, dem unendlich Weisen, unendlich Guten, in ihm liebte sie den Maler, der ihrer Seele das Licht und ihrem Leben einen Inhalt gegeben hatte. Nach der Vollendung dieses Werkes ward dem Maler die Erkenntnis, daß die expressionistische Ausdrucksform und -möglichkeit dem Wesen seines Schaffensideals am nächsten kamen. Ein Ahasver der Kunst irrte er durch alle Richtungen. Er spürte, daß für ihn ein neues Leben begann und zugleich ein neues Golgatha. Die Mutter war einsam zurückgeblieben. In schmerzlichem Verzicht war sie von Geraldo geschieden. In dieser letzten größten heroischen Opfertat hatte sie sich körperlich und geistig erschöpft: Sie siechte dahin und die Pietà wurde zugleich ihr Grabmal. * * * * * Der Tag fand Jappes schlafend auf der Ottomane. Irgendein jäher Gedanke warf ihn ins Bewußtsein. Kräfte! Kräfte! rief er, dunkle bestimmende Kräfte. Ich erwarte die Dämonen. Da kam die Wirtin und stellte sein Frühstück hin, „Herr Doktor hatte gewiß Zahnschmerzen, weil er so stöhnte die Nacht?“ Und Jappes: „Grade habe ich es mit dem Weisheitszahn zu tun.“ DREIZEHNTES KAPITEL Die Weisheit ist der Schierlingsbecher, den selbst der weise Sokrates nicht vertragen konnte. Jappes hatte eine kluge Maxime ausgetüftelt: Dem Dummen nutzen die Bücher nichts und die Klugen haben sie nicht nötig – und pflegte er hinzuzufügen – mit dem Satz kommt man immer aus als Student, einerlei, ob man sich zu den Dummen oder zu den Klugen rechnet. Er rechnete sich bald zu den einen, bald zu den anderen. Manchmal ist es ein Vorteil, dumm zu sein! Er hatte jene geheimnisvolle Scheu vor der Tiefe der Wissenschaft, wie sie uns zu befallen pflegt, wenn wir auf einen abgrundtiefen Born der Weisheit stoßen. So war er der Universitätsweisheit gar nicht abgeneigt. Ihm widerstrebte vielmehr die ungeheure Komik der Professoren und der Studenten, die sich während der akademischen Stunden mit wissenschaftlichem Trockengemüse unterhielten, sich monatelang an vorsintflutlichen Steckenpferden müde ritten, die widerspenstigen Weisheitsgäule noch einmal bei den Semestralprüfungen oder beim Staatsexamen im eingedrillten Parademarsch kabrieren ließen, um sie dann auf alle Zukunft den Stallknechten der All- und Eintagssorgen zum langsamen Abschinden zu überlassen. Sicher litt er an der Verstiegenheit junger Studenten, die sich klüger als ihre Lehrer dünken, und den Versuch machen, ein eigenes pädagogisches System auszuknobeln, um dann in einen noch viel größeren Zopf zu verfallen, um in eine babylonische Verwirrung zu geraten, eine Verwirrung, die sie über ihre eigenen Regeln stolpern läßt. So entsteht in den jungen Hirnen der ewige Weichselzopf von unentwirrbaren Verwicklungen, der vom widerspenstigen Geist der Nörgelei geflochten wird. Gelingt es diesen „Autodidakten auf eigene Gefahr“, sich einen Weg zu der höheren menschlichen Erkenntnis zu bahnen, so gelingt es ihnen auch meistens, die Lampenweisheit, am grünen Tisch erarbeitet, zu eklipsieren. Und ist es nicht eine geheime Schadenfreude der Gelehrten, zu sehen, wie eigenmächtige Streber dem Geist der Zersplitterung verfallen, um als tänzelnde Irrwische irgendwo in einem Sumpf zu verlöschen! Jappes besuchte um so eifriger die Vorlesungen des Privatdozenten Professor Dr. Günther, bei welchem er seinen heißhungrigen Oppositionsgeist mit allen Gerichten philosophischer Reaktion stillen konnte. Besuchte literarhistorische Vorlesungen, war aber empört und enttäuscht, weil er einen Marktschreier vorfand, der seine literarische Boutique auskramte, einen geistigen Trottel, der im Wahn einer pathologischen Genieerscheinung lebte. Er hatte ein Buch über die Symbolik des Kuhfladens bei Homer geschrieben. Mit einer Stimme aus der Vergangenheit redete er über die Zukunft mit einem Gegacker wie ein Huhn, das ein Ei geboren hat. Ein Mann, der aus Schreck vor der sozialen Revolution Vaterlandsparteiler geworden war, ein Fachsimpler mit bewundernswertem Mangel an eigenem Denkvermögen. In Jappes’ Kollegheft stand: Blödsinn in Permanenz! Vielleicht findet man die Systematik bei Polonius unter: Wahnsinn mit Methode ...!!! Das war seine einzige Hoffnung und er ging mit dem Bedauern, daß die anderen mehr geschrieben hatten. Er schrieb seinem Tagebuch: Schalte deine Denkvorrichtung um oder ganz aus, wenn du an die Erbauung denkst, die ich an der Universität genieße. Die Wonnen der Wissenschaft sind wie Senf auf nacktes Fleisch. Die Portionen sind groß und ungenießbar. Die Sudelköche der Weisheit kochen das Ochsenfleisch der fremden Gesinnung mit ein paar Lorbeerblättern ihres eigenen Ruhmes. Ich tröste mich mit dem Leitsatz: Das Wesen der Philosophie ist, sich mit wenigem zu begnügen. Ich brauche Erholung und fahre in die Berge, Addio! Die Berge sind Magneten, die nur für gewisse Naturen Affinitäten haben. Am nächsten Tage saß er mit Pepy auf der Bahn. Das Abteil war voll Tabaksqualm und Jappes sagte: „Zwar habe ich mir vorgenommen, sechs Wochen lang nicht zu rauchen, aber hier muß ich den Qualm doch einsaugen, drum rauche ich lieber auch.“ Er bot sich eine Zigarette an: „Sehr liebenswürdig! da kann ich doch nicht ausschlagen.“ Sie fuhren nach Oberstdorf. Es war ein Spätherbsttag und in der Altweibersonne schwammen die Herbstfäden wie träumende Erinnerungen. Sie saßen auf der Plattform und die Füße baumelten vom Trittbrett. Jappes griff in die Brusttasche und langte sein Portefeuille hervor: „Unsere Visitenkarten!“ und er zeigte die Pfandscheine. Dann entfiel ihm sein Portefeuille, das er zwischen den Knien preßte. Der Zug rasselte weiter und Pepy starrte auf den Bahnkörper. Jappes saß nachdenklich und plötzlich schnalzte er mit den Fingern. „Bist du traurig, mein Freund?“ fragte Pepy. „Nein! ich denke gerade, was drin war ... es sind nur Fetzen, Pepy, Fetzen!“ Von ferne grüßten die Berge mit den leuchtenden Schneekoppen und den wallenden Nebelschleiern. Am Bahnhof sagte Pepy: „Hier sehen wir die ersten nackten Knie.“ Und Jappes: „Wir werden bald mehr sehen.“ VIERZEHNTES KAPITEL Wenn der Magen nicht erschaffen wäre, müßte man ihn erschaffen, sagte ein Bauer und machte einen philosophischen Knicks. Als Jappes in die Ferien fuhr, gab es ein schweres Fest auf dem Schlapphof. Ein Mastochse war verblutet, ein Schwein und eine Gans. Es gab Knödel und Braten und Küsse und Suppe und Tränen. Fragen und Hasten. Und Jappes sagte vergnügt: „Es ist Glück in der Bude!“ Und in der Bude war Glück. Die Nachbarn waren vollzählig erschienen und alle kannten die Briefe auswendig, welche Jappes im Laufe des Semesters geschrieben hatte: „Mein Bub ist klüger als alle Professoren zusammen, weil er sich über sie lustig macht, und mit keinem zufrieden ist,“ pflegte Angelica zu sagen. Aber sie wagte es doch nicht mehr, so recht daran zu glauben, seit der Herr Pfarrer ihr verraten hatte: „Die Universität ist ein mühsames Studium. Die Erfahrung, Mutter Angelica, die Erfahrung!“ Der Herr Pfarrer war wirklich klug und unfehlbar. Kein Zweifel, wenn er sagte: „Das Studium an der Universität sei ihn hart angekommen.“ Die Gäste saßen in der großen Stube vor hochgetürmten Schüsseln und Tellern, begannen ganze Berge von Fleisch abzutragen und feierten den Gast mit kräftigem Geschmatze. Bauern verschlingen maßlos! Mutter Angelica ließ die Nachbarn gerne an ihrer gesteigerten Freude teilnehmen. Sie tranken Bier und reichten es in einer urgroßmütterlichen Amphore herum. Jappes trank einen massigen Humpen mit einem Zuge leer und rief: „Das könnte ich zehnmal!“ Da horchten selbst die geeichtesten Säufer mit gespanntem Respekt. „Du bist ein echter Student, mein Bub, und du siehst, alle sind stolz, daß du so viel verträgst. Es ist schon ganz recht so, aber das darfst du nicht mehr tun.“ Und Angelica küßte den Sohn. „Werd ich auch nicht,“ rief Jappes, „und ich schwöre es bei diesem Humpen.“ Dann trank er ihn zum zweitenmal leer, und die Bauern gröhlten vor viehischer Freude. Ein Bauer mit markigen Zügen fixierte Jappes eine Weile, lachte dann plötzlich ein gutmütiges Lachen und meinte vertraulich in höchstem Hochdeutsch: „Es ist viel Heiterkeit im Zimmer, gelt, Studiosus? Erzähl Er einmal, was Er denn so studiert auf der hohen Schule – ...“ Da wurde der Waffenstillstand proklamiert. Löffel und Messer und Gabel ruhten. Die Kau- und Schluckbewegungen, wurden eingestellt. Jede Tellerverschiebung wurde untersagt. Es erwies sich unmöglich, die Integrität der Fleisch- und Gemüseplatten wiederherzustellen und die Reihen der fehlenden Stücke wieder aufzufüllen. Aber die Blicke ließen erkennen, daß noch ein erbitterter Kampf bevorstand. Ja! eine Magd schickte sich an, die Bierkanone frisch zu laden. Da verkündigte Jappes das Evangelium seines Studienjahres: „Ich habe alles studiert und auch nichts. Das erste Jahr verstudiert man so, um in die Materie einzudringen. Die Studenten sagen: Die ersten Hunde ersäuft man! Es ist ein akademisches Jahr, um die Bekanntschaft der Professoren zu machen. Aber es ist derselbe Krach unter denen, wie unter den Bauern auf dem Dorfe. Die einen beweisen, daß es einen Gott gibt, die anderen beweisen, daß es keinen gibt. Das sind die, welche sich Philosophen nennen und irgendwie mit oder gegen den Erzbischof gehen. Sie haben ihre Zeitung und schimpfen sich drin; eine Art geistiger Volksbote mit hochklingendem Phrasengetön und ganz pfundigen Schimpfreden. Hauptsächlich unter ‚Verschiedenes‘ findet man den größten Krakeel, aber was die Zeitung von einem gewöhnlichen Käsblatt unterscheidet, ist, daß die Herren nicht über jeden herfallen, sondern sich selbst nur gegenseitig anschimpfen. Die Herren sind Träger der höchsten Ideen, und deshalb machen sie nur Musik für erprobte Ohren.“ „Du hältst es doch gewiß mit denen, die für Gott streiten,“ sagte die besorgte Mutter, „deinen Gott darfst du nie verleugnen.“ „Ich gehe schon lieber gleich nicht mehr hinein zu den Raufbrüdern, man könnte höchstens noch um seinen Glauben kommen. Aber so gehe ich immer mit denen, die am stärksten schreien, und das tun die Klerikalen.“ „So soll’s sein,“ riefen die Bauern, „Angelica, dein Sohn verleugnet seine Heimat nicht.“ – Da brachte die Magd den bauchigen Bierkrug, und die Blicke der Bauern umstreichelten ihn. Mutter Angelica konnte sich nicht enthalten und küßte dem Sohn die gläubigen Lippen. „Wenn ich alles erzählen sollte, was man da lernt,“ fuhr Jappes fort, „müssen wir schon noch einen Abend zusammenkommen.“ „O–o–o–h!“ riefen die Bauern wie aus einem Munde. Da legte Jappes los: „Psychobiologie und Kolloquium dazu, mexikanische Mythologie, ethische Probleme der modernen Zivilisation, Systeme der Pädagogik und Didaktik, koptische Kurse und altägyptische, hieratisch geschriebene Texte, Einführung in die babylonisch-assyrische Schrift und Sprache, keilschriftliche Uebungen, Entziffern südarabischer Inschriften, neupersische Grammatik nach Salemann Shukovski, Einführung in die ältere chinesische Sprache mit Lektüre von Mong-tsz’e, Rigveda mit dem Kommentar des Sayana, Aristoteles’ Nikomachische Ethik, Räthoromanisch, lateinische Paläographie, Astrophysik. Theorie der Differentialgleichungen ...“ „Meiner Seel!“ grunzte ein Bauer begeistert, „wenn ich die Namen nur wüßte.“ Ein anderer: „Du gebrauchst ja so gelehrte Ausdrücke, daß man gar nichts mehr versteht.“ Und ein dritter: „Aber so von der Landwirtschaft verstehen eure Herren nichts?“ „Und ob!“ begann Jappes von neuem, „alles wissen sie, alles! Sie wissen alles von den Bauern bis hinauf auf die Aegypter im grauesten Altertum. Die Aegypter verwendeten keinen Dünger und durch die künstliche Bewässerung des Nilus hatten sie eine hohe Kultur. Die Griechen mergelten und düngten und bewässerten. Wissen, daß Karl der Große ein großer Landwirt war, kennen die Geschichte der Dreifelderwirtschaft aufs Tipfelchen: Winterfeld, Sommerfeld und Brachwirtschaft. Alles hat seine Geschichte, die Runkeln, die Rüben, der Klee. Und die Bauern machen den Gelehrten manchmal nicht wenig zu schaffen. Die Gelehrten wissen alles vom Vieh, kennen die Aetiologie und die Prophylaxis der Tierseuchen, kennen die Krankheiten alle, den Rotz bei den Einhufern, den akuten und den chronischen Verlauf. Reden über das Kalbefieber und beweisen, daß es eine Lähmung des Rückenmarks und der Ganglien der Bauchorgane ist. Sie gebrauchen nur gelehrte Namen dafür. So sprechen sie nicht von Abführmitteln gegen das Gebärfieber der Kühe, sondern von Purgiermitteln.“ „Und dafür nimmt man ganz gewöhnliche Kühe her?“ fragte ein Bauer. Jappes nickte bejahend, als ein zweiter ihn bestürmte: „Aber odeln tun die Herren doch nicht selbst?“ „Wenigstens nicht praktisch,“ erwiderte Jappes, „aber sie wissen ganz genau, was Jauche ist, und beweisen, daß es kein stinkendes Wasser ist, was sie allerdings auch nicht leugnen. Sie nehmen das alles vom chemischen Standpunkt und sagen: Es ist eine Flüssigkeit, welche im wesentlichen aus Harn besteht, und 0,15 Prozent Stickstoff und 0,5 Prozent Kali enthält – ich habe die Münchener Universität erschöpft und im nächsten Semester geht’s nach Berlin.“ Einem pfiffigen Bäuerlein wurde der Gelehrtendünkel zu dumm: „Es ist immer schön, wenn man weiß, was man riecht, aber ich habe auch ein paar Fragen: Wieviel Jahre wird ein Roß älter, wenn es richtig Hafer kriegt? und wie weh tut es, wenn ein Roß dich auf den Fuß tritt? sag es, Studiosus!“ Hier wußte Jappes nicht mehr Bescheid, und die Bauern freuten sich ungemein, daß einer der Ihren dem „Weisen“ eine Schlinge geworfen hatte. Angelica aber küßte den Sohn, weil er so genau wußte, was Odel war. Dann begann ein wütender Fraß und die Gesichter erglänzten gedunsen vom Bier. Plötzlich erhob sich die Mutter, und Tränen standen in ihren Augen: „Lasset uns beten für den Vater und die abgestorbenen Geschwister! Vater unser, der du bist –“ Die Tiefe der Seele muß man in der naiven Art der Landleute studieren. Wer darüber lacht, kennt nur die schwindsüchtigen Surrogate der Kulturseele. Die Nacht fand berauschte und satte Gestalten, und als der Mitternachtsmond in die Stube schien, wankten sie alle nach Hause. Die Schwester traf Jappes auf dem Flur: „Du, Paul, ein Gläubiger säuft nicht so wie du, das tun höchstens die Türken und Juden. Wenn du wirklich nicht glauben solltest, so glaube trotzdem, und gehe jedenfalls in die Kirche, wenn du auch nicht glaubst.“ Jappes staunte das Mädchen einen Augenblick an und fand keine Worte. Sein Schulfreund ging vorüber. Der zog ihn mit sich hinaus in den Hof: „Jappes,“ fragte er forschend, „darf ich dich was fragen?“ „Selbstverständlich!“ „Jappes, hast du schon eine Braut?“ „Selbstverständlich!“ „So!?“ ... nach drei Schritten: „Und heißt?“ „Rudibub! Ich erkläre dir später, weshalb sie so heißt.“ Da war der Freund still, und dachte nach, wie ein Mädchen Rudibub heißen könne. FÜNFZEHNTES KAPITEL Damen-Bekanntschaften, welche mit der Visitenkarte gemacht werden, sind wie Suppen, die mit Maggiwürze gezaubert sind: eine Geschmacksache, die im Bereich eines jeden liegt. Am Opernhaus in Berlin trat eine Dame zu Jappes: „Ich sehe Sie zum drittenmal heute. Ich sah Sie in Pankow, in Tegel und nun an der Oper. Ich brauche Sie, weil Sie so rasen. Ich gebe Ihnen Geld, viel Geld, nur Geld. Nehmen Sie und suchen Sie mich heute noch auf. Im Baltic-Hotel, Zimmer 29.“ Jappes bleckte die Zähne und zog die Lippen nach rückwärts: „Sie kommen mir sehr gelegen. Ich bin voll von niedrigen Dingen, von armseligen Dingen. Wir speisen bei Hiller, das frischt auf. Kennen Sie Hiller?“ – Sie nickte. „Sie kennen mich wohl schon lange und ich Sie auch. Heute sind unsere Wege erst zusammengestoßen. Madame sind kühn und ich habe auf etwas Kühnes gewartet.“ „Unsere Wege stoßen noch öfter zusammen. Um zwei Uhr also oder früher! Irgendwo! Möglich, daß wir uns treffen, eh wir es wünschen. Lesen Sie diese Zeilen, ich habe Eile!“ Knapp vor einem Mietauto fegte sie über die Straße. Jappes ging und dachte nichts. Dann überlegte er, wie sie aussah. Er fand keinen Anhaltspunkt. Sicher hatte er sie nicht angeschaut. Vielleicht war es nur eine Halluzination, ein Spuk im Straßenwirbel. Aber das Corpus delicti hielt er in der Hand. Eine düstere Ahnung setzte sich in seiner Seele fest. Ueber die Stadt zischte ein Sturm und die Menschen rannten, rissen ihn mit, im Wirbel, im Taumel, nein, sie schleiften ihn mit, seine Gedanken jagten sich wirr ... aber er blieb leer ohne Halt. Er wußte von ihr und wußte doch nichts. Aber sie war und war für ihn. Vielleicht ein Dämon? Wie war sie nur? Dann war er müde und fingerte nervös an seinem Spazierstock. Ging weiter, und dachte an nichts mehr. An einer Litfaßsäule bremste der Vorwitz ihn fest. Mechanisch las er die farbigen Zettel und dachte an etwas ganz anderes: Ist sie aus einer Neppbude, aus einem Irrenhaus, Kongregationsleiterin, eine Hysterische? Ihre Worte überdachte er mit hartnäckiger Analyse, nein! er wußte gar nichts und das quälte ihn am meisten. Sicher würde er sie nicht wiedererkennen, wenn er sie träfe. War sie schwarz, blond oder braun??? ... aber nein! Unbestimmt ohne Form, ohne Linie, sie war nicht und war doch. Ein Wolkenbruch prasselte nieder. Er trat in ein Kaffeehaus und ging wieder. Draußen sagte er seinen Namen: Jappes! und es antwortete in ihm: Ich besitze dich noch. Da fuhr eine Droschke vorüber. Sie hielt und eine seidene Dame musterte ihn mit einem langen ruhigen Blick. – Er sah sie und dachte nichts. Eine Stunde später streifte ihn eine Dame in elegantem Straßenkleid. Sie hing nachlässig am Arm eines Offiziers, besah die Schaufenster und schaute nachdenklich in Jappes’ Auge. Er wich dem Blick aus – und dachte an nichts. In der Frankfurter Allee drängten sich die Leute vor einem Haus. Ein Feuerwehrmann stieg auf einer Leiter hoch und klopfte an ein Fenster. Einer erzählte: ein Liebespaar hat sich erschossen! Ein anderer: eine schwangere Jungfer hat sich mit Kreosot vergiftet. Noch ein dritter: ein Student hat sich an der Türklinke erhängt. Er habe zweimal vorsprechen wollen, in drei Tagen, wegen einer Geldforderung, das zweitemal habe der Leichengeruch ihm durch das Schlüsselloch den Atem geraubt. Jappes dachte, wie er wohl sterben werde: Ich lebe rasch und werde rasch sterben. Der Feuerwehrmann von der Leiter rief: „Damit das Publikum sich nicht beunruhige, wisse es, daß es sich um eine Filmaufnahme handelt.“ Jappes dachte im Gegröhl der Menge, ob man bei seinem Tode auch kurbeln werde? Dann lockte die Zeit ihn zu Hiller. Der Oberkellner geleitete ihn dienernd an ein Ecktischchen. Das Dauerlächeln im Frack entfernte sich wieder. Ein Boy brachte ein Briefchen auf einer silbernen Platte. „Man muß sich geirrt haben,“ betonte Jappes, „ich kenne niemanden hier.“ „Ich weiß auch nicht,“ knixte der Boy – „vielleicht kennt man Sie hier.“ In seinem Blicke fehlte das Trinkgeld, das Jappes nicht zu geben pflegte. Solange Knigge und die Lebensmittelindustrie kein Rezept für Unterhaltungswürze finden, wird es noch raffinierte Tischgespräche geben. Eine schwebend-blütenleichte Gestalt trat aus dem Spiegel auf Jappes zu. Er hörte, wie Stühle gerückt wurden und wie die Genicke der Männer knackten, die sich nach der Gestalt umbogen. Eine flaumweiche Hand faßte seine Schulter und aus einer schmeichelnd-vibrierenden Stimme schmolz sein Name: Jappes! Er war betäubt von der unerwarteten Berührung und ein seltsamer Hauch durchwehte seine Seele. Er murmelte: „Vielleicht bist du es, Freundin?“ „Zum dritten Male, mein Freund und für dich allein.“ Er erwies ihrer Hand seine Reverenz. Dann bemühten zwei Kellner sich um das Ueberflüssige an der Dame, und nannten sie Fräulein Armida. „Ich komme spät,“ hauchte sie, „was hast du von meinem Brief gedacht, Freund?“ Jappes schob ihr den Brief zu: „Bei Briefen denke ich mir nie etwas. Ich habe gewartet, was kommen soll. Ich warte seit Wochen auf etwas Seltsames und bin enttäuscht, weil du so natürlich bist, und mir Fragen stellst. Ich frage nie. Ich weiß immer, mit wem ich zu tun habe. Ich hätte bis zur Nacht gewartet, und hätte dann bis zum Morgen gebrütet, hätte dann Narr gesagt, und wäre gegangen. So war es ausgemacht. Ich wollte warten, bis du kämest mir zu sagen, wer du bist. Aus deinem Munde wollte ich es hören.“ Mit ihren weichen Augen trank sie seine Blicke leer. „Hast du nun genug?“ fragte Jappes. „Mit einem Mal kann ich dein Wesen nicht trinken,“ lächelte sie, „und das reizt mich, und während ich berauscht bin, fließt immer etwas Neues, Eigenartiges in dein Wesen hinein. Weshalb bist du so unerschöpflich. Darf ich dir eine Nelke anbieten, eine weiße Nelke, ich habe sie selbst gezogen.“ „Danke,“ wehrte Jappes. „Nelken liebe ich nicht. Der Friedhofduft –“ ein Schütteln fiel ihn an. Er erzählte ihr das Abenteuer in der Frankfurter Allee. Ihre Zähne leuchteten weiß wie frischgeschälte Mandeln: „Der Mann auf der Leiter war deine Freundin!“ „Albernheit,“ rekelte er gähnend, „ein Kinostern!?“ „Wäre ich abgestürzt ...?“ da zerbrach sie eine kostbare Reiherfeder und ein nervöses Flimmern spielte um ihre Lippen. „Dann wärest du nicht hier, und ich säße in schmerzlicher Einsamkeit!“ Er sagte es mit weichem Tonfall, und sein Blick bohrte sich in ihre Alabasterstirn. Nach der Suppe fragte sie: „Jappes, wer spricht aus dir?“ Er punktierte: „Ein Gelangweilter.“ Und staccato: „Ich kann nicht warten ...“ Der Ober deutete es für sich und eilte, den Fisch zu holen, servierte ihn mit einer schmalzigen Entschuldigung bei Jappes. „Fische sind laichdumm,“ griff sie das Gespräch wieder auf und Jappes legte einen Karpfen auf ihren Teller. „Zum Glück sind es Portionsfische,“ bemerkte er, „ich teil nie gerne, darf ich dir Mayonnaise übergießen? So! das habe ich nie gegessen – Karpfen mit Mayonnaise. Junge Karpfen sind geschmacklos wie alle jungen Fische!“ „Und Backfische?“ forschte sie. „Geschmacklos! ich kenne es aus Erfahrung, mit und ohne Mayonnaise, Fische sind laichdumm hast du gesagt, es ist eine Fischerweisheit.“ An ihrem Kinn lachte ein feines Grübchen. „Deine Leibspeise möchte ich kennen,“ perlte es von ihren Lippen. „Senf und Rhabarber,“ schnalzte seine Zunge, und das Grübchen zerfloß in eine Falte. „Ober,“ rief er über die Schulter, „eine Flasche ‚Chateau Lafitte‘.“ – Ein Bleistift notierte den Namen und ergänzte den Preis, eine dreizifferige Zahl. Zwei Lilienfinger führten das Glas an die Lippen. Ein Gaumen knurrte: „Ist das Chateau Lafitte?“ Der Ober vergrößerte die Pupillen, als sein Ohr ihm sagte: das ist nicht Lafitte. Aus seiner Brust quirlte es duckend: „Kommt aus dem besten Haus, mithin kein Anlaß, eine falsche Marke zu liefern.“ „Ist nicht Lafitte,“ brummte Jappes. An seinen Augen las der Kellner, daß er Kenner war. „Mag sein, daß er aus der unmittelbarsten Umgegend ist,“ beschwichtigte der Ober. Dann Jappes: „Stecken Sie mir den Zeigefinger vorne herein und den Daumen hinten herein und riechen Sie. Die unmittelbarste Umgegend, aber das Bouquet ist verflucht verschieden.“ Ein Grinsen schürzte die Lippen des dienenden Bonzen, und Jappes sah, daß drei Nelken unter dem Tisch zerfetzt wurden. SECHZEHNTES KAPITEL Die Leidenschaft ist die Dichterin der Märchen, welche wir unseren jungen Begierden zu erzählen lieben. Seit drei Tagen war Armida mit ihrem Freunde verkracht. Und seit vier kannte sie ihn. An der Riviera hatte er eine Villa und hieß Arco Calvandi. In der Bülowstraße hatte er sie in einer Bar gefunden, als sie ihr Korsett im Pharao mit ihm verspielte. Er hatte zehntausend Mark gesetzt, gegen die Bedingung, wenn Armida verliere, es selbst zu lösen. Lachend war sie mit ihm nach Hause geautelt, und als er den linken Straps löste, war er betäubt niedergesunken. Armida hatte ohne den Einsatz das Haus verlassen und der Portier bemerkte, daß Calvandi die Dame arg mitgenommen hatte – nicht einmal die Figur war ihr geblieben. Hellichter Tag war es, als der Gewinner erwachte. Er fand einen Brief: Arco Calvandi! Hebe den Gewinst gut auf. Wenn du einmal verspielst, darfst du mir das Gerüst wieder anlegen, aber die Bedingungen bleiben dieselben! Mit einer Gänsehaut rettete er sich nach Paris. Die Nacht fraß seine Furcht, als er im D-Zug über die Grenze raste. Dann atmete er frei und trank die Entfernung. Oh! er war ein schöner Mann, Herr Arco Calvandi. * * * * * Der D-Zug donnerte in die Gare-de-l’Est. An der Sperre wartete ein stiernackiger Chauffeur: Zwei flackernde Rattenaugen schwammen im krebsroten Gesicht. Im Mundschlitz verzehrte sich eine Zigarette in stiller Glut. Vor erregter Erwartung vergaß er den Rauch einzuschlürfen ... Eine Hand legte sich auf seine Oeljacke: „Sylvain angekurbelt, Panthéon, dort Lunch, dann Rennen in St. Enghien. Habe Eile, laß die Maschine das Letzte geben.“ – Wir werden ankommen! knurrte Sylvain und ein bläulicher Benzolschweif wirbelte gegen die Porte St. Martin. Die Sorbonne und das Palais du Luxembourg reichten sich die Hände, so raste Arco Calvandi. Er fieberte in dumpfem Groll. Seine Zimmer lagen vis-à-vis vom Panthéon und von seinem Rauchzimmer aus sah er den Denker von Rodin. Er sprang die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Auf der Diele warf er seinen Mantel ab, lief in sein Schlangenkabinett und öffnete seine Handtasche. Ueberall Schlangen, Schlangen aus Glas, aus geädertem Porphyr, gemalte Terrakotta, majolikaglatte Schlangen. Augen wie zuckende Lohe, wie glänzende Rubine, weiße Milchaugen mit einem blauen Strich, Augen grün wie Malachit und züngelnde Zungen, gespalten und pfeilartig und spitz. Kriechende Schlangen an den Wänden von blauem Damast. Er riegelte die Tür ab und schloß die Fensterläden, Kippte die Wippe einer Schaltvorrichtung und eine pendelnde Schlange wurde elektrisch hell. Eine zitronengelbe, geringelte Schlange mit roten körnigen Augen. Gläsern klang die Bewegung der Zunge. Der Damast trank das zischende Geräusch und Arco Calvandi erbebte. Riß ein Paket aus der Tasche, riß an der dünnen Verschnürung, daß die Finger bluteten. „Schlange!“ kam es knirschend von seinen Lippen und dann hielt er das Korsett in der Hand – „bist du mein Opfer oder bin ich das deine?“ Mit sinnlicher Begierde preßte er es an seine Lippen. Vom kleinen Finger rann das Blut und befleckte Armidas Palladium. „Gebrandmarkt!“ rief er jauchzend. „Schlange, du hast mir eine List ersonnen!“ – Dann ging er zum Lunch. Speiste mit einem Freund und zwei Fremden. Sie hatten eine Gier in den Augen und lebten von den Einkünften der anderen. „Gediegene Gestalten,“ schmeichelte Arco Calvandi Jerôme den Freund. Dann wurden vier Gaumen gekitzelt und es dauerte länger als eine Stunde. „Von einem Abenteuer komme ich,“ sprach Arco Calvandi, als der Stöpsel von der ersten Cave Pommery knallte. „Prickelnd war es und schaumig, wie der Champagner, aber nicht so kühl.“ Drei Augenpaare loderten von der Glut seiner Lüge, und ein Lachen kollerte durch das Gehege der Zähne. Sie tranken und horchten mit genäschigen Ohren: „Freunde, die Schönste von allen war meine, wie ein Kätzchen so weich und geschmeidig. Ihr kennt ihren Namen: Armida! es klingt wie die Sprache der Gläser. Trinkt auf ihr Wohl, sie brachte ihre Unschuld als Opfer!“ – Die Fremden tranken, aber Jerôme warf seine Stirne in Falten: „Sonst pflegst du doch nicht zu lügen, mein Freund Arco Calvandi. Armida ist alt in Sachen der Liebe.“ „Schweig!“ warnte Calvandi, „und tu mir Bescheid. Am Balkan herrscht die Sitte, daß bräutliche Mädchen das Siegel der Tugend noch bringen. Ihr versteht – – – daß das Linnen ein Tropfen noch trübe – – – ein Tropfen des Bluts und, so wahr ich hier spreche, nehmt eure Gläser und folgt.“ Im Schlangensaal feierten sie die blutige Rüstung! Wer Eile hat, kommt auch ans Ziel. Ein Rattern fraß sich durch den Staub der Straße und strebte verlangend gegen St. Enghien. Eine Minute vor dem Start bestieg Arco die Tribüne und ein Murmeln hüllte ihn ein: „Das ist er! 125000 Franken! der Prix Calvandi und heute sein bestes Roß, ein rassiges Vollblut, die Stute Armida.“ Oh! er ist ein schöner Mann, Herr Arco Calvandi! SIEBENZEHNTES KAPITEL Die Könige und Hanswürste tragen nicht umsonst einen Purpurmantel. Sie saßen im Wintergarten und die Berliner weideten ihre Augen an den Schnörkeln einer tanzenden Korpulenz. Lüsterne Blicke hafteten an der flaumigen Corsage und im Taumel rissen sie die Fetzen vom wirbelnden Fleisch. Armida saß wie eine Königin. Um die Schultern ein brokatener Shawl, ein funkelndes Diadem umlohte ihre weiche Frisur. Ihre Hand war ohne Ringe und ihre Nägel rosig angehaucht wie Taubenfüße. Der prangende Raum erzuckte im erotischen Taumel. Die Tänzerin wagte eine groteske Spirale und die Musik erstarb in einem glühend-weichen Seufzer. Jappes blies eine feine Three Castle in einen blühenden Akanthus, machte eine Drehung und tippte Armida auf die Nägel. „Onglissa! Die Krallen sind scharf und passen zur Musik – so erkünstelt –“ „Du sollst die Krallen einer Dame nicht höhnen. Die Ehre einer Damenbegleitung weißt du nicht zu würdigen. Sieh, wie der Clown auf der Bühne seine Dame graziös umtänzelt.“ „Verzeih, Liebling!“ bemerkte Jappes und feixte, „beides ist mir furchtbar gleichgültig: Sowohl der Gegenstand auf der Bühne als der Gegenstand meiner Begleitung. Wenn ich manchmal ein Gefühlchen hinüber äußere, ist es nur die Routine des Angeborenen. Jappes ist sehr weit von der Sache.“ – Hast du uns sonst nichts anzuvertrauen? baten zwei zitternde Löckchen, die sich aus der Umklammerung des Haarreifs gerettet hatten. – Hast du uns sonst nichts anzuvertrauen? baten zwei schattige Brauen, die um den See zweier blauer Augen wuchsen. – Jappes schneuzte sich geräuschvoll. Einer eingedorrten Dame mit schlanker Turbanfrisur lief ein kalter Schauer über den dürren Rücken und ein verachtender Blick krallte sich in seine zwinkernden Augen. Er hüllte das Produkt seiner Anstrengung in das Linnen und wandte sich an Armida: „Verzeih, Liebling! manchmal muß man Rücksicht auf sich nehmen und die angehäuften Unannehmlichkeiten wegräumen. Die Dame ist eine von den weichen, die aus der Not keine Tugend zu machen wissen. Ueberhaupt will dieses späte Mädchen hier im freiesten Lokal seine Konservenbüchse der Erziehung öffnen! Eine alte Jungfer kann nicht so leicht mit der Vergangenheit brechen, weil sie nie in der Gegenwart gelebt hat.“ „Freiheit und Anstand sind blutsverwandte Begriffe und zieren jeden, der sich ihrer zu bedienen weiß. Dein Spruch ist: zurück zur Natur. Es gibt auch viel Natürliches, was häßlich ist –“ „Gewiß, meine Gnädigste,“ – trank ein Glas Wasser leer – „auf Ihr Wohl. Das macht frisch im Kopf, es ist nichts schwieriger als gute Einfälle haben. Um ehrbare Leute zu belästigen, bedarf es keines besonderen Talentes. Man braucht nur ein Organ dazu. Liebling, die Menschen sind komische Leute.“ Pause. Polichinell sang auf der Bühne ein schleimiges Couplet. Er sah gar komisch aus in seinem gewürfelten Pierrot und in seiner umgestülpten Stranitzenkegelmütze. Ein buntes Mädchen fingerte eine quietschende Melodie am Flügel und um ihren Mund war ein Lächeln gemalt. Der Hanswurst sang: „Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt.“ Dabei machte er schweißtriefende Sprünge und klapperte seine Armut über die Bretter. Jappes rümpfte die Nase: „Wenn der Tintenfisch in Gefahr ist, quetscht er seine Tintenblase leer und die Feinde sehen ihn nicht mehr.“ Die Dürre wurde durch die Worte in ihrer Andacht gestört und die Wut zog ihre Lippen zum Strich. „So ist sie sehr appetitlich, dachte Jappes, alte Schote, dein olympischer Frühling ist vorbei!“ Am Applaus merkte der Komiker, daß er gefallen hatte. Jappes war aufgebracht, weil die knöcherne Dame ihm so viel vorwurfsvolle Aufmerksamkeit schenkte: „Kannst du Runen lesen, meine Teuerste?“ fragte er Armida. „Das hängt davon ab, wo sie geschrieben sind.“ „Versuch es einmal in dieser ledernen Visage,“ bat Jappes, „kannst du nicht lesen, daß die Jungfer lebhaft bedauert, daß in ihrer Jugend niemand sie um ihre Unschuld begaunert hat.“ „Du sollst nicht so viel von Unschuld reden,“ gab Armida zurück, „du magst das Wesen des Clowns auf der Bühne nicht leiden und doch liebst du es, selbst frech und lächerlich zu scheinen. Ich kann dein Wesen verstehen, weil ich weiß, daß auch der Clown ein ernstes Wesen birgt. Darum soll nichts dir zum Vorwurf gelten. Wir gehen, heute abend haben wir noch Wichtiges vor und die Zeit geht auf zwölf.“ Sie bezahlte die Zeche und Jappes tat, als ob er an einer Seite gelähmt sei: „Hol mir meinen Mantel, mein Lieb, ich liebe es, wenn du mich bedienst.“ Armida gehorchte. „Geh vor mir her,“ – befahl sie auf der Straße – „es könnte uns lästig werden, zu zweien zu gehen.“ „Du könntest vielleicht auch eine neue Bekanntschaft wünschen.“ Zehn Schritt hinter ihm trippelte Armida. Sie trank den Rhythmus seiner Bewegungen und ihre Seele erbebte: Jappes ist Harmonie! Aber er wußte nichts von ihren Gedanken. Die organische Funktionentheorie ist das Schoßhündchen der Psychologen – ist aber nicht immer stubenrein. Armida wechselte ihre Wohnung zweimal in achtundvierzig Stunden. Ihre Kleider jede dritte Stunde und ihr Wesen war ein stetes Uebergangsstadium. Jappes versicherte sie: Er könne sich nie an diese Eigenarten gewöhnen, wenn nicht seine zarte Ritterlichkeit ihm die Kraft verleihe, das Ritual der Mode ihrer Gewohnheiten nachzubeten. Er nannte Armida bald Zierstengelchen, bald Seidenäffchen, bald Leckerchen. Er fand immer etwas Süßes, Rauschendes, sagte es aber so kühl, daß alle Wirkung dabei in die Brüche ging. Er sagte: „Sternchen, ich liebe es, tote Kinder des Geistes zu gebären, denn für die Geburtshilfe braucht man den Fötus und für den Spiritus braucht man Verwendung. Meine Gedanken saugen sich groß am Nabelstrang der Phantasie und der geistige Trödelkram muß zum Lumpensammler kommen.“ Armida ließ ihn reden, sie horchte nur der Melodie und der Text war ihr Luft. Und so gefiel es beiden. Ein Kraftwagen nahm beide in seine Arme und brachte sie schnaufend zum Stettiner Hof. Sie fanden ein Telegramm vor: Armida Grand Prix, Dresdener Bank Tausend hundert und zwanzig fünf. Calvandi. „Ein Codetelegramm?“ fragte Jappes. „Eigentlich ist Calvandi nur ein Codewort,“ erklärte Armida, „und dann mein Name. Das andere sind angenehme Ziffern.“ Zwei Ohren spreizten sich neugierig. – Der bunte Bettschirm sah, daß ein braunes Kleid über einen weißen Mädchenkörper gestülpt wurde, und er zitterte beim Gedanken an doppelte Szenen seiner wachen Nächte in Treue. Von einem Turm fiel ein Glockenschlag in die Nacht. Eins! ACHTZEHNTES KAPITEL Die Gewohnheit macht selbst mit dem Tode vertraut. Um zwei in der Nacht stand ein zitternder Wagen am Krankenhaus in Briez. Armida zog einen Schlüsselbund aus ihrem „Ridicule“ und öffnete ein Seitenpförtchen. Jappes schritt hinter ihr auf einem schmalen Pfad, der mit Steinfliesen gepflastert war. Eine doppelte Zierbaumhecke stach in schwarzen Linien vom matten Boden ab. Ein müder Wind führte einen dumpf-süßen Bromgeruch mit sich. Eine Jodwelle löste ihn ab. An einem schmalen Gitterfenster lehnte eine Krankenschwester. Dann verschluckte das Haus die späten Wanderer. Schwere Bastläufer dämpften die Schritte und geleiteten Armida und ihren Begleiter die Stiegen hinan. An einer weißen Türe standen sie still. Sie klopften. Und die Tür wich ihnen aus. Sie traten in einen weißen Saal und ein Mann in weißer Litewka stellte sich vor: „Doktor Seraph.“ Armida sagte: „Molo.“ Dann kam ein Gruß mit den Lippen. Tische des Ekels und Tische voll röchelnder Schmerzen. Leichentische, Operations- und Seziertische. In einer Ecke ein Laparotomietisch mit Zinkplatte und weißem Emailleanstrich: Apparate für Narkose: Chloroformmasken mit Rinne und Netz. Flaschen aus braunem Glas mit federndem Verschluß. Aethermasken mit Bügeln und Stoffüberzügen und sechsfacher Gazeschicht. Doktor Seraph hielt einen Apparat zur lokalen Anästhesie in der Hand. Eine Tube mit Aethylchlorid und ein Doppelgebläse. In einer Desinfektionsschale Scalpelle und Sticheltrephinen. Lupuslöffel, Curetten und Acupuncturnadeln, Pinzetten und Zangen und Bistouris. Messer und Schere und Spatel. Doktor Seraph sprach gedämpft, als wolle er die Tote nicht wecken, die auf dem Leichentisch lag. Ihr Fleisch war grünlich gelb. Er nahm einen Block mit Notizen und trat zu der Toten. Milchdrüsenkrebs. Ein Ulcus mit torpidem Charakter. Die Sekretion des Geschwürs serös, jauchig und stinkend. Die Jauche enthielt nekrotische Gewebspartien. Parenchymatöse Blutungen hatten die Kräfte erschöpft. Die Lymphdrüsen am Hals waren affiziert und verschlechterten die Prognose. Die Frau war mager und schwach. Wir halfen mit Opiaten nach. Sie schlief und vergaß ihre Schmerzen. Wir fürchteten, sie würde durch die Ulceration und infolge der häufigen Blutungen an Anämie sterben, aber die metastatische Geschwulst entwickelte sich rasch. Wegen Recidivs war sie zweimal operiert, und infiltrierte Lymphdrüsen waren exstirpiert worden; ein operativer Eingriff konnte sie nicht mehr retten. Jappes bemerkte: „Man pflegt die Therapie der carcinomatösen Dyskrasie als die ‚Partie honteuse‘ der Medizin und Chirurgie zu bezeichnen.“ „Ja,“ antwortete Doktor Seraph: „Einwandfreie Heilungen sind selten. Es gibt noch heute kein Medikament und auch keine wirksame Art von Diätetik gegen Carcinosis. Deshalb grassieren die Scharlatane und Kurpfuscher, die das Gebreste durch besondere Arcana zu heilen wähnen. Die Aetiologie der Krebskrankheit gibt leider für die Therapie keinen Anhaltspunkt. Wir können nicht feststellen, weshalb die Tumoren so infektiös sind. Ein Spezifikum für Carcinosis gibt es nicht, wenn man auch mit der Condurangorinde und der Guackotinktur den Glauben der Patienten zeitweise auffrischt.“ „Ermüde dich nicht, Molo,“ bat Armida, „unser junger Freund ist noch nicht übers Physikum hinaus. Er wird noch Gelegenheit haben, die chirurgische Pathologie und Therapie zu hören.“ Doktor Seraph fuhr belehrend fort: „Die Therapie beschränkt sich auf eine indirekte innere Behandlung, ich sage indirekt, weil sie keine direkten Angriffspunkte findet. Gegen Anämie gibt man Eisen oder Chinin. Amarra zur Unterstützung der Verdauung. Das wirksamste der wenig wirksamen Mittel ist das von alters her angewandte Arsenik. Wenn es die Krankheit auch nicht zu heilen vermag, so verzögert sich doch der Verlauf und schiebt den Tod hinaus.“ „Kann man sich etwas von den Heilquellen erwarten?“ fragte Jappes mit lebhaftem Interesse. Der Arzt: „Eher im Gegenteil! Die stark angreifenden Brunnen von Aachen, Wiesbaden, Kreuznach und andere, sind eher schädlich. Die indifferenten Thermen jedoch, wie Ems und Gastein können gegen andere Uebel gebraucht werden, wenn der Patient carcinomös veranlagt ist. Sie fördern das Wachstum der krebsigen Geschwulst nicht, der operative Eingriff und die Narkose sind die einzigen Mittel, den Krebskranken das Leiden und den Tod zu erleichtern.“ – Das sagte er mit einer unbeholfen-sachlichen Ironie. „Es gibt Aerzte, die prinzipiell keine Krebse operieren,“ füllte Jappes die Pause. „Die Operation mit dem Messer oder der Schere“, dozierte Seraph, „ist am radikalsten und man hat eine Kontrolle, ob durch die blutige Exstirpation die carcinomatöse Geschwulst beseitigt ist; weil aber in der Regel Recidive auftreten, ist die Operation meist nur vom physiologischen Standpunkt aus ein galanter Aderlaß ...“ Armida glättete sein ironisches Grinsen: „Komm, Freund Molo, die Nacht ist schon weit, und du verlierst deine Kräfte in klinischer Prosa. Du hast nicht nur für die Toten zu sorgen. Laß die gelehrten Reflexionen. Töte den Krebs deiner müden Nächte durch die Narkose des Schlafes.“ Doch Jappes: „Eine plastische Operation kann man im Alter nicht machen oder bei anämischen Patienten. Das wäre eine Kur nach Doktor Eisenbart. Der Blutverlust wäre zu groß und die Qual würde jenseits des Acheron enden.“ „Das wäre nicht das schlimmste,“ betonte Armida. „Du sprichst recht,“ sagte die gelehrte Litewka: „Wo das Messer versagt und die Schere, bleibt noch die quälende Aetzung. Die Idee hat etwas für sich, weil kein Blut verloren geht und die ätzende Flüssigkeit bis in die miterkrankten feinsten Lymphgefäße eindringt. So würde der örtliche Krankheitsstoff zerstört. Doch nur im Prinzip! Die Erfahrung beweist, daß das Gewebe, welches mit dem Aetzmittel in Berührung kommt, mit demselben eine innige, feste Verbindung eingeht und das Aetzmittel unwirksam macht. Auch dann noch treten Recidive auf und die Krankheit beginnt von neuem. Erfolge hat man mit Chlorzink erzielt als Paste oder als Aetzpfeil. Der Schmerz ist sehr heftig, den man nach der Aetzung durch subcutane Morphiuminjektionen dämpfen kann. Die Geschwulst wird ein mehliger Schorf.“ Doktor Seraph öffnete ein Schränkchen. – „Chlorgold und Antimonbutter finden manchmal wirksam Verwendung. Von den Pasten Arsenik und die Wiener Aetzpaste.“ Er reichte sie Jappes. „Ist sie an Peritonitis gestorben?“ deutete Armida auf die Tote. „Sie ist in Marasmus verfallen und ist mit starken Krämpfen in langem Todeskampf verschieden.“ Jappes besah die Tote mit ihrer zerfetzten Brust. Sie lag mit geschwollenen Lippen und gläsernem Blick. Aus ihrem Munde floß ein bräunlicher Schleim. Ihn quälte die nächtliche Stille, die in unbestimmten Intervallen von einem jammervoll-schmerzlichen Stöhnen zerrissen wurde. Klänge wie gedämpfter Eulenruf, die in würgende Laute verklangen ... Ihn quälte die tote Gestalt auf dem schreiend-nackten Totengerüst. Vor den Fenstern lag die lauernde Nacht, und Wärter schoben die verzerrten Leichen. „Gegen den Tod kann man nicht prophylaktisch wirken, auch nicht operativ,“ sagte Armida, „aber du könntest dich schonen, Molo, sonst legt der knöcherne Mann dir bald die seltsame Schlinge.“ Sie grüßte ihn kurz. Armida und Jappes traten ins Dunkel. Von ferne krähte ein Hahn. „Es hat wieder einer verleugnet,“ lachte Jappes und sprang zum Wagen. Am Steuer lehnte der Chauffeur und gähnte dem Morgen entgegen. Zwei Laternen fraßen die eilende Finsternis. Jappes dachte an zwei seltsame Ringe, welche der Doktor an den Fingern trug. NEUNZEHNTES KAPITEL Man erzählt manchmal einen Witz, um über eine Pointe zu lachen. Arco Calvandi hatte einen Witz erzählt: „Eine Landpomeranze hatte von einem leckeren Schmeichler erfahren, daß sie angenehm empfunden würde. Und die Schönheit sagte ihr: du bist wie ich. Das wollte sie im Bilde sehen, weil der Spiegel ihr Bild immer wieder verlor. Sie suchte einen Maler auf. ‚Mögen Sie mich malen,‘ flehte ihr weicher Sopran! Der Maler: ‚Gnädiges Fräulein entschuldigen: wie wünscht gnädiges Fräulein gemalt zu werden?‘ Und die Holde: ‚Wie man so gemalt wird.‘ Der Maler witterte das Wild: ‚Ich bin Historienmaler.‘ Sie sann und die Frage entfiel ihr: ‚Was ist ein Historienmaler?‘ Er: ‚Einer, der nach der Geschichte malt.‘ ‚Gut,‘ sagte die Schöne errötend, ‚dann komme ich nach der Geschichte wieder.‘ Sie ging, und ein Lachen prallte an die Staffelei des Malers.“ Aber Armida hatte eine richtige Geschichte, die war kein Witz. Alf Skyölen, ihr Vater, in Saßnitz auf Rügen. Von Norwegen war er gezogen, an der schwedischen Grenze. Mit einem Schiff und zwei Segeln hatte der Wind ihn südwärts geblasen. An die Insel spie ihn das Meer. Dort fand er ein Weib vom Wetter gebräunt. Er nahm es zur Frau. Sie bauten sich Kähne und hielten sich Fischer; geteertes Holz und gegerbte Gesichter. Das Jahr verschlang ein Boot und drei Fischer, er baute dann zehn und dang sich die nötigen Mannen. Zu Ostern rissen die Netze, so schwanger vom zappelnden Hering; im Sommer ruderten die Fischer die flache Last der Flundern. Das Gold in der Truhe wuchs, die Summe der schwimmenden Fänge. Alf Skyölen war stolz auf seine schwarze Armada. Sie beherrschte die Küste und die laichenden Fische. Als ihm eine Tochter ward, nannten die Fischer das Mädchen Armida. Sie kannten den Namen nur so und dachten an die Herrin der Meere. Da kam das Verhängnis von Westen. Netze und Fischer und Skyölen mit Frau verschlangen die Tiefen. Und von der Armada blieb nur Armida. Schornsteinfeger sind schwarz. Bäcker sind weiß. Ich sage, was vom Meere kommt, ist tückisch und bewegt. Mit dem Gold und dem Traum nach der Ferne wuchs sie dann groß. Schön wie das Meer und verschlagen wie dieses. Und ewig bewegt. Sich selbst überlassen, wurde sie der Heimat fremd. In Greifswald war sie im Pensionat und hörte Vorlesungen dortselbst, lebte in Heidelberg und studierte ein Semester Jura, ein anderes Philosophie, zwei weitere Theologie, im fünften Medizin. Das lockte sie. War zwei Monate lang in München, studierte Kunstgeschichte, besuchte die Pinakotheken und die Ausstellungen, blieb am Rembrandt haften und gewann Böcklin lieb. Ließ alles im Stich und warf sich auf die Plastik und die Glyptothek erhielt ihren Besuch fünf Monate. Am Tag in den Galerien, des Nachts im Café. Abends im Theater und morgens verließ sie irgendeine Bude nach einer wüst durchzechten Nacht. Sie lockte Menschen, umkoste sie und verschlang sie mit tückischer Tiefe. Der Taumel küßte sie und Armida jagte die Begierde. Sie war stürmisch und kühl und sie wußte: das Meer wuchs in ihr. Fuhr in die Berge und stieg mit den Gemsen um die Wette. Holte Edelweiß von den zerbröckelten Wänden und mit Lächeln im Blick erzählte sie vom Locken der Tiefe. Hatte nur zweierlei Freunde: denen sie Geld abnahm, denen sie Geld gab, und gegen beide war sie maßlos. Sie wußte, in ihr gab es eine Ebbe, eine Flut, einen ruhigen Abgrund und eine stürmische Brandung mit Gischt und mit donnerndem Wirbel. Das Meer wuchs in ihr und sie wuchs mit dem Meere. Da fand ihr Wesen den Damm und sie fühlte, daß es auch Menschen gab, die fern von dem Einfluß der anderen sind. Sie traf in Berlin auf Molo Seraph, und hier brachen sich die Fluten ihres wogenden Wesens. Er war ihr der Damm und die Schleuse: Er lenkte sie weiter in gebändigtem Fluß. Dann wurde sie mürrisch und trübe. Doktor Seraph folgte der geregelten Bewegung, aber ihm grauste vor der schlingenden Tiefe. ... Sie war wie das Meer mit der steten Bewegung, mit Tang und mit Schlick und weiter Gebärde. Sie war wie die Sehnsucht voll zuckender Bilder, sie war wie der Abend voll dämmerndem Gram, sie war wie ein Fest voll glänzender Freude. Sie war wie die Zeit voll fiebernder Eile. ZWANZIGSTES KAPITEL Plato hat vergessen zu behaupten, daß alle Menschen grinsen. Sie ist kein Mädchen, sagte Jappes und er dachte an Pepy. Sie ist auch kein Bub und ist auch kein Zwitter. Sie steht zwischen den dreien, ein doppelt Geschlecht und auch keines, sie ist ein Gebilde, ein Traum, ein leuchtend Verhängnis, ein Fluch und ein Glück. Wer weiß! Und er nannte sie Ruth, denn ihr Wesen war Ruth und ihr Name war Pepy. Seine Seele erschrak. Sie schrieb von einem englischen Freunde, der wollte sie retten im Hafen der Ehe. Die Engländer sind kluge Schiffer, und mächtig und reich, und er wird sie wohl retten, so dachte sich Jappes. An der Leine der Gedanken führte er die Sorge, und knurrend ging sie mit ihm wie eine treue Hündin. Er war voll von Pepys flatterndem Wesen, und seine Erinnerung bestieg die Leiter der vergangenen Tage. Er dachte an eine Szene mit Pepy. „Du liebst mich,“ hatte sie am Fuße der Berge gesagt. „Das ist unser reinstes Verhängnis. Ich weiß, daß ich gleichgültig bin gegen Menschen, die mir mit Liebe begegnen, mir fehlt das Organ für die Liebe und ich muß Wache stehen bei meinem Geschlecht. Die Männer sagen alle dasselbe, sie sprechen von Liebe und modulieren auf demselben Motiv und greinen die Leier des Herzens ... Vielleicht tue ich dir Unrecht, vielleicht, vielleicht ...?“ Auf einem Baumstumpf saß sie und preßte das Moos, und die Berge grüßten von ferne. Sein Kopf lag in ihrem Schoß und sie haßte die duckende Stellung. „Ich bin noch nicht klug,“ hob Jappes den Kopf und verdrehte die glotzenden Augen. Pepy sah, daß die Ohren sich spitzten, und sein wolliger Kopf lag in lockengespreizter Umrahmung. „Es gibt eine Figur,“ hub Pepy nun an, „sie reizt mich immer zum Lachen: Ein breites Gesicht, die Augen im Winkel, und zottige Locken zu Berge. Golliwog! nennen’s die englischen Kinder.“ „Dann bin ich für dich nur ein Spielzeug, ein gemaltes und lachend verzerrtes. Eine Skizze, ein hampelndes Männchen.“ Seine Augen lagen schielend im Winkel. „Du bist mein Golliwog,“ kam es durch ihre perlenden Zähne wie Emaille im roten Plüsche der Lippen. Jappes im Echo: „Und du mein Rudibub.“ Dann waren sie lachend gegangen, triefend von Küssen. Tage kamen mit Wandern und den Schauern der gierigen Nächte. Sie war kühl und dämpfte die Glut der männlichen Sehnsucht. Fühlte, daß ihr Wesen eine Schwenkung zur Freiheit machte, fühlte, daß der Mut zur Liebe wuchs, der Mut zur leidenden Liebe. Der Dampf riß sie fort und die rollenden Räder. Jappes nach Norden und Pepy nach Süden. In München wartete gähnend der englische Schiffer, gähnend, als wollte er den Liebling verschlingen. So war es gut, denn sein Herz bedurfte der Kühlung und Jappes dachte, sie wird ihn schon kühlen. Er schrieb ihr den Brief voll liebender Fülle, voll rasender Gier: Die Liebe kommt plötzlich wie ein Föhn und wütet in den stärksten Forsten, aber der Windbruch birgt viel Nutzholz. Mein Rudibub! Montag ist’s wieder. Acht Tage sind’s her, seit der Zug Dich entführte. Der Traum ist vorbei und die sonnigen Tage. Dein Name kommt manchmal und klopft an mein Ohr – Rudibub. – Du Liebe, ich habe Dich lieb. Vielleicht trübe ich Deine Freude, wenn ich Dir sage, daß noch ein Mensch neben einem anderen ist. – Golliwog! – Einer, der um Dich weiß. Von meinen Lippen tropft es: Ruth! – rollend – weich. Ich höre Deine Stimme und in meinem Herzen ist ein Echo: – Rudibub! Die Sehnsucht quält Jappes, die Sehnsucht an einen Traum. Und dehnt die Zeit, die schrecklich tickende Zeit. Der Traum war Ruth. Fort bist Du und hast einen Strich gemacht. Einen Strich hinter den Golliwog. Und Golliwog verdreht die Augen: – Ruth! – Es ist ein Traum, ein weicher, rollender Traum. So war es schön. Golliwog denkt an Tage voll Nähe und Liebe. Denkt an Nächte voll Schwüle und Glück. An heiße Nächte und innige Nähe. Es springt über in ihm und alles sammelt sich um Ruth. Er reicht ihr seinen Kuß. Schwester, wo bist Du? Schwester meiner schwülen Nächte. Weißt Du noch etwas von meiner Liebe? Weißt Du von meiner Sorge, als Du gingst. Ich denke an die blaue Glut der Berge. Die Wege und Täler sind voll von Dir. Alles sagt mir, Ruth war da, mein Rudibub. Sie war hüpfend wie ein Reh, und geschmeidig wie eine Katze. Sie war Pepy zwei Tage und dann wurde sie lieb und trank die fiebernde Nähe. Vier Tage war sie Rudibub – mit Tränen und Glück. Golliwog gab ihr seine zitternde Liebe, und doch ging mein Rudibub. Die Glut blieb und die Sehnsucht und die marternde Zeit. Ein anderer pflückt die Blume ihrer Liebe. Golliwog wünscht, daß er sie nicht nur zum Schmucke bricht. Pepy ist fort und Ruth ist mein Traum. Die Kühle ging fort und in mir ist die Glut. Die Kleine ist da und sie lacht. Ich sehe die Zähne, die Locken und bete – – –: Ruth, mein Rudibub! Grinsend rollt er die Augen Dein Golliwog. Jappes schämte sich fast, als er sah, daß ein junges Glück in seinem Herzen zitterte. EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL Das Wesen einer typischen Tante ist Komik, und Komik ist immer etwas Ernstes. Am Bubenbad in Stuttgart entdeckte Armida eine mütterliche Tante. Eine schwäbische Schwäbin mit Runzeln im Blick und eine zierliche Zofe. Wie eine Robbe war sie mit hängenden Armen und fettiger Schwarte. Ihr Kleid von Kattun verdeckte die Trümmer der Ehe. Ihr bäuchiger Leib gemahnte an das Kap der guten Hoffnung. Ihr treues Geleite war ein knurrender Mops, der die Art der Möpse auf der Straße mit sachgemäßer Beschnüffelung absolvierte. Ihr Blick war auf die Erde gerichtet, weil sie vom Himmel nichts hoffte. Armida nannte sie: Ida Telluren. Sie war eine einsame Frau, die den Abend mit Patiencen verbrachte oder im Gespräch mit der schleichenden Stille. Zwei Papageien hatten sich unter ihren Liebkosungen zu Tode geschrien. Papageien werden bei Tanten nicht alt, so dachte die gelenkige Nichte Armida. Ihr Mann, der gesprenkelte Assessor, war hinter seiner Brille an Gallenergüssen gestorben. Und die Witwe suchte den Schmerz im Gähnen der Reisen zu töten. Sie war treu, obzwar noch viele die stramme Fülle begehrten. Sie kannte die Lust der flaumigen Betten, die den Männern die besten Sinne verwirren und sie kannte die eignen Pulse des Blutes. Bei Tag war sie sicher vor dem Stachel des Satans. Nur die Nacht wob die Besorgnis um das Pfand ihrer Treue. Ida Telluren war klug, denn sie spürte sich noch nicht als vergöttertes Tantchen. Sie fand eine List, die Männer vom Pfuhl ihrer Träume zu bannen: Im Hotel stellte sie neben die zierlichen Hülsen der eigenen Füße ein Paar Stiefel aus derberem Leder. So lebte sie abends im Gedanken an den seligen Mann; und draußen hielten die Stiefel die Wache. Die Jahre verspritzten die üppigen Formen und das Alter zeichnete die Skizze der Tante. Die Nase quoll auf, und die Zähne entwichen. Die Brüste schlotterten in fettiger Fülle. Wuchs der Geschmack für Kaffee, für Schnäpse und Möpse. Ihr Wesen schrie auf: Nun werde ich zur Tante. Der Ausgleich für ihr wackliges Tantengemüt bestand in der Liebe zur jungfräulichen Nichte Armida. Mit verschlissenem Plaid, der Beute der jagenden Reisen, spülte die Zeit sie hinunter nach dem schwäbelnden Schwaben. Am Nesenbach lag ihre Kemenate und sie empfing nur gekrückte Gestalten, die sie mit minniglicher Atzung von Tee und Kaffee und Tantengebäck zu ermuntern suchte. Manchmal war Vollblut im Haus: die niedliche Nichte Armida. Mit zierlichen Füßen küßte sie die Läufer der Treppe. Dann wurde die Tante viel jünger, und geschwätzig floß ihr Bächlein der Rede. Verließ die opalisierenden Schreier, mied den gekniffenen Schwanz des Mopses und hielt das Kätzchen im Arme, die weiche Armida. Ihr Brevier waren die Räuber von Schiller. Sie wußte das Jahr, da sie der junge medizinische Schiller in gefolterten Nächten bei grimmiger Kälte geschrieben. Im Winter 1778/1779! – Die Finger rieb sie vor Kälte, wenn sie des fröstelnden Jünglings gedachte. Mit heiliger Scheu ging sie an der Solitude vorüber, wo das Große geboren worden war und starrte mit geknicktem Genicke zu den lebendigen Gemälden der Decke. Hetsch und Guibal und Heideloff hatten hier ihre Pinsel verewigt. Ida Telluren liebte diluviale Gestalten. Sie selbst war ein Mammut aus dem Diluvium der bräutlichen Schichte. Wisent und Ur bockten kämpfend im Protz ihrer geräumigen Säle. An den Wänden spreizten sich die derben Gerüste der knochigen Ichthyosaurier von kundiger Hand in Kohle gehalten. In der Tantenstube ein Porträt von Victor Thaumatosaurus, aus Holzmaden, der Jura-saurische Intimus von Ida Telluren. Knochen, nur Knochen, denn Tante Telluren haßte das Fleisch. Im Staatsarchiv an der Neckarstraße wohnten die betagten Skelette und Ida liebäugelte oft mit den geognostischen Typen. Seufzend verließ sie den Saal, in Trauer über die knochigen Riesen sinnend. Tanten träumen seltsame Träume und Ida Telluren war Tante; auch Tante im Traum: Sie sah schnäbelnde Ichthyosaurier auf einer Bank im Mondenschein, _sie_ war so innig und ließ _ihn_ gewähren. Doch bald befiel ihn die Lust nach südlicheren Früchten. Da erbebte die Tante und schwitzte Besorgnis, hob die Hand und schrie zum Schutze der Unschuld. Armida lag wachend und dachte: Der Schweiß einer Tante riecht seltsam! Am Morgen ging Ida Telluren zu einem Traumatologen. ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL Ein Ton in deiner Stimme sagt mir, daß dein Wesen Lüge ist. Professor Günther war ein überflüssiges Möbel, obwohl er eine kluge Glatze trug, wie einen Spiegel der Weisheit, in welchem der Gelehrtendünkel und der Professorenwahnwitz jener verschrobenen Kaste sich spiegelten. Er hatte den Tempel der Wissenschaft geplündert und sich zum vielfachen Doktor gekrönt. Er wußte, daß er eine Potenz war. Und das wurde sein Verhängnis, denn nichts ist schlimmer als das Bewußtwerden der eigenen Größe. Zwei Seelen wohnten in seiner Brust: im Privatleben die Seele eines Schweines, im offiziellen Leben die Seele eines Berufspsychologen. Er hatte eine Kurve seiner Gemütsbewegungen gezeichnet, kannte die Grade der Verliebtheit von der errötenden Unberührten über das kanonische Alter hinaus bis zum fast begierdelosen Weibe. Er hatte seine Beobachtung nach empirischer Methode graphisch dargestellt, fand, daß die Kurve bei der Frau aus dem Unendlichen kommt und bis zum fünfundvierzigsten Jahre etwa mit regelmäßigen periodischen Schwankungen parallel zur X-Achse verläuft und von da langsam abfallend mit asymptotischer Annäherung an die Abszisse wieder ins Unendliche überspringt. Beim Manne beginnt die Kurve im Pubertätspunkte, dessen Abszisse das Alter, dessen Ordinate die Umgebung ist. Auch diese Kurve hat einen konstant-flachen, aber schwankungslosen Verlauf, fällt indes gegen siebzig Jahre steil ab. Die Flächen hatte er ausplanimetriert und wußte alles zahlenmäßig auszudrücken. Für ihn galt die Zahl, die Nummer. Jedes Gefühl hatte er in eine Formel gefaßt, die er für das einzelne Individuum mit der Variablen des Temperaments multiplizierte. Nach ihm war die Psychologie die Wissenschaft dessen, was man unter Seele versteht. Seine privaten Vorlesungen waren interessant, weil er seltsame Widersprüche lehrte und dadurch das Staunen seines Auditoriums bis zur Verblüffung steigerte, so daß er am Schlusse seines Vortrages mit frenetischem Beifallstaumel hinausgetrampelt wurde. Der Einpauker Günther bereitete im Gegensatz zur Universität die Studenten für die praktische Seite des Doktor- und Staatsexamens vor. Jappes merkte sich den Mann, und während dessen Sprechstunde stand er dem Seelenkundigen gegenüber. Er platzte mit der Frage zur Tür hinein: „Ist Liebe ein Affekt oder ein Instinkt?“ Professor Günther rollte seine mausgrauen Augen eine Weile musternd, brachte die Glatze in Kampfstellung und kaute die Frage hervor: „Haben Sie keine Visitenkarte?“ Jappes stand vor ihm mit eingeknicktem Fuß wie ein Häuflein Elend. Von seinen Lippen schlotterte es demütig: „Entschuldigen Sie, Herr Professor, ich bin immer etwas rasch und ich war so geblendet von Ihrem Wissen, daß ich wie ein Falter in das lockende Licht flatterte ...“ Hier überreichte er seine Visitenkarte: Jappes Paul cand. med. et. phil. et. cam. Schlapphof Baden „Sie sind sehr vielseitig, Herr Kommilitone Jappes Paul vom Schlapphof.“ Eigentlich nur Vorder- und Rückseite, dachte Jappes, letztere, na ... vielleicht würde der Herr Professor doch nicht von meinem Anerbieten Gebrauch machen. Dann verschluckte ihn ein Klubsessel auf eine einladende Handbewegung hin. „Nun, Herr Kommilitone,“ spreizte sich Professor Günther vor Jappes, mit lohender Zigarre und paffte einen wirbelnden Dunst an die Decke, – „unterbreiten Sie mir Ihre Fragen, bitte!“ Hier machte er eine Geste mit der Hand, als biete er einen Präsentierteller an: Bitte, bedienen Sie sich! „Meine Frage muß Ihnen doch lächerlich sein, Herr Professor, denn im Vergleich zu den Studenten sind Sie ja unendlich klug und Sie vergessen an einem Tage mehr, als unsereins in einem Jahre mühsam zusammenstoppelt.“ Professor Günther lachte sich Grübchen und der Stolz perlte aus seiner Stirne. Er wehrte mit der Hand ab. Jappes wiederholte: „Ist Liebe ein Instinkt oder ein Affekt?“ Die Frage löste bei Professor Günther die strenge Sachlichkeit des Gelehrten aus. Ein klassisches Räuspern leitete seine Erklärung ein: „Entschieden, die Liebe ist ein Affekt. Eine heftige Gemütserregung mit einer Reaktion auf den Körper. Jeder andere Bewußtseinsinhalt wird von den Affekten hintangestellt. Die Vernunft ist ausgeschaltet, und unser Handeln ist zwangsläufig und wir haben keine freie Ueberlegung, weder in der Wahl noch in der Anwendung fester Grundsätze.“ „Wer liebt, ist also unvernünftig, unzurechnungsfähig,“ schlußfolgerte Jappes, „es scheint doch eine Grenze zu geben, wo Affekte und Instinkte zusammenlaufen. Der Instinkt ist doch die dauernde Disposition des Nervensystems, den automatischen Ablauf einer komplizierten Handlung zu bestimmen. Nach der Affektentheorie ist die Vernunft doch auch ausgeschaltet und mithin wäre alles, was im Affekt geschieht, eine automatische Handlung. Wir denken doch nichts dabei, wenn wir lieben, es ist uns zur Selbstverständlichkeit geworden, wir beten das Ritual der Liebe ohne den Glauben, automatisch. Die Liebe wäre also ein Instinkt und kein Affekt?“ Professor Günther streckte die linke Hand vor, Daumen und Zeigefinger in Schnabelstellung, die übrigen Finger gespreizt: „Distinguo! Wir unterscheiden, Freund, zwischen objektiver Wahrnehmung und subjektiver Empfindung. Denken Sie sich, Herr Kommilitone, zwei Liebende von einem Dritten beobachtet.“ „Das wäre sehr unangenehm für alle drei,“ bemerkte Jappes. Professor Günther verschluckte ein Lächeln: „Für den objektiven Beobachter zweier Liebenden ist die Liebe unbedingt ein Affekt! ...“ Jappes entschuldigte eine Unterbrechung: „Es ist doch unmöglich eine objektive Beobachtung über die Liebe anzustellen, weil unsere Instinkte sich aus den einfachen Reaktionsvorgängen durch die äußeren Reize des Geschauten entwickeln. Sind wir aber selbst verliebt, so entzieht sich unsere Selbstanalyse der Kontrolle, weil durch den Affekt die freie Ueberlegung ausgeschaltet ist!“ „Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen,“ bejahte der Psychologe, „gerade das ist die Grenze, die Norm. Die platonische Liebe ist ein Affekt, die praktische Liebe ist ein Instinkt: Entschuldigen Sie die Frage, waren Sie schon verliebt?“ Und Jappes: „Platonisch noch nie, deshalb kam ich auf den Gedanken, die Liebe sei kein Affekt.“ Und er dachte, er müsse mit Pepy darüber reden. Jappes entschuldigte sich, er müsse gehen, er habe eine Verabredung mit einer Freundin. Professor Günther drückte ihm die Hand: „Dann leben Sie wohl, Herr Jappes Paul vom Schlapphof, und kommen Sie mal zu uns, unser Haus steht Ihnen offen. Ihre Freundin können Sie mitbringen.“ Jappes entwich dankend dem Zigarrenqualm. DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL Wenn ein Herr ein Tagebuch schreibt, will er etwas preisgeben. Wenn eine Dame ein Tagebuch schreibt, will sie etwas vertuschen. „Ueber Nippsachen kann man immer etwas Spaßiges sagen,“ scharwenzelte Jappes vor Armida; „heute siehst du aus wie eine Teepuppe. So weich und flaumig und warm und duftig und prickelnd und ...“ „Zu Dummheiten bin ich heute nicht aufgelegt,“ fiel ihm Armida ins Wort, „da, geh zur Bank und hole das Geld von Arco Calvandi.“ Sie gab ihm einen Scheck. Er küßte ihre Hand und verließ ihr Zimmer. Sie wohnte seit zehn Stunden in der Pension Ethos, ordnete ihre Briefschaften, schrieb Forderungen, ihre Außenstände einzutreiben, bot anderen große Summen zur Hilfeleistung an, ohne irgendwelche Verpflichtungen. Redigierte ihr Tagebuch. Sie schrieb: Doktor Seraph, ein verlorener Mensch, weil er seinen Beruf ernst nimmt, wohnt mit seinem Schicksal zusammen, aber er gewöhnt sich nach und nach an die Frau. Er freut sich, wenn ich komme und noch mehr, wenn ich gehe. Im Grunde doch ein glücklicher Mann. In seiner Brautnacht wird er sicher zu einem Sterbenden gehen. Heiraten sollte er nicht, denn er ist nicht fürs Leben geschaffen. Der Tod hat ihm sein Siegel schon aufgedrückt: die grauen, bohrenden Augen, der gramdurchsetzte Blick, das starre Paragraphengesicht. Alles an ihm schreit Pflicht, Pflicht, Pflicht und Dienst. Ein wertvoller Mensch, der uns zeigt, wie wir das Leben nicht verleben sollen. Es gibt zweierlei Gedanken: Gedanken, die wir denken und solche, die wir schreiben oder sprechen. Korrupte Gesellschaft! Wir sitzen an einem Tische, in feinster Umgebung, geschmackvoll präparierte junge Damen, Schlangen im Blick, zischende Schlangen als Sinnbild des Geschlechts. Sie kennen alle unsere Mängel und wissen unsere Vorzüge klug zu verleugnen. Männer, außen Knigge und innen Canaille, legen ihre geistreichelnde Unterhaltung ins Schaufenster und ihr Laden ist leer. Trifft man sie oft, so merkt man den Staub auf den Ladenhütern. Ihre Gefühle, die Ladenschwengel des Instinkts! Sagen garnierte Liebenswürdigkeiten und denken die nacktesten Gedanken dabei. Kulissen überall und Attrappen. Aber man macht mit, weil man vom Fach ist. Oh! der Kitzel, sich hinter den Kulissen beobachtet zu wissen. Die Menschen sind nur Zitate der Vergangenheit und stehen in den Gänsefüßchen der Gegenwart. Taumelnde Gebärde ohne Kraft, Versteckspielen der Rede, blinde Kuh der Gesellschaft. Das ist der Kitzel, daß man sich und die anderen wissend betrügt! Der menschliche Geist ist ein Kolibri, leuchtend-schillernd wie Changeant-Seide – kehrt man das Kolibri um, dann ist es matt, schal, grau wie ein Zaunkönig, nur noch kleiner. Der Mensch macht sich müde über sich nachzudenken. Das Leben eine große Verdauungsübung, ein Fangballspiel mit den hüpfenden Tagen. – –– Da war die Tinte zu Ende. Ein roter Radler brachte einen Brief von Jappes: „Sternchen,“ schrieb er, „zum Abendbrot mußt du auf meine gefräßige Gegenwart verzichten. Ich weiß, Du entschuldigst mein Ausbleiben, denn es gibt sogar Fälle, in denen Damen galant sein dürfen. Um zehn Uhr hole ich Dich ab mit achtzig Prozent Sicherheit. Unterweilen sage ich Dir auf Wiedersehen und wünsche Dir angenehme Empfindungen.“ VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL Ein literarischer Salon ist wie eine Kirche: Priester, die opfern, und Gläubige, die beten, aber es wird nicht immer richtig gesungen. „Unser Roman geht weiter,“ sagte Armida zu Jappes und nahm das Geld in Empfang, „betrage dich anständig, wir machen einen hohen Besuch. Kommerzienrat Winterstein kennst du noch nicht? er ist unser Mann.“ Jappes hüpfte durchs Zimmer und lachte: „Kommerzienräte wollen gute Manieren. Armida, rede mir nicht zu viel zu, sonst blamiere ich dich durch sehr anständiges Betragen. Kommerzienräte können sich alles leisten. Hast du ihm schon von mir erzählt?“ „Er weiß alles über dich, du darfst ganz Jappes sein.“ „Ich danke!“ und er reichte ihr den Arm. Kommerzienrat Winterstein wohnte in einer Villa in Tempelhof. In Geldsachen hatte er glänzende Erfahrungen gemacht. Er hatte eine niedliche Tochter, ein Blaustrumpf in den begehrtesten Jahren. Seine Villa war mit den Begierden seiner Frau möbliert, und obwohl Herr Winterstein eine tiefdeutsche Gesinnung hatte, war alles im Louis-XV-Stil gehalten. Wagen fuhren ein und aus. Lackierte Kutscher lenkten die vernickelten Monturen durch das Parktor. Herr Kommerzienrat Winterstein empfing die Gäste selbst: eine behäbige Lebhaftigkeit, der man es auf eine Meile ansah, daß sie nicht so leicht aus dem Konzept zu bringen war. Er war im Gesellschaftsanzug und einer Maréchal-Niel-Rose erwies er die Ehre, in seinem Knopfloch duften zu dürfen. „Unser neuer Freund Jappes,“ stellte Armida vor, Herr Winterstein erstrahlte purpurn: „Sehr angenehm, dem Hause wird es eine Ehre sein, den Freund Armidas zu Gaste zu haben.“ Neue Gäste kamen, und Jappes sagte zu Armida: „Der Mann hat Gewicht, die Zähne sind schadhaft, aber sein Mund ist eine Goldgrube. Das ist der erste Kommerzienrat, der mir die Hand so angenehm geschüttelt hat.“ Dann schwammen sie im Strudel der Unterhaltung. Crêpe-de-Chine und Taft und Tüll, strotzende, federnde Körper, Mädchen, die das erstemal in Gesellschaft waren und die ihre fünf Sinne wie Antennen den Lockungen und Reizen entgegenhielten: Kommt, wir sind reif und schmachtend! Liebeblinzelnde Jungfern, die liebeblinzelnd in langjähriger Praxis im gesellschaftlichen Verkehr auf der Suche nach dem Manne ihrer Wahl waren, entschlossen, sich im Leben mit einem akademischen Grade zu klassieren. Duft und perlende Weine. Frostige Matronen im Reif ihrer Jahre frischten ihre Jugend wieder auf in der Retouche der gesellschaftlichen Lüge: Ihre Reize: blitzende Geschmeide. Lachen, vor dem Spiegel einstudiert, geglättet durch kluge Massage. Duftschwerer Phlox in leuchtender Glut winkte von den Tischen. Die Männer in Smoking und weißer Brustfläche – wie Silhouetten. Armida stellte Jappes vor: jeder Gruppe anders, für die einen war er Kandidat Jappes, für die anderen Medizinmensch, für dritte Publizist. Armida sagte zu allen: „Das ist mein Freund!“ Jappes wurde in ein Gespräch gezogen: „Sie sind Schriftsteller,“ sagte eine ältere Dame und ein blendender Straußfächer kühlte ihre korpulenten Anstrengungen. „Man hat uns gesagt, Sie sind auch so eine Art Dichter, eine Art Goethe oder Hauptmann. Eine Ehre, mit Ihnen zusammen zu sein. Werden wir bald im Theater etwas beklatschen können?“ „Die gnädigste Dame beklatscht jetzt schon tüchtig. Ich bin Schriftsteller,“ hob Jappes mit leiser Ironie an, „ein Mensch, der allen Geschmäckern gerecht zu werden sucht.“ „Sehr gut! Sehr gut!“ ging es durch die Gruppen. „Wenn man dichtet,“ fuhr Jappes fort, „hat man gewöhnlich sehr viel Allgemeines zu sagen. Die Schriftsteller, gnädigste Frau,“ wandte sich Jappes zu der Dame, die ihn im Gespräch angezapft hatte, „die Schriftsteller machen die Erfahrungen, die die anderen so gerne lesen.“ „Glänzend!“ sprühte ein gutgescheitelter Assessor, „der junge Mann hat eine Zukunft. Wie machen Sie das eigentlich, die Gedanken so nach und nach zu finden? jetzt muß ich schon dumm fragen.“ „Das Fragen bin ich schon gewöhnt; ein junger Dichter muß aufs Interviewtwerden gefaßt sein. Aber das ist sehr einfach, ich trinke eine Kanne Tee leer und melke die Muse.“ Der Assessor schüttelte sich vor Lachen: „Verwechseln Sie nicht manchmal den Tee mit der Tinte?“ „Das ist ja weiter nicht schlimm,“ erwiderte Jappes, „solange das Publikum nichts davon merkt.“ „Der Herr Assessor spricht Ihnen eine Zukunft zu,“ sagte die fächelnde Dame, „mein Freund, der Herr Assessor, hat ein Auge für Größen.“ Sogar sinnvolle Gedichte können verstanden werden. Ein junger Klaviervirtuose spielte ein triebhaft-schrankenlos-musikalisches Symbol und seine Akkorde fielen das Ohr an wie eine kläffende Meute. Seine Gewalt hielt die Lippen in Bann und die Ohren gefangen. Etwas Schreckhaft-Erotisches, etwas Dunkel-Mystisches legte sich über die erhitzten Seelen. Drängend-pulsierendes Leben schwebte durch den Saal, wie eine Narkose nahm die Musik allmählich von den Sinnen Besitz, leise einschmeichelnd, und als sie verklang, war es, als wolle der Zauber nicht weichen. „Musik liebe ich nicht,“ sagte Jappes einer jungen Dame. „Wieso?!“ fragte das rosige Stimmchen, „Musik und Sekt ist das Schönste auf der Welt und Cakes und Caesar Flaischlen!“ „Neben vielem anderen sind das Sachen für Damen. Backfische schwärmen für platzend-prickelnde Sachen, für sacharinsüße Gedichte.“ „Machen Sie welche?“ fragte das Stimmchen. „Ja!“ „Oh, bitte, bitte, bitte, erzählen Sie uns etwas von Ihren Gedichten, das mag ich liebend gern.“ „Bedauere,“ darauf Jappes, „ich habe leider auch noch nichts davon verstanden.“ „Das glaube ich,“ kicherte eine junge Fülle, „für das Geständnis müssen Sie schon was hersagen.“ Sie drängten sich um Jappes, und im Tumult des Saales sagte er ihnen vier Strophen: „Ein Hund vor meiner Tür und wedelt in die Nacht. Aus meiner Brust ein Laut, er lacht, ein Wächter meiner selbst, wie dieses Tier. Blume bebt im Mittagsfeld und trinkt von Sonne sich so voll und rot. Hoffnung, bang, durchzuckt die Welt – trinkt sich am Leben tot. Schöpfer spendet sprudelnd Licht, daß Seele dran sich labe; was störst du meine flüchtige Habe du neckisch kleiner Menschenwicht? Nicht zagen Muts! Taumel-wirr, trink auch vom roten Leben, trink dich am Leben irr und laß das Schicksal weben.“ „Das klingt so unverständlich, wie die Sachen von Stefan George,“ kicherte von neuem die junge Fülle, „all unsere jungen Dichter sind Kanonenfutter für die Lyrik der Zukunft.“ Jappes: „Bei Stefan George ist nicht alles unverständlich. Wer literarischen Takt hat, tut als ob er Modernes versteht. Die moderne Richtung ist, unverständlich zu sein; denn alles was man verstehen kann, ist schon gesagt. Es ist besser, etwas Unverständliches sagen, als das Alte zu wiederholen, denn die Kunst kann nicht stille stehen.“ Fräulein Winterstein deutete ihre Ankunft durch ein elegisches Lächeln an. Jappes grüßte sie sehr umständlich, obwohl er ihr schon vorgestellt worden war: „Ich habe viel Ulkiges von Ihnen gehört,“ begann sie, „und wünsche meine Ohren selber auf die Weide zu führen. Wie gefällt Ihnen unser musischer Kreis? Lauter gebildete Menschen, gelt?“ Jappes machte eine Verbeugung: „Lauter Menschen, die den Anschein haben, sehr gebildet sein zu wollen. Man spricht von Hölderlin-Bestrebungen, vom Tempo eines Kasimir Edschmid, vom Sinne-kitzelnden Hanns Heinz Ewers ... Ueberall gelehrtes Gegacker; man kann sich hier allen Schliff holen, den man sich im Lesesalon aneignen sollte. Und vor allem die Interpretation der Bücher, sehr interessant, hochinteressant! Die Damen haben direkt einen Flair für das Schöne.“ „Sie sind wohl auch einer von den Modernen, ein Skribifax, der allerlei Industriewaren auf den Olymp schmuggelt und sich die lachende Gage des Publikums erkitzelt? Unsere heutigen Schriftsteller sind alle ein bißchen – – hm! wie soll ich sagen ...?“ „Geniale Schweine!“ ergänzte Jappes. Das Fräulein lachte: „Wenn Sie es selbst sagen, ja! Man erkennt das Vieh am Grunzen, aber es hat unsere ganze Sympathie, wenn es geschmackvoll zubereitet ist.“ „Mit ein paar Trüffeln des Witzes,“ lachte Jappes. Fräulein Winterstein: „Aber die Kritiker haben keinen richtigen Anhaltpunkt, weil dem modernen Zeug so schwer beizukommen ist.“ „Die Schriftsteller schreiben manchmal absichtlich Blödsinn, um die Kritiker auch zu inspirieren.“ Da wandte sich Jappes zu Herrn Winterstein, um ihn zu begrüßen, lächelnd wie eine Putte war er hinzugetreten. „Na,“ drückte er behäbig hervor, „interessante Unterhaltung, was? Hoher Ton?“ „Wir haben über die Frauen geredet, Herr Kommerzienrat,“ sagte Jappes. „Wenn einem das Thema ausgeht, kann man immer noch etwas über die Frau sagen.“ „Interessantes Thema,“ bemerkte Herr Winterstein, „unerschöpflich!“ Frau Winterstein begrüßte ihre Gäste in wallender Abendtoilette. Wie eine Göttin schwebte sie durch den ätherischen Tabaksqualm. Herr Kommerzienrat nahm die Gelegenheit des Erscheinens seiner Frau wahr, um sich auf französisch zu empfehlen und Jappes notierte, daß man sein Verschwinden weder bedauerte, noch Herrn Kommerzienrat vermißte. Die Unterhaltung war bis zu dem Punkte gediehen, wo es für Frauen unterhaltend ist, zuzuhören. Frauen hören immer gern, daß irgendein kleiner Dämon in ihnen steckt. Jappes traf mit dem Klaviervirtuosen zusammen, dessen ganze Ausdrucksmöglichkeit auf die Noten konzentriert war. Man sah ihm an, daß er es vorzog, nur von hinten angesehen zu werden, wenn er im Reich der Töne phantasierte. „Sie kennen sicher Schrekers Oper ‚Ferner Klang‘,“ bekräftigte Jappes. „Gerade das Ueberspannte daran ist es, was einen reizt. Das Urgewaltige, das Zischende und Brodelnde. Es sind nicht Töne für jedermanns Ohr. Die neuen Sachen sind gottlob noch nicht zur klassischen Alltagskartoffel geworden. Sie verstehen es, Noten zu lesen? Den wenigsten ist das gegeben, und Sie wissen, Ihre Gefühle in Tönen auszudrücken.“ Der Musiker stellte eine dankende Ueberlegung an und sprach mit leiser, vibrierender Stimme: „Fr–r–anz Schr–r–r–eker–r–r!“ Er rollte die R sehr ausdrucksvoll. „Ueber Schreker bin ich hinaus. Ich wünsche russische Musik. Das Neueste in Farbenvisionen. Rußland ist mein Traum. Die verborgene Seele mit ihren phosphoreszierenden Gefühlen. Scrjabin kennen Sie wohl nicht? Nein, er ist zu rezent, sein Prometheus?“ „Von den Russen kenne ich keine Tonwerke,“ gab Jappes zu, und fragend: „ist es ein expressionistischer Künstler?“ „Vielleicht Wagner im Expressionismus, dieselbe Utopie, nur daß er auf dem Realismus des Wahnsinns aufbaut. Das ist das Große, daß Scrjabin uns aus der Sphäre unserer Bewußtseinsvorgänge reißt und es versteht, durch ein paar Zaubertakte die musikalischen Lichtwirbel wieder zu dämpfen.“ Jappes fragend: „Das ist ja etwas wie telepathische Musik?!“ Der Virtuose: „Nein, tatsächlich, Sie spaßen wohl? Die Russen gebrauchen zur Aufführung der Symphonie ein Farben-Lichtklavier, das die opalisierenden Tonwellen mit entsprechenden Lichtwellen illustriert. Sie sehen und hören die Musik. Die Themata sind nach Farben gruppiert, Zinnober-Takte, Karmoisin, Preußischblau, kurz Farben, alle Farben, Farben-Symphonien. Sie kennen Kandinsky vielleicht?“ „Habe nicht die Ehre,“ sagte Jappes. „Er ist ein Künstler,“ tönte der Virtuose, „und arbeitet auch auf dem Gebiet der symphonischen Farben-Akustik. Er würde sicher durchdringen, wenn die Kritiker ihn nicht so scharf anfahren würden und wenn er von der Sache überzeugt wäre.“ „Das ist es, die Ueberzeugung, die Ueberzeugung,“ rief Jappes. „Das elfte Gebot, du sollst überzeugt sein! Nicht wahr, gnädiges Fräulein?“ redete er Fräulein Flavia Winterstein an, die Nichte des Kommerzienrates – die Tochter hieß Henny – „nicht wahr, gnädiges Fräulein, die Musik war entzückend heute abend?“ „Wenn Sie es sagen, ist es ein großes Kompliment für Herrn Berendtsen.“ Der Künstler stellte sich vor und entschuldigte sich, daß er es bis jetzt übersehen hatte: „Der Name tut nichts zur Sache,“ tröstete Jappes den Virtuosen, „und Vergeßlichkeit ist ein Zeichen von Genie, denken Sie an Beethoven.“ Wer feine Finger hat, kann sogar mit einem Schmetterling spielen. In einer Nische ließ er sich mit Fräulein Flavia nieder. „Ich will mich ein wenig an Ihrer reizenden Gegenwart entzücken,“ komplimentierte Jappes. „Sie sind mir den ganzen Abend aufgefallen durch Ihre schmiegsame Art. Ihrem Verlobten kann man zu seiner glücklichen Wahl gratulieren,“ fuhr er fort und zeigte auf ihren Verlobungsring. „Oh, Sie Schmeichler!“ wehrte sie errötend. „Gut, wenn Sie wollen, jedes Kompliment ist eine Schmeichelei. Ich sage, die Venus von Milo ist schön, die Putten des Perugino sind entzückend, die raffaelschen Engel sind himmlisch. Das sind alles Schmeicheleien. Aber sie treffen die Sache. Es wäre eine doppelte Taktlosigkeit, Ihnen zu sagen: Gnädiges Fräulein, Sie sind häßlich, erstens weil Sie es nicht sind, und zweitens, weil Sie hübsch sind.“ „Sie sind ein Dämon,“ wehrte die dankend Geschmeichelte. „Glauben Sie an das Dämonische im Menschen? gnädiges Fräulein, dann waren Sie wirklich nie Backfisch!“ „Ich glaube an das Dämonische im Menschen,“ wiederholte sie. Der Virtuose saß mit verschränkten Beinen auf einem Polster. Seine Lackstiefel umarmten blaue Seidenstrümpfe. Jappes bemerkte: „Vielleicht gibt es blaue Seidenstrumpftakte in der Musik?“ Flavia: „Seidenstrümpfe sind bei Herren geschmacklos.“ „Ich möchte sie nicht auf den Geschmack prüfen, nicht einmal bei Damen.“ „O Sie.“ Jappes schnalzte mit den Fingern: „So ein Luder von Virtuose redete mir heute abend von spiritistischen Klopflauten, die er in der Nacht gehört haben will, eine ganze Oper wurde geklopft, ganz hinreißend, sagte er. Als er Licht anmachte und die Takte nachschreiben wollte, war der Spuk zu Ende. Die Künstler leiden eigentlich immer an Halluzinationen.“ „O Sie! ...“ entfuhr es Flavia, „Sie sind ja selbst Künstler.“ Jappes: „Weshalb erklären Sie mich für halluzinatorisch? Ich lehne die Künstlerschaft ab. In ihrer Jugend haben die Künstler irgendeine Halluzination gehabt, und das ganze Leben suchen sie nach dem Inhalt und der Gestaltung und sterben mit einer großen Enttäuschung. Die blaue Blume der Romantik war nichts anders als der blaue Dunst einer poetisch-ungereimten Halluzination, welche die Dichter in Reime zu fassen suchten. Und das bläuliche Phosphoreszieren unserer Tage, die ultravioletten Strahlen, alles blau, blau, blauer Dunst!“ Die Dame hatte den Faden verloren ... „Die weiße Tür verletzt mein ästhetisches Gefühl,“ lenkte sie ab, und zeigte auf eine Doppeltür in der rosa Stofftapete. „Man müßte sich erkundigen, was hinter der Tür ist, und sie dann öffnen lassen,“ sagte Jappes, aber da erschien Frau Kommerzienrat. „Wünsche angenehme Unterhaltung,“ nickte sie gönnerhaft. „Das Arrangement ist sehr geschmackvoll,“ lobte Flavia. „Sie müssen sich verheiraten, Herr Jappes,“ ermunterte Frau Winterstein, „dann wird Ihre Frau Ihnen auch solche geschmackvolle Abende bereiten.“ „Ich weiß nicht, ob meine Frau soviel Geschmack hätte!“ „Na, na, na, Sie Schmeichler,“ drohte Frau Kommerzienrat mit dem funkelnden Finger. In einer Vase stand Flieder. Jappes nahm ein Sträußchen: „Bitte, gnädiges Fräulein, lila-blaß-blau. Nehmen Sie den romantischen Gruß.“ Verschüchtert wehrte sie: „Ach, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen wirklich, im Garten haben wir selbst Flieder. Wirklich, Herr Jappes, wirklich.“ Sie entschwebte und lief einem verstört-besorgten Verlobten in die Arme. Armida traf auf ihrer Runde auf Jappes. Sie reichte ihm einen großen amethystfarbenen Kußring: „Mein Freund, wie verbringst du den Abend?“ „Gut, danke, Freundin, sehr gut, ich füttere die Gänse.“ FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL Wer die Dämonologie studieren will, sollte mit der Frau beginnen, und – mit der Frau aufhören. Mit dem Nachtschnellzug fuhr Jappes nach München. Er wollte Pepy sehen und Professor Günther einen Besuch abstatten. Armida fuhr zu ihrer Tante nach Stuttgart und stieg in Nürnberg um. Pepy erwartete Jappes am Bahnhof: „Nett, daß du gekommen bist,“ empfing sie ihn. Jappes küßte sie auf die Stirne: „Eine halbe Stunde Verspätung nach Bamberg und doch fahrplanmäßig angekommen. Darf man sich erkundigen, wie es dir geht, mein Rudibub?“ Pepy lachte: „Du bist der alte Golliwog, uns scheint es beiden sehr gut zu gehen.“ Der Autokutscher der Vier Jahreszeiten nahm sein Gepäck und öffnete den Droschkenschlag. „Ach, wir laufen das Stück,“ dankte Jappes und schmiß ihm ein Trinkgeld. „Du siehst ja glänzend aus, mein Golliwog, und hast Abenteuer erlebt, du mußt erzählen, o bitte, bitte!“ Jappes zog Pepy ins Café Arkadia, und in zwei Plüschsesseln saßen sie vor ihrem Tee. „Wenn du artig bist, erzähle ich dir von meiner Freundin Armida.“ Pepy setzte sich in horchende Stellung: „Ich werde sehr artig sein.“ Und Jappes erzählte: „Armida ist ein Staatsweib. Kann alles, was die andern nicht können. Ist Wassermädel und Putzmacherin. Reitet das feurigste Berberroß bei Busch im Zirkus, trinkt wie drei Polen, frisiert sich à la vireloque und improvisiert die ulkigsten Couplets. Lenkt selbst den Phaethon und frißt die Entfernungen im Auto. Sie muß immer führen, immer eine Leistung, wenn sie etwas beginnt und alles gelingt ihr. Hat sicher ein Bündnis mit dem Teufel. Und Menschen kennt sie, kennt alle. Die Schuhwichser am Anhalter Bahnhof, die Maquereaux der Motzstraße, Zeitungsfrauen und Lohnkutscher, Ministerialbeamte, Räte, geheime und wirkliche und Kommerzienräte. Hat tausend Engagements, sagt zu und schreibt im letzten Moment ab. Wird immer wieder vorgemerkt. Ist überall Amateur und überall erste Geige. Kann keine Frau ausstehen und tritt am schroffsten für die Forderungen in der Frauenbewegung ein. Sie ist eine Maschine, man braucht sie nur auf das Gewünschte umzuschalten. Weiß Geld zu machen aus ihren Freunden, so daß die Geschröpften es noch angenehm empfinden. Das ist die Kunst unserer Tage! Wohnt im Edenhotel, wo nur Nietzscheaner Absteigequartier haben, und wohnt in den Spelunken an der Spree, wo ihre Antipoden hausen. Hat tausend Pläne und führt sie alle aus. Ehe ich wegfuhr, hat sie geäußert, sie wolle ein Asyl für heimlich Liebende gründen.“ Und Pepy: „Das Unternehmen wird Erfolg haben, ein pfiffiger Gedanke!“ „Eine Aktiengesellschaft mit beschränkter Haftung, alle Zahlungen im bargeldlosen Verkehr. Eine Größe im Film, spielt Charakter- und Titelrollen, spielt die Rollen der entsagenden Liebe und der hingebungsvollen Brunst. Hauptdarstellerin in den Oden von Horaz. Erste Pantomime. Ihr neuestes Projekt im Film: Homer. Spielt alle Heldenrollen und es gibt nur Helden in der Ilias und in der Odyssee. Alles aktive Rollen, nur die passive Rolle des hölzernen Pferdes liegt ihr nicht. Sino, dem man die Ohren abschneidet, will sie tragieren. Sie ist imstande, sich die Ohren abschneiden zu lassen, um die Rolle naturgetreu wiedergeben zu können. Bei Gott, es wäre schade, sie hat so schöne Ohren!“ „Und wohin würde man ihr die Ohrringe hängen?“ Pepy lachte ihn aus. „Oh, das ist das wenigste, dafür fände sie einen Ausweg. Und ein seelenguter Mensch ist sie dazu, schleppt ganze Bündel Wäsche in die armseligsten Baracken, kauft Nestles Kindermehl und füttert die junge Brut, kocht es auf und pflegt die Wöchnerinnen, beglückwünscht den Vater; kauft ihm eine Flasche Schnaps, macht ihn hagelvoll besoffen, freut sich königlich an seinen wackligen Gebärden und bändigt die gröbsten Wüteriche, wenn der Alkohol sie zu sehr reizt. In der Havelgasse habe ich eine rührende Szene mit Armida erlebt: Eine Frau war niedergekommen und war eines putzigen Knäbleins genesen. Der Vater stand weinend am Bett und weinte wie Magdalena, weil es keine Zwillinge waren. Armida vertröstete ihn so liebevoll auf das nächste Mal, daß der Tränenquell versiegte.“ „Jappes,“ sagte Pepy, „du tust einen Griff ins Lateinische?“ „Auf Ehre, nein,“ schwor Jappes, „beim Nabel des Buddha, ich rede wahr. Ein seltsames Weib ohne Schlaf und ohne Rast. Die Nächte pflegt sie die Kranken. Leert die Urinflaschen und Spucknäpfe, führt die Kranken zu Stuhl, reicht ihnen Medizin und Essen und wischt sie sauber vom Schleim des Erbrechens. Säubert vom blutigen Gerinnsel mit Eiter vermengt, macht Kompressen und legt Eisbeutel auf. Kühlt den Phantasierenden die heiße Stirne und tröstet die Sterbenden in der Agonie.“ „Bist du begeistert von ihr,“ fragte Pepy, „willst du sie heiraten?“ „Sie heiratet nicht,“ beschwichtigte Jappes. „Sie ist keine Frau. Sie hat keine Nerven. Tee trinkt sie die Masse und Kaffee und Wein. Raucht spanische Zigarillos und ägyptische Zigaretten. Ohne Wirkung! Sie hat mir gesagt, nur ein Inkubus könne sie befruchten, ein Inkubus mit kaltem Samen.“ „Sie wird dein Verhängnis sein,“ warf Pepy dazwischen. „Aber sie liebt das Leben, den Taumel, die Lust. Zersetzt und zerstäubt und wer sie liebt, den zieht sie in den Abgrund. Ich sage dir, Pepy, eine seltsame Frau. Beim Bakkarat hat sie eine fünfstellige Zahl verloren. An einen jüdischen Grafen. Hat ihr Scheckbuch verspielt und einen Kreditbrief dazu. Ohne Mucks hat sie alles hergegeben und ging lächelnd vom Tisch, fragte den Grafen beglückwünschend nach seiner Adresse und lud ihn ein für den Abend: ‚Wir machen einen Mitternachtspoker, wenn die Gespenster tanzen, Sie kommen! – Ja? Ich erwarte Sie!‘ Sie hing an meinem Arm und machte die tollsten Zicken. Verabschiedete mich und klingelte mich um drei in der Nacht aus dem Schlaf: ‚Meine Requisiten habe ich wieder.‘ Und sie zeigte das Geld, die Schecks und den Brief. So ist meine Freundin. Pepy, wir brechen noch einer Flasche den Hals.“ Sie tranken auf die Freundin Armida. SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL Es gibt drastische Wahrheiten, die wie Lügen klingen, aber viel gefährlicher sind. Professor Günther stak in einer grauen Litewka mit braunen Kordeln. Ohne die Lorbeeren am Kragen hätte er wie ein Husar ausgesehen. Saß in seiner Bibliothek vor einem Stoß Manuskripte und rauchte aus einer aromatischen Ruhla. Ein russisches Windspiel lag auf einem Bärenpelzfetzen neben dem Spucknapf. Jappes hatte sich telephonisch angemeldet: Wenn es Herrn Professor genehm sei, komme er auf einen Sprung vorbei, ob es nicht störe, wenn die Freundin mitkomme? Im Gegenteil, hatte der Professor verbindlich gesagt. Kommen Sie ungeniert. Auf Wiedersehen! Jappes und Pepy wurden mit lebhafter Höflichkeit empfangen. Es wurde Tee serviert und Frau Professor dazu. Ein schmuddeliges Weibchen, das ihrem Manne alles mit talmudistischer Ueberzeugungstreue glaubte und manch verworrene Ehekonflikte auf die unverständliche Gelehrsamkeit ihres Mannes zurückzuführen gewußt hatte. Sie hatte sich schon vom Leben zurückgezogen, weil alle ihre Wünsche erfüllt waren. Einen berühmten Gatten, einen berühmten Sohn und eine geordnete Häuslichkeit. Sicher war dieses ausgeglichene Wesen ein Werk des Psychologen. Frau Günther hatte sich in ihren Betrachtungen eingekapselt und lebte ihren Gedanken: von der Außenwelt um ihr Glück beneidet zu werden. Ohne Bedürfnis nach fremden Männern, fand sie keine Worte für Jappes außer den zeremoniellen Begrüßungsformeln: „Wir haben allerliebste kleine Hunderl,“ platzte sie heraus, „ich liebe sie so sehr. Vielleicht hat gnädiges Fräulein Lust, die zappelnden Dingerchen zu sehen.“ Pepy warf Jappes einen fragenden Blick hin. Er kniff die Augen zu und schürzte die Lippen: Geh halt mit der Frau! Pepy und Frau Günther gingen zur Hundeschau. „Die Frauen sind seltsame Dinge,“ begann der Professor. „Sie haben immer ein Steckenpferd und es ist das Glück der Männer, wenn sie sich sehr früh von ihnen abwenden: Der Instinkt vertritt bei ihnen den Geist und immer zum Vorteil der Frau.“ „Das könnte ich nicht gerade behaupten,“ sagte Jappes, um nicht zu schweigen. Und Professor Günther: „Wieso?“ Jappes: „Ich weiß auch nicht. Ich meine nur so.“ „Es gibt nur einen Glauben, das ist die Erfahrung. Glauben Sie mir, Freund, die Frau ist nicht mehr als ein Prinzip, eine Idee, das Prinzip der Zeugung, mehr strebt das Weib im Leben nicht an. Alles in der Frau ist Liebe und was dazu führen kann.“ „Das ist doch weiter nicht schlimm oder ...?“ „Bewahre, bewahre,“ fuhr Professor Günther fort, „wenn der Auerhahn balzt, versteckt er den Kopf. Er balzt nur in der Brunstzeit. Die Natur hat ein Exempel statuiert. Sie will zeigen, wie die Liebe das blinde Prinzip ist, das Lichtscheue.“ „Auch der Strauß versteckt seinen Kopf in den Wüstensand,“ warf Jappes ein, „wenn er verfolgt wird, aber aus purer Furcht.“ „Liebe und Furcht ist dasselbe,“ lachte der Professor, „sehen Sie, Freund, wenn das Mädchen verliebt ist, fürchtet es, keinen Mann zu finden und findet es einen, so fürchtet es, ihn zu verlieren – von anderer Furcht nicht einmal zu reden. Ergo, Liebe ist dasselbe wie Furcht. Quod erat demonstrandum!“ „Die Ableitung ist sehr gut, eine akademische Form. Sicher und logisch, aber das Weib muß sich doch seines Wertes auch bewußt sein, weil es mit den Männern spielt. Im Flirt, dem spezifisch-weiblichen Attribut, ist von der ‚lieblichen Blindheit‘ verdammt wenig dran.“ „Freund, Sie sehen etwas, aber nichts Genaues. Ich erkläre Ihnen den Vorgang. Um banal zu sein: Der Flirt beruht auf Gegenseitigkeit. Verstehen Sie mich recht! Sie haben eine Dame gefunden und wünschen ihre Bekanntschaft zu machen. – Ich spreche Ihnen soviel Geschmack zu, daß ich annehmen darf, die Dame hat noch viele andere Freunde. – Wenn Sie der Dame den Hof machen, fühlt sie sich geschmeichelt und hat sie auch Sympathie für Sie, so entwickelt sich der Flirt. Aus Courtoisie gegen die Dame geben die Männer gesellschaftlich zu: der Flirt gehe von den Damen aus. Unter uns gesagt, Freund Jappes, die Sachen liegen doch nicht gar so pantoffelartig für uns. Wir sind scheinbar die Mucker und Duckmäuser und doch führen wir die Frauen am Narrenseil!“ „Oh, das tu ich nicht und glaube nicht, daß man es tun kann mit selbständigen Frauen.“ „Alle Frauen sind abhängig,“ sagte der Professor gereizt, „und diejenigen, welche sich einbilden, am unabhängigsten zu sein, sind gerade die Unselbständigsten. Noch ein Wort, mein Freund, was bei den Frauen Koketterie ist, das ist es, womit wir spielen. Wir spielen also mit dem Wesen der Frau, weil jede Frau kokett ist und mit sich spielen läßt.“ „Das ist ein Sophismus,“ betonte Jappes, „meine Auffassung vom Wesen der Frau ist grundverschieden. Ich denke, die Frau ist das, was den Mann ergänzt und um so tiefer ergänzt, je unbewußter die Frau ist.“ „Wahr, wahr, Freund Jappes,“ beeilte sich der Professor zuzugestehen, „sehr wahr für schlappe Pantoffelritter, für Lappschwänze, aber für ganze Männer, nein. Die Frau ist da nur eine Begleiterscheinung der Größe eines Mannes, der Nebel, der den Kometen begleitet. Ein astroides Nebulargebilde.“ Dazu lachte er, daß das Zimmer wackelte. – „Sprechen wir praktisch. Wir renommieren soviel mit den Frauen, die wir uns kirre gemacht haben, wie es die Frauen tun, die uns den Kopf verdreht haben.“ „Eine Frau wird mehr umworben als ein Mann,“ stellte Jappes die Antithese. „Pflichte Ihnen nicht bei, Herr Jappes,“ sagte der Professor wichtig, „nach der Ueberlieferung ist die Liebe beim Mann und bei der Frau eine Parallelerscheinung. Der okkulte Kult der Aegypter erzählt, daß Osiris und Isis sich schon im Mutterleibe geliebt haben. Die Aegypter haben uns wichtige Papyri über die Frauen hinterlassen. Sicher ist, daß die Liebe ein einträgliches Geschäft war. Einträglicher wie zu unserer Zeit, was doch beweist, daß die Frau wirtschaftlich bedeutend gesunken ist.“ „Die Anspielung verstehe ich nicht,“ entgegnete Jappes nachdenklich. Und Professor Günther belehrte ihn: „Als Cheops seine Pyramiden baute, geriet er in Geldverlegenheit und um ihr abzuhelfen, gab er seine Tochter den Edlen seines Hofes preis.“ – Und lächelnd fügte er bei – „Die Prinzessin fand soviel Geschmack an der Erbauung der Pyramiden, daß sie sich selbst eine Pyramide errichten ließ, alles von ihrem eigenen Gelde.“ „Sie wollen daraus die Werterniedrigung der Frau ableiten, ich bin eher der Ansicht, daß die Männer zur Zeit der Pyramide des Cheops noch nicht so ausgepowert waren wie heute.“ „Wenn Sie Ihre Bemerkung nicht ernst auffassen, verzeihe ich Ihnen die Wortklauberei recht gerne. Die Welt wäre längst mit den Gestirnen in Kollision geraten, hätten nicht Kepler und Newton und Laplace und die anderen siderischen Lokomotivführer ihre Bahnen und die Wege der Gestirne erkannt. Da finden Sie keine Frau. Keine Erfindung segelt unter der Flagge der Frau. Ueberall ist der Mann das Agens, die treibende Kraft. Nennt man heute den Namen einer Frau, dann ist es immer im Zusammenhang mit einem großen männlichen Namen.“ „Der Frau spricht man doch die Erfindung der Sünde zu, und all den hysterischen Zappelfritzen der Geschichte hätte man kein Kind bis zur Geburt anvertrauen können. Die Frau hat die Geduld, ein Kind zu gebären und sie würde es vielleicht noch länger als dreiviertel Jahr verborgen halten, wenn der Vorwitz danach bei ihr nicht so groß wäre. Das Monopol der Menschenerneuerung wollen Sie der Frau doch nicht absprechen? Die Frauen sind zu bescheiden, um den Ruhm für sich zu nehmen, deshalb setzen sie ihre Trabanten in die Welt, ihre geistigen Kulis, die Erfindungen zu machen und die Wissenschaften zu fördern. Jeder Gelehrte hat sein Leben von einer Frau geschenkt bekommen, und die Arbeit eines jeden Mannes ist Dienst zur Ehre des Weibes.“ Professor Günther wehrte mit der Hand ab. „Versuchskarnickel sind die Weiber, glauben Sie meiner Erfahrung, mein Freund, Versuchskarnickel!“ Die Gesellschaft ist ein Fünfuhrtee. Es wird leider meist Aufguß serviert. Frau Professor und Pepy erschienen mit einem Körbchen junger, wippender Boxerhündchen. Das Windspiel heulte auf und schlug Alarm, weil es sich in seiner Hundeliebe zurückgesetzt fühlte. Frau Professor nahm es in ihren Schoß und tröstete es über die Eifersucht auf die jungen Hunde. Das Windspiel hatte einen russischen Namen: Duschitschko-Seelchen. Professor Günther, dem das Winseln verhaßt war, klingelte dem Zimmermädchen: „Bringen Sie den Hund Gassi-gassi, er möchte nach dem Wetter sehen.“ Frau Günther hob ein zitterndes Hündchen aus dem Korb, führte es mit einem jähen Ruck an die Lippen und knutschte es ab, spielte Fangball damit und nannte es Mollchen, Knäuelchen, Bubele. Der Herr Professor gab Aufschluß über die Eigenarten des deutschen Boxerhundes und die Frau wandte sich stolz an Pepy: „Mein Gemahl kennt sich aus in der Hundezucht.“ „Der Tee wird kalt, Mutter,“ beeilte sich Herr Professor Günther einzuschenken. „Belieben gnädiges Fräulein Rum oder Zitrone?“ „Danke, Herr Professor, ich erlaube mir ein Stückchen Zucker und etwas Milch.“ „Wie gnädiges Fräulein belieben!“ Und er reichte ihr das Gewünschte. Frau Günther reichte eine Dose mit petits fours und biscuits de Reims. Herr Günther servierte Himbeergelee: „Das Süße den Süßen,“ fügte er liebenswürdig und kavaliermäßig lächelnd hinzu. Er bediente Pepy und seine Frau – die Mutter. Pepy sprach sich belobigend über die tadellose Einrichtung aus. Frau Günther nannte die Preise der einzelnen Möbel, nannte einen übertriebenen Preis für den gemusterten Smyrnateppich und fand ihn lächerlich billig für so ein Prachtstück. „Schöngeister“ – und sie zeigte auf Professor Günther, „brauchen eine luxuriöse Umgebung, das weckt die kühnsten Gedanken.“ Der Tee war alle und die Uhr ging auf zwölf. „Der Uhr geht die Zeit aus, und wir möchten uns heute noch verabschieden,“ sagte Jappes. Frau Günther geleitete die Gäste bis zur Tür: „Gelt, Fräulein Pepy, Sie schauen mal nach den Hündchen.“ Pepy versprach zu kommen. Dann traten sie in die Nacht. Vom Salon bis zur Küche ist oft nur ein Schritt. „Eine liebe Frau,“ sagte Pepy, „ein glückliches Verhältnis, die zwei.“ „Sehr anständige Menschen,“ bemerkte Jappes, „die einem nicht sagen, daß man überflüssig ist. Aber es ist schön, die Rolle des Geduldetwerdens zu spielen.“ „Die Leute sind riesig nett,“ und Pepy hängte sich in Jappes’ Arm, „er ist ein entzückend liebenswürdiger Mensch. Siehst du, wenn du den Professor vom Katheder los machst, ist er auch ein Mensch ...!“ „Zu Hause ein Mordsvieh,“ unterbrach Jappes, „gewiß, aber immer noch furchtbar klug und sehr beschränkt. Mag sein, daß ich Vorurteile habe, für mich ist es eine Gesellschaft, die den Tee im Salon serviert, die Schwarte vom Schinken und die Rinde vom Käse herunterschneidet – sie aber in der Küche auffrißt, wenn der Besuch gegangen ist.“ Pepy zwickte Jappes in den Arm: „Jappes, du bist ein Kerl. Wie kommst du auf einmal auf den Gedanken? Mit dir kann man nicht reden. Sie waren doch sehr aufmerksam gegen uns, weshalb redest du das konfuse Zeug?“ „Ich meine nur so,“ sagte Jappes. Das Pflaster warf die hallenden Schritte durch die Nacht. Polizisten drückten sich in die Ecken, in ihre blauen Pelerinen gehüllt. Sie sahen aus, als fürchteten sie etwas Polizeiwidriges zu sehen. Aus der Ferne rollte das dumpfe Gedröhne eines Eisenbahnzuges. Manchmal schlich eine Katze duckend übers Trottoir und verschwand in einer Kellerluke. Der Wind trieb die Wolken von Westen. Jappes brachte Pepy bis zur Pension, wo sie wohnte. Ein Kuß, und dann Abschied. „Gelt Jappes,“ sagte sie, „die Hundchen waren doch nett.“ „Sehr nett, Pepy.“ Mitleid ist die letzte Form des Anstandes. „Ich reise mit dem Frühzug nach Stuttgart,“ sagte Jappes zum Portier der Vier Jahreszeiten, „richten Sie das Frühstück und wecken Sie mich um fünf.“ In seinem Zimmer schrieb er an Pepy: Mein Rudibub, ich wollte Dir den Abschied ersparen. In der Früh, um sieben Uhr, bin ich nach Stuttgart gefahren. Schreib, wenn Du etwas, oder mich brauchst. Ich bin Dein Freund. Herzlichst Dein Golliwog. Er fügte eine Visitenkarte bei auf den Namen Doktor Golliwog. Er schrieb darauf: Ich lasse meine Visitenkarten in Zukunft immer mit dem Spitznamen drucken. SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL Es gibt Menschen, die glauben, nur das Erhabene sei lächerlich. Der D-Zug eilte mit Jappes nach Stuttgart. Armida lag schlafend wegen Unpäßlichkeit. Ida Telluren bereitete Jappes einen emphatischen Empfang. Als Geschenk brachte er eine Büste von Schiller. Die Tante war im siebenten Himmel. „Herr Jappes,“ rief sie aus, „das ist schön von Ihnen, oh! wie liebe ich Schiller! das ist schön, Herr Jappes. Wir müssen zur Akademie hinüber, in die Solitude,“ sagte sie mit stolpernden Worten, „dort ist mein Heiligtum. Wo Schiller die Räuber schrieb.“ Jappes dachte: ein romantisches Tantchen. Ida Telluren führte den Gast in ihr Schillerkabinett: Gipsabgüsse, Aquarelle, Marmorbüsten, Kupferstiche, Oeltempera, Terrakotta und Majolika – alles Schillerdarstellungen. „Freund Armidas,“ nahm sie seine Hand, „das Traurigste, was ich in meinem Leben empfand,“ – und sie zeigte auf den Abguß einer überlebensgroßen Schillerbüste – „Sie wissen, daß Dannecker in einem Anfall geistiger Umnachtung noch soviel Bosheit fand, die Stirnlocken des Dichters wegzumeißeln.“ Mit zitternder Hand strich sie über die fehlenden Locken und vertraute ihrer Schürze einen salzigen Tropfen an, der von der tantigen Wimper troff. „Wir müssen am Nachmittag auf den Bopser,“ unterbrach sie die schluchzende Rührung, „nach der Schillerhöhe, ein Platz, der dem Dichter gebührt.“ Die weiße Haube einer Zofe gab zu an daß der Tee serviert sei. Jappes und Tante Telluren überboten sich in Höflichkeitsphrasen, wem der Vortritt gebühre. Die Tante als die Klügere gab nach. Mit der Schillerbüste unter dem Arm, trat sie an den Teetisch. Ein Papagei rollte modulierend L-o-o-r-r-a, Lorra. Nur durch die süße Vermittlung eines Stückchen Zuckers war er stumm zu machen. Die weichsamten-diaphanen Hände von Ida Telluren griffen nach der Teekanne. „Ich weiß nicht, was für einen Trost ich in meinem Alter gefunden hätte,“ seufzte die Tante, „wenn Schiller nicht geboren worden wäre.“ Sie servierte Jappes ein Stück Sandkuchen. Eine große Rosine gähnte in dem körnigen Gebäck und mit einem bißchen Phantasie war es anzusehen wie ein malaiischer Zyklop. Jappes liebte süße Aufmerksamkeiten: „Sie sind noch jung, erlauben Sie, daß ich Sie Tante Telluren nenne,“ schmeichelte er, „wenn man eine solche geräuschvolle Umgebung aushalten kann,“ – und er zeigte auf den Papageienzwinger – „dann hat man noch gesunde Empfindlichkeitssträhne.“ „Mit den Nerven bin ich nicht geplagt, gottlob, und Veronal nehme ich selten. Höchstens als Gegenwirkung für Kaffee.“ Sie lächelte beschämt, weil sie etwas Intim-Tantenhaftes preisgegeben hatte. „Jedenfalls eine gesunde Konstitution,“ bemerkte Jappes, „mir wäre Opium angenehmer,“ fügte er feinschmeckerisch hinzu, „wegen der üppigen Träume, die man im Schlafe noch gratis vorgefilmt bekommt.“ „Opium hat einen lasterhaften Beigeschmack und ich leide eigentlich nicht an Traumlosigkeit. Ich habe mich schon nach einem Antitraumin umgesehen, aber die Apotheker führen das nicht. Ich habe manchmal absonderliche Träume, wenn der Sturm draußen um die Fenster paukt: An einem stürmisch-kalten Novemberabend träumte mir, ich erhalte hohen Besuch. In der Eile goß ich eine Tasse Kaffee über das lilienreine Tischtuch. Bin vor Schreck aufgewacht ... und dachte nach über den Traum, es war klar, was er bedeuten sollte: Die Ankunft Schillers, denn es war der 10. November, der Geburtstag des meistgefeierten Deutschen. Heute beschleicht noch eine bittere Wehmut mein Herz, wenn ich daran denke, daß der Kaffeeklecks – (übrigens ein wunderbarer Schillerkopf) – mir das hold-elegische Gesicht vorenthalten hat, denn der Traumgott hatte mich ausersehen, den hohen Gast zu bewirten.“ Jappes fand, daß seine Bildung noch lange nicht ausreichte, die Träume der Ida Telluren zu deuten. An den traumdeutenden alttestamentarischen Joseph dachte er nicht, denn Tante Telluren hatte mit Potiphars Weib nichts gemeinsam, und es war keine Gefahr, einen Mantel zu riskieren. Die Frau ist eine Blume des Paradieses, die nach dem Sündenfall ihren Namen verloren hat, deshalb wird sie heute so verschieden klassifiziert. „Ich hatte einen erbaulichen Traum,“ plapperte die unermüdliche Tante, „ich sah meine Nichte in einer Nische der Kirche als Mutter der immerwährenden Hilfe. Viele junge Männer kamen, Armida ihre Not zu klagen. Sie erhörte alle. Von Milde und Güte war sie durchschauert, daß ich mir das Bild von einem tüchtigen Pinsel in Farbe gewünscht habe.“ „Ein schöner Traum, ein erhabenes Bild, wahrlich, Armida kann jeden Pinsel entzücken!“ Und Jappes begoß seine Zunge mit der würzighellen arabischen Brühe. „Ihr Wesen ist Liebe,“ sagte die Tante mit sanfter Gebärde. „Armida voll Klang und Melodie. Klingt es nicht wie ein Teufelswort, wenn man sie die Tochter Arbilans, des Königs von Damaskus, nennt. Doch täuschend ist ihr Bild, so zauberisch-schön, und Männer wird sie auch dereinst verwirren wie Arbilans Tochter mit den Christenhelden tat. Rinaldo war ein tapferer Held, den sie in ihren Zaubergarten in Antiochia lockte und durch Wollust seinem Tatendrang entzog.“ „Tante Ida, Sie sind eine kluge Sibylle. Armida ist verführerisch-schön und weiß die Männer auch zu locken. Soll ich etwa ein Rinaldo sein, meine kluge Sibylle, fürwahr, es wäre keine Schande, tatenlos in ihren Gärten zu verweilen.“ „Tapferer Freund, am Teetisch lernt man eines Mannes Werte kennen. Herr Jappes wird schon seinen Gottfried finden, der ihn vom süßen Taumel löst im Zaubergarten der Armida; mir bangt nur, daß Torquato Tasso mit der selten-ausgereimten Frucht der listig schönen Magd Armida meines Schillers Räuber einst verdrängen wird?“ „Tante, in Ihrem großen Herzen wird wohl Platz für beide sein, Rinaldo war doch auch ein Räuber ...“ „Recht, mein Freund,“ sprach Frau Telluren, „für ideale Räuber gab es immer Platz in meinem Herzen und wenn mein neuer Räuber einst mein Neffe wird, soll er in meinem Herzen eine warme Kammer haben.“ Die Abreise beweinte Ida Telluren in stiller Abgeschiedenheit. Erst die abendliche Ruhe löste ihre Stimme. „Ein schöner Tag im reinsten Licht,“ klang es der Zofe an die Ohren. Der Tante Wunsch war, in der Nacht dem Neffen mit der Nichte still im Liebeszwiegespräch zu lauschen. „Gott segne meine Träume,“ war ihr Gebet voll Innigkeit. Dann klappten ihre Augen zu. ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL Mitmann, wenn deine Freundin sich nach deiner Mitfreundin erkundigt, tut sie es nicht immer aus Eifersucht, sondern manchmal auch aus Neugierde. „Vielleicht steigen wir in Erfurt aus und kaufen der Tante Sonnenblumensamen für die Papageien,“ sagte Jappes in Ritschenhausen zu Armida, „dort gibt es die größten und besten Sämereien.“ „Du scheinst dein Herz ummöbliert zu haben seit deiner Münchener und Stuttgarter Reise,“ warf Armida nachlässig hin, „und wenn du mich ganz ausrangieren willst, tu es bitte gleich und gebrauche keine langen Flausen, dich von meiner Nebensächlichkeit zu überreden.“ Dabei sah sie seltsam-schön aus. Um ihre Lippen zuckte ein nervöses Lächeln und ihre Nasenflügel erbebten. Sie hielt die Augen geschlossen und die Locken tropften über ihre Stirn. Ihr leichtbrauner Teint, der sich unter den untern Lidern zum Halbbogen verdunkelte, diente dem kastanienbraunen welligen Gelock als Folie. „Gott, die Circe ist schön,“ dachte Jappes. So seltsam unruhig hatte er sie nie gesehen. „Die Galle muß ihr ins Blut gelaufen sein,“ phantasierte er weiter, „sonst ist sie weiß wie Alabaster und flaumig-rosig wie ein Pfirsich,“ aber von ihrem Gesichte kam er nicht mehr los. Sie saß unbeweglich und ein blaugesprenkelter Reiseshawl wehte um ihren Kopf. Sie schien dem Poltern der Räder zu lauschen und ein rieselndes Vibrieren durchlief sie. Die eigenartige Wollust des stampfenden Rollens zeichnete zuweilen in ihren Zügen die Gier, sich von diesen drehenden Rädern zermalmen zu lassen. Jäh zuckte sie dann zusammen und ein Schauer krampfte in ihr. Ein Schauer, der ihr die Lider preßte. Sie riß die Knie aneinander und biß die Eckzähne zusammen, daß ihr Gebiß aus der klaffenden Muschel der Lippen leuchtete. Ein frostiger Schauer warf ihr die Schulter hoch und eine Sekunde oder zwei schien sie im Trancezustand, so entrückt war sie allem Irdischen. Wie das Meer war sie, im jähen Wechsel zwischen körnigem Gekräusel und brüllender Gier und glatter lauernder Ruhe. Jappes liebte es, sie so zu sehen. Er wußte, dann gab es einen wilden Kampf in ihr. Sie haßte die Gleichgültigkeit, mit welcher er sich ihr gegenüber benahm und doch hatte sie ihm gesagt, er solle sich keine Schmeicheleien erlauben, denn sie halte ihn keiner fähig, er solle ihr nie den Hof machen und seine Aufmerksamkeiten nicht in eine überschwengliche Form kleiden. Er solle Jappes sein, hatte sie ihm befohlen, so wie sie sich ihn denke. Er liebte zu sprechen und als seine Bewunderung für Armida bis zu dem Grade gesteigert war, daß er ihre Stimme vernehmen wollte, lehnte er sich hinüber und flüsterte: „Armida, heute möchte ich nicht Jappes sein. Heute ist es uns zu schwer, die Harmonie unserer Seelen richtig zu finden. Hat dich die Reise ermüdet?“ Armida hielt die Augen geschlossen und flüsterte zurück: „Ich ertrage schwer, daß du nicht bei mir bist. Hat dein Münchener Rudibub dich so fest umstrickt?“ Sie sagte es mit einem langgedehnten Satz, und ihre Frage klang bestimmt wie ein Ausruf. „Du verstehst das nicht mehr, Freundin. Die naive Liebe und Pepys Jugendlichkeit haben meiner irrenden Seele viel Glück gebracht. Ich lache, wenn ich das Fremdwort meiner Seele höre. Pepy liebt mich nicht. Sie liebt etwas in mir, was sie ahnt und was mir nicht gehört, Pepy liebt Menschen aus Mitleid und mich liebt sie, weil ich mit dem Glücke spiele. Pepy ist das naive Verhängnis im Kampf mit den Urgewalten der Triebe. Ich bin zu feig, um mich über das Glück zu freuen und Pepy ist zu schwach, um das Glück zu genießen. Ich bin vermessen gegen das Glück meiner Jugend und das ist mein erstes tödliches Gebot.“ „Und das zweite?“ fragte Armida ... Jappes fürchtete sich vor dem Blick, der die drei Worte wie eine düstere Melodie begleitete. „Das zweite in mir ist, mit Seelen zu spielen, wie wir es tun. Ich möchte sagen das böse Prinzip, das Dämonische. Aber beide Gebote schließen sich ein.“ Er sagte es mit einem fixierenden Blicke und betonte jedes Wort, was dem Satze das Gepräge eines Vorwurfs gegen Armida gab. „Ich bin müde,“ sagte sie, „meine Gedanken haben mich ermüdet. Erzähle mir von Pepy und von deiner Liebe, ich freue mich an eurem Glücke. – An eurem kranken, menschlichen Glück!“ Jappes erzählte ihr die uneheliche Geschichte der Mutter Pepys aus dem Tagebuch des Malers Geraldo und erzählte ihr die Pfandhausszene. Jappes liebte Pepy teils aus Mitleid, weil sie ein apokryphes Mädchen war, teils aus Stolz, denn die Welt sieht nicht gern, daß uneheliche Mädchen Verehrer haben! – Die Welt liebt es nicht, den Selbstmördern ein liebevolles Andenken zu bewahren. Selbstmörder und Uneheliche sind Menschen, denen ein apokalyptisches Zeichen anhaftet, das wir nicht zu deuten vermögen: „Ihre piksüße Innigkeit“, fuhr Jappes in seiner Erzählung fort, „und ihre schmiegsame Anhänglichkeit sind es, was ich an Pepy liebe. Sie hat Künstlerblut und einen regen Geist, es gibt noch vieles in ihr zu wecken, und viel Waches in ihr zu ergründen. Von Pepys Seele habe ich dir mehr gesagt, als sie selbst davon weiß, der Verkehr mit ihrer Seele ist mir kein Spiel. Mit einem Verhängnis kann man nicht spielen.“ „Ich glaube, du wärest imstande, Pepy eine Liebeserklärung zu machen.“ Sie warf ihm einen kätzchenpfotenweichen Blick zu, und Jappes bemerkte: „In einem süßen Blick liegt immer eine Schlinge.“ Armida: „Das Lächeln einer Frau ist eine Gunst, die sie dem Mann erweist.“ Jappes: „Wenn Frauen geben, haben sie immer einen Wunsch. Ich fürchte diese weiblichen Danaer.“ Sie: „Für mich ist es kein Grund zu trauern, wenn du eine gute Freundin hast.“ Jappes war gereizt: „Wenn Frauen weinen, sind ihnen alle anderen Waffen ausgegangen. Und du weinst nicht. Ich möchte ein wenig in deinem Arsenal herumstöbern und deine Angriffsrequisiten ansehen. Tante Telluren hat uns schon getraut. Wir sollen in der Ehegaleere durchs Leben schiffen.“ „Tanten vermischen oft Traum und Wirklichkeit,“ erwiderte Armida und lachte ihr seltsames Lachen. NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL Die Menschen sind das beste Bildungsmaterial. Es wird durch unseren Umgang abgenützt, erneuert sich aber selbst an uns. Pepy verlebte Tage harmlosen Glücks. Sie war in dem Alter, wo junge Mädchen anfangen, über ihre Begierden nachzudenken, in den Jahren, wo junge Mädchen noch selbst die knospende Fülle des Busens streicheln und in schüchterner Sehnsucht an ihre Bestimmung denken. Uebermütig wie ein junges Füllen, sanft wie ein Täubchen, lieb wie ein Kind und manchmal der unglücklich-phantastische Zug, den sie wohl von Geraldo hatte. Sie wußte, sie trug eine fatale Bestimmung mit sich. Hatte eine große Vorliebe für illustrierte Romane und Märchen. Hatte nicht durch Zufall Busch- und Andersen-Märchen gelesen, Meyrink und E. T. A. Hoffmann nahm sie in Stunden der dunklen Gedanken. Merkwürdig genug zu hören, daß alle ihre Vorstellungen in ihr irgendeine graphische Form auslösten. Ihre Freude war nicht ohne Besorgnis, als sie ihr Talent entdeckte und an die Mutter dachte, an den Weg, den diese gegangen war; in Freude und Erwartung, in Schmerz und sterbender Enttäuschung. Jappes hatte für Pepy gesorgt nach seiner Bekanntschaft mit Armida, hatte sie in eine der besten Pensionen gesteckt und ihr Geld für ihre Garderobe zur Verfügung gestellt. „Ich kann doch nichts annehmen von dir,“ hatte sie anfangs gesagt, aber es war Jappes nicht schwer geworden, sie zu überzeugen, daß eine schöne Ausstaffierung ihr gar nicht unwillkommen sei. Sie fügte sich und sah es als einen guten Wink ihres Schicksals an, daß ihr nach den paar Monaten großer Entbehrungen auf einmal soviel Glück – denn Geld ist Glück! – in den Schoß fiel. Er hatte ihr gesagt: „Pepy, du bist im Zeichen Merkurs geboren und wirst immer Geld im Ueberfluß haben.“ Pepy glaubte ihm, vergaß aber, an die Vergangenheit zu denken. Sie wußte, daß Jappes sein Wort hielt und er hatte versichert: Er habe Geld, solange die anderen welches hätten, und er sei nicht gesonnen mit dem Gelde der anderen sparsam zu wirtschaften. Ehe die Reise- und Abenteuerlust Jappes nach Berlin verschlugen, pflegte er mit Pepy zu beratschlagen, was aus ihr werden solle. Er nannte es den „Familienrat“. Es war das reinste Idyll, wenn sie zur Beratung zusammenkamen, immer in der Bude von Jappes. Er dachte gerne an die Stunden zurück, wenn Pepy die Brote strich und er den Tee übers Tischtuch goß, wenn Frau Wertheim der Sicherheit halber an der Türe erschien, um zu fragen: Ob der Herr Doktor Jappes nichts benötige? Er dachte gerne an die schwesterlich-traute Sorge, die Pepy für ihn hegte und fühlte sein Herz von Bruderliebe durchpulst. Er sah es nicht als Tugend an, daß er Pepy so gelassen hatte, wie sie zu ihm gekommen war. Ihm schien alles wie ein romantischer Studentenwitz, ein junges Mädchen, frisch und rosig, sein eigen zu nennen, dabei die Grenzen des Unerlaubten nicht zu überschreiten. Pepy war ihm so ergeben, weil er sich trotz seines lebhaften Temperamentes in der Tat sehr anständig benahm. Jappes selbst deutete sein „kavaliermäßiges“ Benehmen Pepy gegenüber nur als ein Schnippchen, das er dem allgemeinen Umgang zu schlagen suchte – nicht so zu sein wie die anderen. Er war zu ehrlich und zu klug, ein Mädchen verführen zu wollen, denn trotz allem Barock-Burschikosen und allem Sinnlich-Unausgeglichenen stak ein guter Kerl in ihm. Er war nicht nur Student, sondern auch Mensch, der den Charitasgedanken nicht mit den leeren Worten tonsurierter Dunkelmänner predigte, sondern auch in die Tat umsetzte. Es ist schwer, das Rätsel der naiven Liebe zu ergründen. Man weiß nicht, was sie ist, nicht was sie will. Nicht alle naiv-verliebten Werthergestalten endigen mit einer Knallerbse. Dazu ist die moderne Zeit nicht mehr dumm genug. Unsere Zeit ist eher dazu angetan, die Idee der platonisch-naiven Liebe in einer Wertherform zu opfern und sich für erlittene Unbill durch olympische Blasiertheit schadlos zu halten. Der junge Werther in Sturm und Drang mit dem romantisch-knallenden Tode ist eine Parallele zur enttäuschten Jugendliebe. Und ist der klassisch abgebrühte Goethe nicht eine Parallele zum blasierten Junggesellentum? – ein Parallelismus, der nicht mit Winkel und Reißschiene nachzuweisen ist! Jappes trug Pepy eine ganze Bibliothek Kunstschmöker zu. Sie beeilte sich, die Lücken ihres Wissens in Gemeinschaft mit ihm zu füllen: „Wenn du auch einstweilen nur über die Kunst orientiert bist, das aber weißt du doch gründlich,“ meinte der Freund. Pepy lachte, war stolz auf ihr Wissen und ihren geschäftigen Impresario. Wenn Gott kein Künstler wäre, hätte er keinen nackten Menschen erschaffen dürfen. Pepy trat in die Kunstgewerbeschule ein. Dasio und Ehmke lehrten sie die Kniffe der graphischen Praxis. Das Neue lockte sie. Der Holzstock und die eigene Technik, welche aus der Uebung entstand. Das neue Leben gefiel Pepy. Die strenge Arbeit, die Betätigung des ganzen Talentes, der Ehrgeiz, eine gestellte Aufgabe originell zu lösen. Das Bewußtsein, etwas zu können, der Wunsch, etwas Großes zu werden, die erbauenden Stunden an der vollendeten Technik Holbeins und Dürers. Die Anregung der Klasse selbst und deren Auffassung, das Lehrerkorps und die Studenten beiderlei Geschlechts allegorisierend darzustellen. Das laute Hallo, wenn ein Professor unter irgendeiner Tierform herumgereicht wurde. Mit tropfenden Knüttelversen bekleckste Skizzierbogen, die lustig-intimen Feste und kleinen Verschwörungen, die Großzügigkeit, mit welcher man sich gegenseitig die Lächerlichkeiten austrieb. In ihrer Umgebung sah Pepy die werdenden Künstler, das Sichloslösen von den Stänkereien des Alltags, alles Allegorie und epigrammatische Zeichnungsmethode, neben der zensurierbaren Arbeit der obligatorischen Stunden, welche Anspruch auf ernste Auffassung haben mußten. Die Kunstgewerbeschule ist kein Institut für Mädchen, deren rote Hautpigmente zu nahe an der Oberfläche der Gesichtsfassade liegen. Für künstlerisches Schaffen ist das sinnliche Gleichgewicht ein Postulat, und das erotische Prinzip überdeckt ein großes Areal unserer sinnlichen Welt. Welcher Künstler könnte im Taumel ein großes Werk schaffen! Im Taumel wird die Idee konzipiert und wenn der Künstler genügend Abstand gewonnen hat, wenn alle Eindrücke auskristallisiert sind zur konsistenten Masse schöpferischer Kraft, dann entsteht das Werk einer stilisierten oder idealisierten Form, oder unter natürlicher Gestalt, beleuchtet von dem Scheine künstlerischen Schauens. Anfangs fand Pepy Anstoß an der Natürlichkeit des Akt-Zeichnens. Es dauerte nicht lange, bis sie alles als künstlerische Natürlichkeit hinnahm. Das angenehme Gift lasziver Perversität, das in den sprühenden Zötchen genießbar herumgereicht wurde, machte Pepy mit der Theorie der sinnlichen Praxis vertraut. Die Wahrheit Salomons stammt aus dem Harem, seine Moral ist eine sündige Frucht in heiliger Packung. Sind wir Männer nicht alle Bösewichte, die junge Mädchen verführen wollen, und sehen wir nicht immer mit der größten Empörung, wenn ein anderer dasselbe getan hat. Oh! wir geilen Bocksgesichter mit der Maske des moralischen Anstandes können vor dem ewigen Richter nicht bestehen, am Jüngsten Tage, wenn das Tal Josaphat von verführten Freundinnen wimmelt. Trauern wir in Sack und Asche, ehe die Tage da kommen, von denen der Prophet lamentiert: Ihr Berge fallet über uns und ihr Hügel bedecket uns! Wer wollte beim großen Gerichte an die Brust schlagend bekennen: Das Blut derer, die wir verführt haben, komme über uns selbst. Wir lüsternen Feiglinge mit dem grinsenden Faunskopf haben der Frau in ihrer aufopfernden Gläubigkeit die Fabel von der Schlange erzählt, um sie kirre zu machen für unsere armseligen Hundebegierden. Wir taumeltrunkenen Silene, Ritter vom Phallus, haben die groteske Gebärde der Zeugung erfunden, weil unsere Begierde sich nicht genug an uns fressen konnte. Erdenwurm! du pflanzest deine Art fort in brünstiger Betäubung und auf dem Todbett quält dich noch der Kitzel des Fleisches. Der Tag ist schon nahe, an welchem alles in erotischem Wirbel ertanzt und Eros schwingt seine Fackel um die gleißenden Fliegen des Alltags. Wir malen das Fleisch mit raffinierter Exaktheit, unsere Musik erschauert vom Zucken verhaltener Begierde. Schreit nicht alles: Komm, nimm mich, Leben! Tanzen wir nicht die Begierde mit lässigem Schnörkel, sind unsre Tänze nicht Symbole der Unzucht? Wie soll uns Erlösung werden aus dem Pfuhle der Sünde! Christus kann sein consummatum est nicht mehr von Golgatha rufen, Christus der Langverheißene, der bewußt in den Tod ging. Ein göttlicher Selbstmörder, der sich im Freitod von aller Begierde lossagte, aller Liebe entschwor, das Leben von sich warf, als Jugendsaft ihm seine Lenden schwellte. In Pepy wuchsen die Begierden der Jugend, erst weiche Pfötchen und zahnlose Mäuler, dann spitzige Krallen und verschlingende Schlünde. Jappes lehrte Pepy, die Tiere bändigen: „Durch Hunger macht man sie zahm.“ Und Pepy hungerte nach Liebe. Alle die freundlichen Freunde umlungerten Pepy: Die Musik und die Männer, die Tänze und ihr eigen Geschlecht. Der fatale Geist ihrer dunklen Seele flüsterte: der Weg zur Erlösung geht über die Trümmer des Verderbens! Pepy wollte rasch zur Erlösung kommen und die Verführung lauerte, sie ins Verderben zu jagen. DREISSIGSTES KAPITEL Wer früh über seine Jugend urteilt, tut seinem Alter leicht Abbruch. Arco Calvandi hatte drei Viertel seines Vermögens in Monte Carlo beim Roulette verspielt. Zur Erholung von seiner entnervenden Anstrengung war er nach Chamounix gefahren und von dort schrieb er einen Brief an Armida: Hochgnädige Teuerste, mein Vermögen ist bis auf ein Viertel den Lauf alles Rollenden gegangen. Ueberzeugt, daß meine Kinder eine würdige Nachkommenschaft sein werden, habe ich mich entschlossen, zu heiraten und meine Rolle als Vater sehr ernst zu nehmen. In den Alpen ruhe ich mich aus von den zukünftigen Strapazen. Einen Onkel, der auf dem Mars gestorben ist, gilt es zu beerben. Ich verstehe es, zu erben. Die Zuzugsbedingungen zum Mars sind sehr erschwert. Vorläufig bewerbe ich mich um den Prix Montyon, denn tugendhaft können meine Vorsätze alle genannt werden. Meine Kinder, oh, ich küsse die lieben Dingerchen in zärtlicher Vaterumarmung, werde ich davor warnen, Glückspiele zu üben. Quarante-et-un und Poker und Pharao und Roulette und Bakkarat sei die verfemte Fünf, die nicht in ihr heilig-junges Leben spielen darf. Das sind die fünf Laster der Reichen, werde ich ihnen sagen und heute bete ich: Gott schütze meine Kinder vor Reichtum. Hochallergnädigste Fraue! Mein Leben ist ein Zickzack mit zwei Pfeilen. Darf ich zu Ihnen eilen, den Balsam Ihrer Nähe zu trinken und mich an der Gleichgültigkeit erbauen, mit welcher Sie meine Anwesenheit dulden. Darf ich zu Ihnen kommen? Ich habe Ihnen so vieles zu verschweigen. Ich hoffe, Gnade bei Ihnen zu finden, weil ich überzeugt bin, daß Sie ohne mich kaum unglücklich werden könnten. – Sonst erschieße ich mich über sieben Tage ab heute courant um 4.45 nachmittags in meinem Schlangenkabinett, auf daß niemand mehr sage, kein Mensch weiß, wann und wo er stirbt. Ihr alleruntertänigster hochfraulichen Wünschen lauschender Arco Calvandi. P. S. Meine Wahl habe ich getroffen, die Braut sollen Sie sein. Es gibt Fakultäten, für welche gewöhnliche Professoren zu klug sind. Arco Calvandi war Doktor der sportlichen Fakultät und beehrte die Vie Sportive mit gelehrten Artikeln über den Hürdenlauf. War Amateurreporter der meisten sportlichen Veranstaltungen, setzte Preise aus in Auteuil, Chantilly und Vincennes. Konkurrierte in Longchamps und in den Maisons-Laffitte. Geschah etwas Verrücktes bei einem Rennen, so murmelte man unwillkürlich den Namen Calvandi. War gewissenhaft wie ein Beichtkind, verließ beim Sechs-Tage-Rennen das Velodrom keine Sekunde, um alle Wechsel zu notieren. Ließ sich, während er schlief, von seinem Diener vertreten, der bei Gott nicht wußte, weshalb die Rennfahrer stundenlang Ellipsen fuhren. Der Diener händigte Arco Calvandi den Notizblock unbeschrieben aus: „Sie haben immer gewechselt, die Rennfahrer, und jetzt fährt nicht einer mehr von den alten. Ich schrieb nichts, weil ich nicht wußte, wie schnell auch die andern verschwinden würden.“ Arco Calvandi gab ihm ein Trinkgeld so hoch, daß selbst der Diener sich schämte, es zu nehmen. Er liebte es, die Dummheit zu bezahlen. Bei Ehre, er gab oft Trinkgelder, weil er viel mit Menschen zusammen war. Innenleben hatte Calvandi nicht, seine ganze Seele war mit erlebten Tatsachen gepolstert. Zum Nachdenken hatte er keine Zeit, für die Zukunft hatte er keine Berechnung. Er lebte dem Augenblick in maßloser Verschwendung. Reiche Naturen sind verschwenderisch nach außen und nach innen, leben das Leben der anderen und sind immer der Mittelpunkt, um den sich ihre Umgebung dreht. Wenn ein Augenblicksmensch mit seiner spontanen Handlungsentschlossenheit von der berechnenden Vernunft überrumpelt wird, setzt es immer eine Katastrophe. Er war eine von den seltenen Ausnahmen, die, wenn die Liebe über sie kommt, vernünftig werden, weil die meisten Menschen, so die Liebe sie durchglüht, reif für den Affenstein sind – und Arco Calvandi war unter normalen Verhältnissen verrückt. Sein Benehmen war verrückt, obwohl seine Neigung zu Armida sehr vernünftig war. Kaum hatte er den Brief abgesandt, als er zur Post eilte und ein dringendes Telegramm aufgab: „Armida, laß dir zwei Millionen und mich antrauen. Es wird mein Glück sein.“ Herr Arco war ein fünfundzwanzigjähriger Junggeselle, der mit dem Leben abgerechnet hatte und darüber nachzudenken pflegte, wie er sich bei einer zukünftigen Krankheit verhalten würde. Wenn er sich von seinem Mittagsschläfchen erholt hatte, ließ er den Tee an den Diwan bringen und seufzte: Armida. Es ist schwer, die Psyche eines Junggesellen zu ergründen und sich in den abgrundtiefen Schächten ihrer Junggesellenwelt zurechtzufinden, im Gewimmel grinsender Schrullen und hüpfender Steckenpferde. Junggesellen pflegen, wie der allmächtige göttliche Hagestolz, ihren eigenen Werken die größte Bewunderung zu zollen, pflegen ihre Lieblinge mit der Gunst ihrer Freigebigkeit zu beehren und den infamsten Groll über ihre Widersacher zu entladen. Sie treiben ihre Liebe bis zur Entselbstung und kommen dadurch meistens wieder zur Originalität zurück, die sie durch den Mottenfraß ihrer Zurückgezogenheit in sich selbst eingebüßt haben. Herr Arco Calvandi hatte seine Steckenpferde alle zu Tode geritten, und was blieb ihm noch übrig, als seine aktiven Kräfte in der Narkose der Ehe einzuschläfern? EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL Wäre die Kunst Gemeingut, man könnte den Sinai abtragen. „Sie haben den reinsten Kunstsalon,“ sagte Pepy zu Professor Günther, „das muß ich mir mal alles ansehen.“ „Oh, bitte, bitte,“ dienerte Herr Günther, „gnädiges Fräulein soll sich ungeniert umsehen. Originalkopien und Originaldrucke!“ – „und wunderbare Rahmen in passender Ausführung,“ ergänzte Pepy. Der Geschmack des Professors fühlte sich angenehm gekitzelt. In der Sammlung gab es nur feinste Kultur und höchste Rasse: Aus der oberdeutschen Schule die leckere Frau Venus mit dem putzigen Cupidobuben von Cranach dem Jüngeren. Von seinem künstlerischen Namensvetter, Lukas dem Alten, der Untergang Pharaos. Zwei Originalkopien der holländischen Schule: eine kranke Ziege von Du Jardin und ein seltsam juckendes Bild von Dou, eine greise Mutter, welche junge Läusebrut auf einem Bubenkopf zerstört. Pepy dachte, das ist höchste Rasse, würde Jappes sagen, weil sie obenauf krabbeln. Der Professor deutete ihr Lächeln auf das komische Motiv. Der Barberinische Faun, in einer feuchten Nische von lebendem Efeu umrankt, grinste sein übermütiges Satyrlachen im Schlaf. An der Wand die seltsame, rätselumlauerte Medusa Rondanini, und des großen griechischen Meisters Boethos Gans mit den ringenden Knaben. Der Kopf des phantastisch-phantasierenden Homeros, mit einem Auge die olympischen Ueberfreuden schauend, mit dem anderen das Tosen der Feldschlacht verfolgend. Demosthenes, der klassischste Kopf Athens, der Kieselstein-lutschende Bürger der Polis. Die große Allegorie mit den Triumphen Petrarcas, aus der Schule von Andrea Mantegna: Ruhm und Zeit, Ewigkeit, Keuschheit und Tod. Murillos Betteljungen, Trauben und Melonen verspeisend. Ein paar Gelegenheitsbilder, teils Geschenke, teils zufällige Ankäufe – modern chaotische Farbenagglomerationen, sprühend witzige Farbensynthesen, kraß grollendes Geschehen, hysterisch zusammengeschweißte Koloraturen, taumelnde Bewegung, pointilliertes Gestoppel auf schreiender Leinwand, drängend stoßendes Genie, im Ruck des Zufalls Unverdauliches prostituierend, visionäre Gestalten, apokalyptische Gebilde, hingerülpst, Unflat hingespuckt – da! – Linienwelle, Punkt, strebende Fläche, Strich, Klecks, ein Name: Dada im Bilde. Irrende Pinsel, und lachendes Niesen. Ein Stolpern der Farbe, geile Fetzen im Traume der Lues, Krüppelwesen in verquetschten Formen, krötige Brunst im Schlamme der Zeit, kreiselnder Drang und flatternde Lappen. Klassik: Meine Eisstücke kühlen dein siedendes Hirn. Moderne Kunst: Meine fliessenden Wasser treiben deine Mühlen. „Die Modernen machen sich das Handwerk leicht,“ begann Professor Günther die Unterhaltung, „sie schöpfen nicht, sie erschöpfen sich, aber sie scheinen ihre Kunst wirklich ernst zu nehmen.“ Pepy zog ihre Augen von einer kolorierten Zeichnung von Paul Klee und zu Herrn Günther gewandt: „Ist es nicht das erhabenste Opfer, sich im Dienste der Kunst zu erschöpfen? Unsere Künstler leben im raschen Wirbel der Zeit und dürfen nichts Ausgeglichenes schaffen. Sie müssen die Fetzen der Eindrücke gobelinartig zusammensetzen, um nicht fremd zu erscheinen. Sie wollen los von der Natur, von der Materie, sie wollen los von der klassischen Form, von der geraden Gebärde. Die Antike ist überwunden. Der beschleunigte Schritt der Zeit erlaubt nicht genau hinzusehen, sie wollen Seelen malen und wandelbare Eindrücke. Die Körper sind alle gezeichnet und das war nur ein Vorstudium für die Kunst der Gegenwart. Die Kunst hat nie eine Vergangenheit, die lebendige Kunst. Ein Moderner kann sich nicht an die Antike anlehnen, nicht an die Renaissance, nicht an das Barock. Gesetzt, die moderne Kunst sei eine Krankheit, auch eine Krankheit muß man ernst nehmen. Ein Künstler muß Lebendiges schaffen und das Vergangene ist tot.“ Professor Günther: „Die Pflanze und das Tier bauen ihre Gewebe aus dem Verfall ihrer Ahnen. Es ist die ewige Kette des Geschehens, in welchem jedes Lebende nur ein auslösbares und ein einschaltbares Glied bedeutet.“ Pepy: „Die Zeichentechnik ist das formhaft Kompakte, was der Moderne braucht, aber sein Erlebnis ist die vitale Substanz. Das Erlebnis kann so verschieden gedeutet werden, um den Ausgleich zwischen Außen- und Innenwelt herzustellen. Wir sind alle etwas Künstler geworden und unser Schaffen ist das Ringen unserer Seele, uns nach außen zu erleben. Unsere Kunst ist das romantisch-ironische Spiel, unser Selbst vor uns zu behaupten. Die Alten hatten das Monopol in ihrem künstlerischen Schaffen, sie waren die Träger der Idee, des Absoluten. Die wenigen Olympier hatten die Möglichkeit, ihre Träume nach eigenen festen Gesetzen zu gestalten, es gab nur Mensch und Tier und Pflanze und Träume. Ihr Betätigungsfeld war begrenzt. Sie schufen ihre Werke, um sich über die Nöte der Zeit hinwegzuhelfen. Sie schufen ihre Werke, um ihrem Ideal näher zu rücken. Aber sie schufen kein Leben, sie schufen Natur durch getreue Kopie des Gegebenen. Die Deutung ihrer Werke hat ihrem Schaffen den Inhalt gegeben.“ Professor Günther: „Ueber Ansichten kann man nicht streiten. Die künstlerische Objektivität hat den sittlichen Relativismus geschaffen, aus welchem die Gesetze unserer sozialen Entwicklungsrichtung geflossen sind. Die Idee mußte in einer Form auskristallisiert werden und die alten Meister vollführten die Sublimation in der Retorte ihres Geistes. Das wortgewordene Prinzip hat die Richtlinien für unsere ethische Entwicklung gezogen.“ „Die Modernen verleugnen die Antike nicht. Sie erkennen sie stillschweigend an. Sie schaffen auf einem neuen Boden. Das neue Prinzip in der Kunst ist die Anklage der Zeit, der Schrei der fiebernden Zeit, das Sichhineinbohren in den Charakter der kino-dramatischen Zeit; deshalb werden die Thesen der Kunstgelehrten zu schwindsüchtigen Dogmen. Die Kunstideologie der führenden Männer fußt in der Tiefe des Irrtums des individual Geschauten, und weil sie jedes Paktieren mit dem Geschmack der Masse ablehnt, muß sie abseits und fremd dastehen wie jede Utopie. Von ein paar Anhängern geglaubt, von ein paar Eingeweihten zum Popanz erhoben, sind die Kunstideen in klassischer Fassung unverdaulich für die praktische Sucht der Allgemeinheit. Der starre Dogmenglaube hat in der Philosophie den Skeptizismus geschaffen; so weckt auch die bedingungslose Unterwürfigkeit der kompromißlosen Klassik die Skepsis gegen das stereotyp-traditionelle Artistentum, gegen die Regel, die Schablone, gegen die Prinzipien. Kunst ist ein Lavieren zwischen Geist und Materie. Kunst entsteht in der Siedeglut der keimenden Jahre, und unsere Zeit ist zerfetzt. Ein ewiges Fließen und Wirbeln in zügellosem Rasen der Zeit. Wir sind alle mehr Künstler denn je, die Bewegung, die Fläche und die Linie stehen in einem anderen Verhältnis zwischen Anschauung und Wirklichkeit. Der Idee kommt man näher durch Schaffen illusorischer Typen als durch die Methode des naturgetreuen Konterfeis. Wie könnten die Klassiker unsere dröhnende Zeit malen! ... Wie gelänge es den größten, die stampfende Eile zu bannen ... Wie würde Goethe die bebende Hast der keuchenden Industrieapparate besingen ...? Die Alten verstehen die klassische Gebärde, aber nicht die wogende Bewegung der Seele. Die Antiken zeichnen ingenieurmäßig die verdauliche Behäbigkeit der hämmernden Mittelpunkte, aber die Bewegung fehlt, die weltflüchtige kämpfende Gier. Das Bestreben der Modernsten ist das Loslösen der Bewegung von der Form, und die Kritik will ihnen das Suchen verbieten. Die Kleinen sind die Vorläufer, die Verheißer der neuen Epoche, unwürdig im Vergleich zu dem, der da kommen wird, die Seele der pulsierenden Kräfte zu fassen. Die vielen suchenden Künstler im drängenden Sturm sind die Steine zum Aufbau der mächtigen Pyramide, auf deren Spitze der Große erscheint, um den Anachoreten der Wüste zu predigen ...“ Pepy war erschöpft von der langen Tirade, und Professor Günther stand bewundernd vor der jungen Kampfnatur, die ihm ihr unausgeglichenes Wesen zur Schau stellte. Er staunte den Willen des Mädchens an, weil sie die Tradition verleugnete und sich eine neue Welt zu schaffen gesonnen war. Ihre wirren, brandroten Locken über der pochenden Schläfe reizten ihn, und ihre junge lebende Fülle lockte wie die zittrige Glut ihrer Ausführungen. Ihre Begeisterung hatte ihn einen Augenblick gebannt, dann kam es ihm wieder ins Bewußtsein, daß er dieses junge Mädchen nicht zu sich geladen hatte, um Kunstprobleme mit ihr zu erörtern ... ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL Christus hat uns sein Reich gepredigt, aber er hat uns keinen Fingerzeig gegeben, wie wir es erkennen können, deshalb ist unser Irrtum Unwissenheit und schuldlos. Bei Kommerzienrat Winterstein drängten sich die Gäste. Die Zeit webte den Abend am westlichen Himmel. Lässige Paare schlenderten raschelnd durch das Laub der Parkwege der Villa in Tempelhof. Leicht erregte Gestalten, in animierter Stimmung, im Gespräche, von Tee und Wein und Kaffee, von Zigarren- und Zigaretten-Wirkung diktiert. Leicht fröstelnde Damen mit übergeworfenem Shawl, gütig gelangweilt der Unterhaltung lauschend. Die Kavaliere interessiert erzählend. Ein wohliger Rhythmus schwebte durch die Abendschatten, und taumelnd sanken dürre Blätter nieder. Ueber den spärlich nackten Baumgipfeln grinste der Mond, gelb wie eine Kunsthonigscheibe, auf die gesellschaftlichen Feinschmecker. Der Abend streute herbstlich herbe Gerüche in die steigenden Nebel. Frau Kommerzienrat in ihrer leichtgerafften Robe redete ihrem Gemahl eindringlich zu, und neben seiner geschwollenen Fleischigkeit sah sie aus wie die geschmackvolle Garnitur einer appetitlichen Platte. Armida und Jappes sprachen über Calvandis Brief. Herr Arco Calvandi wurde für den Abend erwartet, auch Doktor Seraph war geladen. Das Kicksen der Billardbälle sprang aus einem offenen Fenster in den Park: „Die Leute drinnen arbeiten tüchtig am Billard,“ begann Jappes, eine Zigarette inhalierend, „arbeitsames Volk, muß immer den Bizeps betätigen und Gehirngymnastik machen im Zusammenzählen der Pointen ...“ Armida im eleganten Ballkleid mit übergeworfener Mantille ging nachdenklich und achtete nicht auf das, was Jappes sagte. Ihre Gedanken weilten in der Welt ihrer Träume, Bekannten lachte sie ein automatisches Lächeln im Vorübergehen, oder sandte einen zeremoniellen Gruß hinüber. Jappes trat Kastanien entzwei, welche am Boden lagen und schnalzte zu dem knirschenden Platzen der aufspringenden Stachelschalen. Stieß hie und da einen unzufriedenen, einsilbigen Ruf aus: „Pf! ... Blöd! ... Puh! ... Hm ... Uuuh! ...“ „Du illustrierst deine Langweile,“ spöttelte Armida, „du hast nur ein Ohr für Lächerlichkeiten, auch deine Art, dich zu benehmen, treibt manchem die Galle auf. Meide die Gesellschaft, wenn sie dich ärgert. Auch in deiner Welt ist nichts wahr. Nichts ist originell, alles ist Gegenteil, Geist oder Widerspruch, Täuschung und Betrug an dir selbst. Dein Leben ist Ichsucht und Verleugnung der bestehenden Ordnung ohne Ersatz für dich. Deine mitleidlose Sittlichkeit ist für deine eigene Bequemlichkeit zugeschnitten, und der ätzende Humor mit der hingeluderten Ausdrucksform ist kein Beweis von Geist. Jappes, du bist mein größter Irrtum!“ „Mäßige deinen göttlichen Eifer,“ begegnete ihr Jappes ironisch, „der Narr ist mir noch nicht geschnitten, solange ich warm bin, hast du noch Aussicht, daß ich mich bessere. Bei allen neunundneunzig Namen Gottes! ja, ich bin ein großer Lump und will kein Hehl daraus machen. Sei dreimal verflucht, du Weib, weil ich dir folge, keinen Anteil an dir habe und doch nicht von dir loskomme. Wie willst du, daß ich dich liebe, wie in einem Roman, wie in einer Novelle, wie in einer Zote?“ Armida drehte sich mit einem unwilligen Ruck jäh um. „Flegel!“ Jappes pflanzte sich breit vor sie hin: „Freundin,“ sagte er demütig, „deine Nerven sind heute nicht für die Maximalbelastung berechnet. Wenn ich ungenießbar bin, so will ich mich erziehen. Gewiß, um Schönheit zu genießen, darf man mit keinem Mann vertraut werden. Ich bin noch nicht klug, nur kühn bin ich, und das ist keine Tugend. Der Mann ist ein gefährliches Prinzip. Ich bin durch eine Ironie der Natur geschaffen. Die Taten sehe ich nicht, ich sehe nur Zwecke und die Beweggründe der Menschen, und deshalb bin ich so geworden. Du wolltest mich für deine Bedürfnisse ausschlachten, und deine Vorwürfe gegen mich sind nichts als Erkenntnisse deines Irrtums. Wo ist deine große Toleranz, die manchmal dein Wesen bestimmt, alle Menschen zu entschuldigen? Mein Herz kriegt schier eine Gänsehaut, wenn ich die abgeschöpften Moralpauken aus deinem Munde höre ...“ Armida ließ Jappes stehen und eilte durch den Park der Villa zu. Jappes stand eine Weile still und paffte die blauen Kringel einer Zigarette in den Abend. Dachte nach über den plötzlichen Umschwung bei Armida und ging mit sich zu Gericht. Er richtete eine sich selbst verspöttelnde Anklage gegen den Bummler Jappes: Weshalb soll ich mich mit der trüben Neigung herumbalgen und zahm werden! Mensch, du bist ein lachender Fetzen im Wirbel deiner Gewohnheiten. Weshalb soll ich mich in die allzu engen Grenzen des Lebens zwängen? Ich tummle mich jenseits der Barriere, mache Kapriolen wie ein tolles Zicklein und ergötze mich am Feiglingsgewimmel, das nach Genüssen lechzt, sie aber nicht befriedigen kann, weil es sich müde an seinen Prinzipien und Moralparagraphen schleppt, unfähig, die huschenden Freuden zu haschen. ... Der Wert des Lebens steckt im Sittlichen? dann hat mein Leben keinen Wert. Abseits vom Leben geht ein dunkler Pfad, der Pfad der Isolierten, den soll ich gehen und mich zur korrekten Sittlichkeit erniedrigen? Was ist Sittlichkeit? Pilatusfrage! – Zum Schlagwort erniedrigte Lebensnorm, Thema einer kapitelweisen Abhandlung eines Lehrbuches der Ethik, Tummelplatz der Relativisten. Oh! die Sittlichkeit ist erhaben in den Lehrbüchern, in den Erziehungsanstalten, auf den Kanzeln, in der Gesellschaft. Sittlichkeit ist das Mutabor der Erziehungskalifen – sich damit zur Welt des Scheins zurückzulügen. Was ist Sittlichkeit? frage ich in den Zuchthäusern und Bordellen, was ist Sittlichkeit? frage ich in den Klöstern, in den Tiergärten und was ist Sittlichkeit? frage ich die kriechenden Legionen der Unterdrückten auf dem Wege nach Paria. Alle antworten mir im Chor: Knute und Knebel und Maske! Wiederum frage ich: Wer hat euch eure Sittlichkeit gelehrt? Im Chore fallen sie ein: – Unsere Sittlichkeit ist die Lüge, die vom Willen, sich im Leben behaupten zu müssen, vernichtet wurde. Unser ganzes Sein war Lüge, unser Glaube, unsere Hoffnung und unsere Liebe war Lüge, die Lüge an uns! Der Storch bringt die Kinder, der Weihnachtsmann die Geschenke, der Wauwau ist das böse Prinzip. Die junge Seele wird reif für die Lüge gemacht. Haben die materiellen Geister mit ihrer Freigebigkeit keine Zugkraft mehr, dann kommen die geistigen Kobolde und Wichtelmännchen, Engel und Teufel, Vergeltung und Sühne ... Der Löwe legt seine Pranken an das Gitter des Zwingers, die sittliche Barriere, die Freude und Freiheit umklammert, und brüllt in die Nacht U-u-u-a-h! ... Der tierische Schrei nach Freiheit, nach sittlicher Gerechtigkeit, nach der bestmöglichen erschaffenen der Welten. Der Appell des Instinktes an die Vernunft, die im Zwang der Erniedrigung in wollüstiger Selbstanbetung ihre Macht bewundert. Elend Gekreuch, den Ekel meiner Verworfenheit spucke ich dir in die lachende Fresse! Eifersüchtige sind tragische Figuren, die eine komische Rolle spielen. Der Abend schwieg im lauernden Dunkel und in Jappes kochte die Wut der Empörung. Er stieß einen gellenden Pfiff in die Nacht, riß ein paar Immortellen von einem Beete: „Narr sei klug!“ warf er hervor und lief dem Lichte entgegen. „Soll ich dich lieber mit meiner Abwesenheit beehren?“ fragte Jappes und reichte Armida die Immortellen. „Die Unterwürfigkeit ist die legitime Tochter der Erziehung, ich will die Tochter adoptieren und pflegen.“ „Bleib,“ sagte Armida, und dankend nahm sie die Blumen, „ich bedauere, daß du so bist, und wünsche doch, daß du so bleibst. Unterhalte dich gut und referiere mir über den Abend. Herr Calvandi kommt erst um elf Uhr an. Am Potsdamer Bahnhof. Such mich morgen auf.“ Reichte Jappes eine Karte, hielt ihm die Hand zum Kuß hin und verließ den Saal. Jappes dachte an Pepy und die Sehnsucht krampfte sein Herz zusammen. Mit verstörter Miene schritt er durch den Saal und trat an ein Tischchen, wo Erfrischungen für die Gäste bereit standen. Begrüßte ein paar Bekannte, wechselte gleichgültige Worte mit ihnen und suchte den Dämon zu töten, der in seiner Seele wühlte, seit Armida den Namen Calvandi gesprochen. Fräulein Flavia Winterstein konzentrierte ihre ganze Aufmerksamkeit auf Jappes. Sie war ein wundervollbusiges Mädchen, entzückend und weich wie die geträumte Begierde. Voll kecker Grazie und übersprudelnder Tollheit, wie ein taumelnder Schmetterling, der auf die leuchtende Blüte flattert. Sie liebte den bittersüßen Honig, den Jappes barg. Sie war geschaffen, die verwirrten Sinne des Gastes zu ordnen. Er stand mit unheiliger Braue wie ein grollender Gott: „Nanu,“ lächelte Flavia, „allein auf dem Ball? Einen Tanz habe ich für Sie reserviert. Sind Sie schon für den ganzen Abend vergeben?“ „Der Teufel tanzt heute mit mir den höllischen Reigen und die Geister der trüben Gedanken spielen dazu. Verflucht und zugenäht! Ich bin in einer verrückten Stimmung. Heute tanze ich nicht, kommen Sie später, wir verplaudern die Pause bei einem Gläschen Chartreuse.“ „Ich werde kommen,“ sagte sie entschwebend, und im Gehen ließ sie ihr schönes Lächeln zu ihm spielen: Cakewalk und Czardas, Pas-de-deux und Walzer, Foxtrott und Steps wechselten in rhythmischer Folge. Française artete aus in Cancan. Jappes entdeckte die lüsternen Blicke, verfolgte die lohende Brunst, die nach einer Umarmung geilte, kippte Glas um Glas, und die Sehnsucht folterte ihn. Er wünschte mit Pepy zu tanzen, wünschte sich an ihrem lodernden Jubel zu berauschen, wenn sie mit fliegenden Locken und erhitztem Fleisch dem Tanz ihre Hingebung weihte. Dachte an Armida, und eine Blutwelle schoß ihm jäh in die Schläfe. Verließ den Saal und trat in die Stille. Lehnte sich an einen Baum und lauschte dem Huschen der Schatten, horchte dem Schritt der Einsamkeit, die lautlos durch die Nacht ging und seine Seele mit weichen Händen berührte. Die jagende Hast der vergangenen Tage flog vorüber, seine Zeit, seine nutzlos verbrachte Zeit. Er hörte eine Stimme flüstern: Jappes, du bist noch nicht weit, du hast erst das Bewußtsein zum Tier. Du kennst erst den Schein und verfolgst das Trugbild, den Wahn. Kehre um, der Inhalt des Lebens liegt hinter dir! – Seltsame Kämpfe, die dich zur Qual der Erkenntnis führen! Du hast den Weg zum Leben verloren. Deine Träume sind schleichende Einsamkeit und deine Freude ist Qual. Trug ist dein Wesen und Sorge. Schleune den Schritt und lasse den Wahn des irrenden Dunkels. Dein Weg geht nach rückwärts zur dämmernden Sphinx. Jappes stand mit geschlossenen Augen: Irgendeine Landschaft sah er in drehender Bewegung, die zum Wirbel wuchs, fühlte sich emporgehoben, von der Erde gelöst, schwebend, drehend, machtlos. Fühlte, daß er einer Ohnmacht nahe war, einem Wahnsinnsanfall, daß der Taumel ihn ergriff, daß er ein Spielzeug war und die Macht über sich verlor ... Teilte die Augenlider und tastete sich an den dunklen Umrissen der Gegenstände zur Wirklichkeit zurück. Sagte die Namen des Geschauten ... ein Baum, der Weg, ein Beet, orientierte sich in der Umgebung, hob die Blicke hinüber zu den Walzertakten, die von der Villa kamen, sah die tanzenden Schatten an den verhangenen Fenstern – gab sich einen Ruck mit der Schulter, schritt über den knirschenden Rieselkies und dachte an das verwirrende Spiel der Dämonen. Die Pause war längst vorüber. Fräulein Winterstein hatte sich am Serviertisch beim Diener nach Jappes erkundigt. Der Diener kniff ein Auge zu und sagte mit vertraulicher Geste: „Der Herr hat eine Halbe Kognak binnen,“ und er wies auf die Flasche, „er ist benebelt und paßt in die Nacht.“ Doktor Seraph hatte sich entschuldigen lassen. Frau Kommerzienrat brachte der Tochter die Nachricht: „Der Totenkopf kommt wieder nicht. Er muß eine Leiche massieren.“ DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL Diskretes sucht man immer so schnell als möglich zu erleben ... Wozu wäre die Heuchelei da, wenn es nichts gäbe, was man nur durch sie erlangen kann. Pepy machte Toilette mit der Umständlichkeit, wie sie jungen Damen eigen ist, wenn sie einen Besuch machen, wo sie ihre Eigenliebe zur Schau stellen wollen. Merkwürdig für das eigenliebige Geschlecht, daß es die Umständlichkeit beim Toilettieren zur zweiten Natur gestempelt, wenn nicht gar zur ersten erhoben hat. Damen fühlen den Kitzel wohliger Wollust am stärksten in ihren Boudoirs, wenn sie mit dem Bewußtsein ihrer Reize allein sind und an all die begierlichen Schmeicheleien und lüsternen Lockungen der Männerlippen denken. Wir sündigen am stärksten in den Begierden. Die Tat, der große erotische Akt ist für uns nur bewußtloses Geschehen. Die Sünde ist der Schrei nach Dämpfung der tätigen Empfindung. Die Erinnerung an die Freude bewegt die Seele nur schwach, aber die Begierde danach wühlt sie auf zum chaotischen Wirbel. Das Wesen des Glückes ist Begierde nach Freude. Pepy packte eine Ordnungsmappe, gefüllt mit sauber geschnittenen und sorgsam geklebten Scherenschnitten; gute Abdrücke von Holzschnitten, Tapetenmuster, mit Tusche kolorierte Zeichnungen. Ihr Freund Günther hatte sie mitsamt ihren Arbeiten zu sich geladen. Eine Auslese wollte er treffen und ihr eine Empfehlung an einen Freund schreiben, welcher sich um die Arbeiten Pepys bemühen sollte, um sie in den Ausstellungen bekannt zu machen. Pepys Traum war es, in die Oeffentlichkeit zu treten und aller Welt ihr Talent vor Augen zu führen. Professor Günther war selbst Amateurmaler und hatte eine bürgerlich-mittelmäßige Pinselführung erarbeitet, kannte die alten und neuen Meister, und war: bereit, selbst zu den Neuesten bejahend zu nicken, sobald es ihm möglich war, die Farbentumulte im Ausdruck eines Vorstellbaren zu deuten. Wir können nicht vermeiden, bei speziellen Anlässen über Allgemeines zu reden. „Das Atelier habe ich beibehalten, als mein Sohn seine Praxis in Baden-Baden übernahm,“ plauderte Professor Günther und öffnete die Tür zum Atelier. „Er war ein gutes Talent,“ fuhr er fort, „ein paar Bilder sind noch da, aber die letzte Hand hat er nicht drangelegt. Meist Kopien mit kaum merklichen Variationen in den Tönungen. Teniers Alchimist mit mittelalterlich-abenteuerlichem Gerät, die Madonna von Fra Filippo Lippi, einige Landschaften, ein Stilleben, der einzige Entwurf von Günther junior, der Kopf der Madonna Tempi von Raffael.“ Auf einer Staffelei eine fertige Skizze, die Pepys Aufmerksamkeit aufsog, und ihr Wesen mit dem Basiliskenblick der Bestürzung bannte: „Eine seltsame Geschichte knüpft sich an das Bild, es ist von meinem Jugendfreund,“ erzählte Professor Günther, „Meister Geraldo kennen Sie wohl nicht? Er lebt in Antwerpen und studiert Rubens. Er verkehrte viel bei uns und hat manchmal im Atelier gemalt. Bei seiner plötzlichen Abreise blieb das Bild unvollendet stehen. Es ist eine persönliche Variation des Pietà-Gedankens. Die Tragik des Bildes liegt in der Geschichte seiner Entstehung. Der Weg zur künstlerischen Vollendung geht über viele Opfer hinweg und Menschenmaterial wird dabei nicht geschont. Die Geliebte Geraldos, im Bilde symbolisiert, war ein doppeltes Opfer. Das Opfer Geraldos und ihr eigenes. Die Sehnsucht nach Liebe hat sie getötet, nachdem sie Meister Geraldo ein überflüssiges Kind geboren hatte ...“ Pepy hörte die Anklage und sie fühlte ihre Niedrigkeit, ihre Ueberflüssigkeit. Der Gedanke an die Mutter riß die vernarbte Qual wieder zum blutigen Leiden. Sie biß ihre Hand in duldender Ohnmacht und vermochte die Tränen nicht zu hindern, die durch die gepreßte Wimper drangen. „Ueberflüssig!“ Das Verdammungswort brannte in ihr mit ätzender Qual. Sie trug die Hölle der „Verworfenheit“ mit sich, weil sie außerhalb des Eheparagraphen geboren war. Ueberflüssig! Sie hörte das Anathema der Gesellschaft, nur unter Gleichgeborenen konnte sie anerkannt werden, aber die Unehelichen sind die verruchte Minderheit! Weinend stand sie, die Pietà in Trauer um die verlorenen bürgerlichen Ehren. „Sie sind wehleidig,“ sagte Professor Günther, verwundert über die Wirkung seiner Worte, „Sie müssen die Vergehen der anderen nicht zur eigenen Qual machen.“ Er nahm Pepys Hand: „Seien wir Freunde,“ sagte er listig, „und hüten wir uns, nicht selbst unter die Räder zu kommen. Unser Geist ist schlau, unsere Witterung ist gut und wir haben Mut. Mein Freund hat sich durchgekämpft und Frau Martha – ich glaube so hieß seine Geliebte – hat das erhabenste Opfer gebracht und sich im Dienste der Kunst erschöpft. Ich habe viel über mein letztes Gespräch mit Ihnen, Fräulein Pepy, nachgedacht. Das Kind Marthas hat ein gutes Stück Weg fürs Leben voraus. Mit einem gehäuften Kapital an Erfahrung und Leiden trat sie ins Leben und ist der Sorge enthoben, in trauernder Liebe an die Mutter zu denken. Sie hat ihre ganze Kraft, um gegen den Frevel zu kämpfen, den sie ihm antat, weil sie es als Opfer ihrer ungezügelten Lust in die Welt setzte ...“ Professor Günther fühlte, daß er gegen Tränen machtlos war. Entschuldigte sich einen Augenblick und verließ das Atelier. Pepy blieb allein mit ihrer zermürbenden Qual, und ihr Stolz verbot ihr, diesem Manne zu gestehen, daß sie diese Ueberflüssige war. Der Psychologe eilte in seine Bibliothek und las ein Kapitel über hysterische Anwandlungen. In einer Marginale notierte er die Symptome und den Verlauf der Anwandlung. In Klammern schrieb er: (Beobachtungen an einem jungen, gesunden Mädchen!). Pepy schämte sich ihres Benehmens, und als Professor Günther wieder erschien, fand er sie mit einem verweinten Lächeln, das um Entschuldigung bat: „Das kenne ich bei jungen Mädchen,“ sagte er begütigend, „ein wenig Schwäche ziert die stärkste Frau.“ Das Mädchen lachte ein fröhliches Lachen und war zufrieden, daß ihr neuer: väterlicher Freund ihr die Tränen nicht übelnahm. Beide wußten nichts um ihr gegenseitiges inneres Leben. Die Ehre ist Ichsucht, eine bürgerliche Tugend. Professor Günther nahm Platz in einem Sessel neben Pepy. Sie reichte ihm ihre Arbeiten, er musterte sie einzeln, sagte der Freundin ein paar belobigende Worte über das gute Verhältnis zwischen Ausführung und Motiv, wagte einen kleinen Tadel gegen die Linienführung, fand eine gegenteilige Ansicht zu Pepys Auffassung in der Darstellung einer Tänzerin. Pepy hatte eine Bacchantin dargestellt, eine weintaumelnde Mänade mit fliegend-zerzaustem Haar, den Thyrsus schwingend in der Rechten, in der Linken einen überfließenden Becher und lüsterne Blicke nach den fallenden Tropfen. Die Linien waren schwebender Rhythmus und hüpfendes Haschen. Günther fand das Motiv überlastet, weil die Aufmerksamkeit auf zwei Punkte zugleich zu lenken sei, auf Thyrsus und Becher. Der Rhythmus ließe sich plastischer gestalten, wenn der Becher mit den fallenden Tropfen Weins allein das Symbol ihres Rausches sei; die Tänzerin verliere dadurch den Sinn eines Piedestals, sie werde leichter, geschmeidiger, tanzender. Pepy versprach das Motiv in dem Sinne zu variieren und Professor Günther riet ihr, die Meister nicht zu verkennen. Klopfte Pepy auf die Schulter, mit väterlicher Hand: „Nur Technik, Freundin, Technik, Technik, Technik. Im allgemeinen versprechen Ihre Arbeiten Erfolg. Die Linienführung ist sicher, die Flächenverteilung vortrefflich. Der Raum geschmackvoll ausgenützt, das Kolorit schmeichelnd. Die Motive sind entzückend.“ Er reichte Pepy eine Empfehlung an seinen Freund: Die Dame hat Stil, und ich gratuliere zu unserer Entdeckung. Sie wird uns Ehre machen, sie wird mir Geraldo ersetzen. Günther. In Pepy wühlte die Unsicherheit der gequälten Natur. Ihr Leben schien ihr eine fatale Groteske, wo alles in nebelhafter Ferne groß und drohend erschien. Wo dunkle Mächte im Spiele waren, wo das Verhängnis lauerte, wo die Entscheidung sich vorbereitete, die Antwort verzögernd, ob alles sich zur Katastrophe oder zur Erlösung wenden würde. Sie war arglos und ohne Falsch, sorglos wie selbstsichere Mädchen, die sich in sich selbst genug sind. Sie empfand das Glück, ihre Arbeiten ausgestellt zu sehen, wie junge Versifexe, wenn sie ihre Löwenklauen vor dem kritischen Publikum in Sonderdruck erscheinen lassen. Junge ahnungslose Seele, gequält von der geheimnisvollen Furcht, ein Spielball der fataltätigen Gewalten werden zu müssen. Arme Mädchenseele! die das verhängnisvolle Erbe ihrer Mutter mit sich trug. Die Tiefe eines Kunstwerkes liegt in der Tragweite seines Symbols. Irgendein Anlaß brachte Günther und Pepy im Gespräche auf Ibsen. Der Professor redete literar-philosophisch, und Pepy redete mit Ibsen. „Die Bedeutung Ibsens kann man nicht leugnen,“ sagte er, „Ibsen ist der größte Ethiker und auf die Spezialpsychologie in Eheangelegenheiten ist er nicht ohne Einfluß. Er ist Universalmoralist und der geeignetste, ins Esperanto übertragen zu werden. Die moderne Gesellschaft muß auf Ibsenschem Boden stehen und aus dem verhängnisvoll-toleranten Nährboden die Kraft schöpfen, um sich zum Uebermenschen emporzuranken.“ Pepy: „Das Gefährlichste und Wahrste sind die Gespenster von Ibsen. Die Manen, die Geister der Toten, zitieren sich von selbst. Sie erscheinen, uns vor dem Verhängnis zu warnen und versichern uns der Nutzlosigkeit, ihm entrinnen zu wollen. Die Tochter des Malers Geraldo ist verdammt, den Weg ihrer Mutter zu gehen. Von Schuld kann man nicht reden und Sühne darf niemand verlangen. Das Rätsel der Vererbung der sittlichen Schuld.“ Professor Günther fürchtete einen neuen Weinanfall Pepys und Mitleid glitt über seine mit theoretischem Moralwasser gewaschene Seele: „Wenn das Kind Marthas Freunde findet, die ihr sittlichen Beistand leisten, wird sie die Gespenster bannen. Nur sittliche Kräfte können der sittlichen Schuld begegnen. Gespenster beißen nicht, man muß ihnen zu begegnen wissen. Ibsen zum Trotz haben seine Gespenster die soziale Stellung der Gespenster stark in Mitleidenschaft gezogen. Ibsen ist der Dichter der gesunden Moral und des praktischen Ausgleichs. Die theoretische Erörterung einer Frage ist der einzige Trost, wenn die unsühnbare Schuld geschehen. Die sittlichste Rechtfertigung ist, die Schuld durch Ueberredung des Geistes zu tilgen durch Abstraktion von der Wirklichkeit, denn die Wirklichkeit ist das Vehikel, das uns zur Erkenntnis führt. Die Befolgung des Guten oder des Bösen – was man allgemein gut oder bös nennt – ist unterschiedlos entscheidend für unseren Werdegang. Die Gesetze unserer Moral sind auf der Basis des bösen Beispiels entstanden, und die Ethik wurzelt in der Unmoral. Unsere sittliche Läuterung entspringt aus unseren schlechten Taten. Gut und Bös sind zwei sittlich gleichlautende Termini. Mit Hilfe der Relativität kann man das Böse zum Guten biegen, und ethische Werte sind an sich schon dehnbare Begriffe.“ Von den Jesuiten haben wir die Überrumpelungsmethode. Sie nannten sie Rhetorik. Pepy nickte versunken vor sich hin. Jedes Wort war eine Prägung ihrer Gedanken, eine feste Form, in welcher ihre Erfahrung lag. Die kluge Selbstsicherheit, mit welcher Professor Günther über die Grundlagen der sozialen Ethik sprach, imponierten der jungen Künstlerin: „Die sozialen Reformen gehen aus den Mißständen hervor, die Hygiene aus den großen Epidemien, die Schulen sind die Palästra, wo Weisheit gegen das größte Uebel, die Dummheit kämpft, die Zuchthäuser werden gebaut, um dem arbeitsscheuen Diebesgesindel – den mittellosen Marodeuren der menschlichen Gesellschaft – und den geschlechtlich depravierten Subjekten ein Asyl zur Besserung zu bieten. Eine schlau ausgeklügelte Diät! Die geistige Nahrung ist völlig gestrichen. Die aussichtslose Methode der körperlichen Einwirkung auf den Geist, durch harte Fron, steht in voller Blüte. Was erreichen die elenden Paragraphendrechsler von Legislatoren durch Formulierung der Gefängnisverordnungen?! Sie lassen den Geist der Delinquenten hungern und zermürben den Körper. Zappelige Theoretiker! Ihr seid die Depravierten, ihr seid die Mumien und liegt starr, allem Leben fern, umwickelt vom ruchlosen Gewebe juristisch-spröder Leitsätze. Feiglinge! Hört ihr den Schrei aus der Gehenna! Hört ihr das Röcheln der Hinsterbenden in den Käfigen, euren Moralanstalten! Sie schreien nach dem Tode, sie schreien nach Freiheit. Zu feig seid ihr, sie durch den Tod zu erlösen; zu feig seid ihr, euch gegen ihre Freiheit zu wehren. Euer lahmes Gewissen ist noch nicht reif für den Mord. Allmählich schläfert ihr es ein in der Narkose sittlichen Wahnes. Korrektion! Die Schere, mit welcher ihr das wuchernde Gestrüpp eurer Unmoral zustutzen wollt. Achtung vor den Pulsöffnern und Seidenschnürorden! Achtung vor Nero! Ehrfurcht vor den Inquisitoren! Achtung vor allen Massenmördern aller Zeiten! Sie sind nicht zurückgeschreckt vor dem Blute, aber ihr! Ihr heuchelnden Mörder habt Angst vor dem fließenden Blut und doch füllt ihr die Totenlisten derer, die in euren Besserungsanstalten verreckt sind. Die Menschheit hat ihre Bastille noch zu stürmen, viele Burgen haben noch zu fallen. Zum Aufruhr mit Feuer und Schwert gegen die schleichenden Mörder der bürgerlichen Gerechtigkeit. Baut die Arbeiterfürsorgegesetze aus, Unfall- und Invaliden-Rente, und die grauen Bauten moralischen Siechtums stehen überflüssig und erlöst vom Fluch der gärenden Revanche! Menschheit! du bist im Widerspruch geschaffen. Der große Horus Ahura Mazda wurde von Ahriman, dem bösen Prinzip, besiegt. Der Dämon Malignus ist der Herr unserer Weltordnung. Ihr blinden Prinzipienreiter redet über gut und bös. Nehmt beides als gegeben hin und ihr abstrahiert von der Frage: wie kam das Böse in die Welt? Wo bleibt euer Gott, der alles erschaffen hat – auch das böse Prinzip! Ehe Gott den Engeln die Wahl zwischen gut und bös freistellen konnte, mußte er das böse Prinzip bereits erschaffen haben. Wo ist euer Gott? Wie kann er Böses schaffen! Und wo ist der Zweite, der Schöpfer des bösen Prinzips: Der sein Reich gegen das Reich Gottes setzen konnte? Gehet hin zu den Bogumilen, sie lehren euch mit den Manichäern, daß Satan und Christus gemeinsame Söhne Gottes sind. Erkennt nicht Christus selbst den Herrscher der Welt bei Joh. 12, 31 an: ‚Jetzt ergeht das Gericht und wird der Fürst dieser Welt hinausgestoßen.‘ Unsere Gesellschaft hat das Faustrecht bekämpft und basiert ihre Macht hinwiederum auf Gewalt. Gestehen wir vor aller Welt, im offenen Kampfe würde Ahriman wieder siegen, denn unsere Kampfkraft stirbt am Bewußtsein unserer heuchelnden Ohnmacht, an unserer ohnmächtigen Heuchelei. Fürchtet die dunkle Rache der Bösen, die sich zum Kampfe sammeln und zu eurem Röcheln lachen werden. Die Rache wird die Anführerin der Unterdrückten sein und den schlauen Köpfen der Gesetzgebung die tönernen Postamente rabulistischer Verkommenheit entzweischlagen. Bessert euch im Gericht über euch selbst, dann könnt ihr den Samen der Reformen um euch ausstreuen. Drachenzähne sät ihr aus, und die Bestürzung lähmt euch, wenn die stählerne Wehr der daraus erstehenden Kämpfer euch entgegenblitzt – –!!!“ Der Wind ist ein falscher Bräutigam, er betrügt die Windblütler um ihre Unschuld. Dieser Sturmbock revolutionärer Gedanken hatte Pepy begeistert. Sie staunte über das jugendliche Draufgängertum dieses alten Professors, dessen Leben ihr vorkam wie ein Konflikt zwischen Anarchie und Gesellschaft. Sie reichte ihm ihre Hand zum Abschied: „Sie weihen mich in die Abgründe des Lebens ein, ich danke Ihnen für die Lichtblicke. Vieles ist wahr von dem, was Sie sagen.“ Er hielt ihre Hand lange brünstig umklammert. „Freundin Pepy, man findet nicht die richtige Anerkennung bei einer dummen Frau, die Oede des Familienlebens lauert in allen Winkeln, wenn der Mann den Geist zuviel hat, welcher der Frau fehlt. Das Verhältnis zwischen mir und meiner Frau ist zu ungleich, und das habe ich erst gemerkt, als die sinnlichen Reize bei ihr zur Begierdelosigkeit abgestumpft waren. Das Schlimmste ist, wenn der Mann jung bleibt und die Frau altert!“ ... Er geleitete Pepy zur Tür und preßte einen sinneglühenden Kuß auf ihre warme Hand. Der Abend lag friedlich über der Stadt! Im Unendlichen zitterten die Sterne. Pepy dachte an Günther mit mitleidvoller Begierde. VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL Die Magie ist ein Kompendium tierisch-wertvoller Naturen. Doktor Seraph war ein maskenhafter Mensch, wie eine verwischte Skizze zum Leben. Seine Stirne, die blutleer schien, war mattgrau wie plastischer Fensterkitt und von zwei Linien durchfurcht, die an den beiden Enden zusammenliefen und ein Schifflein bildeten. Der Mund war wie zugeklebt und ohne Lippen. Runzeln von den Augen fächerförmig über die intelligent mageren Backen sich verlierend, bargen die Bitternis einer hartverlebten Jugendzeit. Die schmalen gepreßten Schultern verrieten die bückende Haltung bei grübelnder Beschäftigung. Die unruhig flackernden Augen schienen beständig eine Gefahr erspähen zu wollen. Der Prototyp jener telepathischen Vorführungskünstler, die in ihrer zuckenden Ueberreiztheit ihre abgrundtiefen animalischen Kräfte betätigen. Seit seiner Geburt hatte er nicht gelebt – und seltsam – er war wie eine versteinerte Figur, mit den bedeutungstiefen Runen diabolischer Rätsel. Mit ruhigen verglasten Augen stierte er mit weitausholendem Blick in die Ferne, wie ein Somnambule, der plötzlich durch eine unglaubliche Macht erschreckt, ins Endlose starrt. Etwas schwebend Taumelndes in der Erstarrung. Trug an dem mager-langen Ehefinger einen schwarzen Ring, der alles Licht auftrank. Ein Pfand des Teufels, das sich in der Familie weitererbte. Ein Stein, der den Schlaf raubte, und alle, die ihn trugen, in Verbindung mit Toten brachte. Doktor Seraphs Ahnen waren Aerzte und Totengräber. Ein Großonkel war katholischer Pfarrer gewesen, hatte sich am Vorabend seiner Primiz verachtend von seinem Ring getrennt und ihn in ein Kästchen eingeschlossen. Ein unruhiger Traum hatte ihn gequält. Etwas Grausiges war geschehen und doch konnte er sich nicht entsinnen, was es war. Er amtierte kein Jahr in seiner fetten Pfründe, da kam Freund Hein, um ihm den Ring zu kündigen. In der ganzen Pfarrei hatte niemand einen schöneren Herren gesehen und die Trauer war groß, als er so plötzlich starb. Nach der Weissagung einer Wahrfrau sollte Doktor Seraph der letzte Träger des Ringes sein und in seiner Hand war eine übermäßig große Lebenslinie. Am Zeigefinger der rechten Hand trug er den Pesach, einen Blutstein in Platin gefaßt. Der Stein hatte die Kraft, den Blutfluß zu stillen. Wenn eine Frau ihn bei der Entbindung in die Hand nahm, gebar sie ihr Kind ohne Schmerzen. Die trübrote Farbe war wie ein Blutfleck auf dem Finger des Doktors. Er war erschrocken-naiv wie ein Medium im magnetischen Schlaf. Sein lautloser Katzentritt und die vorgehaltene Rechte wie bei einem Wünschelrutengänger ließen an das Wahngebilde eines Spukes denken. Mitschüler erzählen, daß er vieles wußte, was er nie gelernt hatte, und niemand erinnerte sich, den schwarzen Doktor je lachen gesehen zu haben. Er hatte nie Freunde gehabt, und seine Wirtsfrau hatte ihn nie zu Gesichte bekommen. Alle Aufträge schrieb er mit fadendünner englischer Steilschrift auf ein Konzeptpapier, in höflich-geschraubter Form, als richte er eine untertänige Bitte an die durchlauchtigst allmächtigste Majestät. Der schwarze Ring hatte eine merkwürdige Herkunft. Eine ganze Legendenwelt war drum gedichtet worden. Alle dreihundert Jahre sollte der Ring nach Californien zurückkehren, an den Ort seiner Herkunft. Der Stammbaum der Seraphs trieb seine Aeste ein halbes Jahrtausend aufwärts, und es schien wie ein sonderbarer Zufall, daß alle den schwarzen Stein trugen, oder war es durch die Kraft des Steines, daß der Stammbaum bis auf den ersten Inhaber zurückging? Ende des vorigen Jahrhunderts erhielt Doktor Seraph plötzlich in Heidelberg, wo er studierte, ein Päckchen mit dem seltsamen Ring aus Californien, wo ein entfernter Verwandter, der Millionär Eduard Bain in Pasadova gestorben war. Bain war dreiviertel Jahrhundert alt und die letzten sechzehn Jahre hatte er nicht geschlafen. Man erzählte sich im geheimen, weil der Zufall den Stein von dem Toten getrennt habe (denn Bain verkehrte nur mit lebenden Leichen, für welche der Stein keine Affinität zeigte), habe der Tod auch den Schlaf, seinen dunklen Bruder, von ihm gerissen ... Der Millionär konnte nur in Theatern und geräuschvollen Lokalen einnicken. Doktor Seraph saß oft stundenlang in träumerischer Betäubung vor einem Kästchen aus dreifachem Holz, Taxus, Kreuzdorn und Hollunder. Legte den Blutstein hinein und geriet in eine schlaflose Erschöpfung. Sein scheinbar erloschenes Leben flackerte mählich auf, steigerte die Kräfte bis zum magneto-elektrischen Prozeß. Seine Gesichtszüge wurden von einer unendlich verzückten Beseligung beschienen, seine mattgebeizte Fleischfarbe nahm ein leichtes hauchiges Rot an und mit einer bis zum Paroxysmus gesteigerten Aufmerksamkeit schien er berauschender Musik zu lauschen, schien das Farbenspiel eines Festgepränges zu verfolgen, schien von ambrosischen Düften umfächelt, geriet in Ekstase, bis zum Wahnsinn gesteigerte Begeisterung, machte keine Bewegung, alles bildete sich in seinen plastischen Wachszügen. Die Ermattung warf den leuchtenden Ausdruck plötzlich aus seinem Gesicht und die Totenstarre malte den gelben Ton über sein Fleisch. Er schien von einem unendlichen Leiden gefoltert, von ungeheueren Krämpfen zerrissen, von stechender Qual zermürbt. Mechanisch griff er in das Kästchen. Steckte den Blutring an den Finger und legte den Teufelstein lautlos hinein ... Sprach mit eintönig hölzerner Stimme – die Worte wie Bewegungen eines Hypnotisierten, eckig und zäh – sagte Sätze mit unheimlicher Bedeutung und mit schleichend dürrem Tonfall: „Tödin-Tod ihr bejaht das Gegenteil! – Geist von Mitternacht furchtbarer als das Leben! – Schauerjungfern fliegen aus und säen Kindersamen auf die keuschen Mädchenäcker. Ungetauft sind sie im Tod erlöst. Weilen ohne Gut und Bös am seltenen Ort, in Nobiskraten. Legt eine offene Schere auf – die jungen Wiegen sind dann erlöst vom Nachtgejaid. Wechselbälge – Haare – Beine. Schwefelhölzer – Spinnen – Molche – Kröten – Echsen. Aeugig eins der Hase, Beine drei, ist Loki nicht der Feind vom Morgen? Gehenkte klappern schon am Galgenholz. Im Sturm nimmt Wodan die gehängten Seelen mit. Geborsten und verflucht – naht der Gesell mit Dreispitz schon, mit Feuerstein und läßt die Funken stieben. Zottig zottig Hühnerei Hahnenkamm im Wirbelwind Reicht ihm schnell den Hexenbrei Beule – Warze – Narbe – Grind Schafriri, friri, riri, zi – –“ Dann änderte sich seine Stimme plötzlich, wurde weich, schwebend, melodisch; er griff in das Kästchen und tanzte mit den Ringen durchs Zimmer, singend schien er einem Trugbild zu folgen. Tod mit Muck In jähem Lauf Leg Spuck auf Spuck Und spucke drauf. Wer Herr seines Schicksals ist, ist selbst das Opfer einer großen Kraft, die aus der Ferne wirkt. So war sein Schlaf, seine Träume. Träume ohne Schlaf sind seltsame schwebende Gebilde, und wer Bilsenkraut oder Nachtschatten in der Walpurgisnacht durch einen hohlen Totenknochen schlürft, kann eine schaurige Fahrt machen. Armida wußte um das geheimnis- und verhängnisvolle Dasein des schwarzen Doktors. Ihre Weiberlist, ihn des Ringes im Schlaf ledig zu machen, war nicht anwendbar – er schlief nie. Seraph hatte ein höllisches Laster, er trank den Totenhauch der Sterbenden ... Das stechende Feuer seines düster-fahlen Blickes gab seinen Augen etwas Ausgehöhltes, etwas Feucht-Kühles, Unterirdisch-Nächtliches. Doktor Seraph empfand sein Leben nicht als Verhängnis. Es war für ihn eine Tatsache, ein So-sein-müssen, Sich-nicht-denken-können wie anders sein. Er war schön wie der Tod im Leichenhaus. Kein Mitarzt wußte um ihn, allen war er der Totenkopf, der nur die Operationen vornahm, die vom Aerztekollegium als unmöglich erklärt worden waren. Trotzdem waren nicht alle unter seinem Messer geblieben, und das Staunen war groß im Operationssaal. Armida kannte ihn aus seiner Studentenzeit von Heidelberg her. In der Anatomie saß er neben ihr, schaute sie nie an und gab ihr jeden Tag einen kleinen Würfel weißen Zuckers. Im dritten Semester hatten sie sich plötzlich gegenseitig und zu gleicher Zeit angeredet: „„Weshalb reden wir eigentlich nichts??““ Eine Woche waren sie nicht aus dem Lachen gekommen, beim Anblick befiel beide ein hysterisches, konvulsivisches, unstillbares Lachen. Das übertolle Lachen brachte das Semester dazu, Armida „Gluckerchen“ zu nennen. In dieser Zeit des erotischen Frühscheins wollte Seraph der Medizin entsagen. Er bereitete sich vor, die leichttönende Leier seiner Muse in würdigen Empfang zu nehmen, schrieb fleißig Rezensionen und Skizzen, schlief ganze Tage und die Nächte dazu, ließ die medizinischen Vorlesungen im Stich, schwänzte die Uebungen, schaffte sich alle möglichen und unmöglichen Romane an, besang „seine befreite Armida“ und kündigte seinem Professor seine Promotionszusage. Schrieb ihm einen Brief voll Hohn auf die Quacksalberei: Plötzlich habe er sie satt bekommen, um sich auf das Feuerroß der Begeisterung zu setzen, das mit der Phantasie, dem Hafer der utopischen Begabung gefüttert, den Olymp des Ruhmes erstürmt. In Knüttelversen hatte er seine Umsattlung angedeutet: Mein Doktor wartet unentwegt auf die Geburt, Doch fehlt die Amme, ihn zu säugen, Wenn so ein Knabe literarisch hurt, Kann er doch keinen Doktor zeugen ... Er hatte seine medizinische Bibliothek an einen Trödler losgeschlagen und mit Ekel an sein Leichenschinder-Leben zurückgedacht; voller Ekel dreimal vor dem Namen Arzt ausgespuckt, wie schwäbische Bauern tun, wenn sie einem Schwein begegnen, verlebte mit Gluckerchen sanfte Tage gegenseitiger Ergüsse in lyrischer Umarmung, dachte an Familienleben, geordnete Zukunft, eine gesicherte Tracht Ruhm, vor den Kritikern, den Prügeljungen der Literatenkaste, noch rechtzeitig gerettet. Da kam plötzlich der schwarze Ring und mit ihm der freudelose Pflichteifer an seinem eklen Handwerk. FÜNFUNDDREISSIGSTES KAPITEL Wer viel vom Leben spricht, nimmt es nie von der ernsten Seite. Wir nennen die Flöhe Ungeziefer, weil sie uns jucken, ein Flohologe hat allerdings zwei Namen dafür, den wissenschaftlichen und den vulgären. Sie machten einen Ausflug mit der Wannseebahn, Jappes, Armida und Arco Calvandi. Stiegen in Schlachtensee aus. Es war irgendeine Zeit. Vielleicht warm, vielleicht kühl – ein angenehmes Halbdunkel in den verschlungenen Pfaden, die sich durch den Wald am See entlang schlängelten. Die spezifisch ewige Stimmung, wie sie einen befällt, wenn man einen schattigen See entlang bummelt. Die breite, gleißend-ruhige Fläche des Sees mit abwechselnd dunklen und weißen Einkerbungen am Ufer, lag in dem schweren Holzrahmen der umragenden Wälder. Herr Arco Calvandi, der bewußt-verrückte Franzose, der schäkernde Lebemann, mit einem freien Knabengesicht. Ein leichtes, zugestutztes flaumiges Bärtchen, wie hingeklebt in das milch-rosige, gutmütig-offene Muttergesicht. Mit den Privilegien der Reichen hatte er von seinem Vater jene Offenheit und Gutmütigkeit derer in den Zügen, die nie jemandem Rechenschaft abzulegen haben und von frühester Jugend durch toleranteste Erziehung daran gewöhnt sind, über die intimsten Angelegenheiten des Lebens mit gentlemanreifer Bravour zu reden, ohne zu erröten. Ein bezaubernder Mensch, der kein Hehl daraus machte, daß Menschen seiner Ansicht nach zu gegenseitiger Lust geschaffen sind, und es so schnell wie möglich einsehen sollen. Sein wiegend sicherer Gang und seine Kleidung verrieten den Autofahrer, der daran gewöhnt war, sich bei den schaukelnden Bewegungen sicher und ohne Anstrengung zu äquilibrieren. Armida hatte eines ihrer ungezählten aber gutgezahlten Cover-coat-Strapazierkleider an. Kragen und Schlips und Reitgerte. Eine deplacierte englische Miß mit der ungeduldigen Spannung eines Walter Scottschen Romanes auf das Abenteuerlichste gefaßt und, was für Armida charakteristisch war, zu naivst-mädchenhaften Kapitulationen vor starken Männern bereit. So war sie heute. Jappes war die dritte Seite dieses ungleichseitigen Dreieckes. Er schien überflüssig, wie für den Geometer die dritte Seite eines rechtwinkligen Dreieckes, die man leicht mit der Hypotenuse Calvandi, der Grundlinie Armida und aus dem Verhältniswinkel beider bestimmen konnte nach dem Lehrsatz: sagt mir, wer ihr seid, und ich sage euch, mit wem ihr umgeht. Von seiner sportlichen Praxis her war Calvandi gewöhnt, das Tempo anzugeben. Das knabenhaft listige Feuer seiner lüsternen Augen wußte die Ironie seiner Worte ohne das Mienenspiel zu markieren. Seine unsicher-stockende Ausdrucksform gab seiner Sprache etwas Hastendes, als habe er Eile, eine gedachte Pointe durch die Lebhaftigkeit der Rede über die Lücken der fehlenden Wörter hinwegzuheben. Er faßte seinen Besuch bei Armida sehr ernst und für sich ausschlaggebend auf. Calvandi und Jappes musterten sich mit der ruhigen Unruhe zweier Menschen, die in derselben fatalen Lage sind: Bei einer Frau und zwei Männern gibt es immer eine doppelte Intrige, denn eine Frau hat immer einen Schimmer von Aufmerksamkeit für einen dritten, der in ihr Leben hereinspielt, sei es in der Hoffnung, einen Freund zu gewinnen durch die Maske ihres Interesses, sei es, ihren Mann durch die Eifersucht fester an sich zu schmieden. Eine doppelt umworbene Frau hat unfehlbar die stärksten Trümpfe in der Hand und kann ruhig Jeu ansagen. Sie wird selten verlieren. „Wir nehmen die Direktion am See entlang,“ begann Calvandi zu Armida gewandt, „wir werden einen charmanten Abend haben, ein reizendes Hors-d’oeuvre für die pikante Nacht. Liebespärchen pflegen nicht zu dritt zu gehen, wir werden also auffallen.“ „Wir sind nicht mehr im Alter, wo man verliebte Mondscheinbummel macht,“ lachte Jappes, „Verlobte pflegen sich nicht mehr öffentlich und vorlaut in der Liebe zu betätigen. Ich hätte dem Sittenrichter einen Vorschlag zu machen: Einen roten Crêpe am rechten Arm für Verlobte, damit man sie erkennt wie die Trauernden am schwarzen Flor.“ „Eine Idee!“ baute Calvandi aus, „eine deliziöse Idee! Wenn die Verlobten ihre Verliebtheit nicht mehr durch gegenseitige Anhuldigungen nach außen betätigen, sollten sie den roten Crêpe tragen bis zur Ehe, dem Gesetz der zwangsvoll-gegenseitigen Hingabe.“ Armida verzog die Lippen zu spöttisch-fragender Grimasse und bewegte die Reitgerte mit gelenkigen Fingern. „Sonderbar, die Männer reden immer über Frauen und denken dabei an Liebe, oder sie reden über Liebe und denken dabei an Frauen, – ob ein Mann aufrichtig liebt, persönlich lieben kann ...? na, ich wollte die Frage nicht entscheiden.“ „Verzeihen Sie, Madame; meine erste größte Dummheit wäre es gewesen, wenn ich mich nicht sterblich in Sie verliebt hätte,“ sagte der Blaubart, „für Sie allein habe ich mehr Dummheiten begangen, als für meine übrigen Eintagsfrauen zusammen. Madame, mein Herz hat sich in glühender Liebe für Sie verzehrt ...“ Armida wehrte: „Freund, keine Flausen, die uns kompromittieren könnten. Mir scheint das größte Uebel für einen jungen Mann, wenn das Gerücht über sein wildverbraustes Leben schlimmer ist als die Wirklichkeit.“ „Madame,“ fiel Arco hastig ein, „heute bedauere ich zum ersten Male in meinem Leben, kein Tagebuch geführt zu haben, ein persönliches Bändchen Casanova, ein paar schwüle Kapitel Paul de Kock. Meine Sprache stört Sie wohl am meisten. Die Form ist ungelenk, meine Calembours kann ich nicht richtig anbringen.“ Jappes machte eine Bewegung voll graziöser Koketterie: „Ich glaube, wir langweilen uns so agréable als possible.“ Die grössten Schweiger waren Philosophen und umgekehrt. Schade, dass sie geschrieben haben. Mit nachlässig-nebensächlicher Gebärde bot Calvandi Zigaretten an und hielt das Etui, aus getriebenem Silber mit massivem Wappen und verschnörkelten Initialen, spielend in der Hand. Jappes dankte, sein Geschmack gehe nach einer Zigarre. „Die Liebe ist die einzige Religion, in welcher es keine Renegaten und keine Sektierer gibt,“ – Arco Calvandi unterbrach – und reichte Armida Feuer. „Die Leidenschaften muß man bis zur Gewohnheit abschwächen. Sehen Sie die Zigarette, ein einzelner Massengenuß. Die einzelne Zigarette verraucht und Kenner halten sich nicht an eine Marke. Die Namen vergißt man, vielleicht erinnert man sich, daß man einmal ein wunderbares Kraut verdampft hat. Das Rauchen an sich ist das große Beständige, das Bleibende, der Reiz am Rauchen. Eine einzelne Zigarette macht das Rauchen nicht aus, wir brauchen mehr, viel, nur keine Spezialitäten. Allmählich stellen wir den Geschmack auf ein besonderes Aroma ein und bleiben dabei. Es genügt, daß wir rauchen. So ist die Liebe, eine Gewöhnung an die Frau, bei einer Marke dauert es zuweilen länger, – vielleicht ist die Marke eines Tages ausverkauft, wir finden eine andere, nicht schlechter, nicht besser –, das Wesentliche ist, daß die Leidenschaft unterhalten wird, dann erst werden die Gefühle seßhaft und lernen an der alten Scholle kleben. Der Vergleich ist mir so eingefallen in rauchender Damengesellschaft.“ „Möglich, daß der Vergleich stimmt,“ eiferte Armida, Calvandi zu unterstützen. „Mancher verbrennt sich an der Zigarette, kriegt Kopfweh, verpulvert sein Vermögen für Luxuszigaretten. Sie haben mich überzeugt, Herr Arco, habe ich richtig verstanden, eine Frau ist Gift in brennender Hülle?!“ „Darf ich noch einmal um Feuer bitten,“ bettelte Jappes, „die meine scheint schief gewickelt – und ist doch keine Gewohnheitszigarre zum Hausgebrauch für die besten Freunde. Die Gewohnheiten sind die erloschenen Krater der Leidenschaft; die Leidenschaft ist ein Spiel, das Spiel unserer Instinkte mit den Kräften. Wir werden gespielt, wie wir gelebt werden – irgendein großer Lebenskünstler hat das Leben so geprägt.“ Arco Calvandi dachte an die Tage von Monte Carlo, wo er sechs Millionen im Roulett verjeut hatte, dachte an seine Auferstehung, die er durch Armida erhoffte, dachte an die Wiedergeburt des Sünders aus dem Pfuhle zügelloser Verschwendung, dachte, daß Berlin sein Damaskus werden sollte. Er hatte Gründe genug, ein ernstes Wort zu reden, aber der Zwittergeist von Witz und Ironie diktierte ihm: „Manches Leben endigt in einem Spiel und manches Spiel in einem Leben. In der Ehe hält die Frau die Grillen eines Mannes warm. Für einen Roman ist sie die Hauptperson, weil sie für die Spannung sorgt. Die Frau ist zäh und wird auf Seite 313 in Romanen erst getötet oder in der Ehe unschädlich gemacht.“ „Schau ihn, den Weisheitsstengel,“ und Armida klopfte ihm mit der Reitpeitsche auf die Finger, „er spricht wie ein ergrautes Ehesemester. Dümmer als die Rede eines Weisen klingt es nicht. Die Frauen haben alle eine Grille, nennt mir sie schnell – nanu, wie still! Wie heißt die Grille, Freunde?“ „???“ „Ihr schweigt, wohlan, die Grille ist der Mann. Ein Mann ist eine kleine Welt. Das Feuer einer Frau ist viel zu groß, um so ein Einzelgrillchen alleine daran zu wärmen. Nicht nur Frauen heiraten in Romanen – Wie könnten sie allein die Tragik schaffen! Romane, wo eine Frau und viele Männer sind, kann man zum Ueberdruß noch lesen. Wo nur ein Mann und viele Frauen vorkommen – bei Gott! – da hält der Mann den letzten Akt nicht aus. Er zappelt hin und her und stirbt aus Ueberdruß. Ist er ein Kavalier, schießt er sich eine Kugel vor. Ist er ein Lump, tut er desgleichen. Und ist die Frau allein im Prunkgebäude des Romans, dann wird gekämpft, bis nur der Stärkste übrigbleibt – und der gehört dann noch der Frau.“ Arco Calvandi dankte für die Belehrung. „Mein Exempel hat diesmal nicht recht gestimmt. Es ist nicht schwer daneben hauen, denn das Beispiel trifft den Fall ganz einfach oder trifft ihn nicht.“ Jappes stellte sich beiden in den Weg, kreuzte die Arme über der Brust: „Es wär vernünftiger, das Leben nach einem Roman zu leben, als einen Roman nach dem Leben zu schreiben. Alle berechenbaren Zufälligkeiten würde man miterleben, während das Pikante der Romane nur der Treppengeist des Lebens ist. Im Leben fällt uns immer erst später ein, was wir hätten tun sollen. Würde einer von Jugend auf nach einem gegebenen Roman leben, dann käme wenigstens eine unglaubliche Spannung hinein. Romane soll man für die Jugend schreiben, aber die Romane nicht aus dem Hinterhalt aufs Leben loslassen, wie eine zahnlose Meute mit dem Schaum der Moral in dem lüsternen Maul. Treppengeist! Die vernünftige Jugend lacht die meisten Romanhelden aus, sie würde heute ganz anders gehandelt haben: Keine langen Intrigen, um etwas zu erhaschen, was man viel leichter im Laden nebenan haben kann. Alle Helden und alle Heldinnen verschenken dasselbe. Die Romane müßte man von rückwärts schreiben. Sie würden verblüffend kurz und auch ...“ „Wir sind vom Leben abgekommen,“ unterbrach Calvandi, „die Romane der Armen werden viel zu oft gelebt, um geschrieben werden zu dürfen, und die Romane der Reichen werden viel zu oft geschrieben, um gelesen werden zu sollen. Die Ehe ist die schweinslederne Ausgabe unserer sterilisierten Gefühle. Das Kind ist eine Dichtung zu zweien. Die Dichtung ist das fidele Handwerk, das die Liebe mit der Welt versöhnt. Setzt Frau statt Liebe, Mann statt Welt, und der Vergleich ist fertig, wenn ihr Kind statt Dichtung setzt. Ihnen, gnädige Frau, will ich mein Herz zu Füßen legen ...“ Jappes lachte laut auf: „Ihr Herz hat sich in glühender Liebe für sie verzehrt – – oder wie sagten Sie erst kurz? – und jetzt wollen Sie es ihr zu Füßen legen. Selbst Armida kann zurückdenken.“ Armida lachte Arco spöttisch an: „Rückfällige Kranke sind die undankbarsten Patienten. Ich danke, Freund, für Ihre edle Herzenssache. Ist die Glut zu groß in Ihrem Herzen, dort ist der See, die Glut zu kühlen.“ Da fiel das Lachen auch Calvandi an: „Verliebte sind immer lächerlich, Madame, Sie wägen die Worte auf der feinen Wage, weh! ich habe schon verlernt, die Komplimente gut zu drechseln.“ Und Jappes: „Wir sind schon daran gewöhnt, die Menschen nicht mehr ernst zu nehmen.“ Vor Wannsee ließ der Pfad den See und kroch zum Bahnhof. Vom See sprang ein kühler Wind und rüttelte die Bäume aus dem Schlaf, weil der Mond schon aufgegangen war und neidisch auf die elektrischen Lichter hernieder sah. „Kommt, Freunde,“ rief Armida, „ich sollt von mir auch etwas haben.“ Sie riß beide an ihre Seite und hängte sich ein. Sie hüpfte zwischen den beiden dunklen Gestalten und wunderte sich über die Männer im allgemeinen und über die ihren im besonderen. SECHSUNDDREISSIGSTES KAPITEL Niemand glaubt gern die Erlebnisse: der andern, und es gibt Erlebnisse, die man nicht für einen anderen erleben möchte. „Jappes,“ sagte Armida, „ich brauche Calvandi allein. Tu mir den Gefallen und fahre nach Saßnitz. Das Meer wird dich entschädigen und du wirst deine Ueberflüssigkeit vergessen. Arco Calvandi reizt mich, und du weißt, was das bedeutet.“ In Stralsund wartete das Schiff, das den D-Zug auf seinem starken Buckel nach dem Eiland hinüberbrachte. Jappes saß in seinem Abteil mit der Gleichgültigkeit eines Weggeschickten, der kein Ziel hat, auf alle Fälle aber acht Tage auf irgendeine Weise totschlagen muß. Der scharfe Wind, der von der See dem fahrenden Schiff entgegenblies, riß den Zigarrenrauch jäh in den feuchten Morgen. Schwarze Fischerbarken mit gelbgrauen Segeln trieben auf den schlecht gekämmten Wellen. Ein Eiland reihte sich ans andere und alle grüßten mit ihren Laubwäldern herüber. Auf dem Wasser gibt es keine Jahreszeit. Kaputte Fische trieben mit der Strömung, die weiß-tote Bauchfläche nach oben. Der Tod kehrt das Unterste nach oben, das ist das Wesen des Todes. Jappes zielte mit einer halben Zigarre nach einem toten Hering, und die beiden Leichen schwammen friedlich nebeneinander. Ein erloschener Hering und eine tote Zigarre tun sich gegenseitig nichts. Er warf sich in die Polster, brach Schokolade aus der Tasche in den Mund und rauchte eine Zigarette dazu. Ihm gegenüber saß ein Reisender. Sonst war niemand im Abteil. Eine graue Handtasche nickte vom Netz herunter: Merkwürdig, daß Menschen graue Handtaschen haben, dachte Jappes, die Farbe der Scheinlosigkeit, der Unauffälligkeit, die Farbe des Nichts, der unausstehlichen Ueberflüssigkeit, des Elendes. Ich muß mir eine graue Handtasche kaufen. Seine Züge sprangen vom Netz herunter und wühlten sich in die Züge des Reisenden. Zuckerbäcker! schoß es Jappes durch den Kopf. Schwammig-verwaschene Züge wie Zuckerbäcker, Zuckerbäcker sind nie Charaktere. War überhaupt ein Anhaltspunkt vorhanden vom Aeußeren auf das Innere dieses Menschen zu schließen? Die Konturen des Kopfes waren nicht scharf geprägt. Graumeliertes Haar oder blond? Man konnte nicht genau unterscheiden. War der Mann unrasiert oder überpudert? Die Augen verrieten nichts und sandten nur zufällige Blicke hinaus. Ein Mann, der zu allem unendlich viel Zeit zu haben schien und dann noch warten konnte, wenn diese schon abgelaufen war. Die staubigen Stiefel, der verschlissene Mantel, die Hände ... sollte er ein Philosoph sein? Auf keinen Fall paßt das zum Fahrpreis, fiel es Jappes ein. Uuiih ... da ist etwas nicht in Ordnung! Gibt es nicht in uns allen jene odische Lohe, mit deren Hilfe wir den sympathischen oder unsympathischen Nimbus unseres Gegenüber durchforschen können? Gibt es nicht in uns allen jene undefinierbare Kraft, die uns vor den Gedanken der Umgebung warnt, in uns die widerstrebende Regung wachruft, nichts von uns preiszugeben, ja! stehen wir nicht unverrückbar fest unter dem dunkel-machtvollen Gesetz der Dämonologie! Liegen die Geister, welche von unserem Körper Besitz ergriffen haben, nicht beständig auf der Lauer, sich gegen die Einwirkung von außen zu schützen! Wir sterben nicht, die aktiven Geister müssen den Totengeistern weichen, die ihren Raub in der Erde bergen, wo er ihnen von den Lebensgeistern wieder langsam Stück für Stück entführt wird, um irgendwo in der Ferne die neue Wohnung alter Geister zu sein. Weshalb hätten wir sonst den Traum und die Sehnsucht nach der Ferne? Der Fremde saß unbeweglich, in sich abgeschlossen. Kein Gedanke verriet sich nach außen. Sein huschender Blick trug irgend etwas von Jappes in die Denkmaschinerie, verarbeitete es zu einer Hypothese, ein Schluß entstand und wieder eilte der Blick, eine neue Partikel zu holen. Die Unbeweglichkeit des verschossen Gekleideten in der Ecke störte Jappes, er fühlte, wie die Blicke ihn umklammerten, wie die Augen an ihm leckten. Es widerte ihn an, mit diesem abgefeimten Wesen zusammenzusitzen. Ueber Altefähr hinaus rasselte der Zug wieder auf den Rädern, und Jappes fühlte sich unbehaglich in dieser zweideutigen Gegenseitigkeit, in dieser rollenden Ruhe. Er fühlte, wie die Spannung sich in ihm vorbereitete, wie das Mißtrauen wuchs, wie es sich innerlich in ihm aufbäumte, sich diesem verrucht Ruhigen und gleichgültig Beobachtenden zu entziehen. War es Furcht? ... War es die Wehrlosigkeit gegen das Unbestimmte? ... Da erwachte der Teufel in ihm: Der in der Ecke war ein Schurke! Huh! ... seine bohrenden Blicke stachen in jede Pore ... berührten mit frecher Gebärde sein Ich ... auflösend, zerstörend. Nichts war diesem Blicke heilig ... er bohrte und berechnete ... Stellte das Verhältnis der gegenseitigen Muskelkraft auf ... Maß die Schulterbreite ... studierte die Bewegungen ... berechnete kühl, ob eine Ueberrumpelung die Kräfte lähmen oder stärken würde ... hatte Zweifel, wie sie Mörder haben, ehe sie fähig sind zum Mord. Jappes erbebte, als ihm die Gewißheit wurde, was in dem Fremden vorging. Die Erregung schüttelte ihn wie ein jäher Frost und mit der Rechten griff er in die Tasche und umklammerte seine Pistole. Der Reisende sagte mit ruhig-sicherer Stimme: „Sie frösteln, es ist etwas kühl, vielleicht schließen wir das Fenster.“ Die Worte kamen wie ein Verhängnis durch die schadhaften Zähne. Jappes hörte eine mahnende Stimme: Gib dir keine Schwäche, befolge seinen Willen nicht. Laß ihn keine Kraft in dir festsetzen. Er hörte die Stimme schwach, wußte nur, daß sie widerriet, fühlte, daß es gut sein mußte, wie sie gebot. „Danke, nein,“ gab er zurück, „es ist nicht kalt.“ Der Fremde ließ nicht mehr locker, und Jappes war es angenehm, durch die Rede Gewißheit über seine Zweifel zu erhalten: „Der Zug hat Anschluß an den Dampfer nach Trelleborg?“ fragte er Jappes. „Wann kommen Sie in Trelleborg an?“ und sein Blick lauerte, die Wirkung zu haschen. „Ich fahre nicht nach Trelleborg,“ erwiderte Jappes, „ich steige in Saßnitz Hauptbahnhof aus, der Zug fährt bis zum Hafen weiter.“ „Sie kennen Saßnitz wohl gut, vielleicht können Sie mir ein Hotel empfehlen.“ „Ich war nie dort, deshalb kann ich Ihnen gut alle empfehlen, Hotels, die man einmal besucht hat, pflegt man nicht gerne zu empfehlen.“ „Ach so, Sie kennen Rügen nicht.“ „Nein, nur einmal bin ich von Stralsund herübergekommen, um am Strand zu bummeln.“ Jappes überdachte die Fragen, inquisitorisch waren sie nicht, nicht einmal verfänglich, vielleicht nicht einmal neugierig, vielleicht nur Gelegenheitsfragen? – Der Schaffner kontrollierte die Fahrscheine. „Ich zahle einen Zuschlag zweiter ab Stralsund,“ erklärte der Fremde und überreichte sein Billett. „Der Fahrschein ist am Stettiner Bahnhof gelöst, Sie müssen die Uebergangskarte von Berlin nach Saßnitz nachlösen.“ Der Fremde zog eine Karte aus der Westentasche: „Ich dachte anfangs nur bis Stralsund zu fahren und habe den Zuschlag nur bis Stralsund bezahlt. Heute habe ich mich entschlossen, weiterzufahren.“ Jappes horchte auf, klang das nicht verdächtig? Hatte er den Mann nicht schon gesehen? Jappes war einen Tag in Stralsund geblieben. Sonderbar? Der Kontrolleur überreichte die Scheine: „So sind wir schon in Ordnung.“ „Herr Schaffner,“ bat Jappes und bot ihm eine Zigarette an, „ist der erste Tunnel vor Bergen oder nach Bergen?“ „Es gibt keinen Tunnel auf dieser Strecke,“ dankte der Schaffner für die Zigarette. „Dann ist mein Reiseführer nicht genau,“ sagte Jappes. Es war kein Zweifel, der Fremde war ein Verbrecher und es reizte Jappes, mit ihm zu spielen. Er empfand die lebhaft brennende Gier, diesem Fremden seine Ahnungslosigkeit zu zeigen, und er redete mit der verschwenderischen Offenheit und mit der sprunghaften Erzählerlust, wie sie Freunde befällt, die lange nicht mehr zusammen waren und ihr Programm überhastend entwickeln, um Fragen auszulösen, und alles möglichst schnell anzudeuten suchen, um die Reichhaltigkeit ihrer Erlebniskarte darzulegen. „Ich steige im Strandhotel ab,“ begann er, „es ist jedenfalls das vornehmste in Saßnitz, vielleicht wohnen wir zusammen? Vielleicht haben Sie auch keine Zeit, keine Lust, na, jedenfalls können wir zusammen Mittagbrot essen und eine Flasche leeren. Ich werde baden und um zwei Uhr können wir uns treffen. Ich hole noch ein paar postlagernde Telegramme; ich erwarte auch einen Scheck von der Dresdener Bank. Nachmittags können wir ja einen Spaziergang am Meere entlang machen, vielleicht über den Hafen gegen Stubbenkammer, wo das Meer braust und die Felsen öde sind. Ich habe mich sehr aufs Meer gefreut. Das Meer lockt mich immer mit starker Kraft. Die letzten Tage haben mich niedergedrückt ... doch das ist eine subtile Affäre, ich will Sie lieber damit verschonen.“ Der Fremde fühlte eine große Sicherheit und seine Gedanken wimmelten um sein neues Ziel: – gegen Stubbenkammer, wo das Meer braust und die Felsen öde sind, wiederholte er für sich und laut: „Ja, gut, das können wir tun, es wird mich freuen, den Spaziergang mit Ihnen zu machen. Bis zwei Uhr habe ich noch geschäftlich zu tun. Ich glaube, ich traf Sie einmal an der Dresdener Bank, als Sie einen Scheck abhoben. Ich glaube, hunderttausend Mark?“ „Ich erinnere mich nicht,“ sagte Jappes, „ich habe ein schwaches Personengedächtnis, aber hundert Mille habe ich einmal abgehoben.“ Der D-Zug hielt. Saßnitz Hauptbahnhof. Jappes stieg aus und der Fremde fuhr bis zum Hafen. Vom Meer blies ein scharfer Wind: „Das gibt Sturm,“ sagten zwei Reisende und deuteten auf den westlichen Himmel. Christus und der jüdische Schächer: Als Tatsache unmöglich, als Symbol unglaublich, als Märchen wertvoll. Jappes hatte sich unter dem Namen Dr. Golliwog ins Fremdenbuch eingetragen. Er ließ sich und seinen grauen Gast in einem Separatzimmer bedienen: „Wünscht Herr Doktor jetzt schon zu zahlen?“ dienerte der Kellner, erstaunt, weil Jappes ihn um die Rechnung bat. „Ja!“ scherzte Jappes, „ich liebe es nicht, mit einer Schuld ans Meer zu gehen, man weiß nie, wo man bei einer Seefahrt landet. Das Essen und den Wein zusammen, bitte.“ Der Fremde und der Kellner lachten zu dem Scherz. Jappes zog eine schwergefüllte Banknotentasche hervor, blätterte durch die braunen und blauen Scheine, warf die Tasche nachlässig zur Seite und langte nach einem kleinen Maroquintäschchen, faltete ein großes Trinkgeld für den Kellner zurecht, zahlte die Zeche, brannte eine Zigarre an und ging mit dem eilfertigen Fremden zum Strand. Wer ein Stück Wegs am Meer entlang auf Lohme zugeht, merkt bald, wie der Weg zum Pfade wird und zwischen den massigen Kieselklötzen eingeengt kaum Platz für einen Strandläufer bietet. In fremder Begleitung ist es gefährlich im Gänsemarsch zu gehen, dachte Jappes und hüpfte nebenher von Stein zu Stein wie die Springflut. „Oh, ich liebe es, über die Steine zu springen,“ wehrte er der Einladung des Fremden, im Pfade zu gehen, „das Meer, das Meer, es macht mich ganz trunken, ganz toll. Drüben ist das Meer wilder, da lagern wir uns in der windgeschützten Tannenpflanzung hart am Wasser.“ Der Fremde trug seine graue Handtasche und schritt vorsichtig an den ragenden Kieseln vorbei: „Sie sind ein Schwärmer, mich hat das Meer auch immer begeistert.“ Die ewigen Wellen schluckten über die Kiesel und die Möwen zogen ihre schreienden Kreise tangierend an die wogende Fläche. Vom Hertha-See herüber ragt eine weiße Kreidenase ins Meer. Spült eine Welle heran, dann zerschellt sie an der kahlen Wand, sonst ist der Boden sandig und ein eilender Fuß kann bis zur nächsten Welle jenseits des eckigen Felsens sein. „Sie warten die Welle ab und laufen hinüber,“ rief Jappes, „ich komme noch rechtzeitig hin und ein kleines Fußbad schadet nicht viel.“ Der Fremde lief mit steifer Bewegung und kam trocken hinüber. Jappes plätscherte durchs Wasser der antreibenden Welle und setzte sich auf einen abgerundeten Felsblock, der auf dem Trockenen lag. „So stelle ich mir die Predigt am See Genezareth vor, erhaben auf einem Stein und mit dem Wellengang um die Wette brüllend. Setzen Sie sich einen Augenblick, fremder Freund, die Sonne malt die Wasser gerade rot. – Seltsam, heute früh haben wir nichts voneinander gewußt und schon flanieren wir zusammen am Strand. Wenn das Meer so rieselnd blutig ist, reizt es mich, peitscht mein Blut, mich ins Wasser zu stürzen, einen Menschen umzubringen und dazu zu brüllen, damit ich sein heilig-letztes Röcheln nicht vernehme. Die Wassergeister haben eine geheimnisvolle Kraft, die Undinen, Elfen, Nixen – der Meermann, das ganze Heer der Nebelmänner. Mich überläuft es kalt. Heiiih ... die ewig schwebenden Wellen, der lockende Wassertanz, das Spiel der tanzenden Geister.“ Er riß seine Pistole aus der Tasche und feuerte sie ins Meer. Der Fremde fuhr zusammen und kauerte auf einem Stein. Jappes krallte seinen Blick in die irrenden Augen des Gegners: „Meine Pistole trage ich immer bei mir. Meine siebenmal treue Freundin – einmal in Westerland auf Sylt – doch nein! weshalb die Stimmung verderben durch eine Raubmordgeschichte, die ich dort mit einem Fremden ... Puh, heiih ... keine Grillen! unsere Opfer sind uns alle sicher.“ Ein zweiter Schuß rollte übers Meer und Jappes sprang vor den Fremden. „Ich bin ein Mörder!“ brüllte er im Sprung und zielte mit der Pistole in das aschfahle Gesicht. „Wie du, bin ich ein Mörder! Geh deinen Weg zurück. An mir kannst du dein blutiges Handwerk nicht üben! Heb deine Hände hoch, du verstehst die Parole ja: Hie Geld, hie Blut! Beim Mord geht es von rot auf rot!“ – Zog dem Fremden einen kleinen vernickelten Revolver aus der Westentasche, öffnete dessen graue Reisetasche: Ein Rock, Charpie und Watte, eine Mütze, ein Dietrich, Seife, Taschentücher und ein massives Brecheisen. Der Fremde starrte mit verlorenem Blick und eine wutverhaßte Linie zog sich um seinen Mund. Jappes warf ein paar Kiesel in die Tasche und schleuderte sie ins Meer. Machte dem Fremden ein Zeichen, daß er vor ihm hergehe. Sie warteten zwei Stunden am Bahnhof und der Fremde fuhr mit dem Nachtschnellzug nach Berlin. Jappes löste ihm einen Fahrschein zweiter Klasse und reichte ihm die Hand bei der Abfahrt: „Ich hoffe, Sie brauchen keinen Zuschlag für die erste Klasse nachzulösen.“ SIEBENUNDDREISSIGSTES KAPITEL Die Sünde ist eine Erbschleicherin, die auf den Tod der Tugend lauert. „Meine ganze Mappe wird im Glaspalast ausgestellt,“ rief Pepy freudestrahlend und hob ihre Hand graziös an Professor Günthers Lippen. „Ich bin sehr glücklich und ich danke Ihnen vielmals, mein Freund.“ „Schön, schön, für seine Freunde muß man immer etwas Angenehmes tun können und es wird zur Pflicht, wenn man ein Talent fördern kann. Wir gehen ins Atelier hinauf, da können wir ungestörter plaudern. Gestört werden wir sowieso nicht, meine Frau ist mit einer Freundin ins Residenztheater.“ Sie stiegen die Treppe hinauf und die Läufer dämpften ihre Schritte. Professor Günther ging hinter diesem jugendbebenden Wesen. Sein Blick umfaßte die vollen geschweiften Hüften des Mädchens, die prall-molligen Waden, in gemusterten durchsichtigen Strümpfen gerundet. Er umfing ihre Bewegung, trank den Rhythmus, der von ihr ausströmte, berauschte sich an seinem glühenden Verlangen. Sein wild pulsierendes Blut trieb ihn, dieses rothaarige Kind zu berühren, ihr in lodernder Brunst seine Sehnsucht zu klagen, in ihrem weichen elastischen Busen zu wühlen, ihr heißes Fleisch zu küssen, jede Fläche, einzeln, lange, lange ... Er stolperte die Treppe hinauf, von der Begierde gepeitscht, von der Unsicherheit gefesselt. * * * * * Wer könnte die geheimnisvolle Macht des Fleisches bezweifeln! Sind die mystischen Verzückungen der Heiligen etwas anderes als erotischer Taumel? Sind die devoten Verzückungen der Klosterfrauen etwas anderes als saugende Erschöpfung im Andenken an das liebeglühende Herz des Erlösers? Ewige Gesetze des Blutes, die uns die Sinne verwirren, die uns im Rausch der kreisenden Säfte zum gesteigerten Leben führen. Göttlicher Funke der Empfindung, der du das Leben zur Wonne machst! Oh! die Wollust der schlingenden Arme. Oh! die Nähe der rieselumrauschten Umarmung. Oh! der Zauber der müden Gestalten. Taumel, Wirbel, Glut und Beben und selig still Versinken in sich selbst. Günther und Pepy sahen keine Staffelei, keine Bilder. Ihre gegenseitigen Gedanken waren Wirklichkeit. Sie gehörten sich, von Mund zu Mund, von Fleisch zu Fleisch. Das Mädchen in erschrocken-erregter Erwartung erzitterte, als Günther ihr das gekräuselte Gelock löste, ihr glühendes Gesicht an seine pochende Schläfe drückte, ihr Stirn und Auge streichelte und in langer Umarmung ihre Lippen preßte. Sie begehrte diesen Mann, wie er sie begehrte. Ihre köstlich-reifen Brüste quollen aus dem gelösten Mieder, und Wonne durchschauerte den willenlosen Körper, als er seine Lippen zum Kuß hinunterneigte. Löste ihre leuchtende Unterkleidung und ihr Fleisch quoll hervor, perlend, blendend weich. Wundersam samtige Knie, die Fülle der flaumigen Beine, die Wölbung des bebenden Leibes, der dunkle Schatten der männlichen Sehnsucht. Günther hüllte sie ein mit den Blicken. Umschmeichelte streichelnd die lockenden Reize und seine Sinne stöhnten von der Marter des flutenden Blutes. Biß seine Zähne in das saftige Fleisch, das sich wehrlos dem Drängen entgegenspreizte, zuckend in betäubender Lohe. Worte sind schwache Trabanten, wissen nicht von den Lüsten der Menschen zu sprechen. Und Taten sind stumm ... Heilig ist die Lust, welche die Sinne berauscht, welche die Begehrenssehnsucht nach dem Tempel der Freude weckt. Mensch! entsprossen aus dem Mutterleib, ewig zieht es dich zum Mutterschoß zurück. Der Traum vom Kind, der Traum vom Weib wird nie so schön geträumt als unbewußt. O heilig-weicher Schoß! du birgst das Wunder einer Welt in Seligkeit aus nichts erschaffen. Fluch dem Schöpfer, daß er die Begierde nackter Zweisamkeit bei Tieren schuf! Ward der Mensch erniedrigt? Ward das Tier erhoben? Das Leben ist aus Lust geworden nach einem heiligen Schmerz im Mutterleib. Liebend hegt die Frau die Frucht, die ihr mit schmerzlich-banger Qual die Mutterschaft zerriß. Geheimnisvoll Gefäß der schmerzlich-süßen Lust! O Litanei der süßen Namen! Nicht Fleisch ist Schöpfer – Heiliger Geist aus jenem Wunderland, das die Erlösung in die Welt gesetzt. Marter ist dein Traum von Lust und alle träumen wir die martervolle Freude. Kelch der Gnade, du Labung des begierdevollen Opfertums. O Mater lacrimosa, hast du auf Golgatha das Wunder deiner Ueberschattung nicht verzückt beweint, als mit dem Sohnesblut das Mutterwort vom Kreuze tropfte? Weh deiner heiligen Ohnmacht, daß du den Tabernakel glückverklärter Herrlichkeit nicht künftiger Erlösung weihen durftest. Löwenmutter, die nur einen Sohn der Wüste schenkte, wende deine Huld den Armen zu, die deine Leiden in der Mutterwürde büßen. Kunst und Leben: Traum und Wirklichkeit; Erwachen liegt dazwischen. Pepy kannte kalte Marmormänner, die mit ihren toten Reizen keine Sinne kitzeln. Gips und Stein! so war die Kunst, kalt und tot. In dieser Nacht sprach der erste warme Mann zu ihr, den sie wie einen Traum erlebte. Fleisch und Blut! so ist das Leben warm und schaffend. ACHTUNDDREISSIGSTES KAPITEL Es gibt Menschen, bei denen der Fortpflanzungstrieb stärker ist, als der Selbsterhaltungstrieb. „Es reizt mich, dich zu heiraten mit allem Formelkram und allem Jirimiri. Dein angetrautes Weib! Ein Jahr vergeht im Flug, bis dahin bin ich dieses Abenteuers überdrüssig. Die Welt dreht bunt zu unseren Füßen, wir täten unrecht, uns nicht mitzudrehen. Wo ist der Weg, den diese Welt durchmißt? Sie dreht und dreht um Sonne, Mond und Sterne, und übers Jahr ist sie am selben Fleck. Vergiß nicht, daß die Drehung rasch ist und daß der Taumel uns die Richtungswerte nimmt.“ So sprach Armida und Calvandi grinste: „Es wird ein seltenes Paar, und Seltenheit ist selten auf dem Torkelglobus. Ich werde dir am Tage treu und nachts dein Diener sein. Die Familie beruht auf Beischlaf, und das Glück des Kindes hängt vom Vatersegen ab. Mein Täubchen, komm, sei meine süße Maus. Die Ehehälften müssen sich zu einem Ganzen schlagen. Wir gehen los: zum Schöps, zum Paternoster, kehren heim in unsere trauten Brautgemächer. O holder Engel du! In meinen Tränendrüsen herrscht die ewige Ebbe, heute wär ein Tag, dem Glücke von der salzigen Flut zu spenden. Wie ist der Brauch allhier: darf man die ungeweihte Braut mit einem Kuß versehen?“ „Tu wie du willst und laß den Brauch für die Gebräuche.“ „Du honigsüße Lorelei. Laß mich den Inhalt deiner Waben pressen und meine Muskelkraft mit dir in der Umschlingung üben. Die Schnute fix! Wie feierlich die Gegend schweigt – – – Deine Fresse ist recht appetitlich, noch einen Kuß für deinen Lippenzwilling, bei Ehr, das ist der beste Liebesschilling.“ „Laß mich schnaufen, Arco, du bist grob.“ „Ich bin nie grob, manchmal stürmisch galant. Die Last der Ehe wird die Glut schon dämpfen. In Flittertagen darf man nicht empfindlich sein. Bist du nicht Mutter übers Jahr, dann sterben meine Vaterträume, die in der heißen Brust gehegten. Wie schön, von einer Frau geliebt zu sein! Arme Freundin, das kannst du nie erleben und mußt mit eines Mannes Liebe fürliebnehmen. Du hast mich doch lieb? Verzeih, wenn du dein Denken durch die Ueberlegung schändest.“ „Ich glaube ja und du?“ „Ich habe mich nicht lieb.“ „Und mich?“ „So lieb, wie wir uns beide gegenseitig lieben. Ich habe Sehnsucht nach den Hügeln meiner Träume, nach dem Tale meiner Sehnsucht. Treten wir ins Eden, ins Dorado, dein Michael ist abgereist, der am Garten der Armida Wache stand. Du bist die Schlange, ich der Apfel und der Teufel wird beim Pflücken geigen.“ „Jappes ist am Meer mit seinem Flammenschwerte und das Dorado steht dir offen. Vergiß nicht, daß der Teufel Kolophonium zum Fiedeln braucht. Die Schlange häutet sich noch nicht. Jappes-Michael muß sein Nein zum Ja für dich verwandeln. Das Jawort ist die Klausel der Geschlechter, und Michael ist eine Großmacht, die mit zähem Wall mein Ich umschlossen hat.“ „Weh mir der Qual, den Terminus noch abzuwarten!“ „Denk, daß du ein Mann und ein Franzose bist und einer Dame ritterlich entgegenstehst. Der Rittersinn soll nicht allein im Rosse liegen. Ich denke, deine Ahnen waren Ritter?“ Perversität und Genie treiben zum selben Ziel: dem Wahnsinn. „Von meinen Ahnen soll ich dir erzählen, dem Stammbaum meiner Ritterschaft, mein Pedigree ... Vom: Hausgeist derer, die sich meine Väter nannten, von der Kette meiner Uren, die sich zum Gedeih des Stammes der Calvandi zeugten. Frankreich steht und fällt mit dem Geschlechte der Calvandi! Unsere ersten Streitrosse standen unter Ludwig dem Frommen, le Débonnaire. Nach dem Normannenzug ritten sie zum Grafen Eudes, als bei Karl dem Kahlen keine Wolle mehr zu scheren war. Der Stammbaum reitet durch die Wirren treu an königlicher Tafel seinem Glanze nach. Meine Ahnen waren kühne Zeitgenossen aller großen Taten; mit den Königen standen sie auf du und du, mit der Reihe derer, die man Ludwig nennt, auf geldvertrautem Fuß. Meine Phantasie illuminiert mir die Taten aller Louis, wenn ich an die Namen denke, die von ihrem Wesen Kunde geben; Ludwig der Fromme, der Dicke, der Junge, der Löwe, der Heilige, der Zänker, der Elfte, der Vater des Volkes, der Unglücksziffrige, der Sonnenkönig, der Namenlose, mit Maria Leszczynska ins Ehebett getraut, der Sechzehnte, den man vom Denken suspendierte. Die Philipp, Karl und Heinrich, die in den Ludwigslücken glänzen, haben meiner Ahnen Tätigkeit am eigenen Leib erfahren und sie für ihren Raub geadelt. Seit der große Korse die Ländertafel anders malte, leben meine Väter vom Goldstaub der Jahrhunderte. Mein Vater war korrekt und zäh in der Verfolgung eines Zieles. Es soll kein Tadel sein: Drei Jahre ritt er an der Bahn entlang mit einem Terzerol, den Führer eines Zugs, der ihn zu spät aus der Provinz zu einer Freundin in die Stadt gebracht, zur Rechenschaft zu ziehen. Mit verhängtem Zügel hat er sein Roß am Zug entlang gepeitscht ... Da dämmerte im dritten Jahr in seinem geistverwirrten Sinn, daß er nicht wußte, wie der Führer war. Die Jugendtage hat er in heilig-augustinischer Versunkenheit verliebt, die Kirche wurde sein Refugium. Zur Vesperzeit sah man ihn mit einer Koppel Hunde und mit seinem Jagdgewehr im kühlen Raum der Kirchenwölbung, mit unverwandtem Blick die Frauen äugend ... Seltsam, keine lachte.“ „Die Ehrfurcht ist um die Ehre länger als die Furcht. Dein Vater war ein Feuergeist. Sein Hitzkopf ist dein Erbe. Ich liebe Männer, die sich Opfer bringen.“ „Ich nutze meine Zeit, eh auch der Wahnsinn mich befällt. Der Geist, der die Calvandi lenkt, wird müde nach dem ersten Drittel ihres Lebens. Kein Edelstein ist erblich in der Familie, der den dunklen Geist des Hauses bannt und seine Kraft für den Ruin des Trägers ins Spiel der Zeiten wirft. So sterben wir durchs Blut, das unserem Leben seinen Rhythmus leiht. Der letzte unserer Art wird nie geboren werden. Der Wahnsinn ist der starke Geist, das Absolutgesetz, das willenlos den freien Willen zwingt. Die transzendente Kraft des Wahnsinns schafft den Uebergeist. Und Priester dieses Geistes sind wir alle vom Geschlechte der Calvandi!“ Armida nahm seinen Arm und sie verließen Calvandis Zimmer. NEUNUNDDREISSIGSTES KAPITEL Der Tod ist eine Allegorie, die aus einem praktischen Gebrauch entstanden ist: Dem Sterben. Die Nacht ging Jappes am Hafen entlang. Aufgestapeltes Kistenzeug für den Versand der Fische türmte sich ins Dunkel. Lastkrane griffen in die Luft. Traniger Petroleumgeruch schwängerte um die Kohlenschiffe, die in den Docks lagen, wie schwarze Seeungeheuer. Toter Fischgeruch kam mit dem scharfen Seewind. Der Leuchtturm am Ende der ins Meer getriebenen Mole zwinkerte sein abwechselnd erlöschendes und aufflackerndes Licht herüber. Jappes wunderte sich, daß der Hafen so regungslos lag, wie ausgestorben. Keine Hafenschenke mit wettergebräunten Gesichtern, keine Schnapsräusche und Schlägereien. Und die Stille tat ihm weh im atmenden Rhythmus des flüsternden Windes. Kam an den Eingang zur Mole; las eine Warnungstafel: „Das Betreten des Molo bei Sturm oder Nebel ist verboten!“ Das Wasser leckte an dem massiven Gemäuer. Er kletterte vom Fahrdamm auf die breite Brüstung, die ihren blankgespülten Streifen zum Leuchtturm zog. Ein Passagierdampfer mit schiefen Schornsteinen schlief friedlich in der Brut der schwarzen Fischerbarken. Jappes sprang über das spitzstäbige Geländer und stieg die Treppe hinauf, die zu den Lichtschlitzen des Leuchtturmkopfes führte. Sein Leben setzte sich neben ihn und blätterte mit ihm in der Erinnerung. Seine Art Leben war erschöpfend, aber nicht befriedigend. Vielleicht kannte er die Ansprüche nicht, die er an das Leben stellte, er wandte nur Kräfte an, die dem Unterbewußtsein entsprangen, und sein Ziel war der Zufall. Sein Ziel war allerorts. Weshalb war er so geworden? Die Jahre reihten sich aneinander, immer kleiner, entfernter, bis sie irgendwo um die Ecke bogen, wo Leben und Unleben sich scheiden. Zeiten, deren Substrat sein Leben war. Kämpfe, Glauben, Schwankungen, Zuversicht. Er trieb im Leben, getragen von der starr-unsichtbaren Gesetz- und Zweckmäßigkeit des sittlichen Auftriebs. Er speicherte seine Kräfte auf, immer bereit zur Entladung, zum Schlag, zum jähen Panthersprung, federnd, instinktiv. Im Strome, der ihn trug, trieben Episoden, zerstückeltes Leben, verronnene Träume. Er überholte die irrenden Fetzen, und die Jahre woben daraus sein gobelinhaft-allegorisierendes Reliefleben. Die Tage standen da, starr wie Stangen; trugen Fahnen oder trugen keine, trugen bunte wehende Wimpel oder graue hängende Tücher. Manche Tage hatten auf Halbmast geflaggt, die toten Tage der Sehnsucht. Er sah eine ragende Flaggenstadt. Die grellen Farben töteten das Grau und die Oriflammen, er sah seine bewegte Welt der wogenden Fahnen. Wie oft war er die verschlungensten und unsichersten Pfade gegangen, die Pfade, die jeden Augenblick aufhören konnten, irgendwohin weiterzuführen. Aber ihn hatten sie in die große Lichtung geführt, wo die Tatsachen des Lebens in ihrer Nichtigkeit zerstoben. Das Meer atmete seine stickigen Nebel in die Nacht und die Stille kroch über das Wasser. Pepy trat in seine Erinnerung. Das rothaarige, blutbebende Mädchen. War sie die Braut des Engländers ...? Hatte sie den Weg der Lust schon beschritten ...? War ihr junger Leib in den Zuckungen des Taumels erbebt ...? War sie noch Pepy oder hatte sie den Stempel der gierigen Lust schon empfangen ...? Er litt seine Sehnsucht nach ihr, er fühlte seine schmerzliche Liebe, litt in seiner Seele beim Gedanken an das unberührte, hingebungsvolle Mädchen, das in den Jahren der unbewachten Begierde ihr Leben entscheiden mußte. Er riß sich los von den quälenden Gedanken und durch den Nebelflor klang sein Gebet in die Nacht: Ruth, mein Rudibub! Weshalb kam er nicht von Armida los, von diesen schwebenden Wesen ohne Begierden und voller Lüste! War es der Reiz des Zwittergeistes, der in ihr steckte? War es die lockende Kraft ihres ernst-tändelnden Daseins? Weshalb lockte ihn das Meer? Die Fragen verwirrten ihn. Gab es überhaupt eine Antwort darauf? Er folgte ihr, weil er wollte, weil er mußte. Er folgte dem hüpfenden Irrwisch, dem tänzelnden Flämmchen. Er folgte! – Calvandi erschien mit einem sarkastischen Grinsen, mit seiner ermüdeten Geilheit in den Augen. Jappes krampfte die Finger zusammen. Er dachte an die foltereinsame Nacht im Park der Winterstein. Weshalb ließ er sich von Armida befehlen, weshalb war er vor Calvandi gewichen? Mit dem Finger schrieb er die Antwort in die Nacht: Feigling! Dachte an seinen Spaziergang mit dem Fremden am Strand und an die graue Sorgentasche, die er ins Meer geschleudert hatte. Wo war der Fremde? In Berlin. Wo war Calvandi? Bei Armida. Wo war Armida? Bei Calvandi. Eine heiße Blutwelle schoß ihm in die Schläfe. Er war tolerant, duldete, daß seine Freundinnen Freunde hatten, war liebenswürdig gleichgültig gegen sie. Weshalb betrog er sich in seiner laxen Liebe! weshalb duldete er alles mit erlebter Selbstverständlichkeit?! War er ans Meer gegangen, um Armida einen Gefallen zu tun? ... Nein! er war Calvandi ausgewichen, und das Bewußtsein der duckenden Feigheit folterte ihn. Jappes opferte zu vielen Göttern. Der Mord geht durch die Nebel und küßt seine Opfer. Feucht von dem haftenden Nebel trat er in eine Schenke. Dunkle Teerjacken hockten an den schmierigen Tischen, stützten die Ellbogen auf und stierten in die Fuselgläser. Schnapstrinker reden und lärmen wenig. Sie rauchten aus braunen Erdkloben und hatten die Mützen im Nacken. Ueber dem Schanktisch nickte die verhutzelte Wirtin. Sie schien ihre beste Kundin zu sein. Dann und wann kam sie mit trunkensicheren Schritten und schenkte die Gläser voll bis scharf an den Rand, ohne einen Tropfen zu vergießen. Die Trinker stießen ihren Gruß vor sich hin, ohne nach dem Eintretenden hinzublicken. Jappes setzte sich an ihren Tisch und bestellte eine Runde, bestellte eine Flasche, eine zweite. Bestellte Kautabak, schob einen Priem in die Backe, gab die Spirale weiter. Die Fischer bissen hinein und das Feuer in ihren scharfen Augen hinter den schweren Wimpern begann zu glimmen, wurde zur Lohe gesteigert. Es waren nicht mehr die stummen Trinker, die in Gedanken um ihr geplagtes Dasein den Schnaps hinuntergossen, als hätten sie Bewußtsein vom Unrecht, das sie sich taten. Der Alkohol war ihr Sorgenbrecher, der sie von der Erde loslöste, sie aus der Fron der strengen Tage herausriß in höhere Gefilde, wo sie wieder zu ihrer Natur kamen, sich stark fühlten und frei, den Augenblick der Beseligung genossen und keinem armseligen Erwachen entgegendachten. Und sie tranken, tranken, weil ein anderer zahlte und wurden froh dabei. Da saßen die massiven Gestalten und brachten Gesundheiten aus, erzählten Jappes irgendwelche Begebenheiten, die ihnen gerade einfielen; die Wirtin war näher getreten, lehnte an der rauchbraunen Holzwand, horchte auf die Erzählungen, mit denen sie seit Jahren vertraut war, aber horchte, weil sie einem Fremden erzählt wurden. Jedes Wort kam stoßweise wie eine Bö, wie ein Ruderschlag, und die Erzählung schwamm sicher weiter. Sie erzählten ihr Leben ohne Murren, ohne überhobene Freude; erzählten von ihren Leistungen, jeder war ein Held, ein Sieger in den Gefahren. Was hatten diese Männer erlebt neben ihrer Arbeit! Seenot, gekenterte Boote, tote Kameraden, zerrissene Netze. Das Meer war ihnen Fluch und Segen. Die Türe flog auf. Ein junger Fischer mit federnden Schritten trat ein, er roch nach der frischen Nacht. Die Trinker blieben in atemspannender Erwartung und sogen die Kühle, die von der Tür kam. „Ein Glas!“ dröhnte der Fischer, riß ein Gewehr von der Schulter und stampfte mit dem Kolben auf den Tisch. Das Hutzelweib brachte ein Weinglas Schnaps. Die Gläser klangen zusammen, der Fischer musterte Jappes scharf und stieß sein Glas an das seine: „Prost! Das fließt wie Oel und brennt wie Feuer,“ rief er, und die Wirtin füllte sein Glas wieder voll. „Heute können wir dir gleichtun,“ sagte ein Trinker mit schwerem Baß zum jungen Fischer und, auf Jappes deutend: „Der Fremde zahlt eine freie Nacht.“ „Ich zahle eine freie Kugel,“ gab der Junge zurück, „es geschieht ein Unglück. Ihr wißt, daß gestern nacht ein Boot mit einer Leiche ans Ufer getrieben wurde. Ich kam vom Hafen herauf. Da stand das Boot auf dem Sand mit der angefaulten Leiche.“ – Dann schleuderte er sein gefülltes Glas in die Ecke und ergriff sein Gewehr: „Jan Meeren fand ich bei meinem Weib,“ brüllte er wutbebend, „hier ist sein Tod! Am Morgen bin ich zu den Sakramenten gegangen und habe die Hostie aus dem Munde genommen, ins Gewehr gesteckt und in die Sonne geschossen. – So bin ich himmlischer Freischütz geworden ...“ Dann hatte er die Tür aufgerissen und war in die Nacht hinausgegangen. Niemand wagte über den Teufelsschützen zu reden – sein Vorhaben war zu ungeheuerlich, zu satanisch, zu gerecht. Ein alter Seebär saß in der Ecke und weinte. Die Fischer sagten: er ist schwermütig, und wenn er Schnaps trinkt, muß er immer weinen. Als er jung war, gab es keinen fideleren Burschen auf der ganzen Insel, und keinen verwegeneren. Einer flüsterte Jappes ins Ohr: „Vielleicht hat er einmal eine Hostie gestohlen!“ Ein Holländer, der mit zwei Pinken im Hafen lag, sang mit breiter wässeriger Stimme: „Lust en rust mijn genoegen,“ kippte sein Glas leer, sabbelte sein schnapsgeschwängertes „Aannemen“ hervor, warf einen „blanken gouden Willem“ auf den Tisch: „Ik heb geen kleingeld bij mij. Kun je mij wisselen?“ Die Wirtin hob den Willemsd’or auf, als wolle sie ihn auf seine Echtheit prüfen: „Ich kann nicht wechseln,“ schnäpselte die Alte und ließ das Stück auf den Tisch klinkern. „Ich zahle die ganze Zeche,“ rief Jappes der Wirtin zu, „lassen Sie dem Mann das Geld und bringen Sie uns noch eine Flasche.“ „Ik dank U, mijn-heer,“ empfahl sich der Holländer, „hier verkoopt men sterke dranken,“ und er beschrieb einen unsicheren Bogen nach der Tür. Die Nacht ging zur Neige und die Schenke war voll Qualm und Fuselduft. Die Trinker sägten im Schlaf, daß die Stube zitterte. Jappes zahlte die freie Nacht und zahlte eine zweite. Draußen dachte er an den Freischützen, der einen Gottesraub begangen hatte, um die Schmach zu rächen, die ein anderer ihm angetan hatte durch Benutzung seines Weibes. Der Morgenwind spielte im Sandrohr. War es nicht wie eine Toteninsel? Was sollte die seltsame Leiche bedeuten? Ein Unglück? Eine Rache? Und er dachte an den Freischütz, dachte an Arco Calvandi. Auf der Post gab er ein Telegramm auf: Tante Ida empfangen Sie mich um Schillers willen, Jappes. Draußen brannte die Sonne in Gluten. VIERZIGSTES KAPITEL Die Rezensenten sind Organe, und der gute Ton gebietet, daß man gewisse Organe nur mit dem Anfangsbuchstaben andeutet. Hier ist er zufällig A. In Tempelhof war Abendunterhaltung. Bewegliche Damen in hauchiger Toilette, Blumen, Gekicher, Sorbet, Wein, Liköre und Protz. Die Zimmer reich ausgestattet, halb modern, halb orientalischer Stil. Teppiche, Kissen und kostbares Pelzwerk. Ambraduft im molligen Retirado der Damen. Auch die Galane hatten Zutritt, wenn sie nicht rauchten. Am Abend wurde wenig geraucht. Geladene Gäste und Freunde des Hauses. Der dicke Winterstein, die Ursache des Reichtums, seine panachierte Gattin, Henny, die Tochter, die knospende Fülle der bräutlichen Flavia. Jappes, der Bummler, der Musiker Friedrich Wilhelm Berendtsen, Doktor Nepomuk Keupe, der Bräutigam der holdumstrickten Flavia und andere verschwindend kleine Größen zweiter und dritter Ordnung. Bediente hasteten wie Ordonanzen im Hauptquartier. Doktor Nepomuk Keupe schrieb die Waschzettel bei Scherl für Nikolausbücher. Er war durch Ullstein gegangen. Er hatte viel Gutes getan und manch armes Geschreibsel mit den wärmenden Worten bezahlter Anerkennung bekleidet. Aber in den Büchern war noch allzuviel armselige Nacktheit unbekleidet geblieben. Er führte die Unterhaltung bei den Damen, sprach ihnen über die polizeiliche Notwendigkeit der Kritik: „Die Kritiker sind die Regulatoren der Moral, die Gegengifte der Schamlosigkeit und der Frivolität. Gegen angemessene Bezahlung wissen sie die Frivolität in Unflätigkeit umzumodeln, die Schamlosigkeit in Würdelosigkeit. Die Kritiker sanieren die ethische Begriffsverwirrung des Volkes, sie stellen die geistige Hausapotheke mit den genießbaren Mixtürchen zusammen, versenden die anregenden Baldriantropfen gegen die Ohnmacht lasziver Versumpfung, machen das Publikum gefeit gegen das große Gift sittlicher Perversität, durch Verabreichung des schleichenden Giftes in erprobter Dosis. Deshalb schufen die Verleger die verantwortungsvollen Posten der Rezensenten, welche der Nacktheit wenigstens eine Schwimmhose überziehen. Der Kampf gegen die Unmoral ist auf der ganzen Linie entbrannt, wenn die Kritiker auch das letzte Mittel noch nicht gefunden haben, die Nacktheit wirksam zu bekämpfen. Der Kampf gegen die Bekämpfer der Konvention ist eingeleitet. Die Kritik ist sich ihrer kulturellen Verpflichtung bewußt, sie tritt ein für eine höhere Geistigkeit, auf ihrem Banner weht das Motto des gesteigerten Ethos. Gebrandmarkt! die an der bestehenden Ordnung rütteln, gebrandmarkt! welche die Anarchie der Empfindung predigen, gebrandmarkt! die mit den heiligsten Gefühlen spielen, die mit unersättlicher Ironie und gleißendem Witz das Intimste persifflieren, die Heines der modernsten Salons, die ihre Federn an den obszönsten Mätzchen wetzen. Dreimal Pfui! den schamlosen Vaterlandsverrätern, welche, in fremdem Sold, das Teuerste ihres Volkes, wie eine Kurtisane auf der Straße ihre Reize, feilbieten. Pfui und Elend dem eklen Geschmeiß, das wie Heine die edelsten Triebe in der Pfütze der Zote schleift. Pfui! Pfui! Pfui!“ Die Damen horchten der sittlichen Entrüstung, die sich wie ein Donnerwetter aus der schwül-gespannten Atmosphäre des Doktors entlud. Die Dramatik der polternden Verdammungsrede hatte die Damen eingeschüchtert. Doktor Nepomuk Keupe stand wie der wetternde Moses, der in seinem heiligen Zorn die Gesetzestafeln vor den umtanzten goldenen Kalbsfüßen zerschellte. Jappes hörte mit lächelnder Aufmerksamkeit zu, wie der zähe Jude Heine heruntergerissen wurde, wie der Doktor sich ins weiche Pyjama moralisierender Stoffe drapierte, um seine abscheuliche Nacktheit zu bedecken. Er trat näher zu dem witzigen Köter, der mit sittlichem Gebelle in der Nacht seiner Verworrenheit den guten Mond Heine ankläffte. Horchte den holprigen Dithyramben, die er auf das Lob des Judenfressers und Ueberjuden Bartels sang, weil er Heinrich Heine den letzten Tritt versetzt und ihn mit kluger Umständlichkeit hinter die spanische Wand gebettet habe. Lauschte den literarischen Mätzchen des kritischen Urteilsbeamten, der die Schablone zum Symbol erhob, der an literarhistorischen Expektorationen litt, welcher zufälliges Genie vom armseligen Postament bürgerlicher Unzulänglichkeit beurteilte. Jappes trat zu der Gruppe: „Sie gestatten,“ er stellte sich vor: „Jappes Paul.“ „Doktor Nepomuk Keupe.“ „Wenn Sie so viele Jahre Universität hinter sich hätten wie ich, wären Sie nicht mehr so klug,“ wandte sich Jappes an Doktor Keupe. „Sie haben das Lob der Kritik gesungen. Entschuldigen Sie, wenn ich mich eines Lächelns nicht erwehren konnte. Das klang alles zu hanebüchen, zu geschraubt. Ueberall gibt es Pharisäer und Schriftgelehrte, die den Heiland der Wahrheit kreuzigen. Glauben Sie nicht, daß Heine nach dem ewigen Gesetz der Kausalität geworden ist, nach dem unwandelbaren Prinzip der Genialität? Sie sprechen ihm Würde ab. Konnte er als Notleidender würdevoll sein? War es nicht sein gutes Recht, die Talmiwerte der Kultur zu verstoßen? aber in den Goldkammern hat er nicht geplündert, wie die zivile Clique der gedungenen Häscher der Gesellschaft. Die stinkige Jauche, die aus den verschrobenen Gehirnwindungen des Literarhistorikers Bartels floß, hat die Asche Heines nicht besudelt. Er hat Heine den Eselstritt gegeben. Heine hat den Tritt erhalten und uns Sterblichen blieb der Esel zurück. Es gibt nur eines zu beweisen: Daß Heine Deutscher war. Hat jemand Schöneres und Tieferes aus der sehnsuchtkranken tiefen deutschen Seele geholt als der Dichter der trauerliebenden Lieder? Weshalb wollt ihr kriechenden Verleumder beweisen, daß Heine schlecht war! Zweifelt ihr nicht selbst an der Wahrhaftigkeit des Urteils? Wie könntet ihr sonst beweisen wollen! Weshalb sucht ihr die Läuse des großen Meisters zu fangen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, eine solche Laus ist erhabener als ihr, denn sie hat vom lebendigen Safte des Dichters gesogen, derweil ihr euch am Aas genugtun müßt, Leichentöter, Leichenschänder! Heine war sittlicher denn ihr. Seine Selbstanalyse, seine Selbstironie war seine Beichte und seine Buße. Seinen Leichnam habt ihr für Gold verkauft. Schacher habt _ihr_ getrieben mit den Gefühlen eures Volkes. Treitschke verurteilt Heine, weil dem Dichter der historische Sinn abgeht. Sollen wir Treitschke verurteilen, weil ihm der lyrische Sinn fehlt? Heine war das unendlich gute Enfant terrible der Literatur, die grollend-fluchende Güte. Es ist keine Vermessenheit, Heine mit dem alttestamentlichen Gotte zu vergleichen, mit dem ewig fluchenden, verwünschenden, zermalmenden Urwesen, das die Erde trotzdem nicht auf die rotierenden Gestirne prallen läßt, selbst wenn die Zornesader auf der göttlichen Stirne zum Platzen schwillt. Hättet ihr Heine verstanden, ihr steifen Zwerchfellträger, wie unendlich feiner könntet ihr eure Tartüfferie zum Dogma absoluter Glaubwürdigkeit ausgeben. Weshalb rührt ihr beständig in der Odelgrube, wenn der Gestank euch so verhaßt ist?“ Jappes stieß einen Luchspelz mit dem Fuß: „Man sollte sich schämen, im Kragen über solche Dinge zu reden. Die Sorte Leute kommt mir wunderlich vor. Wie ein Mensch, der ein Schloß sieht und nur über dessen W.C.s redet, die sicherlich sehr nützliche Institute sind und in besonderen Nöten alle Achtung verdienen. Lesen Sie Heines Lieder und die Wunder seiner Prosa und lesen Sie ein paar Seiten gehässiger Polemik im Stile Bartels ... Na! dann haben Sie das Schloß und die W.C. Die Leute haben recht, so zu urteilen, aber sie sollten ihren Unrat in aller Stille umrühren, wenn der ahnungslose Bürger friedlich schlummert!“ Herr Doktor Nepomuk Keupe reichte Jappes die Hand: „Sie ereifern sich, mein Herr, die Auffassung Barthels’ ist durchaus nicht meine Meinung. Sie haben recht, die unsaubersten Handwerke verhelfen am schnellsten zur Pinke. Das Pamphlet Bartels ist eine Verquickung von Augendienerei und Patriotismus in verschrumpelter Form. Bartels beißt den Heinekenner heraus, er ist nur eine notwendige Verwesungserscheinung des lyrischen Leichnams.“ Die Damen atmeten auf, als das Gespräch die abschüssige Kurve gefährlicher Reibereien passiert hatte und in der flachen Bahn des gegenseitigen Ausgleichs weiterrollte. Jappes verglich die Kritiker mit Spinnen, die ihre Netze ausspannen und auf ein neues Werk lauern, um es auszusaugen, wenn es klein genug ist, um die Maschen nicht zu zerreißen. Er bewunderte die Unermüdlichkeit der literarhistorischen Spinnen, die mit seltsamer Ausdauer ihre Netze immer wieder neu weben, wenn ein zu großes Tier achtlos durch ihre Netze jagte. „Ihre Vergleiche sind entzückend,“ sagte die besorgte Flavia, „sie sind von seltener Treffsicherheit. Sie können so weitermachen, Herr Jappes,“ fügte sie in freundschaftlichem Tone hinzu. „Meine Gnädigste,“ wandte sich Jappes an Flavia, „die besten Vergleiche sind die, welche man nicht macht. Würden die Dummköpfe das Gegenteil von dem sagen, was sie denken, sie würden die Welt in Staunen setzen.“ Ein Ventilator zischte am Fenster: „So wird man immer ausgepumpt von den vielen unsichtbaren Ventilatoren der Umgebung,“ fuhr er fort, „puh, ich hasse diese Saugmaschinen, solange sie kein absolutes Vakuum erzeugen. Mich reizt es, eine Zigarette zu rauchen, wenn die Damen gestatten.“ Er empfahl sich und ging ins Rauchzimmer. Doktor Nepomuk Keupe folgte in kurzem Abstand und nahm in einem für die größten Dimensionen berechneten Klubsessel Platz. Sie sprachen über Romane, über neue Schöpfungen, über neue Richtungen. Kramten ihre Weisheit aus über Sturm und Drang, über die ewigstarre Klassik, gedachten der Romantik im sehnsuchtkranken Hölderlin, hechelten das junge Deutschland und die klassizistischen Epigonen. Trafen auf den Naturalismus voll strotzender Berühmtheiten, wagten sich an den Expressionismus mit seinem ewig-ineinanderfließenden und ewig-voneinanderstrebenden Naturalismus und individuellen Mystizismus: der Schleier der Maja, jeder sah die Welt, die er sich brennend in der Seele schuf. Was ist die Kunst anders als das Evangelium für die Evolution des Geistes! Sollen wir die Prediger verdammen, welche die grellen Widersprüche zwischen Lehrern und Schülern predigen, zwischen Vätern und Söhnen, zwischen lebender Kultur und toter Tradition? Die Jugend hat recht in ihrer Kraft, im Schatten des Alten darf sie nicht zum Krüppelwesen werden. Weshalb will man den wenigen Olympiern das Monopol des Geistes zuschreiben? Haben nicht auch die Kleinen das Unrecht ihrer Umgebung gesehen, erlebt, erlitten? Es ist nicht genug, daß Christus mit göttlichem Pathos die Bergpredigt in die Welt verkündet hat, seine Diener wiederholen und variieren die Gedanken des göttlichen Redners, werden nicht müde, sie dem Volke in allen Tonarten mundgerecht zu machen mit der Kraft der wiederholten Behauptung. Ihr nüchternen Skribenten des grünen Tisches! Ihr habt nicht das Recht, den Kleinen den Mund zu wehren – denn ihr gehört selbst dazu. Die Kleinen, die Auflehnung predigen, die Gleichheit fordern, die nach Freiheit lechzen, nach der Freiheit der Entwickelung, die den Kampf des Ichs predigen, die Selbstbehauptung, die Selbstwerdung. Nicht alle sind Künstler des Wortes, nicht alle geben sich die Mühe, die Gedanken im Rhythmus der fließenden Sätze zu prägen. Weshalb wollt ihr euch müde klauben, ihr Lohnarbeiter der gewerblichen Feder, um herauszuschnüffeln, zu welcher Kategorie ein Schriftsteller gehört. Alle passen in euer Prokrustesbett, denn die Gedanken sind dehnbar und mit euren sophistischen Messern wißt ihr die gangbarsten Ideen zu amputieren. Ihr findet leicht einen Leisten, die Haut, welche der Schriftsteller zu Markte trägt, darüber zu schlagen. Ihr findet expressionistische Bauern, klassische Säuglinge und dadaistische Esel. Suchet und ihr werdet finden. Die Damen fanden die beiden Herren in erregtem Gespräch, gestikulierend, erhitzt, in gesteigerter Unterhaltung. Doktor Nepomuk Keupe hatte gerade eine Parallele zwischen Mark Twain und Sophokles beendet. In beiden liegt dasselbe, man muß ihre Worte nur umkehren, aber nicht zu gleicher Zeit. Jappes verglich das Feuer d’Annunzios mit dem Feuer von Henri Barbusse und punktierte die Pointe, die Damen zu schonen. Der wahre Doktor Keupe und der falsche Doktor Jappes saßen auf den braunledernen Klubsesseln wie auf Schlachtrossen und mit kritisch geschlossenem Visier brachen sie die literarischen Lanzen. Die Achtung gegen die Damen schrieb ihnen ein anderes Thema vor: Ueber religiöse Mystik und mystische Religion. Was das wohl mit Weibern zu tun hat? Sie verglichen Wassermanns Christian Wahnschaffe, den werdenden Franziskus mit Dostojewskis Aljoscha, der mystischen Blüte des russischen Startzentums im epileptisch-sittlichen Verbrecherreich der Karamasoff. Den Damen wurde die Zeit zu lang (dem Leser wohl auch!) und ihre Mündchen strafften sich faul zum Gähnen. Fräulein Flavia unterbrach die gelehrte Oede: „Redet mal etwas Vernünftiges, ihr Kampfhähne, ihr macht einen Sums, als ob ihr euch gegenseitig verschlingen wolltet. Es kann euch ja gleich sein, was Homer über Bismarck gedacht hätte. Redet meinetwegen über die Unsterblichkeit der Maikäfer oder über die antediluvialen Memoiren eines Mammuts an seine Geliebte.“ Jappes dachte an Ida Telluren. EINUNDVIERZIGSTES KAPITEL Die Gesetze der fallenden Wasser schließen die Wirbel nicht aus. Professor Günther erwartete Pepy mit unruhiger Begierde. Ging im Atelier hin und wider, dachte an den weichen Fluß ihrer Glieder, an ihre quellende Ueppigkeit, fühlte die wohlige Nähe ihrer sprießenden Jugendlichkeit. Strich sich mit sieghafter Gebärde über die Glatze: Ja, sie war sein geworden. Sie hatte ihn begehrt, ihn, den alten Knaben, sie, die wogende Jugend. Sie würde noch oft kommen, immer, ihr blutiges Erstlingsopfer unblutig erneuern. Er wühlte sich in die Vergangenheit. Mit wollüstiger Inbrunst dachte er an die Freundin, die ihn in Jugend hatte aufleben lassen. Ein hastiger Klingelzug riß ihn aus seiner Träumerei. Pepy stand an der Tür, reichte Professor Günther die Hand und trat zaghaft ein. Sie fühlte sich unfrei in diesem Tempel ihrer Schuld. Was lockte sie in dieses Haus, wo sie das Opfer ihrer Nacktheit gebracht hatte? Wie unruhig war sie seit jenem ersten Abend gewesen. Wie konnte die Besorgnis sie foltern, die Sorge um ein Kind? Hatte sie den Verführer nicht in der leidenschaftlichen Hingabe begehrt! Hatte sie die Sünde nicht aufgesucht! War sie nicht selbst verantwortlich für den Verlust ihrer Unschuld! Wie ungeheuer erhob sich die Anklage: Dirne, in den Armen eines verheirateten Mannes! Buhlerin um die eitle Gunst deines geschmeichelten Ehrgeizes! Was für ein Opfer hast du gebracht, um vom betäubenden Weihrauch des Ruhmes zu riechen! O Schmach deines Leibes! O Fluch deinem Verhängnis. Umsonst die Tränen, welche die Gewalten des Blutes bändigen sollten. Die erschlaffende Leere nach jener Nacht, die verlorene Mädchenehre und als Entgelt die düstere Schmach der verhängnisvollsten Verworfenheit. Nein! es konnte nicht sein, alles war Einbildung. Ein Kind von Professor Günther, unmöglich! nie würde sie wieder zu ihm gehen, nie, nie wieder. Pepy wagte nicht aufzuschauen. „Gehen wir spazieren,“ bat sie, „den ganzen Tag habe ich gearbeitet und möchte ein wenig ins Freie.“ Günther überlegte eine Weile: „Gut, gehen wir in den Englischen Garten, hinaus nach der Isar.“ Am Brunnhaus saßen sie am künstlichen Wasserfall. Das Rauschen umspülte die Ohren. Das seltsame Rauschen der fallenden Wasser. Weiden standen, nickend übers Wasser gebeugt, und der Wind raunte in den schattigen Bäumen. Günther nahm Pepys Hand. So saßen sie umkost von den rauschenden Wassern. „Wir taten unrecht,“ flüsterte sie. Er blieb stumm und drückte einen Kuß auf ihre Hand. War das eine Antwort? eine Entschuldigung? eine Anklage? oder war es ein Ausweichen? Das zischende Quirlen der schäumenden Wasser riß die Antworten im Wirbel mit. Pepys Hand lag schlaff in der seinen, so zag, so weich, so versonnen. Günther steckte diese Ermattung an. Er kapitulierte vor der geschlechtlichen Geschlossenheit des Mädchens, dessen Sinne sich gegen den Mann wandten, dessen Gefühl aber noch auf seiner Seite war. Erhabenes Wunder der Mädchenliebe! Das Opfer der Nacktheit bleibt immer rein vom Makel des Hasses. Die Liebe verklärt jene erste Stunde zum Bild, zum gesteigerten Erlebnis. Geheimnisvolle Macht der Hingebung, der ersten Offenbarung, der hoffenden Erfüllung! Die Kontraste türmten sich in Pepy. Hier Liebe, dort Schmach. Hier Leben, dort Schande! Jeder würde um ihre Tat wissen, ihr Kind würde unehelich sein. Sie dachte an Jappes: „Die in der Gemeinschaft der Begierde Gezeugten sind nicht unehelich!“ Taten nicht tausend dasselbe in der Ehe im liziten Verhältnis der gemeinsamen Zeugung! Die Gesellschaft würde sie verurteilen, wie sie jede Ausnahme verurteilt, die kurzsichtige Gesellschaft mit der Massenmoral, mit ihren Massenbegierden. Ihr Leben flackerte auf in greller Einsamkeit – ihre Mutter! – Was war ihr jene unglückselige Stunde gewesen, der sie mit verhaltener Empörung fluchte? Ein schauervoller Schmerz, ein schmerzlicher Schauer. Das Warten auf die Entscheidung würde nur graue neblige Qual sein, manchmal durchzuckt vom grellen Schein der Lust, der ersten gesteigerten Lust. Und die Geburt würde Qual sein, eine markzerreißende, erschütternde Qual. Drunten quirlten die schäumenden Fluten und lockten, lockten ... lockten ein Leben und zwei. Günther hielt die tote Hand, verlor den Kontakt mit den Instinkten des Mädchens, brütete starr vor sich hin, ohnmächtig im Kampf gegen die Natur der Dinge. „Wir taten unrecht?“ ... dazu die grollenden Durakkorde der fallenden Wasser. Die Oede berührte ihn mit den saugenden Händen der Leere. Die Ueberlegung lähmte seine Empfindung. Fort von der narrenden Fratze der Sorge! Er dachte an ein Gespräch mit Pepy: „Die Tochter des Malers Geraldo ist verdammt, den Weg ihrer Mutter zu gehen. Von Schuld kann man nicht reden und Sühne kann niemand verlangen. Das Rätsel der Vererbung der sittlichen Schuld ...“ Wer war dieses Mädchen, das seine Gier des Geschlechtes wieder aufgeweckt hatte? War sie vielleicht eine Uneheliche wie Geraldos Tochter? War sie in ihm zum Verhängnis gereift? Er durfte keine Schuld an Pepy haben, er, der starke Mann der Seelenleben. Könnte er nicht eine Unschuld schaffen, wie er die Schuld erschuf? Konnte er Pepy nicht verleugnen? Sie erneut in seinen Bann zwingen? „Nur sittliche Kräfte können der sittlichen Schuld begegnen ... Die sittlichste Rechtfertigung ist, die Schuld durch Ueberredung des Geistes zu tilgen durch Abstraktion von der Wirklichkeit.“ Wie bequem, von der Wirklichkeit zu abstrahieren. Ein leichtes, wenn Jappes nicht wäre, der Hitzkopf, der brutale Draufgänger. „Haben Sie Nachrichten von Ihrem Freunde Jappes?“ fragte er forschend. Pepy erbebte. Großer Gott! Jappes? Sie dachte an Golliwog und die glückdurchbebten Tage in seiner vulkanischen Nähe: „Er ist in Stuttgart. Es geht ihm gut, ich habe viele Briefe erhalten aus Berlin, vom Meer. Jappes ist der beste.“ „Wann fahren Sie in die Ferien zu Ihren Eltern?“ Ein jäher Aufschrei der marterdurchzuckten Seele, ein schriller Schrei durch die Nacht: „Geraldo!“ Pepy lag erschlafft an Günthers Arm gelehnt, kein Laut, kein Schluchzen, kein Atemzug. In Günther tanzten die Gespenster den verwirrenden Reigen und drunten quirlten die schäumenden Fluten und lockten, lockten ... lockten ein Leben und zwei – – – und lockten ein drittes. ZWEIUNDVIERZIGSTES KAPITEL Der Zufall ist eine männliche Dirne, man kann mit ihm machen, was man will, und er ist für jedermann da. Tante Telluren holte Jappes am Bahnhof ab. Sie hatte aufregende Nachrichten erhalten. Jappes’ unverhofftes Telegramm, eine Verlobungsanzeige. „Armida – Arco Calvandi grüßen als Verlobte.“ Wo blieb Jappes, ihr Traum, der Freund Armidas? Nun war er gekommen. Sie stand vor ihm mit feuchter Wimper und wußte sein fröhliches Lachen nicht zu deuten. Sie dachte, er würde ankommen, geknickt, voll Liebesharm, bleich, unglücklich. Und nun sprang er lustig aus dem Wagen, warf ihr einen Blumenstrauß in den Arm, küßte sie auf die weiche Tantenhand, hastig, übermütig, sprudelnd, berauschte sich voller Entsetzen an seinen Worten – ja! sagte er nicht: „Tantchen, ich bringe gute Nachricht, Ihre ausgezeichnete Nichte ist verlobt, mit einem schönen, reichen, jungen Mann, mit einem witzigen Kavalier, jeder Zoll ein Gentleman.“ Alles ging so schnell. Er riß sein Portefeuille hervor und reichte ihr eine Photographie: Arco Calvandi, sprühend-listige Augen, schlanker, voller Wuchs, schmatzende Lippen, korrekte Gebärde und Drill in der Haltung. Die Menschen wogten vorüber, pustend, keuchend mit schwerem Gepäck, Tränen und Lachen. Ida Telluren stand wie ein Pfeiler in der brandenden Flut des hastenden Gewoges: „Arco Calvandi!“ aber auch gar keine Aehnlichkeit mit Friedrich Schiller, keine Locken, keine klassische Nase, kein Typ, kein Charakter. Da brach Jappes das Schweigen, die bohrende Ueberlegung. „Wie freue ich mich, daß ich Sie sehe, Tante Telluren!“ „Und ich! ... und ich!“ Er nahm ihren Arm und erzählte ihr vieles, was er von Calvandi nicht wußte, erzählte ihr die prickelnden Schauer der Saßnitzer Stunden. Brachte Grüße von Freunden, von entfernten Verwandten, einen Gruß von Armida und Arco Calvandi. Die Verlobten kämen in nächster Bälde nach Stuttgart, die Tante zu sehen. Ida Telluren erbebte; aus Freude, aus Sehnsucht, aus Vorwitz, wer weiß! Sie sprachen von den Plänen der Zeit, die in die Zukunft ging, sprachen vom Wetter, von den tückischen Launen der jagenden Winde, schwärmten von Helios, der drüben am westlichen Himmel die Rosse ins Feuermeer lenkte, sprachen und schwärmten und füllten die Pausen mit privaten Gedanken. „Du mußt an dein Examen denken,“ begann Ida zu trösten, „dann wirst du die trüben Gedanken verscheuchen, welche dich seit Armidas Verlust umschwirren. Arbeit ist ...“ „Gut, wenn sie gemacht ist,“ fiel ihr Jappes ins Wort, „und ich habe keine trüben Gedanken. Uebrigens, wenn das Herz der Sitz der Liebe ist, müßtest du mir Ruhe verschreiben, weil Ruhe für kranke Herzen der einzige Balsam ist. Aber wie soll ich Ruhe finden?! Doch nein, Tantchen, behandeln wir mein Herz nicht, es ist noch nicht krank. Eine Freundin, welche heiratet, ist kein Verlust. Ein bißchen Vakanz schadet dem fleißigsten Herzen nicht. Die Leidenschaft hat ihre Gesetze und Rechte. Ich habe Zeit und bringe den Bruch meines Lebens auf einen Generalnenner: die Liebe, das Verhängnis, die Schuld, man kann das Leben durch alle teilen. Ich habe einen Weg und kein Ziel und die Zukunft ist eine weiße Steppe. Tante, in Saßnitz hat ein Fischer den Buhlen mit einer Freikugel zu töten geschworen, hat ein heilig-hohes Verbrechen begangen, die Hostie gestohlen in frommer Brunst und die Liebe in Rache gewandelt. Die seltsame Kraft des heiligen Blutes im gläubigen Herzen! Tut der Fischer unrecht im Herzen? Der Kirche hat er den Treueid geleistet, als sie ihm die Frau antraute. Nun hält er den göttlichen Eid mit einem teuflischen Schauer. Es ist kein Widerspruch in dem widerspruchsvollen Geschehen. Er sühnt die Schuld und verpfändet die Ehre auf Leben und Tod. Ich sah ihn vom heiligen Schauer getragen, als er seine Ehre zu rächen gelobte. Es gibt Verbrechen, die erhabener sind als die edelste Tugend.“ Sie traten in die Wohnung von Ida Telluren. Die Zofe brachte labende Atzung und eine feurige Flasche Lacrimae Christi. In Idas Zügen wechselten Lichter und Schatten in rascher Folge. Die Gestalten drängten sich und die Fülle der schnellen Gedanken. Der Fischer ... Armida ... Verbrechen ... Rache und Schwur ... Jappes ... Calvandi ... Sühne und Schuld und die geschändete Ehre des Mannes ... Kein Bissen berührte ihre Zunge. Tante Telluren dachte an den rächenden Fischer, dachte an die Freikugel und ihre blutige Bestimmung. Weshalb hatte Jappes sein Erlebnis erzählt? War sein Fall nicht ebenderselbe? Ein Träumer kann nichts Geistreiches über den Traum sagen. Es traf sich, daß Jappes am Empfangstage der Tante nach Stuttgart kam. Ida Telluren gab einen kurzen Tee und Jappes ging auf sein Zimmer, müde von der Reise und müde, fremde Gesichter zu sehen. Er stöberte in seinen Büchern und Zeitschriften, die Tante Telluren wie Kleinodien verwahrte. Fand einen Artikel von Doktor Seraph, der in einer dunkel-gelehrten Dissertation die Geburtenhinterziehung abhandelte. Der Doktor verfocht die juristischen Thesen über das keimende Leben, betonte das verbrecherische Vorgehen der Aerzte, die ihre operative Praxis in den Dienst der Vernichtung der Leibesfrucht stellten. Bekämpfte die Ansicht, man könne vor der Geburt kein Leben vernichten, verwies auf die Mittel, die Empfängnis zu verhindern, warnte vor den Gefahren, welche die Mütter bedrohten, redete in menschlich-klinischer Sprache und abstrahierte von jeglicher moralischer Abschreckung. Vertrat die Ansicht, selbst wenn ein Kind nur statistisches Material sei, dürfe sein Leben nicht gefährdet werden, sei das Mädchen durch die uneheliche Geburt der Schande preisgegeben, an sich aber ein wertvoller Mensch, so müsse man im Prinzip die Hilfe verweigern, weil der Wert ein relativer Begriff sei und den Prinzipien absolute Gültigkeit zugesprochen werden müsse. Er schloß seinen Artikel mit einem Aufruf an die Aerzte: Brüder in Aeskulap! Seien wir unserer hohen Verantwortung eingedenk. Die geringe Widerstandskraft des kranken menschlichen Körpers und die mißlungenen Operationen haben eine große Bresche in das Vertrauen zu uns gelegt. Verhindern wir, daß man uns wegen einer ehrlosen Praxis gegen das keimende Leben den Vorwurf freiwilliger Tötung entgegenhalte. Statt durch die Häufigkeit unserer Hilfe „in derartigen Fällen“ zahllose Mitwisser unserer verbrecherischen Schuld zu schaffen, statt Hehler und Mördernaturen zu fördern, treten wir geschlossen auf gegen das Vertrauen der schöpferischen Lust, das man uns entgegenbringt ... und, fuhr er fort, ist es nicht vernünftiger, dem Volk und der Gesellschaft die Freiheit der Zeugung durch die gehäufte Zahl der unehelichen Geburten zu predigen, als das ewig-verbrecherische Dunkel um das natürlichste Geschehen zu weben! Weshalb hat die Kirche die Barriere des Ehekontraktes zwischen Mann und Frau aufgestellt! Hat die dogmatische Tugend die Triebe besiegt? Nein! Weshalb gibt sie der Natur die Freiheit der Leiber nicht zurück? Weiß sie die Zwangslage der gegenseitigen Hingabe nicht zu lösen, weshalb schafft sie die Gewissenskonflikte und zwingt zu äußerer Ehrlichkeit auf dem Weg des Verbrechens. Was ist unsere Moral anders als die Umgehung der Natur der Dinge, nur Schein und Trug, ein Phosphoreszieren der faulenden Tugend! Jappes las nicht zu Ende. Er hatte die Abhandlung gelesen, weil sie von Doktor Seraph war. Ein Gedanke hatte sich nicht losgeschält aus dem starren Satzgefüge. Er gab sich keine Mühe, über seine eigene Stellungnahme zu Seraphs Problem nachzudenken. Er las nur zerrissene Sätze, sah Stichwörter, verlor den Zusammenhang. Was sollte das theoretisierende Geschreibsel bedeuten? Was sollte ein Artikel ändern können? Jappes war müde. Er setzte sich ins Sofa, blies Zigarette um Zigarette in den Raum, und die Stille tat ihm wohl und die bläuliche Wolke, die im Zimmer schwebte. Wie die Wolke wuchs, kamen seine Gedanken und unterhielten sich mit ihm. Sollte er Ida Telluren nicht heiraten? Es wäre ein lustiger Witz. Er würde die Tante glücklich machen und aus ihrem Glücke Zufriedenheit schöpfen. Die Idee war so kühn, daß er nicht lachte und noch eine Weile damit spielen wollte. Er würde sein Leben ändern, ihm eine andere Plattform schaffen, von wo aus er es beobachten könnte. Er würde nicht mehr der Insurgent Jappes sein, weit entfernt! Ein neues Operationsfeld, ganz andere Kräfte würden sich in ihm entwickeln. Er würde ein Mann, ein Gatte sein! ... Wer weiß, was noch! Er trat ans Fenster, dann durchmaß er das Zimmer mit hastigen Schritten. Bekannte Gestalten erschienen: Calvandi voran, Herr Arco Calvandi am Arm einer Fischersfrau, die gleißenden Wogen, die brausenden Fluten, der Fremde am Strand und die graue Tasche, ein trockener Knall, ein Fischer, das Gewehr in der Faust, sprang in ein Boot und Armida rang die Hände am Ufer. Pepy trat herzu, legte ihren Arm um die weinende Armida und küßte ihr die Augen trocken, mit weichen glühenden Lippen. Wirbelnd kam der Sturm über die grollenden Wasser getanzt ... dann war plötzlich alles licht und heiter. Jappes griff sich an die Stirne: Leben, Leben, blutigrotes, ich tanze mit den wirbelnden Fetzen! Die Türe ging lautlos auf und Ida Telluren erschien, im Blick eine hastige Frage: „Jappes, du darfst nicht allein bleiben. Gott! und der Rauch, du rauchst ja wie ein Aragonier. Du bist so erregt, du darfst dich nicht überreizen. Schone dich, Freund, die Nerven, die Nerven.“ Er drückte einen Kuß auf ihre Hand und in seiner Pupille stand ein glühender Funken. DREIUNDVIERZIGSTES KAPITEL Die Mystik ist eine geschlechtliche Depravation, man findet sie nur bei Enthaltsamen oder bei Ausschweifenden. Jappes wohnte bei Ida Telluren. Sie waren sich gegenseitig ihr Fall. Er brauchte Ruhe und sie brauchte Leben. Sie wandelten die Nacht in Tag. Seine Worte flossen in Ida Telluren wie ein Bächlein in den Sand floß. Sie absorbierte seine hastige Rede und die drängenden Ideen. Die Nacht verging im Flug in der Glut der glühenden Lichter. Ida Telluren lauschte dem gesteigerten Leben, lauschte den fließenden Worten des Freundes. Hörte die seltsamen Kämpfe, die Folge der unglaublichen Widersprüche, horchte, horchte und horchte – ihre Seele trank von dem eilenden Rhythmus, trank sich trunken an der lohenden Eile, an der eilenden Hast. Trank den Becher zur Neige, den die schäumende Gegenwart reichte. Wie die Wolken des Alltags zerstoben! Wo blieben die lästigen Sorgen der irdischen Zeiten. Alles war Leben und nichts war Leben. Gesteigerte Kräfte, die sich zur Höhe türmten. Oh! Ihr Freund war groß. Sie sah sein Leben im Flug entgleiten, wie ein Spiel sah sie sein Leben entschweben. Sie dachte: Jappes ist groß und lauschte den Worten, die wie glühende Tropfen durch die Stille der Nacht gingen: Leben! du Traum der unerlaubten Begierde. Gnade der Zeit! Sehnsucht der Nächte in Stille gehüllt. Lauernde Gluten zur Trauer geworden. Bewegung, die sich lärmend am Gestade der Nacht gebrochen. Weltflüchtige Begierde im Kreisel erschöpft. Leben in tanzenden Fetzen, Leben in wirbelnder Glut! Leben zum Wahnsinn gepeitscht, Leben, Leben, Leben, dreimal heilig-rotes Leben! Lüge der Zeiten, die Blößen zu hüllen. Schauer der Nacktheit in der Kühle der wallenden Nebel ... Ein Leuchtturm am Strand, umbraust von den wiegenden Fluten; ein Boot, von der Kraft der Ruder getrieben, zum Ziel, zum Turm, zur ewigen Leuchte. Der Leuchtturm wich in die Ferne, die Sehnen erschlafften, und ein Sturm trieb das schwanke Fahrzeug über Wirbel und Schlünde, dem Hafen entgegen, wo die Winde schliefen, dem Strande entgegen, wo die Wasser leckten, die Schiffe zerschellten ... Welt der pochenden Aengste, ewigwiederkehrende Fluten der Zeiten. Träume der dämmernden Nächte, Nichtigkeit der fiebernden Stunden. Hysterisches Bewußtsein der Größe der Welt, Rätsel des Kosmos durch ewige Bahnen gelenkt, rotierender Wahnsinn der schöpferischen Allmacht, Genie, in welchem Gott und Welt zum ewigen Zwecke verschmolzen, Geister erlöst von der Schwere des Leibes, Odem von Gott in den Dreck geblasen, zum Menschen erniedrigter göttlicher Hauch, Liebe des brünstigen Fleisches zur Hymne gewandelt, Halleluja der singenden Engel im ewigen Taumel der heischenden Freude erbebend. Selige Schauer! Gieren nach Lust der dienenden Triebe. Vorstellung und Welt, die eine der Pol, die andere die unendlich ferne Polare. Mit der Nacht wuchs die Ferne, die Stille, und der Ernst trug die leichten Gedanken zu Grabe. Ida Telluren hörte das Geheimnis, das von den Lippen des Freundes floß, als draußen die Sterne in Gluten erbebten. Hörte, wie Jappes geworden im Spiel der Kräfte, im blinden Vertrauen der kühnen Gewalten. Staunte, daß er die Tage in Keuschheit verlebte, daß seltsam-tierische Kräfte die zwingenden Kreise um sein irrendes Leben zogen. Hörte die strenge Askese, die er in schwüler Umgebung übte, wie entsagende Abtötung ihm Spiel und ohne sittliche Größe ward, ein aktives Leben im Banne zynischen Widerstrebens, ein rätseltrunkener Geist, der dem Leben die Lösungen nahm und tändelnd die eilenden Tage verfolgte. War sein Leben nicht fremd? nur das Erbe vergangener Geschlechter: Liebe und Haß und Freude und Trauer, die ewig starren Attribute jahrtausendalter Seelen, die irgendwo im Leben standen, liebten, haßten, frohlockend, in Trauer sterbend, – das schwanke Erbe ausgelebter Tage. Das Bewußtsein war sein eigen, das Wissen um das Sein der angeerbten Dinge, das Bewußtsein, daß sein Ich der Träger altererbter Güter sei. Jappes beichtete der Tante den Inhalt der entschwundenen Tage, alles war Umriß und Skizze, ein Nippen von allem in zäher Begierde, ein zerstörendes Genießen, ein Hungern der Seele in der genußvollen Fülle. Ihm fehlte die Kraft zur Lust und der Wille zur Freude, er war ein entsagender Dränger, ohne Hoffnung, im Leben etwas für sich zu gewinnen, kein Christ, kein Held und kein Sektierer moralischer Dogmen, er war, wie er war, bei allem dabei, wie ein starres Idol ohne fühlende Seele, ein Lachen zur Trauer, zur Freude ein skeptisches Grinsen. Ihm war nichts genug für seine weite Begierde. Weshalb ging er den Weg durchs Leben? Weshalb trat er die Erde geformt aus der Asche der Ahnen? Weshalb trank er den Hauch der atmenden Menschen? Weshalb bot die Erde dem einen so viel und weshalb war sie ihm so verschlossen? Sein Leben war reich an Erfahrung, an Befriedigung arm. Er war zu allen bereit, zäh auf der Suche, die Werte der Jahre zu finden. Auf seinem Weg lag die Zwittergestalt des Lebens, der Zwitter befriedigter Gier und enttäuschter Wünsche. Jappes war die Straße gegangen, ohne daß sich der Zwitter regte. Ueberblickte er die wachsenden Jahre, so sah er die indifferenten Blüten der Lebensflora am Wege stehen: befriedigte Enttäuschung und enttäuschte Befriedigung, Blumen, die man nicht liebt und nicht bricht, Blumen, die nicht stören und weiterblühen; man möchte sie eben so lassen, weil es Blumen des Lebens sind. Das Gleichgewicht ist die lähmende Kraft, die das aktive Leben zur Ruhe dämpft, zur nagend-kriechenden Ruhe. Ida Telluren verstand den ganzen Sinn seiner Worte nicht. Auch die Worte waren nur Skizzen und drängende Hast. Jappes sprach, wie Menschen reden, wenn sie von intim-inneren Sachen erzählen, ein karges Wort, ein bedeutungsvolles Zeichen – – – Sie fühlte sein Wesen in mimosenhaft-mütterlicher Ahnung. Was war ihr der Mann, der sein Leben erzählte? War er ihr Freund und noch mehr? War er ihr mehr als ihr Kind, das ein Objekt ihrer Träume geblieben? Seine Seele war Sehnsucht, wie ihre Seele, ein Bächlein zur großen fließenden Sehnsucht. Und Ida Telluren fand manchmal den Weg der träumenden Stunden, die wie schwebende Lichter die Jugend erhellten. Das schüchterne Sehnen des knospenden Mädchens, in Purpur erglüht, sich mit dem Ewiggeliebten des Geschlechtes zu einen. Sie fühlte die Trauer vom ewigen Scheiden der schwebenden Sehnsucht im Raume der Liebe. Sie erbebte vor der fahlen Oede ihrer abgeschlossenen Tage, die sie seit jener Zeit verlebt, als ihr Geliebter den schattigen Pfad der sterbenden Seelen betrat. Wie unendlich reicher wäre ihr Leben gewesen – sie fühlte, wie ihre Gedanken dem Abgrund nahten – die Frucht ihres Lebens war in der Blüte geblieben, sie ahnte, wie unendlich arm ihre lebhafte Seele dem Sturze entgegenging. Sie fühlte die schmerzliche Wonne ersterbender Liebe, die noch einmal im Fieber verklärter Bewußtheit erzittert. Wie kam ihr die Kraft, die schmerzliche Liebe zu tragen, die ersehnte Verheißung zu missen, der Lust zu entsagen, die zuweilen die Seele durchwühlte? Sie stand am Friedhof ihrer kalten Tage und ließ die lebendige Seele vom Hauche der Sehnsucht umwehen. Oh! schauertiefes Leiden der Frau. Oh! trauerlebendiges Herz. Du kannst den Schmerz nicht fassen, der in ewig-wiederkehrendem Rhythmus dein Blut durchkreist. Einsam stehst du in der Nacht der fernen Geräusche und harrst der Stunde, wo dir Erlösung wird. Du zählst nicht die Zeit, hast kein Maß für die einsam-tiefen Stunden, du harrst in der Nacht, bis die Sehnsucht stirbt im sengenden Odem des Geistes, der von Mitternacht über die Gräber weht. Frau! dein Kanon ist Liebe, dein Priester der Traum und du bist das Opfer der ewig-blutigen Rätsel. Die Stille lag zwischen Jappes und Ida Telluren, lähmte die Zunge der keimenden Worte. Ihre Seelen lagen im Zwiegespräch und vermählten einander die wachsenden Gefühle der Einsamkeit. Draußen streute die Nacht die Ruhe und von ferne kam der junge Tag mit blutiger Lanze, die Träume zu scheuchen. Ihre Seelen griffen ineinander und ließen die Liebe werden, die Liebe der verbotenen Geschlechter. Tante Telluren erstickte ihre Trauer in einem Kuß auf Jappes’ Stirn. Er erhob sich mit elastischem Sprung und küßte der Tante die perlende Wimper. „Tante, ich bin ein Flegel mit sanften Pfoten.“ Sprach’s und ging auf sein Zimmer. VIERUNDVIERZIGSTES KAPITEL Die Tiefe einer Frauenseele liegt in ihrer leidenschaftlichen Aufopferung, die Zähigkeit liegt in der Verteidigung ihrer Ehre. Pepy ging über die Straße, ging durch die Anlagen, unruhig, unsicher, verwirrt. Die Ferne zog sie an mit unendlicher Sehnsucht. – Am Horizont ihrer lichten Tage ballten sich die Rätsel der dunklen Gewalten, die Macht über sie gewonnen hatten. Da standen die Bäume in strotzendem Laub und träumten der Höhe entgegen, die Blüten, die unter den saugenden Küssen der Bienen erstarben, da standen die Gräser im Spiele der Winde. Was ist eine Blüte, ein Baum, ein Gras im spielenden Wind? Was ist die Sonne im kreisenden All, die unendliche Glut der schöpfenden Zeiten? So ging ihr Traum in die Ferne, die Antwort zu suchen, das Glück und die Ruhe zu finden. Welche Macht hat dem Menschen doppeltes Sehnen in die Brust gelegt: die Sehnsucht nach der Lust und die Sehnsucht nach dem Paradies? Die beiden Sehnsüchte töten den Menschen, weil sie Kräfte sind, die unabhängig voneinander wirken und deren Kraftrichtungen in den Tod gehen. Der jahrtausendalte Mythos von Kalvaria ist eine Wiederbelebung des Sehnens nach dem verlorenen Paradies. Christus hat die Menschheit nicht am Kreuze erlöst, er hat ihre Sehnsucht neu belebt, die Sehnsucht nach den Bildern unserer erträumten Verheißung. Die blutige Theatralik auf Golgatha! Gott als das absolut inaktive Wesen am Querholz haftend, appelliert an sein höheres Ich, an seine potenzierte Väterlichkeit, jammernd, klagend, verzweifelt: Eli, Eli, lama asabthani! Verzweiflung, welche die Lust besiegte, dem Leib entsagte, durch den Tod die Freiheit schuf, den Traum der Sehnsucht nach dem Paradies erfüllte. Ein Gott, der durch Verzweiflung an sich selbst die Welt erlösen wollte?! ... ein neuer Traum! Am Himmel zogen die Vögel ihre Kreise, flogen nieder in langen, gleitenden Spiralen. Die Stadt lag hinter Pepy, die Anlagen des Englischen Gartens breiteten ihre Wiesenflächen aus, breiteten sie hin ins fließend-goldige Sonnenlicht. Der Kleinhesseloher See mit seinen schattigen Inseln lag in der Fläche wie ein dämmernder Traum. Am Ufer spiegelten sich zitternde Türme und wehende Bäume. Ein Schwan trieb durch den spiegelnden Abend. Eine geräuschvolle Reihe quakender Enten schwamm aus dem Riedgras und ihre Bewegungen zeichneten große Wasserkeile, in deren Spitzen je eine Ente schwamm. Pepy setzte sich auf eine Bank, zitternd, zagend, erbebend. Weshalb war sie gerade nach dem See gegangen? Es war nicht die lockende Kraft des Wassers, die sie anzog. Irgendeine Sehnsucht trieb sie hinaus, irgendeine lauernde Unruhe scheuchte ihr Wesen, gebot ihr, ins Freie zu gehen, ins Unbegrenzte, gebot ihr, die Seele von der Lüge der Umgebung zu lösen. Das Mädchen empfand die brutale Kraft, die sie jagte, als eine schmerzliche Erniedrigung, sie fühlte, daß sie nichts gegen die Ohnmacht vermochte. Sie fühlte, daß ihre Ohnmacht eine Kraft war, die sich in ihr nach innen betätigte – die ermattende Kraft der überflüssigen Einsamkeit! Pepy entfaltete einen Brief, den ihr Jappes von Stuttgart geschrieben. Sie las die hastige Schrift und die Fülle der sanften Gedanken. Rudibub, mein lieber! In Stuttgart sitz ich am Nesenbach und wohne bei Ida Telluren. Du weißt, sie ist von der Gattung der Tanten. Tanten sind von Gott geschaffene Apparate, den Ruhm der Dichter zu fördern. Ich habe meinen Beruf doch gänzlich verfehlt, sonst könnte ich unmöglich die Kollegien alle schwänzen. Wäre meine Schrift besser, ich wollte Aktuarius werden und die Wonnen des Alters erwarten: Pension und Rheuma. Oh! süßer Klang der süßen Namen. Mein Fenster geht auf die Straße, ich höre, wie drunten einer das Lob der Stockfische preist: Die beste Qualität zu den niedrigsten Preisen. Für einen Stockfisch muß es doch ehrenvoll sein, öffentlich angepriesen zu werden. Anzeige und Reklame sind die unglücklichsten Sündenböcke und der literarische Geschäftsgenius der Händler bürdet ihnen die gröbsten Schnitzer auf. Gestern – ach, es ist schon so lange her – habe ich einen Ausflug mit der Tante gemacht, du wirst leicht erraten, wohin. Wir sahen eine Anzeige in einem feinen Lokal: Landwein aus hiesiger Gegend, direkt vom Besitzer auf Flaschen gezogen! Verzeih mir, Pepy, wenn es mich an die Urinflaschen meiner Patienten (!) erinnert. Es ist jedenfalls ein seltenes Phänomen, ein Mann-faß zu finden, aus welchem man Wein auf Flaschen ziehen kann. Aber der Wein war sehr gut und hat mich zu einem großen Konsum veranlaßt. Die Tante hat mein Wesen beruhigt. Als ich ankam, war ich in Aengsten und Sturm und mein Geist war in steter Revolte. Ueberall, wo ich hinkomme, ist der Reiz für das Leben verschwunden, der Schmelz ist verwischt und ich finde immer die fertige Frucht, ohne den lockenden Hauch der Reife. Ich finde Häuser und keine verschlossenen Türen, die Pforten sind klaffend, und ich sehe die Wirklichkeit durch die Spalten grinsen. Ich habe zu viel gesehen, um zufrieden zu sein. Vielleicht ist es die Frau, die uns jagt und die wir jagen, und welche das weibliche Rätsel in tausend Formen variiert, um sich und uns die Sinne im Banne zu halten. Mein Leben hat keine Zukunft, weil ich keine Rätsel sehe. Hinter alle Türen habe ich geschaut, hinter alle Kulissen und Fenster. Mein Blick ist von allem leer geblieben. Darum weiß ich immer, was ist. Es gibt kein Rätsel außer uns. Wir sind unser eigenes Verhängnis – Mein Rudibub, ich freue mich, Dich wiederzusehen. Es wird eine Wendung in meinem Leben werden. Ich lasse die grauen Reflexionen, um Deine Stimmung nicht auch noch zu unterminieren. Manchmal muß ich den Flegel wecken, damit er die bösen Geister vertreibe. Er peitscht sie immer alle hinaus. Und das ist mein Trost, denn Flegel sind stark und die seichten Geister der nagenden Qual sind feige. Ja! feige Qual der schleichenden Sorgen – wo Kraft ist, ist Glück! und Pepy, – wir wollen in Zukunft einander vertrauen. Wir wissen um die Kniffe des Lebens, wir kennen die Zicken und Schrullen der Tage. Mein Rudibub, Du siehst, ich schreibe mich immer ledig vom Krame der Sorgen. Bald sehe ich am Leben die mürbende Qual, bald sehe ich die lachende Fratze. Januskopf der bittersüßen Zwittergestalten, wo sind die Pole des Leids und der Freude, die eure unendlich fernen Blicke erwarten? Wir wandern die Bahnen, die zu den Polen führen und wir bleiben alle am Wege liegen, die einen näher, die anderen ferner. Ich halte Einkehr in mich und bin auf dem Weg, ein Franziskus zu werden. Die Gloriole der Heiligen wird langsam gewoben. Wir sind allzumal Sünder, doch ist die Gnade der Vergebung unendlich. Wem Gott die Gnade der Sünde gab, dem wird er die Gabe der Tränen nicht wehren. Pepy, wenn ich nach München fahre, müssen wir ernste Gedanken tauschen. Du siehst, ich habe meine Seele ein bißchen abgestaubt. Ich bin dem Einfluß Armidas entgangen, wenn ich mit mir auch noch nicht ganz im reinen bin. Sie will eine Probeehe eingehen. Armida ist stärker als ich, und es ist mein erstes ungelöstes Rätsel, weil ich nicht weiß, wie ich zu diesem Weibe kam – und mein zweites: wie ich wieder von ihm kam. Kurz, ich bin fort und erwarte den Tag, an welchem ich Dich wiedersehe. Vielleicht hast Du auch ein Rätsel für mich, denn Du schreibst mir ja von sonderbaren Dingen, die in Dir vorgehen. Rudibub, es freut mich, Deine tüchtigen Arbeiten im Glaspalast zu sehen. Du kannst Dir Glück wünschen, daß Du Professor Günther auf Deiner Seite hast. Entschuldige, wenn mein Brief zu tantenhaft klingt, ich erzähle Dir, in welcher Verfassung und in welcher Umgebung ich ihn geschrieben habe. Deinen Lippen sage ich meinen Gruß und denke Dein als Golliwog. Schwester, mein Gebet sind Tränen, die ich in deinem Tempel weine, aber du hörst es nicht. Vor deinem Tempel steht ein Leierkastenmann, er singt dir, daß niemand außer ihm zu dir betet, und deshalb weine ich. Pepy weinte, als sie den Brief gelesen hatte. Es war so viel Jappes drin und sie wußte das am besten. Sie würde ihm ihr Geheimnis anvertrauen müssen. Er würde es anhören und noch ein gutes Wort finden. Sie hatte Professor Günther einen Besuch versprochen. Die Zeit war längst vorüber. Aber sie mußte zu ihm, zu irgend jemand, reden, weinen. Sie ging den Weg zurück, ging an Günthers Garten vorbei, ging um das ganze Viertel, stand an seiner Türe still, sah die Klingel und ging wieder fort ... noch einmal bis ans Ende der Gartenumzäunung, dann würde sie schellen. Sie fand keinen Mut dazu ... bis zum nächsten Viertelglockenschlag. Auch der verklang im fallenden Abend. Die Nacht kam mit den schleichenden Nebeln, die sich um die Häuser legten und die fernen Geräusche dämpften. Pepy wurde das Warten zur Qual und doch empfand sie eine Wollust, die Zeit hinauszuschieben ... noch zehn Schritte, dann würde sie klingeln, bis fünfzig zählen, warten, bis drüben das elektrische Licht erlosch, das einen Hausgang eine Minute lang erhellte. Sie maß die zehn Schritte, zählte bis fünfzig, das Licht erlosch und Pepy wagte nicht, an die Klingel zu rühren. Sie lehnte an der Tür, und die Sehnsucht trug ihre Aengste der Ferne entgegen. Schritte kamen übers Pflaster, Schlüssel rasselten. Professor Günther schrak an der Tür zusammen, dann raffte er sich auf zu einem flüchtigen Wort: „Fräulein Pepy, Sie haben wohl lange gewartet? Ich bin kurz nach unserer verabredeten Stunde gegangen.“ „Ich hatte mich verspätet und bin zufrieden, daß ich Sie treffe. Sie müssen mir helfen, ich verlebe schreckliche Tage in Sorge und Bangnis.“ Günther zog Pepy fort von der Türe, übers Pflaster am Garten entlang und sagte ihr leise forschende Worte: „Einbildung! Du quälst dich mit unnützen Sorgen. Weshalb nimmst du das Schlimmste an, du weißt nichts ... Warte erst ab ... du kennst ja die Zeichen.“ Professor Günther sah Pepys erschrocken-büßendes Gesicht, das zu ihm durch den Schleier blickte und ihm mit starrer Pupille in die Seele drang. Er sah, wie ihre Lippen die Worte brachten: Die Blutwoche ist zum zweiten Male ausgeblieben! Das war mehr als ein Urteil. Er war dem Verhängnis nicht gewachsen, für Mitleid war er nicht geschaffen. Er wollte fort, allein sein, das Kommende vorbereiten. Er ging neben Pepy, abgeschlossen, berechnend, verachtend. Sie ging ihren leichten, wiegenden Gang und fand nicht die Kraft, einen Gedanken zu denken. Und beide wurden durch seine Worte erlöst: „Entschuldige mich, Pepy, ich werde zu Hause von einem Kollegen erwartet, du kannst ja morgen am Vormittag bei mir vorbeikommen.“ Kein Gruß, kein gutes Wort. Eine „gute Nacht“ so kühl wie der Nebel, der in den Straßen lag. Ein paar hastige Schritte, eine Türe, die ins Schloß fiel, ein freudiges Bellen, das sympathische Quieksen der jungen Boxerhunde. Dann wuchs die Stille wieder in die unendliche Weite. Pepy las Jappes’ Brief wieder im fahlen Licht einer zwinkernden Straßenlaterne. FÜNFUNDVIERZIGSTES KAPITEL Wer es versteht, über Dummheiten nachzudenken, findet meist einen tiefen Sinn darin. Armida und Arco Calvandi kehrten halbwegs Berlin-Stuttgart um. Sie hatte ein selten schön geschliffenes Parfümfläschchen aus Onyx vergessen, in welchem sie Fleur de Nice zu kolportieren pflegte. „Ich kann den Geruch der Menschen unmöglich vertragen, diesen fürchterlichen Hauch der atmenden Leiber. Ihren Blicken bin ich leichter gewachsen. Wie fallen die Nasen der Menschen mich an, gerade, als ob sie die Duftwolke durchbohren wollten. Ich hasse die schweißige Masse mit den staubzerfressenen Fratzen ...“ Sie schüttelte sich vor Unbehagen. Arco stand fröstelnd am Perron und starrte in das Räderwerk einer Lokomotive. Das Warten machte ihn frösteln, obwohl die Sonne ihr Feuer noch sandte. Er kehrte sich zu Armida, pflückte das Monokel aus dem Auge und sagte mit runzeligem Blicke: „Die Masse hat dich nicht immer empört und es ist noch nicht lange, seit sich Liebe in Haß gewandelt hat. Du solltest die Masse nicht schimpfen, sie ist wie das Meer, welches das Elend des Grundes bedeckt und uns nach einem alten Gesetze trägt. Mir fällt nichts Geistreiches ein, darum mache ich Vergleiche: Das Meer und die Masse des Volkes. Viel unnütz Getier, manchmal ein leckerer Bissen, ein wertvolles Objekt für ozeanographische Museen. Obenauf schwimmen die Klugen, die Schlauen, alle fischen in dem großen Bassin, der eine den Hering, die Perlen der andere, Korallen der dritte, und so treiben die Barken oben mit den hungrigen Netzen und fischen die Massensubjekte. Zuweilen fordert die Masse ein Opfer, das Opfer sinkt nieder und die Wasser breiten den Schleier darüber. Andere schwimmen mit Luxusbooten und schauen die Ferne der schillernden Massen, träumen die Rätsel der fließenden Weite; jagen der Masse die Schönheit ab, steigern den Rausch zum Taumel, zum herrschenden Wahnsinn. Ihr Flaggenwort lautet: Wir sind die Herren der Meere! Ruhm trägt schnell über glatte Meere, doch wehe dem Boote, wenn es die Strömung trifft oder ein Spielzeug der wirbelnden Charybde wird. Dann nimmt die Masse Revanche und zeigt, wieviel Platz sie im Schoße für Größe birgt.“ Armida legte ihm die Hand auf den Mund: „Still, mein Freund, sonst machst du mir noch ein politisches Glaubensbekenntnis. Du glaubst an die bewußte Kraft der Masse, du schwörst auf den Terror, ich sage dir, Arco, die Massen sind unbewußt wie die Wasser, sie gehorchen den siderischen Gesetzen, nur Ebbe und Flut, Trägheit und Auftrieb! Die Segler sind die Herren des Abgrundes. Der Abgrund ist die einzige Kraft des Wassers. Die Stürme und Riffe sind Launen und Possen. Kluge Schiffer kennen die Zeichen der lauernden Wasser. Mir ist das Meer verhaßt, weil es brüllt, wenn es zerstören will. Wäre die Masse des Volkes lauernd, sie wäre die Herrin der Welt, aber sie tost gegen sich selbst, brüllt im Rausche der bluterstickten Emeuten und frißt an sich selber im schäumenden Gischt, durchwühlt die Tiefen der tierischen Triebe und besudelt sich selbst mit dem Schlamm der schlummernden Tiefe. Hast du das Meer schon bei Sturm gesehen? Es ist ein Chaos von wirbelndem Schmutz!“ „Ich unterbreche dich, Freundin, ich habe dein Urteil gehört. Du siehst zu genau, ich glaube, du bist zu nahe am Strand. Ich begrüße mit großer Freude, daß wir Meinungsverschiedenheiten haben, das wird die ehelichen Verhältnisse klären und die Fesseln stählen.“ „– oder zertrümmern.“ „Es gibt auch interessante Trümmer. Das Ganze ist nicht immer harmonisch. Weshalb willst du eigentlich zu Ida Telluren? Täten wir nicht besser, unser Glück ganz einsam zu hegen, statt die Neugier der Tante zu füttern. Die Tante ist ein erloschener Krater und er kann nur von fremdem Feuer rauchen.“ „Der Rauch ist nicht das Wesen des Feuers. Ich gehe zur Tante, damit sie mir die Zukunft aus den Karten deute. Unsere Zukunft hängt von den Weissagungen der Tante ab. Sie hat mir manches richtig vorhergesagt.“ „Und wenn die Tante eine schwarze Zukunft deutet?“ „Schwarz oder weiß! Die Karten entscheiden die Zukunft. Und Jappes ist auch ein Magnet. Nicht schwächer denn du, wohl mein ich, ist er noch stärker und schneller, nur überwacht er das Tempo, er hemmt seinen Lauf, er bedient sich der Bremse, die Kurven nimmt er mit Vorsicht, er überdenkt seinen Weg. Das ist es, was mir Sorge macht; er will die Eile, ohne die Katastrophe zu wollen. Stets hält er die Hand am rettenden Hebel. Die einen nennen es Klugheit. Ich sage, Jappes ist feig. Drum ließ ich ihn gehen, daß er in der Einsamkeit den Schlüssel zur Lösung finde. Er hat mir zehn Worte geschrieben: ‚Armida, ich bin einsam wie der Wind in den Lüften!‘ Die Deutung der Worte ist einfach. Er wünscht mit dem Strome zu schwimmen, ich soll ihm wieder die Planke zum Sprunge sein. Ich begrüße die Worte, ich sehe, ich habe einem Mann zum Willen verholfen. Hüte dich, Arco, jemals dein eigener Herr zu werden.“ „Ich bin ein Stück deiner eigenen Herrin,“ grinste Arco Calvandi, und mit dem Stock schrieb er Armidas Namen in die ölige Schicht der Kolbenstange der Lokomotive. – „Willst du, daß ich dir ein Opfer bringe?“ Er klebte sein Monokel ins Oel der Stange, tippte Finger für Finger seiner Hände, die mit weißen wildledernen Handschuhen bedeckt waren, ins Oel, drückte die Innenfläche der Hände gegen die schmierige Stange: „Du siehst, wie ich allem entsage,“ – und er zog die Handschuhe von den Händen – „es ist ein Geschenk von dir, das du mir machtest, als wir meinen unbestimmten Geburtstag begingen. Es ist für mich die größte Qual, ohne Handschuhe zu sein, dir bringe ich das Opfer mit Freuden.“ Er ließ die ölbeschmierten Handschuhe, den Stock entlang, vor die Räder der Lokomotive auf die Schienen gleiten. „Du hast einen sonderbaren Begriff von Opfer. Es ist einfach à la Arco Calvandi. Wann wird der Tag kommen, an welchem du deine letzte Dummheit begehst?“ „O sicher nicht an dem Tag, wenn ich dich verlassen werde. Du bist noch nicht zur Dummheit geboren, denn dumm werden, heißt, zu sich selbst kommen. Ich kann dir auch ein anderes Opfer bringen und mich selbst vor die Räder werfen. Herrin, du darfst nur befehlen, das Opfer ist immer bereit, dir den Tribut seiner Liebe zu zollen.“ „Ich glaube, du würdest es tun?“ sagte Armida und öffnete die Augen zur Frage, „doch mein Spielzeug will ich noch nicht zerbrechen und ich will nicht, daß dein Opfer so tragisch sei. Bleibe nur knetbar, dann bin ich zufrieden. Ich spiele immer à la baisse mit den Menschen und hasse die titres fixes. Ich glaube, du wirst stets eine Marionette mit freien Bewegungen bleiben, solange ich die Drähte halte. Willst du mir immer untertänig sein, Arco Calvandi?“ „Ich sage nicht nein.“ „Willst du mich nie verleugnen, Arco Calvandi?“ „Ich sage nicht doch!“ Armida überlegte eine Weile: „Und wenn ich Jappes an deine Stelle setze?“ Arco Calvandi legte den Finger an die Stirn: „Da muß ich die Antwort erst überlegen. Auf keinen Fall bin ich zu Kompromissen entschlossen und du weißt, meine Freundin Armida, Verrücktheit ist ein Privilegium der Reichen. Du bist meine letzte Leidenschaft und ich werde sie auch zu nähren wissen ...“ Ein Zeitungsjunge lief am Zug entlang: Simpel, Jugend, Lustige Blätter, Brummer, Raddatsch – eine Atempause – Zeitungen, Frankfurter, Berliner, Kölnische, Münchener, Stuttgarter – Simpel, Jugend – Handkarren rollten vorüber, Träger drängten sich, eilende Menschen, Rufen, Hasten, Kohlendampf in stinkigen Schwaden; Dröhnen und Poltern und Stoßen und Rollen. Ein D-Zug spie Massen aus, verschluckte andere, puffte Rauch in wirbelnden Wolken gegen die Wölbung der Halle, die nächste in die freie Luft und draußen entschwanden die Schlußsignale. Arco Calvandi warf seine Stirne in Falten und deutete mit dem Zeigefinger auf Armida: „Du sagst also, die Karten entscheiden, – es wäre möglich, daß die Karten trügen.“ Dann summte er zu einer bekannten Melodie: „Les jours d’antan sont loin! hélas!“ SECHSUNDVIERZIGSTES KAPITEL Es ist schade, wenn gute Worte, welche immer selten sind, ironisch klingen. „Anna,“ sagte Professor Günther zu seiner Frau, „du sagst dem Mädchen, es soll am Vormittag nicht im Atelier abstauben, ich habe zu tun.“ Frau Professor machte einen Knicks: „Ich werde es ausrichten.“ Nach ein paar Augenblicken unruhigen Wartens brachte sie die Frage hervor: „Gustav, willst du die Hunde wirklich aus dem Hause tun?“ Sie trocknete die feuchten Härchen ihrer Augenschlitze. Keine Antwort. Professor Günther stand ans Fenster gelehnt. „Du sagst?“ fragte er in barschem Ton. „Mein Gemahl,“ wiederholte Frau Anna, „Gustav, willst du die Hunde wirklich aus dem Hause tun?“ „Ob ich will?“ fiel er die Frau mit scharfer Rede an. „Du kannst doch nicht alle Hunde aufziehen. Doktor Gehren erhält einen, Doktor Brunner einen und Doktor Heinzfeld den dritten.“ „Gib doch dem Buben einen oder zwei,“ bettelte sie, „ich werde sie bringen, sie sollen in der Familie bleiben, sie sind treu, und Fräulein Pepy hat sie aus der Taufe gehoben. Es ist eine liebe Erinnerung.“ Professor Günther überlief es kalt. Was hatte Pepy mit den Boxerhunden gemein? Richtig, bei ihrem ersten Besuch waren die Hunde „flügge“ gewesen. „Meinetwegen,“ sagte er, „bring sie alle drei nach Baden-Baden, wenn du denkst, daß Arnulf sich freut.“ „Gustav,“ rief Frau Günther erfreut, „du bist gut, mein Gemahl, ich weiß, du würdest mir mehr Liebe erweisen, wäre deine Zeit nicht so knapp. Ich werde Arnulf sagen, wie gut du bist. Mein süßer Mann,“ rief sie jauchzend, und das schmuddelige Weibchen sprang dem Professor an die Lippen. „Nun schnell,“ fügte sie glückstrahlend hinzu, „ich weiß, du hast zu tun und du hast wieder schwere Gedanken zu denken. Das Mädchen wird nicht abstauben, ich richte es sofort aus.“ Schnell einen Kuß auf seine matte Hand, und Frau Anna verschwand mit dankendem Lächeln. Professor Günther riegelte die Tür ab und der Sicherheit wegen versuchte er an der Klinke, ob sie wirklich geschlossen sei. Stützte den Ellbogen auf das Schloß, legte die Stirn in die flache Rechte und lehnte den Kopf an die Füllung. Es war wie ein Spuk, wie ein narrender Traum. Und doch waren die letzten Tage Wahrheit. In seinen Schläfen hämmerte der Vorwurf. Er hatte ein Mädchen verführt! Die Wirklichkeit ließ sich nicht leugnen – eine Stimme höhnte, „die lebendige Wirklichkeit deines Kindes“! Ein schweres, verlegenes Atmen entrang sich seiner Brust. Kein Gedanke wollte sich bilden, er kämpfte gegen die tötende Stille ... Dann kam die Erinnerung und hielt ihm die Lüge vor: „Das Schlimmste ist, wenn der Mann jung bleibt und die Frau altert“ ... Lüge! sah er mit brennenden Lettern auf dunklem Grunde glühen. Lüge, Lüge war deine ekle Begierde. Sein Blick glitt über die Bilder des Ateliers. Venus und Cupido, die kranke Ziege, der grinsende Faun, die Meduse, der Untergang Pharaos. Wie ganz anders war die Bedeutung der Bilder heute. Er streifte die Skizze von Meister Geraldo. Er dachte an die Tränen des Meisters, welcher aus seiner Liebe die Kraft zu seinen Bildern geschöpft hatte. Niemand hatte etwas von Meister Geraldo zu fordern. Er war nicht verheiratet und hatte sich ein freies Weib genommen, das entschlossen war, Freude und Leiden mit ihm zu teilen. Geraldos Liebe war ehrlich gewesen, die Liebe hatte ihn zum Leben erweckt, Geraldo war durch die Liebe geworden. Günther dachte an des Malers Abschiedsworte: „Ich tat unrecht, die Frau zu verlassen, aber sie wußte, daß eine Macht mich hinaustrieb. Ich bin glücklich, daß die Frau mir nicht flucht, und so kann ich in Liebe von ihr scheiden.“ Damals hatte er über die Frage der Schuld gelächelt: eine einsame Frau empfindet mehr Glück an ihrem unehelichen Kinde, als eine verheiratete ohne Kinder. So hatte seine eigene Lehre damals geklungen. Heute konnte er sich mit keiner Ueberlegung retten. Vor der Gesellschaft konnte er nicht bestehen. Er und sein Schicksal! beide waren das Opfer seiner Begierde geworden. Die Gesellschaft anerkennt die Begierden nicht! – wenigstens nicht offiziell. Und er wollte nach den Dogmen der Gesellschaft leben – so war er gezwungen zu handeln. Der Flug seiner Gedanken wurde mählich kühner und kühner. Er suchte nach Mitteln, einen Wall zu seiner eigenen Verteidigung aufzuwerfen. Er zählte die Wege auf, die zu seiner Ehrenrettung freiblieben. Ehrenrettung!!! Er könnte Pepy verleugnen – doch nein, die Empfehlung, die er ihr geschrieben, ein Hindernis und Jappes ein zweites. Ein ergebener Arzt, der sie behandelt? ... Er durchlief die Liste seiner Freunde. Er wagte es nicht, von einem Freunde soviel Vertrauen zu fordern. Sein Sohn? ... Sollte er ihn zum Mörder machen? ... Wenn ein; beglaubigter Unfall vorläge? ... Sein Sohn durfte nichts erfahren. So verwarf er die Gedanken und griff sie wieder auf. Der Sohn müsse dem Vater manches verzeihen. Ein solches Geständnis! Das hieße, sich als Vater vor seinem Sohne entblößen. Seine Gedanken jagten sich, zerrissen und knapp, die Stichworte wirbelten in ihm, wie Fetzen im Winde; bildeten zerstückelte Sätze, halbe Gedanken. Wenn seine Frau stürbe ... oder er selbst ... oder Pepy ... oder eine heimliche Geburt an diskretem Ort ... ein totgeborenes Kind ... oder wenn er für Pepy einen Bräutigam fände ... Er würde selbst auf die Suche nach einer Hebamme gehen ... eine Frühgeburt würde die Ehre retten ... Und wenn die Sache mißlänge ... wenn Pepy ein Opfer würde ... der Fall wäre möglich, eine Eiterung, eine starke Blutung, ein schwaches Herz, dann ... dann ... alles um ihn drehte sich wie in einer großen schwarzen Scheibe und zwei Worte kreisten in der drehenden Fläche: Zuchthaus – Staatsanwalt – Worte, die ihm den Ausblick auf den Weg zu seiner Rettung versperrten. Günther ging wie ein Trunkener durchs Atelier. Mit halbsicheren, behutsam tastenden Schritten. Sein Atmen war ein qualvolles Saugen der Lungen. Er lehnte sich gegen die Staffelei, welche mit lautem Krach zu Boden schlug und ihn aus seiner Verwirrung riß. Erschrocken sah er sich um und mit dem Instinkte eines aus dem Schlaf Erwachenden bückte er sich hastig nach dem Gerüste. Dann horchte er auf, ein leises, schüchternes Klopfen, er reckte sich hoch, wirklich, es klopfte. „Pepy!?“ Mit festem Schritt ging er zur Tür, er wollte seine Unruhe scheuchen. Seine Frau! Sie entschuldigte sich wegen der Störung und reichte Pepys Karte: „Sage, ich bin dringend beschäftigt,“ bat der Professor, „und könnte sie heute leider nicht sprechen. Richte das aus, Mutter.“ In der Treppe wiederholte Frau Günther: „Richte das aus, Mutter.“ Sie dankte ihrem Mann für dieses gute Wort „Mutter!“. Sie war glücklich, weil unter der Asche der Arbeit ihres Mannes der Funke der Liebe so leuchtend glomm. Bebend vor Glück küßte sie Pepy die Wange: „Der Herr Professor ist in seltener Stimmung,“ rief sie halb außer Atem, „aber er hat wieder schrecklich zu tun, und ich hoffe, Sie werden sich mit mir nicht langweilen. Der Gute, er hat mich Mutter genannt, wie damals, als Sie das erstemal hier waren, und er Tee eingoß.“ Sie erzählte Pepy, daß er ihr erlaubt hatte, die Hunde nach Baden-Baden zu ihrem Sohne zu bringen, statt sie an Fremde zu verschenken: „Mein Gemahl ist ein süßer Mensch,“ fuhr sie gesprächig fort, „er hat immer eine kleine Ueberraschung für seine Frau, er ist eigentlich am nettesten, wenn er die meiste Arbeit hat. Als Frau habe ich die letzten Jahre zwar nicht viel von meinem Manne gehabt, und ich wünsche Ihnen, Fräulein Pepy, einen nicht gar so schnüffeligen Bücherwurm ... Sie verstehen schon. Aber so ist er sehr lieb, und er hat mir heute viel Freude gemacht.“ Pepy dachte an ihre erste mitleidvolle Begierde und dachte an; Günthers große geschlechtliche Lüge. Wieviel Menschen betrog dieser Kerl? Und ihr Wesen bäumte sich auf gegen den Dieb ihrer Ehre. Sie wußte nun, daß seine Liebe Lüge, daß sie selbst die betrogene Betrügerin war. Die Hunde kamen mit lautem Gequieke, die Freundin des Hauses zu grüßen. Pepy konnte den Tränen nicht wehren. Sie durchbrachen die Schleusen der Wimpern. Frau Anna lag schluchzend an Pepys Hals, und die Hunde zerrten ihnen die Röcke: „Wir dürfen nicht weinen, liebe Freundin, es wird sehr schwer sein, aber die Hunde verlassen nicht alle das Haus.“ So weinten sie lange und schwiegen. SIEBENUNDVIERZIGSTES KAPITEL Junge Krieger pflegen sogar geräumte Festungen zu stürmen. Ein Wagen fuhr vor. Jappes wurde aus dem Schlaf gerissen. Das hastige Rattern des Motors erstarb und er hörte Stimmen, laute, lachende, rufende Stimmen. Die Autolaternen warfen eine starke Lichtflut ins Zimmer. Jappes sprang aus dem Bett und ging zum Fenster: „Ach, ja! Armida und Arco Calvandi,“ im Lichtkegel der Autolaternen stand Arco. Jappes sah deutlich den breiten roten Streifen an seinem linken Arm. „Verlobt wie die Narren, die ihre Freude mimen!“ Er spuckte gegen den Schatten Calvandis, der an die Wand seines Zimmers projiziert wurde. Ida Telluren war es willkommen, die Erregung ihrer Erwartung mit der plötzlichen Erregung aus den aufgescheuchten Träumen zu decken. Armida küßte sie mit bewußter Zartheit und Calvandi erwies ihr eine umständliche Reverenz, weiche die Tante nicht unangenehm empfand. „Gnädige Tante,“ sagte Calvandi, „wir hatten Eile, zu Ihnen zu kommen. Armida hat mir erzählt, daß Sie die Magie beherrschen und den Menschen die Zukunft entschleiern. Ich habe eine Hexe gekannt, die allen ihren Bekannten die Vergangenheit aus dem Kaffeesatz ihrer Enkel zu deuten wußte. Die Hexeriche waren ganz drollige Pausbäcke, die keine Väter hatten und nur Igelspeichel trinken durften. Die Hexe sagte, es sind Knaben, die ohne Vergangenheit leben müssen. Weil ich den Sinn ihrer Worte nicht verstand, war es mir leicht, ihr Glauben zu schenken.“ Tante Telluren setzte eine ihrer Gattung würdige Miene auf, rückte vor Verlegenheit eine Vase zurecht, zupfte die Tischdecke schief und wieder gerade, nahm ein Notenheft vom Flügel und stellte ein anderes hin. Sie tat alles so schnell, als sei sie in ihrem Boudoir überrascht worden, als versuche sie ihre diskrete Unterwäsche vor den spähenden Augen eines Eindringlings in Sicherheit zu raffen. Armida riß die Tante aus der fiebernden Verlegenheit. „Komm, Tante, gehöre uns, nestle an uns herum, wir werden uns freuen.“ Zu Calvandi: „Siehst du, Arco, wie Tantchen sich freut, eine Braut im Hause zu haben. Du mußt Geduld haben, Schatz, das Tantchen braucht lange, ehe es ausgeschwungen hat, wenn der Pendel der Erregung einmal bei ihr angeschlagen ist. Du entschuldigst, ich gehe hinauf zu Jappes. Tante Ida sagte mir, daß er schon aufgestanden sei. So, nun mach dir’s bequem,“ und sie stieß ihn nach rückwärts in einen Klubsessel. Tante Telluren hatte sich die Schläfen in Eau de Cologne gebadet und beruhigt trat sie ins Zimmer. Die Zofe stellte ein dampfendes Kaffeetablett vor den bräutlichen Gast. „Sie lieben es, während der Nacht zu reisen,“ hub Ida Telluren an, „ich sitze seit zwei Nächten im Lehnstuhl und habe Sie erwartet. Jappes sagte, die kommen bestimmt zur ungelegensten Stunde. Ach, Herr Calvandi, darf ich mich bemühen, Ihnen eine Tasse Kaffee einzuschenken?“ Calvandi gähnte der Tante entgegen und sprach: „Bei guten Tanten trinkt man den besten Kaffee und bei den besten Tanten trinkt man den guten. Ich schmecke am Kaffee, daß Sie die beste Tante sind.“ – Gezwungene Pause, welche Herr Arco angenehm mit Schlürfen von Kaffee ausfüllte. Wischte sich den Mund und fuhr fort: „Ein Genuß in früher Morgenstund. Wenn ich mir eine Zigarre erlauben darf, bin ich wirklich in der angenehmsten Umgebung.“ Tante Telluren nickte bejahend und musterte Arco Calvandi. „Ich bringe den Göttern ein Rauchopfer,“ paffte der Gast und schloß die Augen, „so wohnlich hatte ich es mir bei Ihnen nicht vorgestellt. Sie wissen, wir sind nicht gekommen, Ihre Einwilligung zu holen, wir wollten einen Abschiedsbesuch von unserer jungfräulichen Jugendzeit machen und Sie, gnädigste Tante, sind Armidas einzige und liebste Verwandte. Eine leise Sehnsucht befällt einen doch, wenn man vom Schönsten des Lebens Abschied nimmt, um in schönere Tage hineinzuheiraten. Die Menschen nutzen sich ab auf die Dauer und müssen sich zusammentun, um weiterbestehen zu können. Die Frau ist das regenerierende Prinzip und der Mann ist die dynamische Kraftquelle. Ich glaube, die Türken betreiben die Vielweiberei, wie alle polygamen Völker, weil sie so früh erschöpft sind. Es ist nicht das Gesetz der Triebe, der sinnlichen Lust, es ist das Gesetz der gesteigerten Selbsterhaltung, das die Türken zwingt, ihre morschen Glieder an vielen Frauen zu stützen. Wehe dem Abendland, wenn die Masse der Männer so erkaltet, daß nicht mehr genügend Frauen zum Ausgleich vorhanden sind. Kurz völkersoziologisch gesprochen: Wenn Nachfrage und Angebot zwischen Mann und Frau keinen harmonischen Ausgleich mehr finden.“ „Ich stimme Ihren Ausführungen bei,“ sagte Ida Telluren, von gelehrtem Interesse geschwellt, „sehen Sie das Mammut, das Verhältnis zwischen männlich und weiblich ist nur eins zu drei. Daran mag das Mammut zugrunde gegangen sein. Aber es ist doch ein Jammer der Natur, daß sie nicht imstande war, die Tiere lebenskräftig zu erhalten. Gottlob! daß die Gigantenfossilien uns noch erhalten sind!“ Arco Calvandi machte eine huldigende Verbeugung: „Gnädige Tante, ich sehe, Sie sind ganz recht im Bilde und reden wie der klügste Mammutologe. Die einzige Waffe, welche die Natur dem Menschen gegeben, ist der Kampf. Und wer die Psyche der Türken kennt, versteht auch, weshalb sie immer Krieg führen müssen. Sie kämpfen, um sich den nötigen Ueberschuß an Frauen zu sichern. Weil sie dem Brudermord abgeneigt sind, kämpfen sie gegen die umliegenden Völker. Es ist meine individuelle Auffassung, und die Geschichtsforschung schweigt darüber aus kirchlich-dogmatischen Gründen. Wie bei jedem Volk ist die Sitte der Türken das höchste Gesetz der Notwendigkeit. Nicht alle Türken wohnen im Reiche der alten Kalifen.“ Calvandi zog zwei Zigarettenetuis aus der Tasche und rauchte zwei Zigaretten zu gleicher Zeit: „Es ist schwer, mit seiner Zeit voranzugehen, weil wir so sehr in der Vergangenheit wurzeln,“ fuhr er fort, „ich bin Anhänger der Sekte vom ‚gemischten Aroma‘, ein Nichtraucher kann die Theorie nicht verstehen. Die reinen Genüsse sind uns vielleicht zu stark, vielleicht auch nicht mehr raffiniert genug. Ich bin es gewöhnt, eine Orientzigarette mit einer nikotinfreien zusammenzurauchen, das schwächt die Wirkung des Nikotins nicht ab, es verinnerlicht sie eher, und der größte Genuß ist das gedämpfte Aroma. Es ist wie eine ferne Musik, der Rhythmus bleibt und die Tonintensität wird nur gedämpft. Das Wesen der Musik ist der rhythmische Gleichklang mit unserem Gefühl. Gefühl und Rhythmus gemischt sind Harmonie, der Rhythmus gibt dem an sich neutralen Gefühl den Impuls, der sich in Reizempfindung wandelt. In Zigaretten und Frauen habe ich eine gute Routine. Ich bin fast so kühn zu behaupten, daß die männliche vitale Substanz fast ausschließlich durch die doppelte Narkose des Rauchens und der Ehe zerstört wird.“ Die Tante war Nichtraucherin und viel zu kurz verheiratet gewesen, um über den Ruin der körperlichen Substanz des Mannes ein erschöpfendes (erschöpfendes!) Urteil fällen zu können. Sie stand Arco Calvandi hilflos gegenüber und lauerte auf eine Gelegenheit, wo sie ihre Mammuts hätte anbringen können. Aber es bot sich keine. So ließ sie sich von der seichten Rede ihres Gastes einwickeln, sog die Worte ein mit dem Zigarettenrauch und verspürte ein leises prickelndes Gefühl im Kopf, als Aroma und Gedanken ineinanderflossen. Ein karnevalbunt gesprenkelter Gedanke flüsterte ihr zu: Tante, wenn du jung wärest, müßtest du das Rauchen erlernen und von Männern die süße Narkose. Ida Telluren stürzte aus dem Zimmer, und sie fühlte, daß etwas wie eine geschlechtliche Gedankensünde ihr Gewissen durchwühlte: Ich habe nicht genügend gelebt! Der beschämende Vorwurf des Alters. Arco Calvandi trat ans Fenster und sah in die dämmernde Ferne. Ein Wind tat sich auf und griff in die Bäume. Draußen lockte ein Uhu: „Huhu! mich friert. Der Mond ist so kalt.“ Dann ging die Stille und spann die Nebelfäden. Träume verraten uns manchmal, was uns im geheimen beschäftigt. „Jeder bricht an sich selbst,“ rief Jappes, als Armida die Tür öffnete. „Ich freue mich, daß du gekommen bist, den Traum meiner Nacht zu hören.“ „Erzähle!“ Und er: „Höre: Ich ritt über die Heide und war ein einsames Kind, und ich hatte ein Mädchen lieb. Da weinte mein Herz und das Pferd ging fürbaß. Eine Hexe sprang aus dem Gras mit Feuerrock und glühendem Haar. Sie scheuchte mein Roß und den Traum an das Mädchen. Ich wurde irr wie das Pferd und jagte über die Heide. Drüben winkte ein kühler Wald. Im Nacken spürte ich den feurigen Atem der Hexe. Das Roß stand still, an einen Baum gelehnt und war tot. Da mußte ich lachen, weil ich noch kein totes Pferd an einen Baum gelehnt sah. Aber der Baum war der Ahorn, wo die Hexe wohnte. Da lachte auch die Hexe und sprach: ‚So hast du noch nicht Trauer genug, daß dich das Lachen befällt, vor Sehnsucht und Tod.‘ Ein schwaches Rinnsal gluckerte am Fuß des Ahorns und die Hexe fuhr mit glühendem Finger hinein, daß es zischte, rührte im Wasser und kreischte gebrochen: ‚Es rieselet und regelet kalte In diesem grünen Walde.‘ Ein düster-fahler Blitz züngelte darauf und die Wolken rauschten und der Regen rann. Pilze standen und glühten und hatten Köpfe wie Menschen, die ich kannte. Auch ein Totenkopf war dabei mit offenem Hirn, das sich hob und senkte wie ein feuchter Froschbauch. Und das Hirn leuchtete so seltsam, wie phosphoreszierende Weiden um die Mitternacht. Eulen dolchten aus dem Dunkel mit glühenden Augen und der Regen rann, rann über das kalte Feuer der Augen und Pilze. Mein Pferd kratzte mit dem Fuß und sprach: ‚Du hast mich zu Tode geritten. Ich danke dir für den überflüssigen Hafer meiner verdaulichen Tage. Nie wird ein Pferd einen besseren Herrn über die Heide reiten, das schwöre ich bei meinem Pferdeschweif.‘ Das Roß wußte nicht, daß die Hexe ihm den Schwanz ausgerissen hatte, um Wechselbälge daraus zu machen. Es lehnte wieder am Baum und bleckte die Zunge herfür und ich mußte lachen, weil es mir bei seinem fehlenden Schweif geschworen hatte. Da trat die Hexe herzu und schlug ein Teufelskreuz: ‚In dreitausend Teufelsnamen, komm in meine warme Stube. Der Kessel siedet und die Kätzchen schnurren. Die Muhme zupft Werg und der Kater ist fort.‘ Da lachte ich wieder und sagte: ‚Ich mag deine Sippe nicht leiden. Ich liebe das Wetter, das durch die Wälder rast und meine Haut ist wasserdicht. Selbst der Hexenregen geht nur bis auf die Haut.‘ Da keifte die Hexe und zog den Pferdeschweif unter dem Rocke hervor, kehrte den Boden damit blank, blank von den Pilzen und Morcheln und stieß an den atmenden Totenschädel mit ihrem spitzigen Schuh, daß er wimmerte: ‚O Gibil, Böse der Sieben, mein leuchtendes Hirn.‘ Die Hexe zog einen Kreis, warf Kiesel gen Morgen und der Himmel ward trocken und still. Ich lehnte mich ans tote Roß und sagte: ‚So, so!‘ Die Hexe lachte und zog ein Hahnenei aus dem Busen: ‚Das Ei stammt aus Hokus und wurde mit dem eigenen Pokus des großen Hahnes Krähokus gelegt.‘ Da sprang das Ei mit einem donnernden Knall entzwei und ein seltsam putziges Wichtelchen stand an Stelle der Hexe im Kreise. ‚Ich war ein Ei,‘ stellte es sich vor und schlug die Hacken zusammen, daß die Eierschalenschuhe klirrten. Das Wichtelchen zog ein Spinnweb aus der Tasche und wickelte es um seinen Kopf wie einen Turban: ‚Der Mond sticht,‘ hüstelte es, mit blecherner Stimme und zeigte nach oben und rückwärts. Und ich sah, daß das Phosphorhirn des Totenkopfes aus dem Baume herniederstach. Ein schwerer Traum flog am Totenmond vorbei und das Männchen sagte: ‚Die Kühle ist gut für ein Hahnenei.‘ ‚Weshalb bist du hier,‘ fragte ich forschend, ‚wenn du ein Ei bist?‘ Da schüttelte es seinen Spinnenturban: ‚Ich weiß auch nicht, vielleicht, weil ich gelegt worden bin.‘ Da fiel das tote Roß mit einem Plumpser zu Boden. ‚Steigen wir auf den Berg,‘ rief das Männlein ganz fröhlich, ‚steigen wir auf den Totenberg,‘ und es schickte sich an, hinaufzuklettern. Es klammerte sich fest an den Haaren wie an Sträuchern, und als es an die Stelle kam, wo der Schweif fehlte, sagte es erschrocken stöhnend: ‚Der Berg ist hohl.‘ ‚Das ist kein Berg,‘ gab ich zurück, ‚das ist mein totes schwanzloses Pferd, das deine Mutter zu Tode gejagt hat.‘ Ich faßte das Knirpschen mit zwei Fingern: ‚Jetzt bist du gleich oben.‘ Aber es hob sein Fingerchen und sagte ganz listig: ‚Du Riese, ein bißchen vernünftig, ich bin gar sehr zerbrechlich. Wir wollen eine Mücke braten und Abendmahl feiern,‘ sagte das Wichtlein und setzte sich auf dem Pferdekadaver zurecht. ‚Hol ein wenig Feuer vom Leuchtkäfer und melke ein wenig Fett von der Raupe, dann wollen wir das Flieglein braten‘ – hier holte es eine Fischschuppe hervor als Pfanne und zog eine Fliege aus einer ausgehöhlten Knospe. Da lachte ich zum drittenmal und rieb ein Schwedenholz an einer Schachtel. Entsetzen packte das Männlein und es fiel seiner kurzen Länge nach über seine verstorbene Sitzgelegenheit. Ich hörte ein leises zischendes Weinen und ein Tränlein hing wie ein Tautröpfchen an einem Pferdehaar. Zwischen zwei Seufzern krabbelte es sich wieder hoch und nahm das linke Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger: ‚Schade, Riese, daß du alles so groß siehst.‘ Ich lachte nicht mehr und überlegte, ob ich oder das Wichtlein an Begriffsverwirrung litt. Das Männchen krabbelte an meiner Hose und sagte belehrend: ‚Wir dürfen nur mit kaltem Feuer braten.‘ Ich spürte, daß seine Nägel wie Katzenkrallen in mein Fleisch drangen. Als ich jäh zusammenzuckte, pfiff sein trillerndes Stimmchen beglückt: ‚Fürchte dich nicht vor den kleinen Schmerzen, Riese, du bist ja so groß. Wenn du stillschweigst, will ich dir ein Märchen erzählen: Das Märchen vom. Leben. Ich habe es schon oft erzählt und weiß es genau.‘ Ich rief hastig: ‚Laß los!‘ Und biß die Zunge zwischen die Zähne vor Schmerz. ‚Ich lasse mein Märchen gleich los,‘ sang das silberne Stimmchen. Der Zwerg krallte sein spitziges Nagelwerk tiefer ins Fleisch und erzählte: ‚Es war ein Zwerg und ein Riese. Der Zwerg war groß und der Riese war klein. Der Zwerg nahm den Riesen in Dienst. Zähl mir die Stunden, sagte der Zwerg und er gab dem Riesen eine Sonnen- und eine Monduhr, und ein Stundenglas mit Sand gefüllt dazu. Dann legte der Zwerg sich schlafen und schlief einen jahrhundertlangen Traum. Dann erwachte er und fragte den Riesen: Wie lange habe ich geträumt? Hundert Stunden, sagte der Riese und reichte dem Zwerg das Stundenglas. Gerade blieb der Mond im letzten Viertel stille stehen. Oh! weh, rief der Zwerg, er hat die kleine Zeit nicht gesehen, fuhr sich an den Bart und fühlte, daß er hundert Jahre lang war. Ich will dich nicht mehr als Schatzmeister der Zeit, denn ich habe meine Jugend verschlafen und du hast mich nicht geweckt. Der Riese brummte ärgerlich: Zwergstunden sehe ich nicht, und dein Schnarchen habe ich nicht gehört. Auch wagte ich nicht, dich zu berühren, weil ich fürchtete, dein Leben zu zerdrücken. Der Zwerg reckte sich eine Spanne nach oben und rief: Du zertrittst das kleine Leben und lebst doch selber keines. Geh in den Garten und säubere die Beete vom Unkraut. Da ging der Riese und riß die Wälder aus den Tälern und von den Hügeln, warf Felsen fort aus den Bergmassen und machte ein Donnergepolter bei der Arbeit. Da brausten die Winde über die ausgerodeten Wälder und heulten über die Heide, daß der Zwerg erwachte. Der riß die Augen auf und sagte verwundert: Schlief ich nicht ein in einem tiefen Wald? Ja, ich schlief ein in einem tiefen Wald. Ein Windstoß fuhr gerade vorüber und der Zwerg gab ihm eine Bremse mit, den Riesen zu rufen. Der Riese kam und hörte den fröstelnden Zwerg: Meinen Garten solltest du pflegen, aber du hast meine Wälder zerstört. Ihr Riesen seid zu gar nichts nutz, doch sollst du den Frevel sühnen. Der Riese wurde erbost: Moosaffe, schrie er, und trat mit seinem derben Schuh in die Richtung, wo das Stimmchen des Zwerges zirpte. Der Zwerg aber huschte zwischen den klotzigen Nägeln des Riesenschuhzeugs hindurch und lief zum Leben, ihm sein Leid zu klagen. Als der Riese das huschende Männlein erblickte, flog ein Rabe aus seinem zottigen Haupthaar, das Zwerglein zu schlingen. Der Zwergmann flitzte flugs in ein Mauseloch und klagte dem Leben sein Leid: Der Riese hat meine Welt zerstört, er denkt zu hoch über das Kleine, laß ihn einschrumpfen, daß er klein werde wie wir. Da sandte das Leben eine Schrumpfkrankheit und der Riese ward kleiner und kleiner, klein wie ein Zwerg, aber er behielt seine großen Gedanken zur Strafe. So ist mein Leben nichts, sagte der kleine Riese, und ehe er sich an einer Kürbisstaude am Narrenseil einer spinnenden Raupe erhängte, ging er zum Oberriesen: Du siehst, wie ich klein geworden bin, erhöre mein Gebet und laß wachsen den Zwerg, der mich verwünscht hat. Mache ihn so groß wie ich war, und laß ihm nur seine winzige Kraft. Der Oberriese weinte, weil sich ein Mitriese an einer Kürbisstaude erhängen konnte, und er legte einen kleinen Riesenhefekuchen an die Stelle, wo der Zwerg zu speisen pflegte. Der Kuchen war süß und weiß wie Manna. Der genäschige Zwerg ließ seine Heuschreckenhaxe und aß vom Kuchen. Da quoll er empor und die Winde bogen ihn wie eine Pappel, aber er war zu schwach, um zu stöhnen, und der Wind blies ihm die Luft in die Lungen, auf daß er nicht sterbe.‘ Da konnte ich den Schmerz nicht mehr ertragen und knipste das krallende Männlein von meiner Hose fort. Ein Rabe, der gerade vorüberflog, biß es in den Kopf, streifte ihm das Zwergjäckchen herunter und verschlang es mit krächzendem Wohlbehagen.“ Jappes trat ans Fenster und hörte, wie Arco Calvandi den Uhu äffte. Armida nahm seine Hand: „Jappes, hat dein Traum eine Bedeutung?“ Und Jappes: „Wenn ich ein Zwerg bin, vielleicht, wenn aber ein Riese, sicher.“ Die Ereignisse der Nacht treffen nicht zu, weil es Nacht ist. Wer die Magie aber mit der Nacht vergleicht, tut seiner Erfahrung unrecht. Frau Ida Telluren und ihre drei Gäste saßen am Tisch, welcher mit einem reich allegorisierenden Teppich überworfen war: Ein Papagei in Ketten, eine Dame vor einem offenen Grabe, ein lauschender Polizeidiener, eine Frau, welche einem Helden ein Schwert überreicht, welches in eine Schürze gewickelt ist. Zwillinge, Fische, Eber und Kälber, ein Storch, ein Kiebitz, ein Rabe. Und Blumen, seltene Blumen mit magischer Bedeutung: Lolch und Fuchsia, Blasenstrauch und Rittersporn, verblühter Safflor und Binsen, Jonquille, Ephemerum und Cobaea. Gänsefuß und Hahnenfuß in stilisierter Bedeutung. Mohn und Judasbaum und zwischen beiden ein lachender Engelsfuß. Der Untergrund des Teppichs war mit den Sternbildern übersät und die leuchtenden Figuren der siderischen Zeichen stachen gar seltsam zwischen den bunten und verschrobenen Arabesken und Schnörkeln der Pflanzen und Tiere hervor. Planeten und wunderkräftige Zahlen und Zeichen. Wassermann, Jungfrau und Krebs, Zwilling und Widder und Schütze und ... „Ich bitte euch sehr ernst zu sein und aufrichtig an euer Schicksal zu denken, wenn auch nur an das vergangene,“ sagte Tante-Sibylle, „es wird eine sakrosankte Handlung von zukunftsicherer Bedeutung sein.“ Sie hielt die Karten fächerförmig vor sich hin und bat, mit weltferner Stimme, jeden der Gäste, eine Karte herauszuziehen, welche sie dann feierlich umwendete und mit entrückten Blicken über die antwortdurstigen Schicksalskinder sah. Jappes’ Karte: Eckstein-Zwei – feierliche Stille und gespannte Erwartung. Ida Telluren breitete ihre seidenweiche Hand über die Karte und sprach, während ihre Augen sich schlossen: „Zweideutiger Lebenswandel, Knabe, du spielst mit einem Lamm. Ein Mädchen, das seiner Mutter den Rücken kehrt, ein schwangeres Mädchen weint. Hahnenfuß, gelbes Veilchen, Enzian. Du beweinst ein verschwundenes Glück und hoffst umsonst auf bessere Tage. Getäuschte Liebe, Reue, Tränen. Dein Zeichen ist der Fisch, das Meer, der Sturm. Dein Zeichen ist ein Wasserzeichen.“ Die Stube war still und der Kerzenschein legte sich wächsern auf die übernächtigen Gesichter. Sibylle-Telluren deutete die Zeichen der Karten. Sie wußte nichts von den Tagen, die um Jappes ihre zitternden Kreise zogen. Armida fragte: „Du hast doch keine Freundin, welche mit der Karte in Zusammenhang gebracht werden könnte?“ Sie stellte die Frage ernst und vernünftig. „Nein,“ sagte Jappes, „ich hätte ja auch eine andere Zufallskarte treffen können.“ Aber er dachte trotzdem an Pepy und wurde still. Es quälte die Tante, den Freund nachdenklich zu sehen, und besorgt: „Die Karten muß man Verlobten schlagen, heben Sie ab, Herr Arco Calvandi.“ Und sie las ihm sein Schicksal aus den Karten: „Pique-Neun zu Ihrer Linken bedeutet Untergang. Er wird von keinem guten Stern gelöst. Ich sehe sieben Pfeile und ein Essigrohr, die Nebenkarten trügen nicht. Ein Mene-Tekel-Upharsin. Ein Toter hängt an einem Weidenast, derweil ein Affe lachend mit dem Weihrauchfasse um die Leiche springt, um einem Krebse auszuweichen, der seine Scheren nach ihm zwickt. Der Talisman des Jupiter hat dich verlassen und die Gichtrose blüht auf deinem Haupt. Treff-Vier zur Linken deutet Ihnen, daß eine Dame mit Gewalt und Laune Ihren Stern zu lenken sucht. Ein Taxusbaum, ein Grab. Der Mond mit einer Ziffer Drei fällt jäh dem Horizonte zu, ich sehe Binsen, Hasen, eine Klapperschlange, ein Rad mit einer weißen Nabe, doch das ist alles so entfernt, drum öffne ich den Kreis und schließe meinen Spruch.“ Armida seltsam frohlockend: „Gottlob, Arco, daß die Karten fast immer das Gegenteil bedeuten von dem, was eintrifft; wir werden ja nach dieser dunklen Vorhersage eine glänzende Zukunft haben.“ Der Bräutigam saß still und ernst. Da legte die Tante seine gewählte Karte hin: Pique-Fünf, ihr Hauptbild, ein sterbender, verwundeter Mann. Seine Furcht wuchs zum Zynismus, und er wurde froh. „Komm, Armida, lassen wir Pique-Fünf, denn du bist meine Karte, ich nenne dich Piksüß.“ Und er warf Jappes einen Schimpf über den Tisch: „Uebers Jahr können wir unsere Karten wechseln. Wegen Armida kann ich Eckstein-Zwei dann zum Teil gebrauchen. Sie können meine Totenkarte haben.“ Da küßte Jappes der Tante ehrerbietig die Hand und verließ das Zimmer. Arco Calvandi küßte Armida und blies die Kerzen aus. „Es sieht wirklich aus, wie wenn ein Toter im Zimmer wäre.“ Dann riß er die Fenster auf, und die Morgensonne beschien die weißen Fäden, welche sich von den Kerzendochten hinaus in die Morgenkühle zogen. Aber der Totenkammergeruch war im Zimmer. ACHTUNDVIERZIGSTES KAPITEL Wer Worte bedarf, um den Zustand seines Freundes zu erraten, weiß wenig von dessen Seele. Jappes schickte die Zofe mit einem Telegramm zur Post, verabschiedete sich von Ida Telluren und fuhr mit dem Nachtschnellzug, Pepy zu besuchen, nach München. Er sprang aus dem Wagen, noch ehe der Zug hielt, und lief wie besessen über den Bahnsteig, wie wenn er einem lauernden Verhängnis entronnen wäre, so raste er, als wolle er eine Gefahr vergessen durch die Eile der Flucht. Pepy schrak zusammen, als sie ihn im Sturmschritt daherkommen sah. Ihr Wesen duckte sich in Unfreiheit. Ihre Erwartung, ihr tötendes Sehnen wurde durch die plötzliche Erscheinung gelähmt. Sie hielt dem Freunde kaum die Hände entgegen, blieb einen Augenblick regungslos stehen, als wolle sie erst den Namen, der von Jappes’ Munde kam, in sich aufnehmen, ihn verarbeiten, ihn in Zusammenhang bringen mit den Erinnerungen, die sich daran knüpften. Rudibub! – Sie war es nicht mehr, und Jappes fühlte, daß seine Pulse sich gegen das Mädchen bäumten, daß die keusche Jugendlichkeit ihrer bebenden Anmut unter einem Wust von sündbarer Erregung begraben lag. Pepy war erschrocken-freudig und durch ihre blonden Gesichtszüge jagte ein dunkler Schatten wie ein fernes Zucken. Wie bei lächelnd schlafenden Kindern, wenn die Heiterkeit ihrer Puttengesichter von einem düsteren Traum durchhuscht wird, der am Horizont ihrer Kinderwahrnehmung drohend steigt. Jappes fühlte, daß seine Blicke nicht mehr in die Seele des Mädchens drangen, und fühlte, daß er an ihrem Wesen abprallte. Die Hydra der Erregung reckte die züngelnden Köpfe, ein Gedanke in ihm warf sich hoch, ein jäher, schriller Gedanke. – Jemand hat an ihr gefrevelt! Den Schimpf Calvandis empfand er mit neuer bohrender Vernichtung: Eckstein-Zwei kann ich übers Jahr zum Teile brauchen, seine schwangere Karte! Pepy sah, wie er kämpfte und verwirrt war und sie hörte, wie ihre Stimme lallte: „Jappes, ich bin nicht mehr froh!“ Er griff sie bei der Hand und wie Kinder gingen sie durch den Abend, wie Kinder, die keine Eltern haben und in die Welt gehen. Sie gingen lange und nährten die Spannung. Und die Spannung wuchs in die Nacht und griff in die Sterne, so hoch, daß sie zum Taumel ward, zum Traum. Der Abend lag lauernd mit den sprühenden Lichtern, betäubt von den roten Geräuschen des Tages. Die Bäume standen wie Hymnen und flehend mit erhoben-erhabenen Händen zum Himmel. Die Stille war wie ein leises Gebet, das sich in den Schatten der Häuser hüllte. Die Menschen trugen ihre Geheimnisse vorüber, führten ihre Sehnsucht zur Lust, ihr Leid in den Reigen der taumelglühenden Farben. Die Straße lief zu den vielen Häusern und legte sich müde vor die vielen Türen. Und die Menschen gingen vorüber, sie dachten nicht an die Träume, welche die Nacht ihnen streute. Eine Menschensäule flutete aus einem gähnenden Tor. Zwei Mädchenstimmen wurden laut: „Gelt, das ist aber doch keine richtige Verführung gewesen?“ fragte die eine mit forschender Spannung. „Dummes Ding, eine richtige Verführung kann man doch nicht filmen,“ belehrte die zweite, und die erste mit milchigem Entzücken: „Aber so war’s ganz schön, gelt?“ Pepys Blicke hingen an dem riesengroßen Plakat: Die Verführte. Da stand Jappes still und las den gelben Streifen: Die Verführte! Hochdramatische, spannenerregende und nervenkitzelnde Begebenheit. Die Geschichte eines Mädchenlebens, gleichsam aus dem lebendigsten Leben gegriffen. Zeigt in photobildlich-getreuester Form die progressive Versumpfung eines Mädchens, welches vor Gott und Menschen das Opfer ihres Geschlechtes wurde, durch die ruchlosen Manipulationen eines derb-moralischen Freundes, welcher sie mit der pervers-lasziven Attrappe moderner Eheemanzipation in seine Netze lockte ... nebst herrlichen dazupassenden Natur- und Landschaftsaufnahmen. Der zweite Teil des Films: Der Verführten Wieder-Geburt, bei Programmwechsel. Der Druckfehlerteufel grinste Jappes aus dem gelben Plakatstreifen entgegen: Der Verführten Wieder-Geburt!? Pepy faßte ihn am Arm und sah ihm in die Augen: „Jappes, ich bin auch eine Verführte. Professor Günther ...“ Aber ihre Worte erstarben, als Jappes die Freundin bei der Hand nahm und sie hinter sich herzog. Am Wasserfall saßen sie beide im Englischen Garten und suchten nach Worten, welche zu den gurgelnden Symphonien der rauschenden Wasser passen sollten. Im fallenden Wasser sah Pepy ihr Leben fallen; der Gischt, das quirlende Tosen, die nassen Schatten und Lichter, die fallende Bewegung, welche in Staub zerstob, der drehende Wirbel der verstäubten Atome, wie die Wasser sich den kreiselnden Kräften zum Trotz sammelten, fremde Atome zu Tropfen und fremde Tropfen zur Masse der fließenden Wasser wurden und – noch taumeltrunken vom Rauschen des Falles, weiterflossen. Jappes saß heute an Günthers Stelle und hielt ihre Hand wie jener, er fühlte sich mitschuldig, weil er Mitwisser ihrer Schuld war. Er war selbst ein Mann. Weshalb fand er keine Worte, die Brücke zwischen sich und der Freundin zu schlagen. Sollte er sie einsam lassen mit der Frucht ihrer Jugendkraft? Da fluchte er der Frage. „Rudibub,“ sagte er mit unendlich weicher Stimme, daß das Mädchen weinte, legte seine Hand auf ihre glühende Stirn, „Rudibub, ich werde dir helfen.“ Sie hörte das prophetische Gnadenwort und ihre Antwort floß in Tränen. Frage kein Leben, wo es herkommt, du könntest es stören. Jappes’ Träume zerschellten an der Wirklichkeit. Der Groll fraß sich in sein fieberndes Leben, die Dämonen bauten ihr Narrenschloß und krönten ihn mit der Dornenkrone höhnischen Ueberdrusses. Bekleideten ihn mit dem Purpurmantel spöttischer Ueberhobenheit. Er fühlte, wie er über sich wuchs, wie er über das Leben hinausragte, wie er seinem Wesen fremd wurde. Seine Tage erhoben sich gegen ihn wie Schergen und schlugen seine Seele blutig. Aber weshalb höhnten sie ihn? Ihn, den Narren! Er ließ die anderen mit sich spielen und spielte selbst mit sich, lebte seine Tage ohne Kontrolle im Ueberbewußtsein seiner suchenden Kräfte, die sein Wesen zur Erlösung treiben sollten. Doch statt der Erfüllung ward ihm Empörung und Kampf. Seine Gedanken türmten sich um ihn und marschierten auf in geschlossenen Kohorten. Das Leben bot seinen Heerbann auf und kam, dem Narren den Tribut der Botmäßigkeit zu zollen. Die schwer-moralischen Hopliten beugten sich waffenklirrend, die spitz-kasuistischen Lanzenträger senkten ihre Lanzen vor dem roten König der Narren, die locker-schwirrenden Schleuderer opferten ihm die Steine ihrer verwirrenden Kunst. Sie verneigten sich alle vor dem Narren im Purpurkleid und riefen: Heil sei dir Narr! Wir bekennen uns machtlos und beugen uns vor der Tat! Die Liebe zog gefesselt vorüber und die weinende Freude, in Blumen erstickt, beugte sich vor ihm und sprach: Purpurpriester, die Liebe ist in Fesseln und ich muß weinen, weil es keine Erlösung gibt. Der Schmerz trat herzu und lachte: So habe ich wieder, einen Freund gewonnen, dessen Seele von meinen Liedern tönt. Die Ideale schickten ihre Wortführer: Wir sind der Traum der Kinder und der Geschlechtslosen. Wir wollen mit diesem Mädchen sein, weil der Traum seiner Lust ein Kind ist. Ich danke euch, erwiderte der König der Narren, ich danke euch und werde dem Mädchen sagen, daß seine Lust ein Traum und daß sein Traum ein Kind ist. Pepy antwortete dem träumenden Narren: Meine Lust war eine traurige Sünde und ein großer Schmerz. Das Rauschen der Wasser wuchs in die Schatten der ragenden Bäume und ein müder Wind tastete sich mit weichen Händen durch die sinnenden Dinge, welche von Traum und Leben sangen. NEUNUNDVIERZIGSTES KAPITEL Der Gerichtstag ist eine spezielle Form der Selbsterkenntnis. Die Nacht schrieb Jappes einen Brief an Doktor Seraph: Doktor, auch ich habe aus dem dunklen Brunnen der Unabänderlichkeiten getrunken und ich weiss, dass der Trank das Lethe ist, welches das Grübeln über die Zukunft nutzlos macht. Die metaphysische Frage über den Apriorismus des Lebens ist ein Unsinn, deshalb kann man mit logischer Konsequenz nicht de jure über das Leben entscheiden, wohl aber de facto. Weil letztere Frage aktiv in meiner Lebenssphäre liegt und mein „visueller Plan“ merklich dadurch verdunkelt wird, wünsche ich in kurzmöglichster Frist mich mit Ihnen in einer sachlichen und konsequenten Aussprache zur Klärung und Abhilfe zu treffen. Ueber die Struktur der medialen Substanz ein weiteres in der Zwiesprache. Dies unter Schlüssel wegen etwaiger notwendiger Deckung. Mit einem Appell an Ihre vorläufige Verschwiegenheit grüßt mit dankender Hochverehrung Jappes. Morgens ging er in den Glaspalast, Pepys ausgestellte Arbeiten zu sehen. Obwohl die Ausstellung erst eröffnet worden war, trugen schon mehrere Zeichnungen und Holzschnitte ein kleines Schildchen: Verkauft. Zwei Herren interessierten sich sehr für einige Studien über Tänze in Rötel. Sie verglichen die Arbeiten Pepys mit denjenigen eines Künstlers, welcher Jappes unbekannt war. „Die Kritik spricht sich sehr belobigend aus,“ sagte einer der Herren, „ja man vergleicht sie sogar mit dem Japaner Hokusai, wegen der Verwendung der vollen schwarzen Farben, durch welche die Künstlerin mit magistraler Gewalt das Problem der Verquickung des graphischen mit dem ornamentalen Zweck gelöst hat. Der Kritiker bewundert ihr feines Gefühl für Komposition und beglückwünscht sie zu ihrem glücklichen Griff in der Wahl der dekorativen Motive.“ „Man wird sich um sie reißen,“ bemerkte der zweite, „zudem soll sie eine Schülerin von Meister Geraldo sein, und böse Zungen bringen sie in Zusammenhang mit dem Aestheten und Psychologen Günther und behaupten, ihm müsse die geistige Vaterschaft ihrer Arbeiten zugesprochen werden. Es ist selbstverständlich Klatsch giftiger Neider, welche die Dame zum Werkzeug degradieren wollen. Kunst und Stänkerei sind viel zu eng miteinander verwachsen. Nun, sie hat die Befriedigung, das Lob ihres künstlerischen Schaffens zu hören.“ Jappes hörte das Urteil: sachlich, nüchtern, gerecht. Wie hätte er die Freundin verurteilen können? Es gibt Seelen, die erschrecken, wenn sie beleuchtet werden. Mit Günthers Selbstsicherheit war es vorbei seit jenem Morgen, als das Telephon ihm die befehlende Nachricht brachte: Seien Sie auf alle Fälle zwischen zwei und vier zu Hause. Ich habe unumgänglich mit Ihnen zu reden und warne Sie dringend davor, Ihr Haus zu verlassen. Unterwürfigkeit und Auflehnung lieferten sich einen wüst-wilden Kampf ... Wer sollte ihn, den Professor, zwingen, Wort und Rede zu stehen über sein Tun! Wer wollte Rechenschaft von ihm fordern! Wer wollte sich unterfangen, in seinem Privatleben zu schnüffeln? Wäre das kein Skandal! Kein Hausfriedensbruch! War die Freiheit der Person nicht gesetzlich gesichert! Und ein Schüler, ein grüner Junge, ein Kerl, dessen Vater er hätte sein können, wagte es, ihm telephonisch zu sagen: Ich warne Sie dringend davor, Ihr Haus zu verlassen. Das Telephon war eine öffentliche Sprechstelle. War er nicht schon kompromittiert, wußte nicht jedes Telephonfräulein, daß es bei Günthers einen Skandal gab! Eine Drohung ... ich warne Sie dringend! und das war die Parole der Unterwürfigkeit. In den Worten lag ein Zwang, eine Erniedrigung. Jappes hatte keine Ehrfurcht vor Gelehrsamkeit, er rechnete nur mit Menschen, hart auf hart, und rot auf rot. Sicher ließe sich mit Jappes unterhandeln! Wenn er ihm mit kasuistischer Verschmitztheit von der Schwäche des menschlichen Fleisches reden würde, wenn er Jappes hintergehen könnte ...? ihm eine Komödie vorspielen, sich anklagen, seine Verwerflichkeit in zerknirschter Demut mimen, Jappes verwirren, machtlos machen ... erkünstelt stöhnen, sich in der Verzweiflung vor ihm hinwerfen, die Augen mit Speichel anfeuchten und ihn dann unter Tränen um Verzeihung bitten ... ... – Jesus hat der Maria Magdalena ihre prostituierte Prostration verziehen und Jappes würde seine vermeintlichen Tränen, seine Zerknirschung als Sühne nehmen ... – Er könnte sich allmählich beruhigen und mit Jappes über die Mittel und Wege beratschlagen, wie er sich und Pepy den Frieden der Seele und des Leibes wiedergeben könnte ... Er fand Ruhe in der Komödie, welche er sich spielte. Die dritte Nachmittagsstunde war kaum verklungen, als die elektrische Klingel schrill durchs Haus bohrte. Oh! der Glocke schrille Stimme, das lange, doppelte, dreifache, das eindringliche Bohren. Jappes meldete sich an durch die Art, wie er schellte. Kein kurzes fröhliches Schellen: Bin da! nein, ein langes drohendes Schrillen: M–a–a–a–ch au–auf! daß die Vokale vibrierten. „Es freut mich, Sie heute wiederzusehen, Herr Professor Doktor Gustav Günther, Sie werden sich Ihres Privatschülers wohl noch erinnern?“ „Pepys Freund,“ erwiderte Günther kühn. „Pepys Freund!“ wiederholte Jappes und stieg hinter Günther die Treppe hoch, welche zum Atelier führte. „Nehmen Sie Platz, Herr Professor Doktor Gustav Günther,“ wies Jappes auf die Ottomane. „Ich weiß, daß Sie mir nichts zu sagen haben, aber ich habe Ihnen um so mehr mitzuteilen. Sie wissen, daß Sie ein Kind in der Zukunft haben. Wissen Sie es?“ „Ja.“ „Sie wissen, daß Sie ein Betrüger sind, ein geschlechtlicher Lügner. Sie wissen, daß Sie einmal sagten: Versuchskarnickel sind die Weiber, glauben Sie meiner Erfahrung, mein Freund, Versuchskarnickel! Wissen Sie es?“ „Ja ... aber ...“ „... Dann kennst du mein Urteil, Hund,“ und Jappes bäumte sich ihm entgegen. „Schmutziger, ehrloser Hund, bist du so wenig Herr deiner geilen Triebe gewesen, daß du ein ehrbares Mädchen schwängern mußtest? Fluch deinem Geschlecht, du schmählicher Ekel, du liederlicher Auswuchs verhurter Gedanken. Hattest du kein Weib, keine Frau, die nach dir lechzte in geschlechtlicher Brunst. Warst du zu stolz, auf die Straße zu gehen und deinen ranzigen Samen in das Fleisch einer Prostituierten zu geilen. Du Schmach der Verworfenheit! Ein Mädchen hast du befleckt und ihr den Schimpf angetan, die Frucht deiner Schlüpfrigkeit zu tragen. Das ist eine Sünde wider den Willen, eine Sünde wider den Geist, eine Sünde wider das Blut, eine Sünde wider das Leben. Und auf dieser Sünde steht Tod! Weißt du, daß Tod auf dieser Sünde steht?!“ Günther war in sich zusammengefallen, saß irr wie ein Trunkener, warf sich plötzlich seinem Richter entgegen, lallte eine Antwort, ohne Sinn. Nur ein Wort stach grell und greisenhaft flehentlich aus seinem Stimmengestammel: Nicht töten ... Jappes zwang ihn zurück mit eisernem Griff, brach seinen Willen, lähmte sein Wesen: „Schwächling, Feigling, so bist du im Sturm, du Kraft ohne Richtung, du Drang ohne Halt. Ich habe geschworen, dir dein Handwerk zu legen, du bist unmöglich geworden, und ich sorge dafür, daß du zur Einsicht deiner Ueberflüssigkeit kommst. Zur – Einsicht – deiner – Ueberflüssigkeit – ...“ Da fiel sein Blick auf Meister Geraldos Skizze. Den Rahmen schlug er am Boden entzwei, und trat mit dem Fuß in die Leinwand, daß sie zerriß. Stieß einen Blick in die Fetzen, spreizte die Hände darüber und spuckte mit Abscheu zum Gruß. In der Treppe reichte ihm Frau Günther die Hand – die Mutter: „Sie gehen schon wieder, Herr Jappes? Sie hätten zum Tee bleiben sollen. Grüßen Sie Fräulein Pepy, ich fahre morgen mit den Hunden nach Baden-Baden.“ „Was ist mit den Hunden,“ fragte Jappes, mit übereilter Erregtheit. „Ach, Sie wissen es noch nicht, alle unsere Hunde kommen nach Baden-Baden, aber ich sehe, Sie haben Eile,“ und sie reichte Jappes die Hand zum Abschied. Hastig drückte er ihr die Hand: „Ja, ich habe immer Eile, immer.“ FÜNFZIGSTES KAPITEL Zwei Krieger aus feindlichem Lager können sich zusammen ans Biwakfeuer setzen, dürfen aber nicht dabei einschlafen. „Sie kommen so selten, daß man Sie richtig anstaunen muß, wenn Sie mal da sind,“ empfing Frau Winterstein den dunklen Doktor. „Ist Jappes schon gekommen?“ fragte Molo Seraph und warf einen forschend-flüchtigen Blick auf seinen schwarzen Ring. „Gnädige Frau, ich bin nicht immer fähig, soviel Licht aufzunehmen. In Ihrem Salon ist es zu hell und die Menschen sind zu fröhlich nach außen, deshalb möchte ich euren Frieden nicht stören. Der Ring fordert immer ein Opfer, weil er im Zusammenhang mit Toten stehen muß. Der Stammbaum des Steines ist ein ausgedehnter Nekrolog. Er steht nicht nur in der natürlichen Art der Kapitulation des Organismus mit dem Tod in Verbindung, sondern auch durch die gewaltsame Art, durch den Mord. Darum hüte ich den Stein, und für meine Umgebung ist es immer gefährlich, wenn ich ohne den Gegenstein, den Pesach, der das Blut stillt, ausgehe. So muß ich umkehren und auch den Blutstein anlegen, um die Wirkung des Teufelsteines zu isolieren ...“ „Das ist selbstverständlich ein vorbereiteter Kniff von Ihnen, uns auszukommen. Nun bleiben Sie schon ruhig hier, ich übernehme die Verantwortung für den Abend und für den wunderlichen Stein. Gehen Sie zu den Damen, dann hat er seine magische Gewalt schnell verloren.“ „Ach verzeihen Sie mir,“ bat Doktor Seraph, „ich vergaß, Sie zu grüßen, als ich kam,“ und er führte die Hand der Dame an seine kalten Lippen. Frau Winterstein dachte: Der Totenkopf hat aber wirklich einen Vogel und lachte über ihre gut fundierte Selbstsicherheit, welche ihr das beste Amulett gegen jeden Zauber schien. So empfand sie ihre Verantwortung für den Zauberstein an dem Abend als eine süße Last. Die Damen waren im Begriff, die ruhigen Bewegungen eines Rundtanzes zu üben, als das Quittengesicht in die Türe trat. Mit erschrockener Ueberraschung hielten sie in ihrem Reigen inne und wie aus einem Munde: „Oh! Doktor Seraph!“ Armida trippelte auf ihn zu im zierlichsten Menuettschritte, und Molo Seraph seinerseits war einen Augenblick verwirrt, als die Dame in dem absonderlichen Aufputz vor ihn trat. Armida mit angemalter Wetterbräune und keck-grünem Lodenhütl, reichte dem perplexen Freunde die Hand: „Nanu Molo, was stierst du mich so an, wie wenn ich ein Meerwunder und du ein Mondkalb wärest?“ „Ich habe oft Wahngebilde, so daß ich gar nicht mehr über die Wirklichkeit zu urteilen wage,“ entgegnete der Doktor. „Tirol liegt nicht außerhalb meines Visionsradius,“ und dabei musterte er Armidas Tracht; der lebhaft bunte Ueberwurf, das Mieder, der weite Rock und die Zwickelstrümpfe. „Ach Doktorchen, du mußt mit uns üben, so, hier schau, den Tritt, im Dreivierteltakt.“ Der Doktor aber machte einen Knicks und bat Armida um einen Tanz. Tanzte mit ihr die Tirolienne und erregte respektvolle Verwunderung bei den Gästen und Freunden. „Das Bild könnte einen Maler inspirieren,“ wagte Fräulein Winterstein zu bemerken, „sieht es nicht aus wie der tanzende Tod mit dem tanzenden Leben?“ Arco Calvandi und Jappes trafen sich im Erfrischungsraum: „Wie fühlen Sie sich als Bräutigam, mein Herr?“ „Oh, Dank der Nachfrage, ich bin zu Tode glücklich verliebt. In Liebesangelegenheiten pflegte ich nie über die Verhältnisse der anderen hinauszuleben. Das Geschlecht der Calvandi wußte stets aus seiner Umgebung Nutzen zu ziehen. Für mein Herz beginnt nun das goldene Zeitalter der Ruhe, und es ist keusch im Dauerofen der ehelichen Liebe erglüht. Ich bin Ihnen darin verwandt, weil es eine Zeit gab, wo auch Sie Geschmack an meiner Braut fanden. Und Sie sehen, ich bin Ihr Freund, weil ich Ihnen die süßen Stunden, welche Sie mit Armida verlebt, in die Erinnerung rufe. Ihnen vertraue ich das letzte Geheimnis meines bewegten Junggesellentums an: Meine Frau wird nur eine angenehme Episode in meinem Leben sein, und weil Sie Armida, kennen, verstehen Sie auch den Sinn meiner Worte. Doch da kommt der Totenkopf, und weil ich wußte, daß er heute bestimmt kommen würde, habe ich mich mit einer krausen Chrysantheme bewaffnet, denn der herbe Atem der Blume paßt zu der Friedhofsstimmung, die er um sich zu verbreiten pflegt.“ Jappes erhob ein leeres Glas und maß den „Freund“ mit einem leeren Blick. „Ich weiß nicht, welche Flüssigkeit ich auf Ihre Gesundheit trinken möchte,“ dann begrüßte er Doktor Seraph, welcher hinzugetreten war. „Ich verspürte ein sinnfälliges Zucken des Ringes,“ betonte dieser mit einem gesetzten Akzent in der Stimme, „aber ich sehe, die Herren sind in bester Laune der Säfte. Vielleicht ist es Ihre Blume, die an den Tod erinnert,“ wandte er sich an Arco Calvandi. „Sie belieben scheinbar mit dem Tode zu spielen, im Uebermut der bräutlichen Tage. Sie sollten nicht mit dem Tode spielen!“ „Wie sollte ich nicht! Ihre maskenhafte Erscheinung gemahnt eher an den Tod als eine Totenblume. Wissen Sie nicht, daß die Gesellschaft es liebt, mit den Toten in Verbindung zu stehen, daß sie Geister materialisiert? Die Gesellschaft will Fleisch. – Sie lachen, Herr Jappes. – Ja! die Gesellschaft will das Fleisch der verstorbenen Geister, will eigentlich das verstorbene Fleisch der Geister, und Sie, Herr Doktor, fühlen sich sicher im angenehmen Kitzel Ihrer magischen Kraft. Frau Winterstein hat mir über die Befürchtungen, Ihren Ring betreffend, gesprochen. Sie sind ein wunderlicher Kauz, Herr Doktor Seraph, und unterhalten die Gesellschaft auf Ihre Art. Ich empfehle mich und danke Ihnen, weil Sie durch Ihre Erscheinung das Gefühl des spaßhaften Gruselns geweckt haben. Ich spiele nur auf meine Art mit dem Tod. Herr Jappes kann Ihnen die Prognose von Ida Telluren erzählen.“ Er zog die Schultern und ging zu den Damen, als der Doktor ihn warnte: „Ihr Wesen ist Leben und mein Wesen ist Tod. Sie glauben nur zu spielen, Herr Arco Calvandi. Sie sollten nicht mit dem Tode spielen – auch Sie, Herr Jappes, scheinen zu spielen, aber Sie spielen mit dem Leben, mit dem aktiven Leben, oder habe ich den Sinn Ihres Briefes nicht klar gedeutet?“ Du glaubst zu zwingen und wirst gezwungen. Jappes zog Doktor Seraph in eine ruhige Nische, in welcher die gedämpfte Brandung, des Abends spielte. Die Wellen der Musik fluteten in breiten, geschwungenen Akkorden heran, fluteten zurück im Widerhall, lösten sich auf, krochen an den Wänden hoch, als suchten sie einen Ausweg, diesem qualmenden Getön zu entrinnen. Wogten um die gleißenden Lichter in fieberndem Tanz und fanden den rhythmischen Tod im Verklingen der Töne. Auch die Lichter erstarben in elektrischer Glut. Die Freude ward Chaos und Wirbel ... So trank Doktor Seraph die sterbenden Lichter und Töne. So genoß er den Abend mit bewußt-dämonischem Reize und trank aus den sterbenden Dingen die Kraft für sein dunkles Wesen ... Als Jappes zu sprechen begann, schloß der Doktor die Augen und lauschte: „Herr Doktor, ich weiß nicht, ob es Ihren Prinzipien widerstrebt, ein Leben zu vernichten, aber ich bitte Sie, mich anzuhören, denn es handelt sich um ein Leben, um ein ungeborenes Leben. Mir fällt die Rolle eines Advocatus diaboli zu. Ich soll etwas Böses um des Guten willen verteidigen. Es ist eine sonderbare juristische Privatthese. Doch ich will klarer reden. Meine Freundin geht mit einem Kinde schwanger, das in geschlechtlicher Ueberrumpelung gezeugt wurde. Sie hatte den Willen zur Begierde, aber nicht den Willen zum Kinde. Nach dem Recht der Ungeborenen hat ihr Kind ein Anrecht auf das Leben. Und doch bitte ich, dem Recht des Ungeborenen zum Trotz, um Ihren klinischen Beistand zur Unterbrechung der Schwangerschaft. Für die Antithese will ich die furchtbare Einseitigkeit des gesetzgeberischen Moralempfindens nicht verwerten, will die Unmoral der verdammungswütigen Gesellschaft nicht ins Feld führen, will die Unzulänglichkeit allzu menschlicher und fehlbarer Juristerei nicht etablieren. Tötet nicht der Krieg in Massenschlachtungen Tausende von Menschen, zu Ehren des Staates, des Staates, welcher das Gesetz der sozialen Fürsorge und mit ihm das Recht der Ungeborenen promulgiert hat. Von all dem leeren Wortgeklingel will ich abstrahieren – das Mädchen ist in seiner künstlerischen Entwicklung begriffen und darf durch die Geburt und durch die Pflege ihres Kindes keine Hemmung ihres künstlerischen Schaffens erfahren. Ich verbürge mich für sie, daß sie ein künstlerisch wertvoller Mensch ist. Ich habe ihre ersten stilsicheren Arbeiten in einer Ausstellung gesehen, und Sie müssen verhindern, daß das Talent von der Gesellschaft in den Kot gezogen wird ...“ „Sind Sie der Vater dieses zukünftigen Kindes,“ fragte Doktor Seraph. „Nein.“ „Dann ist Ihre Ausführung ein objektives Plädoyer zugunsten eines Mädchens. Durch die Geburt des Kindes wird sie künstlerisch nicht gehemmt. Ihre Kräfte werden eher gesteigert. – Und wenn sie Künstlerin ist, wird sie nicht durch das Urteil der Umwelt leiden, wenn sie ein Talent ist, wie Sie versichern, wird sie sich auch der Umgebung zum Trotz durchsetzen. Meine Mithilfe muß ich Ihnen versagen, nicht weil ich Kompromisse mit der Gesetzgebung zu schließen bereit bin, sondern weil die Meinung der Gesellschaft kein Lebensopfer wert ist. Jüngst habe ich in einer medizinischen Zeitschrift meine Stellungnahme zu dem Problem klargelegt und den Standpunkt vertreten, daß es vernünftiger ist, dem Volk und der Gesellschaft die Freiheit der Zeugung durch die gehäufte Zahl der unehelichen Geburten zu predigen, als das ewig-verbrecherische Dunkel um das natürlichste Geschehen zu weben.“ „Sie verweigern die Hilfe, weil der Wille zur Geburt Ihr Freiheitsdogma ist,“ unterbrach Jappes. „Wollen denn Sie die dunklen Kräfte des Blutes leugnen, die jahrhundertlang das Wesen der Individuen fortpflanzen, Kräfte, die unabhängig vom Willen sind, ja, die selbst den Willen zwingen oder isolieren. Kräfte, welche das Wesen verwirren, zur Fortpflanzung drängen, im Unterbewußten das Erotische aktivieren, uns mit elementarer Wucht befehlen, uns zu Werkzeugen der starren Gesetze des Blutes stempeln. Das Mädchen ist die illegitime Tochter eines medial veranlagten Künstlermodells. Nun ist ihr Leben dem Konflikt des Blutes mit der Geschlechtsnorm erlegen. Diese Frucht ist eine Regelwidrigkeit der geschlechtssoziologischen Ordnung. Der Fatalität der Vererbung der sittlichen Schuld war das Mädchen nicht gewachsen, denn ihr Geschlecht war zu schwach und die Begierde des Blutes zu groß. Darum bitte ich, setzen Sie dem blutigen Fluch durch ihre Hilfe ein Ziel. Unterbinden Sie die Wirkungsmöglichkeit der dämonischen Kräfte, Sie sind ja berufen, die Geister zu bannen, deshalb schließen Sie diesen fatalen Ring, unterbinden Sie die schaffende Wirkung der tätigen Geister.“ Ein flüchtiger Schein huschte über Doktor Seraphs Gesicht, wie ein Wetterleuchten über eine matte Mondlandschaft. „Sie muten mir Grausiges zu. Ich will das Kind nicht morden. Aber ich will den Erbgeist des Blutes bannen, wenn Sie mir die Zukunft des Mädchens freigeben. Dann kann ich die Geister bannen, indem ich ihr die Mutterschaft nehme und sie fürs Leben unfruchtbar mache. Ist Ihnen der Preis nicht zu hoch? Den Geistern muß man die Basis des Wirkens nehmen. Ueberlegen Sie gut, das ist die Bedingung, und ich will gleich darüber entschieden wissen. Ist das Verhängnis der würdige Gott, daß man ihm das Opfer der Mutterschaft bringt ...?“ Jappes blieb im Banne der Frage. Pepy würde kein Opfer scheuen. Wie hatte sie gesagt und mit verzweifelter Hand ins Wasser gedeutet? Sie würde den Fluch ihrer Sünde nicht tragen wollen, und die Verantwortung für die Kämpfe ihres Kindes würde sie nicht tragen können. Nicht-wollen, Nicht-können. Das waren die Postulate, die ihren Selbstmord begründeten. Und er hatte ihr zu helfen geschworen. „Sei’s drum,“ sagte Jappes: „sie will kein Opfer scheuen, und das Höchste ist auch eines.“ Da drehte der Doktor den Ring um den Finger: „Schicken Sie das Mädchen und meiden Sie mich. Ich werde ihr Arzt sein und ihr Geschlecht aus der Zukunft heben.“ Reichte Jappes die Hand und lautlos verließ er den Saal. EINUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL Die Rätsel der Vernichtung sind so geheimnisvoll wie die Rätsel der Schöpfung. Beide münden ins Leben. Der Ball war zu Ende. Jappes und Arco Calvandi begleiteten Armida nach ihrer Wohnung, welche in Steglitz lag. „Dann treffen wir uns vorläufig nicht mehr,“ verabschiedete sich Armida, „wir wollen unser Flitterjahr verreisen. Dein heroischer Verzicht gefällt mir. Du warst immer ein Meister der raschen Entschlüsse. Vielleicht treffen unsere Wege sich später, vielleicht sind wir auf ewig geschieden.“ „Wir wollen es hoffen,“ und Jappes ging mit einem Lachen. „Sie haben viel Aerger mit mir gehabt,“ sagte Arco Calvandi, „und Armidas Abschied fällt Ihnen schwer, weil Sie so lachen. Ich kenne die Seele der Menschen. Ich weiß, daß Sie lachen, um nicht traurig zu scheinen.“ „Sie glauben, das Leben zu kennen, Sie kennen nur ein Leben; das einzige, was Sie bestimmt wissen, ist, daß alles um Sie heuchelt, und daß Sie mit allem heucheln. Arco Calvandi, Sie sind nicht der Mensch, Sie sind nur ein Mensch, den das Leben mit Wahnsinn behaftet hat. Wie unbeständig ist das Leben, wie kurz! Man kann das Leben hintergehen, und den Tod kann man zwingen, sein Handwerk zu üben.“ „Ich fürchte keinen Tod, ich habe dem Leben zu oft in die Augen geschaut. Aber ich empfinde Mitleid mit Ihnen, weil Sie so fröhlich scheinen. Ich möchte Sie diese Nacht nicht verlassen, weil Sie manchmal mein Weggefährte waren und ich an Ihrer Trauer den Wert Armidas erkannte. Wollen Sie von meinem Wagen Gebrauch machen. Wir fahren aus der Stadt. Die Menschen vergeuden so viele Geräusche.“ Jappes und Arco Calvandi stiegen in den Wagen und fuhren über den Hindenburg-Damm zu den Anlagen am Teltow-Kanal. Was für ein Zwang hatte sie diese Nacht zusammengeschmiedet? Waren es noch Menschen, die das Spiel verhaßt-gegenseitiger Unausstehlichkeit spielten? Waren es dämonische Kräfte, die sich gegenseitig maßen? Waren es Teufel, die in der Verruchtheit ihrer Wesen gegenseitig Halt suchten? Führt der Zufall nicht manchmal Menschen zusammen, um sie gegenseitig als Werkzeug ihres Untergangs zu gebrauchen? Ist die scheinbare Gesetzlosigkeit nicht oft der eherne Zwang, der gestaute Konflikte zur Entladung bringt? Ist nicht oft die Wahrheit der Zünder, welcher katastrophale Explosionen heraufbeschwört, wenn zwei Wesen aufeinanderprallen? Die zwei Menschen gingen durch die Nacht, am Kanal entlang. Sie waren sich gegenseitig Verbrecher und Richter. Ihre Anklage war Wahrheit, ihre Verteidigung war Wahrheit und ihr Wesen war Spiel. Zwischen beiden ging die Strafe, bereit, einem jeden ihr Bündnis anzutragen. „Schade,“ sagte Arco Calvandi, „daß man einen treuen Gefährten wegen einer Frau, die man nun einmal durch die Tücke des Blutes liebgewonnen hat, im Stiche lassen muß. Ohne die Intrigen des Lebens wären wir zweifellos die besten Freunde. Es gibt doch eine Zeit im Leben, wo man die Liebe über die Freundschaft setzt.“ „Ich weiß nicht, ob die Freundschaft, von der Sie reden, wert ist, daß man sie lobe, um die Liebe, die Sie meinen, damit zu vergleichen. Es gibt eine Freundschaft des Blutes und eine Liebe der Gesinnung, welche beide verschwistert sind und das Wesen eines platonischen Hausfreundes ausmachen. Sie nennen mich Freund. Auch Judas hat Christus den Freundeskuß gegeben.“ „Und der allwissende Christus ließ sich von Judas küssen. Doch hören Sie, Freund, wir sollten uns vor der Trennung zu verständigen suchen. Armida war unser beider Schicksal und einer muß dem Schicksal immer weichen. Von zwei Thronprätendenten kann nur einer die Krone erhalten. Ich sehe mich als den Würdigsten an, weil Armida die Wahl zu meinen Gunsten entschieden hat. Die Ehe ist für fertige Männer und ich kann in der Ehe ein zweites Leben gewinnen.“ „Ich bin noch kein fertiger Mensch und habe bereits ein Leben verloren. Ein keimendes Leben habe ich der Gesellschaft geopfert. In einem Augenblick habe ich über ein Leben entschieden. Ich staune selbst, wie schnell ein Urteil sich zur Tat bildet. Ein Leben durchs Jawort des Triebes entstanden. Ein Leben durchs Jawort des Willens vernichtet ... Es ist wie die Synthese des Lebens.“ „Sie sind ein Mörder am frühen Geschlecht? Sind Sie der seltsamen Karte verfallen?! Eckstein-Zwei – und die schwangere Deutung.“ Er lachte. „Sie haben ein Leben vernichtet. Dann sind Sie ein Held. Nur Helden töten! Wer lebendig macht, darf auch töten. Ein Schöpferwort! Ein Vernichtungsurteil. Ich werde ein Apostel Ihrer neuen Moral. Ihre Thesen sind heilig durch die fatalkräftige Prophetie von Tante Telluren. Mir fällt ein, daß ich Lust empfand, die Tante zu einem Antiquar zu führen – doch keinen banalen Spaß. Es gibt Gelegenheit genug, über Ernstes zu lachen. Ihre überzukünftige Moral gefällt mir. Töten, wenn ich will; in einem Augenblick entscheiden, das ist ein Mann! Auch meine Karte hat mir Tod verkündet. Wie sprach die Tante ganz ulkig von meinem Tode: Ein Toter hängt an einem Weidenast, derweil ein lachender Affe mit dem Weihrauchfasse um die Leiche springt, um einem Krebse auszuweichen, der seine Scheren nach ihm zwickt. Wenn Ihr Gewissen nicht hinter dem Lachen verborgen läge, könnte ich es leicht mit dem zwickenden Krebse vergleichen. Sie wären der hüpfend-lachende Affe, der mich mit Weihrauch beräuchert. Die Totenopfer beräuchern, ist die höchste Tugend. Oh, gewiß! ich werde ein Apostel Ihrer neuen Moral.“ „Sie könnten auch ein Märtyrer werden! Ich liebe den perversen Teufel, der aus Ihnen spricht. Wir ergänzen uns würdig. Ich bin die verbrecherische Tugend und Sie das tugendhafte Verbrechen. Wir sind nur durch eine feine Nuance verschieden. Das Gewissen ziert keinen Kulturmenschen mehr, Verbrechen und Tugend sind die Früchte derselben Moral. Ich liebe Sie, Herr Arco Calvandi, weil Sie mein Wesen sind: nur mit der Brutalität der Empfindung behaftet. Ich hasse Sie, Herr Arco Calvandi, weil Sie mein Wesen sind: nur frei vom romantischen Hauche der Sehnsucht.“ „Wir fließen ineinander über und können uns doch nicht in Armida einen. Sie sind ein seichter, zielloser Strom und führen den Unrat des Lebens mit. Eine Last schwimmt mit Ihnen, und Sie reißen das Schiff in den Stromschnellen fort, aber das Schiff wurde leck, als es über die Untiefen raste und es sank im ruhigen Flusse des Stromes. Sie konnten das Sinken nicht hindern. Sie hatten die Schnelligkeit ohne die Tiefe. So ist Ihr Wesen ein verlorenes Sein. Ihr Streben ein zielloses Irren. Ihr Tun ein ruchloses Handeln – ich spreche von unserem gemeinsamen Wesen. – Der Haß ist Ihre Liebe zu mir: Der liebende Haß, die neue Moral. Sie stehen an meinem Wege und lachen ... Sie gehen mit meiner Leiche und singen, Sie stehen an meinem Grabe und grinsen ... Sie trinken auf mein Wohl und wünschen mir Gift in den Becher, aber ich weiß alles zu deuten – ich spreche von unserem gemeinsamen Wesen. Bruder, sage ich zu dir, wie Judas zu Christus, Bruder, ich liebe dich!“ „Ich bin Christus, der die Welt erlöst, um sterben zu können. Den Fluch, den er Ahasver tat, hat er am Kreuze durch Tod gesühnt und sein weltflüchtiges Wesen geopfert. – Ich entgegne deinen Bruderkuß und sage dir, Bruder, ich liebe dich.“ * * * * * Da griff eine Hand aus dem Dunkel nach Arco Calvandi. Ein scharrender Fall, ein Keuchen wie fernes Saugen, dann lähmende Stille wie ein böser Traum. Am Morgen trug man eine Leiche ins Totenhaus. ZWEIUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL Verbrechen und Tugend sind die beiden Pole der gesellschaftlichen Moral. Die Sitten sind die Strömungen zwischen beiden. Nachmittags, als Jappes in Saßnitz ankam, lag das Meer lauernd wie vor einer großen Katastrophe. Der Wind, der gegen die Wellen blies, glättete die Wogen und ein körniger Rieselschauer überlief von Zeit zu Zeit die glatte Fläche. Er ging den Weg, den er einst mit dem Fremden gegangen – gegen Stubbenkammer, wo das Meer braust und die Felsen öde sind. Er konnte sein Lachen nicht deuten, als er an Calvandi dachte, der ihn zum zweitenmal ans Meer getrieben. Heute war er nicht vor ihm geflohen, keine Flucht vor einem Menschen, gegen welchen er nicht ankämpfen wollte, wie damals, als Armida ihm den Laufpaß gab. Heute fühlte er sich frei, er wußte, daß er nicht feige war, er war friedlich von dem Toten gegangen, hatte ihm alles verziehen und das Röcheln seines Opfers als Sühne genommen. Er hatte ihm den größten Dienst getan und ihn aus Liebe getötet ...?! Er trank die frische Meerluft mit gierigen Lungen. Der herb-tote Meergeruch stärkte ihn und mit tiefen Zügen trank er den Atem des Meeres. Bruder, ich liebe dich! er brüllte es laut, daß die Felsen erschauerten und das Echo in seine Seele warfen. Als die Abendschatten sich unter die schwindenden Lichter des Tages mischten, war das Meer eine unendliche opalisierende Fläche und das Grau bewirkte das Empfinden der krankhaften Ruhe des Wassers. Jappes ging den einsamen Pfad, zwischen den ragenden Sandmauern und dem lauernden Wasser. Saß an der Stelle, wo er mit dem Fremden gesessen, saß in Gedanken und starrte ins Meer. Da kam ein leises klirrendes Geräusch, wie von rollenden Kieseln, und der Fremde saß vor Jappes auf dem Stein. Er trug den grauen Mantel und die graue Tasche und grüßte: „Bruder, ich liebe dich, ich erkenne dich an deinem Blick, du hast aus Lust gemordet, wie ich aus Lust morden wollte. Du warst glücklicher als ich. Dein Opfer hat sich nicht gesträubt. Ich habe immer vom Glück der glücklichen Mörder geträumt. Doch mir will kein Mord gelingen. Vielleicht verstehe ich nicht, die Schuld meiner Opfer zu schaffen. Man erschafft die Schuld seiner Opfer, wenn man sich selbst zum Richter über sie setzt. Ich bin gekommen, von dir zu lernen, mein Bruder.“ Jappes wollte sich auf den Fremden stürzen, als er aber die Worte hörte, die er sprach, fühlte er, wie die Lähmung durch seine Glieder floß: „Ich habe nicht gemordet, grauer Fremdling, ich habe getötet, den Widersacher meines Blutes habe ich getötet. Ich habe ihn aus Haß gegen mich getötet, weil er mein ruchlos stärkeres Wesen war. Mein Recht dazu kann ich in keine Form fassen, auf einmal war die Lust da und die Kraft und der Wille ... aber kein Gedanke an die Schuld, der ich dadurch hätte verfallen müssen. Sein Tod war Erlösung für mich und für viele, deren Sünden er trug. Er war rein wie der Heiland, nur durch den Umgang mit Menschen hatte er all ihre Sünden auf sich genommen. Ein Mensch begeht keine eigenen Sünden, er trägt nur die Sünden der anderen und kann nur durch andere Erlösung finden. Ein jeder ist Schächer, ein jeder Erlöser ...“ Da stockte Jappes und der Fremde gebot ihm: „Erzähle mir weiter von Sühne und Schuld.“ „Bruder, grauer Bruder,“ fuhr Jappes fort. „Vielleicht bin ich nicht ganz makellos, denn ich fühle, wie ich freier werde, wenn ich dir von der Schuld erzähle. Ich habe nie eine Sünde begangen, aber ich trage eine schwere Sünde. Die Sünde eines Mädchens, die Sünde einer Zukunft. Durch die Berührung mit Menschen gehen deren Sünden auf uns über und wir verfallen ihrer eigenen Schuld. Ich bin Christus und trage mein Kreuz und mich begleitet viel Volk, mit mir ihre Sünden zu töten. Christus war ein Mensch mit unendlichen Träumen, sonst hätte er die Menschheit nie erlösen können, denn die Menschen sind Träumer, ihre Verbrechen sind Träume und unbewußtes Geschehen. Vom Tode Calvandis bin ich frei, denn ich habe durch ihn meine Schuld gesühnt: Wäre er nicht zwischen mich und Armida getreten und hätte für mich sein Leben versündigt, wahrlich, ich hätte ihn nicht töten dürfen, so aber war sein Leben meine übernommene Schuld und sein Tod meine Sühne ...“ Der Fremde lachte mit unheimlich heiserer Stimme. „Du glaubst, daß die Menschen ein Anrecht auf Schuld haben ... und keiner eigenen Sünde fähig sind?“ „... Wir haben alle ein Anrecht auf Schuld, aber wir sind keiner Sünde fähig. Kein Mensch will sein eigenes Ich beflecken und weil er nicht will, kann er auch nicht. Christus hat keine Sünde begangen, konnte nicht fehlen, weil er nach göttlichem Willen nicht wollte. Und doch hat er seine Umwelt am Kreuze mit blutigem Opfer erlöst. Die Juden, die Christus töteten, wurden die Träger der ungeheuren Schuld und müssen sie durch die Jahrtausende schleppen. Eine Schuld ist erst gesühnt, wenn der letzte Träger derselben vernichtet ist und ohne die Kreuzigung hätte Christus die Welt erlösen können. So aber haftet der Fluch der Welt den Juden an. Erst wenn der letzte Jude vernichtet ist, kann die Welt frei von Schuld sein ...“ „Die Menschen sollten sich hüten, die Juden zu töten, weil sie sonst die Schuld nur verschieben. Du meinst die Vererbung der sittlichen Schuld, und du rechtfertigst dein Tun mit den Sünden der anderen! In was besteht denn deine Schuld?“ „... Einerseits rechtfertige ich mein Handeln und andererseits verdamme ich mein Tun durch ein und dasselbe. Meine Schuld ist zu groß, ich wage sie nicht auf andere abzuwälzen“ – dann zog er ein Zeitungsblatt hervor und las: „Baden-Baden. Ein Münchener Gelehrter, der seit zwei Tagen hier zur Erholung weilte, hat aus Versehen bei seinem Sohn, der als Arzt amtiert, eine giftige Alkohollösung in eine Tasse Kaffee gegossen. Da die Wirkung des Giftes fast blitzartig eintrat, waren alle Gegenmaßnahmen erfolglos. Die Tragik wollte es, daß der Sohn den sterbenden Vater in seinen Armen verscheiden sah, ohne ihm Hilfe leisten zu können. – Den trauernden Hinterbliebenen unser innigstes Beileid.“ Er faltete das Blatt sorgfältig zusammen und riß es in kleine flatternde Fetzen: „Das ist das Verhängnis meiner Schuld,“ sagte er zu dem Fremden. „Ich kenne den Gelehrten, er hat ein Mädchen verführt und sich nun selbst als Opfer seiner Schuld gebracht. Er wurde ein Opfer der Vererbung der sittlichen Schuld. Das Mädchen war die Frucht einer Verführung und der Gelehrte hat die Schuld der Vererbung durch eine neue Verführung übernommen. Die Verführte büßt ihre Schuld und bringt dafür das Opfer ihrer Mutterschaft. So ist sie entsühnt. Der Verführer trägt die doppelte Schuld. Ich habe den Verführer vernichtet und er hat die dreifache Schuld auf mich abgewälzt. Die ungeheure Lage der Schuld gibt mir die Kraft, mit dir darüber zu reden. Du bist ein beruflicher Mörder. Erlöse mich! ... Töte mich!“ Da floh der graue Fremdling mit lachendem Abscheu. Jappes erwachte aus seiner Betäubung und dem Winde, der übers Meer blies, streute er die Fetzen, die Fetzen. DREIUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL Die Polizei ist die Muse der Kriminalromanschreiberei. Eines Morgens warf der Sturm und das kochende Meer eine Leiche ans Ufer. Die Polizei fraß sich in das Totenmysterium hinein und schickte dem Gericht das Ergebnis der polizeilichen Forschung: Fischer fanden am Ufer die Leiche eines Unbekannten. Der Tod mußte schon eingetreten sein, denn alle Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Die Autopsie der Leiche ergab, daß keinerlei Gewalt angewendet worden zu sein scheint. Einzelne kleine Schrammen, welche als Kratzwunden gedeutet wurden, sind nachträglich als Verwundungen erkannt worden, welche sich die Leiche bei der Anschwemmung auf den Sand zugezogen haben dürfte. Ob Unfall, Selbstmord oder Verbrechen vorliegt, muß die weitere Untersuchung ergeben. Fischer, welche allerdings als notorische Trinker verrufen sind, wollten in dem Toten einen freigebigen Fremden erkannt haben, der vor kurzem plötzlich während der Nacht in ihr Lokal gekommen sein soll, um sie zu berauschen. Sie sagten ferner aus, daß er Unmassen von Schnaps vertilgt haben soll, mithin allem Anscheine nach ein beruflicher Schnapstrinker gewesen sein müßte. Alle Aussagen, welche zweifellos der durch den Alkohol erhitzten Phantasie zuzuschreiben sind, wurden durch das Gutachten der Aerzte Lügen gestraft, welche nach Auspumpen des Magens des Angeschwemmten keinerlei Alkoholreste vorfanden. Ferner keine der krankhaften Störungen, welche die unausbleibliche Folge übermäßigen Alkoholgenusses sind, nachweisen konnten. Bei der Sektion der Leiche wurden im ganzen Verdauungsapparat weder chronischer Katarrh des Rachens, des Darms oder des Magens, noch Fettleber oder Cirrhose nachgewiesen. Der Schädel wurde zur Untersuchung der Gehirnwindungen auf Delirium tremens nach Berlin ins pathologische Institut übersandt. (Das Gutachten über die Analyse der Hirnmasse wird in einem Ergänzungsbericht nachgesandt.) Der Spitzfindigkeit der Polizei ist es gelungen, mit Hilfe des rotledernen Brieftascheninhaltes des Fremden einige Schlüsse auf die Vergangenheit der Leiche zu ziehen. Der Inhalt, welcher der kühnsten Phantasie reichlich Stoff zu intensivster Betätigung bietet, bestand aus einer Summe von 2437 Mark. Lies: Zweitausendvierhundertdreißigundsieben Mark, zwei Pfandscheinen, zwei Visitenkarten und einer Empfangsbestätigung über 100000 Mark, welche scheinbar ein Duplikat ist, ferner einer Photographie. Die Pfandscheine, welche auf den Namen Doktor Jappes einerseits und Pepy Pimpelmann andererseits lauten, sind an ein und demselben Tage in München ausgestellt worden. Die Visitenkarten lauten auf den Namen Dr. Jappes und Dr. Golliwog. Mit unfehlbarer Sicherheit wurde daraus der Schluß gezogen, daß die Pepy Pimpelmann die Geliebte des Doktor Jappes ist und beide ein Gelddarlehen von Doktor Golliwog empfangen haben müssen und ihm ihre Pfandscheine dafür zur Kaution übergaben. Daß Doktor Golliwog der tote Fremde ist, darf daraus mit Sicherheit gefolgert werden. Eine zweite Annahme lautet darauf, daß der Tote Doktor Jappes sei, weil das Duplikat der Empfangsbestätigung über 100000 Mark auf der Dresdener Bank von Doktor Jappes unterschrieben ist. Dies hat zur Annahme geführt, daß Doktor Golliwog den Namen seines Freundes mißbraucht zu haben scheint, um ein wertvolles Schachspiel auf dessen Namen zu versetzen. Demnach müßte die P. P. die Geliebte des Doktor Golliwog sein, durch welche der Pfandschein auf den Namen des Doktor Jappes wieder in die Hände des wirklichen Doktor Jappes gekommen sein müßte. Eine dritte Annahme geht darauf hinaus, zu behaupten, entweder Doktor Jappes müsse ein Hochstapler oder ein Pfand- und Geldmakler sein. Letztere Ansicht wurde wieder verworfen, weil, wie nachträglich festgestellt wurde, die Pfandscheine bereits seit drei Jahren verfallen sind, was bei Pfand- oder Geldmaklern nach der bisherigen polizeilichen Erfahrung ausgeschlossen ist. Daraus wurde der sachdienliche Schluß gezogen, daß der Tote Doktor Jappes oder Doktor Golliwog sei, daß die obengenannte P. P. in irgendeinem Verhältnis zu beiden gestanden haben muß, daß die Geldverhältnisse eines der beiden Doktoren sehr schwankende gewesen sein müssen, und daß einer derselben immer auf den anderen angewiesen gewesen zu sein scheint. Letzteres läßt auf die Tatsache des Mordes schließen, der jedenfalls auf geheimnisvolle Art verübt worden sein muß, weil sich keinerlei Spuren von Kampf nachweisen ließen. Die Requisiten wurden der Münchener Polizei zur genauen Nachforschung übersandt. Beiliegende Photographie wurde als die des Toten bestätigt. Die Züge sind, wie ersichtlich, durch das Wasser etwas verwaschen, Trotz sorgfältigster Trocknung gelang es nicht, das Bild in einen besseren Zustand zu versetzen. Außer der oben genannten Brieftasche fand man bei dem Toten eine Pistole, einen Schlüsselbund, ein Zigarettenetui und ein Taschentuch mit den Initialen P. J. G., welche zufälligerweise mit den drei Namen zusammentreffen, als solche aber kaum zu deuten sind und keine sachdienlichen Anhaltspunkte liefern können. Durch Uebergeben der kriminalistischen Indizien zu Händen des Gerichtshofes erklären wir die polizeilichen Nachforschungen als beendet. Lichtbild mit Personalbeschreibung nebenseitig. [Illustration] Die Leiche ist 1,81 lang. Nase: gewöhnlich. Kinn: rund und unrasiert. Gesichtsfarbe: grünlich-gedunsen. Augen: gebrochen-glotzend. Mund: klaffend. Haar: blond-zerzaust. Bart: stoppelig, scheint erst nach dem Tode gewachsen. Besondere Kennzeichen: Kopf: fehlt. Nach den Weisheitszähnen zu urteilen, kann der Tote höchstens 26 Jahre alt sein. Wie aus Lichtbild ersichtlich, üppiger Haarwuchs, was auf erhöhte geistige Tätigkeit schliessen lässt. Am kleinen Finger der rechten Hand Goldring mit grünem Stein und eingraviertem Skarabäus. Scheint bei Aufnahme des Lichtbildes gegrinst zu haben. Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FETZEN *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. 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