Anmerkungen zur Transkription
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Iwan Turgenieff
*
München bei Georg Müller
1927
Copyright 1926 by Georg Müller Verlag
A.-G., München / Printed in Germany
[5]
Es war ein stiller Sommermorgen. Die Sonne stand schon ziemlich hoch am reinen Himmel, auf den Feldern aber glänzte noch der Tau, aus den eben erwachten Tälern wehte duftige Frische und in dem noch feuchten und lautlosen Walde stimmten die kleinen Vögel lustig ihr Morgenlied an. Auf dem Gipfel eines Hügels, dessen Abhänge von oben bis unten mit reifendem Roggen bedeckt waren, zeigte sich ein kleines Dörfchen. Nach diesem Dörfchen ging, auf schmalem Nebenwege, eine junge Frau in weißem Mousselinkleide und rundem Strohhute, einen Sonnenschirm in der Hand. Ein kleiner, als Kosak gekleideter Dienstbursche folgte ihr in einiger Entfernung.
Sie ging, ohne sich zu beeilen und als fände sie Vergnügen an ihrem Spaziergange. Rings umher auf dem langen und schwankenden Roggen zogen in silbergraulichem und rötlichem Farbenspiele langgestreckte Wogen mit sanftem Rauschen dahin; in der Höhe schmetterten Lerchen. Die junge Frau kam aus dem ihr gehörigen größeren Dorfe, das etwa eine Werst von dem[6] Dörfchen entfernt lag, wohin sie ihre Schritte gerichtet hatte. Sie hieß Alexandra Pawlowna Lipin, war Witwe, kinderlos und ziemlich begütert, und lebte zusammen mit ihrem unverheirateten Bruder, Sergei Pawlowitsch Wolinzow, einem Stab-Rittmeister außer Diensten, welcher ihr Gut verwaltete.
Alexandra Pawlowna hatte das Dorf erreicht; sie blieb bei dem äußersten, sehr alten und verfallenen Bauernhäuschen stehen, rief ihren Dienstburschen heran und befahl ihm, hineinzugehen und sich nach dem Befinden der Eigentümerin zu erkundigen. Er kehrte bald zurück, gefolgt von einem altersschwachen Bauer mit weißem Barte.
»Nun, wie steht’s?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Sie lebt noch …« erwiderte der Alte.
»Kann ich hineingehen?«
»Warum nicht.«
Alexandra Pawlowna trat in die Hütte. Es war eng darin, beklommen und räucherig … Auf der Ofenbank regte sich jemand und stöhnte. Alexandra Pawlowna sah sich um und gewahrte in dem Halbdunkel den gelben und runzeligen Kopf einer alten Frau, den ein kariertes Tuch umhüllte. Bis unter den Hals mit einem dicken Oberrock bedeckt, atmete sie schwer und bewegte schwach ihre mageren Arme.
Alexandra Pawlowna trat zu der Alten heran[7] und berührte ihre Stirne mit der Hand; sie war brennend heiß.
»Wie ist dein Befinden, Matrona?« fragte sie, sich über die Ofenbank beugend.
»Ach! Ach!« stöhnte die Alte, nachdem sie Alexandra Pawlowna gewahr worden war. »Schlecht, schlecht, Mütterchen! Das Todesstündchen ist gekommen, mein Täubchen.«
»Mit Gottes Hilfe wird es schon besser werden, Matrona. Hast du die Arznei eingenommen, die ich dir geschickt habe?«
Die Alte stöhnte schwer und gab keine Antwort. Sie hatte die Frage nicht recht gehört.
»Sie hat sie eingenommen,« erklärte der Alte, der an der Türe stehengeblieben war.
Alexandra Pawlowna wandte sich zu ihm.
»Außer dir ist niemand bei ihr?« fragte sie.
»Die Kleine ist da – ihre Enkelin, läuft aber immer davon. Kann nicht sitzen bleiben: ein wildes Ding. Einen Trunk Wasser der Großmutter reichen – selbst das fällt ihr schwer. Bin selbst zu alt: was kann ich helfen?«
»Sollte man sie nicht zu mir ins Krankenhaus tragen?«
»Nein! Wozu ins Krankenhaus! Ganz gleich, wo man stirbt. Sie hat ihre Zeit abgelebt; es muß wohl Gottes Wille so sein. Sie kann von der Ofenbank nicht herunter. Wie soll die ins Krankenhaus! Hebt man sie nur auf, so ist sie tot.«
»Ach,« stöhnte die Kranke wieder: »Meine[8] schöne, gnädige Frau, meine Kleine, die Waise, verlaß sie nicht; unsere Herrschaft ist weit von hier, du aber …«
Die Alte schwieg, sie konnte kaum sprechen.
»Sei ruhig,« sagte Alexandra Pawlowna, »es soll alles geschehen. Ich habe dir da Tee und Zucker gebracht. Wenn du Lust haben wirst, trinke … Ihr habt ja doch wohl einen Samowar?« setzte sie, mit einem Blick auf den Alten, hinzu.
»Einen Samowar? Nein, einen Samowar haben wir nicht, man kann sich das aber verschaffen.«
»Nun, dann verschaffe ihn dir, geht’s nicht, so schicke ich dir einen. Und sage auch deiner Enkelin, sie solle nicht aus dem Hause laufen. Sage ihr, es sei das gar nicht recht von ihr.«
Der Alte antwortete nichts, nahm indessen den eingewickelten Tee und Zucker mit beiden Händen entgegen.
»Nun, lebe wohl, Matrona!« sagte Alexandra Pawlowna, »ich komme wieder zu dir, verliere den Mut nicht und nimm die Arznei pünktlich ein …«
Die Alte hob den Kopf ein wenig und streckte sich gegen Alexandra Pawlowna vor.
»Gib, Gnädige, das Händchen,« lallte sie.
Alexandra Pawlowna gab ihr nicht die Hand, sie beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirne.
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»Gib also acht,« sagte sie im Fortgehen zum Alten, »die Arznei muß ihr durchaus eingegeben werden, wie vorgeschrieben ist … Und auch Tee gebt ihr zu trinken.«
Der Alte erwiderte abermals nichts und verbeugte sich nur.
Alexandra Pawlowna atmete freier, als sie wieder in die frische Luft gekommen war. Sie schlug ihren Sonnenschirm auf und wollte bereits nach Hause gehen, als plötzlich um die Ecke der Hütte herum auf einer niedrigen Reitdroschke ein Mann in den Dreißigen angefahren kam; er hatte einen alten Paletot aus grauem Leinzeuge an und trug eine Mütze aus gleichem Stoffe. Als er Alexandra Pawlownas ansichtig wurde, hielt er sogleich an und wandte sich zu ihr. Sein Gesicht war breit und bleich, mit kleinen blaßgrauen Augen und hellblondem Schnurrbart; das Ganze paßte zur Farbe seines Anzuges.
»Guten Tag,« brachte er mit einem trägen Lächeln hervor, »was machen Sie denn hier, wenn ich fragen darf?«
»Ich habe eine Kranke besucht … Von wo kommen Sie aber, Michael Michailitsch?«
Der Mann, der Michael Michailitsch hieß, schaute ihr in die Augen und lächelte wieder.
»Sie haben gut daran getan,« fuhr er fort, »eine Kranke zu besuchen; wäre es aber nicht besser, Sie ließen sie ins Krankenhaus bringen?«
»Sie ist zu schwach: man darf sie nicht rühren.«
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»Wie ist’s denn mit Ihrem Krankenhause, sind Sie nicht Willens, es eingehen zu lassen?«
»Eingehen lassen? Weshalb?«
»Nun, so.«
»Welch sonderbarer Einfall! Wie ist Ihnen der in den Kopf gekommen?«
»Sie verkehren ja so viel mit Frau Laßunski, und stehen, wie es scheint, unter ihrem Einflusse. Wie die nun sagt, sind ja Krankenhäuser, Schulen – nichts als Unsinn, unnütze Erfindungen. Die Wohltätigkeit soll persönlich sein, ebenso die Bildung; das alles ist Sache der Seele … in dieser Weise, glaube ich, drückt sie sich aus. Wem sie das nachsingt, möchte ich aber wissen?«
Alexandra Pawlowna lachte auf.
»Darja Michailowna ist eine kluge Frau, ich liebe und achte sie sehr; sie kann ja aber auch irren und ich glaube nicht an jedes ihrer Worte.«
»Und Sie tun sehr wohl daran,« erwiderte Michael Michailitsch, immer noch auf der Droschke sitzend, »denn sie selbst schenkt ihren eigenen Worten keinen rechten Glauben. Es freut mich übrigens sehr, daß ich Sie getroffen habe.«
»Wieso?«
»Eine schöne Frage! Als wenn es nicht immer angenehm wäre, mit Ihnen zusammenzukommen! Heute sind Sie ebenso frisch und freundlich, wie dieser Morgen.«
Alexandra Pawlowna lachte wieder.
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»Worüber lachen Sie denn?«
»Wie, worüber? Wenn Sie sehen könnten, mit welcher apathischen, kalten Miene Sie Ihr Kompliment vorbrachten! Es wundert mich, daß Sie es ohne Gähnen zu Ende gebracht haben.«
»Mit kalter Miene … Sie wollen immer Feuer haben; Feuer taugt aber zu nichts. Es lodert auf, qualmt und verlischt.«
»Und wärmt,« setzte Alexandra Pawlowna hinzu.
»Ja … und brennt auch.«
»Nun, was tut es, mag es brennen! Das ist auch kein Übel! Immer noch besser als …«
»Nun, ich will doch sehen, ob Sie wohl noch ebenso sprechen, wenn Sie sich, auch nur einmal, tüchtig verbrannt haben werden,« unterbrach sie ärgerlich Michael Michailitsch und schlug mit den Zügeln auf sein Pferd. »Leben Sie wohl!«
»Michael Michailitsch, warten Sie!« rief Alexandra Pawlowna, »wann sehen wir Sie bei uns?«
»Morgen; grüßen Sie Ihren Bruder.«
Und die Droschke rollte davon.
Alexandra Pawlowna sah Michael Michailitsch nach. Ein wahrer Mehlsack! dachte sie. Zusammengebückt, staubbedeckt, mit der in den Nacken geschobenen Mütze, unter welcher unordentliche Büschel gelben Haares hervorguckten, war er in der Tat einem großen Mehlsack ähnlich.
Langsam kehrte Alexandra Pawlowna auf dem Wege nach Hause zurück. Gesenkten Blickes[12] schritt sie dahin, als der Hufschlag eines Pferdes in der Nähe sie zwang, stehen zu bleiben und den Blick zu erheben … Ihr entgegen ritt ihr Bruder; neben ihm schritt ein junger Mann, mittleren Wuchses, in aufgeknöpftem, dünnem Röckchen, schmalem Halstüchelchen und leichtem grauen Hute, mit einem Spazierstöckchen in der Hand. Schon von weitem lächelte er Alexandra Pawlowna entgegen, obgleich er wohl sah, daß sie in Gedanken versunken einherging, ohne auf irgend etwas acht zu geben. Sie bemerkte ihn erst, als er zu ihr herantrat und freudig, fast zärtlich sagte:
»Guten Morgen, Alexandra Pawlowna, guten Morgen!«
»Ah! Constantin Diomiditsch! Guten Tag!« antwortete sie. »Sie kommen von Darja Michailowna?«
»Gewiß, gewiß,« rief mit strahlendem Gesicht der junge Mann, »von Darja Michailowna. Sie hat mich zu Ihnen geschickt; ich habe es vorgezogen zu Fuß zu kommen … Der Morgen ist so wunderschön, es sind im ganzen nur vier Werst bis hierher. Ich komme – finde Sie nicht zu Hause. Ihr Bruder sagt mir, sie seien nach Semenowka gegangen, er selbst war im Begriff aufs Feld zu reiten; so bin ich denn mit ihm gegangen, Ihnen entgegen. Jawohl. Wie herrlich!«
Der junge Mann sprach russisch, rein und grammatikalisch richtig, jedoch mit einem fremden Akzent, dessen Abstammung schwer zu bestimmen[13] war. In seinen Gesichtszügen lag etwas Asiatisches. Die lange, gebogene Nase, die großen, hervortretenden, starren Augen, die dicken roten Lippen, die eingedrückte Stirn, das pechschwarze Haar, – alles an ihm bekundete die orientalische Abkunft.
Sein Name war Pandalewski und als seine Heimat gab er Odessa an, obgleich er irgendwo in Weißrußland auf Kosten einer wohltätigen und reichen Witwe erzogen worden war. Eine andere Witwe hatte ihm eine Anstellung ausgewirkt. Überhaupt begünstigten ihn vorzugsweise Frauen reiferen Alters: er verstand es, von ihnen zu erlangen, was er wollte.
Auch im gegenwärtigen Augenblick lebte er bei einer reichen Gutsbesitzerin, Darja Michailowna Laßunski, als Pflegesohn oder Kostgänger. Er war überaus freundlich, dienstbereit, gefühlvoll und im geheimen sinnlich, hatte eine angenehme Stimme, spielte nicht schlecht Klavier und pflegte jedermann, mit dem er sprach, starr anzublicken. Seine Kleidung war sehr sauber und hielt bei ihm lange vor, sein breites Kinn war sorgfältig rasiert und sein Haar stets glatt gekämmt.
Alexandra Pawlowna hörte seine Anrede bis zu Ende an und wandte sich darauf zu ihrem Bruder.
»Heute begegne ich einem nach dem andern; soeben habe ich Leschnew gesprochen.«
»Ah! wirklich!«
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»Ja; und denke nur, er fuhr auf einer Reitdroschke, in einem linnenen Sackkittel, ganz von Staub bedeckt … Ein wahrer Sonderling!«
»Mag sein! er ist aber ein prächtiger Mensch.«
»Was? Herr Leschnew?« fragte Pandalewski verwundert.
»Nun, Michael Michailitsch Leschnew,« erwiderte Wolinzow. »Indessen, lebe wohl, Schwester: ich muß jetzt aufs Feld; es wird bei dir Buchweizen gesät. Herr Pandalewski wird dich nach Hause begleiten.«
Und Wolinzow trabte davon.
»Mit dem größten Vergnügen!« rief Constantin Diomiditsch und bot Alexandra Pawlowna seinen Arm.
Sie reichte ihm den ihrigen, und beide schlugen den Weg zum herrschaftlichen Hause ein.
Arm in Arm mit Alexandra Pawlowna zu wandeln, erfüllte, wie es schien, Constantin Diomiditsch mit Glück und Stolz; er machte nur kurze Schritte, lächelte mit Behagen, und seine morgenländischen Augen wurden feucht, was übrigens bei ihm nicht selten vorkam: es kostete ihm wenig, gerührt zu werden und eine Träne fallen zu lassen. Und wem wäre es wohl nicht angenehm, ein hübsches, junges und schmuckes Weib am Arme zu führen? Von Alexandra Pawlowna sagte das ganze Gouvernement, sie sei[15] reizend, und das Gouvernement täuschte sich nicht. Schon ihr gerades, unmerklich aufgeworfenes Näschen konnte jeden Sterblichen um den Verstand bringen, wieviel mehr die sammetweichen, braunen Augen, das goldblondene Haar und die Grübchen auf den vollen Wangen, ihrer vielen anderen Vorzüge gar nicht zu gedenken. Das Beste an ihr war jedoch der Ausdruck ihres lieblichen Gesichts: durch Zutraulichkeit, Treuherzigkeit und Sanftmut rührte und zog es an. Alexandra Pawlowna hatte den Blick und das Lachen eines Kindes; die Damen ihres Standes fanden sie etwas einfach … Ließ sich wohl mehr wünschen?
»Darja Michailowna hätte Sie zu mir geschickt, sagten Sie?« fragte sie Pandalewski.
»Gewiß, sie haben mich hergeschickt,« erwiderte er, und er sprach dabei den Buchstaben s, wie die Engländer das th aus, »sie wünschten durchaus und lassen inständig ersuchen, Sie wollten sie heute zu Mittag besuchen. Sie erwarteten einen neuen Gast« (Pandalewski, wenn er von einer dritten Person redete, gebrauchte in der Regel die Mehrzahl) »und wünschten durchaus, daß Sie dessen Bekanntschaft machen.«
»Wer ist das?«
»Ein gewisser Muffel, ein Baron, Kammerjunker aus Petersburg. Darja Michailowna haben ihn unlängst beim Fürsten Garin kennengelernt und sind des Lobes über ihn voll, als über einen liebenswürdigen und gebildeten jungen[16] Mann. Der Herr Baron beschäftigen sich auch mit Literatur, oder richtiger gesagt … ach, was für ein reizender Schmetterling! bitte, betrachten Sie … oder richtiger gesagt, mit politischer Ökonomie. Er hat einen Aufsatz über eine sehr interessante Frage geschrieben – und wünscht ihn dem Urteil von Darja Michailowna zu unterwerfen.«
»Einen Aufsatz über politische Ökonomie?«
»In bezug auf den Stil, Alexandra Pawlowna, in bezug auf den Stil. Es ist Ihnen wohl, denke ich, bekannt, daß Darja Michailowna auch hierauf sich versteht. Schukowski hat sie zu Rate gezogen und mein Wohltäter, der in Odessa lebende, hochehrenwerte, großwürdige Roxolan Mediarowitsch Xandrika … Der Name dieses Mannes ist Ihnen gewiß bekannt?«
»Ganz und gar nicht, ich habe ihn noch nie gehört.«
»Haben von diesem Manne nichts gehört? Merkwürdig! Ich wollte sagen, daß auch Roxolan Mediarowitsch jederzeit eine hohe Meinung von den Kenntnissen Darja Michailownas in der russischen Sprache gehabt hat.«
»Ist jener Baron nicht ein Pedant?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Nicht im geringsten; Darja Michailowna sagen, im Gegenteil, man erkenne in ihm sogleich den Mann von Welt. Von Beethoven hat er mit solcher Beredsamkeit gesprochen, daß sogar den alten Fürsten Entzücken überkam … Das, muß[17] ich gestehen, hätte ich gern mit angehört: das schlägt ja in mein Fach. Darf ich Ihnen dieses herrliche Feldblümchen anbieten?«
Alexandra Pawlowna nahm das Blümchen und ließ es, einige Schritte weiter, auf den Weg fallen … Bis zu ihrem Hause hatte sie noch etwa zweihundert Schritte, nicht mehr. Vor kurzem gebaut und weiß getüncht, schaute es mit seinen breiten, hellen Fenstern einladend aus dem dichten Laube alter Linden und Ahornbäume hervor.
»Was hätte ich also Darja Michailowna zu hinterbringen,« begann Pandalewski von neuem, ein wenig beleidigt durch das Schicksal, welches sein Blümchen betroffen hatte, »werden Sie sich zum Mittage hinbemühen? Darja Michailowna lassen Ihren Bruder auch einladen.«
»Ja, wir werden kommen, ganz bestimmt. Was macht Natascha?«
»Natalia Alexejewna ist Gott sei Dank gesund … Doch wir sind an dem Wege, welcher zum Gute Darja Michailownas führt, schon vorbei. Erlauben Sie, daß ich Abschied nehme.«
Alexandra Pawlowna blieb stehen. »Sie wollen also nicht bei uns vorsprechen?« fragte sie zögernd.
»Würde es herzlich gern tun, wenn ich nicht befürchtete, zu spät zu kommen. Darja Michailowna haben gewünscht, eine neue Etüde von Thalberg zu hören: da muß denn vorbereitet und einstudiert werden. Dann aber, muß ich gestehen,[18] bezweifle ich, daß meine Unterhaltung Ihnen irgendwelches Vergnügen bereiten könnte.«
»Doch nein … warum aber …«
Pandalewski stieß einen Seufzer aus und senkte beredt den Blick.
»Auf Wiedersehen, Alexandra Pawlowna!« sagte er nach einigem Schweigen, verbeugte sich und trat einen Schritt zurück.
Alexandra Pawlowna wandte sich um und ging nach Hause.
Auch Constantin Diomiditsch schlug den Rückweg ein. Alles Süßliche war sogleich von seinem Gesicht verschwunden: ein selbstvertrauender, ja harter Ausdruck hatte es ersetzt. Sein Gang sogar war ein anderer geworden; er schritt jetzt rascher vorwärts und trat fester auf. Zwei Werst mochte er gegangen sein, nachlässig die Luft mit seinem Stöckchen zerteilend, als plötzlich das schmunzelnde Lächeln wiederkehrte: er war hart am Wege ein junges, ziemlich hübsches Bauernmädchen gewahr geworden, das Kälber aus einem Haferfelde hinaustrieb. Constantin Diomiditsch näherte sich, vorsichtig wie ein Kater, dem Mädchen und redete es an. Anfangs antwortete es nichts, wechselte die Farbe und lachte vor sich hin, dann bedeckte es den Mund mit dem Ärmel, wandte sich ab und sagte:
»Geh doch, Herr, wahrhaftig …«
Constantin Diomiditsch drohte ihr mit dem Finger und hieß sie ihm Kornblumen holen.
»Wozu brauchst du Kornblumen? Willst du[19] etwa Kränze flechten?« erwiderte das Mädchen, »nun, so geh doch, aber wirklich …«
»Höre, mein schönes Liebchen,« begann wieder Constantin Diomiditsch …
»Nun geh aber endlich,« unterbrach ihn das Mädchen, »sieh, da kommen die jungen Herren.«
Constantin Diomiditsch blickte sich um. Wirklich, auf dem Wege daher kamen Wanja und Petja, die Söhne der Darja Michailowna; hinter ihnen her schritt ihr Lehrer, Bassistow, ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, der eben erst seine Studien beendet hatte. Bassistow war ein langer Bursche, mit gewöhnlichem Gesicht, großer Nase, starken Lippen und kleinen Augen, unbeholfen, nicht hübsch, aber gut, ehrlich und gerade. Er trug sich nachlässig, ließ sich das Haar wachsen, – nicht um damit zu stolzieren, sondern aus Faulheit; – liebte zu essen und zu schlafen, aber auch ein gutes Buch und anregende Unterhaltung; Pandalewski haßte er von ganzer Seele.
Die Kinder der Darja Michailowna hatten Bassistow über alles lieb und nicht die geringste Furcht vor ihm; mit den übrigen Hausgenossen stand er auf vertrautem Fuße, was der Dame des Hauses gerade nicht gefiel, obwohl sie oft behauptete, von Vorurteilen frei zu sein.
»Guten Tag, meine Lieben,« sagte Constantin Diomiditsch, »wie früh ihr heute spazieren geht! Ich bin auch schon zeitig vom Hause fortgegangen,« setzte er, zu Bassistow gewendet, hinzu;[20] »meine Leidenschaft ist’s, in der Natur zu schwelgen.«
»Wir haben es gesehen, wie Sie in der Natur schwelgen,« brummte Bassistow.
»Sie sind ein Materialist: Sie sehen gleich in allem etwas … Ich kenne Sie!«
Wenn Pandalewski mit Bassistow oder diesem ähnlichen Leuten redete, so geriet er leicht in Eifer und sprach den Buchstaben s rein und oft etwas pfeifend aus.
»Sie haben sich also wohl bei jenem Mädchen nach dem Wege erkundigt?« sagte Bassistow, indem er den Blick bald rechts- bald linkshin schweifen ließ.
Er empfand es, daß Pandalewski ihm starr ins Gesicht blickte, und das war ihm äußerst peinlich.
»Ich wiederhole es, Sie sind ein Materialist und weiter nichts. Sie wollen in allem durchaus nur die prosaische Seite sehen …
»Kinder,« kommandierte plötzlich Bassistow, »ihr seht auf der Wiese den Weidenbusch: wir wollen doch sehen, wer am schnellsten dorthin läuft … eins! zwei! drei!«
Und über Hals und Kopf rannten die Kinder zu der Weide.
Bassistow stürzte ihnen nach …
Der Lümmel! dachte Pandalewski, verderben wird er die Jungen … Ein wahrer Bauernlümmel!
Und mit selbstgefälligem Blicke sein eigenes[21] sauberes und nettes Figürchen musternd, betupfte Constantin Diomiditsch zweimal mit ausgespreizten Fingern die Ärmel seines Rockes, schob den Kragen zurecht und ging seines Weges. Auf seinem Zimmer angelangt, zog er einen abgetragenen Schlafrock an und setzte sich mit besorgter Miene ans Klavier.
Darja Michailowna Laßunskis Haus galt fast für das erste im ganzen Gouvernement. Massiv, steinern, nach Entwürfen Rastrellis im Geschmacke des vergangenen Jahrhunderts erbaut, erhob es sich großartig auf dem Gipfel eines Hügels, an dessen Fuße einer der bedeutendsten Ströme des mittleren Rußlands vorüberfloß. Darja Michailowna selbst war eine angenehme und reiche Edelfrau, eines Geheimrats Witwe. Wenn auch Pandalewski von ihr zu sagen pflegte, sie kenne ganz Europa und Europa kenne sie, – so kannte sie doch Europa wenig und spielte selbst in Petersburg keine bedeutende Rolle; in Moskau dagegen kannten sie alle und statteten ihr Besuche ab. Sie gehörte der großen Welt an, und wurde für eine etwas sonderbare, nicht sehr gute, aber außerordentlich kluge Frau gehalten. In ihrer Jugend war sie sehr schön gewesen. Poeten hatten ihr Gedichte gewidmet, junge Leute sich in sie verliebt, hohe Herren ihr den Hof gemacht. Doch seit jener Zeit waren fünfundzwanzig[22] bis dreißig Jahre verstrichen, und von den früheren Reizen war keine Spur zurückgeblieben. »Ist es möglich,« fragte sich jeder, der sie zum ersten Male sah, »ist es möglich, daß diese hagere, gelbliche, spitznasige und noch nicht betagte Frau einst eine Schönheit gewesen wäre? Ist sie es wirklich, sie selbst, welche ehedem von den Dichtern besungen wurde?« Und jedermann staunte innerlich über den Wechsel alles Irdischen. Es ist wahr, Pandalewski fand, daß Darja Michailownas Augen in wunderbarer Weise ihren alten Zauber behalten hatten; eben dieser Pandalewski aber behauptete ja auch, daß ganz Europa sie kenne.
Darja Michailowna kam jeden Sommer auf ihr Landgut mit ihren Kindern (sie hatte deren drei: eine Tochter Natalia, siebzehn Jahre, und zwei Söhne, zehn und neun Jahre alt), sie hielt offenes Haus, das heißt, sie empfing bei sich Männer; besonders unverheiratete Edeldamen aus der Provinz konnte sie nicht ausstehen. Dafür ließen ihr diese Damen aber auch kein gutes Haar! Darja Michailowna war, nach deren Aussagen, stolz, sittenverderbt, eine furchtbare Tyrannin, und was die Hauptsache wäre, – sie erlaube sich solche Freiheiten in der Unterhaltung, daß es ein Greuel sei! Darja Michailowna liebte es in der Tat nicht, sich auf dem Lande Zwang aufzulegen, und in der freien Einfachheit ihres Umganges blickte etwas von der Verachtung einer großstädtischen Weltdame für die[23] sie umgebenden, meistens unbedeutenden Persönlichkeiten hindurch … Selbst mit ihren städtischen Bekannten ging sie ziemlich ungeniert, ja spöttisch um; doch fehlte dabei die Schattierung von Verachtung.
Hast du, lieber Leser, jemals bemerkt, daß Leute, die im Kreise ihrer Untergebenen ungewöhnlich zerstreut zu sein pflegen, es niemals im Umgange mit höher gestellten Personen sind? Woher mag das kommen? Doch – wozu dergleichen Fragen!
Nachdem Constantin Diomiditsch endlich die Thalbergsche Etüde einstudiert hatte, begab er sich aus seinem netten und freundlichen Stübchen hinaus ins Empfangszimmer und fand dort die ganze Gesellschaft des Hauses bereits versammelt. Der Salon war schon geöffnet. Auf einer breiten Couchette lag mit untergeschlagenen Beinen und eine neue französische Broschüre in der Hand, die Frau vom Hause; am Fenster vor dem Stickrahmen saßen, von einer Seite die Tochter Darja Michailownas, von der anderen Mlle. Boncourt, die Gouvernante, eine alte, vertrocknete Jungfer von sechzig Jahren mit einer schwarzen Haartour unter der farbigen Haube und Baumwolle in den Ohren; in der Ecke bei der Tür hatte Bassistow seinen Sitz genommen und las die Zeitung, während neben ihm Petja und Wanja auf dem Damenbrette spielten; an den Ofen gelehnt, die Hände auf dem Rücken, stand ein Herr von mittlerem Wuchse, mit unordentlichem,[24] grauem Haar, von dunkler Gesichtsfarbe und kleinen, unruhigen, schwarzen Augen – Afrikan Semenitsch Pigassow mit Namen.
Ein sonderbarer Mensch war dieser Herr Pigassow. Auf alles und alle erbittert – vorzüglich auf das weibliche Geschlecht, schalt er vom Morgen bis zum Abend, zuweilen sehr treffend, zuweilen ziemlich flach, immer jedoch mit Selbstbefriedigung. Er war reizbar wie ein Kind; sein Lachen, der Ton seiner Stimme, sein ganzes Wesen schien von Galle getränkt. Darja Michailowna sah ihn gern bei sich: er ergötzte sie mit seinen Ausfällen. Und in der Tat waren sie sehr erheiternd. Es war seine Lust, alles zu übertreiben. Erzählte man zum Beispiel in seiner Gegenwart von einem Unfalle – war’s nun, daß der Blitz ein Dorf in Brand gesteckt, oder daß Wasser einen Mühldamm durchbrochen, oder daß ein Bauer sich mit der Axt die Hand abgehauen hatte – jedesmal fragte er mit gesteigerter Erbitterung: »Wie heißt sie?« nämlich wie das Weib heiße, das an dem Unglück schuld sei, – denn seiner Behauptung nach brauchte man nur tiefer auf den Grund zu gehen, um zu finden, daß jegliches Unglück durch ein Weib herbeigeführt werde. Einst warf er sich auf die Knie vor einer ihm fast unbekannten Frau, die in ihn drang, etwas zu kosten, und beschwor sie unter Tränen, aber mit sichtbarem Grimm in den verzerrten Zügen, sie wolle seiner schonen, er hätte nichts gegen sie[25] verschuldet und werde sie künftig nie mehr besuchen. Ein anderes Mal ging ein Pferd mit einer der Waschfrauen Darja Michailownas einen Berg hinunter durch, warf in einem Graben um und hätte die Frau beinahe getötet. Pigassow nannte später das Pferd nie anders als das wackere, wackere Rößchen, und der Berg selbst, wie auch der Graben, däuchten ihm überaus malerische Plätze. Pigassow hatte kein Glück im Leben gehabt – daher in der Hauptsache sein wunderliches Gebaren. Er war armer Eltern Kind; die Beschäftigung seines Vaters war eine ziemlich untergeordnete gewesen, er hatte kaum lesen und schreiben gelernt und nicht an die Erziehung seines Sohnes gedacht; er hatte ihm Nahrung und Kleidung gegeben – das war alles! Von der Mutter wurde er verhätschelt, sie starb aber früh. Pigassow verdankte seine Bildung sich selbst; zuerst besuchte er die Kreisschule, dann das Gymnasium, erlernte die französische, deutsche, ja sogar die lateinische Sprache, und nachdem er mit einem vorzüglichen Zeugnisse das Gymnasium absolviert hatte, begab er sich nach Dorpat, wo er unter fortwährendem Kampfe mit der Not, dennoch nach drei Jahren richtig sein Triennium beendigte. Pigassows Fähigkeiten waren keineswegs außergewöhnlicher Art; er zeichnete sich durch Geduld und Beharrlichkeit aus, besonders stark war jedoch in ihm der Ehrgeiz, das Verlangen nach guter Gesellschaft und die Sucht, anderen nicht nachzustehen,[26] dem Schicksal zum Trotz. Er lernte fleißig und hatte die Dorpatsche Universität aus Ehrgeiz bezogen. Die Armut stachelte ihn auf und entwickelte in ihm Beobachtungsgeist und Verschlagenheit. Er hatte eine eigentümliche Art sich auszudrücken; von Jugend auf hatte er sich eine besondere Art erbitterter und gereizter Beredsamkeit zu eigen gemacht. Seine Gedanken überstiegen nicht das gewöhnliche Niveau; doch war seine Rede der Art, daß er nicht bloß für einen klugen, sondern sogar für einen geistreichen Menschen gelten konnte. Nachdem er den Kandidatengrad erhalten hatte, beschloß er, sich dem Gelehrtenstande zu widmen, denn es war ihm klar, daß er in jeder anderen Laufbahn hinter seinen Gefährten zurückbleiben würde; er war bemüht, sich dieselben aus den höheren Ständen zu wählen und verstand es, sich ihnen gefällig zu zeigen, ja, er schmeichelte ihnen sogar, wenn auch immer mit Schelten. Doch da gebrach es ihm, um es einfach zu sagen, am nötigen Stoff. Als Autodidakt ohne Liebe zur Wissenschaft, wußte Pigassow im Grunde zu wenig. Er fiel bei der Disputation schmählich durch, während ein anderer Student, sein Stubengefährte, über den er sich beständig lustig gemacht hatte, ein beschränkter Kopf, der jedoch eine regelmäßige und gründliche Bildung genossen hatte, vollständigen Triumph über ihn davontrug. Dieser Unfall erbitterte Pigassow aufs äußerste: er warf alle seine Bücher und Hefte ins Feuer und[27] trat in den Staatsdienst. Anfangs ging es nicht schlecht damit: als Beamter war er zu allem gut, zwar nicht sehr expeditiv, dagegen aber über die Maßen selbstvertrauend und großsprecherisch; er wollte nur zu rasch emporkommen – verwickelte sich, strauchelte und war gezwungen, seinen Abschied zu nehmen. Drei Jahre lang blieb er auf seinem wohlerworbenen Gütchen sitzen und heiratete unvermutet eine reiche, wenig gebildete Gutsbesitzerin, die er an dem Köder seiner freien und spöttischen Manieren gefangen hatte; sein Charakter aber wurde immer verbissener und das Familienleben drückte ihn … Nachdem seine Frau einige Jahre mit ihm gelebt hatte, fuhr sie heimlich nach Moskau und verkaufte einem gewandten Abenteurer ihr Gut, in welchem Pigassow eben erst ein Wirtschaftsgebäude hatte erbauen lassen. Durch diesen letzten Schlag bis ins Innerste erschüttert, fing er einen Prozeß gegen seine Frau an, den er jedoch verlor … So lebte er nun seine Tage allein, besuchte seine Nachbarn, die er selbst in deren Gegenwart aufzog und die ihn mit einem gewissen gezwungenen und verbissenen Lachen empfingen, doch flößte er ihnen keine besondere Furcht ein, – ein Buch nahm er nie in die Hand. Er besaß nahezu hundert Seelen; seine Bauern litten nicht Not.
[28]
»Ah! Constantin!« sagte Darja Michailowna, als Pandalewski ins Gastzimmer trat. »Kommt Alexandrine?«
»Alexandra Pawlowna lassen sich empfehlen und werden sich ein besonderes Vergnügen daraus machen,« erwiderte Constantin Diomiditsch, sich nach allen Seiten hin anmutig verbeugend, und mit dem dicken, aber weißen Händchen, dessen Fingernägel dreieckig zugestutzt waren, sich das vorzüglich geordnete Haar leichthin streichelnd.
»Und Wolinzow kommt auch?«
»Wird auch kommen.«
»Ihrer Ansicht nach, Afrikan Semenitsch,« fuhr Darja Michailowna zu Pigassow gewendet fort, »sind also alle jungen Mädchen geziert?«
Pigassows Lippen verzerrten sich nach einer Seite hin, und er zuckte konvulsivisch mit dem Ellenbogen.
»Ich sage,« begann er in ungeduldigem Ton, – er sprach im heftigsten Anfall von Erbitterung langsam und deutlich, »ich sage, daß die jungen Mädchen im ganzen genommen – von den anwesenden, versteht sich’s, rede ich nicht …«
»Das hindert Sie aber nicht, auch diese im Sinne zu haben,« unterbrach ihn Darja Michailowna.
»Ich übergehe sie mit Schweigen,« wiederholte Pigassow. »Alle jungen Mädchen im allgemeinen sind in höchstem Grade geziert im Ausdrucke ihrer Gefühle. Erschrickt zum Beispiel ein junges Mädchen, erfreut oder betäubt sie etwas,[29] das erste was sie tut, ist, sie gibt ihrem Körper eine gewisse graziöse Biegung (dabei gab Pigassow seiner Gestalt eine angemessene Wendung und streckte die Arme voneinander) und dann erst kreischt sie: ach! oder bricht in Lachen oder Schluchzen aus. Einmal übrigens,« und dabei lächelte Pigassow wohlgefällig, »habe ich es bei einem außerordentlich gezierten Fräulein dahin gebracht, einen wahren, ungeheuchelten Gefühlsausdruck zu erzwingen.«
»Auf welche Weise?«
Pigassows Augen funkelten.
»Ich gab ihr von hinten mit einem Espenpfahle einen Stoß in die Seite. Wie sie aufschrie! Bravo! bravo! rief ich. Das war die Stimme der Natur, das war ein natürlicher Schrei. So müssen Sie es künftig halten.«
Alle im Zimmer lachten auf.
»Was für einen Unsinn schwatzen Sie da, Afrikan Semenitsch!« rief Darja Michailowna. »Sie meinen, ich werde Ihnen glauben, Sie hätten ein Mädchen mit einem Pfahle in die Seite gestoßen!«
»So wahr Gott lebt, mit einem Pfahle, mit einem ungeheuren, wie jene, die bei der Verteidigung von Festungen gebraucht werden.«
»Mais c’est une horreur ce que vous dites là, monsieur,« rief mit Entsetzen Mlle. Boncourt, und warf einen strengen Blick auf die lachenden Kinder.
[30]
»Glauben Sie ihm doch nicht,« sagte Darja Michailowna, »kennen Sie ihn denn nicht?«
Die entrüstete Französin konnte sich aber lange nicht beruhigen und fuhr fort, vor sich hinzubrummen.
»Sie mögen mir glauben oder nicht,« fuhr mit gelassener Stimme Pigassow fort, »ich beteuere aber, daß ich die reine Wahrheit gesagt habe. Wer könnte es denn besser wissen als ich? Dann werden Sie es wohl auch nicht glauben, daß unsere Nachbarin, die Tschepusow, mir selbst erzählt hat, merken Sie wohl, sie selbst hat mir’s erzählt, daß sie ihren eigenen Neffen umgebracht hat?«
»Wieder eine schöne Erfindung!«
»Bitte, bitte! hören Sie und urteilen Sie selbst. Vergessen Sie nicht, ich will sie nicht verleumden, ich habe sie sogar lieb, das heißt, so lieb man ein Weib haben kann; es ist im ganzen Hause bei ihr kein Buch aufzutreiben, den Kalender ausgenommen, und lesen kann sie nicht anders als laut – diese Anstrengung treibt ihr den Schweiß auf die Stirn und sie klagt dann, daß ihr die Augen aus dem Kopfe springen wollten … Mit einem Wort, eine vortreffliche Frau, und ihre Dienstmädchen sind gut genährt. Warum sollte ich sie also verleumden?«
»Nun!« warf Darja Michailowna hin, »unser Afrikan Semenitsch hat sein Steckenpferd bestiegen – vor dem Abend steigt er nicht wieder herunter.«
[31]
»Mein Steckenpferd … Die Weiber haben deren drei und kommen niemals von denselben herunter – außer etwa, wenn sie schlafen.«
»Welches sind denn diese drei?«
»Sticheln, Anspielen, Anklagen.«
»Aber, Afrikan Semenitsch,« sagte Darja Michailowna, »Sie müssen gewiß nicht ohne Grund so sehr gegen die Frauen erbittert sein. Es muß Sie durchaus irgendeine …«
»Beleidigt haben, wollen Sie sagen?« unterbrach sie Pigassow.
Darja Michailowna wurde etwas verwirrt; es fiel ihr die unglückliche Ehe Pigassows ein … und sie nickte bloß mit dem Kopfe.
»Es ist wahr, mich hat ein Weib beleidigt,« erwiderte Pigassow, »obgleich es eine gute, sehr gute Frau war …«
»Wer war denn das?«
»Meine Mutter,« brachte Pigassow halblaut hervor.
»Ihre Mutter? Wie konnte die Sie wohl kränken?«
»Dadurch, daß sie mich zur Welt gebracht hat.«
Darja Michailowna zog die Brauen zusammen.
»Mich dünkt,« sagte sie, »unsere Unterhaltung nimmt eine trübe Wendung … Constantin, spielen Sie uns doch die neue Etüde von Thalberg vor … Vielleicht werden die Töne der Musik Afrikan Semenitsch bezähmen. Hat es doch Orpheus über wilde Tiere vermocht.«
[32]
Constantin Diomiditsch setzte sich ans Klavier und trug die Etüde zu voller Befriedigung vor. Anfangs hörte Natalia mit Aufmerksamkeit zu, fuhr aber dann in ihrer Arbeit wieder fort.
»Merci c’est charmant,« äußerte Darja Michailowna, »ich liebe den Thalberg. Il est si distingué. Worüber sinnen Sie, Afrikan Semenitsch?«
»Ich dachte,« begann langsam Pigassow, »es gibt drei Sorten von Egoisten: solche, welche selbst leben und andere leben lassen; Egoisten, welche selbst leben und andere nicht leben lassen, und endlich solche, welche weder selbst leben, noch andere leben lassen … Die Weiber gehören größtenteils zu der dritten Gattung.«
»Wie liebenswürdig! Was mich aber wundert, Afrikan Semenitsch, das ist die Zuversicht in Ihren Reden: Sie urteilen, als könnten Sie niemals irren.«
»Bewahre! Auch ich kann mich irren! Auch der Mann kann sich irren! Aber, wissen Sie, worin der Unterschied besteht zwischen unserem Irren und dem eines Weibes? Sie wissen es nicht? Ich will es Ihnen sagen: ein Mann zum Beispiel kann sagen, zwei mal zwei mache nicht vier, sondern fünf oder dreiundeinhalb; ein Weib aber wird sagen: zweimal zwei macht – ein Stearinlicht.«
»Das habe ich, dünkt mich, schon einmal gehört … Erlauben Sie mir aber die Frage, in welcher Beziehung steht Ihre Idee von den drei[33] Gattungen Egoisten zu der Musik, die wir soeben gehört haben?«
»Durchaus in keiner; ich habe gar nicht auf die Musik gehört.«
»Nun, mein Bester, ich sehe, Sie sind unverbesserlich, ich ziehe mich zurück,« erwiderte Darja Michailowna, einen Vers aus Gribojedow variierend. »Was lieben Sie denn, wenn selbst Musik Sie nicht anspricht? Literatur etwa?«
»Die Literatur liebe ich, aber nicht die der Gegenwart.«
»Weshalb?«
»Das will ich Ihnen sagen. Vor kurzem bei einer Überfahrt über die Oka traf ich mit einem Herrn zusammen. Die Fähre legte bei einer steilen Stelle an: die Equipage mußte durch Menschenhände hinaufgeschleppt werden. Jener Herr hatte eine außerordentlich schwere Kalesche. Während die Fährleute sich bei dem Hinaufziehen des Fuhrwerks abarbeiteten, stand der Herr auf der Fähre und stöhnte, daß man ordentlich Mitleid mit ihm haben konnte … Da haben wir, fiel mir ein, eine neue Anwendung des Systems der geteilten Arbeit! So ist es auch mit der Literatur der Gegenwart: Andere ziehen und verrichten die Arbeit, und sie stöhnt.«
Darja Michailowna lächelte.
»Und das nennt sich ein Spiegelbild des Lebens der Gegenwart,« fuhr der unerbittliche Pigassow fort, »tiefe Sympathie für die sozialen[34] Fragen und wer weiß wie noch … Ach, über diese hochtönenden Worte!«
»Die Frauen aber, die Sie so angreifen, sie wenigstens gebrauchen keine hochtönenden Worte.«
Pigassow zuckte die Achseln.
»Sie gebrauchen sie nicht, weil sie sich darauf – nicht verstehen.«
Darja Michailowna errötete leicht.
»Sie werden etwas dreist, Afrikan Semenitsch!« bemerkte sie mit erzwungenem Lächeln.
Alle im Zimmer wurden still.
»Wo liegt Solotonoscha?« fragte auf einmal einer der Knaben Bassistow.
»Im Gouvernement Poltawa, mein Lieber,« nahm Pigassow das Wort, »im Herzen des Schopflandes[1].« (Er war froh, der Unterhaltung eine andere Wendung geben zu können.) »Wir sprachen von Literatur,« fuhr er fort, »wenn ich Geld übrig hätte, so würde ich ohne weiteres kleinrussischer Dichter werden.«
»Was soll denn das noch? Ein schöner Dichter!« erwiderte Darja Michailowna, »kennen Sie denn die kleinrussische Sprache?«
»Nicht im mindesten; das ist aber auch nicht nötig.«
»Wieso nicht nötig?«
»Ganz einfach! Man nehme nur einen Bogen[35] Papier und schreibe oben darauf: ›Duma‹[2]; dann stelle man eine Anzahl Worte ohne all und jeden Sinn zusammen, füge nur einige kleinrussische Interjektionen wie: graje, graje, woropaje, hopp, hopp! oder etwas in dieser Art hinzu, und das Ding ist fertig. Dann schicke man es in die Druckerei und gebe es heraus. Der Kleinrusse wird es lesen, den Kopf auf die Hand fallen lassen und gewiß dabei Tränen vergießen. Das ist nun einmal so eine gefühlvolle Seele!«
»Ich bitte Sie!« rief Bassistow. »Was erzählen Sie da? Da hört aber alles auf. Ich habe in Kleinrußland gelebt, liebe das Land und kenne die Sprache … ›graje, graje, woropaje‹ ist ein vollständiger Unsinn.«
»Möglich, der Schopfkurt würde aber doch Tränen dabei vergießen. Sie sagen die Sprache … Gibt es aber denn eine kleinrussische Sprache? Ich bat einmal einen Kleinrussen, mir irgendeine Phrase zu übersetzen, und wie glauben Sie, daß er sie übersetzt hat? Er wiederholte fast genau die von mir vorgesprochenen Worte, nur daß er durchgängig i in ü verwandelte. Ist das etwa nach Ihren Begriffen eine Sprache? Eine selbständige Sprache? Bevor ich Ihnen das zugebe, lasse ich meinen besten Freund in einem Mörser zerstoßen …«
Bassistow wollte ihm etwas entgegnen.
»Lassen Sie ihn,« sagte Darja Michailowna,[36] »Sie wissen ja, daß man von ihm außer Paradoxen nichts zu hören bekommt.«
Pigassow lächelte boshaft. Ein Diener erschien und meldete die Ankunft Alexandra Pawlownas und ihres Bruders.
Darja Michailowna erhob sich, um ihre Gäste zu empfangen.
»Guten Tag, Alexandrine!« sagte sie, ihr entgegengehend, »wie schön von Ihnen, daß Sie gekommen sind … Guten Tag, Sergei Pawlowitsch!«
Wolinzow drückte Darja Michailowna die Hand und trat auf Natalia zu.
»Nun, und der Baron, Ihr neuer Bekannter, wird er heute kommen?« fragte Pigassow.
»Ja, er wird kommen.«
»Es soll ja ein großer Philosoph sein: wirft mit Hegel um sich.«
Darja Michailowna antwortete nichts, ließ Alexandra Pawlowna auf der Couchette Platz nehmen und setzte sich selbst neben sie.
»Die Philosophie,« fuhr Pigassow fort, »der höhere Gesichtspunkt! Sind sie mir zum Ekel geworden, diese höheren Gesichtspunkte! Und was kann man aus der Höhe sehen? Ich denke, kauft jemand ein Pferd, so wird er nicht erst einen Turm besteigen, um es zu beschauen!«
»Dieser Baron wollte Ihnen einen Aufsatz bringen?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Ja, einen Aufsatz«, erwiderte Darja Michailowna mit übertriebener Gleichgültigkeit, »über[37] die Beziehungen des Handels zu der Industrie in Rußland … Erschrecken Sie aber nicht: wir werden das jetzt nicht lesen … Ich habe Sie nicht deshalb eingeladen. Le baron est aussi aimable que savant. Und spricht sehr gut russisch! C’est un vrai torrent … il vous entraine.«
»Er spricht so gut russisch,« brummte Pigassow, »daß er verdient hat, französisch gelobt zu werden.«
»Brummen Sie nur, Afrikan Semenitsch, brummen Sie nur immer zu … das paßt sehr gut zu Ihrem verwühlten Haar … Warum kommt er aber nicht? Wissen Sie aber, messieurs et mesdames,« setzte Darja Michailowna, sich im Kreise umsehend, hinzu: »wir wollen in den Garten gehen. Bis zum Essen ist es noch eine Stunde und das Wetter ist so herrlich …«
Die ganze Gesellschaft erhob sich und begab sich in den Garten.
Der Garten Darja Michailownas reichte bis an den Fluß. Es waren in demselben viele dunkle und duftige Alleen alter Lindenbäume, die in smaragdgrüne Lichtungen mit vielen Lauben aus Akazien und Fliederbäumen ausliefen.
Wolinzow in Begleitung von Natalia und Mlle. Boncourt hatten sich in das Dickicht des Gartens vertieft. Wolinzow ging neben Natalia her und schwieg. Mlle. Boncourt folgte in einiger Entfernung.
»Womit haben Sie sich heute beschäftigt?«[38] fragte endlich Wolinzow und streichelte dabei die Spitze seines schönen, dunkelblonden Schnurrbartes.
Er war seiner Schwester sehr ähnlich, doch zeigten seine Gesichtszüge weniger Beweglichkeit und Leben, und seine Augen, hübsch und sanft, hatten einen etwas schwermütigen Ausdruck.
»Mit wenigem,« erwiderte Natalia, »ich habe das Schelten Pigassows mit angehört, habe am Stickrahmen genäht und habe gelesen.«
»Und was haben Sie gelesen?«
»Ich habe … die Geschichte der Kreuzzüge gelesen,« brachte Natalia mit einigem Stocken hervor.
Wolinzow blickte sie an.
»Oh,« sagte er endlich, »das muß interessant sein.«
Er riß einen Zweig ab und fächelte damit in der Luft. Sie gingen noch etwa zwanzig Schritte weiter.
»Was für ein Baron ist das, dessen Bekanntschaft Ihre Mama gemacht hat?« fragte dann wieder Wolinzow.
»Ein Kammerjunker, seit kurzem angekommen; Mama lobt ihn sehr.«
»Ihre Mama gibt sich leicht dem ersten Eindrucke hin.«
»Ein Beweis, daß ihr Herz noch jugendlich fühlt,« bemerkte Natalia.
»Gewiß. Ich werde Ihnen bald Ihr Pferd zuschicken. Es ist schon fast ganz zugeritten. Es soll[39] mir gleich im Galopp vom Platz, dazu muß ich es bringen.«
»Merci … Es macht mich aber wirklich verlegen. Sie reiten es selbst zu … das soll ja sehr angreifend sein.«
»Um Ihnen das geringste Vergnügen zu bereiten, Sie wissen es, Natalia Alexejewna, bin ich bereit … würde ich … nicht solche Kleinigkeiten …«
Wolinzow stockte.
Natalia blickte ihn freundlich an und sagte nochmals: merci.
»Sie wissen,« fuhr Sergei Pawlitsch nach längerem Schweigen fort, »es gibt nichts … Doch warum sage ich das! Sie wissen ja alles.«
In diesem Augenblicke erschallte die Glocke im Hause.
»Ah! La cloche du dîner!« rief Mlle. Boncourt, »rentrons.«
Quel dommage, dachte bei sich die alte Französin, als sie hinter Natalia und Wolinzow die Stufen zur Terrasse hinaufstieg, quel dommage que ce charmant garçon ait si peu de ressources dans la conversation … was man etwa so wiedergeben könnte: du bist ganz nett, mein Lieber, aber etwas beschränkt.
Der Baron kam nicht zum Mittagessen. Man wartete eine halbe Stunde auf ihn. Bei Tische wollte es mit der Unterhaltung nicht recht vorwärts gehen. Sergei Pawlitsch blickte fortwährend Natalia an, neben welcher er saß, und[40] schenkte ihr eifrig Wasser ins Glas. Pandalewski bemühte sich vergeblich, seine Nachbarin, Alexandra Pawlowna, zu unterhalten: er zerfloß in Liebenswürdigkeiten, während es ihr Mühe kostete, das Gähnen zu unterdrücken.
Bassistow machte Brotkügelchen und dachte an nichts; selbst Pigassow war verstummt, und als Darja Michailowna ihm bemerkte, daß er heute nicht liebenswürdig sei, antwortete er mürrisch: »Wann bin ich denn liebenswürdig? Es ist nicht meine Art …« Und setzte mit bitterem Lächeln hinzu: »Haben Sie nur Geduld; ich bin ja nur Kwas, ordinärer russischer Kwas; wenn aber Ihr Kammerjunker …«
»Bravo!« rief Darja Michailowna. »Pigassow wird eifersüchtig, zum voraus eifersüchtig!«
Pigassow jedoch erwiderte nichts darauf, sondern schaute finster vor sich hin.
Es schlug sieben Uhr und alle versammelten sich wieder im Gastzimmer.
»Es scheint, er wird nicht kommen,« sagte Darja Michailowna … Doch plötzlich ließ sich das Rollen eines Wagens vernehmen, ein mittelgroßer Tarantaß lenkte in den Hof und nach einigen Minuten erschien ein Diener im Gastzimmer und reichte Darja Michailowna einen Brief auf einem kleinen silbernen Präsentierteller. Sie durchlief denselben bis zum Ende und fragte dann, zum Diener gewendet:
»Und wo ist der Herr, der diesen Brief gebracht hat?«
[41]
»Er ist im Wagen sitzengeblieben. Befehlen Sie, ihn herein zu nötigen?«
»Bitte ihn her.«
Der Diener verschwand.
»Ist das nicht ärgerlich, denken Sie doch,« fuhr Darja Michailowna fort, »der Baron hat die Weisung bekommen, sogleich nach Petersburg zurückzukehren. Er schickt mir seinen Aufsatz durch einen Herrn Rudin, seinen Freund. Der Baron wollte mir denselben vorstellen – er sagt von ihm viel Gutes. Doch wie das störend ist! Ich hatte darauf gerechnet, der Baron werde hier einige Zeit zubringen …«
»Dimitri Nikolaitsch Rudin,« meldete der Diener.
Ins Zimmer trat ein Mann von fünfunddreißig Jahren, hohem Wuchse, etwas gebückter Haltung, kraushaarig und von dunkler Gesichtsfarbe, mit unregelmäßigen, aber ausdrucksvollen und klugen Zügen, feuchtem Glanze in den lebhaften, dunkelblauen Augen, gerader und breiter Nase und anmutig gezeichneten Lippen. Sein Anzug war nicht neu und eng, als wäre er demselben entwachsen.
Gewandt trat er auf Darja Michailowna zu, entbot ihr einen kurzen Gruß, sagte, daß ihn schon längst nach der Ehre, ihr vorgestellt zu werden, verlangt habe und daß sein Freund, der[42] Baron, es sehr bedauere, nicht persönlich Abschied von ihr habe nehmen zu können.
Die feine Stimme Rudins entsprach weder seinem hohen Wuchse noch seiner breiten Brust.
»Nehmen Sie Platz … es freut mich, Sie kennenzulernen,« sagte Darja Michailowna, und nachdem sie ihn der ganzen Gesellschaft vorgestellt hatte, fragte sie, ob er aus dieser Gegend oder angereist sei?
»Meine Besitzung liegt im T…schen Gouvernement,« erwiderte Rudin, den Hut auf den Knien haltend, »ich bin seit kurzem hier. Ich bin in Geschäften hergekommen und habe meinen Wohnsitz fürs erste in Ihrer Kreisstadt genommen.«
»Bei wem?«
»Beim Doktor. Er ist ein alter Universitätsfreund von mir.«
»Ah! Beim Doktor … Man lobt ihn. Er soll, wie man sagt, seine Sache verstehen. Und der Baron, seit wann sind Sie mit ihm bekannt?«
»Ich traf ihn im vergangenen Winter in Moskau und habe jetzt ungefähr eine Woche bei ihm zugebracht.«
»Ein sehr gebildeter Mann – der Baron!«
»Gewiß.«
Darja Michailowna führte die mit Kölnischem Wasser getränkte Ecke ihres Taschentuches an die Nase.
»Sie stehen vermutlich im Staatsdienste?« fragte sie.
[43]
»Wer? Ich?«
»Ja. Sie!«
»Nein … Ich habe den Dienst verlassen.«
Ein kurzes Schweigen trat ein, dann wurde die Unterhaltung wieder allgemein.
»Dürfte ich wohl fragen,« begann Pigassow, sich zu Rudin wendend: »Sie kennen gewiß den Inhalt des Aufsatzes, den der Herr Baron geschickt hat?«
»Ich kenne ihn.«
»Jener Aufsatz berührt die Beziehungen des Handels … oder, besser gesagt – der Industrie zum Handel in unserem Vaterlande … So, dünkt mich, hatten Sie die Gefälligkeit zu sagen, Darja Michailowna?«
»Ja, es ist darin die Rede davon,« äußerte Darja Michailowna, die Hand an die Stirn führend.
»Ich verstehe mich freilich schlecht auf solche Dinge,« fuhr Pigassow fort, »muß jedoch gestehen, daß mir allein schon der Titel des Aufsatzes sehr … wie sag’ ich das gelinder … sehr dunkel und konfus vorkommt.«
»Woher scheint Ihnen das?«
Pigassow lächelte und warf einen Seitenblick auf Darja Michailowna.
»Ist dieser Titel Ihnen denn klar?« äußerte er, sein Fuchsgesicht wieder zu Rudin wendend.
»Mir? Ja gewiß.«
»Hm … Freilich, Sie müssen das besser wissen.«
[44]
»Haben Sie Kopfschmerzen?« fragte Alexandra Pawlowna Darja Michailowna.
»Nein, es ist nichts … C’est nerveux.«
»Dürfte ich wohl fragen,« lenkte Pigassow, mit etwas näselnder Stimme, wieder ein: »Ihr Bekannter, der Herr Baron Muffel … so, glaube ich, heißt er?«
»Ganz recht.«
»Beschäftigt sich der Herr Baron Muffel speziell mit politischer Ökonomie, oder widmet er dieser anziehenden Wissenschaft nur so nebenbei die Mußestunden, welche er nach den weltlichen Vergnügungen und Dienstobliegenheiten erübrigen kann?«
Rudin blickte Pigassow scharf an.
»Der Baron ist in diesem Fache Dilettant,« erwiderte er mit leichtem Erröten, »es ist aber viel Wahres und Interessantes in seinem Aufsatze.«
»Ich kann darüber nicht mit Ihnen disputieren, da mir der Aufsatz unbekannt ist … Ich erlaube mir aber die Frage: Ihr Freund, der Baron Muffel, geht vermutlich in dem Aufsatze mehr von allgemeinen Theorien als von Tatsachen aus?«
»Er bietet sowohl Tatsachen als auch Theorien, die sich auf Tatsachen stützen.«
»So, so. Meiner Meinung nach, Sie werden erlauben … ich darf wohl gelegentlich mein Wort dazu geben: ich habe drei Jahre in Dorpat zugebracht … alle diese sogenannten allgemeinen[45] Theorien, Hypothesen, Systeme … nehmen Sie es nicht übel, ich bin Provinzler, nehme kein Blatt vor den Mund … taugen alle zu nichts. Das ist alles nur Klügelei – um die Leute zu betören. Gebt uns Fakta, meine Herren, weiter fordern wir nichts von euch.«
»Wirklich!« erwiderte Rudin. »Aber der Sinn der Fakten muß doch gedeutet werden!«
»Allgemeine Theorien,« fuhr Pigassow fort, »nicht ausstehen kann ich sie, diese allgemeinen Theorien, Übersichten, Schlußfolgerungen! Das stützt sich alles auf sogenannte Überzeugungen; ein jeder faselt von seinen Überzeugungen und verlangt noch dazu, daß man sie respektiere, daß man sich mit dergleichen befasse … Oh! Oh!«
Und Pigassow schüttelte die Faust in der Luft. Pandalewski lachte auf.
»Herrlich!« sagte Rudin, »es gibt also, Ihrer Ansicht nach, keine Überzeugungen.«
»Nein – es gibt keine.«
»Das ist Ihre Überzeugung?«
»Ja.«
»Wie können Sie nun sagen, es gäbe keine? Da haben Sie eben eine ausgesprochen.«
Alle im Zimmer lächelten und warfen sich Blicke zu.
»Erlauben Sie, erlauben Sie aber,« begann Pigassow wieder …
Doch Darja Michailowna klatschte in die Hände und rief: »Bravo, bravo, geschlagen, Pigassow[46] ist geschlagen!« und nahm sachte den Hut aus Rudins Händen.
»Halten Sie ein wenig ein mit der Freude, gnädige Frau: ein wenig Geduld!« sagte Pigassow ärgerlich. »Es kommt nicht darauf an, mit Überlegenheitsmiene ein witziges Wort abzuschießen, beweisen soll man, widerlegen … Wir sind vom Gegenstande unseres Streites abgekommen.«
»Erlauben Sie,« bemerkte Rudin gelassen, »die Sache ist ganz einfach. Sie glauben nicht an den Nutzen allgemeiner Theorien, Sie glauben nicht an Überzeugungen.«
»Ich glaube nicht, glaube daran nicht, an nichts glaube ich!«
»Sehr gut. Sie sind Skeptiker.«
»Ich sehe nicht ein, wozu uns dies gelehrte Wort nützen soll. Indessen …«
»Unterbrechen Sie doch nicht,« mischte sich Darja Michailowna ins Gespräch.
»Jetzt geht es los!« sagte Pandalewski schmunzelnd vor sich hin.
»Dieses Wort drückt meinen Gedanken aus,« fuhr Rudin fort. »Sie verstehen es: weshalb sollte ich es nicht gebrauchen? Sie glauben an nichts … Wie glauben Sie denn an ein Faktum?«
»Wie? das ist aber schön! Ein Faktum ist eine bekannte Sache, ein jeder weiß, was ein Faktum ist … Ich urteile darüber aus Erfahrung, nach eigener Empfindung.«
[47]
»Die Empfindung kann Sie aber täuschen! Die Empfindung sagt Ihnen, daß die Sonne sich um die Erde dreht, oder … oder, vielleicht teilen Sie Kopernikus’ Ansicht nicht? Sie glauben auch ihm nicht?«
Von neuem überflog ein Lächeln die Gesichter. Aller Augen waren auf Rudin gerichtet. Ein ganz gescheiter Mensch, dachte jeder.
»Sie gefallen sich in Scherzen,« sagte Pigassow. »Freilich, das ist sehr originell, gehört aber nicht zur Sache.«
»In dem, was ich bis jetzt gesagt habe,« erwiderte Rudin, »war leider sehr wenig Originelles. Alles dies ist schon längst bekannt und ist tausendmal wiederholt worden. Nicht darauf kam es an …«
»Aber worauf denn?« fragte Pigassow, mit leichtem Anflug von Unverschämtheit.
Er pflegte, wenn er stritt, mit spöttischen Ausfällen gegen seinen Widerpart anzufangen, dann grob zu werden und endlich schmollend zu verstummen.
»Ich will Ihnen sagen, worauf,« fuhr Rudin fort: »ich kann mich wirklich nicht, ich muß es gestehen, eines tiefen Bedauerns erwehren, wenn verständige Leute in meiner Gegenwart herfallen über …«
»Über Systeme!« unterbrach ihn Pigassow.
»Nun, meinetwegen, über Systeme. Was bringt Sie dies Wort so außer sich? Jedes System[48] stützt sich ja auf die Kenntnis der Grundgesetze des Lebens …«
»Aber ich bitte Sie, die kann man doch nicht kennen, nicht ergründen …«
»Erlauben Sie. Freilich, nicht jedem sind sie zugänglich, und der Mensch ist dem Irrtum unterworfen. Sie werden mir aber wahrscheinlich zugeben, daß Newton zum Beispiel einige dieser Grundgesetze dennoch entdeckt hat. Das war ein Genie, zugestanden; die Entdeckungen, die geniale Geister machen, sind aber eben dadurch groß, daß sie zum Gemeingute aller werden. Das Bestreben, allgemeine Gesetze aus partiellen Erscheinungen herauszufinden, bildet eine Grundeigenschaft des menschlichen Geistes, und unsere ganze Bildung …«
»Dahin also wollten Sie!« unterbrach ihn wiederum mit gedehnter Stimme Pigassow. »Ich bin ein praktischer Mensch und vertiefe mich nicht gern in diese metaphysischen Spitzfindigkeiten.«
»Sehr wohl! Das steht bei Ihnen. Beachten Sie indessen, daß schon der Wille allein, ausschließlich ein praktischer Mensch zu sein, an und für sich ein System vorstellt, eine Theorie …«
»Bildung! sagten Sie,« unterbrach ihn Pigassow, »Sie glauben wohl, mich mit diesem Wort aus der Fassung zu bringen! Wir haben sie sehr nötig, diese angepriesene Bildung! Nicht einen kupfernen Groschen möchte ich für diese Ihre Bildung hingeben!«
»Sie disputieren aber grundschlecht, Afrikan[49] Semenitsch!« bemerkte Darja Michailowna, im Innern sehr befriedigt durch die Ruhe und weltmännische Artigkeit ihres neuen Gastes. C’est un homme comme il faut, dachte sie, Rudins Gesicht mit Wohlwollen betrachtend: »Ich muß ihn gewinnen.« Die letzten Worte sagte sie in Gedanken russisch.
»Ich werde es nicht unternehmen,« fuhr Rudin nach einigem Schweigen fort, »die Bildung zu verteidigen: – sie bedarf meiner Verteidigung nicht. Sie mögen dieselbe nicht … Jeder hat seinen eigenen Geschmack. Es würde uns übrigens auch zu weit führen. Erlauben Sie mir nur, Sie an einen alten Spruch zu erinnern: ›Jupiter, du wirst böse, folglich hast du unrecht!‹ Ich wollte sagen, daß alle diese Ausfälle auf Systeme, allgemeine Theorien usw. deshalb ebenso zu bedauern sind, weil mit den Systemen zugleich die Menschen das Wissen überhaupt, die Wissenschaft und den Glauben an eine solche verleugnen, folglich auch den Glauben an sich selbst, an die eigene Kraft. Die Menschen bedürfen aber dieses Glaubens: von Eindrücken allein können sie nicht leben, es wäre sündhaft, wenn sie vor dem Gedanken Scheu hätten und ihm nicht Vertrauen schenkten. Der Skeptizismus hat sich von jeher durch Unfruchtbarkeit und Ohnmacht ausgezeichnet …«
»Das sind alles Worte!« murrte Pigassow.
»Vielleicht. Erlauben Sie mir aber, Ihnen zu bemerken, daß mit dem Ausrufe ›Das sind[50] nur Worte‹ wir uns oft der Notwendigkeit entheben, etwas Gescheiteres als nur Worte zu sagen.«
»Wie?« fragte Pigassow und kniff die Augen zusammen.
»Sie haben verstanden, was ich Ihnen sagen wollte,« erwiderte Rudin mit unwillkürlicher, doch sofort unterdrückter Ungeduld. »Ich wiederhole es, wenn der Mensch keinen festen Grund hat, an den er glaubt, keinen Boden, auf dem er sicher fußt, wie kann er sich dann Rechenschaft geben von den Bedürfnissen, der Bedeutung, der Zukunft seines Volkes? Wie kann er wissen, was er selbst zu tun hat, wenn …«
»Ehre dem Ehre gebührt!« stotterte Pigassow hervor, verbeugte sich und trat auf die Seite, ohne jemand anzublicken.
Rudin sah ihn an, lächelte leicht und verstummte.
»Aha! Er hat die Flucht ergriffen!« begann Darja Michailowna. »Seien Sie unbesorgt, Dimitri … Um Vergebung,« fügte sie mit freundlichem Lächeln hinzu: »Wie hieß Ihr Herr Vater?«
»Nikolai!«
»Machen Sie sich keine Sorge, werter Dimitri Nikolaitsch! Er hat niemand hier angeführt. Er tut so, als wolle er nicht mehr disputieren … Er fühlt, daß er es mit Ihnen nicht kann. Setzen Sie sich aber näher zu uns und lassen Sie uns plaudern.«
[51]
Rudin rückte seinen Sessel näher.
»Wie kommt es, daß wir nicht früher bekannt geworden sind?« fuhr Darja Michailowna fort. »Das ist mir ein Rätsel … Haben Sie dies Buch gelesen? C’est de Tocqueville, vous savez?«
Und Darja Michailowna schob Rudin eine französische Broschüre hin.
Rudin nahm das dünne Büchlein in die Hand, blätterte ein wenig darin und erklärte, nachdem er es wieder auf den Tisch zurückgelegt hatte, er habe diese Schrift des Herrn Tocqueville zwar nicht gelesen, doch häufig über die von ihm berührte Frage nachgedacht. Das Gespräch war angeknüpft. Rudin zeigte sich anfangs etwas befangen, er zögerte, mit seiner Meinung hervorzutreten, fand nicht immer sogleich die Ausdrücke, wurde jedoch allmählich warm und beredt. Eine Viertelstunde später vernahm man nur seine Stimme im Zimmer. Alle hatten einen Kreis um ihn geschlossen.
Pigassow allein blieb entfernt, in einer Ecke neben dem Kamin. Rudin sprach klug, mit Geist und Feuer, und zeigte viele Kenntnisse und große Belesenheit. Niemand hatte erwartet, in ihm einen bedeutenden Menschen zu treffen … Er war so alltäglich gekleidet, man hatte bisher so wenig von ihm gehört. Allen blieb es unbegreiflich und auffallend, wie ein so geistreicher Mann so unverhofft auf dem Lande hatte auftauchen können. Um so mehr erregte er bei allen Bewunderung,[52] man könnte sagen, er bezauberte jeden, vor allen Darja Michailowna … Sie war stolz auf ihren Fang und dachte schon im voraus daran, wie sie Rudin in die Welt führen wolle. Trotz ihres Alters mischte sich bei ihr in die ersten Eindrücke viel jugendliches, ja beinahe kindliches Feuer. Alexandra Pawlowna hatte, offen gestanden, wenig von allem begriffen, was Rudin gesprochen, war aber dennoch sehr erstaunt und erfreut; ihr Bruder war es nicht weniger; Pandalewski beobachtete Darja Michailowna und wurde neidisch; Pigassow dachte: wollte ich fünfhundert Rubel wegwerfen – ich könnte mir eine bessere Nachtigall verschaffen … Mehr als alle übrigen waren jedoch Bassistow und Natalia erstaunt. Bassistow war der Atem fast ausgegangen; er war die ganze Zeit über mit offenem Munde und weit geöffneten Augen sitzengeblieben und hatte mit einer Spannung zugehört, wie bisher noch niemals; Natalias Gesicht war rot geworden und ihr Blick, den sie unverwandt auf Rudin geheftet gehalten hatte, wurde dunkler und glänzender zugleich …
»Was für prachtvolle Augen er hat,« flüsterte ihr Wolinzow zu.
»Ja, sie sind schön.«
»Schade nur, daß seine Hände so groß und rot sind.«
Natalia antwortete nichts.
Man bracht den Tee. Die Unterhaltung wurde allgemeiner, doch ließ sich an dem plötzlichen[53] Verstummen aller, sobald Rudin den Mund auftat, gleich merken, wie überwältigend der Eindruck war, den er hervorgebracht hatte. Es kam Darja Michailowna in den Sinn, Pigassow ein wenig aufzuziehen. Sie trat zu ihm und fragte ihn halblaut: »Warum schweigen Sie denn und zeigen uns nur ein höhnisches Lächeln? Versuchen Sie es doch, mit ihm wieder anzubinden,« und ohne seine Antwort abzuwarten, winkte sie Rudin zu sich.
»Eine seiner Seiten kennen Sie noch nicht,« sagte sie zu ihm, auf Pigassow deutend, »er ist ein erschrecklicher Weiberfeind, fortwährend greift er sie an; ich bitte, bekehren Sie ihn doch.«
Rudin blickte Pigassow unwillkürlich … von oben herab an: er war um zwei Kopflängen höher als er. Dieser krümmte sich fast vor Ärger, sein gelbes Gesicht wurde noch gelber.
»Darja Michailowna hat nicht ganz recht,« begann er mit unsicherer Stimme, »ich greife nicht ausschließlich die Weiber an; das ganze Menschengeschlecht behagt mir nicht sehr.«
»Was konnte Ihnen denn eine so schlechte Meinung von demselben einflößen?« fragte Rudin.
Pigassow schaute ihm gerade ins Gesicht.
»Vermutlich meine Studien des eigenen Herzens, in welchem ich mit jedem Tage mehr und mehr Schlacken entdecke. Ich urteile über andere nach mir selbst. Das mag vielleicht ungerecht[54] sein, und ich tauge viel weniger als andere; was wollen Sie aber? Gewohnheit!«
»Ich verstehe Sie und sympathisiere mit Ihnen,« erwiderte Rudin. »Welche edle Seele hätte nicht Anwandlungen von Selbstunterschätzung gehabt! Man sollte aber doch aus dieser schlimmen Lage herauszukommen trachten.«
»Danke recht sehr für die Adelsbescheinigung, die Sie meiner Seele ausstellen,« erwiderte Pigassow, »mit meiner Lage hält sich’s noch – sie ist so übel nicht, und wenn es auch einen Ausgang aus ihr gibt, er mag bleiben, suchen will ich ihn nicht.«
»Das hieße aber, verzeihen Sie den Ausdruck – die Befriedigung seiner Eigenliebe dem Verlangen, in der Wahrheit zu verbleiben, vorziehen …«
»Und was denn anderes!« rief Pigassow, »die Eigenliebe – das Ding verstehe ich, verstehen Sie, versteht ein jeder; aber Wahrheit – was ist Wahrheit? Wo ist sie, diese Wahrheit?«
»Sie verfallen in Wiederholungen, ich muß Ihnen diese Bemerkung machen,« warf Darja Michailowna ein.
Pigassow zuckte die Achseln.
»Und was liegt daran? Ich frage: wo ist Wahrheit? Die Philosophen selbst wissen nicht, was sie ist. So sagt Kant: Das ist sie; Hegel aber – nein, bewahre! Dies ist sie.«
»Und wissen Sie, was Hegel darüber sagt?« fragte Rudin, ohne die Stimme zu erheben.
[55]
»Ich wiederhole,« eiferte Pigassow, »ich kann nicht begreifen, was Wahrheit ist. Meiner Ansicht nach gibt es eine solche nicht auf der Welt, das heißt, das Wort ist da, die Sache selbst aber existiert nicht.«
»Ei! Ei!« rief Darja Michailowna, »schämen Sie sich doch, so zu sprechen, Sie alter Sünder! Es gäbe keine Wahrheit? Wozu nützte es denn, auf der Welt zu leben?«
»Und wissen Sie, Darja Michailowna,« erwiderte ärgerlich Pigassow, »ich bin der Meinung, daß Sie, auf jeden Fall, das Leben ohne Wahrheit leichter finden würden, als ohne Ihren Koch Stephan, der so vortreffliche Bouillons kocht! Und wozu brauchten Sie überhaupt die Wahrheit, wenn ich fragen darf? Ein Häubchen ließe sich doch nicht daraus machen!«
»Spaßen ist nicht beweisen,« bemerkte Darja Michailowna, »besonders wenn es in Verleumdung ausartet.«
»Ich weiß nicht, wie es mit der Wahrheit bestellt ist, aber sie zu hören ist freilich vielen schmerzlich,« brummte Pigassow und zog sich mürrisch zurück.
Rudin jedoch begann von dem Selbstgefühl zu reden und sprach sehr verständig. Er bewies, daß der Mensch ohne Selbstgefühl nichts bedeute, daß Selbstgefühl »Archimedes’ Hebel« sei, durch welchen der Erdball aus seiner Stellung gehoben werden könne; doch verdiene in der Tat nur derjenige »Mensch« genannt zu werden, der sein[56] Selbstgefühl zu bändigen wisse, wie der Reiter sein Roß, der seine Persönlichkeit dem Wohle aller zum Opfer bringe …
»Selbstsucht«, so beschloß er seine Rede, »ist Selbstmord. Der selbstsüchtige Mensch verdorrt gleich einem vereinzelten, unfruchtbaren Baume; Selbstgefühl aber, als lebendiges Streben nach Vervollkommnung, ist der Ursprung alles Großen … Ja! es muß der Mensch den starren Egoismus seiner Persönlichkeit brechen, um ihr das Recht zu verschaffen, sich frei auszusprechen.«
»Dürfte ich Sie wohl um einen Bleistift bitten?« wandte sich Pigassow an Bassistow.
Bassistow faßte nicht gleich, was Pigassow von ihm verlangte.
»Wozu brauchen Sie einen Bleistift?« brachte er endlich hervor.
»Ich will diese letzte Phrase des Herrn Rudin notieren. Notiere ich sie nicht, ich könnte sie vergessen, stehe nicht dafür! Und Sie werden selbst zugeben, solch eine Phrase kommt doch einem großen Schlemm im Whist gleich.«
»Es gibt Dinge, Afrikan Semenitsch, über welche zu scherzen und zu spotten unschicklich ist!« erwiderte Bassistow mit Wärme und drehte Pigassow den Rücken.
Unterdessen war Rudin zu Natalia getreten. Sie erhob sich und auf ihrem Gesichte zeigte sich Verwirrung.
Wolinzow, der neben ihr saß, erhob sich gleichfalls.
[57]
»Ich sehe da ein Klavier,« begann Rudin mit weicher, wohlwollender Stimme, als wäre er ein Prinz auf Reisen, »spielen Sie vielleicht?«
»Ja, ich spiele,« sagte Natalia, »aber nicht besonders. Hier, Constantin Diomiditsch spielt bedeutend besser als ich.«
Pandalewski streckte sein Gesicht vor und fletschte die Zähne.
»Sie sind ungerecht gegen sich, Natalia Alexejewna: ich spiele wirklich nicht besser als Sie.«
»Spielen Sie den Erlkönig von Schubert?« fragte Rudin.
»Er spielt ihn, er spielt ihn!« nahm Darja Michailowna das Wort. »Setzen Sie sich, Constantin … Sie lieben die Musik, Dimitri Nikolaitsch?«
Rudin verneigte sich leicht mit dem Kopfe und fuhr mit der Hand über das Haar, als bereite er sich zum Anhören vor … Pandalewski begann.
Natalia stellte sich ans Klavier, Rudin gerade gegenüber. Gleich bei den ersten Tönen erhielt sein Gesicht einen begeisterten Ausdruck. Seine tiefblauen Augen schweiften langsam umher, von Zeit zu Zeit auf Natalia haften bleibend. Pandalewski hatte geendet.
Rudin sagte kein Wort und trat an das geöffnete Fenster. Ein aromatischer Duft lag gleich einer leichten Hülle auf dem Garten, einschläfernde Kühle entstieg den nahegelegenen Bäumen. Sanft schimmerten die Sterne. Wonnig[58] war die Sommernacht und Wonne verbreitete sie um sich her. Rudin schaute in den dunklen Garten hinaus und – wandte sich um.
»Diese Musik und diese Nacht«, sagte er, »haben in mir Erinnerungen erweckt an meine Studentenzeit in Deutschland, an unsere Zusammenkünfte, unsere Serenaden …«
»Sie waren in Deutschland?« fragte Darja Michailowna.
»Ich habe ein Jahr in Heidelberg studiert und etwa ebensolange in Berlin.«
»Und Sie kleideten sich wie die Studenten? Die sollen dort, sagt man, eine eigentümliche Kleidung tragen.«
»In Heidelberg habe ich hohe Stiefel mit Sporen und einen kurzen Leibrock mit Schnurbesatz getragen und das Haar lang wachsen lassen bis herab auf die Schultern … In Berlin kleiden sich die Studenten wie jedermann.«
»Erzählen Sie uns etwas aus Ihrem Studentenleben,« bat Alexandra Pawlowna.
Rudin begann seine Erzählung. Er war kein guter Erzähler. In seinen Schilderungen vermißte man die Färbung. Er verstand es nicht, Heiterkeit zu erregen. Übrigens ging er bald von der Erzählung seiner Abenteuer im Auslande auf allgemeine Betrachtungen über, von der Bedeutung der Aufklärung und Wissenschaft, den Universitäten und dem Universitätsleben überhaupt. Mit breiten und kühnen Zügen entwarf er ein riesiges Bild. Alle hörten ihm mit gespannter[59] Aufmerksamkeit zu. Er sprach meisterhaft, hinreißend, nicht immer bestimmt … aber diese Unbestimmtheit selbst verlieh seiner Rede einen eigentümlichen Reiz.
Der Reichtum seiner Gedanken hinderte Rudin, sich bestimmt und genau auszudrücken. Ein Bild drängte das andere; Gleichnisse, bald unerwartet kühn, bald merkwürdig treffend, folgten Schlag auf Schlag. Nicht selbstgefällige Worthascherei des geschulten Schönredners, sondern Begeisterung sprach aus seinem ungestümen Redefluß. Er war um Worte nicht verlegen: folgsam und frei traten sie ihm auf die Lippen, und jedes Wort schien, durchglüht vom Feuer der vollständigsten Überzeugung, direkt aus der Seele zu strömen. Rudin besaß im höchsten Grade jene Eigenschaft, die man »Musik der Beredsamkeit« nennen könnte. Er verstand es, indem er gewisse Saiten des Herzens anschlug, zugleich alle anderen unbestimmt mittönen und erzittern zu machen. Es mag der Fall gewesen sein, daß der eine oder der andere seiner Zuhörer nicht recht verstand, wovon die Rede war, doch fühlte er die Brust schwellen, ein Schleier schien von seinen Augen zu fallen, und in der Ferne stieg ein gewisses strahlendes Etwas vor seinen Blicken empor …
Alle Gedanken Rudins schienen der Zukunft zugewandt zu sein; dieser Umstand verlieh ihnen das Drangvolle und Jugendliche … Am Fenster[60] stehend, niemand vorzugsweise anblickend, sprach er – und begeistert durch die Zustimmung und Aufmerksamkeit aller, durch die Nähe junger Frauen, die Schönheit der Nacht, hingerissen von der Flut eigener Empfindungen – erhob er sich bis zur Beredsamkeit, bis zur Poesie … der Klang seiner Stimme sogar, sonor und ruhig, vermehrte noch den Zauber; es schien, als redete aus seinem Munde etwas Höheres, ihm selbst Ungewohntes … Rudin sprach von dem, was dem zeitlichen Leben des Menschen Bedeutung für die Ewigkeit verleiht.
»Dabei fällt mir eine skandinavische Sage ein,« so beschloß er seine Rede. »Es sitzt ein König mit seinen Recken in einer langen, dunklen Halle um ein Feuer herum. Es war zu Winterszeit und nachts. Auf einmal kommt ein kleiner Vogel durch die offene Tür hereingeflogen und fliegt zur anderen wieder hinaus. Der König sagt: ›Das Vöglein ist wie der Mensch auf Erden: aus dem Dunkel kommt es geflogen, in das Dunkel fliegt es wieder zurück, und hat sich nur kurze Zeit der Wärme und des Lichtes erfreut‹ … ›O König,‹ erwidert der Älteste der Krieger, ›das Vöglein wird auch im Dunkeln nicht umkommen und sein Nest wiederfinden‹ … In der Tat, unser Leben ist kurz und vergänglich; doch alles Große geschieht durch den Menschen. Das Bewußtsein, höheren Mächten zum Werkzeug zu dienen, muß ihm Ersatz sein für alle übrigen Freuden; im Tode selbst wird er sein Leben, sein Nest finden …«
[61]
Rudin hielt inne und senkte den Blick mit einem unwillkürlichen Lächeln der Verwirrung.
»Vous êtes un poète,« sagte halblaut Darja Michailowna.
Und alle stimmten ihr im stillen bei, – alle, Pigassow ausgenommen. Ohne das Ende der langen Rede Rudins abzuwarten, hatte er leise den Hut genommen und, sich entfernend, dem bei der Türe stehengebliebenen Pandalewski erbittert zugeflüstert: »Die klugen Leute machen es mir zu bunt! Ich begebe mich zu den Einfaltspinseln!«
Es hatte ihn übrigens niemand zurückgehalten, auch seine Abwesenheit nicht bemerkt.
Die Diener trugen das Abendessen auf, und eine halbe Stunde darauf trennte man sich. Darja Michailowna hatte Rudin überredet, über Nacht zu bleiben. Alexandra Pawlowna drückte auf der Heimfahrt in der Kutsche ihrem Bruder unter vielen Achs ihr Erstaunen über Rudins ungewöhnlichen Geist aus. Wolinzow stimmte ihr bei, bemerkte jedoch, daß er sich zuweilen etwas unverständlich ausdrücke … das heißt nicht ganz überzeugend, fügte er hinzu, vermutlich, um seinen Gedanken besseren Ausdruck zu geben; sein Gesicht verfinsterte sich jedoch, und der Blick, den er in die Ecke der Kutsche gerichtet hielt, war noch schwermütiger geworden.
Pandalewski ließ, während er, sich zum Schlafengehen anschickend, seine seidengestickten Tragbänder[62] löste, laut die Worte fallen: »Ein sehr gewandter Mensch!« und befahl dann sogleich mit strengem Blicke seinem Kammerdiener, das Zimmer zu verlassen. Bassistow schlief die ganze Nacht nicht und kleidete sich nicht einmal aus; bis zum Anbruch des Tages schrieb er ununterbrochen einen Brief an einen seiner Freunde nach Moskau; Natalia hatte sich zwar ausgekleidet und zu Bette gelegt, aber gleichfalls nicht eine Minute geschlafen und sogar die Augen nicht einmal geschlossen. Den Kopf auf den Arm gestützt, hatte sie in das Dunkel hinausgeblickt; ihre Pulse pochten wie im Fieber und häufige schwere Seufzer hoben ihren Busen.
Kaum hatte sich Rudin am folgenden Morgen angekleidet, so erschien bei ihm ein Diener von Darja Michailowna mit der Einladung, sich zu ihr ins Kabinett zum Tee zu bemühen. Rudin traf sie allein. Sie bewillkommnete ihn höchst freundlich, erkundigte sich, ob er die Nacht gut verbracht habe und schenkte ihm selbst eine Tasse Tee ein; sie fragte sogar, ob Zucker genug darin sei, bot ihm eine Zigarette an, und äußerte wieder ein paar Male, daß sie sich wundere, wie sie nicht früher mit ihm bekannt geworden sei. Rudin hatte etwas entfernt Platz genommen; Darja Michailowna aber wies auf einen Diwan, der neben ihrem Sessel stand, und begann, sich ein[63] wenig nach seiner Seite hinneigend, ihn über seine Verwandten, seine Pläne und seine Aussichten zu befragen. Darja Michailowna sprach leicht hingeworfen und hörte zerstreut zu; Rudin aber merkte sehr wohl, daß sie ihm zu gefallen suche, ja, ihm sogar schmeichele: Nicht umsonst hatte sie also dieses Morgenstelldichein vorbereitet, nicht umsonst ein einfaches aber graziöses Kleid à la madame Récamier angelegt! Übrigens hörte Darja Michailowna bald auf, ihn auszufragen: sie fing an, ihm von sich zu erzählen, von ihren Jugendjahren und den Personen, mit denen sie bekannt gewesen war. Rudin hörte teilnehmend ihrem Gerede zu, doch – sonderbar! – von wem Darja Michailowna auch sprechen mochte, ihre eigene Person stand stets im Vordergrunde und drängte jede andere zurück; dabei erfuhr Rudin umständlich, was Darja Michailowna namentlich zu dieser bekannten, hochgestellten Persönlichkeit geredet, welchen Einfluß sie auf jenen berühmten Dichter ausgeübt hatte. Den Bekenntnissen Darja Michailownas zufolge hätte man glauben können, daß alle Bedeutenden unter ihren Zeitgenossen einzig und allein nur danach getrachtet hätten, mit ihr bekannt zu werden, oder sich ihr Wohlwollen zu erwerben. Sie sprach von ihnen in einfacher Weise, ohne besonderes Entzücken oder Lobeserhebung, wie von ihr nahestehenden Personen; einige nannte sie sonderbare Käuze, immer aber reihten sich ihre Namen, wie bei einem kostbar[64] gefaßten Edelstein, in strahlendem Kranze um den einen Namen: Darja Michailowna.
Rudin hörte zu, rauchte seine Zigarette und schwieg; nur hin und wieder unterbrach er durch kurze Bemerkungen den Redeschwall der gnädigen Frau. Er verstand und liebte zu sprechen; eine Unterhaltung im Gange zu halten, war ihm nicht eigen, doch verstand er auch zuzuhören. Jeder, den er nicht gleich anfangs eingeschüchtert hatte, ließ sich in seiner Gegenwart zutraulich aus; so gefällig und ermunternd folgte der dem Faden der Erörterungen anderer. Er besaß viel Gutmütigkeit, viel von jener eigentümlichen Gutmütigkeit, welche Leuten eigen ist, die gewohnt sind, sich über andere erhaben zu fühlen. Im Wortstreit ließ er selten seinem Gegner das letzte Wort, sondern überwältigte ihn mit seiner ungestümen und leidenschaftlichen Dialektik.
Darja Michailowna sprach russisch. Sie prahlte mit der Kenntnis ihrer Muttersprache, obgleich bei ihr oft Gallizismen und französische Worte mit unterliefen. Absichtlich gebrauchte sie einfache, volkstümliche Ausdrucksweisen, doch nicht immer an dem rechten Orte. Rudins Ohr fand sich durch die buntscheckige Sprache in Darja Michailownas Munde nicht unangenehm berührt, wenn überhaupt er ein Ohr dafür hatte.
Diese hatte sich indes bald erschöpft, sie ließ den Kopf auf das Rückenkissen des Lehnstuhls[65] zurücksinken, richtete den Blick auf Rudin und verstummte.
»Jetzt begreife ich,« begann langsam Rudin, »begreife ich es, weshalb Sie jeden Sommer aufs Land reisen. Sie bedürfen dieser Erholung; die ländliche Stille, nach dem Leben in der Hauptstadt, muß Sie erfrischen und stärken. Ich bin überzeugt, Sie müssen ein tiefes Gefühl für die Schönheiten der Natur haben.«
Darja Michailowna blickte Rudin von der Seite an.
»Die Natur … nun ja … ja, freilich … ich liebe sie außerordentlich; wissen Sie aber, Dmitri Nikolajitsch, selbst auf dem Lande lebt sich’s nicht ohne Menschen. Hier herum gibt’s aber keinen. Pigassow gilt hier als der Geistreichste.«
»Der mürrische Graukopf von gestern?« fragte Rudin.
»Nun ja, derselbe. Auf dem Lande übrigens nimmt man ihn schon mit – er heitert zuweilen auf.«
»Er hat Verstand,« erwiderte Rudin, »geht aber einen falschen Weg. Ich weiß nicht, ob Sie mir recht geben werden, Darja Michailowna, es liegt aber wirklich kein Segen in dem unbegrenzten und vollständigen Verneinen. Verneinen Sie alles, und man wird Sie möglicherweise für einen klugen Kopf halten: dieser Kunstgriff ist bekannt. Es werden viele in ihrer Einfalt sogleich bereit sein, den Schluß zu ziehen, Sie ständen[66] höher als das, was Sie verneinen. Das ist aber oftmals falsch. Erstens lassen sich in allem Flecken finden, zweitens, wenn Sie auch recht hätten, bleiben Sie im Nachteil: Ihr Geist, fortwährend und ausschließlich zur Verneinung gestimmt, verliert seine Kraft, er stumpft ab. Indem Sie Ihre Selbstliebe befriedigen, rauben Sie sich den wirklichen Genuß der Erkenntnis; das Leben – der innere Wert des Lebens – entschlüpft Ihrem kleinlichen und erbitterten Beobachtungsgeiste und Sie sinken zuletzt zu einem Zänker und Spaßmacher herab. Rügen, schelten darf nur, wer liebt.«
»Voilà Mr. Pigassoff enterré,« sagte Darja Michailowna. »Sie verstehen es aber meisterhaft, die Menschen zu schildern! Übrigens würde Pigassow Sie wahrscheinlich nicht einmal begriffen haben. Liebt er ja doch ausschließlich seine eigene Person.«
»Und er schilt dieselbe, um einen Vorwand zu haben, andere schelten zu dürfen,« fiel Rudin ein.
Darja Michailowna lachte.
»Ja, ja, wie das Sprichwort sagt: vom kranken Kopf auf den Gesunden! – A propos – was halten Sie von dem Baron?«
»Vom Baron? Er ist ein vortrefflicher Mensch, mit gutem Herzen und erfahren … aber ohne Charakter … er wird sein ganzes Leben ein halber Gelehrter, halber Weltmann, d. h. Dilettant bleiben, kurz gesagt, ein – Nichts … Es ist aber schade um ihn!«
[67]
»Das ist auch meine Ansicht,« erwiderte Darja Michailowna. »Ich habe seinen Aufsatz gelesen … Entre nous … cela a assez peu de fond.«
»Wen haben Sie sonst noch in der Nähe?« fragte nach einigem Schweigen Rudin.
Darja Michailowna strich mit dem kleinen Finger die Asche von ihrer Zigarette.
»Weiter gibt es wohl niemand. Die Lipin, Alexandra Pawlowna, die Sie gestern gesehen haben: sie ist allerliebst, und weiter nichts. Ihr Bruder – ebenfalls ein vortrefflicher Mensch, un parfait honnête homme. Den Fürsten Garin kennen Sie. Das sind sie alle. Es sind da noch zwei, drei Nachbarn, die sind aber ganz und gar unbedeutend. Entweder Wichtigtuer – mit ungeheuren Prätensionen oder menschenscheues, oft am unrichtigen Platze ungeniertes Volk. Mit den Damen gehe ich nicht um, wie Sie wissen. Wir haben wohl noch einen Nachbarn, einen sehr gebildeten, sogar gelehrten Mann, aber einen schrecklichen Sonderling, einen Schwärmer. Alexandrine kennt ihn und, wie es scheint, ist er ihr nicht gleichgültig … Sie sollten ihr wirklich Aufmerksamkeit schenken, Dmitri Nikolaitsch: das ist ein liebes Wesen; sie müßte nur etwas ausgebildet werden, ja sie muß es durchaus werden.«
»Sie ist sehr anziehend,« bemerkte Rudin.
»Ein wahres Kind, Dmitri Nikolaitsch, eine wahre Unschuld. Sie ist verheiratet gewesen,[68] mais c’est tout comme … Wäre ich ein Mann, ich würde mich nur in solche Weiber verlieben.«
»Wirklich?«
»Gewiß! Dergleichen Frauen sind zum mindesten frisch und die Frische läßt sich nicht künstlich nachahmen.«
»Alles andere aber?« fragte Rudin mit Lachen, was selten bei ihm der Fall war. Wenn er lachte, nahm sein Gesicht einen eigentümlichen, fast greisenhaften Ausdruck an, die Augen zogen sich zusammen, er rümpfte die Nase …
»Wer ist denn aber jener Sonderling, wie Sie sagen, der Frau Lipin nicht gleichgültig wäre?« fragte er.
»Ein gewisser Leschnew, Michael Michailitsch, ein Gutsbesitzer aus dieser Gegend.«
Rudin erstaunte und erhob den Kopf.
»Leschnew, Michael Michailitsch?« fragte er, »ist der denn Ihr Nachbar?«
»Ja. Sie kennen ihn also?«
Rudin schwieg.
»Ich habe ihn vormals gekannt … es ist schon lange her. Er ist reich, wie man sagt?« fügte er hinzu, indem er an den Fransen des Lehnstuhles zupfte.
»Ja, reich ist er, kleidet sich jedoch abscheulich und fährt auf einer Reitdroschke gleich einem Dorfverwalter umher. Ich habe den Versuch gemacht, ihn in mein Haus zu ziehen; er soll Verstand haben; dann stehe ich auch gewissermaßen[69] in Geschäftsverbindung mit ihm … Sie wissen doch, daß ich mein Gut selbst verwalte?«
Rudin nickte mit dem Kopfe.
»Ja, selbst,« fuhr Darja Michailowna fort, »ich führe nichts von den fremdländischen Albernheiten bei mir ein, halte mich an dem Meinigen, dem Russischen, und Sie sehen, die Sache geht, denke ich, nicht schlecht,« setzte sie hinzu, indem sie dabei mit der Hand einen Kreis durch die Luft beschrieb.
»Ich bin immer der Überzeugung gewesen,« bemerkte Rudin verbindlich, »daß diejenigen schreiendes Unrecht begehen, die den Frauen praktischen Sinn absprechen.«
Darja Michailowna lächelte.
»Sie sind sehr nachsichtig,« sagte sie, »aber was wollte ich Ihnen doch erzählen? Wovon sprachen wir denn? Ja! von Leschnew. Ich habe mit ihm über Landvermessung zu verhandeln. Mehrmals schon habe ich ihn zu mir eingeladen und erwarte ihn sogar heute; er kommt aber nie … ein wahrer Sonderling.«
Der Vorhang an der Tür wurde behutsam zurückgezogen und der Haushofmeister, ein hochgewachsener, grauer Mann mit einer Glatze, in schwarzem Frack, weißer Halsbinde und weißer Weste, trat ein.
»Was willst du?« fragte Darja Michailowna und setzte mit einer leichten Wendung zu Rudin halblaut hinzu: »n’est ce pas, comme il ressemble à Canning?«
[70]
»Michael Michailitsch Leschnew ist angekommen,« meldete der Mann, »befehlen Sie zu empfangen?«
»Ach, mein Gott!« rief Darja Michailowna, »er kommt wie gerufen. Bitte ihn her!«
Der Haushofmeister ging hinaus.
»Der sonderbare Mensch, da wäre er endlich, und doch nicht zur rechten Stunde; er unterbricht unser Gespräch.«
Rudin erhob sich von seinem Platze, Darja Michailowna hielt ihn aber zurück.
»Wohin wollen Sie denn? Das läßt sich auch in Ihrer Gegenwart besprechen, und dann wünsche ich, daß Sie mir sein Bild entwerfen, wie das von Pigassow. Wenn Sie reden, vous gravez comme avec un burin. Bleiben Sie?«
Rudin wollte etwas einwenden, überlegte ein wenig und blieb.
Michael Michailowitsch, dem Leser bereits bekannt, trat ins Kabinett. Er hatte denselben grauen Paletot an und hielt in den gebräunten Händen dieselbe alte Mütze. Er grüßte gelassen Darja Michailowna und trat an den Teetisch heran.
»Endlich sind Sie so gefällig gewesen, sich herzubemühen, Monsieur Leschnew!« sagte Darja Michailowna. »Ich bitte, nehmen Sie Platz. Sie sind miteinander bekannt, habe ich gehört,« fuhr sie fort, auf Rudin deutend.
Leschnew blickte Rudin an und lächelte dabei sonderbar.
[71]
»Ich kenne Herrn Rudin,« sagte er mit einer kurzen Verbeugung.
»Wir sind zusammen auf der Universität gewesen,« bemerkte Rudin halblaut und schlug den Blick zu Boden.
»Auch später sind wir miteinander zusammengetroffen,« sagte Leschnew kalt.
Darja Michailowna blickte beide mit einigem Befremden an und bat Leschnew, Platz zu nehmen. Er setzte sich.
»Sie hatten gewünscht, mich zu sehen,« begann er, »es betrifft die Vermessung?«
»Ja, die Vermessung, doch habe ich auch überhaupt Sie zu sehen gewünscht. Sind wir doch noch Nachbarn und auch wohl vielleicht verwandt miteinander.«
»Sehr verbunden,« erwiderte Leschnew, »was nun die Vermessung betrifft, so habe ich diese Angelegenheit bereits mit Ihrem Verwalter vollständig zum Abschluß gebracht: ich gehe auf alle seine Vorschläge ein.«
»Das wußte ich.«
»Nur«, sagt er mir, »könnten ohne vorherige persönliche Zusammenkunft mit Ihnen die Papiere nicht unterzeichnet werden.«
»Ja; so ist es nun einmal bei mir eingeführt. Darf ich wohl fragen, ob die Bauern bei Ihnen zinspflichtig sind?«
»So ist es.«
»Und Sie selbst haben die Vermessung in Anregung gebracht? Das ist lobenswert.«
[72]
Leschnew schwieg einen Augenblick.
»Da bin ich denn der persönlichen Zusammenkunft wegen hergekommen,« sagte er.
Darja Michailowna lächelte.
»Ich sehe, daß Sie gekommen sind. Sie sagen das in solch besonderem Tone … Gewiß hatten Sie sehr wenig Lust, zu mir zu kommen.«
»Ich besuche niemand,« erwiderte Leschnew phlegmatisch.
»Niemand? Sie besuchen aber doch Alexandra Pawlowna?«
»Ich bin ein alter Bekannter ihres Bruders.«
»Ihres Bruders! Übrigens, ich lege niemandem Zwang auf … Indessen, Sie werden vergeben, Michael Michailitsch, ich bin älter als Sie an Jahren und darf Sie ein wenig schelten: wie können Sie an einem so zurückgezogenen Leben Vergnügen finden? Oder ist es mein Haus vielleicht, das Ihnen nicht gefällt? oder vielleicht gefalle ich Ihnen nicht?«
»Ich kenne Sie nicht, Darja Michailowna, und deshalb können Sie mir auch nicht mißfallen. Ihr Haus ist sehr schön; ich muß Ihnen aber offen gestehen, ich tue mir nicht gern Zwang an. Ich habe nicht einmal einen gehörigen Frack, keine Handschuhe; zudem passe ich auch nicht in Ihren Kreis.«
»Der Geburt, der Erziehung nach gehören Sie demselben an, Michael Michailitsch! vous êtes des nôtres.«
»Wir wollen Geburt und Erziehung beiseite[73] lassen, Darja Michailowna! Nicht darauf kommt es an …«
»Der Mensch soll unter Menschen leben, Michael Michailitsch! Was hat man davon, wie Diogenes in der Tonne zu sitzen?«
»Erstens fühlte sich Diogenes sehr wohl dabei; zweitens, weshalb glauben Sie, daß ich nicht unter Menschen lebe?«
Darja Michailowna biß sich in die Lippen.
»Das ist eine andere Sache! Mir bleibt also nur zu bedauern, daß ich mich zu denen nicht zählen darf, die Sie Ihrer Bekanntschaft würdigen.«
»Monsieur Leschnew«, mischte sich Rudin ein, »treibt zu weit, wie mich dünkt, ein sonst sehr lobenswertes Gefühl – die Liebe zur Freiheit.«
Leschnew erwiderte nichts und blickte Rudin nur an. Ein kurzes Schweigen trat ein.
»Und somit«, sagte Leschnew, sich erhebend, »darf ich unsere Angelegenheit als erledigt betrachten und Ihren Verwalter bedeuten, daß er mir die Papiere zur Unterschrift zustelle?«
»Sie können es … obgleich Sie, ich gestehe es, so wenig liebenswürdig sind … daß ich es Ihnen abschlagen sollte.«
»Aber diese Vermessung bringt Ihnen ja mehr Vorteil als mir.«
Darja Michailowna zuckte die Achseln.
»Und Sie wollen nicht einmal das Frühstück bei mir einnehmen?« fragte sie.
[74]
»Danke Ihnen gehorsamst; ich frühstücke niemals, und dann muß ich auch bald nach Hause.«
Darja Michailowna erhob sich.
»Ich will Sie nicht aufhalten,« sagte sie, ans Fenster tretend, »ich darf Sie nicht aufhalten.«
Leschnew verabschiedete sich.
»Adieu, Monsieur Leschnew! Verzeihen Sie, daß ich Sie belästigt habe.«
»Oh, ich bitte, hat nichts zu sagen,« erwiderte Leschnew und ging hinaus.
»Wie gefällt er Ihnen?« fragte Darja Michailowna Rudin. »Ich hatte wohl von ihm gehört, er sei ein sonderbarer Mensch; dies übersteigt aber doch alles!«
»Er leidet an demselben Übel wie Pigassow,« erwiderte Rudin, »dem Verlangen, originell zu erscheinen. Jener spielt den Mephistopheles, dieser den Zyniker. In allem dem steckt viel Egoismus, viel Selbstsucht und wenig Wahrheit, wenig Liebe. Das ist ja auch eine Berechnung in ihrer Art: es bindet sich einer die Larve der Gleichgültigkeit und der Nachlässigkeit vor, da muß denn gleich, denkt er, ein jeder auf den Gedanken kommen, daß der Mensch auf unverantwortliche Weise sein Licht unter den Scheffel stellt! Aber näher betrachtet, ist gar kein Licht vorhanden!«
»Et de deux!« äußerte Darja Michailowna. »Sie sind furchtbar in der Charakterschilderung. Ihnen entgeht man nicht.«
[75]
»Glauben Sie?« sagte Rudin … »Übrigens,« fuhr er fort, »ich sollte eigentlich nicht von Leschnew sprechen: ich habe ihn geliebt, geliebt wie einen Freund … nachher aber, infolge verschiedener Mißverständnisse …«
»Haben Sie sich entzweit?«
»Das nicht. Wir haben uns getrennt, und, wie mir scheint, für immer getrennt.«
»Das war es! Darum war Ihnen auch während seines Hierseins, wie mir deuchte, nicht wohl zumute … Ich bin Ihnen aber doch sehr für den heutigen Morgen verbunden. Ich habe die Zeit überaus angenehm verbracht. Aber – alles mit Maß! Ich gebe Ihnen Urlaub bis zum Frühstück, und will jetzt auch selbst an meine Geschäfte gehen. Mein Sekretär, Sie haben ihn gesehen – Constantin, c’est lui qui est mon secrétaire – wartet gewiß schon auf mich. Ich empfehle Ihnen denselben: ein herrlicher, überaus dienstfertiger junger Mann und ganz entzückt von Ihnen. Auf Wiedersehen, cher Dmitri Nikolaitsch. Wie bin ich dem Baron zu Dank verpflichtet, daß er mir Ihre Bekanntschaft verschafft hat!«
Und Darja Michailowna reichte Rudin die Hand. Er drückte sie zuerst, führte sie dann an die Lippen und begab sich in den Saal und von da auf die Terrasse, wo er Natalia traf.
[76]
Darja Michailownas Tochter, Natalia Alexejewna, konnte auf den ersten Blick nicht gefallen. Sie war noch nicht vollständig ausgebildet, mager, von bräunlicher Gesichtsfarbe und hielt sich etwas gebückt. Die Züge ihres Gesichtes jedoch waren edel und regelmäßig, obgleich etwas breit für ein siebzehnjähriges Mädchen. Besonders schön trat ihre reine und glatte Stirn über den leicht geknickten Augenbrauen hervor. Sie sprach wenig, aber hörte und schaute mit Aufmerksamkeit, fast unverwandten Blickes, als wollte sie sich über alles Rechenschaft geben. Sie war oft unbeweglich, in Gedanken versunken, und ließ die Arme herabhängen; es zeigte dann ihr Gesicht den Ausdruck innerer Gedankentätigkeit … Ein kaum merkliches Lächeln spielte um ihre Lippen und verschwand wieder; die großen dunklen Augen hoben sich sanft … Qu’avez vous? pflegte sie dann Mlle. Boncourt zu fragen und ihr vorzuhalten, daß es sich für ein junges Mädchen nicht schicke, den Kopf hängen zu lassen und zerstreut auszusehen. Natalia war aber nicht zerstreut: im Gegenteil, sie lernte fleißig, las und arbeitete gern. Sie fühlte tief und stark, aber im stillen; schon als Kind hatte sie selten geweint, jetzt seufzte sie sogar selten und wurde nur bleich, wenn etwas sie betrübte. Die Mutter sah in ihr ein wohlgesittetes, vernünftiges Mädchen, nannte sie scherzweise: mon honnête homme de fille,[77] hatte jedoch keine hohe Meinung von ihren Geistesfähigkeiten. »Meine Natascha ist kalt von Natur,« pflegte sie zu sagen, »nicht wie ich … um so besser. Sie wird glücklich sein.« Darja Michailowna täuschte sich. Übrigens nicht jede Mutter kennt ihre Tochter.
Natalia liebte ihre Mutter, hatte aber kein volles Vertrauen zu ihr.
»Du hast nichts vor mir zu verbergen,« sagte einmal Darja Michailowna zu ihr, »sonst würdest du wohl ein wenig geheimtun, denn du hast deinen Kopf für dich.«
Natalia blickte ihrer Mutter ins Gesicht und dachte: und warum sollte ich nicht meinen Kopf für mich haben?
Als Rudin sie auf der Terrasse traf, schritt sie eben mit Mlle. Boncourt ins Zimmer, um ihren Hut aufzusetzen und in den Garten zu gehen. Ihre Morgenbeschäftigungen waren bereits beendigt. Man hatte aufgehört, Natalia als Kind zu behandeln, Mlle. Boncourt gab ihr schon lange keinen Unterricht mehr in der Mythologie und Geographie; doch mußte Natalia jeden Morgen – in ihrer Gegenwart – historische Bücher, Reisebeschreibungen und andere erbauliche Schriften lesen. Darja Michailowna traf die Auswahl, scheinbar einem ihr eigenen System folgend, in der Tat aber gab sie Natalia alles, was ihr ein französischer Buchhändler aus Petersburg zuschickte, ausgenommen natürlich Romane von Alexander Dumas Sohn und Comp. Diese Romane[78] las Darja Michailowna selbst. Mlle. Boncourt pflegte ganz besonders streng und sauer Natalia über ihre Brille anzuschauen, wenn letztere historische Bücher las: nach den Begriffen der alten Französin war die ganze Geschichte voll unerlaubter Dinge, obgleich sie von den berühmten Männern des Altertums, Gott weiß warum, nur einzig und allein den Kambyses kannte, und aus neuerer Zeit – Ludwig den XIV. und Napoleon, den sie nicht leiden konnte. Natalia las aber auch solche Bücher, deren Dasein Mlle. Boncourt nicht ahnte: sie kannte den ganzen Puschkin auswendig.
Natalia errötete etwas, als sie mit Rudin zusammentraf.
»Sie wollen spazierengehen?« fragte er sie.
»Ja. Wir gehen in den Garten.«
»Darf ich mich Ihnen anschließen?«
Natalia sah Mlle. Boncourt an.
»Mais certainement, monsieur, avec plaisir,« rief eilig die alte Jungfer.
Rudin nahm seinen Hut und folgte ihnen.
Anfangs machte es Natalia etwas verlegen, an Rudins Seite auf demselben Gartenwege zu wandeln; bald aber wurde es ihr leichter. Er richtete an sie Fragen über ihre Beschäftigungen, und auch darüber, wie ihr das Leben auf dem Lande gefalle. Sie antwortete ihm nicht ohne Schüchternheit, aber ohne jene sich überstürzende Befangenheit, die so oft für Schamhaftigkeit gehalten wird. Es klopfte ihr das Herz.
[79]
»Sie fühlen auf dem Lande keine Langeweile?« fragte Rudin, sie mit einem Seitenblick streifend.
»Wie kann man auf dem Lande Langeweile empfinden? Ich bin sehr froh, daß wir hier sind. Ich bin hier sehr glücklich.«
»Sie sind glücklich … Das ist ein großes Wort. Übrigens ist es begreiflich: Sie sind jung.«
Rudin betonte dies letzte Wort in eigentümlicher Weise: es war wie eine Anwandlung von Neid und Beileid, die ihn überkam.
»Ja! die Jugend!« setzte er hinzu. »Das Bestreben der Wissenschaft ist – mit Bewußtsein das zu erringen, was die Jugend von selbst hat.«
Natalia blickte Rudin aufmerksam an: sie hatte ihn nicht verstanden.
»Ich habe mich heute den ganzen Morgen mit Ihrer Mama unterhalten,« fuhr er fort, »eine außergewöhnliche Frau. Ich begreife, weshalb alle unsere Poeten so großen Wert auf ihre Freundschaft legten. Lieben Sie auch Gedichte?« setzte er nach einigem Schweigen hinzu.
Er examiniert mich, dachte Natalia und sagte: »Ja, ich liebe sie sehr.«
»Die Poesie ist die Sprache der Götter. Ich selbst liebe Gedichte. Doch nicht in Gedichten allein liegt Poesie: sie ist überall, sie umfängt uns … Sehen Sie diese Bäume, diesen Himmel an – von allen Seiten strömt Schönheit und Leben hervor; wo aber Schönheit und Leben, da ist auch Poesie.«
[80]
»Wollen wir nicht auf der Bank hier Platz nehmen,« fuhr er fort. »So. Mir scheint, ich kann mir nicht erklären warum, daß, sobald Sie sich ein wenig an mich werden gewöhnt haben (er blickte ihr hierbei lächelnd in die Augen), wir gute Freunde sein werden. Was meinen Sie?«
Er behandelt mich wie ein kleines Mädchen, dachte Natalia wieder, und ungewiß, was sie dazu sagen sollte, fragte sie ihn, ob er noch lange auf dem Lande zu bleiben beabsichtige.
»Den ganzen Sommer, den Herbst und vielleicht auch den Winter. Ich bin, wie Sie wohl wissen, wenig begütert; meine Verhältnisse sind zerrüttet, und dann habe ich es auch schon satt, von einem Ort zum andern zu ziehen. Es ist Zeit, daß ich mir Ruhe gönne.«
Natalia sah ihn erstaunt an.
»Sie finden wirklich, daß es für Sie Zeit sei auszuruhen?« fragte sie schüchtern.
Rudin wandte sein Gesicht ihr zu.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will sagen,« erwiderte sie mit einiger Verwirrung, »daß andere sich wohl Ruhe gönnen dürfen; Sie aber … Sie müssen arbeiten, müssen sich bestreben, Nutzen zu schaffen. Wer denn wohl, wenn nicht Sie …«
»Ich danke für die schmeichelhafte Meinung,« unterbrach sie Rudin. »Nutzen schaffen … das ist leicht gesagt! (Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht.) Nutzen schaffen!« wiederholte er. »Wenn ich auch die feste Überzeugung hätte: auf[81] welche Art ich Nutzen bringen könnte – ja, wenn ich sogar Vertrauen in meine eigene Kraft hätte – wo fände ich wohl lautere, mitfühlende Seelen? …«
Und Rudin ließ mit so hoffnungsloser Miene die Hand fallen und senkte so betrübt den Kopf, daß Natalia unwillkürlich die Frage an sich stellte: ob sie denn wohl aus seinem Munde tags zuvor so begeisterte, Hoffnung sprühende Reden gehört habe?
»Doch nein,« setzte er hinzu, und schüttelte ungestüm seine Löwenmähne, »Unsinn das, Sie haben recht. Ich danke Ihnen, Natalia Alexejewna, danke Ihnen von Herzen. (Natalia wußte entschieden nicht, wofür er ihr dankte.) Ein Wort von Ihnen hat mich an meine Pflicht erinnert, hat mir meine Bahn vorgezeichnet … Ja, ich muß handeln. Ich darf mein Talent, wenn ich es wirklich besitze, nicht verbergen; ich darf meine Kräfte nicht in Geschwätz, in leerem, nichtsnutzigem Geschwätz und eitlem Gerede vergeuden …«
Und es ergoß sich seine Rede wie ein Strom. Er sprach schön, begeistert, hinreißend – über Kleinmütigkeit und Trägheit, über die Notwendigkeit, Taten zu vollbringen. Er machte sich selbst Vorwürfe, bewies, daß sich über das, was man leisten wolle, im voraus auszulassen, ebenso nachteilig wäre, wie wenn man eine reifende Frucht mit einer Nadel anstechen wollte, das sei nur nutzlose Vergeudung der Kräfte und Säfte. Er[82] behauptete, es gäbe keinen edleren Gedanken, der nicht Anklang fände, daß nur jene Menschen unverstanden blieben, die entweder selbst noch nicht wüßten, was sie wollen, oder solche, die nicht wert seien, verstanden zu werden. Er sprach lange und schloß seine Rede damit, daß er Natalia nochmals dankte und ganz unerwartet, ihr die Hand drückend, sagte: »Sie sind ein herrliches, edles Wesen!«
Diese Freiheit setzte Mlle. Boncourt in Erstaunen, die, trotz ihres vierzigjährigen Aufenthaltes in Rußland, mit Mühe das Russische verstand und nur die anmutige Schnelligkeit und das Fließende in der Rede Rudins bewunderte. Er galt überhaupt in ihren Augen als eine Art Virtuos oder Künstler, und an Leute dieses Schlages durften keine Schicklichkeitsforderungen gestellt werden.
Sie erhob sich von ihrem Platze und ihr Kleid hastig zurechtklopfend, machte sie Natalia darauf aufmerksam, daß es Zeit sei heimzukehren, um so mehr, da monsieur Volinsoff (so nannte sie Wolinzow) sich zum Frühstück habe einfinden wollen.
»Da ist er bereits!« fügte sie mit einem Blicke nach einer der Alleen, die zum Hause führten, hinzu.
Und wirklich zeigte sich Wolinzow in einiger Entfernung.
Mit unentschlossenen Schritten trat er näher, begrüßte alle schon von weitem und, mit leidendem[83] Ausdruck im Gesichte, sich zu Natalia wendend, fragte er:
»Ah! Sie gehen spazieren?«
»Ja,« antwortete Natalia, »wir waren im Begriff, nach Hause zurückzukehren.«
»Ah!« sprach Wolinzow. »Nun, so wollen wir gehen.«
Und alle machten sich nach dem Hause auf.
»Wie ist das Befinden Ihrer Schwester?« fragte Rudin mit besonders teilnehmender Stimme Wolinzow. Auch am Abend vorher war er sehr freundlich gegen ihn gewesen.
»Ich danke recht sehr. Sie befindet sich wohl. Sie wird vielleicht heute kommen … Sie unterhielten sich vorhin, wie mir schien, als ich herkam?«
»Ja, wir unterhielten uns. Natalia Alexejewna hat ein Wort fallen lassen, das eine gewaltige Wirkung auf mich hervorgebracht hat …«
Wolinzow fragte nicht, was für ein Wort das gewesen sei, und in tiefem Schweigen erreichten alle das Haus der Darja Michailowna.
Vor dem Essen fand sich die Gesellschaft wieder im Salon ein. Pigassow jedoch erschien nicht. Rudin war nicht aufgelegt; er bat fortwährend Pandalewski, aus Beethoven vorzuspielen. Wolinzow schwieg und schaute vor sich hin. Natalia[84] blieb der Mutter immer zur Seite und war bald in Gedanken versunken, bald mit ihrer Arbeit beschäftigt. Bassistow verwandte die Augen nicht von Rudin, immer in der Erwartung, er werde etwas Kluges vorbringen. So vergingen ziemlich einförmig drei Stunden. Alexandra Pawlowna kam nicht zu Mittag – und Wolinzow ließ gleich nach beendigter Tafel seine Kalesche anspannen und fuhr davon, ohne von jemand Abschied genommen zu haben.
Er fühlte sich beklommen. Schon lange liebte er Natalia, hatte es aber noch nicht gewagt, ihr seine Neigung zu gestehen, und unter diesem ängstlichen Zustande litt er aufs grausamste … Sie sah ihn gerne – doch blieb ihr Herz ruhig: darüber täuschte er sich nicht. Er hatte auch nicht gehofft, ihr zärtliche Gefühle einzuflößen und erwartete nur, sie werde mit der Zeit, wenn sie sich vollkommen an ihn gewöhnt haben würde, ihm näherstehen. Was konnte ihn denn beunruhigen? Was für eine Veränderung hatte er in diesen paar Tagen wahrgenommen? Natalias Benehmen gegen ihn war ganz so wie vorher …
War es die Befürchtung: er kenne Natalias Charakter nicht, sie sei ihm fremder, als er geglaubt habe – war’s Eifersucht, die in ihm erwacht war, oder hatte er eine dunkle Ahnung von etwas Schlimmem … genug, er litt, so sehr er sich auch zu beherrschen suchte.
Als er bei seiner Schwester eintrat, saß Leschnew bei ihr.
[85]
»Warum so früh zurückgekehrt?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Ich weiß es selbst nicht! Ich langweilte mich.«
»War Rudin da?«
»Er war da.«
Wolinzow warf seine Mütze hin und setzte sich.
Alexandra Pawlowna wandte sich mit Lebhaftigkeit zu ihm.
»Ich bitte dich, Sergei, hilf mir, diesem starrsinnigen Menschen da« – sie wies dabei auf Leschnew – »begreiflich zu machen, daß Rudin ungewöhnlich klug und beredt ist.«
Wolinzow brummte etwas in den Bart.
»Ich widerstreite Ihnen durchaus nicht,« begann Leschnew, »ich zweifle nicht an Rudins Geist und Beredsamkeit; ich sage bloß, daß er mir nicht gefällt.«
»Hast du ihn denn gesehen?« fragte Wolinzow.
»Ich habe ihn heute morgen bei Darja Michailowna gesehen. Er ist ja jetzt ihr Großwesir. Es wird die Zeit kommen, wo sie auch ihn verabschiedet – von Pandalewski allein wird sie sich niemals trennen –, jetzt aber herrscht jener. Jawohl, ich habe ihn gesehen! Er saß da – und sie zeigte mich ihm: da schauen Sie einmal, mein Bester, was für sonderbare Kerle wir hier haben. Ich bin kein Zuchtpferd – bin es nicht gewohnt, vorgeführt zu werden. Da bin ich ohne Umstände davongefahren.«
[86]
»Warum warst du denn aber bei ihr?«
»Wegen einer Vermessung; aber das ist nur ein Vorwand: sie wollte sich ganz einfach meine Physiognomie besehen. Eine große Dame – wir kennen das!«
»Seine Überlegenheit ist Ihnen störend – das ist es!« sagte mit Feuer Alexandra Pawlowna, »das ist es, was Sie ihm nicht vergeben können. Ich aber bin überzeugt, daß er nicht nur Verstand, sondern auch ein vortreffliches Herz hat. Betrachten Sie nur seine Augen, wenn er …«
»Von hoher Tugend spricht …«[3], setzte Leschnew hinzu.
»Sie werden mich böse machen und zum Weinen bringen. Es tut mir in der Seele leid, daß ich bei Ihnen geblieben und nicht zu Darja Michailowna gefahren bin. Sie waren es nicht wert. Hören Sie auf, mich zu reizen,« setzte sie mit weinerlicher Stimme hinzu. »Es wird besser sein, Sie erzählen mir etwas aus seinen Jugendjahren.«
»Aus Rudins Jugendjahren?«
»Ja doch. Sie sagten mir ja, Sie kennten ihn gut und seien schon lange mit ihm bekannt.«
Leschnew erhob sich und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Ja,« begann er, »ich kenne ihn gut. Sie wollen, daß ich Ihnen seine Jugend erzähle?[87] Wohlan! Er ist in T. geboren, eines armen Gutsbesitzers Kind. Sein Vater starb früh und er blieb mit der Mutter allein. Sie war eine herzensgute Frau und liebte ihn über alles; sie lebte sehr sparsam, und das wenige Geld, was sie hatte, gab sie für ihn aus. Seine Erziehung hat er in Moskau erhalten, anfänglich auf Kosten eines Oheims, dann aber, als er aufgewachsen und flügge geworden war, auf Rechnung eines reichen Fürstensöhnchens, den er ausgewittert hatte … schon gut, verzeihen Sie, ich werde nicht mehr … mit welchem er sich befreundet hatte. Dann bezog er die Universität. Dort wurde ich mit ihm bekannt und sehr intim. Von unserem damaligen Leben erzähle ich Ihnen ein anderes Mal. Jetzt geht es nicht. Dann reiste er ins Ausland …«
Leschnew ging noch immer im Zimmer auf und ab; Alexandra Pawlowna folgte ihm mit den Blicken.
»Aus dem Auslande«, fuhr er fort, »schrieb Rudin seiner Mutter äußerst selten und hat sie nur einmal besucht, auf zehn Tage … Die Alte starb auch in seiner Abwesenheit in fremden Armen, hat aber bis zu ihrem Todesstündchen nicht das Auge von seinem Bildnisse verwandt. Als ich in T. lebte, besuchte ich sie. Sie war eine gute, überaus gastfreie Frau und pflegte mir immer eingemachte Kirschen vorzusetzen. Ihren Mitja liebte sie unsäglich. Die Herren aus der Petschorinschen[88] Schule[4] werden Ihnen sagen, daß wir immer diejenigen lieben, die selbst wenig fähig sind, Liebe zu fühlen; mir aber scheint es, daß alle Mütter ihre Kinder lieben, besonders die fern von ihnen Weilenden. Später traf ich mit Rudin im Auslande zusammen. Dort hatte ihn eine Dame, eine unserer russischen Damen, an sich gezogen, ein Blaustrumpf, weder jung noch hübsch, wie sich’s auch für einen Blaustrumpf schickt. Ziemlich lange schleppte er sich mit ihr umher und ließ sie dann im Stich … doch nein, entschuldigen Sie: sie ließ ihn im Stiche. Und auch ich verließ ihn zu jener Zeit. Das ist alles.«
Leschnew schwieg, strich mit der Hand über die Stirn und ließ sich wie erschöpft auf einen Lehnstuhl nieder.
»Wissen Sie aber wohl, Michael Michailitsch,« begann Alexandra Pawlowna, »Sie sind, wie ich sehe, ein boshafter Mensch; wahrhaftig, Sie sind nicht besser als Pigassow. Ich bin überzeugt, daß alles, was Sie gesagt haben, wahr ist, daß Sie nichts hinzugedichtet haben, und dennoch, in welch mißgünstigem Lichte haben Sie das alles dargestellt! Die alte Frau, ihre Mutterliebe, ihr einsamer Tod, jene Dame … Wozu alles das? … Wissen Sie wohl, man kann das Leben des allerbesten Menschen mit solchen Farben schildern – ohne etwas hinzuzufügen, wohl[89] verstanden –, daß sich jeder davor entsetzen wird! Das ist auch Verleumdung in ihrer Art!«
Leschnew erhob sich und begann wieder im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Ich hatte durchaus nicht die Absicht, Ihnen Entsetzen einzuflößen, Alexandra Pawlowna,« brachte er endlich heraus. »Ich bin kein Verleumder. Übrigens«, setzte er nach einigem Schweigen hinzu, »in dem, was Sie gesagt haben, ist ein Teil Wahrheit. Ich habe Rudin nicht verleumdet; doch – wer weiß! – vielleicht hat er sich seit jener Zeit verändert – vielleicht bin ich ungerecht gegen ihn.«
»Da haben Sie es! … Versprechen Sie mir also, daß Sie die Bekanntschaft mit ihm erneuern, ihn gehörig ergründen und mir dann erst Ihre schließliche Meinung über ihn sagen wollen.«
»Wenn Sie es wünschen … Warum schweigst du aber, Sergei Pawlitsch?«
Wolinzow fuhr zusammen und erhob den Kopf, als hätte man ihn aus dem Schlafe gerüttelt.
»Was sollte ich sagen? Ich kenne ihn nicht. Übrigens habe ich heute Kopfweh.«
»Du bist wirklich etwas bleich,« bemerkte Alexandra Pawlowna.
»Ich habe Kopfweh,« wiederholte Wolinzow und verließ das Zimmer.
Alexandra Pawlowna und Leschnew sahen ihm nach und tauschten einen Blick miteinander, doch[90] ohne ein Wort zu sprechen. Weder ihm noch ihr war es ein Geheimnis, was im Herzen Wolinzows vorging.
Über zwei Monate waren vergangen. Während dieser ganzen Zeit war Rudin fast nicht aus Darja Michailownas Hause gekommen. Sie konnte ihn nicht mehr entbehren. Es war ihr zur Gewohnheit geworden, ihm von sich zu erzählen und sich von ihm erzählen zu lassen. Einmal hatte er abreisen wollen, unter dem Vorwande, seine Geldmittel seien erschöpft – sie gab ihm fünfhundert Rubel, was ihn nicht hinderte, weitere zweihundert von Wolinzow zu borgen. Pigassow besuchte Darja Michailowna bedeutend seltener als vorher: Rudin übte durch seine Gegenwart auf ihn einen Druck aus, den übrigens Pigassow nicht allein empfand.
»Ich mag ihn nicht, diesen eingebildeten Menschen,« pflegte er zu sagen, »seine Ausdrucksweise ist unnatürlich, ganz so wie bei den Helden in russischen Romanen. Mit einem: Ich! fängt er an, hält dann wie gerührt inne … Ich, also, ich … Und er zieht die Worte so lang. Habt ihr geniest, so wird er euch sogleich auseinandersetzen, warum Ihr geniest und nicht gehustet habt … lobt er euch, so klingt es, als befördere er euch zu einer höheren Rangstufe … fängt er aber an, sich selbst zu schelten, dann zieht er sich geradezu in den Schmutz herab – nun, denkt ihr, der darf sich jetzt nicht mehr bei Tageslicht zeigen![91] Nichts davon! Noch heiterer stimmt es ihn, so daß man glauben könnte, jene bitteren Worte hätten ihm nur zu Erfrischung und Kräftigung gedient, wie ein Schluck bitteren Schnapses!« Pandalewski empfand eine gewisse Scheu vor Rudin und machte ihm mit einiger Vorsicht den Hof. Wolinzows Stellung, Rudin gegenüber, war eigentümlicher Art. Dieser nannte ihn einen Ritter und rühmte ihn, er mochte zugegen sein oder nicht, über die Maßen; Wolinzow aber konnte ihn nicht liebgewinnen, und seine schmeichelhaftesten Komplimente erzeugten in ihm unwillkürlich Ungeduld und Ärger. ›Er macht sich wohl gar über mich lustig!‹ dachte er, und eine feindselige Stimmung überschlich ihn dann. Wolinzow versuchte Herr über sich zu werden; es ging nicht: die Eifersucht nagte heimlich an ihm. Aber auch Rudin, der Wolinzow stets geräuschvoll entgegenkam, ihn einen Ritter nannte und Geld bei ihm borgte, fühlte sich nichts weniger als zu ihm hingezogen. Es wäre nicht leicht zu bestimmen gewesen, was in beiden Männern vorging, wenn sie einander freundschaftlich die Hände drückten und ihre Blicke sich begegneten …
Bassistow fuhr fort, vor Rudin die äußerste Hochachtung zu empfinden und jedes seiner Worte im Fluge zu haschen. Dieser aber beachtete ihn wenig. Einmal brachte er mit ihm einen ganzen Morgen zu, unterhielt sich von den wichtigsten Weltfragen und Weltaufgaben und erregte in[92] ihm das lebhafteste Entzücken, nachher beachtete er ihn nicht mehr … Es war demnach nur eitles Gerede gewesen, wenn er nach reinen und ergebenen Seelen Verlangen geäußert hatte. Mit Leschnew, der mit seinen Besuchen bei Darja Michailowna begonnen hatte, ließ Rudin sich niemals in einen Wortstreit ein, ja er schien ihm auszuweichen. Leschnew seinerseits behandelte ihn gleichfalls kalt, ließ aber immer noch nicht seine letzte Meinung über ihn laut werden, was Alexandra Pawlowna sehr unangenehm berührte. Sie beugte sich vor Rudin – zu Leschnew aber hatte sie Vertrauen. Alle im Hause Darja Michailownas unterwarfen sich den Launen Rudins: seinen geringsten Wünschen wurde nachgekommen. Die Verteilung der täglichen Beschäftigungen hing von ihm ab. Nicht eine einzige partie de plaisir konnte ohne ihn zustande kommen. Alle unerwarteten Ausflüge und Überraschungen waren übrigens nicht sehr nach seinem Geschmack, und er nahm teil daran wie Erwachsene am Spiel der Kinder, mit freundlicher und etwas gelangweilter Miene. Dagegen mischte er sich in alles: räsonierte mit Darja Michailowna über Gutsverwaltung, Kindererziehung, Wirtschafts- und Geschäftsangelegenheiten überhaupt; hörte ihre Pläne an, schätzte auch Unwichtiges nicht zu gering und schlug Verbesserungen und Neuerungen vor. Darja Michailowna war entzückt darüber – doch dabei blieb es. Bezüglich der Gutsverwaltung folgte sie den[93] Ratschlägen ihres Verwalters, eines ältlichen, einäugigen Kleinrussen, eines gutmütigen, doch listigen Schelmes. – »Das Alte ist fett, das Neue ist hager,« pflegte er zu sagen und schmunzelte und blinzelte dabei wohlgefällig.
Außer mit Darja Michailowna hatte Rudin mit niemandem so häufige und lange Unterredungen wie mit Natalia. Er steckte ihr insgeheim Bücher zu, vertraute ihr seine Pläne und las ihr die ersten Seiten künftiger Aufsätze und Werke vor. Das Verständnis dafür fehlte ihr oft, doch daran lag Rudin anscheinend wenig, wenn sie ihn nur anhörte. Dieses nahe Verhältnis zu Natalia war Darja Michailowna nicht ganz unangenehm. Mag sie immerhin – dachte sie – mit ihm hier auf dem Lande schwatzen. Er findet Gefallen an ihr, wie an einem kleinen Mädchen. Gefahr ist nicht dabei, und jedenfalls lernt sie von ihm … In Petersburg will ich das alles anders einrichten.
Darja Michailowna täuschte sich. Nicht wie ein kleines Mädchen schwatzte Natalia mit Rudin: sie lauschte gierig seinen Worten, bemühte sich, in den Sinn derselben einzudringen und unterwarf seinem Urteile ihre Gedanken, ihre Zweifel; er war ihr Erzieher, ihr Führer. Fürs erste kochte es bei ihr nur im Kopfe … in einem jungen Kopfe kocht es aber nicht lange, ohne daß das Herz auch ein Wort mitredet. Was für wonnevolle Minuten verbrachte Natalia, wenn, wie es oft vorkam, Rudin im Garten auf einer[94] Bank, im leichten und lichten Schatten einer Esche, anfing ihr Goethes Faust, Hoffmann, die Briefe Bettinas oder Novalis vorzulesen, und er sich dabei beständig unterbrach, um ihr zu erläutern, was ihr dunkel schien! Sie sprach das Deutsche nicht gut, wie fast alle unsere jungen Damen, verstand es aber vollkommen, und Rudin war ganz in deutscher Poesie, deutscher Romantik und deutscher Philosophie versunken und zog Natalia nach sich in jene höheren Regionen. Eine unbekannte, erhabene Welt enthüllte sich dem aufmerksamen Blicke des jungen Mädchens. Von den Seiten des Buches, das Rudin in der Hand hielt, strömten gleich einer Flut entzückender Musik wunderbare Bilder, neue, lichte Gedanken unaufhörlich in ihre Seele über, und in ihrem Herzen, das von edler Freude hoher Empfindungen erschüttert worden, erglimmte und entbrannte sanft der heilige Funken der Entzückung …
»Sagen Sie doch, Dmitri Nikolaitsch,« redete sie ihn einst an, als sie vor ihrem Stickrahmen am Fenster saß, »Sie werden für den Winter wohl nach Petersburg fahren?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte Rudin, das Buch, in welchem er herumblätterte, auf die Knie sinken lassend, »wenn ich die Mittel dazu auftreibe, fahre ich hin.«
Er sprach träge: er fühlte sich ermattet und war den ganzen Morgen über müßig gewesen.
»Wie sollten Sie die nicht finden?«
[95]
Rudin schüttelte den Kopf.
»Ihnen deucht es so!«
Und er warf einen bedeutsamen Seitenblick auf sie.
Natalia wollte etwas sagen, hielt jedoch inne.
»Sehen Sie,« begann Rudin und wies mit der Hand nach dem Fenster, »sehen Sie jenen Apfelbaum: er ist gebrochen unter der Last und Fülle seiner Früchte. Ein treues Sinnbild des Genies …«
»Er ist gebrochen, weil er keine Stütze gehabt hat,« erwiderte Natalia.
»Ich verstehe Sie, Natalia Alexejewna; es ist aber für den Menschen nicht so ganz leicht, sie zu finden, diese Stütze.«
»Mir scheint, das Mitgefühl anderer … Einsamkeit aber muß jedenfalls …«
Natalia verwirrte sich ein wenig und wurde rot.
»Und was wollen Sie im Winter auf dem Lande anfangen?« setzte sie rasch hinzu.
»Was ich anfangen werde? Ich werde meine große Abhandlung beendigen – Sie wissen – vom Tragischen im Leben und in der Kunst – ich setzte Ihnen vorgestern den Plan auseinander – und werde Ihnen den Aufsatz zustellen.«
»Und werden ihn drucken lassen?«
»Nein.«
»Warum aber nicht? Für wen wollen Sie denn arbeiten?«
»Nun, wenn es für Sie wäre?«
[96]
Natalia senkte den Blick.
»Das wäre für meinen Verstand zu hoch.«
»Wovon handelt, wenn ich fragen darf, der Aufsatz?« fragte bescheiden Bassistow, der in einiger Entfernung saß.
»Vom Tragischen im Leben und in der Kunst,« wiederholte Rudin. »Hier, Herr Bassistow wird ihn auch lesen. Übrigens bin ich, was den Grundgedanken angeht, noch nicht mit mir im reinen. Ich habe mir bis jetzt noch nicht hinreichend die tragische Bedeutung der Liebe klargemacht.«
Rudin ließ sich gern und häufig über Liebe aus. Beim Worte Liebe war Mlle. Boncourt bisher immer zusammengefahren und hatte die Ohren gespitzt wie ein alter Schlachtgaul, der die Trompeten hört; nachher aber wurde sie es gewohnt und begnügte sich, die Lippen zusammenzuziehen und in Zwischenräumen Tabak zu schnupfen.
»Mich dünkt,« bemerkte Natalia schüchtern, »das Tragische in der Liebe – das ist die unglückliche Liebe.«
»Keineswegs!« erwiderte Rudin, »das ist eher die komische Seite in der Liebe … Man muß diese Frage ganz anders stellen … tiefer hineingreifen … Die Liebe!« fuhr er fort, »in ihr ist alles Geheimnis, wie sie kommt, wie sie sich entwickelt, wie sie verschwindet. Bald zeigt sie sich plötzlich, unzweideutig, freudig, wie der Tag; bald glimmt sie lange, wie die Glut unter der Asche, und bricht als Flamme in der Seele aus,[97] wenn alles bereits zerstört ist; bald schleicht sie sich schlangenhaft ins Herz hinein und unerwartet wieder hinaus … Ja, ja; das ist eine bedeutsame Frage. Und wer liebt wohl zu jetziger Zeit? Wer erkühnt sich zu lieben?«
Rudin wurde nachdenkend.
»Weshalb zeigt sich aber Sergei Pawlitsch schon so lange nicht mehr?« fragte er plötzlich.
Natalia wurde über und über rot und senkte den Kopf auf ihren Stickrahmen.
»Ich weiß es nicht,« antwortete sie leise.
»Was für ein herrlicher, vortrefflicher Mensch,« sagte aufstehend Rudin. »Das ist einer der besten Vertreter des jetzigen russischen Adels …«
Mlle. Boncourt betrachtete ihn von der Seite mit ihren kleinen, französischen Augen.
Rudin ging einige Male durchs Zimmer.
»Haben Sie vielleicht die Bemerkung gemacht,« hub er an, sich rasch auf den Absätzen umdrehend, »daß die Eiche – und die Eiche ist ein starker Baum – ihr altes Laub erst dann abwirft, wenn das neue bereits hervorzubrechen beginnt?«
»Ja,« erwiderte langsam Natalia, »ich habe das beobachtet.«
»Ganz dasselbe ist auch der Fall mit alter Liebe in einem starken Herzen: sie ist bereits abgestorben, hält sich aber noch immer; und nur eine andere, neue Liebe vermag sie zu verdrängen.«
[98]
Natalia erwiderte nichts.
»Was soll das bedeuten?« dachte sie.
Rudin blieb eine Weile stehen, schüttelte die Haare und entfernte sich.
Natalia ging auf ihr Zimmer. Lange blieb sie in Nachdenken versunken auf ihrem Bettchen sitzen, lange dachte sie über die letzten Worte Rudins nach, drückte plötzlich die Hände zusammen und brach in Tränen aus. Worüber sie geweint hat – das weiß Gott allein! Sie selbst wußte nicht, warum sie so plötzlich weinen mußte. Sie trocknete ihre Tränen, doch von neuem flossen sie, gleich dem Wasser einer lange verhaltenen Quelle.
An eben diesem Tage war Rudin der Gegenstand eines Gesprächs zwischen Alexandra Pawlowna und Leschnew. Anfangs wollte letzterer sich durch Schweigen abfinden; sie hatte es aber darauf angelegt, etwas aus ihm herauszubringen.
»Ich sehe,« sagte sie zu ihm, »Dmitri Nikolajewitsch gefällt Ihnen nach wie vor nicht. Ich habe Sie absichtlich bis heute nicht befragt; jetzt aber müssen Sie die Gewißheit gewonnen haben, ob in ihm eine Veränderung vorgegangen ist, und ich wünsche zu erfahren, weshalb er Ihnen nicht gefällt.«
»Sehr wohl,« erwiderte Leschnew mit gewohntem Phlegma, »wenn Sie wirklich so ungeduldig[99] sind; doch, merken Sie sich’s, Sie müssen nicht böse werden …«
»Nun, fangen Sie an, fangen Sie an.«
»Und lassen Sie mich ausreden, bis zu Ende.«
»Gut, gut; fangen Sie an.«
»So will ich Ihnen denn sagen,« begann Leschnew, sich langsam auf den Diwan niederlassend, »mir gefällt Rudin in der Tat nicht. Er ist ein kluger Mensch …«
»Das ist nicht zu leugnen!«
»Er ist ein auffallend kluger Mensch, wenn auch im Grunde gehaltlos …«
»Das ist leicht gesagt!«
»Obgleich im Grunde gehaltlos,« wiederholte Leschnew, »das tut aber weiter nichts: wir sind alle gehaltlose Menschen. Ich rechne es ihm sogar nicht als Schuld an, daß er herrschsüchtigen Geistes ist, träge, nicht sehr kenntnisreich …«
Alexandra Pawlowna schlug die Hände zusammen.
»Rudin nicht sehr kenntnisreich!« rief sie aus.
»Nicht sehr kenntnisreich,« wiederholte Leschnew ganz in demselben Tone, »auch daß er es liebt, auf Kosten anderer zu leben, eine Rolle spielen will und so weiter … das ist alles in der Ordnung. Schlecht ist es aber, daß er kalt ist wie Eis.«
»Er, diese feurige Seele, kalt!« unterbrach ihn Alexandra Pawlowna.
»Ja, kalt wie Eis, und er weiß es und spielt den Feurigen. Schlecht ist das,« fuhr Leschnew,[100] allmählich sich belebend, fort, »denn es ist ein gefährliches Spiel, das er spielt – gefährlich, nicht für ihn, versteht sich, keinen Kopeken, kein Härchen setzt er auf die Karte – andere dagegen setzen ihre Seele ein …«
»Von wem, wovon reden Sie? Ich verstehe Sie nicht,« sagte Alexandra Pawlowna.
»Schlecht ist, daß er nicht ehrlich ist. Weil er ein Mann von Geist ist, muß er den Wert seiner Worte kennen, – und doch läßt er sie von seinen Lippen fallen, als ob sie ihm aus dem Herzen kämen … Nun ja, er ist beredt; seine Beredsamkeit ist aber nicht die eines Russen. Und dann – verzeiht man auch der Jugend Schönrednerei, in seinem Alter ist es eine Schande, am Getön eigener Worte Gefallen zu finden, eine Schande, sich derartig zur Schau zu stellen.«
»Mich dünkt, Michael Michailitsch, für den Zuhörer ist es ganz gleich, ob man sich zur Schau stellt oder nicht …«
»Bitte um Vergebung, Alexandra Pawlowna, es ist nicht ganz gleich. Es kann mir jemand ein Wort sagen und es dringt mir durch Mark und Bein, ein anderer sagt mir genau dasselbe Wort und vielleicht noch schöner – und es wird mir nicht einmal das Ohr kitzeln. Woher kommt das?«
»Das heißt, Ihr Ohr wird es nicht kitzeln,« unterbrach ihn Alexandra Pawlowna.
»Ja, mein Ohr,« erwiderte Leschnew, »obgleich ich vielleicht große Ohren habe. Die Sache[101] ist die, daß Rudins Worte eben nur Worte bleiben und niemals zu Taten werden, dennoch aber können diese seine Worte Verwirrungen erzeugen in einem jungen Herzen und dasselbe zugrunde richten.«
»Von wem, von wem reden Sie aber, Michael Michailitsch?«
Leschnew zögerte.
»Sie wünschen zu wissen, von wem ich rede? Von Natalia Alexejewna.«
Alexandra Pawlowna wurde für einen Augenblick verwirrt, lächelte aber gleich darauf.
»Du lieber Gott!« begann sie, »was für sonderbare Einfälle Sie immer haben! Natalia ist noch ein Kind; und dann, gesetzt es wäre auch etwas daran, so werden Sie doch nicht glauben, daß Darja Michailowna …«
»Darja Michailowna ist vor allem eine Egoistin und lebt nur für sich; dann aber ist sie so sehr von ihrer Erfahrung in Erziehung der Kinder überzeugt, daß es ihr nicht einmal einfällt, um ihre Tochter besorgt zu sein. Bewahre! Wie könnte sie das! Ein Wink, ein majestätischer Blick – und alles muß wie am Drahte gehen. Das ist’s, woran diese Gnädige denkt, die sich eine Beschützerin der Künste und Wissenschaften dünkt, sich für einen hohen Geist und Gott weiß was noch hält, in der Tat aber weiter nichts ist als ein altes Weltdämchen. Natalia ist kein Kind; glauben Sie mir, sie gibt sich häufigeren und tieferen Betrachtungen hin als wir beide.[102] Und da mußte solch ein ehrliches, leidenschaftliches Gemüt auf diesen Schauspieler, diesen Gecken stoßen! Übrigens ist auch dies in der Ordnung.«
»Gecken! Sie nennen ihn einen Gecken?«
»Natürlich ihn … Sagen Sie doch selbst, Alexandra Pawlowna, was für eine Rolle spielt er bei Darja Michailowna? Den Götzen, das Orakel des Hauses vorstellen, sich in die Wirtschaft, in häusliche Klatschereien und Lappalien mischen – ist das wohl eines Mannes würdig?«
Alexandra Pawlowna blickte Leschnew mit Erstaunen an.
»Ich erkenne Sie nicht wieder, Michael Michailitsch,« sagte sie. »Das Blut ist Ihnen ins Gesicht gestiegen, Sie sind in Aufregung. – Nein, wahrhaftig, da steckt etwas anderes dahinter …«
»Nun, da haben wir’s! Sagt man einer Frau die Wahrheit auf sein Gewissen – sie wird sich nicht zufrieden geben, bevor sie nicht irgendeinen nichtigen Nebengrund erdichtet, weshalb man gerade so und nicht anders geredet hat.«
Alexandra Pawlowna wurde böse.
»Bravo, Monsieur Leschnew! Sie fangen an, die Frauen nicht besser zu behandeln, als Herr Pigassow es tut; doch, mit Ihrer Erlaubnis, wie scharfsichtig Sie auch sein mögen, wird es mir doch schwer, zu glauben, daß Sie in so kurzer Zeit alle und alles durchdringen konnten. Mir[103] scheint, Sie sind im Irrtum. In Ihren Augen wäre Rudin eine Art Tartüffe.«
»Das ist’s eben, daß er nicht einmal ein Tartüffe ist. Tartüffe, der wußte wenigstens, um was es ihm zu tun war; dieser aber, trotz seines Verstandes …«
Leschnew hielt inne.
»Nun denn, dieser also? Reden Sie aus, Sie ungerechter, garstiger Mensch!«
Leschnew erhob sich.
»Hören Sie, Alexandra Pawlowna,« begann er, »ungerecht sind Sie, nicht ich. Sie zürnen mir wegen meines strengen Urteils über Rudin: ich habe ein Recht, mich über ihn streng zu äußern! Vielleicht habe ich dieses Recht nicht um billigen Preis erkauft. Ich kenne ihn gut: habe lange mit ihm zusammen gelebt. Erinnern Sie sich, ich versprach Ihnen gelegentlich, unser Leben in Moskau zu erzählen. Wie es scheint, muß ich es wohl jetzt tun. Werden Sie aber die Geduld haben, mich bis zu Ende anzuhören?«
»Reden Sie, reden Sie!«
»Wohlan denn!«
Leschnew begann langsamen Schrittes durch das Zimmer zu gehen, von Zeit zu Zeit blieb er stehen und senkte den Kopf nach vorn.
»Vielleicht ist es Ihnen bekannt,« hub er an, »vielleicht auch nicht, daß ich früh als Waise zurückblieb und bereits im siebzehnten Jahre keine andere Autorität über mich kannte als die eigene. Ich lebte im Hause meiner Tante in Moskau und[104] tat, was ich wollte. Ich war ein ziemlich hohler und selbstsüchtiger Bursche und liebte mich zu brüsten und großzutun. Als ich die Universität bezogen hatte, war mein Betragen das eines Schuljungen und verwickelte mich bald in eine höchst fatale Geschichte. Ich will sie Ihnen nicht erzählen: es lohnt nicht. Ich hatte mir eine Lüge zuschulden kommen lassen, eine ziemlich garstige Lüge … Die Sache kam heraus, ich ward überführt, beschämt … ich war verwirrt und weinte wie ein Kind. Das ereignete sich in der Wohnung eines Bekannten, in Gegenwart unserer Gefährten. Alle machten sich lustig über mich, alle, einen Studenten ausgenommen, der, bitte zu beachten, mehr als die übrigen unwillig über mich gewesen war, solange ich verstockt blieb und meine Lüge nicht eingestanden hatte. Tat ich ihm vielleicht leid – genug, er nahm mich unter den Arm und führte mich zu sich.«
»Das war Rudin?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Nein, es war nicht Rudin … das war ein Mensch … er ist jetzt schon tot … das war ein ungewöhnlicher Mensch. Er hieß Pokorski. Ihn mit wenigen Worten zu schildern, bin ich nicht imstande, kommt sein Name mir auf die Lippen, dann vergeht mir die Lust, von jedem anderen zu sprechen. Das war eine erhabene reine Seele und ein Geist, wie er mir nachher nicht wieder vorgekommen ist. Pokorski bewohnte ein kleines, niedriges Stübchen im Halbgeschosse eines[105] alten, hölzernen Häuschens. Er war sehr arm und schlug sich, so gut es ging, mit Unterrichtgeben durch. Es kamen Zeiten, wo er nicht einmal mit einer Tasse Tee seinen Gast zu bewirten imstande war, und sein einziger Diwan war dermaßen eingesessen, daß er einem Boote nicht unähnlich sah. Dennoch, trotz des Mangels an Bequemlichkeiten, besuchten ihn viele. Es hatten ihn alle lieb und er zog die Herzen an. Sie können sich nicht vorstellen, wie angenehm und heiter es sich in seinem ärmlichen Stübchen saß! Bei ihm wurde ich mit Rudin bekannt. Er hatte sich damals bereits von seinem Fürstensöhnchen getrennt.«
»Was hatte denn jener Pokorski Besonderes an sich?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Wie soll ich Ihnen das erklären? Poesie und Wahrheit – das zog alle zu ihm hin. Bei seinem hellen, weiten Geiste war er liebenswürdig und unterhaltend, wie ein Kind. Noch jetzt tönt sein frohes Lachen in meinen Ohren nach, und dabei
wie sich über ihn ein halbverrückter, überaus liebenswürdiger Poet unseres Kreises ausgedrückt hat.«
»Und wie sprach er?« fragte wieder Alexandra Pawlowna.
»Er sprach gut, wenn er aufgelegt war, doch[106] nicht auffallend. Rudin war schon damals zwanzigmal beredter als er.«
Leschnew hielt inne und kreuzte die Arme übereinander.
»Pokorski und Rudin glichen einander nicht. An Rudin war gleich mehr Glanz und Effekt, mehr Phrase, und – wenn Sie wollen – mehr Begeisterung. Er schien viel mehr Talent zu besitzen als Pokorski, in der Tat aber war er, im Vergleich zu ihm, ein armer Wicht. Rudin entwickelte ganz vorzüglich jeden beliebigen Gedanken und disputierte meisterhaft; die Gedanken entsprangen aber nicht aus seinem Kopfe: er stahl sie anderen, vorzüglich Pokorski. Dieser war äußerlich ruhig und sanft, fast schwach – liebte die Frauen bis zur Narrheit, zechte gern und würde von niemandem eine Beleidigung ertragen haben. Rudin schien voll Feuer, Kühnheit, Leben, war jedoch im Innern der Seele kalt und beinahe ein Poltron, solange seine Selbstliebe nicht angefochten wurde: dann aber konnte er aus der Haut fahren. Er suchte beständig, andere zu beherrschen, tat es aber immer im Namen allgemeiner Prinzipien und Ideen und gewann dadurch wirklich großen Einfluß auf viele. Es ist wahr, niemand liebte ihn; ich war vielleicht der einzige, der sich an ihn geschlossen hatte. Sein Joch wurde ertragen … Pokorski unterwarfen sich alle von selbst. Rudin vermied aber auch niemals, sich mit dem ersten besten in Unterhaltung oder Wortstreit einzulassen … Er hatte nicht[107] viel gelesen, jedenfalls aber bedeutend mehr als Pokorski und wir alle, überdies besaß er einen systematischen Verstand und ein ungeheures Gedächtnis, dies alles aber verfehlt niemals seine Wirkung auf die Jugend! Ein Resultat muß sie haben, Abschlüsse, wenn auch falsche, aber es müssen Abschlüsse sein! Ein durchweg ehrenhafter Mensch taugt dazu nichts. Versuchen Sie es, der Jugend zu gestehen, daß Sie ihr reine Wahrheit nicht reichen können, weil Sie selbst solche nicht besitzen … die Jugend wird Sie nicht anhören wollen. Sie geradezu hinter das Licht führen können Sie aber auch nicht. Es ist durchaus notwendig, daß Sie selbst, wenn auch nur zur Hälfte, glauben, Sie seien im Besitze der Wahrheit … Darum war denn auch die Wirkung, die Rudin auf unsereinen ausübte, so mächtig. Nun sehen Sie, ich sagte Ihnen soeben, daß er nicht viel gelesen hatte; es waren aber philosophische Bücher, die er las, und sein Kopf war so eingerichtet, daß er aus dem, was er gelesen hatte, sogleich das Allgemeine herausnahm, sich an die Wurzel der Sache klammerte und dann erst von derselben aus, nach allen Seiten hin, klare und gerade Gedankenfäden zog, geistige Fernsichten eröffnete. Unseren damaligen Kreis bildeten, offen gestanden, Knaben – und nur oberflächlich gebildete Knaben. Philosophie, Kunst, Wissenschaft, das Leben selbst – alles das waren für uns nur Worte, vielleicht auch Begriffe, anziehende, herrliche, aber zerstreute, vereinzelte[108] Begriffe. Von einem allgemeinen Zusammenhange dieser Vorstellungen, von einem allgemeinen Weltgesetze hatten wir keine Ahnung, nichts davon stand vor unseren Blicken, obgleich wir unbestimmt disputierten und uns abmühten, uns Licht darüber zu verschaffen. Hörten wir Rudin sprechen, so glaubten wir zum ersten Male, ihn endlich erfaßt zu haben, diesen allgemeinen Zusammenhang, wir wähnten, der Vorhang sei endlich vor uns aufgehoben! Gesetzt auch, er habe nicht Eigenes vorgetragen – was tat es! Eine regelmäßige Ordnung war in unserem ganzen Wissen eingetreten, alles Verworrene hatte sich gesammelt, geschichtet und war vor uns aufgewachsen, wie ein Bau, überall war Licht und wehte Lebensgeist … Nichts blieb unverständlich, zufällig: aus allem sprach vernünftige Notwendigkeit und Schönheit, alles bekam eine klare und zugleich geheimnisvolle Bedeutung, jede vereinzelte Erscheinung im Leben tönte wie ein Akkord, und wir selbst, von einer heiligen Scheu, einem sanften Herzensschauer erfüllt, dünkten uns belebte Gefäße jener ewigen Wahrheit, ihre Werkzeuge, zu etwas Großem berufen … Kommt Ihnen das nicht lächerlich vor?«
»Nicht im mindesten!« erwiderte Alexandra Pawlowna gedehnt. »Warum glauben Sie das? Ich verstehe Sie nicht ganz, finde es aber nicht lächerlich.«
»Seit der Zeit sind wir freilich klüger geworden,« fuhr Leschnew fort, »das muß uns alles[109] jetzt wie Kinderei vorkommen … Doch, ich wiederhole es, wir hatten damals Rudin viel zu verdanken. Pokorski stand unvergleichlich höher als er, dagegen ist nichts zu sagen; Pokorski flößte uns allen Feuer und Kraft ein, er fühlte sich indessen zu gewissen Zeiten schlaff und wurde schweigsam. Er war ein nervöser, krankhafter Mensch; wenn er aber seine Flügel entfaltete – Gott! Wohin nahm er dann seinen Flug! Gerade in das tiefste Blau des Himmels hinein! In Rudin hingegen, diesem schönen und stattlichen Jungen, gab es viel Kleinliches; er machte sogar Klatschereien; seine Leidenschaft war es, sich in alles zu mischen, über alles sein Wort abzugeben, alles zu erklären. Seine rührige Tätigkeit gönnte sich niemals Ruhe … ein politischer Geist das! Ich rede von ihm, wie ich ihn damals gekannt habe. Er hat sich übrigens leider nicht verändert. Und auch in seinen Überzeugungen ist keine Veränderung eingetreten … bei fünfunddreißig Jahren! … Das kann nicht jeder von sich sagen.«
»Setzen Sie sich,« sagte Alexandra Pawlowna zu ihm, »Sie brauchen ja nicht wie ein Perpendikel das Zimmer zu durchlaufen!«
»Mir ist’s so bequemer,« erwiderte Leschnew. »Kaum war ich in den Kreis Pokorskis hineingeraten, so war ich wie umgewandelt: ich demütigte mich, fragte, lernte, freute mich, empfand eine Art von Ehrfurcht, wie wenn ich in einen Tempel getreten wäre. Und in der Tat, wenn[110] ich an unsere Zusammenkünfte zurückdenke, ja, bei Gott, es war viel Gutes, ja Rührendes in ihnen. Stellen Sie sich eine Gesellschaft von fünf, sechs jungen Burschen vor, ein einziges Talglicht brennt, es wird ein abscheulicher Tee getrunken mit altem, ganz altem Zwieback dazu; zugleich aber betrachten Sie unsere Gesichter und hören unsere Reden! In den Blicken eines jeden – Entzücken, es glühen die Wangen, das Herz klopft, wir reden von Gott, von Wahrheit, von der Zukunft der Menschen, von Poesie, – zuweilen auch Unsinn, lassen uns von einem Nichts hinreißen; was tut das aber! … Pokorski sitzt da, mit untergeschlagenen Beinen, seine Hand stützt die bleiche Wange: seine Augen leuchten. Rudin steht mitten im Zimmer und redet, redet schön, das treue Abbild eines jugendlichen Demosthenes vor dem brausenden Meere; Ssubotin, der Poet mit verwühltem Haar, stößt von Zeit zu Zeit und wie im Traume abgebrochene Sätze aus; ein vierzigjähriger Bursche, Sohn eines deutschen Pastors, Scheller genannt, der wegen seines beständigen, unverbrüchlichen Schweigens unter uns sich den Ruf eines überaus tiefen Denkers erworben hatte, schweigt auf ganz besonders feierliche Weise – und der heitere Stschitow selbst, der Aristophanes unseres Kreises, wird stille und lächelt bloß; zwei drei Neulinge horchen mit begeistertem Entzücken auf … Und die Nacht zieht unbemerkt in stillem Fluge wie auf Fittichen vorüber. Da graut schon[111] der Morgen, und gerührt, heiter, ehrsam, nüchtern – an Wein dachte man damals bei uns nicht – und mit einer gewissen, der Seele wohltuenden Müdigkeit gehen wir auseinander … Noch jetzt denke ich daran, wie ich, ganz in Rührung zerflossen, die menschenleeren Gassen durchstreifte und sogar den Sternen zutrauliche Blicke zuwarf, als wären sie mir näher gerückt und verständlicher geworden … Oh! Die herrliche Zeit damals, und ich kann nicht glauben, daß sie nutzlos verlorengegangen ist! Und sie ist es auch nicht – sie ist nicht verloren, selbst für diejenigen nicht, welche nachmals in der Alltäglichkeit des Lebens untergingen … Wie oft sind mir dergleichen Leute, einstige Kommilitonen, vorgekommen! Man hätte glauben können, ganz vertiert wäre der Mensch, – und es bedürfte nur des Namens Pokorski –, so wurde sogleich alles Gute, das in ihm übriggeblieben war, rege, wie wenn man in einem schmutzigen und finsteren Gemache ein liegengebliebenes Fläschchen voll Wohlgeruch öffnet …«
Leschnew schwieg; sein bleiches Gesicht hatte sich gerötet.
»Weshalb aber, wann – haben Sie sich mit Rudin entzweit?« fragte Alexandra Pawlowna mit verwundertem Blick.
»Ich habe mich nicht mit ihm entzweit; ich trennte mich von ihm, als ich ihn im Auslande genau kennengelernt hatte. Aber schon in Moskau[112] hätten wir uns entzweien können. Schon damals spielte er mir einen bösen Streich.«
»Was war denn das?«
»Das will ich Ihnen sagen. Ich war … wie soll ich mich ausdrücken? Zu meiner Figur paßt das nicht … ich war von jeher sehr geneigt, mich zu verlieben.«
»Sie?«
»Ja, ich! Das ist sonderbar, nicht wahr? Dem ist aber doch so … Nun, ich verliebte mich also damals in ein sehr liebliches Mädchen … Warum sehen Sie mich denn so an? Ich könnte Ihnen von mir eine bei weitem wunderbarere Geschichte erzählen.«
»Was für eine Geschichte? Wenn ich fragen darf? Sie machen mich neugierig.«
»Einfach folgende: Zu jener Zeit in Moskau pflegte ich bei Nacht mich zu einem Rendezvous einzustellen … mit wem meinen Sie wohl? Mit einer jungen Linde am Ende eines Gartens. Ich hielt ihren dünnen und schlanken Stamm umfangen, und es deuchte mir, ich umfasse die ganze Natur, und das Herz wurde mir weit und verging in Liebe, als ob wirklich die ganze Natur sich in dasselbe ergossen hätte … Ja, so war ich! … Doch was! Sie glauben vielleicht auch, ich hätte damals keine Verse gemacht? Ich habe es dennoch getan, ja sogar eine Nachbildung des ›Manfred‹ von Byron! Unter den handelnden Personen kam ein Gespenst vor, mit Blut auf der Brust, und, wohl verstanden, nicht[113] sein eigenes Blut, sondern das Blut der Menschheit überhaupt … Ja, ja, also wundern Sie sich nicht … Doch, ich fing an, von meiner Liebe zu erzählen. Ich machte also die Bekanntschaft eines jungen Mädchens …«
»Und hörten auf, zu der Linde zu gehen?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Hörte auf hinzugehen. Jenes junge Mädchen war ein herzensgutes, allerliebstes Geschöpfchen mit lebhaften, klaren Augen und hellklingender Stimme.«
»Sie schildern sehr gut,« bemerkte mit einem feinen Lächeln Alexandra Pawlowna.
»Sie aber sind eine strenge Richterin,« erwiderte Leschnew. »Nun, dieses Mädchen wohnte bei ihrem greisen Vater … Doch ich will mich nicht in Details einlassen. Ich muß Ihnen aber wiederholen, daß dieses junge Mädchen wirklich herzensgut war – goß sie mir doch immer beim Tee das Glas bis zum Rande voll, wenn ich auch nur um ein halbes gebeten hatte! … Drei Tage nach unserem ersten Zusammentreffen war ich schon in Liebe zu ihr entbrannt, am siebenten Tage hielt ich es nicht mehr aus und teilte Rudin alles mit. Junge Leute, wenn sie verliebt sind, können es nicht für sich behalten; ich beichtete also Rudin alles. Ich stand damals ganz unter seinem Einflusse, und dieser Einfluß, ich muß es unverhohlen bekennen, war in vieler Hinsicht wohltuend. Er war der erste, der mich nicht geringachtete, er gab mir den nötigen Schliff. Pokorski[114] liebte ich leidenschaftlich, aber ich empfand eine gewisse Scheu vor seiner reinen Seele, Rudin stand mir näher. Als er von meiner Liebe hörte, geriet er in unbeschreibliches Entzücken, gratulierte mir, umarmte mich und begann sogleich mich belehren, mir die große Wichtigkeit meiner neuen Lage auseinanderzusetzen. Ich war ganz Ohr … Nun, Sie wissen ja, wie er zu reden versteht. Seine Worte machten auf mich einen außerordentlichen Eindruck. Ich bekam auf einmal eine merkwürdige Achtung vor mir selbst, nahm eine ernsthafte Miene an und lachte nicht mehr. Ich weiß es noch, ich fing sogar an, vorsichtiger aufzutreten, als trüge ich in der Brust ein Gefäß, mit kostbarer Flüssigkeit angefüllt, die ich zu verschütten befürchtete … Ich fühlte mich so hoch beglückt, um so mehr, da mir unverkennbare Beweise von Wohlwollen zuteil wurden. Rudin äußerte den Wunsch, die Bekanntschaft des Gegenstandes meiner Liebe zu machen, und vielleicht war ich es selbst, der darauf bestand, daß er ihm vorgestellt werde.«
»Nun, ich sehe, sehe jetzt, wo dies hinausläuft,« unterbrach ihn Alexandra Pawlowna. »Rudin hat Ihnen Ihren Gegenstand abgejagt, und Sie können es ihm bis jetzt nicht verzeihen … Ich wollte wetten, ich habe es getroffen!«
»Und Sie würden Ihre Wette verlieren, Alexandra Pawlowna: Sie sind im Irrtum. Rudin hat mir meinen Gegenstand nicht abgejagt[115] und wollte ihn mir auch nicht abjagen; er hat aber dennoch mein Glück zertrümmert, obgleich ich ihm jetzt, wenn ich es mit kaltem Blute betrachte, Dank dafür wissen möchte. Damals aber verlor ich beinahe den Verstand. Rudin wollte mir keineswegs schaden – im Gegenteil! Doch, getreu seiner unglückseligen Gewohnheit: jede Regung des Lebens, des eigenen sowohl wie des anderen, an ein Wort zu spießen, wie den Schmetterling an die Nadel, begann er uns über uns selbst aufzuklären, unser Verhältnis, unser gegenseitiges Benehmen zu analysieren, er zwang uns despotisch, ihm Rechenschaft abzulegen von unseren Gedanken, erteilte uns Lob und Tadel, ja – wollen Sie es glauben – er ließ sich mit uns sogar in einen Briefwechsel ein! … Kurz, wir wurden durch ihn ganz und gar irre aneinander! Ich würde wohl damals schwerlich meine Schöne geheiratet haben, soviel gesunder Verstand war mir noch geblieben, wir hätten aber immerhin, gleich Paul und Virginie, einige glückliche Monate verbringen können; so aber kam es zu Mißverständnissen und Spannungen aller Art – mit einem Worte, es wurde ein völliger Wirrwarr daraus. Das Ende vom Liede war, daß Rudin eines schönen Morgens aus seinen eigenen Reden die Überzeugung herausschälte: es läge ihm, als dem Freunde, die heilige Verpflichtung ob, den greisen Vater von allem in Kenntnis zu setzen, und das hat er auch getan.«
[116]
»Wäre es möglich?« rief Alexandra Pawlowna aus.
»Ja, doch nicht zu vergessen, mit meiner Einwilligung – das ist das Wunderbare! Ich erinnere mich jetzt noch, welch ein Chaos ich damals im Kopf mit mir umherschleppte: es drehte sich und verrückte sich in demselben alles, wie in einer Camera obscura: was weiß gewesen, zeigte sich schwarz, Schwarzes – weiß, Lüge schien Wahrheit, Einbildung – Pflicht geworden zu sein … Oh! Noch jetzt fühle ich mich beschämt, wenn ich daran denke! Rudin, – der verlor den Mut nicht … warum sollte er es auch! Er flog nur so hinweg über Mißverständnisse und Verwicklungen aller Art, wie die Schwalbe über den Teich.«
»Und so schieden Sie denn von Ihrem Mädchen?« fragte Alexandra Pawlowna, das Köpfchen naiv auf die Seite neigend und die Augenbrauen heraufziehend.
»Ich schied von ihr … und es war ein schlechtes, ein beleidigendes, ungeschicktes, unnützerweise offenkundiges Scheiden … Ich weinte, sie weinte und der Teufel weiß, was daraus wurde … Es hatte sich da ein gordischer Knoten zusammengezogen – er mußte durchhauen werden, das tat wehe! Übrigens fügt sich alles auf der Welt zum besten. Sie hat einen braven Mann geheiratet und lebt jetzt glücklich …«
»Gestehen Sie es, Sie haben Rudin doch nicht[117] vergeben können …« warf Alexandra Pawlowna ein.
»Sie irren sich!« erwiderte Leschnew, »geweint habe ich wie ein Kind, als ich bei seiner Abreise ins Ausland Abschied von ihm nahm. Die Wahrheit zu sagen, ist mir aber doch, schon damals, ein Stachel in der Seele steckengeblieben. Und als ich später im Auslande mit ihm zusammentraf … je nun, da war ich auch schon älter geworden … Rudin erschien mir in seinem wahren Lichte.«
»Was war es denn, was Sie an ihm entdeckt hatten?«
»Nun, alles, wovon ich Ihnen vor einer Stunde erzählte. Doch genug von ihm. Vielleicht endet noch alles gut. Ich wollte Ihnen nur beweisen, daß, wenn ich über ihn ein strenges Urteil fälle, ich es nicht tue, weil ich ihn etwa nicht kenne … Was indessen Natalia Alexejewna betrifft, so will ich nicht unnütze Worte verlieren; Sie aber mögen auf Ihren Bruder achtgeben.«
»Auf meinen Bruder! Was ist denn mit ihm?«
»Sehen Sie ihn doch nur an. Bemerken Sie denn nichts?«
Alexandra Pawlowna senkte den Kopf.
»Sie haben recht,« sagte sie, »mein Bruder … seit einiger Zeit erkenne ich ihn nicht wieder … Glauben Sie aber wirklich …«
»Still! Er kommt, deucht mir,« flüsterte Leschnew. »Natalia ist gewiß kein Kind mehr, glauben[118] Sie mir’s, obschon sie unerfahren ist wie ein solches. Sie werden sehen, dieses kleine Mädchen wird uns noch alle in Erstaunen setzen.«
»Wodurch meinen Sie?«
»So meine ich: solche kleine Mädchen pflegen sich ins Wasser zu stürzen, Gift zu nehmen und dergleichen mehr. Beurteilen Sie sie nicht nach ihrem ruhigen Aussehen, sie besitzt heftige Leidenschaften und auch Charakter, verlassen Sie sich darauf!«
»Nun, mir scheint, Sie versteigen sich in das Reich der Dichtung. Einem solchen Phlegmatiker wie Ihnen könnte auch ich noch als ein Vulkan erscheinen.«
»O nein!« äußerte Leschnew lächelnd … »Was Charakter anbetrifft – davon besitzen Sie, Gott sei Dank, nichts.«
»Was ist das wieder für ein unartiger Ausfall!«
»Wie? Ich bitte Sie, das ist ja das allergrößte Kompliment …«
Wolinzow trat herein und warf einen mißtrauischen Blick auf Leschnew und seine Schwester. Er hatte in der letzten Zeit etwas abgenommen. Beide redeten ihn an; er würdigte aber ihre Scherze kaum eines Lächelns und hatte, wie sich einst Pigassow über ihn äußerte, die Miene eines »melancholischen Hasen«. Es hat aber wohl kaum jemals einen Menschen gegeben, der nicht, wenn auch nur einmal in seinem Leben, eine noch schlechtere Miene gezeigt hätte. Wolinzow[119] fühlte, daß Natalia sich von ihm abwandte, mit ihr aber, so deuchte es ihm, schwand auch der Boden unter seinen Füßen.
Der folgende Tag war ein Sonntag, und Natalia verließ spät ihr Lager. Tags zuvor war sie bis zum Abend sehr schweigsam gewesen, hatte sich insgeheim ihrer Tränen geschämt und schlecht geruht. Halb angekleidet vor dem kleinen Klavier sitzend, hatte sie, um Mlle. Boncourt nicht zu wecken, kaum hörbare Akkorde gegriffen, oder war, die Stirn an die kalten Tasten gedrückt, lange regungslos sitzengeblieben. Sie hatte fortwährend, nicht sowohl an Rudin selbst, als vielmehr an dieses oder jenes seiner Worte gedacht und sich gänzlich ihren Eindrücken hingegeben.
Von Zeit zu Zeit tauchte Wolinzow in ihrer Erinnerung auf. Sie wußte, daß er sie liebe, doch sie verwarf den Gedanken an ihn sogleich wieder … Sie empfand eine eigentümliche Aufregung. Als der Morgen gekommen war, kleidete sie sich rasch an, ging hinunter, und nachdem sie ihrer Mutter einen guten Tag gewünscht hatte, benutzte sie einen günstigen Augenblick, um sich allein in den Garten zu begeben. Es war ein heißer, heller, sonniger Tag, wenn auch von Zeit zu Zeit von kurzem Regen unterbrochen. Niedrige wollige Wolkenknäuel zogen ruhig am reinen Himmel, ohne die Sonne zu verdecken, dahin[120] und sandten den Feldern in Zwischenräumen heftige und plötzliche Regengüsse. Große, glänzende Tropfen fielen gleich Brillanten mit abgerissenem, trocknem Geräusch; die Sonnenstrahlen spielten mitten durch den Regen; das Gras, noch vor kurzem vom Winde bewegt, rührte sich nicht: es sog gierig die Feuchtigkeit auf; das benetzte Laub zitterte an den Bäumen; die Vögel hatten ihren Gesang nicht unterbrochen und es war eine Lust, dem munteren Gezwitscher derselben beim kühlen Rauschen und Murmeln des vorüberziehenden Regens zu lauschen. Kleine Staubwirbel zogen wie Rauch auf der Landstraße dahin, die von den heftig aufschlagenden Regentropfen wie gefleckt erschienen. Doch da ist das Wölkchen vorüber, ein leichter Wind hat sich erhoben, in Smaragden und Gold spielt das Gras … Blatt hat sich an Blatt gelegt, wie angeklebt, und lichter ist es in dem Laube geworden … Starker Duft steigt überall empor …
Der Himmel hatte sich fast ganz aufgeklärt, als Natalia sich in den Garten begab. Frische und Stille umfingen sie, jene sanfte und beglückende Stille, welche im menschlichen Herzen sehnsuchtsvolles Mitgefühl und unbestimmtes, heimliches Verlangen hervorruft …
Natalia wandelte den Teich entlang, in der langen Allee von Silberpappeln, als plötzlich vor ihr, wie aus dem Boden emporgeschossen, Rudin erschien.
Sie wurde verwirrt. Er blickte ihr ins Gesicht.
[121]
»Sie sind allein?« fragte er.
»Ja, ich bin allein,« antwortete Natalia, »ich habe übrigens nur für eine Minute das Freie gesucht … Ich muß sogleich zurück.«
»Ich werde Sie begleiten.«
Und er ging an ihrer Seite hin.
»Sie scheinen betrübt?« sagte er nach kurzem Schweigen.
»Ich? … Und eben wollte ich Ihnen dieselbe Frage vorlegen! Sie sind, wie mir deucht, nicht aufgelegt.«
»Vielleicht … ich bin es zuweilen. Mir kann man das leichter verzeihen als Ihnen.«
»Weshalb das? Glauben Sie etwa, ich hätte keine Ursache, betrübt zu sein?«
»In Ihren Jahren muß man das Leben genießen.«
Einige Schritte ging Natalia schweigend weiter.
»Dmitri Nikolaitsch!« begann sie.
»Was wünschen Sie?«
»Erinnern Sie sich … des Gleichnisses, das Sie gestern gebrauchten … es war … von der Eiche.«
»Gewiß! Ich erinnere mich. Aber warum diese Frage?«
Natalia warf verstohlen einen Blick auf Rudin.
»Warum … was wollten Sie mit dem Gleichnisse sagen?«
[122]
Rudin senkte den Kopf und ließ den Blick in die Weite schweifen.
»Natalia Alexejewna!« fing er mit dem ihm eigenen, zurückhaltenden und bedeutungsvollen Ausdruck an, der seine Zuhörer stets glauben machte, er äußere kaum den zehnten Teil von dem, was ihm die Brust schwellte. »Natalia Alexejewna! Sie haben bemerken müssen, daß ich von meiner Vergangenheit wenig rede. Es gibt darin gewisse Saiten, die ich gar nicht berühre. Mein Herz … wer braucht überhaupt zu wissen, was in demselben vorgegangen ist? Solche Dinge zu offenbaren, habe ich stets für einen Frevel gehalten. Ihnen gegenüber jedoch bin ich aufrichtig: Sie erwecken mein Zutraun … Ich darf Ihnen kein Geheimnis daraus machen, daß auch ich geliebt und gelitten habe, wie alle … Wann und wie? davon lohnt sich’s nicht zu sprechen; genug, mein Herz hat der Freuden und Leiden viel erfahren …«
Rudin hielt einen Augenblick inne.
»Das, was ich Ihnen gestern sagte,« fuhr er fort, »ließ sich in gewisser Hinsicht auf mich anwenden, auf meine jetzige Lage. Doch wahrlich, es lohnt nicht, davon zu reden. Diese Seite des Lebens ist für mich bereits dahin. Mir bleibt jetzt nur, mich auf staubiger und heißer Landstraße in elendem Wagen von Station zu Station fortrütteln zu lassen … Wann ich mein Ziel erreichen – ob ich es überhaupt erreichen werde – das[123] weiß Gott … Lassen Sie uns lieber von Ihnen sprechen.«
»Wäre es möglich, Dmitri Nikolaitsch,« unterbrach ihn Natalia, »Sie erwarten nichts mehr vom Leben?«
»O nein! Ich erwarte vieles; doch nicht für mich … Der Tätigkeit, der Freude am Handeln werde ich niemals entsagen; ich habe aber dem Genusse entsagt. Mein Hoffen, mein Träumen und mein persönliches Glück haben nichts miteinander gemein. Die Liebe (bei diesem Worte zuckte er die Achseln) … die Liebe: – ist nicht für mich; ich bin … ihrer nicht wert; ein Weib, welches liebt, hat das Recht des Anspruchs auf den ganzen Mann, ganz aber kann ich mich nicht hingeben. Und dann – Gefallen ist das Ziel und das Recht der Jugend: ich bin zu alt dazu. Wie sollte ich noch fremde Köpfe verdrehen? Gott helfe mir, den meinen auf den Schultern zu behalten!«
»Ich verstehe,« äußerte Natalia, »wer einem hohen Ziele entgegenstrebt, darf nicht mehr an sich denken; warum aber wäre das Weib nicht imstande, einen solchen Menschen zu würdigen? Mich dünkt im Gegenteil, es würde sich eher von einem Egoisten abwenden … Alle jungen Leute, jene Jünglinge, wie Sie sagen, sind insgesamt – Egoisten, nur mit sich selbst beschäftigt, selbst wenn sie lieben. Glauben Sie mir, das Weib ist nicht bloß imstande, Aufopferung zu begreifen,[124] sie versteht es auch, sich selbst zum Opfer zu bringen.«
Natalias Wangen hatten sich leicht gerötet und ihre Augen glänzten. Vor ihrer Bekanntschaft mit Rudin würde man nie aus ihrem Munde eine so lange und feurige Rede vernommen haben.
»Sie haben schon mehrmals meine Meinung von dem Berufe der Frauen gehört,« erwiderte Rudin mit herablassendem Lächeln, »Sie wissen, daß, meiner Ansicht nach, Johanna d’Arc allein Frankreich retten konnte … doch, nicht davon ist die Rede. Ich wollte von Ihnen sprechen. Sie stehen an der Schwelle des Lebens … Von Ihrer Zukunft zu sprechen, macht Vergnügen und ist nicht ohne Nutzen … Hören Sie mich: Sie wissen, ich bin Ihr Freund; ich nehme teil an Ihnen, wie etwa an einer Verwandten … darum, hoffe ich, werden Sie meine Frage nicht unbescheiden finden: sagen Sie mir, ist Ihr Herz bis jetzt ganz ruhig gewesen?«
Natalia wurde feuerrot und antwortete nichts. Rudin blieb stehen und sie tat dasselbe.
»Sind Sie mir böse?« fragte er.
»Nein,« sagte sie, »ich hatte aber durchaus nicht erwartet …«
»Übrigens«, fuhr er fort, »brauchen Sie mir nicht zu antworten. Ihr Geheimnis ist mir bekannt.«
Fast erschrocken blickte Natalia ihn an.
»Ja … ja; ich weiß, wer Ihnen gefällt. Und[125] ich muß Ihnen sagen – eine bessere Wahl konnten Sie nicht treffen. Er ist ein vortrefflicher Mensch; er wird Sie zu schätzen verstehen; das Leben hat ihn noch nicht abgenutzt – seine Seele ist einfach und klar … er wird Sie glücklich machen.«
»Von wem sprechen Sie, Dmitri Nikolajewitsch?«
»Sie sollten nicht verstehen, von wem ich spreche? Natürlich von Wolinzow. Wie? Sollte ich mich geirrt haben?«
Natalia wandte sich etwas von Rudin ab. Sie war ganz außer Fassung.
»Liebt er Sie denn nicht? Gehen Sie doch! Er hat nur Augen für Sie und folgt jeder Ihrer Bewegungen; läßt sich denn überhaupt die Liebe verheimlichen? Und sind Sie ihm denn nicht selbst gut? Soviel ich bemerken konnte, gefällt er auch Ihrer Mama … Ihre Wahl …«
»Dmitri Nikolaitsch!« unterbrach ihn Natalia, in ihrer Verwirrung die Hand nach einem nahestehenden Strauche ausstreckend, »wirklich, es ist mir peinlich, über diesen Gegenstand zu sprechen; ich versichere Ihnen aber, Sie irren sich.«
»Ich mich irren?« wiederholte Rudin. »Ich glaube es nicht … Ich habe zwar erst vor kurzem Ihre Bekanntschaft gemacht; kenne Sie aber bereits gut. Was bedeutet denn die Veränderung, die ich an Ihnen wahrnehme, deutlich wahrnehme! Sind Sie denn jetzt dieselbe, wie ich Sie[126] vor sechs Wochen gefunden habe? Nein, Natalia Alexejewna, Ihr Herz ist nicht ruhig.«
»Kann sein,« erwiderte kaum hörbar Natalia, »Sie sind aber dennoch im Irrtum.«
»Inwiefern?« fragte Rudin.
»Lassen Sie mich, fragen Sie mich nicht!« sagte Natalia und eilte raschen Schrittes dem Hause zu.
Ihr selbst wurde Angst vor dem, was so plötzlich in ihr vorgegangen war.
Rudin eilte ihr nach und hielt sie auf.
»Natalia Alexejewna!« redete er sie an, »diese Unterredung darf kein solches Ende nehmen: sie ist auch für mich gar zu wichtig … Wie soll ich Sie verstehen?«
»Lassen Sie mich!« wiederholte Natalia.
»Natalia Alexejewna, um Gottes willen!«
Auf Rudins Gesicht war Unruhe zu lesen. Er war bleich geworden.
»Sie verstehen alles, müssen auch mich verstehen!« sagte Natalia, riß ihre Hand aus der seinigen und entfernte sich, ohne sich umzusehen.
»Nur ein Wort!« rief ihr Rudin nach.
Sie blieb stehen, ohne sich jedoch umzudrehen.
»Sie fragten mich, was ich mit dem gestrigen Gleichnisse hätte sagen wollen. So hören Sie es, ich will Sie nicht hintergehen. Ich sprach von mir, von meiner Vergangenheit – und von Ihnen.«
»Wie? Von mir?«
»Ja, von Ihnen; ich wiederhole es, ich will[127] Sie nicht hintergehen … Jetzt wissen Sie, von welchem Gefühle, von welchem neuen Gefühle ich in jenem Augenblick sprach … Vor dem heutigen Tage würde ich es nicht gewagt haben …«
Natalia bedeckte rasch das Gesicht mit den Händen und lief dem Hause zu.
Sie war dermaßen durch den unerwarteten Ausgang ihres Gesprächs mit Rudin erschüttert, daß sie Wolinzow, an dem sie vorbeigelaufen war, nicht einmal bemerkt hatte. Er stand unbeweglich, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Eine Viertelstunde vorher war er zu Darja Michailowna gekommen, hatte dieselbe im Gastzimmer getroffen, ihr ein paar Worte gesagt und sich unbemerkt entfernt, in der Absicht, Natalia aufzusuchen. Geleitet von dem, den Verliebten eigentümlichen Instinkt, war er geradeswegs in den Garten gegangen und auf Rudin und Natalia in dem Augenblicke gestoßen, als sie ihre Hand der seinigen entriß. Wolinzow war es dunkel vor den Augen geworden. Nachdem er Natalia mit den Blicken gefolgt war, verließ er den Baum und tat ein paar Schritte, ohne selbst zu wissen, wohin und warum.
Rudin bemerkte ihn im Vorbeigehen. Beide blickten einander in die Augen, tauschten einen Gruß und trennten sich schweigend.
Damit ist es nicht abgemacht, dachten beide.
Wolinzow entfernte sich an das äußerste Ende des Gartens. Ein bitterpeinliches Gefühl hatte sich seiner bemächtigt; auf dem Herzen lag es[128] ihm wie Blei und das Blut in ihm wallte von Zeit zu Zeit schwer und heftig auf. Es fielen wieder Tropfen. Rudin war auf sein Zimmer zurückgekehrt. Auch er war nicht ruhig: im Wirbel drehten sich die Gedanken in seinem Kopfe. Wer sollte durch die unerwartete, vertrauensvolle Hingabe einer jungen, reinen Seele nicht verwirrt werden!
Bei der Mittagstafel wollte kein Gespräch in Gang kommen. Natalia war sehr bleich, hielt sich kaum auf ihrem Stuhle und hob die Augen nicht auf. Wolinzow saß, wie er gewohnt war, an ihrer Seite, und zwang sich von Zeit zu Zeit, das Wort an sie zu richten. Es traf sich, daß Pigassow an diesem Tage bei Darja Michailowna speiste. Er war der Gesprächigste von allen bei Tische. Unter anderen suchte er zu beweisen, daß man die Menschen, wie Hunde, in zwei Klassen, in kurz- und langohrige, einteilen könne. »Die Menschen«, sagte er, »haben kurze Ohren, entweder von Geburt an oder durch eigene Schuld. In beiden Fällen sind sie zu beklagen, denn nichts gelingt ihnen – es fehlt ihnen das Selbstvertrauen. Der Langohrige dagegen ist ein Glückskind. Er mag schlechter und schwächer als der Kurzohrige sein, er besitzt aber Selbstvertrauen; er spitzt die Ohren – und alles bewundert ihn.«
»Ich«, setzte er mit einem Seufzer hinzu, »gehöre zur Klasse der Kurzohrigen, und, was dabei[129] das Schlimmste ist, ich habe mir die Ohren selbst gestutzt.«
»Damit wollen Sie sagen,« warf nachlässig Rudin ein, »was übrigens bereits lange vor Ihnen La Rochefoucauld gesagt hat: ›Vertraue dir selbst und andere werden dir vertrauen.‹ Wozu aber da die Ohrengeschichte!«
»So lassen Sie doch jeden,« bemerkte Wolinzow bitter und mit funkelndem Blick, »lassen Sie jeden sich ausdrücken, wie es ihm gefällt. Man redet von Despotismus … Nach meiner Meinung gibt’s keinen ärgeren Despotismus als den der sogenannten klugen Geister. Fort mit ihnen!«
Alle waren über diesen Ausfall Wolinzows in Staunen geraten und verstummt. Rudin warf einen Blick auf ihn, konnte aber den seinigen nicht ertragen und wandte sich ab, lächelte verlegen und sagte nichts.
Oho! Auch du hast kurze Ohren! dachte Pigassow bei sich; Natalia bebte vor Angst. Darja Michailowna maß Wolinzow mit einem langen, erstaunten Blick und nahm endlich das Wort; sie begann von einem ungewöhnlichen Hunde zu erzählen, der ihrem Freunde, dem Minister N. N., gehörte …
Wolinzow entfernte sich bald nach Tische. Beim Abschiednehmen von Natalia hielt er nicht mehr an sich und sagte zu ihr:
»Warum sind Sie so verstört, als wären Sie sich einer Schuld bewußt? Sie können sich – vor niemandem – einer Schuld bewußt sein! …«
[130]
Natalia hatte nichts verstanden und folgte ihm bloß mit den Augen. Vor dem Tee trat Rudin zu ihr, und über den Tisch gebeugt, als überfliege er die Zeitungen, flüsterte er ihr zu:
»Es ist wie ein Traum, nicht wahr? Ich muß Sie durchaus allein sprechen … wäre es auch nur auf einen Augenblick.« Und zu Mlle. Boncourt gewendet, sagte er: »Hier ist das Feuilleton, welches Sie suchten,« dann neigte er sich wieder zu Natalia und setzte leise hinzu: »Suchen Sie gegen zehn Uhr sich in der Fliederlaube neben der Terrasse einzufinden, ich werde Sie erwarten …«
Der Held dieses Abends blieb Pigassow. Rudin hatte ihm den Kampfplatz überlassen. Er machte Darja Michailowna viel lachen; zuerst erzählte er von einem seiner Nachbarn, der dreißig Jahre unter dem Pantoffel seiner Ehehälfte gestanden und sich bis zu dem Grade Weibergewohnheiten angeeignet hatte, daß er einst, im Beisein Pigassows, beim Überschreiten einer kleinen Pfütze, die Schöße seines Gehrocks aufnahm, wie Frauen es mit ihren Röcken zu tun pflegen. Dann kam er auf einen anderen Gutsbesitzer, der anfangs Freimaurer, dann Melancholiker gewesen war und endlich Bankier zu werden gewünscht hatte.
»Wie haben Sie es denn angefangen, Freimaurer zu werden, Philipp Stepanitsch?« hatte ihn Pigassow gefragt.
»Nichts leichter als das,« habe er geantwortet,[131] »ich ließ mir den Nagel des kleinen Fingers wachsen.« Über nichts jedoch lachte Darja Michailowna mehr, als wenn Pigassow anfing, sich über die Liebe auszulassen und zu beteuern, auch nach ihm sei geseufzt worden, und eine feurige Ausländerin habe ihn sogar »ihr appetitliches Afrikänchen« genannt. Darja Michailowna lachte, doch war es die Wahrheit, was Pigassow erzählte: er hatte in der Tat ein Recht, mit seinen Siegen zu prahlen. Er behauptete, nichts wäre leichter, als jedes beliebige Frauenzimmer verliebt zu machen: man dürfe ihr bloß zehn Tage nacheinander wiederholen, sie habe das Paradies auf den Lippen, Seligkeit in den Augen und die übrigen Weiber seien bloß Lappen im Vergleich zu ihr; und am elften Tage werde sie selbst sagen, sie habe das Paradies auf den Lippen, Seligkeit in den Augen und wird sich in Sie verlieben. In der Welt kommt alles vor. Wer weiß, vielleicht hatte Pigassow recht.
Um halb neun Uhr war Rudin bereits in der Laube. Am fernen, erbleichenden Horizonte tauchten eben die ersten Sternchen auf; im Westen war der Himmel noch gerötet – auch war auf dieser Seite der Horizont heller und reiner; der Halbmond schimmerte wie Gold durch das dunkle Geflecht der Trauerbirke. Die übrigen Bäume standen entweder vereinzelt mit durchscheinenden Laubkronen gleich finsteren, tausendäugigen Riesen da oder verschwammen in dichte, düstere Massen. Kein Blatt regte sich; die äußersten[132] Zweige der Flieder- und Akazienbäume strecken ihre Spitzen in die warme Luft hinaus, als lauschten sie auf etwas. Das nahe Haus hüllte sich in Dunkel; wie rötlich gefärbte Streifen hoben sich an demselben die erhellten, länglichen Fenster ab. Die Nacht war milde und still; doch schien es, als ob ein zurückgehaltener, leidenschaftlicher Seufzer geheimnisvoll in dieser Stille verhallte.
Rudin stand, die Arme über die Brust gekreuzt und horchte mit äußerster Spannung. Sein Herz klopfte heftig und unwillkürlich hielt er den Atem an. Endlich glaubte er leichte, hastige Schritte zu vernehmen und Natalia trat in die Laube.
Rudin stürzte ihr entgegen und ergriff ihre Hände. Sie waren kalt wie Eis.
»Natalia Alexejewna!« redete er sie mit bebender Stimme an, »ich wollte Sie sehen … ich konnte den morgenden Tag nicht erwarten. Ich muß Ihnen sagen, was ich vor dem heutigen Morgen selbst noch nicht geahnt hatte, mir noch nicht bewußt war: ich liebe Sie.«
Natalias Hände zuckten schwach in den seinigen.
»Ich liebe Sie,« wiederholte er, »und daß ich so lange mich täuschen, so lange nicht ahnen konnte, daß ich Sie liebe … Und Sie, Natalia Alexejewna … antworten Sie mir – und Sie?«
Natalia konnte kaum atmen.
[133]
»Sie sehn, ich bin hergekommen,« brachte sie endlich hervor.
»Oh! sagen Sie, lieben Sie mich?«
»Ich glaube … ja …« sagte sie leise.
Rudin drückte ihr noch heftiger die Hände und wollte sie an sich ziehen …
Natalia blickte sich rasch um.
»Lassen Sie mich – es wird mir bange –, mir deucht, es belauscht uns jemand … Um Gottes willen, seien Sie vorsichtig. Wolinzow ahnt etwas.«
»Mag er! Sie haben gesehen, ich habe ihm heute nicht einmal geantwortet … Ach, Natalia Alexejewna, wie bin ich glücklich! Jetzt soll uns nichts mehr trennen!«
Natalia blickte ihm in die Augen.
»Lassen Sie mich,« flüsterte sie, »es ist Zeit, daß ich zurückkehre.«
»Einen Augenblick,« bat Rudin.
»Nein, lassen Sie, lassen Sie mich …«
»Sie scheinen Furcht vor mir zu haben?«
»Nein; ich habe keine Zeit mehr …«
»So wiederholen Sie denn, wenigstens noch einmal …«
»Sie sagen, Sie sind glücklich?« fragte Natalia.
»Ich? Es gibt keinen glücklicheren Menschen als mich auf der Welt! Zweifeln Sie etwa?«
Natalia erhob den Kopf. Wie schön war ihr bleiches, edles, junges, aufgeregtes Gesicht – in[134] dem geheimnisvollen Dunkel der Laube, beim schwachen Lichte des nächtlichen Himmels.
»So wissen Sie denn,« sagte sie, »ich bin die Ihre.«
»O Gott!« rief Rudin aus.
Natalia aber machte sich los und ging fort. Rudin blieb einige Zeit stehen, und verließ dann langsam die Laube. Der Mond erleuchtete hell sein Gesicht; ein Lächeln schwebte auf seinen Lippen.
»Ich bin glücklich,« sagte er halblaut. »Ja, ich bin glücklich,« wiederholte er, als suchte er sich selbst dazu zu überreden.
Er warf sich in die Brust, strich sein Lockenhaar zurecht und vertiefte sich in den Garten, lustig die Arme schwenkend.
Unterdessen aber wurden in der Fliederlaube die Zweige behutsam voneinandergebogen und es zeigte sich Pandalewski. Vorsichtig blickte er sich um, schüttelte den Kopf, preßte die Lippen zusammen, sagte mit bezeichnendem Tone: »So stehen die Sachen! Davon muß man Darja Michailowna in Kenntnis setzen,« und verschwand.
Als Wolinzow nach Hause gekommen war, war er niedergeschlagen und finster, gab so ungern der Schwester Antwort und verschloß sich so bald in seinem Kabinett, daß sie sich entschloß, einen reitenden Boten zu Leschnew zu schicken.[135] In allen zweifelhaften Fällen nahm sie zu ihm ihre Zuflucht. Leschnew ließ ihr sagen, er werde am folgenden Tage kommen.
Wolinzow war auch am folgenden Morgen nicht heiterer gestimmt. Nach dem Tee dachte er seine Arbeiten zu besichtigen, blieb jedoch, streckte sich auf einen Diwan hin, und nahm ein Buch in die Hand, was bei ihm nicht oft der Fall war. Wolinzow empfand keine Neigung für Literatur, und vor Gedichten eine wahre Scheu. »Unverständlich wie ein Gedicht,« pflegte er zu sagen, und zur Bekräftigung seiner Worte folgende Strophe des Dichters Aibulat anzuführen:
Alexandra Pawlowna blickte ihren Bruder besorgt an, belästigte ihn jedoch nicht mit Fragen. Ein Wagen fuhr vor. Nun, dachte sie, Gott sei Dank, Leschnew … Der Diener trat ein und meldete Rudin.
Wolinzow warf das Buch auf den Boden und hob den Kopf in die Höhe.
»Wer ist gekommen?« fragte er.
»Rudin, Dmitri Nikolaitsch,« wiederholte der Diener.
Wolinzow erhob sich.
»Bitte ihn herein,« sagte er. »Du aber, Schwester,« setzte er hinzu, sich zu Alexandra Pawlowna wendend: »laß uns allein.«
[136]
»Weshalb aber?« wandte sie ein.
»Ich weiß warum,« unterbrach er sie mit Heftigkeit, »ich bitte dich.«
Rudin trat herein. Wolinzow begrüßte ihn kalt, in der Mitte des Zimmers stehend, und reichte ihm nicht die Hand.
»Sie hatten mich nicht erwartet,« fing Rudin an, »gestehen Sie es,« und stellte seinen Hut auf das Fensterbrett.
Ein leichtes Zucken umspielte seine Lippen. Ihm war nicht behaglich zumute; doch suchte er seine Verwirrung zu verbergen.
»Ich erwartete Sie nicht, gewiß,« erwiderte Wolinzow, »nach dem gestrigen Tage hätte ich eher jemand – mit einem Auftrage von Ihnen erwarten können.«
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen,« äußerte Rudin, sich setzend, »und Ihre Offenherzigkeit freut mich sehr. So ist es viel besser. Ich bin selbst zu Ihnen gekommen, wie zu einem Manne von Ehre.«
»Geht es nicht ohne Komplimente?« bemerkte Wolinzow.
»Ich wünsche Ihnen zu erklären, weshalb ich gekommen bin.«
»Wir sind miteinander bekannt, warum sollten Sie nicht zu mir kommen können? Und dann erweisen Sie mir ja auch nicht zum ersten Male die Ehre Ihres Besuches.«
»Ich bin zu Ihnen gekommen als Mann von Ehre zu einem Manne von Ehre,« wiederholte[137] Rudin, »und will mich jetzt auf Ihren eigenen Richterausspruch berufen … Ich habe zu Ihnen volles Vertrauen …«
»Worum handelt es sich?« fragte Wolinzow, immer noch in derselben Stellung, mit finsteren Blicken auf Rudin, und von Zeit zu Zeit die Spitzen seines Schnurrbartes drehend.
»Erlauben Sie … ich bin, um mich zu erklären hergekommen, das kann man aber nicht mit ein paar Worten abmachen.«
»Warum nicht?«
»Es ist noch eine dritte Person dabei im Spiel …«
»Eine dritte Person? und welche?«
»Sergei Pawlitsch, Sie verstehen mich.«
»Dmitri Nikolaitsch, ich verstehe Sie durchaus nicht.«
»Sie wünschen …«
»Ich wünsche, daß Sie ohne Umschweife reden!« unterbrach ihn Wolinzow.
Er wurde im Ernste böse.
Rudin zog die Brauen zusammen.
»Sehr wohl … wir sind allein … Ich muß Ihnen sagen – übrigens kommen Sie gewiß selbst schon darauf (Wolinzow zuckte ungeduldig die Achseln) – ich muß Ihnen sagen, daß ich Natalia Alexejewna liebe und mit Grund vermuten darf, daß auch sie mich liebt.«
Wolinzow wurde bleich, antwortete jedoch nichts; er trat ans Fenster und wandte Rudin den Rücken.
[138]
»Sie begreifen, Sergei Pawlitsch,« fuhr Rudin fort: »wenn ich nicht überzeugt wäre …«
»Oh, bitte sehr!« unterbrach ihn hastig Wolinzow: »ich zweifle durchaus nicht … Nun, dann viel Glück! Nur wundere ich mich, was zum Teufel Sie bewogen hat, mit dieser Nachricht zu mir zu kommen … Was habe ich damit zu schaffen? Was geht es mich an, wen Sie lieben, wer Sie liebt? Das ist mir unbegreiflich …«
Wolinzow fuhr fort, zum Fenster hinauszusehen. Seine Stimme tönte hohl.
Rudin erhob sich.
»Ich will Ihnen sagen, Sergei Pawlitsch, weshalb ich mich entschlossen habe, zu Ihnen zu kommen, weshalb ich mir sogar das Recht nicht zutraute, aus unserer … unserer gegenseitigen Neigung ein Geheimnis vor Ihnen zu machen. Ich habe gar zu große Achtung für Sie – deshalb bin ich gekommen; ich wollte nicht … wir beide wollten nicht Komödie vor Ihnen spielen. Ihre Gefühle für Natalia Alexejewna waren mir bekannt … Glauben Sie mir, ich kenne meinen Wert: ich weiß, wie wenig würdig ich bin, Ihre Stelle in ihrem Herzen einzunehmen; da es sich aber dennoch so gefügt hat, wären dann wohl List, Betrug, Verstellung schicklich gewesen? Könnte es wünschenswert sein, sich Mißverständnissen auszusetzen, oder selbst nur einer solchen Szene wie der gestrigen bei Tische? Sergei Pawlitsch, gestehen Sie es selbst.«
[139]
Wolinzow kreuzte die Arme über der Brust, als koste es ihm Mühe, sich zu beherrschen.
»Sergei Pawlitsch!« fuhr Rudin fort, »ich habe Sie gekränkt, ich fühle es … aber mißverstehen Sie uns nicht … Sie müssen begreifen, daß uns kein anderes Mittel blieb, Ihnen unsere Achtung zu beweisen, Ihnen zu zeigen, daß wir Ihren offenen Edelmut zu schätzen wissen. Aufrichtigkeit, vollkommene Aufrichtigkeit würde jedem anderen gegenüber unstatthaft gewesen sein, Ihnen gegenüber jedoch wird sie zur Pflicht. Es ist uns ein Vergnügen, zu glauben, daß unser Geheimnis in Ihren Händen …«
Wolinzow lachte gezwungen auf.
»Danke für dieses Vertrauen!« rief er aus, »obgleich ich, wohlverstanden, weder Ihr Geheimnis zu wissen, noch das meinige Ihnen zu entdecken gewünscht hatte, verfügen Sie dennoch darüber, wie über Ihr eigenes Gut. Erlauben Sie aber, Sie reden zugleich im Namen einer anderen Person. Also darf ich voraussetzen, daß Ihr Besuch und der Zweck desselben Natalia Alexejewna bekannt ist?«
Rudin ward bei diesen Worten etwas verlegen.
»Nein, ich habe Natalia Alexejewna von meinem Vorhaben nicht unterrichtet; weiß jedoch, daß sie meine Ansicht teilt.«
»Das ist alles sehr schön,« sagte nach einigem Schweigen Wolinzow und begann mit den Fingern an der Scheibe zu trommeln. »Viel besser,[140] ich gestehe es, wäre es aber doch, wenn Sie etwas … weniger Achtung für mich hätten. Die Wahrheit zu sagen, ist mir Ihre Achtung keinen Groschen wert; was aber wollen Sie eigentlich von mir?«
»Nichts will ich … oder nein! ich will etwas: ich will, daß Sie mich nicht für einen hinterlistigen und schlauen Menschen halten, daß Sie mich kennenlernen … Ich hoffe, Sie können auch schon jetzt meine Aufrichtigkeit nicht in Zweifel ziehen … Ich will, Sergei Pawlitsch, daß wir als Freunde voneinander scheiden … daß Sie, wie ehemals, mir die Hand reichen …«
Und Rudin näherte sich Wolinzow.
»Verzeihen Sie, mein Herr,« sagte Wolinzow, indem er sich zu Rudin wandte und einen Schritt zurücktrat: »ich bin bereit, Ihren Absichten volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, das ist alles sehr schön, sogar erhaben, wir sind aber schlichte Leute, an Marzipan nicht gewöhnt, wir sind nicht imstande, dem Schwunge so hoher Geister, wie des Ihrigen, zu folgen … Was Ihnen aufrichtig erscheint, dünkt uns zudringlich und unbescheiden … Was Ihnen einfach und klar vorkommt, ist für uns verwickelt und dunkel … Sie prahlen mit dem, was wir heimlich halten: wie sollte unsereiner Sie verstehen! Verzeihen Sie mir: weder als meinen Freund kann ich Sie betrachten, noch Ihnen die Hand reichen … Vielleicht ist das kleinlich; ich bin jedoch selbst klein.«
[141]
Rudin ergriff seinen Hut.
»Leben Sie wohl, Sergei Pawlitsch!« sagte er betrübt, »meine Erwartungen haben mich getäuscht. Mein Besuch war in der Tat etwas ungewöhnlich, ich hatte jedoch gehofft … (Wolinzow machte eine ungeduldige Bewegung) … Verzeihen Sie, ich werde nicht mehr davon reden. Alles erwogen, sehe ich, daß Sie wirklich recht haben und nicht anders handeln konnten. Leben Sie wohl, und erlauben Sie mir wenigstens, daß ich Ihnen noch einmal, zum letzten Male die Lauterkeit meiner Absichten beteuere … Von Ihrer Verschwiegenheit bin ich überzeugt …«
»Das ist denn doch zu stark!« rief Wolinzow zitternd vor Zorn, »ich habe mich Ihrem Vertrauen in keiner Weise aufgedrängt; und Sie haben darum durchaus kein Anrecht auf meine Verschwiegenheit!«
Rudin wollte noch etwas sagen, spreizte jedoch bloß die Arme auseinander, verneigte sich und verließ das Gemach, Wolinzow aber warf sich auf den Diwan und kehrte das Gesicht gegen die Wand.
»Darf ich zu dir?« ließ sich an der Tür Alexandra Pawlownas Stimme vernehmen.
Wolinzow gab nicht sogleich Antwort und fuhr mit der Hand hastig über das Gesicht. »Nein, Sascha,« sagte er mit etwas veränderter Stimme: »warte noch etwas.«
Eine halbe Stunde später näherte sich Alexandra Pawlowna von neuem der Tür.
[142]
»Michael Michailitsch ist gekommen,« sagte sie, »willst du ihn sehen?«
»Gewiß,« erwiderte Wolinzow, »laß ihn kommen.« Leschnew trat herein.
»Ist dir nicht wohl?« fragte er und ließ sich auf einen Sessel neben dem Diwan nieder.
Wolinzow erhob sich etwas, stützte sich auf den Arm, blickte seinem Freunde lange, lange ins Gesicht und erzählte ihm dann sogleich Wort für Wort sein ganzes Gespräch mit Rudin. Bis dahin hatte er nie vor Leschnew seiner Gefühle für Natalia Erwähnung getan, obwohl er vermuten konnte, daß sie kein Geheimnis für ihn waren.
»Du hast meine Verwunderung erregt, Bruder,« sagte Leschnew, als Wolinzow seine Erzählung beendigt hatte. »Auf viele Sonderbarkeiten seinerseits war ich gefaßt; dies aber … Übrigens erkenne ich ihn auch hierin wieder.«
»Aber bedenke doch!« sagte Wolinzow, »das ist ja geradezu eine Frechheit! Fast hätte ich ihn zum Fenster hinausgeworfen. Hat er vor mir prahlen wollen oder im voraus Angst bekommen? Und zu welchem Ende? Wie kann man zu einem Menschen gehen …«
Wolinzow hielt sich den Kopf mit beiden Händen und schwieg.
»Nein, Bruder, das ist es nicht,« erwiderte Leschnew gelassen. »Du wirst mir’s nicht glauben, ich bin jedoch überzeugt, er hat es in guter Absicht getan. Wahrhaftig … Siehst du, das hat so einen Anstrich von Edelsinn und Offenherzigkeit,[143] und bietet einen Vorwand zum Reden, der Beredsamkeit freien Lauf zu gewähren; das eben brauchen wir ja, ohne dergleichen könnten wir nicht leben … Ah, seine Zunge – seine Rednergabe – sie ist seine Feindin … sie hat ihm aber auch recht brav gedient!«
»Du kannst dir nicht vorstellen, mit welcher Feierlichkeit er hereintrat und seine Rede vorbrachte!«
»Nun, das ist so seine Art. Knöpft er seinen Rock zu, so tut er’s, als erfüllte er eine heilige Pflicht. Ich möchte ihn auf eine unbewohnte Insel setzen und aus einem Hinterhalt beobachten, wie er da wohl schalten und walten würde. Und der faselt dabei immer von Einfachheit!«
»Sage mir aber, Bruder, um des Himmels willen, soll das etwa Philosophie sein?« fragte Wolinzow.
»Wie soll ich sagen? Von einer Seite – du hast recht – ist es in der Tat Philosophie – von der anderen ist es durchaus keine. Man darf doch nicht jeden Unsinn der Philosophie zur Last legen!«
Wolinzow blickte ihn an.
»Wenn er aber gelogen hätte, was glaubst du?«
»Nein, mein Freund, er hat nicht gelogen. Indessen, weißt du – wir haben genug von ihm gesprochen. Wir wollen jetzt unsere Pfeifen anzünden, lieber Bruder, und Alexandra Pawlowna herbitten … Wenn sie dabei ist, spricht[144] sich’s besser und schweigt sich’s leichter. Sie wird uns Tee machen.«
»Meinetwegen,« erwiderte Wolinzow. »Sascha, komm herein!« rief er.
Alexandra Pawlowna trat herein. Er faßte ihre Hand und drückte sie fest an seine Lippen.
Rudin kehrte in einer eigentümlich unruhigen Stimmung nach Hause zurück. Er war ärgerlich auf sich selbst und machte sich Vorwürfe über seine unverzeihliche Voreiligkeit und sein knabenhaftes Betragen. An ihm bewährte sich: daß es nichts Drückenderes gibt als das Bewußtsein, eine Torheit begangen zu haben.
Reue marterte Rudin.
»Daß der Teufel«, murrte er durch die Zähne, »mir den Gedanken eingeben mußte, zu diesem Menschen zu gehen! Das war eine schöne Idee! Habe mir nichts als Grobheiten geholt! …«
In dem Hause Darja Michailownas ging unterdessen Ungewöhnliches vor. Die Hausfrau selbst zeigte sich den ganzen Morgen nicht und erschien auch nicht bei der Tafel: sie litt an Kopfweh, wie Pandalewski, die einzige Person, die Einlaß bei ihr hatte, behauptete. Rudin sah Natalia auch nur flüchtig: sie saß auf ihrem Zimmer mit Mlle. Boncourt … Als sie mit ihm im Speisesaale zusammentraf, blickte sie ihn so traurig an, daß ihm das Herz erbebte. Ihr Gesicht[145] hatte sich verändert, als wenn seit dem gestrigen Tage ein Unglück über sie hereingebrochen wäre. Unbestimmte, ahnungsvolle Zweifel begannen Rudin zu quälen. Um sich einigermaßen zu zerstreuen, machte er sich an Bassistow, unterhielt sich mit ihm lange, und fand in ihm einen feurigen, lebhaften Jüngling, voll begeisterter Hoffnungen und noch ungebrochener Glaubenskraft. Gegen abend zeigte sich Darja Michailowna für ein paar Stunden im Gastzimmer. Gegen Rudin war sie liebenswürdig, doch etwas zurückhaltend, bald heiter, bald ernst, sprach etwas durch die Nase und meist in Anspielungen … Sie war ganz Hofdame. In der letzten Zeit war sie scheinbar kälter gegen Rudin geworden.
Wer löst mir dieses Rätsel? dachte er, ihr zurückgeworfenes Köpfchen von der Seite betrachtend.
Nicht lange brauchte er auf dessen Lösung zu warten. Gegen Mitternacht, im Begriff, sich auf sein Zimmer zu begeben, schritt er durch einen finsteren Gang, als plötzlich jemand ihm einen Zettel zusteckte. Er blickte sich um und sah ein junges Mädchen davoneilen, in welchem er Natalias Kammerjungfer erkannte. Auf seinem Zimmer angelangt, schickte er seinen Diener fort, öffnete den Zettel und las folgende von Natalias Hand geschriebene Zeilen: »Kommen Sie morgen früh gegen sieben Uhr, nicht später, zum Awdjuchinteich hinter dem Eichengehölz. Eine andere Stunde vermag ich nicht zu bestimmen![146] Wir werden uns dort zum letzten Male sehen und alles wird zu Ende sein, wenn nicht … Kommen Sie. Ein Entschluß muß gefaßt werden …
P. S. Komme ich nicht, dann sehen wir uns nie wieder: dann werde ich Sie wissen lassen …«
Rudin versank in Nachdenken, drehte den Zettel in den Händen herum, steckte ihn unter das Kissen, kleidete sich aus und legte sich nieder, konnte aber lange nicht die Ruhe finden, welche er suchte; sein Schlaf war unruhig und es war noch nicht fünf Uhr, als er erwachte.
Der Awdjuchinteich, welchen Natalia Rudin als Ort der Zusammenkunft bezeichnet, hatte schon längst aufgehört, Teich zu sein. Vor dreißig Jahren hatte das Wasser den Damm durchbrochen, und seit der Zeit war er so geblieben. Nur an dem ebenen und flachen Grunde der Vertiefung, den einst fetter Schlamm überzog, sowie an den Überresten des Dammes konnte man erraten, daß dort ein Teich gewesen war. Es hatte daneben auch ein Edelhof gestanden. Auch dieser war schon längst verschwunden. Zwei riesige Fichten allein erinnerten noch an denselben; mürrisch zogen und rauschten ewige Winde durch ihr spärliches, hoch oben wachsendes Grün … Die Volkssage erzählte von einer schauerlichen Missetat, die am Fuße dieser Fichten vollbracht[147] worden sei, ja man wollte sogar vorher wissen, keine derselben werde fallen, ohne jemandem den Tod zu bringen; vor Zeiten habe dort noch eine dritte gestanden, sei aber vom Sturme umgestürzt worden und habe im Falle ein kleines Mädchen getötet. Die ganze Gegend um den Teich herum wurde als nicht geheuer betrachtet; wüste und kahl und dabei verwildert und düster sogar bei Sonnenlicht, erschien sie noch düsterer und verwilderter durch die Nähe des alten, längst abgestorbenen und verdorrten Eichengehölzes. Einzelne graue Gerippe mächtiger Bäume ragten, finsteren Gespenstern gleich, über das niedrige Gestrüpp empor. Unheimlich waren sie anzuschauen: als wären es böse Greise gewesen, die sich da versammelt hätten und irgendeinen schlimmen Plan berieten. Seitwärts zog sich in Windungen ein selten betretener Fußweg hin. Wer nicht dazu gezwungen war, vermied es, am Awdjuchinteiche vorüberzugehen. Natalia hatte mit Absicht diesen einsamen Ort gewählt, der vom Hause Darja Michailownas kaum eine halbe Werst entfernt lag.
Die Sonne war längst aufgegangen, als Rudin vor den Awdjuchinteich kam; es war aber kein heiterer Morgen. Dicht aneinandergedrängte, weißlich-graue Wolken bedeckten den ganzen Himmel; mit Pfeifen und Heulen trieb der Wind sie heftig weiter. Rudin begann auf dem mit dichten Disteln und schwarzgewordenen Nesseln bedeckten Damme auf und ab zu gehen. Er war[148] nicht ruhig. Diese Zusammenkünfte, diese neuen Eindrücke interessierten ihn, regten ihn aber auch auf, besonders aber nach dem gestrigen Zettel. Er sah ein, daß die Katastrophe nahe sei und war insgeheim verwirrt, obgleich es niemand geglaubt hätte, der ihn so mit gesammelter Entschlossenheit, mit auf der Brust gekreuzten Armen um sich schauend, beobachtet hätte. Nicht unrecht hatte Pigassow, als er einst von ihm sagte, daß bei ihm, wie bei den chinesischen Puppen, der Kopf beständig überschlage. Doch wie stark auch ein Kopf immer sein möge, so fällt es dem Menschen doch schwer, durch ihn allein auch nur das zu erkennen, was in seinem eigenen Innern vorgeht … Rudin, der kluge, scharfsichtige Rudin, war nicht imstande, mit Gewißheit zu sagen, ob er Natalia liebe, ob er leide, ob er leiden werde, wenn er sich von ihr trennen sollte. Weshalb nun mußte er, ohne den Lovelace zu spielen – diese Gerechtigkeit lassen wir ihm widerfahren –, einem armen Mädchen den Kopf verdrehen? Warum wartete er auf dasselbe mit heimlichem Beben? Hierauf gibt es nur die eine Antwort: Niemand läßt sich so leicht hinreißen, wie ein leidenschaftsloser Mensch.
Er schritt den Damm entlang, während Natalia geradeaus über das Feld, auf feuchtem Grase ihm entgegeneilte.
»Fräulein! Fräulein! Sie werden sich die Füße naß machen,« sagte Mascha, ihr Kammermädchen,[149] kaum imstande, gleichen Schritt mit ihr zu halten.
Natalia gab nicht darauf acht und lief weiter, ohne sich umzusehen.
»Ach, wenn man uns nur nicht belauscht!« rief Mascha zu wiederholten Malen. »Selbst das ist schon zu bewundern, wie wir aus dem Hause gekommen sind. Wenn die Mamsell nur nicht erwacht ist … Ein Glück, daß es nicht weit ist … Und der Herr wartet auch schon,« setzte sie hinzu, als sie plötzlich die stattliche Figur Rudins gewahr wurde, der malerisch auf dem Damme stand, »doch, warum steht denn der Herr so hoch, – besser wäre es, er stellte sich in die Vertiefung.«
Natalia blieb stehen.
»Warte hier bei den Fichten, Mascha,« sagte sie und schritt zu dem Teich hinab.
Rudin trat zu ihr heran und blieb verwundert stehen. Einen solchen Ausdruck hatte er noch nicht auf ihrem Gesichte bemerkt. Die Brauen waren zusammengezogen, die Lippen aufeinandergepreßt, der Blick war fest, ja fast strenge.
»Dmitri Nikolaitsch,« begann sie, »wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich bin auf fünf Minuten hergekommen. Ich muß Ihnen sagen, daß Mama alles weiß. Herr Pandalewski hat uns vorgestern belauscht und ihr von unserer Zusammenkunft erzählt. Er war immer Mamas Spion. Gestern rief sie mich zu sich …«
[150]
»Mein Gott!« rief Rudin aus, »das ist schrecklich! … Was hat Ihre Mama gesagt?«
»Sie war nicht böse auf mich, hat mich nicht gescholten, nur Vorwürfe machte sie mir über meinen Leichtsinn.«
»Weiter nichts?«
»Ja, dann erklärte sie mir, sie würde sich eher mit dem Gedanken vertragen, daß ich stürbe, als daß ich Ihre Frau würde.«
»Hat sie das wirklich gesagt?«
»Ja; und setzte noch hinzu, daß Sie selbst keineswegs willens wären, mich zu heiraten, daß Sie bloß zum Zeitvertreib mir den Hof machten, was sie von Ihnen nicht erwartet hätte; übrigens wäre sie selbst daran schuld: warum habe sie es erlaubt, daß ich so oft mit Ihnen zusammenkomme … sie rechne auf meine Einsicht, sei sehr erstaunt über mein unüberlegtes Betragen … Kurzum, ich weiß wirklich nicht mehr, was sie mir sonst noch sagte.«
Natalia sprach dieses alles mit eintöniger, fast lautloser Stimme.
»Und Sie, Natalia Alexejewna, was haben Sie ihr geantwortet?« fragte Rudin.
»Was ich ihr geantwortet habe?« wiederholte Natalia. »… Was beabsichtigen Sie jetzt zu tun?«
»Mein Gott! Mein Gott!« erwiderte Rudin, »das ist hart! So rasch! … ein so unerwarteter Schlag! … Und Ihre Mama war so entrüstet?«
»Ja … ja, sie will nichts von Ihnen hören.«
[151]
»Das ist schrecklich! Es bleibt also keine Hoffnung?«
»Keine.«
»Warum sind wir so unglücklich! Dieser abscheuliche Pandalewski! … Sie fragen mich, Natalia, was ich zu tun beabsichtige? Der Kopf geht mir in der Runde – ich kann keinen Gedanken fassen … Ich fühle nur mein Unglück … ich begreife nicht, wie Sie so kaltblütig sind! …«
»Sie glauben, es wird mir leicht?« entgegnete Natalia.
Rudin begann wieder auf dem Damme auf und ab zu gehen. Natalia verlor ihn nicht aus den Augen.
»Ihre Mama hat Sie nicht weiter ausgeforscht?« fragte er dann.
»Sie hat mich gefragt, ob ich Sie liebe.«
»Nun … und Sie sagten?«
Natalia schwieg einen Augenblick. »Ich habe ihr die Wahrheit gesagt.«
Rudin ergriff ihre Hand.
»Immer, in allem, edelmütig und groß. Oh, das Herz eines Mädchens ist wie lauteres Gold! Hat aber wirklich Ihre Mama ihren Willen in bezug auf die Unmöglichkeit unserer Verbindung so entschieden geäußert?«
»Ja, entschieden. Ich sagte Ihnen schon, sie ist überzeugt, daß Sie selbst nicht daran denken, mich zu heiraten.«
[152]
»Sie hält mich also für einen Betrüger! Wodurch habe ich das verdient?«
Und Rudin faßte sich am Kopfe.
»Dmitri Nikolaitsch!« sagte Natalia, »wir verlieren unnütz die Zeit. Denken Sie daran, ich sehe Sie zum letzten Male. Ich kam hierher nicht um zu weinen, nicht um zu klagen – Sie sehen, ich weine nicht – ich kam, um mir Rat zu holen.«
»Welchen Rat könnte ich Ihnen geben, Natalia?«
»Welchen Rat? Sie sind ein Mann; ich war gewohnt, Ihnen zu vertrauen, ich werde Ihnen vertrauen bis ans Ende. Sagen Sie mir, welches sind Ihre Absichten?«
»Meine Absichten! Ihre Mama wird mir vermutlich ihr Haus verschließen.«
»Wahrscheinlich. Bereits gestern erklärte sie mir, sie werde die Bekanntschaft mit Ihnen abbrechen müssen … Sie antworten aber nicht auf meine Frage.«
»Auf welche Frage?«
»Was, meinen Sie, sollen wir jetzt tun?«
»Was wir tun sollen?« erwiderte Rudin, »uns darein ergeben.«
»Uns ergeben,« wiederholte Natalia gedehnt und ihre Lippen wurden bleich.
»Uns dem Geschicke unterwerfen,« fuhr Rudin fort. »Was ist dabei zu machen! Ich weiß gar zu gut, wie bitter, schwer und unerträglich das ist; bedenken Sie aber selbst, Natalia, ich[153] bin arm … Freilich, ich kann arbeiten; doch, wenn ich auch reich wäre, könnten Sie wohl die gewaltsame Trennung von den Ihrigen, den Zorn Ihrer Mutter ertragen? … Nein, Natalia, daran ist nicht zu denken. Es muß uns wohl nicht bestimmt sein, miteinander zu leben, und jenes Glück, von welchem ich geträumt hatte, ist mir nicht beschieden.«
Natalia bedeckte plötzlich das Gesicht mit den Händen und brach in Tränen aus. Rudin trat an sie heran.
»Natalia, liebe Natalia!« sagte er mit Wärme, »weinen Sie nicht, um Gottes willen, martern Sie mich nicht, beruhigen Sie sich.«
Natalia erhob den Kopf.
»Sie sagen mir, ich solle mich beruhigen,« begann sie, und ihre Augen glänzten unter Tränen, »ich weine nicht über das, was Sie glauben … Mich schmerzt nicht das: mich schmerzt, daß ich mich in Ihnen getäuscht habe … Wie? ich suche bei Ihnen Stütze, und zu welcher Stunde! und Ihr erstes Wort ist: Ergebung … Ergebung! So also äußert sich durch die Tat Ihre Theorie von der Freiheit, von Opfern, welche …«
Ihre Stimme war gebrochen.
»Erinnern Sie sich doch, Natalia,« begann Rudin bestürzt, »ich nehme meine Worte nicht zurück … nur …«
»Sie fragten mich,« fuhr sie mit neuer Kraft fort, »was ich meiner Mutter geantwortet habe, als sie mir erklärte, sie würde mich lieber tot wissen,[154] als in meine Verbindung mit Ihnen einwilligen: ich gab ihr zur Antwort, daß ich lieber tot, als die Frau eines anderen sein wolle … Und Sie reden von Ergebung! Sie hat also dennoch Recht gehabt: Sie haben wirklich zum Zeitvertreib, aus Langeweile Scherz mit mir getrieben …«
»Ich schwöre Ihnen, Natalia … ich schwöre Ihnen …«, wiederholte Rudin.
Sie hörte aber nicht auf ihn.
»Warum hielten Sie mich nicht zurück? Warum mußten Sie selbst … Oder glaubten Sie, auf keine Hindernisse zu stoßen? Ich muß mich schämen, davon zu reden … es ist ja aber alles schon aus.«
»Sie müssen sich beruhigen, Natalia,« nahm Rudin wieder das Wort, »wir wollen zusammen erwägen, welche Mittel …«
»Sie haben so oft von Aufopferung gesprochen,« unterbrach sie ihn, »wissen Sie aber wohl, wenn Sie heute, jetzt zu mir gesagt hätten: ›Ich liebe dich, kann dich aber nicht heiraten, ich stehe nicht für die Zukunft ein, reich mir die Hand und folge mir,‹ – wissen Sie wohl, ich wäre Ihnen gefolgt, wissen Sie’s, ich war zu allem entschlossen! Doch vom Wort zur Tat ist’s weiter, als ich glaubte, und Sie haben jetzt Furcht, ganz so wie neulich bei Tische vor Wolinzow.«
Die Röte stieg Rudin ins Gesicht. Die unerwartete Begeisterung Natalias hatte ihn bestürzt[155] gemacht; ihre letzten Worte jedoch waren ein Stachel für seine Eigenliebe.
»Sie sind jetzt gar zu aufgeregt, Natalia,« fing er an, »Sie können nicht verstehen, wie grausam Sie mich beleidigen. Ich hoffe, Sie werden mir mit der Zeit Gerechtigkeit widerfahren lassen; Sie werden begreifen, was es mich gekostet hat, dem Glücke zu entsagen, das, wie Sie selbst sagen, mir keinerlei Verpflichtungen auferlegte. Ihre Ruhe ist mir teurer, als alles auf der Welt, und ich wäre ein Elender, wollte ich zu meinem Vorteile …«
»Vielleicht, vielleicht,« unterbrach ihn Natalia, »vielleicht haben Sie recht, und ich weiß nicht, was ich rede. Bis jetzt jedoch glaubte ich Ihnen, glaubte jedem Ihrer Worte … In Zukunft bitte ich Sie, wägen Sie Ihre Worte ab, sprechen Sie dieselben nicht in den Wind. Als ich Ihnen sagte, daß ich Sie liebe, wußte ich, was dies Wort bedeutet: ich war zu allem bereit … Jetzt bleibt mir nur, Ihnen für die Lektion zu danken und mich zu verabschieden.«
»Halten Sie ein, um Gottes willen, Natalia, ich beschwöre Sie. Ich habe nicht Ihre Verachtung verdient, das schwöre ich Ihnen. Versetzen Sie sich aber auch in meine Lage. Ich muß für Sie wie für mich einstehen. Wenn ich Sie nicht grenzenlos liebte – dann, mein Gott! würde ich Ihnen selbst sogleich den Vorschlag machen, mit mir zu entfliehen … früher oder später würde Ihre Mama es uns doch vergeben … und dann[156] … Doch bevor ich an mein eigenes Glück denken durfte …«
Er hielt inne. Natalias Blick war gerade und fest auf ihn gerichtet … Es ging nicht – er mußte schweigen.
»Sie bestreben sich, mir zu beweisen, daß Sie ein ehrlicher Mann sind, Dmitri Nikolaitsch,« äußerte sie, »ich zweifle nicht daran. Sie sind nicht imstande, aus Berechnung zu handeln; war es denn aber diese Überzeugung, die ich zu gewinnen gewünscht hatte, war ich deshalb hierhergekommen …«
»Ich hatte nicht erwartet, Natalia …«
»Ah! Nun endlich haben Sie es ausgesprochen! Ja, Sie hatten alles dies nicht erwartet – Sie kannten mich nicht. Beruhigen Sie sich … Sie lieben mich nicht, ich aber dränge mich niemandem auf.«
»Ich liebe Sie!« rief Rudin aus.
Natalia richtete sich auf.
»Möglich; wie aber lieben Sie mich? Alle Ihre Worte schweben mir vor, Dmitri Nikolaitsch. Erinnern Sie sich, Sie sagten mir, ohne völlige Gleichheit gäbe es keine Liebe … Sie stehen mir zu hoch, Sie passen für mich nicht … Ich habe diese Strafe verdient. Beschäftigungen warten Ihrer, die Ihrer würdiger sind. Den heutigen Tag werde ich nicht vergessen … Leben Sie wohl …«
»Natalia, Sie wollen fort? Sollen wir denn so scheiden?«
[157]
Er streckte die Hände nach ihr aus. Sie blieb stehen. Seine flehende Stimme schien sie unschlüssig gemacht zu haben.
»Nein,« rief sie endlich, »ich fühle, es ist in mir etwas gebrochen … Ich kam hierher, redete mit Ihnen, wie in Fieberhitze; ich muß meine Sinne zusammennehmen. Es soll nicht sein, Sie selbst sagten, es dürfe nicht sein. Mein Gott, als ich hierherging, nahm ich in Gedanken Abschied von meinem Hause, von meiner ganzen Vergangenheit – und was? Wen traf ich hier? Einen kleinmütigen Mann … Und woher wußten Sie, daß ich nicht imstande wäre, die Trennung von meiner Familie zu ertragen? ›Ihre Mama gibt nicht ihre Einwilligung … das ist schrecklich!‹ Dies war alles, was ich von Ihnen hörte. Sind Sie es, sind Sie es, Rudin? Nein! Leben Sie wohl … Ach! Wenn Sie mich liebten, jetzt, in diesem Augenblicke müßte ich es fühlen … Nein, nein, leben Sie wohl! …«
Sie wandte sich rasch um und lief zu Mascha, die schon seit geraumer Zeit angefangen hatte, unruhig zu werden und ihr Zeichen zu machen.
»Sie haben Angst bekommen, nicht aber ich!« rief Rudin Natalia nach. Sie gab nicht mehr acht auf ihn und eilte über das Feld nach Hause. Glücklich kam sie auf ihrem Zimmer an; kaum aber hatte sie die Schwelle überschritten, so verließen sie ihre Kräfte und bewußtlos sank sie in Maschas Arme.
[158]
Rudin blieb inzwischen noch lange auf dem Damme. Endlich raffte er sich zusammen, schritt langsam dem Fußwege zu und ebenso auf demselben weiter. Er war tief beschämt … und erbittert. So etwas, dachte er, von einem achtzehnjährigen Mädchen! … Nein, ich kannte sie nicht … Ein außergewöhnliches Mädchen. Welch ein starker Wille! … Sie hat recht; sie ist einer anderen Liebe wert als der, die ich für sie fühlte … Fühlte? … fragte er sich selbst. Fühle ich denn keine Liebe mehr? Und mußte alles ein solches Ende nehmen! Wie erbärmlich, wie nichtig war ich im Vergleiche zu ihr!
Das leichte Rollen einer Reitdroschke zwang Rudin, die Augen zu erheben. Ihm entgegen kam, auf seinem bekannten Traber, Leschnew gefahren. Schweigend tauschte Rudin mit ihm einen Gruß, lenkte dann, wie von einem plötzlichen Gedanken getroffen, vom Wege ab und ging rasch in der Richtung zum Hause Darja Michailownas weiter.
Leschnew ließ ihn ein Stück Weges gehen, folgte ihm mit dem Blick, wandte nach kurzem Nachsinnen sein Pferd um – und fuhr zurück zu Wolinzow, bei dem er die Nacht zugebracht hatte. Er fand ihn noch schlafend, ließ ihn nicht wecken, setzte sich in Erwartung des Tees auf den Balkon und zündete sich die Pfeife an.
[159]
Wolinzow verließ gegen zehn Uhr sein Lager und als er hörte, daß Leschnew bei ihm auf dem Balkon sitze, wunderte er sich sehr und ließ ihn zu sich bitten.
»Was ist vorgefallen?« fragte er ihn. »Du wolltest ja nach Hause fahren.«
»Ja, ich wollte, mir ist jedoch Rudin begegnet … Spaziert allein auf dem Felde und das Gesicht so verstört. Ich dachte nicht lange nach und kehrte um.«
»Du bist zurückgekehrt, weil dir Rudin begegnete?«
»Das heißt – die Wahrheit zu sagen – ich weiß selbst nicht, weshalb ich zurückgekommen bin; vermutlich weil du mir in den Sinn kamst: ich empfand das Verlangen, noch etwas bei dir zu sitzen, nach Hause komme ich noch früh genug.«
Wolinzow lächelte bitter.
»Ja, an Rudin kann man jetzt nicht mehr denken, ohne zu gleicher Zeit auch an mich zu denken … He!« rief er dem Diener laut zu, »bringe uns Tee.«
Die Freunde nahmen das Frühstück ein. Leschnew begann von Landwirtschaft zu sprechen, von einer neuen Art, die Scheunen mit Pappe zu decken …
Plötzlich sprang Wolinzow von seinem Sessel auf und schlug so heftig auf den Tisch, daß Tassen und Untertassen erklirrten.
[160]
»Nein!« rief er aus, »ich habe nicht die Kraft, es länger zu ertragen! Ich werde diesen Schöngeist fordern und mag er mich zusammenschießen, oder ich ihm eine Kugel durch seine gelehrte Stirn jagen!«
»Was ficht dich an, ermanne dich!« schalt Leschnew, »wie kann man so schreien! Ich habe dabei mein Pfeifenrohr fallen lassen … Was ist dir?«
»Das ist mir, daß ich diesen Namen nicht gleichgültig anhören kann: alles Blut steigt mir zu Kopfe.«
»Geh doch, Bruder, geh! Schämst du dich denn nicht!« erwiderte Leschnew, die Pfeife vom Boden aufhebend. »Denk nicht mehr daran! – Hol ihn der Teufel!«
»Er hat mich beleidigt,« fuhr Wolinzow fort, indem er im Zimmer umherging … »ja! er hat mich beleidigt. Du mußt es selbst gestehen. Im ersten Augenblick fand ich mich nicht zurecht: er hatte mich stutzig gemacht; und wer konnte es auch erwarten? Ich will ihm aber beweisen, daß ich nicht mit mir spaßen lasse … Ich will ihn, diesen verdammten Philosophen, wie ein Feldhuhn über den Haufen schießen.«
»Ein großer Gewinn für dich! In der Tat! Von deiner Schwester gar nicht zu reden. Eine bekannte Sache, die Leidenschaft behält bei dir die Oberhand … wie solltest du an deine Schwester denken! Aber in betreff einer anderen Person,[161] glaubst du, du werdest besser reüssieren, wenn du den ›Philosophen‹ tötest?«
Wolinzow warf sich in einen Sessel.
»Dann gehe ich fort, wohin es auch sei, nur fort von hier! Der Gram preßt mir hier das Herz ab, so daß ich nirgends Ruhe finde.«
»Du willst fort … das ist eine andere Sache! Damit bin ich ganz einverstanden. Und weißt du, was ich dir vorschlagen will? Wir wollen zusammen nach dem Kaukasus oder auch nach Kleinrußland und uns an Mehlklößen gütlich tun. Ein herrliches Ding das, Bruder!«
»Gut; wer bleibt aber bei der Schwester?«
»Und warum sollte denn Alexandra Pawlowna nicht mit uns reisen? Bei Gott, das wäre herrlich. Ich übernehme es, für sie Sorge zu tragen! Es soll ihr an nichts fehlen; wenn sie es wünscht, werde ich ihr jeden Abend unter ihrem Fenster mit einer Serenade aufwarten; die Fuhrleute will ich mit Kölnischem Wasser einparfümieren, die Wege mit Blumen schmücken. Na, Bruder, und wir beide, wir werden wie neugeboren sein; wir wollen uns dem Genusse rückhaltlos hingeben und solche Wänste mit nach Hause bringen, daß keine Liebe uns mehr etwas wird anhaben können!«
»Du treibst immer Scherz, Mischa!«
»Ich scherze durchaus nicht. Das war ein brillanter Einfall von dir.«
»Nein! Unsinn!« rief Wolinzow wieder, »schlagen, schlagen will ich mich mit ihm! …«
[162]
»Schon wieder, Bruder, bist du denn heute ganz von Sinnen!«
Der Diener trat mit einem Briefe in der Hand herein.
»Von wem?« fragte Leschnew.
»Von Rudin, von Dmitri Nikolajewitsch Rudin. Der Diener aus dem Laßunskischen Hause hat ihn gebracht.«
»Von Rudin?« wiederholte Wolinzow. »An wen?«
»An Sie.«
»An mich … gib her.«
Wolinzow ergriff den Brief, erbrach ihn hastig und las. Leschnew beobachtete ihn aufmerksam: ein eigentümliches, fast freudiges Erstaunen war auf Wolinzows Gesicht zu bemerken; er ließ die Arme sinken.
»Was gibt’s?« fragte Leschnew.
»Lies!« sagte Wolinzow halblaut und reichte ihm den Brief.
Leschnew begann wie folgt zu lesen:
»Mein Herr Sergei Pawlowitsch!
Ich verlasse heute Darja Michailownas Haus, verlasse es für immer. Es wird Sie das befremden, zumal nach dem gestrigen Vorfalle. Ich kann Ihnen nicht auseinandersetzen, was mich zwingt, so zu verfahren; mich dünkt aber, ich müsse Sie von meiner Abreise benachrichtigen. Sie lieben mich nicht und halten mich sogar für einen schlechten Menschen. Ich beabsichtige nicht, mich[163] zu rechtfertigen: die Zeit wird es tun. Meiner Ansicht nach ist es eines Mannes nicht würdig und zudem unnütz, einem von vorgefaßten Meinungen befangenen Menschen das Unbegründete seiner Vorurteile vorzuhalten. Wer mich verstehen will, wird mich entschuldigen, wer mich nicht verstehen will oder kann – dessen Beschuldigungen berühren mich nicht. Ich habe mich in Ihnen getäuscht. In meinen Augen werden Sie wie vorher als edler und ehrenhafter Mann dastehen; ich hatte aber gedacht, Sie würden es vermögen, sich über den Kreis, in welchem Sie auferzogen worden sind, zu erheben … Ich habe mich getäuscht. Was liegt daran! Es ist nicht das erste und wohl auch nicht das letztemal, daß mir dies passiert. Ich wiederhole Ihnen: ich reise ab. Ich wünsche Ihnen alles mögliche Glück. Sie werden gestehen, daß dies ein durchaus uneigennütziger Wunsch ist, und ich gebe mich der Hoffnung hin, Sie werden jetzt glücklich werden. Vielleicht werden Sie mit der Zeit Ihre Meinung über mich ändern. Ob wir einander noch einmal wiedersehen, weiß ich nicht, ich bleibe aber dennoch der Sie aufrichtig achtende
D. R.
P. S. Die zweihundert Rubel, welche ich Ihnen schulde, werde ich Ihnen zustellen, sobald ich auf meinem Gute, im T…schen Gouvernement, angekommen sein werde. Ich bitte noch, in Darja Michailownas Beisein von diesem Briefe nicht zu reden.
[164]
P. S. Noch eine letzte, doch wichtige Bitte: da ich unverzüglich abreise, hoffe ich, werden Sie gegen Natalia Alexejewna nicht meines Besuches bei Ihnen Erwähnung tun …«
»Nun, was sagst du dazu?« fragte Wolinzow, als Leschnew den Brief beendigt hatte.
»Was läßt sich dazu sagen!« erwiderte Leschnew. »Alles, was man tun kann, ist, wie die Morgenländer: Allah! Allah! ausrufen und den Finger als Zeichen der Verwunderung in den Mund stecken. – Er reist ab … Nun! Möge der Weg vor ihm eben sein! Interessant ist’s aber, daß er diesen Brief zu schreiben für Pflicht gehalten hat, ebenso wie er auch aus Pflicht getrieben wurde, dir einen Besuch zu machen … Bei diesem Herrn dreht sich’s immer um den Pflicht- und Schuldbegriff,« setzte Leschnew, mit einem Lächeln auf das Postskriptum deutend, hinzu.
»Und was für Phrasen er da macht!« rief Wolinzow. »Hat sich in mir getäuscht: er hätte erwartet, ich werde mich über einen gewissen Kreis erheben … Himmel! Ist das ein Gewäsch! Noch ärger als Gedichte!«
Leschnew erwiderte nichts; nur in den Augen ward ein Lächeln bemerkbar. Wolinzow erhob sich.
»Ich will zu Darja Michailowna fahren,« sagte er, »ich will hören, was dies alles bedeutet …«
»Warte, Bruder: gib ihm Zeit, sich davonzumachen.[165] Warum wolltest du wieder mit ihm zusammentreffen? Er verschwindet ja – was willst du mehr? Besser, du legst dich hin und schläfst aus; du hattest dich ohnehin gewiß die ganze Nacht von einer Seite auf die andere gewälzt! Jetzt wird es ja besser mit deinen Angelegenheiten …«
»Woraus schließt du das?«
»Nun, mir kommt es so vor. Lege dich aber hin und schlafe ein wenig, ich will unterdessen zu deiner Schwester – und ihr Gesellschaft leisten.«
»Ich will ja nicht schlafen. Weshalb sollte ich schlafen! … Ich will lieber die Felder besichtigen,« sagte Wolinzow, die Schöße seines Mantels zurecht zupfend.
»Auch das! Reite hin, Bruder, reite hin, besichtige die Felder …«
Und Leschnew begab sich in die andere Hälfte des Hauses zu Alexandra Pawlowna. Er traf sie in ihrem Gastzimmer. Sie bewillkommnete ihn freundlich. Sie war wie immer über seinen Besuch erfreut, doch behielt ihr Gesicht einen betrübten Ausdruck. Der gestrige Besuch Rudins beunruhigte sie.
»Sie kommen vom Bruder?« fragte sie Leschnew, »wie ist er heute?«
»Es macht sich, er ist auf die Felder geritten.«
Alexandra Pawlowna schwieg.
»Sagen Sie mir,« begann sie, den Rand ihres[166] Schnupftuches mit Aufmerksamkeit betrachtend, »Sie wissen nicht, warum …«
»Rudin gekommen ist?« setzte Leschnew hinzu. »Ich weiß es: er kam, um Abschied zu nehmen.«
Alexandra Pawlowna erhob den Kopf.
»Wie – um Abschied zu nehmen?«
»Jawohl. Haben Sie denn nicht gehört? Er verläßt Darja Michailowna.«
»Verläßt sie?«
»Für immer; so sagt er wenigstens.«
»Aber wie kann das sein, wie ist das zu verstehen, nach allem, was …«
»Ja, das ist eine andere Sache! Verstehen läßt sich’s nicht, es ist aber so. Es muß dort etwas vorgefallen sein. Er hat wohl die Sehne zu stark gespannt, und sie ist – gerissen.«
»Michael Michailitsch!« sagte Alexandra Pawlowna, »ich verstehe nichts; Sie wollen, dünkt mich, Spaß mit mir treiben …«
»Nein! Bei Gott nicht … Ich sage Ihnen, er reist fort und teilt dies seinen Bekannten sogar brieflich mit. Von einem gewissen Gesichtspunkte aus betrachtet, ist das, wenn Sie wollen, nicht übel; seine Abreise verhindert indessen die Ausführung eines der merkwürdigsten Unternehmen, welches Ihr Bruder und ich soeben erst zu besprechen begonnen hatten.«
»Was ist das für ein Unternehmen?«
»Sie sollen es hören. Ich machte Ihrem Bruder den Vorschlag, zur Zerstreuung auf Reisen[167] zu gehen und Sie zu entführen. Ich übernahm es, speziell für Sie Sorge zu tragen …«
»Wie ist das schön!« rief Alexandra Pawlowna, »ich kann mir denken, auf welche Weise Sie für mich Sorge tragen würden. Sie ließen mich vermutlich Hungers sterben.«
»Das sagen Sie, Alexandra Pawlowna, weil Sie mich nicht kennen. Sie glauben, ich sei ein Klotz, ein wahrer Klotz, ein Holzblock! Wissen Sie aber, daß ich imstande bin, zu schmelzen wie Zucker und tagelang auf den Knien zu liegen?«
»Das möchte ich wahrhaftig sehen!«
Leschnew erhob sich plötzlich. »Nun, nehmen Sie mich zum Manne, Alexandra Pawlowna, dann werden Sie es erleben.«
Alexandra Pawlowna wurde bis über die Ohren rot.
»Was haben Sie da gesagt, Michael Michailitsch?« brachte sie verwirrt hervor.
»Gesagt habe ich,« erwiderte Leschnew, »was mir schon längst und tausendmal auf der Zunge geschwebt hat. Ich habe es nun ausgesprochen und Sie können nach Gutdünken verfahren. Um Ihnen jedoch nicht störend zu sein, will ich mich jetzt entfernen. Ja, ich entferne mich … Wenn Sie meine Frau werden wollen … Wenn es Ihnen nicht zuwider ist, lassen Sie mich nur rufen; ich werde es schon verstehen …«
Alexandra Pawlowna wollte Leschnew zurückhalten, er ging aber rasch hinaus und begab[168] sich ohne Mütze in den Garten und starrte, auf die Gartentür gestützt, ins Weite hinaus.
»Michael Michailitsch!« ließ sich hinter ihm die Stimme des Kammermädchens hören, »die gnädige Frau läßt Sie zu sich bitten.«
Michael Michailitsch wandte sich um, faßte das Mädchen zu seinem großen Erstaunen beim Kopfe, küßte es auf die Stirn und begab sich zu Alexandra Pawlowna.
Als Rudin, kurz nach seinem Zusammentreffen mit Leschnew, nach Hause zurückgekehrt war, hatte er sich auf seinem Zimmer eingeschlossen und zwei Briefe geschrieben: einen an Wolinzow, den der Leser bereits kennt, und einen an Natalia. An diesem zweiten Briefe hatte er lange gearbeitet, vieles in demselben gestrichen und umgeändert, und nachdem er ihn säuberlich auf einen Bogen feines Postpapier ins reine geschrieben und ihn dann so klein als möglich zusammengelegt hatte, steckte er ihn in die Tasche. Mit gramerfülltem Gesichte ging er einige Male im Zimmer auf und ab, setzte sich in einen Lehnstuhl ans Fenster und stützte sich auf den Arm; eine Träne zitterte auf seinen Wimpern … Plötzlich, als raffte er sich zu einem letzten Entschlusse zusammen, erhob er sich, knöpfte seinen Rock bis an den Hals zu, rief den Diener und[169] hieß ihn bei Darja Michailowna nachfragen, ob sie für ihn sichtbar sei.
Der Diener kehrte bald zurück und meldete, Darja Michailowna erwarte ihn.
Rudin begab sich zu ihr.
Sie empfing ihn in ihrem Kabinett wie das erstemal, zwei Monate vorher. Jetzt aber war sie nicht allein: Pandalewski, bescheiden, frisch, sauber und salbungsvoll wie immer, saß bei ihr.
Darja Michailowna begegnete Rudin freundlich, und dieser begrüßte sie mit anscheinender Ungezwungenheit; beim ersten Blick auf die lächelnden Gesichter beider wäre jeder einigermaßen weltkundige Mensch jedoch leicht gewahr geworden, daß zwischen ihnen etwas Unangenehmes vorgefallen, wenn auch nicht verhandelt worden sei. Rudin wußte, daß Darja Michailowna böse auf ihn war, und diese ahnte, daß er bereits von ihrem Vorhaben unterrichtet sei.
Pandalewskis Bericht hatte sie sehr aufgeregt. Der Standeshochmut hatte sich in ihr geregt. Rudin, der unbegüterte, ranglose und bis jetzt noch unbekannte Mensch, hatte sich erfrecht, ihrer Tochter – der Tochter Darja Michailowna Laßunskis – ein Stelldichein zu geben!!
»Nehmen wir an, er sei klug, ein Genie!« sagte sie, »was folgt denn daraus? Es könnte demnach ein jeder darauf hoffen, mein Schwiegersohn zu werden?«
»Lange wollte ich meinen Augen nicht trauen,« hatte Pandalewski eingewandt. »Wie es möglich[170] ist, seinen Platz in der Welt nicht zu kennen, das wundert mich!«
Darja Michailowna war sehr aufgebracht und Natalia hatte darunter zu leiden.
Sie bat Rudin Platz zu nehmen. Er tat es, aber nicht mehr wie der Rudin von ehemals, der fast Herr im Hause geschienen hatte, selbst nicht wie ein guter Bekannter, sondern wie ein Gast und nicht sehr befreundeter Gast. Alles dies war das Werk eines Augenblicks … So verwandelt sich Wasser plötzlich in festes Eis.
»Ich komme, Darja Michailowna,« begann Rudin, »Ihnen für Ihre Gastfreundschaft Dank zu sagen. Ich habe soeben wichtige Nachrichten von meinem Gütchen bekommen und muß heute noch dahin abreisen.«
Darja Michailowna blickte Rudin scharf an.
Er ist mir zuvorgekommen, gewiß hat er Verdacht, dachte sie. Er überhebt mich der lästigen Erklärungen, um so besser. Es leben die klugen Köpfe!
»Wirklich?« sagte sie laut. »Ach, wie das unangenehm ist! Was ist da zu machen! Ich hoffe, Sie diesen Winter in Moskau zu sehen. Wir reisen auch bald von hier fort.«
»Ich weiß nicht, Darja Michailowna, ob es mir möglich sein wird, nach Moskau zu kommen; sobald ich aber das Nötige dazu werde gefunden haben, werde ich es für meine Pflicht erachten, Ihnen meine Aufwartung zu machen.«
Oho, mein Bester! dachte Pandalewski jetzt[171] bei sich: vor kurzem noch hast du hier als Sultan geschaltet und gewaltet und drückst dich jetzt in diesem Tone aus?
»Sie haben also unbefriedigende Nachrichten von Ihrem Gute erhalten?« fragte er mit gewohnter Ziererei.
»Ja,« erwiderte Rudin trocken.
»Mißernte vielleicht?«
»Nein … etwas anderes … Glauben Sie mir, Darja Michailowna,« fuhr Rudin fort, »ich werde die Zeit nie vergessen, die ich in Ihrem Hause verbracht habe.«
»Ich meinerseits, Dmitri Nikolaitsch, werde mich immer mit Vergnügen unserer Bekanntschaft erinnern … Wann reisen Sie?«
»Heute nach Tische.«
»So bald! … Nun, ich wünsche Ihnen eine glückliche Reise! Übrigens, wenn Ihre Geschäfte Sie nicht gar zu lange zurückhalten, könnten Sie uns vielleicht hier noch treffen.«
»Das wird schwerlich angehen,« erwiderte Rudin, sich erhebend. »Entschuldigen Sie mich,« setzte er hinzu, »ich kann nicht sogleich meine Schuld abtragen, sobald ich aber auf meinem Gute …«
»Lassen Sie doch das, Dmitri Nikolaitsch!« unterbrach ihn Darja Michailowna, »wie können Sie davon reden! … Doch wieviel ist’s an der Zeit?« fragte sie.
Pandalewski langte aus seiner Westentasche eine kleine, goldene, emaillierte Uhr hervor und[172] die rosige Wange bedachtsam an den weißen, steifen Hemdkragen schmiegend, beäugelte er das Zifferblatt.
»Zwei Uhr dreiunddreißig Minuten,« sagte er.
»Es ist Zeit, daß ich Toilette mache,« warf Darja Michailowna hin. »Auf Wiedersehen, Dmitri Nikolaitsch!«
Rudin erhob sich. Die ganze Unterhaltung mit Darja Michailowna trug ein eigenes Gepräge. So repetieren Schauspieler ihre Rollen, so tauschen miteinander auf Konferenzen Diplomaten ihre zum voraus verabredeten Phrasen …
Rudin ging hinaus. Er hatte jetzt an sich die Erfahrung gemacht, wie Leute von Welt einen Menschen, den sie nicht mehr brauchen, beiseite werfen, oder nicht einmal das, sondern ihn ganz einfach fallen lassen: wie einen Handschuh nach dem Balle, ein Bonbonpapier, oder ein Billett der Tombola, das nichts gewonnen hat.
Rasch packte er seine Sachen ein und wartete mit Ungeduld auf die Stunde der Abreise. Alle im Hause waren sehr erstaunt, als sie seinen Entschluß erfuhren; selbst das Dienerpersonal blickte ihn befremdet an. Bassistow verhehlte nicht seinen Kummer. Augenfällig war’s, daß Natalia Rudin vermied. Sie bemühte sich sogar, seinen Blicken nicht zu begegnen; es gelang ihm aber dennoch, ihr seinen Brief zuzustecken. An der Tafel äußerte Darja Michailowna nochmals, sie hoffe, Rudin noch vor ihrer Abreise nach Moskau zu sehen, er erwiderte jedoch nichts darauf.[173] Häufiger als die übrigen richtete Pandalewski an ihn das Wort, und mehr als einmal spürte Rudin das Verlangen, über ihn herzufallen und sein blühendes, rosiges Gesicht zu ohrfeigen. Mit eigentümlich verschmitztem Ausdruck in den Augen warf Mlle. Boncourt häufige Blicke auf Rudin: solch einen Ausdruck kann man an sehr klugen Hühnerhunden bisweilen bemerken … Ha, ha, schien sie sagen zu wollen, so also behandelt man dich jetzt!
Endlich schlug es sechs Uhr und Rudins Tarantaß fuhr vor. Er nahm eilig von allen Abschied. Es war ihm sehr unbehaglich zumute. Er hatte nicht erwartet, daß er so aus diesem Hause scheiden werde: es hatte den Anschein, als triebe man ihn davon … Wie ist das alles gekommen? und warum brauchte ich so zu eilen? Doch das Ende bleibt dasselbe, – das war es, was ihm durch den Kopf ging, als er mit erzwungenem Lächeln nach allen Seiten hin grüßte. Zum letzten Male warf er einen Blick auf Natalia, und es regte sich in ihm das Herz: ihre Augen waren auf ihn gerichtet und gaben ihm ein trauriges, vorwurfsvolles Geleit.
Rasch lief er die Treppe hinunter und sprang in den Tarantaß. Bassistow hatte sich erboten, ihn bis zur ersten Station zu begleiten und setzte sich zu ihm.
»Erinnern Sie sich,« begann Rudin, nachdem der Wagen aus dem Hofe auf die breite, mit Tannen besetzte Straße gerollt war, »erinnern[174] Sie sich, was Don Quijote zu seinem Knappen sagt, als sie das Schloß der Herzogin verließen? ›Freiheit,‹ sagte er, ›Freund Sancho, ist eins der kostbarsten Güter der Menschen, und glücklich ist, wem der Himmel sein tägliches Brot beschert hat und wer anderen dafür nicht verpflichtet zu sein braucht!‹ Was Don Quijote damals empfand, empfinde ich jetzt … Gebe Gott, mein guter Bassistow, daß Sie niemals in die Lage kommen, dies zu empfinden!«
Bassistow drückte Rudin kräftig die Hand und das Herz des ehrlichen Jünglings klopfte heftig in seiner gerührten Brust. Bis zu der Station sprach Rudin von der Würde des Menschen, von der Bedeutung der wahren Freiheit – seine Worte waren warm, edel und aufrichtig – und als es zum Scheiden gekommen war, hielt es Bassistow nicht mehr aus, warf sich ihm um den Hals und brach in Schluchzen aus. Auch Rudin ließ einige Tränen fallen; doch weinte er nicht darüber, daß er von Bassistow schied, es waren Tränen der Eigenliebe, die er vergoß.
Natalia begab sich auf ihr Zimmer und las Rudins Brief.
»Verehrte Natalia Alexejewna« – schrieb er – »ich habe mich entschlossen, abzureisen. Ein anderer Ausweg bleibt mir nicht. Ich habe mich entschlossen, abzureisen, bevor man mir unumwunden[175] sagt, daß ich mich entfernen möge. Mit meinem Scheiden hören alle Mißverständnisse auf; bedauern wird mich schwerlich jemand. Wozu also noch zögern? … Dies alles ist richtig, werden Sie denken, warum aber schreibe ich an Sie?
»Ich scheide von Ihnen, vermutlich für immer, und es wäre gar zu hart, müßte ich annehmen, daß ich einen schlechteren Ruf, als ich verdiene, hinterlasse. Darum schreibe ich Ihnen jetzt. Ich will weder mich rechtfertigen, noch irgend jemand beschuldigen, außer mich selbst: ich will, so gut es geht, mich erklären … Die Ereignisse der letzten Tage sind so unerwartet, so plötzlich hereingebrochen …
»Die heutige Zusammenkunft wird mir als Lehre dienen. Ja, Sie haben recht: ich kannte Sie nicht, glaubte aber, Sie zu kennen! Auf meiner Lebensbahn habe ich mit Menschen jeder Gattung zu schaffen gehabt, bin mit vielen Frauen und Mädchen in Berührung gekommen; doch als Sie mir begegneten, fand ich zum ersten Male eine vollkommen reine und gerade Seele. Das war mir neu, und ich verstand nicht, Sie zu würdigen. Ich fühlte mich gleich am ersten Tage unserer Bekanntschaft zu Ihnen hingezogen – Sie müssen es bemerkt haben. – Viele Stunden verbrachte ich mit Ihnen und habe Sie nicht kennengelernt; ja, ich gab mir nicht einmal Mühe, Sie kennenzulernen … und ich habe mir einbilden können, ich empfinde Liebe[176] zu Ihnen!! Für diesen Frevel erdulde ich jetzt die Strafe.
»Ich liebte vormals ein Weib und wurde wiedergeliebt … Das Gefühl, das ich für sie empfand, war ein gemischtes, und so war auch das ihrige; sie war aber kein Naturkind und so paßte denn eines zum anderen. Die Wahrhaftigkeit zeigte sich mir damals nicht: ich habe sie auch jetzt nicht erkannt, als sie vor mir stand … Zuletzt erst erkannte ich sie, doch zu spät … Was vergangen, kehrt nicht wieder … Unser Leben hätte sich in eins verschmelzen können – und wird es nun nimmer. Wie beweise ich Ihnen, daß ich Sie mit wahrer Liebe – mit der Liebe des Herzens und nicht der Einbildung hätte lieben können, wenn ich selbst nicht weiß, ob ich einer solchen Liebe fähig bin!
»Die Natur hat mir viel gegeben – ich weiß es und will nicht aus falsch verstandener Scham bescheiden vor Ihnen tun, vollends jetzt nicht, in dieser für mich so bitteren, so schmachvollen Stunde … Ja, viel gab mir die Natur; und ich werde sterben, ohne etwas getan zu haben, was meiner Fähigkeiten würdig gewesen wäre, ohne von mir die geringste heilsame Spur zu hinterlassen. Mein ganzer Schatz wird nutzlos verschwinden: ich werde die Frucht meiner Aussaat nicht ernten. Es gebricht mir … ich selbst weiß nicht zu sagen, woran es mir namentlich gebricht … Es gebricht mir vermutlich an dem, ohne welches weder die Herzen der Menschen[177] sich bewegen, noch ein weibliches Herz sich erobern läßt; die Herrschaft aber über die Geister allein ist eben so unsicher als nutzlos. Sonderbar, fast komisch ist mein Geschick: ich gebe mich ganz, mit wahrer Gier, vollständig hin – und kann mich doch nicht hingeben. Das Ende wird sein, daß ich mich für irgendein Nichts, dem ich nicht einmal glaube, opfern werde … Mein Gott! fünfunddreißig Jahre alt und immer noch sich zur Tat zu rüsten!
»Ich habe mich noch gegen niemand so ausgesprochen, wie jetzt – dies ist meine Beichte.
»Doch genug von mir. Mich verlangt, von Ihnen zu sprechen, Ihnen einige Ratschläge zu erteilen: zu nichts anderem tauge ich … Sie sind noch jung; doch wie lange Sie auch leben mögen, folgen Sie stets den Eingebungen ihres Herzens, lassen Sie sich weder von Ihrem eigenen, noch von fremdem Verstande beherrschen. Glauben Sie mir, je einfacher, beschränkter der Kreis ist, in welchem das Leben sich abspinnt, desto besser ist es; es kommt nicht darauf an, neue Seiten in demselben zu entdecken, wohl aber, daß jeder Übergang in ihm zur rechten Zeit stattfinde. ›Glücklich, wer von Jugend auf jung gewesen‹[5] … Ich bemerke jedoch, daß diese Ratschläge weit mehr mich als Sie betreffen.
»Ich gestehe Ihnen, Natalia Alexejewna, mir ist sehr schwer ums Herz. Ich habe mich niemals[178] in der Natur jenes Gefühls, das ich Darja Michailowna eingeflößt hatte, täuschen können; ich lebe jedoch der Hoffnung, einen, wenn auch nur temporären Hafen gefunden zu haben … Jetzt muß ich wieder durch die weite Welt irren. Was ersetzt mir Ihre Unterhaltung, Ihre Gegenwart, Ihren aufmerkenden und klugen Blick? … Ich bin selbst daran schuld; Sie werden aber zugeben, daß uns das Schicksal wie vorsätzlich hart mitgespielt hat. Vor einer Woche ahnte mir kaum, daß ich Sie liebte. Vorgestern abend im Garten vernahm ich zum ersten Male aus Ihrem Munde … doch wozu sollte ich Ihnen ins Gedächtnis rufen, was Sie an dem Abend sagten – und schon heute reise ich ab, reise schmachbedeckt fort, nach der herben Unterredung mit Ihnen und trage keine Hoffnung mit mir davon … Und noch wissen Sie nicht, in welchem Grade ich Ihnen gegenüber schuldbeladen bin … Ich bin nun einmal so tölpelhaft offenherzig und geschwätzig … Doch wozu davon reden! Ich reise ab für immer.« (Hier hatte Rudin Natalia von seinem Besuche bei Wolinzow zu erzählen angefangen, diese ganze Stelle jedoch nach einigem Überlegen gestrichen und sodann in dem Briefe von Wolinzow das zweite Postskriptum hinzugefügt.)
»Ich bleibe einsam auf der Welt, um, wie Sie heute früh mit grausamem Lächeln zu mir sagten, mich anderen, mehr für mich geeigneten Beschäftigungen zu widmen. O weh! wäre ich[179] doch imstande, mich in der Tat diesen Beschäftigungen zu widmen, endlich einmal meine Lässigkeit zu überwinden … Doch nein! Ich werde dasselbe unvollendete Wesen, das ich bisher gewesen bin, bleiben … Beim ersten Hindernis – falle ich auseinander; der Vorfall mit Ihnen hat es mir bewiesen. Hätte ich mindestens doch meine Liebe einer künftigen Wirksamkeit nach eigenem Berufe zum Opfer gebracht; es war aber nur die Verantwortlichkeit, die ich auf mich nehmen sollte, über die ich erschrak, und darum bin ich wirklich Ihrer nicht würdig. Ich bin es nicht wert, daß Sie sich für mich aus Ihrer Sphäre losreißen … Übrigens, wer weiß, wozu alles gut gewesen … Aus dieser Prüfung werde ich vielleicht reiner und kräftiger hervorgehen.
»Ich wünsche Ihnen alles Glück. Leben Sie wohl! Erinnern Sie sich zuweilen meiner. Ich hoffe, Sie sollen noch von mir hören.
Rudin.«
Natalia ließ den Brief Rudins auf ihre Knie fallen und blieb lange unbeweglich mit auf den Boden gesenktem Blicke sitzen. Dieser Brief bewies ihr klarer als irgendwelche Gründe es vermocht hätten, wie recht sie gehabt hatte, als sie an diesem Morgen beim Abschiede von Rudin unwillkürlich ausgerufen hatte, daß er sie nicht liebe! Doch fühlte sie sich dadurch nicht erleichtert. Regungslos saß sie da; es däuchte ihr, dunkle Wogen wären geräuschlos über ihr zusammengeschlagen und sie versänke in den Abgrund, stumm[180] und erstarrt. Eine erste Enttäuschung preßt jedem das Herz ab; fast unerträglich aber ist dieselbe für eine offene Seele, die keine Selbsttäuschung sucht, und welcher Leichtfertigkeit und Übertreibung fremd sind. Natalia gedachte ihrer Kinderzeit, wie sie abends, wenn sie spazierenging, jedesmal bemüht gewesen war, dem erleuchteten Rande des Himmels, dorthin, wo das Abendrot glühte, und nicht der dunklen Seite desselben entgegenzuwandeln. Dunkel stand jetzt das Leben vor ihr, und sie hatte dem Lichte den Rücken gekehrt …
Tränen traten ins Natalias Augen. Tränen sind nicht jedesmal wohltuend. Erquickend und heilbringend sind sie, wenn sie, lange in der Brust verhalten, endlich hervorbrechen – anfangs mit Anstrengung, dann immer leichter, immer ruhiger; die stumme Angst des Grames löst sich in ihnen auf … Es gibt jedoch kalte, spärlich rinnende Tränen: tropfenweise entpreßt sie dem Herzen mit seinem schweren und steten Druck das auf demselben lastende Leid; erquickungslos sind sie und bringen keine Erleichterung. Solche Tränen weint die Not, und wer sie nicht vergoß, war noch nicht unglücklich. Natalia lernte sie heute kennen.
Zwei Stunden vergingen. Natalia faßte ein Herz, stand auf, trocknete die Augen, zündete ein Licht an, verbrannte an der Flamme desselben Rudins Brief bis auf das letzte Stück und warf die Asche zum Fenster hinaus. Dann schlug sie[181] aufs Geratewohl Puschkin auf und las die ersten Zeilen, die ihr in die Augen fielen (sie pflegte sich häufig auf diese Weise aus ihm wahrsagen zu lassen). Auf folgende Stelle fiel ihr Blick:
Sie blieb eine Zeitlang stehen, warf mit kaltem Lächeln einen Blick auf ihre Gestalt im Spiegel, machte mit dem Kopfe eine leichte Bewegung von oben nach unten und begab sich ins Gastzimmer hinab.
Kaum hatte Darja Michailowna Natalia erblickt, so führte sie dieselbe in ihr Kabinett, hieß sie neben sich Platz nehmen, streichelte ihr freundlich die Wange und blickte ihr dabei aufmerksam, fast neugierig in die Augen. In Darja Michailowna waren geheime Mutmaßungen aufgestiegen: es kam ihr zum ersten Male der Gedanke – daß sie in der Tat ihre Tochter nicht kenne. Als sie durch Pandalewski von der Zusammenkunft mit Rudin hörte, war sie weniger entrüstet als erstaunt gewesen, daß ihre verständige Natalia sich zu einem solchen Schritte hatte entschließen können. Als sie sie aber zu sich rief und sie zu schelten begann, nicht etwa im Tone einer feinen Weltdame, sondern ziemlich schreiend und unmanierlich, da machten die festen Antworten Natalias, ihre Entschlossenheit in Blick und Haltung[182] Darja Michailowna verwirrt, ja erschreckten sie sogar.
Die unerwartete, gleichfalls nicht ganz erklärliche Abreise Rudins nahm eine Zentnerlast von ihrem Herzen; doch war sie auf Tränen, hysterische Anfälle gefaßt … Und abermals machte Natalias äußerliche Ruhe sie irre.
»Nun, mein Kind,« nahm Darja Michailowna das Wort, »wie geht es heute?«
Natalia blickte ihre Mutter an.
»Er ist ja fort … jener Herr. Weißt du nicht, weshalb er sich so schnell davongemacht hat?«
»Mama!« sagte Natalia mit leiser Stimme, »ich gebe Ihnen mein Wort, wenn Sie nicht selbst seiner Erwähnung tun, sollen Sie von mir nie etwas über ihn hören.«
»Du siehst also dein Unrecht gegen mich ein?«
Natalia senkte den Kopf und wiederholte:
»Sie werden von mir nie etwas über ihn hören …«
»Nun nimm dich in acht!« erwiderte Darja Michailowna lächelnd. »Ich glaube dir. Vorgestern aber, erinnerst du dich, wie … Nun, nichts mehr davon. Er sei beendigt, abgetan und vergessen. Nicht wahr? Jetzt erkenne ich dich wieder; ich war aber wirklich ganz irre geworden. Nun, gib mir doch einen Kuß, mein liebes, kluges Kind …«
Natalia führte Darja Michailownas Hand[183] an ihre Lippen und diese drückte einen Kuß auf den niedergebeugten Kopf ihrer Tochter.
»Beachte immer meine Ratschläge, vergiß nicht, daß du eine Laßunski und meine Tochter bist,« setzte sie hinzu, »und du wirst glücklich sein. Jetzt aber geh.«
Natalia ging schweigend hinaus. Darja Michailowna sah ihr nach und dachte: so war ich – die wird sich auch fortreißen lassen: mais elle aura moins d’abandon. Und Darja Michailowna versank in Erinnerungen an Vergangenes … längst Vergangenes …
Dann ließ sie Mlle. Boncourt rufen und blieb lange unter vier Augen mit ihr eingeschlossen. Nachdem diese entlassen worden war, rief sie Pandalewski zu sich. Sie wollte durchaus den wirklichen Grund der Abreise Rudins erfahren … Pandalewski beruhigte sie indessen vollkommen. So etwas schlug in sein Fach.
Am folgenden Tage kam Wolinzow mit seiner Schwester zu Mittag. Darja Michailowna war immer sehr liebenswürdig gegen beide, diesmal jedoch empfing sie diese Gäste mit ausnehmender Freundlichkeit. Natalia war unerträglich schwer zumute; Wolinzow dagegen war so ehrerbietig gegen sie, so schüchtern, wenn er das Wort an sie richtete, daß sie im Herzen nicht anders konnte, als ihm Dank dafür zu wissen.
[184]
Der Tag verging ruhig, ziemlich einförmig, doch als man sich trennte, fühlte jeder sich wieder ins frühere Geleise gebracht; und das will viel, sehr viel sagen. Jawohl, alle waren in das frühere Geleise gekommen … alle, ausgenommen Natalia. Als sie allein war, schleppte sie sich mit Mühe bis an ihr Bett und sank müde, wie gebrochen mit dem Gesicht auf das Kissen. Das Leben dünkte ihr so herbe, so schal, es widerte sie so sehr an, sie empfand eine solche Scham vor sich selbst, vor ihrer Liebe, ihrem Gram, daß sie gewiß in diesem Augenblicke zu sterben bereit gewesen wäre … Noch viele schwere Tage standen ihr bevor, viele schlaflose Nächte, martervolle Aufregungen; sie war aber jung – das Leben hatte für sie eben erst begonnen, das Leben aber schafft sich, früh oder spät, sein Recht. Was für ein Schlag den Menschen treffen mag, es wird ihm doch, wenn auch nicht an demselben Tage, so vermutlich am folgenden – entschuldigen Sie den trivialen Ausdruck – nach Essen verlangen, und da haben wir schon eine erste Tröstung …
Natalias Leiden waren qualvoll; sie litt zum ersten Male … Doch die ersten Leiden, wie auch die erste Liebe wiederholen sich nicht, – und Gott sei es gedankt!
[185]
Zwei Jahre etwa waren verflossen. Es war in den ersten Tagen des Mai. Auf dem Balkon ihres Hauses saß Alexandra Pawlowna, jetzt nicht mehr Lipin, sondern Leschnew; ungefähr vor einem Jahre hatte sie Michael Michailitsch geheiratet. Sie war lieblich wie ehemals, nur in der letzten Zeit etwas stärker geworden. Vor dem Balkon, von welchem aus Stufen in den Garten führten, ging eine Amme umher mit einem rotbäckigen Kinde in weißem Mäntelchen und weißem Besatz auf dem Hütchen. Alexandra Pawlowna verwandte die Augen nicht von dem Kinde. Es schrie nicht, saugte mit wichtiger Miene an seinem Finger und schaute ruhig um sich herum. Es zeigte sich bereits als würdiger Sohn Michael Michailitschs.
Neben Alexandra Pawlowna saß auf dem Balkone unser alter Bekannter Pigassow. Er war seit wir ihn aus dem Gesicht verloren haben, merklich ergraut, gebeugt, magerer geworden und zischte beim Sprechen: ein Vorderzahn war ihm ausgefallen; das Zischen verlieh seiner Rede noch mehr Bissigkeit … Seine Gehässigkeit hatte sich mit den Jahren nicht vermindert, doch waren seine Witze stumpf geworden, und er verfiel häufiger in Wiederholungen. Michael Michailitsch war nicht zu Hause, man erwartete ihn zum Tee. Die Sonne war bereits untergegangen. Ein langer, blaß-goldener, zitronengelber Streif zog sich[186] am Abendhimmel hin, während an dem entgegengesetzten Himmelsrande zwei solcher Streifen sichtbar waren: einer, der untere, blau, der andere, obere, rötlich-veilchenblau. In der Höhe verschwammen leichte Wölkchen. Alles versprach anhaltend gutes Wetter.
Plötzlich lachte Pigassow auf.
»Was macht Sie lachen, Afrikan Semenitsch?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Nichts, mir fiel ein … Gestern hörte ich, wie ein Bauer zu seiner Frau, die gerade etwas redselig geworden war, sagte: knarre nicht! … Mir hat der Ausdruck sehr gefallen. Knarre nicht! Und in der Tat, worüber können die Weiber denn reden? Sie wissen, ich habe die Anwesenden niemals im Sinne. Unsere Voreltern waren klüger als wir. In ihren Legenden sitzt die Schöne am Fenster, mit einem Stern auf der Stirn und dabei ist sie stumm wie ein Fisch. So muß es auch sein. Und urteilen Sie selbst: da sagt zu mir vorgestern unsere Frau Adelsmarschallin – wie ein Pistolenschuß schoß sie mir’s vor den Kopf –, sagt die mir, ihr gefalle nicht meine Tendenz! Tendenz! Nun, frage ich sie, wäre es nicht besser gewesen für sie, wie für alle, wenn sie, kraft irgendwelcher wohltuenden Verfügung der Natur, plötzlich des Gebrauches der Sprache beraubt worden wäre?«
»Sie bleiben sich immer gleich, Afrikan Semenitsch, Sie ziehen immer gegen uns wehrlose[187] … Wissen Sie, das ist auch ein Unglück in seiner Art, gewiß. Sie tun mir leid.«
»Unglück? Wie können Sie das sagen! Erstens gibt es meiner Ansicht nach überhaupt nur dreierlei Unglück auf der Welt: im Winter in kalter Wohnung zu wohnen, im Sommer enge Stiefel zu tragen und in einem Zimmer zu schlafen, wo ein Kind kreischt, auf das man kein Wanzenpulver streuen darf. Übrigens bin ich nicht der friedfertigste Mensch von der Welt geworden? Zu einer moralischen Sentenz, zu einem Rechenexempel bin ich geworden! So sittsam ist jetzt mein Betragen!«
»Ein schönes Betragen, das Ihrige, ich muß es gestehen! Hat doch gestern noch Helena Antonowna sich bei mir über Sie beschwert.«
»So–oh! Und was hat sie Ihnen erzählt, wenn ich fragen darf?«
»Sie sagte mir, Sie hätten den ganzen Morgen hindurch. auf alle ihre Fragen nur eine Antwort gegeben, ›wa–as? wa–as!‹ und das mit so winselndem Tone …«
Pigassow lachte.
»Es war aber eine gute Idee, das müssen Sie doch zugeben, Alexandra Pawlowna …, wie?«
»Eine vortreffliche Idee! Darf man sich wohl gegen eine Frau so unhöflich benehmen, Afrikan Semenitsch?«
»Was? Helena Antonowna ist eine Frau in Ihren Augen?«
»Was ist sie denn in den Ihrigen?«
[188]
»Eine Trommel, nichts weiter, eine gewöhnliche Trommel, worauf man mit Stöcken paukt …«
»Ach ja!« unterbrach ihn Alexandra Pawlowna, um der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben, »man darf Ihnen, wie ich gehört habe, Glück wünschen?«
»Wozu?«
»Zur Beendigung Ihres Prozesses. Die Glinow-Wiesen sind Ihnen ja zugesprochen …«
»Ja, sie sind mir zugesprochen worden,« erwiderte finster Pigassow.
»Sie haben schon seit langer Zeit darnach getrachtet und scheinen jetzt nicht zufrieden.«
»Ich muß Ihnen sagen, Alexandra Pawlowna,« brachte Pigassow langsam hervor, »es kann nichts Schlimmeres und Verletzenderes geben, als wenn ein Glück zu spät kommt. Freude kann es Ihnen doch nicht bringen, dagegen raubt es Ihnen das Recht, das allerkostbarste Recht – das Schicksal zu schelten. Ja, meine Gnädige, ein spätes Glück ist nichts als ein bitterer und beleidigender Spott. –«
Alexandra Pawlowna zuckte bloß die Achseln.
»Amme,« sagte sie dann, »ich denke, es ist Zeit, daß Mischa zu Bett gebracht wird. Gib ihn hierher.«
Und Alexandra Pawlowna machte sich mit ihrem Sohne zu schaffen, während Pigassow sich brummend auf die andere Seite des Balkons zurückzog.
[189]
Auf einmal zeigte sich in der Nähe, auf dem Wege, der längs dem Garten hinlief, Michael Michailitsch auf seiner Reitdroschke. Vor derselben liefen zwei große Hofhunde her: der eine gelb, der andere grau; er hatte sie sich vor kurzem erst angeschafft. Sie zerrten sich unaufhörlich und waren die besten Freunde. Ein alter Dachshund kam ihnen bis vor das Tor entgegen und sperrte das Maul auf, als wolle er bellen, doch wurde daraus nur ein Gähnen und er kehrte, mit dem Schwanze ruhig wedelnd, wieder um.
»Sieh einmal her, Sascha,« rief Leschnew schon von weitem seiner Frau zu, »wen ich dir da mitbringe.«
Alexandra Pawlowna erkannte nicht sogleich die Person, die hinter ihrem Manne saß.
»Ah! Herr Bassistow!« rief sie dann.
»Er ist es, er!« erwiderte Leschnew, »und was für vortreffliche Nachrichten er bringt. Warte nur, du sollst sogleich alles erfahren.«
Und er fuhr in den Hof hinein.
Einige Minuten darauf erschien er mit Bassistow auf dem Balkon.
»Hurra!« rief er, seine Frau in die Arme schließend, »Sergei heiratet!«
»Wen?« fragte Alexandra Pawlowna bewegt.
»Versteht sich, Natalia … Unser Freund hier hat diese Nachricht aus Moskau mitgebracht, und es ist auch ein Brief an dich da … Hörst du, Mischuk?« setzte er hinzu, die Händchen seines[190] Sohnes erfassend, »Dein Onkel heiratet! … Das ist aber ein Phlegma! er blinzelt nur mit den Augen dazu!«
»Der junge Herr wollen schlafen,« bemerkte die Amme.
»Ja,« sagte Bassistow, indem er zu Alexandra Pawlowna trat, »ich bin heute von Moskau im Auftrage von Darja Michailowna gekommen – die Gutsrechnungen durchzusehen. Hier ist auch der Brief.«
Alexandra Pawlowna öffnete hastig den Brief ihres Bruders. Er bestand aus nur wenigen Zeilen. Im ersten Anfalle von Freude meldete er der Schwester, er habe um Natalia angehalten, ihre und Darja Michailownas Einwilligung bekommen, versprach mit der ersten Post ausführlich zu schreiben und umarmte und küßte in Gedanken alle. Er schrieb offenbar in einer Art von Betäubung.
Der Tee wurde gebracht. Bassistow mußte sich setzen. Man überschüttete ihn mit Fragen. Alle, Pigassow sogar, waren über die erhaltene Nachricht erfreut.
»Sagen Sie doch,« fragte Leschnew im Laufe der Unterhaltung, »es sind uns Gerüchte über einen gewissen Herrn Kartschagin zu Ohren gekommen – sollte an ihnen etwas Wahres sein?«
Dieser Kartschagin, welchen der Leser bisher noch nicht kennengelernt hat, war ein hübscher junger Mann – ein Dandy, sehr aufgeblasen und wichtigtuend; er hielt sich majestätisch und[191] sah dabei so aus, als wäre er kein lebendiger Mensch, sondern eine ihm selbst auf Subskription errichtete Statue.
»Doch nicht so ganz unwahr,« erwiderte Bassistow mit einem Lächeln. »Darja Michailowna war ihm sehr gewogen; Natalia wollte jedoch nichts von ihm wissen.«
»Den kenne ich ja,« warf Pigassow dazwischen, »das ist ja ein Doppeltölpel, ein Erzperückenstock … ich bitte Sie. Wenn alle Leute ihm ähnlich wären, müßte man sich viel Geld zahlen lassen, wenn man überhaupt leben sollte … wie ist das möglich!«
»Vielleicht,« erwiderte Bassistow, »in der Welt spielt er jedoch keine der letzten Rollen.«
»Je nun, das ist uns gleich!« rief Alexandra Pawlowna aus, »lassen wir ihn! Ach, wie bin ich froh um den Bruder! … Und Natalia ist heiter, glücklich?«
»Ja. – Sie ist ruhig wie immer – Sie kennen sie ja – sie scheint aber zufrieden zu sein.«
Der Abend verging unter angenehmen und heiteren Gesprächen. Man setzte sich zu Tische.
»Ja, da fällt mir ein,« sagte Leschnew zu Bassistow, indem er ihm Lafitte einschenkte, »wissen Sie, wo Rudin weilt?«
»Für jetzt weiß ich es nicht mit Bestimmtheit. Vorigen Winter kam er auf kurze Zeit nach Moskau und reiste dann mit einer Familie nach Simbirsk; wir tauschten eine Zeitlang miteinander[192] Briefe: in dem letzten benachrichtigte er mich, daß er Simbirsk verlasse – sagte jedoch nicht, wohin er ziehe – und seit der Zeit hörte ich nichts mehr von ihm.«
»Der geht nicht unter!« nahm Pigassow das Wort, »er sitzt irgendwo und hält Reden. Dieser Herr wird immer zwei, drei Verehrer finden, die ihm mit aufgerissenem Munde zuhören und ihm Geld vorschießen. Geben Sie acht, das Ende davon wird sein, er stirbt in irgendeinem Provinzialstädtchen – in den Armen einer überreifen Jungfer mit falschem Haar, die ihm, als dem genialsten Menschen von der Welt, ein heiliges Andenken bewahren wird …«
»Sie urteilen über ihn sehr scharf,« bemerkte Bassistow halblaut und unzufrieden.
»Durchaus nicht scharf,« erwiderte Pigassow, »sondern der Wahrheit getreu. Meiner Ansicht nach ist er ein Tellerlecker und weiter nichts. Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen,« fuhr er, zu Leschnew gewendet, fort, »ich habe ja die Bekanntschaft jenes Terlachow gemacht, mit welchem Rudin die Reise ins Ausland machte. Jawohl, jawohl! Was der mir von ihm erzählt hat, davon machen Sie sich keinen Begriff – das ist wirklich lustig! Auffallend ist es, daß alle Freunde und Nacheiferer Rudins mit der Zeit seine Feinde werden.«
»Ich bitte, mich aus der Zahl solcher Freunde auszuschließen!« unterbrach ihn mit Feuer Bassistow.
[193]
»Sie, nun – das ist ein anderes Ding! Auf Sie ist es auch nicht gemünzt.«
»Was war es denn, was Ihnen Terlachow erzählte?« fragte Alexandra Pawlowna.
»Mancherlei: es fällt mir nicht alles ein. Die allerbeste Anekdote über Rudin aber ist folgende: Ohne Unterlaß mit seiner Selbstentwicklung beschäftigt (diese Herren sind es fortwährend, während andere, einfach gesagt, schlafen und essen – befinden sie sich im Momente der Entwicklung des Schlafens oder des Essens; ist es nicht so, Herr Bassistow? – Bassistow antwortete nichts) … Also mit seiner Entwicklung fortwährend beschäftigt, war Rudin auf dem Wege der Philosophie zu dem Vernunftschlusse gekommen, daß er sich verlieben müsse. Er stellte Nachforschungen über den Gegenstand an, der einem so wunderbaren Vernunftschlusse entspräche. Fortuna lächelte ihm. Er machte die Bekanntschaft einer Französin, einer allerliebsten Putzhändlerin. Das ereignete sich, merken Sie wohl, in einer deutschen Stadt am Rhein. Er besuchte sie, brachte ihr allerlei Bücher und sprach mit ihr über Natur und Hegel. Stellen Sie sich die Lage der Putzhändlerin vor! sie hielt ihn für einen Astronomen. Nun, Sie wissen, seine Figur ist nicht übel: dazu war er Ausländer, Russe – er gefiel. Endlich bestimmte er eine Zusammenkunft, ein höchst poetisches Stelldichein: in einer Gondel auf dem Flusse. Die Französin willigte ein; legte ihr bestes Kleid an und fuhr mit ihm in der[194] Gondel spazieren. Auf diese Weise vergingen zwei Stunden. Womit glauben Sie nun, daß er sich diese ganze Zeit über beschäftigte? Er hat der Französin den Kopf gestreichelt, gedankenvoll den Himmel angeschaut und ihr mehrmals wiederholt, daß er ›väterliche‹ Zärtlichkeit für sie fühle. Die Französin kehrte wutentbrannt nach Hause zurück und hat nachher alles dem Terlachow erzählt. Solch ein Kerl ist er gewesen!«
Und Pigassow lachte laut auf.
»Sie sind ein alter Zyniker!« bemerkte Alexandra Pawlowna ärgerlich, »indessen gewinne ich immer mehr und mehr die Überzeugung, daß selbst diejenigen, die über Rudin herfallen, ihm nichts Schlechtes nachsagen können.«
»Nichts Schlechtes? Ich bitte Sie! Und sein beständiges Leben auf fremder Leute Kosten, seine Anleihen … Michael Michailitsch? Gewiß hat er auch von Ihnen geborgt?«
»Hören Sie, Afrikan Semenitsch!« begann Leschnew, und sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an, »hören Sie: Sie wissen und meine Frau weiß es auch, daß ich in der letzten Zeit keine besondere Zuneigung zu Rudin gefühlt und oft sogar hart über ihn geurteilt habe. Bei allem dem (Leschnew goß Champagner in die Gläser) will ich Ihnen folgenden Vorschlag machen: wir haben soeben auf die Gesundheit unseres teueren Bruders und seiner Braut getrunken; ich fordere Sie jetzt auf, auf die Gesundheit Dmitri Rudins zu trinken!«
[195]
Alexandra Pawlowna und Pigassow sahen Leschnew mit Verwunderung an, während Bassistow das Herz im Leibe hüpfte und er vor Freude rot wurde und die Augen aufriß.
»Ich kenne ihn gut,« fuhr Leschnew fort, »von seinen Fehlern weiß ich nur zu viel. Sie fallen um so mehr in die Augen, weil er selbst kein Alltagsmensch ist.«
»Rudin – ist eine geniale Natur!« warf Bassistow ein.
»An Genialität fehlt es ihm nicht,« erwiderte Leschnew, »aber Natur – das ist eben das schlimme – Natur hat er nicht … Doch nicht davon, von dem Guten, Seltenen in ihm wollte ich sprechen. Er ist voll Begeisterung; das ist aber in unseren Tagen, sie können es mir, dem Phlegmatiker, glauben, die allerkostbarste Eigenschaft. Wir sind alle unausstehlich überlegt, gleichgültig und träge geworden; wir sind schläfrig, erkaltet und müssen es demjenigen Dank wissen, der uns, wenn auch nur auf einen Augenblick, aufrüttelt und erwärmt! Es ist ja die höchste Zeit! Erinnerst du dich, Sascha, ich sprach einmal mit dir von ihm und beschuldigte ihn der Kälte. Ich hatte damals recht und unrecht zugleich. Diese Kälte steckt bei ihm im Blute – daran ist er nicht schuld – nicht aber im Kopfe. Er ist kein Mime, wie ich ihn nannte, kein Betrüger, kein Schurke; er lebt auf fremde Kosten nicht wie ein Schleicher, sondern wie ein Kind … Ja gewiß, er wird irgendwo in Elend und[196] Armut sterben; sollte man aber deshalb einen Stein auf ihn werfen? Er selbst wird nie etwas vollenden, ausführen, weil ihm eben Natur und Blut fehlen; wer hat aber das Recht, zu behaupten, daß er keinen Nutzen bringen werde, nicht bereits Nutzen gebracht habe? Daß seine Worte nicht schon viel guten Samen in junge Herzen gestreut haben, denen die Natur nicht wie ihm Tatkraft und Verständnis zum Vollbringen des Gedachten versagt hat? Habe ich ja doch, ich vor allem, alles dieses an mir selbst erfahren … Sascha weiß, was Rudin in meinen jungen Jahren mir gewesen ist. Ich entsinne mich ferner, behauptet zu haben, daß Rudins Worte keine Wirkung auf die Menschen auszuüben vermöchten; ich redete aber damals von Menschen, die mir meinem jetzigen Alter nach gleichstanden, von Menschen, die das Leben bereits gekostet haben, und die vom Leben etwas zerzaust sind. Ein falscher Ton in der Rede – und sie verliert für uns jede Harmonie; beim Jüngling ist aber glücklicherweise das Gehör noch nicht so ausgebildet, noch nicht so verwöhnt. Wenn nur der Inhalt des Gehörten ihm schön dünkt, was kümmert ihn da der Ton! Den wird er schon in sich selbst finden.«
»Bravo! Bravo!« rief Bassistow, »wie wahr ist das gesprochen! Was jedoch Rudins Einfluß betrifft, da schwöre ich Ihnen, daß er nicht bloß einen Menschen aufzurütteln imstande war, sondern ihn auch weiterschob, ihm die Zeit nicht ließ,[197] stehenzubleiben, ihn um und um kehrte, ihn entflammte, begeisterte!«
»Sie hören es!« fuhr Leschnew fort, sich an Pigassow wendend, »welchen Beweis brauchen Sie noch? Sie machen die Philosophie herunter; wenn Sie von ihr reden, finden Sie nicht genug verächtliche Ausdrücke. Ich bin ihr auch nicht besonders hold und begreife sie schlecht; doch nicht von der Philosophie rühren unsere Hauptverbrechen her! Philosophische Spitzfindigkeiten und Träumereien werden an dem Russen nie haften; dazu besitzt er zu viel gesunden Menschenverstand; man darf aber auch nicht die Philosophie als Vorwand benutzen, um jedes ehrliche Streben nach Wahrheit und Erkenntnis anzufechten. Es ist Rudins Unglück, daß er Rußland nicht kennt, und in der Tat ist das ein großes Unglück. Das Vaterland kann einen jeden von uns entbehren, aber keiner von uns das Vaterland. Wehe dem, der da meint, daß er’s könne; doppelt wehe über den, der es in der Tat entbehrt! Kosmopolitismus – ist ein Unding, der Kosmopolit – eine Null, ärger als eine Null; außerhalb der Nationalität gibt es weder Kunst, noch Wahrheit, noch Leben, gibt es nichts. Ohne Physiognomie ist nicht einmal das ideale Gesicht; nur das gemeine braucht keine zu haben. Ich muß aber wieder darauf zurückkommen, Rudins Schuld ist es nicht: sein Verhängnis ist es, ein bitteres, schweres Verhängnis, das wir ihm doch gewiß nicht vorwerfen werden. Es würde uns zu weit[198] führen, wollten wir untersuchen, warum Leute, wie Rudin, verkommen. Wir wollen ihm dagegen für das Gute, das in ihm ist, dankbar sein. Dies ist leichter als ungerecht gegen ihn zu sein, und wir sind ungerecht gegen ihn gewesen. Eine Strafe über ihn zu verhängen, steht uns nicht zu, es wäre auch unnütz: er hat sich selbst viel strenger bestraft, als er es verdiente … Und gebe Gott, daß das Unglück alles Schlechte aus ihm ausscheide und nur das Schöne in ihm zurücklasse! Ich trinke auf Rudins Gesundheit! Ich trinke auf die Gesundheit des Kameraden meiner besten Jahre, ich trinke auf das Wohl der Jugend, ihrer Hoffnungen, ihres Strebens, ihres Vertrauens und ihrer Ehrlichkeit, auf das Wohl von allem, was unsere zwanzigjährigen Herzen schon klopfen machte und was im späteren Leben nichts Besseres aus unserem Gedächtnis verdrängen konnte, verdrängen wird … Ich trinke auf dein Andenken, goldene Zeit, ich trinke auf Rudins Wohl!«
Alle stießen mit Leschnew an. Bassistow hätte im Eifer beinahe sein Glas zerschlagen und stürzte dessen Inhalt in einem Zuge hinunter, Alexandra Pawlowna drückte Leschnew die Hand.
»Ich hatte gar nicht vermutet, Michael Michailitsch, daß Sie so beredt wären,« bemerkte Pigassow, »das war eines Rudin würdig! Ich muß gestehen, das hat sogar mich gepackt.«
»Ich bin durchaus nicht beredt,« erwiderte Leschnew nicht ohne Unwillen, »Sie aber zu[199] packen, glaub ich, ist keine leichte Sache. Doch genug von Rudin; sprechen wir von etwas anderem …«
»Sagen Sie doch … jener, wie heißt er gleich? … Pandalewski! lebt der immer noch bei Darja Michailowna?« fragte er, sich an Bassistow wendend.
»Gewiß, er ist immer noch bei ihr! Sie hat ihm eine einträgliche Stelle ausgewirkt.«
Leschnew lächelte.
»Der wird nicht im Elend umkommen, dafür ließe sich bürgen.«
Das Abendessen war beendet. Die Gäste gingen auseinander. Als Alexandra Pawlowna mit ihrem Manne allein geblieben war, blickte sie ihm zärtlich ins Gesicht.
»Wie warst du heute schön, Mischa!« sagte sie, seine Stirn sanft mit der Hand streichelnd, »wie klug und edel du gesprochen hast! Gestehe aber, du hast dich heute ein wenig zum Vorteil Rudins hinreißen lassen, wie ehemals zu dessen Nachteile …«
»Den am Boden Liegenden schlägt man nicht[6] … überdies befürchtete ich damals, daß er dir irgendwie den Kopf verdrehen könnte,« fügte er lächelnd hinzu.
»Nein,« erwiderte treuherzig Alexandra Pawlowna, »er ist mir von jeher zu gelehrt vorgekommen, ich fürchtete mich vor ihm und wußte[200] nicht, wie ich in seiner Gegenwart sprechen sollte. Pigassow hat sich aber doch heute ziemlich boshaft über ihn lustig gemacht, scheint dir’s nicht?«
»Pigassow?« sagte Leschnew. »Darum namentlich nahm ich mit solcher Wärme Rudin in Schutz, weil Pigassow da war. Er wagt es, ihn einen Tellerlecker zu nennen! Meiner Ansicht nach ist aber die Rolle, die er, Pigassow, spielt, hundertmal ärger. Er besitzt ein unabhängiges Vermögen, macht sich über alles lustig und schwänzelt bei Vornehmen und Reichen herum! Weißt du aber auch, daß dieser Pigassow, der mit solcher Erbitterung auf alle und alles schimpft und über Philosophie und Weiber herfällt, – weißt du wohl, daß er, als er sich noch im Amte befand, ein Sportelreißer war und noch dazu ein arger!«
»Wäre es möglich?« rief Alexandra Pawlowna. »Das hätte ich nicht erwartet … Höre, Mischa,« setzte sie nach einigem Schweigen hinzu, »was ich dich fragen will …«
»Nun?«
»Wie denkst du, wird der Bruder wohl mit Natalia glücklich sein?«
»Wie soll ich dir darauf antworten … allem Anschein nach, ja … die Oberhand wird sie behalten – unter uns brauchen wir kein Geheimnis daraus zu machen – sie ist klüger als er; er ist aber ein herrlicher Mensch und liebt sie von ganzer Seele. Was willst du mehr? Lieben[201] wir beide einander doch und sind glücklich, nicht wahr?«
Alexandra Pawlowna lächelte und drückte Michael Michailitsch die Hand.
An demselben Tage, als das soeben Erzählte im Hause Alexandra Pawlownas vorging – schleppte sich in einem der entlegensten Gouvernements Rußlands, in der drückendsten Hitze, auf der Landstraße eine schlechte, mit Matten bezogene Kibitka, vor welche drei Gutspferde gespannt waren, mühsam dahin. Auf dem Vorderrande hielt sich, die Füße schräg auf das Strängeholz gestemmt, ein grauhaariger Bauer in durchlöchertem Wams, zog unaufhörlich an den Strickleinen und schwenkte dazu eine kleine Peitsche; im Innern der Kibitka saß auf einem kärglich gefüllten Mantelsack ein Mann von hohem Wuchse in Mütze und altem, staubigem Mantel. Es war Rudin. Er saß gesenkten Hauptes da und hatte den Schirm seiner Mütze über die Augen heruntergezogen. Ungleichmäßige Stöße des Fuhrwerks warfen ihn von einer Seite auf die andere, er schien nichts zu empfinden, als wäre er in Halbschlaf verfallen. Endlich richtete er sich auf.
»Wann werden wir denn endlich zur Station kommen?« fragte er den vorn sitzenden Bauer.
»Wart, Väterchen,« gab dieser zur Antwort[202] und zog noch eifriger an den Leinen, »sind wir erst den Hügel da hinaufgekommen, dann bleiben nur noch zwei Werst, nicht mehr … Na, du! schläfst du … Ich will dich lehren,« setzte er fistelnd hinzu und begann das rechte Seitenpferd mit der Peitsche anzutreiben.
»Du fährst aber sehr schlecht, wie mir scheint,« bemerkte Rudin, »wir schleppen uns schon seit dem Morgen und können nicht ankommen. Singe mir wenigstens etwas vor.«
»Was soll man machen, Väterchen! Die Pferde, Sie sehen ja selbst, sind ganz verhungert … und dazu noch die Hitze. Was nun das Singen betrifft … das versteht unsereiner nicht: wir sind keine Fuhrleute … Heda, he!« rief auf einmal der Bauer einem vorübergehenden Wanderer in braunem, schlechtem Kittel und abgetretenen Bastschuhen zu, »heda, mache uns Platz, Freundchen!«
»Seht mir den Kutscher,« brummte der Wanderer ihm nach und blieb stehen. »Moskauer Blut!« setzte er mit dem Tone des Vorwurfes hinzu, schüttelte den Kopf und ging des Weges langsam weiter.
»Wohin!« schrie der Bauer jetzt dem Mittelpferde zu und zog wieder ruckweise an den Leinen; »ach du verdammtes! – ver–damm–tes! …«
So gut es ging, erreichten die ermüdeten Pferde endlich den Posthof. Rudin stieg aus der Kibitka, bezahlte den Bauer, der ihm nicht dafür[203] dankte und das Geld lange in der hohlen Hand herumwarf – er hatte vermutlich ein größeres Trinkgeld erwartet –, und trug seinen Mantelsack selbst in das Postzimmer.
Einer meiner Bekannten, der in seinem Leben viel in Rußland umhergereist war, hat die Beobachtung gemacht, daß, wenn in einem Stationszimmer Bilder hängen, welche Szenen aus Puschkins »Gefangenen im Kaukasus« oder russische Generale vorstellen, man bald Pferde bekommen kann; wenn dagegen die Bilder das Leben des berüchtigten Spielers Georges de Germany darstellen, der Reisende auf baldige Beförderung nicht rechnen darf: er wird Zeit genug haben, sich sattzusehen an dem emporgestrichenen Hahnenkamm, der weißen Weste mit breiten Aufschlägen und den außerordentlich engen und kurzen Beinkleidern des Spielers in seiner Jugend und an seiner rasenden Physiognomie, als er, schon ergraut, mit hoch aufgehobenem Stuhle, in einer Hütte mit schrägem Dache, seinen Sohn erschlägt. In dem Zimmer, in welches Rudin trat, hingen gerade diese Bilder aus den »Dreißig Jahren aus dem Leben eines Spielers«. Auf seinen Ruf erschien der Stationshalter mit verschlafenem Gesichte (ich möchte wissen – ob wohl jemand einen Stationshalter mit einem nicht verschlafenen Gesichte gesehen hat?) und ohne Rudins Frage abzuwarten, erklärte er mit träger Stimme, es seien keine Pferde da.
»Wie können Sie sagen, es seien keine Pferde[204] da,« erwiderte Rudin, »wenn Sie nicht einmal wissen, wohin ich fahre? Ich bin mit Privatpferden hierhergekommen.«
»Für keinen der Wege sind Pferde da,« erwiderte der Posthalter. »Wohin wollen Sie denn?«
»Nach …sk.«
»Es sind keine Pferde da,« wiederholte der Stationshalter und ging hinaus.
Rudin trat ärgerlich ans Fenster und warf seine Mütze auf den Tisch. Er hatte sich in diesen zwei Jahren nicht sehr verändert, war aber gelber geworden; hin und wieder schillerten silberne Fäden in dem Haar und die Augen, immer noch schön, schienen etwas matter geworden zu sein; leichte Runzeln, Spuren bitteren und unruhevollen Denkens, zeigten sich an den Lippen, den Wangen und den Schläfen.
Seine Kleidung war abgetragen und alt, von Wäsche war nirgends etwas zu sehen. Die Zeit seiner Blüte war offenbar vergangen, er war, wie der Gärtner zu sagen pflegt: in die Saat geschossen.
Er begann die Kritzeleien an den Wänden zu lesen … ein beliebter Zeitvertreib sich langweilender Reisenden … plötzlich knarrte die Tür und der Stationshalter trat herein.
»Pferde nach …sk sind keine da und werden noch lange nicht da sein, aber nach …ow sind Retourpferde zu haben.«
»Nach …ow?« wiederholte Rudin. »Aber ich[205] bitte Sie! das liegt ja gar nicht auf meinem Wege. Ich reise nach Pensa, …ow liegt, wie mir deucht, in der Richtung nach Tambow.«
»Was tut es? Sie können dann aus Tambow weiter, oder wenn es Ihnen beliebt, werden Sie von …ow aus wieder hierher zurückkehren können.«
Rudin überlegte.
»Nun, meinethalben,« sagte er endlich, »lassen Sie einspannen. Mir ist es ganz gleich; ich fahre nach Tambow.«
Die Pferde wurden bald vorgeführt. Rudin trug seinen Mantelsack hinaus, stieg in den Postkarren, setzte sich und ließ wie vorhin den Kopf hängen.
Es lag etwas Hilfloses und Trauervoll-Ergebenes in seiner gebeugten Gestalt … Und das Dreigespann schleppte sich in kurzem Trabe unter dem einförmigen Geklingel der Schellen dahin.
[206]
Wiederum waren einige Jahre verstrichen.
An einem kalten Herbsttage hielt vor dem Eingange des Hauptposthofes der Gouvernementsstadt S. eine Reisekalesche. Ächzend und sich reckend stieg aus derselben ein Herr, er war noch nicht alt, besaß jedoch bereits jene Fülle des Leibes, die man »respektabel« zu nennen pflegt. Nachdem er die Treppe zum ersten Geschoß hinaufgestiegen war, blieb er im Eingange des breiten Korridors stehen, und da er niemand gewahr wurde, forderte er mit lauter Stimme ein Zimmer. Sogleich hörte man eine Tür zuwerfen, ein langer Diener sprang hervor und lief eiligen Schrittes den Gang voran, nur an dem Schmutzglanz auf der Rückseite und den Ärmeln seines abgetragenen Rockes im Halbdunkel erkenntlich. Als der Fremde in sein Zimmer trat, warf er sogleich Mantel und Plaid ab, setzte sich auf einen Diwan, stemmte die Arme auf die Knie, blickte wie schlaftrunken umher und befahl sodann, seinen Bedienten zu rufen. Der Diener tat einen Schritt zurück und verschwand. Dieser Reisende war kein anderer als Leschnew. Er war der[207] Rekrutenaushebung wegen von seinem Gute nach S. gekommen.
Leschnews Bedienter, ein junger, krausköpfiger und rotwangiger Bursche, in grauem, mit blauer Schärpe umgürtetem Mantel und weichen Filzstiefeln trat in das Zimmer.
»Nun siehst du, mein Lieber, da sind wir doch angekommen,« sagte Leschnew, »und du hattest befürchtet, die Schiene am Rade werde abspringen.«
»Ja, wir sind wirklich angekommen,« erwiderte der Bediente, und versuchte über dem aufgeschlagenen Kragen des Mantels zu lächeln, »wie aber die Schiene nicht abgesprungen ist, das …«
»Ist niemand da?« ließ sich eine Stimme im Korridor hören.
Leschnew fuhr zusammen und horchte auf.
»Heda! Wer da?« wiederholte die Stimme.
Leschnew erhob sich, trat an die Tür und machte sie rasch auf.
Vor ihm stand ein Mann von hohem Wuchse, fast ganz ergraut und gebeugt, in einem alten Plüschrock mit bronzenen Knöpfen. Leschnew erkannte ihn sogleich.
»Rudin!« rief er bewegt.
Rudin wandte sich um. Er konnte das Gesicht Leschnews, der mit dem Rücken gegen das Licht stand, nicht erkennen und blickte ihn zweifelhaft an.
[208]
»Sie erkennen mich nicht?« redete Leschnew ihn an.
»Michael Michailitsch!« rief Rudin aus und streckte die Hand vor, wurde aber verwirrt und zog sie wieder zurück …
Leschnew ergriff sie mit beiden Händen.
»Treten Sie ein, herein zu mir!« sagte er zu Rudin und führte ihn in sein Zimmer.
»Wie sind Sie verändert!« sagte Leschnew nach einigem Schweigen und unwillkürlich die Stimme senkend.
»Ja, man sagt so,« erwiderte Rudin, mit dem Blicke im Zimmer umherschweifend. »Die Jahre … Sie aber – sind wie früher. Wie geht es Alexandra … Ihrer Gemahlin?«
»Ich danke, ganz wohl. Welch ein Zufall führt Sie hierher?«
»Mich? Das wäre eine lange Geschichte. In diesem Hause befinde ich mich ganz zufällig. Ich suchte einen Bekannten. Übrigens freut es mich sehr …«
»Wo speisen Sie?«
»Ich? Ich weiß nicht. Irgendwo in einem Gasthause. Ich muß heute noch fort von hier.«
»Sie müssen?«
Rudin lächelte bedeutsam.
»Ja, ich muß. Man weist mir mein Gut zum Aufenthalt an.«
»Speisen Sie mit mir.«
Rudin blickte zum ersten Male Leschnew gerade in die Augen.
[209]
»Sie machen mir den Vorschlag, mit Ihnen zu speisen?« fragte er.
»Ja, Rudin, nach alter Art, wie Kameraden. Wollen Sie? Ich glaubte nicht, mit Ihnen zusammenzutreffen und Gott weiß, wenn wir uns wiedersehen werden. Wir können doch so nicht voneinander scheiden!«
»Gut, ich bin es zufrieden.«
Leschnew drückte Rudin die Hand, rief den Diener, bestellte das Essen und befahl, eine Flasche Champagner auf Eis zu stellen.
Während des Essens unterhielten sich Leschnew und Rudin, gleichsam wie verabredet, ausschließlich von ihrem Studentenleben, kamen auf vieles zu reden, auf Lebende und bereits Gestorbene. Anfangs sprach Rudin gezwungen, doch, nachdem er ein paar Gläser getrunken hatte, wurde er warm. Endlich nahm der Diener die letzte Schüssel vom Tisch. Leschnew stand auf, verschloß die Tür, setzte sich dann an den Tisch, Rudin gerade gegenüber und stützte still sein Kinn auf beide Hände.
»Nun, jetzt«, begann er, »müssen Sie mir alles erzählen, was sich mit Ihnen zugetragen hat, seit ich Sie nicht gesehen habe.«
Rudin warf einen Blick auf Leschnew.
Mein Gott! dachte Leschnew nochmals, wie er aussieht, der arme Mensch!
[210]
Rudins Züge hatten sich noch immer nicht viel verändert, besonders seit der Zeit, da wir ihn auf der Station trafen, obgleich bereits Spuren des nahenden Alters darin sichtbar waren, der Ausdruck war jetzt aber ein anderer. Die Augen blickten anders; aus seinem ganzen Wesen, aus seinen bald langsamen, bald abgerissenen Bewegungen, aus seiner schleppenden und gleichsam gebrochenen Rede sprach äußerste Ermattung, geheimer und stiller Gram, der jener halbaffektierten Schwermut von früher durchaus nicht ähnlich war, jener Schwermut, die einer von Hoffnungen und vertrauungsvoller Selbstliebe erfüllten Jugend so gut zu Gesichte steht.
»Ich soll Ihnen alles erzählen, was mir begegnet ist?« begann er. »Alles läßt sich nicht erzählen und lohnt sich auch nicht … Abgeplackt habe ich mich tüchtig und mich umhergetrieben, nicht mit dem Körper allein – auch mit der Seele. Welche Enttäuschungen habe ich erfahren! Mein Gott! Mit wem bin ich alles zusammengekommen! … Ja, mit wem,« wiederholte Rudin, als er gewahr wurde, daß Leschnew ihn mit besonderer Teilnahme anblickte. »Wie oft haben meine eigenen Worte mich angewidert – nicht bloß in meinem eigenen Munde, sondern auch in dem Munde jener Leute, die meine Ansichten teilten! Welche Übergänge habe ich durchgemacht, von der Ungeduld, von der Reizbarkeit eines Kindes bis zur stumpfen Gefühllosigkeit des Pferdes, das nicht einmal mehr mit[211] dem Schweife zuckt, wenn die Peitsche es trifft … Wie viele Male habe ich mich umsonst gefreut, umsonst gehofft, gekämpft und mich erniedrigt! Wie oft habe ich wie ein Falke meine Fittiche ausgebreitet – und bin auf die Erde zurückgestürzt, um auf ihr fortzukriechen, wie die Schnecke, deren Schale man zertreten hat! … Wo bin ich nicht überall gewesen; welche Wege hat mein Fuß nicht betreten! Und es gibt schmutzige Wege,« setzte Rudin hinzu und wandte sich etwas ab.
»Sie verstehen,« fuhr er fort …
»Hören Sie,« unterbrach ihn Leschnew, »einst sagten wir ›du‹ zueinander … Willst du? Wir frischen das alte auf … Trinken wir auf das Du!«
Rudin erbebte, erhob sich und in seinem Blick flimmerte etwas, was keine Sprache wiederzugeben vermag.
»Laß uns trinken, Bruder – Dank, Bruder, laß uns trinken.«
Leschnew und Rudin leerten jeder sein Glas.
»Du weißt,« begann Rudin wieder, mit Betonung des Wortes »du« und lächelnd, »es sitzt in meinem Inneren ein Wurm, der an mir nagt und mir nimmer Ruhe gönnen wird. Er stößt mich den Menschen entgegen – anfangs empfinden sie meinen Einfluß, nachher aber …«
Rudin machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.
»Seit ich Sie … dich zum letzten Male sah,[212] bin ich um mancherlei Erfahrungen reicher geworden … Mehrmals habe ich ein neues Leben angefangen, mehrfach die Hand an ein neues Werk gelegt – und da siehst du nun, wie weit ich gekommen bin!«
»Du hattest keine Ausdauer,« sagte, gleichsam vor sich hin, Leschnew.
»Wie du sagst, ich hatte keine Ausdauer! … Etwas erbauen, das habe ich nie gekonnt! Und es ist auch nicht leicht, Bruder, etwas zu bauen, wenn man keinen Boden unter sich fühlt, wenn man sein eigenes Fundament erst selbst legen muß! Ich will dir nicht alle meine Abenteuer, das heißt, all mein Mißgeschick, erzählen. Zwei, drei Vorfälle sollst du erfahren … jene Vorfälle aus meinem Leben, wo, wie es schien, der Erfolg mir bereits lächelte, oder nein, wo ich anfing, auf Erfolg zu hoffen – was nicht ganz dasselbe ist …«
Rudin warf sein graues und schon lichter gewordenes Haar mit derselben Handbewegung zurück, wie er früher zu tun gewohnt war, als er noch dunkles und volles Haar hatte.
»Höre also,« begann er. »In Moskau kam ich mit einem ziemlich sonderbaren Menschen zusammen. Er war sehr reich und besaß beträchtliche Ländereien; er stand nicht in Staatsdiensten, seine Hauptleidenschaft, seine einzige Leidenschaft war die Liebe zur Wissenschaft, zur Wissenschaft im allgemeinen. Ich kann es bis jetzt nicht begreifen,[213] wie diese Leidenschaft bei ihm erwacht war! Sie stand ihm ebenso, wie der Kuh der Sattel. Er selbst konnte sich nur mit Mühe auf der Höhe der Vernunft behaupten und verstand es kaum, sich auszudrücken; er rollte bloß bedeutungsvoll die Augen und schüttelte bedenklich den Kopf. Eine wenig begabte und geistig ärmere Natur, Bruder, ist mir nicht vorgekommen … Er erinnerte an jene weiten Strecken im Smolenskischen Gouvernement, wo man nur Sand findet – Sand, und weiter nichts, nur hie und da spärliches Gras, das kein Tier fressen mag. Es wollte ihm nichts gelingen – alles glitt förmlich aus seinen Händen, alles, und obendrein war er noch darauf versessen, was leicht war, sich zu erschweren. Hätte es von ihm abgehangen, er würde einen wahrhaftig noch dazu gebracht haben, auf dem Kopfe zu gehen. Er arbeitete, schrieb und las unermüdlich. Mit einer gewissen starrsinnigen Beharrlichkeit und grenzenlosen Geduld stürzte er sich auf die Wissenschaften; sein Ehrgeiz war unbeschreiblich groß und sein Charakter war eisern. Er lebte allein und galt für einen Sonderling. Ich wurde mit ihm bekannt und … gefiel ihm. Ich muß gestehen, ich hatte ihn bald durchschaut, doch sein Eifer rührte mich. Dann besaß er ein so schönes Vermögen, es ließ sich durch ihn so viel Gutes, so viel wahrhafter Nutzen stiften … Ich blieb bei ihm wohnen und fuhr endlich mit ihm auf sein Landgut. – Großartige Pläne, Bruder, trug ich mit mir herum;[214] ich träumte von vielen Verbesserungen, Neuerungen …«
»So wie bei der Laßunski, erinnerst du dich,« bemerkte Leschnew mit gutmütigem Lächeln.
»Nicht doch! Dort war ich mit meinem Innersten überzeugt, daß meine Worte unfruchtbar bleiben würden; hier, hier jedoch … breitete sich vor mir ein Feld ganz anderer Art aus … Ich schleppte agronomische Bücher herbei … von denen ich, die Wahrheit zu sagen, nicht ein einziges bis zu Ende gelesen habe … und dann machte ich mich an die Arbeit. Anfangs ging es nicht, wie ich erwartet hatte, nachher aber schien es gehen zu wollen. Mein neuer Freund schwieg zu allem und schaute zu, er störte mich nicht, das heißt, bis zu einem gewissen Grade störte er mich nicht; er nahm zwar meine Vorschläge an, führte dieselben auch aus, aber starrsinnig, unnachgiebig und mit heimlichem Mißtrauen lenkte er alles nach seinem Sinn. Er hielt mit Zähigkeit fest an jedem seiner Gedanken, wie der Sonnenkäfer an dem Grashalm, dessen Spitze er nur mit Anstrengung erklommen hat und nun dasitzt, scheinbar seine Flügel zurechtzupfend, um weiterzufliegen – plötzlich aber herunterfällt, um nochmals hinaufzukriechen … Du mußt dich nicht über diese Gleichnisse wundern. Schon damals hatten sie sich in meinem Innern angehäuft. Zwei Jahre schlug ich mich so herum. Die Geschäfte gingen schlecht, ungeachtet aller meiner Anstrengungen. Ich fing an, ihrer überdrüssig zu werden,[215] mein Freund langweilte mich, und ich wurde ihm unbequem und erdrückend; sein Mißtrauen ging in schlecht verhehlte Erbitterung über, ein feindseliger Geist hatte sich unser beider bemächtigt, wir konnten miteinander von nichts mehr sprechen; verstohlen, aber unaufhörlich bemühte er sich, mir zu zeigen, daß er sich nicht meinem Einflusse fügte; meine Verordnungen wurden entweder verdreht oder ganz widerrufen … Ich wurde zuletzt inne, daß ich dem Herrn Gutsbesitzer nur als Mittel zur geistigen Gymnastik diente … Ich war zu einer Art intelligenten Parasiten geworden! Schmerzlich ward es mir, Zeit und Kräfte nutzlos zu vergeuden, schmerzlich empfand ich es, daß ich aber- und abermals mich in meinen Erwartungen getäuscht hatte. Ich wußte sehr wohl, wieviel ich verlor, wenn ich fortging; vermochte es aber doch nicht über mich, und eines Tages, infolge eines widerlichen und empörenden Vorfalles, dessen ich Zeuge war und der mir meinen Freund in einem wirklich zu unvorteilhaften Lichte zeigte, veruneinigte ich mich vollends mit ihm, reiste ab und ließ diesen aus Steppenmehl mit Zutat deutschen Syrups zusammengekneteten pedantischen Krautjunker fahren.«
»Das heißt: du hast dein Stück täglichen Brotes fahren lassen,« wandte Leschnew ein und legte beide Hände auf Rudins Schulter.
»Ja, und stand wieder nackt und leicht da im[216] leeren Raume. Fliege nun, wohin du willst … Ha, trinken wir eins!«
»Auf deine Gesundheit!« sagte Leschnew, erhob sich und küßte Rudin auf die Stirn. »Auf deine Gesundheit und auf Pokorskis Andenken … Er hat es auch verstanden, arm zu bleiben.«
»Das war Nummer eins meiner Abenteuer,« sagte Rudin nach einer kleinen Pause. »Soll ich fortfahren, wie?«
»Fahre fort, ich bitte dich.«
»He! Mit der Sprache will es nicht recht fort. Ich bin des Redens müde, Bruder … Nun, es sei. Nachdem ich mich noch an verschiedenen Stellen umhergetrieben hatte … ich könnte dir beiläufig erzählen, wie ich bei einem pflichtgetreuen hohen Beamten Sekretär wurde und wie das endete; es würde uns jedoch zu weit führen … nachdem ich mich also an verschiedenen Orten umhergetrieben hatte, beschloß ich zuletzt … ich bitte dich, nicht zu lachen … ein Geschäftsmann, ein praktischer Mensch zu werden. Das kam folgendermaßen: ich wurde mit einem gewissen … vielleicht hast du von ihm gehört … mit einem gewissen Kurbejew bekannt …«
»Ich habe den Namen nie gehört. Aber ich bitte dich, Rudin, wie konntest du mit deinem Verstande nicht einsehen, daß es gar nicht dein Geschäft ist … entschuldige das Wortspiel … Geschäftsmann zu sein?«
»Ich weiß, Bruder, daß es nicht meine Sache ist; was ist denn aber überhaupt meine Sache?[217] … Hättest du nur Kurbejew gesehen! Stelle ihn dir nur, bitte, nicht als einen hohlen Schwätzer vor. Man sagt, ich wäre in früheren Jahren beredt gewesen. Ich bin im Vergleich zu ihm nichts. Das war ein überaus gelehrter, belesener Mann; ein schöpferischer Kopf, ein Kopf für Industrie und Handelsunternehmungen. Die kühnsten, unglaublichsten Projekte sprühten in seinem Geiste. Wir traten zusammen und faßten den Entschluß, gemeinschaftlich unsere Kräfte einem gemeinnützigen Zwecke zu widmen.«
»Welchem? Sage doch!«
Rudin senkte den Blick.
»Du wirst lachen müssen.«
»Weshalb? Nein, ich werde nicht lachen.«
»Wir beschlossen, einen Fluß im K…schen Gouvernement schiffbar zu machen,« äußerte Rudin, verlegen lächelnd.
»Ja so! Dieser Kurbejew war also Kapitalist?«
»Er war ärmer als ich,« erwiderte Rudin und senkte still seinen ergrauten Kopf.
Leschnew lachte auf, hielt jedoch plötzlich inne und faßte Rudins Hand.
»Vergib mir, Bruder, ich bitte dich,« sagte er, »ich hatte das nun gar nicht erwartet. Nun, euer Unternehmen blieb also auf dem Papier?«
»Nicht so ganz. Ein Angriff wurde gemacht. Wir mieteten Arbeiter … und gingen ans Werk. Da stießen wir auf vielerlei Hindernisse. Erstens wollte es den Mühlenbesitzern nicht einleuchten,[218] zweitens konnten wir mit dem Wasser ohne Maschine nicht fertig werden, für die Maschine jedoch fehlte das Geld. Sechs Monate verbrachten wir in Erdhütten. Kurbejews einzige Nahrung bestand in Brot; ich selbst wurde auch nie satt. Ich bedauere es übrigens nicht: die Gegend da herum ist wunderschön. Wir quälten und quälten uns ab, suchten die Kaufleute zu überreden und sandten Briefe und Zirkulare in die Welt. Das Ende davon war, daß mein letzter Groschen bei diesem Projekte aufging.«
»Nun!« bemerkte Leschnew, »ich denke, es war nicht schwer, deinen letzten Groschen daran aufgehen zu sehen.«
»In der Tat war das nicht schwer … doch das Unternehmen war aber, bei Gott, nicht übel und hätte großen Gewinn abwerfen können.«
»Was ist aber aus jenem Kurbejew geworden?« fragte Leschnew.
»Aus ihm? Er ist jetzt in Sibirien, Goldgräber ist er geworden. Und du wirst sehen, er wird sich Vermögen erwerben; er wird nicht umkommen.«
»Mag sein! Du aber wirst es bestimmt nicht dahin bringen.«
»Ich? Was ist dabei zu machen! Ich weiß ja übrigens, daß ich in deinen Augen von jeher für einen unnützen Menschen gegolten habe.«
»Du? Geh doch, Bruder! … Es gab eine Zeit, du hast recht, wo mir nur deine Schattenseiten in die Augen fielen; jetzt aber, glaube[219] mir’s, habe ich dich schätzen gelernt. Vermögen wirst du dir wohl nicht zusammenschlagen … Deshalb aber liebe ich dich …«
Rudin lächelte matt.
»Wirklich?«
»Ich achte dich deshalb!« erwiderte Leschnew, »verstehst du mich wohl?«
Sie schwiegen beide.
»Nun, soll ich zu Nummer drei übergehen?« fragte Rudin.
»Tu mir den Gefallen.«
»Gut. Die Nummer drei und die letzte. Von dieser Nummer habe ich mich eben erst losgemacht. Langweilt es dich aber nicht?«
»Erzähle, erzähle.«
»Siehst du,« begann Rudin, »einmal in einer Stunde der Muße … an Muße hat es mir niemals gefehlt … überlegte ich bei mir: Kenntnisse besitze ich nicht wenig, ich wünsche das Gute du wirst doch nicht absprechen wollen, daß ich das Gute wünsche?«
»Das fehlte noch!«
»Auf allen Punkten war ich mehr oder weniger durchgefallen … warum sollte ich nicht Pädagog werden, oder um es einfach zu sagen, Lehrer? … besser doch, als nichts zu tun …«
Rudin hielt inne und schöpfte Atem.
»Besser, als ein unnützes Leben führen, wird es doch sein, wenn ich mich bestrebe, anderen das mitzuteilen, was ich weiß: vielleicht werden sie aus meinen Kenntnissen einigen Nutzen für sich[220] schöpfen. Meine Talente sind doch am Ende keine alltäglichen; die Gabe der Rede habe ich auch … Ich beschloß also, mich diesem neuen Fache zu widmen. Mühe genug kostete es mir, eine Anstellung zu finden; Privatunterricht wollte ich nicht erteilen; an Elementarschulen war mein Platz nicht. Endlich gelang es mir, die Stelle eines Lehrers am hiesigen Gymnasium zu erhalten.«
»Eines Lehrers – für welches Fach?« fragte Leschnew.
»Eines Lehrers der russischen Literatur. Ich kann dir sagen, noch keine Sache habe ich mit solchem Eifer angegriffen wie diese. Der Gedanke, auf die Jugend zu wirken, begeisterte mich. Drei Wochen war ich mit der Abfassung meiner Antrittsvorlesung beschäftigt.«
»Hast du sie hier?« unterbrach ihn Leschnew.
»Nein, sie ist mir irgendwo verlorengegangen. Sie kam nicht schlecht heraus und fand Beifall. Noch jetzt sehe ich die Gesichter meiner Zuhörer vor mir, – diese guten, jungen Gesichter mit dem Ausdrucke der treuherzigsten Aufmerksamkeit, Teilnahme, ja selbst des Erstaunens. Ich bestieg das Katheder und hielt meinen Vortrag wie im Fieber; ich hatte geglaubt, ich würde daran reichlich für eine Stunde haben, und in zwanzig Minuten war ich fertig. Der Inspektor war auch zugegen – ein trockener Alter mit silbergefaßter Brille und kurzer Perücke, – von Zeit zu Zeit neigte er den Kopf nach meiner Seite hin. Als ich zu Ende war und von meinem Sessel sprang,[221] sagte er zu mir: ›Gut, doch etwas zu hoch und unbestimmt, und von dem Hauptgegenstande ist zu wenig gesagt worden.‹ Die Gymnasiasten jedoch geleiteten mich mit Blicken der Achtung … wahrhaftig. Das eben gibt einen solchen Wert der Jugend. Die zweite Vorlesung und auch die dritte hatte ich aufgeschrieben … dann aber improvisierte ich.«
»Und hast Erfolg gehabt?« fragte Leschnew.
»Ich hatte großen Erfolg. Die Zuhörer fanden sich in Massen ein. Ich teilte ihnen alles mit, was mir auf der Seele lag. Unter denselben waren drei, vier in der Tat ausgezeichnete Knaben; die übrigen verstanden mich nur halb. Ich muß indessen gestehen, daß auch diejenigen, welche mich verstanden, mich bisweilen durch ihre Fragen verwirrt machten. Ich verlor den Mut aber nicht. Liebten mich ja doch alle: bei den Repetitionen gab ich allen gute Zensuren. Da aber entspann sich gegen mich eine Intrige … oder nein! Eine Intrige war es nicht; ich war, einfach gesagt, nicht in meine Sphäre geraten. Ich war den anderen unbequem und die anderen waren es mir. Ich hielt Gymnasiasten Vorlesungen, wie man sie Studenten nicht immer hält, und meinen Zuhörern waren diese Vorlesungen doch nicht so sehr förderlich … ich beherrschte die Tatsachen selbst … nicht recht. Zudem genügte mir der Wirkungskreis nicht, der mir vorgezeichnet war … Du weißt ja, das war immer meine schwache Seite. Ich wollte radikale Reformen[222] und schwöre dir, diese Reformen waren gut und ausführbar. Ich hoffte, sie mit Hilfe des Direktors, eines braven und ehrlichen Mannes, auf welchen ich anfangs Einfluß gehabt hatte, durchzusetzen. Seine Frau stand mir bei. Ich habe, Bruder, in meinem Leben nicht viele solcher Frauen getroffen. Sie war bereits nahe den Vierzigern, glaubte aber noch an das Gute, liebte alles Schöne wie ein fünfzehnjähriges Mädchen und scheute sich nicht, ihre Überzeugung, vor wem es auch sein mochte, offen auszusprechen. Ich werde niemals ihre edle Begeisterung, ihre Lauterkeit vergessen. Ihrem Rate folgend, hatte ich schon einen Plan entworfen, doch da wurden geheime Umtriebe gegen mich eingeleitet und ich ward bei ihr angeschwärzt. Besonders schadete mir ein Lehrer der Mathematik, ein unansehnlicher, bissiger und gallsüchtiger Mensch, der an nichts glaubte, in der Art wie Pigassow, aber bei weitem tüchtiger als er … ja, sage doch, lebt Pigassow noch?«
»Er lebt und stelle dir’s vor, er hat eine Dienstmagd geheiratet, die, wie man sagt, ihn prügeln soll.«
»Das geschieht ihm recht! Und Natalia Alexejewna, geht es ihr gut?«
»Ja.«
»Ist sie glücklich?«
»Ja.«
Rudin schwieg.
»Wovon sprach ich aber soeben … ganz recht,[223] vom Lehrer der Mathematik. Er hatte einen Haß auf mich geworfen, meine Vorlesungen verglich er mit einem Feuerwerk, haschte im Fluge jeden, nicht ganz deutlichen Ausdruck auf und führte mich einmal sogar in bezug auf ein Opus aus dem sechzehnten Jahrhundert irre … Die Hauptsache aber war, er hatte meine Absichten verdächtigt; meine letzte Seifenblase stieß an ihn wie an eine Nadel und zerplatzte. Der Inspektor, zu dem ich mich gleich anfangs nicht gut gestellt hatte, reizte den Direktor gegen mich auf; und es kam zu einer Szene, ich wollte nicht nachgeben, wurde heftig, die Geschichte kam den Oberen zu Ohren, und ich ward gezwungen, meine Entlassung zu nehmen. Ich blieb nicht dabei stehen, ich wollte zeigen, daß ich mit mir nicht so umspringen lasse … aber leider mußte ich einsehen, daß man mit mir nach Belieben verfahren durfte … Jetzt muß ich die Stadt verlassen.«
Es trat Schweigen ein. Beide Freunde saßen da mit gesenktem Kopfe.
Rudin nahm zuerst wieder das Wort.
»Ja, Bruder,« begann er, »ich kann jetzt mit Koltzow[7] ausrufen: ›Wie hast du, meine Jugend, mir mitgespielt, mich umhergeworfen, ich weiß nicht mehr, wo ein noch aus‹ … Und war ich denn wirklich zu nichts gut, gab es denn wirklich gar nichts für mich zu tun auf der Welt? Ich habe diese Frage oft an mich gerichtet und welche[224] Mühe ich mir auch gab, mich in meinen eigenen Augen herabzusetzen, so war mir’s dennoch unmöglich, in mir das Vorhandensein von Kräften nicht zu fühlen, mit denen nicht jedermann begabt ist! Weshalb bleiben denn diese Kräfte unfruchtbar? Und dann noch eins: erinnerst du dich, als wir zusammen im Auslande waren, war ich in Selbstvertrauen und Selbsttäuschung befangen … Es ist wahr, ich war damals nicht deutlich dessen bewußt, wonach mich verlangte, ich labte mich bis zur Übersättigung am Wortgepränge und schenkte Trugbildern Glauben; jetzt aber, ich schwöre dir’s, darf ich laut, vor allen, gestehen, was ich will. Ich habe nichts zu verhehlen: ich bin im wahren Sinne des Wortes ein wohlgesinnter Mensch; ich werde demütig, will mich in die Verhältnisse schicken, verlange wenig, strebe nach keinem entfernten Ziele, möchte, wenn auch nur geringen, Nutzen schaffen. Aber – es will mir nicht gelingen! Was bedeutet das? Was hindert mich, zu leben und zu wirken, wie andere es tun? Ich trachte ja jetzt nach nichts Höherem. Und doch! Kaum gelingt es mir, eine bestimmte Stellung einzunehmen, auf einem gewissen Punkte Posto zu fassen, so stößt mich das Geschick unerbittlich fort. Ich fange an, Furcht zu bekommen vor meinem Geschicke. Woher das alles? Erkläre mir dies Rätsel!«
»Rätsel!« wiederholte Leschnew. »Ja, es ist wahr. Warst du ja für mich selbst ein Rätsel. Sogar in unserer Jugend, wenn du, wie es vorkam,[225] nach irgendeiner kleinlichen Äußerung plötzlich wieder das Wort nahmst, daß uns das Herz im Leibe erzitterte, und dann wieder auf einmal anfingst … nun, du weißt, was ich sagen will … selbst damals verstand ich dich nicht: deshalb verlor sich auch meine Liebe zu dir … Es lag so viel Kraft in dir, ein so unermüdliches Streben nach Idealen …«
»Worte, alles nur Worte! Die Taten fehlten,« unterbrach ihn Rudin.
»Die Taten fehlten! Was für Taten?«
»Was für Taten? Eine blinde Großmutter und die ganze Familie mit seiner Hände Arbeit ernähren, wie Priaschenzow, erinnerst du dich – Da hast du eine Tat.«
»Ja; aber ein gutes Wort – ist auch eine Tat.«
Rudin blickte schweigend Leschnew an und schüttelte still den Kopf.
Leschnew wollte etwas sagen, fuhr aber bloß mit der Hand über sein Gesicht.
»Und so fährst du denn auf dein Gut?«
»Ja, ich fahre hin.«
»Hast du denn dein Gut behalten?«
»Etwas ist davon übriggeblieben. Zweiundeinehalbe Seele. Ein Winkel für mich, wo ich den Tod erwarten kann. Du denkst vielleicht in diesem Augenblicke: ›Auch dies vermochte er nicht ohne Phrase zu sagen.‹ Die Phrasen, es ist wahr, sie haben mein Unglück verschuldet, mich aufgerieben, bis zum Ende habe ich sie nicht loswerden[226] können. Was ich aber soeben sagte, war keine Phrase. Dies weiße Haar, Bruder, ist keine Phrase, diese Runzeln, diese durchgescheuerten Ellenbogen – sind keine Phrase. Du bist immer streng gegen mich gewesen und das war recht von dir; doch nicht von Strenge kann mehr die Rede sein, wenn schon alles abgetan, in der Lampe kein Öl mehr und die Lampe auch bereits zerschlagen ist und der Docht im nächsten Augenblicke zu verglimmen droht … Der Tod, Bruder, muß am Ende alles aussühnen …«
Leschnew sprang auf.
»Rudin!« rief er aus, »warum sagst du mir das? Wodurch habe ich das von dir verdient? Wer hat mich zum Richter bestellt, und was für ein Mensch würde ich sein, wenn mir, beim Anblicke deiner eingefallenen Wangen und Runzeln, das Wort Phrase in den Sinn kommen könnte? Du willst wissen, was ich von dir denke? Wohlan! Ich denke: dieser Mensch … was hätte der wohl mit seinen Fähigkeiten erringen können, über welche irdischen Güter würde er wohl jetzt gebieten, wenn er gewollt hätte! … und ich finde ihn hungernd und ohne Obdach …«
»Ich errege dein Mitleid,« brachte Rudin kaum hörbar hervor.
»Nein! Du irrst. Achtung flößest du mir ein – das ist es. Was hinderte dich, lange Jahre bei jenem Gutsbesitzer, deinem Bekannten, zu verbringen? Ich bin fest überzeugt, wenn du ihm[227] nur zu Gefallen hättest leben wollen, dein Auskommen wäre gesichert! Weshalb hast du es im Gymnasium nicht ausgehalten, weshalb – sonderbarer Mensch! – was auch dein jedesmaliges Sinnen im Anfang gewesen sein mag, mußte dein Unternehmen allemal und durchaus damit enden, daß du deinen eigenen Vorteil zum Opfer brachtest, keine Wurzel schlagen wolltest in schlechtem Boden, wie fett er auch sein mochte!«
»Ich bin als Spielball auf die Welt gekommen,« fuhr Rudin mit wehmütig-verächtlichem Lächeln fort. »Ich kann nicht stille stehen.«
»Das ist wahr; du kannst aber nicht stille stehen, nicht weil ein Wurm in dir steckt, wie du vorhin sagtest … Kein Wurm steckt in dir, kein Geist müßiger Unruhe: Liebe zur Wahrheit durchglüht dich, und wie man sieht, glüht sie ungeachtet aller Misere in dir selbst lebhafter als in vielen anderen, die sich nicht einmal für Egoisten erklärten und dich vielleicht gar einen Intriganten nennen. Ich an deiner Stelle hätte wahrlich schon längst jenen Wurm zum Schweigen gebracht und Frieden mit allem geschlossen; du aber bist nicht einmal bitterer geworden, und ich bin überzeugt, du wärst heute noch, in diesem Augenblicke, bereit, von neuem wie ein Jüngling ans Werk zu gehen.«
»Nein, Bruder, ich bin jetzt ermattet,« erwiderte Rudin. »Es war für mich genug.«
»Ermattet! Ein anderer wäre längst gestorben. Du sagst, der Tod sei ein Sühneopfer;[228] glaubst du denn, das Leben sei es nicht? Wer gelebt hat und gegen andere nicht nachsichtig geworden ist, der verdient selbst keine Nachsicht. Wer aber wollte behaupten, daß er keiner Nachsicht bedürfe? Du hast gewirkt, wie du gekonnt hast, nach Kräften hast du gekämpft … Was verlangst du mehr? Unsere Wege gingen auseinander …«
»Du, Bruder, bist ein ganz anderer Mensch als ich,« unterbrach ihn Rudin mit einem Seufzer.
»Unsere Wege gingen auseinander,« fuhr Leschnew fort, »vielleicht eben darum, daß mich, mit meinem Vermögen, mit meinem kalten Blute und unter anderen, glücklicheren Verhältnissen, nichts daran hinderte, ruhig sitzenzubleiben und, die Hände im Schoße, den Zuschauer zu machen, während du auf das Feld hinaus mußtest, um mit aufgestreiften Ärmeln dich zu plagen und abzuarbeiten. Unsere Wege gingen auseinander … siehe aber, wie nahe wir einander sind. Reden wir ja beide fast dieselbe Sprache, auf einen halben Wink verstehen wir einander, an denselben Gefühlen sind wir herangewachsen. Von den Unserigen sind ja wenige nur noch übrig, Bruder; beide sind wir die letzten Mohikaner! In früheren Jahren, als wir noch das volle Leben vor uns hatten, konnten wir verschiedener Meinung sein, ja sogar feindlich einander gegenüberstehen; jetzt aber, da das Häufchen um uns lichter wird, da neue Geschlechter an uns vorüberziehen,[229] die anderen Zielen, als die unserigen es waren, entgegeneilen, müssen wir zusammenhalten. Stoßen wir an, Bruder, und laß uns nach alter Art singen: Gaudeamus igitur!«
Die Freunde stießen mit den Gläsern an und sangen in gerührtem und falschem, d. h. echt russischem Tone das alte Studentenlied.
»Du fährst jetzt auf dein Landgut,« nahm Leschnew wieder das Wort. »Ich glaube nicht, daß du dort lange bleiben wirst, und kann mir nicht vorstellen, wie, wo und auf welche Weise es mit dir enden wird. Vergiß aber nicht, daß, was sich mit dir auch ereignen möge, du immer einen Platz, ein Nest hast, wo du dein Haupt niederlegen kannst: mein Dach … hörst du, altes Haus? Die Gedankenarbeit hat auch ihre Invaliden und diese bedürfen eines Asyls.«
Rudin erhob sich.
»Danke dir, Bruder,« sagte er. »Habe Dank! Ich werde es dir eingedenk sein. Doch eines Asyls bin ich nicht wert. Verdorben ist mein Leben, und ich habe dem Ideal nicht gedient, wie sich’s gebührt.«
»Schweig!« unterbrach ihn Leschnew. »Ein jeder bleibt, wozu die Natur ihn gemacht hat, und mehr läßt sich von ihm nicht fordern! Nanntest du es nicht den ewigen Juden? … Wie kannst du es aber wissen, vielleicht bist du dazu bestimmt, ewig umherzuwandern, vielleicht erfüllst du dadurch ein höheres, dir selbst unbewußtes Verhängnis: nicht umsonst heißt es im[230] Munde der Volksweisheit, daß wir alle unter Gott stehen. Ein Samenausstreuer bist du vielleicht! – Gehe also hin, wohin seine Hand dich leitet,« fuhr Leschnew fort, als er bemerkte, daß Rudin seine Mütze nehmen wollte. »Doch bleibst du nicht für die Nacht?«
»Ich will fort! Lebe wohl. Habe Dank … Mit mir endet es nicht gut.«
»Das steht bei Gott … Du fährst also bestimmt?«
»Ja. Lebe wohl. Behalte mich nicht in bösem Andenken.«
»Lebe wohl! Gedenke auch meiner nicht im Bösen, und vergiß nicht, was ich dir gesagt habe. Lebe wohl …«
Die Freunde umarmten einander. Rudin entfernte sich rasch.
Leschnew ging lange im Zimmer auf und ab, hielt beim Fenster still und sagte halblaut: »Armer Mensch!«, dann setzte er sich an den Tisch und fing einen Brief an seine Frau an.
Draußen erhob sich der Wind und schlug mit unheilverkündendem Heulen schwer und wie erbost an die klirrenden Scheiben. Eine lange Herbstnacht war hereingebrochen. Wohl dem, der in solchen Nächten ein Dach über sich weiß, einen warmen Winkel sein eigen nennt. Und möge Gott alle obdachlosen Waller in Gnaden bewahren!
[231]
In der heißen Mittagsstunde des 26. Juni 1848, in Paris, als der Aufstand der »Arbeitervereine« fast unterdrückt war, stürmte ein Bataillon Linientruppen in einer der engen Quergassen der Vorstadt St. Antoine eine Barrikade. Einige Kanonenschüsse hatten sie bereits in Schutt gelegt; die am Leben gebliebenen Verteidiger derselben zogen sich zurück und waren nur noch auf ihre eigene Rettung bedacht, als plötzlich auf dem höchsten Punkte der Barrikade, auf dem eingeschlagenen Kasten eines umgestürzten Omnibuswagens, ein hochgewachsener Mann sichtbar wurde in einem alten Rock, mit einer roten Schärpe umgürtet, mit einem Strohhute auf dem weißen, unordentlichen Haare. In der einen Hand hielt er eine rote Fahne, in der anderen einen krummen, stumpfen Säbel und schrie mit angestrengter, scharfer Stimme, indem er bemüht war, höher hinaufzuklimmen und mit Fahne und Säbel Zeichen zu machen. – Ein Vincennes-Jäger legte auf ihn an – ein Schuß fiel … dem hochgewachsenen Mann entglitt die Fahne – und wie ein Sack stürzte er vornüber auf sein Gesicht, als wäre er jemandem zu Füßen gefallen … Die Kugel war ihm gerade durchs Herz gegangen.
»Tiens!« sagte einer der fliehenden insurgés zu einem anderen, »on vient de tuer le Polonais!«
»Bigre!« antwortete der andere, »sauvons-nous!«[232] und beide warfen sich in das Kellergeschoß eines Hauses, an welchem die Laden alle verschlossen waren und dessen Wände überall Spuren von Kugeln und Kartätschen zeigten.
Dieser »Polonais« war Dmitri Rudin.
Fußnoten:
[1] Kleinrußland, weil dort das Landvolk und die untersten Klassen der Bevölkerung den Kopf rund herum rasiert tragen und nur auf dem Scheitel einen Schopf wachsen lassen.
[2] So heißen die kleinrussischen Volkslieder.
[3] Aus Gribojedow.
[4] Petschorin, der Held in Lermontoffs Roman: »Der Held unserer Zeit«.
[5] Puschkin.
[6] Russisches Sprichwort.
[7] Russischer Volksdichter.
Bücherverzeichnis des Verlags Georg Müller
Friedrich Huch
Neue Träume.
Mit zahlreichen Federzeichnungen im Text und 10 ganzseitigen Lithographien von Alfred Kubin. Mit einer Vorrede des Verfassers und einer Vorbemerkung des Zeichners. Hergestellt in einer einmaligen numerierten Auflage von 800 Exemplaren, von denen die Nummern 1–100 in Halbpergament gebunden wurden. Pappband 10 Mk., Halbpergt. 15 Mk.
Shakespeare: Sonette.
Deutsche Übertragung von F. Huch. (Aus dem Nachlaß.) Einmalige Auflage von 600 Exemplaren, davon 450 auf Bütten, den Titel und die zweifarbigen Initialen zeichnete Paul Renner. Halbpergt. 12 Mk.
*
Huldschiner, Richard: Beatus. Aus dem Buch eines Lebens.
Einbandzeichnung Hermann Häger. Geh. 3 Mk., geb. 4 Mk.
Humorbuch.
Siehe unter Novellenauswahlbände.
Huneker, James: Chopin.
Der Mensch und der Künstler. Einzig autorisierte Übersetzung von Lola Lorme und Heinrich Glücksmann. Mit einem Geleitwort der Übersetzer. 3.–4. Tsd. Mit 26 Abbildungen. Geh. 5 Mk., Halbleinen 7 Mk.
Huysmans, J. K.: Geheimnisse der Gotik.
Drei Kirchen und drei Primitive. Übertragung und Anhang von Stefanie Strizek. Mit 24 Bildbeigaben. 2. Auflage. Halbleder 15 Mk.
Immermann, Karl.
Siehe unter Bücherei der neuen Serapionsbrüder.
Der Indische Kulturkreis
in Einzeldarstellungen. Herausgegeben unter Mitwirkung von Helmuth von Glasenapp, Otto Hoever, Noto Soeroto, Heinrich Stönner, Willem Stutterheim, Fritz Trautz von Karl Döhring.
Siam. Land und Volk / Die bildende Kunst.
Von Karl Döhring. Mit 282 Abbildungen. In Leinen 32 Mk.
Rama-Legenden und Rama-Reliefs in Indonesien.
Von Dr. Willem Stutterheim. 2 Bände. Mit 230 Abbildungen auf Tafeln. In Leinen, 2 Bände 50 Mk.
Indien. Volk und Kultur / Länder und Städte.
Von Dr. Helmuth von Glasenapp. Mit 248 Abbildungen auf Tafeln. In Leinen geb. 32 Mk.
Heilige Stätten Indiens.
Mit ca. 250 Abbildungen. Von Dr. Helmuth von Glasenapp. In Leinen ca. 32 Mk.
Ceylon.
Von Dr. Friedrich M. Trautz.
Mit 128 Tafeln.
In Leinen geb. 32 Mk.
Man verlange den illustrierten Prospekt »Der indische Kulturkreis«.
Siehe auch unter Gregor Krause: Bali.
Heinrich Eduard Jacob
Der Zwanzigjährige.
Ein symphonischer Roman. 3. Auflage. Geh. 2 Mk., geb. 3.50 Mk.
Beaumarchais und Sonnenfels.
Schauspiel in vier Akten. Geh. 1 Mk.
Jean Paul
Die Briefe Jean Pauls.
Kritisch-historische Gesamtausgabe. Herausgegeben und erläutert von Eduard Berend. 1. Band: 1780–1794. Mit 6 Tafeln und einem Stammbaum. 2. Band: 1794–1797. Mit 6 Tafeln und einem Stammbaum. 3. Band: 1797 bis 1800. Mit 7 Tafeln. 4. Band: 1800 bis 1805. Mit 6 Tafeln und einem Stammbaum. Jeder Band geh. 12 Mk., Halbleder 20 Mk., in Ganzleder 50 Mk.
Dr. Katzenbergers Badreise.
2. Aufl. Mit Bildern von Walo von May. Halbleinen 10 Mk.
Jean Pauls Persönlichkeit.
Zeitgenössische Berichte. Gesammelt und herausgegeben von Eduard Berend. Mit 15 Bildbeigaben. Geh. 4 Mk., Halbleinen 6 Mk.
Das heimliche Klaglied der heutigen Männer.
Siehe unter Georg Müllers Zwei-Mark-Bücher.
*
Jenseitsrätsel.
Siehe unter Novellenauswahlbände.
Elisabeth Joest
Jens Palmström.
Novellen. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk.
Vibrationen.
Roman. 1.–5. Tsd. Einbandzeichnung von Hermann Häger. Geh. 3 Mk., geb. 4 Mk.
*
Wie Karl von Frankenland gen Jerusalem zoge und, um seiner Frauen Reden, gen Konstantinopel, König Hugo zu sen.
(Die Weise von Kaiser Karls Fahrt gen Morgenland.) Nachdichtung aus dem Altfranzösischen von Werner und Maja Schwartzkopff. Mit einer Einführung von Karl Voßler. Mit 12 Holzschnitten von Hans Pape. In alter Fraktur gedruckt in einmaliger Aufl. von 250 numerierten und vom Künstler signierten Expl., davon 50 auf Bütten. Ausgabe A: Büttenausgabe in handgearbeitetem Ganzpgtbd. mit den Holzschnitten in Mappe (jeder Holzschnitt signiert) 50 Mk. Ausgabe B: Handgearbeiteter Ganzpgtbd. (ohne Mappe) 35 Mk. Ausgabe C: Halbpgtbd. 25 Mk.
Kaiser, Georg: Von Morgens bis Mitternachts.
Stück in 2 Teilen. Mit 12 farbigen Steinzeichnungen von Rudolf Großmann. Einmalige numerierte Auflage von 325 Expl. Auf Bütten mit der Hand als Halblederband gebunden 40 Mk., als Pappband gebunden 18 Mk.
Kalkoff, Paul: Luther und die Entscheidungsjahre der Reformation.
Von den Ablaßthesen bis zum Wormser Edikt. Mit 8 Abbildungen. Halbleinen 4 Mk., geh. 2 Mk.
Kant.
Siehe unter Bibliothek der Philosophen.
Karlchen.
Siehe unter Ettlinger.
Kasprowicz, Jan: Mein Abendlied.
Hymnen. Deutsch von Stanislaw Przybyszewski. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk.
Kataloge
Verzeichnis der lieferbaren Bücher des Verlags Georg Müller. 1924/25.
Mit über 60 Abbildungen. 250 Seiten. 1 Mk.
Katalog der Bücher des Verlags Georg Müller. 1923.
Mit einer Zeichnung von Emil Preetorius. 0.50 Mk.
Fünfzehn Jahre Georg Müller Verlag.
210 Seiten. 1918. 2 Mk.
Bücher des Verlags Georg Müller.
Umschlagzeichnung von Emil Preetorius. Mit zahlreichen Abbildungen. 150 Seiten. 0.50 Mk.
Literaturbericht des Verlags Georg Müller.
Mit zahlreichen Abbild. 95 Seiten. 0.20 Mk.
Das Reich des Eros.
Mit zahlreichen Abbildungen. 16 Seiten. Kostenlos.
Gesamtausgaben des Verlags Georg Müller.
16 Seiten. Kostenlos.
Das Zeitalter Napoleons I.
Mit zahlreichen Abbildungen. Kostenlos.
Der Indische Kulturkreis in Einzeldarstellungen.
Mit Abbildungen. Kostenlos.
*
Kaus, Gina: Der Aufstieg.
Novelle. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk.
Gottfried Keller
Sieben Legenden.
Mit 8 Holzschnitten von Hans Halm. Hergestellt in 1200 Expl. Die Holzschnitte wurden von den Originalholzstöcken gedruckt. In Halbpergt. geb. 10 Mk., Ganzpergt. 15 Mk.
Romeo und Julia auf dem Dorfe u. a.
Halbleinen 2 Mk.
Siehe unter Georg Müllers Zwei-Mark-Bücher.
*
Kierkegaard: Aus dem Tagebuch des Verführers. Diapsalmata.
Siehe unter Georg Müllers Zwei-Mark-Bücher und unter Bibliothek der Philosophen.
Eugen Kilian
Goethes Egmont auf der Bühne.
Zur Inszenierung und Darstellung des Trauerspiels. Ein Handbuch der Regie. Geh. 4.50 Mk., Halbleinen 5.50 Mk.
Dramaturgische Blätter.
Aufsätze und Studien aus dem Gebiete der praktischen Dramaturgie, der Regiekunst und der Theatergeschichte. Geh. 3 Mk.
Aus der Praxis der modernen Dramaturgie.
Der Dramaturgischen Blätter zweite Reihe. Aufsätze und Studien aus dem Gebiete der praktischen Dramaturgie, der Regiekunst und der Theatergeschichte. Geh. 3 Mk.
Goethes Faust auf der Bühne.
Beiträge zum Probleme der Aufführung und Inszenierung des Gedichtes. Geh. 1.50 Mk.
Shakespeare: Antonius und Kleopatra.
Trauerspiel in fünf Akten. Nach Baudissins Übersetzung für die deutsche Bühne bearbeitet. 2. vielfach veränderte Aufl. Geh. 1 Mk.
*
Kin-Ku-Ki-Kuan: Chinesische Novellen.
Siehe unter Georg Müllers Zwei-Mark-Bücher.
Friedrich M. Kircheisen
Napoleon I. Sein Leben und seine Zeit.
1. Bd.: 1769–1796, 2. Bd.: 1796–1797, 3. Bd.: 1797–1799, 4. Bd.: 1799, 5. Bd.: 1800–1804. Jeder Band mit zahlreichen Abbildungen, Faksimiles, Karten und Plänen. Leder je 70 Mk., Halbleder je 25 Mk.
(Bisher 5 Bände erschienen, weitere in Vorbereitung.)
Man verlange den illustrierten Prospekt: »Das Zeitalter Napoleons I.«
Napoleon im Lande der Pyramiden und seine Nachfolger 1798–1801.
Mit 100 Abbildungen, Faksimiles, Karten und Plänen. Geh. 7 Mk., Halbleder 20 Mk.
Fortsetzung des Bücherverzeichnisses siehe:
Goethes Tagebuch der italienischen Reise
(Georg Müllers Zwei-Mark-Bücher)
Druck von Mänicke & Jahn A.-G., Rudolstadt
Weitere Anmerkung zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Unterschiedliche Schreibweisen insbesondere bei Namen wurden wie im Original beibehalten. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Das Cover wurde aus dem unbeschrifteten Originalcover und der Titelseite zusammengesetzt und ist gemeinfrei (Public Domain.