*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76034 *** ====================================================================== Anmerkungen zur Transkription. Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden. Worte in Antiqua sind so +dargestellt+; gesperrte so: ~gesperrt~ ======================================================================= Gustav Schröer / Der Hohlofenbauer Gustav Schröer Der Hohlofenbauer Roman Verlag C. Bertelsmann Gütersloh Buchausstattung von Siegfried Kortemeier in Gütersloh. Druck: Kölner Verlags-Anstalt u. Druckerei G.m.b.H. Copyright 1926 by Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg. Printed in Germany 1. Es war der letzte Sonnabend im Maien. Vor acht Tagen hatten die Pfingstglocken geläutet. In lustigen Sprüngen hatte die kleine Glocke als erste ihre Klänge in den Maienmorgen hinausgeschickt. An jedes Fenster sollten sie klopfen. Das aber war nicht leicht; denn wo sich sonst allenfalls eine bescheidene Rose zur Sommerreise angeschickt, da stand heute eine schlanke Birke. Die Burschen in Schönbach hatten in der Nacht ihren Mädeln die Pfingstbirken gesetzt. Keine war übersehen worden, und es ging keine häßliche Häckselspur von einem Hause zum anderen. Die schlankeste Birke stand vor einem der kleinsten Häuser, und jeder im Dorfe hatte das in der Ordnung gefunden; denn in dem Hause wohnte die Marie Berteles, der aus ihren Kindertagen die Koseform des Namens geblieben war. Kein Mensch nannte sie anders als das Mariele, obwohl sie nun reichlich zwanzig Jahre und selber so schlank wie eine Pfingstbirke war. Es war wunderlich: Das Mädel hatte nicht eine einzige Neiderin, und es wäre doch Ursache zum Neid gewesen, denn -- -- -- Doch das war ja noch nicht so weit, und man soll nichts berufen. Wundervoll jung und glücklich hatten die Birken ausgesehen, und glücklich waren am Morgen die Augen der Mädel gewesen. Am glücklichsten die des Mariele. Als die zweite Glocke nun mit der kleinen Weckerin zusammen mahnte: Macht euch so langsam fertig, ihr Leute! da hatte das Mädel seine Hand an das weiße Birkenstämmchen gelegt und es gestreichelt. Dies Streicheln hatte weniger dem Bäumchen gegolten als dem, dessen Namen die jungen Lippen nannten, und der zur selben Zeit eben auf dem Hohlofenhofe aus dem Stalle kam, um sich für den Kirchgang zu richten. »Rudolf!« sagte Marie Berteles leise, und dabei zuckte es in ihren Mundwinkeln; denn der Weg wollte doch wohl gar zu hoch hinausgehen. Sie und des Hohlofenbauern Einziger! Freilich, wenn man sich den Bauern vorstellte, diesen immer zu Scherz und Neckerei aufgelegten, grundgütigen Mann, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, gerade das Mariele zu necken und dem das Wohlgefallen an ihr allzeit unverhohlen aus den Augen brach, dann war es gewiß unrecht, zu meinen, er werde sich seinem Sohne in den Weg stellen. Aber -- -- -- Der Weg ging hoch hinaus, und solche Wege sind gemeinhin weit steiniger als andere. Die dritte Glocke setzte mit ein. Wuchtig und voll kamen ihre Klänge über das Dorf her gewallt. Ihnen widerstand keine Birke, kein Fenster und keine Haustür. Sie fanden ihren Weg in jedes Ohr und jedes Herz und baten nicht wie die kleine Glocke, mahnten nicht wie die mittlere, forderten: Komm! Und dieser Forderung gaben die Schönbacher nach, auch die Leute vom Hohlofenhofe und die Frauen aus dem Berteleshause, das Mariele und seine Mutter. Sie trafen auf der Straße zusammen, grüßten einander, der Hohlöfner bot als erster die Hand. Seine Augen strahlten, der ganze, trotz seiner reichlich fünfzig Jahre jugendlich lebendige Mann, war verkörperte Pfingstfreude und ward es nicht gewahr, daß die Hände seines Sohnes und des Mariele sich fester drückten und einen Augenblick länger hielten als die anderen. Wohlgefällig ließ er die Augen auf dem Mädel ruhn, strich den braunen Schnurrbart, in dem noch kein weißes Haar war, zur Seite und neckte: »Warst auch rechtzeitig auf dem Platze, Mariele?« Die verstand ihn und ging auf seinen Ton ein. »Freilich. Die Sonne hat noch nit geschienen, da war ich schon da.« »Gelt,« ein lustiges Augenzwinkern des Mannes, »da lag Häckerling genug?« »Ein ganzer Spreukorb voll und sah akkurat aus, als wäre er aus Eurer Scheune.« Da lachte der Mann so schallend auf, daß seine Frau hinter ihm leise mahnte: »Aber Mann, wir gehen doch in die Kirche!« Die Mahnung war nicht mißbilligend, aber sie bewirkte, daß der Bauer nur noch leise vor sich hin lächelte und mit einem frohen Blick auf das Mädchen, das zwischen ihm und dem Sohne ging, vor sich hin nickte. Was wollte das anders heißen als: So habe ich dich gern, so schlagfertig, so jung, so sauber inwendig und auswendig. Die beiden Mütter gingen nebeneinander hinter den anderen her. Breit, rundlich, freundlich lächelnd die Bäuerin, zersorgt, schwächlich und hager die Witwe des Andreas Berteles, der seinerzeit halb Zimmermann, halb Bäuerlein gewesen war, und den vor acht Jahren eine Lungenentzündung viel zu früh von Weib und Kind genommen hatte. Seine Frau hatte sich von dem Schlage nie zu erholen vermocht, sein Kind aber war aufgeschnellt wie ein Bäumlein, das die Schicksalslast mit rüstiger Kraft von sich warf. Auch die Hohlofenbäuerin hatte ihre helle Freude an dem Mädchen, aber sie sah mit Mutteraugen tiefer als ihr Mann, und wenn sie sich auch zutraute, mit dem fertig zu werden, sobald er erkannte, worauf es zwischen seinem Einzigen und dem Mariele zuging, so wußte sie doch, daß es nicht leicht sein würde. Just den Gedanken erwog auch Mutter Berteles und seufzte. Die Hohlofenbäuerin erriet ihre Sorgen, nickte ihr zu, lächelte und wollte ihr etwas Liebes sagen, der Frau wohlzutun. »Er kann seine Narrenspossen nit lassen,« bemerkte sie, nach ihrem Manne deutend, »aber die zwei verstehen einander. Das Mariele bleibt ihm keine Antwort schuldig. So will er es gerade haben, und je fixer das geht, desto lieber ist es ihm.« Die Berteles schwieg, und so begann die Bäuerin nach ein paar Schritten wieder: »Man sollt's doch nit meinen, daß es so was geben könnte! Meine Haare kann ich in die hohle Hand bringen, und dem Mariele hängen sie bis auf die Füße herab. So was! Und wie die Sonne darauf funkelt!« »Hat ihre Last mit den Haaren,« entgegnete Mutter Berteles. »Alle Tage das Kämmen! Aufstecken kann sie sie schon gar nit, und ein Hut paßt ihr auch nit. Ich habe schon manchmal gedacht, sie sollt sie sich ausschneiden lassen.« »Ja nit,« wehrte Minna Korn, die Hohlofenbäuerin, ab. »Nit rühr an! Wär schade um jedes Haar. Auf ~den~ Kopf paßt gar kein Hut. Wie säh das Mariele aus mit einem Hute! Gar nit wie das Mariele!« Und wohlgefällig streichelten ihre Blicke das Mädchen, das zwischen den Männern vor ihnen ging. Das Berteles-Mariele schritt immer mit einer natürlichen Anmut einher, einerlei, ob sie im Werktagskleide zur Feldarbeit wanderte oder im Sonntagsstaat nach der Kirche ging. Sie scheute vor keiner Arbeit zurück, reinigte daheim dem Vieh die Ställe, hockte zwischen Rüben und Kartoffeln, aber es war, als bliebe nie etwas an ihr hängen. Kein Mensch sah sie anders als sauber und zusammengerafft, und niemand sah sie anders als heiter und freundlich. Selbst Fritz Ender, der ein hagerer, galliger Mensch war und selten einem guten Tag sagte oder den Gruß anders als knurrend erwiderte, ward freundlicher, wenn ihm das Mariele in den Weg lief. Sie war auch wohl so ziemlich die einzige in Schönbach, die den Grund zu des Mannes hämischer Art in seiner Krankheit suchte und so ihm selber kaum Schuld gab. Schlank war sie und doch voll, und die Burschen sahen ihr nach, wo sie ihnen begegnete. Keiner aber ließ ein häßliches, wenn auch scherzhaft gemeintes Wort, fallen, wenn Marie Berteles in der Runde weilte. Ihr Gesicht war klar und eher länglich als rund. Das schönste an dem Mädel aber war ihr Blondhaar. Das Mariele hatte seine Last damit, gewiß, und doch hätte sie, obwohl die Mutter dazu riet und auch sie selber zuweilen nicht übel Lust dazu gehabt hatte, nunmehr nicht eine Strähne herausgeschnitten. Das konnte sie dem nicht antun, von dem sie selber beinahe nicht wußte, ob er mehr in die langen Zöpfe oder in deren Trägerin verliebt war. Das heißt, das Wort »Verliebt« war in Schönbach nicht so gang und gäbe wie anderwärts. Der Bursche hatte sein Mädel gern, das ihn, und war doch selten von Liebe die Rede. Des Marieles Zöpfe also hingen fast bis auf die Knöchel herab. Aufstecken konnte sie das Mädel nicht. So ließ sie sie hängen, und es wagte keiner der Burschen mehr, daran zu zupfen. Das tat nur noch ein einziger. Der dafür aber um so lieber und öfter, und das war der reichlich fünfzigjährige Hohlöfner, von dem seine Frau sagte, sie wundere sich, nachdem sie nun länger als fünfundzwanzig Jahre verheiratet wären, über nichts so sehr als darüber, daß in seinem Kopfe immer noch neue Raupen auskröchen. Und doch wußte sie, daß derselbe Mann im Grunde tiefernst war. Er hatte aber die glückliche Gabe, lieber die helle Seite der Dinge zu sehen als die dunkle, sich lieber zu freuen als zu ärgern. Wiederum aber hatte er sein heiteres Lebenszelt dicht neben einem schäumenden Bache gebaut. So gern er scherzte und neckte, so lieb ihm eine schlagfertige Antwort war, auch wenn sie eine kleine Schwäche traf, so krankhaft empfindlich war er, wenn er meinte, es mache sich einer über ihn lustig. Nichts konnte er weniger vertragen als das Ausgelachtwerden. Das traf den Mann in ihm, der noch stets mit dem Leben fertig geworden war, dessen Hof fraglos der erste weit und breit war, dessen Redlichkeit und Zuverlässigkeit ebenso über jedem Zweifel standen wie seine Tüchtigkeit als Bauer, der mit der Zeit fortschritt. So geschah es wohl zuweilen, daß er verletzt war, auch wenn kein wirklicher Grund vorlag. Dann hatte seine Frau zu glätten, aber sie hatte etwa aufkommende Runzeln auf der Stirn oder über dem Herzen noch immer zu beseitigen verstanden, wußte, wie sie ihren Wuschelkopf zu behandeln hatte, und konnte am Tage ihrer silbernen Hochzeit aus ehrlichem Herzen und mit glücklich leuchtenden Augen sagen: »Heinrich, ich möchte dich nit anders haben, wie du bist.« Fest und breitbeinig, den Kopf hoch aus den Schultern gereckt, alle Augenblicke freundlich auf das um einen reichlichen Kopf kleinere Mariele herabsehend, schritt Heinrich Korn der Kirche zu. Wäre es nicht dahin gegangen, er hätte wahrlich auch mit dem Munde gelacht. So lachte er nur noch mit den Augen. Links vom Mariele ging der Hohlofenleute Einziger, der Rudolf. Nicht viel größer als das Mädchen, hatte er auch äußerlich vom Vater so gut wie nichts. Er war ruhig, lachte wenig, neckte nie. Über dem in allen Zügen festen Gesicht ragte eine schmale Stirn, in die herein dann und wann eine Strähne der schlichten, dunkelbraunen Haare fiel, während des Vaters Scheitel noch immer zeigte, daß er einst gelockt war. Alles an dem Menschen war ein stiller Ernst, und nur aus den Augen redete die heitere Güte der Mutter. Während der Bäuerin aber dafür zur gegebenen Zeit auch die Worte zur Verfügung standen, war Rudolf allezeit eher darum verlegen, als daß sie ihm rasch über die Lippen gegangen wären. Der war es, den Marie Berteles liebhatte, und die Liebe machte ihr Sorgen und Unruhe. Die abgearbeitete, vom Leben beinahe abseits gestellte Mutter hätte es gern gesehen, wenn der Tochter Sinn auf einen anderen gestanden hätte, so lieb ihr der Rudolf Korn war, aber was war zu machen? Stillhalten, abwarten, den Sturm vorüberbrausen lassen, der ja doch kommen mußte, wenn entweder der Hohlofenbauer aus seiner Harmlosigkeit von selber erwachte oder der Sohn ihn dadurch weckte, daß er ihm erklärte, wen er als künftige Bäuerin auf den Hof bringen wolle. Das bewegte die Berteles-Mutter auch auf dem Wege zur Kirche, und die Hohlofenbäuerin spürte es. Sie reichte der stillen Frau unter der Kirchtür die Hand: »Pauline, ich gehe heut nachmittag nach unserem Weizen am großen Stück und komme heimwärts auf einen Sprung zu dir. Ich will einmal wieder des Marieles Garten sehen. Bist du daheim?« »Wo soll ich sein, Hohlöfnerin? Ich geh nit fort.« »Alsdann ist's recht.« Als die Bäuerin am Nachmittage aus dem Berteles-Häuschen ging, war es des Marieles Mutter wieder einmal ein wenig leichter um das Herz. Es war keine bestimmte Zusage gegeben oder gefordert worden, kaum ein Wort über die Sache gefallen, die doch die beiden Mütter bewegte und in der sie sich verstanden, aber Minna Korn hatte den einfachen Kuchen der Bertelessin laut gelobt und gefragt, ob denn das Mariele auch so backen könne. Gerade solcher Kuchen sei ihr halbes Leben. Und nach einem kleinen Seufzer der Berteles hatte sie ihr über die hagere Hand gestrichen: »Aber Pauline, warum mußt denn immer so seufzen? Mußt dir's nit so schwer machen. Das kommt alles, wie es muß. Es ist doch niemand ein Unmensch.« Der Niemand aber war der breite, lustige, ein Meter fünfundachtzig lange, wuschelköpfige Hohlofenbauer Heinrich Korn, der zur selben Zeit im Wirtshausgarten mit etlichen Nachbarn Kegel schob, Neckereien austeilte und lustige, schlagfertige Antworten einsteckte. Heute konnte ihm nicht einmal Fritz Ender die Laune verderben, dessen Kugel bestimmt niemals einen stehengebliebenen Bauern traf. -- -- Und nun war das blühende, singende Pfingsten vorüber, fünf Wochentage, alle in Sonne getaucht, waren hinter dem zweiten Feiertage drein gebummelt, die Pfingstwoche war aus. Der Sonnabend schlenderte sachte aus dem Dorfe, traf an der Hecke den Sonntag, der es ein bißchen eilig zu haben schien, und sagte: »Wart's nur ab, bis ich ganz fertig bin. Es hilft schon nichts, ich muß meine Zeit aushalten, und du kannst es morgen machen, wie du willst, du bist doch zu kurz. Hörst du, wie sie juchzen? Jetzt setzen sie den Maibaum. Morgen ist Birkentanz und Hammelschießen, und wenn das ist, könntest du gern zweimal vierundzwanzig Stunden haben. Ich stand vorhin neben dem blassen jungen Lehrer und Tischler Kühn, du weißt, den mit den spitzen Knien meine ich. Der Lehrer hat den Maibaum mit hereingetragen. Er hätt's nicht tun sollen. Was sich so ein junger Kerl denkt. Mit ~dem~ Gewicht hat er nicht gerechnet. Heute abend schmiert er seine Schulter mit Opodeldock ein. Ich sage dir, die ist braun und blau. Er hat egal getan, als wenn ihm die Jacke nicht passe, hat gezupft und gerupft. Hahahaha! Hätte des Hohlöfners Rudolf nicht gesagt, er solle nun aus der Reihe gehen, die Arbeit wäre er doch nun einmal nicht gewöhnt, dann wäre ihm morgen selber das Hemd zu schwer auf der Achsel. Er weiß gar nicht einmal, wie lang der Baum ist. Sagt er doch richtig zu Tischler Kühn, der Baum könne am Ende seine zwölf, dreizehn Meter haben. Dabei ist er sechsundzwanzig Meter und drei Zoll -- wir zwei Alten rechnen ja nun einmal immer noch mit Zoll -- lang. Ausgerechnet die schönste Tanne haben die Burschen wieder zu finden gewußt. Am Bärenbächel stand sie, und ich bin jedesmal, wenn ich heimging, an ihr vorüber gegangen und habe mich gefreut, daß sie so hoch hinaus wollte. -- Hörst du, wie sie juchzen? Wo willst du denn hin? Immer langsam, es ist erst neun. Ich habe noch drei Stunden Zeit. Komm, brenne dir eine Pfeife an, da hast du meine Schweinsblase. Ich lasse mir nichts abhandeln. -- Hör bloß, wie sie juchzen!« Laute Jauchzer kamen vom Dorfe her. Alle Kraft raffte der Mai zusammen und schmückte sich mit Duft und Licht, mit buntem Leben und stillem Frieden. Wie hätte er das auch nicht sollen, da ja doch in Schönbach morgen Birkentanz und Hammelschießen war! Und wer in Schönbach hätte an solchem Abend und unter solchen Erwartungen nicht so froh sein sollen, daß er sich selber zu enge war? Etwa der Hohlofenbauer Heinrich Korn, weil er nun in drei Wochen fünfundfünfzig Jahre wurde? Was machen die paar Jahre aus? Er hat sich kaum rüstiger gefühlt, als er so alt war wie sein Junge, der nun sechsundzwanzig war, ist überhaupt zeitlebens ein anderer Kerl gewesen als der. Zwar, es ist nichts an ihm auszusetzen, alles was wahr ist. Soll einer herkommen und eine bessere Furche pflügen oder einen breiteren Schwaden mähen, ganz zu schweigen davon, daß auch im Hause jeder Griff sitzt, ihm niemals der Wetzstein fehlt, wenn er schärfen, oder der Dengelhammer, wenn er dengeln will. Nur still ist er. Es braucht ja nicht jeder so ein Pulverkopf zu sein wie er, der Hohlöfner selber, aber gar zu still, das ist auch nicht richtig. Und dabei kann man nicht sagen, daß der Rudolf maulfaul wäre. Er weiß zu sagen, was er zu sagen hat, und es hat alles Hand und Fuß. Und dann -- Dunnerlichting, der Junge ist doch sechsundzwanzig Jahre! Er, der Alte, wenn er noch einmal so jung wäre, dann hätte er -- -- -- He, da kommt sie ja wahrhaftig gerade! »Guten Abend!« »'n Abend, Mariele. Wo bleibst du denn, Mädel? Du gehörst doch nit mehr auf die Straße. Ohne dich bringen sie den Maibaum gar nit hoch.« »Wenn starke Leute gebraucht werden, wärst du doch eher am Platze.« »Ich! So ein alter -- -- --« »Sag's nit, Hohlöfner. Glaubst ja doch nit dran und ist ja auch nit wahr.« »Willst du mir schöntun, Mariele?« Der Bauer lachte über das ganze Gesicht. »Laß das meine Alte nit hören.« Er hatte längst vernommen, daß die Bäuerin über den Hof kam, wandte sich, tat erschrocken, lachte: »Mußt auch grade kommen, wenn mir das Mariele sagt, daß ich noch kein alter Mann bin.« Auch die Bäuerin lächelte. »Das sagt sie halt so, das Mariele. Bist schon ein alter Mann. Da ist nix zu machen, und gegen das Altwerden ist auch kein Kraut gewachsen.« »So,« warf sich der Bauer lustig auf. »Ich will doch sehen, ob ich alt bin. Mariele, morgen tanz ich mit dir den ersten.« »Wenn du halt den Hammel gewinnst,« entgegnete das Mädchen lustig. »Wer soll ihn weiter gewinnen? Habe ihn schon fünfmal in meinem Leben gewonnen. Morgen gewinn ich ihn wieder. Sollst deine Strafe schon haben.« »Laß mir die Strafe gern gefallen.« »Fahr zu mit deinem Vierzöller, aber paß auf, daß dir der Gaul nit durchgeht und du etwa gar mit deinen langen Haaren ins Rad kommst.« »Will schon aufpassen. Gute Nacht!« »Gute Nacht!« Das Mädchen ging die Straße hinab und zog das Handwägelchen hinter sich her, auf das sie Klee geladen und das der Hohlöfner scherzend mit einem der schwersten Ackerwagen verglichen hatte, die man in Schönbach überhaupt gebrauchte. Als sie um die Ecke lenkte, legte der frohgemute Mann seinem rundlichen Weibe den Arm um den Leib und zog sie in den Hof. »Komm, Mutter, wollen noch einmal in den Garten gehn.« Sie gingen, ließen sich im bescheidenen Blumengarten, an den sich der weite Obstgarten anschloß, auf die Bank nieder und schwiegen. Derselbe Mann, dem sonst die Neckworte zu Haufen über die Lippen kollerten, war tiefernst und innerlich bewegt. Der Blick schweifte von der Bank aus hinein in den Obstgarten, in dem ein letzter Apfelbaum im rötlichen Blütenmantel prunkte, und rechts und links hinaus auf die Felder, aus denen die Frucht froh zum Maienhimmel hinauf wuchs. Eine Drossel pfiff einen letzten Jodler. Fledermäuse huschten schweigend, und dunkel stand der Wald an den Berglehnen. Droben gingen die Sterne auf, und vom Dorfplane schallte helles Jauchzen. »Wir werden ein gutes Jahr haben, Mutter,« sagte der Bauer. »Wenn alles so bleibt und nix dazwischen kommt, kann es wohl sein.« »Wird doch nix dazwischen kommen.« »Was kann man sagen? Kommt oft anders, als man denkt.« »Freilich, Mutter.« »Aber am Ende wird ja doch immer alles recht,« fuhr die Bäuerin fort, die das Gespräch gern auf Rudolf und das Mariele gebracht hätte, in frauenhafter, kluger Diplomatie, aber sehr vorsichtig dabei zu Werke ging. So redete sie vorerst nur von der alten Bertelessin, daß es der doch wahrlich nicht gut ginge, daß sie nicht recht mehr auf dem Zeuge sei und es verdiene, daß ihr die alten Tage leichter würden. Da fiel der Bauer in aller Harmlosigkeit ein: »Hast ihr ja schon immer geholfen, Mutter, und kannst, wenn du es für nötig hältst, gern noch ein bissel mehr tun. Ich hab nix dagegen. Im übrigen muß ja doch das Mariele auch einmal zum Heiraten tun. Ich versteh nit, wo die jungen Kerle heutzutage ihre Augen haben. Wenn ich noch ein junger Kerl wäre -- -- --« »Du hätt'st sie vom Flecke weg geheiratet.« Der Hohlöfner lächelte und wiegte doch den Oberkörper hin und her. »Ich weiß nit. Gehei--ra--tet?« »Zum bloßen Schöntun ist das Mariele zu schade. Sie hat nit viel, aber mit der verkauft sich einer doch nit. Was nützt das Geld? Davon wird einer nit glücklich.« »Richtig, Mutter, aber eine schöne Schüssel, in der nix ist -- -- -- Das ist auch bloß eine halbe Sache. Es muß beides beisammen sein.« Die Bäuerin wußte, wie es gemeint war, war nicht verletzt, erkannte aber, daß ihr damit eine kleine Waffe in die Hand gegeben war, sie einmal im Scherz oder Ernst zu nützen. Einmal! Heute nicht. Jetzt wäre es falsch, deutlicher zu werden. Sie fand bestätigt, was sie sich selber längst gesagt, daß es nicht leicht sein werde, die Widerstände zu überwinden. Darum schwieg sie vorerst. Vom Dorfplan schallten etliche besonders laute Juchzer. »Sie haben den Baum hoch,« stellte der Bauer fest. »Komm, Mutter, wollen schlafen gehen, müssen ja doch morgen ein Loch in die Nacht machen.« »Meines wird nit groß werden. Du freilich, wenn du den Hammel gewinnen willst, kommst nit so billig davon.« Da lachte der Bauer schon wieder. »Ich will sehen, was sich machen läßt. Wer weiß, ob man ander Jahr noch Laune dazu hat.« Jetzt lächelte auch die Frau. »Ach du, Vater, und keine Laune! Du läßt doch die Dummheiten erst, wenn's überhaupt aus ist.« »Wenn's möglich ist, Mutter, bleibe ich, wie ich bin. Du siehst ja, daß ich auf ~die~ Weise am weitesten komme. Ich kann mich auch gar nit anders machen.« »Sollst du auch nit. Bleibe nur, wie du bist.« Die beiden standen auf und gingen, eng aneinander gelehnt, durch den Garten, hinter der Scheune weg, an den Mauerresten des alten Hochofens vorüber, von dem der Hof seinen Namen hatte, in das Haus. Einst war auf Schönbacher Flur Eisenstein gegraben und zum Teil in Hochöfen an Ort und Stelle verhüttet worden. Der Erzbergbau war eingeschlafen. Es war länger als ein halbes Jahrhundert her, seit zum letzten Male die Hämmer geklungen, die Öfen geraucht hatten. Die Stollen waren verfallen, die Schächte eingesunken, die Hochöfen abgetragen worden bis auf Mauerüberreste. Geblieben war der Name in dem Hofe der Korns, die den Besitzern der Gruben einst den Plan abgekauft, auf dem einer der Hochöfen gestanden. An dessen Rande hatten sie nach dem großen Hofbrande die Scheune gebaut. Niemand aber sprach von Hochöfen, sondern von Hohlöfen, und so hieß Heinrich Korn der Hohlöfner. * * * * * Still und doch von starkem Leben durchpulst ging die Maiennacht über das Bergland, das einen Teil der Vorhöhen des Frankenwaldes bildete und hinüber zum sächsischen Vogtlande grüßte. Das Dorf Schönbach machte seinem Namen ebenso Ehre wie der Bach, der teils mitten durch den Ort ging, teils hinter den Scheunen vorüberrauschte. Das Wasser hatte ein starkes Gefälle, war stellenweise seine zehn bis zwölf Meter breit und so klar, daß es seit Menschengedenken keinen Schönbacher Jungen gab, der nicht zu seiner Zeit Forellen gemaust hätte. Die Juchzer auf dem Dorfplane waren verstummt, die Lichter in den Stuben erloschen, leise rauschte der hohe Maibaum hoch über alle Häuser hinweg und in alle Gassen, sah alles, sah auch, daß vor der Haustür der Berteles-Witwe zwei standen, die leise miteinander plauderten, sich an den Händen hielten und küßten. Rudolf Korn hatte das Mariele heimgebracht und das Mädel, das sonst nicht um Worte verlegen war, war still. So heiter sie sich gegenüber dem Hohlofenbauer selber gab, so ernst war sie, wenn sie an ihn dachte. Die beiden am Berteles-Häuschen schmiedeten Pläne. »Rudolf, dein Vater will morgen den Hammel gewinnen,« sagte das Mariele. Der Bursche lächelte. »Er wird doch nit anders. Immer muß er seinen Jux haben.« »Rudolf, kannst du nix dabei tun?« Und der, nur stärker und verschmitzter lächelnd: »Du weißt doch, daß bei der Sache alles in Ehren zugehen muß. Da kann nit geschoben werden.« »Ach du! Das ist doch nix Unrechtes, wo es sich dein Vater was kosten läßt! Und,« das Mädchen schmiegte sich dichter an den Liebsten, »wenn er mit mir tanzt und ich kann ihm antworten, wie er es gern hat, weißt, dann kriegt er gute Laune und -- -- -- Gelt, Rudolf? Und sonst ist er ärgerlich, du weißt doch, wie er ist.« »Ja, wenn er will, dann ärgert ihn die Fliege an der Wand, weil sie rechts angetreten ist und nit links.« »Er ist doch aber sonst so gut, er kann gar nit besser sein.« »Stimmt. -- Was krieg ich dafür, wenn ich als der älteste Bursche nit da bin, wenn's zum Stechen kommt?« »Ach, was willst du denn haben?« »Das Mariele.« »Das hast du doch schon.« »So, dann beweis mir das.« Er nahm sie fest in die Arme und küßte sie. Und in seinen Armen das Mariele, bettelnd: »Gelt, Rudolf, du machst das schon?« »Aber, Mariele, sei doch nit so kleingläubig, wenn ich weiter nix könnt, da wär ich nit weit her. Wird aber wohl gar nit nötig sein. Ich kenne den Vater.« »Nun muß ich ins Haus. Die Mutter wartet.« »Bin gleich fertig. Nachher kannst du gehn.« Rudolf Korn wickelte sich des Mädchens lange Zöpfe um den Hals, hielt es fest: »Mariele, ich laß nit von dir! Gute Nacht.« Sie küßten sich wieder, die Tür des Berteles-Häuschens schnappte ins Schloß. Rudolf Korn ging heim, und leise, leise rauschte der Maibaum. Und nun war Sonntag, und es war Hammelschießen und Birkentanz! Das ganze Land bis tief in die Berge des Frankenwaldes hinein und in die grünen Wiesenmeere des Vogtlandes hinüber war eine einzige lichte Freude. Die Sonne schien, die Blumen blühten, die Vögel sangen. Von Schönbach aus zog sich ein breites Wiesengelände hinab ins Tal. Der rasche Bach teilte es in zwei fast gleich große Hälften. An seinen Ufern blühten die Vergißmeinnicht in großen blauen Nestern und hielten gute Nachbarschaft mit den gelben Dotterblumen. Weißes Schaumkraut tanzte die letzten Frühjahrsreigen. In den Erlen bauten die Zeisige, und in den Weiden schaukelten sich die Meisen. Forellen spielten im Sonnenlicht, huschten unter Steine in den Uferlöchern und schossen wieder hervor, wenn eine Mücke tanzmüde auf die Wellen fiel. Die Wasseramsel wippte auf ihrem Steine, und der Eisvogel schwirrte, ein blauleuchtender Edelstein, wasserauf und -ab. Hier hatten die Schönbacher ihre besten Wiesen. Sie waren um ihres guten Grases willen weit über die Dorfflur hinaus bekannt, und die Nachbardörfer neideten den Schönbachern ihre »Bodenwiesen«. Auch der Hohlofenbauer hatte zwei größere Pläne im Boden. Mit deren einem war er dem Fritz Ender benachbart, und niemand brauchte nach dem Grenzstein zu gucken, um zu wissen, wo der Plan Korns begann und der des Ender aufhörte. Der Hohlofenbauer brauchte nicht mit künstlichem Dünger zu sparen, aber er tat darüber hinaus auch mehr an seiner Wiese, während Ender nicht nur sparen mußte, sondern auch mit der Arbeit nicht recht vorankam, beides weniger deswegen, weil er saumselig, als vielmehr, weil er innerlich unfroh war. Bislang waren die Nachbarn gut miteinander ausgekommen. Nun stand eine Spannung zwischen ihnen, für die es nur einer Gelegenheit bedurfte, um zur Explosion zu werden. Hochauf ragte eine alte Erle, von der, weil sie auf der Grenze stand, jeder der beiden Bauern behauptete, daß sie sein wäre. Dabei ging es dem Hohlöfner um das Recht, dem Ender um den Stamm. Aber wer dachte heute an Baum und Grenze? Heute, am jauchzenden Maiensonntag, der Hammelschießen und Birkentanz brachte! Der Gottesdienst war vorüber, die Schönbacher waren so zahlreich wie immer in der Kirche gewesen. Und nun gab es Arbeit für die Burschen draußen auf der Straße, für die Mädel daheim im Hause. Wohl hatte das Dorf nur eine eigentliche Fahrstraße, aber sie teilte sich im unteren Drittel des Ortes, schickte einen Arm nach rechts hinüber in die Ecke, wo das Berteles-Häuschen mit etlichen anderen, die etwa ebenso groß waren, stand, und einen zweiten an der Häuserzeile hinauf, die gegen die Bücherfelder zu gebaut war. Oberhalb der Kirche vereinigten sich Straße und Dorfweg wieder. Da nun stellten die Burschen die Sägeböcke auf und legten Stangen von einem zum anderen, den Fuhrwerken zu bedeuten, daß die Hauptstraße gesperrt sei und der Verkehr den Dorfweg nehmen müsse. Ebenso hielten sie es im unteren Teile des Ortes. Vor Albert Rösners Wirtshaus sollte auf der Straße der Hammel ausgekegelt werden. Kein Mensch aber sprach vom Kegeln, sondern alle redeten vom »Schießen«. Aus den Höfen und von Christian Witters Zimmerplane her trugen die Burschen zu dritt und zu viert lange, starke Balken, legten sie aneinander, hüben und drüben der Straße, hoben auf die erste Balkenlage eine zweite, um das Überspringen der Kugeln zu verhindern, bauten oben drei Balkenlagen quer vor, unten deren zwei. So entstand ein Rechteck, das seine fünfzig Schritt lang sein mochte. Drei Schritte unterhalb der oberen Querbalken stand mitten auf der Straße der Kegel. Die Burschen probierten den halben Vormittag lang, ihn zu treffen. Andere gingen in die Häuser, Lose zu verkaufen. In Eduard Langers Stalle aber stand der Hammel, ließ sich sein Futter schmecken, boxte dann und wann gegen die Scheidewand aus Bohlen, fragte im übrigen nicht danach, wem, als dem glücklichen Gewinner, er heute zufallen werde, hatte auch kein Verständnis dafür, daß seiner Girlanden und bunte Tücher warteten. Adolf Heger, der den Losverkauf im oberen Teil des Dorfes übernommen hatte, kam auf den Hohlofenhof und traf die Bäuerin allein. Die wußte, was er wollte, und wies ihn zu ihrem Manne, der im Garten war. Ja, da war Heinrich Korn, aber als er den Burschen kommen sah, tat er, als müsse er unbedingt etwas nachsehen und kroch in das Bienenhaus. Da getraute sich Adolf Heger nicht heran. Der Hohlöfner aber stand, und der Schalk saß ihm in den Augen. »Willst du Lose nehmen?« fragte der Bursche von weitem. »Freilich,« schallte es aus dem Bienenhause. »Komm her.« »Da trau ich nit recht. Sie könnten stechen.« »Was du nit sagst! Fürcht'st dich vor einem Bienenstich?« »Sonst nit, aber heute. Ich möchte nit aussehen wie ein aufgelaufener Pfannkuchen.« »Tät dir aber gut stehen. Hast nit viel auf den Rippen. Ich kann hier nit weg. Also komm schon her.« »Nein.« »Mußt du halt deine Lose behalten. Ich hätte dir für zwanzig Mark abgenommen.« Das allerdings verpflichtete den Burschen. Für zwanzig Mark Lose! Er ging etliche Schritte näher, stand still und bettelte wie ein Kind. »Komm doch heraus.« »Kann nit. Ich bin auch nit gewohnt, den Leuten das Geld auf die Straße zu tragen.« Wieder ein paar Schritte. Da waren die Bienen da. Erst eine, die nichts Arges im Schilde führte. Adolf Heger schlug nach ihr. Nun waren auf einmal drei, vier, acht, zehn da, und sie gingen zum Angriff vor. Rechts und links, oben und unten. Da nahm der Bursche die Beine auf die Achsel, arbeitete mit den Armen, als hätte er Windmühlenflügel am Leibe, und stand erst still, als er sich jeden Augenblick in die Haustür retten konnte. Da hielt er an, sah sich um, und -- da kam lachend der Bauer daher. »Bist ein Kerl, Adolf! Das muß ich sagen.« Der Bursche aber war ärgerlich. »Hast's doch bloß gewollt, daß sie mich stechen.« Er wollte zum Tor hinausgehen. »Komm her!« rief ihn der Bauer zurück. »Mußt du denn gleich so empfindlich sein? Da, fünfzig Lose, macht zwanzig Mark, und hier hast du eine Zigarre extra für den Schreck.« Heger sah ihn fragend an. »Ist da auch kein Feuerwerk drin?« Jetzt lachte der Hohlöfner schallend auf. »Ihr traut mir wohl nit über den Weg?« »Das nit, aber -- -- --« »Zünd an, es ist kein Feuerwerk drin. Und heute nachmittag will ich den Hammel gewinnen.« »Ist das dein Ernst?« »Mein heiliger. Soll euer Schade nit sein. Aber halt das Maul!« Der Bursche zwinkerte schelmisch. »Weiß schon. Muß alles in der Ordnung zugehen. -- Guten Morgen.« »Morgen.« Der Hohlofenbauer ging in seinen Stall. Wohl lag noch immer eine harmlose Fröhlichkeit auf seinem Gesicht, aber hier war er der Bauer und der Herr, prüfte scharfen Auges jedes einzelne Stück Vieh, prüfte Raufen und Streu, rief die Kleinmagd, dem Kalb besseres Heu aufzustecken, und ging dann in die Stube. Während des Essens, das die Herrenleute nur an den Sonntagen allein in der großen Stube einnahmen, indes sie an den Wochentagen inmitten des Gesindes in der Küche aßen, fiel kein Wort über das Fest. Heinrich Korn erkundigte sich bei dem Sohne, ob die Wässerung auf der Bodenwiese abgestellt sei, ob Kantor Ritters Kartoffeln gegrast seien und wie die Rüben auf dem großen Stück stünden. Nur als sie fertig waren und Rudolf sich zum Gehen anschickte, die kurze Bemerkung: »Es wäre gar nit übel, wenn ich den Hammel gewinnen tät. Ich habe ihn gestern gesehen. Er ist ein statiöser Kerl.« »Vielleicht hast du Glück, Vater,« kam die Antwort. »Nun will ich gehen. Macht's gut.« »Du auch.« Rudolf Korn ging die Straße hinab auf Albert Rösners Wirtshaus zu. Da versammelten sich Burschen und Mädel zum Umzuge. Wie schmuck die Mädel heute aussahen! Die einzige, die wieder ihr Kirmeskleid angezogen hatte, indes alle anderen neue Kleider trugen, war das Berteles-Mariele. Die konnte sich das leisten. Niemand verzog deshalb den Mund oder sah sie geringschätzig über die Achsel an. Wie des Mädchens ganze Gestalt in Licht getaucht war! Golden fluteten die blonden Zöpfe, die blauen Augen lachten, und das schmale Gesicht war rot überhaucht. Marie Berteles hatte sich einen Kranz aus Vergißmeinnicht auf den Scheitel gesetzt. So war sie des Festes Königin. Auf den Stufen von Albert Rösners Wirtshaus standen die Musikanten und prüften ihre Instrumente. Sie waren alle da, die wackeren Bläser, die seit zwanzig Jahren die dörflichen Feste mitfeierten, und -- sie bliesen dieselben Weisen wie vor zwanzig Jahren. Zwischen ihnen stand, auch seit Jahrzehnten eine gewohnte Gestalt, der Gänseaugust von Schmure. Kein Hammelschießen in Schönbach ohne den Gänseaugust. Er war schwachsinnig, aber doch nicht derart, daß er je um eine schlagfertige Antwort verlegen gewesen wäre. Derbe Scherze gewohnt, durfte er sich derbe Antworten erlauben, ohne daß ihm einer darum gezürnt hätte. Sein Amt war, in Schmure die Gänse zu hüten. Daneben war er der Helfer in allen Dingen, und sein besonderer Stolz war die speckige Militärmütze, die ihm irgendwie aus einer Erbschaft zugestorben war. August ging barfuß, einerlei, ob er seine schnatternde Herde auf den Gänseanger trieb oder beim Hammelschießen im Umzug marschierte. Meist lächelnd, machte er doch bei feierlichen Gelegenheiten auch ein feierliches Gesicht. Dann gingen seine wasserblauen Augen hilflos von einem zum andern. Heute nun wußte er, daß er neben dem Hammel die Hauptperson war. Krampfhaft umklammerte er den bändergeschmückten Kegel, den er im Zuge, unmittelbar hinter dem Gehörnten, zu tragen hatte. Auch die preußische Friederike war da. Sie war die Zuckerfrau, ohne die ein Fest so wenig zu denken war, wie ein Hammelschießen ohne den Gänseaugust. Grauhaarig, mit zerknittertem Gesicht, stand sie hinter ihren Auslagen und stemmte die Arme in die Seiten. Noch ruhte das Geschäft. Der Hochbetrieb begann erst am Abend, wenn die Burschen ihren Mädeln Zuckertüten und Schokoladetafeln kauften. Sie war eine wackere Frau, die alte Häuslerin aus dem Nachbardorfe. Eine einzige Tochter hatte sie gehabt, und die war an einen Lüderjahn verheiratet gewesen. Nun war sie gestorben, und die Großmutter sorgte für die drei Kinder, deren Vater sich in der Welt herumtrieb. So standen sie denn alle vor dem Wirtshause. Die Hauptsache fehlte noch, der Hammel. Da knarrte jenseits des Dorfteiches das Tor von Eduard Langers Hofe, die Musik blies einen Tusch, Gänseaugust präsentierte den Kegel, die Burschen brachten den Hammel. Hei, was war er für ein Kerl! Beinahe so breit wie lang, schritt er stolz auf seinen zierlichen Beinen einher, blickte mit blitzenden Augen hinüber und herüber, warf den Kopf zurück und wollte anfangen zu galoppieren. Die Burschen aber hielten fest. Marie Berteles und Lina Franke knüpften bunte Tücher in die Haltekette des Tieres und breiteten sie auf dem Rücken aus. Adolf Heger, der eigentliche Führer des Hammels, wickelte sich den Leitstrick fest um die Hand; die Mädchen, das Tier nur scheinbar führend, ergriffen die Enden der langen, bunten Seidenbänder, die an den Hörnern befestigt waren. Gikgak, der Gänseaugust, pflanzte sich vor dem Hammel auf, die Musik setzte sich an die Spitze, und: Hm ta ta und schnetterengteng, ging's los im fröhlichen Zuge, hinab durch das Dorf, durch alle Gassen, die Seitenstraße hinauf, am Hause Richard Matters, den sie den Kickeriki nannten, vorüber, im Bogen um die breitästige Friedenseiche, zurück vor das Wirtshaus. Und vor allen Türen standen behaglich lächelnde Menschen. Greise und Greisinnen hatten sich Stühle an die Straße stellen lassen, lächelten mit eingefallenen Lippen, nickten Enkel oder Enkelin, die im Zuge schritten, freundlich zu und gedachten der Zeit, da sie selber mitmarschiert waren und juhu geschrien hatten. Kantor Ritter stand mit dem zweiten Lehrer im Schulgarten, rauchte seine halblange Pfeife und sagte zu dem jüngeren Kollegen: »Schade.« »Was ist schade?« fragte Lehrer Siebert. »Schade, daß das Mädel ausgerechnet aus einem der ärmsten Häuser stammen muß.« »Sie meinen Fräulein Berteles?« »Ach was, Fräulein! Auf dem Dorfe gibt's keine Fräuleins. Das Mariele mein ich.« Da gingen dem »kleinen Lehrer« die Lippen über. Er verriet, was er sich selber nur in der stillen Kammer gestand. Die allein wußte um eine schmerzvolle Liebe, hinter der die ganz große Stille drohend aufragte. Erhielt eine schwärmerische Lobrede. Edle Gestalt, verkörperte Schönheit, die ihre eigenen Gesetze habe, goldenes Gemüt, ungemünzter Reichtum, bis ihm Kantor Ritter, halb lächelnd, halb ernst, die Hand auf den Arm legte: »Langsam, Herr Kollege. Es stimmt Wort für Wort, was Sie sagen, aber gehen Sie mal den Gedanken lieber nicht weiter nach. Es könnte gefährlich werden. Das Mariele paßt nur aufs Dorf, paßt nur nach Schönbach und paßt zu dem, der sie sich ausgesucht.« Er seufzte leise. »Aber leicht wird es nicht werden, ein solcher Prachtmensch der Alte auch sonst ist.« »Sie meinen -- -- --« »Gar nix meine ich. Abwarten. Aber das weiß ich: Wenn's so weit ist, bauen wir ihnen eine doppelte Ehrenpforte. Und nun scheren Sie sich mal unter das Jungvolk, zu dem Sie gehören. Wir müssen mitmachen, aber Sie sollen sich nicht gemein machen. Ja nicht etwa nachts um zwölf Brüderschaft trinken. Ich bin fünfunddreißig Jahre hier, die meisten Männer sind mir gut Freund, und ich achte sie alle, aber -- -- -- Viel Vergnügen, Herr Kollege!« Er sah dem Davongehenden traurig nach. Armer Mensch! Hast ein bös Erbteil von deinen Eltern und nun auch noch die Herzensnot! Eben ging draußen der Hohlöfner vorüber, sich in den Hüften wiegend, den dichten Schnurrbart hoch gewirbelt, der ganze Mann verkörperte Kraft und Freude. »Tag, Korn,« grüßte Kantor Ritter. »Auch mitschießen?« »Wär doch das erstemal, daß ich nit dabei wäre. Ich will sogar den Hammel gewinnen.« »Kann ich mir denken. Nehmen Sie doch mal den jungen Kollegen mit.« »Gern.« Die beiden gingen das Dorf hinab, und der Hohlöfner unterrichtete unterwegs den jungen Lehrer, wie er die Kugel werfen müsse. Die Kugel fest in der Hand halten, das Gelenk drehen, acht Schritte zurückgehen, drei vorspringen, im Bogen werfen. Im Bogen müssen die Kugeln kommen. Und lustig neckend: »Wer den Hammel gewinnt, hat drei Tänze mit dem Berteles-Mariele. Wäre das nix?« »Ja, das wäre schon etwas.« »Gelt? Ja, das Mariele! Aber die lassen wir nit aus dem Dorfe.« »Das kommt doch schließlich auf sie selber an.« »Freilich. Also bleiben Sie da.« »Ich? -- Ich denke -- -- --« »Was denn? Sie werden sich doch nit vor einem andern fürchten?« »Sehe ich denn gar so furchtsam aus?« »Das nit, aber -- -- --« Und ernster: »Sie kennen doch dem Mariele seine Mutter?« »Ich frage nicht nach dem, was das Mädchen hat.« »Ist recht, das gefällt mir. -- So, da sind wir. -- Tag, Gikgak!« Gänseaugust, den Hohlöfner erkennend, belferte: »Selber Gikgak! Ich nit!« Heinrich Korn lachte. »August, ich will den Hammel gewinnen!« »Du? Möchte mancher gern. Auf mich kommt's an!« Und der harmlose Mensch warf sich in die Brust. Ununterbrochen aber kamen die Kugeln die Straße heraufgeflogen. Es war kein Kollern, es war ein Werfen. Manch einer der kräftigen Burschen schleuderte die Kugel, daß sie fast den ganzen etwa fünfzig Schritt langen Raum durchflog und erst kurz vor dem Kegel zu rollen begann. Die Entfernung aber war so groß, das Ziel so klein, daß unter dreißig Würfen kaum ein einziger den Kegel traf. Die Kugeln knallten hüben und drüben an die Balken, donnerten gegen die Querlage, trudelten zurück. Gänseaugust hüpfte wie ein Böckchen, sprang hoch und ließ die Kugel unter seinen bloßen Füßen durchrollen, sprang rechts, sauste links, setzte hinaus über die Balken, wenn die Sache allzu gefährlich ward, hatte seine Militärmütze auf eines der Balkenenden gelegt und fand dazwischen Zeit, einem vorlauten Jungen, der ihn mit »Gikgak!« neckte, den Hut vom Kopfe zu schlagen. Und alles war wie immer, und alles gehörte zum Festprogramm. Seit zwanzig Jahren schrie die Schuljugend ihr »Gikgak«, schlug August den Jungen die Hüte vom Kopfe, hüpfte er wie ein gewandter Seiltänzer zwischen den sausenden Kugeln hin und her, übte er strenge Polizei, denn die Sache war zuweilen nicht ganz ungefährlich. Über dem Tale drüben, in Goßberg, das auf der Höhe lag, war erst im vorigen Jahre die Kugel einem Jungen an den Kopf geflogen, daß der wie ein Stück Holz hinschlug, und sie ihn für tot vom Platze trugen. Der Schädel war glücklicherweise dick genug gewesen, es war in der Hauptsache bei dem Schreck geblieben, aber der schon war groß genug gewesen. Nun mischte sich der Hohlöfner unter die Männer. Die machten beim Hammelschießen Kompaniegeschäfte, wie es denn uraltes Herkommen war, daß jede der dörflichen Gesellschaften gemeinsam vorging, die Männer-Gesellschaft, die erste und zweite Burschen-Gesellschaft. Die Mädchen schieden heute aus. Schmied Anders war der Wortführer der Männer-Gesellschaft und ihr bester Kämpe im munteren Spiel. Er warf die Kugeln für die meisten, hatte am warmen Maientage Jacke und Weste abgelegt, und das Hemd stand weit offen über der dichtbehaarten Brust. Wie ein Bär sah der Mann aus, aber er war gutmütig und hätte nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun können. Sie alle grüßten den Hohlöfner nachbarlich, und einzig der gallige Fritz Ender hielt sich zurück. Heinrich Korn zahlte seinen Beitrag zu dem gemeinsamen Loserwerb, plauderte kurz da und dort, pflanzte sich mitten auf der Straße auf und beobachtete die Würfe. »Willst nit mitmachen?« fragte ihn der Schmied. »Gleich,« antwortete der Hohlöfner, wartete noch ein Weilchen, beobachtete und wußte dann Bescheid. Etwa zwanzig Schritte von unten herauf war ein Buckel in der Straße, die sich, täglich stark befahren, von Jahr zu Jahr veränderte. An den Buckel prallten viele Kugeln an und wurden dadurch von ihrer Richtung abgelenkt. Der also war zu vermeiden. Die Spieler wurden eifrig. Hüben und drüben standen Frauen und Mädchen, lobten oder lachten. Auch die Berteles-Mutter war da. Minna Korn hatte sie begrüßt, sich aber dann, um den Leuten nicht Gelegenheit zum Reden zu geben, unter die anderen Bäuerinnen gemischt. Die Musikanten bliesen, die Sonne schien, der Maibaum rauschte, die Kugeln knallten, Gikgak hüpfte, und die Kinder jubelten. Der Hammel aber, um den der Kampf ging, war auf dem Dorfplan angepflockt, hatte sich faul in den Schatten der Linde gelegt und kaute wieder. Heinrich Korn war nun im Bilde, legte die Jacke ab, langte sich eine Kugel nach der anderen, bis er die herausgefunden hatte, die ihm in Gewicht und Größe am passendsten war. Hopp, Gikgak machte einen Luftsprung, die Kugel knallte gegen das obere Gebälk. Noch immer lächelnd, hatte der Hohlöfner doch jetzt ein ander Gesicht. Jede Muskel gespannt, der ganze Mann gestrafft, die Augen blitzend. Die vierte Kugel saß, die fünfte, die sechste. Korn lächelte stärker, er wußte, was er wußte, trat zurück, wartend, bis er wieder aufgerufen wurde, schlenderte durch die Reihen, traf auf das Berteles-Mariele, zupfte es an den langen Zöpfen, nickte ihm schelmisch zu, hob bedeutsam den Zeigefinger und schlängelte sich weiter, bis er neben seiner rundlichen Ehehälfte stand. Da blieb er stehen, bis sein Name wieder gerufen ward. Langsam trödelte der Nachmittag hin. Von den etwa tausend Losen waren die meisten ausgespielt, die Konkurrenz ward schärfer. Es traten nur die Stecher in Wettbewerb, das heißt die Lose, auf die ein Treffer gefallen war. Nach einer weiteren Stunde ging es auf die Entscheidung zu. Rudolf Korn, der als Schriftführer den ganzen Nachmittag lang gewissenhaft notiert hatte, war mit einem Male von seinem Platze verschwunden. Die Frauen waren daheim gewesen, hatten das Vieh gefüttert und waren zurückgekommen, die Entscheidung nicht zu versäumen. Das Berteles-Mariele stand auf der Wirtshaustreppe. Der Vergißmeinnichtkranz war verwelkt, ihre Augen blickten gespannt, das Gesicht war stärker gerötet und, selber nicht wissend, was sie tat, zog sie einen der langen Zöpfe nach dem anderen heran und wickelte ihn sich um das Handgelenk. So stand sie da, ein liebes Bild, ihrer selbst vergessend, und nur den Wunsch im Herzen: Wenn doch der Hohlöfner gewinnen wollte! Immer schärfer ward der Kampf. Ringsum hastig atmende Menschen, vor der Querlage vier Männer, ihre Geschicklichkeit messend, keiner mehr ein Lächeln auf den Lippen, aber nur Heinrich Korn verkörperte ruhige Sicherheit. Gänseaugust hüpfte höher, die Wucht der Kugeln ward größer. Schmied Anders strich über die sehnigen, dicht behaarten Arme: »Heinrich, gilt das noch für die Männer-Gesellschaft?« »Nein, das gilt für mich selber. Die Männer haben noch vier Stecher, ich noch sechs für mich.« Jetzt war der Goßberger Hannickel, der die dortige Burschen-Gesellschaft vertrat, ausgeschieden, jetzt warf der Limmert aus Hirschau die letzte Kugel und fehlte. Nun blieben nur noch die beiden Schönbacher, Schmied Anders und der Hohlöfner, übrig. Anders lachte Heinrich Korn zu: »Wir sind die letzten.« Und der Bauer nickte. Der Schmied war am Wurfe, sprang zurück, schnellte vor, die Kugel sauste durch die Luft, knallte auf die Straße, hüpfte und -- hüpfte vorbei. Heinrich Korn war daran. Marie Berteles umwickelte die Kugel, die der Bauer in der Hand hielt, heimlich mit guten Wünschen. Ruhig ging der Hohlöfner seine acht Schritte zurück, wog die Kugel spielend, sprang einen einzigen weiten Satz, der Oberleib bog sich zurück, schnellte vor, die Kugel wirbelte in der Luft, fiel etliche Schritte seitlich des Kegels nieder, bog nach links, traf, der Kegel fiel. Hundertstimmiges »Juhu!« und immer wieder »Juhu!«, wirbelnde Arme, bewundernde Rufe. Gänseaugust schnellte in die Höhe, schlug dreimal Rad, raffte den Kegel auf, langte nach der Militärmütze, sprang die Straße hinab, trat, den Kegel präsentierend, vor den Sieger und erteilte ihm das höchste Lob, über das er verfügte: »Du ein Donnerwetter-Hund!« Geschäftig aber wühlten Mädchenfinger in dem zur Seite der Wirtshaustreppe stehenden langen Pappkasten, holten die bunten seidenen Tücher, die vorhin den Hammel geziert, und den hohen künstlichen Strauß heraus, den Hohlöfner zu schmücken. Schmied Anders nahm ihm den Hut vom Kopfe, Lina Franke steckte den Strauß darauf, Marie Berteles befestigte, auf der unteren Stufe der Wirtshaustreppe stehend, dem Bauer die beiden bunten Tücher, die des Siegers Schmuck zu bilden bestimmt waren, auf der linken Schulter, so daß sie über den Rücken herabfielen. Sie war fertig, ein lautes »Juhu!«, aufstürmend aus der Menge, verfing sich im Geäst des Maibaumes, Adolf Heger brachte den aufs neue bekränzten Hammel, die Musik blies einen schmetternden Marsch. Ernsthaft, sich leicht verneigend, bot der Hohlöfner dem Mariele den rechten, Lina Franke den linken Arm, und der Zug ging in den Tanzsaal. Unter der Tür stand Rudolf Korn, begrüßte den Vater im Namen der festgebenden Schönbacher Burschen-Gesellschaft, beglückwünschte ihn und führte ihn und das Mariele in die Mitte des Saales, die Ehrenrunden zu tanzen. Nicht ein Wort, nicht eine Handlung machte den Eindruck eines Fastnachtsspiels. Uralter Volksbrauch ward in derselben Weise geübt, in der er schon den Ahnen lieb gewesen war, und es lag eine gewisse Feierlichkeit über der festfröhlichen Menge. Die Reihenfolge der Tänze, wie die der Paare, war festgelegt. Der Sieger tanzte mit der ersten Ehrenjungfrau, als welche in diesem Jahre das Mariele bestimmt worden war, drei Tänze, einen Walzer, einen Rheinländer, einen Galopp, und so sehr die Umstehenden während des Tanzes jauchzten, Heinrich Korn verzog keine Miene. Er hielt das Mariele fest, hatte die Hand unter ihre langen Zöpfe geschoben, chassierte, drehte sich, und alles ruhig und würdig. Erst als die letzte Runde beendet war und er seine Tänzerin, dem Herkommen gemäß, dem ältesten Burschen -- in diesem Falle seinem Sohne -- zur Ehrenrunde übergab, atmete er freier auf, lachte behaglich, zupfte das Mariele rasch an den Zöpfen und sprach schmunzelnd: »So, kleine Bertelessin. Was habe ich gesagt?« »Hast Wort gehalten, Bauer,« entgegnete das Mädchen. »Ich bin stolz darauf.« »Dann stimmt's. Ich auch. Und nun will ich keinen Hammel wieder gewinnen.« Er genügte der Pflicht, die zweite Ehrenrunde mit dem nächsten der Mädchen zu tanzen, holte Lina Franke, und nun waren es zwei Paare, die sich, von den anderen umjubelt, im Saale drehten. Die Feierlichkeit begann nachzulassen. Vielsagende Blicke gingen von Auge zu Auge, Kantor Ritter legte der Berteles-Mutter, die, klein und verschüchtert, in der Ecke stand, die Hand auf den Arm und nickte ihr ermunternd zu. »Kann eine an das Mariele? Weit und breit nicht.« Mutter Berteles nahm es kaum als Trost. Sie nickte, aber die Tränen waren ihr nahe. Auch die zweite Ehrenrunde war vorüber, alle Förmlichkeiten waren erfüllt. Jetzt länger im Schmuck des Straußes und der Tücher einherzugehen, wäre Maskerade gewesen. Heinrich Korn schritt auf seine Frau zu, überreichte ihr seinen Schmuck, ihn aufzuheben, kehrte in die Runde der jungen Leute zurück und löste sich völlig von seinen Verpflichtungen. Er reichte dem Mariele und Lina Franke die Hand: »Seid bedankt, ihr zwei,« drückte dem Sohne einen größeren Schein in die Hand: »Das ist für die Gesellschaft,« gebot seinem Kleinknecht, den Hammel heim in den Stall zu führen, und gab Jugend und Fröhlichkeit völlig die Bahn frei. An der Bertelessin vorüber ging er zum Schmied und den anderen Nachbarn, setzte sich unter sie und sah schmunzelnd dem Treiben zu. Fritz Ender, der ihm gegenüber saß, fragte hämisch, was den Hohlöfner der Spaß koste. »Mehr nit, wie ich bezahlen kann,« entgegnete er kurz. Tolpatschig ließ sich Ender nicht zurückweisen. »Hab den Hammel auch einmal gewonnen, denk aber nit gern dran. Sie gönnen's einem nit und haben immer so einen Verdacht, als wenn -- --« Der Schmied unterbrach ihn: »Heute hat niemand Verdacht, daß es nit sauber zugegangen wäre, und ist keiner, der dem Hohlöfner die Ehre nit gönnte.« Heinrich Korn war rot angelaufen, aber er hielt an sich. »Kannst mich heute nit ärgern, Ender,« rief er über den Tisch hinweg. Und der, wiederum hinterhältig: »Will ich auch nit. -- Ist ein schmuckes Mädel, die kleine Bertelessin. Wenn sie nur nit so hoch hinaus wollte.« Da war der Hohlöfner mit einem Schlage wieder völlig der Alte. Fritz Ender hatte einen Sohn, der ein braver, schlichter Mensch war und seine Augen überhaupt nicht zum Mariele erhob. Der Vater aber tat es für ihn, die Männer hatten dann und wann im Wirtshause spöttisch mit kurzen Worten davon gesprochen und sich über Ender lustig gemacht. Heinrich Korn quittierte des Bauern Anzapfung mit ein paar kurzen, treffenden Worten, deutete auf den Fuchs hin, der vergeblich nach den Trauben sprang, lachte hell auf und schlug auf den Tisch: »Nachbarn, morgen stellen wir unseren Mann wieder bei der Arbeit. Soll uns keiner nachsagen, daß wir ihn nit auch auf dem Tanzboden stellen könnten. Ich habe heut zum letzten Male den Hammel gewonnen. Es war ein gutes Ende; das Mariele ist das schmuckste Mädel, mit dem ich getanzt habe. Morgen geht alles wieder im alten Hü und Hott. Heute nehme ich Abschied von meiner Jugend. Los, Nachbarn, wir holen unsre Weiber. Die Jungen sollen nit denken, daß sie mehr könnten als wir.« Froh berauscht war der Mann, riß die anderen mit, und sie, die meist in allzu schweren Stiefeln gingen, ließen sich gern mitreißen. Niemand hat den Hohlöfner je betrunken gesehen, der Mann wußte stets Maß zu halten, nie aber hatte er sein ganzes Dorf in seiner inneren Fröhlichkeit, die förmlich ein Rausch war, so hinter sich gehabt wie heute. Er ging auf seine Frau zu, die jetzt neben der Bertelessin stand. »Komm, Mutter.« Sie reichte Tücher und Strauß der Berteles-Mutter zum Aufheben. Sie tanzten. Nach etlichen Runden sagte die Bäuerin, hastiger atmend, als es wohl nötig gewesen wäre: »Vater, ich kann nit mehr. Ich bin zu stark geworden.« »Hast dein Gewicht, stimmt.« »Geh, führ dem Mariele seine Mutter einmal auf. Ich glaube, die hat seit zehn Jahren nit mehr getanzt. Und dann darfst du das Mariele selber nit vergessen, die doch heute deine Ehrenjungfer ist. Mich laß sitzen. Ich tanze nit eher wieder, als bis der Rudolf Hochzeit hat.« »Da kannst du lange warten. Der tut gar nit danach.« »Kommt manchmal eher, als man denkt.« Die laue Nacht träumte, der Flieder duftete, der Maibaum raunte, harmlose Menschen ließen sich von des Festes hochgehenden Wogen tragen. Und auch der Tanz selber war wie hundert andere vor ihm. Der »Rangiermeister« war da, ein kurzer, stämmiger Bursche aus dem Nachbardorfe, nicht mehr weit von den Dreißigern, der, bevor er zu tanzen begann, sein Mädel fragte, ob sie »rangieren« könne, und der, wenn sie das bejahte, sich etwas darauf zugute tat, daß er quer durch den Saal zu chassieren vermochte; die Mädel sangen in den Tanzpausen ihre schwermütigen Lieder, die Burschen schritten, stolz wie Könige, die Mädchenfront ab und winkten sich die Erkorene heran. Der Hohlöfner ging durch die Reihen, neckte da, redete ernsthaft dort, tanzte wiederholt mit dem Mariele und tat es immer in der feinen, zurückhaltenden Art, zu der er sich, weil er sie vor anderen gern hatte, gerade ihr gegenüber verpflichtet fühlte. Es kam ihm, wenn er besonders gut gelaunt war, auch einmal nicht auf einen Scherz an, der einem Mädel eine leichte Röte über das Gesicht jagte. Dem Mariele gegenüber wäre ihm nie ein solch loses Wort über die Lippen gegangen. Wieder tanzte er mit ihr. Übermütig wickelte er sich, als sie wartend in der Reihe standen, des Mädchens Zöpfe um den Arm. »Mariele, wo hast du das bloß her? So was hat ja noch gar kein Mensch in Schönbach gesehen.« »Wo ich das her habe? Hab mir's halt beim lieben Gott so bestellt.« Und neckend: »Weißt du, wenn ich einmal einen Mann habe und der nit folgen will, dann bind ich ihn damit fest.« »Möchte wissen, wer dir nit folgen wollte. Wirst doch nit gar soviel verlangen.« »Nein, bloß gern haben muß er mich und allweil seinen Mann stehen. Darf kein Hanswurst sein.« »So wie ich?« Und der Bauer zwinkerte ihr zu. »Um Gottes willen,« wehrte das Mädchen ab. »Du! Ich wüßte keinen Mann, den ich mehr achten könnte als dich. Dir kommt so leicht keiner gleich. Und daß du dabei so lustig sein kannst, das hat der Herrgott extra gut gemacht.« »Willst mir schöntun, Mariele?« Und er umspannte das ganze liebe Mädel mit einem väterlichen Blick. »Wenn du das schöntun nennst, gern; denn ich mein's, wie ich's sage, und niemand in Schönbach denkt anders.« »Ist gut, Mariele, ich kenn dich lange genug.« Der Tanz war zu Ende, Heinrich Korn setzte sich schweigend neben sein Weib und hatte eine Falte in der Stirn. Zum ersten Male kam ihm der Gedanke: Wie wäre es, wenn dein Sohn das Mariele heiratete? Und das Herz schlug ihm höher. Wie das wäre, den Blondkopf mit den langen Zöpfen und dem guten Gesicht alle Tage durch das Haus gehen zu sehen und seine helle Stimme zu hören! Köstlich wäre es. Und dann die Enkelkinder! Ganz heiß wurde ihm. Wohl fuhr der Gedanke, daß das Mariele eines der ärmsten Mädchen war, wie ein rascher kalter Hauch über die warme Freude, aber damit ward der Mann heute merkwürdig leicht fertig. Viel schwerer lag es ihm an, daß er seinem bedächtigen, beinahe übergewissenhaften Sohne nicht zutraute, daß er sich das Mädchen werde erobern können. So stand er, halb zornig, auf, schob sich durch die Reihen, trat neben seinen Sohn und raunte ihm zu: »Weißt du nit, was du heut abend zu tun hast, wo das Mariele meine Ehrenjungfer war? Mit den anderen kannst du ein andermal tanzen. Ich hab genug für mein Teil. Du mußt das Mariele aufführen.« -- -- Die Sonne schickte ihre ersten Boten über die Berge, da war das Fest aus. Seiferts Ludwig ging mit den anderen Musikanten heim und blies auf seiner Klarinette die Straße durch Schönbach hinab: »Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus.« Erst das war der völlige Abschluß des Festes und gehörte dazu wie der Gikgak, die preußische Friederike, der Hammel und der Maibaum. 2. In der Ecke, gegen die Bodenwiesen hin, stand das Berteles-Häuschen, zu dem etwa acht Morgen Feld und Wiese gehörten. Der Berteles war, solange er lebte, ein sparsamer Mensch gewesen. Zimmermann von Hause aus, ging er vom zeitigen Frühjahr bis in den späten Herbst auf Arbeit, indes sein Weib daheim die Wirtschaft besorgte. Kam er von der Arbeit, dann griff er ebenso selbstverständlich nach Pflug, Sense oder Hacke, wie er es am Morgen tat, bevor er auf den Zimmerplatz ging. Hochgewachsen, blond, zuverlässig, war er ein gern gesehener Mann, sowohl als Arbeiter wie als Mensch. In dem Manne lebte etwas vom Dorfpoeten, aber ohne daß es aufdringlich gewesen wäre oder daß sich der Zimmermann selber überschätzt hätte. Seine Poetennatur machte sich auch weniger in Versen Luft, als sie sich in seinem Hauswesen betätigte. Die Verse verbarg er scheu, und nur sein Weib wußte darum. Von der Mutter erfuhr es das Mariele nach des Vaters Tode. Sie übergab der Tochter ein dünnes Schulschreibheft. »Mariele, das hat der Vater geschrieben. Ich habe immer viel darauf gehalten, und wenn du auch jetzt noch nit alles verstehst, so halt das Buch doch in Ehren. Mit der Zeit begreifst du auch das Letzte.« Seitdem lag das Heft in des Mädchens Lade, die Verse aber trug sie im Herzen, und es kam gar nicht selten vor, daß sie, wenn ihr Schatz neben ihr in der Laube saß, einen Vers mit leise schwingender Stimme hersagte, so wie er ihr aus dem Gemüt blühte, ihn in ~der~ Stunde gewissermaßen selber schaffend. Das Häuslein hatte der Berteles aus seinen und seiner Frau Ersparnissen gekauft und es, als ihm ein kleines Erbteil zufiel, von Grund aus nach seinen eigenen Plänen umgestaltet. Allen, die durch Schönbach gingen, fiel es angenehm auf. Geradezu wunderschön war der Garten und war damit etwas Außergewöhnliches weit und breit; denn Bauerngärten verraten gewöhnlich nur, daß ihre Herren und Herrinnen keine Zeit haben. Sie sind zumeist eine bunte Wildnis. Bunt war auch der Berteles-Garten, am Verwildern war er aber nur während eines Jahres gewesen. Das war in der Zeit, als sich die Witwe in ihrem Schmerze über den jähen Tod des Mannes nicht aufzurichten vermochte und der Tochter die Augen noch nicht aufgegangen waren für den Reichtum, der ihre Kindertage umblüht hatte. Der Berteles hatte vor allem den Flieder gern gehabt. In jedem Frühjahr war denn der Garten auch ein einziges Fliedermeer, aus dem die Duftwellen weiß und blau und rot aufschäumten. In der Ecke kuschelte sich eine Laube unter die Fliederbüsche, dicht umrankt von Jelängerjelieber. Aus ihrer Tür sah man auf die kleinen runden Beete mit ihren ausdauernden Stauden und ein gutes Dutzend Rosenstöcke, die das Mariele sorgsam im Schnitt hielt. Am Zaune hin rauschte der Schönbach und wußte in den lauen Sommernächten unendlich viel Schönes zu erzählen. Das Häuslein selber stand unmittelbar am Dorfwege, und wer vorüberging, konnte zwischen den bescheidenen Mullgardinen hindurch das saubere behagliche Stübchen mit seinem blanken Zinn im Topfbrett, der Nähmaschine am Hoffenster und den blühenden Blumenstöcken auf den Fensterbrettern übersehen. Wen es danach gelüstete, der trat an eines der Fenster heran und plauderte mit dem Mariele oder seiner Mutter. Und das taten ihrer viele; denn von dem Berteles-Hause ging stets ein Hauch von Zuverlässigkeit und guter, tapferer Gesinnung aus. Mutter Berteles allerdings verwand den Bruch, der durch ihr Leben ging, nicht. Und nun kam die Sorge um das Mariele dazu. Wo sollte das bloß noch hinausgehen! Dabei ließen sie sich nicht raten, die jungen Leute, und, freilich, freilich, der Hohlöfner war im Grunde eine Seele von einem Menschen, aber -- -- So lag Pauline Berteles auch in der Nacht vom Sonntag zum Montag wieder schlaflos vor lauter Sorgen. Und der Tag war doch so schön gewesen und die Hohlofenleute, nein, wirklich, als wenn das Mariele schon zu ihnen gehörte! Der Nachbar Ender, dessen Wirtschaft fünf Häuser weiter oberhalb am Bache lag, hatte sich der heimkehrenden Bertelessin zugesellt gehabt und, es geschah ganz gewiß in der allerbesten Meinung, die Rede auf Rudolf und das Mariele gebracht. Pauline Berteles kannte ihn seit dreißig Jahren, sie wußte auch, daß die Leute manchmal nicht gut von ihm redeten und ihn einen Heimtücker nannten, aber die Frau tat niemand Böses und traute niemand Böses zu. Was der Ender sagte, das waren zudem Dinge, die sich die Bertelessin selber nicht verheimlichte. Triefend von Biederkeit, hatte er davon gesprochen, daß das Mariele das beste Los verdiene, das einem Menschen werden könne, daß es aber doch unklug sei, es zwischen ihr und dem Einzigen vom Hohlofenhofe so weit kommen zu lassen, daß das Auseinandergehen mindestens nicht mehr stillschweigend und schmerzlos geschehen könne. Ernsthaft sei ja doch die Sache wohl kaum; denn daß Korn, der erste Bauer im Dorfe, eine Schwiegertochter willkommen heißen werde, die so wenig hinter sich habe wie das Mariele, das werde sich doch wohl die Berteles-Mutter selber nicht einbilden. Im übrigen, er wolle ja nichts sagen, aber Korn sei in der ledigen Zeit kein Guter gewesen. Dem Sohne sei gewiß nichts nachzureden, aber -- -- -- Junge Leute!!! Und was dann? Bislang hatte die Bertelessin geschwiegen. Bei den letzten Worten aber war sie aufgefahren. Für das Mariele könne sie stehen und -- für den Rudolf auch. Vom Hohlöfner selber habe sie übrigens auch nie etwas Schlechtes gehört, und die Leute lebten so einig zusammen, daß es eine Freude sei. Ganz warm war die Berteles-Mutter geworden, hatte mehr gesprochen als sonst in Tagen und härter aufgetrumpft, als sie sich selber zugetraut. Der Ender war förmlich auf den Mund geschlagen gewesen und nicht dazu gekommen, der Frau seinen Sohn als Eidam anzubieten. Und das hatte er doch gewollt. Hastigen Fußes kehrte Pauline Berteles heim, stand mitten in der Stube und seufzte. Und seufzend ging sie zu Bett. Da kehrten alle die Worte des Ender wieder, hatten ein ander Gesicht, bestachen durch ihre Biederkeit und forderten Bejahung. Auch die verletzenden. Sooft sie auch Mutter Berteles verneinte, sie saßen wie Widerhaken im Fleische. Das Mariele hatte etliche schwere Tage, und als Rudolf Korn am Mittwoch leise an das Fenster nach dem Garten zu klopfte, zankte die Mutter ihre Tochter zum ersten Male um des Verkehrs willen aus. Das aber war der so völlig fremd und ungewohnt, daß sie weinend zu ihrem Schatze hinauskam. Als Rudolf Korn erfahren, was vorlag, ging er kurzerhand zu Mutter Berteles in die Stube. »Das Mariele hat mir erzählt, daß Ihr unsere Heimlichkeit nit mehr leiden wollt. Ihr habt recht, und ich will da bald Ordnung schaffen. Aber das Mariele laß ich nit. Nit im Guten, nit im Bösen! Das sage ich. Schlechtes braucht ihr nit von mir zu denken. Nun seid nit bös, Berteles-Mutter.« »Rudolf,« hatte die Frau entgegnet, »dein Vater leidet's nit. Das weiß ich, und dasselbe sagen andere Leute.« »Wer sind denn die anderen Leute?« »Der Ender -- -- --« »Aha. Das ist gerade der richtige. -- Berteles-Mutter, ich weiß nit, was der Vater sagen wird, die Mutter steht auf meiner Seite. Der Vater? Er hat das Mariele selber viel zu gern. Will er's aber etwa doch nit leiden, dann wird's wohl hart zugehen, aber nachgeben tu ich nit. Eher will ich den Hof nit haben als das Mariele nit. Und die anderen Leute? Es sind noch nie zwei zusammengekommen, über die die Leute nix zu reden gehabt hätten. Loben tun sie bloß, die gestorben sind. Wenn mir aber der Ender noch einmal in die Quere kommt, dann soll er sich hüten. Das sag ich. Und nun, Berteles-Mutter, seid vernünftig. Wir zwei lassen nit voneinander.« Mutter Berteles freute sich der Entschlossenheit Rudolfs, ohne daß deswegen ihre Sorge gemindert worden wäre. So hielt sie's denn mit dem Herrgott. Er hatte ihr das Mädel gegeben, das förmlich ein liebes Wunder war, hatte die jungen Herzen einander finden lassen und war nun verantwortlich. -- Die Woche verging. Es war eine harte Arbeitswoche. Vom Morgen bis in die Nacht arbeiteten die Leute auf ihren Kartoffelfeldern. Heinrich Korn schritt im Morgenlichte hinter seinen Gäulen her, die zwischen den Furchen gingen, sang, pfiff, wie es kam, machte das zufriedenste Gesicht und war innerlich voll tiefen Dankes und hoher Freude. Wie sollte ein Mensch auf solchem Stück Erde aber auch nicht fröhlich sein, obwohl der Boden eher dürftig als fruchtbar war. Schönbach lag reichlich vierhundertfünfzig Meter hoch, die Winde orgelten oft mit lauter Stimme darüber hin, die Donner vergrollten lang anhaltend in den Tälern rundum, die Erde gebar schier in jedem Jahre Millionen neuer Schieferplatten, aber es war Heimat, herrliche, weite Berg- und Waldheimat, in der aus jeder Breite der Schweiß langer Geschlechter wie frommer Opferrauch stieg. Mit der Sonne stand der Hohlöfner auf, griff in der Wirtschaft zu und ließ es sich nicht nehmen, der erste auf dem Felde zu sein. Dann brauten in den Tälern noch die weißen Nebel und krochen wie lange Schlangen an der Berge trutzigen Mauern dahin. Von den Wipfeln der Bäume pfiffen die Amseln, und über den Feldern trillerten die Lerchen. Die Furchen dampften, Stare marschierten hinter dem Pflüger drein, Immen flogen summend vorüber. Die Bienen waren Heinrich Korns besondere Freunde. Er war einer der wenigen Schönbacher Bauern, die sich selber der Bienenzucht befleißigten, und tat es viel weniger des Honigs wegen als darum, weil ihm das Leben im Bienenstocke Gleichnis war und er daran Freude fand. Überhaupt sah der Mann in Tieren allezeit Kameraden. Soviel er von seinen Pferden verlangte, er gab ihnen kaum einmal harte Worte, und das übliche Hü und Hott hatte er in militärische Kommandos umgewandelt, befahl: Marsch, gebot: Halt, kommandierte: Rechtsum, linksum. Der Hohlofenhof war, obwohl der größte in Schönbach, doch keineswegs groß. Es gehörten zu ihm etwa achtzig Morgen Feld und Wiese und knapp hundert Morgen Wald. Die Wirtschaft aber ging am Schnürchen, die Felder trugen gute Ernten, und Korns Vieh war stark und gut gehalten. Des Bauern Leute hingen an ihm, kannten seine Art, freuten sich seiner Scherze, steckten schweigend einen harten Tadel ein, weil er nie unverdient war. So gern der Mann polterte, lieber noch scherzte er. Nicht weit vom Hohlofenacker hatte die Bertelessin ein Stück Kartoffelland. So ging denn das Mariele, die Hacke geschultert, das Wäglein hinter sich herziehend, jeden Morgen am Hohlöfner vorüber. Sie kam keinen Morgen vorbei, ohne daß er sie angehalten hätte. Über den freundlichen Gruß hinaus wußte er stets ein Scherzwort. Einmal ging er hinter seinen Pferden her und sang, daß es schallte: Wer recht in Freuden wandern will, der geh' der Sonn' entgegen. Das Lied hatte einst Kantor Ritter im Gesangverein eingeübt. Und siehe, als er so lustig sang, kam auf einmal vom Wege her die zweite Stimme, und das war eine Frauenstimme. Der Bauer stutzte, drehte sich um, nickte dem Mariele zu und sang weiter. Da war das Mädchen heran, Korn kommandierte: Halt! Die Pferde standen, er setzte sich auf den Pflug. »Von vorne, Mariele. Das hab ich gar nit gewußt, daß du so schön singen kannst. Wer recht ...« Es schallte über die Felder hin, brandete an die nahe Waldmauer und versickerte zwischen den Stämmen. Das Lied war zu Ende. »Das hast du gut gemacht, Mariele. Was kannst du denn eigentlich nit?« »Heiraten.« »Wieso nit?« »Das muß ich mir doch gefallen lassen.« »Spottvogel. Heiratest doch auch.« »Kommt ganz drauf an. Vielleicht muß ich ledig bleiben.« »Wäre noch schöner. Werden doch die Burschen nit alle Schlafmützen sein. -- Wie weit bist du eigentlich mit euren Erdäpfeln?« »Noch zwei Tage, dann bin ich fertig. Die Mutter kann nit mit zugreifen.« »Hast's nit ganz leicht, Mädel.« »Möcht's gar nit leichter haben.« »Ist recht. -- Wenn der Rudolf nachher kommt, kann er die Pferde nehmen. Dann bist du mit Ja und Nein fertig.« »Hohlöfner, wir -- können's nit bezahlen.« »Mach mich nit falsch, Mariele. Hab ich was gefordert?« »Dann sage ich schön Dank und will's in der Ernte glattmachen.« »Kannst du halten, wie du willst.« Der Bauer schmitzte mit der Peitsche. »Marsch!« Die Pferde zogen an. So schlenderte der Mai langsam aus der Welt. Es verging kein Tag, an dem Heinrich Korn nicht mit dem Mariele Gruß und Scherzwort ausgetauscht, und immer wärmer ward ihm bei dem Gedanken: Wenn dir der Rudolf ~die~ als Schwiegertochter brächte! Und es war wunderlich: Der Mann, der sonst wahrhaftig der Herr im Hause war, getraute sich nicht, seiner Frau die heimlichen Gedanken zu verraten, weil er glaubte, ihr sei das Mädchen zu gering. Wieder war es Sonnabend. Der Flieder, der im hochgelegenen Schönbach bis tief in den Juni hinein blühte, überschüttete das Berteles-Häuschen mit Duftwellen, und wer vorüberging, brach sich gern eine der hängenden Blütentrauben ab. Das Wetter hatte in den letzten warmen Tagen mehrfach gedroht. Wolken waren hochgekommen und hatten sich wieder verzogen. Heute hatten die Schönbacher bestimmt geglaubt, es werde ein Gewitter geben. Am Abend aber spannte sich der Himmel wieder weit und klar über das Bergland. Abermals stand Heinrich Korn, die Pfeife im Munde, im Hoftore. Er tat es immer gern, am liebsten aber am Sonnabend, wenn der Sonntag um die Ecke lugte. Da blickte der Mann in tief innerlicher Freude das sauber gefegte Dorf hinab, in dessen Mitte Kirche und Schule standen und etliche große Linden im Abendwinde rauschten. Dann war es ihm feierlich zumute. Ohne sich Rechenschaft darüber geben zu können, spannte er seine Seele weit hinaus, feierte wortlos auf seine Art und war in dem Augenblicke ein demütiger Mensch, der seiner Tage und seines Lebens Grenzen erfühlte und ahnte, daß es schade sei um ein Leben, das sich nicht dem Guten verschrieben. Sich rückwärts kehrend, sah er den Sohn mit einer Schütte Stroh aus der Scheune kommen. So wenig er mit dem ob seiner stillen Art einverstanden war, so gern achtete er seinen nie ermüdenden Fleiß und seine unbedingte Zuverlässigkeit. Hätte er eines gewußt, das, daß Rudolf nicht weichlich, daß er, wenn es not tat, eisenfest und stahlhart sein konnte, er wäre restlos mit ihm zufrieden gewesen. Dafür aber hatte ihm der Sohn noch keinen Beweis gegeben und nicht geben können. Rückwärtsgewandt, rief der Bauer: »Rudolf, ich gehe auf eine Weile zum Wirt. Sag's der Mutter.« »Ist recht, Vater.« Heinrich Korn schlug jedoch nicht den Weg das Dorf hinab ein, er überquerte die Straße, ging zwischen Illings und Jenkes Scheune hinaus auf die Bücherwiesen, schlenderte einen schmalen Pfad dahin. Das Gras stand hoch, die Heuernte würde gut werden. Schade um das bunte Blumenzeug, das rot und blau und weiß mitten in die grüne Herrlichkeit vertropft war. Auf den Bücherwiesen lagen eine Anzahl kleiner Teiche. Aus denen her musizierten die Frösche, und ein wohltuender, kühler Luftzug strich herein. Im Bogen die Wiesen überquerend, kam Heinrich Korn am unteren Dorfende wieder herein. Es begann zu dunkeln, aus den Bodenwiesen stiegen leichte, feine Nebel. Am Berteles-Häuschen blieb der Hohlöfner stehen. Marie Berteles kam über den Hof und grüßte. »Mariele,« rief der Bauer, »ich will mir ein bißchen von eurem Flieder mitnehmen.« »Gerne.« Das Mädchen stellte den Eimer hin und kam raschen Schrittes heran. Sie pflückte dem Hohlöfner einen Strauß des köstlichsten Flieders, der im Berteles-Gärtchen wuchs. »Hör auf, Mädel,« mahnte der Bauer, »sonst muß ich ja deinen Handwagen nehmen.« Er maß Haus, Garten und Mädel mit einem vergleichenden Blicke. »Ihr paßt zusammen, das Haus, der Garten und du. Hat einen guten Blick gehabt, dein Vater. Schade um den Mann. Ist viel zu bald gestorben. Ihr stündet heute anders da.« Der Bauer steckte seine starke, scharfrückige Nase in den Strauß. »Da freut sich unsere Mutter. Was geb ich dir denn nun dafür?« »Nix.« »Sollst einen Mann für dich allein kriegen.« »Einen wie du bist.« Der Hohlöfner drohte mit dem Finger. »Du, die Sorte ist nit leicht zu behandeln. Hat lauter Raupen im Kopfe.« »Wollt schon damit fertig werden. -- Ich muß in die Stube, die Mutter wartet.« »Und ich muß ins Wirtshaus. Dunnerlichting, so ein guter Geruch!« Sie gingen lachend auseinander. Im Wirtshause traf Heinrich Korn etliche Nachbarn, die, gleich ihm, auf ein Ruhe- und Plauderstündchen zusammengekommen waren. Albert Rösner, der Wirt, war des Hohlöfners Altersgenosse und guter Freund und steckte, wie der Bauer, voller Schnurren. Wenn sie sich begrüßten, dann lagen die Hände wie Klammern ineinander. Jeder drückte den anderen mit aller Kraft, die er aufzubringen vermochte. Es schmerzte, aber keiner verzog den Mund. Das war die hundertmal wiederholte Probe darauf, ob sie noch die Alten wären. Der Händedruck war ausgestanden. Heinrich Korn rückte sich einen der schweren Stühle heran und schlug zur Begrüßung mit dem Knöchel der geballten Faust auf den Tisch. Keiner der Männer dachte sich etwas bei dieser herkömmlichen Form des Grußes, und er war doch uralte deutsche Art. Einst hatten die Urväter, wenn sie sich zum Trunke niederließen, die kurze scharfe Waffe mit festem Hieb neben sich in den Tisch getrieben, damit bedeutend, daß sie sich für die Zeit des Gelages wehrlos machten. Wenn sie den Humpen zum Munde führten und den Hals zurückbogen, wäre es ehrlos gewesen, den Dolch zu zücken. Der Hohlöfner kam neben einen Mann zu sitzen, der zu den ständigen Gästen der Schönbacher gehörte und dem doch die weite Welt eben gerade groß genug war. Niemand wußte, woher er kam, wo seine Wiege gestanden, welch Schicksal ihn getroffen. Er war ein Landstreicher und, vielleicht, ein Genie. Nun zog er, die Fiedel unter dem Arme, durch die Welt, stimmte und besserte Orgeln und Klaviere aus und war ein Meister auf allen drei Instrumenten. Überall, wohin er kam, war er gern gesehen. Bescheiden, still, saß er unter den Männern, neigte das blasse, von dunklem feinen Bart und Haar umrahmte Gesicht lauschend vor und ließ die großen braunen Augen von einem zum anderen gehen. Meist erkannte er seine Stunde, war, wenn er das Maß voll wußte, verschwunden und suchte sein Strohlager auf. Ein Bett nahm er niemals an. Die Fiedel unter dem Arme, kam er, fragte, ob etwas zu stimmen oder auszubessern sei, erledigte seine Arbeit und ging, still, wie er aufgetaucht war. In seinen Augen lag immer eine leise Trauer, und um die schmalen Lippen zuckte der Schmerz. Keine Bitte vermochte ihn an das Klavier zu zwingen. War aber seine Stunde da, dann stand er auf, fragte nach niemand, ließ sich durch keinen Lärm stören, spielte und -- spielte ein großes Schweigen herauf. Der lebendigste Mund verstummte, der umnebeltste Sinn spürte das Wunder, das sich vor ihm auftat, das vertrocknetste Herz ahnte die heiligen Höhen der Kunst und die Abgründe menschlicher Not. Nicht für einen Bauernhof hätte der Mensch gespielt, wenn es von ihm gefordert ward. Seine Geige hat überhaupt niemand in der Nähe gehört, aber wenn Philipp Engel im Orte war, dann konnte es geschehen, daß, wer in aller Frühe auf sein Feld ging, stehenbleiben mußte, um den fast unirdisch schönen, wehmütigen Geigenklängen vom Waldrande her zu lauschen. Ging er darauf zu, dann fand er niemand. Das Spiel war verstummt, der Geiger verschwunden. Auch die Tasten meistern hatte den Mann mancher in seinem Leben überhaupt nicht, mancher einmal gehört, und nur Glückliche hörten ihn zwei- oder dreimal. Wer ihn aber hörte, vergaß die Stunde nicht wieder. Neben den kam der Hohlöfner zu sitzen, und als er sich niederließ, ging ein heller Schein über das Gesicht des Landfahrers. Eine eigene Art hatte Philipp Engel den Gendarmen gegenüber. Er mochte deren einen treffen, wo er wollte, immer blieb er, geschah es auf der Landstraße, stehen, stand er, fügte es sich im Wirtshause, auf, zog bescheiden seine Papiere und bot sie dem Hüter der Ordnung zur Durchsicht und Prüfung. Die Männer kannten ihn, und selbst des Rauhesten Stimme ward weicher, wenn er abwehrte, die Papiere zu nehmen. »Lassen Sie das doch, Mensch. Ich kenne Sie ja doch lange genug und weiß, daß Sie keiner Fliege etwas zuleide tun.« »Danke,« sagte dann der Fiedler mit leiser Stimme und ging, einen Schein blasser, seines Weges weiter oder zog sich auf seinen Platz zurück. Heute hatte der Mann den Tag über die Schönbacher Orgel gestimmt, Lehrer Siebert, der selber viel musizierte, hatte ihm zugesehen und war ihm, die Tragik seines Lebens ahnend, innerlich nahegekommen. Die beiden waren hernach miteinander in den Wald gegangen, und der junge Lehrer hatte vor dem Landfahrer sein Herz ausgeschüttet. Er trug eine tiefe Liebe im Herzen, und diese Liebe hieß Marie Berteles. Es war so lächerlich, und es war so leidvoll. Ein armes, armes Mädel und -- doch zu reich für den armen Schullehrer. Begehrt von einem, dem Haus und Hof zu eigen wurden und der, entgegen allem Herkommen, nicht nach Besitz zu fragen entschlossen war. Von Liebe umrankt das Mädchen. Im schlichten Alltagskleide eine Königin an Seele und Anmut. Philipp Engel hatte genickt. Was sagte ihm der Lehrer Neues? Einzig, daß er Marie Berteles liebhatte. Sonst? Der Fiedler hatte sie aufwachsen sehen, die zwei Menschen, die nun einander liebhatten, und wem vermöchte der Weise von der Gasse her nicht in das Innerste zu sehen? Er nickte bei des Lehrers Beichte still vor sich hin, schwieg und streichelte leise die Jungmännerhand, die ihm zur Seite auf dem Waldboden lag, zarter, als eine Mutter zu streicheln vermag. Wortlos standen sie auf, schweigend gingen sie heim, still saßen sie unter den Männern in Albert Rösners Wirtshaus. Der Hohlöfner reichte dem Fiedler die Hand. »Willkommen, Lipp. Hab schon gehört, daß du im Dorfe bist. Woher kommst du?« »Weiß selber nicht.« »Und wohin willst du?« »Wohin? Die Wege gehen alle auf das gleiche Ziel.« Das war so seine Art, und die Männer waren sie gewohnt. Das bisher flache Gespräch rann flach dahin. Der Hohlöfner gliederte sich ein und plätscherte mit. Der Fliederstrauß stand mitten auf dem Tische. Heinrich Korn trank lebhafter, als es sonst geschah. Erst löschte er den Durst, und dann hatte er Appetit. Er suchte heute keine Zielscheibe lustigen Spottes. So nahm ihn sein Jugendfreund, der Wirt, selber zum Ziele, neckte ihn mit seiner großen Nase, seinem Hedrich im Hafer, seinem Gras in den Kartoffeln. Heinrich Korn blieb keine Antwort schuldig und ging, warm gemacht, selber zum Angriff über. »Was hast du heute wieder geschafft, Albert?« »Mehr als du.« »Ha, deine Arbeit vom ganzen Jahre trage ich im Purzelkorbe fort, und braucht nit einmal ein großer zu sein.« Die Neckereien gingen hin und her, wurden allgemeiner, wurden derber. Sie beteiligten sich alle daran, wärmten alte Geschichten auf, und einzig Philipp Engel und Lehrer Siebert saßen schweigsam in der Runde. Dazu ward lebhafter getrunken als sonst. Keiner aber brachte die Rede auf Mariele und Rudolf, ja, es hatte niemand gefragt, woher der Hohlöfner den Fliederstrauß gebracht, der nun prangend in der Mitte der Tafel stand. Sie fühlten alle, daß hier ein Rührmichnichtan war, und hatten den Hohlöfner und die beiden jungen Menschen viel zu gern, um mit tolpatschigen Fingern über eine Sache zu fahren, die war wie ein zartes Pflänzlein, von dem sie wußten, daß ihm harte Stürme und Wetterwucht drohten. Zu harmlosem Plaudern zusammengekommen, war es ihnen doppelt lieb, wenn daraus ein paar lustige, vielleicht sogar übermütige Stunden wurden. Als die Lust am höchsten war, die Köpfe heißer waren, das Lachen gegen die Decke krachte, trat Fritz Ender ein. Für einen Augenblick schien es, als wehe ein kalter Luftzug. Ender aber setzte sich still in die Runde, hörte zu und verzog ab und zu den Mund zu einem kleinen Lächeln. Albert Rösner hatte eben erzählt, wie ihn Heinrich Korn einst im Manöver aufgesucht und, nach dem Lagerplatz seiner Kompanie zurückkehrend, über die Zeltpfähle des Hauptmannszeltes gestolpert war und das ganze Zelt niedergerissen hatte. Bevor sich aber der Hauptmann fluchend aus den Planen gearbeitet, war der Übeltäter verschwunden gewesen. »Stimmt,« bestätigte Korn lachend. »War mir dazumal nit so wohl dabei wie heute, wo ich davon rede. Aber was will die Purzelei bedeuten? Bin wenigstens immer ein ehrlicher Kerl gewesen, habe nit gemaust wie der Wirt.« »Gemaust? Wen hat er bemaust?« Albert Rösner wußte, was nun kam, lehnte sich an den Schanktisch und wischte sich bereits im voraus eine Lachträne aus den Augen. Korn berichtete, lebhaft Arme und Hände bewegend, wie der Wirt, mit ihm gleichzeitig bei der Garde dienend, mit anderen zur Hilfeleistung anläßlich eines großen Festmahls in das Berliner Rathaus kommandiert worden war. Es war ein heißer Sommertag, die Mannschaften hatten blitzsauberes Drillichzeug an, trugen die schweren Platten hinauf an die Tür des Festsaales und empfingen sie da, halb oder ganz geleert, aus den Händen der Diener zurück. Albert Rösner ward eine Platte mit Eis, das ein anderer vor ihm, wohlgeformt, hinaufgetragen hatte, zur Rückgabe überantwortet. Was wußte der Schönbacher Bursche von Fruchteis? Die Kälte der Platte fiel ihm auf, er leckte am Rande, das Zeug schmeckte wunderschön, und Albert beschloß, sich damit zu »betun«. An einer Ecke rasche, prüfende Blicke treppauf und -ab, ein paar flinke Griffe, Hosen- und Jackentaschen voller Eis gestopft. Und dann die Bescherung! Wie das Eis zerlief, wie es in langen Straßen an den Hosenbeinen herabsickerte, wie die Jackentaschen tropften! »So ging er,« der Hohlöfner sprang auf und lief wie ein watender Storch durch die Gaststube, »so schlang er,« er langte mit beiden Händen in die Taschen und stopfte sie in den Mund. Und alles wußte er so urkomisch, so voller harmloser Neckerei darzustellen, daß die Decke förmlich zu niedrig war für das aufstürmende Lachen. Er setzte sich, schwang sein Glas: »Prost, Nachbarn! -- Ich habe ihm Kinderwindeln angeboten, aber da wurde er falsch.« Die Heiterkeit flaute ab, lebhafter aber kreisten die Gläser. Da begann Fritz Ender: »Wie ich noch diente -- --« »Du hast gedient? Wo denn?« fiel Eduard Langer spottend ein. »Ach, wie er Knecht war auf dem Schmurer Gute,« bemerkte ebenso harmlos spottend der Hohlöfner. Fritz Ender aber ward falsch. »Konnten nit alle solche Freßkisten kriegen wie du.« »Freilich, bin bloß durch die Freßkisten Unteroffizier geworden.« »Wird nit viel anders gewesen sein.« »Nein. Akkurat so war's.« Der Hohlöfner lachte dabei. Fritz Ender kniff die Lippen zusammen. Korn hatte auch nicht im entferntesten die Absicht, Ender weh zu tun. Der Zufall hatte es gefügt, daß der zur Zielscheibe wurde. Rasche Angriffe, schlagfertige Antworten, Korn hätte lachend quittiert, der Abend wäre ausgeklungen, wie er begonnen hatte. Im Ender-Bauern aber hatte sich langer Groll aufgehäuft. Der Hohlöfner kam vorwärts, er mühte sich, sicher nicht weniger ernsthaft, vergeblich. Ein nicht gerade stürmisch auftretendes, aber dauernd nagendes Gallenleiden verbitterte ihn. Korn bestritt ihm die Erle auf der Wiesengrenze, Rudolf schnappte das Mädel weg, das sich Ender für seinen Sohn ausgesucht. Der Bauer fühlte sich durch die harmlose Neckerei verletzt, er ~wollte~ weh tun. »Wenn's mit dem Maule zu machen wäre, dann hätt'st du schon lange die ganzen Schönbacher aufgefressen.« Noch quittierte der Hohlöfner lachend: »Dich nit, Ender. Du hast zuviel Knochen.« »Tät'st lieber bei der kleinen Bertelessin anfangen, kann ich mir denken.« »Ach nein. ~Den~ Bissen höb ich bis zuletzt auf.« Ender verzog den Mund und nickte vielsagend vor sich hin. »Der Apfel fällt nit weit vom Stamme.« Korn ward hellhörig. »Was willst du damit sagen?« fragte er scharf. »Nix.« Das Gespräch trödelte weiter, die Fröhlichkeit aber war verjagt. Ender war es, der die Rede auf Freite und Heirat brachte. »Stand zu Stand,« sagte er. Die anderen nickten, und der Hohlöfner bekräftigte: »Stand zu Stand! Immer, wie sich das gehört, sonst kommt nix Gutes dabei heraus.« Ender lachte hämisch. »Wirst du das auch in der Hand haben? Sieht nit so aus, als wenn sich dein Junge Vorschriften machen ließe. Hat, wie's scheint, seinen eigenen Kopf.« Was selten geschah, das geschah in dem Augenblicke. Der Hohlöfner war überrumpelt, war auf den Mund geschlagen, dachte nicht an das Mariele, vermutete, daß sein Sohn irgendeine leichtfertige Liebschaft angezettelt habe, daß eine Dummheit unterwegs sei. Es war eine ganz verrückte Enge, in der sich der Mann drehte. Das Mariele? Mit keinem Atemzug dachte er an sie. Wie wäre das auch möglich gewesen? Das hätte er merken müssen, wenn Rudolf ihr zu Gefallen gegangen wäre. Nein, er mußte im Begriff sein, sich irgendwie zu verplempern. Der Heimtücker, der Ender, wußte davon und wollte sich nun an ihm, dem Alten, reiben. A bah, bange machen lassen? Er hatte es einen Augenblick ernst, ja, schwer genommen. Seine Stimmung schlug um, der Grundzug seines Wesens, Heiterkeit, der eine Neigung zur Überlegenheit nicht fremd war, brach durch, das reichlich und rasch getrunkene Bier war nicht ohne Wirkung. Er lachte schallend auf: »Ender, du Heimtücker, hätt'st mich, weiß Gott, beinahe kopfscheu gemacht.« Einer raschen Eingebung folgend, streckte er dem Ender die Hand über den Tisch entgegen: »Was gilt's? Mein Junge heiratet, die ich will, und es kommt mir keine in das Haus, die nit ihre abgezählten fünftausend Taler hat, oder ich will dem ganzen Dorfe den Hanswurst machen.« »Topp,« schrie Ender aufspringend, knallte seine Rechte in die des Hohlöfners, hielt sie fest, ob sich auch Schmied Anders mit ganzer Wucht dazwischen warf. Die Abmachung, lachend vom Hohlöfner angeboten, berechnend von Ender herbeigeführt und blutig ernst gemeint, war so rasch geschehen, wie wenn ein Blitz herabzuckt. Alle die Männer wußten mehr als der Hohlöfner, sahen längst im stillen dem Sturme entgegen, den sie ahnten, waren mit einem Schlage nüchtern und erschrocken bis in das Innerste. Schmied Anders schlug mit den Fäusten auf die verkrampften Hände. Sie hielten fest. »Hund,« brüllte er den Ender an, »das gedenk ich dir, daß du dem Besten Herzeleid machen willst. Laß dich nit wieder in meiner Schmiede sehn!« Albert Rösner, der Wirt, schlug dem Hohlöfner derb auf die Schulter. »Heinrich, nimm's zurück. Das tut nit gut. Hast nit gewußt, was du machst. -- Heinrich, nimm Vernunft an. Ein Mensch ist kein Scheit Holz. Laß los, Ender. Das geht nit gut aus, und du hast keine Freude daran!« Ender wollte loslassen. Der Hohlofenbauer aber hielt eisenfest. Er hatte sich aufgerichtet, schwankte nicht, war blaß im Gesicht, seine Stimme schwang in tiefer Bewegung. »Nachbarn, ich hab's für einen Jux genommen. Ich sehe, daß es keiner ist. Nun sag ich's noch einmal: Wer den Hohlofenhof erbt, hat nit das Recht, sich zu hängen, an wen er möchte. Und keine kommt mir auf den Hof, die nit ihre fünftausend Taler mitbringt, oder ich will dem ganzen Dorfe den Hanswurst machen; und ihr wißt, daß ich nix schlechter vertrag als das Ausgelachtwerden.« Noch einmal griff er zu, daß dem Ender alle Knochen der Hand krachten. »Bin dir auf den Leim gegangen, Heimtücker. Freude sollst du nit daran haben.« Mit einem Ruck schleuderte er die Hand zurück und setzte sich, schlug auf den Tisch. »Noch eins, Albert! Ich muß das Gift hinunterspülen. -- Macht nit solche Gesichter. Deswegen steht die Welt nit still, und der soll erst noch kommen, dem der Hohlöfner nit gewachsen wäre. -- Prost!« Die schlichte Fröhlichkeit der Männer war totgeschlagen. Sie spürten, daß Not frevelhaft heraufbeschworen war, rückten ab von Fritz Ender, scharten sich, gleichsam eine Schutzmauer bildend, um den Hohlöfner, aber keiner deutete selbst jetzt auch nur von fern auf das Berteles-Mariele hin. Als sie sich in der Runde umsahen, waren zwei nicht mehr da, die zuvor unter ihnen gesessen. Philipp Engel hatte sich, als die Hände der beiden Männer ineinander knallten, erhoben, war totenblaß gewesen, hatte nach seiner Fiedel gelangt und war hinausgetaumelt. Als ihm Lehrer Siebert auf dem Fuße folgte, fand er ihn draußen an der Mauer lehnen. Der Mann weinte wie ein Kind, wies die Hand zurück, die ihm tröstend über das Gesicht fahren wollte, und ging mit langen Schritten hinaus in die Wiesen. * * * * * Im Berteles-Garten blühte der Flieder. Blau und weiß überschäumte er die grünen Büsche. Die Nacht kam. Der Schönbach rauschte sein Sommerlied hinauf zu den Erlen und Eschen und streichelte der Weiden schwanke Zweige. Wasseramseln und Eisvögel hatten ihre Nester in Uferlöchern und an Felsnasen aufgesucht. Eulen huschten über die Waldränder hin, und Fledermäuse streiften ihre Reviere ab. Still standen die Blumen, den Segen der lauen Nacht erwartend, leise erschauernd im Ahnen nahen Wetters. Es war schwül, und aus den feuchten Wiesen stiegen die Nebel. Da kam einer beinahe desselben Weges, den zwei Stunden früher der alte Hohlöfner gegangen war, gehorchte gern dem Gebot des Herzens und hatte doch eine tiefe Falte in der Stirn. Rudolf Korn ging zu seinem Schatze und war in ernsthaftem Nachdenken vorhin zu dem Entschlusse gekommen, morgen mit den Eltern zu reden. Das Mariele empfing ihn am Gartentürchen, eng umschlungen gingen sie den kurzen Weg zur Laube und ließen sich auf der Bank nieder, die einst Vater Berteles gezimmert. Um sie sang der Flieder seine blauen und roten Duftmelodien, der Jelängerjelieber wisperte, der Bach schwatzte, und durch feine Wolkengespinste sah der Mond herab. Marie Berteles hatte die langen Zöpfe rechts und links über die Schultern gelegt, so daß ihr die Enden im Schoße lagen, hielt die Hände leicht verschlungen und lehnte in Rudolfs Arm. Mit freudig schwingender Stimme berichtete sie, daß Rudolfs Vater sich vorhin einen großen Busch Flieder geholt, und der Bursche lächelte. »Hast ihn gut im Garn, Mariele,« sagte er. »Vergangenen Sonntag die Extratouren mit ihm getanzt, vorgestern auf dem Nußbühl zweistimmig mit ihm gesungen, heute der Strauß. Ich wüßte nit, woran es nun noch fehlen sollte.« »Rudolf, ob er nix ahnt?« »Nein. Verlaß dich darauf. Sonst hätte er etwas gesagt, dir oder mir, vielleicht allen beiden. Er ahnt nix. Geradezu blind ist er, aber ich weiß, was er von dir hält.« »Es ist mir so bange.« »Warum denn, Mariele? Tust, als hättest du gar nix mitzubringen.« »Was habe ich denn auch? Das Häusel und unser kleines Feld? Da müssen wir Zinsen zahlen.« »Soll denn der Mensch bloß nach den Talern fragen?« »Ist nit recht, aber du weißt doch, wie die Leute sind.« »Laß die Leute. Der Hohlöfner ist nit wie die Leute.« Und ernster redend: »Mariele, ich mache mir nix vor. Wärst du nit, die du bist, dann brauchte ich wohl überhaupt gar nit davon anzufangen. Aber du bist das Mariele, und das ist's. Hast mich gern, Mariele?« »Ach, Rudolf, das mußt nit fragen.« »Kann's aber doch gar nit oft genug hören und, weißt du, später sagt man sich das nit mehr.« »Kann ich mir von uns zweien nit denken.« »Ich auch nit. -- Also hast mich gern?« »Nit zum Sagen.« »Womit beweist du das?« Das Mariele lachte leise. »Ich weiß schon, was du willst. Da.« Sie richtete sich auf und wickelte dem Burschen ihre langen Zöpfe eng um den Hals, schmiegte sich an ihn und küßte ihn. »Meinst du das?« »Ja, das meine ich, und davon kann ich auch nit genug kriegen.« »Wenn's nur nit so heimlich sein müßte.« »Gerade darum ist's so schön. -- Mädel, was mach ich bloß vor lauter Gernhaben? Ist's nit verrückt, geradezu verrückt, daß man einen Menschen so gern haben muß, einen fremden Menschen? Und daß ~du mich~ gern haben mußt! Einen Kerl wie mich!« Und immer wieder die süßen, alten Torheiten, die der Mensch später belächelt und um derentwillen ihm doch noch in der Erinnerung das Herz rascher schlägt. Der Flieder sang seine duftenden Melodien, die Nacht feierte, eine gesunde, reine Liebe ließ ihre Opferflammen hoch aufleuchten. Endlich rückte Rudolf mit seinem Entschlusse heraus. Das Mädchen fest an sich pressend, bekannte er: »Morgen rede ich mit meinen Leuten.« Da wickelte das Mariele rasch die Zöpfe von seinem Halse und rückte ein Endchen von ihm ab. »Rudolf!« Der aber scherzte: »Ist dir das etwa nit recht? Ich denke, du willst das Heimlichtun nit mehr haben.« »Das schon, aber -- -- -- Ach Gott, wenn's bloß erst vorüber wäre.« »Mariele! Ich kenne doch den alten Hohlöfner. Wenn ich sage: Das Mariele ist's, dann spricht er: Du Töffel, warum hast du dazu so lange Zeit gebraucht? Und dann: Erst kommt der Alte und macht den Freiwerber, dann komme ich. Wirst sehen, so ist's.« »Und wenn's nit so ist?« »Wenn's nit so ist? Dann komme ich doch. Und komme gerade auf euer Haus zu und nit über die Wiesen. Das weißt du: Vom Mariele lasse ich nit!« Sie schwiegen, lehnten aneinander, und aus tiefem Sinnen heraus sprach das Mädchen einen der Verse aus ihres Vaters schlichtem Büchlein. Die Linde rauscht, es scheint der Mond, Da suchen sich zwei in Treuen. Der Herrgott, der im Himmel wohnt, Muß selber sich dran freuen. Und geht der Neid auf krummem Weg Und schielt aus tiefen Gründen, So baut der Himmel doch den Steg, Auf dem die zwei sich finden. Marie Berteles hatte es so schlicht und mit solch innerer Wahrhaftigkeit gesprochen, wie es der Vater einst geschrieben. Sie schwieg, und -- da klang, kaum ein paar Schritte von ihnen, von drüben über dem Bache her eine Geige. In einer unendlich tiefen Wehmut sang sie, daß die Herzen sich den Klängen auftun mußten. »Der Lipp,« sagte das Mariele leise und scheu. »Der Lipp! Er ist wieder im Dorfe.« Und als sich Rudolf Korn erheben wollte, heiß und bittend: »Nit, nit, lieber Rudolf! Bleib, ich bitte dich! Kein Mensch hat ihn spielen sehen. -- Ach Gott, am Ende ist das überhaupt gar kein Mensch nit. -- So schön kann es gar keiner.« Süß, schmerzlich süß klang die Geige durch die Nacht. Eine gottbegnadete, von des Schicksals Geißel blutig geschlagene Künstlerseele vertropfte hinein in des blühenden Flieders Duftmeer. Kein wilder Strich, kein rascher Laut, lauter Wehmut. Ein Herz spielte, das eben gesehen und gehört hatte, wie der Sturm aus seinem Schlafe gerissen wurde, dahinzufahren über junge Liebe und zu entblättern, was sich zum Blühen anschickte. Nicht Grabgesang war es, das der Geiger spielte, aber es war eine Melodie, deren Grundton Herzeleid hieß. Philipp Engel hatte schon eine ganze Weile unter der Erle gesessen, hatte, zuckenden Herzens, die süßen Torheiten von drüben her vernommen, sein Gesicht war darüber zu Stein erstarrt und war zerflossen in Trauer. Einst, ach einst! Er war gekommen, den beiden ein Lied zu spielen, wild, aufreizend: Wehrt euch! Seid stärker als die Niedertracht! Sein Arm war lahm gewesen und hatte die Geige nicht an das Kinn zu heben vermocht. Da kam durch die Nacht Marieles gläubiges: So baut der Himmel doch den Steg, auf dem die zwei sich finden. Nun hob sich dem Geiger von selber der Arm, der Bogen setzte an, zog -- tat es der Mann, tat es der alte Weltenmeister? -- durch, fuhr auf und ab, die Finger griffen in die Saiten. Philipp Engel spielte Vater Bertels Lied, wehmutüberhaucht und doch voll tiefen, sieghaften Glaubens. Das Mariele barg sich ganz fest in Rudolf Korns Arm, er fühlte, wie sie bebte, legte ihm die Arme um den Hals, weinte und schrieb es doch mit leuchtenden Zeilen an den Frühlingshimmel: Es wird alles gut werden! Der Geiger brach ab. Das Mariele drängte ihren Schatz: »Geh heim!« Sie küßten sich nicht mehr. Ruhig, wie es immer seine Art war, ging Rudolf Korn heim. Als er in die Stube trat, stand da auf dem Tische der duftende Fliederbusch. Heinrich Korn hatte ihn eine reichliche halbe Stunde nach der Abmachung mit dem Ender vom Tische genommen, war merkwürdig still gewesen, hatte zum Abschied wieder auf den Tisch geklopft und war langsam die Dorfstraße hinaufgegangen. Er fand sein Weib schlafend, legte sich nieder, grübelte eine kurze Weile, ahnte eine folgenschwere Übereilung, schämte sich, irgendwoher läutete ein Glöcklein: Armes Mariele! Da lächelte der Bauer wieder. Und ging es um die, war das Fernliegendste, Unwahrscheinlichste Wahrheit und Wirklichkeit, dann -- war er immer noch Manns genug, einen Weg zu finden. So schlief er, leidlich beruhigt, ein. -- Philipp Engel war entschlossen, das Strohlager, das ihm Albert Rösner bereitet, nicht aufzusuchen. Er wollte seines Weges weitergehen. Als er aber auf den Bodenweg heraustrat, saß da unter einem wilden Rosenstrauch ein junger Mensch, hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Da kam Lipp nicht vorüber. Er rührte sacht an Lehrer Sieberts Schulter: »Komm! Du hättest schlafen sollen. Was treibst du dich da in der Nacht herum, du Kind? Meinst du, du könntest nicht fertig werden mit dir? Hat sie dir Treue versprochen und lügt sie nun? Was hast du ihr in die Hand gegeben? Nichts. Sie hat ja nichts von dir gefordert. Geh, du Schwächling, den die Not kaum anrührt. Bis heute hat sie dich nur gestreichelt und schon das tut dir weh? Wie willst du denn fertig werden, wenn sie wirklich die Geißel schwingt?« Und milder, väterlich: »Komm, mein Bub. Ich könnte gut dein Vater sein. Komm, du mußt heim.« Er schob seinen Arm unter den des Lehrers. Sie gingen die Dorfstraße hinauf. An der Kirche stand Siebert still. »Ich habe die Schlüssel noch in der Tasche. -- Komm, tu mir die Liebe.« Durch das dunkle Kirchenschiff geisterte der Mond. Lehrer Siebert trat die Bälge, und Philipp Engel spielte. Der und jener der Schönbacher Bauern wachte auf. »Mein Gott, da spielt doch jemand Orgel. Mitten in der Nacht!« Des Fragers Weib aber drehte sich knurrend auf die andere Seite. »Schlaf! Du weißt doch, daß der verbummelte Orgelstimmer im Dorfe ist.« Die Frühsonne schielte hinter gelben Wolken hervor, da trennten sich zwei an der Kirchentür, deren einer sich einen Schüler gewonnen hatte, der die ersten Zeilen in des Lebens krauser Notenschrift lesen gelernt hatte. Hand in Hand standen sie. Da sagte der Landfahrer sinnend: »Wie fing es doch an? Ach ja: Die Linde rauscht, es scheint der Mond. -- Leb wohl, ich muß weiter.« »Wohin gehst du? Ich möchte dich immer zu finden wissen.« Philipp Engel lachte wehmütig. »Du brauchst mich nicht zu suchen. Ich bin immer bei dir. Was du von mir haben mußt, kannst du jede Stunde haben. Das andere? Was willst du mit einem Scherbenhaufen?« Die Fiedel unter dem Arm, schritt er das Dorf hinauf, und über ihm summte leise die große Glocke. 3. Der Sonntagmorgen war schwül. Die paar Blumen, die im Garten des Hohlofenhofes standen, ließen die Köpfe hängen. Heinrich Korn selber lag es schwer in den Gliedern. »Mir ist heute, als hätte ich gestern abend zu viel getrunken,« sprach er zu seinem Weibe. Die neckte ihn. »Zu wenig wird es kaum gewesen sein.« »Aber auch nit zu viel. Ich weiß immer noch, was ich sage und tue.« »Das ist doch auch das wenigste, das man verlangen kann.« »Sag das nit. Das kommt manchmal über den Menschen, er weiß nit wie.« »Damit redet ihr euch immer heraus.« Sie wies auf den Fliederbusch. »Den sollten wir uns auch anpflanzen.« Der Bauer antwortete nicht. Er war unruhiger in sich, als er zeigte, kratzte sich oft hinter den Ohren, hätte seiner Frau gern von gestern abend gesprochen und fürchtete doch ihre ruhigen, sicheren Augen und ihr treffendes Urteil. So verbohrte er sich darein: »Ich trage das selber aus. Was geht das die Weiber an? Aber mit dem Rudolf will ich reden.« Und doch schob er auch das auf, obwohl ihm sein Sohn alle Augenblicke über den Weg lief. Planlos ging er auf den Hof hinaus, stand vor dem verfallenen Mauerreste des Hochofens, der von Winde, Efeu und Thymian überwuchert war, und um den die Schmetterlinge gaukelten, kratzte sich wieder hinter den Ohren und wußte, daß er -- ein schlechtes Gewissen hatte. Wenn's am Ende doch das Mariele war? Rasch schritt er nach den Bienenstöcken hinüber. Die Tiere flogen aufgeregt hin und her. Es war noch reichlich früh im Jahre, aber sie schienen Anstalten zum Schwärmen zu machen. Recht; denn je früher ein Schwarm, desto besser. Herrgott, wie die Sonne brannte! Heinrich Korn sah nach dem Himmel. Wolken türmten auf. In die Stube zurückkehrend, bemerkte er: »Heute donnert's noch, Mutter.« »Ein Gewitter tät nit schaden. Nur keinen Hagel!« »Möcht wissen, woher jetzt Hagel kommen sollte.« »Hagelwetter kommt immer, wenn man's am wenigsten erwartet.« »Hast recht. Wenn man's am wenigsten erwartet.« Er kratzte sich wieder hinter den Ohren. »Wo ist der Rudolf?« »Wo wird er sein? Ist ja die ganze Zeit hier herumgelaufen. Vielleicht ist er in seiner Kammer.« »Ob er denn nit endlich einmal zum Heiraten tun will?« »Wird er schon, wenn seine Zeit da ist. Das ist seine Sache und geht uns nix an.« Und der Mann auffallend scharf und laut: »Das ist nit wahr. Ist ~nit seine~ Sache. Deine und meine ist's. Zuerst deine, du bist die Mutter und hättest dich längst umtun können.« Minna Korn ward stutzig und hielt in ihrer leichten Hantierung inne. »Ich für den Rudolf auf die Freit gehn? Bist du denn nit recht bei Trost? Da läßt sich doch nix vorschreiben. Oder hast du dir das etwa anbefehlen lassen?« »Ich! Wo doch alles so zusammen paßte. -- Was meinst du zu dem Wolfert in Goßberg seiner Klara? Ich dächte, an der wäre nix auszusetzen.« Minna Korn zuckte die Achseln. »Mir gefällt sie nit. Sie ist zu sehr auf den Staat aus.« »Der Wolfert hat's dazu.« »Desto weniger müßte es sein Mädel zeigen. -- Laß das nit deine Sache sein. Das kommt alles, wie es muß. Um den Rudolf brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich möchte überhaupt wissen, was heute in dich gefahren ist. Du tust so, so -- -- -- Ich weiß nit, wie ich sagen soll, aber du bist gar nit wie sonst.« »Dummes Zeug. Wenn man einmal mit dir etwas ernsthaft bereden will, dann ist man nit wie sonst.« »Ja, dafür bist du halt auch der Hohlöfner.« »Damit aber noch lange kein Hanswurst!« brauste der Bauer auf. Die Frau ließ sich nicht einschüchtern. »Einen Hanswurst hätte ich auch nit geheiratet. -- Dir liegt heute das Wetter in den Gliedern.« »Muß wohl so sein.« Sie schob ihm die Zeitung zu. »Da ist das Blatt. Lies derweile. Das Essen ist gleich fertig.« Wann hätte der Hohlöfner je am Essen gemäkelt? Heute nörgelte er. Die Suppe war zu heiß, das Fleisch zu hart. Seine Frau sah ihn an und schüttelte den Kopf. Auch an dem Sohne rieb sich der Bauer. Er machte kleine, spitze Bemerkungen. Es wäre nachgerade Zeit, ihnen die Arbeit leichter zu machen. Egal die Schinderei und Plagerei und soviel fremde Leute auf dem Hofe. »Darüber läßt sich reden, Vater,« entgegnete Rudolf. »Ich sehe ein, daß du es allmählich leichter kriegen mußt.« Das aber war wieder nicht recht. »Bin noch kein alter Mann,« knurrte der Bauer. »Euch junges Volk stecke ich noch alle miteinander in die Tasche.« »Dann weiß ich nit, was du willst, Vater.« »Weiß ich selber nit.« Und Rudolf lächelnd: »Scheint mir auch so.« Da keifte der Hohlöfner: »Halt das Maul. Laß mir von dir keine Vorschriften machen.« Immer stärker schüttelte die Bäuerin den Kopf. In Rudolfs Gesicht aber trat ein trotziger Zug. Der Tisch war abgeräumt, Heinrich Korn hatte sich die Pfeife gestopft und lehnte in der Sofaecke, die Bäuerin las, die Brille auf der Nase, im kirchlichen Wochenblatte. Rudolf saß am Tische. »Ich möchte etwas mit euch bereden,« begann er. Die Mutter ahnte, was er vorbringen wollte, und wehrte ab. »Muß denn das jetzt sein? Du siehst doch, daß der Vater -- -- --« Da fuhr der Bauer hoch. »Was soll mit mir sein? Noch bin ich der Herr im Hause!« »Aber Vater, es ist doch nit ein Tag wie der andere, und du bist heut mit dem falschen Bein zuerst aus dem Bett gestiegen.« »Steige immer mit dem richtigen aus dem Bett. -- Und nun will ich wissen, was du angestellt hast.« »Angestellt?« fragte Rudolf verwundert. »Was soll ich angestellt haben?« »Hab schon einen Vogel pfeifen hören.« »Kann ich mir denken, aber vielleicht hat er doch nit ganz richtig gepfiffen. -- Ich möchte heiraten.« Der Hohlöfner pfiff durch die Zähne, sah seine Frau triumphierend an, nickte ihr zu: »Hab ich's nit gesagt?« Und sich an den Sohn wendend: »Da bin ich auch noch da, und eine Sünde und Schande ist's.« Immer verdutzter ward Rudolfs Gesicht. Zorn stieg stärker in ihm auf. »Ich bin kein Schuljunge mehr, habe das Alter reichlich, habe mir bei den Soldaten die Nase putzen lassen -- -- --« »Lange nit genug,« fuhr der Bauer dazwischen. Nun aber riß die Bäuerin mit einem Ruck die Brille von der Nase und trat an den Tisch heran. »Vater, das ist nit von ungefähr. -- Was willst du denn eigentlich? Du weißt noch gar nit, wen der Rudolf bringen will -- -- --« »Wen er bringen will? Warum geht er nit damit heraus? Weil er weiß, daß du so gut nein sagen wirst wie ich; weil er weiß, daß das nit sein kann. Eine auf dem Hohlofenhofe, die -- -- --« Minna Korn legte ihrem Manne die Hand auf den Mund. »Abwarten, Vater. Nit gleich so wild. Wenn's die ist, die ~ich~ denke, dann bist du's ebenso zufrieden wie ich. Rudolf, wer ist's?« »Das Mariele. Doch keine andere.« Minna Korn sah, durch ein paar vorwitzige Tränen lächelnd, auf ihren Mann. »Na und nun?« Dem war der Mund offen stehengeblieben, er hielt die kurze Pfeife in der Rechten, sah ungläubig vom einen zum andern, war so völlig überrascht und hilflos, wie ihn auch seine Frau nie gesehen hatte. Die strich ihm über den Kopf. »Gelt, Vater, wär alles nit nötig gewesen. Das liebe, liebe Mariele. Hast sie selber gern.« Sie glaubte, völlig gewonnen zu haben. Der Bauer aber schüttelte ihre Hand ab, fuhr sich über das Gesicht, stand auf, ging kopfschüttelnd hin und her. »Das Mariele! Das hätt ich nit gedacht. Alles andere, aber das nit.« Da erkannte Minna Korn, daß sie doch noch nicht am Ziele war, und stutzte stärker als vorhin bei des Mannes grundloser Erregtheit. Er stampfte mir harten Schritten, bald den Namen »Mariele« murmelnd, bald ein »Dunnerlichting« zwischen den Zähnen zerbeißend, hin und her. Rudolf begann, seine Sache wieder selber zu führen. »Vater, gegen das Mariele wirst du kaum etwas haben können.« »Hm,« brummte der Hohlöfner. »Es gibt keine rechtschaffenere weit und breit.« »Das ist das wenigste.« »Ist heutzutag gar nit das wenigste. Die Zeiten sind anders geworden.« »Mußt du mir das sagen?« Der Bauer fuhr sich durch die Haare, lachte zornig auf. »Abgekartetes Spiel. Ihr scheinheiliges Volk! Erst gehe ich euch auf den Leim, dann dem -- -- --« Er brach ab und hieb durch die Luft. Sein Weib ahnte deutlich irgendein Vorkommnis. »Wem bist du auf den Leim gegangen?« fragte sie. »Den zweien. Dem Rudolf, der das Maul nit aufgetan hat, und dem Mariele, der -- Scheinheiligen, die -- --« Er arbeitete sich in hellen Zorn hinein, die Bäuerin aber ließ sich nicht verblüffen. »Und wer ist der andere?« »Der andere? Habe ich was von einem anderen gesagt? Nit ein Wort.« »Doch, Vater, du sagtest: Und dem -- --« »Hör andermal besser hin. Überhaupt: Kümmer dich um deine Gänse und rede nit in Männergeschäfte.« »Vor dem Essen waren's Weibersachen.« »Kreiz Deibel, wer ist hier der Herr im Hause, du oder ich?« »Das hat mit Herr und Haus nix zu tun. Du bist Rudolfs Vater und ich bin die Mutter, die ihn geboren hat.« Rudolf trat dem Vater einen Schritt näher, und der Hohlöfner war überrascht, als er ihn mit den Augen maß. Geradezu eine Offenbarung war ihm sein Fleisch und Blut. War das sein Junge, der entschlossene, ruhige, kernige Mensch, in dessen Gesicht nur eins geschrieben stand: Ich weiß, was ich will, und ich gebe nicht nach! »Vater, das ist nit von ungefähr, daß du so wild bist. Am Mariele kann's nit liegen. Ich bitt dich, laß uns ruhig über die Sache reden. Was hast du am Mariele auszusetzen?« Der Bauer ließ sich wieder in die Sofaecke fallen. »Erstens, daß sie mir um den Bart gegangen ist, um mich zu kirren.« »Sie hat es ehrlich gemeint und ist nit anders gewesen als früher. Wär aber ein komisch Mädel, das den Sohn heiraten will und den Vater schlecht behandelt.« »Laß mich nit behandeln.« Der Hohlöfner sah an seinem Weibe vorüber, die jetzt ruhig wartend zur Seite stand, beobachtete und kein Wort mehr verlor. Er wußte, daß ~sie~ seine Schauspielerei durchschaute, versuchte aber den Schein zu wahren und fuhr ruhig und scheinbar sachlich fort: »Zweitens: Du kriegst den Hohlofenhof. Das ist der größte in Schönbach und den Nachbardörfern. Damit übernimmst du eine Verpflichtung, Rudolf. Du stehst nit für dich, wie ich nit allein für mich stehe.« Im pastoralen Ton redete er, täuschte seinen Sohn, nicht aber seine Frau, die, leise lächelnd, zum Fenster hinaussah. Der Bauer aber, nachdem er eine Weile ruhig geblieben, sprang, der Abmachung gedenkend, sich erinnernd, daß er erklärt, er wolle sich einen Hanswurst nennen lassen, sich des Enders höhnisches Gesicht vormalend, und doch in Wirklichkeit einzig überwältigt von heißem Erbarmen mit dem lieben blondzöpfigen Mädel, mit beiden Beinen wieder mitten hinein in seinen Zorn, gegen sich selber wütend. »Soll der Einzige vom Hohlofenhofe nit mehr können, als das ärmste Mädel frein? Was nutzen die langen Zöpfe? Mag sich das Zeug abschneiden lassen, daß sie aussieht, wie sich's gehört. Könnte den beiden Weibern so passen, sich ins warme Nest zu setzen. Ist eine verfluchte Heuchelei, und du Hansnarr bist ihnen auf dem Leim gegangen. Soll sich was schämen, die alte Bertelessin.« Er hieb auf den Tisch. »Kommt mir keine auf den Hof, die nit wenigstens ihre abgezählten fünftausend Taler hat! Punktum. Mein letztes Wort. Richte dich danach!« Rudolf stand eine dicke Zornesader auf der Stirn. Er sah den Vater an. Der schlug die Augen nieder. Des Sohnes Blick war schmerzlich und war verächtlich. »~Dein~ letztes Wort,« begann er. »Gut, wenn's denn gleich und durchaus bis zum Letzten ausgeredet sein muß. Ich denke aber, wir reden trotzdem noch einmal darüber. Sagen wir in drei Tagen. Das ist Zeit genug zum Nachdenken.« Der Hohlöfner fluchte, seine Frau stand bereit, zwischen die Männer zu springen, Rudolf beherrschte sich, aber er ging unerbittlich auf sein Ziel los. »Vater, hättest du dir die Mühe gemacht, mich kennenzulernen, dann wärst du heute nit so verwundert. Ich weiß, daß du mich für einen Schwächling gehalten hast. Du hast all die Jahre her kaum ein gutes Wort für mich gehabt. Ich habe nie gehört, daß du etwas gelobt hättest, das ich machte. Es war nit leicht, sich damit abzufinden. Weise mir eine einzige Stunde nach, in der ich dir die schuldige Ehrfurcht versagt hätte. Ich tu's auch jetzt nit, aber ich sage: Der da jetzt redet, ist nit der Hohlöfner, das ist ein anderer. Der Hohlöfner ist nit hartherzig, ist nit geldgierig, hat das Mariele so gern wie ich. Dem Hohlöfner könnt ich jetzt die Hand geben und sprechen: Ich danke dir, Vater. Du sollst sehen, daß du mit uns zweien, dem Mariele und mir, ein schönes Alter haben wirst. Dem andern aber sage ich: Vom Mariele lasse ich nit! Nit wenn der Himmel einstürzt! Du hast vom Hof geredet. Was der Hof ist, weiß ich. Es ist nit ein Stein, nit eine Furche, die mir nit heilig wären, aber: Hier das Mariele, da der Hof, und ich nehme das Mariele. Ich will dich nit nötigen, Vater, aber tu mir den Gefallen und laß uns in drei Tagen noch einmal darüber reden. Daß das Mariele nit viel Geld hat, weißt du. Bleibst du dabei, daß sie fünftausend Taler mitbringen muß, dann -- treibst du mich aus dem Hause; denn es ist keine Aussicht, das Geld zusammenzubringen. Und warten, bis ich graue Haare habe oder auf deinen Tod lauern, das tue ich nit. So, Vater, das wäre, was ich zu sagen hätte. Nix zu viel, nix zu wenig. Und jetzt gehe ich zum Mariele. Vom Mariele laß ich nit!« Er ging mit festen Schritten zur Tür hinaus. Dem Hohlöfner aber hatten des Sohnes männliche Worte die Sprache verschlagen. Fremd sah er sich in der Stube um, fremd blickte er auf sein Weib. Die setzte sich neben ihn, und die hellen Tränen liefen ihr über die Wangen: »Vater!« Der Bauer erwachte. »Mutter, war denn das unser Junge?« »Ja, Vater, das war unser Junge, so ehrlich und so gut, wie er ist. -- Und nun, Vater, tu mir die Liebe und rede dich aus. Was ist gewesen?« »Was soll gewesen sein? -- Nix ist gewesen.« Und langsam wieder der Alte werdend: »Soll ich mir Vorschriften machen lassen? Nehme ich den Hof mit? Ist es zu viel verlangt, daß die künftige Hohlöfnerin fünftausend Taler mitbringen soll?« »Vater, warum hast du ~mich~ geheiratet? Soll ich jetzt, nach siebenundzwanzig Jahren, hören, daß du mich bloß genommen hast, weil ich Geld hatte?« »Mutter, red kein dummes Zeug.« »Ich laß nit nach, Vater, ich will wissen, warum du ~mich~ gefreit hast. Hättest du mich auch genommen, wenn ich so arm gewesen wäre wie das Mariele?« »Himmel, Herrgott!« »Laß das Fluchen! Ich kenn dich besser, als du denkst. Mir machst du nix vor. Ich werde auch noch hinter das kommen, was dich heute kopfscheu macht. -- Also du hast das Geld geheiratet, nit mich?« Der Bauer sprang auf, rannte hin und her, tobte, fluchte, wütete gegen sich selber, bis es ihm herausfuhr: »Der Hund! Das will ich ihm gedenken!« Minna Korn nickte, lächelte ein ganz klein wenig bitter, aber sie blieb beharrlich. »Keine Antwort ist auch eine Antwort.« Und, auch ein wenig schauspielernd: »Ist bitter, das nach beinahe dreißig Jahren zu hören, wo ich dich doch so -- --« »Hör auf, Mutter! Siehst du denn nit, daß ich nit anders kann? Ich sitze doch fest wie der Fuchs im Eisen. Ich kann nit anders! Fünftausend Taler! Das Mariele -- --« Er knallte die Tür hinter sich zu, nach dem Garten zu gehen, traf im Hausflur den Sohn, der, zum Ausgehen gerüstet, die Treppe herabkam. »Wohin willst du jetzt?« »Ich geh zum Mariele.« »Willst du dich und mich dem ganzen Dorfe zum Spott machen?« Rudolf zuckte die Achseln. »Ich glaube nit, daß einer darüber spottet.« »Heiliges Kreuz! Bist du denn ganz begriffsstutzig? Der Ender spottet darüber!« »Was frage ich nach dem Ender!« »Du nit, aber ich.« »Tut mir leid, Vater, und war sonst nit deine Art. Ich -- geh zum Mariele!« »Und ich leid's nit!« Wieder zuckte Rudolf die Achseln. »Ich kann nit anders!« Da stürmte der Bauer an dem Sohne vorüber und verschwand hinter der Scheunenmauer im Garten. Rudolf kehrte noch einmal kurz in die Stube zurück. »Mutter, es tut mir leid, aber ich kann nit anders.« »Zeit lassen, Rudolf, nit gleich oben hinaus. Und nit vergessen, daß er dein Vater und daß er ein guter Vater ist.« »Habe ich zu viel gesagt?« »Wäre manches nit nötig gewesen.« »Dann will ich's ihm abbitten.« »Gesagt ist gesagt.« Rudolf nahm der Mutter Hand. »Mutter, kannst du dir denn gar nit denken -- -- --« »Alles kann ich mir denken. Daß du aber jetzt zum Mariele laufen mußt, das ist nix weiter als Trotz.« »Nein, Mutter, ich hab's versprochen. Was meinst du, wie lange sie schon auf mich wartet. Sie hat doch niemand. Ihre Mutter kann nit mit. Und nun ist sie ganz allein -- -- -- und weiß doch, daß es nit gut ausgelaufen ist, denn sonst wäre ich eher gekommen.« Da nickte die Mutter. »Ihr jungen Leute! Immer gleich, als müßte der Himmel einstürzen. Bleib nit zu lange.« Als Rudolf draußen eben aus dem Tore trat, lief ihm der Ender in die Hände, der zum Vater wollte. »Ist der Vater daheim?« fragte er. »Ja, aber triffst's nit gut.« »Warum nit?« Rudolf sah ihm fest in die Augen. »Gerade vorhin hat er von dir geredet. -- Was hast du gegen das Mariele?« »Ich? Nit so viel.« Der Mann schnippte mit dem Finger. »Was kann ich dafür, daß dein Vater fünftausend Taler verlangt?« »Hat er das verlangt? Wann denn?« »Frage ihn selber. Was geht's mich an. Ich habe mit mir zu tun. Und jetzt gehst du zum Mariele?« »Wenn du's wissen willst, ja.« Er trat dicht vor ihn hin. »Ender, du hast Menschen, die dir nichts getan haben, bittre Not gemacht. Wärst du nit ein alter Mann, dann wollt ich dir's heimzahlen. So -- -- -- Es kommt dir von selber heim.« Hinaus war der Bursche. Der Bauer aber verzog hämisch den Mund. Minna Korn saß am Fenster, die Hände im Schoße, sinnend. Da trat Ender ein. »Tag.« »Tag, Ender. -- Du kommst mir wie gerufen. Gerade dich brauche ich. Da kann ich mir den Weg zum Wirte ersparen.« »Was willst du beim Wirte?« »Wissen, was gestern abend gewesen ist.« »Was soll gewesen sein?« Ender sah an den forschenden Augen der Frau vorüber. »Ist dein Mann nit da?« »Muß gleich wiederkommen. Er ist nur auf einen Sprung in den Garten gegangen.« »Ich wollte der Erle wegen mit ihm reden.« »Tu's nit. Ich rate dir. Du triffst's heute schlecht.« »Hab's schon vom Rudolf gehört. Der ist zum Mariele.« »Das ist er. Muß einmal aufhören, die Heimlichtuerei.« »Sage ich auch. Ich weiß gar nit, was dein Mann an dem Mariele auszusetzen hat.« »Nix. Gar nix. Wär ihm keine lieber, aber -- -- --« »Das mit den fünftausend Talern ist doch dummes Zeug. Darauf braucht ~ihr~ doch am allerwenigsten zu sehen.« »Wir sind keine reichen Leute, aber du hast nit unrecht. Rudolf braucht nit nach dem Gelde zu heiraten. -- Und nun will ich wissen, wie das im Wirtshause war.« Ender hätte lieber unter der Dachtraufe gesessen als vor den klaren, entschlossenen Augen der Hohlöfnerin. Er drehte und wand sich, gab da eine Kleinigkeit zu und dort eine. Die Bäuerin aber war wie ein zäher Bergsteiger, der, wenn es not tut, sich mit seinem Blute festklebt. Schritt für Schritt erkämpfte sie, sah auch zuletzt nicht völlig klar, wußte aber doch, daß ihr harmloser, polteriger, überehrlicher Mann das Opfer eines niederträchtigen Streiches geworden war. Sie richtete ihre Augen voll und klar auf den Enderbauer, sprach, wie Rudolf vorhin gesprochen, aber innerlicher, mütterlich herzlich, und der Mann ward ganz klein und still vor ihr. »Ich will's ihm ja zurückgeben,« sagte er. »War ja überhaupt gar nit so ernst gemeint.« Minna Korn aber blickte ihn traurig an. »Da kennst du meinen Mann schlecht. Du hast ihm den Popanz Auslachen und Hanswurst hingestellt, er hat ihn angenommen, er ist der einzige, der ihn aus der Welt schaffen kann und wird. Darüber aber vergehen böse Wochen und Monate, vielleicht Jahre. Wenn ein Mann, wie der meine, etwas sagt, das wie Eisen ist, dann stirbt er, ehe er das nit hält. Ender, Ender, was hast du für Elend angerichtet! Das kannst du nit gewollt haben.« »Wahrlich nit. Ich will mit deinem Manne reden.« »Nutzt alles nix. Jetzt richtet auch der Herrgott nix mehr bei ihm aus. Das muß durchgebissen werden. Ich rate dir, komm andermal wieder.« Ender erhob sich, zu gehen. Als er auf die Tür zuschritt, trat der Hohlöfner herein, die Hand auf den Mund pressend. * * * * * Heinrich Korn war vorhin in tiefer Erregung hinaus in den Garten gegangen. Der von Grund aus gütige und harmlos heitere Mann war völlig aus der Bahn geschleudert. Hintergangen! Von wem? Von seinem Sohne und dem Mariele? Hm, auch mit, und doch nicht eigentlich. Von seiner Frau? Offenbar hat sie mehr gewußt als er selber und doch sicher nichts Genaues und Bestimmtes. Von den Nachbarn? Warum hat sich der Schmied gestern auf die verschlungenen Hände geworfen? Auch sie hatten also allerhand gewußt und hatten nicht ein Sterbenswörtchen darum verloren. Warum nicht? Aus Falschheit? Hohlöfner, sei ehrlich. Das war nicht Falschheit, nur: Sie kennen dich alle, sie wissen, daß du dich von deinem raschen Herzen treiben läßt, und wissen, daß man bei dir am allerwenigsten voraussagen kann, wie du eine Sache aufnehmen wirst. Und du hättest ja dem Mariele beide Arme entgegengebreitet. Geld! Was fragst ~du~ nach Geld? Du hättest über das ganze Gesicht gelacht, hättest das Mädel mit beiden Händen an seinen blonden Zöpfen gezupft, hättest -- -- -- Ach, was hättest du alles vor Freude darüber angestellt, daß dein Rudolf ein so fixer, unternehmender Kerl ist, daß dir das Mariele Enkelkinder schenken wird, daß -- -- -- Und nun! Ender! Du -- Satan! Aber so schlecht kannst auch du nicht sein, daß du bis aufs Tüpfelchen gewußt hättest, was du machst. Du bist auch ein Mensch, bist Bauer und Vater! Und -- wie war das doch? -- Herrgott, ich habe ja ~selber~ das verrückte Wort gesagt. Ich, ich! Es war eine ehrliche Selbstkritik, aber sie war doch nicht so gründlich, daß sie die Stützen ganz verschmäht hätte. Wie der Rudolf vorhin gesprochen! Gleich vom Fortlaufen. Aber -- -- -- Er hatte recht. Das kann man ihm nicht zumuten, daß er alt und grau wird. Und alles um fünftausend Taler! Ja, aber in demselben Maße um das Auslachen, um den Hanswurst. Grade weil der Hohlöfner so heiter ist, weil er gern neckt, lauert er darauf, daß ihn keiner für einen Hanswurst nimmt. Er weiß, daß er eigentlich immer auf der Messerschneide läuft. Diesseits ist er überlegen, jenseits ist er ein Narr. Und er ~ist~ kein Narr! Er ist ein ~Mann~, der selbst im Scherz männlicher ist als die meisten. Warum soll ein Mann nicht scherzen und lachen können? Ihm, dem Hohlöfner, steht die Nase nun einmal so, und er kann nicht aus seiner Haut. Von nun an knurrend durch die Tage gehen, wortlos am Mariele vorüber? Dem Bauer ist die Pfeife ausgegangen, wütend schreitet er auf sein Bienenhaus zu, reißt die Tür auf, knallt sie in das Schloß. Die Bienen aber sind erregt. Ein ganzes Volk will wandern, eine neue Staatengründung steht bevor, Dinge, an Ernst nicht zu überbieten. Und da fährt einer mit Geknall und tolpatschigen Händen dazwischen! Heinrich Korn blickt auf das Gewimmel. Wie sie rennen, surren, schwirren. Wie bei den Menschen, wie vorhin in der Stube des Hohlofenhofes! Ist denn heute alles verrückt? Die Schwüle, die Auseinandersetzung, das aufgeregte Hin und Her im Bienenstock, des Sohnes Drohung: Dann treibst du mich vom Hofe! Da: Tüt tüt. Die Königin tutet. Es geht dem Bauern durch Mark und Bein. Auswandern, einen eigenen Herd bauen wie -- sein Sohn und das Mariele? »Mußt mir das auch noch sagen, dummes Viehzeug?« keift er, poltert heraus aus dem Bienenhause, knallt wieder die Türe zu, daß das ganze Haus schüttert, will davongehen. Will ~gehen~ und -- rennt doch zuletzt; denn die beleidigten Bienen sind über ihm. Der Hohlöfner läßt sie sich sonst über die Hände laufen. Heute, -- er ist ganz von Sinnen, -- schlägt er nach ihnen. Piek, der Stich saß im Nacken, piek, der auf der Rechten. Da ist sogar ein Vieh ins Hosenbein gekrochen. Au! Klatsch. Dunnerlichting! Der Stich saß in der Unterlippe. Jetzt rennt der Hohlöfner, schlimmer als vor acht Tagen der kleine Adolf Heger. Jetzt ist er im Hausflur, jetzt reißt er die Tür auf, und -- da steht Fritz Ender. »Was willst ~du~?« »Mit dir reden. -- Kannst wohl nit einmal mehr willkommen sagen?« »Dir nit mehr.« Und immer hält der Hohlöfner die Hand vor den Mund. Wie das anschwillt! Das geht binnen Ja und Nein. Ein paar rasche Schritte vor den Spiegel. Richtig, der Mund ist, als wäre er vorgeschuht. Wieder die Hand davor. Das braucht der Ender nicht zu sehen. »Was willst du? Mach's kurz.« Es klingt bereits, als würde mit dem Stampfer Kartoffelbrei gerührt. »Wir müssen der Erle wegen reden. Die muß weg. Schattet mir zu viel und tut mir zu viel Schaden an der Wiese.« »Ist recht. Grade wie ich's haben will.« »Vater!« Die Bäuerin legte ihm mahnend die Hand auf den Arm. Der Mann schüttelte sie ab. »Hast etwa Mitleid mit dem? Das wäre grade richtig. -- Die Erle ist mein!« Und Ender ruhig: »Das eben wissen wir nit. Ich hab keine Lust, mit dir zu prozessieren. Wir müssen ausmessen lassen.« Der Hohlöfner juckte sich am Bein, malmte die Worte wie Brei, wirkte komisch und erhöhte die Wirkung durch seine Erregung. »Ausmessen? Prozessieren? Den Deibel tu ich! Nix wird gemacht.« Dabei riß er die Hand vom Munde. Die Unterlippe hing herab wie ein breiter Hemmschuh. Erst stutzte der Enderbauer, dann überwog das Lächerliche allen Ernst derart, daß er laut auflachte und in die Hände schlug. »Hohlöfner, in aller Welt! Wo hast du denn ~den~ Hemmschuh gekauft?« Das war unklug. Der Hohlofenbauer hob die Faust, sein Weib mußte dazwischenspringen, fluchte und brachte doch kein Wort mehr deutlich heraus. »Nun erst recht ist die Erle mein. Wäre mir bei einem anderen nit darauf angekommen, aber dir -- keinen Span!« »Hohlöfner,« entgegnete der Enderbauer, jetzt wieder der hämische Mann, »setz auf eine Dummheit die zweite. Ist deine Sache. Jeder, wie's ihm paßt, aber das sage ich dir: Die Erle steht nit mehr so lange wie dein Vorlegeschloß vor dem Maule hängt. Bis du das abgehängt hast, liegt der Baum. -- Ich hab nix mehr zu sagen. Lebt wohl.« Minna Korn drehte ihren Mann kurz auf dem Absatz herum. -- »Laß den. Der ist nit wert, daß du dich mit ihm begibst. Was ~ich~ von ihm denke, hat er gehört. -- Guck in den Spiegel. So siehst du aus. Und nun wunder dich nit, wenn einer über dich lacht. Zum Sterben ist's nit.« Der Bauer stand abermals vor dem Spiegel, und das verschwollene Gesicht sah so komisch aus, daß sein Träger selber nicht wußte, sollte er lachen oder fluchen. Er hielt es mit keinem, knurrte, warf sich in die Sofaecke und stützte den Kopf in die Hand. Sein Weib setzte sich kopfschüttelnd neben ihn. »Was hast du bloß mit den Bienen gemacht, Vater? Du kannst dich doch sonst dazwischen legen und tut dir keine was.« »Was werde ich gemacht haben? Ist eben alles heut verrückt, und wegkommen sie, die Viecher.« Dann langte er nach der Pfeife, brannte sie an und qualmte in dicken Wolken. Es war eine Weile still, und eine dicke Brummfliege taumelte zornig gegen Decke und Wände. Lastende Schwüle lagerte über der Stube. Der Hohlofenbauer horchte auf. »War das nit eben gedonnert?« »Es donnert schon eine ganze Weile.« »Ist Rudolf wieder heim?« »Er ist ja kaum fort.« »So. Hältst ihm die Stange. Ich weiß schon.« »Nit mehr, als recht ist. -- Ihr Männer! Bindet euch andermal Schürzen um, wenn ihr ins Wirtshaus geht. Uns Weibern passieren solche Dummheiten nit. Hast einen schönen Streich gemacht.« Der Bauer paffte jetzt, daß er in Wolken gehüllt war. Aus dem Gewoge kam es dumpf und knurrend: »Laß mich nit auslachen.« »Das ist der Popanz, auf den du aus bist wie ein junges Mädel auf den Tanz. Mach's danach, und es lacht dich niemand aus.« Und ernster und herzlicher: »Vater, ich weiß genug vom Ender, um mir die Sache zusammenreimen zu können. Nun tu mir den Gefallen und erzähle, wie's richtig war. Dann brauch ich nit andere Leute drum zu fragen, und wir können sehen, wie wir weiterkommen; denn aus der Welt ~muß~ die Sache. Ich kenne meinen Hohlöfner gut genug, weiß, wie lieb dir das Mariele ist, und daß die Hälfte vorhin Getue war.« Wieder kämpfte die Bäuerin sich schrittweise vorwärts. Heinrich Korn wand sich, wie vorhin der Ender. Er war seiner Frau nicht gewachsen. Gab er sich jetzt wahr, so daß ein ehrlicher Schmerz in seiner Stimme klang, so polterte er nachher in gemachtem Zorn. Eigensinnig aber beharrte er darauf: »Ich geb nit nach, und ich laß mich nit auslachen.« »Nun will ich auf Ehr und Seligkeit wissen, ob du etwas gegen das Mariele hast,« verbiß sich sein Weib. »Was soll ich gegen das Mädel haben? Hab immer meinen Spaß mit ihr gemacht.« »Gut. Dann ist's also das Geld. Woher soll sie das nehmen?« »Kann mir egal sein. ~Ich~ geb's ihr nit.« »Gib's mir. Dann will ich's ihr geben.« »Untersteh dich!« »Daß ~ich~ von den beiden armen Weibsleuten lasse, das wirst du nit verlangen, und ich tu's auch nit. -- Mann! Mann! Gib nach, sag dieses einzige Mal nur: Ich hab mich überrumpeln lassen.« »Du willst mich kennen und verlangst, daß ich hier nachgebe? Nit einen Schritt! Das Mädel bringt die fünftausend Taler und dann -- -- --« Er brach ab und zuckte die Achseln, »oder -- es wird nix daraus.« »Und Rudolf?« »Soll er tun, was er nit lassen kann.« »Und wenn er fortgeht?« »Mache ~ich~ ihm noch die Türe auf.« »Das ist nit dein Ernst.« »Mein heiliger.« Da ging die Bäuerin langsam auf ihren Fensterplatz. Wieder nach einem Weilchen stand der Bauer auf, sich einen Krug Wasser zu holen. In der Küche trat ihm die Kleinmagd entgegen, die eben ausgehen wollte. Sie schlug lachend die Hände zusammen: »Jesses, Bauer, wie seht Ihr denn aus?« »Noch lange nit so dämlich wie du.« Er nahm sie am Arme und schob das kichernde Ding hinaus. Als er in die Stube zurückkehrte, setzte draußen urplötzlich der Regen ein, als wenn Mulden vom Himmel herab ausgeschüttet würden. * * * * * Marie Berteles saß harrend am Fenster. Das Herz schlug ihr bis zum Halse. Die zaghafte, kleinmütige Mutter machte es ihr nicht leicht. Alle Bedenken und Einwände, die das Mädel selber wußte, unterstrich sie mit einem »Du wirst sehen, daß ich recht habe. Wo kann das sein, daß du armes Mädel auf den großen Hof kommst, wo der Rudolf noch dazu der Einzige ist!« »Mutter,« bat die Tochter gequält, »mach mir's nit noch schwerer, als es schon ist. Was kann ich dafür, daß wir uns gern haben?« Sie sah zum Fenster hinaus, blickte zum Himmel empor, an dem sich die Wolken türmten, lief rasch noch einmal in den Garten und brach ein paar Fliederdolden, kehrte zurück und wartete. Und die Uhr schlug, der und jener ging draußen vorüber, der Wind machte sich auf, und die Baumkronen rauschten; den sie erwartete, der kam nicht. Sie schlang die Hände ineinander, wickelte sich nach ihrer Gewohnheit die Zöpfe um die Handgelenke, zerdrückte eine Träne im Augenwinkel. Es war also doch anders gegangen, als Rudolf erwartet, anders, als sie im stillen gehofft. O weh! Und Rudolf hatte sich das so schön gedacht: Der Vater, lachend und gewichtig, als Freiwerber, dann er selber, zuletzt die Mutter, darüber Sonne und Sommerglück. O weh, nun kam eine harte Zeit. Die Uhr tickte. Zimmermann Witter, der am Fenster vorüberging, wies nach dem Walde: »Es kommt aus dem Schlachthaken her. Wir müssen uns auf was gefaßt machen.« Da -- kam Rudolf die Straße herab, allein, schon im Gehen verratend, daß er tief erregt war. Und sein Gesicht, als er näher kam! Blutleer, ernst, hart. Das Mariele wagte nicht, von der Bank aufzustehen. »Tag!« Rudolf reichte Mutter Berteles die Hand. »Berteles-Mutter, Ihr wißt, wie es um uns beide steht. Wir wollen nun zum Heiraten tun, und ich will Euch fragen, ob Ihr etwas dagegen habt. Bin ich Euch recht?« Alles kurz und knapp und hart. Und die Mutter weinerlich: »Ach Gott, Rudolf, ob du mir recht bist! Ich wüßte keinen, dem ich das Mariele lieber gäbe, aber ich weiß halt nit, ob sie deinen Leuten recht ist.« »Darüber reden wir nachher.« Er trat auf das Mariele zu, zog sie von der Bank empor, nahm sie in die Arme: »Ich laß nit von dir!« Sie barg sich wie ein verängstigter Vogel an seiner Brust. »Der Vater will's nit?« fragte sie leise. Rudolf streichelte ihr das Gesicht. »Nit so ängstlich sein. -- Ob er will?« Er zuckte die Schultern. »Vorläufig tut er so, als ob er nit wollte, aber ich glaube nit, daß das seine richtige Art ist. Ich habe ihm gesagt, der da so wild täte wie ein Stier, das wär nit der Hohlöfner.« »Rudolf, um Gottes willen, du hast doch nit zuviel gesagt?« »Ich denk nit. Würde auch ~jetzt~ kein Wort anders sagen.« Mutter Berteles saß weinend hinter dem Tische. »Ich hab's gesagt, ich hab's doch gesagt.« »Was hat er gegen mich?« fragte das Mariele. »Bring fünftausend Taler mit.« Die Mutter schlug die Hände zusammen, das Mariele hätte Rudolf nicht überraschter ansehen können, wenn er ihr erzählt, am Fliederstrauche im Berteles-Garten seien Trauben gereift. »Fünf--tau--send Taler!« Mutter und Tochter riefen es aus einem Munde. Während aber die Mutter bestätigend nickte und murmelte: »Ja, die reichen Leute!« schwieg die Tochter in Weh darüber, daß das Bild des lieben, fröhlichen Mannes so häßlich verzerrt ward. Er war -- wie die anderen, und sie hatte ihn hoch ~über~ die anderen gestellt. Und eine Stunde später lebte doch wieder etwas wie Zuversicht in ihr. Rudolf glaubte nicht, daß der Vater unerschütterlich bei seiner Forderung bleiben werde. Darin ging das Mariele gern mit ihm. Zaghaft aber nur folgte sie ihm, als er allen Ernstes erklärte. »Und gibt er doch nit nach, dann, Mariele, schaffe ich uns ein ander Unterkommen. Es geht nit so rasch mit dem Heiraten, aber es geht.« »Nit, nit,« schrie die Bertelessin auf. »Nit gegen den Vater! Ist kein Segen dabei!« »Soll ein Segen dabei sein, wenn ein Vater seinen Einzigen zeitlebens unglücklich machen will?« trotzte Rudolf. »Ach Gott, ich hab's doch gesagt!« jammerte die Bertelessin. »Hätt' ich's nur nit zugegeben, als noch Zeit war.« Sie ging hinaus, diese und jene kleine Hantierung in der Wirtschaft zu verrichten; denn wenn die Hände arbeiteten, ward es dem Herzen leichter. Die jungen Leute aber saßen und planten und wachten erst auf aus düsteren Zukunftsträumen, als ein Wetterschlag das Haus erzittern machte. Ja, das Wetter kam vom Schlachthaken her, dem Waldtale, das an dem großen Bogen des Flusses lag, in den der Schönbach mündete. Ein kurzer, wilder Regen rauschte, dann mit einem Male dumpfe, unheimliche Stille. In die Stille hinein ein rasender Blitz, dem unmittelbar prasselnder Donner folgte. Die Bertelessin kam schreiend in die Stube gerannt. »Es hat eingeschlagen!« An ihr vorüber stürmte Rudolf die Treppe hinauf, keine Flammenzunge, kein Schwefeldampf. Er kam zurück. »Alles in Ordnung.« »Dann ist's nit weit gewesen,« beharrte die Bertelessin. »Horcht auf, wenn sie das Feuerhorn blasen.« Es schallte kein Feuerhorn. Wieder ward eine dumpfe Stille. Darauf kam von fern her ein Rauschen. Es knirschte wie der Ton einer unheimlichen Säge. Dann, langsam beginnend und sich jäh steigernd, das Prasseln des Hagels. Mutter Berteles hatte die Hände gefaltet und stammelte mit zuckenden Lippen: »Mariele, Mariele! Was haben wir dem lieben Gott zuleide getan? Es -- ha -- gelt!« Schwere Hagelkörner sausten nieder und sprangen hoch auf, der Berteles-Hof war weiß, als hätte es geschneit. Urplötzlich, wie der Hagel eingesetzt, brach er ab und ging in einen wilden Regen über, durch den die Blitze zischten und die Donner grollten. Der Schönbach ward im Handumdrehen zum wildrauschenden Wasser, das sich am Zaune des Berteles-Gartens staute, weil ihm eine niedergebrochene Esche den Weg verlegte und in ihren Armen das Holzzeug aufhielt, das der Bach mitbrachte. Die Esche konnte nicht liegenbleiben. Das Wasser hätte den ganzen Berteles-Garten überschwemmt. Rudolf Korn und das Mariele warfen sich alte Jacken über; der Bursche ließ sich Beil und Säge geben. Im strömenden Regen arbeitete er, und das Mädchen ging ihm zur Hand. Sausend grub sich das Beil in Äste und Krone der Esche. Die fuhren das Wasser hinab. Der Stamm war kahl, aber er hielt noch immer vielzuviel auf. Wieder flogen die Späne. Noch ein Hieb. Jäh führten die Wellen die beiden Stücke des Eschenstammes mit fort, so jäh, daß deren eines Rudolf Korn gegen die Füße schlug, daß er stürzte, daß ihn die Wellen hineinrissen in den wilden Bach. Das Mariele schrie auf, rannte hinab am Bache. Rudolf klammerte sich an einen Weidenast. Sie reichte ihm die Hand, triefend stand er neben ihr. Da umschlang sie ihn und vermochte nichts zu sagen als: »Nit auseinander, nit, nit!« Rudolf Korn ging kurz danach hinter dem Dorfe weg heim, begegnete niemand im Hause, zog sich in seiner Kammer um und ging an die Arbeit im Stalle. Alle Felder nach der Bücherseite, die gegen den Schlachthaken zu lagen, waren schwer vom Hagel getroffen worden. Der Hohlöfner aber hatte seine Felder auf der anderen Seite gegen Dornweg und Nußbühl hin. Die Hagelgrenze war wie mit dem Messer gezogen und führte unmittelbar hinter den Häusern der linken Dorfseite weg. Hier hatten kaum die Gärten Schaden gelitten. Der Abend kam, ein leuchtender, frischer Sommerabend. Vom Walde her duftete das junge Grün der Birken, Lerchen stiegen zum Himmel hinauf und sangen ihre Lieder. An den Bücherfeldern aber standen verstörte Menschen. Wer versichert hatte, und das hatten die meisten getan, überrechnete, wie groß sein Schaden trotzdem noch sein werde. Wer die Ausgabe gescheut oder sie nicht hatte wagen können, wußte, daß er auf lange hinaus geschlagen war. Zu den am schwersten Betroffenen gehörten Pauline Berteles und Fritz Ender, von denen die eine nicht versichert hatte, weil ihr der Betrag zu hoch war, der andere, weil er klüger war als andere Leute. Mit verbissenem Gesicht stand der Enderbauer vor seinen verhagelten Äckern und grollte: »Wer nit hochkommen soll, der kommt einmal nit hoch.« Kantor Ritter und Lehrer Siebert kamen daher. Zwischen ihnen ging die Hohlöfnerin. Ritter sprach dem Ender sein Bedauern aus. Er kam übel an. »Nix glaube ich mehr,« keifte der Ender. »Hab dem Herrgott nix getan, habe ihn in Ruhe gelassen. Warum muß er mir das antun!« Der verbitterte Mann lief davon, kam an das Feld der Berteles, und die Alte lief ihm entgegen, Mitgefühl suchend. »Ender, was soll nun bloß werden!« »Was werden soll?« Der Bauer sah sie giftig an. »Nun wird das halt länger dauern mit den fünftausend Talern.« Das hatte die Hohlöfnerin gehört und, was sie sonst kaum getan, das tat sie nun. Sie nahm Pauline Berteles in die Arme: »Nit jammern. Solange ~wir~ satt werden, sollt ihr auch nit Hunger leiden. Und das sag ich,« zum Ender gewandt, »die Heimtücker sollen ihre Freude nit haben. Komm, Mariele, morgen sieht das nit mehr so schlimm aus.« Den dreien gesellte sich Lehrer Siebert zu. Er ging mit dem Mariele hinter den beiden Müttern drein. »Fräulein,« sagte er leise, »ich würde Ihnen so gern helfen. Meine Eltern sind tot, ich -- verfüge allein über das, was sie mir hinterließen, und -- -- --« Freudig überrascht schlug das Mädchen die Augen zu ihm auf. Der junge Mann war blaß vor Erregung und sah sie mit einem so demütigen, bittenden Blicke an, daß das Mariele verlegen ward, ohne indessen zu ahnen, daß hinter den guten Augen stille, tiefe Wünsche lebten. Sie reichte dem Lehrer die Hand: »Ich danke Ihnen. Vielleicht können wir allein damit fertig werden. Schulden sind fix gemacht und schwer bezahlt.« Lehrer Siebert lächelte. »~Die~ Schulden hätten Sie nicht gedrückt. -- Guten Abend. Ich will noch einmal durch die Bodenwiesen gehen. Es ist so schön jetzt nach dem Regen.« Inzwischen hatte die Bertelessin in aller Harmlosigkeit der Hohlöfnerin von Rudolfs Unfall erzählt. Als die drei Frauen am Berteles-Garten auseinandergingen, hielt Minna Korn Marieles Hand lange fest: »Nit den Kopf hängen lassen, Mädel. Es ist noch lange nit aller Tage Abend.« Wie Lehrer Siebert, so hatte auch Rudolf Korn noch einmal den Weg nach den Wiesen eingeschlagen. Er wollte sehen, ob der Bach viel verschlammt habe. Und siehe da, die große Grenz-Erle war weg. Der Blitz hatte sie getroffen und ihre Trümmer weit über die Wiese hingeschleudert. Sinnend stand Rudolf an dem Stumpfe. Wo war nun der Streit? Der Blitz, den die Bertelessin ihrem Hause vermeint, hatte sich die Erle ausgesucht. Kopfschüttelnd blickte der Bursche über die Wiesen, auf denen die Blumen langsam die Häupter hoben, ging zurück, traf Lehrer Siebert und schlenderte mit ihm auf dem Bodenwege heimwärts. Die Eltern waren bereits zur Ruhe gegangen. Er klopfte an die Kammertür und berichtete, daß der Blitz die Erle zerrissen und die Fetzen zum Teil auf ihre, zum Teil auf des Enders Wiese geworfen habe. Das kam der Hohlöfnerin wie gerufen. Sie hatte ihrem Krauskopf eben berichtet, daß das Mariele den Rudolf gerettet. »Siehst du,« fuhr sie triumphierend fort, »es ist nix von ungefähr. Warum muß dich die Biene in die Lippe stechen, daß du jetzt nit reden kannst? Hättest du gestern abend das Maul gehalten. Womit einer sündigt, damit wird er gestraft.« Sie redete allerhand und kam immer wieder zu dem Schlusse: »Das sage ich dir: ~Ich~ lasse so wenig vom Mariele wie der Rudolf.« Der Hohlöfner aber grollte: »Und ich geb nit nach!« Er schlief wenig, ging mit sich ins Gericht, schalt sich. Doch: »Nachgeben tu ich nit und kann ich nit, und wenn mir der Junge den Stuhl vor die Tür setzt. Aber das wäre das erste Mal, daß der Hohlöfner einer Sache nit gewachsen wäre. Und das Mädel muß mir auf den Hof!« 4. Die Tage haspelten ihre Stunden ab, jeder seine vierundzwanzig, und deren fünfzehn oder sechzehn hatten ihr gerüttelt Maß Arbeit. Rudolf Korn ging stiller durch das Haus als sonst, aber er ging dem Vater nicht aus dem Wege, bot ihm die Zeit, fragte dies und jenes. Die Antworten waren kurz und brummend. Auch die Bäuerin hatte ihre Not. Den ruhigen Darlegungen wich der Mann jetzt um so mehr aus, je mehr ihm sein Gewissen allein die Schuld gab. Der und jener der Nachbarn, mit denen er am Sonnabend im Wirtshause gesessen, traf ihn, brachte die Rede auf das Hagelwetter, deutete an, daß der Ender beinahe verdiene, was ihm widerfahren, daß dafür aber die Bertelesfrauen um so mehr zu bedauern seien. Er sei vorhin dem Mariele begegnet. Die sehe ja geradezu zum Erbarmen aus. Der Schmied, zu dem der Hohlöfner die Stute zum Beschlagen selber führte, weil sie schwierig zu behandeln war, ward deutlicher. »Heinrich,« zürnte er, »da hast du eine Dummheit gemacht, das sage ich.« »Ist meine Sache. -- Beschlag die Stute.« »Mache ich auch, aber meine Meinung sage ich doch. -- Du bist ein Hitzkopf und mußt nachgeben.« »Den Deibel werde ich tun.« »Heinrich, mach dich nit zum Gelächter! Es steht außerdem keiner auf dem Ender seiner Seite.« »Langt, wenn er selber darauf steht. Gesagt ist gesagt. Ich habe nit zu viel verlangt. Dabei aber bleibt's. Und nun schlag zu, sonst gehe ich zum Goßberger Schmied.« Wer wußte, daß der Hohlöfner Tag und Nacht über einen Weg sann, auf dem er dem Mariele helfen könne, daß er, wenn er sich allein wußte, schon sogar etliche Male vor sich hin genickt und gelächelt hatte, daß er schon so weit war, zu sagen: Nachgeben? Natürlich muß ich nachgeben und werde es tun, aber den will ich sehen, der mir's ins Gesicht sagen darf! Der Mittwochabend kam. Heinrich Korn und sein Weib saßen in der Stube und besprachen die Arbeit für morgen. Da trat Rudolf herein, bescheidener noch, als es sonst seine Art war, und doch mit entschlossenem Gesicht. »Vater, ist dir's recht, wenn wir noch einmal über die Sache reden?« »Recht oder nit, red. Was herauskommt, müssen wir sehen.« »Vater, wenn ich am Sonntag zu viel gesagt habe, dann denk nit mehr daran. Ich hab dir nit wehtun wollen.« Der Hohlöfner wischte mit der Hand über den Tisch. »Wenn die Schüssel zerschlagen ist, kann sie bloß wieder geflickt werden. Ganz wird sie nit wieder.« »Habe ich denn wirklich zu viel gesagt? Ich -- könnte ja heute auch nit anders reden.« »Ich auch nit.« »Du bleibst also bei den fünftausend Talern?« »Ja. Anders nit.« »Und das Mariele selber?« »Hab nit gedacht, daß ~die~ einmal an Mutters Stelle treten könnte, aber -- -- --« Er strich wieder über den Tisch. Und Rudolf bitter ernst: »Was nun, Vater? Sollen wir warten, bis ich hier auf dem Hofe die fünftausend Taler verdient habe, sollen wir beide, du und ich, wie die letzten Tage, wie Hund und Katze umeinander gehen? Beides kannst du nit verlangen. Ich sehe keinen anderen Weg als den, daß ich aus dem Hause gehe und wir, wenn ich einen Posten gefunden habe, heiraten. Ich will mir nit vor dem ganzen Dorfe die Schande antun, daß -- -- --« »Ist das nit schon Schande genug, daß du davonlaufen willst wie der erste beste Ochsenknecht? Bin der Hanswurst so und so. Laß ab von dem Mädel. Mag sie heiraten, wen sie will. Du nimmst dem Wolfert aus Goßberg seine Klara.« »Ich nehme keine andere als das Mariele!« »Dann,« der Hohlöfner war unheimlich ruhig, »weißt du deinen Weg.« Jetzt warf sich seine Frau dazwischen. »Nun hört die Narrheit auf! Was jetzt geschieht, das ist Frevel, und das leid ich nit!« Zum ersten Male seit dem Tage ihrer Hochzeit standen sich der Hohlöfner und sein Weib kämpfend gegenüber. Der Bauer aber war eigensinnig wie ein Kind. »Ich laß mich nit auslachen!« Minna Korn legte ihre Hand hart auf den Tisch. »Du gibst nit nach, Mann?« »Ich kann nit.« »Und du willst nit im Hause bleiben, Rudolf?« »Ich -- kann nit.« »Gut. Ihr könnt nit. Ich ~kann~ und verlange, daß ihr mich hört. -- Du gehst, Rudolf, darin sehe ich auch keinen anderen Weg und ~will~ ihn nit sehen, aber du wirst das Mariele nit eher heiraten, als bis dein Vater sagt: Bring sie mir.« »Nein, Mutter, ich werde -- -- --« »Still! Du wirst ~nit~! Ich verlang's, und ich bin deine Mutter!« »Gut, ich will -- ein Jahr warten.« »Ein Jahr? Wenn's zwei werden, wirst du's auch überstehn. -- Nun macht's kurz. Was sein muß, wird am besten gleich ausgestanden. Wieviel willst du Reisegeld haben? Gar nix? -- Und wohin willst du gehen? In die Stadt? Geh!« Sie reichte ihm die Hand. »Halt dich brav, Rudolf, und denk an deinen Vater und an das Mariele. An mich brauchst du nit zu denken. ~Ich~ helfe mir durch. -- Gebt euch die Hände, ihr zwei Dickköpfe. Wenn ihr schon auseinandergehen ~müßt~, dann -- nit in Feindschaft.« Wortlos hielt Rudolf dem Vater die Hand hin, murrend legte der Vater die seine darein. Der Mann hätte aufbrüllen mögen, das Herz donnerte ihm gegen die Rippen, es verklagte ihn. Der Sohn, der mit hart aufeinandergelegten Lippen vor ihm stand, tat ihm in der Seele leid, Scham und Schmerz waren hundertmal größer als der Zorn, und -- er konnte doch nicht. Seinem Weibe tief dankbar, war er entschlossen, in dem Augenblicke, da sie allein waren, den Rückzug, den er angetreten, zuzugeben, mit ihr zu beraten, wie der Knoten zu entwirren sei, ohne nach außen hin sein: Ich bin der Herr und kann nit anders! aufgeben zu müssen. »Leb wohl,« knurrte er, »hab nit gedacht, daß das einmal so kommen würde, muß halt auch ertragen werden. -- Vergiß nit, wer du bist.« Rudolf lächelte bitter, setzte an zum Sprechen, die Mutter schob ihn aus der Tür. Nun sie mit ihrem Manne allein war, pflanzte sie sich in ihrer ganzen Breite vor ihn hin. »So, nun hast du's so weit. Du wirst nit sagen können, daß ich dir vor dem Jungen nit alle Ehre angetan hätte, nun wir aber allein sind, nun sag ich dir: Eine Sünde und eine Schande ist's, was du deinem unschuldigen Fleisch und Blut antust. Und um einen Popanz! Weil du, dem ~jeder~ den Hanswurst machen soll, wenn's dir paßt, dich selber zum Hanswurst gemacht hast. In der ganzen Welt ist's nit erhört, daß ein Vater seinem Sohne die Heimat nimmt, der nix weiter wollte, als ihm das beste Mädel als Schwiegertochter bringen, das einer bringen kann.« Der Hohlöfner, der sich erhoben hatte, wollte zu sprechen beginnen, ganz ruhig, beinahe demütig. Sein Weib ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Sag nix!« Ihre Stimme schwankte, die Tränen ließen sich kaum noch zurückhalten. »Wenn ich dich noch ~soviel~ achten soll,« sie wies ihm ein Fingerglied, »wenn es nit auch zwischen uns aus sein soll, -- --« »Herrje, Mutter, nit gar so eifrig!« »-- -- -- dann tust du alles, daß das Herzeleid bald vorübergeht.« Ihre Stimme brach. »Das halt ich nit lange aus, zwischen Mann und Kind zu stehen, dem Kinde recht geben zu müssen und den Mann gegen den Sohn zu verteidigen, wo jedes Wort eine Lüge ist. -- Zwischen dem Mariele und dir bleibt's das alte. Du sollst den Leuten nit den Jux machen, eine Feindschaft zu heucheln, die nit ist und nit sein darf. ~Ich~ will dem Mariele helfen, und über mich hinweg wirst ~du~ es tun. Soll niemand davon wissen. Auch das soll niemand wissen, daß du und Rudolf im Bösen -- denn anders ist's nit -- auseinander gegangen seid.« Das eifernde Weib war nun ganz Gattin und Mutter, warf sich ihrem Manne ungestüm und laut aufweinend an den Hals. »Vater, nun sind wir allein, und Rudolf -- --« Auch den Hohlöfner würgte es im Halse. Er strich seiner Frau über den Scheitel. »Still, Mutter, still. Ich weiß alles, brauchst nix mehr zu sagen, und -- ich will's gutmachen. Es soll nit lange dauern. Der nachgibt, Mutter, das bin ich, aber -- das verlang nit, daß ich einem Halunken den Spaß mache, mir das ins Gesicht sagen zu können. Ich kenne sie alle. Ist mir keiner feind und gönnt mir doch jeder einen Duck; denn ich bin all die Jahre her besser vorwärtsgekommen als sie, und das können sie nit gut vertragen.« Er legte ihr den Arm um die Hüfte, zog sie an den Schreibschrank, nahm ein Papier. »Komm, wir wollen anfangen, daß die zwei das Geld zusammenbringen, das sie mit ihrer Hände Arbeit allein nit in Menschengedenken zusammenkriegen. Komm, setz dich, Mutter. So. -- Wie alt ist Rudolf? Sechsundzwanzig gewesen? Er hat mir also zwölf Jahre den Knecht gemacht. Jetzt würde er im Jahre hundert Taler kriegen, vorher achtzig -- -- --« Der Bauer hatte den Kopf geneigt, schrieb Zahlen, strich durch, rundete ab, zählte zusammen, schob seiner Frau das Papier hin: »Meinst du, daß es so recht sein wird?« Die sah darauf. Runde tausend Taler, dazu fünfhundert von der seligen Muhme her, die der Vater für den Sohn verwaltete, dessen Sparkassenbuch mit zweihundert Talern. Da legte sie dem Manne die Arme um den Hals, barg ihr Gesicht in seinem dichten Haar, weinte. »Hat der Herrgott wohl noch so einen närrischen Mann geschaffen, wie du bist?« Und der Bauer, wehmütig lächelnd: »Ich weiß nit, Mutter, aber mich, das weiß ich, mußt du halt so verbrauchen, wie ich bin. -- So, Mutter, das kannst du ihm geben. Ist ein Anfang. -- Und jetzt gehe ich schlafen. Kommst bald nach?« Helle Tränen in den Augen, stand die Frau, sah ihrem herzensguten Kindskopf nach, löschte die Lampe und stieg hinauf in des Sohnes Kammer. Sie reichte ihm den Zettel. »Das ist euer Anfang.« Rudolf schüttelte den Kopf, und auch ihm schoß es heiß in die Augen. »Mutter, ~muß~ das sein? Hätte denn das nit auch anders gehen können? Ich weiß, was er dem Ender -- -- --« »Still, Rudolf, halt dich an das vierte Gebot und halte dich an die Ehre.« Sie nahm ihn fest in die Arme. »~Ein~ gutes hat die Zeit auch. Du lernst sehen, wie es anderen Menschen zumute ist, du lernst schätzen, was du einmal erben wirst. Es ist dem Menschen gar nit gut, wenn alles glatt und eben geht. Bis jetzt hast du nix erlebt. Vielleicht wirst du es deinem Vater noch einmal danken, daß du die Fremde kennenlernen mußtest. -- Still, kein bitter Wort. Ich bitte dich! Die Zeit soll nit lang sein, dafür wird -- der Vater sorgen. -- Gehst du noch einmal zum Mariele? Mach's kurz und halt an dich! -- Ich gehe morgen selber einmal auf einen Sprung ins Berteles-Häusel. -- Rudolf, willst du denn ganz aufs Geratewohl in die Stadt? Hast du noch gar keinen Plan?« »Wenn's sonst nit klappt, suche ich den Richard Frieders auf, der mit mir an einem Geschütz diente. Der weiß Rat.« Noch ein kurzes Aufschluchzen, das die Mutter nicht ganz zu unterdrücken vermochte, der Sohn war allein. -- Als Rudolf Korn am frühen Morgen die Treppe herunterkam, stand der Vater an der Stubentür. Er heuchelte kein zufälliges Zusammentreffen, hatte gewartet und begann mit rauher Stimme: »Sollst nit fortgehen, ohne daß ich dir eins sag: Könnt ich's ungeschehen machen, ich tät's. Ich kann nit. Man ist nit ungestraft der erste im Dorfe, und Schadenfreude tut jedem gut. Nimm's, wie's ist. Lange soll's nit dauern. Und das Mariele ist mir recht. Das habe ich dir sagen wollen, war aber nit nötig, daß es die Mutter hörte. Da ist noch ein Zehrgeld. Vielleicht brauchst du's nit ganz. -- Leb wohl.« Droben am Treppengeländer aber stand die Bäuerin, hatte alles gehört, kehrte leise in die Schlafkammer zurück, weinte und schüttelte den Kopf. »So ein Mann!« * * * * * Der Weg zur nächsten Eisenbahnstation wäre anderthalb Stunden weit gewesen. Rudolf Korn ging ihn nicht. Er wollte zu Fuß in die Stadt gehen. Die sechs Stunden Marsch würden ihm gut tun. Herb wehte die Morgenluft. Ringsum auf den Wiesen lagen Teiche verstreut. Schilf und Rohr säumten sie, Erlen und Weiden überschatteten sie. Nebelfahnen schienen in ihre Wiegen zurückzusterben. Taufeucht standen die Gräser am Wege. Glockenblumen hingen die Köpfe. Die Sonne aber kam und küßte ihren Kindern, die sich in der Nacht verlassen gewähnt hatten, die Tränen aus den Augen. Rot gerändert standen feine Wolkengebilde über den weiten Wäldern. Blaugrün grüßten die fernen Frankenwaldberge herüber. Waldeshallen taten sich vor dem Wandernden auf. Zwischen den Stämmen zerflatterte die Nacht nur langsam. Auf weichem Boden war der Schritt unhörbar, und es geschah ganz von selber, daß die Bitterkeit in Rudolf Korn abebbte und die Augen hell wurden für die hundert wechselnden Bilder, die den Weg kürzten. Golden leuchteten die Johannisblumen auf den sumpfigen Wiesen. Ein Rudel Rehe äste auf einem Kleefelde, das, zur Försterei gehörig, in den Wald hineingesprengt war, der Kuckuck rief, im Tale rauschte ein Bach unter Farnkraut dahin, dessen Wedel an Größe den Palmzweigen nicht nachstanden. Jetzt schimmerte eine weite Wasserfläche durch die Stämme. Es war der große Haussee, das größte der viel hundert Wasserbecken, die, in den Senken des weiten Landstrichs gelegen, diesem geradezu seinen Charakter gaben. Wunderbare Morgenstille über dem See. Das Röhricht rauschte, und die Erlen wisperten. Was kam es auf eine Stunde des Verweilens an? Die Stadt lockte wahrhaftig nicht. Der den Weg zu ihr nahm, beugte sich bitterem ~Muß~. Rudolf Korn ließ sich in der Nähe des Teichhäuschens nieder, das Bild zu genießen, das morgendlich rein vor ihm lag, und kam wieder ins Sinnen. Sein junges Mannestum bäumte auf. Der Vater ließ seinen Einzigen ziehen! Narrheit! Narrheit! klagte das Herz an. Und das sinnende Auge sah die Mutter vor sich, die, zwischen Tür und Angel stehend, das Kunststück fertiggebracht hatte, zugleich den Vater zu decken und dem Sohne gerecht zu werden. Er schüttelte den Kopf. Um eines raschen Wortes willen solch ein Jammer! Narrheit! Eine Stimme aber kam über das Wasser wie bittende Mutterstimme. Sag nix, richte nit, dein Vater ist der Hohlöfner! Der ist bekannt ob seiner Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit, ob seines heiteren Wesens, aber auch ob seiner Empfindlichkeit und Starrköpfigkeit. Den darfst du nicht mit gewöhnlichem Maße messen. Du mußt, im Guten und im Bösen, einen anderen Maßstab nehmen. Wie hat er den Vaterhof übernommen, was sagte Muhme Henriette, des Großvaters Schwester? Die Brombeeren wären durch die halben Felder gelaufen, und die Steine hätten so dicht darauf gelegen, daß die Körner kaum ein Plätzchen zwischen ihnen hätten finden können. In guten Jahren hätten sie ihre fünf Zentner auf den Morgen gebaut, in schlechten drei. Und heute? Kein Brombeergerank mehr auf irgendeinem der Äcker. An ihren Rändern Steinhalden, auf denen die Schieferbrocken und -platten zu Millionen gehäuft waren. In schlechten Jahren auf den Morgen zehn Zentner Frucht, gewöhnlich deren zwölf bis fünfzehn. Hat der Vater nicht seinerzeit -- es mag gute zehn Jahre her sein -- einmal im Wirtshause erklärt, er wolle beweisen, daß er auch den Ertrag auf dem Nußbühlacker bis auf fünfzehn Zentner zu bringen vermöchte? Gelänge es nicht, möchten sie ihn alle miteinander als Großhans auslachen. Und es gelang. Drei Jahre hintereinander wallfahrteten die Schönbacher geradezu nach des Hohlöfners Acker auf dem Nußbühl. Endlich machten sie es ihrem Führer nach. Er riß das ganze Dorf mit. Und so in der Viehhaltung. Er hatte das Kroppzeug im Stalle beseitigt, hatte die Simmentaler eingeführt, hatte wieder das Auslachen dagegengesetzt, wenn sie nicht einschlügen. Sie waren eingeschlagen. Heut gehörten die Schönbacher dem Herdbuchverein an. In allen Ställen standen die starken rotbunten Simmentaler. Wie viele Ehrenämter hatte man dem Vater angetragen. Schulze sollte er wiederholt werden, Vorsitzender in allen möglichen Vereinen. Er hatte es abgelehnt. »Ich will nit mehr sein, als der ich bin, der Hohlöfner!« Die Leute hatten sich damit abgefunden, aber sie legten seine Weigerung doch als ein gut Stück Hochmut aus, und es dauerte jedesmal seine Zeit, ehe sie ihm wieder die alte freie Herzlichkeit entgegenbrachten. In der Zeit waren sie auch empfindlich gegen seine Neckereien, die keineswegs immer völlig harmlos waren, sondern, namentlich früher, die Schwächen der anderen gegeißelt hatten. Und nun, im Ernstesten, wieder ein Wetten. »Ihr sollt mich einen Hansnarr heißen, wenn -- -- --« Vom Vater rasch hingesagt, niemals gesprochen, hätte er an das Mariele gedacht, bei der bitterernsten Wiederholung nicht in seinem ganzen Ausmaße erfaßt. Jetzt aber ein Beharren bis zum Letzten und dabei wieder der Hintergedanke: »Ich biege auch das durch!« Herzen aber sind keine Äcker. Bitter schürzten sich Rudolf Korns Lippen. Aber im Morgenwinde kam eine andere Stimme herüber. Nicht minder mütterlich. »Warum hast du nicht längst mit deinem Vater geredet gehabt, du Allzubedächtiger, du Zauderer?« Da riß der Bursche den Kopf in den Nacken, sandte einen langen Blick über die Wälder, dahin, wo sein Dorf lag, wischte über die Stirn, sprang auf. Langsam ging er an dem See hin, freute sich des Reihers, der seine Flugkünste zeigte, sah den Enten nach, die ihre Brut ausführten, lächelte über den Storch, der ernsthaft durch den Sumpf watete, hatte Herz und Augen für die tiefe Weihe, die über dem erwachenden Lande lag. Meilenweit dehnten sich die Wälder. Die Sonne schien heiß. Rudolf Korn wanderte im Schatten. Je länger er wanderte, um so mehr ließ die Bitterkeit nach. Ein Jahr, zwei, sie waren zu ertragen. Der Mutter Wort ging vor ihm her: Lehrzeit! Es hat sein Gutes, wenn du sehen lernst, wie's andern Leuten geht. Dann erst wirst du ganz wissen, was du in der Väter Erbe hast. Des Vaters Stimme wehte über ihm. War es nicht bei seiner ganzen Art unerhört, was er ihm heute im grauen Morgenlichte gesagt? Der gestrige Abend und der heutige Morgen hatten ihre eigene Weihe gehabt. Die aber verrauschte, der Alltag kam wieder. Die Mutter hatte gewußt, was sie wollte und mußte. Lehrzeit! Sie wäre zu vermeiden gewesen, wenn -- -- -- Nicht grübeln! Das Leben liegt ~vor~ dir, nicht hinter dir, und dort ist die Stadt! Rudolf Korn schritt zum ersten Male durch ihre Straßen. Er hatte in einer kleinen Garnison gedient, an die heran die Felder und Wiesen brandeten. Die Zeit war ihn hart genug angekommen. Und nun das Steinmeer, dessen Wellen hoch aufschäumten! Alle Leute liefen, als hätten sie in der nächsten Minute ein Vermögen zu gewinnen oder zu verlieren. Kein gemächlicher Schritt. Die Brust ward ihm zu eng, er biß die Zähne zusammen. Hier leben beinahe eine halbe Million Menschen, und du solltest nicht leben können? Was hast du jetzt nach dem Duft des Heues, dem Lied der Lerche, dem Rauschen des Baches zu fragen? Die Zeit war und kommt wieder. Jetzt ist andere Zeit. Stelle deinen Mann, daß du dich selber achten kannst, und dein Vater dich achten ~muß~! -- Am dritten Tage danach steht Rudolf Korn neben seinem Regimentskameraden Richard Frieders auf der Förderschale und fährt hinab in den tiefen schwarzen Schacht der Grube »Glückauf«! Eines hatte er in der Zeit begriffen: Es wartete niemand auf ihn, und der Kampf der Menschen, die nicht Haus und Hof ihr eigen nannten, war härter als der auf ererbter Scholle. Jeder aber trug eine Seele in sich, in der ein heißes Sehnen lebte. Sie sargten sie ein, schalteten sie aus und holten sie wie ein köstliches, sorglich gehütetes Diadem hervor in Stunden, die sie ihrem Ich leben durften, um sie wieder zu bergen, wenn ihr Name auf des Lebens Nummertafel erschien. Richard Frieders war verheiratet und ein vernünftiger, ernster Mensch. Wohl hatte er den Kopf geschüttelt, als ihm Rudolf erzählt, was ihn fortgetrieben, aber er hatte, gleich dessen Mutter, die lichte Seite zu sehen vermocht. »Es ist ein Übergang,« hatte er gesagt, »und es wird dir guttun, später, wenn du wieder hinter dem Pfluge gehst, dich zu erinnern, wie ~wir~ leben. Du kannst Schlepper bei mir werden. Das will ich wohl fertigbringen.« So fuhren sie auf der Förderschale hinab in die Finsternis. Richard Frieders beobachtete des Freundes Gesicht im Schein der Grubenlampen und freute sich, daß der sich nicht werfen ließ, sondern drunten entschlossen und herzhaft ausschritt. Die Schritte hallten langhin wider, der Flammenschein der Grubenlampen blänkerte auf dem Gestein, Wasser tropfte, Wettertüren krachten, daß es durch die Stollen dröhnte. Endlich waren sie vor Ort und damit im Herzen der Stille und Einsamkeit. Acht Tage schob Rudolf Korn die Hunde auf den Schienen entlang, da wußte er, daß seines Bleibens hier nicht sein ~konnte~. Die düstere Nacht würde ihn erschlagen, die Last des tückisch blinkenden Gesteins ihn erdrücken. Aber nicht heute und morgen wollte er fort. Irgend einmal. Und dieses Irgendeinmal war ihm wie ein Licht, von dem er wußte, es war sein, wenn er es haben wollte. Der Tag sollte ein Festtag werden, an dem er es in die Hand nahm. Zwischen dem Gestein im großen Eingangsstollen zirpte es Tag und Nacht. Das waren Grillen. Grillen, fünfhundert Meter tief unter der Erde! Die Geiger der Wiesen, an Bergmanns Kleidern hinabgetragen zwischen die lastenden Felsen, die Lichtsänger verirrt in die Nacht! Dies Zirpen hatte etwas rührend Hilfloses und doch Trauliches. Wie es das Bild der Bodenwiesen vor die Seele zauberte, wie es plauderte von Abendfrieden! ~Hat ein~ Mensch die bittere Träne gesehen, die der Bauer im Auge zerdrückte? Denkt er nicht tausendmal an den Vater und an den Enderbauer und ihren kleinlichen Streit um einen Baumstamm? Wie wichtig sie alle die Nichtigkeiten nehmen. Lernt das Licht entbehren, wißt, was es heißt, nach der Sonne schreien, lernt der Einsamkeit in die starren Augen sehen! Lehrzeit! Die ersten Früchte beginnen zu reifen! Einst wird ein Bauer zurückkehren, dessen Augen nicht am Kirchturm haftenbleiben. Und die Gespräche mit dem Freunde vor Ort, wenn sie beide das Bündel aufschnüren und essen! Der Bergmann hat Seele und hat keinen größeren Wunsch als den, einmal ein Häuschen mit einem kleinen Garten davor, angrenzend an Felder und Wiesen, sein eigen zu nennen. Da sät er Mohn, roten, flammenden Mohn, und eine Handvoll Korn wird er säen. Ganz töricht, aber er wird Korn säen, weil er sich eigene Ähren durch die Finger gleiten lassen will. In dem Gärtchen sollen seine Kinder spielen. Sie haben deren eins, ein Mädelchen, lieb und licht wie ein Sonnenstrahl, aber sie werden auch einen Buben dazu kriegen. So plaudern die Männer, und die Geister der Tiefe kichern höhnisch. Gott sei Dank, daß Menschenohren nicht fein genug sind, dies Kichern zu hören. Und dann kehren die Männer wieder an ihre Arbeit zurück. Der Meißel frißt sich in das Gestein, die Schläge hallen, die schweren Brocken purzeln. Fleißig sein; denn Richard Frieders warten kein Haus und kein Garten als Erbe; er muß sie aus dem Gestein herausschlagen. Er liegt auf dem Rücken, halb bloß in der Wärme der Tiefe, umrandet mit dem Meißel den Block über sich, setzt die Brechstange ein, wuchtet ihn herab, mit einem Schlage mehr an Zentnern gewinnend, als er sonst mühsam am ganzen Tage Stück für Stück loszuschlagen vermöchte. Es ist verboten, die Blöcke zu umranden; denn einmal kann sich einer vorzeitig lösen und den Mann unter sich erschlagen. Wer fragt danach? Akkordarbeit! Und es winken ein Häuschen und ein Gärtchen. Länger als vier Wochen schon hat Rudolf Korn mit Nacht und Einsamkeit gekämpft. Er ist auf dem Wege zum Siege. Ist er ganz Sieger, dann wird er gehen, ein Freier. -- Die Freunde sind am Morgen miteinander zum Schacht gegangen. Richard Frieders lachend, noch das Glück in den Augen, das ihm beim Anblick seines schlafenden Mädelchens in die Seele sprang. Er ist heute schier noch fleißiger als sonst. Sein Schlepper kann kaum fortbringen, was der Hauer losschlägt. Noch den mächtigen, bereits fast umrandeten, hängenden Block, dann wird er sich Zeit zum Essen nehmen. Rudolf Korn kehrt zurück, den Hund vor sich herschiebend. Die Schienen rasseln, das schwankende Licht blänkert über die Steine. Jetzt muß er einhalten; denn die Schienen führen nicht weiter. Ein paar Schritte um die Ecke, dann sieht er des Freundes Grubenlampe. Aber, kein Licht, kein Hammerschlag, kein Klang von Eisen auf Eisen. Rudolf hastet heran. Ein Trümmerfeld, eine tote Hand, die aus dem Gestein ragt, ein Gesicht, in dessen erloschenen Augen noch der letzte Schrei des Mundes zittert. Des Mannes Körper vergraben unter schwerem Stein, der Mann erschlagen von dem mächtigen Block, der sich zu zeitig löste. Rudolf Korn wühlt in den Steinen, schleudert sie beiseite, die Brust ist frei. Das Herz schlägt nicht mehr. Als der Mann seine Hände im Lichte der Grubenlampe betrachtet, sind sie blutigrot. Und die Geister der Tiefe kichern. Mit wuchtigen, lang ausholenden Schritten läuft Rudolf zurück, erstattet Meldung, muß noch einmal mit vor Ort, hört des Steigers Fluchen über verbotenes Tun, es dringt nicht bis hinab in seine Seele, kehrt wieder zurück, unterschreibt das Protokoll und erklärt: »Ich komme nit wieder.« Sie verstehen ihn, er ~darf~ fristlos gehen. Betäubt schreitet er durch die Straßen. Wie das flutet, lacht, drängt. Alles wie sonst. Und drüben liegt ein toter Mann, der von Haus und Garten träumte! Wer fragt nach ihm? Morgen schwingt ein anderer an derselben Stelle den Hammer. Heimat, Dorfheimat! Ob ich heimkehre? Rudolf Korn geht wie ein Trunkener, stößt den und jenen an, läßt sie knurren und murren über die groben Bergleute, geht weiter. Da, von weitem Räderrollen und Schreie. Er erwacht. Es ist die Zeit, da die Kinder aus der Nachmittagsschule kommen. Sie schlendern dahin, im Ranzen klappern die Bücher, und die jungen Münder wissen Wichtiges zu erzählen. Um die Ecke aber rast ein durchgehendes Gespann. Die Menschen schreien, die Kinder rennen, niemand wagt es, den Tieren in die Zügel zu fallen! Dort aber geht einer, in dem der Bauer lebendig wird. Rudolf Korn springt vor, fällt dem Handpferd in die Zügel, reißt, ruft, läßt sich schleifen, gibt nicht nach. Zitternd stehen die Gäule. Aus dem Wagen kommt eine matte Stimme: »Lieber Gott!« Eine Dame sitzt totenblaß in den Polstern. Nun sind die Menschen zu Haufen da. Sie sehen in ein Paar weltferne Augen. Der sich über das Straßenpflaster schleifen ließ, löschte just in dem Augenblicke das grause Bild auf dem Grunde seiner Seele, da er zum Bauern ward, durch ein anderes, grün und bunt überblühtes. Nun ist das erste wieder da, und er findet sich nicht zurecht. Hundertmal ist dem Kutscher geboten worden, die Pferde auszusträngen, wenn er zu rascher Besorgung in ein Geschäft tritt. Hundertmal hat er es nicht getan, und es ging gut. ~Heute~ scheuten die Pferde. Rudolf Korn hört anerkennende Worte, sie gehen an ihm vorüber. Er beantwortet die Frage des Schutzmanns, ob er mit Pferden umzugehen wisse, mit ja, steigt auf den Bock, lenkt das Gespann in die Bergerstraße, fährt durch das Tor des schönen Hauses, ist eine halbe Stunde später Kutscher des Bankiers Werner. Sich selber erwacht er erst, als er in der ihm zugewiesenen Stube auf dem Bette liegt und die Bäume vor seinem Fenster rauschen hört. Da setzt er sich auf und horcht in sich hinein. War das alles oder träumte er? Es ~war~. Glück und Not einander benachbart. Finsternis und Licht einander verschwistert. Und das Ganze: Leben! Wieder schürzt er die Lippen. Lehrzeit! Vater, wenn du ~das~ wüßtest, würdest du noch immer nicht über einen Strohhalm hinwegkommen? Ein liebes Bild wacht auf, der Berteles-Garten und das blondhaarige Mariele! 5. Heinrich Korn hatte sich an dem Morgen, an dem er dem Sohne die Hand zum Abschied gegeben, nicht wieder niedergelegt, obwohl es nur eben zu dämmern begann und keine Arbeit auf ihn lauerte. Mit der Heuernte wollte er noch acht Tage warten. So lief er ziellos über den Hof, durch den Garten, hinaus in die Felder. Es war reichlich Tau gefallen. Die Ähren hingen schwer an den Halmen, in den Glockenblumen glänzten die klaren Tropfen. Die erste Lerche rüttelte das Gefieder, trippelte vor dem wandernden Manne über den Wiesenweg, jubelte ein paar melodische Töne und stieg dann an ihres Liedes Leiter zum Himmel hinauf, gerade der Sonne entgegen. Langsam erhob sich die glühende Scheibe aus den Wäldern im Osten. Sie sah -- Rudolf. Der konnte jetzt im »Langen Holze« auf Breitengrunder Flur sein. Der alte Hohlöfner fuhr sich durch das dichte Haar. »Dunnerlichting, Dunnerlichting!« Wie soll das werden, wenn nun die Heuernte kommt! Und dann die Schnitternte! Hernach das Ackern! Und doch war es nicht die Arbeit, vor der es ihn leise gruselte. Der ~Sohn~ fehlte ihm. Hatte er auch nie viel Wesens um ihn gemacht, war er sogar kürzer und herber gewesen, als es nötig und, vielleicht, recht war, er hatte sich doch immer des stillen, zuverlässigen Menschen gefreut. Im Morgenwandern hörte er die Klänge, die von Seele zu Seele gegangen waren, und nun würde der Klang irregehen. Er, der Bauer, würde ins Leere fragen, und Rudolf -- -- vielleicht fragte er überhaupt nicht. Lüg nit, Hohlöfner, schalt sich der Mann. Lüg nit, er fragt, -- und -- du wirst ihm antworten. Und wenn du selber fragst, wirst du auch nicht ohne Antwort bleiben. Da drüben liegt die Stadt, dort hinter Wäldern und Bergen. Du siehst nichts von ihr, aber was macht das aus? Siehst vom Herrgott noch weniger und verständigst dich doch mit ihm. Aber hart ist es, daß eure Gedanken einen so weiten Weg zu machen haben, und es müßte nicht sein, wärst du nicht ein so querköpfiger Vater. »Ist ein Übergang,« sang die Lerche. »Soll ein Übergang sein und soll nit lange dauern,« antwortete der Mann. Die Furchen, die ihm das Grübeln durch die Stirn gezogen, glätteten sich, die Augen, die gewohnt waren, das Nahe und das Ferne gleichzeitig mit raschem Blick einzufangen, wurden wieder blank, der Mund spitzte sich zum Pfeifen. Er sollte der Hohlöfner sein und nicht auch ~dabei~ einen Spaß auflesen können? Wie sie ihn im Dorfe ansehn, wie sie auf den Busch klopfen werden! Er wird sie alle hinter die Fichte führen. Wer meint, ein verdrossenes Gesicht bei ihm zu sehen, der soll sich irren. Was er ihnen sagen wird? Ei nun, er wird den klugen Mann und Vater spielen. Warum der Rudolf davongelaufen sei? Wer das Wort: Davongelaufen braucht, der soll's mit ~ihm~ zu tun kriegen. Der Einzige vom Hohlofenhofe läuft nicht davon wie ein Polacke, der geht für einige Zeit aus dem Vaterhause, um -- zu lernen, seinen Gesichtskreis zu erweitern. So wird er sagen. Und er wird sagen, das sei längst unter ihnen ausgemacht gewesen; nur über die Zeit sei man sich noch nicht einig gewesen. Mit dem Berteles-Mariele und der Fünftausend-Taler-Wette habe das gar nichts zu tun, auch nicht einen Deut. Rudolf habe immer auf die Schule gewollt. Was seien Schulen! Das ~Leben~ sei die richtige Schule. So wird der Hohlöfner sagen und dabei ein Gesicht machen, daß nicht einmal der Ender auf einen anderen Gedanken kommen soll. Aber -- -- die fünftausend Taler muß das Mädel in die Hand kriegen, und das muß klug angefangen werden. Der Hohlöfner lächelt. Darum ist ihm am wenigsten bange. Und es müßte wunderlich zugehen, käme gerade dabei nicht mancher Spaß heraus. Der Bauer drehte um, schlug einen Bogen, schritt den Hang hinab, zu sehen, wie das Gras auf den Bodenwiesen stünde, und atmete mit voller Brust den herben Duft der Wälder und Wiesen. Im Bodenwege begegnete ihm der Ender, der mit seinen Kühen in die Mühle fuhr. Der Mann trug ein unfrohes Gesicht in den Morgen hinaus, und die Kühe waren, weiß Gott, die schlechtesten im ganzen Dorfe. Heinrich Korn blieb am Wegrande stehen und schüttelte den Kopf. Ender grüßte knurrend und kurz. »Morgen,« erwiderte der Hohlöfner, »fahr stad, Nachbar, wirst sachte andre Kühe einstellen müssen.« »Mach's, wenn du Geld hast.« »Fehlt's denn gar so sehr?« »Frag nit so daher. Hab, dächte ich, Unglück genug gehabt.« »Wird auch wieder besser. Wird mir in den kommenden Zeiten auch nit ganz leicht werden.« Ender horchte auf. »Dir? Möchte wissen warum.« Heinrich Korn wies nach Osten. »Da geht jetzt mein Junge.« Ender riß die Augen auf. »Dein -- Rudolf?« »Derselbige. Ist heute in die Stadt gegangen.« »Was will er da?« »Ich hab ihn fortgeschickt.« »Des Mariele wegen?« »Das hat mit dem Mariele nix zu tun. Das war lange ausgemacht. Er soll sehen, wie's andre treiben.« »Was geht das den Bauern an?« Und der Hohlöfner in gemachtem Zorn: »Das ist's ja eben, daß jeder tut, als ginge ihn der andre nix an. Guckt jeder bloß auf seinen Misthaufen. Solche Leute kann die heutige Zeit nit brauchen. Schmeißt einer immer dem anderen an den Kopf, wie gut es ~ihm~ ginge, und weiß keiner wirklich vom anderen, wo den der Schuh drückt. So kommen wir nit zusammen. Heute nit und niemals. Meinst du, es wäre mir leicht gefallen, den Rudolf jetzt zu entbehren? Aber ich tu's. Er soll hinaus unter fremde Leute. Gerade wem's der Herrgott so kommod gemacht hat, der soll sehen, wie sauer es dem andern wird. Erben ist kein Kunststück. Aber das ist ein Kunststück, das, was einer erbt, zu begreifen. Hab mein Lebtag ~den~ Bauern nit gemocht, der großartig Viere lang gefahren ist, und der auf dem Bocke gesessen hat, als müsse selber der Herrgott den Hut vor ihm ziehen. Kann die Hanswürste nit leiden. -- Ich bin der erste in Schönbach, mein Junge soll's wieder werden, aber nit, weil er mich beerbt und weil er unser Einziger ist, sondern weil er sich hat die Nase putzen lassen und nit beiseite guckt, wenn ein armer Teufel mit dem Hundewagen daher kommt. Paßt gut, daß ich grade dir das sagen kann, Ender. Nun weißt du Bescheid. Mach damit, was du willst.« »Mußt du mir gleich den Morgen verderben, Hohlöfner?« »Hab ich nit gewollt und habe ich nit gemacht. Deinem Gesicht nach hast du gar nix von dem schönen Morgen gesehen. Nun mach die Augen auf, guck über dich, nit immer bloß auf die Steine im Wege. Hätt'st mich um ein Haar nit gesehen, und ich bin lang und breit genug. -- Grade dir hab' ich's sagen wollen, daß du siehst, daß der Hohlöfner ein Mensch ist, der was verlangt und der auch -- was geben kann. Fahr zu, Nachbar.« Die Kühe zogen an, Heinrich Korn schlenderte seines Weges weiter und pfiff leise vor sich hin. Daheim traf er seine Frau am Frühstückstische. Sie empfing ihn mit ernstem Gesicht, er setzte sich mit ernstem Gesicht ihr gegenüber. Schweigend tranken sie ihren Kaffee. Als sich die Bäuerin erheben wollte, langte der Mann über den Tisch und nahm ihre Hand. »So geht das nit, Mutter.« Die zuckte die Achseln. »Wirst dich daran gewöhnen müssen.« Rascher Zorn wollte in dem Manne auflodern. Er atmete ein paarmal langsam und tief. »Mutter, so geht das nit, sag ich, und so darf das nit werden! Das geht mir gegen den Strich.« »Hast ja auch nit gefragt, ob mir das andere nit gegen den Strich war!« »Kreizdeibel, ist mir auch nit nach der Mütze, aber -- -- --« »Du bist der Hohlöfner.« Das besänftigte den Mann. Es wetterleuchtete noch in seinem Gesicht, aber die Gutmütigkeit siegte. Er suchte nach der richtigen Maske, kniff das linke Auge halb zu und dozierte, was er auf dem Bodenwege dem Ender gesagt. Seine Frau sah ihn halb lächelnd, halb ärgerlich an. »Kannst gut Theater spielen. ~Mir~ spielst du nix vor. Ich kenne meinen Hohlöfner besser, als er sich selber kennt.« Da lachte Heinrich Korn. »Brauchst nit zu lachen, wo der Rudolf jetzt -- -- -- Wer weiß, wo er gerade steckt.« Die Frau hob den Schürzenzipfel, als wolle sie eine rasche Träne trocknen, und schwieg einen Augenblick. »Hast dein Fleisch und Blut aus dem Hause gejagt. Daran ändern deine Faxen nix. Magst anderen weismachen, was du mir einlöffeln wolltest. Es hört sich gut an, ist aber nit ehrlich von dir.« »Bist du noch nit fertig, Mutter? Ich dächte, es langte für den Anfang.« »Halt still, alter Hitzkopf. ~Das~ mußt du dir gefallen lassen, und dann -- wollen wir sehen, wie wir zurechtkommen. Bist auf denselben Trichter gekommen, auf den ich auch gekommen war, aber ich kam von der andern Seite her, mach keine Faxen und will den Leuten nix weismachen. Die Zeit wird dem Rudolf nicht schaden, und vor dem Dorfe wirst du ja mit deinen Flausen zurechtkommen, so daß du nit Schaden leidest. Das aber sage ich dir: Ich vermisse den Rudolf auf Schritt und Tritt.« »Ich auch, Mutter. Hab's gar nit gedacht.« »Aber ich hab's gedacht für dich. Und jetzt lernst du deinen Jungen erst kennen, weißt jetzt erst, was du an ihm hast. Er ist die Schlafmütze nit, für die du ihn gehalten hast, ist anders wie du, aber nit weniger wert. Ein anderer wär ~nit~ so gegangen wie er. Beide Hände hält er über dich. Nun halt du sie auch über ihn und -- über das Mariele. Das verlang ich; denn ich bin die Mutter.« Heinrich Korn sah seinem Weibe in das Gesicht, und ein Funke der alten Schelmerei glomm in seinen Augen auf. »Nun bist du wirklich fertig, Mutter?« »Für's erste ja.« Da ward der Bauer ernst. »Nit für's erste, für immer. So darfst du nit wieder reden. Das vertrag ich nit oft.« Und noch ernster: »Hast recht, Mutter, hast völlig recht. Die Hand drüber halten. Das Mariele aber bleibt aus dem Spiele. Daß sie auf den Hof kommt, will niemand lieber als ich, aber -- ich bin der Hohlöfner. Langsam, Mutter, keine Dummheiten.« »Du willst so tun, als gehöre das Mariele nit zu uns?« »Ich denk nit dran. Grad erst recht soll sie zu uns gehören.« »Mein ich auch.« »Aber du kannst dem Dorfe nit von heut zu morgen weismachen, daß sie die fünftausend Taler beieinander hätte. Das muß Zeit haben.« »Wie willst du das überhaupt anfangen?« »Das laß meine Sorge sein.« »Die Dummheiten, die ich nit machen soll, die willst du selber machen?« Da ging die helle Freude wieder über des Mannes Gesicht. »Wenn's sein kann, ja, Mutter. Die Dummheiten behalt ich mir vor. Ich bin der Hohlöfner.« Sie hatten sich beide erhoben und standen voreinander. Heinrich Korn nahm seine rundliche Frau in die starken Arme und klopfte ihr den Rücken. »Wir sind alleweil einig gewesen, Mutter, und wollen es auch jetzt sein.« »Wenn du es einem nur nit so schwer machen wolltest.« Und der Bauer mit leise wehmütigem Lächeln: »Eine Wette gehe ich in meinem Leben nit wieder ein.« »Du, auch dafür lege ich die Hand nit in das Feuer.« Da lachte der Mann so laut auf, daß die Mägde draußen verwundert die Köpfe zusammensteckten. Ihre Verwunderung ward größer, als der Bauer kurz darauf mit grimmigem Gesicht über den Hof ging. Daß er dies Gesicht erst unter der Haustür aufgesteckt, wußten sie nicht. »Albin,« rief er den Knecht an, »die Faulenzerei ist jetzt vorbei. Jetzt heißt es zugreifen.« »Hab ich immer gemacht.« »Richtig. Bist der unebenste nit, aber jetzt muß das noch ganz anders gehen.« »Mehr als arbeiten kann kein Mensch.« »Kommt bloß drauf an, ~wie~ er arbeitet. -- Der Rudolf ist fort.« »Der -- ist -- fort?« Dem Knechte blieb der Mund offenstehen. »Wegen -- -- --« »Brauch keine Maulaffen. Mach's Maul wieder zu. Gar nit: Wegen. Er hat's gewollt. Will sehen, wie's andern Leuten zumute ist bei ihrer Arbeit, und ist recht, daß er so denkt, und freut mich. Könnte keinem schaden, wenn er wüßte, wie's hinter dem Berge aussieht und das Brot an fremdem Tische schmeckt.« »Da hast du recht, Bauer.« »Also. Und nun müssen wir zwei den Rudolf ersetzen, Hopp, faß an. Ich will dir zeigen, daß das geht.« Hei, wie die Arbeit flog, und wie die Stunden flogen. Die Nächte aber ließen sich nicht ausschalten. So kurz sie waren, sie waren lang genug zum Nachdenken. Und die Gedanken waren so schwer, daß sie dem Hohlöfner die Aussicht auf den Spaß, den er sich zu erhaschen gedachte, oft genug verdunkelten. Etliche Tage darauf schrieb Rudolf, daß er mit einem Regimentskameraden zusammen im Bergwerk arbeite. Die Hohlöfnerleute saßen am Abend am Tische. Es war still. Sie sahen aneinander vorüber. Schwerfällig stieß eine späte Fliege laut brummend gegen die Fensterscheiben. Der Hohlöfner stand auf, zerdrückte sie und ging dann mit langen Schritten in der Stube auf und ab. Alles geschah schweigend unter einem dumpfen Drucke, und der Mann preßte im Hin- und Hergehen die breite Hand auf die Brust. Schließlich löste sich die Spannung in einem: »Dunnerlichting, Dunnerlichting!« Die Schritte wurden rascher. »Mußte denn das sein? Ausgerechnet in die Grube?« »Wird halt nit anders gegangen sein. Denkst du, in der Stadt haben sie auf ihn gewartet und ihm den feinsten Posten präsentiert: Da hast du, weil du dem Hohlöfner aus Schönbach sein Sohn bist. Hast du das gedacht?« »Red kein dummes Zeug, Mutter. -- Aber gerade das Bergwerk!« Minna Korn war eine kluge Frau. Der Mann tat ihr leid, aber sie drängte ihn mit Absicht tiefer in seine Not hinein. Die Stimme dämpfend, trauriger scheinend, als sie war, begann sie: »Man muß sich das einmal ausdenken. In der Grube kommt fast jeden Tag einer zu Schaden.« Das verfing nicht. Minna Korn hatte ihres Struwelkopfs Gedanken noch nicht ganz erfaßt. »Das ist's nit,« polterte der Mann. »Auf dem Felde kann ihn der Blitz erschlagen, im Holze ein Stamm. Das ist's nit, aber -- -- so tief unter der Erde, keinen Himmel über sich!« Da wußte die Frau Bescheid. Die Kerbe war angehauen, sie schlug fest darein. »Kein Linsele Sonne! Und kein Vögele, das ihm singt, und keine Blume, die ihm blüht.« »Was macht er sich aus den Blumen, aber -- -- --« Die Frau fand den rechten Weg. »Und kein Kornfeld!« »Ja, kein Kornfeld!« »Und unser Korn steht so dick, und der Hafer ist so lang! Und er kann nit auf dem Rain hingehen, die Ähren in die Hand nehmen und sagen: Das habe ~ich~ gebaut! -- Wo er sonst die Hand aufhalten und sich die Sonne hineinscheinen lassen konnte, da ist's jetzt finster. Er hat immer so gerne auf dem Nußbühl gestanden und sich umgeguckt, hat den Bergkirchenturm über dem Walde gesehen -- -- --« »Mutter!« Der Bauer lief im Sturmschritt hin und her. »Hör auf, es langt.« Er hieb zornig durch die Luft. »Und nix ist, das einen ein bissel freuen tät! Warum kommt nit wenigstens das Berteles-Mädel einmal her? Hab die ganzen Tage her schon auf sie gelauert, aber sie macht sich so rar wie eine Stecknadel in den Dielenritzen.« Er begann zu poltern. »Ist das eine Art? Ich dächte, wenn sie unseren Jungen haben will, könnte sie sich auch ein bissel um die Alten kümmern. Aber so sind sie. Taugt heute eine nit mehr als die andre. Sind alle miteinander nit wert, daß man sich um sie kümmert.« Minna Korn lächelte leise. »Hast recht, Vater. Hätt sich wohl ein bissel nach uns umtun können, wird sich's nur nit getraut haben.« »Nit getraut? Soll ich's ihnen etwa noch leichter machen, als ich's ihnen schon gemacht habe?« Die Bäuerin hatte es auf der Zunge, zu sagen: Hast es ihnen wahrlich leicht genug gemacht, aber sie schwieg. Der Mann warf sich in die Sofaecke und langte nach der Zeitung, die Bäuerin ging, in der Wirtschaft noch einmal zum Rechten zu sehen, und draußen feierte ein stiller Sommerabend. Die Frau kehrte nach kurzer Zeit zurück, und eine kleine halbe Stunde später trat das Mariele in die Stube, lebhaft von der Hohlöfnerin begrüßt. Heinrich Korn nahm es für Zufall, daß sie kam. Die kleine Magd hatte ihre Sache gut gemacht. Marie Berteles verriet mit keinem Wimperzucken, daß die Bäuerin nach ihr geschickt. Mit dem überlegenen Feingefühl des Weibes fand sie sich in die Sachlage. »Guten Abend,« grüßte sie. Die Hohlöfnerin streckte ihr schon von weitem die Hand entgegen. »Guten Abend, Mariele. Das ist recht, daß du dich einmal nach uns zwei alten Leuten umsiehst. Gerade vorhin haben wir von dir geredet.« Heinrich Korn saß brummend in seiner Sofaecke. Die Bäuerin nötigte das Mädchen, sich an den Tisch zu setzen, aber sie wußte es so einzurichten, daß der Hohlöfner nur ihren Rücken sah. Und das verdroß ihn. Er hätte viel lieber das gute Gesicht gesehen. »Was macht die Mutter?« fragte die Hausfrau. »Es geht ihr nit gut. Sie hat immer ihre Not, und wenn ich ihr auch die Arbeit abnehmen will, sie leidet es nit, denkt immer, es geht nit ohne sie.« »Lernt's auch nit, die Frau,« kam es knurrend aus der Sofaecke. »Geht freilich ohne die Alten. Die Jungen machen ihr Zeug heutzutage für sich, brauchen uns nit mehr.« Heinrich Korn stopfte sich eine Pfeife, seine Frau lächelte und nickte dem Mädchen zu. »Ist nit so schlimm, gelt, Mariele? Weißt schon, was du deiner Mutter schuldig bist. -- Hast du nit auch einen Brief gekriegt?« »Ja. Da ist er.« Das Mädchen zog einen Brief aus der Tasche. Minna Korn schob ihr den anderen zu. »Da lies, was der Rudolf an uns geschrieben hat.« Sie lasen, der Hohlöfner paffte und war wütend, daß seine Frau den Brief, den Marie erhalten, nicht laut vorlas. Ja, sie tat nicht einmal, als wolle sie ihm den Brief geben, sondern legte ihn lächelnd auf den Tisch zurück. »Er hat's gut getroffen, der Rudolf; hat schon immer so große Stücke auf den Frieders gehalten und oft von ihm erzählt, und nun ist er mit ihm zusammen.« »Korns-Mutter,« sagte das Mädchen mit schwingender Stimme, »gut hat er's doch nit getroffen!« »Warum denn nit? Die Bergleute verdienen unter allen das meiste Geld.« »Ja aber, wenn da so ein Stein herabfällt. Und dann schießen sie doch auch da drunten.« »Sogar mit Pulver,« grollte es vom Sofa her. »Ist das ein Getue! Hat früher auch schon geschossen, der Rudolf.« »Aber nit so tief unter der Erde.« Marie Berteles wandte den Kopf ein wenig. »Unter der Erde oder auf der Erde ist egal. Schießen ist Schießen.« »Da bin ich doch nit deiner Meinung, Vater,« warf die Bäuerin bedächtig ein. Der Hohlöfner war selber nicht seiner Meinung, aber er wehrte sich. »Das verstehst du nit, Mutter.« »Nein, Vater, aber auf der Erde kann man aus dem Wege gehen. Dort drunten nit.« Das war es ja, was sich der Bauer auch sagte, aber er murrte weiter: »Werden sich schon zu helfen wissen, ist nit unsre Sache. Jeder liegt, wie er sich das Bett macht.« Um ein Haar wäre das Mariele eingeschüchtert worden. Die Bäuerin aber nickte ihr wiederum zu. »Sage ich auch. Deswegen brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Ich denke, der Rudolf wird seinen Spaß daran haben. Er hat sich ja immer in alles geschickt. -- Wie steht denn euer Korn, Mariele?« »Das wird eine traurige Ernte. Was der Hagel zusammengeschlagen hat, steht halt doch nit wieder auf.« Minna Korn strich ihr über die Hand. »Werdet nit verhungern, ihr zwei. Da sind wir auch noch da.« Die Reden gingen hin und her. Eine Weile hielt es der Hohlöfner noch in seiner Sofaecke aus. Dann stand er auf, trat an den Tisch, ließ sich dem Mädchen gegenüber nieder, nahm den Brief, der da noch lag, las ihn und legte ihn wortlos wieder auf seinen Platz. Die Rauchwolken wirbelten immer dicker aus seiner Pfeife, aber er schwieg. Von unten her aber sah er dem Mädchen mit scharfen Augen in das offene, klare Gesicht, und sein Blick verfing sich jedesmal in dem feingekräuselten Blondhaar über der Stirn. Als das Mariele im Plaudern einmal spielerisch einen der langen Zöpfe aufhob und ihn sich, wie es ihre Gewohnheit war, um das Handgelenk wickelte, lächelte der Bauer sogar mit verkniffenem Munde vor sich hin. Die Zeit wanderte, das Mariele erhob sich. »Ich will heimgehen.« »Ich gehe ein paar Schritte mit dir.« Minna Korn erhob sich, nickte ihrem Manne zu: »Warte auf mich, Vater, ich bin bald wieder da. Bloß ein paar Schritte, weil's so schön draußen ist.« Vor dem Tore schob sie ihren Arm in den des Mariele. »Mußt nit denken, daß der Vater böse wäre.« »Korns-Mutter, da ist nix zu denken, er ~ist~ böse. Ich bin's anders von ihm gewöhnt.« Die Bäuerin streichelte ihre Hand. »Mußt noch viel lernen, Mariele. Auch die besten Männer haben ihren Kopf für sich. -- Klug ist nit falsch. Falsch darf eine Frau nit sein, aber klug muß sie sein für zwei, ach nein, für viel mehr, für ihren Mann und für jedes Kind extra. Und muß auch für jedes ein extra Herzkämmerlein haben, Mariele. Das ist wie im Hause. Allen zusammen die große Stube und jedem eine Kammer extra. Brauchst keine Angst zu haben. Es ist nit schwer, allen ihr Teil zu geben, gar nit. Der Vater ist nit böse, verlaß dich drauf. Ich kenne ihn doch. Es juckt ihm lange in den Fingern, dich wieder an deinen Zöpfen zu zupfen. Paß auf, das geschieht bald einmal wieder.« »Wenn's nur heut schon geschehen wär.« »Nur nit gleich zu viel verlangen. Er kommt doch noch nit einmal des Rudolfs wegen mit sich selber zurecht. Wie soll er da dich gleich noch mitnehmen. Nit gleich zu viel verlangen.« »Korns Mutter, ist Euch wirklich nit bange um den Rudolf?« »Aber gar nit. Ich möchte doch auch wissen warum.« »Mir ist bange. Da drunten in der Finsternis -- -- --« »Sieht er immer jemand vor sich, der lange, lichte Zöpfe hat.« »Ach -- -- und da ist's so still.« »Dafür hört er jemand, den er am liebsten hört.« »Und -- -- und da passiert soviel Unglück.« »~Auf~ der Erde noch viel mehr. Mußt nit so dumme Gedanken haben, Mariele. Was soll denn das werden? Meinst du, ich hätt den Jungen nit grade so gern wie du ihn hast? Ehbevor er noch sonst jemandes war, war er mein. Ich habe ihn grad so gern wie du, aber Angst um ihn? Nit ein Linsele. Meinst du, da geschähe etwas von ungefähr? Müßte doch ein armer Stümper sein, der Herrgott, wenn er eine so kreuzverdrehte Geschichte geschehen ließ, so aus einem Körnlein Sand einen Berg machte, wenn nix Gutes dabei herauskommen sollte. Wir wollen übers Jahr wieder darüber reden, Mariele. Und das will ich dir noch sagen: Ja nit den Kopf hängen lassen. Werde wieder, wie du immer warst. So. Für heute ist genug geredet. Da will ich umdrehen.« Sie reichte dem Mariele die Hand. Grade als die zwei auseinandergehen wollten, grüßte sie einer mit einem hellen: »Guten Abend.« Die Hohlöfnerin erkannte den Grüßenden an der Stimme. Es war der junge Lehrer, und den hatte sie mütterlich lieb, den einsamen, kranken, jungen Menschen. Herzlich und freundlich erwiderte sie den Gruß, und Lehrer Siebert trat an die zwei heran. »Na, Herr Lehrer,« fragte die Bäuerin, »noch spazierengehen? Ist recht. An solch einem Abend geht man nit gern ins Bett. Nit wahr, es läßt sich auf dem Dorfe leben? ~Die~ Abende macht uns die Stadt nit nach.« »Ich gehe auch nicht wieder in die Stadt,« sagte der Lehrer leise, und seine Worte hatten einen traurigen Unterton. Sie hörten ihn beide, die Hohlöfnerin und das Mariele, aber während das Mädchen nicht zu antworten vermochte, weil sie nicht unwahr sein wollte, wußte sich Minna Korn zu helfen. »Ist recht, Herr Lehrer, ist recht. Hat Sie jeder gern, vor allem die Kleinen. -- Wollen Sie nach den Bodenwiesen?« »Nein. Ich will an die Bärenäcker. Da schlägt eine Wachtel.« »Was Sie sagen! Eine Wachtel? Wüßte nit, wann ich einmal wieder eine bei uns gehört. Es scheint den Tierlein bei uns zu kalt geworden zu sein. So vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren hatten wir sie immer da. Hast du eigentlich schon einmal eine Wachtel gehört, Mariele? Nit? -- Herr Lehrer, nehmen Sie das Mariele mit. Ist ja nur ein paar Schritte. Das mußt du hören. Es heißt immer: Fürchte Gott, und heute Abend heißt's: Fürchte ~dich~ nit! -- Ich muß umdrehen. Der Vater wartet. -- Gute Nacht.« Langsam gingen die zwei jungen Menschen das Dorf hinab. Minna Korn kehrte auf den Hof zurück. Der Bauer saß, wo er gesessen, las keine Zeitung, wie er gern nach der Arbeit tat, sondern paffte und grübelte und grollte in sich hinein. Mit raschen Schritten trat seine Frau auf ihn zu. »Sinnst du noch immer, Vater?« »Nein. Auf dich gewartet hab ich. Hat lange genug gedauert. -- Hast gewiß dem -- Mädel abgebeten.« »Ach nein, das mach selber. Ich hab ihr nit weh getan. Bin nit einmal mit bis zum Berteles-Häusel gegangen, hab das Mariele bloß dem jungen Lehrer überantwortet.« Heinrich Korn sah seine Frau verwundert an. Die nickte ihm zu. »Er will nach den Bärenäckern. Da schlägt eine Wachtel.« Ungläubig forschte der Mann im Gesicht seiner Frau. »Eine Wachtel? Und -- deswegen -- -- --« »Das Mariele hat noch keine gehört, und,« Minna Korn legte ihrem Manne die Hand auf die Rechte, »wenn's gesagt ist, ist's ausgestanden. Ungesagtes macht viel mehr Not. Dem armen Menschen sitzt der Tod in der Brust. Mit dem muß man Erbarmen haben.« »Ja, Mutter, wie denn?« »Vater, das sieht ein Blinder. Laß ihn reden. Dann kann ihm das Mariele später einmal Gutes tun. Ist's nit gesagt, findet sie den Weg nit, wenn er sie einmal braucht.« Sie zerdrückte einen Tropfen im Augenwinkel. »Wem so viel gegeben ist wie dem Mariele, der kann auch viel Gutes tun.« »Übertreib nit, Mutter. Sie ist ein Mädel wie andre auch.« Minna Korn nickte ihrem Manne zu. »Weiß schon, darum soll sie ja auch auf den Hohlofenhof. -- Komm, wir wollen schlafen gehen. Der Rudolf wird jetzt auch schlafen.« »Wenn er nit etwa Nachtschicht hat.« -- Lehrer Siebert und das Mariele gingen das Dorf hinab. Am Berteles-Häuschen klopfte das Mädchen an, der Mutter zu sagen, daß sie noch ein paar Schritte ins Feld ginge. Nun schlenderten sie auf dem benachbarten Wegrain dahin. Der Abend war still und feierlich, das Land wallte in langen, ruhigen Wellen hinüber zum fernen Horizont, Sterne blinkten. Zu seiten des Weges rauschte das Korn, Nachtschmetterlinge summten und schwirrten, und Fledermäuse huschten. Da kam es hell und wohltönend aus dem Felde: »Pickberwick, pickberwick.« Mariele Berteles stand still und lächelte. »Das ist sie.« »Ja,« entgegnete Lehrer Siebert, »das ist sie.« Sie standen und lauschten, und in des Mädchens Augen lag eine kindliche Freude. »Man kann es wohl als: Fürchte Gott, deuten,« sagte sie leise. »Fürchte Gott, fürchte Gott.« »Die Bäuerin deutet es als: Fürcht dich nit.« Und das Mariele mit verhaltenem Jubel: »Fürcht mich auch nit.« »Ich auch nicht,« antwortete der Lehrer. »Warum sollten Sie sich denn fürchten?« »Wir wollen uns doch ein Weilchen auf den Rain setzen. Der Abend kommt mir und Ihnen nicht wieder.« Er ließ sich in das Gras nieder, das Mariele setzte sich harmlos nicht weit von ihm mitten in die Glockenblumen, und die Wachtel schlug. Die beiden jungen Menschen schwiegen. »Mariele,« begann der junge Lehrer nach einer Weile, »ich möchte Ihnen etwas sagen.« Das Mädchen sah ihn erwartungsvoll an. »Warum wollen Sie das nit?« »Ich möchte Ihnen von mir erzählen.« Marie Berteles empfand mit feinfühlendem Herzen, daß eine Last auf sie zu rollen wollte. »Von Ihnen?« »~Nur~ von mir. Und es soll Sie nicht belasten; denn ich -- -- -- Mariele, meine Eltern sind früh gestorben.« »Ach Gott. Alle beide?« »Beide. Wir tragen von Mutters Seite aus eine Krankheit in uns. Sie kennen sie. Ich bin aus der Stadt hierher gekommen, weil der Ort hoch liegt und die Luft rein ist. Es sollte besser werden.« »Ist's denn nit schon viel besser geworden?« fragte Marie Berteles warmherzig. Lehrer Siebert antwortete nicht darauf. »Ich war zehn Jahre alt, als die Mutter starb,« fuhr der Mann fort, »und zwölf, als der Vater heimging. Seitdem war ich unter fremden Leuten. Es waren gute Leute, und sie hatten mich so gern, als wäre ich ihr eigen Kind. Nun bin ich seit fünf Jahren Lehrer. -- Ich -- werde mich im Herbste beurlauben lassen. Bis dahin mag's gehen. Länger kann ich es nicht verantworten.« »Dann gehen Sie und lassen sich ganz heilen,« fiel das Mariele ein. »Hier sind die Winter kalt.« Lehrer Siebert lächelte. »Ich kenne den Winter, aber ich gehe trotzdem nicht fort. Vielleicht tue ich sogar bis Weihnachten Dienst. Länger kaum. Ich könnte es nicht verantworten. -- Mariele, ich höre keine Wachtel wieder im Bärenacker. Seien Sie mir nicht böse, daß ich das sage. Ich will Ihnen den schönen Abend nicht verderben, nur daran denken sollen Sie dann und wann. Glauben Sie ja nicht, daß ich mich fürchtete. Ich will die Zeit, die mir noch bleibt, recht froh sein. Es ist ein heimlicher Reiz, auf der Kante zu stehen und hinüber- und herübergucken zu können. Hinüber: Die Wachtel sagt: Fürchte Gott, und ich komme nicht schlecht mit ihm zurecht. Und herüber: Da liegt alles so weit ausgebreitet da, als ob man es von einem schönen Berge aus sähe. Und alles ist mein. Ich habe gar nicht gewußt, daß alles einmal ~so sehr~ mein sein würde. Ich drücke die ganze Welt an mich, sogar Sie, auch wenn ich Sie nicht anrühre.« Er lächelte ihr zu wie ein großes Kind. »Alles, alles ist mein! Und was kann man da aus sich herausholen. Es kommt alles aus ganz anderer Tiefe und hat einen ganz anderen Klang. Wunderbar ist es. Denken Sie doch, wie das ist, wenn ~ich~ den Kindern sage: Kinder, so und so sieht die Geschichte aus. Mein Kollege hat mir auf meine Bitte den Religionsunterricht auf der Oberstufe überlassen. ~Er~ weiß warum, und ich weiß auch warum. Denken Sie, wenn so ein Junge oder Mädel in zehn, in zwanzig, in dreißig Jahren einmal seine Not mit sich und der Welt und dem Herrgott hat und auf einmal denkt der Mensch an eine Stunde, in der wir miteinander geredet haben. Dann macht er einen Strich und ist fertig: Lehrer Siebert hat so und so gesagt, und der mußte es wissen, denn -- -- -- Das ist ja mehr, als ein Mensch eigentlich ertragen kann! -- Und nun war einmal eine Zeit, in der -- sie ist vorbei, sage ich, damit Sie sich nicht etwa ängstigen --, in der ich eine Dummheit gemacht, wenn nicht einer einen Damm davor gebaut hätte. Jetzt ist das ja alles vorbei, aber was hätte das werden sollen, wenn ich dem Mädchen, das ich liebhatte, mein Herz ausgeschüttet und es mich wieder liebgehabt hätte. Um Gottes willen, was hätte das werden sollen! Das hätte ich ja nie verantworten können. Man läßt sich aber so leicht hinreißen, denn, du liebe Zeit,« er lächelte wehmütig, »man ist doch auch ein Mensch und hat seine heimlichen Träume. Dafür kann man nichts. Und es ist ja auch so fein. Wenn man sich das alles so ausmalt -- -- -- Nun ist es vorbei, und -- es ist nicht weniger schön. Wirklich.« Eine schmale, krankenblasse Hand langte nach des Marieles Zopf, der im Grase lag, und strich darüber. »Gelt, Sie sind mir nicht böse. Ich komme Ihnen wirklich nicht einmal mit einem unrechten Gedanken zu nahe. Es ist alles, alles still, und nun freue ich mich bloß und möchte nur noch eins gern erleben: Ich möchte zu Ihrer Hochzeit die Orgel spielen.« Hatte Marie Berteles etwas von der Hohlofenbäuerin gelernt, so daß ein verzeihliches Täuschenwollen dahinter stand? Ach nein, sie war, wie sie im Kerne war, lebenstüchtig und wahr. »Herr Lehrer,« sagte sie und sah dem Manne mit weit offenen Augen in das Gesicht, »Sie hätten nix sagen sollen, aber ich bin doch nit böse, daß Sie es gesagt haben. Wohin ich gehöre, das wissen Sie.« »Und ich freue mich darüber.« »Aber leicht wird das nit sein, nein, das ist nit leicht. -- Die Orgel aber sollen Sie spielen, und mit dem Sterben, Herr Lehrer, lassen Sie sich Zeit. Das hat nit solche Eile. Sie hören die Wachtel im Bärenacker wieder, und ich höre sie auch. Rudolf ist drunten in der Grube. Er ist ein Bergmann geworden. Ist ihm ganz gewiß nit leicht geworden und wird mir auch nit leicht. Aber das ist ein Übergang, und umsonst ist's auch nit. -- Über acht Tage fängt die Heuernte an. Da hat man keine Zeit mehr zum Sinnieren. Ist gut, daß es soweit ist. -- So, Herr Lehrer, und nun muß ich heimgehen, und wenn ich dem Rudolf einen schönen Gruß bestellen soll, dann will ich das gerne machen. Aber Sie müssen nun auch heimgehen. Da drüben steigt der Nebel auf, und das ist nix für Sie.« Marie Berteles sprang auf, auch Lehrer Siebert war rasch auf den Beinen. Kindliche, helle Freude in den Augen, sagte er im Dahinschreiten: »Jetzt habe ich wenigstens eine Schwester gefunden.« Da lachte das Mädchen. »Ach, du mein, mit mir ist nit viel Staat zu machen. Ich habe nix gelernt, als was uns Kantor Ritter mitgegeben hat. -- Gute Nacht, Herr Lehrer. Und nit wieder vom Sterben reden.« Leichtfüßig sprang sie in das Haus, und leicht ging Lehrer Siebert heimwärts. Er hatte eine gute Nacht, und in seine Träume herein klang es wie Wachtelschlag: »Fürcht dich nit!« Viel schwerer war es Marie Berteles um das Herz. Das Leben brandete stark auf sie zu, und so tapfer sie sich gegen seine Wellen zu stellen versuchte, sie warfen sie doch zwischen Hoffen und Zagen hin und her. * * * * * Auch Heinrich Korn sehnte, wie das Mariele, die Heuernte herbei. Die Arbeit, die es jetzt zu tun gab, war zu unbedeutend für den Mann. Am Morgen vor Tau und Tag heraus, die Sense geschwungen, daß der Schweiß troff, in Sonnenglut das Heu gewendet, heimgefahren, es in die Scheune geschichtet, das war Arbeit, die den ganzen Menschen nahm. Es half alles Wehren nichts; acht Tage mußten noch ausgehalten werden. Viel zu viel Zeit zum Grübeln! Selbst das Pfeifen geht nicht recht. Kaum, daß sich der Mund spitzt, kommt so ein dummer Gedanke dazwischen: Herrgott, die Welt ist so schön und so weit, und da drunten ist es so finster und still und tückisch! Weg ist die Lust zum Pfeifen. Nur selten, daß sie stärker ist als die grauen Plagegeister. Und dann schallt es über den Hof, daß die Bäuerin vor sich hin lächelt: Du pudelnärrischer Mann, der noch immer nit mit sich zurechtkommen will. -- Sommerselig tändelt der Sonntag in das Dorf. Was soll man an solch langem Tage anfangen, wenn es einem in den Fäusten zuckt und im Herzen rumort, und man beides festhalten muß, Herz und Hand? Der Städter denkt, nun geht der Bauer durch das Feld, sieht die roten Mohnblumen und freut sich ihrer, vernimmt der lieben alten Erde leichtes Raunen und holt aus seines Wesens tiefsten Tiefen alles Gute heraus. Der Bauer lacht über des Städters Gedanken. Heinrich Korn schreitet an seinem Angeracker entlang. Das viele Unkraut! Alles ist wieder da, Kornblumen und Mohn und Winden und Wicken. Dunnerlichting, er hat doch keine schlechte Saat genommen, aber er muß ernsthaft daran gehen, die faulen Köpfe wieder einmal aufzurütteln. Das Dorf muß eine ordentliche Reinigungsanlage haben. Dabei sieht es auf seinen Feldern immer noch weit besser aus als auf den meisten andern. Dem Ender sein Hafer war ein richtiger Hedrichschlag und jetzt hat er den Brand im Weizen. Der Mann kann einem leid tun. Er ist ein Heimtücker, natürlich, und ein Griesgram ist er auch und im ganzen ein Mensch, der das Pulver niemals erfunden hätte, aber man muß ihn trotz allem eher bedauern, als daß man ihm ernstlich böse ist. Die Turmuhr schlägt, und die Schläge hallen über das Feld. Erst drei. Was soll man den langen Nachmittag noch machen? Ei, Hohlöfner, du hast doch sonst gewußt, was du mit deinen Sonntagen anfangen solltest. Heinrich Korn wendet sich, schreitet auf des Heimbergers Rain entlang, überquert die Viehtreibe und -- landet im Wirtshausgarten. Du liebe Zeit, wo soll ein Bauer am Sonntagnachmittag sonst landen, wenn er nicht etwa zu den Narren gehört, die Bücher lesen. Und dazu gehört der Hohlöfner nicht. Das ist Weibersache, wenn's denn durchaus sein muß, und er ist oft genug ärgerlich gewesen, daß der Rudolf die Nase in die Bücher steckte. Bauer und Bücher! »Daß ich nit lache,« denkt der Hohlöfner, als er das Zauntürle im Wirtshausgarten aufklinkt. Die Nachbarn sitzen unter der großen Kastanie, die Pfeifen brennen, und Widuwilds Vater unkt. Nach ihm kriegten sie eine schlechte Heuernte. Er könne sich auf seine Leichdörner verlassen. Auch Ender ist da. Er spürt, daß er alles aufwenden muß, nicht außerhalb der Nachbarschaft zu kommen. Darum nimmt er sich der Belange besonders an, die die ganze Gemeinde betreffen. Er ist Mitglied des Schulvorstandes, und da sind Dinge zur Sprache gekommen, die höchste Aufmerksamkeit erfordern, wenn Dummheiten verhütet werden sollen. Es brennt ihm richtig im Halse. Er muß seine Weisheit loswerden. Daß der Hohlöfner kommt, ist ihm nicht ganz nach der Mütze, aber in ~der~ Sache muß er ja unbedingt mit ihm gehen. Breit und behaglich setzt sich Heinrich Korn auf den Stuhl, streckt die Beine von sich und wischt sich den Schweiß. »Könnten einen Regen brauchen, aber nit zu lange.« »Kriegst bald Regen genug,« unkt Widuwilds Vater. »Deinen Leichdörnern glaub ich nit,« widerspricht der Hohlöfner lachend. »Die gehen mit dem hundertjährigen Kalender.« »Stimmt der etwa nit?« fragt der Seifert. »Ich hab's beabsolviert.« »Und?« fragt der Hohlöfner rasch. »Hm, ja, dies Jahr nit,« zuckt der Seifert zurück. Da fällt der Ender ein. Hätte er lieber den Mund gehalten. Nun macht er der Männerrunde den Hanswurst. Er hat eine blecherne Stimme, und die preßt er extra noch; denn er will weise sein und seine große, erschütternde Botschaft diplomatisch vorbereiten. »Nix stimmt mehr,« sagt er. »Ist heutzutage überhaupt eine ganz andre Welt.« »Hast recht,« nickt der Hohlöfner, und in seinen Augenwinkeln wird der Neckteufel lebendig. »Hast recht, Ender. Eine ganz verteixelte Welt.« »Nix mehr von Ruhe und Ordnung,« der Ender rückt sich auf seinem Stuhle zurecht. »Aber woher kommt das? Ich sage, das geht von der Schule aus. Da kriegen sie das mit, was sie unruhig macht. Ist das nötig, frag ich einen Menschen, daß die Kinder auf der ganzen Welt herumgejagt werden? Ich hab gut rechnen gekonnt, aber bloß bis zu den Brüchen.« »Da war's alle?« fiel der Hohlöfner ein. Eben brachte ihm sein besonderer Freund, der Wirt, ein volles Glas, trat hinter ihn, fuhr ihm mit der Hand in das dichte Wuschelhaar und zauste es. Der Griff war nicht zart und war eine Mahnung: Mach's nit gar zu arg. Heinrich Korn lachte. »Da war's alle,« keifte Ender in leichter Erregung. »Hab aber auch mein Lebtag die Brüche nit gebraucht. Was nützen dem Bauern die Brüche, wenn er keine gerade Furche ackern kann?« Dagegen war nicht viel zu sagen. Zwar, der Hohlöfner hätte auch das besser gewußt, aber er schwieg und verkniff nur den Mund. »Ist das erhört, wie die Kinder heutzutage sind?« fuhr Ender fort. »Wissen alles besser, fahren den Alten übers Maul -- -- --« »Wenn sie sich's gefallen lassen,« knurrte Korn, und Ender hatte doch gerade ihm wohltun wollen. Er war einen kleinen Augenblick verdutzt und setzte es dann hin, wie wenn er einen Trumpf auf den Tisch hiebe: »Kommen heutzutage schon ganz anders auf die Welt.« Jetzt konnte sich der Hohlöfner bei dem besten Willen nicht mehr halten. Alles, was recht ist, aber wenn einem der Mensch solche Gelegenheit zu einem Jux gibt, dann soll ein anderer den Mund halten, der Hohlöfner kann's nicht. Heinrich Korn klatschte sich mit der flachen Hand auf den Schenkel, daß es knallte, lachte in die Kastanie hinauf, daß die Blätter rauschten, neigte sich vor, sah dem Ender in das Gesicht. »Leute, Leute! Dunnerlichting! Jetzt muß ich mich aber dazuhalten, daß ich den Großvater noch erleb. Die Kinder kommen heutzutage schon ganz anders auf die Welt? Hahaha! Wie denn, Mensch? Wär's am Ende doch wahr mit dem Storch?« Selbst Widuwilds Vater nahm die Pfeife aus den Zahnstummeln und verzog den eingefallenen Mund zu einem Lächeln. Alles, was unter den siebzig war, lachte aus vollem Halse. Auch Ender lächelte. »So hatte ich das nit gemeint,« wehrte er sich. »Mußt halt alles verdrehen, zumal wenn ~ich~'s sage.« »Gar nit, Ender, aber, Dunnerlichting, wenn du es einem so an den Kopf schmeißt, da soll der Mensch nit auffangen? -- Nix für ungut. Prost.« Widuwilds Vater, der sich den Gummi von einer Bierflasche auf das Pfeifenmundstück gesteckt hatte, damit sie besser hielte, bohrte die Pfeife wieder in den zahnlosen Mund und paffte. »Im übrigen hat er recht, der Ender,« trotzte er gegen den Hohlöfner. »Ich dürfte nit Schulmeister sein, soviel sag ich. Der alte Kantor Heider hat jede Woche ein halb Dutzend Haselstöcke gebraucht. Ich war der Lieferant.« »Heute brauchen sie keine Haselstöcke mehr, heute brauchen sie eine Bibliothek und ein halbes Dutzend Karten und die ganze Wand voller Bilder,« trumpfte Ender auf. Er erzielte die Wirkung, die er erhofft. Die Bauern sahen ihn fragend an, und selbst der Hohlöfner schwieg. »Das ist der neueste Antrag,« dozierte Ender. »Gestern in der Schulvorstandssitzung ist er vorgebracht worden. Fünfundsiebzig Bücher auf einmal will der Kantor anschaffen.« »Jesses, Jesses,« stöhnte Adam Hercher, »das ist ja mehr, als eine Kuh in ihrem ganzen Leben fressen kann. Jesses, das ist ja wohl ein ganzer Schrank voll auf einmal.« Der Hohlöfner sah Ender ernsthaft fragend an. »Wenn das wahr ist, was du sagst -- -- --« »Ist wahr, so gewiß ich da hier auf dem Stuhle sitze,« belferte Ender. Korn hob beruhigend die Hand. »Koller doch nit immer gleich wie ein Truthahn, wenn er ein rotes Tuch sieht. -- Also, wenn das wahr ist, dann ist das nit mit den paar Worten abgemacht, die du gesagt hast, dann steckt mehr dahinter. Kantor Ritter ist keiner, der nit wüßte, was er macht, und nit wüßte, was er der Gemeinde zumuten kann.« »Wenn sie etwas verlangen, ist einer wie der andre,« keifte Hercher. »Red, Ender.« Der Hohlöfner beachtete Herchers Einwurf nicht. »Was ist da groß zu reden? Er hat uns einen Zettel auf den Tisch gelegt, auf dem er die Bücher angestrichen hatte, die er haben will.« »Und was sollen wir zahlen?« »Zahlen? Jedes Jahr sechs Mark.« »Aha. Und was sind das für Bücher?« »Geschichten halt.« »Bloß Geschichten?« »N--ein. Da waren auch andre drunter. Solche von den Kühen und Pferden und vom Düngen.« »Und wie war das mit den Karten?« »Eine neue von Deutschland.« Der Hohlöfner nickte. »An der alten ist nit mehr viel ganz.« »Und Europa.« Widuwilds Vater fuhr hoch. »Etwa auch von Frankreich?« Ender nickte. Da hieb Widuwild auf den Tisch. »Ist das nit das Geld zum Fenster hinausgeworfen? Ich frage einen Menschen: Ist das nötig? Ich bin Anno siebzig bis in Paris gewesen und hab das vorher nit einmal dem Namen nach gekannt.« »Außerdem,« holte Ender nach, »sollen wir ihm Krausen Edmund seinen Teich herrichten. Da sollen die Kinder im Sommer baden.« »Kreizdeibel,« brauste Hercher auf, »ist er denn verrückt geworden? Vom Baden wird der Mensch bloß krank auf der Brust. Ich hab mich mein Lebtag noch nit gebadet, aber ich bin auch nie krank gewesen.« »Und -- -- --,« Ender setzte abermals zum Sprechen an. »Noch mehr?« fragte Heinrich Korn gespannt. Ender nickte. »Und Bilder will er haben. Solche, wo der nackichte Mensch drauf ist und andere mit Vögeln und Krankheiten der Pflanzen, sagt er, und einer Eisengießerei und noch viel mehr. Die Steuern, Leute, die Steuern! Das kann die Gemeinde nit tragen.« Das war das Losungswort. Etliche der Bauern, voran der Hohlöfner und der Schmied, saßen nachdenklich auf ihren Plätzen. Die andern redeten durcheinander. Sie fuhren schweres Geschütz auf, und je gröber die Schläge wurden, um so mehr wetterleuchtete es in des Hohlöfners Gesicht. Er ließ den Sturm vorüberbrausen und schwieg, sooft sich auch einer fragend unmittelbar an ihn wandte. Der Sturm war verebbt. Heinrich Korn strich über den Tisch. »Ich komme eben von meinem Angeracker.« Sie sahen ihn verdutzt an. Was hatte der Angeracker mit Kantor Ritters Wünschen zu tun? »Ich komme eben vom Angeracker. Das alte Leiden. Hab keinen schlechten Samen genommen, aber er war doch wieder lange nit gut genug.« Die Gesichter wurden länger. Heinrich Korn sah sich in der Runde um. »Lange nit gut genug,« wiederholte er. »Die Ähren nit gleichmäßig, Wicken und Winden und blaue Blumen, im ganzen die Frucht nit stämmig genug. Wie bei mir, so ist's bei euch, Nachbarn, und ich bin gut dafür, daß wir auch wieder den Brand in den Weizen kriegen. Ist das eine Art? Nein, sage ich. Und das liegt nit am Acker, das liegt an uns. Wir wohnen zwar auf der Höhe, aber wir ~sind~ nit auf der Höhe. Die Zeiten sind vorbei, Nachbarn, daß der dümmste Bauer die größten Erdäpfel hatte. Mit der Dummheit ist kein Geschäft mehr zu machen, sonst,« der Hohlöfner hatte ein spöttisches Lächeln um den Mund, »wären meine Scheunen schon lange zu klein.« Wieder faßte ihn sein Freund, der Wirt, in den dichten Schopf. Korn schüttelte die Hand lachend ab. »Spaß beiseite, Nachbarn. Das muß anders werden. Heut übers Jahr haben wir eine Reinigungsanlage oder -- -- --« »Ich will dem ganzen Dorfe den Hanswurst machen,« fiel der Schmied anzüglich ein. »Dunnerlichting,« der Hohlöfner schlug sich auf den Mund, »um ein Haar hätte ich's gesagt, und ich hab mich doch verschworen, daß das nit wieder aus meinem Maule kommt. Aber so ist's, wenn man sich an etwas gewöhnt hat. -- Also: Wir müssen anders wirtschaften, und ich denke, jeder von uns wird mir recht geben. Das aber, Nachbarn, kann der ~dumme~ Bauer nit. So sehe ich das an, wenn Kantor Ritter dies und jenes haben will. Ist zuviel auf einmal. Das Baden streichen wir. Dafür bin ich auch nit. Und ein paar Karten werden sich auch herunterhandeln lassen, aber im ganzen hat er recht. So ein Bauernjunge kann gar nit genug lernen. Ich seh's an meinem Jungen.« Heinrich Korn holte zu dem großen Schlage aus, auf den er sich die ganze Zeit über vorbereitet. »Was er in jungen Jahren nit gelernt hat, muß er jetzt nachholen.« »Ja, du mein,« fragte der Büttner, »ist er denn auf Schulen?« »Ja, er ist auf Schulen,« antwortete der Hohlöfner mit so eindringlichem Ernste, daß er nur den Schmied nicht täuschte. Der lächelte vor sich hin. Das ärgerte Korn. »Brauchst nit zu lachen, Schmied. Es ist mir heiliger Ernst. -- Leute, worunter leiden wir denn alle miteinander? Darunter, sage ich, daß einer den anderen nit kennt. Wir die in der Stadt nit, die in der Stadt uns nit, der Hohe nit den Niederen, der Niedere nit den Hohen. Ist's so oder ist's nit so?« Er sah sich fragend in der Runde um. Die Bauern nickten ihm zu. »Dabei kommt nix weiter heraus, als daß einer den anderen schlecht macht. Der Städter tut, als wüchsen uns die fetten Schweine binnen Ja und Nein von selber zu, der Bauer, als brächte der Städter die Sonntagskluft überhaupt nit vom Leibe, der Arbeiter, als wüßte sein Herr nit, was Sorgen sind, der Herr, als habe der Arbeiter kein Herz nit im Leibe. -- Vater, hat mein Junge gesagt, -- es war letzte Himmelfahrt, ich weiß den Tag noch wie heute, denn so was vergißt man nit, -- Vater, ich muß einmal sehen, wie andere Leute zurechtkommen. Das ist kein Kunststück nit, dem Hohlöfner in Schönbach sein Einziger zu sein. Ich will mir das, was ich einmal erbe, verdienen. Ich habe den Jungen angesehen wie die Kuh das neue Tor. Bist du übergeschnappt? hab ich gefragt. Gar nit, spricht er. Was ich euch vorhin gesagt hab, das stammt nit von mir, Nachbarn. Das geht von meinem Jungen aus. Daß er immer ein Sinnierer war, das hab ich gewußt, aber das hab ich nit gewußt, daß er ~so~ weit dächte. Und ich konnt ihm nit unrecht geben, wie ihr mir nit unrecht gegeben habt. Lange genug habe ich mich dagegen gewehrt. Nun habe ich nachgegeben, weil dem Jungen sein ganzes Herz daran hing, und weil er recht hat. Da ist er in die Stadt gegangen. Zu Fuß, obwohl wir die Pferde im Stalle haben. Er hat's nit anders getan. Jetzt ist er in der Schule und in der richtigen. Er ist,« das ging dem Bauern schwer über die Zunge, »in der Grube.« Widuwilds Vater paffte stärker und schmatzte dabei lauter als sonst. Die anderen sahen verlegen nach den Seiten. War die Uneinigkeit zwischen Vater und Sohn um des Marieles willen so groß? Der Einzige vom Hohlofenhofe in der Grube? Heinrich Korn lächelte die Nachbarn mit dem ehrlichsten Biedermannsgesicht an. Das Schwerste war überstanden. »Ihr denkt, das ist der alte närrische Hohlöfner. Nein, Nachbarn, diesmal nit. Ich weiß, was ich mache, und mein Junge weiß es auch. Sechs, acht Wochen wird er in der Grube bleiben, vielleicht auch nit so lange, vielleicht länger, wie's trifft. Dann geht er in die Gießerei, wo sie unsere Maschinen machen, dann in die Fabrik, dann kommt er heim, und dann ist er einer, der sagen kann, mir braucht keiner was vorzumachen, ich bin die Schulen selber durch. -- So, Nachbarn, nun braucht sich keiner mehr den Kopf zu zerbrechen. Wir sind nit uneins auseinander gegangen. Ich stehe zu meinem Jungen, wie er zu seinem Vater steht. Aber das sage ich: Was er gemacht hat, das müßten eure Jungen auch machen. Das Dorf soll die Stadt bei ihrer Arbeit aufsuchen, die Stadt das Dorf bei seiner. So geht's vorwärts und anders nit. Alles, was ohne die Unterlage geredet wird, das wird in die Luft geredet und bringt uns auseinander, aber nit zusammen.« Das sprach der pudelnärrische Mann in ehrlicher, tief innerer Erregung. Sein Gesicht war überstrahlt von ernstem Wollen. Er glaubte an sich und seine Sache, hingerissen von den eigenen Gedanken, vergessend die Ursache. So riß er sie denn auch alle aus Zweifel und Unsicherheit empor. Sie dünkten sich klein ihm gegenüber, neideten ihm heimlich Lebensklugheit und Großzügigkeit und duckten sich, als er es wie Hagelschauer über die Köpfe prasseln ließ: »Denkt mancher, er kennt die Welt, weil er seine Ochsen nach Schleiz zum Wiesenmarkt getrieben hat, und sieht doch ewig nit über seinen Misthaufen hinaus. Dabei fängt die Welt erst an, wo er denkt, sie hört auf. Macht's nach, Nachbarn, und ihr sollt sehen, was nach uns für Kerle kommen.« »Man weiß wahrlich nit, was man sagen soll,« bemerkte der Schmied, der als einziger noch nicht ganz mit seinen Zweifeln fertig wurde. Die harmlose Plauderei und Neckerei war vorüber, langsam schob einer nach dem andern seinen Stuhl unter den Tisch und ging heim. Der Schmied schloß sich dem Hohlöfner an. »Heinrich,« sagte er draußen, »man weiß bei dir niemals nit, wie man dran ist. Ich kenne dich, aber heute -- -- -- Ist das wirklich wahr, was du da gesagt hast, oder -- -- --« Heinrich Korn sah ihm ernst in das Gesicht. »Das ist wirklich wahr. Das soll mein Junge.« Er brachte es vor des Meisters ehrlichen Augen doch nicht fertig, zu sagen: Das ~will~ er. Der Schmied aber machte den feinen Unterschied nicht. Er reichte dem Manne, den er nachbarlich liebhatte und auf den er heimlich stolz war, die Hand. »Heinrich, dann sage ich: Alle Achtung vor euch beiden, vor dir und deinem Rudolf. Und -- jetzt sei vernünftig und bring das andere auch in Ordnung.« Der Ausdruck der Achtung aus so wortkargem Munde hatte Heinrich Korn belastet, die freundschaftliche Mahnung, die er durchaus verstand, befreite den alten Hohlöfner in ihm. Schelmisch zwinkernd, fragte er: »Das -- andere? Etwa mit -- -- --« »Stell dich nit so dumm,« brauste der Schmied auf. »Natürlich mit dem Mariele.« »Ach so. Ja, hm. Von mir aus -- -- --« Korn zuckte die Achseln. »Himmel, Herrgott, sei nit so ein Bock! Weißt du denn immer noch nit, was du an deinem Jungen hast?« »Das weiß ich. Und auch was ich an dem Mädel hätte, weiß ich, aber die fünftausend Taler muß sie mitbringen. Anders nit.« »Dann gib sie ihr doch, wenn du gar so verbohrt bist.« »Damit ihr mich auslachen könnt?« »Hansnarr, es lacht dich keiner aus.« »Das weiß ich besser.« »Nix weißt du. Das sage ich dir, wenn -- -- -- Quatsch, ich sag nix. Aus ist's zwischen uns, wenn -- -- --« Und der Hohlöfner mit dem alten, an ihm gewohnten übermütigen Gesicht: »Darüber reden wir noch einmal. Leb wohl, Nachbar.« Er ging heim, belastet und befreit zugleich. Es war ausgestanden. Was vorhin im Wirtshausgarten geredet worden, wurde jetzt bereits in dem und jenem Hause erörtert und war morgen durch das ganze Dorf gewandert. Damit konnte der Hohlöfner zufrieden sein. Es würde mancher und manche den Kopf schütteln, aber sie würden sich alle langsam an den Gedanken gewöhnen, daß hier eine ungewöhnliche Großzügigkeit vorliege, die sie zwar nicht nachahmen würden, die sie aber achten mußten. Und das war es, das den Mann belastete. Man würde ihm Achtung entgegenbringen, die er nicht verdiente. Aber auch das wäre noch nicht weiter schlimm, wäre die Sache nicht an sich so bitter ernst. Er hat das bis jetzt nachgeplappert, was seine Frau herausgefunden hat. Lehrzeit! Er beginnt nun zu erkennen, daß das etwas ganz Großes, Ernstes, Zukunftweisendes ist. Damit wächst ihm die Geschichte über den Kopf, gleitet ihm aus der Hand, läßt seinen Sohn wachsen und drückt ihn hinab in das, an dem Großen gemessen, unbedeutende Dasein des Hohlofenbauers in Schönbach. So hat er sich das nicht gerade gedacht, hat es gar nicht dahin kommen lassen wollen und muß nun beiseitestehen und zusehen, wo das alles noch hinausläuft. Dunnerlichting, er muß machen, daß das Mariele zu seinen fünftausend Talern kommt. Aber -- wenn der Rudolf nun etwa die Sache selber so ansehen gelernt, wie er sie den Nachbarn dargestellt hat, wenn er sagt: Vater, nun ~will~ ich nicht heim? Pah, wenn man erst sagen kann: In vier Wochen wird geheiratet, dann tritt dahinter alles zurück; denn -- das Mariele und nicht heute lieber heiraten wollen als morgen? Aber die fünftausend Taler! Hätte er wenigstens nur dreitausend gesagt! Zeit lassen. Warum soll nicht auch einmal etwas Gutes unvorhergesehen kommen? Übrigens: Von morgen ab wird gespart. Er hat seine Pläne. Die jagen das Grübeln davon, Heinrich Korn beginnt leise zu pfeifen, kommt an seinen Hof, sieht seine Frau und das Mariele auf der Gartenbank sitzen, schleicht sich von hinten heran, als beschliche er einen Rehbock, steht hinter den zweien, hört, wie das Mariele sagt: »Wenn er erst wieder einmal zupft, dann will ich glauben, daß er nit mehr böse ist,« zupft das Mädchen herzhaft an den Zöpfen und ruft es der Erschrockenen, indes es in seinem Gesicht wetterleuchtet, zu: »Zupft schon wieder, aber böse ist er deswegen doch noch.« Das Mariele aber hat sich rasch gefaßt. »Aber ich glaube nit mehr dran,« ist ihre Antwort. »Halt's, wie du willst,« entgegnete der Bauer, sieht zornig aus und setzt sich dicht neben die beiden auf die Bank. Sie hatten ein ernstes Gespräch gehabt, die zwei Frauen. Marie Berteles hatte der Hohlöfnerin von dem Abend erzählt, da sie die erste Wachtel gehört. Die Frau hatte eine Träne im Augenwinkel zerdrückt und des Mädchens Hand gestreichelt. »Mariele, tu ihm zugute, was du kannst. Damit nimmst du dem Rudolf nix. Der arme Mensch aber verdient, daß ihm das Leben noch ein bissel gut ist.« »Habt Ihr gewußt, daß es so mit ihm stand?« »Gewußt nit, geahnt ja. -- Bei guter Zeit fahre ich einmal in die Stadt, und dann will ich's dem Rudolf sagen. Schreiben kann man das nit. Wenn man so was erzählt, muß man sich dabei in die Augen sehen können.« Von dem Abend auf dem Feldraine war das Gespräch über Rudolf hinweg zum Vater gegangen, und dazu war der Hohlöfner gerade gekommen. Der saß da, hatte sich eine Pfeife gestopft, rauchte, stützte die Ellenbogen auf die Knie, hing ein wenig vornüber und nickte vor sich hin. »So ist's richtig. Wenn der Alte nit da ist, wird über ihn geredet.« »Lauter Schlechtes,« wußte seine Frau. »Brauchst du mir nit erst zu sagen, bin ich gewohnt.« »Dann bleibst du ja in der Schnur. -- Hör auf mit den Dummheiten, Vater. Das Mariele will uns in der Heuernte helfen.« »Ist auch nit mehr als recht und billig.« »Wann willst du denn anfangen?« »Am Donnerstag mit der Bodenwiese.« »Wirst du bis dahin mit eurem fertig sein können, Mariele?« wandte sich die Bäuerin an das Mädchen. »Was nit fertig ist, bringt die Mutter zu Ende.« »Dann ist's gut.« »Donnerstag früh um zwei wird angefangen zu hauen,« knurrte der Hohlöfner von unten herauf. »Wen willst denn da hauen?« fragte das Mädchen lachend. »Die Bodenwiese doch nit etwa? Da wird's erst fünf Minuten vor vier Tag.« Da mußte auch der Hohlöfner lachen. »Auf die Minute genau?« »Auf die Minute. Nit eine früher und nit eine später.« »Gut, dann fangen wir um vier an.« »Ich werde auf dem Platze sein. -- Gute Nacht.« Das Mariele reichte den beiden, die sich mit ihr erhoben hatten, die Hand und schritt aus dem Garten über den Hof. Minna Korn schob ihren Arm in den des Mannes. Sie gingen hinter dem Mädchen drein. Die Bäuerin drückte des Mannes Arm fest an sich. »Vater, guck bloß ~die~ Zöpfe!« »Die sind ja eben das Unglück.« »Red nit so daher! Das ganze Mädel ist wie seine Zöpfe. Wenn sie nur erst auf dem Hofe wäre!« »Hab gar kein Verlangen danach, ins Ausgedinge zu ziehen.« »Du bist der richtige für das Ausgedinge, alter Brummbär.« 6. Rudolf Korn erwachte. Eine Amsel, die in der Ulme vor dem Fenster saß, hatte ihn geweckt. Betäubt von den rasch aufeinander folgenden Ereignissen, war er am Abend todmüde gewesen. Er wußte nur, daß er eben noch an das Mariele gedacht und eine dumpfe Empfindung der Ungeheuerlichkeiten gehabt, die er erlebt. Im übrigen hatte er sich nicht einmal in seiner Kammer umgesehen. Nun pfiff der Amselhahn, und vor den Fenstern stand die Sonne. Es war noch still im Hause, und auch von der Straße her kam kein lauter Ton. Auf welcher Seite war eigentlich die Straße? Rudolf Korn stand auf und sah zum Fenster hinaus. Er blickte in einen weiten Garten mit hohen Silbertannen und langnadeligen Kiefern. Eine Blutbuche stand inmitten eines weiten Rasenplans, Ulmen umdrängten das Haus, auf Rosenbeeten waren bunte Farben vertropft. Rudolf sah nach der Uhr. Es war kurz nach vier. Er hatte ausgeschlafen und hätte selbst, wäre er noch müde gewesen, nicht wieder einzuschlafen vermocht. Die Gedanken drängten in dichten Schwärmen heran, aber es war kein Heimgedenken. Auch das Mariele tauchte nicht vor ihm auf. Er setzte sich auf den Bettrand, legte die Hände ineinander und starrte vor sich hin. Der Blick ging den langen, dunklen Stollen entlang und stieß sich an dem Kohlenhaufen, aus dem die tote Hand ragte. Die Finger waren einwärts gekrümmt, die Nägel gruben sich in das Fleisch. Eine tiefe, rissige Falte sprang dem Grübelnden in die Stirn. Aus schmerzverkrampftem Herzen schleuderte er zum erstenmal in seinem Leben ein: Warum? und: Wozu? gegen den Himmel. Der ganze Bau seiner Jugend- und Mannesjahre wankte. Die Bitternis, unter der er von daheim gegangen war, ward mit einem Male herzlich unbedeutend. Was war der Rutenstreich gegen den Keulenhieb des Schicksals? Lichtes Glück in den Augen, war der Freund am Morgen lachend aus der Haustür getreten. Das war noch keine vierundzwanzig Stunden her. Er hatte von seinem Mädchen geplaudert und hatte beide, Mutter ~und~ Kind, gemeint. Vielleicht, daß er des Weibes warme, weiche Arme noch um seinen Hals gespürt. Er hatte mit versonnenem Lächeln die eigene Wange gestreichelt. Und der tote, schwarze Stein hatte ihn erschlagen! Rudolf war auch an den Sonntagen bei dem Freunde gewesen. Sie waren alle miteinander hinaus vor die Stadt spaziert. Da standen die kleinen Häuser mit den bescheidenen Gärten. Und jedes dünkte den sehnenden Mann ein Paradies. Er hatte stets gelobt, wenn er auch vor dem und jenem gesagt: »Den Garten mache ich mir anders. Das muß viel bunter sein. Ich mag die Zirkelei nicht leiden.« Der Mann kam von einem Bauerngeschlecht her, und wenn auch der Hof selber im Dämmergrau der Vergangenheit versank, das Blut nährte sich noch immer aus der Erde und wollte zur Erde zurück. So war er im tiefsten Innern ein Bauer, der heim zur Scholle wollte. Und alles, das tiefe Sehnen, das lichte Freuen, ja, die heilige Stimme des Blutes, hatte der Stein zerschlagen, der tote, schwarze Stein, in dem doch ein brennender Haß gegen die geisterte, die ihn aus den Jahrmillionen der Versunkenheit und Stille in das Licht zerrten. ~Der Stein~ haßte? Eine Macht nahm den Stein und warf ihn herab. Dieselbe Macht, die ihn mit dem kleinen Finger, ja, mit dem Blick ihres Auges hätte festhalten können, die ein Warnungszeichen hätte geben können. Warum ist nicht ein Knirschen durch den Stein gegangen? Warum hing er nicht noch eine Minute? Die einzige Minute, die ausgereicht hätte, das von Hoffen und Freuen, von Treue und Liebe schier berstende Herz vor dem Keulenhiebe, der es zerschmetterte, zu bewahren. Und die Macht hieß: Gott?! Ein schrilles Lachen gellte durch das Zimmer und prallte an der Sonne ab, die durch das Fenster brach. Gott, Heimat, Liebe -- Lüge! Lüge! Wirklichkeit nur das Schicksal, der Zufall, der heute einen Stein nimmt, sich morgen eines Paares durchgehender Pferde bedient, übermorgen den Blitzstrahl schleudert? Rudolf Korn war mit einem Schlage daheim, und er kroch in sich zusammen. Da liegt die blühende Bodenwiese, und -- sie streiten sich um eine Erle! Da schreitet das Mariele mit seinen langen Zöpfen, und sie soll fünftausend Taler mitbringen, weil der Vater nicht dem Dorfe den Hansnarren abgeben will! Und da -- steht die Mutter, breit, gütig, lächelnd und hebt den Finger: Nit, Rudolf, nit! Du hast recht, Mutter. Es gibt anderes als einen lumpigen Rutenstreich, und das weiß der Grübelnde, daß auch der Vater nur -- Werkzeug ist. Einer, in dem das Jünglinghafte trotz allem überwog, war vor einigen Wochen in die Stadt gewandert, ein Mann erhob sich von der harten Bettkante. Ernst, gemessen in jeder Bewegung, das Leben nicht verneinend, aber es mit anderem Maße als gestern messend, stieg Rudolf Korn die Treppe hinab, die Pferde zu füttern. Im Hausflur kam ein junges Mädchen trippelnd aus der Küche, hatte blanke Augen und einen frischen, roten Mund, und das weiße Häubchen stand ihm gut zu dem dunklen Haar. »Guten Morgen,« grüßte sie. »Haben Sie gut geschlafen?« »Ja. Ich bin nit einmal aufgewacht.« »Haben Sie auch geträumt?« »Nein. Gar nix.« »Das ist das beste. -- Wie muß man Sie denn nennen? Der vorige Kutscher hieß Johann.« »Ich heiße Korn, Rudolf Korn.« »Rudolf klingt gut. -- Wissen Sie Bescheid im Stalle? -- Warten Sie, ich zeige es Ihnen.« Sie schritt plaudernd neben ihm her, erzählte, daß der vorige Kutscher schon lange verdient gehabt hätte, weggejagt zu werden; denn er sei nicht nur unzuverlässig gewesen, sondern hätte auch heimlich Hafer verkauft. Sie wisse es ganz genau. Und dann sei er immer gleich so aufdringlich gewesen. »Ich werde nit aufdringlich sein,« sagte Rudolf Korn lächelnd. »Das sieht man Ihnen an,« lobte das Mädchen. Dabei hantierte sie mit flinken Fingern da und dort, wies dies, wies jenes. »So, nun wissen Sie alles, aber Sie brauchen nicht wieder so früh aufzustehen. Vor neun fährt der Herr nicht zur Bank.« »Ich bin nit gewohnt, lange zu schlafen. Und ist denn da weiter nix zu tun, als den Herrn oder die Frau auszufahren?« »Viel mehr nicht. Wenigstens ist das die Hauptsache.« Das Mädchen begann zu kichern. »Ich höre Sie so gern reden. Sie sagen immer nit und nix.« »Das bin ich halt so gewohnt.« »Ich würde es mir auch nicht abgewöhnen.« »Tu ich auch nit.« Das Mädchen kehrte in das Haus zurück. Rudolf versorgte die Pferde. Gegen ein halb neun ließ ihn der Herr rufen. Er saß in seinem reich ausgestatteten Arbeitszimmer vor dem Schreibtisch. Ihm zur Seite saß seine Frau. Als Rudolf eintrat, erhob sich die Frau, ging ihm einen Schritt entgegen und reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen noch einmal herzlich.« »Da ist nix zu danken,« wehrte Rudolf ab. »Ich hätte nur gleich fester zufassen sollen, dann hätten die Pferde eher gestanden, aber ich war noch nit recht bei mir.« Das Wort fing der Hausherr auf. »Sie sind eigentlich Bergmann?« »Das war ich bis gestern. Als ich die Pferde aufhielt, war ich's schon nit mehr.« »Sie hatten Schicht gemacht?« Da erzählte Rudolf mit ein paar kurzen Worten, was er erlebt. Es berührte den Herrn wenig. »Das kommt leider immer wieder einmal vor. In dem Falle ist ja aber der Mann selber schuld gewesen. -- Im übrigen paßt es ganz gut. Sie haben zurzeit keinen anderen Posten. Wenn Sie wollen, können Sie bei mir bleiben. Es wird nicht viel von Ihnen verlangt, aber ich brauche einen unbedingt zuverlässigen Mann. Wie heißen Sie eigentlich?« »Rudolf Korn.« »Aus?« »Aus Schönbach.« »Kenne ich nicht. Ihre Papiere können Sie mir gelegentlich vorlegen. Sie gehen am besten gleich nachher einmal nach der Bank und fragen nach Herrn Siebold. Der wird Ihnen alles weitere sagen. Ich bin gewohnt, meinen Kutscher Johann zu rufen.« »Ich heiße Rudolf.« »Der andere hieß Anton. Bei mir heißen Sie Johann.« Der Mann zog die Uhr. »In zwanzig Minuten fahre ich zur Bank.« Es lag eine nervöse Hast über allem, was der Mann tat und sagte. Er war wohl kaum über die Vierzig hinaus, aber das Gesicht war tief gefurcht, die Mundwinkel zuckten unaufhörlich, und die Augen irrten unruhig hin und her. Selbst die Hände vermochte er nicht einen Augenblick stillzuhalten. Die Augen funkelten unter einem Klemmer mit starken Gläsern, und hastige Finger fuhren unter den Gläsern weg bald über das rechte, bald über das linke Auge. Es hatte Rudolf auf den Lippen gelegen, zu erklären, daß er den ihm angebotenen Posten nicht annehmen könne, aber ein Blick auf die Frau hatte ihn still gemacht. Auch ihr Antlitz war älter, als es die Jahre rechtfertigen konnten. Sie sah geradezu verhärmt aus. Als Rudolf aus dem Zimmer trat, fing ihn das junge Hausmädchen wieder ab. »Wie gefällt Ihnen der Herr?« »Da kann ich noch gar nix sagen.« »Pst, nicht so laut! Sie dürfen sich nicht verblüffen lassen. Er hat seinen Kopf voll.« »Das kann man sich denken, aber -- -- --« »Wissen Sie,« sie drängte sich dichter an ihn, »er hat seine Sorgen. Es steht faul mit der Bank. Der alte Herr soll helfen, der Vater der Frau, aber der tut's nicht mehr. Oh, Sie müßten manchmal hören, wie das zugeht. -- Aber um Gottes willen kein Wort! Ja nicht! Die Frau ist gut, seelengut. Die macht alles wieder glatt. Für den Herrn sind wir alle bloß Nummern, aber er tut uns doch auch leid. Der Alte könnte ruhig noch was herausrücken.« Sie sprang davon, wandte sich um und legte den Finger warnend auf den Mund. Eine reichliche Stunde später war Rudolf wieder zurück und brachte die Pferde in den Stall. Da ließ ihn Frau Werner rufen und empfing ihn in ihrem eigenen Zimmer. In einer Ecke spielten zwei Kinder, ein Junge von etwa fünf und ein Mädchen von drei Jahren. »Bitte, setzen Sie sich,« bat die Hausfrau. Sie rief die Kinder heran. »Das ist unser Ludwig und das unsere Ursula. Nun gebt mal dem Herrn die Hand und sagt: Danke.« Der Junge legte die weiche Kinderhand in Rudolfs breite Rechte, machte seinen Diener: »Danke,« und ging wieder in seine Spielecke. Das Mädelchen sah aus wie ein hergewehtes Schneeflöckchen. »Danke ssön.« Die Hand mußte Rudolf festhalten, die allerliebste runde Kinderhand. Blaue Augen sahen vertrauend zu ihm auf. »Du bist ein Mann?« »Ich bin ein Mann, aber kein großer.« »Is bin droß.« »Freilich, du bist groß, Urselchen. Nun geh wieder zu deinen Puppen. -- Sie wird Ihnen noch oft genug lästig werden, der kleine Irrwisch,« sagte Frau Werner freundlich. »Das wird sie nit,« erklärte Rudolf. »Ich mag Kinder gern.« »Um so besser. -- Sagen Sie, Sie sind doch nicht immer Bergmann gewesen?« Eine kleine halbe Stunde später hatte die kluge, warmherzige Frau einen tiefen Blick in das Herz getan, das sich ihr nicht verschloß, sondern gern öffnete. Sie reichte Rudolf die Hand. »Wenn die Sache so liegt, dann werden Sie wahrscheinlich nicht lange bei uns bleiben. Ich werde mit meinem Manne reden. Der -- Johann -- soll Ihnen erspart bleiben.« Sie seufzte. »Ach ja, das Leben! Es wird keinem leicht, damit fertig zu werden. Glauben Sie das nur. Jeder muß seinen Tribut zahlen. -- Nun wollen Sie sich gewiß einmal nach der Witwe Ihres Freundes umsehen. Gehen Sie nur. Ich fahre heute nicht aus. Mein Mann bleibt über Mittag in der Stadt. Er muß um fünf abgeholt werden. Bis dahin haben Sie Zeit. Den Pferden gibt Marie inzwischen noch einmal Futter. Sie hat das schon öfter gemacht. Im übrigen, Rudolf, wenn Sie etwas haben, kommen Sie zu mir. Unsere Herren stecken so tief in ihren Geschäften, es hängt oft so viel von einem Entschluß ab, daß sie mehr als genug mit sich selber zu tun haben. Sie dürfen darin keinen Mangel an Mitgefühl sehen.« Frau Werner reichte ihm erneut die Hand. »Ich will hoffen, daß es Ihnen, solange Sie bei uns bleiben, wenigstens gefällt. Und nun gehen Sie zur Bank und bringen Sie Ihre Sache in Ordnung, dann suchen Sie die arme Frau auf.« Der Buchhalter Siebold teilte Rudolf Korn mit, daß er von seinem Herrn beauftragt sei, ihm für sein gestriges rasches Zugreifen fünfzig Mark auszuzahlen. In dem Sohne des Hohlöfners wollte sich der Geist des Vaters regen. Er biß die Zähne zusammen. Es ist für das Mariele! Der Buchhalter sah das Zögern und lächelte. Kurz darauf schritt Rudolf durch die Straßen. Frieders wohnten in einem der hohen Mietshäuser. Langsam stieg der Besucher die Treppen hinauf. Grete Frieders öffnete ihm und hatte ihr Mädelchen auf dem Arm. Ihre Augen waren tief zurückgesunken, die Backenknochen traten stärker als sonst aus dem schmalen Gesicht. Und doch fiel es Rudolf Korn im ersten Augenblick auf, wie zusammengerafft die Frau war. Nicht ein Härchen lag außer der Reihe. Sie reichte dem Freunde ihres Mannes die Hand. »Guten Tag, Rudolf. Kommen Sie herein. Ich habe schon gestern auf Sie gewartet.« »Da konnte ich nit kommen.« Grete Frieders ging vor ihm her und sagte im Schreiten: »Das glaube ich gern. Sie mußten auch erst wieder zu sich selber kommen. -- So, bitte, setzen Sie sich.« Nun saßen sie einander gegenüber und sahen sich in das Gesicht. Die Frau hatte keine Träne, und doch waren die Wasser nicht eingefroren. Still vor sich hinnickend, sprach sie: »Wir zwei waren zu glücklich. Wissen Sie, so was hat selten Bestand. -- Hat er eigentlich gar nichts geahnt?« »Nein. Er kam ja mit lachendem Gesicht aus dem Hause.« »Freilich, freilich.« Die Frau lief rot an. »Ja, er ging mit Lachen fort, aber ich habe doch so eine Angst gehabt. -- Es hat keinen Zweck, darüber zu reden. Bleiben Sie nun eigentlich in der Grube?« »Ich bin schon nit mehr da. Das hätte ich nit fertiggebracht, noch einmal den Stollen langzugehen.« »Wie lag der arme Mann eigentlich da?« Sollte Rudolf Korn die Wahrheit sagen? Die junge Frau sah sein Zögern. »Lieber Rudolf, Sie können mir alles sagen. Ich habe ja genug gesehen. War er eigentlich ganz verschüttet?« »Bis auf den Kopf und die rechte Hand.« Es zuckte krampfhaft in des Weibes Gesicht. Sie erhob sich, nahm ihr Kindchen, das derweile hin und her getrippelt war, auf den Arm, küßte es und stellte es wieder auf seine Füße. Rudolf Korn grübelte an der Frau herum. Wie ist das denkbar, daß sie nicht weint? Andere würden doch den Kopf auf den Tisch schlagen und laut aufheulen, und sie hat keine Träne. Wenn ich nicht wüßte, wie gut sie miteinander ausgekommen sind, wunderte ich mich nicht, aber sie sagt ja selber, daß sie glücklich waren. Grete Frieders trat an das braune Vertiko und nahm ihres Mannes Bild, das dort im Rahmen aufgestellt war, in die Hand. Sie schien nicht recht zu wissen, was sie tat, wischte über das Glas, sah darauf nieder, stellte das Bild zurück und fuhr mit dem kleinen Finger in den Augenwinkel. Es sah aus, als wäre sie unwillig über sich selber. Das Haupt zurückwerfend, setzte sie sich wieder dem Gaste gegenüber. »Er hat sehr viel auf Sie gehalten, Rudolf. Unter den anderen hat er wohl kaum einen besonderen Freund gehabt, obwohl sie ihn alle gern hatten. -- Sagen Sie,« sie blickte ihn aufmerksam an, »Sie sind nicht mehr in der Grube? Ich dächte, Sie hätten vorhin so etwas gesagt.« Rudolf erzählte, Grete Frieders hörte scheinbar aufmerksam zu, aber es geschah, daß sie jetzt an ihm vorübersah, so daß er wußte, sie hört mich nicht, dann ihn fragte: »Wie war das doch?«, dann mit dem Kopf nickte, ohne daß eine Ursache dazu gewesen wäre. Und aus den kleinen Zügen, aus der blitzenden Stube, aus dem sorgfältig gestrählten Haar und den tiefen Augen, die an sich selber herumirrten und sich gegen das Vereisen wehrten, wuchs vor dem Schönbacher Bauern ein Bild, vor dem er sich innerlich neigen mußte. »Rudolf,« bat die Frau, als er geendet hatte, »nicht wahr, Sie erzählen mir das später noch einmal. -- Das ist alles so sonderbar. Ich weiß gar nicht, ich komme noch nicht zurecht damit. Sie werden sozusagen aus der Grube herausgeschleudert durch den Tod meines Mannes. Ich weiß gar nicht -- -- -- Ach, man weiß ja überhaupt nichts.« Sie richtete ihre braunen Augen groß und voll auf Rudolfs Gesicht. »Rudolf, Sie sollten sich nicht zu lange hier aufhalten. Man kann später nicht nachholen. Richard wollte durchaus ein Jahr eher heiraten, aber ich bestand darauf, daß ich erst mein Zeug alles zusammenhaben müsse. So sind wir ein Jahr weniger beieinander gewesen. -- Sie kommen doch morgen mit auf den Friedhof? Die Beerdigung ist um drei.« Und das alles sagte die Frau mit ruhiger Stimme, aber es war so erschütternd in seinen Untertönen, daß es den Mann im Halse würgte, daß das Mitleid hundertmal gewaltiger heraufbrach, als wenn die Frau laut aufgejammert und geweint hätte, daß seine Stimme rauh ward und sein Mund zuckte. »Grete, wie wird das nun mit Ihnen?« »Ach, das geht alles weiter. Ich behalte vorläufig auch unsere kleine Wohnung. Bis ins einzelne kann ich Ihnen das natürlich nicht sagen, aber ich komme schon durch mit meinem Kinde, soweit es sich um Essen und Trinken dreht. Sehen Sie,« sie langte zur Seite nach einem Brief, »da haben meine guten Günthers geschrieben, ich möchte sofort wieder hinkommen und auch unser Kind mitbringen. -- Ach, Sie wissen da gar nichts? Das wundert mich, daß Richard nicht davon gesprochen hat. Ich war, bis wir heirateten, bei Günthers in der Henkelstraße. Da war ich eigentlich alles, Tochter, Hausmädchen, Verkäuferin. Sie haben das Weißwarengeschäft. Wie hätte ich denn sonst eine solche Einrichtung zusammenbringen können, wenn mir die guten Leute nicht geholfen hätten? Daß Richard etwas kaufte, habe ich nicht gelitten. Von der Stunde an, in der er mir von dem Häuschen gesagt, wäre es ja unverantwortlich gewesen, wenn ich etwas von ihm verlangt hätte. Ach ja, das Häuschen! Übrigens, Rudolf, den Gedanken gebe ich nicht auf. Nein, das übernehme ich als meines Mannes Erbe. Nur: Unser Mädelchen wird derweile groß werden. Was schadet's? Ich bin auch ohne Garten aufgewachsen. Aber dem Kinde will ich einmal sagen können: Das hat dein Vater für dich gewollt.« Und über allem, was die Frau schlicht und still daherredete, standen die großen braunen Augen wie offene Tore, durch die man in einen Garten mit tiefen, dunklen Gängen sieht. Rudolf Korn erfaßte vorerst nur ahnend des Weibes Tiefe, aber ~ein~ Gedanke formte sich ihm von selber. »Sie sind doch aus der Stadt, Grete?« Frau Grete verstand die Beziehungen nicht. Sie nickte. »Ja, ich bin hier geboren. Mutter lebt noch.« Rudolf Korn erhob sich. »Ich kann Ihnen also mit gar nix helfen?« »Nein, Rudolf, mit gar nichts. Was ich brauche, haben Sie mir gebracht. Ich brauchte Herz.« Dabei fügte es sich, daß die zwei vor dem kleinen Bücherbrett an der Wand standen. Rudolf Korn blickte gedankenlos auf die goldbedruckten Bücherrücken. Frau Grete aber deutete den Blick als ein Suchen, griff hinüber, zog eines der Bücher heraus. »Das mochte Richard am liebsten. Er hat es wohl zehnmal gelesen.« Es war die Heiteretei von Otto Ludwig. Frau Grete neigte sich dem Freunde ein wenig entgegen, und ihre Stimme ward noch tiefer und dunkler. »Wissen Sie, Rudolf, wenn Richard am Leben geblieben wäre, dann hätte ihm auch das Häuschen draußen im Grünen nicht ganz genügt. Ich habe lange nicht gewußt, was es war, das mich aus dem Manne heraus manchmal groß ansah. Seit ich ihn mit Ihnen zusammen reden hörte, weiß ich's. Sein Großvater war Bauer, sein Onkel ist's noch. Er war's auch. Das stirbt nicht so rasch. Haben Sie schönen Dank für den Besuch, Rudolf, und, wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, dann kommen Sie manchmal wieder. Dann werden wir auch über manches reden können, womit ich heute noch nicht fertig bin.« Und wieder kam eine stille Sommernacht, aber sie glich nicht der Schwester, die gestern über die Erde gegangen war. Aus ihres Mantels Falten sank dem Schönbacher Bauern nicht der Schlaf. Rudolf Korn versuchte, von seinem Grübeln loszukommen, indem er an das Mariele dachte, aber es war, als schwebe die lichte Mädchengestalt irgendwo in der Ferne, ihm gewiß, ja, der Weg jedoch, der zu ihr führte, wand sich um lauter Felsblöcke. Es war still, ach, so still wie daheim zwischen den Feldern und Wiesen, und doch brauste draußen das Leben in breitem Strome. Wenn der Grübelnde jetzt aufstand und nur etliche Straßen weit ging, dann war er mitten im Wogen. Kapellen spielten in den Gärten, Bogenlampen brannten, die Elektrischen bimmelten, die Autos huschten hin und her. Das war die Stadt! Und -- draußen, fünfhundert Meter unter der Erde, klangen die Fäustel, knirschte der Stein, klirrten die Schienen, ging der Tod um. In der stillen Stube aber saß eine Frau, hatte ihr Mädelchen zu Bett gebracht, würde morgen ihren Mann begraben. Sie hatte keine Träne, weil -- die heiße inwendige Glut sie alle aufsog? Nein, weil sie tapfer war, tapferer, als man billigerweise von einem Menschen verlangen durfte. Wie sie das Erbe antrat! -- Und morgen schritten ihrer wieder etliche Tausend an ihre Arbeitsstätten, sagten dem Tage Lebewohl und murrten nicht, wenn sie sich mit der Sonne Abendgrüßen zufriedengeben mußten. Sie hatten alle irgendwo eine stille Wunschecke. Tapfere Menschen, die mit den Brosamen zufrieden waren, die von der Herren Tische fielen. Wer waren die Herren? Drunten fiel aus einem Zimmer breiter Lichtschein hinaus in den Garten. Eine Kiefer mit silberglänzenden Nadeln stand wie ein Christbaum mitten im Lichtkegel. Er kam aus Bankier Werners Arbeitszimmer. Der schien einer von denen zu sein, die an des Lebens vollen Schüsseln sitzen. Und sein Gesicht war zerknittert und zerfurcht, der Mann konnte kein Glied stillhalten, das Leben, dem er die Sporen zu geben schien, peitschte ihn selber. Ein breiter Giebel blickte drüben durch die Bäume. Das Hausmädchen hatte Rudolf auf seine Frage gesagt, das sei das Krankenhaus St. Michael. Darin gehe es zu wie im Bienenstock. Ein dauerndes Kommen und Gehen. Auch das war die Stadt, aber wer fremd von draußen kam, sah dies Gesicht nicht. Stadt, Leben, Schicksal, -- -- Gott! Lauter Kreise, die ineinander wogen, sich niemals lösen, sich immer tiefer verwirren. Und davor ein Mensch, der mit der Faust Felsen zertrümmern möchte! -- -- Rudolf Korn schlief ein, schritt im Traume über den Angeracker und warf die Körner mit weitem Schwunge auf das Land. So schön der Traum war, die trotzige Falte in der Stirn wich doch nicht aus des Schlafenden Gesicht. Am andern Tage gab er dem toten Freunde das letzte Geleit. Als er vom Grabe schritt, haßte er die Stadt. Die Friedhofskapelle ward nicht leer. Dem Bauernsohn hatte die Stille des Dorfkirchhofs gefehlt. Ein Begräbnis in Schönbach rüttelte den ganzen Ort durcheinander. Hier ging es auf die Minute. 3.15 Uhr der, 3.35 der andere. So bis zum Abend. Um das Grab harte Bergmannsgesichter ohne Tränen. Heute der, morgen wir. Wir sind Nummern auf des Lebens Nummertafel. Der Pförtner streicht jetzt eine durch und schreibt eine andere. Still und tränenlos hatte auch Grete Frieders am Grabe gestanden. Rudolf Korn hatte sich wahrhaftig geschämt, daß ihm, als dem wohl einzigen, die hellen Tränen über das Gesicht gelaufen waren. Und gerade hatte ihm Grete Frieders in das Gesicht gesehen, hatte gestutzt und ihm zugenickt. Da war er still aus dem Haufen getreten, heimzugehen. Er war auf einen gestoßen, den er oberflächlich von der Grube her kannte. Es war ein ernster Mann mit rötlichem Barte. Der hatte sich Korn angeschlossen und hatte unterwegs allerlei geredet. Nicht anklagend und verbittert und doch in einem tiefen Groll. Rudolf hatte lange geschwiegen; denn er glaubte, des Lebens heißen Notschrei zu vernehmen. Dann war ihm ein Wort gegen das Herz geflogen, daß er darauf antworten ~mußte~. »Frieders ist nicht mehr gewesen wie du und hätte das doch nit gesagt.« »Du meinst das Wort: Sklave? -- Was sind wir denn sonst? Wir haben den Mann übrigens nie verstanden.« »Soll ich dir sagen, warum nit? -- Weil er ~in~ der Erde stand und du bloß ~drauf~.« »Das sind Redensarten, und das hast du in einem Buche gelesen.« »Ich lese selten ein Buch.« »Dann redest du's einem andern nach.« »Nein, ich sage, was ich selber weiß. Ich brauche niemand dazu.« »Du, darüber müßten wir ein andermal mehr reden. Ich will dich einmal aufsuchen.« »Ist nit nötig. Ich komme gern zu dir. Ich bin bei fremden Leuten, du bist daheim.« »Komm, wann du willst. Du weißt ja, wann Schicht ist. Ich wohne in der Erbestraße Nummer 48, zwei Treppen rechts.« Als Rudolf Korn heimkehrte, erwartete ihn das Hausmädchen. »Rudolf, es ist gut, daß Sie kommen. Der Herr wartet schon auf Sie. Sie sollen ihn zum alten Herrn fahren.« »Wer ist das, und wohin muß ich fahren?« »Das wissen Sie nicht? Das ist der alte Herr Schmidt, der Vater der gnädigen Frau. Dem gehört doch die große Eisengießerei nach Braunsdorf zu. Sechshundert Menschen sollen drin stecken. Seine Villa hat er in der Jakobstraße. Es ist die mit den dicken Säulen vorn. Sie können sie gar nicht verfehlen. Passen Sie auf, daß Sie richtig halten. Der Herr hat schlechte Laune. Es ist wieder böses Wetter. Ich ging vorhin an der Tür vorbei, und ich glaube, die gnädige Frau hat geweint. -- Los, Rudolf, spannen Sie an. Wissen Sie die Jakobstraße?« »Ja, die weiß ich.« »Also die dritte Villa links.« Kurz darauf lenkte Rudolf den Wagen durch die Straßen, und hinter ihm saß ein Mann, der nicht rechts und nicht links sah, dem der Zorn das Gesicht rötete, der aus dem Wagen sprang und in barschem Ton befahl: »Warten!« Rudolf hielt vor der breiten Freitreppe. Er war abgestiegen und streichelte das Handpferd. Da kam um die Hausecke ein alter Herr mit schlohweißem Haar. Er war untersetzt und hatte ungewöhnliche Augen. Einfach gekleidet, wirkte er doch vornehm. An Rudolf herantretend, fragte er: »Sie sind der junge Mann, der vorgestern die Pferde aufhielt? -- Sind Sie von Hause aus gewöhnt, mit Pferden umzugehen?« »Ja, ich bin Bauer.« »So. Aber Sie kamen von der Grube? Und da war eben das Unglück passiert?« »Da war es eben passiert.« Der alte Herr nickte, und auf seinem Gesicht stand Teilnahme geschrieben. »Es bleibt mancher brave Mann auf der Strecke liegen. -- Sie sind zum ersten Male in der Großstadt?« »Ja. Ich habe zwar gedient, aber die Garnison hatte nur ein paar tausend Leute.« »Dann ist Ihnen die Großstadt neu. Ich will Ihnen was sagen: Sie machen den Eindruck eines Menschen, der sucht.« Er lächelte, als ihn Rudolf verdutzt ansah. »Das braucht Sie nicht zu wundern, daß ich das sage. Ich bin zweiundsiebzig Jahre, und mir sind viele Menschen durch die Finger gegangen. Meine Tochter hätte mir gar nichts zu erzählen brauchen, ich wäre auch so mit Ihnen zurechtgekommen. Sie suchen, und -- Sie suchen sich selber. Sie werden sich auch finden, aber mancher geht doch gerade in der Stadt bei dem Suchen nach sich selber sich verloren. Man muß die Stadt anfangs von der Rückseite betrachten. Ihr Gesicht verwirrt. Mancher lernt's nie, ihr wahres Gesicht zu sehen. Stadt heißt Arbeit, und Arbeit heißt Kampf, und Kampf ist hart.« »Das ist bei dem Bauern auch nit anders.« »Nur daß er,« der alte Herr lächelte wieder, »die ausschlaggebenden Kräfte, Sonne und Regen, nicht ein- und ausschalten kann wie der Arbeiter die Maschine. Das ist der Unterschied, und der ist so groß, daß er geradezu zweierlei Menschen gemacht hat. -- Sie haben meinen Schwiegersohn hergefahren? Er ist schon drin im Hause?« Der Mann reichte Rudolf Korn die Hand. »Ich danke Ihnen noch einmal, daß Sie Unglück verhütet haben.« Er schritt die Treppe hinauf, und Rudolf Korn sah nachdenklich hinter ihm drein. Das war der Mann, aus dessen Händen sechshundert Arbeiter ihr Brot empfingen?! Rudolf brauchte nicht lange zu warten. Bankier Werner kam die Treppe herab, aschfahl im Gesicht. »Klubhaus.« »Wo ist das?« »Eliesenstraße 18.« »Wie muß ich dahin fahren?« »Himmeldonnerwetter, werden Sie nicht Kutscher, wenn Sie keinen Bescheid wissen. Jakobstraße, Breiter Plan, Lindenweg, Eliesenstraße.« Rudolf Korns Gesicht war blutübergossen, als er die Pferde wieder auf die Straße lenkte. Er fand den Weg und fand das Haus. Der Bankier war indes ruhiger geworden, wollte zwar nicht gutmachen durch ein freundliches Wort, glaubte aber gutmachen zu können durch ein Trinkgeld. Der Wagen hielt, Werner stieg langsam aus und griff in die Tasche. »Sie können nach Hause fahren.« Er reichte seinem Kutscher ein Geldstück hinauf. Rudolf aber schüttelte den Kopf. »Das nehm ich nit.« Da schoß seinem Herrn das Blut zu Kopfe. Harte Worte quollen ihm im Halse empor. Er schwankte einen Augenblick, und sein Gesicht veränderte sich. Es war, als erwache er. Wortlos steckte er das Geld wieder in die Tasche und trat in das Haus. Am anderen Tage war er der kurzangebundene Mann, der er immer war. Rudolf hatte wenig zu tun und war nun innerlich so weit mit sich fertig geworden, daß er heim schreiben konnte. Er schrieb an die Eltern und an das Mariele. * * * * * In Schönbach war die Heuernte in vollem Gange. Der Hohlöfner war am Donnerstag früh mit dem Knechte und den beiden Mägden im Morgengrauen nach der Bodenwiese gegangen und hatte schon von weitem hinübergesehen, ob das Mariele da sei. Es hatte wie Spott um seine Mundwinkel gezuckt, als die suchenden Augen das Mädchen nicht fanden. Aber siehe da, als er auf die Erlen zuschritt, trat ihm das Mariele entgegen. »Guten Morgen.« »Guten Morgen. -- Dunnerlichting, das ist ja wie bei dem Hasen und dem Swienegel.« Das Mariele lachte lustig auf, und der Bauer fragte, was da zu lachen sei. »Ja,« entgegnete das Mädchen, »ich weiß doch nit, was ~ich~ nun dabei bin.« Der Hohlöfner nahm den Scherz nicht krumm. »Aufs Maul bist ~du~ nit gefallen.« »O ja. Hab mir sogar als kleines Mädel einmal einen Zahn eingeschlagen.« Darauf ging der Bauer nicht ein. Er lupfte seine Mütze. »Wollen wir in Gottes Namen anfangen. Mariele, du mähst hinter mir.« Und der Mann holte mit seinen langen Armen aus, als wolle er die ganze Wiese mit ein paar Hieben herunter haben. Er federte in den Gelenken, stand breitbeinig, stämmig wie ein Baum; der Tau sprühte, Gräser und Blumen sanken. Als er etliche Schritte voran war, setzte das Mädchen ein. Soweit auch der Hohlöfner ausholte, den Spaß, Marie Berteles klein zu kriegen, erlebte er nicht. Die Entfernung zwischen ihr und ihm vergrößerte und verringerte sich nicht. Breit lagen die Schwaden auf dem Grunde. Stare kamen und lasen Regenwürmer und Käfer auf, schwarzröckige Amseln äugten scheu aus gelbgeränderten Augen und suchten mit den Staren um die Wette. Langsam stieg die Sonne über den Tannenberg, und der Hohlöfner begann, mit dem Hemdärmel die schweißnasse Stirn zu wischen. Als die Turmuhr sieben schlug, kam die alte Henriette, die auf dem Hohlofenhofe ab und zu ging, ohne da ständig zu arbeiten, mit dem Kaffee. Unter den Weiden am Bache tranken die Mäher. Der Hohlöfner aber machte ein grimmiges Gesicht, weil er nicht pfeifen wollte. Die Kleinmagd schwatzte und kicherte. Da knurrte der Bauer: »Überm Essen wird gegessen und nit geschnattert.« Einen Augenblick sah ihm das Mädchen verblüfft in das Gesicht. Sie glaubte nicht an seinen Zorn; denn sie waren schon ein rechtschaffen Stück vorwärtsgekommen. Daher lachte sie um so lustiger auf. »Überm Essen wird doch allemal gegessen, was soll man denn sonst machen?« »Hast recht, Klugschnack.« Auch der Bauer lachte, langte nach der Pfeife, brannte sie an und paffte. »Fertig?« fragte er nach einer Weile. »Dann kann's weitergehen. Eine reichliche Stunde hält der Tau noch.« Wieder rauschten die Sensen, und die Sonne stieg höher und höher. Die Bodenwiese war nicht klein. Sie hatten sie selten auf einmal gemäht. Es war gegen neun, da stand nur noch ein Streifen Gras, aber das Mähen ward hart, weil der Tau verdunstet war. Der Hohlöfner wandte sich nach dem Mariele um. »Meinst du, daß wir's noch schaffen?« »Ei freilich schaffen wir das noch,« entgegnete die fröhlich. Da spuckte der Bauer in die Hände. »Los!« Nun lagen auch die letzten Halme. Aufatmend stand der Bauer breitbeinig auf seinem Grund und Boden, ließ die Augen froh über die grünen Schwaden gehen, langte nach der Seite und zupfte das Mariele an den Zöpfen. »Fertig.« Die sah ihm mit leuchtenden Augen in das Gesicht. »Für den Anfang nit schlecht.« »Na du, hast etwa noch nit genug?« »Hätt schon noch eine Weile mitgemacht.« »Du bist nit gescheit!« -- Es war eine heiße Heuernte. Vater Widuwilds Leichdörner hatten gelogen. Vierzehn Tage lang fiel kein Regen, und als er kam, war es höchste Zeit für die Menschen, die sich allzu hart plagen mußten, und für die Feldfrüchte, die am Vertrocknen waren. In der Heuernte fragt der Bauer nach nichts, nicht einmal nach den Getreidepreisen. Die Zeitungen, die ihm der Briefträger in das Haus bringt, stapelt er auf. Langt er am Abend ja einmal danach, so schläft er darüber ein. Er verschiebt das Lesen auf die Sonntage, und kommt er auch dann nicht dazu, weil ein Gewitter droht und rasch noch ein paar Fuder geholt werden müssen, so entbehrt er doch nichts. Greift er aber am Sonntagnachmittag nach dem Blatte, so fragt er nicht nach den Welthändeln, sondern liest, was von da und dort an Unglück, Totschlag und Wetternot zu melden ist. Gerade auf einen Sonntag hatte der Herrgott Regen angesetzt, und das war recht. Heinrich Korn saß hinter dem Tische in tiefstem Behagen. Die Pfeife qualmte, die Fliegen summten, die Uhr tickte, und um ihn verstreut lagen die Zeitungen der letzten vierzehn Tage. Dann und wann kam ein Knurren aus des Mannes Brust, aber auch eine grausige Untat brachte ihn nicht aus seiner Seelenruhe. Die Bäuerin war im Berteles-Häuschen, und es war gut. Alles was wahr ist: Das Mariele hat sich nicht werfen lassen. Der Hohlöfner hat es aufgegeben. Er hatte schon an dem Morgen auf der Bodenwiese die Nase voll. In Gedanken daran lächelnd, langt er nach einem neuen Blatte. Er liest, stutzt, stöhnt auf, wird bleich. Da stand eine kurze Nachricht, eine von den hundert ähnlichen, die in den vierzehn Tagen zusammengekommen waren. Die aber schrie ihn an wie ein wildes Tier. »Der Bergmann Richard Frieders wurde durch herunterbrechende Kohlenmassen erschlagen. Der Schlepper Korn fand ihn tot vor Ort.« Kreidebleich sitzt der Bauer da, wendet mit hastigen Fingern das Blatt und sieht nach dem Datum. Heute vor fünf Tagen ist es geschehen, und Rudolf hat noch nicht geschrieben. Herr Gott im Himmel, er wird doch nicht auch zu Schaden gekommen sein? Die Sorge flutet wie ein Strom durch des Mannes breite Brust, und sie bringt die Anklagen mit, die eigentlich nie ganz geschwiegen haben. Ob er mit Mutter darüber redet? Ein beruhigendes Wort aus ihrem Munde täte ihm gut, aber -- -- -- Nein, er wird noch ein oder zwei Tage warten, aber er wird heute noch dem Briefträger Weisung geben, einen etwa eintreffenden Brief nicht seiner Frau, sondern ihm auszuhändigen, und sei es auf dem Umwege über die Trubichswiese, die morgen und übermorgen dran ist. Aber vielleicht hat das Mariele Nachricht. Das ist ein Gedanke. Der Hohlöfner hat es in den letzten Wochen vermieden, im Berteles-Häusel an das Fenster zu klopfen. Heute hat er eine gute Gelegenheit. Er wird seine Frau zu einem Gang ins Feld abrufen. Aber es regnet doch! Ach was, wofür ist er der Hohlöfner, wenn er nicht spazierengehen soll, wenn andere Leute daheim bleiben? Er zieht die Joppe an, stülpt die Mütze auf den Kopf, denkt im letzten Augenblick daran, die Zeitungen wieder aufzustapeln, aber nicht daran, das Blatt herauszunehmen, auf dem die Nachricht steht, und geht das Dorf hinab. Im Berteles-Häuschen haben sie eben Kaffee getrunken. Da klopft der Bauer an das Fenster. Seine Frau tritt heran. »Ist etwas, Vater?« »Nein, es ist nix. Ich habe nur gedacht, wir könnten mal ein paar Schritte laufen. Möcht sehen, wie sich der Weizen jetzt macht bei dem Regen.« »Da kannst du doch noch nit viel sehen, regnet doch erst seit gestern abend.« »Ist das nit lange genug? Du willst nit mitgehen? ~Ich~ geh.« Als dächte er nur eben im Vorübergehen daran, fragt er das Mariele, die zur Seite steht: »Hat der Rudolf geschrieben?« Statt ihrer antwortet die Bäuerin: »Gerade hatten wir davon geredet. Das Mariele hat auch nix. Ich möchte wissen, was das heißen soll?« »Gar nix soll das heißen,« antwortet der Bauer mit tiefer Stimme. »In der Stadt gibt's mehr zu hören und zu sehen als daheim. Da denkt er halt nit an das Schreiben.« Die Hohlöfnerin schüttelt den Kopf. »Vater, das glaubst du doch selber nit, daß dem die Stadt Schaden tut.« »Schaden! Muß sie ihm denn gleich Schaden tun? Er ist ein junger Kerl! Du liebe Zeit! -- Gehst du mit oder nit?« »Es ist mir zu naß draußen. Kommst rückwärts wieder vorbei. Dann gehen wir miteinander heim.« »Meinetwegen.« Der Bauer schreitet auf dem regennassen Wege dahin, und in ihm rumort es. Er zwingt sich zur Ruhe. Wäre etwas, dann hätten wir bestimmt Nachricht. Eine gehässige Stimme aber raunt ihm zu: Er braucht ja nicht tot zu sein, so arg muß es nicht gleich kommen, aber er kann im Krankenhause liegen und hat den Ärzten gesagt, nichts heim zu melden. Liegt aber einer im Krankenhause, dann weiß man nie, wie es ausgeht. Es ist eine niederträchtige, gehässige Stimme, die den Mann quält, und die über die Felder herkommt, aus denen es doch wie ein Jauchzen aufsteigt. Das nimmt schließlich das Bauernherz gefangen. Sommerregen auf dürstende Flur ist wie neue Schöpfung. Das Leben baut seine Tempel und Hallen mit tausend Händen zugleich. Lag es wie verdrossene Müdigkeit ob den dürren Fluren, so sind sie heute eine einzige jubelnde Melodie. Das dürstende Feld ist des grauen Zweifels unschönes Bild, das im Sommerregen schwelgende lachender Glaube. Und dies Bild braucht der Hohlöfner. Gerade diesen Gegensatz, diesen Aufschwung zum Lichte aus der Düsternis der Not. Das reißt ihn mit. Er formt es nicht in sich, aber er empfindet es, daß auch er gegenwärtig über dürre Felder schreitet, und er weiß, daß der Regen bereits einsetzte, der die Öde in lachende Breiten wandeln wird. Steht er seinem Einzigen nicht heute schon ganz anders gegenüber als jemals? Er sehnt sich nach ihm, er beginnt leise zurückzutreten, ohne daß es schmerzt, er spürt, wie Achtung vor seinem eigenen Fleisch und Blut wachsen will. Auf der flachen Kuppe über der Schachenleite stehend, läßt er die Augen über die Felder gehen. Von allen Breiten steigt ein feiner Dunst auf. Sie werden allmählich satt. Und auf alle Breiten rauscht der leise Regen nieder. Trinkt euch Vorrat! Die jungen Ähren tragen silbernen Hauch. Es ist der erste leise Gruß der kommenden Erntezeit. Tief, tief atmet der Hohlöfner. Heimatluft! Und aus befreiter Brust steigt es: Ist ein Übergang! Es wird alles gut. Und wieder ein Gedanke: Was wird dein Sohn für ein Mensch sein, wenn er wieder heimkommt? Ist es eine leise Furcht, die in dem Bauern aufsteigt? Der Hohlöfner hat keine Furcht, aber -- er hat halt auch kein reines Gewissen. Er kehrt heim, klopft wieder ans Fenster des Berteles-Häuschen und bringt es spielend fertig, seine Frau zu täuschen, weil er selber auf Festland steht. Sie sprechen von dem Sohne. »Daß er so lange nit schreibt!« sagt Minna Korn. »Wie lange ist's denn her, Mutter?« »Wenigstens vierzehn Tage.« »Und das ist lange? Wie er bei den Soldaten war, hat er alle Vierteljahre geschrieben.« »Aber jetzt ist er in der Grube.« »Jetzt sicher nit. Jetzt sitzt er mit den andern in einem Garten, eine Kapelle spielt den Radetzkymarsch und -- -- --« »Er guckt sich nach den Mädeln um. Das willst du doch sagen.« Der Bauer lacht. »Hab ich nit sagen wollen, aber -- -- -- Mutter, er ist siebenundzwanzig Jahre!« »Und hat das Mariele!« zürnt die Mutter. »~Will~ er haben, hat er noch nit.« »Vater! Die hat er. Und wenn er mir etwa -- -- -- Dann kriegt er's mit mir zu tun!« »Und du bist keine Gute!« Jetzt lacht auch die Bäuerin. »Hättest mich beinahe kopfscheu gemacht, Vater. -- Ich weiß, wie ich mit meinem Jungen dran bin, und das Mariele weiß es auch.« »Dann ist's ja gut. -- Was macht eigentlich der kleine Lehrer?« »Gar nix. Er geht dem Mariele nit aus dem Wege, aber er sucht sie auch nit auf. Wenn er sie trifft, freut er sich.« »Und sie auch.« »Ja, aber so nit, wie du denkst. Vater, Vater, wenn ich dich früher so gekannt hätte!« »Hättest du mich auch genommen.« Frohgemut kamen die beiden Menschen heim. Der Knecht hatte heute frei, eine der Mägde war zur Mutter gegangen. Da griffen die Herrenleute im Stalle selber mit zu. Der Abend kam, es hörte langsam auf zu regnen, in schweren, breiten Wellen flutete der herbe Duft aus Wiesen und Feldern über das Dorf. Es litt den Hohlöfner nicht daheim. Er spürte das frohe Drängen und Wachsen selber in allen Gliedern und mußte wieder hinaus. Mitten aus der starken Lebensbejahung aber stieg wie ein grauer Notfelsen wiederum die Sorge. Wenn Rudolf nun doch im Krankenhause lag? Und wer war letzten Endes schuld? Etwa der Ender? Hohlöfner, auf den armseligen Menschen kannst du nichts abwälzen. Hin- und hergeworfen zwischen Zweifel und froher Sicherheit, meinte der Bauer, er werde am besten mit sich zurechtkommen, wenn er sich aufs Ohr lege und schlafe. Er kehrte heim. »Mutter, morgen früh ist die Nacht weg. Wir wollen um vier auf der Trubichswiese sein. Ich lege mich hin.« Die Bäuerin lachte ihn aus. »Gehst du denn heute nit ins Wirtshaus?« »Alles zu seiner Zeit. Heute nit.« Er stieg die Treppe hinauf, und seine Frau, die eben noch mit der Milch hantierte, rief ihm nach, daß sie nicht lange auf sich warten lassen werde. Und dann war ihr der Abend doch zu schade. Es war erst reichlich neun, und draußen war alles so frisch. So setzte sie sich denn an das Fenster, noch ein Weilchen dem Treiben auf der Dorfstraße zuzusehen. Ihr Blick fiel auf die Zeitungen. Aus denen machte sie sich zwar niemals viel, aber so am lieben Sonntagabend kann man immerhin einmal einen Mund voll Neuigkeiten mitnehmen. Sie holte die Brille aus dem Topfbrette, putzte sie umständlich mit der Schürze, langte nach den Blättern. Da ein paar Zeilen lesend und dort ein paar, waren rasch etliche Nummern abgetan. Gleichmütig breitete sie ein neues Blatt aus. »Der Bergmann Richard Frieders -- -- --« Reichlich zwei Zeilen und soviel Jammer! Dumpfe Angst stieg in ihr auf. Sie fürchtete nicht, daß auch Rudolf zu Schaden gekommen sein könne, aber sie ahnte seine seelische Erschütterung. Wie sollte er damit zurechtkommen? Den Frieders hatte er liebgehabt, hatte so warmherzig von ihm, seiner Frau und seinem Heim geschrieben, von seinem Sehnen heim zur Erde, seinem Fleiße und seinem Streben. Und nun hatte er den Menschen erschlagen gefunden. Alles hatte der Stein erschlagen, nicht nur den Leib. Wie das auf Rudolf wirken mußte! Der ältere Mensch weiß, daß hinter allem Geschehen ein Fragezeichen steht, ja, daß selbst erfülltes Hoffen noch keineswegs erfülltes Glück bedeutet, der junge aber steht bei solch hartem Schicksalsschlage vor einem breiten Riß, der durch sein Leben geht. Die wenigsten fliegen mit raschem Schwunge darüber und stehen wieder auf den Beinen. Andere zaudern, irren auf und ab, eine Brücke suchend, wagen aber schließlich doch den Sprung, der sie hinüber trägt. Die meisten klettern mühselig an der einen Seite hinab und an der anderen hinauf, immer bedroht von dem Ausgleiten. Und schließlich gibt es auch solche, die weder fliegen, noch springen, noch klettern, für die der breite Riß vor ihnen das Ende bedeutet. Zu denen wird Rudolf nicht gehören, aber auch er wird weder fliegen noch springen. Er wird klettern, hinab und hinauf. Und das ist ein mühselig Werk, und eine helfende Hand tut not. Der Vater suchte ihn heute in Gedanken im Wirtshausgarten, den Klängen der alten Märsche lauschend. Der Vater! Gott sei Lob und Dank, daß er so fröhlich war. Er weiß nichts von dem Unglück. Wüßte er es, er würde in eine Not geraten, die nicht viel geringer wäre als die des Sohnes; denn er würde die Verantwortung fühlen, die auf ihm lastet. Was doch aus einem raschen Worte werden kann! Heißblütig wird es auf den Tisch geworfen, ist nicht viel mehr als ein Samenkorn, und was für ein Baum wird daraus. Die Hohlöfnerin nickt vor sich hin. Ein Wort aus der Bibel fällt ihr ein: Siehe, die Zunge, welch ein kleines Glied ist sie, und was für einen Brand vermag sie zu entzünden! Vater, du armer, guter Mann! Dein Weib wird dich davor bewahren, daß du zu der Last, die du, wenn du es auch zu leugnen versuchst, jetzt schon trägst, auch noch ~die~ schwere Bürde auf dich nehmen mußt. Die Hohlöfnerin weiß sich viel besser Rat als ihr Mann. Dort steht der Ofen. Ein Streichholz flammt auf, das Blatt verlodert. Dann sitzt die Frau wieder am Tische und grübelt. Was zu tun ist, weiß sie. Es muß eines hinfahren, dem Rudolf die Hand geben und ihm in die Augen sehen. Er ist ja doch im Hinanklettern. Drunten war er schon, -- die Nachricht ist fünf Tage alt, -- jetzt steigt er auf der andern Seite hinauf. Er wird auch allein fertig werden, aber wenn ihm einer die Hand entgegenstreckt, geht es rascher und sicherer. Wer aber soll hinfahren? Der Vater nicht; denn er weiß nichts und soll nichts wissen. Das Mariele? Liebe hilft gewiß am ehesten, aber nicht ~die~ Liebe, die Mann und Weib zueinander führt. Hier muß die Mutter her. Minna Korn wird den Sohn besuchen. Aber wie es dem Vater begreiflich machen? Eine Mutter ist zugleich Frau, und Frau sein heißt, Schwierigkeiten, an die der Mann Hebebäume und Flaschenzüge ansetzt, mit dem kleinen Finger beiseiteschieben, heißt, ein Guckfensterlein, durch das man auf grüne Erde sieht, auch in der dichtesten Wolkenwand finden, heißt, unter hundert Wegen, die alle auf das gleiche Ziel zuzuführen scheinen und von denen dann doch neunundneunzig daran vorbeigehen, den einen einzigen richtigen erkennen. Ein kurzes Gedenken noch dem Sohne, -- die Mutter denkt an Krankenhaus und Leichenkammer vorüber und findet den Sohn, wo er ist, in seiner eigenen Kammer, -- und die Frau steigt ruhig mit festen Schritten die Treppe hinauf. »Schläfst du schon, Alter?« »Noch nit ganz, aber lange dauert's nit mehr.« »War schade, daß du schon ins Bett krochst. Jetzt ist's erst schön draußen. Hör nur, wie die jungen Leute singen.« »Könnten aufhören mit ihrem Geplärre. Sie wissen nix Neues. Nix weiter als: Schön ist die Jugend, sie kommt nit mehr.« Die Hohlöfnerin lachte. »Das haben wir auch einmal gerne gesungen.« »Heute hat man andre Gedanken.« »Was denn? Hast du etwa darüber nachgedacht, wie das Mariele zu ihrem Gelde kommt?« »Das ist doch nit meine Sache.« Und dabei langt der Bauer in Gedanken tief in das Bettstroh, wo der Sparstrumpf steckt. »Vater! Das wär nit deine Sache? Wem seine denn sonst?« »Den zweien ihre.« »Dann denk ja nit dran, den Rudolf einmal wieder daheim zu haben.« »So? Wär doch noch schöner, wenn wir uns immer mit fremden Leuten herumschlagen müßten.« Eben kuschelte sich die Bäuerin in das Bett, klopfte die Federn alle nach den Füßen zu und sagte so ganz nebenbei im Klopfen: »Der Rudolf braucht frische Wäsche, und ich wollte mir schon lange ein neues Kleid kaufen. Was meinst du, Vater, wenn ich einmal zu ihm führe?« Da schlägt dem Bauern wahrhaftig das Herz bis zum Halse. Soll er poltern oder soll er gütlich ausreden? Die Mutter darf auf keinen Fall fahren. Lieber Gott, wenn sie hinkäme, und der Rudolf läge im Krankenhause! Der Bauer schlägt einen Mittelweg ein. Halb ist es Poltern, halb gütliches Zureden. »Jetzt hinfahren, wo wir alle Hände voll zu tun haben? Ich habe nix dagegen, wenn du im Winter einmal hinfährst, obwohl er's nit wert ist, aber jetzt ist dazu keine Zeit.« »Nit wert, Vater? Das mußt du nit sagen. So was tut einer Mutter weh.« Der Hohlöfner knurrt, aber es ist nicht zu verstehen, was er zwischen den Zähnen malmt. Schon redet die Frau weiter. »Und das mit der Arbeit stimmt auch nit. Ihr braucht mich ja gar nit. Was ich mache, das Essen herrichten, das kann die alte Henriette auch. Und einen Tag geht's allemal. Länger bleibe ich ja doch nit.« »Hör auf, Mutter. Ich will's nit haben. Warum läßt er so lange nix von sich hören.« »Hast doch selber gesagt, daß er in der Stadt so viel zu sehen und zu hören hat, daß er darauf vergißt.« »Ich weiß nit, ob ich das gesagt habe. -- Aber er hätte lange wieder schreiben können, und dabei bleib ich.« »Vater,« eine arbeitsharte Hand langt herüber und findet die des Mannes, »ich sehne mich halt so nach ihm. Ihr Männer seid härter, aber eine Mutter ist eine Mutter.« Dagegen kommt der Mann schwer auf, und wenn jetzt überhaupt noch etwas zu erreichen ist, dann nur mit gütlichem Zureden. »Er ist doch kein kleines Kind mehr.« »Vater, einer Mutter bleibt ihr Kind immer so, daß sie ihm helfen möchte.« »Er braucht keine Hilfe, verlaß dich drauf.« »Ich will ja auch nit um seinetwillen hin, es ist doch um meinetwillen.« »Sei vernünftig, Mutter. -- Warum willst du denn gerade jetzt fahren?« »Weil ich gerad jetzt so ein Sehnen in mir hab. Ich möchte wissen, wie er aussieht und wie er wohnt, und den Frieders möchte ich kennenlernen und seine Frau auch. Das müssen rechtschaffene Leute sein.« Den Frieders kennenlernen! Mutter, wenn du wüßtest! »Dazu ist Zeit nach der Heuernte. Noch acht Tage, dann sind wir fertig, und wenn es durchaus sein muß, dann fahre nachher.« Die Bäuerin ist zu klug, die Sache auf die Spitze zu treiben. Das müßte den Mann mißtrauisch machen. Aber sie wird morgen wieder davon reden und -- wird ihr Ziel erreichen; denn morgen darf die Sehnsucht gut und gern ein Stück größer sein. »Schlaf gut, Vater.« »Du auch, Mutter.« Und kurz darauf schläft die Frau tief und fest. Sie hat sich in schlichtem Sinn mit einem kurzen Gebet geholfen, und es war ihr nicht schwer, da sie den Sohn nicht in körperlicher Not suchte, für die seelische aber vertraute, daß auch Rudolf den alten Bauernweg zu finden wissen werde. Der Mann aber stand wieder bis an den Hals in seiner Not. Verstummt das Lied der gesegneten Felder, versiegt des befruchtenden Regens silberne Melodie, ausgelöscht der feine Hauch auf den Ähren. Die Nacht regiert und mit ihr die Not, die gesteigert wird durch das Erbarmen mit seinem Weibe. Und alles um ein unbedachtes Wort und eine lächerliche Empfindlichkeit. Es ist zwar nicht zu glauben, aber in ~der~ Nacht ist der Hohlöfner dicht daran, sich umzukrempeln, und das wäre ein Jammer. Er schläft ein paar kurze Stunden, ist vor der Sonne auf den Beinen, und im Morgenlichte wird er langsam wieder er selbst. Am Kreuzwege steht das Mariele und wartet auf die Leute vom Hohlofenhofe, die Arbeit nimmt Leib und Seele gefangen, und -- gegen zehn kommt der Briefträger aus dem Tale herauf und schwenkt schon von weitem einen Brief. Der Bauer muß sich Gewalt antun, um nicht das Arbeitsgerät hinzuwerfen und über die Wiese zu rennen. Er schickt einen kurzen Blick zum Mariele, die auch aufmerksam geworden ist, und wartet, bis der Mann herankommt. »Morgen, Leberecht.« »Morgen, Hohlöfner. Da. -- Für dich ist auch einer dabei, Mariele.« Der Briefträger kramt in seiner Tasche und reicht dem Mädchen einen Brief. Der Bauer nickt dem Briefträger zu: »Trink ein Glas Bier auf meine Rechnung. Ich mach's glatt mit dem Wirte,« und, als der Postbote weitergeht, dem Mariele zunickend: »Komm.« Sie schreiten miteinander auf den Holunderbusch zu. Korn zieht umständlich das Taschenmesser, indes das Mariele seinen Brief kurzerhand aufreißt. Sie ist mitten im Lesen, ehe der Hohlöfner noch begonnen hat; er sieht, wie ihr die Tränen in die Augen schießen, wie sie erblaßt und ihr die Hände zittern, aber er tut, als entginge ihm das alles, vertieft sich in ~sein~ Schreiben, richtet, als er zu Ende ist, den Blick auf das Mariele: »Ich -- hab's gewußt.« Da fließen die Tränen stärker aus den Mädchenaugen. Der Bauer aber beruhigt sie: »Laß das Flennen. Es ist ja nun alles gut.« »Aber wie schwer muß das dem Rudolf geworden sein!« »Wird ihm auch jetzt noch nit ganz leicht werden, aber er lebt und ist gesund. Das andere findet sich. So viel weiß ich: Dem reichen Manne darf er den Kutscher nit machen. So weit darf er's nit treiben. -- Komm, wir wollen weitermachen.« Es leidet aber den Hohlöfner nicht lange bei seiner Arbeit. Er denkt an seine Frau, und obwohl sie nichts weiß, war ihre Sehnsucht doch nicht von ungefähr, und er mußte ihr helfen. »Jesses,« sagt der Mann, als erschräke er, »der Fleischer wollte ja heute um zehn kommen. Er will den roten Stier holen. Das muß ich selber mit ihm ausmachen.« Er sticht den Rechenstiel in die Erde. »In einer reichlichen Stunde bin ich wieder da.« Damit schreitet er langbeinig über die Wiese dem Dorfe zu. Die Hohlöfnerin war zwar heute kaum unruhiger als gestern, aber sie wußte, daß sie unbedingt zu dem Sohne mußte, und zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie ihre Worte setzen müsse, um hin zu kommen. Da knarrte das Hoftor. Ihr Mann schritt über das Pflaster. Minna Korn erschrak. Der Vater kam um ~die~ Zeit von der Wiese? Das war nicht von ungefähr. »Da, Mutter,« sagte der Bauer und reichte ihr den Brief. »Jetzt wissen wir, warum er nit geschrieben hat. -- Du siehst ja richtig schlecht aus! Fehlt dir etwas?« »Nein, ich war nur erschrocken, als ich dich über den Hof kommen sah.« »Was ist denn da zu erschrecken?« »Von ungefähr kommst du nit um die Zeit.« »Ach so. Ist ja auch nit von ungefähr. Lies. Das Mariele hat auch einen Brief gekriegt und wird dasselbe drin stehen. Ist aber nix mit dem Rudolf. Der ist gesund.« Wieder holte sich die Bäuerin die Brille aus dem Topfbrette, setzte sich hinter den Tisch und las. Scheinbar, um sich derweile zu beschäftigen, griff der Bauer nach den Zeitungen. Er las aber nicht darin, sondern warf immer nur einen Blick auf das Datum und legte das Blatt beiseite. Die Nummer, die er suchte, fand er nicht. Da suchte er ein zweites Mal und war eben beim dritten Male, als seine Frau den Brief auf den Tisch legte. »Laß nur, Vater. Das Blatt ist nit mehr da,« sagte sie mit schwingender Stimme. Der Bauer sah sein Weib betroffen an. »Was denn, Mutter? Welches Blatt?« Unter Tränen lächelnd nickte ihm die Frau zu und langte nach seiner Hand. »Laß gut sein, Vater, ich habe das Blatt schon gestern abend verbrannt.« »Mutter!« »Wir haben es halt beide gewußt und haben es eines vor dem andern nit Wort haben wollen.« Da war der Bauer ganz still, und seine Augen ruhten lange auf dem Gesicht seiner Frau. Die stand wieder mit beiden Beinen fest auf der Erde. »Das hat niemand wissen können, daß es so kommen würde. Ich denke, der Rudolf klettert schon wieder drüben hinauf.« »Drüben hinauf?« fragte der Bauer verwundert. Leise lächelnd erklärte ihm die Frau, wie sie sich das innerlich zurechtgelegt habe. Des Mannes Blick hing an ihrem Gesicht, und er schüttelte einmal über das andere den Kopf. »Wann willst du denn nun hinfahren?« fragte er. »Jetzt brennt's damit nit mehr. Du siehst ja, daß er schreibt, wenn etwa eins einmal käme, dann sollte es nit in das große Haus kommen, sondern zu dem Frieders seiner Frau gehen. Er will's nit haben, daß wir ihn da sehen, und ich kann das gut begreifen. Ich will ihm schreiben, und er kann es der Frau sagen.« »Ist recht, Mutter. Aber schreib ihm gleich mit, daß ich das nit litte, daß er den Kutscher macht.« »Das will ich ihm lieber sagen, aber, Vater, ich glaube nit, daß da viel zu machen ist, wenn ~er~ das will.« Da brauste der Hohlöfner wieder auf. »Darüber ist nix zu reden. Das ist eine Schande vor dem Dorfe, und das kommt auf mich. Wenn die Leute das hören, dann ist's aus mit dem ganzen Schwindel.« Die Bäuerin lächelte abermals. »Nit gleich wieder oben hinaus, Vater. Der Rudolf wird mit sich reden lassen. -- Ob ich das Mariele mitnehme? -- Nein, das mache ich nit. Es ist besser, ich rede allein mit ihm.« Die Bäuerin hatte einen Haufen Strümpfe neben sich liegen. Sie war eben dabei gewesen, für die nächste Wäsche zu rüsten. »Vater,« wandte sie sich wieder an ihren Mann, »mir fehlt ein Strumpf von dir. Ich habe alles durchgesucht, aber ich kann ihn nit finden. Wo hast du denn den hingebracht?« Der Bauer machte ein harmloses Gesicht, und nicht einmal ein Mundwinkel zuckte. »Wie soll ich denn wissen, wo der Strumpf ist? Das ist doch nit meine Sache.« Diesmal täuschte er seine Frau wirklich. Sie kramte abermals und schüttelte den Kopf über ihr erfolgloses Suchen. Der Bauer aber war inzwischen hinauf in die Schlafkammer gegangen. Da stand seine Truhe, und in der verwahrte er das eingehende Geld. Er hob den Deckel, suchte in der Geldtasche, nahm einen größeren Schein heraus und schloß die Truhe wieder. Dann ging er an sein Bett, langte tief hinein in das Stroh und -- brachte den fehlenden Strumpf herauf. Der war zwar nicht bis obenan gefüllt, aber es war bereits ein ansehnlicher, schwerer Klumpen, der sich in ihm ballte. Heinrich Korn war der sparsamste Mann im Dorfe geworden und täuschte sich vor, die Sparsamkeit an die Stelle früherer Verschwendungssucht gesetzt zu haben. Danach hätte der Bauer einstmals ein wüster Verschwender sein müssen. Dabei hatte er sich in Wirklichkeit zwar nicht versagt, wonach es den heiteren, lebenstüchtigen Mann verlangte, und das ging über bescheidene bäuerliche Ansprüche hinaus, aber er hatte niemals verschwendet. Aber so war der pudelnärrische Mann. Seine Frau hatte ihn gestern gefragt, ob er an dem schönen Abend nicht noch auf einen Sprung ins Wirtshaus gehen wolle. Die Frage war nicht unangebracht. Er ging seit einiger Zeit fast jeden Abend -- ~hinter~ das Wirtshaus. Die Bäuerin wunderte sich zwar darüber, daß er jetzt so oft ausging, aber sie entschuldigte es gern mit der Tagesarbeit in heißer Sonne, die Durst macht, und damit, daß der Mann wahrscheinlich immer ein Stück innerer Unruhe hinunterspülen müsse. Niemals kam er spät heim, niemals auch nur angeheitert. Dabei aber warteten die Nachbarn seit Wochen vergeblich auf ihn, rieten hin und her, schüttelten die Köpfe, und langsam kam das Fundament ins Wanken, das der Hohlöfner seinerzeit im Wirtshausgarten an dem Sonntagnachmittag klug erbaut hatte. Die Einigkeit zwischen Vater und Sohn war am Ende doch nicht gar so groß gewesen, Rudolfs Weggang in die Stadt eher unter Zwang als freiwillig geschehen, der ganze gut klingende Erziehungsplan eine Ausrede des Hohlöfners, der den Leuten wieder einmal Sand in die Augen streute. Heinrich Korn sparte. Es ging gerade jetzt wenig Geld in der Wirtschaft ein, und obwohl es nicht schwer war, bei dem oder jenem Verkauf seiner Frau die Summe ein wenig niedriger zu nennen, so fleckte es doch nicht recht. Also mußte sich der Mann auf den Verschwender hinausspielen. Er hatte sich das schon an dem Montagmorgen zurechtgelegt, als Rudolf nach der Stadt ging, aber er hatte dazumal in Gedanken viel mehr Spaß daran gehabt, als ihm jetzt die Wirklichkeit bereitete. Überhaupt: Jux schien bei der ganzen Sache nicht mehr herauszuspringen. Es kamen Tage, an denen er gar nicht der alte Hohlöfner war, und wenn das etwa für immer so werden sollte, dann wollte er wahrhaftig lieber den Spott des ganzen Dorfes auf sich nehmen und wieder der freie, necklustige Mann sein, als sie alle hinter die Fichte zu führen und selber als einer übrigzubleiben, der, je länger je mehr, den anderen gleich ward und schließlich als eine Art Widuwilds Vater die Pfeife mit dem Bierflaschengummi in den Mund steckte. »Dunnerlichting,« grollte Korn, riß den Strumpf auf, schob den Schein hinein und verbarg den Klumpen wieder im Bettstroh. Dann trat er an das Fenster und wollte eben wieder hinabgehen, als er seine Frau die Treppe heraufkommen hörte. Da riß er rasch die Schranktür auf und warf einen Haufen Wäsche neben sich. Er heuchelte Überraschung, als ihm die Frau zurief: »Was soll denn das wieder sein, Vater? Du schmeißt mir ja die ganze Wäsche durcheinander.« »Ich hab dir doch schon zehnmal gesagt, du sollst meine Schnupftücher obendrauf legen.« Ein Griff der Bäuerin in den Haufen. »Da liegen sie doch. Laß andermal die Finger von den Dingen, die du nit verstehst. Sag's mir, wenn du was brauchst. Jetzt habe ich wieder eine Viertelstunde Arbeit. Wie sieht das Zeug aus!« Da lachte der Mann und tätschelte seiner Frau den breiten Rücken. »Nit immer gleich schimpfen, Mutter. -- Ich geh jetzt wieder auf die Wiese. Schick ein bissel mehr Fleisch mit wie die letzten Male. Ich werde überhaupt nit mehr richtig satt.« »Darum schickt ihr jedesmal die Hälfte wieder heim.« »Heute bleibt nix übrig, verlaß dich drauf.« Unterwegs traf der Hohlöfner den Wirt. Sie gingen ein Ende Weges miteinander, und der alte Freund fragte, ob denn Heinrich Korn ein Einsiedler geworden sei. Der zog die Stirn in Falten. »Das nit, aber man ist ja am Abend wie erschlagen. Der Rudolf fehlt mir doch in der Arbeit.« »Dann mach ein Ende, hol ihn wieder.« »Du bist nit gescheit! Er hat doch kaum angefangen, und die Schule ist noch lang.« »Heinrich,« der Wirt warf ihm einen vielsagenden Seitenblick zu, »die Leute fangen an zu tuscheln, daß das mit der Lehrzeit am Ende doch nit ganz stimmt.« »Soll's ~mir~ einer sagen, dann wird er die richtige Antwort schon kriegen.« »Sie werden sich den Deibel tun. Du kannst grob werden.« »Kann ich! -- Was soll ich denn im Wirtshause, wo der Ender das Wort hat?« »Hat er gar nit. Erstens kommt er selten, zweitens sitzt er ganz still und sagt nix. Der arme Kerl hat seine Sorgen. Das Hagelwetter! Und im Stalle hat er egal Unglück, und krank ist er auch. -- Gestern abend hättest du dabei sein müssen. Ich habe die Nacht nur zwei Stunden geschlafen. Als ob Pech an den Stühlen geklebt hätte!« Der Wirt lächelte über den lustigen Abend, und der Hohlöfner lächelte auch. »Wenn ich das gewußt hätte, dann wäre ich eingekehrt. Vorbeigegangen bin ich.« Sie trennten sich am Kreuzwege. Der Hohlöfner ging der Trubichswiese zu und überlegte, daß es klüger sei, dann und wann wieder einmal in das Wirtshaus zu gehen, nicht immer nur daran vorbei. Er hatte es in den letzten Wochen so gehalten, daß er zwar ausging, aber durch die Felder schlenderte und dann anderen Tages das doppelte dessen in den Sparstrumpf steckte, das er nach seiner Schätzung verzehrt haben würde. Heute fand er das dumm. Es fleckte nicht. Um das, was das Mariele brauchte, zusammenzubringen, mußte er anders aufpflastern. Der Bauer spitzte den Mund zum Pfeifen. Laßt nur erst die Ernte kommen. Außerdem wird noch vor Weihnachten das Holz am Dreieck geschlagen. Das soll flutschen! 7. Das nette Hausmädchen der Frau Bankier Werner mühte sich allmählich um den neuen Kutscher, und sie war ein hübsches, munteres Ding. Sie fing Rudolf jeden Morgen an der Treppe ab, lachte ihm in das Gesicht, plauderte, ging mit ihm nach dem Stalle und kicherte, wenn ihre Hände beim Futtermischen denen des Mannes begegneten. Der war so anders als die aus der Stadt, aber, sollte er ihr ganz gefallen, dann mußte er doch lebendiger werden. Daß sein Gesicht im allgemeinen ernst und nachdenklich war, das stand ihm gut, aber man mußte doch allmählich wissen, ob er auch tanzen und küssen könne. »Rudolf,« plauderte sie eines Morgens, »warum sind Sie denn eigentlich in die Stadt gegangen?« »Weil ich sehen wollte, wie's andern Leuten zumute ist.« »Aber das geht Sie doch gar nichts an, Sie sind doch ein Bauer, der sein Teil hat.« »Woher wissen Sie denn das?« Das Mädchen hob die Spitznase ein wenig höher. »Ach, die gnädige Frau hat so einiges angedeutet, daß wir Sie nicht mit dem Johann auf eine Stufe stellen sollten und so. Und außerdem, wie Sie der Frau von sich erzählten, wissen Sie, am ersten Morgen, da haben Sie so laut geredet.« Jetzt lachte Rudolf zum ersten Male hell auf. »Marie, das Horchen tut nit immer gut.« Das verdroß das Mädchen. »Ich habe nicht gehorcht, und ein Mädchen, das nicht horcht, taugt nichts, hat meine Mutter gesagt, und wenn Sie so sind, dann -- -- -- brauche ich mich ja gar nicht mehr um Sie zu kümmern.« Und immer noch lachend, beruhigte Rudolf: »Aber warum denn gleich soviel auf einmal? Das ist doch nit nötig. Ja, ich hab mein Teil und, Marie, ich habe sogar ein Mädel.« Husch, fuhren die Arme aus dem Mischkasten, eine fliegende Röte jagte über das hübsche Gesicht, ein rascher, prüfender Blick: Er ist ja ganz hübsch, aber alles in allem ist er nicht mein Gusto, und -- Bauer bleibt Bauer. Dann ein bittersüßes Lächeln. »Aha, darum sind Sie so solide!« Rudolf Korn lachte wieder. »Marie, Marie, Sie scheinen die Männer zu kennen. Das ist eine miserable Sorte.« »Och, das will ich gar nicht mal sagen, aber so in manchen Dingen sind sie alle gleich, und es ist schon aller Ehren wert, wenn einer wenigstens nachher treu bleibt, wenn er verlobt ist.« Die bittere Weisheit aus so jungem Munde machte den Bauern stutzig. »Marie, so denken wir auf dem Dorfe nit.« »Ach, das Dorf wird auch nicht besser sein.« »Besser? Das habe ich nit gesagt, aber wir denken nit so.« »Auf das Denken kommt es ja gar nicht an. Wie einer handelt, das ist die Hauptsache und da -- -- --« »Sind sie auch nit alle gleich. Unsere Mädel halten was auf sich -- -- --« »Denken Sie, wir nicht?« »~Sie~ ganz gewiß, Marie, aber ich war ja auch noch nit fertig. Und unsere Burschen, die haun wir, wenn sie etwa nit parieren.« »Wer sind denn die wir?« »Das sind die alten Burschen. Wir halten auf Ordnung. Sie kennen das Dorf nit, aber das muß ich sagen: Wenn der Schulze und der Altbursch nix taugen, dann taugt das ganze Dorf nix.« »Das kann man nicht auf die Stadt übertragen.« »Da muß halt jedes für sich aufpassen.« »Wissen Sie, Rudolf, ich -- habe die Männer satt bis an den Hals.« Und Rudolf schelmisch mit den Augen zwinkernd: »Ist das nit ein bißchen früh? Wie alt sind Sie denn?« »Ich bin neunzehn gewesen, aber ich habe meine Erfahrungen hinter mir.« »Aber Sie sind doch immer so lustig.« »Das ist meine Natur, und dafür kann ich nichts. Aber das will ich Ihnen sagen: Hier ist es ganz schlimm. -- Ich habe eine gute, aber strenge Mutter, und mein Vater hat Amt und Stellung. Er ist Magistratsbote. Denen darf ich keine Schande antun, und ich will es auch nicht, aber da war der Hans, und weil ich nicht mitmachte, wie er wollte, ist er zur Selma gelaufen. Und dann war da der Jochen, da war's geradeso, und er ging zur Ilse. Sehen Sie,« sagte sie wichtig, »das ist es ja eben in der Stadt: Die Männer brauchen sich ja gar keine Mühe zu geben und brauchen auch nichts auf sich zu halten, es warten ja zehn Mädel auf jeden. Er hat die Wahl und,« sie schob die Unterlippe vor, »er amüsiert sich eben. Aber das Mädel! Das soll rein sein wie ein neues Tischtuch, von dem noch niemand gegessen hat.« Die neunzehnjährige Weisheit hatte einen traurigen Unterton, der zwang, sie ernst zu nehmen. »Marie, das wird nit gar so schlimm sein.« Rudolf Korn schlug unwillkürlich einen väterlichen Ton an. »Wenn ich an Richard Frieders denke -- -- --« »Natürlich,« fiel ihm das Mädchen rasch in das Wort, »gibt's auch solche -- -- --« Sie schien ihre Not nicht allzu schwer zu nehmen. Der Ton ward leichter, die Neugierde brach durch. »Rudolf, wie sieht denn Ihre Braut eigentlich aus, und wie heißt sie denn?« »Sie heißt auch Marie, aber jeder Mensch nennt sie das Mariele.« Das Mädchen schwang sich auf die Futterkiste, neigte sich vor, und ihre jungen Augen funkelten vor Erregung. »Das ganze Dorf nennt sie das Mariele? Gott, das ist so rührend. Das ganze Dorf! Nun ja, es ist halt eben Dorf!« »Darauf kommt's nit an,« berichtigte Rudolf ernsthaft. »Wir haben vier Marien im Dorfe, aber bloß eine heißt Mariele.« »Aber wie kommt denn das? Ist sie eine so große Schönheit?« »Das weiß ich wirklich nit. Ganz so schön wie Sie wird sie wohl nit sein,« neckte Rudolf. »Ach,« verwies das Mädchen, »das müssen Sie nicht sagen. Das steht Ihnen nicht. Sie werden im Leben kein Städter.« »Will ich auch nit werden.« »Ich weiß aber noch nicht, warum Ihre Braut gerade das Mariele heißt.« »Und ich kann es Ihnen auch nit sagen. Es ist halt so. Das liegt in ihrer ganzen Art. Mag wohl auch sein, weil sie die langen Zöpfe hat.« »Wie lang sind denn die?« »Die gehen bis auf die Fersen.« »Ach, Rudolf, schwindeln Sie doch nicht. Das gibt's ja gar nicht.« »Doch, das gibt's, und Sie können mir das schon glauben. Daran ist kein verlogen Wort.« Da sprang das Mädchen mit einem Satze von der Futterkiste und trat dicht vor Rudolf hin. »Aber, Rudolf, dann hat sie doch ein Kapital.« »Wieso denn?« fragte der verwundert. Marie schüttelte den Kopf. Ja, die vom Dorfe! Da liegt für einen solchen Menschen das Geld auf der Straße, und er sieht's nicht und hebt's nicht auf. »Rudolf,« das zierliche Persönchen reckte sich auf den Fußspitzen, »solch Haar ist doch die beste Reklame für jede Haarwasserfabrik.« Sie schlug die Hände zusammen. »Wenn ich das hätte! Und es ist schön?« »Ganz fein und blond.« »Aber damit kann sie doch alles machen! Sie kann zur Bühne gehn, sie kann sich malen lassen, vor allen Dingen aber kann sie sich von einer kosmetischen Fabrik anwerben lassen. Wissen Sie, dann gehen so Plakate hinaus: So sieht das Haar aus, wenn man unser Haarwasser verwendet. -- Das hängt dann an jeder Litfaßsäule. Rudolf, das Mädel ist ja mehr wert als Ihr ganzer Bauernhof.« »Das weiß ich,« setzte Rudolf Korn ernst und knapp drauf. »Und?« »Gar nix. Das Mariele bleibt, wo sie ist und wie sie ist.« »Rudolf, Sie sind ein Bauer!« rief das Mädchen schnippisch und drehte sich auf dem Absatz um. »Bin ich und bleibe ich,« hörte sie noch eben im Davongehen. Und der Plappermund floß nachher vor seiner Herrin über, die sich gern etwas von dem auch innerlich sauberen Mädchen erzählen ließ. »Denken Sie, gnädige Frau -- -- --« Die gnädige Frau hörte zu, lächelte und nickte. »Das freut mich für den Rudolf.« »Mich ja auch, gnädige Frau, aber es ist doch eine Sünde.« »Nein, Marie, das ist keine. Erstens wäre es Betrug -- --« »Weil das Haar nicht von dem Haarwasser gewachsen ist? -- Ach Gott, gnädige Frau, wer fragt denn danach? Das ist immer so.« »Und zweitens behält man das Beste und Schönste am liebsten für sich zu Hause.« Sie machte eine kurze Pause. »Marie, Ihr Einfall ist nicht schlecht, er ist sogar sehr geschäftstüchtig, aber das eben ist mir ein sehr ernstes Zeichen: Die einen stellen sich ein auf das Geschäft und werden oberflächlich, die anderen auf die Arbeit und bleiben tiefere Menschen. Unterhalten Sie sich ruhig weiter mit Rudolf, solange er noch bei uns ist.« »Gnädige Frau meinen, daß er nicht lange bleibt?« »Das meine ich, und ich werde recht behalten.« »Aber er hat doch gar nicht viel zu tun.« »Das ist es eben. -- Ziehen Sie Ursula das Russenkittelchen an, Marie.« Nachdenklich tat das Mädchen in den nächsten Tagen seine Arbeit, und nachdenklicher als sonst war der Sohn des Hohlofenbauern in Schönbach. Er war am anderen Abend zu Grete Frieders gegangen, nicht im mindesten daran denkend, daß er ihr Verlegenheiten bereiten könne. Sie hatte ihn freundlich begrüßt, er hatte in der Sofaecke gesessen, bis sie ihr Mädelchen zu Bett gebracht, hatte gehört, wie die Mutter mit dem Kinde betete, und hatte dann der schwarzgekleideten Frau, in deren Gesicht jetzt erst der Schmerz seine Zeichen zu graben schien, gegenüber gesessen. Dann war Frau Grete aufgestanden. »Rudolf, es ist ein so schöner Abend. Ich habe den ganzen Tag im Laden gesteckt. Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir ein Stündchen in den Stadtpark.« Sie waren miteinander die Treppe hinabgegangen. Als sie an einer der Flurtüren vorüberkamen, steckte eine Frau den Kopf lauernd durch den Spalt, und als Grete Frieders dann, nachdem sie eine Treppe tiefer geschritten war, den Blick hob, sah sie, wie sich der graue Kopf weit über das Geländer herabneigte. Die beiden waren auf der Straße, da sagte Grete Frieders bitter: »Haben Sie die Frau in der Tür gesehen, Rudolf?« »Ja.« »Wissen Sie, was die jetzt sagt?« »Was soll sie denn sagen?« »Jetzt sagt sie es ihrem Mann, nachher weiß es die Nachbarin, morgen das ganze Haus, was ich für eine schamlose Person bin. Kaum ist mein Mann unter der Erde, da kommen die Männer zu mir, und ich gehe mit ihnen spazieren, und ich bin ein ganz miserables Frauenzimmer.« »Aber, Grete!« Die Frau lächelte bitter. »Ich hätte es Ihnen ja nicht zu sagen brauchen, aber ich rechne damit, daß es einmal irgendwie auf Sie zugetragen wird. Dann wissen Sie Bescheid. Regen Sie sich nicht auf, Rudolf, die Leute können nicht anders. Sie haben nichts, das sie tiefer packt, und -- sie reden, was sie sehen und hören. -- Nicht aufregen, Rudolf, es sind arme Menschen. Sehen Sie, der Mann der Frau trinkt. Ich bin gut dafür, daß er jetzt betrunken auf seinem Bette liegt. Die Frau hat auch schon viele Prügel gekriegt.« »Warum geht sie da nit weg? Das ist doch ein Hundeleben!« »Nicht so schreien, Rudolf. -- Das sind Dinge, die Sie auf Ihrem Dorfe nicht kennenlernen, die es da wohl auch nicht gibt.« »Wir haben in Schönbach nit einen einzigen Trinker.« »Vielleicht hat der Mann früher auch nicht getrunken. Ich kenne die Leute erst drei Jahre. Die Frau hat ihr Haus nicht in Ordnung, ist liederlich und mag nicht arbeiten. Der Mann hat vielleicht im Anfange Lärm geschlagen, nachher hat er halt angefangen zu trinken.« Grete Frieders wies auf die großen Mietskasernen in der Ferne. »Da steckt viel Jammer drin, Rudolf, aber es wohnen da auch viel tapfere Leute.« »Von Ihrer Art.« »Bei mir war so wenig Tapferkeit nötig wie bei meinem Manne. Wir wollten beide dasselbe, wollten beide vorwärts, und wenn das ist, Rudolf, dann ist die Stadt so gut wie das Dorf, in vielem sogar besser. Anders aber ist's, wenn eines sparen und eines vertun will oder eines die Häuslichkeit liebt und das andere nicht daheim bleiben will. Dann bleibt gewöhnlich leider nicht der bessere Teil obenauf, sondern der schlechtere, einerlei ob Mann oder Frau.« »Grete,« sagte Rudolf Korn nachdenklich, »ich bin noch nit lange da, aber das weiß ich jetzt schon, daß der Vater unserer Frau recht hat. Der sagt, man muß die Stadt zuerst von der Rückseite sehen.« Frau Grete lächelte. »Das ist leichter gesagt als durchgeführt. Sie werden die Stadt kaum von der Rückseite kennenlernen. Wie wollen Sie das auch machen, selbst wenn Sie es versuchen wollten? Sie können doch nicht in die Häuser hineingucken. Meint der alte Herr aber die Arbeitsplätze, dann hätte er die ruhig als die Vorderseite bezeichnen können. Vielleicht hat er an die Lokale und die Auslagen gedacht. Die sind aber nicht das Gesicht, die sind bloß die Farben drauf und die, nun ja, in der Stadt schminkt man sich halt.« Rudolf sah die Frau verwundert an. »Was haben Sie eigentlich für Schulen durchgemacht?« Wieder lächelte sie. »Gar keine weiter als eine gute Volksschule. Aber sehen Sie, hier schon haben Sie etwas, das das Dorf doch nicht in dem Maße bieten kann. Wir können leicht so viel lernen, wie wir wollen.« Sie schwiegen ein Weilchen. Dann sagte die Frau sachlich und ruhig: »Man wird in der Stadt beweglicher, aber wenn ich ~Sie~ so ansehe und höre, dann scheint mir, man bleibt auf dem Dorfe innerlicher.« Dazu nickte Rudolf. »Das liegt an dem Umgange.« »Mag sein. Sie sind der Erde näher.« Da brach es warm aus dem Manne herauf. In der Ferne erblickte er sein Heimatdorf und erlebte er sein Mädel. Seine Augen gingen durch den stillen, weiten Park und sahen doch die Bodenwiesen vor sich, den Schönbach mit seinen Wellen und seinen Erlen am Ufer. Er stand auf dem Anger und sah von weitem den Turm der Bergkirche, hörte die Dorfglocken und sah sein Mädel die braunen Arme regen, indes ihm die langen, blonden Zöpfe immer wieder über die Schultern fielen. Als er aufhörte zu sprechen, sagte Frau Grete: »Für heute ist es genug, Rudolf. Jetzt reden wir nichts weiter.« »Aber das Mariele müssen Sie kennenlernen.« »Ja, das will ich.« »Und meine Mutter auch.« Er lächelte. »Ich müßte sie schlecht kennen, wenn sie auf meinen Brief nit herkäme. Aber ich habe ihr geschrieben, sie soll dann zu Ihnen kommen. Das ist Ihnen doch recht?« »Ja, Rudolf. Bei meinen guten Günthers kann ich zu jeder Stunde abkommen. Gott sei Dank, daß ich die habe.« »Sind denn da keine eigenen Kinder?« »Nein, die alten Leute sind kinderlos.« »Dann können Sie doch das Geschäft übernehmen.« »Das könnte ich,« entgegnete die Frau, wieder ein gutes Lächeln um den Mund, »wenn ich -- das Geld dazu hätte. Sie müssen doch schließlich für ihr Alter sorgen.« »Lassen Sie mich erst wieder daheim sein, dann können wir weiter darüber reden.« »Nicht doch, Rudolf. Ich schlage mich schon durch. -- Sie müssen ja überhaupt erst Ihre fünftausend Taler beieinander haben.« »Das ist dummes Zeug, und davon kann gar keine Rede sein.« »Wenigstens nicht ernsthaft. Das denke ich auch.« »Wenn der Vater nit so ein Pulverkopf wäre -- -- --« »Nicht, Rudolf. Er ist Ihr Vater. Ich glaube, er weiß schon seinen Weg.« »Wird er wohl wissen, aber nötig war's nit.« »Nötig nicht, aber es ist doch gut. Ihre Mutter sieht die Sache richtig an, und Sie tun es ja auch. -- Wann wollen Sie denn heim?« »Das kann ich noch nit sagen, und das kommt ganz darauf an, aber das weiß ich, daß ich ein Jahr aushalte.« »Ein Jahr ist lang.« »Für das, was ich möchte, nit lang genug, aber noch länger will ich's doch nit hinausziehen.« Sie waren wieder in die Straße gekommen, in der Frau Frieders wohnte, und sagten sich gute Nacht. Zwei Tage vergingen, Tage, in denen jedes die starke Spannung spürte, die über dem Hause des Bankiers lag. Der Herr schrie zuweilen bei den Auseinandersetzungen mit seiner Frau, daß es keines Horchens bedurfte, um zu wissen, daß schwere Sorgen die Einigkeit hinausgejagt hatten. Frau Werner war eine stille Frau. Sie hatte den Mann lieb, hätte fraglos ihr ganzes Vermögen geopfert, wäre ihr Vater nicht dazwischengetreten. »Rudolf,« sagte das Hausmädchen am Morgen wispernd zu Rudolf Korn, »es steht auf der Kippe.« »Dummes Zeug, Marie. Wenn das wäre, dann würde er doch zuerst das Zeug verkaufen, das hier herumsteht und hängt, meinetwegen auch das Haus und die Pferde.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie denken Sie sich das denn eigentlich? Erstens gehört das meiste der Frau, zweitens wäre es ein Tropfen auf einen heißen Stein. -- Sie sind komisch, Rudolf. Unsereins weiß mit neunzehn Jahren mehr als Sie mit siebenundzwanzig. Dabei sind Sie ein Mann. Passen Sie auf: Sie müssen heute die gnädige Frau zu ihrem Vater fahren. Sie wird die Kinder mitnehmen. Der Herr hat sie noch einmal breitgeschlagen. Das ist der letzte Versuch, und wenn der fehlschlägt, dann -- -- -- Aber nichts verraten, Rudolf, ja nicht. Die gnädige Frau tut mir ja in der Seele leid.« »Abwarten, Marie. Vielleicht haben Sie -- falsch gehört.« »Ich habe überhaupt nichts gehört, aber ich weiß.« Weg war sie und schlug die Tür hinter sich zu. Und es geschah, was die Kluge vermutet. Um neun fuhr Rudolf den Bankier nach der Bank. Als er zurückkehrte, wartete seine Herrin auf ihn, die Kinder an den Händen. »Spannen Sie nicht erst aus, Rudolf. Sie sollen mich zu meinem Vater fahren. Wenn wir ihn nicht mehr im Hause treffen, müssen wir nach dem Werke.« Der alte Herr Schmidt war schon seit über einer Stunde von daheim fort. Rudolf mußte nach der Eisengießerei fahren. Er war nie da draußen gewesen. Das ungeheure, hin und her flutende Leben auf dem Werke betäubte ihn. Wohl stellte er vergleichend fest, daß in der Grube nicht weniger, sondern wahrscheinlich noch sehr viel mehr Menschen beschäftigt gewesen waren, und doch wirkte das Werk gewaltiger. Abgesehen davon, daß sich alles im Lichte des Tages abspielte, es war zusammengeballter und vielseitiger. Die Arbeit war einer ungeheuren Brandung gleich, aus der herauf einzelne Stimmen als Kreischen, Hämmern, Stöhnen, Rollen brachen. Es herrschte nicht die dumpfe, drohende Stille der Grube, die Arbeit schrie ihr Lied, und das kam nicht daher in einzelnen Tönen, das brauste auf als ein einziger gewaltiger Akkord. Rudolf war, indes die Pferde wartend vor der Tür standen, beobachtend hin und her gegangen. Mit welcher Leichtigkeit die mächtigen Kräne die Lasten emporhoben, drehten, beförderten, sinken ließen. Aus einem düsteren Gebäude glotzten glühende Augen. Da standen die Schmelzöfen und, wie in der Grube, hantierten da Männer mit entblößtem Oberleib. Dem Beobachtenden aber schien es, als seien diese Männer stärker als die Bergleute, stärker in ihren Leistungen und in ihren Forderungen. Ihre Gesichter waren trotzig und hart und ohne die besinnliche Linie, die das Leben tief drunten in der Erde in jedes Antlitz zeichnet. Als er sich wandte, sah er Frau Werner aus dem Hause treten. Der Großvater führte die Kinder. Rudolf war mit ein paar raschen Schritten am Wagen und lüftete die Mütze vor dem alten Herrn. Der erwiderte den Gruß, aber sein Gesicht war tief ernst, beinahe traurig. »Auf Wiedersehen, Elisabeth.« Er reichte der Tochter die Hand. »Wiedersehn, Kinder.« Der Wagen fuhr vom Werke. Rudolf mußte den Weg über die Bank nehmen. Frau Werner stieg aus, kehrte aber nach kurzer Zeit, noch bleicher im Gesicht, als sie in das Haus gegangen war, zurück. Der dumpfe Druck auf dem Hause ward immer stärker. Es gab keine laute Auseinandersetzung mehr. Selbst Marie wußte nichts zu berichten, und Rudolf hatte nicht nötig, sie zu bitten, die Zuträgerei zu lassen. Das allzeit heitere Mädel hatte rotgeweinte Augen, schämte sich und sah an Rudolf vorüber, wenn sie einander über den Weg liefen. Die Tage schlenderten langsam dahin und wuchsen dem jungen Hohlöfner ins Endlose. Er machte sich da zu schaffen und dort, hatte sich sogar von Grete Frieders das Buch geholt, das sein Freund so gern gehabt, und hatte es gelesen. Die Heiteretei gefiel ihm. Er lächelte oft vor sich hin und stellte Vergleiche an. »So wäre das Mariele auch gewesen, das hätte sie geradeso gesagt, und der Heiteretei fehlen, wie es scheint, bloß die langen Zöpfe, dann wäre sie auf und ab das Mariele.« Als er gegen Abend in die Küche kam, reichte ihm Marie einen Brief. Die Mutter schrieb, übermorgen wolle sie kommen. Sie würde um dreiviertel zehn auf dem Bahnhofe eintreffen. Das paßte Rudolf. Um die Zeit war er frei. Er konnte sie abholen, aber er mußte Grete Frieders Nachricht geben, damit die auch daheim war. Das tat er, aber er hielt sich nicht auf. * * * * * Harrend stand Rudolf Korn auf dem Bahnsteig. Der Zug fuhr ein, und -- da war die Mutter, breit, gesund, lachend. Sie trug eine schwere Reisetasche. »Guten Tag, Mutter.« »Tag, Rudolf. Da bist du ja. Hätt mich schon durchgefunden zu der Frau, wenn du nit hättest abkommen können.« »Gib die Tasche her, Mutter.« »Die ist schwer. Deine Wäsche ist drin und was zu essen. Sie lassen alle schön grüßen, der Vater und das Mariele und der Lehrer und Berteles-Mutter und der Schmied.« »Das ist ja bald das ganze Dorf.« »Ja. Könnte gern noch ein paar herzählen. Nimm's für die andern gleich mit. -- Du liebe Zeit, ist das ein Leben! Da getraut man sich ja nit über die Straße.« »Ist auch nit ganz ungefährlich. Komm nur, ich führe dich. -- So, da wären wir schon auf der richtigen Seite. Es ist nit weit zu Grete Frieders. Wir brauchen nit erst zu fahren.« »Aber freilich laufen wir. Wir werden doch nit unnütz Geld ausgeben.« »Das wäre nit teuer. Kostet nur einen Groschen.« »Und dafür kann man fahren, wohin man will?« »Dafür kannst du eine Stunde lang fahren.« »Ist nit zu glauben! Das ist freilich kommod. Rudolf, du siehst nit gut aus. Bist du krank?« »Nein, Mutter, ich bin gesund, aber unser Herr hat sich die Nacht erschossen.« Die Hohlöfnerin schrie auf. »Er -- schossen?« »Nit so laut, Mutter. Komm nur weiter. Ja, erschossen. Seine Frau hat ihn heute früh tot vor dem Schreibtisch gefunden.« »Sind denn Kinder da?« »Ja, zwei.« »Dann muß sich der Mann ins Grab hinein schämen, daß er den Kindern das angetan hat.« »Darüber denkt man hier anders.« »Da ist gar nix zu denken. Mensch ist Mensch, ob in der Stadt oder auf dem Dorfe. Der Herrgott ist überall, und jeder Vater hat an seine Kinder zu denken, damit sie nit zeitlebens mit einem Flecken auf ihrem Namen herumlaufen müssen. Warum hat er denn das gemacht?« »Er soll schwere Verluste im Geschäft gehabt haben.« »Du meine Zeit, hätte er halt wieder von vorn angefangen.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie kann sich ein Mensch das Leben nehmen! Alles ist wieder gutzumachen, aber das nit. -- Was wird denn nun mit dir?« »Darüber wollte ich eben reden. Die Frau hat mir sagen lassen, ich solle um elf zu ihr kommen. Da wird ihr Vater da sein. Es tut mir leid, Mutter, daß ich euch eine Weile allein lassen muß.« »Da ist nix leid zu tun. Mach du nur deine Sachen. Die gehen vor. Ich fahre erst morgen wieder fort. -- Nun hast du doch fürs erste keinen Posten?« »Nein, vorläufig nit, aber es wird sich schon wieder etwas finden.« »Dummes Zeug, Rudolf. Hört auf mit euren Dummheiten, ihr zwei Dickköpfe. Komm heim.« »Noch nit, Mutter. Nun habe ich erst Appetit gekriegt.« »Und der auf daheim vergeht dir?« »Nein, der wird Hunger.« »So. Darüber müssen wir mehr reden.« »Da wohnt Grete Frieders.« Die Hohlöfnerin sah an dem himmelhohen Hause hinauf. »Wieviel Leute wohnen da eigentlich?« »Ich weiß nit, aber hundert werden das wohl sein.« »Du bist nit gescheit! Das ist ja das halbe Dorf.« »Es gibt Häuser, in denen mehr wohnen als in ganz Schönbach.« »Hör auf! Wenn ich das nit mit eigenen Augen sähe, tät ich's nit glauben.« Sie stiegen die Treppe hinauf, und Korns Mutter blieb öfter stehen. »Ach du lieber Gott, du lieber Gott! Immer noch höher?« »Bis unter das Dach.« »Rudolf!« »Dafür ist's droben um so hübscher.« »Junge, hübsch kann ~das~ nit sein!« Grete Frieders stand schon wartend vor der Tür, hörte die zwei sprechen und lächelte. Sie ging der Hohlöfnerin mit ausgestreckter Hand entgegen. »Guten Tag, Frau Korn.« »Guten Tag und schönen Dank, daß sie mich aufnehmen. Werde Ihnen doch auch nit zu viel?« »Gar nicht. Ich freue mich, daß Sie zu mir kommen. Rudolf hat mir schon so viel erzählt.« »Was ist denn von mir groß zu erzählen? Ich komme vom Dorfe.« Grete Frieders hielt ihre Hand fest und sah ihr hellen Auges in das gute Gesicht. »Kommen Sie nur, Frau Korn, mein Mädelchen wartet auch schon auf Sie.« Die Hohlöfnerin nahm das Kind auf den Arm. »Du kleines Dingelchen. -- Fragt sie nit manchmal nach dem Vater?« »Das tut sie, aber sie weiß ja, wo er ist.« »Im Himmel, gelt, du kleines Herzblatt. -- Ach, lieber Gott, ist das eine Welt! Nun hat sich auch noch dem Rudolf sein Herr erschossen.« Frau Grete wußte es schon. »Es soll schlecht mit ihm gestanden haben,« sagte sie. Die Bäuerin ließ keine Entschuldigung gelten. Rudolf sah nach der Uhr. »Mutter, ich muß jetzt gehen. Es wird nit lange dauern, dann bin ich wieder da.« »Geh nur, Rudolf. Wir erzählen uns derweile.« Als er die Tür hinter sich geschlossen, nahm die Hohlöfnerin Frau Gretes Hand. »Sie gefallen mir. Ich muß das immer sagen, wie ich's meine. Sie gefallen mir, und ich danke Ihnen, daß Sie den Jungen so aufgenommen haben. Da hat er doch wenigstens ein bissel ein Zuhause.« »Und ich habe einen Menschen, mit dem ich wie mit einem Bruder reden kann.« Minna Korn nickte und berichtete, wie sie und ihr Mann die kurze Nachricht in der Zeitung gelesen und wie sie versucht hätten, sie voreinander zu verbergen. »Das hat uns in der Seele leid getan,« fuhr sie fort. »So jung, und Sie haben so gut miteinander gelebt.« »Frau Korn, wir leben noch miteinander und werden immer miteinander leben.« »Na ja, aber -- -- -- Man begreift den Herrgott manchmal nit.« »Den begreift man überhaupt niemals, und begriffe man ihn, dann wäre er nicht mehr der Herrgott.« »Das möchte ich doch nit sagen. Ich muß mir das anders zurechtlegen.« »Dafür leben Sie mitten zwischen Feldern und Wiesen, ich in der Stadt.« »Aber der Herrgott ist doch überall derselbe.« »Der Herrgott ja, aber die Menschen stellen sich anders zu ihm ein. Denken Sie doch, unsere Stadt hat etwa dreihunderttausend Einwohner. Von denen leben vielleicht dreißig -- vierzigtausend so, daß sie die Erde noch unter sich fühlen und sich selber noch wichtig und ernsthaft nehmen als Herren dieser ihrer Erde. Hunderttausend nehmen ~sich~ noch wichtig und ernsthaft, aber nicht mehr die Erde, und die andern nehmen ~weder~ sich noch die Erde ernsthaft und wichtig.« Minna Korn saß der klugen jungen Frau mit ernsten Augen gegenüber. »Sich nit mehr und die Erde nit mehr,« sagte sie traurig. »Was machen die?« »Sie leben.« »Das ist kein Leben!« »Nein, das ist es nicht, und es sind arme, arme Leute, die in ~den~ Schuhen stecken.« »Aber mit Geld hat das nix zu tun.« »Nein, das liegt jenseits davon. Das sind die armen Menschen, die sich selber nichts weiter mehr sind als Nummern. -- Wir, mein Mann und ich, gehörten zu denen, die sich noch ernst und wichtig nahmen und auch die Erde so wichtig nahmen, daß sie zu ihr zurück wollten. -- Ich weiß, Rudolf hat sich gewundert, daß ich bei dem Tode meines Mannes keine Tränen hatte.« »Daran hängt's nit,« fiel die Hohlöfnerin ein, »und gerade das tut am meisten weh, wenn man nit flennen kann.« Grete Frieders schüttelte den Kopf. »Das war es aber nicht, Frau Korn. Es war etwas anderes.« »Das möcht ich wissen.« »Es sagt sich schwer. Etwa so war es: Das Leben schlägt nach rechts und links, und wen es trifft, den trifft es.« »Geschieht nix ohne den Herrgott.« »Wenn halt der Herrgott und das Leben dasselbe sind.« »Doch nit anders, junge Frau.« Grete Frieders nickte. »Es ist nur viel schwerer, das zwischen den Eisenhämmern, den Gießöfen, den Maschinen oder drunten in der Grube zu erkennen als zwischen den stillen Wäldern und Bergen, wo alles zum Himmel weist. -- Das Leben schlägt rechts und links, -- mein Mann und ich haben oft genug davon geredet, -- aber es bleibt nicht stehen, nicht, wenn einer stirbt, nicht, wenn hundert umkommen, nicht, wenn eine Million fallen würde. Frau Korn, da lernt der ernsthafte Mensch zweierlei: Er stellt sich immer auf das Abschiednehmen ein und nimmt jeden neuen Tag, der ihm wird, um so dankbarer, und er stellt sich anders zu dem Herrgott, der grausam und ganz und gar unbegreiflich wäre, wenn er den einzelnen Menschen wichtig nehmen sollte. Was macht es für ihn aus, ob einer dreißig oder siebzig Jahre wird? -- Ob Sie mich begreifen, weiß ich nicht. Mein Mann und ich waren darin einig. Er hätte, wenn ich gestorben wäre, nicht anders um mich getrauert, als ich um ihn trauere, still, ohne Tränen, aber treu und tapfer. Ich -- werde nie wieder heiraten.« »Verreden Sie das nit.« Grete Frieders lächelte. »Wir haben es uns nicht versprochen, Frau Korn, daß der übrigbleibende Teil nicht heiratet. Ich aber tue es nicht.« Die Hohlöfnerin schüttelte den Kopf. »Ich weiß nit, ist das mehr traurig oder ist es etwas anderes.« »Es ist wohl etwas anderes, aber es ist nichts für Sie und nichts für Rudolf.« »Dann ist es auch nix für Sie.« »Doch, für mich ist es gerade das richtige, und es ist alles, was der denkende Mensch sich an Religion in der Stadt retten kann, das tiefe Gefühl des Nichtsseins an sich und des Allesseins in Gott. Was dazwischen liegt, -- und ich wollte, ich hätte das, -- das kann nur der haben, der mit den Füßen in der Erde steht, nicht nur, wie wir, ~auf~ der Erde.« »Haben Sie so mit Rudolf geredet?« »Nein. Ich werde auch nicht so mit ihm reden. Der alte Herr Schmidt hat ihm gesagt, er sei einer, der sich selber suche.« »Dann kann er aber auch irregehen.« »Das brauchen Sie bei Rudolf nicht zu fürchten, aber als ein anderer wird er Ihnen heimkommen, als er gegangen ist.« »Am Ende gar nit mehr als Bauer.« »Oder als ein besserer Bauer.« »Lieber Gott, was doch aus einem unbedachten Worte werden kann!« Sie plauderten noch eine Weile, Mutter Korn erzählte von ihrem Mann und hielt beide Hände über ihn, sprach vom Mariele, das Frau Grete unbedingt kennenlernen müsse, und berichtete von der Ernte, die auf den Hofäckern wuchs. Nach einer reichlichen Stunde kam Rudolf wieder. Der war, kaum daß er in das Haus Werners zurückgekehrt war, gerufen worden und hatte den alten Herrn Schmidt bei seiner Tochter gefunden. Der Mann war völlig ruhig gewesen, und die Ruhe schien auch auf die Frau übergegangen zu sein. »Korn,« hatte er begonnen, »der Haushalt hier wird aufgelöst. Ihre Stellung ist erledigt.« »Damit habe ich gerechnet.« »Was wollen Sie nun anfangen?« »Das weiß ich noch nit.« »Heimgehen wollen Sie nicht?« »Nein, ich bin noch nit so weit.« »Wie weit wollen Sie denn eigentlich kommen?« »Ich möchte noch manches kennenlernen.« »Korn, Sie wissen, was ich Ihnen an dem Abend gesagt habe, an dem Sie vor meinem Hause hielten. Wir wollen nicht wieder von dem Dienst reden, den Sie meiner Tochter geleistet haben, aber Sie interessieren mich. Was Sie suchen, wissen Sie vielleicht selber nicht recht. Sie wollen weniger die verschiedenen Arten der Arbeit kennenlernen, Sie wollen die Menschen kennenlernen. Und dabei kann für alle Teile nur Gutes herauskommen. Da aber die Arbeit den Menschen formt, müssen Sie eben an die Arbeit. Der Gießer ist ein anderer als der Kranführer, der wieder ein anderer als der Kernmacher, als der Bergmann, der Weber, der Drahtzieher. Die Leute meinen, sie wären gleich. Das ist aber nicht wahr. Sie haben gewisse Interessen gemeinsam, man macht sie ihnen sogar gleich, aber es sind da doch hundert Unterschiede, die sich alle irgendwie auswirken. Das auch nur ein klein wenig zu begreifen, dazu gehört ein langes Leben, und selbst das längste ist zu kurz. Sie wollen den Stadtmenschen als Ganzes sehen und verstehen, um ihm gerecht zu werden und anderen die Augen dafür zu öffnen. Das ist gut, und dazu biete ich meine Hand. Sie können jeden Tag auf mein Werk kommen, und Sie können in allen Abteilungen arbeiten. Wie denken Sie darüber?« »Ich nehme an und danke Ihnen.« »Dann ist das erledigt. Versorgen Sie die Pferde hier noch ein paar Tage und machen Sie den Tieren ein wenig Bewegung. -- Das Mädchen hat meiner Tochter gesagt, daß Ihre Mutter da ist. Gehen Sie ruhig wieder hin. Hier ist jetzt nichts weiter zu tun.« Die Stimme des alten Mannes hatte so gemessen wie immer geklungen. Sie war auch gestern abend kaum bewegter und doch eisern gewesen. Ach ja, die letzte Fahrt mit dem Herrn! Rudolf Korn sah ihn wieder vor sich. Er hatte Herrn Werner vor das stille Landhaus gefahren. Es war ein schwüler Abend, und die Fenster standen offen. Korn hatte wahrhaftig nicht lauschen wollen, er hatte auch seines Herrn Worte nicht verstanden, aber er hatte aus deren Ton gehört, daß er bat, drängte, forderte. Deutlich dagegen hatte er des alten Herrn Stimme vernommen. Erst ein kurzes, eisernes: Nein, dann: »Georg, ich habe dich nicht nur gewarnt, ich habe dir auch mehr gegeben, als ich verantworten konnte. Ich habe es um Elisabeths willen getan, aber ich hätte es doch nicht tun sollen; denn ich wußte, daß es verloren war. Es handelt sich bei dir nicht um eine Bank der armen, ehrlichen Leute.« »Bei mir haben Handwerker, Kaufleute und kleine Fabrikanten ihre Konten. Sogar eine Waschfrau.« »Und alles ist Gesindel,« hatte die eiserne Stimme geantwortet. »Spekulantengesindel, das nicht arbeiten, das schachern wollte. Die Sorte ist in allen Ständen vertreten, und mit denen habe ich kein Erbarmen. Ich bin vor reichlich fünfzig Jahren als Schlossergeselle hierher gekommen.« »Dir hat die Zeit geholfen.« »Das ist die richtige Auffassung. Die Zeit! Hahaha. -- Nein, mir hat die Arbeit geholfen und die Sparsamkeit. -- Spare dir jedes weitere Wort. Mag das Volk jetzt kriegen, was es verdient; ich greife ~nicht~ mehr zu.« Rudolf hatte den Pferden die Köpfe gestreichelt, um nicht als Lauscher befunden zu werden. Vom Platze aber konnte er nicht. Da kam sein Herr, stieg wortlos in den Wagen, nannte kein Ziel und antwortete auch nicht, als Rudolf danach fragte. So fuhr der ihn heim. Am Morgen war der Mann tot. -- -- Rudolf trat wieder in Grete Frieders Stube. Die Mutter hatte das Kind auf dem Arme. Sie fragte nicht mit Worten, aber sie fragte mit den Augen in den Sohn hinein. Und der antwortete kurz: »Ich gehe zum alten Herrn in die Gießerei.« Da seufzte die Bäuerin. Nach dem Mittagessen schlug Rudolf der Mutter vor, in die Stadt zu gehen. Die wehrte ab. »Nit unter die vielen Menschen, Rudolf.« »Gut. Dann gehen wir nach dem Parke.« Grete Frieders ging in das Geschäft und nahm ihr Kindchen mit. Und nun saßen sie auf der Bank am Teichrande, Rudolf Korn und seine Mutter. Über ihnen breitete eine Blutbuche ihr dichtes Dach aus, vor ihnen plätscherten die Wellen des Teiches leise an das Ufer. »Nun erzähle von daheim,« bat Rudolf. »Wie weit sind sie mit der Heuernte?« »Fertig. Das Mariele hat alle Tage mitgeholfen.« »Von der kannst du mir nachher erzählen. -- Sie sind fertig? Das Wetter war gut, aber sie müssen sich doch tüchtig dazugehalten haben. -- Wie steht das Korn?« »Gut, Rudolf. Ich wüßte nit, daß es einmal besser gestanden hätte.« Sie plauderten, und Mutter Korn mußte die ganze Heimatflur vor dem lauschenden Sohne aufbauen. Das freute und beruhigte sie. Rudolf war kein Stadtmensch, er war Bauer. »Und wie ist es mit dem Vater?« fragte er. »Du mein, wie soll es sein? Nit wie immer, das kann ich dir sagen. Wenn er das Wort ungesagt machen könnte, er tät's lieber heute als morgen, aber es geht halt nit.« Dazu schwieg Rudolf und sah vor sich hin. »Mit dem Mariele ist er wie sonst. Was er machen wird, weiß ich nit, aber daß es gut wird, das weiß ich.« »Ist bloß ein bissel teuer bezahlt,« grollte Rudolf. Die tapfere Frau aber wußte es besser. »Das kommt auf dich an, Rudolf, und für das, was du jetzt vorhast und machst, ist der Vater nit mehr verantwortlich. Von ihm aus soll ich dir sagen, du möchtest heimkommen.« »Kann ich jetzt nit.« »Weil du nit willst. Das hast du von deinem Vater, bloß daß der's herauspoltert, und du verbeißt es dir. Im übrigen ist einer wie der andere.« »Nein, Mutter. Es ist nit Dickköpfigkeit und, ich muß es dir sagen, es ist auch nit, daß ich dem Vater böse wäre. Wenn er jetzt sagte: Das Mariele hat das Geld beieinander, oder: Ich nehme mein Wort zurück, ich käme doch nit heim. Unter einem Jahr nit. Mutter, die Zeit ist wahrlich nit leicht. Was man auf dem Dorfe löffelweise kriegt, das kriegt man hier mit dem Eimer -- -- --« »Und verdirbt sich den Magen.« Rudolf zuckte die Achseln. »Ein bissel vielleicht manchmal, aber ich kann es vertragen.« »Was willst du denn damit, daß du die Stadt kennenlernst? Du wirst einmal der Hohlofenbauer, hast dein Gewisses, und das andere braucht dich nit zu scheren.« »Ich hab's nit gewollt, daß ich in ~dem~ Wasser schwimmen lernte, der Vater hat's auch nit gewollt, es ist gekommen. Du bist es gewesen, die zuerst von der Lehrzeit geredet hat und hast damit das richtige gesagt. Ich werde kein schlechter Bauer sein, wenn ich heimkomme, aber ich werde einer sein, der, wenn sie die Stadtleute schlecht machen, hintreten und sagen kann: So ist's nit.« »Soll das was nutzen, Rudolf?« »Schaden tut's wenigstens nit. Es ist halt, wie's ist. -- Und -- was macht das Mariele?« »Das weißt du doch. Sie schreibt dir ja wohl jede Woche ein paar Briefe,« sagte Korns Mutter lächelnd. »So schlimm ist's nit, aber sie schreibt mehr als ich. Hat halt auch mehr Zeit.« »Umgekehrt wäre richtig. Du hast mehr Zeit, aber das Mariele ist besser beieinander als du. -- Der junge Lehrer sieht recht krank aus.« »Was willst du auf einmal mit dem?« »Ach, nix weiter.« »Hab schon manchmal gedacht, er hat die Schwindsucht.« »Hat er, Rudolf, und wird nit mehr lange machen.« »So böse ist's schon?« »Wird wohl so sein. Nun paß auf: Er weiß, daß er sterben muß, und -- er hat das Mariele gern. Wäre er gesund, müßtest du es mit ihm aufnehmen.« Rudolf lachte. »Der wäre der letzte, vor dem ich mich fürchten tät.« »Red nit so, Rudolf. -- Das Mariele weiß, daß er sie gern hat.« Rudolf richtete die Augen gespannt auf die Mutter. »Gelt, jetzt bist du schon eifersüchtig? Schadet nix. Ist dir sowieso mit dem Mädel alles viel zu glatt gegangen. Das tut gar nit gut, weißt ja sonst gar nit, was du an ihr hast.« »Mutter,« Rudolf legte seine Hand auf die der Mutter, »ist da etwas nit in Ordnung?« »Freilich ist da etwas nit in Ordnung.« »Das -- Mariele schreibt mir, und -- -- -- und, sie meint es ~doch~ nit ehrlich? Und ich sitze dahier und verderbe mir das Jahr und -- -- -- Kreizdeibel!« »Immer weiter, Rudolf, du bist auf dem richtigen Wege. Verdirbst dir das Jahr und -- -- --« In Minna Korns Augen stritten Ernst und Spott. Der Sohn rückte sich zurecht. »Red, Mutter. Das kann ich nit vertragen, wenn ich nit weiß, woran ich bin.« »Du weißt nit, woran du bist? Wenn nun ich ~nit~ davon geredet hätte, wenn einer von den jungen Burschen gekommen wäre und hätte dir erzählt, das Mariele hält's mit dem jungen Lehrer?« »Dann. Ja, ich hätt mir den Kerl angesehen und -- -- --« »Und? Jetzt kommt doch erst das richtige.« »Laß die Dummheiten, Mutter.« »Das sind keine Dummheiten. -- Du wärst heimgekommen.« »Vielleicht auch nit.« »Aber du hättest dem Mariele einen Brief geschrieben.« »Ja. Und wenn du jetzt nit redest, dann schreib ich ihn heute noch.« »So, du -- Hohlöfner! Bloß daß dein Vater ~die~ Dummheit nit gemacht hätte. -- Schäm dich, Rudolf, dem Mariele nit ganz und gar über alle Berge weg zu vertrauen. Hab dich für anders gehalten. Eine Marie Berteles bringt selbst der Herrgott bloß zuwege, wenn er der Welt was ganz Gutes und Schönes geben will, und der, der solch ein Mädel heiraten will, darf nit einer von der gewöhnlichen Sorte sein. Ich habe gedacht, du wärst einer von den anderen, weil du fest warst gegen deinen Vater, und weil du hier in der Stadt so viel -- -- lernen willst, damit du einmal gescheiter bist als die anderen. Rudolf, wenn du nit mehr aufbringst als Trotz, dann hör auf; denn dann fehlt das Beste. Um das Mariele brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie geht mit keinem Gedanken an dir vorbei und denkt an dich mit jedem Atemzuge, aber du bist noch lange nit so weit wie sie.« Die Hohlöfnerin sprach bitter ernst und in tiefer Herzlichkeit. »Rudolf, wenn das einen Sinn haben soll, daß du in der Stadt bist, dann mußt du als ein anderer wiederkommen, als du gingst. Damit ist's nit gemacht, daß du uns Bauern nachher sagen kannst, es ist in der Stadt auch nit alles Zuckerlecken. Das wissen die Vernünftigen lange schon, und ob ~du~ es ihnen sagst oder ein anderer, das ist einerlei. Dein Vater ist der erste in Schönbach, nit bloß weil er der größte ist. Das Dorf hat ihm auch allerlei zu danken. Die Zeit aber wird anders, Rudolf. Das langt nit mehr, daß einer dreißig Morgen mehr und die beste Saat und die erste Drillmaschine hat. Das aber langt auch nit, daß einer da und dort hineinriecht, wie du das jetzt machst. Da drin muß es sitzen,« Minna Korn wies auf ihr Herz. »Und da sitzt es bei dir noch nit.« Sie legte ihm die Hand auf das Knie. »Sei nit böse, Rudolf. Ich will dir nit weh tun, aber ich kann's nit mit ansehn, wenn aus der traurigen Zeit nit wirklich etwas herausspringt und du nit wiederkommst als ein Mann, der das geworden ist, was er gern werden möchte. Und nun will ich vom Mariele weiterreden.« Sie erzählte, wie sie das junge Mädchen absichtlich dem jungen Lehrer überliefert, als die Wachtel schlug, wie besitzfreudig er im Entsagen sei und nun mit feinem Herzenstakt das Mariele auch nicht mit einem Blick beunruhige. Dann redete sie mütterlich: »Rudolf, wer so reich ist wie ihr, du und das Mariele, seid, der tät eine Sünde vor dem Herrgott, wenn er wie ein Geizhals alles nur für sich haben wollte. Liebhaben macht nit ärmer, das macht reicher. Der arme Mensch wird es dir und dem Mariele einmal auf dem Sterbebette danken, wenn seine letzte Zeit auch seine schönste war.« Ernst und nachdenklich sah Rudolf über den schwach bewegten Teich hin. »Bist nit böse?« fragte die Mutter. »Nein, Mutter,« bekannte er freudig. »Kannst den beiden von mir erzählen, aber sag dem Mariele ja nit, daß ich schon was gelernt hätte.« »Doch, Rudolf, du hast schon etwas gelernt.« »Mir ist nit danach. Wenn ich darüber nachdenke, dann meine ich, ich komme als derselbe Lehrjunge wieder, als der ich fortgelaufen bin.« Da lachte Minna Korn herzlich. »Rudolf, der Lehrjunge lernt zuerst sein Handwerkszeug gebrauchen, und das kannst du schon ganz gut. -- Komm, ich bin ausgeruht, wir wollen doch noch ein bißchen unter die Leute gehn. Ich will mir ja auch ein neues Kleid kaufen.« Aufgeräumt und innerlich erleichtert, schritt sie neben dem Sohne her, plauderte, scherzte, erzählte vom Weizen auf den Angeräckern, von dem armen Ender, der letzte Woche wieder ein Schwein dem Schinder hatte geben müssen, von der Berteles-Mutter, die den Mut nicht aufbringen könne, wirklich zu glauben, daß ihr Mariele einmal Hohlöfnerin werden solle. So kamen sie mitten hinein in das Häusermeer, und der Zufall fügte es, daß sie durch die Straße gehen wollten, in der die Wernersche Bank lag. Da hatte sich ein Menschenhaufe gesammelt, aus dem sich dann und wann einer wild gegen das eiserne Tor stemmte, durch das das Grundstück von der Straße abgeschlossen ward. Jetzt erst erwachte Rudolf völlig. »Das ist die Bank,« erläuterte er leise der Mutter. »Und was wollen die vielen Leute?« »Die haben ihr Geld verloren.« »Die sehen doch alle nit aus, als hätten sie Geld zu verlieren.« Die Hohlöfnerin ließ die Augen prüfend über die erregten Menschen gehen. »Das sind doch alles kleine Leute.« Ein Schrei brandete aus der Menge auf. Mit geiferndem Munde redeten sie aufeinander ein, ballten die Fäuste, fluchten. Dazwischen einzelne, die an dem eisernen Zaune lehnten, das Gesicht zwischen zwei Stäbe preßten und mit verzweifelten Augen hinüber zu der schweren verschlossenen Tür starrten. Kein Wort des Mitleids mit dem Toten, wilde Anklagen gegen ihn und den Schwiegervater, der ihm nicht geholfen. »Hat der Mann nit zwei Kinder gehabt?« wandte sich die Hohlöfnerin ernst fragend an einen, der in ihrer Nähe stand. Im Handumdrehen hatte sich um die beiden Schönbacher ein Knäuel gebildet. Die Fäuste fuchtelten der Bäuerin vor dem Gesicht. »Was gehn uns die Kinder an? Für die sorgt der Alte.« »Aber sie haben doch ihren Vater verloren,« wandte die Hohlöfnerin ein. »Und wir unser Geld!« Eine Speichelflocke flog ihr aus geiferndem Munde auf das Kleid. »Warum habt ihr's ihm gegeben?« »Weil er uns die hohen Zinsen versprochen hat!« Furchtlos stand die Frau vor den Eifernden. »Die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke und viele schädliche und törichte Lüste.« Sie sahen die entschlossene, ernste Frau betroffen an. Das Wort wirkte wie ein kalter Strahl, aber das Wasser war auf glühendes Eisen gefallen. Es zischte brodelnd auf. Fäuste ballten sich gegen die Frau. Da nahm Rudolf ihren Arm. »Komm, Mutter. -- Platz, ihr Leute. Wir haben nit hierher gewollt. Mit der Bank haben wir nix zu tun. Wir hatten uns verlaufen.« Er drängte etliche beiseite und führte die Mutter in eine Seitenstraße. Da stand die Bäuerin und sah ihm ernst in das Gesicht. »Rudolf, jetzt hab ich ihnen nit sagen können, daß die Frau und die Kinder mehr verloren haben als sie. Warum hast du das gemacht?« »Weil wir nit in Schönbach sind, wo jeder Mensch die Hohlöfnerin ästimiert.« »Ich hätt' mich nit gefürchtet.« »Laß gut sein, Mutter. Helfen kannst du nit. Warum willst du dich grob behandeln lassen?« »Etlichen hätte ich ~doch~ helfen können. Sie haben Geld verloren. Jetzt wollen sie auch noch ihren Verstand einbüßen.« »Komm, Mutter, du wolltest dir ein neues Kleid kaufen.« »Ich denke nit dran, Rudolf, hab mehr als genug Kleider daheim.« »So. Dann wollen wir Grete Frieders abholen. Es wird sachte Zeit.« »Du, die Frau ist meine Art. Wenn du nit das Mariele hättest, dann -- -- --« »Müßte ich Grete Frieders heiraten?« Rudolf lachte. »Die wäre -- zu gescheit für mich.« Da lächelte auch die Mutter. »Woher hat sie das eigentlich?« Der Sohn zuckte die Schultern. »Das ist in der Stadt halt so. Wer lernen will, kann das. Grete Frieders ist ledigerweise immer mit anderen jungen Mädeln an den Sonnabenden und Sonntagen hinaus auf das Land gelaufen. Sie sind nit zum Tanzen gegangen. Einen Jugendverein haben sie es genannt, und was die eine nit gewußt hat, das hat die andere gewußt.« »So hat also eine die andere nit schlechter gemacht, wie gewöhnlich, sondern besser.« »Kann wohl sein, Mutter.« »Paßt das nit auch aufs Dorf?« »Ich weiß nit. -- Da sind wir bei Günthers. Grete Frieders muß gleich kommen.« -- Als die Hohlöfnerin am anderen Tage wieder zurückfuhr, sah Rudolf dem Zuge lange nach. Grete Frieders, die neben ihm stand, nahm ihn am Arm. »Kommen Sie, Rudolf. Denselben Weg fahren Sie auch noch einmal.« »Ja, Weihnachten das erste Mal, aber da komme ich wieder.« »Wollen's abwarten.« »~Ich komme wieder!~« Grete Frieders lächelte. »Sie sind ein Dickkopf, Rudolf.« »Das hab ich von meinem Vater.« »Haben Sie die Stadt noch nicht satt?« »Nein. Ich werde sie auch nit satt kriegen.« »Das ist recht, und ich will mir derweile überlegen, wie Sie die Winterabende so hinbringen können, daß Sie etwas davon haben.« »Damit bin ich einverstanden.« 8. Der Sommer verging. Heinrich Korn ward äußerlich wieder der alte. Er ging dann und wann in das Wirtshaus und plauderte, aber er neckte selten. Innerlich war der Mann in Not. Seine Frau sah es mit tiefer Sorge. Sie war es nun, die kaum eine Gelegenheit zu heiterem Scherz vorübergehen ließ, und sie hatte sich das Mariele als Bundesgenossen geworben. »Daß nur der Vater nit ins Sinnieren kommt,« hatte sie ihr gesagt. »Lieber noch eine Dummheit, Mariele, als das Sinnieren. Tu, was du kannst, daß er lacht. Der Vater muß mit Lachen säen und ernten und mit frohem Gesicht aufstehen und sich niederlegen. Der Herrgott hat ihn zum Frohsein geschaffen. Nur wenn er das ist, geht ihm die Arbeit von der Hand und gedeiht ihm, was er anfängt. Mariele, der Mann stirbt uns, wenn er nit wieder lachen lernt.« Heinrich Korn lachte, aber es kam nicht aus dem Herzen herauf und hatte zumeist einen grimmigen Unterton. Seine Frau hatte nach ihrer Rückkehr aus der Stadt in dem Bericht, den sie ihrem Mann erstattet, klug alles vermeiden wollen, das ihn hätte belasten können, aber er hatte mit dem Herzen gehört und die feinen Schwingungen des anderen verstanden. Und wer brächte es fertig, jeden Fehler zu vermeiden, wenn das Herz vor sich selber auf der Lauer ist? Der Selbstmord des Bankiers, der Besuch bei Grete Frieders, das Zusammentreffen mit dem erregten Menschenhaufen vor der Bank, es waren Angelegenheiten gewesen, mit denen der Hohlöfner fertig wurde, ob er auch keine von ihnen mit einem Kopfschütteln abtat. Als aber die Frau in der Absicht, ihren Sohn zu erhöhen und zu zeigen, wie weit er schon war, erzählte, daß Rudolf gesagt, er werde als derselbe Lehrling wiederkommen, als der er gegangen sei, während er doch in Wirklichkeit bereits sein Rüstzeug viel besser gebrauchen gelernt, als er meine, da hatte der Mann wohl das eine gehört, nicht aber das andere. Und das machte ihm Not. Rudolf glaubt als derselbe Lehrling wiederzukommen, als der er gegangen ist? O weh! Er irrt. Als er ging, vertraute er sich selber. Wenn er wiederkommt, wird er das Selbstvertrauen verloren haben. Er kommt nicht als derselbe, er kommt als ein Ärmerer. Diese Armut wächst herauf aus bitteren Enttäuschungen. Die tun weh, machen schlaflose Nächte, lähmen die Kräfte. Alles kann der Mensch verlieren, aber das Vertrauen zu sich selber darf er nicht verlieren. Was soll aus ihm werden? Er sieht alles unter einem grauen Schleier. Wehe dem Bauern, der bei der Saat an kommenden Hagelschlag denkt. Der Sämann ist verloren, dem in dem Augenblicke, da ihm die Körner aus der Hand sinken, Hoffen nicht zum Glauben ward. Das Feld kann nur helle Bauernaugen brauchen. Rudolf hat sie gehabt, die weit auslangenden Augen, die in die Tiefe sehen, in der sich die Wurzeln nähren, und in die Höhe, aus der der Segen strömt. Schreibt der Bauer nicht dem Herrgott unmittelbar in die Hand? Das kann nur mit festen Fingern geschehen. Zitternde Finger schreiben eine krause Schrift, und die kann weder der Herrgott noch der Mensch lesen. Heinrich Korn ward das Wort vom innerlich müden Lehrling nicht los. Hundert Ursachen fand er, zu sagen: »Er muß wieder her.« Lauter äußere Gründe. Sie könnten nicht allein mit der Ernte fertig werden; wer sollte im Herbste ackern und das neue Saatbeet herrichten? Die ~eine~ Ursache, die ihn wie ein verhaltener Schrei bedrückte: »Die Stadt nimmt mir in meinem Jungen den Bauern!« verschwieg er, und seine kluge Frau brachte es nicht fertig, sie als Unterton zu hören. Wohl ahnte sie Sorge, aber sie erachtete sie nicht als so groß, daß sie in ihr die Düsterkeit gerechtfertigt zu sehen vermocht hätte, die in stillen Stunden auf dem Manne lastete. Rudolf schrieb seltener als früher, aber seine Briefe waren zuversichtlich. Der Bauer las nicht, was ~auf~ den Zeilen stand, er las zwischen ihnen, und -- er übertrieb. Seine Frau redete ihm zu, in die Stadt zu fahren, und, wenn er dem Sohne eine ganz besondere Freude machen wolle, das Mariele mitzunehmen. Heinrich Korn polterte in gemachtem Zorn dagegen: »Das könnte dem Ausreißer so passen, daß ihm sein alter Vater nachläuft! Und das Mädel mitnehmen? Du bist nit gescheit, Mutter! Ich bin der letzte, der dem Dorfe den Hanswurst macht!« Und doch zog es den Mann zu dem Sohne, dem er in die Augen sehen wollte. Aber er fürchtete sich. Herrgott, wenn Rudolf, der, war er auch stets langsam und bedächtig gewesen, doch Leben und Arbeit immer mit festen Händen angefaßt hatte, als ein müder Mann vor ihm stand, dem die Bitterkeit allen Geschmack auf der Zunge verdarb! Er würde nichts sagen, aber, ein Angeklagter, würde der Hohlöfner vor seinem Richter stehen. Heinrich Korn übertrieb. Was war zu machen? Er übersteigerte immer. -- -- -- Heiß durchmaß der Juli den ihm bestimmten Weg, heißer trat ihn der August an. Stiller ward es auf den reifenden Äckern, zu denen herüber die Berge grüßten. Die Halme wurden gelb, die Ähren schwer. »Morgen wollen wir anfangen zu schneiden,« sagte der Hohlöfner ernst. »Es steht eine gute Ernte draußen, Vater. Der Herrgott hat uns auch dies Jahr nit verlassen.« Eine gute Ernte? Der Hohlöfner wußte es lange und hätte in jedem anderen ähnlichen Jahre lachend gesagt: »Ja, sie verlassen uns beide nit, der Herrgott und der gute Mist.« Heuer sprach er stirnrunzelnd: »Da kann man noch gar nix sagen. Erst muß die Ernte in der Scheune sein, und dann muß man sehen, was sie beim Dreschen gibt.« Am selben Abend stand die Bäuerin vor Marie Berteles. »Mariele, halt beide Hände über den Vater!« »Korns Mutter,« sagte das Mariele traurig, »das tu ich, sosehr ich kann, aber -- er zupft mich nit ein einzigmal mehr an den Zöpfen.« Es wurde im ganzen eine unfrohe Ernte. Meist hieß der Bauer das Mariele auf den Wagen steigen und laden. Das Mädchen hatte wahrlich flinke Hände, und der Wille, dem künftigen Schwiegervater Freude zu machen, erhöhte ihre Arbeitslust. Sie war nie so fleißig gewesen, aber sie tat dem Hohlöfner nicht genug. Er gabelte wie wild. Als ob jeder Handgriff unter einem heißen Zorn geschähe, spießte er die Garben auf und warf sie auf den Wagen. Sie flogen wie Bälle, und Mariele Berteles hatte nur zwei Hände. Da schrie sie der Bauer an: »Ihr habt nit arbeiten gelernt. Zimperlich seid ihr. Geh herunter vom Wagen. Ich hole die alte Norle (Leonore), die kann's besser als du.« Die Tränen in des Mädchens Augen wollte er so wenig sehen wie das, daß ihr Gesicht allmählich seine frische Farbe verlor. Der bittende Blick aus Mädchenaugen machte ihm wohl Not, aber er erschlug sie mit seiner größeren. Die hätte helfen können und die gesehen hätte, wo und wie zu helfen war, die Bäuerin, war nicht mit auf dem Felde. Es ging auf das Ende der Ernte zu. Die Leute vom Hohlofenhofe waren am Hafer. Selten war der so lang und schwer gewesen. Der Abend kam, das letzte Fuder war für heute geladen, das Mariele ließ sich am Wagenseil herab und -- sank mit einem leisen Wehschrei auf die Stoppeln. Heinrich Korn hatte eben die Pferde herumlenken wollen. Nun sprang er herzu, weil die Magd aufschrie: »Jesus, das Mariele!« Sie warf sich über das Mädchen, rüttelte es, bat: »Mach doch die Augen auf, Mariele!« Das Mädchen lag bleich und still wie eine Gestorbene. »Was ist?« fragte der Hohlöfner rauh. »Sie ist weggeblieben.« Und grollend setzte die Magd hinzu: »Ihr habt zuviel von ihr verlangt. Gerade als wenn sie ein Stück Vieh wäre.« »Was -- hab -- ich?« Es kam fremd und verwundert aus des Mannes Munde. Da belferte die Magd los: »Ihr habt das freilich nit sehen wollen, wie sie von Kräften gekommen ist. Gegabelt habt ihr, daß sie zehn Hände hätte haben müssen.« Da fuhr der Bauer auf. »Halt das Maul!« Und zu dem Knechte: »Fahr zu. Wir kommen nach.« Er hob das Mädchen auf und bettete es auf die zur Seite liegenden Hafergarben. Dann neigte er sich über sie. Die Ohnmacht war tief und lang. »Mariele,« rief der Bauer leise und nahm ihre kalte Hand. »Mariele.« Sie regte sich nicht. Jetzt riß er ihre Hand an sich und suchte den Puls. Er fand ihn nicht. Da drückte er den Kopf auf die junge Brust. Er hörte den Herzschlag nicht. Tot? Ein Herzschlag infolge Überarbeitung? »Mariele!« schrie der Bauer auf, daß es weit über die Felder schallte. Sein eigener Herzschlag setzte jetzt aus und raste hernach. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. »Mariele!« Da holte sie tief Atem, schlug die Augen auf, sah den Bauer an und lächelte. »Gott sei Dank!« stöhnte der Mann aus tiefer Brust. »Was war denn das jetzt, Mariele?« »Ich weiß auch nit.« »War das schon öfter?« »Nein. Heute das erstemal.« Sie erhob sich, taumelte noch ein wenig und lächelte doch dabei. Da nahm der Mann sie in seine Arme und drückte sie an die Brust. »Mariele, hast eine schwere Zeit gehabt. Ich -- will's gutmachen.« Und das Mädchen, in dessen Augen die Tränen selten waren, drückte das Gesicht fest an des Hohlöfners breite Brust und weinte. Unbeholfen strich ihr der Mann über die feinen Haare. »Mußt nit, Mariele, mußt nit. -- Kannst du gehn oder soll ich dich tragen?« Da löste sie sich aus dem Mannesarm, sah dem Bauern mit rührendem Lächeln in das Gesicht: »Tragen? Ich kann laufen. Es ist mir wieder gut.« Sie drängte ihre Hand in die des Bauern. »Nit böse sein, gelt? Ich habe nix dafür gekonnt.« Sie gingen miteinander heim. Der Hohlöfner litt es nicht, daß das Mädchen mit auf den Hof ging, um beim Abladen zu helfen. Er brachte sie bis an das Häuschen der Mutter und drückte ihr die Hand. »Hast dir ein ordentlich Erntegeschenk verdient. Gute Nacht, Mariele.« Das kleine Erlebnis war dem Bauern gut. Von dem Tage an sah er nicht mehr nur in sich hinein, sondern auch wieder um sich her. Und siehe, es war viel da, sich zu freuen. Wenn er jetzt auf den abgeernteten Feldern hinter dem Pfluge schritt, die Griffe festhielt, daß die Arme schütterten, und die Pferde leise schnauften, dann ließ er den Blick über die Wälder im Osten gehen, suchte und fand seinen Sohn und sah allmählich einen vor sich, dessen Gesicht wohl harte Linien hatte, dessen Augen aber nicht müde und stumpf waren, sondern in festem Willen aufleuchteten. Die Bäuerin merkte die Veränderung und machte das Mariele darauf aufmerksam. »Der Vater wird wieder anders.« »Ja, aber er zupft noch nit.« »Kommt auch wieder, Mariele.« Und es kam. Kartoffeln und Rüben waren geerntet, die Kirmes war vorüber, über dem Lande lag alle Tage ein feiner Nebelhauch. Auch der letzte Schlehdornstrauch besann sich darauf, daß er seine Blätter dem Herbste opfern müsse, und ließ sie langsam aus den Händen gleiten. Da holten die Schönbacher ihre Dreschmaschine aus dem Maschinenhause. Anton Dreier säuberte den Kessel vom Staube, prüfte die Ventile, ölte und sagte: »Nun kann's losgehn. Jetzt wollen wir mal wieder Speck ansetzen.« Er freute sich darauf, daß er nun acht Wochen lang werde jeden Tag Klöße und Schweinefleisch essen können, obwohl er wußte, daß es auch in diesem Jahr so gehen werde, daß er nach vier Wochen um ein Erbsengericht zum Mittag bitten werde. Hopp, der Kessel klapperte und klirrte über die Schwelle. Danach kam die Maschine, die Emil Eckart nachgesehen hatte, und dann fand sich auch Ernst Wichmann ein, der an der Maschine der Ersatzmann war. Nun war alles beieinander, Kessel, Maschine und Menschen. Rumpelnd fuhren des Hohlöfners Pferde den Kessel in Adolf Wiegands Hof, der in diesem Jahre zuerst dran war. Es war schon höllisch kalt. Jeden Morgen lag dicker Reif auf dem Grase. Aber es war doch im ganzen Dorfe, als ginge es auf eine Festzeit zu. Dreschen war ein Fest! Die Nachbarn halfen einander aus. Der schickte seinen Knecht, der die Magd, der andere Sohn oder Tochter. Dieser oder jener kam auch selber. -- Die Nacht lag auf dem Lande, die gefrorenen Gräser klirrten und brachen bei jedem Schritte, da schürte Anton Dreier das Feuer unter dem Kessel, stellte die große Wanne zur Seite, in der der Sauger lag, paffte aus der kurzen Pfeife und plauderte mit dem Hausherrn. Er war ein bewanderter Mann, der Heizer, wußte, was von ~der~ Kohle und von jener zu halten war, kannte sich aus unter den Leuten im Dorfe und in den Nachbarorten und hatte mehr als eine Heirat gestiftet. Gemächlich schritt er einher, legte den breiten Riemen auf, der vom Kessel zur Maschine führte, schlug einen Keil fester, guckte auf die Uhr, beäugte den Druckmesser und zog die Pfeife. Huiii, heulte es über das Dorf, schlug sich durch den Nebel und zerbarst am Waldrande. Huiii! Wohl fünf Minuten lang. Der Pfiff hatte die Wirkung eines elektrischen Schlages. Alle Nasen hoben sich witternd in die Luft. Den Kindern, die zur Schule gingen, ward der Weg sauer, die Knechte, die heute Säcke tragen mußten, spuckten zum erstenmal in die Hände und erprobten, ob sich auch die Muskeln ordentlich spannten, die Mädchen suchten nach den Kopftüchern, und selbst den alten Weibern, die Spreu abtragen mußten, kribbelte es in den Fingern. Eine reichliche halbe Stunde später der zweite Pfiff. Anton Dreier hatte schon guten Druck auf dem Kessel und goß eben noch einen Schnaps in die Kehle, um auch innerlich auf Druck zu kommen. Nachher im Laufe des Tages trank er nur noch, um den massenhaft umherfliegenden Staub hinabzuspülen. Der Staub aber war zähe. Wenn der Abend kam, mußte der Mann ordentlich Klöße und Schweinefleisch vorlegen und das aufstoßende Fett hinabtrinken. -- Endlich kam der dritte Pfiff. Ganz kurz und befehlend: Habt acht, es geht los! Alles war auf dem Posten. Anton Dreier drehte das Ventil auf, zisch, zisch machten die Kolben, surre, surre sangen die Räder. Und surre, surre sangen sie den ganzen Tag bis in die sinkende Nacht, und das Jungvolk sang mit, wenn es nicht vor Lachen kreischte; denn die Maschinenmänner machten Witze, die mehr Staub aufwirbelten als die Maschine. Es war harte Arbeit, und Hand mußte in Hand greifen, aber es war doch eine festliche Zeit. Und es war eine Zeit, in der die Erwartung in aller Augen stand; denn das Jahr hat nur eine Ernte, und das kommende Jahr liegt in den Ähren des vergangenen beschlossen. Die Garben zureichen, wissen am Gewicht, welcher Art der Bauer ist, dem sie die Frucht ausdreschen, und der Mann auf der Maschine läßt es langsam sickern, wenn ihm die schweren Halme durch die Hände gleiten, und läßt es rauschen und regnen, wenn er leichte Ware zwischen den Fingern hat. Wartend aber stehen die Sackträger hinter der Maschine, haken an, heben ab. »Schlecht,« sagen sie bei dem einen und schlagen die Arme übereinander, und: »Sackerlot!« bei dem anderen und wuchten die hundertdreißig Pfund auf die Schulter. Auf dem Getreideboden aber steht der Bauer und hat die Kreide in der Hand. Bei jedem Sacke, der abgetragen wird, macht er einen Strich, und wenn eine Fruchtart ausgedroschen ist, dann überfliegt er zählend die Striche. Sein Gesicht ist bekümmert, wenn es ihrer weniger sind, als er erwartet, es ist zufrieden, wenn er seine Rechnung findet, und es geht lachend in die Breite, wenn er seine Erwartungen übertroffen sieht. Einerlei wie der Tag war. Was fragt das Jungvolk danach? Der Abend kommt in jedem Falle, und der ist das Wichtigste am ganzen Tage. Die alten Frauen, die Spreu abgetragen haben, sitzen beieinander und plaudern von denen, die den Kranz trugen und ihn nicht verdienten, und wissen, wer auf die Freit geht und wie die Geldsäcke zueinander passen. Dann reden sie von denen, die aus dem Dorfe gingen und die hereinkamen, dann von den Preisen für die Ferkel und die fetten Schweine. Dazwischen trinken sie Punsch, bis die Augen glühen und die Gesichter glänzen. Bei der Gelegenheit kommen auch des Hohlöfners Rudolf und das Mariele dran, und -- es ist eine Schande. Eine Schande ist es! Was denn? Daß der Rudolf in die Stadt ging, oder daß er das Mariele freien will, oder daß der Alte fünftausend Taler verlangt? Es ist eben eine Schande, aber -- -- -- der Hohlöfner ist der Hohlöfner! Die Bauern sitzen am Tische und karten, und wenn Christian Lorenz 50 Pfennige verloren hat, dann läßt er die Pfeife ausgehen, weil es sonst zu teuer wird. Das Jungvolk aber fragt nach dem allem nicht, das wartet auf Wilhelm Hercher, der den Ziehbalg spielt. Nun ist er da, nun quäkt die Harmonika, die Füße, die den Tag emsig hin und her gesprungen sind, schleifen im Takte über die Dielen, daß die Splitter fliegen, und die Hände, die heute die schweren Säcke auf den Rücken geschwungen haben, halten die Mädel fest, daß denen vor Lust der Atem vergeht. So acht Wochen lang Haus bei Haus. Und das sollte kein Spaß sein? Draußen aber brauen die Nebel, die Bäume tropfen, und um die Ecke lugt Weihnachten. Eines Tages, es ist gegen Ende November, kommt die Hohlöfnerin in das Berteles-Häuschen. »Berteles-Mutter, wir wollen übermorgen dreschen. Ich brauche das Mariele. Wir müssen backen.« »Freilich kann sie dir helfen.« Dabei klopft die Alte den Flachs auf der Breche. Das Spinnrad fängt in seiner Ecke beinahe von selber an zu schnurren. Sie braten, backen und kochen auf dem Hohlofenhofe, und der Bauer geht mit einem Gesicht ab und zu, auf dem Ernst und Heiterkeit streiten. Sosehr er sich Mühe gibt, er ist innerlich noch nicht wieder der alte, aber er spürt, daß es darauf zugeht. Heute früh hat er gepfiffen, und nur weil der dumme Knecht sagte, das hätte er lange nicht gehört, war der Bauer still gewesen. Hätte der Knecht den Mund gehalten, hätte der Bauer noch länger gepfiffen. Und noch ein anderes fiel ihm auf. Wenn das Mariele an ihm vorüberging, zuckte es ihm in den Fingern, sie an den Zöpfen zu zupfen. Er überwand sich aber. Das Mariele blieb ungezupft. Die Zeit der Vorbereitungen war vorüber, die Dreschmaschine stand auf dem Hohlofenhofe. Anton Dreier hatte zum ersten, zum zweiten und zum dritten Male gepfiffen. Die Maschine surrte. Emil Eckart kriegte die ersten Garben. »Langsam!« brüllte er in die Scheune hinauf. Er konnte es nur tröpfeln lassen. »Sackerlot!« sagten die Sackträger und verausgabten im Laufe des Tages die Spucke literweise. Der Hohlöfner aber stand am Balken und machte Striche. »Dunnerlichting,« sagte er nach etlichen Stunden, »seid ihr denn mit dem Korn noch nit fertig?« »Noch lange nit!« Da ward sein Gesicht ganz blank vor Freude. Als er zu dem kurzen Mittagbrot hinabging, lief ihm das Mariele in den Weg. Da konnte er wahrhaftig nicht anders, da mußte er -- zupfen. Die sah ihm lachend in die Augen. »Er zupft wieder,« sagte der Mann frohmütig. Und: »Gott sei Dank, daß er wieder zupft,« das Mariele und lief rasch wieder in die Küche. Da stand die Bäuerin und arbeitete mit heißem Gesicht. »Er zupft wieder,« rief ihr das Mariele schelmisch zu. Und: »Laß ihn zupfen,« quittierte die Hohlöfnerin, lichte, erlöste Freude in den Augen. Einen ganzen Tag und vom anderen drei Viertel surrte die Maschine auf dem Hohlofenhofe, und Heinrich Korn wußte zuletzt weiter nichts zu sagen als: »Das ist noch gar nit dagewesen! Ja, unser Herrgott und der gute Mist!« Wie oft er in der Zeit gezupft, das wußte weder er noch das Mariele. Nur seine Frau hatte ihn einmal verwiesen: »Mach's nit gleich gar zu arg, Vater.« Am Abend des ersten Tages aber war es auf dem Hofe bügelhoch gegangen. Minna Korn saß unter dem Häuflein der Alten und Christel Müller hatte es gewagt, zu fragen: »Wird's denn nun was, Minna?« »Warum soll's denn nit werden?« hatte die Bäuerin dagegen gefragt und ihr harmlos in das Gesicht gesehen. »Tja, wir haben doch gehört -- -- -- Sie soll doch fünftausend Taler mitbringen.« Und Minna Korn ganz ernsthaft: »Ist das etwa zuviel verlangt, wenn sie auf den Hohlofenhof kommt?« »Gar nit, nein, aber -- -- --« Und das Aber hatte hundert a gehabt. Es tat den alten Frauen unendlich wohl, daß die Bäuerin so leutselig und so offenherzig war. »Sie hat das natürlich noch nit ganz beieinander, aber sie hat viel mehr, als man gewußt hat.« »Was du nit sagst! Man darf wohl nit wissen, wieviel?« »Nein, Christel, das darf man nit. Aber das darfst du wissen, daß sie übers Jahr auf dem Hofe ist, und dann wird alles in der Ordnung zugegangen sein.« Inzwischen quäkte die Ziehharmonika lustig drauflos, und die Paare wirbelten, daß es eine Art hatte. Der Hohlöfner saß neben den Kartenspielern, und der alte Humor war springlebendig in ihm. Er hetzte da und stachelte dort und lachte aus vollem Halse, wenn ihm einer auf den Leim gegangen war und die Pfennige aus der Westentasche kramen mußte. Bei einer solchen Gelegenheit ward Christian Lorenz teufelswild, keifte auf den Bauer los und sagte, er möge sich mit seiner Scheinheiligkeit zu dem jungen Pack scheren, er, Christian Lorenz, habe das grüne As nehmen wollen, und das hätte den Stich gemacht. Der Hohlöfner habe auf dem Eichel-Alten bestanden, und nun hätte man den Dreck. Heinrich Korn schlug ihm lachend auf die Schulter. »Ich geh zu den jungen Leuten. Du bist mir zu grob, Christian.« Eben spielte Wilhelm Hercher einen Walzer. Da ging der Hohlöfner breitbeinig auf das Mariele zu. »Komm, Mariele, wir müssen einen miteinander machen.« Hercher zerrte den Ziehbalg, daß er doppelt laut aufschrie, Korn umfaßte das Mariele und drehte es so zierlich und behutsam, als tanze er mit einer Prinzessin. Rundherum aber stand das Jungvolk, juchzte und klatschte nach dem Takte in die Hände. Kein ander Paar tanzte. Des Hohlöfners Augen aber blitzten. Er drehte weiter, lachte nicht und hatte doch ein strahlendes Gesicht. Das Mariele noch an der Hand, stand er im Kreise, sah rundum und sagte: »Denkt ihr etwa nit, ihr Schafsköpfe?« Sie wußten nicht, was sie »nit denken sollten«, aber sie lachten aus vollem Halse. Einer der Sackträger ging auf den Bauern zu und wies ihm seine Hände. »So sehen sie aus! Und das hat einen Extralohn verdient.« Der Bauer aber lachte ihn aus. »Das sollen Bauernhände sein? So hat sie die alte Norle auch.« Er war es auch, der vorschlug, dem Rudolf eine Karte zu schreiben. Es geschah, jedes malte seinen Namen darauf, der Hohlöfner hatte wieder einmal auf der ganzen Linie gesiegt. Und sein Weib hatte ihm getreulicher geholfen, als er wußte; denn nicht das ist die Hauptsache, was die Männer denken und sagen, sondern das, was sich die alten Weiber zutuscheln. Und die sagten heute abend, daß -- die Hohlofenleute ein rechtes Gotteswerk täten. -- Die Maschine war wieder vom Hofe gefahren worden. Heinrich Korn stand auf seinem Getreideboden und ließ die Augen auf den Haufen ruhn. Von denen ging sein Blick auf die Kreidestriche auf dem Balken. Er zählte sie durch und schüttelte den Kopf. Eine solche Ernte hatte der Hohlofenhof nie gehabt. Der armen Bertelessin aber war die Ernte verhagelt. Der und auch dem Ender. Nicht der Dank gegen Gott zog den Bauern auf die Knie. Den hatte er schon am Erntefest mit einem Zehnmarkschein in den Klingelbeutel abgemacht. Und doch war es himmelweit von Rechnen und Berechnen entfernt, als der Bauer niederkniete und die Hände ganz tief in den goldenen Weizen grub. Es war -- Gottesdienst. So langte er tief hinein in des Herrgotts Herz, und ob es sich auch nicht formte, ja nicht einmal in den Bereich des Sagbaren hereinragte, der Bauer griff andachtsvoll die goldenen Sonnenstrahlen, die das Jahr über gefunkelt, ließ sich den fruchtbaren Regen über die Hände rieseln, trank die heiligen Kräfte Himmels und der Erde in sich hinein, als er, ernst verklärten Gesichts, die Arme bis über die Ellenbogen in die Weizenkörner grub. Er liebkoste die Frucht, liebkoste in ihr seine Scholle und sah von unten herauf demütig dem Herrgott in die Augen. Gottesdienst auf dem Getreideboden! Der Hohlöfner richtete sich auf, rüttelte sich wach und schritt hinab. Drunten langte er nach der Zeitung und studierte die Getreidepreise. Sie waren gut. Da beschloß er, zu verkaufen. Noch nicht alles, o nein, aber so viel, daß er -- -- -- Das brauchte er niemand zu sagen. »Mutter,« rief er der eintretenden Bäuerin zu, »das Getreide steht nit schlecht. Ich denke, wir fahren morgen ein Fuder in die Stadt.« »Ist das nit ein bissel zu früh, Vater?« »Ich denke nit.« »Hast du denn dem Mariele überhaupt schon ein Erntegeschenk gemacht?« »Das geht mich nix an, ist deine Sache.« »Bring Geld, dann wollen wir wieder drüber reden.« »Nit zu bunt, Mutter,« drohte der Bauer lächelnd. »Nein, bloß, was es austrägt,« quittierte die Frau mit heller Stimme. Heinrich Korn fuhr zwei volle Wagen in die Stadt. Als er am Abend das Geld auf den Tisch zählte, langte seine Frau nach einem Hundertmarkschein. Der Hohlöfner legte seine Hand auf die zugreifenden Finger. »Da wird nix draus, Mutter.« »Aber Vater, es ist doch für das Mariele!« »Es ist zu viel. Du machst mich bankerott.« »Sieht ganz danach aus.« Die Frau zog den Schein unter den nachgebenden Fingern hervor. »Laß dich's nit dauern, Vater. Kommt ja doch alles wieder auf den Hof. Ist bloß geliehenes Geld.« »Dunnerlichting,« der Hohlöfner runzelte die Stirn, aber die Schelmerei saß ihm behaglich in den Augenwinkeln, »so habe ich das nit gemeint.« »Aber ich! -- Brauchst nit auf mich zu warten. Ich geh bloß in das Berteles-Häusel.« »Wie ist denn das überhaupt mit den Leuten? Ich denke, sie haben soviel wie nix geerntet?« »Ist schon abgemacht, Vater. Gute Nacht.« Draußen war die Frau, und der Bauer schlug lachend auf den Tisch. »Wenn die Weiber zwei zusammenbringen wollen, dann ist eine wie die andere. Ei, ei.« Er raffte das Geld zusammen und stieg die Treppe hinauf. Sorgfältig steckte er es in die Ledertasche, die in seiner Truhe lag, griff dann in das Bettstroh und verleibte etliches dem Strumpfe ein, auf dem er fest und ruhig schlief, als seine Frau leise in die Kammer trat. Sie betrachtete den Schlafenden einen Augenblick und lächelte wehmütig. Du lieber, närrischer Mann! Am anderen Morgen ging der Hohlöfner nach dem zum Schlagen bestimmten Waldstück. Da begegnete ihm Ender, der Waldstreu holen wollte. Er ließ den Kopf tief hängen. Der Hohlofenbauer redete ihn an und fragte nach der Ernte. Mürrisch entgegnete Ender, daß sie so ausgefallen sei, wie sie nach dem Hagelschlag habe ausfallen müssen. »Bist schlecht daran,« bestätigte ihm Korn. Dazu schwieg Ender, so daß der Hohlöfner fragen mußte: »Ist denn sonst noch etwas? Du tust so niedergeschlagen.« »Mein Paul ist krank.« »Dein Paul? Was ist denn mit ihm?« »Der Doktor sagt, es wäre eine Lungenentzündung.« »Herrgott,« entfuhr es dem Hohlöfner, »immer was Neues, aber nix Gescheites. -- Halt den Kopf hoch, Ender. Das kommt auch wieder anders.« »Bei mir nit.« Der geschlagene Mann trottete weiter. Die Freude, unter der er aus seinem Hause gegangen, war dem Hohlofenbauern verhagelt. Er kam in seinen Wald, ging von Stamm zu Stamm, schaute prüfend von unten bis in die Wipfel und beschloß, von seinem Vorhaben abzustehn. Sosehr er sich darauf gefreut, dem Ziele wieder ein Stück näherkommen zu können, die Sorge um sich und seine Leute trat vor dem nachbarlichen Mitleid zurück. Wenn mich der Ender angeht, helf ich ihm, beschloß er. Ihm selber Hilfe anzubieten, das ging zu weit, und Heinrich Korn empfand nicht, daß er mit seinem Gutmeinen eigentlich auf halbem Wege stehenblieb. Er kehrte heim, und der erste Schnee sickerte. Die Tage gingen. Still und kahl standen die Bäume in den Gärten und an den Straßen, und in den Astwinkeln ballte sich der Schnee. Das ganze Land lag da in weißer Reinheit. Hungrige Krähen schweiften über die Fluren, aber sie wagten sich noch nicht in die Höfe. Anders die Goldammern und Haubenlerchen. Wenn der Bauer den Tauben das Futter streute, waren sie da, und wenn die Bäuerin die Hühner fütterte, holten sie sich ihr Teil. Man freute sich ihrer, und man freute sich der Meisen, die in den Gärten die Zweige absuchten. Winter ist stille, aber nicht tote Zeit auf dem Dorfe. Der Hohlöfner schritt jetzt gern, die Flinte in der Hand, über die Felder, Hasen zu schießen, saß dann und wann an den Abenden mit den Nachbarn zusammen und hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden. Er plauderte auch zuweilen von seinem Sohne, der jetzt in der Gießerei war. Das war durchaus in der Ordnung. Den Zufall wußte der Bauer als planmäßige Entwicklung zu deuten. Es hätte gar nicht anders kommen dürfen. Auf dem Hohlofenhofe fand sich jetzt öfters ein Gast ein, den die Bäuerin jedesmal gern willkommen hieß. Sie hatte den jungen Lehrer eines Tages einfach auf der Dorfstraße angeredet und ihn gefragt, was er denn an den langen Winterabenden mache. »Ich lese,« war die Antwort gewesen. Darüber hatte sich Minna Korn entrüstet. »Immerzu lesen? Das verdirbt die Augen und tut Ihnen auch sonst nit gut. Sie müssen mehr unter die Leute gehn.« »Wohin soll ich denn gehen? In das Wirtshaus?« »Dann und wann ist's nit verkehrt, aber warum wollen Sie nit auch zu uns kommen? Da ist weiter niemand als mein Mann und ich und das Mariele, aber die kommt nit immer.« »Wenn ich kommen darf, dann tue ich's gern.« »So müssen Sie nit sagen. Kommen dürfen! Mein Mann weiß so manchmal nit, was er machen soll.« Da saß denn der junge Mensch am Tische des Hohlöfners. Heinrich Korn saß ihm gegenüber, die Bäuerin und das Mariele spannen, und die Räder schnurrten lustig. Die Männer führten keine tiefgründigen Gespräche, aber der Bauer ließ, wenn er merkte, daß der junge Lehrer zu husten begann, gern die Pfeife ausgehn und entbehrte nichts dabei. Sie plauderten von der Stadt, aus der der Lehrer kam und in der Rudolf war, und es mochte wohl die tiefe, lange Stille sein, die den jungen Menschen erwartete, daß er die feinen Untertöne des Lebens deutlicher vernahm und sein Urteil weiser und ruhiger war, als es die Jahre rechtfertigten. Schon nach wenigen Abenden hatten sie den Weg gefunden, auf dem gemeinsam zu gehen ihnen Herzensbedürfnis war. Zwischen ihnen lag ein Brief, den Rudolf geschrieben. Er hatte von dem Ernst und der Vielgestaltigkeit der Arbeit berichtet und dankbar Grete Frieders genannt, die ihn dahin und dorthin wies, zu hören und zu sehen. »Wenn er wiederkommt,« sagte der Hohlöfner stolz, »wird er das Dorf schon durcheinanderrütteln.« »Hoffentlich versucht er das nicht,« entgegnete Lehrer Siebert. »Warum nit? Dazu ist er fortgegangen, und wir haben vielzuviel faule Köpfe. Denen tut es not, daß sie munter gemacht werden.« »Wenn er wiederkommt,« sagte der Lehrer leise, »gehe ich.« »Dummes Zeug,« wehrte der Bauer. »Das ist keine Art, mit fünfundzwanzig Jahren vom Sterben zu reden.« Siebert lächelte. »Also reden wir nicht mehr davon. -- Aber mit Ihrem Sohne würde ich gern einmal sprechen.« »Dazu ist bald Gelegenheit. Er kommt zu Weihnachten, aber Sie dürfen ihn mir nit kopfscheu machen.« »Das werde ich nicht tun, und wenn ich ihn recht beurteile, wird er, was ich ihm sagen möchte, selber wissen.« »Was wollen Sie ihm sagen?« »Daß er vorsichtig sein soll, hier wie dort. In der Stadt schlagen sie ihm die Knochen entzwei und -- -- --« Der Hohlöfner lachte. »Dazu gehören zwei, einer, der schlägt, und einer, der sich schlagen läßt. Und Rudolf müßte nit mein Junge sein, wenn er nit auf eine Backpfeife zwei setzte.« Lehrer Siebert lächelte. »Wie denken Sie sich eigentlich die Art, in der er in der Stadt Einfluß auf die Leute gewinnt?« »Wie ich mir das denke? Er soll auf den Tisch hauen und ihnen sagen, wieviel hundertmal ein Schwein gefüttert werden muß, ehe es drei Zentner wiegt.« »Gut. Und?« »Und wie unser Tag fünfzehn und achtzehn Arbeitsstunden hat.« »Hm. Dabei muß er schon vorsichtig sein.« »Und wie eins auf das andre angewiesen ist.« »Das ist wieder richtig.« »Und daß sie sich nit verhetzen lassen sollen.« »Dann schlagen sie ihm die Knochen entzwei. -- Herr Korn, so, wie Sie sich das denken, täte Rudolf weder sich noch der Stadt noch dem Dorfe einen Dienst. Ein Saal voller Menschen ist nicht die Stätte der Vernunft. Wollte er in der Stadt mit seiner Weisheit an das Rednerpult treten und über die Köpfe das Gegenteil dessen donnern, was die Leute hören wollen und was als Zündstoff unter ihnen liegt, dann würden ihn hundert Fäuste zugleich hinauswerfen. Und wollte er es auf dem Dorfe tun, dann würde ihn niemand mehr für einen Bauer ästimieren. So geht das nicht. Ein kluges, mäßiges Wort ist angebracht und läßt die Leute aufhorchen. Die Gebärde des Reformators aber ist überall am falschen Platze. Ich sehe nicht mehr als Ergebnis der Lehrzeit Ihres Sohnes, als daß der einzelne wieder den einzelnen gewinnt. Von dem einzelnen aus muß die Sache langsam wachsen. Tropfen geben den fruchtbaren Regen. Wenn es regnet, als wenn Mulden ausgeschüttet würden, dringt nichts in die Erde. Wir kriegen nur Hochwasser. Wenn es aber leise und langsam sickert und rauscht, dringt jeder Tropfen ein, die Felder trinken sich satt, die Halme und die Ähren wachsen, und kein Bach wird zum Unhold. So muß die Arbeit hüben und drüben getan werden, und es ist schon viel gewonnen, wenn der gute Wille da ist, einander zu verstehen und gerecht zu werden. -- Das wollte ich Ihrem Sohne sagen, aber es wird nicht nötig sein. Er hat seine kluge Freundin in der Stadt, und er wird selber genug gesehen und gehört haben.« Der Hohlofenbauer sah den jungen Mann nachdenklich an. »Hm, das ist freilich anders, als ich mir das gedacht hatte.« »Bei dir soll es im Sturmschritt gehen, Vater,« sagte die Bäuerin vom Spinnrade her. »Wenn auch das nit grade, aber das andere ist gar zu langsam.« »Dafür gründlich,« entgegnete der Lehrer. »Dunnerlichting,« der Hohlöfner schnaufte, »darüber sterben wir ab.« »Und die nach uns auch noch, und noch eine Reihe von Geschlechtern,« kam es eindringlich aus Lehrer Sieberts Munde. »Dann hätte Rudolf überhaupt nit in die Stadt zu gehen brauchen.« Der Bauer war so befangen in den ernsten Erwägungen, daß er abermals die Ursache vergaß und Dichtung ihm zur Wahrheit ward. Die Bäuerin lächelte und nickte ihrem Manne vielsagend zu. Lehrer Siebert aber beruhigte den Bauern. »Herr Korn, der Gewinn wird größer sein, als Sie meinen. Ich wollte nur, das Beispiel bliebe nicht ohne Nachahmung, und zwar von beiden Seiten her. -- Nun will ich heimgehen. Morgen bringe ich die Dorfchronik mit, ein andermal wollen wir von dem Werden des Bauernstandes reden, und dann kommt der Arbeiter dran.« »Herr Lehrer,« rief der Hohlofenbauer, »können da nit auch ein paar andere Männer dazu kommen?« »Ich kann den Rauch nicht gut vertragen,« wehrte Siebert verlegen ab. »Es wird auch nit geraucht. Dafür will ich sorgen.« So saßen denn an den kommenden Abenden fünf, sechs Männer um den Tisch des Hohlofenhofes, hörten, tauschten ihre Meinungen aus und waren wie Ackerfelder, in die hinein eine treue Hand Samen wirft. Lehrer Siebert konnte meist nicht lange sprechen. Die Männer hielten beide Hände über ihn, und wenn sie heimgingen, knurrten sie: »Es ist ein Jammer. Gerade wo wir ihn so gut brauchen könnten, da muß er ein Sterbling sein.« -- Immer tiefer sank das Land in Winterruhe und Winterschnee. Es kamen lichte Sonntage, an denen der Schnee glitzerte und leuchtete, und es kamen Nebeltage, an denen die behäbigen Häuser dastanden wie Großmütter, unter deren dicker Pelzhaube hervor ein gutes Gesicht lächelt. Weihnachten schritt langsam über den Berg daher. Es nahte in Filzschuhen, aber sie hörten doch alle seinen Schritt, die Alten und die Jungen. In gespannter Erwartung zählte der Hohlofenbauer die Tage. Je öfter die Männer untereinander zusammenkamen, desto lauter fragte der Mann in sich hinein: »Wie wird dein Sohn wiederkehren?« Der Heilige Abend war da. Es schneite in großen Flocken. Langsam gingen des Tages Stunden, und Minna Korn beobachtete lächelnd, wie unruhig ihr Mann durch das Haus ging. Gegen drei fuhr er in das Städtchen. Es war viel zu früh, der Zug traf erst um fünf ein, aber es litt den Bauern nicht mehr daheim. So sagte er, er habe noch etliches zu besorgen, und fuhr los. Unterwegs knurrte er ein Dunnerlichting nach dem andern. Daß er die Dummheit im Wirtshaus gemacht, daß er den Sohn in die Stadt gelassen, daß er ihn jetzt selber vom Bahnhof abholte! Dunnerlichting! Er hatte vor lauter innerer Unrast nicht Auge und Ohr für des Winters wundervolle Heimlichkeiten, nicht dafür, daß Weihnachten auf jedem Ackerrain hockte, und selbst jede armselige Meise ein: Stille Nacht, heilige Nacht, -- sang. Es hörte auf zu schneien. Langsam trotteten die Pferde durch den weichen Schnee, die Schellen klingelten, der Schlitten knarrte, und, als ob eine frohe Mutterhand das verhüllende Tuch vom Gabentisch gezogen hätte, lag das Land da in seiner weihnachtlichen Weiße und seiner frommen Ruhe. Heinrich Korn stellte die Gäule für eine Stunde in den Wirtshausstall, schlenderte durch das Städtchen, fuhr einem ärmlich gekleideten Krauskopf, der sich das Näschen am Schaufenster platt drückte, über die Haare und sagte: »Junge, nun kommt das Christkind.« »Nee,« antwortete der Kleine, »wir wohnen ganz hinten am Bach in der Ecke drin. Da, hat der Vater gesagt, findet's nicht hin, und -- da will ich drauf warten.« »Das ist verkehrt, Junge. Sehn läßt sich das Christkind nit.« »Och! Auch nicht da am Markte?« »Nein. Überhaupt nit.« Er nahm den Jungen an der Hand. »Aber was das Christkind gebracht hat, kann man sehen.« »Vater sagt, bis zu uns langt das Zeug nicht. Da wollte ich -- -- --« »Ihm unterwegs was abnehmen? Ist nit schlecht gedacht.« Kling, machte die Ladentür. Wer hätte im Städtchen den Hohlofenbauern nicht kennen sollen? Der Kaufmann kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen, Korn blinzelte ihm zu. »Wohin gehört der Kleine?« »Das ist ja Albin Schmidt vom Graben.« »So.« Der Bauer langte nach einer Kleinigkeit und gab die dem Jungen. »Da. Nun lauf heim. Vielleicht langt's bei dem Christkind heute abend doch noch bis zu euch.« Und der Hohlofenbauer, der oft genug am Weihnachtstage in der Stadt gewesen war, oft genug arme Kinder gesehen und nie den Menschenfreund in sich entdeckt hatte, spielte den Weihnachtsmann. Er griff nicht allzu tief in die Tasche, aber er griff hinein, und als er draußen war, sahen sich der Kaufmann und seine Frau verwundert an. Was war mit dem Hohlofenbauern? Ja, was war mit ihm? Er stand auf dem Bahnsteige, und -- hatte Herzklopfen, bis der Zug herankeuchte. Da ward er ruhiger und machte ein zorniges Gesicht. Rudolf sah ihn schon von weitem. Freundlich ernst ging er auf ihn zu. »'n Abend, Vater. Du bist selber gekommen?« »Nit. Ich hatte noch beim Lorenz was zu bezahlen. Es hat gerade so gepaßt.« »Ihr habt viel Schnee.« »Es langt.« Die Pferde standen an dem Bahnhofsgebäude. Rudolf ging darauf zu, stellte seine Handtasche unter den Sitz, streichelte die Tiere, langte nach den Zügeln und stieg ein. »Komm, Vater.« Da kletterte der Vater hinter ihm drein. Rudolf zuckte an den Zügeln, die Pferde zogen an. Solange sie durch die Stadt fuhren, ließ Rudolf die Gäule rascher laufen. Den Berg hinan liefen die Tiere von selber langsamer, aber auch auf der Höhe hielt er sie zurück, wenn sie traben wollten. »Da hätte ich ja die alten Kühe vorspannen können,« sagte der Bauer knurrend. »Wäre mir auch recht gewesen, Vater.« »Hm. Scheinst an der Stadt nit viel Schönes zu finden.« »Viel zu viel. So viel, daß man gar nit alles mitnehmen kann, aber -- -- -- Da hat ja der Günther den alten Birnbaum weggemacht!« »Die Holzbirnen waren nix wert.« »Aber der Baum! Nach dem haben wir uns schon als Kinder gerichtet, wenn wir in die Pfarrstunde gingen. -- Sackerlot, der Handmann hat ordentlich Mist aufgepflastert. -- Wie sind denn die Karpfen in dem Jahr gewachsen?« Hundert kurze, knappe Fragen, nicht ein Hauch von Zärtlichkeit und nicht ein Wort von der Stadt. Heinrich Korn aber ließ die Augen auf Rudolfs Gesicht ruhn. Er war anders. Das Träumerische mindestens war weg. Nun kam es nur darauf an, ob die Veränderung ein Fortschritt war. Die Mutter nahm den Sohn in die Arme. »Daß du wieder da bist!« »Ja, Mutter, auf zwei Tage.« Rudolf führte sie an der Hand in die Stube. Ein Jagdhund kam ihm entgegengesprungen, er streichelte ihn. Im Vorbeigehn reichte er dem Knechte und den Mägden die Hand mit einem munteren Worte, zog in der Stube die Jacke aus, fuhr in die Filzschuhe und setzte sich hinter den Tisch. »Gesund seid ihr, ich bin's auch. Das ist die Hauptsache. Grete Frieders läßt euch schön grüßen.« »Rudolf,« die Mutter wies auf seine Hand, auf der eine Wunde am Verheilen war, »was hast du denn da gemacht?« »Ach, das ist nit viel. Faules Fleisch, das übrig war.« »Hast nit viel Fleisch auf dem Leibe.« Der Sohn lachte. Es war ein starkes, frisches Lachen. »Für mich langt's.« Er dehnte die Arme, stand mit kurzem Rucke auf. »Vater, ich will einmal auf den Getreideboden geh'n. Brauchst keine Angst zu haben, ich nehme die Stallaterne.« »Ich gehe mit.« »Laß mich allein gehn. Ich -- habe doch alles gesät.« Er stieg die Treppe hinauf, ging von Haufen zu Haufen, nahm von jedem eine Handvoll und prüfte die Körner. Schon hatte er sich gewandt, zurückzukehren. Da nahm ihm einer die Laterne aus der Hand. Es war einer, den niemand sah, auch der alte Hohlöfner nicht, der beobachtend auf der Bodentreppe stand. Ruckweise ging Rudolf Korn in die Knie, beugte sich langsam vornüber und legte sich still mitten in den Weizen hinein, lag einen Augenblick, ward rot im Gesicht, schämte sich vor sich selber, stand auf, nahm die Wurfschaufel und ebnete den Haufen wieder. Als er herabstieg, schnappte hinter dem alten Hohlofenbauer leise die Kammertür ins Schloß, und als sich Vater und Sohn hernach beim Abendbrot gegenübersaßen, waren des Bauern Augen so hell wie Christbaumkerzen, seine Stimme war so voll wie eine Glocke und sein Atem so frei wie Frühlingswind. Der Herrenmantel war ihm von den Schultern geglitten, der Vater zum Freunde des Sohnes geworden. »Nun erzähle was von der Stadt, Rudolf,« drängte er. »Man ist doch neugierig.« »Was soll ich erzählen, Vater? Ich weiß nit, wo ich anfangen und wie ich's sagen soll.« »Dann scheint nit viel herauszuspringen,« wußte der Vater. »Oder so viel, daß man's eben nit sagen kann.« Der Hohlofenbauer berichtete nun seinerseits von den Abenden mit dem jungen Lehrer. Rudolf hörte bedächtig zu. Er warf aber kaum ein Wort ein. Da kam der Bauer allmählich ins Stocken. Rudolf sah ihn an. »Das ist gut und schön, Vater, daß ihr euch das anhört, und wenn ich wieder daheim bin, werde ich auch manches erzählen können, aber --,« er schüttelte den Kopf, »nein, es ist nit zu sagen.« Seine Augen gingen in die Ferne. »Gestern abend hat's auch bei uns geschneit. Ich mag das gern und bin allein aus der Stadt hinausgegangen. Da habe ich halt eine halbe Stunde gestanden, und dann bin ich wieder heimgegangen.« »Und?« Der Vater neigte sich ihm entgegen. »Ich habe gedacht: Jetzt stehe ich gerade da, wo Richard Frieders erschlagen ward. Da arbeitet jetzt ein anderer. Und vielleicht fällt gerade wieder ein Stein. Und fällt er nit heute, so fällt er ein andermal. Und fällt er nit da, so fällt er woanders, heute oder morgen oder übers Jahr. Deswegen aber arbeiten in der Grube doch zwölfhundert Menschen. Bei uns arbeiten sechshundert. Alles arbeitet, arbeitet, und wenn der Mensch nit arbeitet, hat ihn etwas anderes beim Wickel. Er kommt nit mehr zu sich selber. Und weil er nit bei sich selber ist, weiß er nix mit sich anzufangen. So will er gar nit mehr bei sich sein, hört sich nit mehr und sieht sich nit mehr. -- Aber manchmal wacht er auf, und da ist das Elend da, und er will heraus. Es ist nit wahr, daß sie den Hals nit voll kriegen können. Die ihn nit voll kriegen, werden überhaupt nit satt, und wenn ihnen heute einer die Hände voll Geld stopft, sind sie morgen leer. Mit denen ist nix mehr anzufangen. Die andern aber wollen nit Geld, sie wollen sich selber und können doch nit zu sich finden. Es ist zu viel Lärm in der Stadt, der nit nötig wäre. Aber der Lärm muß sein, daß man das Schreien nit hört.« »Jesus, Rudolf,« rief die Mutter erschrocken. Der Sohn lächelte sie freundlich an. »Ist nit so gefährlich, wie es aussieht, Mutter. Den meisten ist es recht so. Und es fehlt ihnen nix, und sie möchten es nit anders haben. Aber ~ich~ seh halt immer unsere Felder und Wiesen vor mir und denke: Was würde der Mensch, der jetzt auf Gott und die Welt schimpft, sagen, wenn er statt der Kammer im Hinterhaus nur ein Häusel wie das Berteles-Häusel hätte? -- Und hätte er das nit, wenn er wenigstens eine Stube hätte, in der er daheim wäre. Es sind zu viele, die nit mehr daheim sind. Vater, es kommt alles darauf an, ob einer noch was will, und ob er weiß, wo er aufhören muß mit dem Wollen. Nit anfangen, nein, aufhören. -- Als ich allein auf dem Felde stand, da habe ich die Stadt lauter gehört als auf der Hauptstraße. Ich will nit sagen, daß ich Erbarmen mit ihr gehabt hätte. Sie braucht kein Erbarmen. Achtung habe ich vor ihr gehabt und habe denken müssen: Laßt die heraus, die heraus wollen, und denen, die hinein wollen, denen zeigt zuerst die Hinterhäuser und die Krankensäle, die Grube und die Eisengießerei. Wenn sie das vertragen können, dann können sie auch die Schaufenster vertragen.« Rudolf Korn holte tief Atem. »Das habe ich alles gar nit sagen wollen, ist auch noch lange nit das richtige, aber ihr wolltet halt mein Gesicht sehen. Da habt ihr es.« Er schwieg, sah vor sich hin, und der Vater vermochte die Augen nicht zu lösen von der hageren Hand mit der verheilenden Wunde. Als er die Augen hob und sie in die des Sohnes senkte, lachte der ihn an. »Vater, so eine Ernte weiß ich nit, so alt wie ich bin. Es ist ein Staat.« Wieder reckte er die Arme. »Wenn ich erst wieder hinter dem Pfluge gehe!« Und tief ernst: »Vater, und wenn ich hundertmal mit euch und dem Lehrer zusammengesessen und hundert Bücher gelesen hätte, es wäre nix, gar nix gegen vier Wochen vor dem Schmelzofen. Wie ich jetzt auf die Erde horchen werde!« Er langte über den Tisch und nahm des Vaters Hand. »Vater, du hättest gar nix Gescheiteres machen können als -- -- --« »Die Dummheit,« setzte der Hohlöfner rasch hinzu. Es schwang in der Tiefe ein ganz feiner, wehmütiger Ton, aber wie voller Orgelklang brach ihm die Freude aus den Augen, als Bauernhand die Bauernhand drückte. Rudolf stand auf. »Ich will zum Mariele.« Die Mutter stellte sich ihm in den Weg. »Nix da! Du bleibst daheim. Das Mariele kommt und bringt die Mutter mit. Du mußt nit denken, daß der Vater Verstecken gespielt hätte. Was, Vater? Rudolf weiß ja gar nit, daß du schon lange wieder zupfst.« »So,« sagte Rudolf lachend, »dann ist's ja in Ordnung.« Der Vater aber war ein wenig verlegen. »Noch nit ganz, Rudolf, aber das ist wahr, Verstecken spiele ich nit, und mit dem anderen werden wir auch fertig werden.« Kurz hernach saßen sie auf dem Hohlofenhofe unter dem brennenden Baum. Mutter Berteles und das Mariele waren da, die Hohlöfnerin hatte auch den jungen Lehrer gebeten, und Rudolf begegnete ihm mit schöner Herzlichkeit. Schweigend aber lehnte der Hohlofenbauer in der Sofaecke, bis wohin das Kerzenlicht nicht reichte. Er beobachtete seinen Sohn und das Mariele, und die erfühlte Verantwortung machte ihn still; er beobachtete den blassen, hageren, jungen Lehrer, und die Wehmut feuchtete ihm die Augen. Keinem schien es aufzufallen, daß der allzeit muntere Mann schweigend in der Ecke saß. Da trat Rudolf heran und setzte sich neben ihn. Die Gespräche unter dem Baume waren in ein Lied hinübergemündet, da sagte der Sohn, nur dem Vater vernehmlich: »Vater, bleib ja der alte Hohlöfner! Es wäre ein Jammer, wenn du anders würdest!« Das war, einem raschen Herzensgebot folgend, gesagt, aber es war doch unerhört. Rudolf hätte es früher nie über die Lippen gebracht, der Vater es nicht vertragen. Es rumorte in dem Bauern, aber es war nicht ein Fünklein Zorn dabei, Verlegenheit, Fremdheit und doch eine befreiende Freude. Das Lied unter dem Baume war zu Ende, da kam es aus der Sofaecke her: »Ihr singt doch heute abend auf dem Turme mit?« »Freilich,« entgegnete Rudolf und sah nach der Uhr. »Wo kommen sie denn heute abend zusammen, Mariele?« »Bei Widuwilds Albert.« »Dann gehen wir in einer Stunde hin.« Korns Mutter brachte derweile Punsch und Kuchen, die Lichter am Baume wurden gelöscht, und nur der Hohlöfner sah, mit welch tiefer innerer Bewegung Lehrer Siebert eine Flamme langsam zwischen den Fingern zerdrückte. Es war kurz vor zwölf, da gingen Rudolf und das Mariele zu Widuwilds, um nachher mit den übrigen Burschen und Mädeln auf den Turm zu steigen und von da herab die alten Weihnachtslieder zu singen. Heinrich Korn saß neben dem jungen Lehrer und fragte ihn: »Was meinen Sie, hat er etwas gelernt?« »Ja,« antwortete der hell, »ich habe zwar noch kein Wort über die Stadt mit ihm gesprochen, aber ich sehe, daß er ein Bauer geblieben ist. Der wird nicht mit ungeschickten Händen zwischen das fahren wollen, was hier in Jahrhunderten natürlich geworden ist.« Dazu nickte der Hohlöfner. Die kleine Glocke hub an zu läuten. Der Bauer stand auf. »Mutter, das muß ich draußen hören.« »Aber zieh dir wenigstens eine Jacke über, Vater. Es ist kalt.« Korn lachte über das ganze Gesicht. »Wo denn, Mutter? Da drin ist's nit bloß warm, da ist's heiß.« Dabei schlug er auf seine Brust. Mitten auf der Dorfstraße stand der Hohlöfner. Da trippelte eines heran und stellte sich neben ihn. Es war die alte, unverheiratet gebliebene Leonore Seidel, einst die kunstfertige Dorfschneiderin, heute die gern gesehene Flickfrau. Sie reichte dem Hohlöfner nicht einmal bis an die Schultern. Allezeit zierlich und feingliedrig, war sie, nun sie im fünfundsiebzigsten Lebensjahre stand, vollends zu einem schmalen Schatten geworden. Ihre zitternde, kleine Hand wie ein Kind in die breite, gesunde des Hohlöfners drängend, sagte sie mit feiner, schwingender Stimme: »Und ich kann nit mit auf den Turm! Es geht nit mehr.« Leonore Seidel war einst weit und breit um ihrer schönen Stimme willen bekannt gewesen. Die war wohl noch fein und herzlich geblieben, aber sie war gegenüber den Stimmen der starken Jugend wie ein sturmverwehtes silbernes Glöcklein. Dabei war Leonore noch immer der Meinung, sie allein halte den Chor auf dem Turm. Und auch der härteste Bursche wagte nicht, den schönen Wahn der Alten zu zerstören. Noch letzte Weihnachten war sie die Treppe zum Turm auf allen Vieren hinaufgekrochen, hatte auf einmal mitten in der singenden Schar gestanden und mitgesungen. Dann, als das Lied zu Ende, hatte sie erklärt: »Ihr kommt nit nauf ohne mich.« Keiner hatte gelacht. Die Dorfjugend, die sonst wahrhaftig nicht von Feinfühligkeit belastet ist, hatte das natürliche Taktgefühl, die Alte in die Mitte zu nehmen, damit sie der Winterwind nicht schädige, und ihr wohlzutun mit einem: »Komm, Norle, jetzt wird's gleich besser gehen.« Nun stand das Norle neben dem breiten Hohlöfner, zitterte vor Erregung am ganzen Leibe und sagte mit zuckenden Lippen: »Ich bin neugierig.« Da schallte es vom Turme hernieder: »O du fröhliche, o du selige.« Norles Erregung ward zum Schüttelfrost: »Sie kommen nit nauf, sie kommen nit nauf!« Der Hohlöfner lachte. »Es geht nit ohne dich, Norle. Du mußt mit auf den Turm.« Und weinerlich klang es neben ihm: »Ich kann doch nit.« »Versuchen wir's halt zu zweien, wenn's allein nit geht,« sprach der Hohlöfner, nahm das alte Weiblein, ho hopp, auf den Arm und trug es der Kirche zu. Sie war federleicht, aber sie wehrte ab: »Nit, Hohlöfner, nit. Ich bin zu schwer.« »Hast schon dein Gewicht,« bestätigte der Mann lachend, »aber ich schaff's doch.« Schämig den Kopf an seiner Schulter bergend und sich dabei doch unendlich geborgen fühlend, sprach das alte Jüngferlein im Hinansteigen: »Aber an der letzten Stufe stellst du mich nieder. Wenn das die Leute sähen, tät ich mich ja zu Tode schämen.« »Freilich, freilich.« Der Bauer stand an der Türluke, die jungen Leute sangen eben: »Stille Nacht, heilige Nacht,« da fiel hinter ihnen ein liebes, zartes Stimmchen ein, Burschen und Mädel sahen einander lächelnd an; der Kreis öffnete sich, windgeschützt stand das Norle in der Runde und sagte, als das Lied zu Ende war, selbstbewußt und vorwurfsvoll: »Ihr kommt ja nit nauf.« Dabei strahlte ihr ganzes Gesicht vor Freude. Sie sang das sechzigste Mal in der Weihnachtsnacht vom Turm der Dorfkirche. Rudolf und das Mariele aber leiteten sie, als Geläut und Gesang vorüber waren, die Treppe hinab. Zum Danke nahm Norle unter der Kirchentür des Marieles Hand. »Ich habe heute auf deine Stimme aufgepaßt, Mariele. Du hast den richtigen Ton. Wenn ich einmal nit mehr bin, dann mußt du mein Amt übernehmen. Die anderen kommen ja nit nauf, und wem's der Herrgott gegeben hat, der muß das auch anwenden. Magst du auch so lange mitsingen wie ich.« Sie trippelte davon. Auf der Dorfstraße aber stand noch immer, breitbeinig und fest, der alte Hohlöfner. Norle ging auf ihn zu. »Hab schönen Dank, Hohlöfner, aber, gelt, du sagst keinem Menschen nix. Ich -- tät mich schämen. Hast du mich auch herausgehört?« »Aber freilich Norle, gleich wie du anfingst zu singen, habe ich gedacht: Jetzt wird's richtig. Vorher hat mir was gefehlt.« »Gelt,« zwitscherte es jubelnd neben ihm, »aber -- still sein, nix sagen.« »Keinem Menschen, Norle. Gute Nacht.« Strahlenden Gesichts kehrte Heinrich Korn auf seinen Hof zurück. Am andern Tage führte er den Sohn durch die ganze Wirtschaft, als müsse er ihm in Stall, Scheune, Keller und Gewölbe zeigen, daß er gut hausgehalten. Der Worte, die fielen, waren nur wenige, aber es gingen starke, frohe Brücken von Herz zu Herz. Und auf denen begegneten sich die zwei auch, als sie sich hernach am Tische gegenübersaßen. Da erzählte Rudolf von seiner Arbeit. Nur von ihr ohne alle Erwägungen über Stadt und Land. Und er erzählte von dem alten Herrn, der als Schlossergeselle in die Stadt gekommen war und heute zu den ersten Industriellen gehörte. Mit ihm verband den Sohn des Hohlöfners mehr als nur die Arbeit. Der kluge Mann, der die harten Notwendigkeiten des Lebens durchaus bejahte, hatte sich über Enttäuschungen und rosige Hoffnungen längst hinausgekämpft. Ihn konnte nichts mehr enttäuschen, höchstens daß ihn Dankbarkeit noch überraschte. Er sprach dann und wann ein Wort mit Rudolf, aber er war vorsichtig, weil er wußte, daß er seinem Arbeiter durch persönliche wärmere Teilnahme eher Ungelegenheit als Gewinn gebracht hätte. Einmal hatte er gesagt: »Wenn Sie sich daran genügen lassen, zu lernen und ganz langsam von unten her zu bauen, sich nicht auf den Weltverbesserer hinausspielen, dann sind Sie auf dem richtigen Wege, und wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, würde ich in dieselbe Kerbe schlagen. Auf ~dem~ Wege ist wirklich etwas anzufangen, und zwar einzig auf dem Wege. Einander bei der Arbeit kennenlernen, im übrigen das Maul halten. Wenn es Reden und Bücher schafften, gäbe es schon lange keine Gegensätze mehr zwischen Stadt und Land.« »Rudolf,« sagte der Vater ernst, »so redet auch Lehrer Siebert, aber damit ist halt auch noch nix getan. Wenn etwas herauskommen soll, dann muß man sich klarwerden über das, was zu tun ist, und darüber wollen wir uns nix vormachen: Die Stadt nimmt uns die Leute weg, vollends gar diejenigen, die wir zur Arbeit im Stalle brauchen. Ich bin dir gut dafür, daß, wenn ich einen Inspektor suche, sich hundert melden. Wenn ich aber eine Saumagd brauche, da kann ich den Hof verinserieren und kriege keine.« Rudolf lächelte. »Ganz so schlimm ist's nit, Vater, aber etwas Wahres ist schon an dem, was du sagst. -- Grete Frieders hat früher einem Verein junger Leute angehört, in dem es ganz vernünftig zugeht. Ich bin auch schon dreimal dort gewesen, und einmal sagte einer, es käme eine Zeit, in der die Leute ebenso aus der Stadt hinausziehen würden, wie sie jetzt hineindrängen. Vielleicht hat er recht. Ich glaub's nit, aber ich kann da halt noch nit viel mitreden. Was ich mir denken könnte, wäre, daß es unter den Bauern gang und gäbe würde, ein Jahr lang in die Stadt zu gehen. Nit mit vollem Geldbeutel, sondern als Arbeiter. Das dürfen aber nur Kerle sein, die ganz feste Bauern sind. Nit zu jung, sondern über die Zeit hinaus, in der sie den Schürzen nachlaufen. Und in der Stadt sollten vernünftige Herren solche Arbeiter, die das Herz auf dem richtigen Fleck haben und nit kommen, um den Bauern aus seinem Boden zu reißen, ein Jahr lang auf das Land gehen lassen, auch als Arbeiter. Es können von beiden Seiten her nur taktfeste Leute in Frage kommen, und selbst dann wird's nit immer ganz glatt gehn. Das wäre, was ich weiß. Im übrigen soll man das Land nit zur Stadt und die Stadt nit zum Lande machen wollen. Wir haben gewonnen, wenn sie hüben und drüben begreifen, daß es nit gegeneinander, sondern nur miteinander geht. Heute redet jeder wie der Blinde von der Farbe.« Der alte Hohlöfner wiegte den Kopf hin und her. »Rudolf, ich weiß nit, ich weiß nit! Wäre es nit besser, es ginge jeder seinen Weg?« »Das sollen sie, Vater, aber es soll eins den andern neben sich gehen lassen und nit tun, der eine, als wäre der Bauer ein Mistfink, und der andere, als gäbe es in der Stadt bloß Faulenzer. -- Laß, Vater, wir wollen aufhören. Brauchst keine Angst zu haben, daß, wenn ich wiederkomme, ich den Hof nit festhalte. Ich will ihn fester halten als früher.« Am Nachmittag nötigte der alte Hohlöfner seinen Sohn, mit ihm in das Wirtshaus zu gehn. Sie saßen in behaglicher Runde, die Schönbacher Männer, und drückten Rudolf herzlich die Hand. Widuwilds Vater sah ihn von unten her an: »Bist du noch nit fertig mit der Schule?« »Noch lange nit. Ich halte mein Jahr aus.« »Du bist ja wohl ganz und gar nit gescheit. Ich mache schon drei Kreuze, wenn ich aus dem Städtle gehe. ~Eine~ Stadt hat mir gefallen, und das war Paris.« »Wirst viel davon gesehen haben,« warf der alte Hohlofenbauer ein. Da erzählte Widuwilds Vater Kraut und Rüben durcheinander, setzte den Kölner Dom nach Paris und baute den Triumphbogen in Berlin auf, berichtete, daß er sich mit seinen Quartierleuten ausgezeichnet verstanden und daß ihm Mademoiselle Claire die Backen gestreichelt habe: Mon cochon, was soviel heiße, wie: Mein lieber Kleiner; denn er sei dazumal ein kleiner Kerl gewesen. Die Reden gingen hin und her. Heinrich Korn hielt sich still, aber er beobachtete seinen Sohn noch schärfer, als ihn der Schmied beobachtete. Ehe es sich Rudolf versah, war er in das Gespräch hineingerissen. Er war der alte geblieben in seiner Sachlichkeit, aber er war ein Neuer geworden in der Wärme und Lebendigkeit, mit der er seine Sache vertrat. Ohne auch nur im geringsten ein Besserwisser zu sein, war er doch ein beredter Anwalt der entwurzelten Menschen, die so aus sich und dem Leben hinausgeworfen worden waren, daß sie sich selbst ein Nichts bedeuteten. Dabei beschönigte er nicht und machte nicht Gesindel zu harmlosen Kindern. Mißtrauisch richtete sich manches Auge auf ihn, als er auch das Dorf und seine Leute unter die Lupe nahm. »Was wollen wir denn hören? Daß es ~uns~ schlecht geht und daß es besser werden muß. Wer uns sagt, daß wir gute Leute sind, der ist uns recht. Wer aber einmal zwei Köpfe zusammenschlagen will: Vertragt euch! der ist uns schon nit willkommen. Muß das sein, daß Feindschaften zwanzig Jahre dauern, weil dem einen seine Hühner dem andern eine Haferecke abgefressen haben?« Er legte seine Hände flach auf den Tisch. »Ihr werdet nit sagen können, daß das keine Arbeitshände wären. Eure sind auch nit viel besser, aber wenn sie auch rissig und blutig werden, dann könnt ihr doch sagen, ich habe für ~mich~ geschafft.« Der alte Großindustrielle Schmidt marschierte vor den Schönbacher Bauern auf, klein, grau, bedürfnislos, eisern und doch menschlich, und der Schuß im stillen Zimmer des Bankiers hallte in der Wirtsstube wider. Rudolf Korn verstummte oft und schlug die Augen nieder. Dann aber ging ihm das Herz doch wieder durch, und der Mund floß über. Und wie ein aus der Tiefe rauschender Quell brach die Heimatliebe heraus. »Leute, wenn ich in die Grube fuhr und es wurde immer finsterer, dann dachte ich an den Anger. Hüben ~unsere~ Felder, drüben Nachbar Döring seine, und jeden Tag war die Saat ein Stück weiter. -- Das brauche ich euch nit zu sagen, das wißt ihr selber.« »Erzähl nur weiter,« drängte der Schmied. »Wir wissen's nit.« Und wieder begann er stockend: »Im Schmelzofen sind soundsoviel hundert Grad Hitze -- -- --« Beklommene Atemzüge in der Runde, aus tiefer Brust dann und wann ein: »Man soll den Leuten doch nit Unrecht tun.« Eine Frage: »Hast du denn denen da drin auch so von uns erzählt?« »Ja, und nit einmal bloß.« »Und was haben sie gesagt?« »Dasselbe, was ihr sagt: Man soll den Leuten doch nit Unrecht tun.« Längst war der alte Hohlöfner aufgestanden. Keiner hatte es beachtet, daß er ging, keinem fiel es auf, daß er erst nach einer Weile wiederkam. Der Wirt hatte gerade die Lampe angebrannt, da war er hinausgegangen. Ihr Schein vermochte sich kaum noch durch den Tabaksrauch zu quälen, da kehrte er zurück und rieb sich die Hände. Er hatte den Gesprächen eine Weile zugehört und war immer aufmerksamer geworden. Sein eigen Fleisch und Blut war ihm eine so frohe Offenbarung, daß der Mann sich jubelnd kopfüber in dankbare Fröhlichkeit stürzte. Aber fröhlich sein und nicht einen lustigen Streich machen? Blitzartig dachte der Hohlöfner an seinen Sparstrumpf. Er lag wohlverwahrt im Bettstroh und wartete darauf, aus seinem Schlafe gerissen zu werden. Flink wie ein junger Bursche war der Bauer auf seinem Hofe und sprang die Treppe hinauf. Heraus den Strumpf, in die Tasche damit und die Treppe hinab. Dunnerlichting, drunten stand sein Weib und nahm in ihrer Breite die ganze Treppe ein. »Nanu, Vater, was soll denn das heißen?« »Das soll heißen, daß du mir wieder einmal kein Schnupftuch in die Tasche gesteckt hast.« Er schob sie beiseite. »Mach Platz, der Rudolf erzählt.« Draußen war er. Minna Korn aber stieg die Treppe hinauf; denn jetzt war sicher wieder die ganze Wäsche durcheinandergewühlt. Aber siehe da, kein Stückchen angerührt. Es herrschte eine Ordnung, die, wenn der Bauer wirklich über den Schrank gekommen, ganz unbegreiflich war. Und dort! Da war doch in dem Bett gewühlt?! Minna Korn stieg die Treppe hinab und schüttelte den Kopf. Ob der Vater nicht wieder eine Dummheit vorhat? Laß ihn seine Dummheiten machen. So nur ist er wieder der Hohlöfner. Heinrich Korn schritt im Dunkeln die Straße hinab, und der schwere Strumpf schlug ihm hart gegen das Bein. Es war alles vorbereitet für einen lustigen Streich. Auf dem Strumpfe stand, aus ausgeschnittenen großen Zeitungsbuchstaben zusammengesetzt und aufgeklebt: Fürs Heiratzgut. Aber wie den Strumpf anbringen? Der Hohlöfner wußte es auch jetzt nicht, aber er wußte, daß er seinem Jungen danken mußte, und vertraute seinem guten Stern. Es war ein bitterkalter, stiller Winterabend. In den meisten Stuben waren die Fenster dick gefroren, obwohl das Feuer den ganzen Tag nicht ausging. Der und jener kam, dick eingemummelt, die Straße daher, zog die Schultern ein und hastete weiter. Keiner hielt den rasch dahinschreitenden Hohlöfner auf. Der lief das Dorf hinab, bog hinüber zum Berteles-Häuschen, schwankte einen Augenblick, ob er lieber von dem Streiche abstehn oder ihn ausführen sollte, stand am Hause der Witwe Berteles und dachte: Dunnerlichting, das paßt! Die Fenster sind ja so dick wie die Bretter, da sieht mich niemand. Und wieder schwankte er. Wie denn? Als Weihnachtsmann hereinpoltern? Oder das Mariele herausrufen? Oder den Ballen einfach vor die Tür legen? Alles nichts. Er breitete in Gedanken die Arme aus: Herrgott, Junge, komm her, du machst mir Freude! nahm das Mariele gleich noch mit in seine langen Arme und: Hui, war ihm der Strumpf aus der Hand gerutscht. Kling, klirr machte die Fensterscheibe, aber es klang nur dumpf. »Jesus,« schrie die alte Bertelessin und: »Der Vater!« jubelte das Mariele, das den hereinpolternden Ballen flink aufgehoben und die Aufschrift gelesen hatte. »Dunnerlichting, der ist nix weiszumachen,« knurrte der Hohlöfner und trollte sich lachend mit eingezogenen Schultern davon. Flink schnitt das Mariele einen Pappdeckel zurecht und setzte ihn an die Stelle der zerbrochenen Scheibe. »Das ist gerade so gut wie Glas.« »So, und wer zahlt jetzt die Scheibe?« knurrte die Mutter. »Ich, Mutter.« Die Tochter lachte über das ganze Gesicht. »Du hätt'st das Geld dazu.« »Da!« Marie schwenkte den schweren Ballen. »Wird viel drin sein. Ist auch wieder so ein Jux vom Hohlöfner.« Inzwischen hatte das Mädchen den zusammengebundenen Strumpf aufgeknüpft und schüttelte ihn auf dem Tische aus. Hei, wie das klirrte, klimperte, rollte, knisterte. Da war auch Mutter Berteles bei der Hand, hob die herabgerollten Stücke auf, hielt ihrer Tochter rasche Hände, die in dem Häuflein wühlten, fest: »Bist du nit gescheit? Mach leise. Wenn das jemand draußen hört, holen sie es dir in der Nacht weg,« lief hinaus, riegelte die Haustür zu, dann die Stubentür, kam wieder und war besorgt: »Mariele, ob das auch nit ein Irrtum ist?« Das Mädchen schüttelte den Kopf. Zu sprechen vermochte sie nicht, denn sie zählte, häufelte, glättete die Scheine. Dann ging sie mit spitzen Fingern über die einzelnen Posten hin, und als sie fertig war, sahen sich zwei blaßgewordene Frauen in das Gesicht. »Wirst dich verzählt haben,« wußte die Mutter. Sie hatte sich niedersetzen müssen, so war ihr der Schreck in die Knie geschlagen. Jetzt stand sie auf und zählte mit. Dabei waren ihre Hände eiskalt und ihre Augen schier traurig. Die Tochter aber hatte sich wieder hinaufgeschnellt in Glück und Glauben. »Es stimmt, es stimmt, ich habe mich nit verzählt! Mutter!« Sie nahm sie um die Hüften und wollte mit ihr durch die Stube wirbeln, aber die alte Bertelessin wehrte ab. »Unband du! Ich bin doch eine alte Frau!« »Mein Mutterl bist,« jubelte das Mariele, umhalste, drückte und küßte sie. »Der gute Vater! Nun dauert's nit mehr lange!« Mutter Berteles saß wieder auf der Bank. »Wieviel war's, Mariele?« Und als die Tochter vor Freude laut werden wollte: »Pst, nit so laut. Sollen's denn die Leute durchaus wissen?« Da nahm das Mariele der Mutter rechtes Ohrläppchen, zog es übermütig ein wenig herab und jauchzte es in das Ohr hinein: »Sechshundertzwanzig Taler, Mutter, achtzehnhundertsechzig Mark!« »Du lieber Gott,« die Bertelessin faltete die Hände, »gibt's denn überhaupt so viel Geld? -- Ich habe in meinem Leben nit soviel beisammen gesehn. -- Und morgen ist erst zweiter Feiertag! Da ist keine Kasse auf. Das Geld muß zwei Nächte im Hause bleiben! Mariele, ich kann kein Auge zumachen.« Und die Tochter lachend: »Mutter, ich schlafe für dich mit.« Sie setzte sich neben die Mutter und nahm sie wieder in den Arm. »Du kannst's noch nit glauben, aber es ist doch wahr, und übers Jahr habe ich den Rudolf! -- Mußt nit so bange sein, gelt, Mutter!« »Tu das Geld wieder in den Strumpf.« »Nein, Mutter, das tu ich in mein seid'nes Tuch, und dann leg ich's ganz unten in meine Lade.« »Du bist nit gescheit! In die Lade! Daß ich alle Augenblicke die Treppe hinaufsteigen muß, zu sehen, ob's auch noch da ist!« Das Mariele siegte schließlich, das Geld wanderte in ihre Lade, aber als Rudolf nach dem Abendessen kam, um die zwei auf den Hohlofenhof zu holen, weigerte sich die Mutter standhaft, mitzugehen. An seinem Halse hängend, berichtete ihm das Mariele jubelnd von der Einkehr des Weihnachtsmannes. Rudolf schüttelte den Kopf und lachte. »Er kann's doch nit lassen.« Das Mädchen aber sagte weise: »Jetzt ist er wieder der alte Hohlöfner, und wenn er das nit sein kann, dann ist er krank.« »Hast recht, Mädel. -- Also Ihr geht nit mit, Berteles-Mutter?« »Nein, ich bleibe daheim.« Auf dem Hohlofenhofe erzählte das Mariele eine Weile später so ganz beiläufig, sie sei heute ungeschickt gewesen und habe eine Fensterscheibe eingestoßen. Dabei hatte sie spitzbübische Augen und suchte den Hohlöfner. Der aber stand just hinter ihr und zupfte sie herzhaft. »Au,« schrie das Mariele und lachte dabei dem Bauern vielsagend in das Gesicht. »Das ist für die kaputte Fensterscheibe.« Und Heinrich Korn saßen hundert Schelmengeister in den Augenwinkeln. Da wußte die Hohlöfnerin, daß zwischen den beiden ein neckisches Spiel hin und her ging. »Was habt ihr denn miteinander?« fragte sie. »Nix,« trotzte der Bauer und setzte sich behaglich auf seinen Stuhl. Am andern Morgen aber wußte es die Bäuerin. Sie hatte eine Kleinigkeit mit der Berteles-Mutter zu bereden. Da sah sie auf der Ruhbank in der Ecke einen vergessenen Strumpf liegen; und -- der war ihr doch bekannt. Sie langte danach, las das: Fürs Heiratzgut, drehte sich um, sah in die lachenden Augen des Mariele, die ihr zurief: »Ich wollt's gerade erzählen,« und wies mit dem Strumpf auf die Fensterscheibe. Das Mädchen nickte ihr lachend zu: »Ja, da durch.« »Es ist nit zu glauben!« Da warf sich ihr das Mariele ungestüm an den Hals. »Nit böse sein, gelt?« Minna Korn strich ihr über den Scheitel. »Wo werde ich denn? Aber den Strumpf nehme ich mit.« Das Mittagessen war auf dem Hohlofenhofe vorüber, da sagte die Bäuerin: »Wart noch einen Augenblick, Vater, es gibt noch etwas.« Sie ging hinaus, kam mit einer verdeckten Terrine zurück und stellte sie vor den Hausherrn. »So, Vater, extra für dich.« Der hob den Deckel, nahm den Strumpf heraus, stimmte in das übermütige Lachen von Frau und Sohn ein, warf der Frau den Strumpf leicht in das Gesicht: »Ja, Dunnerlichting, was soll ich machen, wenn's nit anders geht?« In freudiger Stimmung traf der wieder genesene Paul Ender die Hohlofenleute noch, als er eine Viertelstunde später eintrat. Sie stutzten über den Besuch, aber Ender ließ ihnen keine Zeit, zu raten, weswegen er kam. Er ging gerade auf sein Ziel los. »Rudolf, wann fährst du wieder zurück?« »Um sieben geht mein Zug.« »Willst du mich mitnehmen?« »Was willst denn ~du~ in der Stadt?« »Nit das, was du willst. Dazu bin ich nit der Kerl, und es ist mir egal, wie sie hüben und drüben voneinander denken. Ich will Geld verdienen. Könnte ich nit auf eurer Gießerei Arbeit kriegen?« »Das würde sich am Ende machen lassen, aber leicht ist's nit da.« »Ich kann arbeiten.« »Ach, die Arbeit! Mit der wirst du fertig, aber es geht nit so friedlich her wie bei uns. Und: Du hast keine Bodenwiese und keinen Schönbach und keinen Angeracker.« »Das muß ausgestanden werden. -- So geht's nit mehr. Unsere Wirtschaft trägt nit soviel Leute. Von den Kleineren kann noch keiner auf die Arbeit gehn, also muß ich hinaus.« »Ist da nix in der Nähe?« »Erstens ist nix da, und zweitens will ich mehr verdienen, als die Bauern zahlen können. -- Einer von uns kann die Wirtschaft bloß übernehmen, und jeder kriegt's schwer. Das ist so bei uns Bauern. Die kleinen Höfe tragen nit soviel Kinder.« Es klang bitter, und Rudolf Korn legte dem Menschen die Hand auf den Arm. »Versuch's, Paul, ich will dir helfen.« Mit festen Schritten ging der Besucher fort. Die Scholle mußte einen, der sie liebhatte, gehen lassen, weil sie ihn nicht erhalten konnte. Marie Berteles bat Rudolf beim Abschied, ihn einmal in der Stadt besuchen zu dürfen. Er riet ab. »Warte, Mariele, bis wir geheiratet haben. Dann fahren wir miteinander hin.« »Wann ist das, Rudolf?« »Ich denke, kurz vor der Heuernte.« -- Der Hohlofenhof schien leer zu sein, und wären nicht das Mariele und der junge Lehrer ein- und ausgegangen, besonders aber an den Abenden dagewesen, Heinrich Korn hätte wieder zu sinnieren begonnen, so leicht es ihm sonst um das Herz war, wenn er an seinen mannhaft gewordenen Sohn dachte. Es war am Silvesterabend. Marie Berteles und ihre Mutter waren da. Der Hohlöfner saß mit Lehrer Siebert auf dem Sofa, und sie plauderten. Es ging auf Mitternacht zu. Eben hatte der Hohlöfner gesagt: »Der Bauer soll seins machen und der Arbeiter seines. Holt sich jeder Schwielen an den Händen, aber das Herz ist bei einem wie beim andern. Wenn jeder ein richtiger Kerl ist, dann müßte es mit dem Deibel zugehen, wenn wir nit zusammenkommen wollten.« Da klang unter dem Fenster eine Geige. Es waren kaum drei oder vier Töne, aber sie waren von einer Innigkeit, daß Lehrer Siebert wußte: So führt nur einer den Bogen. Er sprang auf. »Philipp Engel ist da!« und wollte aus dem Hause stürzen. Der Bauer drückte ihn in die Sofaecke zurück. »Das wäre gerade das richtige für Sie. Es sind fünfzehn Grad Kälte draußen. Ich hole den Lipp herein.« Und richtig, da stand Philipp Engel im Hoftor und klemmte die Geige unter den Arm. Als er den Bauern auf sich zukommen sah, wollte er davongehen. Der Hohlöfner aber hielt ihn fest. »Was soll denn das heißen, Lipp? Seit wann reißt du denn vor mir aus?« »Seit du Menschenherzen wie Kieselsteine behandelst.« »Bist du denn ganz verrückt geworden?« Die Worte überstürzten sich nicht in Philipp Engels Munde, aber sie troffen von Bitterkeit. »Weißt du noch, als der Flieder blühte -- -- --« Ganz still stand der Bauer, aber er nahm Philipp Engels Hand. »Hast recht, Lipp, aber der Herrgott hat's doch gutgemacht. Komm, drin sitzen der junge Lehrer und das Mariele. -- Nit, nein, nein. Es ist nit so, wie du denkst, aber es geht doch alles in der Ordnung, und wenn der Flieder wieder blüht, heiraten sie, der Rudolf und das Mariele.« Da ließ sich der Geiger still in das Haus führen. Lehrer Siebert ging ihm mit ausgestreckten Händen entgegen, sie sanken einander in die Arme, und Siebert vermochte ein kurzes Aufschluchzen nicht ganz zu unterdrücken. Sie freuten sich alle des Besuches. Es war keiner, der den stillen, scheuen Geiger, der doch ein armer Landfahrer war, nicht von Herzen gern gehabt hätte, weil sie alle seine innere Vornehmheit fühlten und die Schicksalsrunen in dem edelgeformten Mannesantlitz eindringlich genug redeten. Die Männer setzten sich miteinander in eine fernere Stubenecke, und eine halbe Stunde darauf trat Engel, der genug vernommen und das übrige aus leisen Untertönen erraten hatte, lächelnd und frei auf Marie Berteles zu, strich ihr über das Blondhaar und sagte: »Das ist schön. Ja, das ist schön!« Die Neujahrsglocken huben an zu läuten, Minna Korn nahm das Mariele an ihr Herz: »Übers Jahr, Mariele, ist alles ganz beieinander.« Der Hohlöfner vermochte nicht viel zu sagen, und hätte er so ernst gesprochen, wie es ihm um das Herz war, die Augen wären ihm übergegangen. So nahm er denn des Mariele beide dicke Zöpfe in seine große Hand. »Du nixnutziges Mädel, mach mir im neuen Jahr nit wieder soviel Not wie im alten.« Marie Berteles Augen aber schimmerten feucht. Sie vermochte nicht auf den Scherz einzugehen, brachte kein Wort heraus, drückte nur dem Hohlöfner fest die Hand. Da mußte der trösten. »Wird schon alles gut werden. Vielleicht wird derweile noch einmal Weihnachten.« Da mußte auch das Mädchen lächeln. Abseits aber standen zwei Männer, still, wehmütig lächelnd, Hand in Hand. Der Hohlöfner trat mitten in die Stube und begann mit seiner starken Stimme zu singen: »Nun laßt uns gehn und treten.« So war es Brauch auf dem Hofe, und so war es schon zu Vaters und Großvaters Zeiten gewesen. Als das letzte Geläut verstummte und die Glocke den Ablauf der ersten Jahresstunde verkündete, gingen Lehrer Siebert und der Geiger. Draußen nahm der junge Lehrer des Freundes Arm. »Ich habe nicht geglaubt, dich noch einmal zu sehen.« Engel zuckte die Schultern. »Es war auch wahrhaftig nicht meine Absicht, noch einmal herzukommen -- aber kannst du dafür? Ich bin im Kreise gelaufen. Der Mensch bleibt ein Narr, solange er lebt. Das ist wie mit dem Magneten, und hier sind es ihrer drei, du, das Mädel und der Bauer. Du warst der stärkste, und auf einmal stand ich halt vor dem Dorfe.« Als wäre er unzufrieden mit sich selber, schüttelte er den Kopf. »Wenn man sich das Herzhaben abgewöhnen könnte! Aber da kriegt man so ein verdammtes Erbteil mit, ohne gefragt zu werden, ob man es haben will. Sieh zu, wie du damit fertig wirst. -- Wir wollen schlafen gehen, Kleiner.« »Philipp,« bat Siebert herzlich und eindringlich, »spiele!« »Du bist verrückt, Kleiner! Klapperst wie ein Hund und willst dich in die kalte Kirche setzen.« »Philipp, tu mir die Liebe.« Des Hohlöfners Knecht kam daher. Lehrer Siebert drückte ihm ein Geldstück in die Hand. »Wollen Sie eine Stunde die Bälge treten?« »Meinetwegen.« Engel schüttelte den Kopf. »Kleiner, du bist wie ein Kind,« aber er ließ sich in die finstere Kirche ziehen, stieg zum Orgelchor hinauf und begann zu spielen. Die Kirchentür war offen geblieben. Lehrer Siebert ging vor bis an den Altar, setzte sich auf die unterste Stufe und legte das Gesicht auf seine Knie. Die Orgeltöne aber wallten die Dorfstraße hinauf und hinab, pochten zuerst an die Fenster des Hohlofenhofes und riefen die Leute heraus, pochten von Haus zu Haus und fanden Gehör. Leise, ganz leise kamen sie, traten in die Kirche, schoben sich in die Bänke, rückten zu, machten einander Platz. Philipp Engel spielte, und des kommenden Jahres ernste und frohe Stunden wanderten vorüber, die Sonne leuchtete, und der Donner grollte, die Saat sproßte, und die Sichel rauschte. Kein lauter Atemzug im Kirchenschiffe, Stille, als wäre es leer. Und mitten durch die Hörer ging nach einer Weile Lehrer Siebert wie ein Nachtwandler, hörte und sah keinen, stand draußen, wartete auf den Freund, unter dessen Händen eben die Orgel verstummte, und war bis in das Herz erschüttert, als er die stillen Menschen hernach an sich vorüberziehen und in den Häusern verschwinden sah. Philipp Engel trat aus der Tür, legte Siebert den Arm um den Nacken, zog ihn fort: »Komm, Kleiner, ich schlafe die Nacht bei dir.« Er nahm aber weder Bett noch Sofa an, schlief auf dem Teppich vor Sieberts Bett, hatte dessen herabhängende, heiße Rechte in seiner Hand und -- erzählte sein Leben. Es war ein Leben, dem Liebe gelogen. Künstlerschicksal, hart, bitter, voll grausamer Lebensironie und doch überstrahlt von dem Lichte, das unmittelbar aus des Herrgotts Herzen kommt und das, ob seines Ursprungs willen, im Tiefsten ein Glaube ist, den kein Sturm zerbricht. Als der Freund geendet, tat auch Lehrer Siebert sein junges Herz auf, und es war so viel Schönes, das er zu berichten wußte, daß Engel ihm immer wieder die Hand drücken mußte. Und einen Plan hatte der junge Mensch, einen schönen, lieben Plan, und es war bitter, daß er beides, das er gern tun ~wollte~, kaum würde tun können. Philipp Engel jedoch wußte Rat. Der Hohlöfner war am andern Morgen überrascht, als der Landfahrer urplötzlich vor ihm stand, ihn am Arme nahm und sagte: »Wir müssen etwas bereden.« Als sie auseinandergingen, wischte sich Heinrich Korn die Augen. »Herrgott, wie gern sie alle das Mädel haben!« 9. Es war Rudolf Korn diesmal beinahe schwerer, sich an die Stadt zu gewöhnen, als das erstemal. Er biß die Zähne zusammen und tat seine Arbeit. Gewiß, es ging, aber wenn er vor der Weißglut der Schmelzöfen stand, sah er die stille Bauernstube auf dem väterlichen Hofe vor sich. Mitten im Rasseln und Klirren der Ketten hörte er die Dorfkirchenglocken, und wenn er mit Grete Frieders plauderte, sehnte er sich nach dem Mariele. Paul Ender hatte auf Rudolfs Fürsprache Arbeit in der Gießerei erhalten und enttäuschte nicht. Die Schulkameraden trafen sich fast an jedem Tage nach der Arbeit, hatten gemeinsamen Weg, kamen auch an den Abenden zusammen, und Rudolf erkannte schon nach wenigen Wochen, daß Ender nicht wieder auf das Dorf zurückkehren werde. Es gefiel ihm in der Stadt, er hatte sich mit dem Gedanken abgefunden, daß einer der Brüder das Vatererbe übernehmen werde, und hörte nicht den Schrei der Scholle, fühlte nicht ihren bittenden Blick, atmete nicht ihre Treue, sah nur ungelohnte Mühe und Plage, und die Erinnerung an daheim war ihm nichts als das Gedenken an freudlose Tage und ein friedloses Haus. Freudlos und friedlos, das war der Enderhof. Die Not war größer als die Kraft der Scholle. Der alte Ender wußte sich seiner Erde noch so fest verwurzelt, daß er eher sterben würde als sie aufgeben. Seine Söhne hatten nicht einzuwurzeln vermocht. Einer war gegangen, der zweite hatte in allem die Art des älteren Bruders, und von dem dritten wußte man noch nicht recht, wie er sich innerlich einstellen werde. Paul Ender konnte harte Urteile über Dorfheimat und Bauerntum anhören, ohne daß ihm die Röte in die Wangen schoß. Er versuchte weder ruhig und sachlich zu überzeugen, noch Heimat und Stand mit flammenden Worten zu verteidigen. Lachend ging er entweder beiseite oder sagte ebenso lachend: »Jeder redet, wie er es versteht.« Rudolf Korn sah das mit tiefem Schmerze, und sein Plan, den er einst dem Vater entwickelt, ward stark erschüttert. Wäre Grete Frieders mit ihrem Lebensmut und ihrer warmherzigen Klugheit nicht gewesen, die Stadt wäre dem Sohne des Hohlöfners zur Qual geworden. An der Hand der Frau aber schritt er weiter und -- fand einen Weggenossen, der ihn über alle Enttäuschungen hinwegbrachte. Es war in den ersten Märztagen. Von den Hausgiebeln pfiffen die Amseln. Rudolf Korn ging am Sonntagnachmittag spazieren. Da traf er den Bergmann, mit dem er bei Richard Frieders Beerdigung vom Friedhofe gegangen war. Der Mann trat auf Rudolf zu. »Sieht man dich auch einmal wieder?« Korn sah ihm fragend in das Gesicht. »Ich -- weiß nicht.« Der andere lachte. »Das kann ich mir denken, wenn du mir auch dazumal gesagt hast, du wolltest mich aufsuchen. Hast's natürlich nicht gemacht. -- Ich bin der Ludwig Hempel, und wir sind seinerzeit miteinander auf der Grube gewesen und sind miteinander weggegangen, als wir den Frieders begraben hatten.« Jetzt wußte Rudolf Bescheid. Die beiden gingen miteinander weit über den gepflegten Park hinaus, kamen auf die Landstraße, stapften weiter und wurden es nicht gewahr, wie die Stunden vergingen und die Entfernung von dem Stadtinnern größer wurde. Sie hatten beide heiße Köpfe und rangen ernsthaft miteinander. Der Bergmann war ein ehrlicher Mensch, der sich mühte, seine Meinung für sich zu haben. Er war den Einwendungen Rudolfs nicht unzugänglich, aber er lehnte ihre Wahrheit mit einer Beredsamkeit ab, daß der Bauernsohn ins Gedränge kam. Schwach begrünt lagen Saatfelder zur Rechten und zur Linken. Aus ihnen her kam dem Bauern die Kraft, die er vergeblich in sich gesucht, solange der Atem der Stadt herwehte. Ganz Bauer ward er, ganz Mensch, und Rein-Menschliches war es, das er dem Manne, der neben ihm ging, bot. Dies Menschliche nahm den Bergmann gefangen. Nichts erzählte Rudolf Korn, das außerhalb seines eigenen Erlebens gelegen hätte, nichts, das er an Anschauungen und Urteilen aufgelesen, sei es bei Grete Frieders oder in den Versammlungen oder in den kleinen Heften, die ihm die Witwe des Freundes in die Hand gedrückt. Und nicht Bauern~arbeit~ war es, die den Bergmann still und nachdenklich machte, sondern Bauern~art~. Irgendwie kommt jeder Mensch von der Erde her und ist erdgebunden. Und wenn die Wurzeln durch Jahrhunderte gehen, in des Blutes Wellen trägt der Mensch das Erdhafte durch die Zeiten. Schlicht und warmherzig sprach der Bauer von der Scholle, die sein und doch nicht sein war, von der inneren Sorge, wenn die Gewitter am Himmel auftürmten, von der Freude, wenn die Saat schoßte und die Flur im bunten Funkellicht unter dem siebenfarbigen Bogen lag. Es ward ihm nicht bewußt, daß er jetzt: »Der arme Acker,« nachher: »Ein liebes Gewitter,« dann: »Die gute Wiese« sagte, aber es pochte an das Herz des Mannes, der ein Suchender war und fühlte, daß Mensch zum Menschen wollte, menschlich, brüderlich, eins im Tiefsten. Immer krauser ward seine Stirn, schwerer der Atem, langsamer der Schritt. Mitten auf der Straße blieb er stehen und sah Rudolf in das Gesicht. »Ich weiß, daß du die Wahrheit sagst, wie ich dir die Wahrheit sagte, aber nun weiß ich eins nicht: Warum kommen wir nicht zusammen?« »Wir werden zusammenkommen.« »Aber das wird verdammt schwer sein.« »Im Anfang ja. Haben wir erst den Boden, auf dem wir uns finden können, wird es rascher gehen.« »Was hältst du für den richtigen Boden?« »Den Willen, uns so zu sehen, wie wir wirklich sind.« »Mensch, das sagst du so, als wenn's ein Dreck wäre, und es ist doch, weiß Gott, das allerletzte.« »Hättest du nicht Lust, ein Jahr lang Bauer zu werden?« »Ich weiß nicht. Dazu bin ich zu alt. Aber meinen Jungen kannst du kriegen. Er ist sechzehn und ist ein gewitzter Kerl.« »Der scheint mir zu jung. Es können hüben wie drüben nur Kerle in Frage kommen, die weder das Land noch die Stadt verlassen wollen. Kennenlernen, aber jedem seine Art lassen.« »Donnerwetter, du hast mich ganz konfus gemacht. Bekehren willst du mich nicht -- -- --« »Du bist, wie mir scheint, nach der einen Seite genau so bekehrt wie ich nach der andern.« »Das heißt, gar nicht?« »Ja und nein. Du sagst: Ich bleibe in der Stadt und lasse denen auf dem Lande ihre Art, ich sag's umgekehrt, aber jeder von uns zweien läßt den andern in seiner Art gelten.« Ein Lokomotivenpfiff ließ sie auffahren. Da wurden sie gewahr, daß es dunkelte. Zu Fuß konnten sie den Rückweg nicht gut machen. So fuhren sie mit der Bahn, und jeder saß still und in sich gekehrt. Als sie in der Stadt gemeinsam durch die Straßen gingen, sagte Hempel ernst: »Du, der Nachmittag war nicht umsonst. Wenn du willst, können wir uns in acht Tagen wieder treffen.« »Gern, Hempel. Dann bringe ich Grete Frieders mit. Die weiß mehr als wir beide miteinander.« »Meinetwegen, wenn das Frauenzimmer wirklich so vernünftig ist.« Der Plan, einander bei der Arbeit kennenzulernen, verdichtete sich in Rudolf Korn wieder so stark, daß er einmal nach Feierabend den alten Herrn Schmidt aufsuchte. Der kluge, erfahrene Mann goß ihm viel Wasser in den Wein, aber er sah zuletzt Rudolf doch freundlich in das Gesicht. »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, Korn, daß, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, ich die Sache ernsthaft mitmachen würde. Nunmehr muß ich sie Jüngeren überlassen, aber ich werde in unseren Kreisen ein gutes Wort für Ihre Idee einlegen und glaube, daß es an uns nicht fehlt, wenn -- die andere Seite will.« * * * * * Der Frühling kam. Über Nacht trieben die Erlen am Schönbach grüne Spitzen, Amseln und Drosseln jubelten, die Stare kehrten wieder, und die Pflüge wühlten sich ins Land. Rüstig, ganz der frohe Mann, der er früher gewesen war, und doch einen großen Schritt weiter, marschierte Heinrich Korn hinter seinen Gäulen her, kommandierte: Halt, Vorwärts, Rechtsum, Linksum, und pfiff dabei, daß es über die Felder schallte. Die Saat war der Erde anvertraut, in den Bäumen stieg der Saft, da schlug Heinrich Korn mit seinem Knecht zusammen das Holz, das er zum Fällen bestimmt. Er hätte gut und gerne noch ein paar Jahre warten können, aber -- das Mariele sollte in das Haus. Bei dem Gedanken kraute er sich den Kopf. Es paßte ihm allerlei nicht. Hätte er damals nicht fünf-, sondern dreitausend Taler gesagt, es hätte auch gelangt. So viel, daß die ganze Summe erreicht ward, konnte er bei dem kleinen Waldstück bei dem besten Willen nicht beiseitebringen, und -- Philipp Engels Plan, den er ihm am Neujahrsmorgen entwickelt, ging ihm gegen den Strich, sosehr er ihn anfangs gefangengenommen. Lehrer Siebert ging es nicht gut. Er hatte sich in den ersten Februarwochen beurlauben lassen, wartete auf seinen Tod und wunderte sich, daß der so lange auf sich warten ließ. Wer am Schulhause vorüberging, sah den jungen Menschen still an seinem Fenster sitzen, und es lag ein Zug heimlicher Freude auf seinem Gesicht. Zu seiner Vertretung war ein junger Mann gekommen, den die Schönbacher lieber heute als morgen wieder gehen gesehn hätten. Er war hochmütig und hielt sein Amt auf dem Dorfe für eine Verbannung. Im April hatte Lehrer Siebert einige Tage fest gelegen. Obwohl ihm die alte Henriette Drescher keine schlechte Aufwärterin war, vermochte sie ihm doch nichts, gar nichts für das Herz zu bringen. Da suchte ihn die Hohlöfnerin vorerst allein auf, dann brachte sie das Mariele mit, und so fügte es sich von selber, daß das Mädchen schließlich den kranken Menschen auch allein aufsuchte, ihm aus Büchern vorlas und mit ihm plauderte. Auch die Bauern kamen an den Abenden, vorab der Hohlöfner. Der treue Zusammenhalt, die Liebe der Kleinen, die ihrem Lehrer Frühlingsblumen in die Krankenstube schickten, bewirkten, daß auch nicht ein einziges hämisches Wort gegen das Mariele fiel. -- -- -- Der Hohlöfner hatte sein Holz geschlagen und verkauft. In seiner Lade wartete ein Sparkassenbuch, das auf den Namen Marie Berteles ausgestellt und in dem ein hoher Betrag eingetragen war, darauf, in die richtigen Hände zu gelangen. Wochenlang hatte der Bauer schon darüber gegrübelt, wie es anzufangen sei, ohne daß er einen Weg gefunden, der ihm gepaßt hätte. Es war ein milder Sonntagabend im Maien. Am Bache blühten die Vergißmeinnicht, prahlten die Sumpfdotterblumen. Die Wiesen wurden von Tag zu Tag mehr zu dem bunten Teppich, den zu scheren jedem Bauer zugleich Freude und Schmerz ist. Aus den Fliedersträuchern im Berteles-Garten stiegen die ersten blauen, roten und weißen Duftmelodien. Das Sparkassenbuch in der Jackentasche, war der Hohlöfner durch Felder und Wiesen geschlendert. Ganz weit hatte er sein Bauernherz dem stillen Abendgebet der Flur aufgetan. Langsam überquerte er die Bodenwiese, sprang mit kurzem Satze über den Bach und hielt auf das Berteles-Häuschen zu. Kam ihm heute die Gelegenheit zu Scherz und Überraschung, war es ihm recht. Kam sie nicht, mußte er weitergrübeln. So stieg er gemächlich den Weg hinan. Auf einmal fuhr es ihm durch den Kopf: Dunnerlichting! Wenn sie ein Stubenfenster auflassen, dann ist ja geholfen! Schon stand er am Zaun des Berteles-Gartens. Hopp, war er darüber. Der Zaun hatte zwar geprasselt, aber er hatte gehalten. Der Weg war grasbewachsen, und die Laube war dunkel. Da saß der Hohlöfner und lauerte. Hurra, das Fenster nach dem Garten blieb offenstehen. Jetzt hörte man das Mariele und seine Mutter die Treppe hinansteigen. In zwei Kammern, zwischen denen eine unerleuchtete Stube lag, ward Licht. Nach einer Weile öffnete das Mariele das Fenster, lehnte sich einen Augenblick auf den Fensterstock und ließ die weißen Arme vom Maienwinde streicheln. Dann schloß sie das Fenster wieder, und auch ihr Licht erlosch. Jetzt noch ein Weilchen warten, bis sie fest schlafen, dann kann der Hohlöfner wie ein Dieb durch das Fenster steigen, dann ist's wieder -- Weihnachten! Die Frösche quaken aus den Teichen inmitten der Wiesen her, als könnten sie sich gar nicht genugtun vor lauter Lust und Wonne; der Bach rauscht und plaudert, über dem Berge steht der helle Mond, und -- der Hohlöfner lauert, hundert Schelmengeistlein in den Augenwinkeln. Jetzt -- ist es wohl so weit. Langsam, vorsichtig erhebt er sich. Da -- saust einer auf dem Rade heran, das Gartentürchen wird aufgedrückt, Rudolf schreitet, ebenso leise wie vorhin der Vater, in den Garten. Dunnerlichting, denkt der Hohlöfner, das hat gefehlt. Und: Dunnerlichting, so ein scheinheiliges Volk miteinander! Wer weiß, wie oft der Junge schon dagewesen ist, aber keinmal ist er heimgekommen! Und das Mariele! Er drückt sich in die finsterste Ecke der Laube, macht sich so klein, wie er kann, aber -- wohin gehn verliebte Leute in Maiennächten? Allemal in die Lauben. Dunnerlichting! Draußen ein leises Hantieren, dann vorsichtige Schritte auf dem Wege. Heinrich Korns Augen werden groß und größer, er kann sogar einen herzhaften Schnaufer nicht ganz unterdrücken. Rudolf kommt daher, trägt eine Leiter, lehnt sie ganz leise und vorsichtig an das Haus -- sie reicht gerade bis an des Marieles Kammerfenster -- und steigt hinauf. Heinrich Korn drückt sich die Hand fest auf den Mund, um nicht laut hinauszufluchen, und denkt: Das Sparkassenbuch steckt gut, wo es steckt. Ich will's euch zweien schon weismachen! Droben poch, poch an das Fenster. Das Mariele schreit leise auf. Da ist sie an der Scheibe, öffnet den Flügel und die weißen Arme leuchten. »Rudolf!« »Pst, nit so laut! Komm herunter!« Husch ist der Bursche die Leiter herab an der Haustür. Der alte Hohlöfner kraut sich in den Haaren: »Ich weiß wirklich nit, ob ich das auch so gemacht hätte,« und das Sparkassenbuch sitzt wieder lockerer. Einen Augenblick hat der Bauer die Sorge, daß die zwei in die Laube kommen könnten, vergessen. Nun sie wieder da ist, findet sie einen lachenden Mann. Hei, das gibt einen Spaß, wenn sie kommen, ihn nicht gleich sehen, und er mitten in das Kosen und Küssen mit einem: Dunnerlichting, jetzt langt's! fährt. Und wenn sie ihn dann fragen, was er hier macht, dann wird er sagen: Auf das Mariele aufpassen für den Fall, daß gewisse Leute etwa durch das Fenster klettern wollen. So sitzt er und lacht innerlich, und von drüben her kommen leise Stimmen. »Woher kommst du denn auf einmal, Rudolf?« »Aus der Stadt.« »Aber das hast du doch noch gar nit gemacht.« »Nein, ist das erste- und letztemal, denn meine Zeit geht auf die Neige. -- Ich war heute mit Grete Frieders und Hempel spazieren, da sagte die Frau auf einmal: Rudolf, Sie sind ein langweiliger Kerl. An Ihrer Stelle säße ich jetzt lange auf dem Rade und führe zu meinem Schatz. -- Das ging mir durch die Knochen. So ein schöner Abend! Und wie weit ist's denn? Drei Stunden bin ich gefahren. Hempel bot mir sein Rad an. Da bin ich. Und was kriege ich jetzt?« »Nit viel, dummer Rudolf. Da.« Das kennt man, denkt der Hohlöfner. »Das langt nit,« spricht Rudolf. »Ich will mehr haben.« Da wickelt ihm das Mädchen ihre Zöpfe um den Hals. Und wieder -- -- -- Das kennt man. Dunnerlichting! Der Rudolf ist zwar ein langweiliger Kerl, aber ~die~ Sache versteht er. Früher war es übrigens einmal ähnlich, bloß daß seinerzeit Minna Heidrich nicht so lange Zöpfe hatte. Auf einmal durchzuckt es den Hohlöfner wie ein Blitz. Die zwei da drüben haben offenbar nicht die Absicht, in die Laube zu kommen, drüben aber steht die Leiter, droben ist des Mariele Kammer und -- so gut paßt es im Leben nicht wieder! Husch, ist der Bauer aus der Laube, leise wie ein Fuchs, schleichend wie ein Marder. An der Leiter ein Augenblick des Zögerns und Lauerns und von drüben -- -- -- Das kennt man. Heidi, die Leiter hinauf, das linke Bein über das Fensterbrett, das rechte nachgezogen. Sackerlot, die zwei kommen in den Garten. Und -- Rudolf nimmt die Leiter weg. Um ein Haar hätte der Bauer laut aufgelacht. Er ist nicht einen Augenblick mehr verlegen. Das Glück steht ihm bei, so oder so. Der Mann sieht sich in dem Stübchen um. Ein rührend einfaches Stübchen, selbst für Bauerngewohnheit. Da steht das Bett, da die Lade, dort der Schrank. Wohin nun mit dem Buche? Das Mariele soll darauf schlafen. Unter das Kopfkissen. Husch, ist es darunter, und der Hohlöfner streicht mit linder Hand, ein sinniges Lächeln im Gesicht, darüber. Schlaf gut auf deinem »Heiratzgut«, braves Mariele. Nun der Rückzug. Der Bauer hat Stiefel an, und wenn er auch fast lautlos die Leiter hinaufklettern und in das Stübchen steigen konnte, die Treppe hinab kommt er nicht ohne Lärm, und er ~muß~ hinab! Leise zieht er die Stiefel aus, nimmt sie in die Hand, riegelt die Tür auf, probiert -- sie kreischt glücklicherweise nicht in den Angeln. Er steht auf dem Hausboden, aber er weiß keinen Bescheid im Berteles-Häusel, ist zum erstenmal darin, und es ist finster. Jetzt hat er die Treppe, jetzt setzt er einen Fuß vor den andern. Da -- knarrt eine Stufe! Der Hohlöfner quittiert seinen Schreck mit innerlichem Lachen. Die alte Bertelessin scheint einen guten Schlaf zu haben. Der Bauer steht im Hausflur und sucht die Tür zu gewinnen. Rudolf und das Mariele gehen draußen auf und ab, immer hin und her zwischen Garten und Haustür. Wenn sie sich einmal ein paar Minuten drüben verhalten, wird der Hohlöfner mit raschem Sprunge den kleinen Hof überqueren. Die zwei aber verhalten sich nicht, und die Zeit zwischen Hin und Her ist zu kurz, sich in Sicherheit zu bringen. Wozu in aller Welt hat der liebe Gott die Lauben erfunden, wenn nicht für Liebesleute! Aber das ist ganz der Rudolf! Immer hin und her wie ein Uhrenperpendikel! Jetzt stehn sie an der Haustür. Rudolf redet vom Heimfahren. Heinrich Korn hat gerade noch Zeit, den kleinen Steinflur entlang zu huschen. Er erreicht die Kellertür und steht auf der Kellertreppe, entschlossen, wenn es not tut, noch ein paar Stufen hinabzusteigen. Rudolf und das Mariele stehen im Hausflur. Es geht ans Scheiden, aber wenn Liebesleute Abschied nehmen, so gehn sie deswegen noch lange nicht auseinander. »Mariele,« sagt Rudolf, »was hättest du denn gemacht, wenn ich durch das Fenster gestiegen wäre?« Da war ich auch noch da, denkt der Hohlöfner. So leicht wäre das nicht gewesen. »Was ich gemacht hätte?« sagt das Mädchen dagegen, halb im Scherz, halb im Ernst. »Meine Zöpfe hätte ich mir abgeschnitten. Ratzekahl. Die hätten dann nit mehr für mich gepaßt.« Will ich mir merken, denkt der Hohlöfner. Ist eine gute Probe aufs Exempel. »Bist nit gescheit! Hast mich lieb, Mariele?« »Gar nit!« »Womit beweist du das?« »Damit.« Das kennt man. Die Kellerstufen sind kalt, aber -- jetzt reden sie von dir, Hohlöfner. »Du glaubst gar nit, wie gut der Vater ist,« spricht das Mariele. »Ich weiß schon. Hat halt seine Raupen im Kopfe. Aber ich muß sagen, ohne die Raupen wäre er nit der Hohlöfner.« Dunnerlichting, es ist recht nett, wenn man hört, was andere Leute von einem denken. »Aber ich weiß wirklich nit, wie wir das Geld zusammenbringen sollen,« sagt das Mariele. »Das weiß ich auch nit, aber vielleicht wird derweile noch einmal Weihnachten.« Ja, droben liegt's. Wenn ich's nur wiederholen könnte! Der Hohlöfner. »Mariele, hast mich gern?« Dunnerlichting, so eine dumme Fragerei! Das ist nun schon wenigstens das zehntemal, daß er fragt. Liebesleute sind ein zu dummes Volk! Die Kellerstufen sind mordskalt, die Bertelessin aber schläft wie ein Murmeltier. Sie soll sich doch nicht stellen, als hätte sie nichts gehört. Das hätte ja ein Toter vernommen, aber die Weiber! Wenn sie kuppeln können, bringen sie es auch fertig -- zu schlafen. »Hast mich lieb, Mariele?« Sackerlot, jetzt wird's zu bunt, und jetzt -- purzelt, plauz, pardauz, dem Hohlöfner ein Stiefel aus der Hand. »Was war das?« fragt das Mariele erschrocken. »Hab nix gehört.« »Doch, es hat auf der Kellertreppe gepumpert.« »Wird die Katze gewesen sein.« »Rudolf, tu mir die Liebe und sieh nach. Ich fürchte mich.« Jetzt geht die Uhr richtig. Husch, ist der Hohlöfner die Treppe hinab. Dabei stößt er an seinen Stiefel und rafft den empor. Droben flammt ein Streichholz auf. »Da siehst du, daß nix da ist.« Sie gehn und -- riegeln die Kellertür ab. Dunnerlichting! Nun ist alles in Ordnung, alles! Jetzt hört der Spaß auf, jetzt wird's dumm und ärgerlich. Ach nein, es wird gleich wieder lustig. Vater Berteles hat sich einen luftigen Keller mit weiten Fenstern gebaut. Da steht ein Waschfaß. Das ist rasch umgedreht, das Fenster aufgemacht, es geht nach der Bodenwiese zu, draußen ist der Hohlöfner. Er klopft und streicht leicht am Anzuge, husch, die Stiefel an, links am Hause hin, da ist er auf dem Fahrwege. Wer will behaupten, daß er nicht eben vom Felde kommt? Aber er kommt leise und vorsichtig. An der Tür des Berteles-Häuschens sind sie eben bei dem letzten -- -- -- Nun, das kennt man. Vielleicht sollte es auch erst der drittletzte Kuß sein. Jedenfalls stehn sie zwischen Tür und Angel. »Nanu,« sagt auf einmal eine barsche, laute Stimme. »Was soll denn das heißen?« »Der Vater!« schreit das Mariele auf. »Freilich, der Vater!« Der Hohlöfner spricht es noch grimmiger und grollender. »Komm dir wohl ungelegen? Sind ja nette Geschichten, die du da treibst. -- Da war doch eben ein Kerl bei dir?« Rudolf ist hinter die Tür getreten. Das Mariele kichert leise. »Hab keinen gesehn, wirst dich verguckt haben.« Und nun der Bauer ganz laut: »Willst du mich dumm machen? Das sage ich dir: Zwischen uns beiden ist's aus. Morgen schreibe ich's dem Rudolf.« »Aber, der weiß das doch schon,« kichert das Mädchen. »Sooo?« »Nit so laut,« bittet das Mariele, »daß es die Mutter nit hört.« Der Bauer kann sich zwar das Lachen kaum noch verkneifen, aber er stellt sich nach wie vor entrüstet und barsch. »Die Mutter soll's nit wissen? Heimlichkeiten sind Schlechtigkeiten.« »Ja, ich bin grundschlecht.« Wieder kichert das Mädchen, langt durch die Tür. »Jetzt wird's Zeit, Rudolf.« Heinrich Korn prallt scheinbar zurück, denn da steht sein Sohn und lacht über das ganze Gesicht. »Wo kommst du denn her, Vater?« »Das will ich ~dich~ fragen. Ich -- komme vom Felde.« »So spät noch? -- Und ich komme daher, wo ich jetzt am längsten gewesen bin.« »Ja, Dunnerlichting, warum kommst du denn da nit heim?« »Weil ich nit viel Zeit habe. Bloß eine reichliche Stunde für das Mariele.« »Hast du denn das schon oft so gemacht?« »Oft?« Rudolf lacht wieder. »Wird wohl das zehntemal sein.« »Glaub's nit.« Das Mariele steht dicht vor dem Bauern. »Es ist das erstemal.« »Das mach einem weis, der dümmer ist als ich. -- Jetzt scher dich ins Bett, Mädel, wohin du um die Zeit längst gehörst. Und du, leichtfertiger Bruder, kommst mit heim zur Mutter.« »Geh derweil voraus, Vater, ich komme gleich nach.« Der Hohlöfner stapft langsam davon, streicht sich den Schnurrbart und kann sich nicht erinnern, jemals im Leben solch einen Spaß gehabt zu haben. Es dauert ein Weilchen, ehe Rudolf kommt; denn er muß noch etliche Male fragen, ob ihn das Mariele gern habe, und von dem andern, das man kennt, kriegt er auch nit satt. Schließlich aber ist er da und schiebt das Rad neben sich her. »Ist die Mutter gesund? -- Ja? -- Du bist's auch. Dann weiß ich genug. Auf den Hof kann ich nit erst kommen, ich muß morgen früh um sechs wieder an der Arbeit sein und habe drei Stunden zu fahren. Daß du aber nix Schlechtes denkst, Vater. Ich bin heute wirklich zum erstenmal dagewesen.« »Wer das glaubt!« »Kannst's schon glauben. Und -- kann's nit bald einmal wieder Weihnachten werden?« »Ja, in sieben Monaten, wenn's geschneit hat.« So polterig es klingt, Rudolf weiß, daß der Vater dabei lächelt. Er drückt ihm die Hand. »Grüß die Mutter.« Husch ist er davon, der Bauer aber geht heim. Als er in sein Bett kriecht, lacht er laut auf. »Bist du denn übergeschnappt?« fragt seine Frau. »Noch nit ganz. -- Der Rudolf läßt dich schön grüßen.« »Der Rudolf? Was denn? War denn der da?« »Pst,« wieder lacht der Bauer hell auf. »Unter neun Tagen wird nix ausgeredet.« »Aber Vater!« Die Frau rüttelt und schüttelt ihn, aber der Hohlöfner sägt einen ganz dicken Ast und lacht dabei. Unter neun Tagen! Ach, am andern Tage schon wusch ihm sein Weib den Wuschelkopf. Er war auf dem Felde, da kam das Mariele todverlegen und drückte der Bäuerin ein Sparkassenbuch in die Hand. Glühenden Gesichtes beichtete sie, und Mutteraugen forschten dabei in dem lieben Mädchengesicht. Die kluge Frau war beruhigt. Das Mariele war so lauter wie immer, und von wem das Sparkassenbuch stammte, das brauchte man nicht zu fragen. Aber -- unter des Mädels Kopfkissen!? »Es ist nit zu glauben!« stellte die Bäuerin fest. Jeder Erklärungsversuch war müßig. Die beiden tasteten dahin und dorthin, aber es blieben Lücken, über die kein Steg führte. »Geh heim, Mariele,« riet Minna Korn. »Das Buch ist dein. Das laß dir genug sein. Das andere ist ~meine~ Sache.« O, es war ihre Sache, das spürte der Hohlöfner, der kurz hernach vom Felde kam, und dem der Schelm aus allen Knopflöchern guckte. Behaglich setzte er sich hinter den Tisch. »Bring das Essen, Mutter.« »Noch nit,« erklärte die Bäuerin kurz und entschlossen, »erst haben wir zwei noch was zu bereden.« »Was denn, Mutter? Du tust ja so desperat.« »Verstell dich nit, du scheinheiliger Dingerts. So was hat ja noch gar kein Mensch erlebt!« »Was willst du denn eigentlich?« Und des Bauern Augen waren Krater, aus denen die Freudenfunken sprühten. »Red! Wie hast du das Buch unter dem Mariele sein Kopfkissen gebracht?« »Buch? Kopfkissen? Tja, Mutter -- -- --« »Vater!« Sie stand, ganz verkörperte Entrüstung, vor ihm. »Das geht über den Spaß!« »Wenn ich nur wüßte, was?« Da hatte die Bäuerin Zornestränen in den Augen. »Schämst du dich denn gar nit?« Der Bauer stand auf und wollte die Frau begütigend in den Arm nehmen. »Laß die Faxen. Du in dem Mariele seiner Kammer!« »Och, da war's noch ganz hübsch, aber im Keller war's nachher verdammt kalt.« »Im Keller? Mann, das ist ja rein zum Aus-der-Haut-Fahren mit dir. Im Keller?!« Die Tränen waren vertrocknet. Minna Korn ahnte, daß die Lage ganz heillos komisch gewesen sein mußte, sah an ihres Mannes Gesicht, daß er jauchzend noch mit beiden Beinen darin stand, daß es ihm unendlich viel Vergnügen bereitet hatte, und lächelte halb versöhnt. »So erzähl doch wenigstens, Mann.« Nun duldete sie es, daß er sie in die Arme nahm. »Jetzt nit, Mutter. Ich habe Hunger, und nachher muß ich wieder aufs Feld. Mußt schon bis heute abend warten. Derweile rat nur selber weiter.« »Ich denke nit daran. Aber wie oft willst du denn noch solche Dummheiten machen?« »Das war die letzte, weil's die schönste war.« Es klang beinahe ein bißchen wehmütig. Und dann war der Abend da. Die Hohlofenleute lagen im Bette. Heinrich Korn hatte das Licht brennen lassen und erzählte. Seine Frau rief einmal über das andere: »Es ist nit zu glauben!« lachte dazwischen hinein wiederholt laut: »Vater, hör auf!« und war zuletzt halb fröhlich, halb wehmütig. »Vater, ist es nit eigentlich traurig, daß das notwendig war?« Da legte ihr der Bauer den Arm um die Schulter und zog sie fest an seine breite Brust. »Still, Mutter! Ich bin selber halb so und halb so dabei gewesen, aber schön war's doch. Wie sie zusammenfuhren! Und wie ich durch das Kellerfenster kroch! Jesses, Jesses! -- Schlaf jetzt, Mutter. Nach der Heuernte ist Hochzeit. Dann -- braucht der Hohlöfner keine Dummheiten mehr zu machen, dann wird er ein gesetzter Mann.« »Alles glaub ich, Vater, aber das nit. -- Gute Nacht!« Und andern Tages war es so ganz, ganz anders. Lehrer Siebert schickte seine alte Aufwärterin und ließ den Hohlöfner zu sich bitten. Es ging aufs Ende mit ihm. Nun wollte er, was er bislang aufgeschoben, in Ordnung bringen. Der Bauer wußte durch Philipp Engel, um was es sich handelte. Er saß am Bette und nickte zu den Ausführungen des Kranken. Als der zu Ende war, sprach Korn: »Wenn's denn sein muß, dann helfen Sie mir es auch ~ganz~ zu Ende bringen. Meinen Sie, daß es Ihnen der Herrgott übelnimmt?« Und er entwickelte ihm seinerseits einen Plan. Lehrer Siebert lächelte: »Das nimmt er mir nicht übel. Wie sollte er denn? Aber Sie müssen rasch machen.« Am Nachmittage war der Notar aus dem Städtchen da. Lehrer Siebert machte Marie Berteles zur alleinigen Erbin seines bescheidenen Vermögens. Die Summe betrug ausgerechnet so viel, daß, mit dem zusammen, was das Mariele und Rudolf bereits besaßen, die geforderten fünftausend Taler um zweihundert Mark überschritten waren. Beim Fortgehen drückte der Bauer dem Kranken die Hand und hielt sie fest. »Ich nehm's für ein Darlehn, und sobald alles in Ordnung ist, gebe ich's der Schule. Dann kann dafür angeschafft werden, was Kantor Ritter gern haben will. -- Gott helfe Ihnen, und: Schönen Dank für alles!« Draußen war er, weil ihm die Stimme brach. Als er die Abmachung seiner Frau erzählt hatte, lief die ins Berteles-Häusel, nahm das Mariele in beide Arme und küßte sie. »Mariele, komm, der Lehrer stirbt. Wir wollen ihn noch einmal besuchen.« Sie pflückten zusammen einen großen Fliederstrauß und gingen in die Krankenstube. Der Maienmond schien. Lehrer Siebert war schmerzfrei und fröhlich. Der Besuch war ihm der schönste Ausklang seines Lebens. »Schwester,« sagte er, Marie Berteles lächelnd in die Augen sehend, »Schwester -- ich darf's doch sagen?« Das Mariele nickte. Zu sprechen vermochte sie nicht. »Schlägt die Wachtel wieder?« »Ja, gestern abend habe ich sie gehört,« kam es tränenerstickt aus des Mädchens Munde. »Wenn Sie morgen hinausgehen an den Rain, dann denken Sie daran, daß ich sage: Behüt dich Gott.« In demselben Augenblicke klang Philipp Engels Geige. Er stand unter der Dorflinde und spielte in die Nacht hinaus. »Philipp ist da!« jubelte der Kranke. »Jetzt ist alles, alles gut!« Die Frauen gingen. In der Nacht starb Lehrer Siebert in des Freundes Armen. -- -- Rudolf Korn hatte gekündigt. In vierzehn Tagen war seine Zeit um. Dann ging er heim und heiratete das Mariele, einerlei, ob die fünftausend Taler beisammen waren oder nicht. Der alte Herr Schmidt begegnete ihm, als Rudolf aus der Schreibstube trat. »Nun, Korn? Was haben Sie denn da drin zu tun gehabt?« »Ich habe gekündigt.« »Ihre Zeit ist um? -- Kommen Sie noch einen Augenblick her.« Es war still in dem bescheidenen Arbeitsraum des reichen Mannes. »Setzen Sie sich, Korn,« nötigte er. Und dann: »Sie gehen wieder heim in Ihren Kreis, aus dem Sie eigentlich nie fortgegangen sind. Ich wünsche Ihnen, daß Sie wenigstens in Ihrem Dorfe erreichen, was Sie erreichen möchten. Sie glauben, die Stadt zu kennen, und kennen Sie wohl auch bis zu einem gewissen Grade. Nun aber lassen Sie sich nicht verleiten, beide auf die gleiche Ebene bringen zu wollen. Das geht nicht. Ebenso falsch aber wäre es, eines über das andere zu stellen. Sie sind verschieden und werden und müssen verschieden bleiben. Wir haben nie ein Wort gesprochen über die Gegensätze, die absichtlich, zu eigennützigen Zwecken, hineingetragen werden. Sie sind aber da, und wir müssen mit ihnen rechnen. Was Sie wollen, Bauer und Arbeiter als Menschen einander näherbringen, ist so vernünftig, daß es -- bekämpft werden wird. Ich würde Sie bedauern, wenn Sie darin Ihres Lebens Hauptaufgabe sehen würden, aber ich freue mich, wenn Sie sie neben Ihrem Beruf, Brot zu schaffen, zu erfüllen versuchen. -- Leben Sie wohl, Korn.« Das waren Worte, die Rudolf Korn viel zu schaffen machten. Am letzten Sonntag -- den Sonnabend darauf wollte Rudolf heimfahren -- führte ihn Grete Frieders in ein Kirchenkonzert, das in der größten Kirche der Stadt gegeben wurde. Das Gotteshaus war bis auf den letzten Platz gefüllt. Kinderstimmen sangen wie Engelschöre, die Orgel jubelte und brauste, und über die Stadt ging ein schweres Gewitter mit laut hallenden Donnerschlägen nieder. Die Menschen aber schienen der Erde entrückt. Sie hatten Jenseitsgesichter, die Leute der Stadt, von denen auch Rudolf einst geglaubt hatte, sie hätten nur Sinn für Tand und Spiel. Viele, viele hielten den Kopf tief gesenkt und waren ganz in sich hineingekrochen. Musik und Kirchenhalle, Kinderstimmen und Donnergrollen, Altarkerzen und still versunkene Menschen, das gab einen Zusammenklang, der Rudolf Korn erschütterte und ihm die tiefste Offenbarung der Stadt bedeutete. Als sie das Gotteshaus verließen, nahm er Grete Frieders Hand. »Ich danke Ihnen. -- Damit will ich heimgehen.« * * * * * Auch über Schönbach ging das Gewitter nieder, und in allen Häusern verschränkten sich die Hände der Frauen: »Lieber Gott, laß es nit wieder hageln!« Es hagelte nicht, aber die Wasser stürzten muldenweise vom Himmel. Der Bach ward binnen Ja und Nein zum Unhold. Und den Ender traf das Unglück am schwersten. Das Wasser riß ihm den Schuppen weg und führte Sämaschine, Pflug und Wagen davon. Zertrümmert lag das eine am Berteles-Garten, das andere auf den Bodenwiesen. Verstört, von innerem Frost geschüttelt, stand der Mann auf seinem Hofe und blickte den Trümmern nach. Eine Weile später kam der Hohlöfner des Weges, um sich das Unheil anzusehen. Kopfschüttelnd stand er da. »Herrgott, das ist zu viel! Da muß man zugreifen.« Als er eben in das Haus treten wollte, sah er Ender durch die Bodenwiesen auf den Wald zu laufen. Mitten durch die Wiesen ging der Mann mit herrischen Schritten, und es war, als flöge ein unheimlicher Geist über ihm. Es gab dem Hohlofenbauern einen Ruck. Mit langen Sätzen lief er den gleichen Weg. Warum? Er wußte es nicht, aber er mußte. »Ender,« schrie er. Der Mann schritt weiter, herrisch und ungestüm. Jetzt war er im Walde. Heinrich Korn hub an zu laufen. Als er in den Wald trat, war der Nachbar weder zu sehen noch zu hören. In heller Angst rannte der Hohlöfner hierhin und dorthin. Der Schweiß troff ihm von der Stirn, er keuchte, die Lippen waren ihm dürr. Er stand am Kreuzwege. Wohin? Dahin! Weil er mußte! Da steht die krumme Kiefer, und -- da hängt der Ender. »Heiliger Gott!« Der Strick fällt zerschnitten zur Erde. Korn hat den Mann in den Armen. Er legt ihn nieder auf das Moos. Was, sagt der Volksglaube, sei mit einem zu tun, der sich erhängt? Es ist ein brutales Mittel, aber der Glaube gebietet es. Plauz, gibt der Hohlöfner dem Manne eine Ohrfeige, die einen Lebenden niedergeworfen hätte. Und siehe, der Körper zuckt auf, die Nasenflügel weiten sich, die Brust holt Atem, langsam, ruckweise, dann tief und rascher. Ender schlägt die Augen auf, fährt sich mit der rauhen Hand über das Gesicht, murrt: »Ich -- danke dir nit dafür.« Da faßt ihn der Hohlöfner am Kragen und setzt den schwächlichen Mann auf. »Brauchst mir auch nit zu danken, armer Teufel.« Ender schwankt noch so stark hin und her, daß ihn Korn in den Arm nehmen und an sich drücken muß. »Halt still, Nachbar, und nun wollen wir die Geschichte ins reine bringen. Was mit Geld zu machen ist, darf kein Menschenleben kosten. Ich brauche ~dich~, du brauchst mich.« Nach einer Weile gehen die beiden miteinander zurück und -- treten in das Berteles-Häusel. »Mariele,« sagt der Hohlöfner, »da bringe ich dir einen, dem geholfen werden muß, und du sollst ihm helfen.« »Gerne, wenn ich das kann.« »Ich könnt's wohl auch, aber dir macht's mehr Freude. Bring deine Sparkassenbücher. -- So, jetzt, Ender, wollen wir miteinander sehen, was das Mädel beieinanderhat. Das stammt vom Rudolf, das ist ihres und das -- hat sie von dem Lehrer geerbt. Macht zusammen fünftausend Taler und zweihundert Mark. Stimmt's?« »Freilich stimmt's.« »Und nun, Mariele, das borgen wir dem Ender.« Er drückt dem Manne ein Sparkassenbuch in die Hand. »Wenn's nit langt, bin ich auch noch da. Für das in dem Buche zahlst du keine Zinsen. Die schreibe ~ich~ dir gut, Mariele. Abzahlen kannst du's, wie's paßt, Nachbar. Red nit! Dummes Zeug! Das wär noch schöner, wenn wir dich nit wieder auf die Beine brächten.« Der arme Mann ist wie zerschlagen. »Lieber Gott,« sagt er aus der Tiefe herauf, »jetzt kann ich ja mein Zeug behalten!« Der Hohlöfner will weich werden, sosehr er sich auch dagegen wehrt. Da steht er auf, räuspert sich, macht ein grimmiges Gesicht, geht auf das Mariele zu, nimmt es in den Arm und zupft es an seinen langen Zöpfen. »Heut über fünf Wochen wird geheiratet, daß du's weißt.« Aufjauchzend fällt ihm das Mädchen um den Hals und gibt ihm einen Kuß. Lachend wischt der Hohlöfner den Schnurrbart beiseite. »Ender, das hast du nit gesehn.« Der Scherz bannt die dumpfe Last, die auf dem Manne liegt. »Nein, das hab ich nit gesehn.« Ein müdes Lächeln huscht über sein Gesicht. »Dann können wir gehn. -- Lebt wohl, ihr zwei.« Draußen sieht der Hohlöfner dem Nachbar freundlich ernst in das Gesicht. »Ender, es ist nit alles ganz ehrlich zugegangen, aber betrogen hab ich auch nit.« »Hohlöfner, wenn ich das Wort ungesagt machen könnte -- -- --« »Ja nit,« wehrte Korn ab, »ja nit! Jetzt weiß ich erst, was ich an meinem Jungen habe!« * * * * * Die Hochzeitsglocken läuten, die alten Donnerbüchsen krachen. Es ist Wahrheit geworden, Rudolf heiratet das Mariele. Laß sie schwatzen, daß es nicht recht gewesen wäre, daß der junge Lehrer dem Mädel ein solch unmenschliches Geld vermacht. Es ist so, und daran ist nichts zu ändern. Am Abend ist des Wirtes Saal so voll wie sonst kaum zur Kirmes. Der Hohlöfner hält die Gemeinde frei, und selbst die ältesten Weiber holt er in seinem Übermut und schwenkt sie herum, daß sie juchzen. Da tritt auf einmal der Ender mitten in den Saal. »Nachbarn, ich habe seinerzeit mit dem Hohlöfner eine Wette gemacht. Er hat sie gewonnen. Das Mariele hat sein Geld beieinander, ich kann's bezeugen. Und ist nit ein unrechter Pfennig dabei.« »Ordnung muß sein,« schallt es aus der Ecke her. Das ist der lachende Hohlöfner, der nun mit langen Schritten an des Enders Stelle tritt. »Nachbarn, ihr wißt, daß meine Schwiegertochter das Geld von dem jungen Lehrer geerbt hat. Wir haben mehr mit dem Menschen verloren, als wir heute wissen. Nehmt's an, Nachbarn, was ich euch bieten will.« Er stiftet genau den Betrag, den das Mariele wirklich von dem Lehrer geerbt, der Schule, damit die Kinder lernen können, »daß die Welt nit in Schönbach zu Ende ist«. Schmunzelnd tritt er zurück. Sein Weib erhascht seine Hand und zieht ihn herab. »Bleibst doch der alte -- Hohlöfner!« Da lacht er und klopft ihr den Rücken. Eben setzt die Musik wieder ein. Heinrich Korn geht auf das Mariele zu und holt sie zum Tanze. Im lustigen Wirbel zupft er sie herzhaft an den Zöpfen. »Dunnerlichting, die sitzen ja ~immer noch fest~!« Das Mariele errötet, aber sie hebt dem Schwiegervater die lachenden, leuchtenden Augen entgegen. »Und bleiben nun auch, wo sie sind.« *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76034 ***